Es ist nicht angenehm, vor einem schon fast müden und leeren Hause über die Gleichberechtigung der Frau zu sprechen.
Aber eigentlich sollte es Ihnen ganz angenehm sein, zwischen all den wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen einmal etwas über eine Frage zu hören, die ihre menschliche und auch ihre geistige Seite hat.
Die Gleichberechtigung der Frau ist ein altes Problem. Schon in der Weimarer Verfassung ist die grundsätzliche staatsbürgerliche Gleichheit, die Gleichberechtigung als Grundlage der Ehe ausgesprochen worden. Zu gleicher Zeit ist schon in der Weimarer Verfassung verlangt worden, daß alle Ungerechtigkeiten in der Berufsstellung der Frau beseitigt werden. Aber die Weimarer Verfassung, ist rein deklamatorisch gewesen; was dort gesagt worden ist, ist nur in ganz geringem Umfange durchgeführt worden.
Der Parlamentarische Rat, das Grundgesetz, hat die Gleichberechtigung der Frau zum Grundrecht erhoben. Die Gleichberechtigung der Frau ist jetzt so ausgesprochen worden, daß Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung verpflichtet sind, diesen Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu erfüllen.
Es ist für uns Frauen sehr angenehm, daß der Herr Bundeskanzler erscheint und nun auch hört, was für Wünsche wir Frauen haben.
Die Gleichberechtigung der Frau ist jetzt schon also grundsätzlich gewährleistet, aber — und ich sage das in Gegenwart des Herrn Bundeskanzlers sehr gern — es kommt jetzt darauf an, daß sie auch wirklich durchgeführt wird.
Wir stehen nicht mehr in der ersten Periode des Kampfes um ein Recht, wir stehen nicht mehr am Anfang der Formulierungen. Wir stehen vielmehr jetzt in einer zweiten Periode, und das ist die,
die die Erfüllung verlangt. Wir leben in einer Zeit, In der die Frauen zu. denjenigen Gruppen gehören, deren Leben am allermeisten, verändert worden ist. Die Frauen haben nicht nur in der Ehe
und in der Familie Lasten zu tragen, wie sie sie niemals gehabt 'haben, sie haben auch im Berufs-und Arbeitsleben eine so -große Aufgabe zu tun und in steigendem Maße zu erfüllen, daß Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung dem auch Rechnung tragen müssen. Ich will nicht lange Ausführungen darüber machen, wie das Bild der Zeit heute aussieht. Jeder, der die Augen öffnet, könnte es wissen, und jeder, der die Quartiere der Not kennt, in denen die Familien heute leben, und die Arbeitsbedingungen für viele Frauen kennt, der weiß, daß Änderungen kommen müssen.
Mein Kollege Dr. Lehr wird über die Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuches sprechen. Ich werde über andere Probleme sprechen. Aber ein Wort über den Sinn der Gleichberechtigung muß ich vorausschicken. Gleichberechtigung ist nicht Gleichschaltung und Gleichsetzung. Gleichberechtigung berücksichtigt die Verschiedenartigkeit von Männern und Frauen, berücksichtigt den Eigenwert und die Persönlichkeitswürde und den Wert beider Geschlechter. Wenn wir das Arbeitsleben heute 'beobachten und bedenken, wie niedrig die Löhne der Frauen in einer Reihe von Industrien sind, welcher Unterschied zwischen Frauen- und Männerlöhnen besteht, dann müssen wir bei aller Würdigungeer Berufstüchtigkeit und Berufsbewährung, bei aller Anerkennung eines Familienlohnes für den Mann und auch für die Frau erklären, daß es eine Ungerechtigkeit ist, Mann und Frau bei gleicher Leistung verschieden zu entlohnen. Wir verlangen und erwarten gleichen Lohn für gleiche Leistung.
Wohl aber fügen wir hinzu: eine solche Gleichberechtigung verlangt trotzdem einen besonderen Schutz der Frau. Wir erwarten den Kündigungsschutz der älteren Angestellten, wir erwarten auch den Schutz der Mutter. Wir werden im Sozialpolitischen Ausschuß und auch im Plenum unsere Stellungnahme zum Mutterschutzgesetz aussprechen. Wir verlangen für alle Angestellten und auch für die im Beamtenverhältnis stehenden Frauen, daß sie so gewürdigt werden, wie es ihrer Arbeit und ihrer Leistung entspricht. Gestern nannte man schon die Postverwaltung. Das ist diejenige Verwaltung, die die meisten Beamtinnen hat. Aber ich habe den Eindruck, daß man bei der Ernennung von Beamten den Beamtinnen in dieser Verwaltung nicht gerecht wird. Und wer weiß, in welcher Arbeit sie stehen und daß eine Postverwaltung ohne diese wertvolle Arbeit nicht möglich wäre, der wird sich dafür einsetzen, daß die Frau beamtenrechtlich genau so gut berücksichtigt wird wie der Mann.
