Meine Damen und Herren! Der Herr Wirtschaftsminister hat erklärt, es sei üblich geworden, daß in Deutschland die Wirtschaftspolitik vom Balkon her gemacht würde. Ich weiß nicht, was er mit „Balkon" gemeint hat, ob er etwa dieses Hohe Haus damit meinte. Nach meiner Überzeugung ist dieses Hohe Haus jedenfalls die richtige Stätte, um Wirtschaftpolitik zu machen. Wir wollen doch nicht wieder in die Zeiten zurückfallen, in denen im geheimen Kämmerlein des Mumi, und wie ähnliche Geheimbezeichnungen hießen, Wirtschaftspolitik gemacht wurde und die Öffentlichkeit in der Wirtschaftspolitik gar nichts zu sagen hatte.
Ich halte es deshalb für richtig und angebracht, daß in diesem Hohen Hause die Grundzüge der Wirtschaftspolitik in allem Freimut aufgezeigt werden.
In den Ausführungen des Herrn Wirtschaftsministers scheint mir ein Punkt besonders wichtig zu sein, und das ist die mangelnde Konsequenz. Er hat erklärt, es käme nicht in erster Linie darauf an, neue Arbeitsplätze zu schaffen, und es käme in erster Linie darauf an, zu rationalisieren; denn es seien genügend Arbeitsplätze vorhanden, und diese müßten zunächst besetzt werden. Das war eine Zwischenbemerkung, die er in seinen Ausführungen machte. Etwas später hat er dann darauf hingewiesen, daß es darauf ankäme, möglichst viel Kapital zu investieren. Die beiden Gedankengänge widersprechen einander innerlich. Wenn es richtig ist, was wir annehmen, daß zur Zeit noch in weiten Industriezweigen genügend Arbeitsplätze vorhanden sind, die nur besetzt zu werden brauchten, dann ist auch das Mittel der Kreditschöpfung, wenn es in einem mäßigen und bescheidenen Umfang angewendet wird, durchaus unschädlich; denn mit dem Ansatz dieser Arbeiter in diesen Industriezweigen würden zugleich auch die Güter gebraucht werden, die in diesen Industrien erzeugt werden können. Daß diese Ansicht auch vom Herrn Wirtschaftsminister geteilt wird, ergibt sich aus der Tatsache, daß er in seinen Darlegungen ausgeführt hat, im ersten Jahr nach der Währungsreform seien 2,4 Milliarden Mark an Krediten geschöpft worden; und er hatte doch damals die Verantwortung für die Währung und weist doch auch immer darauf hin, daß er derjenige gewesen ist, der mit Erfolg die Gesundheit und Sicherheit der Währung verteidigt hat. Wenn das richtig ist und gleichzeitig 2,4 Milliarden Kredite ohne Gefahr für die Währung geschöpft werden konnten, dann sehe ich nicht ein, warum in der Zukunft nicht in einem entsprechend dosierten und bescheidenen Maße so verfahren werden könnte.
Die gleiche Feststellung hat er auch für das folgende Jahr, für 1949 getroffen, für das ebenfalls eine echte Kreditschöpfung in Höhe von ungefähr 1,2 Milliarden von ihm angegeben worden ist. Ich glaube deshalb, es ist keineswegs richtig zu sagen: wenn wir überhaupt nur etwas in dieser Hinsicht tun, um die Arbeitslosen an die Arbeit zu bringen, dann kommt nur noch das Gespenst der Inflation oder das Gespenst der Zwangswirtschaft in Frage. Die Zwangswirtschaft war 1945 doch nur ein Erbstück des Nationalsozialismus. Wer erinnert sich nicht daran, daß uns 1939, als der Krieg ausbrach, die Lebensmittelkarten fix und fertig ins Haus gebracht wurden.
Ein solches System, das dann noch durch die verworrenen Nachkriegsjahre weitergeschleppt wurde, kann man uns nicht als das System, das von irgendeinem Menschen in Deutschland hinterher gewollt und gewünscht worden sei, als Schreckgespenst an die Wand malen.
Worum es hier in Wirklichkeit geht, ist meiner Ansicht nach etwas ganz anderes, nämlich darum, daß wir die vorhandenen Kapazitäten, die auch nach dem Zugeständnis des Wirtschaftsministers vorhanden sind, wirklich voll ausschöpfen. Nur wenn wir das tun, können wir das gesamte Sozialprodukt so hoch treiben, daß damit auch die berechtigten Konsumwünsche der breiten Bevölkerung befriedigt werden können.
