Rede von
Dr.
Else
Brökelschen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Arbeitsminister hat darauf hingewiesen, daß dieses unglückselige Wirtschaftsgebiet Watenstedt-Salzgitter in ganz kurzer Zeit entstanden ist. Es ist nicht mit Unrecht in einer Zeitung neulich von Goldgräbertempo geredet worden. Das sagt sich alles sehr leicht hin. Aber die Folge dieses rapiden Tempos ist gewesen, daß während des Krieges dieses Salzgitter mit 36 000 Ausländern belegt gewesen ist. Die sind inzwischen weg bis auf einen Rest von 9 000. Dafür sind aber in dieses Gebiet 30 000 Flüchtlinge eingeströmt, und die schwierige wirtschaftliche Situation, in der sich Salzgitter im Augenblick befindet, bedeutet für diese mehr als 30 000 Flüchtlinge jetzt die Gefahr, zum zweiten Mal aus einer nun eben gesicherten Existenz herausgeworfen und zum zweiten Mal in Elend und Heimatlosigkeit hineingetrieben zu werden. Dieser Gesichtspunkt muß neben den wirtschaftlichen Gesichtspunkten unbedingt mit in Erwägung gezogen werden.
Meine Damen und Herren! Es ist gesagt worden: wenn es nicht gelingt, dieses Salzgitter irgendwie zu sanieren, dann kann man ja den Versuch machen, die arbeitende Bevölkerung nach dem Westen abzutransportieren und dort in den Betrieben einzusetzen. Dagegen muß gesagt werden, daß Salzgitter wie kaum eine andere Stadt gerade in diesem rapiden Tempo sehr viel Wohnraum geschaffen hat und daß wir es uns auf keinen Fall leisten können, daß bei einem Abwandern der Arbeiter dieser Wohnraum leersteht. Was würde die Folge sein? Daß in den von den Arbeitern verlassenen Wohnraum Elendsmassen hineinströmen würden — Frauen und Kinder —, die die ganz furchtbare Situation von Salzgitter noch
erschweren würden. Wir würden durch eine Abwanderung der Arbeiter infolgedessen in Salzgitter ein Elendsgebiet bekommen, das wir aus mehr als einem Grunde, worauf ich hier nicht einzugehen brauche, uns in der Nähe der sowjetischen Zone einfach nicht leisten können.
Meine Damen und Herren! Es ist von dem Herrn Kollegen Wackerzapp darauf hingewiesen worden, daß unbedingt jetzt diesem Salzgitter nach der kommunalen Seite geholfen werden muß. Lassen Sie mich da als Frau das eine sagen: Es ist unmöglich, daß in einem Gebiet, dem jede Tradition fehlt, irgendein Geist, irgendeine Heimatmöglichkeit geschaffen wird, wenn in diesem Gebiet nicht die allerprimitivsten Voraussetzungen des Lebens auf dem Gebiet der Hygiene, der Kultur usw. geschaffen werden. Es muß nachgeholt werden, was der Nationalsozialismus in seiner brutalen, nur wirtschaftlichen Einstellung versäumt hat. Wir müssen mit Schulen, Krankenhäusern, Kinderheimen usw. usw, hier in diesem Gebiet nachkommen. Meine Damen und Herren, es muß ein Geist in diesem Salzgitter geschaffen werden. Da lassen Sie mich mit allem Ernst das eine sagen: dieses Salzgitter ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern dieses Salzgitter, das unmittelbar an der Grenze der britischen Zone liegt, ist ein politisches Problem. Wir haben hier oft von Berlin als dem letzten Bollwerk der westlichen Kultur gesprochen. Ich möchte sagen, daß Salzgitter die Möglichkeit für das Absprungbrett einer Nichtkultur nach Westen bedeutet,
und daß wir infolgedessen die Verpflichtung haben, alles daranzusetzen, daß hier an der Grenze einer anderen Zone Lebensmöglichkeiten geschaffen werden, die westlichen zivilisatorischen und kulturellen Bedingungen entsprechen und die es uns möglich machen, uns mit Erfolg für diese Dinge hier weiter einzusetzen. Wir müssen dieses Gebiet so gestalten, daß kein Anlockmittel gegeben wird, östliche Segnungen zu ersehnen.