Rede von
Dr.
Robert
Lehr
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Es ist mir ein besonderer Vorzug, der verehrten Kollegin Dr. Weber selbst da in allen Teilen zustimmen zu können, wo sie ihre Zweifel an der Bonität des Männerstaates geäußert hat. Ich kann
ihr aber umgekehrt bescheinigen, daß nicht nur die Männer kriegerische Eigenschaften haben, sondern daß es auch beim weiblichen Geschlecht temperamentvolle und angriffsfreudige Vertreterinnen gibt.
Ich möchte in dem Artikel 3 unseres Grundgesetzes die Grundlage der heutigen Anträge sehen und möchte auf die damaligen Verhandlungen im Parlamentarischen Rat, an denen sich ja auch' die Kollegin Dr. Weber wesentlich beteiligt hat, Gin paar kurze • Streiflichter setzen. Wir haben damals einstimmig den zweiten Absatz formuliert, nach dem Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Im dritten Absatz haben wir noch einmal ausdrücklich hinzugefügt, daß niemand seines Geschlechtes wegen irgendwie bevorzugt oder benachteiligt werden dürfte. Ursprünglich hieß es in den ersten beiden Lesungen, daß Männer und Frauen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben sollten, und in einem Absatz i war erläuternd gesagt: Das Gesetz muß Gleiches gleich behandeln, und es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Aber dann haben wir uns nach einer Debatte, die sich ausschließlich auf die juristische Seite der Materie bezog, dahin geeinigt, daß wir der Frau Gleichberechtigung in jeder Beziehung und nicht nur bei den staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten durch die Verfassung sichern wollten. Insbesondere war es die Kollegin Frau Weber, die bei dieser Formulierung in der Diskussion der ersten und, ich glaube, auch der zweiten Lesung zum Ausdruck brachte, daß in dieser Formulierung, wie ich sie eben vorgetragen habe, in der gegenwärtigen Fassung des Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes alle Rechtsgebiete einbegriffen sind, insbesondere auch das Arbeitsrecht und das Sozialversicherungsrecht. Sie, Frau Kollegin Weber, haben damals betont — und ich möchte Ihre Worte hier zitieren, weil sie auch meiner Auffassung durchaus entsprechen —, es sei bei dieser Formulierung in keiner Weise an eine Gleichstellung und eine Gleichberechtigung schematischer Art gedacht, sondern die Eigenart und die Würde der Frau sollten auf alle Fälle gesichert sein. Die Vertreterin der SPD, Frau Selbert, hat damals im gleichen Sinne ausgeführt, daß die Gleichberechtigung auf der Gleichwertigkeit der Geschlechter aufbauen soll, aber ebenso die Eigenartigkeit und die Besonderheit der Geschlechter berücksichtigt werden soll.
Wir waren uns durchaus klar, daß diese Formulierung weitgehende Eingriffe in das öffentliche und in das zivile Recht zur Folge haben sollte, und deshalb haben wir namentlich in dem bekannten Fünfer-Ausschuß, in dem wir noch einmal alles überfeilten, was vorher in der Diskussion gewesen war, formuliert, daß das entgegenstehende Recht bis zu seiner Anpassung an diese neuen Formulierungen unseres Grundgesetzes in Kraft bleiben sollte, und zwar mit einer Befristung bis spätestens zum 31. März 1953.
Damit ist der Bundesregierung, aber auch diesem Hohen Hause eine Aufgabe rechtsschöpferischer Art allergrößten Ausmaßes gestellt. Es wird sich darum handeln, sowohl den Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs wie auch das Recht der Schuldverhältnisse auf die neuen Bestimmungen hin zu überprüfen, im besonderen aber den Abschnitt über das Familienrecht und hier vor allem den ersten Abschnitt über die bürgerliche Ehe. Dieser Abschnitt verwirklicht ja den fundamen-
626 Deutscher Bundestag — 20. und 21. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1949
talen Charakter einer Rechtsanschauung, die um die Jahrhundertwende bei uns gegolten hat, wonach dem Mann in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten die Entscheidung zusteht, es sei denn, daß diese Anwendung seines Rechtes sich als ein Mißbrauch herausstellt. Diese Vorschrift wird man sehr wesentlich neu formulieren müssen. Im übrigen nehme ich nur in großen Zügen Bezug auf die Notwendigkeit der Neugestaltung des ehelichen Güterrechts, des Verwandschaftsrechts, des Vormundschaftsrechts, des Pflegschaftsrechts und auch der gesamten Materie des Erbrechts. Ich möchte mich, auf Einzelheiten hier nicht weiter einlassen, sondern nur den Rahmen der Untersuchung en aufzeigen, die durch die Änderung unseres Verfassungsrechts notwendig geworden sind.
