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    Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, den 24. und 25. November 1949 449 18.. Sitzung Bonn, 24. und 25. November 1949. Geschäftliche Mitteilungen 449C, 464D, 485C, 527C Interpellation der Abg. Euler, Dr. Preusker, Dr. Becker, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer u. Gen. betr. Abschluß der Entnazifizierung (Drucksache Nr. 172) 449D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen (Drucksache Nr. 175) . . 449D Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern . . . . . . . . . 449D, 467D Strauss (CSU) . . . . . . 451D, 472A B) Dr. Menzel (SPD) . . . 455B, 469A, 471C Gundelach (KPD) 460C Pannenbecker (Z) 461B, 471C Dr. Nowack (FDP) 461D Farke (DP) 464D Donhauser (BP) 465B Dr. Miessner (NR) 466D Mensing (CDU) 467C Dr. Becker (FDP) 468D Dr. Leuchtgens (NR) 470B Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 471A Unterbrechung der Sitzung . 472B Erklärung der Bundesregierung . . 449D, 472B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . . 472B, 501A, 510D, 524A Unterbrechung der Sitzung . . 476D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 477A Dr. Arndt (SPD) . . . . . 477A, 484C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 481A Dr. Baade (SPD) 485C Kiesinger (CDU) 491B Gockeln (CDU) 496C Dr. Schäfer (FDP) 497D Loritz (WAV) 502B, 511C Dr. von Merkatz (DP) 502D Dr. Baumgartner (BP) . 505A Fisch (KPD) 506B Frau Wessel (Z) 516C Dr. Richter (NR) . . . . . . . 518A 1 Ollenhauer (SPD) 521B Unterbrechung der Sitzung . . 525C Bausch (CDU) 526A Euler (FDP) 526D Abstimmungen . . . . . . .. . . 526B Nächste Sitzung 527C Die Sitzung wird um 10 Uhr 20 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Fritz Baade


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich die Absicht, heute vor Ihnen nur über den Teil des Abkommens vom Petersberg zu sprechen, auf den das ganze deutsche Volk mit fiebernder Ungeduld gewartet hat, über das Ergebnis der Demontageverhandlungen. Aber der Verlauf der Debatte in der letzten halben Stunde zwingt mich doch, hier einiges Allgemeinpolitisches zu sagen.
    An diesem Kampf gegen die Demontagen hat eine Unzahl von idealistischen Freunden des deutschen Volkes in der ganzen Welt teilgenommen. Wer sich an diesem Kampf beteiligt hat, hat sich auf den Augenblick gefreut, in dem ein Enderfolg in diesem Kampf verkündet werden könnte. Das, was wir nun heute gehört haben, bereitet uns nur eine sehr gedämpfte Freude. Es bereitet uns eine gedämpfte Freude bezüglich des sachlichen Ergebnisses, und darüber werde ich in meinen Ausführungen leider nur allzu viel zu sagen haben. Es bereitet uns aber darüber hinaus einen ausgesprochen patriotischen Schmerz, daß diese bescheidenen Erfolge auf dem Gebiet der Demontage erkauft worden sind mit einem bedingungslosen Eintritt in die Ruhrbehörde, mit einem Geschäft, das meiner festen Überzeugung nach zur Erreichung dieses Erfolges niemals nötig gewesen wäre, mit einem Geschäft, dessen Folgen für das deutsche Volk in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich sehr schmerzlich sein werden.
    Aber ich muß Ihnen ehrlich gestehen, daß meine Trauer über diesen Tatbestand noch weit überschattet wird durch meine Trauer über den anderen Tatbestand, daß soeben der Bundesjustizminister der Deutschen Republik fast eine halbe Stunde seiner Zeit geopfert hat, um uns klarzumachen, aus welchen Gründen des Besatzungsrechts es für diese Regierung nicht notwendig gewesen sei, sich zu diesem unglücklichen Geschäft die Zustimmung der deutschen Volksvertretung zu holen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Denn, meine Damen und Herren, dieser Kampf
    gegen die Demontagen ist eines der großen histori-


    (Dr. Baade)

    sehen Ereignisse der Periode, in der wir leben. Als vor 25 Monaten, am 16. Oktober 1947, die Demontageliste veröffentlicht wurde, derzufolge mehr als 900 Betriebe in Deutschland abgewrackt werden sollten, 900 Betriebe, von denen nur eine kleine Minderheit auch nur dem Namen nach Rüstungsbetriebe waren, während die große Mehrheit Betriebe der Friedensindustrie waren, ging ein Aufschrei des Entsetzens durch das ganze deutsche Volk und weit über das deutsche Volk hinaus. Was uns jetzt nach 25 Monaten des internationalen Kampfes gegen die Demontagen, eines Kampfes, der nicht nur in Deutschland geführt worden ist, eines Kampfes, dessen entscheidende Phasen sich in den Parlamenten der Siegermächte abgespielt haben, vorgelegt wird, ist ein Ergebnis, das man nach einer Äußerung des „Industriekurier" von gestern nur mit den Empfindungen einer gedämpften Enttäuschung entgegennehmen kann.
    Eins ist absolut klar: Dieses Ergebnis der Demontageverhandlungen auf dem Petersberg kann und darf niemals das Endergebnis dieses Kampfes sein,

