Meine Damen und Herren! Die Angelegenheit des Abgeordneten Robert Lehmann, um die es in unserem Antrage geht, ist allen Mitgliedern des Hauses seit Monaten bekannt.
Man muß sich fragen, aus welchem Grunde wohl im letzten Moment, unmittelbar vor der Stellungnahme des Hauses zu unserem Antrag, ein Zusatzantrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei eingebracht wird, der mit dem Falle Lehmann absolut nicht das Geringste zu tun hat.
Jeder Mensch weiß, daß er in diesem Kampf auf dem Boden des Rechts stand und steht und daß er darum auch Anspruch darauf erheben kann, von den gewählten Vertretern der Bevölkerung in Westdeutschland verteidigt zu werden.
Es ist außerdem jedem Mitglied des Hauses klar, daß der Abgeordnete Lehmann unter Mißachtung der ihm zustehenden Immunitätsrechte nicht irgendwo, sondern aus dem Gebäude des Niedersächsischen Landtags heraus verhaftet worden ist.
Es ist allen Stellen, die sich mit dieser Angelegenheit seither befaßt haben, ohne Zweifel klar, daß es sich hier um ein willkürliches, brutales Vorgehen der britischen Militärbehörden handelt,
wogegen jeder mit aller Entschiedenheit Stellung zu nehmen hat, der die Ehre, das Recht und die Pflichten eines deutschen gewählten Abgeordneten gewahrt wissen möchte.
Meine Damen und Herren! Alle Stellen, die sich bisher mit dieser Angelegenheit befaßt haben — ob es nun der Niedersächsische Landtag ist oder ob es die Journalistenverbände sind, oder, wie nun gerade gestern, die Konferenz der Landtagspräsidenten Westdeutschlands —, alle diese Organe haben einstimmig den Standpunkt vertreten, daß es erforderlich ist, gegenüber den britischen Militärbehörden und gegenüber allen jenen, die etwa dieses Vorgehen nachzuahmen gedenken, klar zu betonen, daß dies ein ungerechtfertigtes, ein widerrechtliches Vorgehen ist, gegen das mit allen Mitteln protestiert werden muß. Ich wollte mit diesen Ausführungen noch einmal sagen, daß der Fall Lehmann für jeden hier im Haus über jeden Zweifel erhaben ist.
Nicht dasselbe kann man über den Fall Rüdiger sagen.
Über den Fall Rüdiger hat uns der Abgeordnete Neumann gestern zum ersten Male einige Mitteilungen gemacht. Wir können von gestern bis heute nicht prüfen, ob die Angaben des Herrn Abgeordneten Neumann in allem zutreffend sind. Wir kennen einiges aus der Argumentationsweise des Herrn Neumann, beispielsweise seine Prozeduren mit den
zwei 50-Mark-Scheinen, die er uns bei seinem letzten Auftreten hier zum besten gegeben hat, zu gut, um von vornherein jedem seiner Worte blind Glauben schenken
und jedes seiner Worte als die Wiedergabe des objektiven Tatbestandes anerkennen zu können.
Die Verhaftung des Stadtverordneten von West-Berlin Rüdiger erfolgte nach der Mitteilung des Berichterstatters von heute im Ostsektor von Berlin, also in einem Gebiet, für das diejenige parlamentarische Körperschaft, der Herr Rüdiger angehört, nicht einmal mehr kompetent ist. Aber das möchte ich nicht einmal als entscheidend betrachten. Die Verhaftung erfolgte am 25. Februar 1949, also vor insgesamt 13 Monaten. Ich frage Sie, Herr Kollege Neumann: Hielten Sie den Fall Rüdiger bisher für unwichtig, so daß Sie in diesem Hause bisher darüber schwiegen
und gerade jetzt erst, als der Fall Lehmann auf die Tagesordnung gesetzt wird, hier auf die Bühne treten und sagen, man müßte sich um Rüdiger bekümmern?
Sprechen Sie zweierlei Sprachen? Tragen Sie zweierlei Seelen in Ihrer Brust?
Oder welche anderen Motive hat Ihr agitatorisches Auftreten von dieser Stelle aus?
Meine Fraktion und ich haben den Eindruck,
als ob Ihr Auftreten, Herr Kollege Neumann, hier den Sinn hat, eine einheitliche Manifestation für den Abgeordneten Lehmann, weil er Kommunist ist
und weil es gegen die britischen Behörden geht, abzuschwächen.
Ich habe den Eindruck, daß Ihr Vorgehen von der Überlegung motiviert ist, die englischen Militärbehörden in Schutz zu nehmen und die Bedeutung der Vorgänge in Salzgitter zu verwischen,
und zwar vor diesem Hause und vor der ganzen deutschen und vor der Weltöffentlichkeit.
Meine Damen und Herren! Für die Angelegenheit Lehmann ist dieses Haus zuständig, weil es sich bei Lehmann um einen Menschen handelt, der, im Bundesgebiet wohnhaft, im Bundesgebiet ein Abgeordnetenmandat ausübt. Im Falle Rüdiger sind die Tatbestände zumindest umstritten.
Ich habe Ihnen, Herr Kollege Neumann, vor vier Monaten auf einen Zwischenruf, den Sie mir damals machten, geantwortet: Ich bin jederzeit bereit, mit Ihnen gemeinsam zu prüfen, welche wirklichen Sozialisten sich in den damals noch bestehenden Internierungslagern befinden. Sie sind auf diesen Vorschlag nicht eingegangen, obwohl seitdem vier Monate vergangen sind.
Trotzdem erkläre ich Ihnen heute: Wir sind durchaus bereit, Material, das Sie zum Fall Rüdiger vorlegen werden — Sie haben es bis jetzt noch nicht getan, und Ihre Hintertreppengeschichten können für uns nicht als Tatsachenmaterial gelten - —