Rede von
Dr.
Ludwig
Preiß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein nicht unerheblicher Teil der heutigen Debatte über die Lage in der Landwirtschaft hat auch den Schwierigkeiten bei der Aufbringung der Soforthilfebeiträge gegolten. Ich nehme das zum Anlaß, auf den Hinweis des Herrn Bundesfinanzministers auf die Zustände in Hessen einzugehen, weil ich glaube, daß es nicht angeht, diese Bemerkungen unwidersprochen zu lassen. Es war der allgemeine Hinweis, daß im Rahmen der Schwierigkeiten bei der Aufbringung insbesondere in Hessen radikale Strömungen aufgetreten wären.
Vielleicht ist es gut, einmal auf die landwirtschaftliche Struktur Hessens, die für ganz Westdeutschland mehr oder weniger typisch ist, näher einzugehen. Hessen hat 205 000 landwirtschaftliche Betriebe, davon allein 92 000 Betriebe unter 2 ha. Hessen hat vornehmlich Mittelgebirgslage mit leichten Böden, baut vornehmlich Roggen, Hafer und Kartoffeln, also Produkte, die im letzten Jahre erhebliche Absatzschwierigkeiten hatten. Hessen hat darüber hinaus — und das ist in Westdeutschland überall anerkannt und auch an jeder Ablieferungsstatistik der letzten Jahre nachprüfbar — die schärfste Erfassung und Eintreibung der Umlageverpflichtung gehabt. Die hessischen Betriebe sind daher gegenüber denen in anderen Gebietsteilen sehr viel später zum Aufbau der Viehbestände gekommen und waren erst mit absatzreifem Vieh marktfähig, als bereits erhebliche Preiseinbrüche im Zusammenhang mit der Liberalisierung entstanden waren. Ganz besonders bedarf es eines Hinweises auf die in Südhessen stark verbreiteten Obstbau- und gärtnerischen Betriebe, die ja den größten Rückwirkungen aus den umfangreichen Importen ausgesetzt waren.
Deshalb bin ich gerade dem Herrn Kollegen Seuffert sehr dankbar, der den richtigen Hinweis darauf machte, daß es nicht im Ansehen der Landwirtschaft läge, wenn ihr jetzt Sonderrechte in bezug auf Stundungen und dergleichen eingeräumt würden. Die Landwirtschaft bedauert die Notwendigkeit hierzu außerordentlich, Herr Kollege Seuffert, und es ist richtig, was Sie sagen: dieses Problem liegt tiefer. Die Landwirtschaft hat einen Anspruch darauf, zunächst einmal anderen Wirtschaftszweigen gleichgestellt zu werden, damit sie diesen Zustand der letzten Jahre, stark abgehängt zu sein, irgendwie ausgleichen kann.
Sie wäre dann von sich aus gerne bereit, entsprechend ihrem Leistungsvermögen denselben Beitrag
aufzubringen wie jeder andere Wirtschaftszweig.
Vergegenwärtigen Sie sich bitte: diese 100 000 kleinen Betriebe in Hessen von unter 2 Hektar haben weiß Gott keine Rendite, sondern nur ein sehr kärgliches Arbeitseinkommen. Wenn von diesem kärglichen Arbeitseinkommen die Aufbringung der Soforthilfe verlangt wird, erregt es in diesen Kreisen verständlicherweise nicht nur Unzufriedenheit, sondern auch eine gewisse Empörung, wenn sie beobachten müssen, daß alle zwar nicht Besitzenden, aber doch sehr viel besser als sie Gestellten an diesem schicksalsschweren Problem der Heimatvertriebenen und sonstigen Geschädigten keinen Anteil nehmen. Ich habe mir in jahrelanger mühevoller Arbeit einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb aufbauen können, kenne aber auch das Schicksal der Heimatvertriebenen wie auch das
der total Bombengeschädigten und mache mich deshalb zum Sprecher der zahlreichen Angehörigen dieser Kreise in meinem Beruf. Das sind aber nicht diejenigen, die kein Verständnis dafür hätten, daß es das schlimmste Los ist, das Menschen tref-
fen kann, von einer Stunde zur anderen von Haus und Hof vertrieben zu werden. Nein, in diesem Falle haben gerade sie das Herz auf dem richtigen Fleck. Sie haben aber Sorge, und zwar berechtigte Sorge, daß jetzt ihre eigene Existenz nicht nur in große Gefahr kommt, sondern daß sie auch der anderen großen ihnen auferlegten volkswirtschaftlichen Verpflichtung nicht nachkommen können, das Beste aus ihrem Betriebe herauszuholen.
So also liegen die Dinge in der Landwirtschaft. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, Herr Bundesfinanzminister, Ihr Hinweis, man werde sich jetzt darauf konzentrieren, die Rückstände oder die gestundeten Beträge einzutreiben, möge nicht bedeuten, daß jetzt generell diese Beträge von den wirklich in großen Finanzschwierigkeiten befindlichen landwirtschaftlichen Betrieben eingetrieben werden sollen, und zwar vielleicht sogar mit erheblicher Strenge.
Es sind genügend Anzeichen dafür sichtbar, daß nicht, was wir alle doch so dringend wünschen, die Intensivierung der Landwirtschaft vorangeht, sondern daß die Extensivierung bereits im Gange ist.
Wir müssen und wir sollten uns alle die Aufgabe stellen, hier abzubremsen und das gewünschte Ziel zu fördern.
Gestatten Sie mir eine abschließende Bemerkung, die ich hier machen muß, damit nicht etwa der falsche Eindruck entsteht, die Landwirtschaft wolle sich der Aufbringung des auf sie entfallenden Pflichtteils entziehen, den Heimatvertriebenen oder sonst Geschädigten zu helfen. Nein, sie ist gern bereit, bis zur Grenze des Möglichen zu helfen. Erst einmal verlangt sie, daß ihre Arbeit der aller anderen gleichgewertet wird.