    (Abg. Dr. Schumacher: Sehr richtig!)

    der nicht ein Kampf gegen die Demontagen allein
    ist, sondern der ein Kampf des deutschen Volkes
    um sein primitivstes Lebensrecht ist, nämlich um
    das Recht, sich mit ehrlicher, friedlicher Arbeit
    seinen Lebensunterhalt zu verdienen und dadurch
    von endlosen Liebesgaben unabhängig zu werden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Mit diesem Ergebnis ist nur ein Teilerfolg dieses
    Kampfes erzielt, es ist keinesfalls das Endergebnis.

    (Frau Abg. Dr. Weber: Das hat auch keiner gesagt! — Abg. Brookmann: Herr Baade, sagen o Sie uns doch einmal, wie Sie den Kampf erfolgreicher geführt hätten!)

    — Ja, das will ich Ihnen sagen, Herr Kollege Brookmann, und ich muß es leider sehr deutlich sagen. Ich muß manches Negative über dieses Ergebnis sagen. Aber ich glaube, wir sind es der historischen Stunde doch schuldig, das, was jetzt nach 25 Monaten des Kampfes mit so viel Hilfe auch von außen erreicht worden ist, nicht nur negativ zu sehen, sondern auch das Positive der Tatsache zu würdigen. Eine Reihe von führenden Betrieben der Stahlindustrie ist von der Demontageliste abgesetzt worden. Betriebe, um die wir monatelang mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gekämpft haben, sollen jetzt von der Demontage ausgenommen werden, und Deutschland soll das Recht der Veredlung der Kohle — eine Veredlung, die von deutschen Erfindern ausgedacht worden ist — nicht mehr als einzigem Volk auf der Erde vorenthalten werden, sondern wir sollen endlich das Recht dazu bekommen.
    Wir würden dieser historischen Stunde auch nicht gerecht werden, wenn wir in diesem Augenblick nicht in erster Linie mit herzlichem Danke aller derer gedenken würden, die uns in diesem Kampf geholfen haben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Dieser Kampf gegen die Demontagen ist nicht nur in Deutschland geführt worden, er ist insbesondere in England und in Amerika geführt worden.

    (Lachen rechts.)

    — Jawohl, meine Herren, ich werde Ihnen zeigen, wie er in England geführt worden ist, und ich fürchte, ich verstehe einiges davon. Er ist auch in England geführt worden, und ohne die Erfolge in der englischen Innenpolitik wäre es niemals möglich gewesen, daß Herr Robertson den Auftrag K seiner Regierung bekommen hätte, irgendeiner Abänderung, der Demontageliste zuzustimmen. Er ist in Amerika in erster Linie geführt worden.

    (Zuruf aus der Mitte: Jawohl, das ist richtig.)

    — Es ist beides richtig, meine Damen und Herren.
    — Da ich den Vorzug gehabt habe, mit Politikern beider Länder in diesem Kampf einigermaßen zusammenzuarbeiten, weiß ich, wer in diesem Kampf unser Freund und wer unser Feind gewesen ist. Es wäre eine historische Unwahrhaftigkeit, zu behaupten, daß wir in England in dieser Beziehung nur Feinde gehabt haben. Der Kampf ist in England, in Amerika und in Deutschland in seinen entscheidenden Etappen auf überparteilicher Grundlage geführt worden, mit einer politischen Front, die die normalen innenpolitischen Frontstellungen dieser Länder sprengte. Das gilt von England, das gilt in verstärktem Maße von Amerika, und ich wäre als Deutscher froh, wenn ich sagen könnte, daß es in gleichem Maße auch von Deutschland gilt.

    (Zuruf: Wir auch, Herr Professor!)

    Sie haben bezweifelt, daß in England gegen die Demontagen so gekämpft ist. Haben Sie niemals die Unterhausdebatten gelesen, in denen der Labour-Abgeordnete Stokes über die Demontagen die stärksten Dinge gesagt hat, die überhaupt gesagt werden können, in denen nämlich der Labour-Abgeordnete Stokes gesagt hat, daß vor Abschluß eines Friedensvertrages jede Demontage weiter nichts ist als Diebstahl.

    (Zuruf: Das ist ein weißer Rabe!)

    — Nein, es ist kein weißer Rabe.
    Ich möchte Ihnen noch die Äußerung eines Politikers aus den Siegerländern vorlesen, die am a stärksten zu meinem Herzen gesprochen hat. Diese Äußerung ist von einem englischen Politiker gekommen, von dem Juden Victor Gollancz.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und in der Mitte.)

