Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe in diesem Augenblick die 12 Millionen — vielleicht sind es 14 Millionen — Menschen, die durch diesen wahnsinnigen Krieg in Westdeutschland ohne Wohnung dastehen, und darum drücke ich als Vorsitzender des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen vor dem Hohen Hause meine Freude darüber aus, daß . es in diesem ersten Bundesparlament in Bonn in dieser wichtigen Frage möglich war, Einmütigkeit zu erzielen, daß der Ausschuß es vermocht hat, über alle Sonderinteressen hinaus die Not zu sehen, unter der seit vier Jahren etwa 12 bis
14 Millionen Menschen unseres Volkes leiden. Wer von Amts wegen die Probleme in ihrer ganzen Auswirkung studiert hat, wer erlebt hat, wie Familien in der Enge der Räume zugrunde gingen, wer erlebt hat, wie in Köln, in München und in Hamburg die Menschen in Bunkern zugrunde gingen, wer erlebt hat, wie die Flüchtlinge in die kleinen Wohnungen hineingepfercht wurden, der wird mit mir der Auffassung sein, daß dieses Hohe Haus keine vornehmere Aufgabe hat, als alle Kräfte einzusetzen, damit diese Frage mit der notwendigen Beschleunigung erledigt wird.
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung diese Frage als das Problem Nr. 1 bezeichnet und damit den Willen der Regierung ausgedrückt, dieser Frage die gebührende Beachtung zu schenken und sie gemeinsam mit dem Hohen Haus baldmöglichst zu lösen.
Dieses Gesetz ist das erste Wohnungsbaugesetz in Deutschland überhaupt. Jeder, der in der Bauwirtschaft oder in der Verwaltung steht, wird ermessen können, daß die Aufgabe, vier Millionen Wohnungen zu bauen, keine Randfrage ist, daß sie doppelt schwer ist, wenn auf der andern Seite die Besatzungskosten zu tragen, acht Millionen Flüchtlinge und sechs Millionen Kriegshinterbliebene zu versorgen sind. Dennoch wollen wir, daß diese vier Millionen Wohnungen mit der notwendigen Beschleunigung gebaut werden.
Zu dem materiellen Inhalt des Gesetzentwurfs brauche in nicht mehr Stellung zu nehmen, nachdem es Freund Dr. Brönner in seinem Bericht bereits ausreichend getan hat. Aber ich möchte für unsere Fraktion — und ich glaube, daß ich dabei auch über den Rahmen meiner Fraktion hinaus für alle Fraktionen spreche - ein Besonderes sagen: daß wir in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen den Menschen, der in der Vergangenheit geschändet worden ist, stellen und ihm wieder zu seiner Würde zurückverhelfen müssen. Um diesen Menschen geht es in diesem Gesetz in erster Linie.
In den Artikeln 1 bis 6 des Grundgesetzes sind die Grundrechte festgelegt worden. Artikel 6 sagt, daß die Familien den besonderen Schutz des Staates genießen sollen. Meine Damen und Herren, wer draußen die Situation unserer Familien kennt, die keinen Raum haben, wird sicherlich mit uns der Auffassung sein, daß wir richtig handeln, wenn wir bei allen Beratungen über diesen Gesetzentwurf den Menschen und die Familie in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen stellen, denn der Aufbau des Staates ist nur möglich, wenn die Familien gesund sind und wachsen können. Daraus resultieren alle unsere Forderungen und Wünsche — und ich darf bekennen, daß hier alle Parteien mitgemacht haben —, daß wir nicht Kleinstwohnungen, nicht Primitivwohnungen bauen wollen, daß wir uns nicht auf einen Lebensstandard einer Zeit vor 50 oder 100 Jahren zurückschrauben lassen, sondern daß wir alle modernen Erkenntnisse der Bauwirtschaft im Wohnungsbau verwirklichen wollen. Vor allem sollen die Wohnungen eine Größe bekommen, daß sich darin ein normales Familienleben überhaupt entwickeln kann.
Wir haben im Gesetz eine Größenordnung von 32 bis 65 Quadratmeter festgelegt. Bei kinderreichen Familien ist darüber hinaus die Möglichkeit gegeben, bis auf 120 Quadratmeter zu gehen. So stellt also dieses Gesetz einen Fortschritt dar,
über den wir uns — und ganz besonders ich persönlich, weil ich seit Jahren um dieses Anliegen kämpfe — sehr freuen.
Die Voraussetzung ist jetzt geschaffen, und es liegt an uns, daß die Gleise des Wohnungsbaus weiterhin richtig gelegt werden. Es sollen keine Provisorien geschaffen werden. Die Wohnungen, die jetzt mit den wenigen zur Verfügung stehenden Geldern erstellt werden, müssen so sein, daß sich darin ein Familienleben entwickeln kann, und daß die Familien, die das Kind bejahen, in ihren Wohnungen Raum dafür erhalten.
