Rede von
Artur
Stegner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Meine Freunde und ich bedauern außerordentlich, daß die Debatte um die Berlin-Gesetze jedesmal zum Gegenstand einer negativen politischen Polemik wird, während doch gerade das Problem Berlin die Einheit dieses Hohen Hauses auch nach außen hin in klarer Weise dartun sollte.
Das Problem Berlin gliedert sich für uns — und das lassen Sie mich abschließend mit ein paar Worten sagen — gewissermaßen in drei Stufen. Die erste ist die großpolitische Stufe, die der Herr Kollege Tillmanns bereits in positiver und der Herr Kollege Rische in, wie ich glaube, negativer Weise behandelt haben,
so daß ich mich darüber nicht mehr groß zu verbreiten brauche.
Der zweite Punkt ist der parteipolitische. Meine Damen und Herren, für uns ist West-Berlin auch ein demokratischer Staat, und wir glauben, daß die politischen Meinungsunterschiede am besten innerhalb dieses West-Berliner demokratischen Staates ausgetragen werden sollten. Dazu ist durch das Vorhandensein der Parteien und der Berliner Stadtverordnetenversammlung die Möglichkeit gegeben. Diese lokal-parteipolitischen Dinge sollten aber nicht in dieses Hohe Haus hineingetragen werden, da die Mehrzahl der Abgeordneten aus rein lokalen Gründen wahrscheinlich nicht in der Lage sein wird, den Dingen im einzelnen zu folgen und sie mangels dieser Kenntnis entsprechend zu würdigen. Ich meine, auch diesen Punkt könnten wir übergehen.
Der dritte, wichtige Punkt, mit dem sich unsere Gesetzgebung hier befaßt, ist aber die wirtschaftspolitische Seite. Meine Damen und Herren, wer während des Berlin-Besuches des Berlin-Ausschusses Gelegenheit hatte, sich mit den Dingen der West-Berliner Wirtschaft zu befassen, der weiß, daß die West-Berliner Wirtschaft durch die jüngste politische und wirtschaftspolitische Vergangenheit Berlins noch nicht wettbewerbsfähig geworden ist. Vergessen Sie nicht die schweren Luftangriffe, Totaldemontage, mehrere Währungsreformen, Blockade und Uraltkonten; das sind die Stationen
der Berliner Wirtschaft. Wenn daher Westdeutschland heute aus einer wirtschaftspolitischen Verantwortung glaubt, Erzeugnisse in Berlin herstellen lassen zu müssen, und wenn es dafür Steuererleichterungen gewährt, so ist das nur recht und billig. Ich darf Sie an die gestrige Debatte in diesem Hohen Hause erinnern, bei der sich, glaube ich, die Fraktionen aller Parteien über das Ziel klar waren: die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland muß beseitigt werden. In diesem Zusammenhang darf ich aber auch daran erinnern, daß Berlin prozentual die größte Arbeitslosigkeit aller Länder Westdeutschlands hat. Daher ist es selbstverständliche Pflicht, diese Wirtschaftshilfe zu leisten.
Lieber Kollege Besold, insofern ist die Lage des Berliner Notstandsgebietes eine andere als die von Gebieten innerhalb des Bundes. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß selbst die Allierten den Berliner Problemen, die durch die Blockade aufgeworfen worden sind, derartig viel Bedeutung beigemessen haben, daß sie eine Luftbrücke gigantischen Ausmaßes zur Erhaltung der West-Berliner Bevölkerung eingerichtet haben. Es ließen sich viele Beispiele dafür bringen. Ich verkenne absolut nicht die Wichtigkeit der anderen Notgebiete entlang der ganzen Demarkationslinie und oben in Schleswig-Holstein, aber ich glaube, Berlin müssen wir doch als einen Sonderfall ansehen. Dazu kommt, daß wir Deutsche die Verhältnisse in Berlin letzten Endes nicht geschaffen haben; das muß einmal ausgesprochen werden. Aber nachdem die Dinge nun einmal so liegen und nachdem die Berliner sich in ihrem schweren politischen, Wirtschaftspolitischen und persönlichen Kampf bewährt und auf uns verlassen haben, haben wir die Pflicht, diese Wirtschaftshilfe zu leisten.
Darüber hinaus ist auch anzunehmen, daß Berlin das mit seinen 21/2 Millionen Einwohnern doch ein recht beträchtliches Marktgebiet darstellt, bei einer Wiedergewinnung seiner Kaufkraft durch Beseitigung der Arbeitslosigkeit wirtschaftspolitisch auch wieder ein wertvoller Markt für Westdeutschland werden wird. Die Berliner Wirtschaft umfaßt ja nicht alle Zweige des täglichen Bedarfs oder auch nur alle Zweige ,der Investitionsindustrie, sondern nur ganz gewisse Gruppen. Die anderen Dinge müssen wir aus Westdeutschland liefern, und bei der Konsumtion dieser großen Stadt wind das einen wesentlichen Beitrag zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit auch hier bei uns darstellen. Berlin hat heute sein natürliches Absatzgebiet in seiner Umgebung verloren und muß sich daher einen neuen Markt in Westdeutschland erschließen. Aus dieser Verflechtung sollten wir lernen und sollten einsehen, daß die Wirtschaftshilfe, die wir heute leisten, nicht nur eine politische und nicht nur eine wirtschaftspolitische ist. Sie muß vielmehr diesen heute ganz natürlichen Zusammenhang fördern und soll über die Schwierigkeiten der Verkehrsverhältnisse hinweg zwischen den Menschen Berlins, der Ostzone und des Westens wieder ein persönliches und wirtschaftliches Band knüpfen.
In diesem Sinne bitten Sie meine Freunde und ich, dem Berlin-Gesetz in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen, damit wir den Wert dieser Berlinhilfe nicht durch unnütze Verzögerung abschwächen.