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ID0102207800

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    Deutscher Bundestag — 22. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1949 649 22. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1949. Geschäftliche Mitteilungen . 650B, 698D, 713C Anfrage Nr. 8 der Fraktion der SPD betr. Lohn- und Gehaltserhöhung anläßlich der Einkellerung von Kartoffeln und Brennstoffen (Drucksachen Nr. 189 u. 273) . . 650C Anfrage Nr. 7 der Fraktion der FDP betr. Umquartierung im Raum Köln (Drucksache Nr. 188) 650C Antrag der Abg. Renner und Gen. betr. Erklärung des Bundeskanzlers zu seinem Interview in Fragen der Remilitarisierung (Drucksache Nr. 269) 650D Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) 650D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit (Drucksache Nr. 270) . . . . 651D Dr. Oellers (FDP), Berichterstatter 651D Dr. Kopf (CDU) . . . . . . . . 655A Dr. Etzel (BP) . . . . . . . . 657C Loritz (WAV) 657D Ewers (DP) . . . . . . . 659B, 661D Schoettle (SPD) (zur Geschäftsordnung) 662A Dr. Kleindinst (CSU) 662B Dr. Richter (NR) . . . . . . . 662C Dr. Reismann (Z) . . . . . . . 664A Leibbrand (KPD) . . .. . . . . 664D Dr. Arndt (SPD) (zur Geschäftsordnung) 666A Arndgen (CDU) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . 666D Zweite und dritte Beratung des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin" im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache Nr. 271) 667A Dr. Krone (CDU), Berichterstatter . . . . . . . 667A, 676A Rische (KPD) 667D Rümmele (CDU) 669B, 672B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 669D, 671D Dr. Fink (BP) . . . . . . . . 670B Seuffert (SPD) . . . . . . . 671B Dr. Reif (FDP) 672A Renner (KPD) . . . . . . . . 672C Neumann (SPD) . . . . . . . 673C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Erstreckung der bei den Annahmestellen Darmstadt und Berlin eingereichten Patent-, Gebrauchsmuster- und Warenzeichenanmeldungen auf die Länder Baden, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und den bayerischen Kreis Lindau (Drucksachen Nr. 152 und 272) . . . . . . . . . . . 676C Dr. Wellhausen (FDP), Berichterstatter 676C Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksache Nr. 241 neu) . . . . . . . . . 276D Antrag der Fraktion der BP betr. Streichung der Absätze 2 und 3 des § 103 der vorläufigen Geschäftsordnung (Drucksache Nr. 184) 677A Dr. Seelos (BP), Antragsteller 677A, 687C Dr. Etzel (BP) 678B Dr. Arndt (SPD) . . . . . 679D, 686A Frau Dr. Weber (CDU) 681D Loritz (WAV) 682B, 686D Renner (KPD) 683A Dr. von Brentano (CDU) . . . . 685A Dr. Oellers (FDP) (zur Geschäftsordnung) 687B Antrag der Fraktion der SPD betr. Einsetzung eines Ausschusses für den Erwerb von Ausstattungs- und Kunstgegenständen im Raume der vorläufigen Bundeshauptstadt (Drucksache Nr. 199) 687D Erler (SPD) Antragsteller . . 633A, 691C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 690B Dr. Decker (BP) . . . . . . 690C Dr. Wellhausen (FDP) 690D Dr. Bertram (Z) 691A Kiesinger (CDU) . . . . . . 691B Antrag der Abg. Renner und Gen. betr: Stellungnahme des Vizekanzlers zu dem behaupteten Wegfall von Subventionen (Drucksache Nr. 207) . . . . . . . . 6928 Rische (KPD), Antragsteller . . . . 692C Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers 695A Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Maßnahmen gegen Preiserhöhung (Drucksachen Nr. 225 und 228) 696A Etzel (CDU), Berichterstatter . 696A Rische (KPD) 697A Schoettle (SPD) 698C Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betr. Wahrung der Pressefreiheit gegenüber Zeitungsverboten der britischen Dienststellen (Drucksache Nr. 208) . . . 699A Agatz (KPD), Antragsteller 699A Cramer (SPD) . . . . . . . . . 699D Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen über den Antrag der Fraktion der BP betr. Biersteuergesetzgebung (Drucksachen Nr. 212 und 91); in Verbindung mit dem Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen über den Antrag der Abgeordneten Dr. Solleder, Dr. Horlacher, Dr. Laforet und Genossen betr. Biersteuer (Drucksachen Nr. 213 und 162) 701B Seuffert (SPD), Berichterstatter 701B, 709A Dr. Besold (BP) 702A, 710B Dr. Baumgartner (BP) 704A Dr. Solleder (CSU) 706B Dr. Wellhausen (FDP) . . . 707D, 713A Dr. Bertram (Z) 708D Wilhelm Schmidt (WAV) . . . . 709D Strauss (CDU) (zur Geschäftsordnung) 712C Mündlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen betr. einheitliche Regelung der Heimkehrerbetreuung (Drucksache Nr. 224) . . . 711B Arndgen (CDU), Berichterstatter . 711B Krause (Z) 711D Persönliche Bemerkung: Dr. Arndt (SPD) 712A Nächste Sitzungen 713C Die Sitzung wird um 9 Uhr 43 Minuten durch Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident könnte zu der Ansicht gelangen, daß die nicht geradezu persönlichen, aber sozusagen fraktionspersönlichen Bemerkungen, die ich meinen Ausführungen zur Sache selbst vorausschicke,
    außerhalb des Beratungsgegenstandes lägen. Ich bitte ihn aber, Geduld zu üben; er wird rasch erkennen, daß ein Zusammenhang besteht.
    Die „Times" hat am 1. Dezember einen kurzen Kommentar ihres Sonderkorrespondenten aus Bayern veröffentlicht, in dem dieser eine „gegenwärtig", wie er wörtlich sagt, „so offensichtlich selbstsüchtige, reaktionäre Laune der Bayern" erfindet und behauptet, es sei wohl kein Zufall, daß Bayern die wildesten Männer in das Bundesparlament entsandt habe.

