Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte vorhin vorübergehend Sorge, daß dem Herrn Finanzminister etwas zugestoßen sei, als der Kollege Dr. Reismann ihm klarmachte, er sei völlig unfähig und unqualifiziert, irgendeine Lösung der Aufgabe des Lastenausgleichs anzugeben.
Ich bin anderer Meinung, nicht etwa weil ich sein Fraktionskollege bin, sondern weil ich dem Herrn Finanzminister dafür dankbar bin, daß er aus seiner Verantwortung als Finanzminister die Dinge ganz praktisch und nüchtern so darstellt, wie er sie sieht. Ein Finanzminister muß zunächst einmal die Wirklichkeit seiner Zahlen sehen. Es hat keinen Zweck, hier zum Hause heraus große Reden über die Not der Vertriebenen, der Fliegergeschädigten usw. zu halten, wenn man nicht weiß, was man ihnen tatsächlich geben kann. Darum gehört es meines Erachtens zu den ersten Aufgaben des Finanzministers, die Bilanz nach der Seite der Bestände zu ziehen und, weitergehend, nach den Möglichkeiten zu suchen, aus diesen Beständen etwas liquide zu machen, was er für den Lastenausgleich verwenden kann. Das erlauben Sie mir zu dieser Frage zu sagen.
Im übrigen nur noch eine Bemerkung zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Reismann. Herr Kollege Reismann ist leider nicht da. Aber
bitte, übermitteln Sie es ihm doch, oder er möge das Stenogramm lesen. — Wie man ernst genommen werden will, wenn man behauptet, die Bundesrepublik könne ohne Schwierigkeiten 50 Milliarden innere Anleihen aufnehmen, um diese Fragen zu lösen, ist mir ein Rätsel.
Ich meine, ein verantwortlicher Politiker sollte, bevor er solche Dinge, die ja die breiten Massen unseres Volkes gern zu glauben bereit sind, ausspricht, sich eine derartige Frage reiflich überlegen. Wir sollten das, was wir sagen, genau so ernst und nüchtern aussprechen, wie es mein Kollege Seuffert im Lastenausgleichsausschuß getan hat. Auf dieser Ebene können wir zu einer Verständigung kommen, weil wir sachlich miteinander prüfen und beraten, was geschehen kann und muß, und auf welchen Wegen es geschehen soll. Da ist die Meinungsverschiedenheit zwischen uns nicht so groß, daß ich den Pessimismus des Herrn Bundesfinanzministers zu teilen bereit wäre, die Vorlage eines Lastenausgleichsgesetzes würde dieses Hohe Haus von vornherein auseinanderfallen lassen. Ich bin und bleibe Optimist und möchte wünschen, daß es uns gelänge, auch in diesem Punkte zu der Einigung und Einigkeit zu kommen, wie wir sie heute morgen miteinander bewiesen haben. An meiner Fraktion und an mir soll es dabei nicht fehlen.
Ich darf mich mit Rücksicht auf die kurze Zeit, die mir nur geblieben ist, auf ein paar Bemerkungen zu den Gedanken und programmatischen Erklärungen des Herrn Kollegen Seuffert beschränken, wobei ich auf Wiederholungen verzichte. Es ist für das Hohe Haus selbstverständlich, daß wir, wenn wir vom Recht sprechen, nicht das formale Recht meinen. In einem Stadium der Existenz unseres Volkes wie dem heutigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind es hohle Phrasen, wenn wir von „wohlerworbenen Rechten" sprechen. Von Recht sprechen wir in dem Sinne, daß wir Recht und Gerechtigkeit für alle als Grundlage für die Lösung aller Fragen und Aufgaben zu gewährleisten versuchen wollen und müssen. Darüber gibt es gar keine Differenz zwischen unseren Auffassungen.
Es besteht auch keine Differenz der Auffassungen darüber, daß wir die Rangfolge richtig zu sehen hätten. Aber ich glaube, Herr Kollege Seuffert, eines haben Sie etwas unüberlegt gesagt. Sie haben in einer etwas überspitzten Formulierung dem Lastenausgleich den Vorrang vor den Bedürfnissen der Privatwirtschaft und auch vor den Steuern gegeben. Das andere, den Steuern und der Privatwirtschaft den Vorrang zu geben, wäre freilich ebenso falsch. Aber ich glaube, diese Formulierungen sind überhaupt nicht richtig. Zeitlich gesehen gehört die Frage der Regelung des Lastenausgleichs zu unseren vordringlichsten Aufgaben. Es ist mir daher eine Freude, zu hören, daß der Bundesfinanzminister bis Ende nächsten Monats seinen Gesetzentwurf dem Kabinett zuleiten wird. Da wir uns in dieser Frage auf allen Bänken des Hohen Hauses einig sind, wird es unsere gemeinsame Aufgabe sein, das Kabinett zu veranlassen, diesen Entwurf des Ministeriums möglichst schnell zu beraten und zu verabschieden und dann dem Hohen Hause zuzuleiten. Dann können wir noch im Monat Mai in die erste Lesung dieses Gesetzes eintreten.
— Der braucht drei Wochen, und mit dem können
wir ja auch reden, denn dem wird es damit wohl
genau so eilig sein, Herr Kollege Mellies, wie uns.
