Rede von: Unbekanntinfo_outline
Schließlich ist sie ja auch Bürokratie. Ein Sprecher der Regierungsparteien des Hauses hat das so wunderschön zum Ausdruck gebracht. Er sieht die Unabhängigkeit der Bundesrichter gefährdet, wenn bei ihrer Auswahl von den Vertretern des Parlaments, vom Richterwahlausschuß Vorschläge gemacht werden können. Er sieht dann keine Gefährdung der Unabhängigkeit der Richter, wenn die Vorschläge von den Justizministern gemacht werden. Als ob
B) etwa die Justizminister nicht auch eine bestimmte Macht verkörperten! Also abhängig von den Justizministern, das heißt von der Exekutive, darf der Richter sein, er darf um Himmelswillen bloß nicht irgendwie von der Volksvertretung abhängig werden. Die hier zum Ausdruck kommende Mentalität sagt doch alles und zeigt doch, wo die Justiz politisch steht.
Diese Tatsache ist doch schließlich hinreichend durch die praktische Erfahrung bewiesen und unterstrichen. Selbst der Herr Bundesjustizminister mußte von der Rolle sprechen, die die Justiz in der Weimarer Republik gespielt hat, und davon, was sie damals im Kampf gegen die Demokratie und in der Unterhöhlung der Demokratie geleistet hat. Wo in der heutigen Diskussion von allen Parteien gab es auch nur ei n en Vorschlag zur Sicherung, nur den Versuch einer Maßnahme, um diese Erscheinungen in Zukunft zu unterbinden?
Sie wollen wieder die Justiz über das Parlament, über die Volksvertretung stellen. Denn durch diese Konzeption des Verfassungsgerichtshofs wird ja die Justiz zum obersten Gesetzgeber; sie entscheidet letztlich und mit Gesetzeskraft über die Auslegung des Grundgesetzes, sie entscheidet mit Gesetzeskraft über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, also sie wird zum Gesetzgeber, steht über dem Parlament und ist keineswegs mehr nur eine gleichgestellte Gewalt.
Man hat hier gesagt: Recht kann man nicht schaffen durch Abstimmung. Ja, wie anders ist denn Recht geschaffen worden? Wie ist das Grundgesetz geschaffen, zum mindesten formal bestätigt worden? Doch durch Abstimmung! Wie werden hier im Hause Gesetze gemacht? Doch durch Abstimmung! Also wird durch Abstimmung Recht geschaffen, ganz einfach, weil das eine politische Frage ist, und all die Entscheidungen, die dem Verfassungsgerichtshof hier zugeschoben werden, sind doch politische Entscheidungen! Wenn man diese auf die formaljuristische Ebene verschiebt, dann heißt das und das ist bei einer Partei, die sich sozialdemokratisch nennt, eben das Unverständliche, wie gerade sie darin den Rettungsanker sehen will -, der Rechten des Hauses von vornherein die größeren Möglichkeiten in die Hand spielen. Ganz abgesehen von der klassenmäßigen Zusammensetzung unserer Richter, ganz abgesehen von der Tatsache, daß von den heute amtierenden Richtern rund 80 Prozent ehemalige Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei sind, die im Namen Hitlers ein Jahrzehnt lang Recht gesprochen haben — wohin führt denn in Wirklichkeit allein die Basis, die man betritt, wenn man das formale Recht als letztes Kriterium und letzte Entscheidung anerkennt? Das Dichterwort: „Es erben sich Gesetz und Recht wie eine ew'ge Krankheit fort!", hat doch nur zu berechtigt den Sinn, daß das Recht, so wie es die Juristen verstehen, nämlich das formulierte, das geschriebene Recht hinter der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Entwicklung nachhinkt, daß es meist der Ausdruck bereits durch den Gang der Entwicklung überholter Zustände und Verhältnisse ist, so daß es beinahe zwangsläufig, und wenn dann auch noch die „richtigen" Leute dazukommen, reaktionär wirkt. Wenn man politische Entscheidungen auf diese juristische Ebene schiebt, schafft man alle Voraussetzungen dazu, daß sie reaktionär ausfallen. Die sozialdemokratische Fraktion müßte doch schließlich durch das Schicksal zum Beispiel ihrer Klage beim Verwaltungsgerichtshof im Jahre 1932 gegen den Papen-Staatsstreich auf Severing hinreichend bebelehrt sein, was man davon zu erwarten hat, wenn man im Kampf um die Rechte des Volkes und der Volksvertretung gegen eine autoritäre Regierung seine Hoffnung auf das Gericht und auf die Justiz setzt. Darum können wir nur sagen: wir warnen — nicht dieses Haus, das dürfte zwecklos sein, aber die Öffentlichkeit, die Bevölkerung vor dem Kurs, der auch mit diesen beiden Gesetzen gesteuert werden soll, vor dem Kurs, die Demokratie auszuhöhlen, indem man an Stelle der Volksvertretung, die die höchste Instanz sein muß, die Justiz zur letzten gesetzgebenden Instanz macht, ihr die letzte Entscheidung in politischen Fragen überträgt und damit der reaktionären Entwicklung in diesem westdeutschen Bundesstaat noch mehr den Weg freimacht, als das wahrhaftig schon geschieht und geschehen ist. Wenn man den Schutz der Demokratie, den Aufbau der Demokratie will, wenn man die Wahrung der demokratischen Rechte des Volkes will, dann kann es nicht auf diesem Wege geschehen; dann ist es notwendig, andere Maßnahmen zu treffen.
Der Redner des Zentrums sprach davon, wir müßten mehr Vertrauen zur Verfassung schaffen, wir müßten mehr Vertrauen in die Demokratie schaffen. Mit dem Verfassungsgerichtshof werden Sie das ganz bestimmt nicht erreichen! Sie erreichen es durch die Taten, die die Demokratie und die Volksvertretung vorweisen; Sie erreichen es dadurch, daß Sie sich wirklich der Kontrolle der Bevölkerung unterstellen, daß Sie die Verantwortlichkeit des Parlaments vor dem
Volke herstellen. Dann sichern Sie die Demokratie, aber nicht auf dem Wege eines Verfassungsgerichtshofes.