Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Ich spreche namens meines Kollegen Lukaschek, der nicht anwesend sein kann.
Die Frage der Aufnahme der Deutschen aus der Ostzone bewegt die Bundesregierung schon seit Oktober vorigen Jahres. Das Problem ist uns von der Regierung des Landes Niedersachsen nahegebracht worden. die im Oktober zu uns gekommen ist und erklärt hat. daß die Dinge nicht weitertreiben dürften und daß die Bundesregierung in Anwendung des Artikels 119 des Grundgesetzes, also in der Form einer Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats, die zweckmäßige Regelung treffen solle. Es war die Äußerung des Flüchtlingsministers von Niedersachsen
— Herr Renner, Sie kennen ihn! —,
daß unter den Menschen. die über die Grenze der Ostzone drängen. nur etwa fünf bis sechs Prozent echte politische Flüchtlinge seien,
1 daß sie aufgenommen werden müßten, auch die anderen Flüchtlinge, die in der Familie zusammenkommen wollen, daß diejenigen Jugendlichen aufgenommen werden müßten, die nicht der Volkspolizei des Ostens beitreten wollen; daß im übrigen aber der Übertritt auf Gründen beruhe, die man als berechtigt nicht anerkennen könne, daß eben viele Menschen aus dem Osten der dortigen politischen Atmosphäre entrinnen wollten und daß sie den Zug nach dem „goldenen Westen" hätten.
Also: es war das Verlangen der niedersächsischen Regierung, daß man diese Abwanderungen in irgendeiner Form regulieren müsse. Daraufhin hat sich die Bundesregierung entschlossen, eine Verordnung einzubringen. Diese hat nun ein merkwürdiges Schicksal genommen. Gerade die Antragsteller und die Länder, die zunächst hinter. dieser Verordnung standen, haben sich in der Folge auf einen entgegengesetzten Standpunkt gestellt, und die letzte Auswirkung dieser Änderung des Standpunktes ist der vorliegende Gesetzesantrag der sozialdemokratischen Fraktion.
Am 12. Januar hat eine gemeinsame Sitzung des Flüchtlingsausschusses und des Rechtsausschusses des Bundesrates stattgefunden, dem nochmals die Verordnung der Bundesregierung vorlag. Nach sehr eingehenden Verhandlungen hat sich dieser vereinigte Ausschuß mit 7 zu 5 Stimmen auf den Standpunkt der Bundesregierung gestellt und sich der Anregung der Bundesregierung angeschlossen, in der Form der Rechtsverordnung das Problem zu klären. Diese Rechtsverordnung sieht vor, daß deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die ihren Wohnsitz oder ihren ständigen Aufenthalt ) in der Sowjetzone oder im Sowjetsektor von Berlin haben und die sich ohne besondere Genehmigung in dem Gebiet der Bundesregierung aufhalten, einer Erlaubnis bedürfen und daß diese Erlaubnis' nur Personen erteilt werden darf, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, wegen der persönlichen Sicherheit, Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen ihre Heimat verlassen mußten. Es ist vorgesehen die Meldung in einem Lager, die Entscheidung durch einen Aufnahmeausschuß, die Möglichkeit der Beschwerde gegen die Entscheidung des Aufnahmeausschusses bei einem Beschwerdeausschuß. Das ist der wesentliche Inhalt. Die Tendenz ist eine andere als die des Gesetzentwurfs der sozialdemokratischen Fraktion. Das ist eine Entscheidung, die, glaube ich, jedem in diesem Hause namenlos schwer fällt. Meine Damen und Herren, was der Herr Kollege Lukaschek unter diesen Dingen menschlich, seelisch und körperlich gelitten hat, das ist nicht zu sagen; das weiß nur der, der es aus der Nähe mit angesehen hat.
Die Entscheidung der Bundesregierung ist vor allem von einem nationalpolitischen Grund getragen. Wir können nicht zulassen, meine Damen und Herren, daß der Osten von deutschen Menschen entleert wird. Wenn das geschähe, dann ginge dieser deutsche 'Boden verloren. Das kann nicht der Wille eines bewußten Deutschen sein. Darum unsere Mahnung an die Menschen in der Sowjetzone, auszuharren, trotz allem auszuharren! Wir glauben, daß das Grundgesetz die Möglichkeiten zu der Verordnung, die wir beabsichtigen,
daß besonders auch zu dem Grundsatz der Freizügigkeit im Artikel 11 des Grundgesetzes kein Widerspruch besteht, daß vielmehr die Voraussetzungen für die Einengung dieses Grundsatzes, wie sie im Absatz 2 des Artikels 11 niedergelegt sind, hier gegeben sind. Wir müssen bedenken, welche Folgen durch einen ungeregelten Zuzug eintreten würden. Ich glaube, das braucht man doch niemandem vor Augen zu stellen, besonders wenn man bedenkt, welche Aufgaben wir noch zu erfüllen haben, daß die Deutschen aus Polen, dann noch Deutsche aus der Tschechoslowakei in großer Zahl zu uns kommen und von uns aufgenommen werden müssen; und wenn man -die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, unter denen wir jetzt schon leiden, die Wohnraum-, die Arbeitsschwierigkeiten bedenkt, dann ist es eine nationalpolitische Pflicht, daß wir versuchen, die Dinge zu regulieren. Das soll durch die Verordnung geschehen. Der Bundesrat wird in seiner Sitzung am 27. Januar sich endgültig über die Frage der Zustimmung schlüssig werden. Die Bundesregierung ist aber auch durchaus bereit, in den Ausschüssen des Bundestages diese tatsächlich und rechtlich überaus schwierige Frage zu behandeln.