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ID0103406800

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    Deutscher Bundestag — 34. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Februar 1950 1059 34. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 2. Februar 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . 1059D, 1104D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Behandlung wiederkehrender Leistungen bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen (Drucksache Nr. 445) in Verbindung mit der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzen über die Aufhebung vois Vorschriften auf dem Gebiet des Handelsrechts, des Genossenschaftsrechts und des Wechsel- und Scheckrechts (Handelsrechtliches Bereinigungsgesetz) (Drucksache Nr. 447) und der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Kraftloserklärung von Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldbriefen in besonderen Fällen (Drucksache Nr. 458) und der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt (Drucksache Nr. 446) . 1060A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 1060B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer (Drucksachen Nr. 484 und 395) . . . . . . . . . 1061A Frau Dr. Probst (CSU), Berichterstatterin 1061B, 1063C Dr. Krone (CDU), Berichterstatter . . . . . . . . . . 1063B Arndgen (CDU) 1063D, 1073D Bazille (SPD) 1064D, 1070D Storch, Bundesminister für Arbeit . . . . . . . . 1066D, 1071C Renner (KPD) . . . 1067B, 1074B, 1078A Dr. Seelos (BP) . . . . . . . 1063C Mende (FDP) 1069A Krause (Z) 1070A Dr. Leuchtgens (DRP) 1072B Löfflad (WAV) . . . . . . . 1073A Frau Kalinke (DP) 1073C Leddin (SPD) 1076D Dr. Wellhausen (FDP) 1077B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1077C Dr. von Brentano (CDU) 1078D Beratung 'des Antrags der Abgeordneten Dr Horlacher, Bauereisen, Strauss und Genossen betr. Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft (Drucksache Nr. 428) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der BP betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes (Drucksache Nr. 381) 1079D Dr. Horlacher (CSU), Antragsteller 1079D, 1102B, 1103C Dr. Baumgartner (BP), Antragsteller . . . . . . . . 1084C, 1103C Dr. Niklas, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1087D Kriedemann (SPD) 1091D Niebergall (KPD) 1094C Mensing (CDU) 1095C Frühwald (FDP) . . . . . . . . 1096D Dr. Leuchtgens (DRP) 1098D Dr. Glasmeyer (Z) 1099C Bauknecht (CDU) . . . . . . . . 1100B Dr. von Merkatz (DP) 1101C Renner (KPD) (zut Geschäftsordnung) 1103D Dr. Schmid (SPD) (zur Geschäftsordnung . . . . . . . 1104B Nächste Sitzung 1104D Die Sitzung wird um 13 Uhr 40 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Herbert Kriedemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es richtiger ist, ein wenig tiefer in die Materie einzusteigen, wenn wir uns mit ,den Maßnahmen zu beschäftigen haben werden, die zu ergreifen mit dem Antrag Drucksache Nr. 428 die Regierung aufgefordert wird. Ich möchte mich, deshalb heute nur mit einem Teil der Fragen beschäftigen und dazu ein paar kurze Bemerkungen machen.
    Ich bin mit dem Herrn Kollegen Horlacher durchaus einer Meinung, daß die Landwirtschaft einen gewissen Anspruch darauf hat, auch mit in den Kreis der Betrachtungen volkswirtschaftlicher Natur einbezogen zu werden. Ich teile seine Bedenken, ob das bereits in ausreichendem Maße geschieht. Man sollte die Landwirtschaft schon deshalb in den Kreis der volkswirtschaftlichen Überlegungen einbeziehen, weil es zwischen ihr und praktisch allen Deutschen in diesem Raum in ihrer Eigenschaft als Verbraucher ohnehin nach eine Reihe von sehr engen Verbindungen gibt, die manchmal gar nicht mehr erwähnt werden. Wir haben gerade bei unserer grundsätzlichen Kritik an der Wirtschaftspolitik — nicht erst in diesem Hause, auch schon am Anfang dieser Sorte von Wirtschaftspolitik in Frankfurt - immer mit zwei Argumenten gegen die sogenannte freie Wirtschaft operiert. Das eine dieser Argumente bezog sich auf die .Landwirtschaft. Wir haben unter anderem sehr rechtzeitig


