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    Deutscher Bundestag - 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1507 45. Sitzung Bonn, Freitag. den 3. März 1950. Geschäftliche Mitteilungen 1507C Einspruch des Abg. Seuffert gegen seinen Ausschluß in der 41. Sitzung (Drucksache Nr. 644) 1507D Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Drucksachen Nr. 623, 566 und 317); Anträge (Drucksachen Nr. 640, 641) 1508A Dr. Koch (SPD) 1508A, 1531A, 1536C, 1545C Rische (KPD) 1516A, 1542B Loritz (WAV) 1520B, 1549A Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . . 1521D Dr. Besold (BP) 1524A Seuffert (SPD) 1524D, 1534D, 1536D, 1537A, B, 1542D, 1543A, 1544D, 1548A, 1550A Dr. Bertram (Z) 1527C, 1537A, C, . . . . . . . 1543A, 1546A, 1549B Neuburger (CDU) 1529C, 1541C, 1545B, 1548B, D Pelster (CDU) 1532D, 1541D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1535B, 1539A, 1540B, 1545D Freudenberg (FDP) 1538A Mertins (SPD) 1538B, .1540D Bazille (SPD) 1539A Renner (KPD) . . 1539B, 1544A, 1547B Höfler (CDU) . .. . . . . . 1540A Wönner (SPD) 1542B Dr. Greve (SPD) 1543B Dr. Oellers (FDP) 1545C Meyer (Bremen) (SPD) 1546D Dr. Wellhausen (FDP) 1547C Interpellation der Abgeordneten Dr. Vogel, Ollenhauer, Mende u. Gen. betr. Kopenhagener Wellenplan (Drucksache Nr. 611) 1550A Dr. Vogel (CDU), Interpellant . . . 1550B Schuberth, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen . . 1552C Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 649) . . . . . . 1554A Nächste Sitzungen 1554A Die Sitzung wird um 14 Uhr 10 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Rede von Dr. Harald Koch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, bevor ich zu der Vorlage grundsätzlich Stellung nehme, eine, ich möchte sagen, persönliche Erklärung. Auch heute werde ich wieder zu sprechen haben über die übermäßigen Steuersenkungen, über die ungerechte Verteilung dieser Steuersenkungen auf arm und reich, über Steuerausfälle größten Ausmaßes. Ich werde jedoch nicht von einem „leichtfertigen Verschenken" sprechen. Ich werde in diesem Zusammenhang auf die Worte des Herrn Finanzministers zur Begründung des Gesetzes hinweisen müssen, in der er selber folgendes gesagt hat:
    Das Wesentliche des Steuergesetzentwurfs, der Ihnen vorliegt, ist ja eine Senkung der Tarife, die beträchtlich ist, die bis zu 27 Prozent der alten Tarife geht, und sind Steuervergünstigungen, die, vermehrt um eine, .. . noch ganz beträchtliche Steuerausfälle werden erwarten lassen.
    So die Worte des Herrn Finanzministers!
    Meine Damen und Herren! Ich werde gegenüberstellen müssen die sozialen Zusicherungen der Regierung und diese unsoziale Tat, wie wir sie in dieser Steuervorlage erblicken. Bevor ich das aber alles tue, möchte ich folgendes feststellen, nicht etwa als eine Unterstellung oder als eine Fiktion. Meine Ausführungen haben ebensowenig wie dieses Einkommensteuergesetz, ebensowenig wie die Ansichten der Regierungsparteien zu diesem Gesetz, ebensowenig wie alle Abänderungsanträge etwas mit dem deutschen Namen und mit der nationalen Ehre zu tun.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Zeiten sollten vorüber sein, als man den deutschen Namen und die nationale Ehre und die ganze vaterländische Geschichte mit dem Hohenfriedberger und dem Badenweiler bemühte, wenn man über eine Schornsteinfegerverordnung oder über die Schweinepreise diskutierte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Man braucht kein Prophet zu sein, um folgendes zu sagen: wir werden auch in diesem Hause gegen unseren Willen und nicht durch unsere Schuld noch mancher schweren und ernsten Stunde entgegengehen. Dann werden wir uns freuen, wenn die Begriffe nationale Ehre und deutscher Name nicht allzusehr abgegriffen sind wie billiges Wechselgeld und nicht allzusehr strapaziert sind,

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Das soll sich Herr Schumacher mal merken!)

    auch nicht durch die Vertreter der Regierung.
    Meine Damen und Herren! An den Anfang unserer Erörterungen möchten wir die Auswirkungen der Tarifreformvorschläge stellen, neben denen alle Änderungen verblassen oder, man möchte beinahe sagen, belanglos werden. Die Tarifreform ist das Kernstück dieser Reform, und die Tarifsenkungen sind, wie der Herr Finanzminister sagt, das Wesentliche des Steuergesetzentwurfs. Auf 900 Millionen bis 1 Milliarde D-Mark schätzt der Herr Finanzminister den Steuerausfall auf Grund seiner eigenen Vorschläge. Das sind die längst versprochenen Steuersenkungen, von denen auch schon in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers die Rede war. In der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers war auch davon die Rede, daß die Regierung so sozial wie möglich handeln wolle, und es war gesagt: „Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit wird der oberste Leitstern bei unserer gesamten Arbeit sein." Und nun kommt diese Steuerreform, auf die Millionen von Steuerpflichtigen seit Wochen und Monaten gewartet haben, insbesondere auch Millionen kleiner Lohnempfänger, kleiner Gehaltsempfänger, kleiner Handwerker, kleiner Landwirte und die Millionen von Flüchtlingsexistenzen, die bisher aus einem nur kärglichen Einkommen schon Steuern zu zahlen hatten. Sie alle, alle diese kleinen Existenzen, alle diese kleinen Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen werden enttäuscht sein, wenn sie die Tarifvorschläge der Regierung kennenlernen werden. Der Tarifvor-


    (Dr. Koch) -

    schlag — und ich weiß nicht, ob das genügend bekannt gewesen ist, als in der letzten Sitzung, in der sogenannten zweiten Lesung über diese Fragen abgestimmt wurde — bringt ganz erhebliche Ermäßigungen für die hohen Einkommen und fast nichts für die kleinen Einkommen.
    Das gilt es zu beweisen. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen dazu einige Ziffern nenne. Bei einem Jahreseinkommen von 1200 D-Mark — ich sage Jahreseinkommen, das. heißt also bei einem Monatseinkommen von 100 M -Mark — beträgt die Ermäßigung der Steuer auf Grund des Tarifvorschlags 0,75 Prozent des Einkommens, also nicht einmal 1 Prozent des Einkommens.

    (Abg. Hilbert: Die zahlen doch gar nichts! — Unruhe.)

    — Nach der Tabelle B werden Steuern bezahlt. Darüber können wir uns unterhalten. Nehmen Sie die Tabelle B zur Hand und Sie werden sehen, daß dort die Steuerpflicht bei noch niedrigerem Einkommen einsetzt. Bei einem Jahreseinkommen von 2400 D-Mark beträgt die Ermäßigung 1,9 Prozent des Einkommens, also nicht einmal ganz 2 Prozent, während bei einem Einkommen — und nun bitte ich aufzuachten — von 40 000 D-Mark die Ermäßigung der Steuer 15 Prozent beträgt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das heißt also: derjenige, der ein Einkommen von 40 000 D-Mark hat, erhält eine Steuerermäßigung von 6000 D-Mark, das heißt also von 500 D-Mark im Monat, während bei einem steuerpflichtigen Einkommen von 60 000 D-Mark die Einkommensteuerermäßigung 20 Prozent des Einkommens beträgt. Das heißt also: der Steuerpflichtige mit einem Einkommen von 60 000 D-Mark zahlt dann etwa 11- bis 12 000 D-Mark weniger an Steuern, also im Monat 1000 D-Mark weniger. So entwikkelt sich die Tabelle bis zu etwa 150 000 D-Mark — hier beträgt die Steuerermäßigung 15 Prozent des Einkommens — oder bis 250 000 D-Mark, wo die Ermäßigung immer noch 12 Prozent des Einkommens ausmacht.
    Wir müssen uns bei allen diesen Fragen überlegen, wie sich die von dieser Steuer erfaßten Einkommen auf die Steuerpflichtigen verteilen. Auch das müßten wir in den Kreis unserer Überlegungen einbeziehen; ich weiß nicht, ob Ihnen das alles bei der zweiten Lesung zum Bewußtsein gekommen ist. Ich habe eine Statistik aus dem Jahre 1937 vor mir. Wir können bedauerlicherweise noch nicht auf exakte Statistiken aus der Nachkriegszeit zurückgreifen, aber die Verhltnisse werden sich nicht wesentlich verändert haben. Wir hatten 1937 13 Millionen Lohnsteuerpflichtige. Von diesen 13 Millionen Lohnsteuerpflichtigen bezogen ungefähr 5 Millionen Lohnsteuerpflichtige ein Einkommen unter 1500 D-Mark, das heißt also, 37 Prozent der Lohnsteuerpflichtigen hatten damals ein Einkommen von weniger als 1500 D-Mark. Ein Einkommen von weniger als 3000 D-Mark insgesamt hatten 11 Millionen Lohnsteuerpflichtige von rund 13 Millionen, also 84 Prozent der Lohnsteuerpflichtigen bezogen unter 3000 D-Mark Einkommen. Und die Nutzanwendung für unseren Fall? Diesen Lohnsteuerpflichtigen, diesen Millionen von Steuerzahlern gewährt man in dieser Vorlage kaum irgendwelche Ermäßigungen, während man für einige wenige Tausende von Beziehern hoher und höchster Einkommen ganz erhebliche Tarifsenkungen in dem Umfang, wie ich sie nannte, vorsieht, die fast 1 Milliarde D-Mark an Steuerausfällen bringen werden.
    Ich habe bisher von den Lohnsteuerpflichtigen gesprochen. Lassen Sie mich auch einmal die Veranlagten in den Kreis dieser Betrachtungen ziehen. Nach dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich hatten wir 1937 1 600 000 veranlagte Einkommensteuerpflichtige — das sind 53 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen —, die unter 3000 D-Mark jährlich an Einkommen bezogen — also 53 Prozent unter 3000 D-Mark —, während ein ganz geringer Bruchteil, noch nicht einmal 1 Prozent der Steuerpflichtigen, Einkommen über 50 000 D-Mark verdiente. Diese wenigen — es sind insgesamt nur 25 000 Steuerpflichtige —, haben ein Einkommen von über 50 000 D-Mark .gehabt, und diesen wenigen werden die großen Steuerermäßigungen gewährt, die wir heute in der Tarifvorlage zu beschließen haben. Während also Millionen kleiner Einkommensbezieher, die um ihr tägliches Leben kämpfen müssen und noch nicht einmal ihr Existenzminimum gesichert sehen, bei dieser Vorlage fast leer ausgehen, überschüttet man einige zehntausend Bezieher „mittlerer" — wie man schamhaft sagt —, hoher und höchster Einkommen mit Steuerermäßigungen, die in ihrer Höhe einmalig, in ihrer Wirkung aber wahrscheinlich dauernd sein werden.
    Gestern hörten wir an dieser Stelle Äußerungen des Herrn Justizministers zu den Lebensfragen des Richterstandes. Ich habe mir den folgenden Satz gemerkt:
    Ein Richter, der in der Notdurft des Tages erstickt, kann nicht den Blick für die Dinge des Lebens haben.
    Ich weiß nicht, ob der Herr Justizminister in diesem Zusammenhang an die sehr problematische Richterbesoldung gedacht hat. Aber wir sollten uns doch darüber klar sein, daß auch der größte Teil dieser Richter wie etwa 80 bis 90 Prozent aller Beamten und Angestellten nicht zu dem Kreise gehören, auf den der Herr Finanzminister das Füllhorn seiner Steuerermäßigungen ausschüttet.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Überlegen Sie sich: zirka 80 bis 90 Prozent aller Beamten und Angestellten werden kaum irgendwie von diesen Steuerermäßigungen erfaßt, oder sie erhalten lediglich die Almosen, die in den kleinen Steuerermäßigungen bei den unteren Einkommensteuergruppen zu verzeichnen sind.
    Eines unserer Hauptanliegen ist die Steigerung der Produktivität in der Wirtschaft. Dann aber müssen wir dafür sorgen, daß die kleinen Arbeitnehmer nicht verelenden; denn dort sind gerade diejenigen, die für die Sparkapitalbildung sorgen, und wir hören in diesem Zusammenhang doch immer wieder das Wort „Kapitalbildung". Das amerikanische Arbeitsministerium hat in einer Veröffentlichung bekanntgegeben, daß der Stundenlohn in Westdeutschland etwa 26 Prozent des amerikanischen Stundenlohns im Durchschnitt beträgt.

