Rede von
Dr.
Otto Heinrich
Greve
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat zu dem Etat des Bundesministeriums der Justiz keine Abänderungsanträge gestellt. Das bedeutet nicht, daß die sozialdemokratische Fraktion etwa mit der Politik des Herrn Bundesjustizministers besonders einverstanden wäre.
Nicht aus diesem Grunde hat meine Fraktion darauf verzichtet, Abänderungsanträge zu stellen, sondern das geschah aus dem Grunde, weil wir der Auffassung sind, daß das Bundesministerium der Justiz sachlich gerechtfertigt ist, daß der uns vorgelegte Haushaltsplan sachlich in Ordnung ist und daß auch die in diesem Haushaltsplan enthaltenen Kostenansätze sachlich gerechtfertigt sind. Ich kann es mir deshalb ersparen, im einzelnen auf das einzugehen, was in der Drucksache Nr. 677 enthalten ist.
Nur auf eines möchte ich hinweisen, was auch in den Ausführungen des Herrn Berichterstatters bei der Erörterung von Kap. 3 Tit. 31 zum Ausdruck gekommen ist. In diesem Titel ist für den Aufbau der Bundesgerichte die Summe von 50 000 DM zur Verfügung gestellt worden. Nach meiner Ansicht ist nicht damit zu rechnen, daß die Vorbereitungen in der Organisation der oberen Bundesgerichte so weit abgeschlossen sind, daß die Inangriffnahme der Arbeit durch die oberen Bundesgerichte bereits bis zum 1. April dieses Jahres erfolgen kann. Ich habe für meine Fraktion nur zu erklären: wir haben den Wunsch, daß man sich nicht nur im Bundesministerium der Justiz, sondern in der Regierung endlich darüber klar wird, wie und vor allem wo diese Bundesgerichte eingerichtet werden sollen. Es geht auf die Dauer nicht an, daß man vielleicht lediglich deswegen die Sache ungeklärt läßt, weil man nicht weiß, welche Stadt man mit dem Geschenk eines dieser oberen Bundesgerichte bedenken soll. Wir sind auch der Auffassung, daß die Bundesregierung endlich einmal dem Bundestag einen Plan vorlegen sollte, wohin sie nicht nur die oberen Gerichte, sondern überhaupt die oberen Instanzen der deutschen Bundesrepublik zu legen gedenkt.
Das ist das einzige, was ich zu dem Inhalt des uns vorgelegten Haushaltsplans zu sagen habe. Sie brauchen aber noch nicht zur Abstimmung zu klingeln, Herr Präsident; denn ich habe noch weitere Ausführungen zu machen. Diese befassen sich nicht mit dem, was im Haushaltsplan steht, sondern mit der Politik des Herrn Bundesjustizministers bzw. der Bundesregierung.
Zu dem Abänderungsantrag des Herrn Kollegen Dr. Leuchtgens möchte ich nichts weiter erwähnen. Ich glaube, daß dazu bereits bei der Behandlung des Haushaltsplans des Bundesministeriums des Innern das gesagt worden ist, was auch hier bei dem vorliegenden Haushaltsplan zu sagen wäre.
Meine Damen und Herren, die Ausführungen, die ich zu dem Haushaltsplan ganz allgemein zu machen habe, sind die folgenden. Ich möchte für das Bundesministerium der Justiz das gleiche sagen, was mein Kollege Erler heute bereits für das Bundesministerium des Innern gesagt hat, als er den Ausspruch des früheren Reichsjustizministers Erich Koch-Weser zitierte, daß es sich bei dem Ministerium des Innern um eine Dame ohne Unterleib handle. Das gleiche trifft für das Bundesministerium der Justiz zu. Sie wissen, daß die im Jahre 1934 vollendete, aber in ihren Anfängen und auch in ihrer Vorbereitung weit in die Zeit der Weimarer Republik zurückreichende Justizeinheit, die wir damals in der Verwaltung bekommen haben, mit der Zerschlagung des Deutschen Reiches verloren gegangen ist, daß nach 1948 die Justizhoheit der Länder auf dem Gebiete der Verwaltung wiederhergestellt worden ist und darüber hinaus die Länder mangels einer höheren Einheit weithin auch auf dem Gebiete der Legislative tätig geworden sind, und zwar in einer Art und Weise, daß dabei die Rechtseinheit in Deutschland weithin verloren gegangen ist.
Es ist bedauerlich, daß nach 1945 die Zersplitterung des deutschen Rechts ein derartiges Maß angenommen hat, daß manche Schwierigkeiten heute noch nicht überwunden werden können. Es ist dankenswert, daß der Parlamentarische Rat durch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland wenigstens auf dem Gebiete der Legislative die Einheit des Rechts in Deutschland wiederherzustellen unternommen hat. Da gerade auf dem Gebiet der Administration die Hoheit bei den Ländern liegt, hat das Bundesjustizministerium nach meiner Auffassung eine um so wichtigere Aufgabe in der Behandlung der legislatorischen Angelegenheiten, um die Einheit des Rechts in der Bundesrepublik zu sichern.