    (Kriedemann)

    darauf aufmerksam gemacht, daß die deutsche Landwirtschaft wieder einmal in der Gefahr ist, die Zeche für wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen zahlen zu müssen. Das passiert ihr zwar nicht zum ersten Male in Deutschland, aber sie hat sich trotzdem noch nicht daran gewöhnt. Es wundert uns gar nicht, wenn jetzt aus den Kreisen der Landwirtschaft mehr und mehr Kritik an der Wirtschaftspolitik geübt wird, die man einmal mit großer Freude begrüßt hat und die man schlechtweg „freie Wirtschaft" nennt. Ich möchte mit allem Nachdruck das Wort unterstreichen, das der Herr Minister gesagt hat, daß in der Landwirtschaft sehr gründlich geplant werden müsse. Inzwischen dürfte sich überall schon herumgesprochen haben, was moderne Volkswirtschaftler unter Planung verstehen und daß das nichts mit Bezugscheinen und ähnlichen Dingen zu tun hat. Aber das will ich im einzelnen nicht weiter ausführen.
    Die Landwirtschaft befindet sich in einer Krise – das ist ganz ohne Zweifel —, und vielleicht erkennt sie selber noch nicht einmal das ganze Ausmaß der Gefahr. Ich glaube allerdings, daß dabei auch eine geistige Krisis der politischen, gesellschaftlichen Kräfte in Erscheinung tritt, die sich so professionell immer zum Sprecher der Landwirtschaft aufgeworfen haben. Das scheint mir daran deutlich zu werden, daß man der Landwirtschaft heute im Grunde nichts anderes anzubieten hat als das, was man ihr immer angeboten hat. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, vom Wiederaufbau ,der deutschen Landwirtschaft zu reden, schon deshalb nicht, weil die Landwirtschaft selber am besten weiß, daß es ihr niemals wirklich, so von innen heraus, gut gegangen ist. Die Jahre der Rüstungskonjunktur und die Hungerjahre haben das so ein bißchen überdeckt. Aber kaum ist das vorbei, schon treten all die Schwierigkeiten mit aller Deutlichkeit und mit ihrem ganzen Gewicht wieder in Erscheinung. Deswegen sollte man sich schon mit dem Gedanken vertraut machen, daß hier manches auch der ,Struktur nach geändert werden muß. Die land- wirtschaftliche Krise von heute ist doch nur die Folge einer durch Jahrzehnte hindurch verfehlten Wirtschafts- und Agrarpolitik, in der es zwar an großen Worten zum Troste der Landwirtschaft, auch an kleinen Geschenken nicht gefehlt hat, aber wirksame Maßnahmen sind nicht ergriffen worden. Das Tragische ist für mein Gefühl, daß sich das unter Umständen abspielt, die den Fernerstehenden die Bedeutung der Angelegenheit nur schwer erkennbar werden lassen. Das scheinbar gesicherte Leben auf den Bauernhöfen, der Besitz an sich erweckt so überall den Eindruck, als ob da alles in Ordnung sei, als ob den Leuten überhaupt nichts passieren könne. Ich glaube, daß auf allen Bänken dieses Hauses diejenigen, die etwas mehr von den Dingen wissen, die doppelte Verpflichtung haben, hier auszusprechen, was ist. Ich bedaure sehr, daß ich das in der ziemlich aufgeregten Agrardebatte der letzten Wochen eigentlich nicht mit der nötigen Deutlichkeit gehört habe. Im Gegenteil, mir scheint, daß man bereit ist — ich lasse ganz dahingestellt, ob mit Absicht oder aus Versehen, vielleicht auch aus einer gewissen Denktradition —, der Landwirtschaft einzureden, als sei ihr Übel aus einem Punkte zu kurieren und als sei dieser eine Punkt eben die Liberalisierung.
    Dieses Verfahren, das sehr bequem sein mag, hat meiner Ansicht nach zwei große Gefahren: eine Gefahr für den Bauern, daß er nämlich leicht all die anderen Dinge übersieht, die für ihn viel wichtiger, die von einer bleibenden Bedeutung sind, und die Gefahr bei dem Verbraucher, daß der dauernde Hinweis auf die Liberalisierung und die sich daraus zum Schutz der Landwirtschaft ergebenden Forderungen ihn auf den Gedanken bringen, daß man seine Preise unter allen Umständen hochhalten will. Man kann es den Leuten mit einem viel zu kleinen Einkommen nun einmal nicht übelnehmen, daß sie nicht immer Zeit und Lust haben, lange volkswirtschaftliche Überlegungen anzustellen und nach den Zusammenhängen zu suchen. Auf Grund der Tatsache, daß manche Dinge erschwinglicher geworden sind, haben die Leute wahrscheinlich eine ziemliche Sympathie für das Wort „Liberalisierung", und man kann es ihnen nicht übelnehmen, wenn sie bei einer noch so berechtigten Sorge um eine Entwicklung, wie wir sie in den letzten Tagen auf dem landwirtschaftlichen Gebiet und gerade bezüglich der Preise gesehen haben, sich das Leben ihrerseits einmal etwas leichter machen wollen.
    Es kann nicht übersehen werden, daß wir heute mehr unter einem Unterverbrauch als unter einer Überproduktion leiden, und wenn es auch vielleicht nicht beliebt ist, das immer wieder auszusprechen, so ist es doch eine Tatsache. Ich erwähne sie nicht, um hier alte Wunden aufzureißen oder sonst irgend jemandem unangenehm zu werden. Unsere Verbraucher haben ein viel zu geringes Einkommen

