Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Freunde und ich würden dem Antrag der Bayernpartei, die nun aus Polen und der Tschechei ausgewiesenen Deutschen unmittelbar auf die mit Flüchtlingen unterbelegten Länder aufzuteilen, mit der einen Einschränkung grundsätzlich zustimmen, daß damit eine Familienzusammenführung nicht ausdrücklich unterbunden wird. Wenn ein Ausgewiesener Verwandte in Bayern, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen hat, dann muß er in diese Länder eingewiesen werden. Das hat auch der Herr Bundesminister Lukaschek ganz deutlich erklärt.
Ohne jede Einschränkung stimmen wir dem Antrag der SPD zu, der sich gegen die Aufnahmesperre gegenüber Ausgewiesenen aus den Ostgebieten durch die Besatzungsmächte wendet.
Ich möchte zu beiden Anträgen etwas Ergänzen-, des sagen. Wenn wir dem Antrag der Bayernpartei grundsätzlich zustimmen, dann wolden wir damit die unhaltbaren Zustände bekämpfen, die sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen in bestimmten Ländern ergeben haben. Die Aufnahme dieser Flüchtlinge wird in manchen Ländern bewußt erschwert, sabotiert und unmöglich gemacht. Wir wissen, daß Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen nicht mehr in der Lage sind, neue
Flüchtlingsmassen aufzunehmen — das ist uns vollständig klar —, abgesehen von der Familienzusammenführung, die wir vom menschlichen Standpunkt aus für richtig halten. Man hat sich im Jahre 1946 der Täuschung hingegeben, daß die Zuwanderung nach Westdeutschland im wesentlichen abgeschlossen sei. Seitdem die Spannung zwischen Osten und Westen zunimmt, hat ein neuer Strom von Flüchtlingen eingesetzt. In den zuständigen Kreisen — auch Herr Kollege Seelos hat das unterstrichen — ist man der Auffassung, daß Polen und die Tschechei die neue Ausweisungsaktion auf Befehl Moskaus durchführen, weil es auffällt, daß beide Staaten parallel und gleichzeitig mit der Ausweisungsaktion einsetzen, um das Flüchtlingsheer in Westdeutschland zu vermehren und noch mehr Arbeitslose zu schaffen, den Staat zu belasten und seine Wirtschaft zu zerstören.
Es ist deshalb unverständlich, daß die Besatzungsmächte gegen die Aufnahme dieser armen Menschen Stellung nehmen und sie verhindern wollen. Für uns als deutsche Volksvertreter ist es untragbar, daß man im Auftrage der Besatzungsmächte die Grenzen sperrt und die Transporte der Elenden und Bedrängten in der Sowjetzone stehen läßt. Hier muß die Bundesregierung den Mut haben — ich muß das nun etwas deutlicher sagen, als der Herr Bundesminister für das Flüchtlingswesen es getan hat —, auch der Hohen Kommission gegenüber ein offenes und ein entschiedenes Wort zu sprechen und zu erklären, was auch einer der Referenten gesagt hat: Wir anerkennen die Haltung des niedersächsischen Flüchtlingsministers Albertz, der den Mut gehabt hat, gegen den Willen der britischen Besatzungsmacht 600 Flüchtlinge über die Grenzen herüberzubringen, und der auch gesagt hat, es werde keinen deutschen Innenminister und keinen deutschen Polizisten geben, der seine Brüder an der Grenze zurückweisen würde.
Das ist eine männliche Sprache.
Hier ist ein Problem der Menschlichkeit aufgerissen worden, und für uns Deutsche handelt es sich zudem noch um eine Probe auf unser in den letzten Jahren stark erschüttertes Zusammengehörigkeitsgefühl, von dem die Heimatvertriebenen ein trauriges Lied zu singen haben. Es erscheint uns unmöglich, daß eine Viertelmillion heimatlose Menschen vor den Toren der ersehnten Heimat ein Schicksal hoffnungsloser Verzweiflung, dem sie seit Kriegsende ohnehin aufgeliefert waren, ertragen müssen. Es ist heute schon gesagt worden: Die Wurzel dieser furchtbaren Tragik, dieser furchtbaren Barbarei liegt in den Abkommen von Potsdam und Yalta und die Verantwortung dafür tragen jene Männer und jene Mächte, die diese Abkommen geschlossen und ihnen zugestimmt haben.
Diese Übereinkommen haben nicht zur Festigung des Friedens beigetragen, sondern bergen die Gefahr eines neuen Krieges. Man wird von der Verantwortung für das Geschehene nicht frei, wenn man wie unlängst McCloy erklärt, das Flüchtlingsproblem sei eine rein deutsche Angelegenheit. Man kauft sich von der Verantwortung auch dann nicht los, wenn man entgegen allen geschichtlichen Tatsachen seine Hände in Unschuld wäscht.
Es ist und bleibt ein Verbrechen, wenn man mitgeholfen hat, daß 12 Millionen Menschen von ihrer angestammten Scholle vertrieben werden,
vertrieben, in einen überfüllten und zerbombten Wirtschaftsraum hineingepreßt und nun ihrem Schicksal überlassen werden. Die Proteste der Alliierten, daß die Oder-Neiße-Linie nicht definitiv sei, sind ohne Sinn und ohne jede Bedeutung, wenn dieselben Alliierten zustimmen, daß Polen ein durch tausend Jahre deutsches Gebiet besetzt hält und ausbeutet und die Deutschen in diesem Gebiet ausrottet.
Man kann vor der Weltgeschichte der Frage der Verantwortung für die riesengroße Not, in die 12 Millionen unschuldige Menschen gestürzt wurden, nicht aus dem Wege gehen. Eines muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden: die Unterzeichner der Abkommen von Yalta und Potsdam sind rechtlich und moralisch verpflichtet, sich der Opfer ihrer Politik, der Heimatvertriebenen, anzunehmen.
Wir erwarten endlich die formelle Anerkennung dieser Verpflichtung von den Westmächten. Wir erwarten ferner, daß dieses Hohe Haus und auch die Bundesregierung genau so wie in der Saarfrage Auch in dieser ernsten Frage in diesen Stunden eines Sinnes und eines Willens ist.