Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Stunde, in der wir uns anschicken, über das deutsch-französische Wirtschaftsabkommen zu sprechen, trifft uns die schmerzliche Nachricht, daß der französische Staatsmann Léon Blum verstorben ist.
Nicht allein das französische Volk, auch das deutsche
Volk hat an Léon Blum einen Freund verloren.
Selbst die bittersten Erfahrungen, insbesondere in
der nationalsozialistischen Zeit, haben das Herz
Léon Blums nicht aufhören lassen, für die Menschlichkeit zu schlagen, und sie haben ihn nicht davon
abbringen können, als Freund der Menschlichkeit
stets auch ein Freund des deutschen Volkes zu bleiben.
Wenn die sozialdemokratische Fraktion dem Hohen Hause den Antrag unterbreitet hat, das Haus möge beschließen, die Bundesregierung solle das deutsch-französische Wirtschaftabkommen zur Ratifizierung vorlegen, so ist dies nicht geschehen, weil im allgemeinen gegen den Inhalt dieses Abkommens Bedenken zu erheben wären. Aber gerade weil über den Inhalt dieses deutsch-französischen Wirtschaftsabkommens vom 10. Februar 1950 kaum Meinungsverschiedenheiten bestehen werden, tritt um so klarer die politische und staatsrechtliche Grundfrage hervor, ob der Bundestag zu beteiligen ist. Meine Absicht geht nicht dahin, dem Bundestag im einzelnen das juristische Für und Wider vorzutragen. Das ist im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht eingehend erörtert worden und hat zu dem Mehrheitsgutachten und dem Minderheitsgutachten geführt, die Ihnen vorliegen und bekannt sein werden. Mir liegt vielmehr daran, das
Verfassungsproblem und die politische Grundsatzfrage aufzuzeigen.
Nach Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung des Bundestages in Form eines Gesetzes. Man kann und darf dieser politischen Grundfrage nicht dadurch ausweichen, daß man die Neuregelung der Außenhandelsbeziehungen als Verwaltungsabkommen frisiert. Das ist uns nur allzu bekannt aus dem Petersberger Abkommen, bei dem wir Sozialdemokraten, wie Sie wissen, nach wie vor auf dem Standpunkt stehen, daß es staatsrechtlich der Wirksamkeit entbehrt, weil es nicht ratifiziert worden ist. Auch bei dem deutsch-französischen Wirtschaftsabkommen handelt es sich um weit mehr als um Exekutive auf Grund und im Rahmen geltenden Rechts, etwa der Devisenbestimmungen oder der Wirtschaftsgesetze. Wir müssen uns daran erinnern, daß es bei den sogenannten Handels- und Schiffahrtsverträgen, die stets der Ratifizierung bedurft haben, die alte Methode war, daß die Steuerung der Außenhandelsbeziehungen durch Veränderungen des sogenannten autonomen Zolltarifs erfolgte.
Die neue, leider wesentlich primitivere Methode ist die der Steuerung durch Kontingente, Devisenkontingente, andere Kontingente. Substanziell ist es das gleiche, und da es substanziell das gleiche geblieben ist, können sich auch die Rechte des Parlaments in dieser Frage nicht verändert haben, und wir dürfen sie nicht schmälern lassen. Denn wesentlich dabei ist ja nicht, ob formal eine Transformierung einzelner Abreden durch Gesetze in innerstaatliches Recht notwendig ist, sondern entscheidend ist, daß Abkommen dieser Art weitgehend eine Förderung oder Schädigung einzelner Wirtschaftszweige bedeuten, ja, daß es sich zum Teil bei diesen Abkommen geradezu um wirtschaftliche Existenzentscheidungen handelt.
