Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Meine Damen und Herren! Wenn wir heute den Antrag gestellt haben, die Zahl der Ministerien zu verringern und insbesondere das Marshallplan-Ministerium, das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen und das Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrats zu streichen, so soll darin nicht unbedingt ein persönliches Mißtrauensvotum gegen die einzelnen
Minister liegen. Es sind ganz andere Erwägungen, die uns, ganz unabhängig von den Persönlichkeiten der Minister, zu diesem Antrage geführt haben. Die Zahl der Minister einer Regierung ist an sich nichts Willkürliches. Eine Regierung muß die Funktionen, die ihr innerhalb der politischen Gewalten zugedacht sind, ausüben können. Sie muß daher der Zahl nach ausreichend besetzt sein, um auch alle Funktionen a ausüben zu können. Wird sie aber auf der anderen Seite als Körperschaft zu stark besetzt, so ergeben sich doch ganz schwerwiegende politische Nachteile. Ich will nicht einmal den weit verbreiteten Gedankengang hier aufgreifen, wonach die große Zahl der Ministerien ausschließlich auf parteitaktische Erwägungen zurückzuführen sei. Wenn wir aber heute in den Ländern 110 und im Bunde 14 Minister haben, so sagt die absolute Zahl an sich noch nichts über ihre politische Notwendigkeit. Wäre die Zahl der Minister wirklich notwendig, so würde jede Kritik in unserem deutschen Volke gegenüber den positiven Leistungen der einzelnen Ministerien bald verstummen. Tatsächlich sind aber diese 14 Minister beim Bunde ebensowenig notwendig wie die 110 Minister bei den Ländern.
Die allgemeine kritische Stellungnahme der Öffentlichkeit richtet sich also im wesentlichen gegen die Zahl der Ministerien. Infolge unserer Neigung zum Grundsätzlichen resultiert hieraus bei vielen unserer deutschen Mitbürger eine Kritik an der Regierungsform überhaupt. Man sagt nämlich: eine Regierungsform mit so vielen und so überflüssigen Ministern kann nicht richtig sein. Wir vom Zentrum verteidigen das parlamentarische System mit innerer Überzeugung. Wir müssen aber Auswüchse deutlich kennzeichnen und verlangen deshalb ihre Ausmerzung überall da, wo wir sie antreffen, mögen solche Auswüchse nun auf Wünsche von rechts oder von links zurückgehen. Bei diesen drei Ministerien, deren Streichung wir beantragt haben, handelt es sich um überflüssige Ministerien, wie ich Ihnen gleich noch näher darzulegen haben werde.
Das zweite Argument, das gegen eine so große Zahl von Ministerien spricht, geht dahin: die Schwierigkeit, innerhalb der Regierung selber zu klaren Entscheidungen zu kommen, wird umso stärker, je größer eine solche Körperschaft ist. Auch die einheitliche Willensbildung innerhalb der Regierung wird durch überflüssige Minister unnötig erschwert. Diese inneren Reibungen müssen sich vor allem dann ergeben, wenn der eine oder andere der Minister kein aus der Sache geborenes Arbeitsfeld hat, oder wenn sich infolge einer Aufgliederung der Aufgaben der Ministerien nach verschiedenen Gesichtspunkten Überschneidungen ergeben. So mag der regionale Gesichtspunkt eine Aufgliederung der Aufgaben der Ministerien, der in früheren Jahrhunderten herrschend war, an sich eine klare Aufteilung der Aufgaben herbeiführen können. Das gleiche gilt, wenn man nur von dem fachlichen Aufteilungsprinzip ausgeht. Eine Vermischung beider Aufteilungsprinzipien aber muß Reibungen hervorrufen, die sich für die Aktivität der Regierung selbst nachteilig auswirken.
