Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf hat im Grunde verfahrensrechtliche Bedeutung. An sich braucht er deshalb kein Anlaß zu sein, das sehr wichtige, hochpolitische Thema der Neugliederung der Länder im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu erörtern. Dieses Thema sollte bei anderer Gelegenheit, und zwar in aller Breite und Ausführlichkeit, diskutiert werden. Dennoch geben sein Inhalt und die vorherigen Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers bei der Einbringung des Gesetzentwurfs Grund zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen.
Zunächst das Gesetz als solches. Der § 1 Abs. 2 dieses Gesetzes sieht vor, daß jene Gebiete, deren Landeszugehörigkeit nach 1945 geändert worden ist, Abstimmungsgebiet für einen Volksentscheid sein sollen und daß in ihnen ein Volksbegehren auf Änderung der inzwischen erworbenen Landeszugehörigkeit veranstaltet werden kann, eine dem Geist und Sinn des Art. 29 des Grundgesetzes durchaus entsprechende Lösung. Sie entspricht aber nicht ohne weiteres dem Sinn des Grundgesetzes, wenn man an die ehemals preußischen Landesteile denkt. Alle nichtpreußischen Landesteile haben nach diesem § 1 Abs. 2 die Möglichkeit, zu wählen, ob sie bei dem Land, dem sie jetzt angehören, verbleiben, oder aber ob sie zu dem noch bestehenden Land, dem sie früher einmal angehört haben, zurückkehren wollen. Preußen wird nicht wieder existieren. Hier gibt es keine Wahl zwischen dem neuen Land und dem
alten Preußen. Infolgedessen hat es keinen Sinn, die preußischen Landesteile, die unter Umständen aus verschiedenen Provinzen oder aus Teilen verschiedener Provinzen bestehen, zusammenzufassen, damit diese zusammengefaßten verschiedenen ehemals preußischen Verwaltungsbezirken angehörigen Landesteile einheitlich über ihr Schicksal bestimmen. Die preußischen Provinzen haben zum Teil eine völlig verschiedene Geschichte. Sowohl ihre landsmannschaftliche Zusammensetzung als auch ihre soziale und ökonomische Struktur weichen voneinander ab. Nassau, das erst im Jahre 1866 zu Preußen gekommen ist, hat sowohl nach seiner landsmannschaftlichen als auch nach seiner ökonomischen und sozialen Struktur und seiner Geschichte gar nichts mit der Rheinprovinz oder jenen Teilen der Rheinprovinz zu tun, die zufällig zum Lande Rheinland-Pfalz gehören. Wenn man schon bei der Neugliederung, dem Geist des Grundgesetzes folgend, die landsmannschaftliche Zugehörigkeit, die soziale und ökonomische Struktur maßgebend sein lassen will, darin muß man diese Tatsache auch hierbei berücksichtigen. Darum erscheint es mir berechtigt, wenn man der Anregung, die, so glaube ich, wohl im Bundesrat schon gemacht worden ist, folgt — Herr Dr. Kopf hat sie erwähnt —, diejenigen Teile zu einem Abstimmungsbereich zu erklären, die einer bestimmten preußischen Provinz angehört haben, auch wenn diese jetzt nicht zu ein und demselben Land gehört.
Wir sind ferner der Auffassung, daß die Anregung des Bundesrats,- den § 26 dieses Gesetzes zu streichen, zu begrüßen ist. Der § 26 dieses Gesetzes sah vor, daß es nicht auf den Südweststaat Anwendung finden soll. Wir sind für diese Streichung, weil wir nämlich Anhänger des Südweststaates sind.
Rein rechtlich ist die Sache so, daß der Art. 118 als Übergangsbestimmung keine lex specialis darstellt, die die Anwendung des Art. 29 des Grundgesetzes ausschließt — wie Herr Euler meint —, der Art. 118 ist eine reine Kann-Vorschrift. Es heißt: es kann abweichend von Art. 29 des Grundgesetzes im Wege freier Vereinbarung die Frage des Südweststaats, gegebenenfalls durch ein spezielles Bundesgesetz, geregelt werden. Man sollte die verschiedensten Möglichkeiten, um zu einem Zusammenschluß im Südwesten zu kommen, nicht verbauen, sich die verschiedenen Wege offen halten. Aus diesem Grunde sind auch wir für die Streichung.