Darüber hinaus wäre es verfehlt, ein solches Abkommen für sich allein, gewissermaßen isoliert zu betrachten; denn es ist nur ein nicht herauslösbarer Teil aus einem ganzen Netz von Abmachungen. Wir haben in der Ausschußarbeit gehört, daß für die kommenden Monate insgesamt nicht weniger als etwa 60 derartige Abkommen bevorstehen. Alle diese Abmachungen sind ein einheitliches Ganzes und stehen unter dem Leitsatz der Liberalisierung des Außenhandels. Meine Damen und Herren, die Liberalisierung ist ein Politikum allererster Ordnung. Selbst also, wenn man von dem Minderheitsgutachten ausgeht, das der Herr Kollege von Merkatz erstattet hat, wäre hier die Ratifizierung erforderlich. Denn in dem Minderheitsgutachten heißt es, sie sei notwendig, wenn das Abkommen das wirtschaftliche und soziale Gefüge der Bundesrepublik in so grundlegender Weise berührt, daß dadurch der innere und äußere Zustand der Bundesrepublik verändert wird, weil eben ein solches Abkommen dann auch die politischen Beziehungen regelt. Wer wollte das angesichts der Gesamtheit der Abkommen, zu denen auch das deutschfranzösische Abkommen gehört, irgendwie in Abrede stellen wollen?
Wieweit der sachliche Bereich dieser Regelung greift, ist u. a. auch ersichtlich aus dem Zusatzprotokoll über das Zahlungsabkommen mit dem sogenannten Saargebiet. Denn hier handelt es sich nicht nur um technische oder allein wirtschaftspolitische oder sozialpolitische Fragen, sondern um Probleme, deren Behandlung nur mit der größten Delikatesse und mit der feinsten Präzision in der Formulierung möglich gewesen wäre. Wir bedauern daher die Ausdrucksweise, die man bei diesem Zusatzprotokoll gewählt hat und die sich an den Sprachmißbrauch anschließt, als ob Bundesgebiet mit dem Geltungsbereich des Grundgesetzes gleichbedeutend wäre und als ob die Bundesrepublik ein anderer Staat als der deutsche Gesamtstaat wäre. Wir legen das größte Gewicht darauf, auch nur den Anschein zu vermeiden, als ob das sogenannte Saargebiet sich außerhalb des gesamtdeutschen Staates befände.
Diese unsere Sorge hat uns auch zu der Interpellation veranlaßt, die Punkt 2 unserer Tagesordnung bildet und durch die wir die Bundesregierung um die Beantwortung bestimmter Fragen gebeten haben, insbesondere um die Beantwortung der Frage, ob es der Bundesregierung vor Unterzeichnung des Wirtschaftsabkommens bekannt gewesen ist, daß darin besondere Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem sogenannten Saargebiet vorgesehen sind, ob die Bundesregierung dem deutschen Delegationsleiter eine ausdrückliche Ermächtigung gegeben hat, diese Zusatzabkommen mit seinen Bestimmungen über besondere Abkommen mit dem sogenannten Saargebiet zu unterzeichnen und ob dem Abschluß solcher Abkommen, wie sie in den Zusatzabkommen vorgesehen sind, in Hinsicht auf den völkerrechtlichen Status des sogenannten Saargebiets eine besondere Bedeutung zukommen würde. Wir hoffen, daß die Bundesregierung uns insoweit eine befriedigende Antwort erteilen kann und wird.
Wir würden aber auch gern hören, wieweit der Herr Bundesjustizminister an alledem beteiligt gewesen ist. Gewiß sind Verfassungspolitik und Verfassungsschutz traditionell Aufgaben des Innenministeriums, wie mein Fraktionsfreund Mayer im Rahmen der Etatsdebatte erst vor wenigen Tagen hier mit Recht betont hat. Doch in jeder Frage der Auslegung des Grundgesetzes erwarten wir, daß auch das Bundesjustizministerium sich ohne Rücksicht auf parteipolitische Konstellationen zur Stimme des Rechts macht. Warum mußte erst der Rechtsausschuß des Bundestags sich auf Art. 59 Abs. 2 besinnen und sich mit Mehrheit für das Erfordernis der Ratifizierung aussprechen?