    (Hört! Hört! links)

    während die Lebensmittelpreise in Westdeutschland etwa 79 Prozent der Lebensmittelpreise in den Vereinigten Staaten ausmachen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Unter diesen Umständen sagt der Herr Finanz- minister in seiner Begründung am 11. Januar an diesem Platz:
    Dieser Gesetzentwurf
    — sagt er —


    (Dr. Koch)

    ist aus der Erkenntnis geboren, daß die Grundlage aller Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik der einfache Mann im Volk ist — ich sage: der unbekannte Steuerzahler — und daß wir vor der Gefahr stehen, daß dieser unbekannte Steuerzahler als Grundlage unserer Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, moralisch und leistungsmäßig betrachtet, im Zusammenbrechen begriffen ist.
    Ich glaube, wir müssen schon ziemlich viele Jahre zurückdenken, um uns eines ähnlichen Falles zu erinnern, in dem Worte und Taten so weit auseinanderklaffen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Für den unbekannten Steuerzahler wird in dieser Vorlage nichts getan, für die hinlänglich bekannten Steuerzahler mit den hohen Einkommen wird alles getan, so viel, daß in Zukunft der Finanzverwaltung wahrscheinlich zu tun fast nichts mehr übrigbleibt.
    Meine Damen und Herren, eine Regierung, die erklärt, so sozial wie möglich handeln zu wollen, und die uns in dieser Tarifvorlage ein so unsoziales Dokument vorlegt, wie wir es lange nicht in der Hand gehabt haben, eine Regierung, die also so reich ist an Widerspruch in Worten und in Taten, muß ihre besonderen Gründe haben. Diese Gründe werden uns ja auch genannt, und wir werden uns im Rahmen unserer heutigen Beratung mit ihnen beschäftigen müssen.
    Die Regierung spricht einmal davon, es bestehe in unserer schwer angeschlagenen Wirtschaft die Notwendigkeit der Kapitalbildung. Die Regierung sagt weiter, die Steuermoral müsse gehoben werden, damit die hohen Steuerausfälle ausgeglichen werden könnten. Die Regierung bedauert in diesem
    Zusammenhang ganz außerordentlich, daß sie den Beziehern kleiner Einkommen nichts zugute kommen lassen darf, weil ansonsten die gesamte englische Nation wild werden würde. Ich darf Sie an die Ausführungen des Herrn Finanzministers Schäffer erinnern, der hier mit aller Deutlichkeit gesagt hat:
    Ich mache das Hohe Haus in allem Ernst darauf aufmerksam, daß — rein äußerlich betrachtet ! - die Steuerbelastung der Einkommen unter 3000 Mark in Deutschland heute geringer ist als in England unter der Labour Party. Es ist für Deutschland schon wegen des äußeren Eindrucks ganz unmöglich, eine Schichtung der Einkommensteuer zu übernehmen, wonach wir unter den Ziffern eines Siegerlandes stehen.
    Das ist die Begründung dafür, daß wir für die kleinen Einkommensbezieher und kleinen Lohnsteuerpflichtigen nicht mehr machen können, als es in dieser Vorlage geschieht. Und schließlich weist die Regierung — jedenfalls ist es wiederholt in den Diskussionen im Finanzausschuß geschehen — darauf hin, daß die Juni-Tarife, die ja dieser Regelung zugrunde liegen sollen, mit den Stimmen der SPD angenommen worden seien und für unsere heutige Vorlage die Grundlage bildeten. Mit diesen vier Gründen werden wir uns beschäftigen müssen.
    Aber vorher erlauben Sie mir noch ein Wort zu den Steuersenkungen selbst und zu der Problematik dieser Steuersenkungen. Etwa 20 Prozent des Aufkommens an Einkommensteuer werden diese Senkungen ausmachen; das sind mehr als 5 Prozent der gesamten öffentlichen Einnahmen des Bundesgebietes. Alles das geschieht in einem Augenblick, in dem wir für das kommende
    Haushaltsjahr mit einem erheblichen Defizit rechnen. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, aber ich habe kürzlich in der Zeitung über eine Rede des Herrn Bundesarbeitsministers gelesen, in der er das Defizit für das kommende Haushaltsjahr mit 5 Milliarden D-Mark beziffert. Ich möchte auch den Herrn Bundesfinanzminister an ein Wort erinnern, das er nach dem Parlamentarischen Pressedienst vor den Vertretern der Presse zu dem Lastenausgleich gesagt hat, eine Äußerung, die wesentlich anders klingt als die letzten Äußerungen, die vor dem Bund der Fliegergeschädigten über den Lastenausgleich gemacht wurden, eine Äußerung,. die so lautet, „daß eine Minderung der Steuereingänge stets zu Lasten der Fürsorgepflichtigen ginge." Das richtet sich in diesem einen Fall einmal gegen den Lastenausgleich. Warum soll dasselbe nicht für die Einkommensteuer gelten? Ich glaube, man hat nach diesem Gesichtspunkt schon praktiziert, als man alle Anträge zugunsten der Kriegsopfer, der Ärmsten der Armen und der Betroffensten der Betroffenen in diesem Hause unter dem Hinweis darauf ablehnte, daß es an den nötigen Mitteln fehle.
    Auch wir sind der Ansicht, daß angesichts der großen und wichtigen sozialen Aufgaben, die der Bund auch gerade in den kommenden Jahren durchzuführen hat, und bei den großen sozialen Verpflichtungen gegenüber den Flüchtlingen, den Kranken, den Alten und den Arbeitslosen jede Steuersenkung an sich schon problematisch ist und sich letzten Endes gegen diese Menschen auswirken wird. Ich glaube, der Optimismus des Herrn Finanzministers, -daß er diese eine Milliarde durch eine Hebung der Steuermoral wieder einbringen könne, ist durch nichts gerechtfertigt. Ich glaube, es ist kein gutes Zeichen, daß man sich durch derartige Steuersenkungen und Steuerermäßigungen zugunsten der Defraudanten und zu Lasten der Allgemeinheit wieder eine Steuermoral erkaufen will, das heißt also zugunsten einiger weniger zehntausend, die ein Einkommen von mehr als 20 000 D - Mark haben, und zu Lasten von Millionen ehrlicher Steuerzahler.

    (Sehr gut! links.)