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und sind deshalb nicht in der Lage, die Preise zu bezahlen, die die Landwirtschaft braucht, um wirklich produzieren zu können. Es hat keinen Sinn, darüber hinwegzugehen, und wenn man nun versucht, an dem Problem mit der Kritik an der Liberalisierung vorbeizukommen, dann, glaube ich, ist das nicht der richtige Weg. Wir sollten uns doch darüber klar sein, daß die Kunst leider noch nicht erfunden ist, zwar den anderen alles das zu verkaufen, was man gern los sein möchte, aber am liebsten gar nichts mit nach Hause zu bringen, und wenn wir uns die Lösung der landwirtschaftlichen Krisis zu einseitig nach dieser Seite hin vorstellen, dann, fürchte ich, werden wir auch in Deutschland selbst Stimmen wachrufen, die sich nicht als Stimmen von Verbündeten der Landwirtschaft herausstellen werden. Unser Industrieexport ist — das wissen wir alle — außerordentlich schwierig. Wir selber haben das größte Interesse daran, ihm nicht noch Hindernisse in den Weg zu legen. Es wird sehr viel darüber geredet werden - und ich fürchte, die Landwirtschaft hat dann leider nicht die stärksten Kräfte einzusetzen ob .denn die Berücksichtigung dieser oder jener landwirtschaftlichen Forderung eine notwendige oder vielleicht überflüssige Behinderung deutscher industrieller Exportmöglichkeiten ist. Weil die Landwirtschaft dann viele Verbündete braucht und wirklich auf keinen einzigen verzichten sollte, sollte das ruhig einmal so offen ausgesprochen werden.
    Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen die Courage aufbringen, auch unsere Landwirtschaft mit all den Konsequenzen aus


    (Kriedemann)

    dem verlorenen zweiten Weltkrieg bekanntzumachen.

    (Abg. Dr. Horlacher: Allen muß das plausibel gemacht werden und nicht nur der Landwirtschaft!)

