Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt der Entwurf zum neuen Einkommensteuergesetz vor. Wir haben gehört, was der Herr Finanzminister uns zu diesem Entwurf zu sagen hat. Der Herr Finanzminister, mit großen Fähigkeiten begabt als ehemaliger Einser-Jurist, hat es geradezu meisterhaft verstanden, hier über die eigentlichen schwachen Stellen dieses Gesetzes hinwegzuvoltigieren; und wenn man ihn gehört hat, dann möchte man glauben, dieses Gesetz bringe gegenüber dem bisherigen Zustand einen außerordentlichen Fortschritt, einen Fortschritt für die gesamte westdeutsche Wirtschaft und auch für die breiten Bevölkerungsschichten. In Wirklichkeit ist es leider ganz anders! Wer sich die Mühe genommen hat, diesen Gesetzentwurf wirklich im einzelnen, Paragraph für Paragraph, durchzustudieren, der muß leider feststellen, daß dieses Gesetz einen Rückschritt für unsere gesamte Wirtschaft bringen wird, die nur dann wieder gesunden kann, wenn die Regierung endlich einmal daran denkt, daß die Gesundung der Wirtschaft von der Heranziehung breitester
Konsumentenmassen und der Einschaltung dieser Konsumenten in die Wirtschaft abhängt. Ich bin keineswegs der Auffassung des Herrn Finanzministers, der gesagt hat, wir müßten von der Förderung des Konsums möglichst Abstand nehmen, von der Förderung des Konsums möglichst weg zur Förderung des Sparkapitals kommen. Solange die breitesten Bevölkerungsschichten bei uns noch nicht genügend zu essen haben — und sie haben noch nicht genügend zu essen —, ist es falsch, daß man versucht, uns gegenüber und vor allem dem Ausland gegenüber immer wieder den Eindruck zu erwecken, als würde allzuviel des deutschen Volksvermögens zur Zeit noch in den Verbrauch, zu den reinen Konsumtivindustrien abwandern. Aber das nur nebenbei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf bringt allerdings Vorteile für eine ganz kleine Schicht der Bevölkerung, Vorteile für einige Hunderttausend von Großindustriellen und anderen Bevölkerungskreisen. Aber für die Masse unseres Volkes bringt dieses Gesetz einen Rückschlag. Darf ich Ihnen einzelne Beispiele nennen: Darf ich Ihnen sagen, daß dieses Gesetz für die Millionen der Heimatvertriebenen und der einheimischen Ausgebombten einen unerhörten Rückschritt bedeutet, daß hier die Abzüge, die Möglichkeiten für die Anrechnung von Sonderausgaben in einer Art und Weise beschnitten werden — teilweise bis auf ein Zehntel der jetzigen Möglichkeiten herunter —, die einfach nicht verantwortet werden kann. Ich finde es eigentümlich — um nicht ein schärferes Wort zu gebrauchen —, daß d r Sprecher der CDU, der Herr Abgeordnete Neuburger, heute zu diesem Gesetz ausgerechnet von hier aus Vorschläge gemacht hat, die sich durchaus mit dem decken, was auch wir von der WAV wollen, nämlich diese Benachteiligung der Heimatvertriebenen und der kleinen Leute unter allen Umständen aus dem Gesetz herauszubringen. Ich weiß nicht, warum der Sprecher der CDU diesen so komplizierten Weg, diesen falschen Weg gewählt hat. Warum hat die CDU nicht erreicht, daß uns ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der alle die Dinge nicht enthält, die sich so sehr zum Nachteil der Heimatvertriebenen und der kleinen Leute auswirken? Dieser Weg wäre viel kürzer gewesen: Sie hätten zu ihrem Bundeskanzler Dr. Adenauer und zu ihrem Finanzminister gehen müssen, damit uns eine solche Vorlage nicht auf den Tisch des Hauses gelegt wurde. Statt dessen tut man hier so, als ob die CDU für die Interessen der kleinen Leute, der Arbeiter, der Heimatvertriebenen usw. einträte, damit das in den Zeitungen steht, damit man in der Öffentlichkeit sagen kann: wir wollen, daß für die Sonderausgaben ein vernünftiger Satz bestimmt wird usw.
Meine sehr verehrten Herren! Damit werden Sie das Vertrauen zur Demokratie in unserem Lande nicht steigern können, sondern der Mann auf der Straße hat Ihnen darauf zu antworten: warum sagt Ihr das nur im Bundestag? Ihr sitzt doch in der Regierung! Ihr habt doch die Möglichkeit, zu verhindern, daß ein solcher Finanzgesetzentwurf uns von der Regierung vorgelegt wird!
