Meine Damen und Herren! Meine Freunde hatten nicht erwartet, daß man sich im sogenannten ERP-Ausschuß mit dem materiellen Inhalt des Gesetzes, mit dem zweiseitigen ERP-Abkommen grundlegend beschäftigen wird. Dieses zweiseitige Abkommen ist ein Befehl.
— Sie wissen das ganz genau, daß es sich hier nur um einen Befehl handelt, den Sie nur entgegennehmen konnten.
Nach den Lobgesängen des Harvard-Professors Dr. Baade — ich hatte den Eindruck, daß er seine damalige Rede vor den Honoratioren in USA hier wiederholte —
bin ich gezwungen, wenigstens ein paar Wermuttropfen in diesen Hoffnungswein des Marshallplans hineinzuschütten.
Etwas, meine Damen und Herren, zum materiellen Inhalt und wirtschaftspolitischen Hintergrund des zweiseitigen sogenannten ERP-Abkommens. Diesen ERP-Vertrag können Sie nur dann verstehen — seine Bedeutung und auch seine Auswirkung auf die deutsche Wirtschaft —, wenn Sie sich einmal Klarheit über den gegenwärtigen Stand der kapitalistischen Weltwirtschaft, über die schon rasanten Auswirkungen der Krise verschaffen wollen. Die Washingtoner Regierungskreise hatten ursprünglich die Hoffnung, diese Krise in den USA mit Hilfe des Marshallplanes und der bekannten Rüstungsprogramme abwenden zu können. Aber, meine Damen und Herren. das ist diesen Herren, wie Sie selber wissen, nicht gelungen.
Einige Beispiele zur gegenwärtigen Lage in den USA, die man hier wohlweislich verschweigt. Die Lieferaufträge für Betriebsausrüstungen sind in den USA stark zurückgegangen. Der Rückgang belief sich im Jahre 1949 auf 26 Prozent. Zur Zeit können 600 000 Automobile in den USA nicht abgesetzt werden, und dafür sucht man hier in Europa einen Markt. Meine Damen und Herren! Die Schulden in den USA steigen. Die Gesamtschuldsumme der Privatpersonen stieg von 1945 bis 1948 von 55,4 Milliarden Dollar auf 84,6 Milliarden Dollar, etwas, was Sie, meire Herren von der Rechten, im Zuge der Durchführung der amerikanischen Wirtschaftspolitik demnächst auch in Deutschland zu erwarten haben. Hinzu kommt die Absatzsenkung in den Warenhäusern, die im vergangenen Jahre 12 bis 14 Prozent betragen hat, und zwar bei vollen Magazinen. Das, Herr Professor Baade, ist das Bild von der amerikanischen Prosperität. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter in den USA schätzt man zur Zeit schon auf 8 bis 9 Millionen, und in der übrigen kapitalistischen Welt zählt man heute insgesamt 40 Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiter.
Das Hauptmerkmal der gegenwärtigen Lage in Europa ist: zu wenig Export, zu viel Import. Die Passivspitze der Handelsbilanz aller marshallisierten Staaten erreichte im zweiten Quartal des Jahres 1949 die Höchstsumme von 1,6 Milliarden Dollar. Davon entfällt allein auf den Handel mit den .USA eine Milliarde Dollar. Nach einer Meldung der „New York Times" vom 23. Dezember 1949 liegen allein in den 4 Marshallplanländern Westeuropas gegenwärtig Produktionskapazitäten von 6 Millionen Tonnen Stahl brach, davon allein über 3 bis 4 Millionen Tonnen Stahl in Westdeutschland.
Das ist, meine Damen und Herren, in kurzen Zügen die Lage des kapitalistischen Teiles der gegenwärtigen Weltwirtschaft. Über den anderen Sektor, über den sozialistischen und fortschrittlichen Sektor der Weltwirtschaft, brauche ich hier keine großen Ausführungen zu machen,
da sein wirtschaftlicher Aufschwung und die dort erzielten Erfolge schon die ganze fortschrittliche Welt begeistern.
