Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist die Aufgabe geworden, zur Drucksache 327, dem Vorschlag der Sozialdemokratischen Partei zu dem Entwurf eines Richterwahlgesetzes, in einigen Sätzen Stellung zu nehmen.
Die Auswahl der höchsten deutschen Bundesrichter, und zwar sowohl des Obersten Bundesgerichts wie der obersten Revisionsgerichte in Zivil- und Strafsachen, Steuer-, Verwaltungs- und Arbeitsangelegenheiten, ist eine der verantwortungsvollsten Staatstätigkeiten überhaupt. „Gerecht sein gegen sich und andere, das ist das Schwerste auf der weiten Erde", hat Grillparzer gesagt; und zu welchem Zeitpunkt wäre die richterliche Aufgabe, Recht zu finden und Gerechtigkeit zu üben, schwerer gewesen als heute! Wir haben zu viel Schlimmes erlebt, als daß der Positivismus, das heißt das unbedingte Vertrauen auf den Rechtsgehalt geschriebener Gesezte, der jahrzehntelang die unbestrittene Grundlage unserer gesamten Rechtspflege gewesen ist, nicht ebenso erschüttert wäre wie der Glaube an die ewigen Ideen des Rechts, auf die man sich allzuoft leichtsinnig berufen hat, um damit eignes, neues Unrecht zu tarnen. Solange in Europa Schauprozesse oder große, sonstige Verfahren durchgeführt werden, um der öffentlichen Meinung in politischen Fragen eine Richtung zu geben, ist der Rechtsgedanke selbst schwer kompromittiert. Nicht bei den Schlechtesten kann sich ein Zynismus in juristischen Fragen herausbilden, der gerade bei schwachen Naturen in eine feile Beflissenheit gegenüber der jeweilig herrschenden Richtung umschlagen kann. Die Auswahl der Richterpersönlichkeit ist deswegen eine außerordentlich verantwortungsvolle Aufgabe. Der Boden, auf dem unser Rechtswesen steht, zittert noch, und man könnte sich deswegen fragen, ob man nicht mit der Wahl der höchsten Richter noch warten müßte, bis der Gesundungsprozeß uns etwas weiter von der Katastrophenzeit der letzten Jahrzehnte hinweggeführt hat. Denn es ist zu fürchten, daß das politisch überhitzte Klima, in dem wir jetzt solche personellen Entscheidungen zu treffen haben, leicht Ergebnisse zeitigen könnte, die in kurzer Zeit von uns vielleicht bedauert würden. Aber andererseits ist es auch verständlich und notwendig, wenn hier der Versuch gemacht wird, möglichst bald unseren Staatsaufbau durch die Einrichtung der höchsten Gerichte zu komplettieren, da ohne ihr Funktionieren wesentliche Teile der rechtsstaatlichen Aufgaben unerfüllt bleiben müssen.
Wenn wir deswegen den Antrag stellen, die Vorlage dem Rechtsausschuß zu überweisen, so
können wir doch gewisse schwere Bedenken gegen den Entwurf nicht unterdrücken. Vor allen Dingen möchte ich auf zwei Punkte hinweisen.
Der Wahlausschuß, der die Richter zu berufen hat, setzt sich nach der Verfassung aus dem Bundesjustizminister, den 11 Landesjustizministern und 11 vom Bundestag zu wählenden Mitgliedern zusammen. Der Entwurf schlägt nun vor, daß die Wahl der vom Bundestag auszusuchenden Mitglieder nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt werde, so als ob es sich um einen Parlamentsausschuß handeln würde. Wird damit der Richterwahlausschuß nicht zu einem parteipolitischen Gremium, das nur nach parteipolitischen Gesichtspunkten arbeiten kann? Gerade hier müßte doch eine überparteiliche Lösung gefunden werden, zumal die politischen Gesichtspunkte in diesem Gremium durch die Landesjustizminister und den Herrn Bundesjustizminister genügend zum Zuge kommen, und es wäre doch um unsere Parlamentsarbeit schlecht bestellt, wenn es nicht gelingen sollte, auf einem andern Wege eine Besetzung dieses Ausschusses sicherzustellen, der der überparteilichen Natur dieser Aufgabe, die höchsten Richter zu bestellen, gerecht wird.
Die zweite Ausstellung bezieht sich auf folgendes: In § 9 heißt es: „Der zuständige Bundesminister und die Mitglieder des Richterwahlausschusses können vorschlagen, wer zum Bundesrichter zu berufen ist." Auch hier kann ich einige Bedenken nicht unterdrücken. Nach meiner Auffasung ist es schwer haltbar, wenn man das Vorschlagsrecht für die höchsten Richter jedem Mitglied dieses Ausschusses einräumen will. Um Vetternwirtschaft auszuschließen, hat man in kommunalen Bereichen bekanntlich die Ausschreibung vorgeschrieben. Daß sich diese für die Berufung der höchsten Richter aber nicht als Auswahlverfahren eignet, liegt ja auf der Hand. Ich meine, das Justizministerium oder das andere jeweils beteiligte Ministerium sollte die Anregungen sammeln und dann von sich aus die Vorschläge machen. zumal auch das Justizministerium allein die Möglichkeit hat, durch die Verhandlungen mit dem Bundesrat die notwendige landsmännische Mischung der Richter sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, es kann nicht meine Aufgabe sein. hier noch weiter auf die Details einzugehen. Wir versprechen uns von der Ausschußarbeit eine Lösung, insbesondere wenn dann auch der Entwurf der Regierung vorliegt.