Rede von
Arthur
Mertins
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Auch dieser Antrag meiner Fraktion hat eine soziale,
darüber hinaus aber auch noch eine volkswirtschaftliche Bedeutung. Es handelt sich darum, aus dem § 34 a Absatz 1 in der neuen Fassung die Worte „mindestens jedoch über 48 Stunden in der Woche hinaus" 711 streichen. Unser Antrag bezweckt also die Wiederherstellung des Wortlauts des Zweiten Gesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20. April 1949. Die jetzige Verschlechterung ist in dieses Gesetz hineingekommen durch .die Einschaltung des Satzes ..mindestens jedoch über 48 Stunden in der Woche hinaus", und zwar auf Veranlassung des Bundesrats und mit der Sanktion durch die Mehrheit dieses Hauses. Als Begründung ist angegeben worden, daß das Fehlen einer so'chen Einfügung zu arbeitsmarktpolitischen Bedenken führen würde. Diese Begründung ist keineswegs stichhaltig.
Auch uns sind vereinzelte Mißbräuche, die mit diesem Paragraphen getrieben worden sind, bekannt geworden. Auch wir wissen, daß einzelne Kreise. auch aus der Arbeitnehmerschaft, den Satz geprägt haben: „Lieber Mehrarbeit als neue Arbeitsplätze". Aber es wäre ein Trugschluß, von diesen vereinzelten Tatsachen auf eine mangelhafte Solidarität der Arbeiterschaft allgemein zu schließen. Wenn Mißbräuche auf diesem Gebiet vorgekommen sind, dann ist das die Schuld Ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik, die den Reallohn immer weiter absinken ließ, was manchen ehrlichen und aufrechten Arbeiter in dieser Beziehung auch zu einem Gegner sogar seines Arbeitskameraden gemacht hat.
Ich persönlich und meine Fraktion hegen eine ausgesprochen tiefe Bewunderung für das beispielhafte volkswirtschaftliche Verständnis und die Anständigkeit der deutschen Arbeiterschaft, die sie in diesen Jahren nach der Kapitulation bewiesen haben. Ich erinnere Sie an die Worte, die vor wenigen Wochen von dieser Stelle aus mein Kollege Jahn gesprochen hat. Er verkündete damals den Beschluß der Eisenbahner, zur 45-Stunden-Woche überzugehen, um dadurch die Möglichkeit zu schaffen, Entlassungen zu vermeiden und unter Umständen 20 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Diese Eisenbahner haben aus Solidarität auf 6 Prozent ihres Einkommens verzichtet, und es ist nicht ausgeschlossen, daß bei der augenblicklichen Lage auf dem Arbeitsmarkt, bei den über 2 Millionen Erwerbslosen, eine Ausweitung dieses Vorgehens vorgenommen wird. Wir würden die Menschen, die ein solch hohes Maß von volkswirtschaftlichem Verständnis und Solidarität aufbringen, bestrafen, wenn wir die Vergünstigung erst bei einer Mehrarbeit über 48 Stunden eintreten lassen würden. Sie müßten dann die 46., 47. und 48. Stunde erst ohne steuerliche Vergünstigung leisten, ehe sie in die Steuervergünstigung hineinkämen. Die Gewerkschaften, von denen wir diesen Antrag übernommen haben, sind mit uns der Überzeugung, daß das eine Ungerechtigkeit wäre, die keineswegs etwa die Arbeitslosigkeit beseitigen könnte. Dazu ist nur das Programm der Vollbeschäftigung imstande, das wir Ihnen ja vorgelegt haben.
-- Wenn Sie es nicht begriffen haben, kann ich Ihnen nicht helfen.
Außerdem ist die Gefahr des Mißbrauchs dieses Artikels sehr gering, weil ja die Arbeitgeber -- von denen Sie verlangen, daß sie laut einem Ehrenkodex viel ehrlicher werden, als sie vorher gewesen sind — und die Arbeitnehmer sich erstens gemeinsam dieses Mißbrauchs schuldig machen müßten, und zweitens, weil der Begriff „gesetzlich und tariflich festgelegte Arbeitszeit" vollkommen ausreichend ist, um den Tatbestand zu klären. Ich empfehle Ihnen daher im Namen meiner Fraktion aus Gründen der Gerechtigkeit und im Endeffekt auch aus volkswirtschaftlichen Gründen die Annahme dieses Antrags.