Die Zeit um 1900 unterscheidet sich merklich von der heutigen. Zwei große Weltkriege haben die Frauen in großem Umfange an die Stelle der abwesenden Männer treten lassen und ihnen die Last der ganzen Familienführung und der Erziehung der Kinder auferlegt, ja sie stellenweise aber auch in das Berufsleben mitten hineingeführt, und endlich haben die erheblichen Blutverluste beider Kriege und die ganze Umschichtung unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens der Frau eine ganz andere Stellung gegeben. Es ist ein Ruhmesblatt unserer Frauenwelt, wie sie sich diesen ungeheuren Anforderungen gegenüber verhalten hat, und es ist jetzt Sache der Männer, im Einvernehmen mit den Frauen ihnen in der Neuordnung der Beziehungen bürgerlicher und öffentlich-rechtlicher Art den Dank abzustatten.
Ich darf darauf verweisen, daß die scharfen Formulierungen unseres Grundgesetzes in der Öffentlichkeit gewisse Besorgnisse hervorgerufen haben und daß vor kurzem in einer rheinischen Zeitung ein Artikel erschien, in dem es hieß, daß der Staat durch diese neuen Formulierungen unseres Grundgesetzes als Ehebrecher auftreten und die Stellung der Geschlechter in der Grundverfassung nachteilig beeinflussen könne, daß der Staat damit zwangsläufig zum Zerstörer der Ehe und der den Staat tragenden Gemeinschaftszelle werden könne. In diesem Artikel bin ich selber zitiert worden, weil ich an der Aussprache beteiligt war, die damals im Christophorus-Stift in Hemer bei Iserlohn im Beisein von Vertretern öffentlicher Berufe, von Politikern, Bundestags- und Landtagsabgeordneten der großen Parteien und von Vertretern der evangelischen Kirchenleitung stattfand. Von uns hat außer mir Herr Staatssekretär Dr. Strauß vom Justizministerium daran teil- genommen. Von kirchlicher Seite ist damals tatsächlich die Frage aufgeworfen worden, ob die jetzt verlangte rechtliche Gleichstellung der Frau in die augenblicklich gültige Rechtsordnung, vor allem in die gottgewollte Schöpfungsordnung nicht zu sehr eingreife und ob nicht ein Kampf zwischen Staat und Kirche entstehen müsse, weil die Kirche nicht in der Gleichstellung, sondern in der Erfüllung der Ehe als Lebensgemeinschaft die Grundlage der staatlichen Ordnung sehen müsse. Ich glaube — ich habe das auch damals ausgeführt —, daß diese Besorgnisse nicht begründet sind. Gerade aus der Auslegung, die ich vorhin dem Artikel 3 gegeben, und aus den Zitaten von unserer Kollegin Frau Weber, die ich aus der Diskussion angeführt habe, geht hervor, daß der Staat hier keineswegs als Zerstörer der tragenden Gemeinschaftszelle gedacht ist und daß eben gerade keine unbeschränkte Ausdehnung des Gleichheitsgesetzes damals von den Gesetzgebern beabsichtigt worden ist, sondern daß die gegebenen Schranken der Natur zu beachten sind. Kirche und Staat werden sich hier sogar die Hände reichen müssen, um bei der neuen Formulierung der Rechte die Grenzen aufzuzeigen. Wir können es vom Standpunkt der gesetzgeberischen Arbeit nur begrüßen, wenn sich die Kirche mit uns an die Arbeit begibt und versucht, einmal von sich aus Grenzen, die etwa zu beachten sind, zu formulieren.
Im übrigen hatte ja unsere Gesetzgebungsarbeit den Sinn, schöpferisch neues Recht zu schaffen, damit sich nicht Gesetz und Rechte als eine ewige Krankheit forterben und Vernunft Unsinn und Wohltat Plage wird. Aber sie hatte keineswegs die Absicht, naturgegebene Schranken zu verwischen. Ich glaube im übrigen, aus einer nun vierzigjährigen eigenen Eheerfahrung sagen zu können, daß die Ehe nicht so sehr mit Artikeln der Verfassung und mit Paragraphen des bürgerlichen Rechts erfüllt wird, sondern daß das sicherste Fundament für sie die Ethik des Christentums und die sich daraus ergebende Haltung der Ehegatten sein muß.