    - Ich will es auch den anderen Leuten einmal sagen. Je eher wir damit anfangen, desto schneller kommen wir voran und desto weniger Zeit wird verwirtschaftet; von dem knappen Faktor Zeit wird ja heute viel zuviel vertan. Unsere Landwirtschaft muß konkurrenzfähig werden; aber das kann natürlich, nicht auf Kosten der Verbraucher geschehen.
    Meine Freunde und ich haben bei der Frage des Butterpreises noch einmal ganz deutlich gemacht, wie sehr uns daran liegt, für die Landwirtschaft Preise zu erzielen, die die aufgewendete Arbeit lohnend machen und die überhaupt erst die Fortsetzung der Produktion ermöglichen. Kein einziger Mensch mit einem bißchen Verantwortungsgefühl kann sich darüber freuen, wenn durch einen völlig unkontrollierten Ablauf der Wirtschaft in allen ihren Phasen und nicht nur im Export die Preise einen solchen Tiefstand erreichen, daß eine Produktion einfach nicht mehr möglich ist. Man kann es aber, wie gesagt, den Verbrauchern nicht übelnehmen, wenn sie diese Zusammenhänge nicht immer sofort in vollem Umfange einsehen, und es ist ja leider Tatsache — diese Tatsache beschwert, glaube ich die ganze Diskussion —, daß die große Masse der Verbraucher in Deutschland einige Erfahrungen damit hat, wie man mit hohen Preisen den Versuch macht, irgendwelche Kriegsschäden oder Kriegsfolgen oder sonst etwas zu überwinden. Man kann es den Verbrauchern nicht zumuten — bitte, verstehen Sie es nicht falsch; die Herren, die mich aus der Ausschußarbeit kennen, werden Ihnen da vielleicht etwas anderes sagen —, daß sie die Landwirtschaft großhungern oder daß es so aussieht, als sollten sie das tun. Gerade weil mir klar ist, daß wir zum Schutz der Landwirtschaft und zu ihrer Entwicklung das Mitgehen des ganzen Volkes brauchen, liegt mir so sehr viel daran, hier nicht noch neue Mißverständnisse zwischen Erzeuger und Verbraucher entstehen zu lassen und die alte Kluft nicht noch mehr zu vertiefen. Ich fürchte, wir sind in dieser Gefahr. Wir werden den Verbraucher bei all dem, was die deutsche Landwirtschaft noch zu leisten hat, nicht mitbekommen, wenn wir ihm nicht das Gefühl geben, daß auch seine Interessen in vollem Umfange beachtet werden. Wir brauchen Preise, die die Produktion ermöglichen; wir müssen aber auch Abnehmer in ausreichender Zahl haben, die diese Preise anzulegen imstande sind. Ich bin überzeugt davon, daß sich in der Gestaltung des Milch- und Butterpreises noch herausstellen wird, wie recht wir hatten, als wir damals sagten: man kann eine solche Rechnung nicht nur bis zu einem gewissen Punkt führen, bis zu dem Punkt, an dem der richtige Butterpreis errechnet ist, sondern man muß über diesen Punkt hinaus weiterrechnen, um festzustellen, ob dann auch genügend Leute da sind, die diese Butter abnehmen können. Heute ist das gerade noch der Fall. Ich fürchte sehr — und ich fürchte es wegen der Landwirtschaft; denn wenn ich nicht an sie dächte, brauchte ich mich nur zu freuen -, daß wir in sehr kurzer Zeit diesen Punkt überschritten haben, und dann nützt es gar nichts, daß man einen Preis festgesetzt hat. Es war eben nur eine halbe Maßnahme.
    Hier ist mit großem Nachdruck darauf hingewiesen worden, wie man in England mit den
    Dingen fertig wird. Ich will auf diesen Punkt
    nicht sehr weit eingehen, sondern mir nur die
    eine Bemerkung erlauben, daß es der englischen
    Regierung zweifellos gelungen ist, die landwirtschaftliche Erzeugung außerordentlich zu steigern. Wir wissen alle, was das für den inneren
    Ausgleich einer Volkswirtschaft bedeutet. Wir
    sollten nicht vergessen, daß es dabei ganz mit
    rechten Dingen zugegangen ist, ohne jeden Spuk
    und ohne jede Zauberei. Man hat sich entschlossen, im ganzen eine Steuerpolitik und eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die es der Regierung
    eben ermöglicht haben, der Landwirtschaft ausreichende und anreizende Preise zu bieten, ohne
    daß deswegen der breiten Masse der Bevölkerung der Brotkorb höher gehängt werden muß.

    (Zuruf in der Mitte: Vergessen Sie nicht die Dollaranleihen!)

    - Ich vergesse nicht die Dollars und vergesse keineswegs die Dollaranleihen. Ich sehe alle diese Details auch.

    (Zuruf in der Mitte: Aber das ist die Grundlage!)

