Meine Damen und Herren! Über die Genesis der Stadt Watenstedt-Salzgitter ist genug gesprochen worden. Mich als den dort gewählten Abgeordneten interessiert es viel mehr, was heute ist.
Das, was der Herr Arbeitsminister Storch gesagt hat, kann ich wohl nicht als eine Antwort bzw. als eine Vorwegnahme der Erklärung der Regierung ansehen, die ja erst nach dem 31. Januar erfolgen soll. Ich muß aber in diesem Zusammenhang auf einige Dinge hinweisen, die bei der Betrachtung des ganzen Problems unbedingt erörtert werden müssen.
Der Redner der Nationalen Rechten hat davon gesprochen, daß im Petersberg-Abkommen die trage der ehemaligen Reichswerke nicht zufriedenstellend gelöst werden konnte. Meine Damen und Herren, es ist notwendig, einmal darauf hinzuweisen, daß es der höchste Repräsentant der Bundesrepublik gewesen ist, der in Hannover ausgeführt hat, dab Watenstedt-Salzgitter ein Opfer gebracht habe. Ich könnte diese Worte in einer anderen Zusammenstellnung in den Satz zusammenfügen — und ich glaube, daß ich dabei durchaus im Recht bin -, nämmlich in den Satz, daß Watenstedt-Salzgitter geopfert worden ist.
Meine Damen und Herren, ich muß daran erinnern, daß auf der Liste der Betriebe, über die auf dem Petersberg verhandelt worden ist, ursprünglich bezeichnenderweise die Reichswerke Watenstedt-Salzgitter nicht nur an letzter Stelle standen, sondern daß — wieder bezeichnenderweise — nur ein einziger Teil des Betriebs als Objekt der Verhandlungen vorgesehen war.
Das war derjenige Teil, der den Namen „Krupp-Rennanlage" trägt. Das ist der einzige Teil dieses Riesenwerkes, der nicht Bundesbesitz, sondern Privatbesitz ist,
der überhaupt nicht in Betrieb und nur von zwei Nachtwächtern bewacht ist.
Diesen Teil des Betriebs wollte der Herr Unterhändler auf dem Petersberg aus den Verhandlungen herausgenommen wissen.
Meine Damen und Herren, nach dem Abkommen vom Petersberg hat der Hohe Kommissar Sir Briand Robertson eine Pressekonferenz abgehalten und hat dabei — ich zitiere hier den Bericht der „Welt" — gesagt, daß die Reichswerke Watenstedt-Salzgitter gar nicht in der Lage seien, produktiv, das heißt wirtschaftlich zu arbeiten. Mit diesem Argument können wir uns hier nicht auseinandersetzen. Ich darf nur feststellen, daß die Wirtschaftlichkeit eines Stahlwerks, das vor etwa 10 Jahren erstellt worden ist, dadurch unter Beweis gestellt wurde, daß dasselbe Stahlwerk von demselben Erbauer in England erbaut worden ist, um dieselben „armseligen" sauren Erze zu verhütten.
— Er hat dieselben sauren Erze.
— Meine Herren, Sie scheinen zu denjenigen zu
gehören — ich bin kein Stahlfachmann, aber es gibt in Ihrem Kreise Stahlfachleute genug —, die heute noch meinen, man solle ruhig auf die „armseligen" sauren Erze verzichten. Das würde allerdings das wirkliche Todesurteil für Watenstedt-Salzgitter bedeuten. Die Tendenzen gehen jedenfalls auch dahin.
Meine Damen und Herren, in dem zweiten Teil der Ausführungen, wie sie in dieser Zeitungsnotiz über die Pressekonferenz des Hohen Kommissars Robertson berichtet werden, war ein weiterer sehr aufschlußreicher Satz enthalten, nämlich: Für die Erhaltung der ehemaligen Reichswerke Watenstedt-Salzgitter wurden von dem deutschen Unterhändler keine durchschlagenden wirtschaftlichen Gründe vorgebracht.