    Wir erkennen an, daß die Belastungen ein fast unerträgliches Ausmaß angenommen haben. Aber lassen Sie uns auch erkennen, daß es unter anständigen Staatsbürgern leichter sein sollte, seinen Steuerverpflichtungen nachzukommen, wenn man das Vielfache des Existenzminimums hat, als wenn der Staat, wie es heute noch geschieht, einen Teil dieses Existenzminimums wegsteuert.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Denn unsere Steuern gehen sehr oft bis hart an die Grenze des Existenzminimums heran, in Hunderttausenden von Fällen in das Existenzminimum hinein, aber ich glaube, in der Regel wohl nicht bei Einkommensbeziehern mit Einkommen von über 20 000 D - Mark, mit denen es die Regierungsvorlage so ganz besonders gut meint. Wir sollten uns das Folgende gesagt sein lassen, und das stammt nicht aus dem Munde eines Sozialdemokraten, sondern eines Justiz- und Kultusministers, der der CDU angehört. Ich bitte , es zitieren zu dürfen.
    In einer Zeit großer allgemeiner Not wie der gegenwärtigen, wo über zwei Drittel der öffentlichen Haushaltsbeträge direkt oder indirekt Kriegsfolgelasten darstellen, können die Grenzpunkte des Steuerbedarfs der öf-


    (Dr. Koch)

    fentlichen Hand und der Existenzgefährdung der Steuerpflichtigen nahe beieinanderliegen. Wenn Verwaltung, Polizei, Justiz und Schule wegen fehlender staatlicher Mittel ihre Tätigkeit einstellen müßten, wenn der Staat nicht mehr in der Lage wäre, den Kriegsopfern, Rentnern, Kranken, Flüchtlingen und Arbeitslosen ihre gewiß doch kärgliche Unterstützung zu zahlen, dann würde das zu einem völligen Chaos, zur Zerstörung der öffentlichen Ordnung und zur Vernichtung des Gemeinwohles führen,
    Soweit die Worte des Herrn Ministers Dr. Süsterhenn. Jedenfalls sollten sich diese Worte alle diejenigen gesagt sein lassen, die ihre Steuerdefraudationen vor sich und anderen mit der Höhe der Steuer entschuldigen. Diese Steuersenkungspolitik auf dem Rücken der breiten Masse bedeutet unseres Erachtens eine Kapitulation der Regierung vor den Defraudanten und der Steuerunmoral.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir befürchten, daß es auch die Bankrotterklärung der Regierung in der Sozialpolitik sein wird, wenn die Mittel eines Tages fehlen werden.
    Gewiß, auch wir sind der Ansicht, daß die Steuerschraube nicht überdreht werden darf, und wir sind der Ansicht, daß die Regierung nicht dafür verantwortlich ist, daß die Besatzungskosten im Jahr 4,5 Milliarden betragen und die sonstigen Kriegsfolgelasten etwa 3 Milliarden. Das verdanken wir alles unserem Führer! Aber es ist jetzt die Frage zu beantworten: Wer soll das alles tragen?

    (Zuruf rechts: „Wer soll das bezahlen?", heißt es.)

    Die, die vor dem Dritten Reich, während des Dritten Reiches und nach dem Dritten Reich gut verdient haben, oder wieder einmal wie immer die breiten Massen des Volkes, auf die immer wieder. die Lasten eines verlorenen Krieges abgewälzt werden?

    (Beifall bei der SPD.)

    In diesem Zusamenhang werden Sie wahrscheinlich im Rahmen der Ausführungen über die Steuerunmoral auf die durch die hohen Steuern ausgelöste Spesenschinderei hinweisen, also auf diese moderne Form, dem Staate das vorzuenthalten, was des Staates ist. Ich frage die Regierung, sollte es denn keine Möglichkeit geben, diesem moralzerstörenden Unfug zu steuern?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wenn man die Hähe der Repräsentationsaufwendungen nicht mit der Höhe der Löhne und Gehälter und mit dem Umsatz und welche Möglichkeit es sonst noch geben' mag, koppeln kann, so scheint uns das eine Phantasielosigkeit in der Steuergesetzgebung zu sein, mit der wir uns nicht einverstanden erklären können.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Das Schlimmste aber scheint mir die völlige Kapitulation vor diesen Mitbürgern zu sein, die jahraus und jahrein den Staat um die Steuerbeträge betrogen haben.

    (Beifall links.)

    Nun zum ersten Grund, den uns die Regierung für ihre Vorlage nennt, zur Frage der Kapitalbildung. Auch wir anerkennen die Notwendigkeit der Kapitalbildung. Wir sind bereit, uns mit
    Ihnen über die Möglichkeiten einer Kapitalbildung zu unterhalten, meinetwegen auch über die §§ 10 a oder 32 a, aber wir sind erst dann dazu bereit, wenn die primitivsten Grundsätze sozialer Gerechtigkeit diesen Gesichtspunkten untergeordnet und im Einkommensteuergesetz berücksichtigt sind.

    (Bravo! bei der SPD.)

    Das Existenzminimum von Millionen Arbeitsloser, Rentner, Geschädigter, der kleinen Lohn-und Gehaltsempfänger, der kleinen Gewerbetreibenden, der kleinen Landwirte und all der vielen Beamten und Angestellten, die nicht durch diese Vorlage erfaßt werden, liegt uns mehr am Herzen als das Kapitalkonto derer, die mehr als 20 000 D-Mark verdienen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir halten den Weg, den die Regierung einschlägt, um zur Kapitalbildung zu gelangen, für grundsätzlich falsch. Statt einer Kapitalbildung über die Kapitalsammelbecken, also über die Banken, Sparkassen und Versicherungen, forciert man noch einmal wieder die Investitionen in der Wirtschaft über die völlig unkontrollierbare und allzu oft fehlgeleitete Selbstfinanzierung. Aber das gehört anscheinend zum System der sogenannten sozial verpflichteten Marktwirtschaft.
    Was hat uns denn diese Marktwirtschaft gebracht? Wir haben auf der einen Seite überhöhte Unternehmer- und Händlergewinne als Folge des Fehlens jeglicher Preisbindungen und Preisüberwachung. Wir haben eine Geldflüssigkeit ohne einen entsprechenden Sparwillen. Wir haben einen aufreizenden, höchst unerwünschten Luxuskonsum, der unser Ansehen im Ausland schmälert, und wir haben Kapitalbildung durch Fehlinvestitionen. Das auf der einen Seite! Und auf der anderen Seite können Millionen von Menschen, die alles verloren haben, trotz des großen Angebots an Bedarfsgütern sich kaum mit den notwendigsten Verbrauchsgütern ausstatten. Die Gegensätze, die wir heute sehen, zwischen Luxuskonsum und höchster Bedürftigkeit, zwischen Arm und Reich, das sind die erbarmungslosen Folgen der sogenannten sozialen Marktwirtschaft und des Grundsatzes, daß das Geld der einzige Bezugsschein ist.
    Sie werden mich fragen: warum gehören diese wirtschaftspolitischen Ausführungen in die steuerpolitische Problematik hinein? Gerade weil wir aus dem Munde des Herrn Finanzministers gehört haben, daß eine Steuerpolitik nicht ohne entsprechende Wirtschaftspolitik zu denken ist, und weil wir die Gefahr sehen, daß durch die jetzt vorgeschlagene Steuerpolitik auf dem Wege dieser Wirtschaftspolitik fortgeschritten wird! Wir haben doch auf Grund der Schätzungen, die uns von dem Bundesfinanzminister und von den Leitern der Zentralbanken gegeben worden sind, gehört, daß seit der Währungsreform 15 bis 18 Milliarden D-Mark bereits wieder — und da lassen wir einmal die nüchternen Zahlen sprechen — in der deutschen Wirtschaft investiert wurden, und davon ein ganz erheblicher Teil durch Selbstfinanzierung. Lassen Sie mich diesen Zahlen einmal eine alte Statistik gegenüberstellen. Im Jahre 1929 betrugen bei der Verausgabung des deutschen Volkseinkommens in Höhe von 80 Milliarden Reichsmark die Gesamtinvestitionen 8,5 Milliarden Reichsmark, also bei einem Verbrauch von, wie gesagt, 80 Milliarden, wovon 71,5 Mil-
    1512 Deutschter Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den Z. März 1950

    (Dr. Koch)

    liarden auf den übrigen Verbrauch entfielen. Und das galt für das gesamte Reichsgebiet! Heute werden in 11/2 Jahren im Bundesgebiet 15 bis 18 Milliarden D-Mark unter steuerlicher Billigung investiert. Das sind etwa 10 bis 12 Milliarden im Jahr. Noch niemals, so behaupte ich, hat es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte eine so unleidige Diskrepanz zwischen der Höhe der Investitionen und der Höhe des Volkseinkommens gegeben. Sie werden mir entgegenhalten, daß wir heute eine verwüstete Wirtschaft mit einem sehr hohen Investitionsbedarf haben.

    (Zuruf rechts: Allerdings!)