    Sie werden mir aber zugeben, daß auf dem Gebiet der Subvention der Landwirtschaft und der Subvention der Lebensmittelpreise die Dollarhilfe ganz sicherlich nicht eingesetzt worden ist. Vielleicht können wir uns darüber einmal an anderer Stelle unterhalten.
    Noch ein kurzes Wort! Ich glaube, wir sollten uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß die Schwierigkeiten groß sind und daß das, was unserer Landwirtschaft jetzt bevorsteht, nicht damit erledigt werden kann, daß wir jetzt einmütig der Landwirtschaft erklären: wir werden dich schütren, wir werden alles von dir abhalten, was mindestens unbequem ist. Wir werden ihr besser die ganze Wahrheit sagen, daß sie in einer außerordentlich großen Gefahr ist, die sie nur durch cine sehr große Anstrengung der ganzen Volkswirtschaft überwinden kann, die daran interessiert ist, aus der Landwirtschaft ein gesundes Glied werden zu lassen, weil keine Volkswirtschaft funktionieren kann, die ein Stück mit sich schleppt, das nicht in Ordnung ist.
    Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir deshalb zuletzt ein sehr offenes Wort. Ich glaube, jedem sollte es bewußt sein, daß die deutsche Landwirtschaft im politischen Leben unseres Volkes niemals so an dem rechten Platz gestanden hat. Die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte war gar nicht daran interessiert, die deutsche Landwirtschaft etwa so zum Funktionieren und zur wirtschaftlichen Gesundung zu bringen, wie es in anderen Ländern um uns herum glücklicherweise gelungen war. Die Landwirtschaft war ganz nützlich als so ein von Angst und Schrecken zusammengehaltener großer Block, der in der Politik notwendigerweise — na, sagen wir es einmal vornehm — retardierend wirken mußte. Alle die Mittelchen, die man früher einsetzen konnte, sind jetzt nicht mehr zur Verfügung. Wenn wir an die Arbeit gehen, werden wir wahrscheinlich schnell einsehen, wie eng begrenzt auch unsere Möglichkeiten auf den Gebieten der Zollgesetzgebung, der Einfuhrbeschränkung, der Einfuhr-


    (Kriedemann)

    schleuse usw. sind. Daß wir keineswegs grundsätzlich gegen solche Methoden sind, haben wir, glaube ich, schon in der Frankfurter Periode bewiesen. Alle die Damen und Herren, die sich an jene Zeit erinnern können - das wird mir wahrscheinlich auch der Herr Minister ausdrücklich bestätigen —, wissen, daß wir - ich will nicht sagen, daß wir es allein waren — jedenfalls doch mit unserem ganzen Gewicht sehr wesentlich mitgeholfen haben, dieses Importausgleichsgesetz durchzuziehen, und daß wir erst dadurch den Herren auf der anderen Seite des Hauses, die von landwirtschaftlichen Dingen genug verstanden, die Möglichkeit gegeben haben, dann auch mit den Widerständen in ihren Reihen fertig zu werden. Wenn es aber in dieser Frage nicht zu einer sehr sachlichen Arbeit kommt, fürchte ich, daß darunter nicht nur die Landwirtschaft, sondern unser ganzes armes Volk leiden wird. Kein Problem eignet sich weniger dazu, irgend jemand etwas zu versprechen, was man sowieso nicht halten kann, als etwa die gegenwärtige Not unserer Landwirtschaft.
    Ich weiß dabei, daß auch auf der Verbraucherseite eine Menge Leute sitzen, die sich einfach nicht vorstellen können, daß es da eine Not gibt. Aber es gibt eine Agrarnot. Es wäre bedauerlich, wenn durch eine Fortsetzung jener Sorte von Agrarpolitik, die ich vorhin gekennzeichnet habe, die etwas verspricht und mit kleinen Geschenken um die Freundschaft wirbt, die Landwirtschaft daran gehindert werden sollte, auch in Deutschland die Kur durchzumachen, die ,die Landwirtschaft in anderen Ländern durchgemacht hat, die man ihr hier aber aus sehr naheliegenden Gründen ersparen wollte, was eigentlich die Ursache dafür ist, daß sie jetzt so wenig gerüstet in die Probleme unserer Tage hineingeht, daß sie so in eine sich völlig neuordnende Welt hineingeht und man dabei so tut, als wären wir noch, ich weiß nicht wo im. Ablauf der Geschichte. Hier sollte jeder Kampf vermieden werden, weil eben nur eine gemeinsame Anstrengung es zuwege bringen wird, das Versäumte nachzuholen. Ich bin mir klar darüber, daß die Landwirtschaft große eigene Anstrengungen machen muß und daß niemand bereit sein wird, diesem armen Volk, das ohnehin schon schwer um seine Existenz kämpft, nun auch noch für die Erhaltung irgendwelcher liebgewordener Gewohnheiten Opfer zuzumuten; das wird nicht in Frage kommen. Die Landwirtschaft wird aber mit noch so großen eigenen Anstrengungen nicht in der Lage sein, auf eine volkswirtschaftliche Leistung zu verzichten. Wenn aber dieser Weg nicht gefunden wird und es zu einem offenen Kampf zwischen den Verbrauchern und den Erzeugern, wenn es zu einem offenen Interessenkonflikt zwischen denen kommt, die jede Exportchance um jeden Preis wahrnehmen wollen, dann wird die deutsche Landwirtschaft der Preis sein, der dafür zu zahlen ist. Das kann kein vernünftiger Mensch wünschen, das muß jeder vernünftige Mensch fürchten. Denn bei aller Bereitwilligkeit, die hoffentlich niemandem fehlt, zu einem größeren europäischen Wirtschaftsraum zu kommen, müssen wir auch unsere eigene Volkswirtschaft intakt zu halten versuchen, und eine gesunde, leistungsfähige, wirtschaftlich stabile Landwirtschaft ist dazu eine der wesentlichsten Voraussetzungen.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niebergall.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Otto Niebergall