Wir teilen nicht ganz die Meinung, daß die Frist des Art. 29 Abs. 2 — Jahresfrist — am 23. Mai noch nicht abläuft. Man kann durchaus der Auffassung sein, daß durch den Vorbehalt der Militärgouverneure zwar die Dreijahresfrist des Art. 29 des Grundgesetzes suspendiert ist, aber niemand kann uns daran hindern, unsere Bevölkerung zu befragen, wie sie sich selbst die Neugliederung denkt. Im übrigen bin ich der Auffassung, die Hohe Kommission ist überhaupt nicht legitimiert, das Grundgesetz auszulegen. Das ist unsere Angelegenheit.
Mit Nachdruck sollte das Bundesinnenministerium, ganz gleich, welche rechtliche Auffassung man in diesem besonderen Falle hat, diese Ansicht vertreten.
Es trifft leider zu, daß die scheinbare Zusage, die die Hohen Kommissare — oder besser die Militärgouverneure — damals bei Genehmigung des
Grundgesetzes wegen des Südweststaats gemacht I haben, offenbar heute nicht mehr gehalten wird, daß also auch bei der Bildung dieses Südweststaats Schwierigkeiten bereitet werden. Es ist immerhin ganz neckisch, zu erfahren, worauf man sich dabei stützt. In der Erklärung, dem Schreiben der Militärgouverneure, das der Herr Bundesinnenminister vorgelesen hat, wird von Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern gesprochen. Das Wörtchen „Baden"
— gemeint wäre damit das Land Wohllebien — hat man vergessen. Das ist ein ganz offensichtlicher Schreibfehler. Das wird nunmehr als Vorwand benutzt, um diesem Zusammenschluß von draußen Schwierigkeiten zu bereiten.
Wenn diese Schwierigkeiten überhaupt aufgetreten sind, dann sind wir Deutsche daran nicht ganz unschuldig. Herr Kollege Euler hat mit Recht darauf hingewiesen, daß 1945 kein Deutscher auf die Idee gekommen wäre, eine derartige Kette von nicht lebensfähigen Kleinstaaten links und rechts des Rheins zu gründen. Es haben sich aber leider Deutsche gefunden, die diese Kleinstaaten nachdem sie nun einmal da waren, mit aller Zähigkeit verteidigt haben. Diese an sich künstlichen Länder ohne Tradition, diese künstlichen Gebilde, die, um ein Wort unseres hochverehrten Herrn Bundespräsidenten zu wiederholen, das er während der Zeit des Parlamentarischen Rates einmal gebraucht hat, gar nicht originär — oder besser: mehr originell denn originär — sind, beweisen nunmehr eine geradezu erstaunliche Zähigkeit. Sie zeigen ein Beharrungsvermögen, für das wir kein Verständnis haben.
— Sicher nicht die Gebiete und auch nicht die Bevölkerung dieser Gebiete, aber die Regierungen und die Ministerpräsidenten.
Das Londoner Dokument Nr. 2 gab bekanntlich die Möglichkeit, deutscherseits Vorschläge zu machen, wie man sich die Neugliederung im Geltungsbereich des Grundgesetzes dachte. Man hat — „leider" muß ich sagen — nicht den Mut gehabt, diese Möglichkeit auszunutzen, und das gab den Besatzungsmächten den Vorwand, diese ganze Frage bis zum Abschluß eines Friedensvertrages hinauszuschieben.
Es ist das erste entscheidende Versagen des deutschen Neo-Föderalismus, und ich möchte nur hoffen, daß der Bund es unternimmt, die ihm danach
gestellte hochpolitische Aufgabe der Neugliederung
— von der Neugliederung hängt ja nicht nur die
Leistungs- und Lebensfähigkeit dieser Gebilde ab,
sondern auch die Verteilung der politischen Gewichte im Bundesrat — trotz dieses Vorbehalts der
Militärgouverneure einer Lösung entgegenzuführen. Diese Frage ist nicht nur eine innenpolitische,
sondern sie ist mit Rücksicht auf diesen Vorbehalt
und angesichts dieser letzten, allerdings nur telefonischen Erklärung der Hohen Kommission eine
durchaus außenpolitische, eine hochpolitische Frage.