Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 24. Januar findet in Hannover ein Prozeß gegen acht Deutsche statt, die angeklagt sind, weil sie in einer Zeitung, der „Niedersächsischen Volksstimme", einen Artikel gegen die Demontage in Watenstedt-Salzgitter veröffentlicht haben. Angeklagt ist bezeichnenderweise nicht nur der verantwortliche Chefredakteur, sondern angeklagt sind entgegen jedem deutschen Brauch, in der deutschen Pressegeschichte einzig dastehend, sogar der Verleger und der Drucker der Zeitung.
Es geht hier nicht nur darum, daß es das Recht und die Pflicht jedes Deutschen ist, gegen die Demontage anzukämpfen, sondern es geht darüber hinaus um eine prinzipielle Frage. Mit diesem Prozeß in Hannover soll ein Präzedenzfall geschaffen werden. Ich möchte daran erinnern, daß auch schon andere Zeitungen in die Gefahr kamen, wegen eines Artikels gegen die Demontage, wie jetzt die Redakteure, Verleger und Drucker der „Niedersächsischen Volksstimme", angeklagt zu werden. Was heute dieser Zeitung der „Niedersächsischen Volksstimme" passiert, kann morgen einer anderen Zeitung geschehen.
Sie werden sich erinnern, daß im September 1949 die restlichen Lizenzbestimmungen aufgehoben wurden, auch in der britischen Zone. Damals sprach man von Sicherung der Pressefreiheit und von Übergabe der gesamten Presseregelung in deutsche Hände. Das zu glauben, war ein sehr schwerer Irrtum, eine falsche Darstellung der tatsächlichen Lage. Leider ist damals selbst die Presse auf diese Darstellung hereingefallen. In Wirklichkeit handelt es sich bei dieser „Pressefreiheit" und „Pressegestaltung" darum, daß unter dem Vorwand der Übergabe der gesamten Pressegestaltung
an deutsche Organe die Hohe Kommission neue
Gesetze für die Presse diktierte. Ich meine das
Gesetz Nr. 5 der Hohen Kommissare, das Bestimmungen über Bestrafung der Presse, Drucker und
Verleger vorsieht, wie wir sie in Deutschland selbst
unter Bismarck und Brüning niemals kannten;
ein Novum in der Geschichte der deutschen Presse.
— Ich werde gleich dazu kommen!
Die Anklage gegen diese acht Deutschen stützt sich auf dieses Gesetz Nr. 5 der Hohen Kommissare und außerdem für den Fall, daß dieses Gesetz nicht ausreichen sollte, auf ein Gesetz der britischen Militärregierung aus dem Jahre 1944.
— Gestatten Sie, ich werde Ihnen das gleich erklären! — Dieses Gesetz wurde 1944 erlassen, zu einer Zeit, als die Briten Deutschland noch nicht besetzt hatten, und zwar vorbeugend gegen die Werwolf-Untergrundbewegung. Heute sehen wir, daß es den Zweck verfolgt, gegen die demokratische Presse angewandt zu werden.
Nach Artikel 2 dieses Gesetzes Nr. 5 vom 21. September 1949 können jeder Unternehmer, jeder Verleger und jeder Drucker bestraft werden. Es kann ihnen, wie das jetzt in Hannover geschieht, ein Prozeß gemacht werden, wenn sie nach Meinung eines niederen Militärgerichts das Ansehen der Besatzungsmacht irgendwie gefährden. Über die Gefährdung dieses Ansehens der Besatzungsmacht entscheidet also das niedrigste Militärgericht. Nach Artikel 9 und 11 desselben Gesetzes kann jedes Eigentum, das zur Herstellung einer beanstandeten Zeitung benutzt wurde, beschlagnahmt werden, ganz gleich, wem dieses Eigentum gehört. Das ist in der deutschen Pressegeschichte nie dagewesen. Ich kann nur daran erinnern, daß bisher in Deutschland für die Gestaltung und den politischen Inhalt einer Zeitung der Redakteur verantwortlich war, niemals aber der Drucker, niemals der Verleger und niemals der, der die Zeitung vertreibt. Die ganze deutsche Pressegestaltung wird durch derartige Gesetze — wie das Gesetz Nr. 5 — auf den Kopf gestellt.