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Die Lage der westdeutschen Landwirtschaft ist mehr als ernst. Der Kern des Problems der Landwirtschaft und der Fragen, die damit zusammenhängen, ist doch der: Ist die gegenwärtige Lage zeitbedingt? Wo liegen die Ursachen, die zu dieser Lage geführt haben, und was muß geschehen, um aus diesem Zustand herauszukommen? Der Antrag der CDU geht weder im ersten noch im zweiten Teil auf diesen Kern ein. Allerdings war der Herr Kollege Horlacher bemüht, in seinen Ausführungen einige dieser Fragen anzuschneiden, Ich will nicht gehässig sein; denn das, was er sagte, das sagen wir als Kommunistische Partei, als kommunistische Fraktion schon seit Monaten hinsichtlich des Marshallplans und der Liberalisierung.
    Wie sieht es mit der Lage unserer Landwirtschaft im Westen aus? Die Auswertung der Buchführungsergebnisse von über 3000 landwirtschaftlichen Betrieben durch die VELF hat ergeben, daß der Reinertrag je Hektar im Jahre 1938/39 94 Mark und 1946/47 33 Mark betragen hat, im Jahre 1947/48 weiterhin stark gefallen ist und noch weiter fallen wird. Die Schere zwischen den Agrar- und Betriebsmittelpreisen sieht so aus, daß bei einem Index von 100 für das Jahr 1938 Ende 1949 ein Agrarindex von 1,61 einem Index des Betriebsaufwandes von 1,83 gegenübersteht. Die steuerliche Belastung der Landwirtschaft betrug im Durchschnitt der Jahre 1925-30 je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche 6 Mark; 1938/39 stieg sie auf 9 Mark, 1946/47 erreichte sie 63 Mark, und durch die Soforthilfeabgabe wird sie 1948/49 eine weitere Steigerung erfahren.
    Wenn der Herr Kollege Horlacher feststellte, daß das Arbeitslosenproblem auch die Landwirtschaft erfaßt, so möchte ich darauf hinweisen: im ersten Halbjahr 1949 sind laut amtlicher Statistik 327 000 Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft entlassen worden oder freiwillig in die Industrie abgewandert. Die Abwanderung vom Lande — und zwar der familieneigenen und der fremden Arbeitskräfte — seit 1945 ist sehr groß und wird gegenwärtig mit 30 Prozent eingeschätzt.
    Wir müssen als kommunistische Fraktion feststellen: dadurch daß die Ernährungswirtschaft in der Westzone auf die Hilfe des Auslandes abgestellt und den ausländischen Interessen untergeordnet wurde, ist eine gesunde Entwicklung zur Steigerung der Eigenerzeugung bewußt verhindert worden. Die Landwirtschaft ist schon seit Jahrzehnten das Stiefkind der gesamten Wirtschaft. Sie wurde durch den Marshallplan und insbesondere durch eine seiner Grundforderungen, der Liberalisierung des Handels, besonders schwer getroffen und wird weiter schwer angeschlagen werden. Was haben der Marshallplan und die Liberalisation des Handels gebracht? Darüber einige Beispiele. Nach amtlichen Feststellungen waren 1949 ein Drittel der Eigenerzeugung an Gemüse unverkäuflich. 1949 wurde die Anbaufläche von Gemüse bereits um 32 Prozent verringert. Auf einer Tagung südostbayerischer Gärtner in Rosenheim erklärte der erste Vorsitzende des Verbandes, Senator Baur, daß gegenüber der 1933 getätigten Gemüseeinfuhr von 162 000 Tonnen Gemüse für das Gesamtreich nach