    (Heiterkeit.)

    Diese wilden Bajuwaren sind Mitglieder dieses Hohen Hauses; sie gehen frei herum,

    (Heiterkeit)

    sind nicht nur hinter Gitterstäben und gegen Eintrittsgeld zu sehen und benehmen sich, soweit ich sehen kann, durchaus gesittet. Sie verzichten auf die urtümliche Waffe der Keule, auf die sich zwei wilde Männer auf einem alten, nichtbayerischen Staatswappen stützen, und suchen mit dem Florett auszukommen. Wir laden den Herrn britischen Sonderkorrespondenten, der offenbar noch keinen der 17 „wilden Bajuwaren" gesehen hat, ein, hierherzukommen und mit uns die Klinge — die geistige, versteht sich — zu kreuzen. Wir würden ihm dann einiges vorhalten, was seinen britischen Ohren nicht wohllautend klingen möchte, und wir würden ihn vielleicht auch auf ein reizendes deutsches Gedicht hinweisen können, in dem ein im britischen Kanada wandernder Mann zu der Erkenntnis gebracht wurde, daß die Wilden oft bessere Menschen sind — als der Herr Sonderkorrespondent der „Times", versteht sich wiederum.

    (Abg. Renner: Das zieht nicht!)

    Wild allerdings werden wir dann, wenn das Recht, das wir als eine Äußerung und eine Funktion der Moral ansehen, verletzt oder wenn über unverbrüchliche Grundsätze hinweggeschritten wird, und zu solchem Grimm glauben wir im Zusammenhang mit der Einführung der geheimen Abstimmung in diesem Parlament Anlaß zu haben.
    Die Mehrheit des Hauses hat in der 14. Sitzung am 3. November ohne jede Debatte die förmliche Einführung der geheimen Abstimmung beschlossen. Sie hat mit dieser schwerwiegenden Änderung der Geschäftsordnung einen verhängnisvollen Weg beschritten und der jungen Demokratie einen schlechten Dienst erwiesen. Der Vorgang verliert nichts von seiner Bedenklichkeit dadurch, daß die Änderung offensichtlich nicht aus grundsätzlichen Überlegungen, sondern aus taktischen Erwägungen, zur Erreichung eines aktuellen Zweckes erfolgte. Es sollte, als es um die Bestimmung des vorläufigen Sitzes der obersten Bundesorgane ging, diese hochpolitische Entscheidung mit einem geschäftsordnungsmäßigen Kunstgriff in eine bestimmte Richtung gezwungen werden.
    Nun, meine Damen und Herren von der Mehrheit, Sie haben den erstrebten Effekt erzielt und bewirkt, daß nicht der Prophet zum Berg, sondern dieser zu jenem kommen mußte, wobei der Herr Bundeskanzler die Rolle des Propheten und der Bundestag die des Berges spielte. Die massive Unmittelbarkeit und Eindeutigkeit des Vorgehens hat in der Öffentlichkeit draußen einen schlechten Eindruck gemacht; sie hat, könnte ich auch sagen, beschämend gewirkt.