Eine weitere, sehr ernste Frage erhebt sich aber, wenn dieser Prozeß durchgeht, wenn ein solcher Präzedenzfall exerziert wird, die Frage nämlich: Was wird die Folge sein, wenn selbst Drucker und Verleger bestraft werden? Der Drucker und der Verleger einer Zeitung werden sich in Zukunft sichern müssen, das heißt sie werden in Zukunft Kontroll- und Zensurrechte über die Presse verlangen müssen, um sich vor Bestrafung zu schützen; sie müssen vorher den politischen Inhalt der Zeitung kontrollieren. Wozu brauchen wir dann noch Redakteure? Wozu ist dann noch der verantwortliche Redakteur da?
Unseres Erachtens kann nach der traditionellen Regelung der Verantwortung für eine Zeitung in Deutschland nur der Redakteur für seine Zeitung verantwortlich sein, niemals der Drucker und Verleger. Wenn man ihn schon zur Verantwortung ziehen zu müssen glaubt, so kann das nach unserer Meinung nur vor einem deutschen Gericht geschehen. Ich glaube, unter diesen Gesichtspunkten, die ich Ihnen kurz erläutert habe, ist es notwendig, gegen diesen Prozeß, der ein Präzedenzfall ist, Stellung zu nehmen.
Aber der Fall hat noch eine andere Seite. Unter den acht Angeklagten befindet sich ein Abgeordneter, der Abgeordnete des Niedersächsi-
sehen Landtages, Lehmann. Dieser Abgeordnete ist trotz seiner Immunität vor das niedere Militärgericht zitiert worden. Er ist zur ersten Verhandlung nicht erschienen. Darauf hat man ihn mit Verhaftung bedroht. Der Niedersächsische Landtag, der zuständig ist, stellte sich grundsätzlich in einer Stellungnahme auf den Standpunkt, daß der einzelne Abgeordnete keine Verfügungsgewalt über die Frage der Wahrung oder Preisgabe der Immunität habe. Der Niedersächsische Landtag stellte sich auf den Standpunkt, daß die Immunität ausschließlich das Vorrecht des Parlaments ist. Das ist die prinzipielle allgemeine Stellungnahme des Landtages.
Zu dem konkreten Fall des Abgeordneten Lehmann nahm der Landtag besonders Stellung. Er brachte zum Ausdruck, daß der Abgeordnete Lehmann nicht das Recht habe, vor dem Militärgericht zu erscheinen. Trotz dieses Landtagsbeschlusses, trotz einer weiteren gleichen Stellungnahme des Ältestenrats des Landtages will das niedere Militärgericht diesen Abgeordneten zwingen, seine Pflicht als Abgeordneter gegenüber dem eigenen Parlament zu verletzen.
Meine Damen und Herren, die Immunitätsfrage ist im Grundgesetz geregelt. Im Grundgesetz ist ebenfalls im Artikel 28 festgelegt, daß die Regelung der Immunitätsfrage in der Ländern analog der im Bundestag erfolgt. Zwar ist im Besatzungsstatut festgelegt, daß Angehörige, Angestellte und Vertreter der alliierten Streitkräfte vor deutschen Gerichten die Immunität genießen. Aber diese Bestimmung des Besatzungsstatuts kann doch wohl von der Hohen Kommission oder irgendeinem Militärgericht nicht so ausgelegt werden, daß die Immunität deutscher Abgeordneter vor Militärgerichten nicht gilt. Ich will auch nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, daß in Verbindung mit dem Prozeß in Hannover in Kreisen des Landeskommissars für Niedersachsen und, wie ich heute hier gehört habe, aus Kreisen der Vertreter der Hohen Kommission geäußert wurde, daß auch Abgeordnete für ihre Reden in Parlamenten vor Militärgerichten zur Verantwortung gezogen werden können. Ich stelle die Frage: wozu dann noch das Grundgesetz? Wozu ist dieses Grundgesetz von den damaligen Militärgouverneuren unterschrieben worden, wenn man es durchbricht?
Diese Tatsachen zeigen Ihnen den ganzen Ernst der Lage und die Bedeutung einer Stellungnahme gegen diesen Prozeß in Hannover. Es geht also bei unserm Antrag um die elementarsten Rechte der Presse und um das Recht der vom Volk gewählten Abgeordneten. Deshalb bitten wir Sie, unserm Antrag zuzustimmen.