Ich weiß nicht, ob ich das noch zu kommentieren habe. Eine Woche darauf wurde in dem „Industriekurier", einer immerhin nicht ganz unbekannten Zeitung, unter dem 1. Dezember ein Interview des Arbeitsministers Storch auf der ersten Seite unter der Überschrift gebracht: Die Wahrheit über Salzgitter. In diesem Interview hat nach der Zeitung Industriekurier" der Herr Arbeitsminister Storch gesagt, daß all die Gerüchte über die katastrophalen Auswirkungen der Demontage in Watenstedt-Salzgitter keineswegs zutreffend seien.
Ich glaube. dem Herrn Arbeitsminister ist, als er in Watenstedt-Salzgitter gewesen ist, etwas anderes berichtet und eine andere Meinung vorgetragen worden. Der Herr Arbeitsminister hat die Meinung vertreten, daß seine Darlegungen von der Presse entstellt worden seien. Meine Damen und
Herren, ich muß doch einmal auch als Pressemann sagen, daß mit der Methode, die Presse unter allen Umständen und bei jeder Gelegenheit zum Prügelknaben zu machen, aufgehört werden muß. Es geht nicht an, wenn irgendeine Sache schief gelaufen ist, immer wieder zu sagen: Der betreffende Journalist hat mich falsch verstanden. In diesem Fall ist es sogar so, daß nicht nur ein Journalist, sondern einige Journalisten die schriftlich herausgegebenen Äußerungen des Herrn Arbeitsministers Storch mißverstanden haben müßten.
In diesem Artikel sind noch manche Dinge enthalten, über die zu reden wäre. Aber ich glaube, man kann bei gegebener Gelegenheit, das heißt also nach dem 31. Januar dieses Jahres, noch darauf zurückkommen. Es ist, um nur eines herauszunehmen, auch nicht richtig, wie der Herr Arbeitsminister nach dem Artikel gesagt hat, daß die Arbeitslosigkeit in der Stadt Watenstedt-Salzgitter lediglich auf die Demontagen der letzten Zeit zurückzuführen wäre, vielmehr darauf, daß seit 1945 in diesem Betrieb überhaupt nicht mehr gearbeitet worden sei. Ich will hier nicht untersuchen, wer diejenigen sind, die dafür verantwortlich gewesen sind, daß nicht sofort wieder mit produktiver Arbeit dort begonnen wurde.
Man könnte sie mit Namen nennen. Vielleicht ist es der Herr ehemalige Generalmanager und spätere Treuhänder der Reichswerke Watenstedt-Salzgitter gewesen, der nicht dafür gesorgt hat.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat gesagt, daß, wenn die vier Hochöfen erhalten bleiben, das heißt: auch der Hochofen Nr. 5 der Hochofengruppe, die vier Hochöfen umfaßte, dann die Möglichkeit bestünde, die Belegschaft an der Arbeit zu erhalten bzw. sie noch zu vergrößern. Das ist leider nicht richtig. Ich muß auch hier wieder an die Stahlfachleute appellieren und sie fragen, ob es möglich ist, bei einer arbeitenden Hochofengruppe durch die Hinzunahme eines letzten, noch nicht arbeitenden Hochofens, wie neulich durch die Zeitung ging, zehntausend Menschen mehr zu beschäftigen. Das ist natürlich — ich finde keinen rechten parlamentarischen Ausdruck dafür —, wir wollen einmal sagen: reichlich übertrieben.
Der Herr Bundesminister Storch hat darauf hingewiesen, die Gestehungskosten der Reichswerke für Umschmelzeisen seien derart hoch, daß dieses Eisen nur mit Verlust verkauft werden könnte. Das ist momentan richtig. Das liegt aber daran, daß die weiterverarbeitende Industrie nicht den Preis zahlt, den sie zahlen könnte. Den könnte sie aus dem einfachen Grund zahlen, weil ich Ihnen die Zahlen nennen kann, die das Umschmelzeisen dort kostet — nicht in Watenstedt-Salzgitter — und wo dieser Preis noch höher liegt als der Preis, den man den Reichswerken Watenstedt-Salzgitter überhaupt zubilligt.