    Die großen Demokratien der Neuzeit haben ihre Stellung in der Welt nicht zuletzt der Erhaltung


    (Dr. Etzel)

    und Entfaltung des öffentlichen Sinnes ihrer Bevölkerung zu danken. Die weltweite Politik und Wirkung der Antike wäre ohne den hochentwickelten forensischen Sinn der Masse, der um die polis und die res publica kreiste und aus forum und agora seine Kräfte zog, nicht möglich und denkbar gewesen. Schiller sagt in einer Studie über die ethischen und gesetzgeberischen Absichten des großen Atheners Solon, es sei ihm darum zu tun gewesen, den Bürgern das innigste Interesse am Staat einzuflößen; Kälte gegen das Vaterland sei ihm das Hassenswerteste an einem Bürger gewesen, und er habe nichts so sehr bekämpft wie Lauheit gegen das Gemeinwesen.
    In Deutschland, meine Damen und Herren, hat sich mit dem Aufkommen des Untertanenstaates ein folgenschwerer Mangel an Gemeingeist ententwickelt. Nicht nur die Massen, ganz ihrem Beruf und Geschäft, ihrer Arbeit hingegeben, auch viele der Besten entzogen sich zweiflerisch oder angewidert. zum Schaden des Ganzen mehr und mehr der Beschäftigung mit den öffentlichen Dingen oder ergriffen ohne Zögern und Bedenken die politischen Formeln, die andere für sie erfanden und bereithielten.
    Zu den unerläßlichen Bedingungen, Voraussetzungen und Elementen der Demokratie gehört volle Publizität der Verantwortungen und Handlungen der Abgeordneten. Ihre Beschränkung oder Ausschließung ist eine Sünde wider den Geist der Demokratie. Dieser Sünde hat sich die Mehrheit des Hauses durch die Einschaltung des Absatzes 2 des § 103 der Geschäftsordnung schuldig gemacht. Niemals hätte sie sich dem Verdacht aussetzen dürfen, daß ihr darum zu tun war oder ist, gegebenenfalls — übrigens welcher Art sind diese Fälle, da doch nach Absatz 3 die Abstimmung über Gesetzesvorlagen nicht geheim sein soll? — im Zwielicht politische Geschäfte zu machen, wo allein volle Klarheit und Öffentlichkeit am Platz sind.

    (Abg. Dr. Baumgartner: Sehr richtig!)

    Nie hätte sie das Mißverständnis hervorrufen dürfen, daß ein Abgeordneter des Deutschen Bundestags seiner Abstimmung wegen Furcht oder Bedrängnis empfinde, also des bürgerlichen, moralischen und politischen Mutes ermangele. Wie sollen Würde und Unabhängigkeit des Parlaments und seiner Abgeordneten gewahrt bleiben, wenn es ihnen erlaubt ist, sich hinter der abschirmenden Anonymität der Abstimmung zu verstecken? Wie soll die Integrität des politischen Lebens erhalten bleiben, wenn dem Parlament, den Parteien und den Abgeordneten ermöglicht wird, unter dem Schutz der Dunkelheit geheimer Abstimmung politischen Handel zu treiben?

