Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Meine Damen und Herren! Die Ziele des Marshallplans und die in den letzten Jahren erreichte Wirklichkeit in Europa weichen sehr stark voneinander ab. Das Ziel des Marshallplans ist in der Einleitung des uns heute überreichten Gesetzentwurfs eingehend niedergelegt worden. Dieses Ziel ist die Koordinierung der europäischen Volkswirtschaften, die Schaffung einer europäischen Großraumwirtschaft. Das bedingt aber die Ausrichtung der Produktion nach den kostenmäßig günstigsten Produktionsstätten. Eine solche Politik verlangt in erster Linie Opfer von allen Seiten, und sie kann auch nur durch Opfer aller zum Erfolg gebracht werden. Wenn jedes Empfängerland von Marshallplanhilfe autarke Wirtschaftspolitik treibt und dabei ein etwa entstehendes Defizit mit Dollars zu Einkäufen auf dem Weltmarkt decken würde, würde das Gegenteil des eigentlichen Marshallplans erreicht werden.
Wir Deutsche sind nun in dieser Situation aufgefordert worden, durch unsere freiwillig zu leistende Unterschrift diesem Vertragswerk beizutreten. Wer als Deutscher heute einen solchen völkerrechtlichen Vertrag abschließen oder an dem Abschluß eines solchen Instruments mitwirken soll, wird sich zunächst zu fragen haben, ob wir Deutsche tatsächlich die Vertragsfreiheit, die Entschlußfreiheit haben, die für den Abschluß eines wirklichen Vertrages Voraussetzung ist, nämlich die Gleichberechtigung zweier Partner. Legt man sich diese Frage vor, so wird man schon erhebliche Zweifel hegen müssen. Auf der andern Seite müssen wir, wenn wir einmal die Entschlußfreiheit, die für einen richtigen Vertrag erforderlich wäre, als gegeben ansehen wollen, frei das Für und Wider abwägen.
So weltweit und großzügig auch die Marshallplanhilfe gedacht ist, so hat sie doch in der praktischen Auswirkung in den letzten Jahren neben den großen, nicht zu verkennenden Vorzügen auch erhebliche Nachteile gehabt. Die Hilfe, die den Marshallplanteilnehmern zuteil geworden ist, hat sie zum Teil vor der Existenzvernichtung, zum Teil vor Hunger und Not bewahrt. Die Lieferungen, die erfolgt sind, sind in den Empfängerländern verkauft worden. Die Erlöse sind den Empfängerländern im allgemeinen zur Verwendung nach ihren eigenen Investitionsplänen überlassen worden. Die Verwendung der Gegenwertmittel hat aber dann bei den einzelnen Empfängerländern nur zum geringsten Teil im Sinne des Marshallplans stattgefunden und zum größeren Teil nach autarkischen Wirtschaftsplänen, wie sie in der Zeit unmittelbar nach dem Kriege entstanden sind. So sind Stahlwerke fern der Kohle in kostenmäßig ungünstiger Situation errichtet worden, Stahlwerke, die gegenüber anderen, günstiger gelegenen Stahlwerken immer kostenmäßig im Nachteil bleiben müssen.
Künstliche Maßnahmen sollten den natürlichen Wirtschaftsablauf, den natürlichen Wirtschaftsfluß umlenken. Dabei sind wirtschaftliche und politische Eingriffe gemacht worden, die einer sinnvollen, nach Kostengesichtspunkten gegliederten europäischen Großraumwirtschaft geradezu zuwiderlaufen.
Es soll aber ja nun, wie wir hören, demnächst anders werden. Aber so sehr optimistisch können wir in dieser Beziehung nicht sein. Die Schwierigkeiten, die die Handelsvertragsverhandlungen in den letzten Monaten mit sich gebracht haben, zeigen doch, wie stark der Geist des sacro egoismo noch vorherrscht. Wenn uns die Märkte der ganzen Welt, vor allem auch die traditionellen deutschen Märkte im Osten, auf dem Balkan und im Fernen Osten offen stünden, dann würde wahrscheinlich die Notwendigkeit einer starken Unterstützung aus der Marshallplanhilfe nicht so sehr in Erscheinung treten, wie es heute angesichts der Zerschlagung Deutschlands der Fall ist. Dieser Weg der Eroberung der Märkte der Welt ist uns Deutschen heute im Unterschied zu anderen Teilnehmerländern des Marshallplans, die vor allem mit dem Osten und dem Fernen Osten Handel treiben dürfen, verwehrt. Politische Erwägungen machen ihn ungangbar. Wir müssen darauf dringen, daß diese traditionellen Handelswege der deutschen Wirtschaft wieder eröffnet werden und uns nicht durch den Abschluß des ECA-Vertrages auf die Dauer versperrt bleiben sollen. Der Abschluß des ECA-Vertrages könnte sonst auch mehr als nur eine wirtschaftliche Angelegenheit, nämlich eine Art politischer Kursfestlegung sein. Eine derartige Kursfestlegung könnten wir aber nur dann verantworten, wenn die Initiatoren des Marshall-plans ihren Einfluß stärker als in den vergangenen Jahren zur Realisierung des eigentlichen Zieles des Marshallplans, nämlich zur Koordinierung der europäischen Volkswirtschaften einsetzen, wenn die Initiatoren des Marshallplans wirklich ernst mit ihrem eigenen Ziel machen. Wenn wir erreichen würden, daß alle europäischen Länder auf diese Linie einschwenken und nicht nur empfangen, sondern auch geben wollen, dann wird unsere Unterschrift unter den ECA-Vertrag nicht vergeblich sein. Wir selbst sind der Auffassung, daß eine solche Politik des gegenseitigen Nachgebens auf die Dauer allen Parteien, allen Beteiligten die größten Vorteile bringen wird. Dies entspricht dem von uns immer wieder vertretenen Grundsatz, daß über den souveränen Staaten eine höhere Einheit, nämlich die dem Sittengesetz verpflichtete ganze Menschheit steht.
Wir begrüßen die Abänderung des Artikel III durch den Bundesrat. Die Steuerung der Gegenwertmittel in Deutschland kann eines der wesentlichsten Mittel aktiver Konjunkturpolitik werden. Diese Aufgabe kann mit der vorgeschlagenen Änderung allein vielleicht nicht ausreichend erfüllt werden. Es wird in den Ausschußberatungen zu klären sein, wie dieser Artikel III entsprechend abgeändert werden kann, insbesondere wie der Einfluß der gesamten gesetzgebenden Körperschaften auf diese entscheidend wichtige Aufgabe sichergestellt werden kann.
In dem Marshallplanabkommen ist auch an einer Stelle die Rede von dem Zusammenarbeiten mit der internationalen Flüchtlingsorganisation. Diese Bestimmung findet unmittelbar auf die deutschen Flüchtlinge, die deutschen Ostvertriebenen keine Anwendung. Wir wollen aber hoffen, daß diese Bestimmung demnächst dazu beitragen wird, in der Welt, insbesondere in der Marshallplanzusammenkunft die Verantwortung dafür zu wecken, daß das deutsche Flüchtlingsproblem ein internationales ist, das mit den deutschen Mitteln allein nicht ,gelöst werden kann, ein Problem, das eine bevorzugte Berücksichtigung mit der Hilfe des Marshallplans für Deutschland gebieterisch fordert.
Wir selbst werden trotz dieser Bedenken; die ich im einzelnen anmelden mußte, unsere Stimme für den Abschluß des Marshallplanabkommens abgeben.