    Damals, werden Sie sagen, hatten wir eine intakte Wirtschaft, vielleicht sogar eine Wirtschaft mit Überkapazität. Das ist richtig. Doch das wird sich die Verwaltung für Wirtschaft auch gedacht ha- ben, als sie den sogenannten großen Investitionsplan für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet vorlegte und den Bedarf für Neuinvestitionen für die Jahre 1948/1949 bis 1951/1952 — also für 4 Jahre — mit 27 Milliarden D-Mark angab. Nun sind in eineinhalb Jahren nach der Währungsreform bereits 15 bis 18 Milliarden D-Mark investiert worden,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und das sollen wir durch weitere Steuersenkungen zu Lasten der Allgemeinheit unterstützen! Wir dürfen auch darauf hinweisen, daß die Regierung bei jeder passenden Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht hat, daß die Kapitalbildungsquote in Deutschland mindestens ebenso groß ist wie in England. Sie müssen uns schon erlauben, daß wir diesen Gedanken auch in diesem Zusammenhang einmal wiederholen.
    Ich sagte schon, was sich hinter diesen Ziffern verbirgt: Auf der einen Seite ein unerhörter Konsumverzicht der breiten Massen, die den überhöhten Preisen keine entsprechenden Lohnerhöhungen entgegenstellen können, und auf der anderen Seite eine Anreicherung von Kapital aus überhöhten Spannen, aus Überpreisen — darüber ist in diesem Kreise oft gesprochen worden -- und aus Hortungsgewinnen. Auf etwa drei Milliarden schätzt man die Investierungen im Wege der Selbstfinanzierung durch Hortungsgewinne. Wie oft ist uns Herr Professor Erhard vor der Währungsreform in den Arm gefallen, wenn sozialdemokratische Wirtschaftsminister gegen Hortungsgewinne und Hortungen vorgehen wollten! Wie oft hat uns Herr Professor Erhard vor der Währungsreform versprochen, er wolle nach der Währungsreform diese Hortungsgewinne, die er ja wünschte, zur Steuer heranziehen! Und was geschieht jetzt? Dieselben Kreise, die diese hohen Hortungsgewinne gemacht haben, werden jetzt noch durch erhebliche Steuersenkungen belohnt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Kein geringerer als das leitende Vorstandsmitglied der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Herr Abs, hat in den letzten Wochen wiederholt gesagt, daß es ein großes Versäumnis sei, den Fluß der Kapitalbildung in der vergangenen Zeit nach der Währungsreform nicht in die richtigen Kanäle geleitet zu haben.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Es wird allzuviel, so sagt er, von Unternehmern investiert, die sowieso schon hohe Gewinne machen und die ihr Geld lieber in ihrem eigenen Betrieb anlegen, als das Geld in die Kapitalsammelbecken
    zu geben oder dem Nachbarn, der dieses Geld nicht erübrigt, es aber durchaus dringend gebraucht.
    Ich bitte, mir zu erlauben, die Worte, die Herr Direktor Abs im Ausschuß für Geld und Kredit am 12. Januar dieses Jahres zu diesem Thema gesprochen hat, hier einmal verlesen zu dürfen, weil sie unmittelbar zum Thema gehören. Herr Abs hat folgendes gesagt:
    Man möchte sich fast wünschen, daß manche von den Investitionen,
    — die man vorher auf 15 bis 18 Milliarden D-Mark geschätzt hatte —
    die in den 18 Monaten vorgenommen sind, besser einer Planung und Bewilligung unterworfen gewesen wären. Das heißt. die Entwicklung zu einer freien Kapitalschöpfung, zu einer Kapitalschaffung und zu eine Investierung wird teuer erkauft, indem manche und viele Investitionen vorgenommen wurden und die vielleicht auch noch laufend vorgenommen werden, denen man nicht ohne weiteres weder die erste Stufe der volkswirtschaftlichen Dringlichkeit noch die erste Stufe der privatwirtschaftlichen Vernunft zuerkennen kann.
    Herr Abs fährt dann an späterer Stelle wie folgt fort:
    Ich glaube, daß es wünschenswert wäre. dahin zu kommen, daß manch einer den Konsum einschränkt, um das ersparte Geld jemand zu geben, der ein volkwirtschaftlich dringendes Vorhaben hat. Da denke ich Licht so sehr an Lohn- und Gehaltsempfänger, denn ich wüßte nicht, bis zu welchem Betrag sie auf einen Teil ihres Einkommens für solche Zwecke verzichten könnten. Ich denke aber an jene Wirtschaftsteile, die aus Gewinn oder Abschreibungen nur den einen Weg, nämlich den der Investierung bei sich selbst sehen. weil das naheliegt. Die Berechtigung zu dieser Annahme liegt auch in der Erfahrung der Behandlung von Geld mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt. Es ist auch in der Tatsache begründet, weil die steuerliche Überabschreibung auf Neuinvestitionen günstiger ist. als wenn er das Geld dem Nachbarn zur Verfügung stellt, obwohl dieser andere viel dringendere Vorhaben hat.
    Ich glaube, diesen Ausführungen braucht man kaum mehr etwas hinzuzufügen. Sie zeigen uns den Weg der Kapitalbildung, der heute beschritten werden soll Dieser Kapitalbildung wollen wir nicht dienen. Wir wollen nicht einer Kapitalbildung dienen, die zu Fehlinvestitionen führt, die die Reichen nur noch reicher macht, die die Schaufenster mit überflüssigen Luxuswaren füllt und die Gegensätze zwischen Überfluß und Not lediglich noch vergrößert. Wir sollten lieber an eine Sparkapitalbildung denken, die nicht zu neuen ungelenkten Investitionen führt, an eine Sparkapitalbildung durch die Kreise der breiten Massen des Volkes, die bisher im wesentlichen immer noch die Träger der Sparkapitalbildung gewesen sind. Wir würden es für einen guten Vorschlag gehalten haben. wenn die Regierung ihre Steuervorschläge vielleicht mit einer Möglichkeit verbunden hätte, diese hohen Steuersenkungsbeträge dem Sparen und über das Sparen irgendwelchen bedeutenden Zwecken zuzuführen.


    (Dr. Koch)

    Ich darf in diesem Zusammenhang an das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der früheren Verwaltung für Wirtschaft, jetzt wohl des Bundeswirtschaftsministeriums, erinnern, der ausdrücklich darauf aufmerksam macht, daß man unter allen Umständen diese Gedankengänge eines bewußten Zwecksparens wieder aufnehmen sollte.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das ist etwas ganz anderes, meine Damen und Herren, als die Kapitalbildung, wie wir sie durch diese Steuervorlage erreichen werden. Wir wer- den auf dem falschen Weg der Fehlinvestitionen in der Wirtschaft weitergehen. Wir wünschen eine geordnete und gelenkte Kapitalbildung, die ausschließlich den großen Zwecken der Nation zugute kommt, nämlich dem Wohnungsbau, der bisher viel zu kurz gekommen ist, der Erneuerung des Verkehrswesens — wir wissen, wie die Eisenbahn nach Geld ruft —, der Energiewirtschaft und der Förderung des Außenhandels, von dem eines Tages unser ganzes Leben abhängen wird.
    Lassen Sie mich diese Ausführungen zur Kapitalbildung mit einem Gedanken beschließen, den ich kürzlich las und den ich sehr gern übernehmen möchte. Es muß aber immer wieder gesagt werden: sofern Arbeitskräfte, Produktionskapazitäten und Einfuhrmöglichkeiten vorhanden sind, ist es nichts als ein Aberglaube, daß Kapitalmangel ein Hindernis für aktive Wirtschaftspolitik sei. Wenn sich die politischen Instanzen weigern, diese beweisbare Behauptung anzuerkennen, so kann man nur sagen: Welches Glück haben die Politiker, wenn die Arbeitslosen nicht wissen, daß Hunderttausende von ihnen ihr schweres Schicksal nur den falschen theoretischen Vorstellungen der Minister und Bankpräsidenten verdanken!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Und nun zum nächsten Punkt, meine Damen und Herren! Uns wird immer wieder entgegengehalten, wir hätten ja seinerzeit den Juni-Tarifen zugestimmt, die die Grundlage dieser Vorlage sein sollen. Das ist richtig. Inzwischen sind aber zwei Jahre „sozial verpflichteter Marktwirtschaft" über unser Volk und über unsere Wirtschaft hinweggegangen.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr. Wuermeling: Gott sei Dank!)

    Wir wissen, daß wir bis zum Tage der Währungsreform untragbare Verhältnisse hatten. Das lag an dem Geld, das wir selbst nicht beseitigen konnten,. weil ja nicht wir den Termin der Währungsreform bestimmen konnten. Nach der Währungsreform hat sich manches geändert, weil die Millionen von Arbeitnehmern anständiges Geld in die Hände bekamen und weil insbesondere auch die Unternehmer wieder mit anständigem Geld rechnen konnten. Darauf wollen wir die Besserung in unserem Wirtschaftsleben zurückführen. Es ist bedauerlich, daß der Herr Bundeskanzler an dieser Stelle nicht auf diese Zusammenhänge hingewiesen, sondern immer wieder in der alten falschen und, ich möchte beinahe sagen, bösen Terminologie erklärt hat, daß diese Erfolge mit dem Übergang von der Planwirtschaft zur sozial verpflichteten Wirtschaft zusammenhängen.

    (Zuruf rechts: Natürlich!)

    Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, ein Wort eines sehr bedeutsamen Staatsmannes zu zitieren, der am 7. Januar folgendes gesagt hat:
    Deutschland hat nicht mehr lange Zeit, das soziale Problem zu lösen. Wenn der gegenwärtige Zustand der Überfülle in den Läden und der sozialen Not und Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite ein Dauerzustand wird, dann hätte die schärfste Kritik an der Marktwirtschaft recht.
    Das sagt Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Er hat es in Neuß gesagt, wahrscheinlich auf einer Versammlung, denn es sind ganz andere Töne, als wir sie aus den Industrie- und Handelskammern kennen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Alles dies gehört in den Zusammenhang dieser Steuerreform, weil die Grundlage des Vorschlags, wie ich schon sagte, die Frage der Kapitalbildung ist, und ich sage noch einmal: Selbst wenn wir den Juni-Tarifen zustimmten, — die Verhältnisse haben sich seit jenem Tage vollkommen geändert Damals, im Juni, konnten wir noch annehmen, daß die Chance der Währungsumstellung für das ganze Volk und nicht nur für einen ganz bestimmten kleinen Kreis dieses Volkes ausgenutzt werden würde.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Schließlich beruft sich der Herr Finanzminister auf die Verhältnisse in England. Damit komme ich zu unseren Anträgen, und ich bitte, mir zu erlauben, diese Anträge zu der Frage der Höhe der Freibeträge hier gleich einzubeziehen. Diese Berufung auf England ist uns vollkommen un- verständlich, weil sie irreführend ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.) O

    Nach der Tabelle B, die Sie, meine Damen und Herren, mitbeschlossen haben, ist ein Lediger in Deutschland bereits mit einem Einkommen von 751 Mark im Jahr steuerpflichtig, ein Verheirateter mit 2 Kindern bei einem Einkommen von 1551 Mark. In England — ich ziehe es nur zum Vergleich heran, weil der Herr Finanzminister uns mit England verglichen hat — ist ein lediger Steuerpflichtiger erst Steuerschuldner, wenn er ein Einkommen von 1650 Mark hat,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und der Steuerpflichtige mit 2 Kindern dann, wenn er 4500 Mark verdient.

    (Erneute Rufe von der SPD: Hört! Hört!)