Meine verehrten Anwesenden, allein die Anwendung des Rechts und der Gesetze macht bei der heutigen Konstruktion unseres Rechtswesens schon deswegen besondere Schwierigkeiten, weil bei den Gerichten ein verschiedenartiger Aufbau vorhanden ist, selbst dann, wenn die Gesetzeseinheit vorhanden ist. Ich erinnere hier nur an die Schwurgerichte. Wir haben in Bayern andere Schwurgerichte, als wir sie in Nordrhein-Westfalen oder überhaupt in der britischen Zone und in anderen Ländern haben. Gerade weil das so ist, ist die Aufgabe, die das Bundesjustizministerium von der Seite der Legislative her zu erfüllen hat, im Hinblick auf die Sicherung der Rechtseinheit besonders bedeutsam.
Das gleiche gilt selbstverständlich für die Richterausbildung und für die Richterauswahl. Meine Damen und Herren, wenn es dem Bundesjustizministerium nicht gelingt — und wir haben auf diesem Gebiet bisher nichts vernommen, was darauf schließen ließe, daß es ihm gelingt —, in Deutschland die Ausbildung des juristischen Nachwuchses, gleichviel in welchen Sparten die Juristen später einmal tätig sind, und die Auswahl der Richter in allen Ländern der Bundesrepublik nach einheitlichen Gesichtspunkten regeln zu lassen, dann ist allein schon durch die Differenziertheit auf diesem Gebiete die Rechtseinheit in Deutschland, auch wenn sie in der Legislative besteht, gefährdet und wahrscheinlich auf die Dauer 'nicht gegeben.
Diese Sicherung der Rechtseinheit, die wir als eine der wichtigsten Aufgaben des Bundesjustizministeriums betrachten, vermissen wir bisher.
Wir vermissen aber besonders, Herr Bundesjustizminister, daß Sie uns bisher noch nicht bekanntgegeben haben, welches eigentlich die Linie Ihrer Rechtspolitik ist. Wir bedauern das um so mehr, weil Sie ja auf dem Gebiet der hohen Politik durch die Ausflüge, die Sie in dieses Gebiet gemacht haben, besondere Fähigkeiten entwickelt haben. Wir sind der Auffassung, daß Sie besser in der Lage wären, uns auf dem Gebiet der Rechtspolitik konkrete und wichtige Vorschläge zu machen, damit
wir uns zumindest mit ihnen beschäftigen können, damit wir wissen, ob wir Ihrer Rechtspolitik zu folgen in der Lage sind oder ob das bei uns nicht der Fall sein würde. Wir bedauern das um so mehr, weil wir der Auffassung sind, daß die Ausstrahlungen der Rechtspolitik auf alle Gebiete unseres staatlichen Lebens so bedeutsam sind, daß eben mit der Bekanntgabe dieser Ihrer rechtspolitischen Grundsätze nun nicht mehr länger gewartet werden sollte.
Wir haben auch in diesem Hause sehr viel davon gehört — und zwar bei allen möglichen Gelegenheiten —, daß man den Boden des Rechtsstaates nicht verlassen dürfe. Ich glaube, daß ich wohl die richtige Empfindung habe, wenn ich betone, daß sehr oft durch die vielen Ausführungen auf diesem Gebiete durchgeklungen ist, insbesondere wir Sozialdemokraten seien geneigt, den Boden des Rechtsstaatlichen zu verlassen. Ich sagte es in - diesen Tagen gelegentlich einer anderen Erörterung schon: auch wir sind ein gebranntes Kind, das das Feuer scheut. Wir sind nicht gewillt, irgendwie den Boden des Rechtsstaates zu verlassen, weil wir der Auffassung sind, daß dann das nicht aufzuhalten wäre, was wir in Deutschland schon einmal erlebt haben.
Aber, meine sehr verehrten Anwesenden, ist denn überhaupt von uns aus der Rechtsstaat in Gefahr? Wer will denn überhaupt diesem Rechtsstaat zu Leibe? — Ich darf für meine Freunde und mich erklären, daß wir in keiner Weise den Rechtsstaat als solchen irgendwie anzugreifen gewillt sind, daß wir auch nicht gewillt sind, es zuzulassen, den Rechtsstaat als solchen anzugreifen.
Aber der Rechtsstaat ist für uns nichts Abstraktes. Der Rechtsstaat bedeutet für uns nicht nur den Schutz für die Unabhängigkeit und die lebenslängliche Versorgung von manchmal falsch ausgewählten Richtern. Der Rechtsstaat ist nach unserer Auffassung nur dann vorhanden, wenn das Volk als Ganzes Vertrauen zu dem Recht seines Staates hat und auch Vertrauen zur richtigen, und zwar subjektiv ungetrübten Anwendung desselben durch die Richter dieses Staates. Daß wir hier, Herr Bundesjustizminister, besondere Bedenken haben im Hinblick auf die Zuverlässigkeit der Richter, die ja zu einem großen Teil nicht Ihnen unterstehen, sondern den Länderjustizverwaltungen, das zu wiederholen ist im Hinblick auf die Bedeutsamkeit dieser Angelegenheit auch bei der Beratung des Justizetats die Pflicht meiner Fraktion.