Bei dieser Lage — hören Sie nur gut zu! — war es durchaus verständlich, daß Mr. Hoffman im Oktober in Paris neue Forderungen stellte, um den bankrotten Marshallplan zu retten und neue Profitmöglichkeiten für die krisenerschütterte USA-Wirtschaft zu finden. Er hat dabei das System der Liberalisierung ausgedacht. Er will damit den Marshallplan, das große Geschäft, noch einmal retten. Daß es sich um ein Geschäft, um ein sehr gutes Geschäft handelt, meine Herren von der CDU, mußte sogar Ihre eigene Zonenzeitung, die „Allgemeine Kölnische Rundschau", in ihrem Wirtschaftsteil erst kürzlich zugeben. Hier schreibt man darüber unter der Überschrift „270 Millionen Kunden" und gibt eine Äußerung von Mr. Hoffman wieder:
Schon heute, hat Hoffman gesagt, habe das Hilfsprogramm bereits bemerkenswert hohe Dividenden abgeworfen, und wenn es Europa gelinge, mit Hilfe des ERP, des Europäischen Hilfsprogramms, seine Grundprobleme zu lösen und sich zu einem bedeutenden Abnehmer der industriellen und landwirtschaftlichen Erzeugnisse der USA zu entwickeln, so würden sich die Marshallplan-Investitionen noch besser verzinsen. Es habe 350 bis 380 Milliarden Dollar gekostet, um den Krieg zu gewinnen. Wenn es jetzt gelinge, mit nur 15 Milliarden Dollar den Frieden und außerdem 270 Millionen Kunden für die USA zu gewinnen, so werde der Beweis erbracht sein, daß der Marshallplan das größte Geschäft der Weltgeschichte war.
So geschrieben in Ihrer eigenen Zeitung; ich frage dafür nicht die Verantwortung. Aber der Redakteur hatte, unter uns gesagt, recht.
Es ist bekannt, daß schon der Gegensatz zwischen den USA und England stark im Anwachsen ist. Cripps sieht nur noch einen Ausweg, um der Dollar- und Marshallisierung Englands zu entgehen, nämlich die Bildung eines sogenannten Nordblocks gegenüber Fritalux und sonstigen Gebilden, die in Westeuropa auf Befehl Wallstreets errichtet werden sollen. Cripps hat bekanntlich für 50 Prozent Liberalisierung gestimmt und wollte damit einer hundertprozentigen Liberalisierung für England entgehen.
Die Folgen der Liberalisierung für Westdeutschland hat Kollege Seelos vorhin mit beredten Worten von dieser Stelle aus dem Hohen Hause zur Kenntnis gegeben. Die allgemeinen Bedenken sind auch uns bekannt, und wir können nur sagen: das, was Sie hier ausgeführt haben, stimmt; Sie haben recht. Was wird nun aber infolge der Liberalisierungsmaßnahmen in Westdeutschland zwangsläufig eintreten müssen? Es wird Strukturveränderungen ganz radikaler Art geben. Die Landwirtschaft wird unter den Auswirkungen der Liberalisierung besonders zu leiden haben; aber auch in der westdeutschen Wirtschaft wird sich das Gesetz der stärkeren ökonomischen Macht durchsetzen,
und dies Gesetz wird heute von Wallstreet diktiert. Auf Grund der liberalisierten Handelsverträge mit Holland, Schweden und der Schweiz wurden bis Ende November 1949 Einfuhrbewilligungen im Werte von 300 Millionen Dollar erteilt. Ergebnis: Wir sind heute diesen Ländern gegenüber verschuldet. Der Handel mit den westeuropäischen Ländern passiviert sich mehr und
mehr, obwohl gerade der Handel mit diesen Ländern vor dem Kriege einen ständigen Exportüberschuß von einer Milliarde Mark einbrachte. Das dürfte Ihnen ebenfalls sehr gut bekannt sein.