    (Niebergall)

    gegenwärtigen Plänen allein für Westdeutschland jährlich bis zu 300 000 Tonnen eingeführt werden. Die Einfuhrpolitik der gegenwärtigen Regierung gefährdet nicht nur die Existenz von 205 000 Gärtnern aufs ernsteste, sondern weiterer 500 000 Menschen, die in der 'deutschen Gemüseproduktion Arbeit und Brot finden. Der Handelsvertrag, der soeben mit Frankreich abgeschlossen wurde, unterstreicht diese Tatsache aufs drastischste. Wir als kommunistische Fraktion sind für Handelsverträge, aber für solche, die auf Gegenseitigkeit beruhen und die keinen diskriminierenden Charakter haben.
    Durch noch vorhandene Verpflichtungen von der JEIA hier sind wir in Westdeutschland gezwungen, Fische aus dem Ausland zu beziehen. Mit einem Betrag von mehr als 4 Millionen DM müssen wir das subventionieren, während unsere eigene Industrie fast stilliegt.
    Wohin hat uns die Liberalisation des Handels geführt? Während unsere Weinbauern um Absatz ringen, werden große Mengen Wein aus Frankreich legal und illegal nach Deutschland hereingeschleust. Hinzu kommt, daß, wie uns aus der Pfalz berichtet wird, auf besonderem Wege lebendes Vieh ohne Einhaltung von Seuchenvorschriften eingeführt wird.
    Die Lage der deutschen Landwirtschaft kann nach unserer Auffassung nur geändert werden, wenn die Spaltung Deutschlands überwunden und die Einheit Deutschlands wieder hergestellt wird. Die Lage kann nur gebessert werden, wenn landwirtschaftliche Produkte nach den Bedürfnissen der deutschen Bevölkerung eingeführt werden und wenn wir besonders mit solchen Ländern in verstärkte Handelsbeziehungen treten, die bereit sind, unsere Industrieprodukte abzunehmen und zur Erhaltung der Kaufkraft der arbeitenden Massen beizutragen. Die Lage kann nach unserer Auffassung nur gebessert werden, wenn insbesondere dem Bauern langfristige Kredite zu niedrigen Zinssätzen zur Verfügung gestellt werden. Denn nach den Berechnungen der Bauernverbandsführung sind in den Westzonen Milliarden notwendig, um unsere Landwirtschaft gegenüber der ausländischen Konkurrenz widerstandsfähig zu machen. Die Lage kann nur gebessert werden, wenn eine Korrektur der landwirtschaftlichen Steuergesetzgebung in der Richtung einer progressiven Staffelung der Steuern vorgenommen wird. Die Lage unserer Landwirtschaft kann nur gebessert werden, wenn die derzeitige Wirtschafts- und insbesondere die Landwirtschaftspolitik in Westdeutschland, die die Produktionssteigerung unmöglich macht, geändert wird. Das ist aber nach unserer Auffassung nur möglich, wenn die Masse der betroffenen Bauern im Bunde mit der Arbeiterschaft und den übrigen Werktätigen den konsequenten Kampf gegen die Politik der Versklavung und Knechtung aufnimmt.