    In England kommt aber noch etwas hinzu, und der Herr Finanzminister hat es uns ja auch gesagt: Ein Sechstel aller aus Arbeit fließenden Einkünfte, das sogenannte earned income, ist in England, , ich glaube, seit 1907 steuerfrei. In England wird weder 'eine Gewerbesteuer noch eine Vermögensteuer bezahlt. Auch in Deutschland kommt in einem ganz erheblichen Umfang noch etwas hinzu, was gerade zu Lasten dieser kleinen Einkommensteuerpflichtigen und Lohnsteuerpflichtigen geht, nämlich die indirekten Steuern, die man bei einem durchschnittlichen Lohnempfänger auf 27 Prozent des Arbeitslohnes schätzt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Der Herr Bundesfinanzminister hat uns gesagt, wie hoch die indirekten Steuern im kommenden Jahre sein werden. Er ist auf einen Betrag von 8,5 Milliarden Mark gekommen, wobei allein 4,2 Milliarden Mark auf die Umsatzsteuer ent-


    (Dr. Koch)

    fallen, also Beträge, die wesentlich über die Einnahmen aus der Einkommensteuer hinausgehen. Es war also kein glücklicher Einfall, als der Herr Bundesfinanzminister uns uf England verwies und damit unsere Vorschläge zurückwies, auch die kleineren Einkommen- und gerade die Lohnsteuerpflichtigen in dieser Steuerreform zu begünstigen.

    (Zuruf von der SPD: So was nennt man Wahrhaftigkeit!)

    Man verweist uns in diesem Zusammenhang auch immer wieder darauf, daß sich die kleinen Einkommen- und Lohnsteuerpflichtigen in Deutschland noch nie so gut gestanden hätten wie gerade jetzt nach dieser Steuerreform.

    (Lachen bei der SPD.)

    Man zieht zum Vergleich das Jahr 1926 oder 1929
    heran. Dabei vergißt man zunächst einmal die
    wesentliche Erhöhung der Lebenshaltungskosten,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und vor allem möchte ich noch auf folgendes hinweisen, da wir gerade über den Zusammenhang mit England sprechen. Das bekannte Jecht-Gutachten verweist darauf, daß nach den Berechnungen der Times vom 15. Juni 1939 — ich zitiere wörtlich —
    die Einkommensteuerbelastung bei den kleineren und mittleren Einkommen vor Ausbruch des Krieges in Deutschland durchschnittlich fünfmal so hoch war wie in England.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Man wird also noch allerhand tun müssen, um die kleinen Einkommensteuer- und Lohnsteuerpflichtigen auf den Stand zu bringen, mit dem der Herr Finanzminister sie unvorsichtigerweise verglichen hat. In diesem Fall möchte man vielleicht sagen: O si tacuisses!

    (Sehr gut! und Heiterkeit links. —Zuruf rechts.)

    — O wenn du doch geschwiegen hättest!

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Wir können also die von der Finanzverwaltung, von dem Herrn Finanzminister, von der Regierung vorgebrachten Gründe -- ich habe sie alle vier genannt und mich mit ihnen auseinandergesetzt — unter keinen Umständen anerkennen, zunächst einmal nicht aus wirtschaftspolitischen Gründen, weil wir völlig falsche Wege der Kapitalbildung gehen, und sodann nicht aus sozialpolitischen Gründen, weil es sich um eine Vorlage handelt, die gegen die breiten Massen des Volkes gemacht worden ist. Was so außerordentlich bedauerlich ist — ich erwähnte das schon in meinen Ausführungen —, ist der völlige Mangel an schöpferischer Phantasie in dieser Steuergesetzgebung. Wir wollen der Regierung zugute halten — das ist ja auch im Ausschuß wiederholt von allen Seiten geschehen —, daß das Beharrungsvermögen einer guten Verwaltung, wie es die Finanzverwaltung ja nun einmal ist, das Bestreben hat, oft Angewandtes auch weiterhin anzuwenden. Aber wie wäre es gewesen, wenn man in den Steuervorschlägen, die man uns gemacht hat und die ja lediglich auf eine ziemlich phantasielose Steuersenkung zugunsten eines ganz kleinen Kreises höchster Einkommensbezieher hinauslaufen, wenn man uns statt dessen Vorschläge gemacht und in das Gesetz eingearbeitet hätte: eine neue Form des steuerbegünstigten Sparens etwa für den Wohnungsbau, eine Steuerbegünstigung für Spätheimkehrer oder für die Kriegsbeschädigten, wie wir sie jetzt vorschlagen, eine Erfassung überhöhter Betriebsausgaben und Werbungskosten, insbesondere im Kampf gegen die. Spesen, und dann, was wir vorschlagen, eine Aufteilung der Einkommensteuer in eine Normal- und Zusatzsteuer um der steuerlichen und sozialen Gerechtigkeit willen und vielleicht auch ein Vorschlag für die steuerliche Besserstellung der berufstätigen Frau! Doch damit kommen wir schon zu unseren eigenen Anträgen und zu unseren eigenen Vorschlägen.
    Wir lehnen also den Tarifvorschlag der Regierung ab. Dazu bedarf es jetzt keines Wortes der Begründung mehr. Wir lehnen den § 10 a ab über den nichtentnommenen Gewinn und den § 32 a über weitere Steuerbegünstigungen der buchführenden Land- und Forstwirte und Gewerbetreibenden. Denn dies alles liegt auf derselben Linie der fehlgeleiteten Kapitalbildung.
    Wir lehnen weiterhin ab die Tabelle B mit all ihren ungerechten und unsozialen Folgen. In einer Zeitschrift, die der Herr Professor Erhard mit herausgibt, lese ich, daß die jetzige Grundtabelle B allein der Täuschung der Steuerpflichtigen und der Öffentlichkeit dient.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Und so ist es, meine Damen und Herren. Aber die Ausführungen zu diesem Punkt wird mein Parteifreund Seuffert übernehmen.
    Wir schlagen Ihnen statt dessen in den Anträgen, die Ihnen vorliegen, erhöhte Freibeträge für den Familienstand, eine Normal- und Zusatzsteuer, wobei die Normalsteuer eine Proportional-
    und die Zusatzsteuer eine progressive Steuer sein soll, und die Offenlegung der Steuerlisten vor, wie es in anderen demokratischen Staaten üblich ist.

    (Sehr richtig! und Händeklatschen bei der SPD.)

    Wir schlagen Ihnen weiter vor und möchten das hiermit tun, daß nach Annahme unserer Anträge der Tarif so ausgestaltet wird, daß die Steuerausfälle nicht etwa eine Milliarde ausmachen, sondern allerhöchstens 350 bis 400 Millionen DMark. Auf einen derartigen Betrag hat ja der Herr Vorsitzende unseres Finanzausschusses die Auswirkungen unserer -Anträge geschätzt.
    Wir können uns grundsätzlich in diesem Stadium der Verhandlungen nicht auf alle wie auch immer gearteten beruhigenden Erklärungen und Hinweise auf die sogenannte große, organische Steuerreform einlassen. Wenn der Herr Dr. Höpker-Aschoff, der Vorsitzende unseres Finanzausschusses, vor der Presse erklärt hat, die große Steuerreform erscheine jedoch nach der jetzt vorgeschlagenen Steuererleichterung für Gewerbetreibende, Land- und Forstwirte nicht mehr so dringend, dann entschwindet für uns diese sogenannte organische Steuerreform bei dem Arbeitstempo, das wir hier kennengelernt haben, in nebelhafte Ferne.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier, am heutigen Tage, müssen wir zu den sozialen Forderungen des Tages in diesem Steuergesetz Stellung nehmen. Es darf sich nicht das gleiche wiederholen, wie wir es bei der Beratung des Beamtengesetzes etwa erfahren haben,


    (Dr. Koch)

    wo man uns auch auf eine ungewisse Zukunft vertröstete.
    Man kann uns auch, meine Damen und Herren, nicht entgegenhalten. diese Vorschläge könnten so schnell nicht durchgeführt werden. Die Finanzverwaltung beschäftigt sich seit Jahr und Tag mit dieser Steuerreform, die Regierung auch schon seit mehreren Monaten. Unsere Reformvorschläge könnten ebenso schnell durchgeführt werden wie die Vorschläge, die uns die Regierung vorlegt.
    Und nun zum Schluß, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf einen ganz besonders wichtigen Umstand hinweisen, auf einen ganz besonders wichtigen Punkt. Ich denke an die von Ihnen überhaupt nicht in den Kreis der Erwägungen gezogene Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Gesetzentwurf der Bundesregierug.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Diese Stellungnahme, meine Damen und Herren, ist Ihnen allen zugegangen und ist getragen von dem Verantwortungsbewußtsein für fünf Millionen Arbeitnehmer. die in den Gewerkschaften organisiert sind. Diese Stellungnahme spricht also, wenn wir einmal die Familienangehörigen hinzunehmen, für vielleicht zwanzig Millionen deutscher Menschen. Über diese Stellungnahme sind Sie bei der zweiten Lesung zur Tagesordnung übergegangen, und ich sehe schon jetzt die Gefahr, daß Sie die Absicht haben, auch heute wieder über diese Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes hinwegzugehen. Sie müssen aber die folgenden Sätze zur Kenntnis nehmen:
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält es
    — so heißt es in dieser Stellungnahme — nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Notwendigkeit der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus über die öffentlichen Haushalte nicht für gerechtfertigt, daß die Bundesregierung mit der Steuersenkung noch erheblich weitergehen will, als es seinerzeit mit dem sogenannten Junitarif geplant war. Hierbei läßt die Bundesregierung die Steuersenkungen in einer so einseitigen Weise den Beziehern von Einkommen über 10 000 Mark zugute kommen, daß nach Auffassung des Deutschen Gewerkschaftsbundes damit erheblich von den elementaren Grundsätzen einer gerechten Besteuerung abgewichen wird. Die unteren Einkommensstufen werden in den neuen Steuertarifen geradezu stiefmütterlich behandelt,
    -- sagt der Gewerkschaftsbund.
    Er sagt weiter über die Erhöhung der steuerfreien Pauschalbeträge:
    Bei der dringend notwendigen Neufestsetzung des steuerlichen Existenzminimums muß auch die Tatsache berücksichtigt werden, daß die Arbeitnehmerhaushalte eine bisher ständig gewachsene Verbrauchssteuerlast zu tragen haben.
    Dann ist auch die Rede von der Steuertabelle B, von der ich sprach und die wir ablehnen.
    Eine solche Tarifgestaltung,
    - heißt es in der Stellungnahme des Gewerkschaftsbundes —
    die eine Benachteiligung gerade der kleinsten Einkommensempfänger bedeutet, ist durch nichts gerechtfertigt und verstößt geradezu gegen Treu und Glauben.
    Mir liegt ein Telegramm vor, das an eines unserer Fraktionsmitglieder vom Bundesvorstand .des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hans Böckler, gesandt worden ist und das mit wenigen Worten die Situation schildert:
    Regierungsvorlage über die kleine Steuerreform berücksichtigt in keiner Weise Gewerkschaftsforderungen. Steuererleichterungen für kleine Einkommen völlig unzureichend. Gewerkschaftsforderungen beabsichtigen Reallohnerhöhung durch Steuersenkung. Steuererleichterungen und Preissenkungen müssen Reallohnerhöhung bringen. Sonst Lohnerhöhungen auf ganzer Linie unvermeidlich,

