Rede von
Otto
Niebergall
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Die Lage der westdeutschen Landwirtschaft ist mehr als ernst. Der Kern des Problems der Landwirtschaft und der Fragen, die damit zusammenhängen, ist doch der: Ist die gegenwärtige Lage zeitbedingt? Wo liegen die Ursachen, die zu dieser Lage geführt haben, und was muß geschehen, um aus diesem Zustand herauszukommen? Der Antrag der CDU geht weder im ersten noch im zweiten Teil auf diesen Kern ein. Allerdings war der Herr Kollege Horlacher bemüht, in seinen Ausführungen einige dieser Fragen anzuschneiden, Ich will nicht gehässig sein; denn das, was er sagte, das sagen wir als Kommunistische Partei, als kommunistische Fraktion schon seit Monaten hinsichtlich des Marshallplans und der Liberalisierung.
Wie sieht es mit der Lage unserer Landwirtschaft im Westen aus? Die Auswertung der Buchführungsergebnisse von über 3000 landwirtschaftlichen Betrieben durch die VELF hat ergeben, daß der Reinertrag je Hektar im Jahre 1938/39 94 Mark und 1946/47 33 Mark betragen hat, im Jahre 1947/48 weiterhin stark gefallen ist und noch weiter fallen wird. Die Schere zwischen den Agrar- und Betriebsmittelpreisen sieht so aus, daß bei einem Index von 100 für das Jahr 1938 Ende 1949 ein Agrarindex von 1,61 einem Index des Betriebsaufwandes von 1,83 gegenübersteht. Die steuerliche Belastung der Landwirtschaft betrug im Durchschnitt der Jahre 1925-30 je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche 6 Mark; 1938/39 stieg sie auf 9 Mark, 1946/47 erreichte sie 63 Mark, und durch die Soforthilfeabgabe wird sie 1948/49 eine weitere Steigerung erfahren.
Wenn der Herr Kollege Horlacher feststellte, daß das Arbeitslosenproblem auch die Landwirtschaft erfaßt, so möchte ich darauf hinweisen: im ersten Halbjahr 1949 sind laut amtlicher Statistik 327 000 Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft entlassen worden oder freiwillig in die Industrie abgewandert. Die Abwanderung vom Lande — und zwar der familieneigenen und der fremden Arbeitskräfte — seit 1945 ist sehr groß und wird gegenwärtig mit 30 Prozent eingeschätzt.
Wir müssen als kommunistische Fraktion feststellen: dadurch daß die Ernährungswirtschaft in der Westzone auf die Hilfe des Auslandes abgestellt und den ausländischen Interessen untergeordnet wurde, ist eine gesunde Entwicklung zur Steigerung der Eigenerzeugung bewußt verhindert worden. Die Landwirtschaft ist schon seit Jahrzehnten das Stiefkind der gesamten Wirtschaft. Sie wurde durch den Marshallplan und insbesondere durch eine seiner Grundforderungen, der Liberalisierung des Handels, besonders schwer getroffen und wird weiter schwer angeschlagen werden. Was haben der Marshallplan und die Liberalisation des Handels gebracht? Darüber einige Beispiele. Nach amtlichen Feststellungen waren 1949 ein Drittel der Eigenerzeugung an Gemüse unverkäuflich. 1949 wurde die Anbaufläche von Gemüse bereits um 32 Prozent verringert. Auf einer Tagung südostbayerischer Gärtner in Rosenheim erklärte der erste Vorsitzende des Verbandes, Senator Baur, daß gegenüber der 1933 getätigten Gemüseeinfuhr von 162 000 Tonnen Gemüse für das Gesamtreich nach
gegenwärtigen Plänen allein für Westdeutschland jährlich bis zu 300 000 Tonnen eingeführt werden. Die Einfuhrpolitik der gegenwärtigen Regierung gefährdet nicht nur die Existenz von 205 000 Gärtnern aufs ernsteste, sondern weiterer 500 000 Menschen, die in der 'deutschen Gemüseproduktion Arbeit und Brot finden. Der Handelsvertrag, der soeben mit Frankreich abgeschlossen wurde, unterstreicht diese Tatsache aufs drastischste. Wir als kommunistische Fraktion sind für Handelsverträge, aber für solche, die auf Gegenseitigkeit beruhen und die keinen diskriminierenden Charakter haben.
Durch noch vorhandene Verpflichtungen von der JEIA hier sind wir in Westdeutschland gezwungen, Fische aus dem Ausland zu beziehen. Mit einem Betrag von mehr als 4 Millionen DM müssen wir das subventionieren, während unsere eigene Industrie fast stilliegt.
Wohin hat uns die Liberalisation des Handels geführt? Während unsere Weinbauern um Absatz ringen, werden große Mengen Wein aus Frankreich legal und illegal nach Deutschland hereingeschleust. Hinzu kommt, daß, wie uns aus der Pfalz berichtet wird, auf besonderem Wege lebendes Vieh ohne Einhaltung von Seuchenvorschriften eingeführt wird.
Die Lage der deutschen Landwirtschaft kann nach unserer Auffassung nur geändert werden, wenn die Spaltung Deutschlands überwunden und die Einheit Deutschlands wieder hergestellt wird. Die Lage kann nur gebessert werden, wenn landwirtschaftliche Produkte nach den Bedürfnissen der deutschen Bevölkerung eingeführt werden und wenn wir besonders mit solchen Ländern in verstärkte Handelsbeziehungen treten, die bereit sind, unsere Industrieprodukte abzunehmen und zur Erhaltung der Kaufkraft der arbeitenden Massen beizutragen. Die Lage kann nach unserer Auffassung nur gebessert werden, wenn insbesondere dem Bauern langfristige Kredite zu niedrigen Zinssätzen zur Verfügung gestellt werden. Denn nach den Berechnungen der Bauernverbandsführung sind in den Westzonen Milliarden notwendig, um unsere Landwirtschaft gegenüber der ausländischen Konkurrenz widerstandsfähig zu machen. Die Lage kann nur gebessert werden, wenn eine Korrektur der landwirtschaftlichen Steuergesetzgebung in der Richtung einer progressiven Staffelung der Steuern vorgenommen wird. Die Lage unserer Landwirtschaft kann nur gebessert werden, wenn die derzeitige Wirtschafts- und insbesondere die Landwirtschaftspolitik in Westdeutschland, die die Produktionssteigerung unmöglich macht, geändert wird. Das ist aber nach unserer Auffassung nur möglich, wenn die Masse der betroffenen Bauern im Bunde mit der Arbeiterschaft und den übrigen Werktätigen den konsequenten Kampf gegen die Politik der Versklavung und Knechtung aufnimmt.