    Ich habe hier einen Brief von Victor Gollancz an den Abgeordneten John Hynd, der früher Oberkommissar der britischen Regierung in Deutschland gewesen ist. Victor Gollancz hat mir die Abschrift dieses Briefes geschickt. Erlauben Sie mir, Ihnen im Interesse der historischen Wahrheit einen Satz daraus vorzulesen; er sagt: ,,Jeden Tag werde ich mehr alarmiert über die psychologischen Wirkungen dessen, was in Deutschland geschieht. Ich will nur drei Punkte anführen, und in allen diesen drei Fällen gibt es nicht einen einzigen nüchtern denkenden britischen Sozialdemokraten, der, wenn er ein Deutscher wäre, nicht denselben Standpunkt eingenommen hätte, der von den besten Typen deutscher Sozialdemokraten wie Carlo Schmid und Kurt Schumacher eingenommen worden ist: erstens in der Frage der Sprengungen in Eckernförde, zweitens in der Frage der Demontagen in Bochum II und drittens in der Frage des Ruhrstatuts. Also daß es in diesem Kampf auch in der englischen Öffentlichkeit nicht nur Feinde unseres Standpunktes gegeben hat, sondern auch Freunde, denen wir gar nicht dankbar genug sein können, daran ist gar kein Zweifel.

    (Zuruf: Aber leider blieb es die Minderheit!)

    - Es blieb nicht die Minderheit, Herr Kollege, und zwar in dem entscheidenden Punkte nicht.
    Wir wissen genau, wie scharf wir gegen den außerordentlich hartnäckigen Herrn Bevin in diesem Kampfe anzukämpfen hatten. Aber in den


    (Dr. Baade)