Das ist bei den drei hier in Betracht kommenden Ministerien der Fall. Das Ministerium für den Marshallplan umfaßt sachlich gesehen Aufgaben, die im Wirtschaftsministerium, im Finanzministerium und im Außenministerium, zur Zeit also noch im Bundeskanzleramt, ebensogut bearbeitet werden könnten, wenn es sich wirklich um eine fachliche Aufteilung handelte. Da man nicht weiß, wie man dieses Aufgabengebiet des Marshallplan-Ministeriums logisch aufteilen soll, hat man also einen ganz zufälligen Maßstab gewählt. Dieser völlig zufällige Maßstab hat aber dazu geführt, daß sich sehr bald erhebliche Reibungspunkte ergeben haben. Ich erinnere Sie an die verschiedenen Memoranden, die vom Marshallplan-Ministerium im Dezember vorigen und im Januar dieses Jahres herausgegeben worden sind, Memoranden, die, .wenn später auch als Entwurf und nicht-offizielle Stellungnahme der Regierung bezeichnet, doch vom MarshallplanMinisterium bearbeitet worden sind und mangels einer klaren Aufteilung der Sachgebiete zu einer innerlich widerspruchsvollen Stellungnahme zu den wesentlichsten Problemen der gesamten deutschen Wirtschaftspolitik geführt haben. Das Marshallplan-Ministerium müßte also entweder eine Art Überministerium, eine Art Überwirtschaftsministerium sein, dem alle anderen genannten Ministerien zu unterstellen wären, wenn eine einheitliche Koordinierung herbeigeführt werden sollte, oder aber es müßte zu einer Abteilung im Rahmen des Wirtschaftsministeriums organisiert werden. Dann würden wir diese Schwierigkeiten, die sich in der Vergangenheit durch die nicht zu Ende gedachte Aufteilung nach einem einheitlichen Aufgliederungsgesichtspunkt ergeben haben, vermeiden.
Dasselbe gilt bei dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen. Das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen soll doch wohl, wenn ich es richtig verstehe. nach regionalen Gesichtspunkten aufgeteilt worden sein. Aber bei meiner Überlegung, welche regionalen Gesichtspunkte maßgebend sein sollen, bin ich zu einer richtigen Lösung auch nicht gekommen. Gehört beispielsweise das Saargebiet zum Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen, oder gehört Berlin zum Zuständigkeitsbereich dieses Ministeriums, wenn man im letzteren Falle
weiß, daß die Dienststelle Dr. Vockel unmittelbar dem Bundeskanzleramt unterstellt worden ist? Wenn diese beiden Gebiete nicht zum Arbeitsbereich des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen gehören sollten und entsprechend dem Vorwort zum Einzelplan XVI in erster Linie untersucht werden sollen der „Stand und die Entwicklung der Rechts- und Verwaltungsverhältnisse in der Ostzone und in dem Gebiet jenseits der Oder-Neiße-Linie", dann ist wieder eine fachliche Überschneidung festzustellen, und zwar eine fachliche Überschneidung mit dem Flüchtlingsministerium, das ebenfalls die Aufgaben hat, die hier in diesem Vorwort dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen zugeschrieben worden sind. In dem Vorwort heißt es weiter:
Außerdem kommt dem neuen Ministerium die Beschaffung einwandfreier Unterlagen über die Verluste am deutschen Volkskörper und Volksvermögen zu, die durch die Abtrennung der Gebiete jenseits der OderNeiße-Linie, durch die Vertreibung der deutschen Bevölkerung und durch die Abschnürung der deutschen Länder der Ostzone entstanden sind.
Man sieht also: eine eindeutige fachliche Aufgabenteilung kann mangels eines einheitlichen Gliederungsgesichtspunktes nicht herbeigeführt werden. — Mit diesen Ausführungen glauben wir gezeigt zu haben, daß diese Ministerien überflüssig sind.
Ebenso überflüssig ist insbesondere aber das Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrats. Es ist doch so, daß die Koordinierung der Aufgaben zwischen Bundesrat und Bundestag nicht — jedenfalls ist mir bisher kein einziger Fall bekanntgeworden — durch den dafür zuständigen Minister vorgenommen worden ist, sondern wenn Bundestag und Bundesrat sich einigen mußten, haben sie sich in einer gemeinschaftlichen Unterkommission zusammengesetzt, und die gegenseitigen Gesichtspunkte sind in einer manchmal sehr offenen Art,. jedenfalls aber in einer sehr ruhigen Atmosphäre geklärt worden. Wir sind auch — das muß man sagen — mit den Vertretern des Bundesrats in diesen Unterausschüssen meistens zu einem völligen Übereinkommen gelangt. Mir ist kein Fall bekannt, daß in diesen Sitzungen etwa der Minister, der für diese Koordinierungsaufgaben zuständig ist, überhaupt erschienen wäre, geschweige denn, daß er sich eingeschaltet hätte. Wenn der zuständige Minister allerdings in dieser Weise tätig würde, würde das auch nur zu einer Erhöhung der Spannungen führen; denn es ist ganz klar, daß die Zusammenarbeit dieser beiden Gremien, der Mitglieder des Bundesrates und der Mitglieder des Bundestages, durch die Zwischenschaltung einer dritten Persönlichkeit, die über all die Fachgebiete, die in den einzelnen Ausschüssen beraten werden, gar nicht unterrichtet sein kann, nur erschwert werden könnte. Dieses Ministerium ist also nicht nur überflüssig, es ist gefährlich für eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesrat, und die tatsächliche Entwicklung ist über seine Existenz bereits längst hinweggeschritten.