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    zumal Lebenshaltungskostenentwicklung unbefriedigend.
    Bundesvorstand erwartet dringend, daß Ihr Euch
    — das ist wohl an alle Gewerkschaftler in diesem Hause gerichtet —
    in Fraktion und Bundestag bei Verabschiedung dieses Gesetzes für Verwirklichung der gewerkschaftlichen Vorschäge einsetzt.

    (Zuruf: Haben Sie das Telegramm bekommen?)

    — Nein, ich sagte: das hat ein Mitglied meiner Fraktion erhalten,

    (Zuruf von der SPD: Wie andere auch!) und andere wahrscheinlich auch.


    (Zuruf: Und der Herr Bundeskanzler auch!)

    Der Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, hat am vergangenen Sonntag Herrn Böckler die Wünsche der Regierung überbracht. Ich glaube, Herr Böckler hätte sich am meisten gefreut — er und die 20 Millionen Menschen, die er vertritt —, wenn man ihm hätte erklären können, daß diese Stellungnahme der Gewerkschaften zumindest bei dieser Steuervorlage berücksichtigt worden wäre.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir wollen der Regierung immer noch . die Möglichkeit geben, die in dieser Stellungnahme enthaltenen Gedanken mit in den Gesetzentwurf einzuarbeiten. Damit die Gewerkschaften wissen, wer sich für ihre Stellungnahme eingesetzt hat, behalten wir uns vor, gerade zu diesen wesentlichen Punkten der Vorlage namentliche Abstimmung zu beantragen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf rechts: Dann müßte auch die Stellungnahme der Bauernverbände genau so berücksichtigt werden!)

    - Vollkommen richtig! -- Bei der Abstimmung
    über diese unsere Anträge wird sich erweisen, wieviel Vertrauen das deutsche Volk seiner Regierung, den Regierungsparteien und der Regierungserklärung des Bundeskanzlers entgegenbringen kann, in der es heißt: „Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit wird der oberste Leitstern bei unserer gesamten Arbeit sein." Bei der Diskussion über die Wirtschaftspolitik, über die Investitionen, über die Arbeitslosigkeit und über die Monopolgesetzgebung konnten sich die Regierungsparteien und die Regierung mehr oder weniger in theoretische Erörterungen flüchten, die all den vielen Millionen Bedrängter Steine statt Brot gaben. An den Steuertabellen aber -- und


    (Dr. Koch)

    damit lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren —, an den Steuertabellen wird jedermann eines Tages Ihre soziale Einstellung und Ihre soziale Verantwortung ablesen können.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Rische.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Friedrich Rische


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Die Adenauer-Regierung hat bei ihrer Amtsübernahme eine Reihe von Versprechungen abgegeben. Wir wissen aber aus ihrer Praxis in den letzten fünf Monaten, daß sie kein Versprechen so ernst genommen hat wie ihr Versprechen an die Schwerindustrie, Steuersenkungen zu gewähren.

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Die gegenwärtige Vorlage ist der beste Beweis dafür. Die Steuerpolitik zeigt uns aber auch in aller Deutlichkeit, nach welchen Grundsätzen die Adenauer-Regierung und die reaktionäre Mehrheit dieses Hauses ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik betreiben; denn von den Steuereinnahmen und den Ergebnissen der Steuerpolitik hängt es ab, ob man bereit sein kann, eine „sozial verpflichtete Gesetzgebung" wirklich durchzuführen. Dieser Regierung geht es in Wirklichkeit um die Begünstigung und Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in den Händen der Mitstreiter, der Herren Pferdmenges, Zangen und Roelen. Ihre ganze Wirtschafts- und Steuergesetzgebung ist darauf ausgerichtet, diesen Herren die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht faktisch zu ermöglichen.
    Dies. meine Damen und Herren, geschieht durch die privilegierte Bildung von Eigenkapital, durch überhöhte Abschreibung nach dem D-MarkBilanzgesetz, durch die Gewährung steuerfreier Rücklagen, durch Schachtelprivilegien usw. Es geht dieser Regierung darum, und zwar nach dem Willen der Herren Zangen, Pferdmenges und Roelen, daß die Zwingherren von Rhein und Ruhr über die Kapitalbildung ihre alten Unternehmungen weiter aufbauen, während zu gleicher Zeit die werktätigen Massen in Westdeutschland die schwersten Entbehrungen als Folgen dieser Politik auf sich nehmen müssen.
    Herr Kollege Koch von der SPD sprach mit sehr bewegten Worten von der von dieser Regierung vorgesehenen Kapitalbegünstigung auf dem Wege über die Steuerpolitik zum Zwecke der Kapitalbildung. Er betonte allerdings, daß auch seine Fraktion eine derartige Kapitalbildung, wenn auch unter Beachtung gewisser Grundsätze, mehr oder weniger begünstige. Ich möchte aber den Kollegen von der SPD dabei zu bedenken geben, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Westdeutschland jede Kapitalbildung einzig und allein den Feinden des Volkes zugute kommt.

    (Sehr richtig! bei der KPD. — Zuruf rechts: Na, na!)

    Dieser von der Regierung beabsichtigten Kapitalbildung bei den Großverdienern von Rhein und Ruhr stehen steuerliche Benachteiligungen der Lohn- und Gehaltsempfänger und steht eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung der verschiedenen Einkommensteuerarten in der heutigen Vorlage gegenüber. Die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen erhalten mit dieser Vorlage — nach dem Willen der Mehrheit des Bundestages,
    muß man wohl hinzufügen --i ein Dankgeschenk von rund einer Milliarde.
    In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich zugleich auf eine andere Verpflichtung dieser Regierung hinweisen, die sie in den Tagen der Wahl zu diesem Bundestag eingegangen ist, nämlich zu dem Zeitpunkt, als die westdeutsche Schwerindustrie den jetzigen Regierungsparteien ein Wahlgeschenk von 10 Millionen D-Mark machte. Dieses Wahlgeschenk von damals hat hundertfache Früchte gezeitigt, wie die gegenwärtige Steuervorlage eindringlichst beweist.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Dabei muß man berücksichtigen, daß im gegenwärtigen Moment drüben in Düsseldorf, Köln und Essen schon wieder die Fäden gesponnen werden, um bei den kommenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen den Mehrheitsparteien des Bundestages erneut Subsidien zur Führung des Wahlkampfes zu gewähren.

    (Zurufe in der Mitte und rechts.)

    Der Herr Wirtschaftsminister hat während der großen wirtschaftspolitischen Debatten in diesem Hause von den 17 Milliarden D-Mark berichtet, die die Schwerindustrie an Rhein und Ruhr im zweiten Jahr der Währungsreform investieren konnte. Ich aber stelle die Frage: was haben die Ausgebombten und die Flüchtlinge, die Arbeiter und Angestellten, die Kleingewerbetreibenden und Kleinfabrikanten tun können, um die Schäden des Krieges auszugleichen? Kann irgendein Abgeordneter des Hauses hier auftreten und sagen, daß auch diese Kreise in der Lage waren, in der Zeit nach der Währungsreform Substanzen für den Ausgleich ihrer Schäden zu bilden?
    Darum, meine Damen und Herren. ist es die Politik gerade dieser Regierung, die Kriegslasten von den Kapitalisten zu nehmen und diese Lasten den werktätigen Menschen unseres Volkes aufzubürden, wie das auch in der Benzinsteuergesetzgebung dieser Regierung drastisch zum Ausdruck kam. Und dabei hörten wir von diesem Platze hier oft so schöne Reden von den Abgeordneten der gegenwärtigen Regierungsmehrheit. Man hat uns erklärt: wir alle haben den Krieg verloren, wir alle müssen die Folgen des Krieges gemeinsam tragen. Die Praxis sieht so aus, daß die Lasten des Krieges und der Währungsreform einzig und allein vom werktätigen Volk getragen werden,

    (Sehr richtig! bei der KPD)

    und zwar geschieht dies nach dem Motto: Die Reichen werden für die Armen alles tun, nur nicht von deren Rücken heruntersteigen!

    (Sehr gut! bei der KPD.)