    letzten Monate sind wir ein großes Stück weitergekommen. In den letzten entscheidenden politischen Debatten — ich habe einen sehr aufschlußreichen internen Bericht über den Verlauf der Debatten in Washington im September, der Debatten der drei Außenminister, die recht eigentlich den Grund zu diesen Entscheidungen heute hier gelegt haben — in diesen Debatten kam der Vorstoß zur Neueröffnung der Demontagediskussion von Dean Acheson, unter dem Eindruck eines Vorstoßes, den McCloy gemacht hatte. Bevin stimmte diesem Vorstoß zu und war bereit, die Demontagediskussion wieder aufzunehmen; aber es war Schuman, der Dean Acheson fragte, ob er die Absicht hätte, einen vor wenigen Monaten erst feierlich geschlossenen internationalen Vertrag zu brechen. Diese Änderung des Standpunktes von Bevin ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist Mann für Mann erkämpft worden innerhalb der Labour Party in England. Ich bilde mir ein, daß eine gewisse Denkschrift, die die deutschen Sozialdemokraten an die Labour Party geschickt haben. einen nicht unwesentlichen Teil zu diesem Umschwung der öffentlichen Meinung innerhalb der Labour Party in England beigetragen hat. Wir sind in dieser Frage nicht allein in der Welt. Der Kampf gegen die Demontage ist nicht in den letzten 8 Tagen hier auf dem Petersberg entschieden worden. Was sich hier auf dem Petersberg ereignet hat, ist ein weiteres Glied in einem Kampfe, der schon seit 25 Monaten in der ganzen Welt systematisch von unseren Freunden geführt wird und den wir, davon sind wir überzeugt, noch lange weiterführen müssen. Es wäre gut, sich ohne innerpolitische Streitigkeiten einmütig darüber klar zu sein, wer in diesem Kampfe l unser Freund und wer unser Gegner ist. Ich glaube, mit der alten wilhelminischen Phrase „Viel Feind, viel Ehr" kann das deutsche Volk in diesem Falle wirklich nicht viel anfangen.
    Der Kampf in den Vereinigten Staaten ist auf absolut überparteilicher Grundlage geführt worden. Ich glaube, es hat selten in der Geschichte der Vereinigten Staaten in der neueren Zeit eine Frage gegeben, in der Männer aus so verschiedenen politischen Lagern so sehr einer Meinung gewesen sind, wie in diesem Kampf gegen den Unsinn der Demontagen. Die Front unserer Freunde oder sagen wir besser die Front der Freunde der Vernunft geht sehr weit in die politische Rechte in Amerika. Sie wissen, daß ich das besondere Glück gehabt habe, daß der frühere Präsident Herbert Hoover zu einer Kampfschrift gegen die Demontagen, deren Mitverfasser ich bin, das Vorwort geschrieben hat. Wer die innenpolitischen Verhältnisse Amerikas kennt, der weiß, daß Hoover und seine näheren Freunde, wie Taft, Bridges als äußerste politische Rechte in Amerika empfunden werden, insbesondere auch von der Arbeiterschaft. Aber diese Unterstützung, die wir in Amerika von der politischen Rechten bekommen haben, wäre im Endeffekt ungenügend gewesen, wenn nicht eine ganz breite Front aus den Kreisen der organisierten Arbeiterschaft hinzugestoßen wäre. Die Motive der politischen Rechten in Amerika, die uns im Kampf gegen die Demontagen unterstützt hat und von der wir hoffen müssen und dürfen, daß sie uns auch weiter helfen wird, das Recht des deutschen Volkes auf friedliche Arbeit zu erkämpfen, sind verschieden gewesen. Nicht zuletzt ist dieser Kampf aus ganz nüchternem Eigeninteresse geführt worden. Ich glaube, die Worte, die Herbert Hoover im Vorwort zu der erwähnten
    Kampfschrift geschrieben hat, sind vielleicht die typischste Wiedergabe dieses amerikanischen Standpunktes, indem er schrieb:
    Zu einer Zeit, in der die Welt an dem Mangel an industrieller Produktion leidet und sogar zu Grunde zu gehen droht, verfolgen wir leider die Politik der Zerstörung der gigantischen Produktionsstätten in den Westzonen von Deutschland. Das bedeutet weniger lebenswichtige Waren für Europa, eine größere Verzögerung in der Wiederherstellung der Welt und eine größere Belastung der amerikanischen Steuerzahler.
    Meine Damen und Herren, ich, habe dieses alte Wort von Herbert Hoover heute nicht von ungefähr wiederholt. Der Herr Bundeskanzler hat neulich in seiner Rede über das, was ihm zu Beginn der Verhandlungen auf dem Demontagegebiet schon in Aussicht gestellt worden war, einen Ausdruck gebraucht, der mir keineswegs der politischen Situation zu entsprechen scheint. Er hat nämlich von „Vorleistungen" der anderen Seite gesprochen. Meine Damen und Herren, im Kampf gegen Dummheit und Unsinn gibt es keine Vorleistungen. Was in Deutschland durch Demontagen und Industrierestriktionen geschieht, ist nicht nur zum Schaden für Deutschland, es ist mindestens ebenso sehr zum Schaden aller unserer europäischen Nachbarländer, und es ist zum Schaden der gesamten westlichen Welt. Wenn von diesem Unsinn etwas beseitigt wird, so ist das keine Vorleistung der anderen Seite, sondern es ist ein weiterer Beitrag zu dem leider nur allzu langsamen Prozeß des Kampfes gegen den gigantischen Unsinn des Morgenthauplanes. Wenn die Hohen Kommissare von diesem Unfug etwas abbauen, haben sie nichts „vorgeleistet", und gegen diese „Vorleistung" haben wir keine Gegenleistungen zu vollbringen, indem wir einem anderen Unfug — einem kälteren, aber nicht weniger gefährlichen wie dem Ruhrstatut — in irgendeiner Form zustimmen; sondern dann haben die Hohen Kommissare etwas getan, was mindestens ebensosehr im Interesse der gesamten westlichen Welt wie im Interesse des deutschen Volkes liegt.
    Wenn man von Gegenleistungen spricht, so möchte ich auch sofort mit aller Entschiedenheit aussprechen: Gegenleistungen für eine Milderung dieses Unfugs durch die Zustimmung zu einem anderen Unfug, wie es das Ruhrstatut ist, helfen uns und der Welt nicht weiter. Was wir dagegen mit vollem Herzen anbieten, sind nicht solche Gegenleistungen, sondern es ist ein voller Beitrag Deutschlands zur Lösung des Sicherheitsproblems.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich erkläre hier mit allem Nachdruck und mit aller Feierlichkeit, das ist kein Opfer und keine Gegenleistung Deutschlands. Es gibt kein Volk in Europa, das an der Verhinderung der Wiederkehr irgendeines Krieges so auf Leben und Tod interessiert ist wie das deutsche Volk.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wenn wir bereit sind, an einer wirklichen Lösung der Sicherheitsfrage mitzuarbeiten, so tun wir es nicht im Bewußtsein, damit ein Opfer zu bringen, sondern im Bewußtsein, daß wir damit auch gute deutsche Politik machen! Infolgedessen geht diese ganze Mentalität des Junktims und des Handels, bei dem die anderen ein Stück Demontage ablassen und wir ein Stück Ruhrstatut schlucken, an dem Kern des Problems vorbei. Was die anderen


    (Dr. Baade)