    (Widerspruch in der Mitte.)

    Wozu solche Geheimniskrämerei, die innerhalb des
    Parlaments selbst zu gegenseitigem Mißtrauen,
    Argwohn und gegenseitiger Unaufrichtigkeit führt?
    Auch die Politik kann der Ethik nicht entraten. Das Grundgesetz spricht immer wieder — so in den Artikeln 9, .73, 87, 126, 143 — von verfassungsmäßiger Ordnung und von Verfassungsschutz, und der Bundestag hat einen Ausschuß zum Schutz der Verfassung geschaffen.

    (Zurufe in der Mitte: Freie Rede!)

    Seine Berechtigung und Zuständigkeit sind in
    Frage gestellt, wenn das Parlament selbst gegen
    einen unverzichtbaren Grundsatz der Demokratie,
    nämlich die volle Publizität des Handelns und der
    Verantwortung der Abgeordneten verstößt. Es
    gibt keinen besseren Schutz der Verfassung als den entwickelten öffentlichen Sinn und die innere Beteiligung der Bürger am Gemeinwesen.

    (Zurufe: Freie Rede!)

    Meine Damen und Herren von den Mehrheitsparteien! Sie haben am 3. November ihren Willen durchgesetzt. Lassen Sie es dabei, bitte, bewenden! Zeigen Sie menschliche Größe und demokratische Gesinnung! Geben Sie freimütig und großzügig Ihren Irrtum zu und berichtigen Sie ihn! Reinigen Sie sich von einem häßlichen Verdacht!

    (Lachen in der Mitte und links.) Begegnen Sie dem Mißverständnis, als fürchteten Sie die Freiheit, weil Sie sich ihr nicht gewachsen fühlen!


    (Abg. Dr. Baumgartner: Sehr gut! — Lachen in der Mitte.)

    Halten Sie es für unvereinbar mit Ihren sittlichen und politischen Grundsätzen, ungerührt und unbelehrt immer wieder mit der Walze einer Mehrheit über die Minderheit und ihre Argumente hinwegzugehen!

    (Widerspruch in der Mitte.)

    Stimmen Sie zu, daß die Absätze 2 und 3 des § 103 wieder gestrichen werden! Erkennen Sie bitte, daß es sich im Kern nicht um eine Bestimmung der Geschäftsordnung, sondern um eine Grundfrage der Demokratie handelt! Beweisen Sie Fairneß! Sie brauchen sich ihrer nicht zu schämen. Geben Sie zu, daß es hier um eine Grundlage geht, auf der sich Verantwortung und Freiheit begegnen

    (Beifall bei der BP.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Adolf Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß es sich in der Tat um eine sehr ernste Frage handelt, obgleich ich glaube, daß die Form, in der diese Frage insbesondere von dem Herrn Abgeordneten Dr. Seelos hier behandelt worden ist, der Sache nicht gerade sehr gedient hat.
    Die Grundfrage, vor der wir immer stehen und an die die Opposition auch hier erinnern muß, ist ja die, wie sich dieses Parlament einschätzt und welchen Stil es für seine Verhandlungen pflegen will. Der grundsätzliche Unterschied zwischen der gegenwärtigen Mehrheit dieses Hauses und der Opposition — jedenfalls soweit es sich um meine Freunde handelt — liegt meiner Auffassung nach darin, daß die Regierungsparteien bisher alle Fragen viel zu sehr unter dem Gesichtspunkt der Opportunität gesehen haben