Es ist deshalb auch unrichtig, wenn der Herr Wirtschaftsminister auf seine Steuerpolitik hingewiesen hat. Nach den Vorschlägen des Herrn
Finanzministers sollen 850 Millionen D-Mark im kommenden Jahr an Steuerermäßigungen ausgeschüttet werden, ausgerechnet an diejenigen, die in den letzten Jahren zur Selbstfinanzierung in erheblichem Umfang Gelder übrig hatten, während weitere Steuerermäßigungen für die unteren Einkommensstufen nicht vorgesehen sind, mit der Behauptung, bei der Selbstfinanzierung sei von sich aus eine richtige Kapitallenkung gewährleistet, und mit der weiteren Behauptung, bei einer Stärkung der Konsumkraft sei eine richtige Kapitallenkung nicht möglich, insbesondere sei keine Stärkung des Sparwillens möglich. Wer sagt uns denn, daß das richtig ist? Wenn Sie sich einmal die Ladengeschäfte ansehen, in denen erheblich in ganz überflüssigen Luxuseinrichtungen investiert worden ist, dann sehen Sie doch, daß dieser Wille zur Selbstfinanzierung keineswegs der ideale Wille ist.
Der Herr Wirtschaftsminister hat selbst zugegeben, daß ein großer Teil unserer Wirtschaft noch unter wirtschaftsfremden, marktfremden Einflüssen steht. Er hat sich zwar heute zur Frage der Kartelle nicht geäußert; das hat er vor einigen Wochen getan. Aber auch die Tatsache, daß die Kartelle und Monopole die Preise noch künstlich hochhalten, zeigt uns deutlich, daß entsprechende Gewinne in der Wirtschaft entstehen, die auf alle Fälle, auch wenn sie an sich unproduktiv sind, untergebracht werden müssen. Das Problem ist von meinem Vorredner auch eingehend dargelegt worden.
Wir sind uns alle darüber klar, daß die Selbstfinanzierung mindestens ebenso große Fehler machen kann wie eine staatliche Kapitallenkung. Diese staatliche Kapitallenkung wird von dem Herrn Wirtschaftsminister auf weiten Gebieten ja bejaht. Die Mittel des Marshallplans sollen staatlich gelenkt werden. Wenn er in der Lage ist, diese Mittel staatlich zu lenken, so frage ich mich: warum will er dann nicht auch andere Mittel lenken können? Sonst müßte er sagen: auch diesen Teil kann ich nicht lenken, ich will sie dem Bankenapparat übergeben, und der soll sehen, wo er nach den klassischen Methoden des höchsten Zinses die Gelder los wird. Dann würde ich diese Ansicht als konsequent empfinden. So muß ich in diesem Punkt auch wieder mangelnde Konsequenz feststellen.
Wenn ferner von dem Herrn Wirtschaftsminister darauf hingewiesen worden ist, daß wir in Deutschland eine außerordentliche hohe Investitionsrate von 12 Prozent gegenüber von nur 11 Prozent in England gehabt haben und eine Konsumhöhe von nur 77 Prozent gegenüber 1936, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, so zeigt das doch, daß wir in Deutschland tatsächlich auf weiten Gebieten an Unterkonsum leiden. Was bedeutet es denn anderes, wenn heute Schuhfabriken zum großen Teil zur Kurzarbeit übergegangen sind? Heute mittag kam. im Radio durch, daß in der Gegend von Pirmasens 13 Schuhfabriken zur Kurzarbeit übergegangen sind und andere erhebliche Zahlen von Arbeitern entlassen haben. Wenn schon auf diesem. konsumnahen Sektor erhebliche Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit zu verzeichnen ist, so zeigt das doch, daß tatsächlich das gesamte Volkseinkommen der breiten Bevölkerungsschichten absolut zu niedrig ist und daß wir aus dieser Klemme der zu geringen Konsumversorgung auf der einen Seite und der immer noch nicht genügend großen Kapitalversorgung auf der anderen Seite nur dadurch herauskommen
können, daß das gesamte Sozialprodukt entsprechend gesteigert wird. Das ist möglich, da genügend oder jedenfalls noch zahlreiche Arbeitsplätze frei sind. Alle verfügbaren Mittel dafür einzusetzen, das heißt alle diejenigen Mittel, die möglich sind und die gleichzeitig mit ihrem Einsatz auch eine Produktion von Gütern gestatten, ist unser aller Aufgabe.
Ich bin deshalb der Ansicht, daß die Antwort des Herrn Wirtschaftsministers auf die Interpellation uns nicht befriedigen kann.