    A) leisten müssen — nämlich die Beseitigung des Unfugs —, tun sie mindestens ebensosehr im eigenen wie in unserem Interesse, und was wir leisten müssen — nämlich einen positiven Beitrag zur Sicherheit Europas —, tun auch wir mindestens ebenso in unserem eigenen Interesse. Diese Dinge müssen aus dieser leidigen Sphäre des Kuhhandels heraus. Deshalb ist es meine ganz besondere Trauer, daß diese Angelegenheit in diese Sphäre des Etwas-Ablassens von der einen Art von Unsinn und Etwas-mehr-Einhandelns von der anderen Art von Unsinn überhaupt hineingekommen ist.
    Ich sagte Ihnen, der Kampf in Amerika ist die unentbehrliche Voraussetzung für die Teilerfolge, die jetzt auf dem Petersberg erzielt worden sind. Dieser Kampf in Amerika hätte niemals gewonnen werden können, und es wäre niemals in das Marshallplan-Grundgesetz der Artikel 115 f hineingekommen, der die Administratoren zur Nachprüfung der Demontage verpflichtet hat, wenn nicht neben der politischen Rechten die organisierte Arbeiterschaft in so breiter Front mit so starken Argumenten und in einer in den Vereinigten Staaten so starken innenpolitischen Schlüsselposition in diesen Kampf eingerückt wäre. Ich kann Ihnen in dieser kurzen Zeit nur sehr wenige Zitate von den Erklärungen mitteilen, die prominente amerikanische Gewerkschaftsführer in dieser Frage abgegeben haben. Aber ich muß Ihnen eine wenigstens vorlesen. Ich kann mir nicht helfen: wenn die Forderung, die von der American Federation of Labor bereits im Dezember 1947, wenige Monate nach der Veröffentlichung der Demontageliste, bei einem besonderen Besuch bei Präsident Truman aufgestellt worden ist, den Inhalt der heutigen europäischen Regelung bildete, dann wären wir im Jahre 1949 ein großes Stück weiter, als wir in der vorigen Woche auf dem Petersberg gekommen sind. In dieser Resolution sagt die American Federation of Labor:
    Um die europäsiche Gesundung zu erreichen, ist es gebieterisch notwendig, im größten Umfange die Hilfsmittel und die produktiven Kapazitäten Europas einschließlich derer des deutschen Volkes zu nutzen. Das, was von Deutschlands industriellem Potential noch übriggeblieben ist, muß eingesetzt werden, um Europa wiederaufzubauen. Auf andere Art und Weise kann es keinen europäischen Wiederaufbau geben. Es müssen unmittelbare Schritte ergriffen werden, um alles, was in Deutschland noch von Kriegsbetrieben übriggeblieben ist, in Friedensbetriebe umzuwandeln.
    Inzwischen ist von ehemaligen Kriegsbetrieben wohl nichts mehr übriggeblieben. Damals aber forderte die American Federation of Labor, daß sogar die damals noch übriggebliebenen Kriegsbetriebe zum Nutzen des deutschen Volkes und zum Nutzen von ganz Europa in Friedensbetriebe umgewandelt werden sollten. Den amerikanischen Arbeitern hat dabei auch eine Behörde vorgeschwebt. Diese sah aber wesentlich anders aus als die Ruhrbehörde mit 15 Stimmen, von denen nur 3 Stimmen — und nicht einmal als Signatarmacht — Deutschland gehören sollten. Die American Federation of Labor hat damals schon gefordert, daß die Umwandlung der deutschen Industrien in Friedensindustrien vorgenommen werden soll unter der Leitung eines Komitees von internationalen Sachverständigen, in
    dem auch deutsche Arbeitervertreter und deutsche Industrielle sitzen sollen.

    (Hört! Hört! links.)

    Wenn es mit der Ruhrbehörde einmal soweit wäre, daß deutsche Arbeitervertreter darin einen maßgebenden Einfluß hätten, und wenn darin außer deutschen Arbeitervertretern auch englische und amerikanische Arbeitervertreter säßen, dann könnten wir einem Eintritt Deutschlands in eine solche Behörde mit freudigem Herzen zustimmen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Die amerikanischen Gewerkschaften haben sich auch gar nicht gescheut, den deutschen Arbeitern im Kampf gegen die Demontagen die Anwendung derjenigen Mittel zu empfehlen, die in der freiheitlichen Arbeiterbewegung der ganzen Welt immer selbstverständliche Mittel zur Verteidigung von Lebensinteressen gewesen sind, einschließlich des Streiks. Als die Kieler Arbeiter — ich glaube, es ist beinahe der einzige Fall für einen erfolgreichen, disziplinierten Streik — sich ihre Arbeitsstätten in den HOLMAG-Werken erhalten hatten, haben sie von dem größten Arbeiterverband der Welt, der American Federation of Labor, ein Glückwunschtelegramm bekommen, in dem es heißt:
    Die HOLMAG-Arbeiter sind zu dem Erfolg zu beglückwünschen, den sie in der Verteidigung ihrer Arbeitsstätten gehabt haben. Freie Gewerkschaftler in der ganzen Welt werden in ihrem Kampf ein ermutigendes Beispiel für die Vitalität der wiedergeborenen deutschen Arbeiterbewegung sehen.

    (Bravo! und Händeklatschen bei der SPD.)

    In diesem Geiste, meine Damen und Herren, ist die Vorbereitung dieses Kampfes geführt worden, von dem nur ein Kapitel, ein Zwischenspiel uns heute in dem Bericht des Herrn Bundeskanzlers geschildert worden ist. Ohne diesen überparteilichen Kampf in England und in Amerika, ohne diese kameradschaftliche Hilfe der organisierten Arbeiterschaft in den angelsächsischen Ländern wäre dieser Erfolg, auch dieser Teilerfolg, niemals denkbar gewesen.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zuruf rechts: Bestreitet ja niemand, Herr Professor!)