Nun sage man mir nicht, die Beträge, die für diese Ministerien ausgeworfen seien, seien nicht sonderlich hoch, es handele sich ja nur um rund 8 Millionen DM. Dazu muß ich doch auf folgendes hinweisen: Was geben wir denn für den gah-
zen Bundestag aus? Für den ganzen Bundestag geben wir eine Summe von über 9 Millionen DM aus. Diese Summe ist also dazu gedacht, die Kontrolle der Regierung und die Kontrolle der Verwaltung und außerdem die gesamten gesetzgeberischen Arbeiten zu ermöglichen. Wenn man sich einmal die relativ geringen Kosten vor Augen führt, die das deutsche Volk für diese außerordentlich wichtigen Aufgaben aufzuwenden hat, und wenn man auf der anderen Seite sieht, mit welcher Leichtigkeit man über außerordentlich hohe Beträge, wie sie für diese drei Ministerien verlangt werden, zur Tagesordnung übergehen will, dann muß man doch sagen, daß zwischen den Aufwendungen für den Bundestag einerseits und für diese Ministerien andererseits wirklich kein richtiges Verhältnis besteht.
Es kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Sollte es tatsächlich der Fall sein, daß diese Ministerien nur gebildet worden sind, um eine Regierungskoalition zusammenzubringen — ich habe eben schon gesagt, daß ich diesen Gesichtspunkt nicht als meinen eigenen vortragen will —, so wäre es doch auf keinen Fall notwendig, daß nunmehr diese Ministerien auch noch einen Verwaltungsunterbau erhalten. Selbst wenn sie also im Kabinett mit Sitz und Stimme benötigt würden, um die Vorlagen ihrer Parteifreunde im Kabinett vorzutragen und um bei Abstimmungen ein etwa gleiches Verhältnis in der Regierung herzustellen, wie es unter den Koalitionspartnern herrscht, so ist es doch auf keinen Fall erforderlich, daß man diesen Ministerien nun auch noch Verwaltungsaufgaben zumutet und ihnen einen Verwaltungsunterbau schafft, der ja die eigentlichen Kosten erst verursacht. Es müßte also auf alle Fälle verhindert werden, daß wir hier einen kostspieligen Verwaltungsaufbau nur deshalb haben, weil nun einmal in Deutschland — im Unterschied zu der ausländischen Praxis — jeder Minister seine eigene Verwaltung haben zu müssen glaubt.
Meine Damen und Herren! Sie werden vielleicht sagen: Wenn wir zusammen mit dem Zentrum gegen diese Ministerien stimmen, dann werden wir unserer Regierung in den Rücken fallen. Dieser Gedankengang ist meiner Ansicht nach keineswegs beweiskräftig. Es ist doch so, daß das Grundgesetz durch die Schaffung des konstruktiven Mißtrauensvotums jedem Abgeordneten die Möglichkeit gegeben hat, nach seinem Gewissen frei zu entscheiden, ohne befürchten zu müssen, daß dadurch sofort eine Regierungskrise ausgelöst werden würde. Auch wenn Sie den einen oder anderen Punkt dieser Regierungsvorlage nicht akzeptieren, so wird die Regierung dadurch keineswegs schwächer oder sie wird keineswegs gezwungen, etwa zurückzutreten; sie kann unverändert weiterregieren. Sie sind also in der Lage, selbständig zu entscheiden. Gerade dieser Gedanke, aus dem Grundgesetz abgeleitet, beweist, daß die einzelnen Abgeordneten nicht Gefolgsleute ihre Minister sind, sondern die Regierung ein unabhängiges Gremium ist, und daß wir als Abgeordnete dieser Regierung gegenüber unsere Kritik zu üben haben, wenn wir der Ansicht sind, daß die Vorschläge der Regierung nicht richtig sind.
Meine Damen und Herren! Wir müssen uns vor allem diesen letzten Gesichtspunkt in allem Ernst überlegen, weil das öffentliche Wohl doch das
höchste Gesetz für uns alle sein soll. Wenn wir zu der Überzeugung kommen, daß aus Gründen des öffentlichen Wohls und aus Gründen der Staatsräson diese Ministerien verschwinden müssen, dann müssen wir auch gegen ihre Beibehaltung stimmen ohne Rücksicht auf unsere Parteizugehörigkeit, weil eine Gefährdung der Stabilität der Regierung dadurch nicht herbeigeführt werden kann.