Ich nenne eine andere Gruppe, die auch heute in unserem Vaterland, weiß Gott, sehr vieles leistet; das ist die Gruppe der Fürsorgerinnen. Wie wäre der Aufbau Deutschlands in den Familien und in allen anderen Arbeiten zu leisten, wenn nicht die Fürsorgerin geachtet würde und eine angemessene Stellung innerhalb der Verwaltung der öffentlichen Fürsorge hätte und wenn man ihr nicht auch in angemessener Weise zum Beamtenrecht verhelfen würde? Ich möchte mich gerade für die schwerarbeitende und mit vielen Sorgen belastete Fürsorgerin einsetzen.
Die Frau muß im ganzen öffentlichen Leben, in allen Verwaltungskörpern angemessen mitarbeiten. Wir haben im Dritten Reich erlebt, was der Männerstaat ist.
Deutscher Bundestag — 20. und 21. Sitzung. Bonn, Freitag, den 2. Dezember 1949 625
Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es würde auch heute manches besser sein, wenn die Frau in den Verwaltungen mitarbeiten würde. Ich bin sogar der Meinung, daß sie in der Lage ist, Krisen zu verhindern und zu mildern, die sich immer wieder im öffentlichen Leben ereignen.
Wir sollten nur wissen, daß diese Polarität von
Mann und Frau, diese fruchtbare Ergänzung, dieses
gute Zusammenarbeiten wertvoll für alle Verwaltungen ist. Deshalb ist ja auch der Antrag gestellt
worden, dem wir beipflichten, daß die Frau in
allen Verwaltungen mitarbeiten soll. Und ich sage
den Männern, die so eifrig über solche Ausführungen lachen, daß diese Dinge nicht zum Lachen
sind, sondern uns ernsthaft beschäftigen sollten.
Wir möchten den Herrn Bundeskanzler um Zustimmung bitten. Ich glaube aber, wir brauchen ihn eigentlich gar nicht besonders zu bitten, denn er ist davon überzeugt, daß Frauen in allen Bundesministerien als Referentinnen und auch in leitenden Stellen ihre Arbeit tun müssen, um die Männerarbeit reicher und fruchtbarer zu gestalten.
Das gilt nicht nur von der Fürsorge, das gilt auch für das Bundesjustizministerium, für die Wirtschaft, die Ernährung, für das Flüchtlingsministerium und auch für das Ministerium von Herrn Minister Kaiser. Das gilt eigentlich für alle Ministerien, und darüber hinaus bin ich der Meinung, daß, wenn wir jetzt Konsulate errichten, Frauen auch in Konsulaten mitarbeiten könnten und daß sie vielleicht gerade durch diese Arbeit in der Lage sind, Verbindungen zu schaffen. Ich denke zum Beispiel an das Auswanderungswesen und an völkerversöhnendes Wirken.
Es ist ferner sehr wichtig für uns, festzustellen — der Herr Bundeskanzler hatte uns ein besonderes Frauen-Referat im Ministerium des Innern versprochen —, daß die tüchtigen Frauen, die fachlich geeignet sind und hervorragende menschliche Eigenschaften besitzen, die im Wetteifer mit dem Mann Gutes leisten, in den Ministerien an den verschiedensten Stellen mitarbeiten sollen. Dies ist uns wertvoller als ein einzelnes Frauenreferat im Bundesministerium des Innern.
Ich will die Debatte nicht mehr belasten. Ich habe ausgesprochen, was die Gleichberechtigung für die Arbeit und das Sozialleben bedeutet und was wir im öffentlichen Leben für die Frau erwarten. Lassen Sie mich noch einen Satz aussprechen, der für das Wohl des ganzen deutschen Volkes eintreten soll. Wir hoffen, daß die Frau, die im öffentlichen Leben steht, die an ihrem Arbeitsplatz geachtet und gewürdigt und im sozialen Leben berücksichtigt wird, dazu beiträgt, daß das Wohl und der Friede unserer neuen Bundesrepublik besser gesichert sind, als wenn sie nicht an dieser Stelle stände.