    Auf Grund dieses Erfolges ist dann zunächst in das Marshallplan-Grundgesetz der Artikel 115f hineingekommen, der den Administrator aufgefordert hat, die Demontageliste durchzuprüfen und alles das am Leben zu lassen, was — und das ist leider eine sehr aktuelle Feststellung — im Interesse des europäischen Wiederaufbaues besser in Deutschland erhalten bleibt. Meine Damen und Herren, es war vielleicht meine größte Erschütterung, als ich heute in der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers die Liste der geretteten Betriebe gesehen habe und feststellen mußte, daß nicht einmal alle die Betriebe von der Demontage gerettet worden sind, die der im Auftrag der amerikanischen Volksvertretung eingesetzte Humphrey-Ausschuß zur Rettung empfohlen hat,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    zur Rettung empfohlen nicht als eine freundliche Handlung nur gegen das deutsche Volk, sondern auf Grund der einwandfreien Feststellungen von unabhängigen Sachverständigen, daß diese Betriebe im Interesse des Aufbaues Europas in Deutschland bleiben müssen.

    (Abg. Dr. Bucerius: Hat er sie denn gerettet?)



    (Dr. Baade)

    — Er hat sie nicht gerettet, Herr Bucerius.

    (Abg. Dr. Bucerius: Das Beste wäre weg gewesen, wenn wir noch sechs Wochen hätten warten müssen!)

    — Herr Bucerius, ich stelle zunächst einmal fest, daß das, was bei diesem Handel - Teildemontagestop gegen Eintritt in die Ruhrbehörde — herausgekommen ist, nicht einmal das ist, was der von der amerikanischen Volksvertretung eingesetzte Ausschuß ohne Gegenleistungen Deutschlands zur Rettung vorgeschlagen hat.

    (Abg. Dr. Bucerius: Aber ohne daß er sie gerettet hat!)

    — Herr Dr. Bucerius, weswegen er das nicht gerettet hat, wissen wir beide. Wodurch wir die Diskussion wieder in Gang bekommen haben, darüber wissen Sie auch mehr, als Sie mit diesem Zwischenruf zeigen. Es ist ein bedauerlicher Rückschlag der amerikanischen Deutschlandpolitik in diesem Frühjahr zu verzeichnen gewesen. Kreise mit Morgenthau-Denken, die weit in das State Department hineinreichen, haben den amerikanischen Außenminister dazu verführt, dem Washington-Agreement von diesem Frühjahr zuzustimmen und damit die größten Betriebe der deutschen Stahlindustrie und die wichtigsten Betriebe der deutschen synthetischen Industrie zur Demontage zu verurteilen, obwohl der vom amerikanischen Parlament bzw. vom Administrator Hoffman im Auftrag des amerikanischen Parlaments eingesetzte Humphrey-Ausschuß die Rettung dieser Betriebe empfohlen hat.

    (Abg. Dr. Bucerius: Diesen Rückschlag haben wir jetzt überwunden!)

    — Nein, Herr Dr. Bucerius, diesen Rückschlag haben nicht wir jetzt überwunden. Herr Dr. Bucerius, hier sitzt ein Herr von Ihrer Partei, der in derselben Zeit wie ich in Washington war, in der Zeit, als das Washington-Agreement gerade abgeschlossen war. In dieser Zeit wollte kein amerikanischer Politiker und kein amerikanischer Journalist auch nur einen einzigen Satz über Demontage von uns hören. Damals wurde die ganze Welt mit dem Schlagwort gefüttert: Wir haben ja von den 168 Betrieben, die die Humphrey-Kommission zur Rettung empfohlen hat, 159 gerettet; nun hören Sie doch auf, immer über diese fehlenden 9 Betriebe zu reden! Daß diese 9 Betriebe gerade die Hauptsache waren, wurde nicht gesagt.

    (Zuruf des Abg. Dr Bucerius. )

    — Nein, Ihr Fraktionskollege Dr. Henle weiß es besser als Sie. Er weiß, daß die Diskussion nur durch die intensive Mobilisierung sämtlicher Wirtschaftskreise in Amerika wieder in Gang gekommen ist.
    Ohne die Vorstöße der amerikanischen Gewerkschaften und ohne die Vorstöße einer Gruppe von Senatoren im amerikanischen Repräsentantenhaus, einer Gruppe, die genau die gleiche überparteiliche Zusammensetzung hatte, wie ich sie geschildert habe, von der äußersten Rechten bis zur Linken, von Senator Taft an bis zu den New-DealSenatoren, hätte niemals das sensationellste Ereignis in der Demontagedebatte eintreten können. Und für das sensationellste Ereignis halte ich immer noch die Tatsache, daß ein nüchterner amerikanischer Geschäftsmann und Bankier, der heute auch Hoher Kommissar für Amerika in Deutschland ist, den Mut gehabt hat, sich von allen Methoden der Geheimdiplomatie und der Überängstlichkeit freizumachen

    (Zuruf in der Mitte)

    und in dem Augenblick, als das Abkommen, das diesen Unsinn enthielt, formell noch zwischen seiner Regierung und der französischen und der englischen Regierung in Kraft war, die Flucht in die Weltöffentlichkeit anzutreten.