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und niemals so auf das Grundsätzliche eingegangen sind, wie das notwendig gewesen wäre. Nur durch diese Opportunitätsmethoden sind wir auch in die geheime Abstimmung — ich muß einmal einen nicht ganz parlamentarischen, aber in der Geschichte immerhin bekannten Ausdruck gebrauchen — hineingeschliddert; hineingeschliddert schon dadurch, daß man hier versucht hat, die Geschäftsordnung zu überspielen. Die Geschäftsordnung, die der frühere Deutsche Reichstag in einer jahrzehntelangen Erfahrung entwickelt hat und die wir als vorläufige Geschäftsordnung übernommen haben, sagt im § 114 ganz eindeutig: Abweichungen im Einzelfall können durch Beschluß des


    (Dr. Arndt)

    Bundestags zugelassen werden, wenn keines der in der Sitzung anwesenden Mitglieder widerspricht. Das heißt, es sollen keine Änderungen der Geschäftsordnung ad hoc für einen Spezialfall vorgenommen werden, weil eine Mehrheit vielleicht glaubt, die Minderheit damit überstimmen zu können, wenn sich nicht alle darüber einig gewesen sind. Sehen Sie, diese grundlegende Bestimmung der Geschäftsordnung haben Sie damals einfach in der Weise zu überspielen versucht, daß Sie gesagt haben: wir ändern durch Mehrheitsbeschluß einfach die Geschäftsordnung als solche ab. Es ist klar, daß das nicht gerade eine elegante Methode war.
    Nun hat Herr Kollege Seelos gebeten, wir sollten über diesen Antrag gleich hier abstimmen. Herr Kollege Seelos, ich halte es nicht für richtig, schlechte Vorbilder auch hier noch fortzusetzen. Es war damals ein schlechtes Vorbild, daß wir über diesen Antrag nicht diskutiert haben. Das hat bestimmte Gründe gehabt, auf die ich noch komme. Ich halte es aber für notwendig, daß wir diese Fragen im Ausschuß beraten. Zu dieser Beratung will ich auch noch etwas sagen.
    Es handelt sich um zwei Dinge, nämlich einmal um die Form der namentlichen Abstimmung und dann um die Frage, ob eine Abstimmung geheim sein kann. Was nun die Form der namentlichen Abstimmung anlangt, so ist es überraschend, wie schnell Sie diese eingeführt und wie rasch Sie diese jetzt wieder beseitigt haben wollen. Das hat bei meinen Freunden doch etwas den Eindruck erweckt, als ob die namentliche Abstimmung über die Vorfinanzierung der Hausratshilfe in Ihnen unerfreuliche Erinnerungen hinterlassen hätte.

    (Unruhe in der Mitte.)

    Aber gerade daraus ersehen Sie, daß man die Methoden, nach denen das Haus hier arbeitet, nicht von dem Ergebnis der einen oder anderen Abstimmung abhängig machen soll.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Nun zur Frage der geheimen Abstimmung. Zu dieser Frage haben wir zwar zwei Präzedenzfälle. Der Parlamentarische Rat hat seinerzeit über den vorläufigen Sitz der Bundesorgane schon geheim abgestimmt. Der Wirtschaftsrat stimmte über den Sitz des Patentamtes ebenfalls geheim ab, übrigens auch mit dem Ergebnis, daß jener Beschluß des Wirtschaftsrats — was die Öffentlichkeit meist nicht weiß — den deutschen Steuerzahler jährlich zusätzlich 240 000 DM kostet; denn um soviel ist das Patentamt in München unstreitig teurer als in Darmstadt. Aber der Herr Kollege Seelos ist auch in diesem Falle wieder ein etwas verspäteter Kreuzfahrer aus Bayern gewesen.

    (Zuruf: Ein Ausdruck von Knoeringen!)