So enthält dieses Gesetz den Grundgedanken, den Familien den erforderlichen Lebensraum zu schaffen. Unsere Wünsche in dieser Richtung sind in diesem Gesetz im wesentlichen verankert. Die Familie und die Persönlichkeit müssen wir als die Grundlage, als die Keimzelle des Staates ansehen; darauf baut sich der Staat auf. Aus dieser Betrachtung folgt auch zwangsläufig unsere Forderung, daß wir zu einem Eigentum der breiten Volksschichten auch im Wohnungsbau kommen. Damit entsprechen wir einem Verlangen das in unserem
Volk zutiefst verankert ist. Wir möchten, daß im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, wo Bauvorhaben mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, die Wohnungen und die Kleinsiedlungen und die Eigenheime in das Eigentum der breiten Volksschichten überführt werden, soweit es irgend möglich ist.
Wir möchten. daß unsere Bevölkerung auch durch dieses Wohnungsbaugesetz auf lange Sieht krisenfest gemacht wird, indem ihr die Möglichkeit gegeben wird. Eigentum zu erwerben. Bedenken Sie, daß es sich ja nicht nur um die Ausgebombten handelt. die wohnungslos dastehen. sondern daß ja auch die namenlosen unzähligen Flüchtlinge dazu zählen. die einmal Eigentum hatten, mag auch dieses Eigentum noch so klein gewesen sein. Wir wünschen, daß die breiten Schichten des Volkes zu Eigentum kommen. Deswegen ist in das Gesetz auch die Bestimmung aufgenommen. daß der Staat in all den Fällen, in denen die Wohnungssuchenden verschiedener Art sich ans Werk machen. Wohnungen durch verstärkten Einsatz der Selbsthilfe 711 bauen. aus öffentlichen Mitteln eine bevorzugte Förderung gewähren soll. Meine Damen und Herren. wir haben damit, glaube ich. einen Wunsch verwirklicht, der - unausgesprochen. aber auch tausendfältig ausgesprochen — draußen im Volk besteht. Daher wünschen wir die Selbsthilfe der Wohnungssuchenden in jeglicher Form. um das Tempo des Wohnungsbaues mit aller Kraft zu beschleunigen.
Wir müssen deshalb unterstützen, was Kollege Klabunde sagte, nämlich über unser gestecktes Ziel hinaus durch Anwendung moderner Bauformen und eine Forcierung der Bauvorhaben eine Konzentrierung der Baukapazität vorzunehmen, damit wir vielleicht in acht bis zehn Jahren die ärgste Wohnungsnot beseitigt haben. Dabei haben wir immer den Menschen zu sehen, der in menschenunwürdigen Wohnungen leben muß und in Gefahr ist, zugrunde zu gehen. Ich glaube, daß wir auf diesem Wege gerade mit der Selbsthilfe sehr viel erreichen können. Das vorliegende Gesetz anerkennt diese Selbsthilfe und stellt die besondere Förderung dieses Gedankens heraus.
Über diesen Raum hinaus möchte ich allen Wohnungssuchenden zurufen, daß es für den Bund allein unmöglich ist, das Wohnungsbauprogramm mit der notwendigen und wünschenswerten Beschleunigung durchzuführen. Daher sind alle aufgerufen, Länder, Gemeinden, Bauherren aller Art, ja, das ganze deutsche Volk, alle Kräfte und Möglichkeiten einzusetzen, die dazu beitragen, die Wohnungsnot zu beseitigen.
Ich darf hei dieser Gelegenheit im Auftrage der CDU/CSU-Fraktion etwas nachholen, was bei der Generaldebatte versäumt worden ist. Es ist mir zugleich ein persönliches Anliegen. Ich möchte den Dank an die Länder, an die Städte und Gemeinden, die die Last des Wohnungsbaues bis jetzt allein getragen haben, an die freien und gemeinnützigen Genossenschaften, die Kirchen, aber auch an die vielen Einzelbauherren aussprechen, die unter verzweifelten Umständen im Lande draußen oft mit großem Erfolg versucht haben, das Problem zu lösen. Diesen Dank auszusprechen, ist heute der rechte Anlaß, und ich glaube. daß ich für Sie alle spreche, wenn ich diesen Dank ausspreche und Sie bitte. nun weiter mit uns zu arbeiten, um nunmehr auf der Bundesebene gemeinsam das Problem zu lösen.
Ich darf dann noch den Realkreditinstituten unseren Dank aussprechen, die in den letzten Monaten und Wochen unseren Wünschen — und sie waren, wie unser Berichterstatter schon ausgedrückt hat, manchmal sehr weitgehend — Rechnung getragen haben, so Rechnung getragen haben, daß für dieses Jahr die erststelligen Hypotheken für den sozialen Wohnungsbau gesichert sind. Wer die wirkliche finanzielle Situation im Gebiet der Pundesrenublik kennt, wird sich über das gezeigte Verständnis freuen. — Ich darf die Gelegenheit benutzen, über dieses Haus hinaus das Ausland zu bitten, uns durch Gewährung von langfristigen Darlehen die Möglichkeit zu verschaffen, die Finanzierung des Wohnungsbaues in den nächsten Jahren in verstärktem Umfange zu ermöglichen.