    Die Politik der Regierung ist somit eindeutig gegen das Volk, gegen die Werktätigen, die Angestellten, Kleingewerbetreibenden und Kleinfabrikanten gerichtet.
    Dies äußert sich auch in der Senkung der Einkommensteuer bei starkem Anwachsen der indirekten Steuer, der Verbrauchssteuer. Ich habe eine auf offiziellen Angaben beruhende Aufstellung über die Entwicklung der einzelnen Steuerarten vor mir. Das Aufkommen der Steuer verlagert sich demnach eindeutig von der Einkommen- auf die Verbrauchssteuern. Folgende Entwicklung ist nach dem Bericht der Bank deutscher



    (Rische)

    Länder vom Dezember festzustellen: Im Monat April /Mai hatten wir ein Gesamtsteueraufkommen von 1255.3 Millionen D-Mark. Davon entfallen auf die Einkommensteuer 45,8 Prozent und auf die Verbrauchssteuern 49,8 Prozent. Aber im Juli/ August sank das Einkommensteueraufkommen auf 42,4 Prozent, während das Verbrauchssteueraufkommen auf 51,9 Prozent stieg. Im Oktober /November 1949 betrug der Hundertteil der Steuer vom Einkommen nur noch 39.7 und der der Verbrauchssteuern 54,7. Hier zeigt sich ganz eindeutig die Abwälzung der Steuern auf die Schultern der breiten Massen.
    Das wird noch deutlicher, wenn man die Einkommensteuer nach der Lohnsteuer und der veranlagten Einkommensteuer aufgliedert. In den Vergleichsmonaten Juli und Oktober hat sich die Lohnsteuer auf 104,1 Prozent erhöht, während die veranlagte Einkommensteuer auf 96,1 Prozent gesunken ist. Die Bank deutscher Länder behauptet in ihrem November -Bericht, die Lohn- und Gehaltssumme sei im Wachsen begriffen, und daraus sei das höhere Aufkommen aus der Lohnsteuer zu erklären. Die geringfügigen Lohnerhöhungen gehen in Westdeutschland aber auf Grund. des Lohnsteuergesetzes sofort in die höhere Abzugskategorie, so daß der höhere Anfall an Lohnsteuer darauf zurückzuführen ist. Obwohl die veranlagte Einkommensteuer während dieser Zeit in ihrem Ertrag gesunken ist, sind, wie die Bank deutscher Länder in demselben Bericht bemerkt, die Unternehmergewinne eher gestiegen als gesunken.
    Nun, meine Damen und Herren, das ist die Praxis: eine Begünstigung der Einkommensteuer und eine Verlagerung der Steuer auf die Verbrauchssteuern, somit also eine Verlagerung der Steuer auf den Konsum der Masse. Dieser Gegensatz wird durch die gegenwärtige Steuervorlage noch weiter verschärft. Wie recht hatten darum die Kommunisten, wenn sie diese Regierung als die Sachwalterin der Millionäre bezeichneten!

    (Sehr wahr! bei der KPD.)

    Darüber geben auch die D-Mark-Bilanzen der Konzerne Auskunft. Das Aktienkapital der 22 Gesellschaften, die bis zu dieser Stunde berichtet haben, konnte im wesentlichen im Verhältnis 1 zu 1. umgestellt werden. Das ist eine sehr bedeutsame Entwicklung in Westdeutschland, die zeigt, daß die großen Konzerne an Rhein und Ruhr in der Kriegszeit und in der Zeit vor und nach der Währungsreform keinerlei Verluste erlitten haben.

    (Zuruf rechts.)

    -- Eine Reihe von Geschäftsberichten, werter Kollege, geben dieser Tatsache sehr beredten Ausdruck.
    Während sich in den Arbeiterhaushalten eine beträchtliche Spanne zwischen dem durchschnittlichen Nettolohn und dem durchschnittlichen volkswirtschaftlich möglichen Konsum bemerkbar macht, sind heute bereits wieder viele Unternehmen der Großindustrie in Westdeutschland dividendenreif. Am deutlichsten zeigt sich diese Dividendenpolitik in den D-Mark-Bilanzen einer Reihe Großbetriebe, und wiederum charakteristisch ist dabei die Bilanz der ContinentalGummiwerke AG, Hannover. Dieser größte deutsche Gummikonzern hat sein Aktienkapital von 88,4 Millionen unverändert aus der Reichsmark-zeit in die D-Markzeit übernommen, außerdem eine gesetzliche Rücklage von 8,84 Millionen DMark gebildet, während das Anlagevermögen mit 59,4 Millionen D-Mark gegenüber 33,4 Millionen Reichsmark im letzten Reichsmarkabschluß bewertet wird. Als aufgewiesener Reingewinn ist der Betrag von 3,7 Millionen angegeben, aus dem eine dreiprozentige Dividende für das zweite Halbjahr 1948 für die Aktionäre ausgeschüttet wurde.
    Auch im Warenhaushandel, zum Beispiel bei dem Karstadt-Konzern, wurden große Gewinne erzielt.
    Besonders aufschlußreich sind aber die letzten Bilanzen der großen Stahlwerke in Nordrhein-Westfalen. Als typisch ist der Geschäftsbericht von Mannesmann zu betrachten. Zangen. Vorsitzender des Aufsichtsrats bei den Mannesmannwerken, erklärte auf der am 26. Oktober 1949 abgehaltenen Generalversammlung, daß ungeachtet der . erheblichen Verluste das Aktienkapital durch die verbliebene Vermögenssubstanz voll gedeckt ist. Die Zeitschrift Professor Erhards Der Volkswirt" geht auf diese Lage ein und bemerkt in Nr. 44 des Jahrganges 1949 dazu folgendes:
    Im Falle Mannesmann lagen die Dinge so, daß die Bilanz zum 31. Dezember 1944 eine bedeutende innere Stärkung auf Grund der immerhin beträchtlichen Gewinnchancen der Vorkriegs- und Kriegsjahre aufwies. Mannesmann hat in dieser Zeit sichtbar und zweifellos auch unsichtbar akkumuliert.
    Trotz der großen Verluste durch Krieg, Demontage und Restitutionsansprüchen verfügt der Konzern über ein Vermögen, das den Nominalwert des Aktienkapitals von 156 Millionen D-Mark voll deckt. Das ist auch ein Erfolg der berühmten Erhardschen sozial verpflichteten Wirtschaftspolitik.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Herr Pferdmenges vom Stahlverein erklärte sich ebenfalls auf der Hauptversammlung des Stahlvereins, die am 31. Dezember 1949 in Düsseldorf stattfand, äußerst befriedigt mit der Finanzlage dieser mächtigen Monopolorganisation in Westdeutschland. Er erklärte, die Finanzlage des Stahlvereins gebe zu Bedenken keinen Anlaß.
    So könnte ich nun, meine Damen und Herren, die Geschäftsberichte, die bisher von den großen Konzernen an Rhein und Ruhr vorliegen, herunterzitieren, und immer wieder würden Sie doch das gleiche Ergebnis hören: die Finanzlage ist gesund, die Verluste sind gedeckt, den Aktionären geht es wieder gut.

    (Zuruf von der KPD.)

    Meine Damen und Herren! Es ist darum auch kein Wunder, daß die Konzerne und Großbanken ihr Vertrauen in diese Regierung setzen, in eine Regierung, die ja nichts anderes ist als die politische Repräsentantin dieser Herren von Rhein und Ruhr.
    Die unerhörten Kursgewinne an den Börsen sind ein weiteres Barometer des Vertrauens der Reichen, der Besitzenden, der Aktienbesitzer zu dieser Regierung. Vor mir habe ich den Bericht eines der wichtigsten Bankinstitute in Westdeutschland. Der „Bankverein Westdeutschland", früher Commerzbank, hat eine Broschüre herausgegeben, die den Titel trägt „Rund um die Börse 1949". Der wirtschaftlich interessierte Mensch fin-


    (Rische)

    det eine Unmasse von Materialien gerade in dieser kleinen, knappen Schrift dieses großen Bankinstituts. Hier wird in aller Deutlichkeit aufgezählt, wie es heute den Reichen in Westdeutschland geht.
    Aber wie schon in früheren Jahren beschäftigt sich diese Bank nicht nur mit ihren Bilanzen, mit ihrem Vermögen, sondern diese Bank beschäftigt sich wie seit jeher auch mit den Grundlagen der gegenwärtigen Politik. Über diese Politik hat auch die ehemalige Commerzbank in ihrem kleinen Heftchen recht ausführlich — und ich möchte sagen recht deutlich — folgendes geschrieben:
    Noch im ersten Jahresviertel wurde bekanntlich die Möglichkeit einer Sozialisierung des Ruhrbergbaues und der Versorgungsunternehmungen in manchen Kreisen erörtert. Verstaatlichungsgerüchte sind aber nie eine günstige Grundlage für die Börsenentwicklung gewesen. sie gaben auch diesmal Anlaß zu verstärkter Zurückhaltung gegenüber Dividendenwerten und gegenüber den Aktien von so gefährdeten Unternehmungen. Mit den Wahlen zum Bundestag und der Bildung einer westdeutschen Regierung, die Sozialisierungstendenzen abhold ist und für frei e Wirtschaft eintritt, änderte sich dieses wenig freundliche Bild schlagartig. Dieser Umstand dürfte für den inzwischen eingetretenen Stimmungswechsel ausschlaggebend gewesen sein.
    Man meint nämlich den Stimmungswechsel an den Börsen. Man meint das Hochschnellen der Börsenkurse. Und es heißt weiter:
    Der Besitz und der Erwerb von Aktien und sonstigen Wertpapieren war wieder zu einer Angelegenheit geworden, die unter mehr kaufmännischen Gesichtspunkten beurteilt wurde und die politische Ressentiments allmählich abstreifen konnte.
    Und dann kommt wieder etwas, worauf die Menschen in Westdeutschland achten müssen:
    Der Aktionär hatte seine Salonfähigkeit wiedergewonnen.

    (Hört! Hört! bei der KPD.)

    Meine Damen und Herren! Dieses kleine Heftchen wird noch deutlicher. Es heißt dann weiter:
    Dazu gesellte sich die wachsende Überzeugung, daß es der neuen Bundesregierung mit
    ihren Plänen zur Steuersenkung ernst sei. Das haben wir ja, wenn wir die gegenwärtige Vorlage betrachten, zur Genüge mittlerweile erfahren.

    (Zuruf von der KPD: Da liegt der Hase im Pfeffer!)

