Rede von
Dr.
Georg-August
Zinn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Fürchten Sie nicht, meine Damen und Herren, daß ich Ihnen auch einen derart langen Waschzettel vorlege.
Ich habe nur eine kurze Bemerkung zu machen. Der Herr Bundeskanzler hat, als er noch Präsident des Parlamentarischen Rates war, kurz vor oder nach Verabschiedung des Grundgesetzes einmal in einem persönlichen Gespräch die Bemerkung gemacht, er habe das Grundgesetz als Ganzes noch nicht gelesen. Ich weiß nicht, ob dieses Wort wahr oder falsch ist. Aber man kann manchmal versucht sein anzunehmen, daß man zum mindesten im Bundesinnenministerium das Grundgesetz noch nicht oder jedenfalls recht spät gelesen hat.
Die Verordnung zur Durchführung des Art. 132, von der bereits mein Freund Maier sprach und die nur bis zum 6. März dieses Jahres durchgeführt werden konnte, hat man erst wenige Tage vorher erlassen. Es waren also zur Durchführung dieser Verordnung, über deren Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit ich im Augenblick nichts sagen will, nur wenige Tage Zeit. Ich weiß nicht, ob es Absicht war, sich selbst in Zeitnot zu bringen. Der Eindruck
könnte immerhin entstehen. Aber der Kollege Maier hat vorhin erklärt, daß wir demnächst bei der Stellungnahme zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Verordnung die Frage an den Herrn Bundesinnenminister richten würden, welches Ergebnis die Durchführung dieser Verordnung hatte. Bei der mir eigenen Neugier möchte ich diese Frage heute bereits stellen; und ich glaube, daß der Herr Bundesinnenminister in der Lage ist, uns zu sagen, jedenfalls noch im Laufe des Tages mitzuteilen, wieviel Beamte der Hunderttausende von Beamten und Angestellten bis zum 6. März mangels persönlicher oder fachlicher Eignung entlassen worden sind.
Vor etwa einem Jahre hat der leider verstorbene, der CDU angehörende frühere Reichsfinanzminister, zuletzt Finanzminister des Landes WürttembergBaden, Herr Dr. Köhler, eine sehr scharfe Kritik an der Überbesetzung der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, aber auch an der vielfach fehlenden fachlichen Eignung dort tätiger Beamter und Angestellter geübt. Dieser Umstand ist es gewesen, der dazu Veranlassung gegeben hat, den Art. 132 in das Grundgesetz aufzunehmen. Der Parlamentarische Rat hat sich damals an die Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, auch an den Präsidenten des Wirtschaftsrats gewendet, um zu verhüten, daß man im letzten Augenblick noch Beamte in das lebenslängliche Beamtenverhältnis überführt, wie das geschehen ist. Man hat in Frankfurt, insbesondere im Wirtschaftsrat
selbst durch den Präsidenten des Wirtschaftsrates, den jetzigen Bundestagspräsidenten, vierzehn Tage bis drei Wochen, ehe sich der Bundestag hier versammelte, noch schnell eine ganze Reihe von Angestellten, bei denen man bei näherer Nachprüfung nicht ohne weiteres von der fachlichen Qualität und Eignung überzeugt sein kann, in das lebenslängliche Beamtenverhältnis überführt.
Um so mehr befremdet es, daß das Bundesinnenministerium, das ja als das Verfassungsministerium hier gepriesen wurde und von dem man infolgedessen eine besondere Kenntnis des Grundgesetzes erwarten sollte, diese Verordnung erst im letzten Augenblick vorgelegt hat. Wir sind gespannt zu hören, was dabei herausgekommen ist.