Meine Damen und Herren! Die öftere Wiederkehr der Debatten über Hilfsmaßnahmen für Berlin von diesem Platze aus könnte leicht die Vorstellung erwecken, als hätten Sie es mit einem Bittsteller zu tun, der von Tür zu Tür geht und um eine milde Gabe bittet,
von einem Ministerium zum andern und von einer Fraktion zur andern, um mit dieser milden Gabe noch einige Tage oder einige Wochen sein Leben zu fristen. Ich möchte diese Vorstellung gern aus Ihrem Gedächtnis streichen. Denken Sie lieber an einen immer noch kräftigen Arbeitsmann, der seine Arme und Hände gern rühren möchte, aber auf seinen Schultern eine ungeheure Last trägt, die ihn bis zur Erde niederbeugt. Wir möchten Sie bitten, diese Last lockern zu helfen. Nur darum handelt es sich. Wir appellieren, wie alle unsere Redner ausgeführt haben, an jene gesamtdeutsche Gesinnung, die wir eigentlich bei keiner Partei vermissen möchten, und es ist eine schmerzliche Enttäuschung, daß trotzdem — es sind nicht alle Bayern —, aber die sogenannte Bayernpartei
in jeder Art und Weise versucht, wenn nicht zu
verhindern, so doch mindestens zu verschleppen.
— Ich habe gemerkt, Herr Dr. Seelos, daß Sie auch geschäftsordnungsmäßige Spitzfindigkeiten in den Dienst dieser Tätigkeit stellen.
— Damit möchte ich mich nicht auseinandersetzen, sondern mit den Argumenten, die Sie vorbringen.
Die Rede, die heute so sachlich begann, leider aber einen unsachlichen Ausgang nahm,
ist in mancher Ihrer Behauptungen von uns zu korrigieren. Werter Herr Kollege, es ist nicht so, daß auf den Ruf der Berliner: „Helft mir!" immer der Bundestag schon am nächsten Tag gesprungen kam und half. Wir haben um das, was heute zur Entscheidung steht, dreieinhalb Monate lang gerungen, ehe es für dieses Haus beschlußreif wurde. Sie können auch die Bedenken zurückstellen, die Sie wegen einer unlauteren Konkurrenz haben, die aus der Umsatzsteuerermäßigung entstehen könnte. Was ist denn die Ursache dieser Vergünstigung? Die Gestehungskosten in Berlin sind heute wegen der Verkehrsschwierigkeiten und all der anderen Umstände, die Sie kennen, 9 bis 12 Prozent höher als im Westen Deutschlands. Durch die Umsatzsteuerermäßigung von 3 Prozent wollen wir diesen Gegensatz etwas mildern. Sollten dabei im Verkehr — welche Befürchtung Sie ausgesprochen haben — der Westsektoren mit dem Ostsektor und der Ostzone Unregelmäßigkeiten zu befürchten sein, so wird der Berliner Magistrat aus eigenem, aber auch auf Anruf durch Sie alles tun, um solche Unregelmäßigkeiten zu beseitigen. Sehen Sie, uns berührt es besonders eigentümlich, daß eine Partei, die trotz ihres föderativen Charakters doch immerfort mit Wünschen und Anträgen an den Bund tritt,
bei unserem Fall so wenig brüderlich deutsch, möchte ich sagen, handelt.
— Ja, das stimmt leider. Sie haben manchen Antrag für Ihre von mir anerkannten Notgebiete im Bayrischen Wald usw. gestellt. Haben Sie jemals gehört, daß ein Berliner Abgeordneter sich gegen Ihre Forderungen gewendet hätte, wie Sie es täglich tun?
Schon aus dieser Gegenüberstellung müßten Sie
eigentlich sehen, wie ungerecht Ihre Darstellung ist.
Meine Damen und Herren! Über dieses gesamtdeutsches Interesse hinaus bitten wir um die Erledigung dieser Beschlüsse, weil es auch aus anderen Gesichtspunkten nicht zu spät werden darf. Wenn einmal der Damm zerbricht, den Berlin heute bedeutet,
dann wird eine Flut alles niederreißen, was wir heute für Aufbau, für Frieden und für einen vielleicht wieder möglichen Wohlstand schaffen. Alles dies würde hinweggeschwemmt werden und nicht mehr wiederkommen.
Dann werden wir nicht mehr um Kriegsopfer- oder Flüchtlingsversorgung streiten können; dann sind wir und unsere Kinder vielleicht selber die Flüchtlinge, für die die Welt kein Asyl mehr hat. Es ist eine Schwäche des einzelnen Menschen und seiner Gesellschaft, oft die Entscheidungsstunde zu verpassen und nachher zu sagen: ach, hätte ich das gewußt! Vermeiden Sie diesen Fehler und helfen Sie rechtzeitig, an Stelle gewaltsamer Auseinandersetzungen die Abwehr mit gewaltlosen und unblutigen Mitteln durchzusetzen, die uns viel Schwereres ersparen wird.