    Die sozialdemokratische Fraktion, Herr Kollege, und insbesondere mein verehrter Herr Kollege Löbe haben alsbald nach diesen Vorgängen, die sich abgespielt haben, als meine eigenen Freunde hier im Hause geheime Abstimmung über die Einsetzung des Hauptstadtausschusses verlangt haben, Zweifel bekommen, ob ein solches Verfahren zulässig ist. Herr Kollege Löbe und ich haben es in den Geschäftsordnungsausschuß hineingebracht, und dieser hat damals einstimmig beschlossen, daß eine geheime Abstimmung nach der Geschäftsordnung nicht zulässig ist. Ich halte es nicht für wesentlich, wer zuerst einen Unfug anfängt, sondern ich halte es für wesentlich, wer zuerst mit einem Unfug aufhört,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und dies Verdienst darf ich für unsern verehrten Herrn Alterspräsidenten in Anspruch nehmen, der uns zuallererst darauf hingewiesen hat, daß so etwas nicht geht. In dieser Situation war es damals in der Frage Bonn-Frankfurt eine Art Überraschungsantrag, die Geschäftsordnung zu ändern. Aus Gründen, die Ihnen allen bekannt sind, ist damals nicht gesprochen worden, weil man diese Frage, die zu entpolitisieren wir versucht haben, nicht noch weiter politisieren wollte und die Gefahr bestand, daß der ganze leidige Hauptstadtstreit aus Anlaß dieser Geschäftsordnungsdebatte zur Erörterung käme. Wir sind da also bis zum Äußersten gegangen, um uns zurückzuhalten und das zu vermeiden.
    Um so mehr bedauere ich, daß hinterher wieder einmal nicht von allen Beteiligten geschwiegen worden ist, sondern daß sich der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano zu dieser Frage mehrfach in der Öffentlichkeit hat vernehmen lassen. Ich bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, aus zwei Zeitungen, der „Frankfurter Rundschau" vom 18. November und dem „Darmstädter Echo" ebenfalls vorn 18. November, aus einem offenen Brief, den Herr von Brentano diesen beiden Zeitungen zur Verfügung gestellt hat, lediglich zwei Sätze verlesen zu dürfen.
    Der Antrag auf Abänderung der Geschäftsordnung
    — so schreibt Herr Dr. von Brentano —
    war ein Antrag der Fraktion der CDU/CSU, der von mir als dem Vorsitzenden unterzeichnet war. Er wurde vom Bundestag einstimmig angenommen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Dies scheint mir zu beweisen, daß kein Abgeordneter des Bundestages damals die Befürchtung hatte, daß die vorgeschlagene Neufassung der Geschäftsordnung undemokratisch sei.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Ich habe den Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano vor meinen Ausführungen, die ich jetzt mache, darauf hingewiesen, weil mir das eine Pflicht der Loyalität zu sein schien, daß ich auf diesen Vorfall kommen würde, und habe mir die Frage erlaubt, wie es möglich sei, daß so etwas an die Presse gelange. Der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano hat mir geantwortet, er habe sich seinerzeit geirrt und er habe auch schon in einer öffentlichen Versammlung diesen Irrtum mit dem Bemerken richtiggestellt, es sei damals keine Gegenprobe gemacht worden; infolgedessen sei es ihm nicht zum Bewußtsein gekommen, daß sich nicht alle Mitglieder dieses Hohen Hauses für die geheime Abstimmung erklärt hätten. Meine sehr verehrten Anwesenden, ich verstehe auch diesen zweiten Irrtum nicht. Wenn Sie den Stenographischen Bericht des Deutschen Bundestags, 14. Sitzung vom 3. November, aufschlagen, so werden Sie finden, daß damals der Herr Präsident Dr. Köhler erklärt hat:
    Wer für diesen Antrag Drucksache Nr. 134 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.) So wörtlich im Protokoll zu finden.



    (Dr. Arndt)

    Ich halte es für notwendig, hier öffentlich festzustellen, daß meine Fraktion damals geschlossen gegen diesen Antrag gestimmt hat,

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr. Baumgartner: Wir auch!)

    damit nicht erst eine Legendenbildung aufkommt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann schon einmal — und das passiert jedem von uns — eine Gedächtnislücke haben; das ist kein Unglück weiter. Aber man soll nicht so verfahren wie der bekannte Architekt im Gedicht von Christian Morgenstern, der aus dem Lattenzaun die Zwischenräume herausnahm und daraus etwas baute.

