Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vereinbarungen, die Ihnen soeben Herr Minister Blücher voi getragen hat, lagen eingebettet in sehr eingehenden Unterhaltungen über die Maßnahmen, die geeignet sind, die Berliner Wirtschaft zu starken, ihre Produktivität zu verbessern und sie immer mehr der Effizienz der westdeutschen Wirtschatt anzugleichen. Seit einem Dreivierteljahr
hat die Berliner Wirtschaft eine Zunahme ihrer Produktion um 75 °/o erfahren. Das ist eine Belebung, aie doch bemerkenswert ist und für die gesunde Struktur der Berliner Wirtschaft spricht, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß der absolute Produktionsstandard noch immer sehr weit hinter dem in der Bundesrepublik zurückbleibt. Im Juni vorigen Jahres hat der Absatz der Berliner Industrie und des Berliner Gewerbes in das Bundesgebiet monatlich rund 30 bis 35 Millionen Mark betragen. Er konnte in der Zwischenzeit auf 85 Millionen Mark im, Monat gesteigert werden. Alle Beteiligten waren sich bei der Besprechung darüber klar, daß es entscheidend darauf ankommt, für die Berliner Wirtschaft eine weitere Umsatzbelebung in Richtung eines Güterabsatzes nach dem Bundesgebiet sicherzustellen. Der Erfolg wird heute um so größer sein, als in der Zwischenzeit der Geldabfluß aus Berlin vollkommen abgeebbt ist, so daß man also annehmen kann, daß jede Umsatzmehrung, die in Berlin erreicht wird, auch effektiv der Berliner Wirtschaft für dauernd zugute kommt.
Die Berliner Wirtschaft leidet neben dem Mangel an Investitionskapital als Folge der Währungsreformen und als Folge der Auszehrung durch die Blockade vor allen Dingen auch an einem Mangel an Betriebsmitteln. Das Berliner Bankwesen und die Kreditinstitute verfügen zwar an sich über ein Kreditpotential aus den Ausgleichsforderungen und aus dem möglichen Rediskont. Aber den Berliner Betrieben ermangelt allenthalben die Kreditwürdigkeit nach kaufmännischen Grundsätzen. Deshalb wird morgen auch im Kabinett eine Vorlage beraten werden, derzufolge der Bund mit einer Garantie über 20 Millionen DM Berlin in die Lage versetzen soll, das von mir gekennzeichnete Kreditvolumen im Ausmaß von 100 Millionen zu bewegen. Es ist die Auffassung des Magistrats, der Banken und aller beteiligten Kreise in Berlin, daß jenes Ziel damit erreicht werden kann und daß diese Ergänzung notwendig ist, um die erhöhte Produktivität, insbesondere aus den Investitionen, auch praktisch auswerten zu können.
Die weiteren Besprechungen haben sich im wesentlichen auf Maßnahmen der Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen erstreckt. Hier im Bundesgebiet ist jetzt bereits Vorsorge getroffen worden, daß in den nächsten Monaten immer mehr Wirtschaftler nach Berlin kommen, um sich unmittelbare Einblicke zu verschaffen und vor allen Dingen die Berliner Atmosphäre verspüren und erleben zu können. Denn ich glaube, daß die
menschlich-persönhchen Beziehungen die beste Grundlage für eine Ausweitung des gegenseitigen Warenaustauschs, insbesondere des Absatzes Berliner Waren nach dem Bundesgebiet sein werden.
Ich habe der Berliner Wirtschaft und dem Berliner Magistrat vorgeschlagen — und ich habe dabei die volle Zustimmung aller beteiligten Kreise gefunden —, die Berliner Wirtschaft stärker als bisher für den Export zu intensivieren. Sie wissen, daß der deutsche Export im Zuge der Liberalisierungspolitik eine glückliche Entwicklung zeigt, daß das Ressentiment gegen deutsche Waren im Ausland, soweit es vorhanden war, sichtbar nachläßt. Und wenn das schon für deutsche Produkte im allgemeinen gilt, dann wird es ganz besonders für Berliner Erzeugnisse gelten. Es sind Pläne im Gange, um durch die Schaffung eines besonderen Berliner Exportzeichens geschlossene Ausstellungen zu veranstalten, auf Messen gemeinsam in Erscheinung zu treten und entsprechende Werbemaßnahmen durchzuführen. Nach allen Erfahrungen, die ich sonst im Aus-lande sammeln konnte, glaube ich in Anschauung der starken, würdigen und beherrschten Haltung, die Berlin an den Tag gelegt hat, damit rechnen zu können -- und diese Hoffnungen werden von Berlin geteilt —, daß eine stärkere exportpolitische Aktivität Früchte zeitigen wird.
Meine Damen und Herren! Es ist sicher, daß die Injektionen, die wir Berlin auf kreditpolitischem Gebiet geben, sich nur dann auf die Dauer fruchtbar auswirken werden, wenn es dazu gelingt, die Berliner Produktion zu steigern und gleichzertig für dieses erhöhte Sozialprodukt vornehmlich auch Absatz im westlichen Bundesgebiet zu schaffen.
Es wurde die Frage erörtert, ob nicht durch die Schaffung günstiger Verkehrsbedingungen — so beispielsweise durch eine kurze Fluglinie Hannover—Berlin — noch ein Übriges getan werden konnte, um die beiden Wirtschaftsgebiete —die natürlich eine Einheit darstellen und darstellen sollen — noch enger miteinander zu verbinden.
Es ist auch geplant, das Berliner graphische Gewerbe dadurch starker zu aktivieren, daß mit der Besehaftigung dieser Industrie gleichzeitig die Werbemittel geschaffen werden, um sowohl hier im Bundesgebiet als auch im Ausland für Berliner Waren Propaganda zu machen.
Vom ersten Tag bis in die letzte Minute der Besprechungen ist es ganz deutlich geworden, daß auf beiden Seiten das ehrliche aufrichtige Streben vorhanden ist, Berlin immer vollkommener in den Wirtschaftskörper der Bundesrepublik einzubauen. Vor allen Dingen soll Berlin auch in der weiteren Ausgestaltung des Interzonenverkehrs und möglicherweise auch in dem Warenaustausch mit den Südostländern stärker zur Geltung kommen. Die Treuhandstelle für den Interzonenverkehr ist bereits voll in Berlin tätig. Im ganzen gesehen glaube ich also, daß die organischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen durch den besonderen Impuls, den sie durch die Kreditförderung erhalten, uns in Berlin ein gutes Stück der Lösung nähergebracht haben.