Der Herr Bundesminister hat weiter gesagt, es sei einzig und allein richtig, das dort in einer Menge von zwei Milliarden Tonnen anstehende Erz an Ort und Stelle zu verhütten. Das ist rich, tig; das ist notwendig. Aber wenn es wirtschaftlich geschehen soll, dann muß dieses Erz nicht nur verhüttet werden, sondern dann muß es auch zu Stahl weiterverarbeitet werden, und das ist das Entscheidende. Es ist eben nicht so, Herr Arbeitsminister, wie im „Industriekurier" geschrieben wurde. daß nur das Walzwerk und das Stahlwerk demontiert worden seien und daß die Gießerei und die Schmiede erhalten bleiben. Die Schmiede ist eine leere Halle. und die zweite Halle der Schmiede dient jetzt ganz anderen Zwecken.
Was in Watenstedt-Salzgitter nottut, das ist erstens, daß die Bundesregierung sich ganz energisch — und ich darf wohl mit Recht sagen: energischer als bisher — dafür einsetzt, daß die Restbestandteile des Werkes, wie sie noch stehen, erhalten bleiben. Weiterhin muß die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß, wie von einem meiner Herren Vorredner ausgeführt wurde, endlich einmal dieser Goldgräberstadt die kommunalpolitische Erstausstattung gegeben wird.
— Das ist nicht nur Landessache, das ist darum Bundessache, weil der Bund nicht nur Besitzer, sondern weil der Vorgänger des Bundes, das weiland entschlafene Großdeutsche Reich, der Ersteller dieser Stadt gewesen ist. Die kommunalpolitische Erstausstattung ist aber nur ein Teil der notwendigen Dinge, die dort geschaffen werden müssen.
Notwendig ist weiter, daß Industrien angesiedelt werden, Industrien, die in der Lage sind, die dort vorhandenen Arbeitskräfte wirklich aufzunehmen, das heißt also, nicht nur Schwerindustrien, sondern auch Leichtindustrien, die die zahlreich vorhandenen jüngeren und weiblichen Arbeitskräfte, die, wie meine Frau Vorrednerin sagte, zum Teil durch den starken Flüchtlingszustrom vorhanden sind, beschäftigen können. Es geht nicht so, wie hier gesagt wurde, daß man vielleicht die dort anwesenden Arbeitskräfte einfach abtransportieren kann. Die Rednerin, die das vorschlug, hat zugleich
gesagt, daß es nicht möglich ist, weil 12 500 Wohnungen vorhanden sind und weil schließlich Watenstedt-Salzgitter nicht zum Bundesarmenhaus gemacht werden kann. Denn diese Wohnungen müßten eines Tages doch benutzt werden.
Der Redner der Deutschen Rechtspartei hat gesagt, er habe damals angesichts der Ergebnisse des Petersberg-Abkommens hier kritisiert, daß die Reichswerke Watenstedt-Salzgitter nicht darunter seien. Das mag wohl stimmen. Derselbe Redner hat aber nicht, nachdem er so protestiert hat, dem Protestantrag meiner Fraktion, nämlich der Regierung für diese mißlungenen Verhandlungen das Mißtrauen auszusprechen, zugestimmt,.
Es wird noch manches über Watenstedt-Salzgitter gesagt werden müssen, wenn die Regierung ihre endgültige Antwort gibt. Notwendig ist es jedenfalls — und das muß möglichst schnell getan werden. daß ausreichende Kredite dafür bereitgestellt werden, daß die Maßnahme für die Erneuerung der Gleisanlagen, der Neuherrichtung der Bahnanlagen in Angriff genommen werden können, und daß Kredite bereitgestellt werden, die der Industrie in Watenstedt-Salzgitter das Leben ermöglichen und der Bevölkerung dort auch Arbeit geben.