    (Abg. Dr. Bucerius: Und ein Abkommen mit uns zu schließen!)

    — Entschuldigen Sie, Herr Dr. Bucerius: McCloy hat am 8. Oktober kein Abkommen mit uns geschlossen, sondern er hat am 8. Oktober ein Beispiel von Zivilcourage gegeben, wie man es den Staatsmännern der ganzen Welt nur empfehlen könnte.

    (Bravorufe in der Mitte.)

    Er hat die Demontagen als das bezeichnet, was sie sind, nämlich als einen Unsinn. Er hat über die Demontage die Wahrheit gesagt, daß sie die Arbeitslosigkeit in Deutschland vergrößert, und er hat die Wahrheit gesagt, daß sie die Belastungen der Besatzungsmächte unerträglich verlängern. Aber glauben Sie, daß Herr McCloy ein Außen-
    seiter ist? Glauben Sie, daß McCloy diesen Vorstoß in die Weltöffentlichkeit hätte machen können ohne
    jene breite innenpolitische Vorbereitung in Amerika, ohne die Tatsache, daß 46 Senatoren soeben
    einen neuen Aufruf gegen die Demontage unterschrieben hatten? Das glauben Sie selber nicht,
    Herr Dr. Bucerius.

    (Zuruf in der Mitte: Hat auch keiner bestritten!)

    Der Vorstoß von McCloy ist das Ergebnis der demokratischen Debatte über die Demontagen in den Vereinigten Staaten und der breiten überparteilichen Front, die in Amerika aufgerichtet worden ist, mit der von deutscher Seite auch Männer von außerordentlich verschiedenen innenpolitischen Standpunkten sehr kameradschaftlich zusammengearbeitet haben.

    (Zuruf in der Mitte: Also dann danken wir es doch dem deutschen Bundeskanzler!)

    — Leider kann ich in diesem Zusammenhang dem deutschen Bundeskanzler nicht danken.

    (Hört! Hört! in der Mitte. — Zuruf: Das ist ja seltsam, das ist ja bedauerlich!)

    — Es ist nicht nur seltsam,

    (Erneuter Zuruf: Es ist bedauerlich!) sondern der Zwischenruf, der eben kam, trifft genau den Kern der Sache: Es ist schade und bedauerlich. Ich bekenne Ihnen ganz offen, daß mein

    größter Schmerz in dieser Angelegenheit dadurch verursacht worden ist, daß dieser Kampf, der in drei Ländern ohne Unterschied der politischen Meinungen geführt wurde

    (Zuruf in der Mitte: Und der erfolgreich war!)

    und der erfolgreich geführt wurde, soweit er überparteilich war, in Deutschland und von der Bundesregierung in den letzten beiden Wochen nicht mehr in diesem Geiste weitergeführt worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es tut mir leid, daß ich es sagen muß: aber es ist meine Überzeugung in dieser Sache. Ich glaube, ich kenne einiges von den Hintergründen der Dinge, über die ich hier spreche. Nach meiner Überzeugung liegt das unbefriedigende Ergebnis dieses Kompromisses zum großen Teil darin, daß die Bundesregierung bei dem ganzen Kampf und bei den Verhandlungen der letzten Zeit zu erkennen gegeben hat, daß sie sie als Verhandlungen der Regierung führen wollte und daß sie hier nicht gedachte, im Namen des ganzen Volkes oder einer


    (Dr. Baade)

    Ù breiten politischen Front zu sprechen. Das ist eine sehr bedauerliche Schwächung unserer politischen Situation.
    Ich glaube, daß die allzu früh ausgesprochene Bereitwilligkeit, in die Ruhrbehörde einzutreten, mehr als alles andere den deutschen Standpunkt geschwächt hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Den maßgebenden Politikern auf der anderen Seite einschließlich der Hohen Kommissare ist es längst klar, daß die Ruhrbehörde ein totgeborenes Kind ist, daß die Ruhrbehörde ohne den Eintritt Deutschlands bedeutungslos ist. Das, was von denen, die es wirklich gut mit Europa meinen, von uns verlangt wird, ist nicht die Mitarbeit an einem Institut, das jedenfalls bisher immer nur als ein Institut zur kalten Demontage in Deutschland, zur Drosselung der deutschen Industrie gedacht gewesen ist, sondern das ist — als unser positiver Beitrag — eine freiwillige und freudige Mitarbeit an den Instrumenten der Sicherheit. Die Ruhrbehörde hat mit Sicherheit überhaupt nichts zu tun. Was die Ruhrbehörde und was das Londoner Abkommen in Wirklichkeit ist, hat der Bundeskanzler selber in einer Rede im Landtag von Nordrhein-Westfalen in einer Weise gekennzeichnet, wie ich es nicht besser tun könnte. Er hat davon gesprochen, daß man heute nicht mehr gern politische Annexionen macht, daß aber wirtschaftliche Annexionen unendlich viel schlimmer sind. Und er sagte zum Londoner Abkommen:
    Hier in diesem Ruhrabkommen ist der erste eklatante Fall, daß man zwar nicht politisch annektiert, daß man aber etwas viel Schlimmeres tut, daß man ein großes arbeitsames
    Volk wirtschaftlich annektiert.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Und er fährt fort:
    Der Londoner Vertrag widerspricht auch dem natürlichen Recht. Das natürliche Recht läßt es nicht zu, daß über die Bodenschätze eines Landes, über die Arbeitskraft seiner Bewohner andere Staaten verfügen. Das ist unmöglich, ein solches Abkommen widerspricht jedem natürlichen Recht.