Die Anrechnungs- bzw. Nichtanrechnungsmöglichkeit der Sonderausgaben ist eine der allerübelsten Seiten dieses Gesetzes. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer übelster Dinge, die es uns unmöglich machen, für dieses Gesetz zu stimmen.
Nun wird die Regierung und wird der Herr Finanzminister sagen: ja, wir brauchen Geld! Wir antworten Ihnen, Herr Finanzminister: Sie hätten genügend Geldquellen zur Verfügung! Gehen Sie an diese Geldquellen heran und schöpfen Sie sie endlich aus! Erfassen Sie endlich die unerhörten Milliardengewinne, die durch die Währungsreform von einigen zehntausend Großindustriellen gemacht worden sind! Erfassen Sie endlich die ebenso unerhörten Gewinne, die neuerdings anläßlich der Geldabwertung gemacht worden sind, die wir vor wenigen Wochen über uns haben ergehen lassen müssen! Erfassen Sie diese Gewinne, erfassen Sie die Vermögen der Großschieber dazu! Dann brauchen Sie nicht Steuern in diesem Umfange von den kleinen und mittleren Einkommen zu erheben, wie Sie es heute noch tun! Wir haben ganz andere Finanzquellen; diese werden aber nicht erfaßt. Es ist die Tatsache zu verzeichnen, daß eine ganze Reihe dieser großindustriellen Unternehmungen, die ich im Auge habe, Bilanzen aufmachen können, in denen sie die alten Reichsmark-Bilanzen ohne weiteres schon in D-Mark übernehmen. Wir haben die Tatsache, daß unerhörte Gewinne in den letzten Monaten auf den Aktienmärkten für verschiedene schwere Papiere der Großindustrie gemacht worden sind. Hier sollte man ganz anders als bisher vorgehen. Hier gibt es noch Quellen für den Herrn Finanzminister. Dann könnte er zu anderen Steuersenkungen kommen, als er sie bis jetzt im Auge hat.
Herr Finanzminister, es ist uns unmöglich, für diesen Gesetzentwurf zu stimmen. Der Gesetzentwurf wird jetzt an den Ausschuß gehen, und wir hoffen nur, daß sich im Ausschuß auch aus den Reihen der CDU einige finden werden, die mit uns zusammen, genau wie es der Herr Kollege Neuburger heute bereits getan hat, diesem Gesetzentwurf nicht bloß die Giftzähne ausziehen - das geht schon gar nicht mehr, dann hat das Gesetz keine Zähne mehr im Mund, bildlich gesprochen;
denn zuviele Giftzähne sind in diesem Gesetz enthalten —,
sondern die dafür sorgen werden, daß eine möglichst vollkommene Neugestaltung und Neufassung dieses Gesetzentwurfs zustande kommt.
Ich habe nicht die Redezeit dazu, um Paragraph für Paragraph durchzugehen. Sonst würde ich Ihnen nämlich beweisen können, welch unerhörte Bestimmungen in diesem Gesetz verankert sind. Sogar einige bekannte Wirtschaftszeitungen Westdeutschlands haben erklärt — ich kann dem Herrn Finanzminister diese Zeitungsartikel jederzeit zur Verfügung stellen; es sind keine sozialistischen Blätter, Herr Finanzminister! —, daß dieses Gesetz keinen Fortschritt für unsere Wirt- schaft bringt, sondern eher noch einen weiteren Rückschritt. Herr Finanzminister, helfen Sie uns bitte dabei, dieses Gesetz im Ausschuß ganz anders zu formulieren, als es uns heute vorliegt! Helfen Sie endlich einmal dabei, daß die Riesengewinne, die durch die Währungsreform gemacht worden sind, erfaßt werden! Dann erst wird es möglich sein, Ihnen die Zustimmung zu Ihren Finanzgesetzesvorlagen zu geben. D i es e Vorlage, Herr Finanzminister, ist für unsere gesamte deutsche Wirtschaft kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt, und wir werden den Gesetzentwurf in den kommenden Lesungen ablehnen müssen.
Wir hoffen nur, daß sich im Ausschuß manche finden werden, die sich den Standpunkt des Herrn Neuburger und unseren Standpunkt zu eigen machen, daß die Bestimmungen beseitigt werden müssen, die für die Heimatvertriebenen und für die Einheimischen in gleicher Weise einen Schlag ins Gesicht bedeuten.