Aber darf ich nun eines sagen, weil wir von den Interpellationen der SPD zu einer allgemeinen Debatte über den Lastenausgleich übergegangen sind: Ich mache mir eine ganz große Sorge, die Sorge nämlich, daß wir eine Hypothek der Soforthilfe in den endgültigen Lastenausgleich herübernehmen müssen, indem wir mehr als 300 Millionen DM in den Lastenausgleich gesteckt haben, die an sich in die Wohlfahrt und in die Fürsorge der Gemeinden und Länder gehören,
daß wir so einen Teil der Substanz — denn vom Vermögensertrag allein kann der Lastenausgleich nicht bestritten werden —
jetzt verzehren und daß draußen im Lande die Gemeinden zum Teil in der Lage sind, Aufwendungen zu machen, weil sie durch das Soforthilfegesetz tatsächlich eine spürbare Entlastung ihrer Ausgaben bekommen haben. Wer auf der kommunalpolitischen Ebene arbeitet, meine Damen und Herren, weiß das.
— Aber verzeihen Sie, Herr Kollege Renner!
— Ja, natürlich, daß Ihr Urteil und mein Urteil in entscheidenden Punkten verschieden sein werden, das dürfte bei der Stellung, die wir politisch einnehmen, Sie links und ich in der Mitte, verständlich sein.
Nun wurde von Herrn Kollegen Seuffert bedauert, daß wir auch im zukünftigen Lastenausgleich zunächst wohl zu 500/o mit dem Verbrauch aller einkommenden Gelder zu rechnen hätten. Es wird unsere gemeinsame Aufgabe im Ausschuß sein, zu untersuchen, wie wir dieses wirtschaftlich und sozial falsche Verhältnis beseitigen können. Es ist nicht gesund, wenn wir die Hälfte aller Vermögensabgaben in den Konsum statt in die Produktion hineinbringen. Denn das Ziel ist, unbeschadet der Frage des individuellen Lastenausgleichs, der produktive Lastenausgleich. Über den quotalen Lastenausgleich können wir noch einmal ernst miteinander reden. Nach meiner Auffassung ist es heutzutage so, daß diese Begriffe schon zu sehr schillern, weil sie so oft gebraucht und ebenso oft mißbraucht worden sind,
daß wir uns einmal in der Sachlichkeit der Ausschußarbeit darüber verständigen müssen und werden.
Ich darf allerdings eins mit aller Deutlichkeit sagen. Ich sehe drei Grenzen für den Lastenausgleich. Wenn wir diese drei Grenzen überschreiten, haben wir am Ende eine Belastung auch derer, denen wir helfen wollen. Die Formen der Abgabe mögen variieren. Man mag sich über die Frage der Möglichkeit von Naturalleistungen einmal ernsthaft unterhalten. Eine letzte Grenze ist da. Wir können von der Wirtschaft nicht Abgaben verlangen, die ihr die Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt nehmen. Wir können die Landwirtschaft nicht so belasten, daß sie in Wirklichkeit von der Substanz zehren muß.
Wir werden also nur da mit Naturalleistungen rechnen können, wo keine Zerstörung der Wirtschaftseinheiten im volkswirtschaftlich notwendigen Sinn möglich ist. Und wir dürfen unsere Währung nicht gefährden!
Herr Kollege Seuffert hat sehr richtig einen entscheidenden und grundsätzlichen Gedanken erwähnt. Er hat in der Frage der materiellen Regelung des Lastenausgleiches ein Wort des Gedenkens an die Jugend gesprochen. Es ist ja doch so, daß unendlich viele unter den Geschädigten und insonderheit den Vertriebenen dankbar und zufrieden sein werden und auch sind, wenn sie es erleben, daß ihre Kinder wieder einen neuen Anfang machen können. Darauf wird auch der Lastenausgleich bei allem Individuellen und bei aller Problematik des Quotalen Rücksicht zu nehmen haben.
Daß der Herr Bundesfinanzminister — das wurde
meines Erachtens zu Unrecht bemängelt — uns nicht im einzelnen sein Programm entwickelt hat, ist klar. Denn ich glaube, das gehört zu den Grenzen eines Fachministeriums. Bevor das Kabinett zu einem so entscheidenden Gesetzentwurf nicht sein Ja gesprochen hat. ist es unmöglich zu verlangen, daß ein Regierungsvertreter jetzt die Einzelheiten dieses Gesetzes vorträgt, deren Grundgedanken sowohl in den Veröffentlichungen der Gutachterkommission als auch in der Denkschrift des Bundesfinanzministeriums, die ja zum großen Teil auf der ersteren aufbaut, enthalten sind. Ich bin mit Herrn Kollegen Seuffert der Meinung — damit lassen Sie mich schließen, weil meine Zeit abgelaufen ist —, daß wir den Lastenausgleich nicht in der Form verrenten können, daß wir den Menschen einfach ein Stückchen Rente jährlich geben, sondern wir müssen ihnen in irgendeiner Form — wie die Form sein mag, sei in diesem Augenblick dahingestellt — den Anspruch geben, in die Reihe derer eingereiht zu werden, die ein bestimmtes Rechtsverhältnis, auch persönlich, wieder zum Staat gefunden haben. Wir müssen ihnen die Chance geben, auch an der zukünftigen wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung den Anteil zu nehmen, auf den sie einen rechtlichen Anspruch haben. Im übrigen glaube ich, das ganze Haus wird darin übereinstimmen, daß wir schnell arbeiten wollen und daß wir auch hier genau wie beim Wohnungsbaugesetz parteipolitische und parteipolemische Gesichtspunkte zurückzustellen haben, weil es nicht unsere Aufgabe sein kann, für parteitaktische Gesichtspunkte etwas herauszuholen, wenn es hier wirklich um das Schicksal von Millionen vernichteter Existenzen und zerstörter Familien geht.