    (Sehr gut! und Heiterkeit bei der SPD.)

    Aus Gedächtnislücken lassen sich keine Häuser bauen; auch nicht etwa aus der Erklärung des Herrn Kollegen von Brentano zum Fall Adenauer-Schumacher, die sich ebenfalls durch solche Lücken auszeichnet.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir werden im Ausschuß zu prüfen haben, ob überhaupt eine geheime Abstimmung erstens rechtlich zulässig und zweitens politisch möglich ist. Zur rechtlichen Zulässigkeit möchte ich sagen, daß der Artikel 42 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes bestimmt: „Der Bundestag verhandelt öffentlich". Ohne meine Freunde schon vorweg auf diese Rechtsfrage festlegen zu können oder zu wollen, muß ich für meine Person erklären, daß ich als ein wesentliches Stück der Verhandlung im Parlament die Abstimmung ansehe und die Vorschrift des Artikels 42 zwingend so auslegen muß, daß eine geheime Abstimmung gar nicht eingeführt werden kann

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und die Beschlüsse, die hier geheim gefaßt worden sind, an und für sich überhaupt der Gültigkeit entbehren.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Darüber hinaus bin ich der Auffassung, daß eine geheime Abstimmung jedenfalls politisch unmöglich ist; denn wenn auch die Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 nur ihrem Gewissen unterworfen sein sollen, so bleiben sie gleichwohl ,,Abgeordnete", und der Wähler hat das Recht darauf, die politische Verantwortlichkeit der von ihm Gewählten zu kennen oder kennenzulernen.
    Wenn Pressemeldungen richtig sind — und ich bitte den Herrn Kollegen Dr. von Brentano, mich zu berichtigen, falls ich hier irren sollte; denn ich kann mich dabei nur auf Pressemeldungen stützen —, so soll der Herr Kollege von Brentano vor der Wählergesellschaft ausgeführt haben, es bestehe eine politische Notwendigkeit, die geheime Abstimmung zuzulassen, weil sonst die Freiheit der Entscheidung für die Abgeordneten nicht gewährleistet wäre.

    (Unerhört! bei der SPD. — Zurufe in der Mitte und rechts.)

    Meine verehrten Damen und Herren, ich frage Sie: wo soll die Freiheit in Deutschland dann noch eine Stätte haben, wenn nicht einmal in diesem Hause?!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD, beim Zentrum und bei der BP. — Zurufe in der Mitte.)

    Zu erklären, daß wir nicht frei abstimmen könnten, wenn es nicht geheim geschehe, heißt doch,
    unseren politischen und moralischen Bankrott zu erklären, und heißt gar nichts anderes.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD, beim Zentrum und bei der BP. — Zurufe in der Mitte.)

    Ich erinnere daran, daß Sie, verehrte Frau Kollegin Dr. Weber, seinerzeit mit dem Kopf geschüttelt haben, als ich es für notwendig hielt, dem Herrn Bundesjustizminister entgegenzutreten, und als ich gesagt habe, daß die Freiheit der Rede in diesem Hause in Gefahr sei, insbesondere dann, wenn ein Minister sagen dürfe, daß er es bei einem Abgeordneten „nicht zulassen" könne, hier seine subjektive Meinung auch über ein Gerichtsverfahren zu äußern. Ich bin in der Tat der Meinung, daß die Redefreiheit in diesem Hause schon mehr als einmal in Gefahr gewesen ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber gerade darum werden wir von der Opposition immer wieder um die Redefreiheit in diesem Hause kämpfen. Wir werden auch darum kämpfen, daß man sich, wenn abzustimmen ist, zu seiner Stimmabgabe bekennt und daß in keinem Falle wieder eine geheime Abstimmung vorkommt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe in der Mitte: Aufhebung des Fraktionszwanges! — Weitere Zurufe in der Mitte und Gegenrufe bei der SPD.)