    Aber auch noch folgende Probleme, die uns in Westdeutschland so sehr bedrücken, werden in dieser Schrift der ehemaligen Commerzbank mit der gleichen rücksichtslosen Offenheit ausgesprochen, nämlich die Politik des Lastenausgleichs. Über diese Frage berichten die Verfasser der Schrift folgendermaßen:
    Auch die Durchführung des Lastenausgleichswurde mit mehr nüchternen Augen betrachtet. Manche Theoretiker hatten sich diesen in der primitiven Form vorgestellt, daß diejenigen, die noch etwas besaßen, hiervon einen bestimmten Teil - man dachte zeitweise an die Hälfte — an diejenigen abzugeben hätten, deren Vermögen oder sonstiges Besitztum der Krieg verschlungen hat. Es ist zwar längst Allgemeingut geworden, daß sich eine so gewaltige Vermögensabgabe nie in einem so kurzen Zeitraum mobilisieren läßt, sondern daß sie unter vernünftigen Maßstäben auf lange Jahre verteilt werden muß. Je tiefer man allmählich in diese Materie eindrang, um so mehr wurden die vorher übertriebenen Gedankengänge auf ein Maß zurückgeführt, das dem nüchternen Alltag standhält.
    Meine Damen und Herren! Dies ist wohl der beste Kommentar, den ich jemals zur Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gelesen habe.

    (Sehr richtig! bei der KPD.)

    Meine Damen und Herren! Ich habe mit Absicht gerade zu der gegenwärtigen Steuervorlage auch über diese Fragen gesprochen. Denn man kann nicht zur gegenwärtigen Steuervorlage sprechen, ohne ganz allgemein auch die Finanz- und Wirtschaftspolitik dieser Regierung gebührend zu brandmarken. Eine andere Möglichkeit gbit es für unser Volk nicht mehr.
    Diese Regierung hat einige Aufträge der Konzernherren übernommen. Sie hat erstens die Aufgabe übernommen, die volle Restaurierung der alten Konzerne und großen Gesellschaften in Politik und Wirtschaft vorzunehmen. Sie hat ferner noch die Verpflichtung übernommen, dafür Sorge zu tragen, daß den Monopolherren von Rhein und Ruhr ständig Gewinnanreize zur Verfügung stehen, damit die großen Konzerne an Rhein und Ruhr ihre alten Machtpositionen in der Wirtschaft wieder begründen können. Diese Regierung hat ferner gerade von diesen Kreisen den Auftrag erhalten alle Lasten des Krieges, alle Lasten der Währungsregelung und alle Lasten auch der Kolonialpolitik der ausländischen Machtherren in Westdeutschland aufs Volk abzuwälzen. Die Politik dieser Regierung ist ein einziger Beweis dafür, daß sie diesen ihren Auftrag getreulich bis zum letzten Komma erfüllt. Diese Regierung hat bis heute noch nicht, obwohl es im Währungsgesetz vorgeschrieben war, ein Lastenausgleichsgesetz verabschiedet. ' Diese Regierung hat bis zur Stunde immer noch nicht eine wahrhaft echte Flüchtlingshilfe beschlossen, um den Millionen Flüchtlingen in Westdeutschland endlich ein menschenwürdiges Dasein zu verschaffen. Diese Regierung weigert sich konstant unter Hinweis auf ihre finanziellen Verpflichtungen, den Opfern des Krieges und den Opfern des Bombenterrors. den Ausgebombten, angemessene Hilfe zu gewähren, damit sie sich wieder ein gesundes und ein frohes Leben aufbauen können. Dagegen aber ist die Regierung bereit, Erfüllungspolitik zu betreiben, sich Woche um Woche den Befehlen der Hohen Kommissare zu beugen und eine Politik der ständigen Unterordnung unter die Beschlüsse der Hohen Kommission zu betreiben. Sie trägt gerade mit dieser ihrer Politik dazu bei, daß das deutsche Volk einer weiteren Verelendung entgegensieht.
    Im Zusammenhang gerade mit dieser ihrer Politik muß man auch das Problem der Besatzungskosten sehen. Von dem Volkseinkommen in Höhe von 60 Milliarden nehmen die Besatzungsmächte 7,5 vom Hundert für ihre Zwecke in Anspruch. Dies entspricht der Leistung von 1,6 Millionen Erwerbstätigen im Bundesgebiet. Diese Gelder


    (Rische)

    des deutschen Volkes können nur deswegen in Anspruch genommen werden, weil die Regierung sich konstant weigert, sich dafür einzusetzen, daß endlich einmal ein Friedensvertrag abgeschlossen wird, daß endlich einmal eine gesamtdeutsche Regierung zustande kommt und daß endlich einmal die Unabhängigkeit des deutschen Volkes wiederhergestellt werden kann. Die Steuern und Besatzungskosten zeigen darum den werktätigen Massen in Westdeutschland die materiellen Lasten, die dank der Politik dieser Regierung und dank der Besatzungspolitik den westdeutschen Werktätigen aufgebürdet werden.
    Die Steuern, die durch diese Vorlage der Mehrheit des Bundestags erzwungen werden sollen, sind darum ein Tribut, den die Werktätigen, die Mittelständler und die kleinen Unternehmer an eine Regierung entrichten, die alles für die Millionäre tut, aber nichts für das Volk. Diese Steuern stärken die Position einer Regierung, die für die koloniale Unterdrückung und Belastung des deutschen Volkes, der deutschen Wirtschaft die Hauptverantwortung trägt. Jeder Pfennig, der dieser Regierung zufließt, richtet sich somit gegen die ureigensten Interessen des deutschen Volkes.
    Sie können von uns Kommunisten nicht erwarten, daß wir dieser reaktionären Steuervorlage die Zustimmung geben. Aber wir haben dennoch eine Reihe von Abänderungsvorschlägen auch zu dieser Steuervorlage der Regierung gemacht, um zum mindesten die berechtigten Interessen der Währungsgeschädigten, der Flüchtlinge, der Ausgebombten und der politisch Verfolgten dennoch zu sichern. Dabei wissen wir ganz genau, daß die Mehrheit in diesem Hause nicht bereit sein wird, unseren Anträgen ihre Zustimmung zu geben.
    Wir haben in unseren Abänderungsanträgen gemäß Drucksache Nr. 616 ganz klar und eindeutig verlangt, daß in Artikel I Ziffer 3 der §3 Ziffer 4 eine Fassung erhält, nach der die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, die Renten aus der Knappschaftsversicherung und die Renten, die auf Grund eines Versicherungsvertrages oder aus Unterstützungskassen gezahlt werden, in voller Höhe steuerfrei bleiben, wenn kein sonstiges Einkommen vorhanden ist. Meine Damen und Herren! Warum haben wir Kommunisten diesen Antrag gestellt? Weil wir der Auffassung sind und uns tagtäglich in der Praxis des Lebens bewiesen wird, daß gerade diese Kreise des westdeutschen Volkes in ihren Renten praktisch ihr einziges Einkommen haben. Wenn sie tatsächlich noch sonstige Bezüge haben, sind diese nur ein geringer Ersatz für die Schäden, die gerade diese Menschen haben hinnehmen müssen.
    Ein weiterer Antrag der KPD beschäftigt sich damit, daß die Weihnachtsgratifikationen und Jubiläumsgeschenke bis zum Betrage von 300 D-Mark steuerfrei bleiben sollen. Ich weise darauf hin, daß diese Regierung es ablehnte, den einstimmigen Beschluß des Hauses über die Steuerfreiheit dieser Beträge an den Bundesrat weiterzuleiten. Dieses Nichtweiterleiten muß man als eine Sabotage der Beschlüsse dieses Hohen Hauses bezeichnen,

    (Sehr wahr! bei der KPD)

    muß man auch als einen Verfassungsbruch brandmarken.
    Wir haben ferner vorgeschlagen, in Artikel I Ziffer 8 im § 7 e Absatz b (1) hinter „Gewerbetreibende" einzufügen: „die bis zu 50 Lohn- und Gehaltsempfänger beschäftigen." Wir sind für diese Begrenzung, weil wir nicht wollen, daß diejenigen, die auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen in der Lage sind, Kapital anzusammeln, durch dieses Gesetz Vergünstigungen erhalten. Wir sind aber für den vollen Schutz und sind auch für steuerliche Vergünstigungen bei jenen Kleingewerbetreibenden, die heute schon unter den Auswirkungen der Krise und des Marshall-Planes schwer zu leiden haben.
    Wir haben dann noch im Interesse der Flüchtlinge, politisch Verfolgten, Kriegsopfer und Sozialberechtigten vorgeschlagen, in Artikel I Ziffer 18 dem § 33 a Absatz 1 folgende Fassung zu geben:
    Bei politisch Verfolgten, bei Kriegsopfern und Sozialberechtigten, bei Flüchtlingen sowie bei Personen, die den Hausrat und die Kleidung infolge Kriegsschadens verloren haben und die dafür höchstens eine Entschädigung von 50 vom Hundert erhalten haben, wird auf Antrag ein Freibetrag in der vollen Höhe der tatsächlich getätigten Neuanschaffungen gewährt.
    Diese Kreise haben in den meisten Fällen keinerlei Einkommen. Sie sind so hart betroffen, daß sie nicht in der Lage sind, ihre durch Kriegseinwirkung verlorengegangenen Einrichtungen und Gegenstände zu ersetzen. Vielfach sind auch gerade diese Bevölkerungskreise von der Arbeitslosigkeit und von der Kurzarbeit besonders hart betroffen. Wir treten dafür ein, daß in dieser Steuergesetzgebung keinerlei Begrenzungen gegenüber diesen Bevölkerungskreisen enthalten sind.
    Schließlich haben wir Kommunisten uns die Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu eigen gemacht, eine höhere Steuerfreigrenze für die Werktätigen auch in diesem Gesetz zu erzwingen. Wir schlagen vor:
    Für die Steuerklassen II und III wird der Steuersatz der Ziffer 1 der Grundtabelle A mit den folgenden Maßgaben angewendet:
    a) 1500 D-Mark Jahresarbeitseinkommen des Steuerpflichtigen der Steuerklassen II und III bleiben steuerfrei.

    (Glocke des Präsidenten.)