Meine Damen und Herren! In diesem Hause ist bei mancherlei Gelegenheiten, vor allem von Angehörigen der Regierungsmehrheit der Geist Montesquieu's beschworen warden, der Geist jenes Mannes, der vor dem Mißbrauch der richterlichen Macht gewarnt hat. Es hat in den letzten eineinhalb Jahrhunderten vielleicht niemanden gegeben, der von dem Mißtrauen gegen den Richter so durchdrungen war wie Montesquieu, der stets die
ungeheure Macht des Richters und die Gefahr ihres Mißbrauchs vor Augen hatte.
— Dann kennen Sie Montesquieu nicht.
Er sprach stets davon, daß die richterliche Gewalt wegen der Gefahr ihres Mißbrauchs eine Gewalt en quelque facon nulle sein müsse. Aus dieser Erwägung hat er den Berufsrichter schlechthin abgelehnt, deshalb kam er zu der Ansicht, daß der Richter ständig wechseln müsse, daß niemand ständig auf dem Richterstuhl sitzen dürfe, weil er sonst gar zu leicht in die Gefahr geraten könne, die ihm anvertraute ungeheure Gewalt zu mißbrauchen.
Das Grundgesetz ist einen anderen Weg gegangen. Es hat zum ersten Mal in der deutschen Verfassungsgeschichte aus der richterlichen Gewalt so etwas wie eine eigene, selbständige dritte Gewalt gemacht. Es spricht davon, daß die richterliche Gewalt den Richtern anvertraut sei, die sie unmittelbar im Namen des Volkes ausüben. Gewiß; eine solche Gewalt können nur unabhängige Richter ausüben, aber nicht Richter, die nur äußerlich, sondern nur Richter, die vor allem innerlich unabhängig sind.
Ich frage Sie: Besitzen alle Richter, die heute tätig sind und die wir als Nachlaß der Vergangenheit übernommen haben — wer daran schuld ist, mag im Augenblick dahingestellt bleiben —, jene innere Unabhängigkeit? Trägt nicht — wir haben schon einmal darüber gesprochen — gerade der deutsche Richterstand, der im Grunde ohne sein Verschulden gar keine Stand von Richtern, sondern ein Stand von kleinen richtenden Beamten war,
ein gerüttelt Maß Schuld an dem, was man Justizkrise nennt, von der ich durchaus zugebe, daß sie Bestandteil einer viel größeren Krise, einer Rechtskrise schlechthin ist, die auch noch völlig andere Ursachen hat?
Ich habe gelegentlich einer Aussprache, die neulich in diesem Hohen Hause stattfand, mich auf einen der Ihren berufen, nämlich auf .Herrn Dr. von Brentano. Ich zitiere wiederum einen der Ihren. Ich zitiere den Fuldaer Oberbürgermeister Dr. Raabe, den Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, der dort bei der Erörterung der Stellung der Justiz im heutigen Staate folgendes ausgeführt hat:
Wir stehen in diesem Punkt vor einer entscheidenden Frage, die uns die Pflicht auferlegt, dafür zu sorgen, daß die werdende Demokratie nicht von vornherein durch die Rechtsprechung illusorisch gemacht wird. Wer die Entwicklung von 1918 bis 1933 mitgemacht hat, weiß, daß der damalige Richterstand in ganz außerordentlich starkem Maße — um ein politisches Schlagwort zu gebrauchen — reaktionär gewesen ist, daß er sich nicht auf den Boden der Weimarer Republik gestellt hat. Es ist auch nicht die Tatsache zu bestreiten, daß im Jahre 1933 unser Richterstand mit vollen Segeln in das nationalsozialistische Fahrwasser- eingeschwenkt ist.
Ich referiere nur und gebe das nicht etwa als meine eigene Auffassung wieder.
Der berühmte katholische Publizist Theodor Häcker schrieb am 15. Februar 1946 in seinen „Tag- und Nachtbüchern" den erschütternden Satz.
Was einem am kältesten ans Herz greift, .ist der geistige Zustand unid das Gebaren der deutschen Richter.
Sie werden mir sicherlich mit gutem Recht sagen. unter den Tausenden von deutschen Richtern befinden sich Hunderte und vielleicht auch Tausende ausgezeichneter Männer, die nicht nur hervorragende Juristen, sondern auch Männer sind, die wirklich um das Recht ringen. Aber das ist ja nicht das Entscheidende. Die Entscheidung eines einzigen Richters, die den Geist des Rechtes verletzt, fügt dem Recht mehr Schaden zu und erschüttert das Vertrauen des Volkes in die Justiz mehr, als hundert gute Richter wieder gutzumachen verstehen.