Wir bitten auch das Ausland, daß es uns hilft, die Aufgabe zu lösen, die uns zusätzlich neben dem Aufbau der bombardierten Städte erwachsen ist durch den Zuzug von rund 8 Millionen Ostvertriebenen. Wir bitten das Ausland und hören nicht auf zu bitten, uns die Möglichkeiten zu geben, die primitivsten Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben überhaupt zu schaffen, Wohnungen bauen zu können, daß man uns mit Krediten und Darlehen auch vom Ausland her hilft, diese Aufgabe zu lösen.
Ich darf berichten von den vielen, vielen Verhandlungen, die ich als Vorsitzender dieses Ausschusses in den letzten Tagen mit den am Wohnungsbau interessierten Kreisen führen durfte, die nicht mit dem Gesetz in der jetzigen Fassung völlig einverstanden sind und die Verwirklichung ihrer Sonderwünsche anstrebten.
Meine Damen und Herren, es handelt sich bei diesem Gesetz um ein erstes Gesetz, und weder unsere Fraktion noch alle anderen Fraktionen, noch die Gewerkschaften, noch der Haus- und Grundbesitzerverein, noch die Banken, noch unser Bundesminister für Wiederaufbau sind wohl im letzten mit diesem Gesetzentwurf ganz zufrieden. Das ist einfach unmöglich. Ich möchte all diesen Gruppen sagen, daß wir das Menschenmögliche getan haben, um alle Sonderwünsche zu berücksichtigen. Aber, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir hierzu eine Bemerkung. Der Abgeordnete des Deutschen Bundestages, meine sehr verehrten
Damen und Herren, ist nicht in erster Linie Vertreter einer Interessengruppe, er ist in erster Linie Vertreter des deutschen Volkes und hat bei all seinen Entscheidungen das gesamte deutsche Volk zu sehen.
Wir bitten doch diese Gruppen, die nun wirklich glauben, zu kurz gekommen zu sein — tatsächlich stimmt es nicht —, doch erst einmal diese zweite Lesung abzuwarten und sich den Bericht von Herrn Kollegen Dr. Brönner zur Hand zu nehmen. Da werden ja alle diese Fragen geklärt, die in den letzten Tagen in einigen Zeitungen vorzeitig und sinnentstellend, wie es nicht mehr zu verantworten war, behandelt wurden. Die Mitglieder des Ausschusses haben bewiesen, daß sie sich dieser Grundforderung bewußt waren, sonst wäre es nicht möglich gewesen, in den zahlreichen kritischen Punkten zu einer Einstimmigkeit in diesem Gesetz zu kommen, wie es geschehen ist. Mit dem Kollegen Klabunde darf ich sagen: es gab bei den Beratungen über dieses Gesetz keine Sieger und Besiegte, wie das so manche Zeitungen glaubten berichten zu dürfen.
Ich darf meine Ausführungen schließen, weil es meine Absicht nicht ist, von der hier gewährten Redezeit in vollem Umfange Gebrauch zu machen. Ich darf schließen mit einem Aufruf — und darf mich in diesem Augenblick als Sprecher derer fühlen, die auf eine Wohnung seit Jahren warten. Meine Damen und Herren dieses Hohen Hauses! Das deutsche Volk hat unter dem Diktator Hitler in einer phantastisch kurzen Zeit Autobahnen gebaut, einen Westwall und Ostwall gebaut, Industrien aus dem Boden gestampft und bis 1938 90 Milliarden in eine wahnwitzige Rüstung hineingesteckt. Es hat dann einen noch unseligeren Krieg geführt. Das vermochte der Diktator Hitler.
Wir lehnen eine Diktatur ab. Aber, meine Damen und Herren, hinter uns steht eine Diktatur, die ernster zu nehmen ist als die eines einzigen wahnsinnigen Menschen, wie es damals bei Hitler der Fall war. Hinter uns steht die Diktatur der Not, der Not von zwölf Millionen, die ohne Heim und ohne menschenwürdige Wohnung sind. Ich bitte das Hohe Haus und auch unseren Bundesminister für Wohnungsbau und die Bundesregierung, sich bei den kommenden Maßnahmen immer dessen eingedenk zu sein, daß wir dieser Diktatur „Not" gern unser Herz und unser Ohr und unseren Verstand leihen wollen, und nehme an, daß dieses Hohe Haus alles daransetzen wird, diese Schlüssel zur sozialen Frage zu formen und zu schaffen.
Ich glaube, auf diesem Wege gibt es keine Meinungsverschiedenheiten; und ich glaube, die heutige Sitzung wird manches gutmachen, was in den letzten Monaten auch von diesem Hohen Hause versäumt worden ist. Ich glaube, es wäre auch für das zwanzigste Jahrhundert mit diesem Gesetz etwas gutzumachen, was in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts versäumt worden ist. Es wäre vielleicht möglich, daß die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sich ihrer sozialen Verantwortung bewußt würde und daß spätere Geschichtsschreiber einmal sagen würden, daß die letzte Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts das Jahrhundert des sozialen Wohnungsbaus genannt wird.
Wenn uns das gelingt, meine Damen und Herren, haben wir die Notwendigkeiten der Stunde erkannt und die Erkenntnisse aus der Vergangenheit richtig verwirklicht.