Für Westdeutschland bedeutet also die Liberalisierung nach einer Außerung des bekannten „Handelsblatts" in Düsseldorf vom 7. Dezember 1949 den Abbau des deutschen Exportüberschusses der vergangenen Jahre. Ein Beispiel dafür! Die Einfuhr im Oktober 1949 gegenüber September ist um 24 Prozent, und zwar von 554 Millionen D-Mark auf 769 Millionen D-Mark gestiegen. Der Dollarwert der Einfuhr stieg gegenüber September um rund 22 vom Hundert. Dagegen können wir einen Rückgang der Einfuhr hei Rohstoffen und Halbwaren feststellen. Es gibt eine Äußerung von Mr. Hoffman und es gibt eine andere Äußerung von Mc Cloy. Dort wird ganz klar gesagt: Ja, die Amerikaner sind daran interessiert, daß die europäischen Staaten mehr Waren nach den USA ausführen. Aber um welche Waren handelt es sich? Es handelt sich um Rohstoffe. Denken Sie sich nun aber einmal aus, was Sie mit Rohstofflieferungen an die amerikanische Wirtschaft für die europäische Wirtschaft erreichen können! Sie werden erreichen, daß die Rohstoffe in Form von Fertigwaren nach Westeuropa zurückkommen. Und das nennt man dann — das ist eine alte Weisheit in der Wirtschaftsgeschichte — Kolonialisierungsmethoden. Die Ausfuhr, nach dem Dollarwert berechnet, ist im Monat September bereits um 6 Prozent zurückgegangen.
Meine Damen und Herren! Ich will es mir versagen, auf die weiteren Folgen der Liberalisierung in diesem Hohen Hause aufmerksam zu machen; es hat gar keinen Zweck. Sie sind durch Worte nicht zu überzeugen; Sie sind schließlich und endlich nur durch die Taten von Wallstreet und durch die Taten des deutschen Volkes zu überzeugen. Sie müssen halt warten. bis Ihre Wirtschaft, die nun einmal mit der Wirtschaft in Amerika verbunden werden soll, als Krisenpuffer unter den Schlägen der Wirtschaftskrise zusammenbrechen wird.
Meine Herren! Mr. Hoffman hat mit seinem Faustschlag auf den Konferenztisch in Paris sich den europäischen Markt erobert. Sie werden nun gleich durch die Ratifizierung des zweiseitigen ERP-Abkommens dazu mithelfen, daß Wallstreet in Westeuropa keinerlei Hindernisse mehr vorfinden wird. Sie sind dann, ob Sie es wollen oder nicht, am Niedergang Westeuropas mitschuldig. Sie sind mitschuldig am Untergang der westeuropäischen Kultur.
Sie sind mitschuldig daran, daß Wallstreet in Westdeutschland triumphiert. Die Auswirkungen des Marshallplans auf Westdeutschland sind Ihnen doch selbst bekannt: 1,8 Millionen Arbeitslose uni schätzungsweise 800 000 Kurzarbeiter. Unsere Regierung sah sich bereits gezwungen, ein Kollegium von fünf Ministern zum Studium des Arbeitslosenproblems zu bilden. Ich mache der Regierung demgegenüber einen Vorschlag. Benennen Sie bitte diesen Ausschuß: Ausschuß zum Studium der Auswirkungen des Marshallplans.
Ich habe versucht, Ihnen unsere grundsätzlichen Bedenken gegen diesen sogenannten zweiseitigen ERP-Vertrag darzulegen. Wir sind uns dessen ge-
wiß, daß uns die westdeutschen Werktätigen verstehen werden. Genau so gut sind wir uns dessen gewiß, daß in diesem Verstehen die Front der unterdrückten Völker in England, in Frankreich und in Italien mit uns marschiert.
Und diese Front ist stärker als Wallstreet. Diese Menschen in Westeuropa, die gegen den amerikanischen Versklavungsplan antreten, werden den Herren von Wallstreet ihre Antwort nicht schuldig bleiben.
Die internationale Front des Anti-Marshallplans wird letzten Endes siegen. Wir lehnen es aus nationalen
und internationalen Erwägungen ab,
einer Ratifizierung des Versklavungsplans zuzustimmen. Die Verantwortung dafür tragen Sie allein.