Meine Damen und Herren, dem Ansehen des Bundestages ist nicht damit gedient, daß man
irgendwo — wie der Herr Bundeskanzler seinerzeit in Bochum — eine anfechtbare Kritik am Parlament übt, sondern daß man die Rechte der Volksvertretung respektiert. Der Herr Bundeskanzler hat gestern hier in seiner launigen Art gesagt, seine Stellung sei ja gar nicht so stark, wie wir immer dachten. Nun, wir wunschten, daß manchmal auch seine Ausdrucksweise außerhalb des Parlaments nicht so stark wäre, wie es erscheint.
Wenn wir hier miteinander sprechen, dann wird namlich dieses Extreme in der Kritik sehr viel mehr vermieden werden, als es sich einschleicht, wenn man vor Parteiausschüssen oder gegenüber Zeitungsreportern spricht, wie bei dem Interview mit dem „Rheinischen Merkur".
Meine Damen und Herren, wir verschließen uns nicht der Schwierigkeit einer parlamentarischen Behandlung, die bedingt ist durch die große Zahl der in Betracht kommenden Abkommen, ihre Kurzfristigkeit und die Eile, die jeweils bei dem Abschluß geboten ist. Dies ist eine Schwierigkeit, die dadurch gesteigert wird, daß es sich vielfach jetzt um eine Regelung im Speziellen handelt, statt um eine Regelung im Generellen. Es mag auch sein, daß man im Auslande heute leider zu einer laxen Behandlung dieser Grundfragen des Parlamentarismus neigt; aber es ist ja doch an uns, hier unseren Stil der parlamentarischen Arbeit zu entwickeln.
Ich darf deshalb nochmals auf eine Besonderheit gerade dieses Bundestages aufmerksam machen. Dieser Bundestag hat die besondere Aufgabe, die Ausführungs-Gcsetzgebung zum Grundgesetz zu erarbeiten und an der Entwicklung des noch ungeschriebenen Verfassungsrechts mitzuarbeiten. Es mag möglich sein, daß man in dieser Frage wie auch in irgendeiner anderen vielleicht juristisch zweierlei Meinung sein könnte. Aber wenn diese zweierlei Meinungen juristisch auch bestehen mögen, so sollte man sich mindestens im Zweifel immer zu Gunsten der Rechte des Parlaments entscheiden.
Das sollte ein politischer Grundsatz hier im Hause werden, weil das Parlament das Fundament ist, auf dem wir alle miteinander stehen.
Bisher aber haben wir stets erlebt, daß man sich in solchen Fragen, in denen angebliche juristische Zweifel obwalten konnten, regelmäßig gegen das Parlament entschieden hat, und zwar sowohl bei dem Petersberger Abkommen, wie bei dem Streit um den Benzinpreis oder auch bei dem gar nicht bis hier ins Haus hereingedrungenen Streit um den Butterpreis.
Meine Damen und Herren, wir sind ja augenblicklich hinter Weimar, ja, noch hinter der Zeit des Nationalsozialismus zurück; denn in der Weimarer Zeit hat man es für notwendig gehalten, bei ähnlichen Abkommen sogenannter wirtschaftspolitischer Art im Jahre 1926 wenigstens ein Ermächtigungsgesetz zu beschließen, das der Regierung die Befugnis zu solchen angeblich nur administrativen Abkommen gab. Sogar in der Zeit des Nationalsozialismus wurde es für erforderlich gehalten, mit Hilfe des Artikels 48 die Gesetzesform zu ersetzen.
Auch heute ist insoweit ein Rahmengesetz möglich und erforderlich, ein Rahmengesetz mit konkreten Richtlinien, die die wesentlichen Begrenzungen, Schutzmaßnahmen und Bedingungen für den Abschluß solcher Abkommen im einzelnen festlegen; ein Rahmengesetz, das die Klausel enthält, daß ungeachtet einer vorläufigen Wirksamkeit eines solchen Abkommens dieses jeweils alsbald dem Hohen Hause zur Zustimmung vorzulegen ist.
Aus diesen Gründen darf ich Sie bitten, dem Antrage der sozialdemokratischen Fraktion zuzustimmen, daß das deutsch-französische Wirtschaftsabkommen dem Bundestag zur Ratifizierung vorzulegen ist.