In dem Sinne, wie ich es Ihnen eben skizzierte, haben wir nach unserer Auffassung heute keinen Rechtsstaat, weil das Volk kein uneingeschränktes Vertrauen zu seinen Richtern hat und auch nicht haben kann; denn, meine Damen und Herren, der Staat ist kein Rechtsstaat, in dem die Handhabung des Rechtes schlechthin und des in den Gesetzen seinen Niederschlag findenden Rechtes durch Richter erfolgt, deren gesellschaftliche Zugehörigkeit auch heute noch verdammt einseitig ist, und zwar weithin, und die zu einem beträchtlichen Teil nach ihrer politischen Substanz nicht die geeigneten Garanten für die Anwendung des Rechtes in einem demokratischen Staate und die deswegen auch zu einem Teil nicht brauchbar sind, weil sie eben aus der Vergangenheit her auch noch — und das muß ich ganz offen sagen — politisch belastet sind, und zwar oft in einer Art und Weise, daß wir fürchten, den Rechtsstaat so lange nicht zu bekommen, als das Volk zu diesen Richtern kein Vertrauen haben kann.
In der gesamten Justiz, nicht nur bei den Richtern, auch bei den übrigen Justizbeamten, bei Anwälten, bei Notaren sind sicher noch weithin Relikte aus der Zeit der standesgemäßen Eingruppierung der Richter vorhanden. Das weiß jeder, der wie ich selbst Jurist ist, am allerbesten; und wer von den Juristen, die hier sonst noch im Hause vorhanden sind, das nicht zugeben, sondern bezweifeln wollte, der kommt mit seinem Gewissen, mit seinem Innern, wenn er es ehrlich meint, bestimmt in Konflikt.
Es ist tatsächlich so, daß unsere Richter weithin die sozialen Spannungen, die nun einmal in den letzten Jahrzehnten aufgetreten und auch heute noch vorhanden sind, weder zu erkennen noch zu meistern vermögen, und zwar insbesondere dann nicht, wenn sie Recht und Gesetz anwenden müssen, das noch aus einer — sagen wir mal — überwundenen Zeit her stammt, und ihnen gar keine Möglichkeit gegeben ist, dieses Recht und diese Gesetze nicht anzuwenden. Die Richter haben eben oft dieses Spezifikum nicht, das sie benötigen, wenn die sozialen Spannungen auch zum Kriterium dessen gemacht werden müssen oder sollen, was Inhalt ihrer Urteilsfindung und ihrer Urteile selbst sein sollte.
Und nun frage ich Sie, Herr Bundesjustizminister: was ist auf diesem Gebiet, das ja bestimmt ein rechtspolitisches zu nennen ist, bisher von Ihnen getan, um hier gewisse Änderungen vorzubereiten oder gar schon zu treffen, damit das erreicht werden kann, was sicher auch Ihr Wunsch ist, nämlich daß dieses Vertrauensverhältnis zwischen dem Volk und seinen Richtern hergestellt wird, ohne das es nach unserer Auffassung keinen Rechtsstaat geben kann. Wir haben bis heute noch keine Gesetzesvorlage aus dem Bundesjustizministerium erhalten, in der wir etwa einen besonders fortschrittlichen oder überhaupt nur einen fortschrittlichen rechtspolitischen Geist verspürt hätten, selbst wenn wir uns die für einen Juristen und auch für alle anderen immerhin nüchternen Vorlagen der Novellen zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Zivilprozeßordnung, der Strafprozeßordnung betrachten. Ja, meine Damen und Herren, da ist nichts Neues drin, obwohl selbst in diesen Novellen manches Neue hätte enthalten sein können. Hier ist lediglich alt auf neu gemacht worden, und uns erscheint, daß eine fortschrittliche Rechtspolitik, deren Sinn und deren Wesen unserer Zeit entspricht, auch gar nicht möglich ist, wenn man eben nichts anderes tut, nichts anderes tun kann oder tun will, als veraltete, erkaltete Methoden wieder aufzuwärmen.
Herr Bundesjustizminister, wir richten an Sie in diesem Zusammenhang den 'dringenden Appell, mit neuen Gedanken rechtspolitischer Art an Ihre Arbeit zu gehen, an Ihre Arbeit im Großen und auch an Ihre Arbeit im Kleinen. Ich sage Ihnen ganz offen im Auftrage meiner Freunde und auch in meinem eigenen Namen, daß Sie Schiffbruch erleiden werden - und mit Ihnen leider das deutsche Recht in seiner Gesamtheit, die deutsche Justiz und der Gedanke des richtig verstandenen Rechtsstaates —, wenn Sie nicht bald an eine völlige Reorganisation im Sinne einer materiellen und personellen Erneuerung unseres Justizwesens herangehen.
Ich darf Sie nur in diesem Zusammenhang an das Problem der richtigen Richterauswahl erinnern, einer Richterauswahl, die uns vielleicht einen ganz anderen Richterstand bringt, als wir ihn bisher