Die Zahl derjenigen aber, die den Geist des Rechts verletzt haben, die also zu den Wölfen gehören, ist leider nicht so gering, daß man von Einzelfällen sprechen kann. Ich habe erlebt, daß im Jahre 194 ein deutsches Gericht Angehörige einer KZ-Bewachungsmannschaft wegen Mißhandlung von Juden
— eine 17jährige Jüdin war stundenlang an einen Pfahl gebunden und ausgepeitscht worden —
abzuurteilen hatte. Deshalb wurden zwei Angehörige der Bewachungsmannschaft bestraft, jawohl, bestraft: der eine mit 3 oder 4 Monaten Gefängnis und der andere mit einer Geldstrafe von
— ich weiß es nicht mehr ,genau — 150 oder 300 DM.
Vor demselben Gericht, in einer allerdings anderen Besetzung, stand ein Regierungsinspektor, einst ' Feldwebel der ehemaligen Wehrmacht. der in einem russischen Kriegsgefangenenlager der Lagerleitung angehört hat. Dieser Mann hat als Werkzeug der russischen Lagerverwaltung deutsche Kriegsgefangene mißhandelt. Er ist verurteilt worden, mit Recht.
- Meines Wissens ist keiner umgekommen. Er ist mit Recht zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt worden. Ich, glaube, es waren 12 Jahre Zuchthaus. Beachten Sie bitte das Mißverhältnis zwischen dieser Strafe und jener, die in dem anderen Fall verhängt wurde. Es ist bezeichnend für den Geist, der in manchem unserer Richter steckt.
Ich selber habe im Mai 1933 vor dem Sonder- gericht in Kassel folgendes erlebt: Die Richter, um die es sich handelte, kennen Sie, Herr Kollege Euler. Einer ist jetzt genau wie sein späterer Beisitzer im Sondergericht wegen Mordes in Anklage versetzt worden. Man stelle sich vor, gegen Richter muß eine Mordanklage erhoben werden. Ein in der deutschen Rechtsgeschichte unerhörter Vorgang! Im Mai 1933 standen zwei Männer vor Gericht; sie wurden des Vergehens oder Verbrechens gegen das Heimtückegesetz beschuldigt. Sie sollten irgendwelche unwahre Behauptungen über die Greuel der SA verbreitet haben. Der eine hatte einen Verteidiger, der zweite nicht. An demselben Vormittag fand die Verhandlung vor ein und demselben Gericht in gleicher Besetzung statt. Der Anwalt bot den Wahrheitsbeweis an. Sein Mandant, der inhaltlich dasselbe wie der andere über die I berüchtigten Vorgänge in den Bürgersälen in Kassel verbreitet hatte, wurde freigesprochen. Der andere, dem kein Verteidiger zur Seite stand, der auch nicht den Mut hatte oder nicht in der Lage war, den Wahrheitsbeweis anzutreten, wurde verurteil:
In dem berühmten Prozeß — es war ein Zivilprozeß, eine Unterlassungsklage oder einstweilige Verfügung —, den Braun und Severing wegen der Millionen, die sie angeblich veruntreut hatten, angestrengt hatten, hat ein deutsches Gericht, die zweite Zivilkammer des Kasseler Landgerichts, im Juni 1933 gemäß dem Antrag der Antragsteller Braun und Severing erkannt. Dieselbe zweite Zivilkammer hat den gleichen Antrag gegen einen anderen Antragsgegner, allerdings Monate später mit einer etwas anderen Besetzung, mit der Begündung abgewiesen, auf Grund der eidesstattlichen Versicherung des damaligen Vizekanzlers von Papen stehe zwar fest, daß es unwahr sei, daß hier irgendwelche Gelder veruntreut oder bestimmungswidrig verwendet worden seien; die Lüge sei aber im politischen Kampf ein erlaubtes Mittel, besonders wenn sie der Vorbereitung oder Sicherung der Machtergreifung diene; deshalb müsse der Antrag der Antragsteller abgewiesen werden.
Ich will nicht auf all das eingehen, was sich im Dritten Reich abgespielt hat. Ich bedaure im Grunde, daß wir immer wieder zu diesen Debatten kommen. Sie entstehen dadurch, daß man hier im Hause auf einer gewissen Seite so tut, als sei all das nicht gewesen.
aber kennzeichnend für den Geist und vielleicht auch die Tradition,
die auch heute noch manche Kreise unseres Richterstandes auszeichnet. Nur wenn man dieses Wort umkehrt, bekommt es einen guten Sinn. Ich möchte deshalb sagen, Herr Bundesjustizminister: „Es gibt nicht nur eine Justiz, sondern es gibt auch ein Recht." Das sollte die Richtschnur all unseres Denkens und Handelns bei der Betrachtung der Verhältnisse -in der deutschen Justiz sein.