    (Hört! Hört! links.)

    Ich stehe nicht an zu erklären, daß diese Deutung des Londoner Abkommens seitens des Herrn Bundeskanzlers mir sehr viel richtiger zu sein scheint als das, was eben der Herr Bundesjustizminister über den Rechtscharakter dieses Instituts erklärt hat.
    Meine Damen und Herren, ich sagte Ihnen: das, was hier erreicht worden ist, bleibt weit hinter dem zurück, was erreicht werden muß, wenn Deutschland lebensfähig werden soll. Es ist nicht erreicht worden, eine der produktivsten Anlagen in ganz Europa zu retten, eine Anlage, die in der amerikanischen Demontagediskussion vom ersten Tage im Zentrum gestanden hat, nämlich Europas größte Stickstoffdüngerfabrik in Oppau-Ludwigshafen. Große Teile dieser Anlage sind durch die Verhandlungen auf dem Petersberg zur Demontage verurteilt, obwohl das Humphrey-Komitee ihre Rettung empfohlen hat, obwohl das Humphrey-Komitee festgestellt hat, daß ein Transfer dieser Anlagen wirtschaftlich überhaupt nicht möglich ist. Ich kann Ihnen in der vorgerückten Zeit die ganzen Konsequenzen dieser Zerstörung nicht auseinandersetzen, ich darf Ihnen nur sagen, daß hier
    Anlagen im Werte von ungefähr 12 Millionen DM demontiert werden, um einen Restwert von 3 Millionen DM zu erzeugen. Das sieht nicht erschütternd aus. Aber die Zerstörung dieser Anlage senkt die Stickstoffkapazität in Deutschland um 120 Millionen t Reinstickstoff. Diese 120 Millionen t Reinstickstoff kosten nach heutigen Preisen 100 Millionen DM jährlich; aber sie sollen geopfert werden, um einen Schrottwert zugunsten des französischen Reparationsgläubigers von 3 Millionen DM zu erzeugen, und mit diesem selben Stickstoff hätte der deutsche Landwirt 2 Millionen t Getreidewert im heutigen Wert von 500 Millionen DM erzeugt. Dieses Beispiel habe ich in Amerika unzählige Male benutzt, um zu zeigen, daß diese Zerstörung wirklich die sinnloseste Zerstörung auf Kosten des Reichtums der gesamten westlichen Welt ist, wenn, um 3 Millionen DM Schrott zu erzeugen, eine landwirtschaftliche Produktion im Werte von 500 Millionen DM unmöglich gemacht wird.
    Ähnlich unerträglich ist die Verurteilung zur Demontage des Stahlwerks in Watenstedt, desjenigen Stahlwerks in Europa, das in gewissem Sinne seinen natürlichsten Standort hat insofern, als es direkt auf Erzvorkommen liegt, die noch für Jahrhunderte reichen würden. Es ist in dem Fall von Watenstedt mit den unmöglichsten Verdrehungen gearbeitet worden. Mir hat Senator Pepper einmal einen Brief von einem hohen Beamten aus dem State Department geschickt, in dem dieser Beamte erklärt hat, Watenstedt könne ruhig zerstört werden, denn es müßte seinen Koks aus der Ruhr ja auf dem Eisenbahnwege beziehen. Dabei weiß jeder Mensch in Deutschland, daß mit hohen Kosten ein Stichkanal zum Mittellandkanal gebaut worden ist, nur um hier den Austausch von Erz und Koks auf dem wirtschaftlich besten Wege zu ermöglichen. Es kommt das sozial Ungeheuerliche hinzu, daß hier ein Gebiet von 120 000 Menschen auf Gedeih und Verderb von diesem Werk abhängt, ausgerechnet unmittelbar am Rande des Eisernen Vorhangs, ein Gebiet, das jeder Radikalisierung offensteht, wenn es bei diesem unmöglichen Abkommen auf dem Petersberg bleibt. Wir können nur hoffen, daß es der Bundesregierung gelingen wird, aus dem Versprechen, das diesmal wegen der Schaffung von Arbeitsgelegenheiten abgegeben worden ist, etwas wesentlich Konkreteres herauszuholen als aus den absolut inhaltslosen, leeren Versprechungen, die bisher von seiten der Besatzungsmacht gegeben worden sind, um die Arbeiterschaft von Watenstedt über die drohende Arbeitslosigkeit zu beruhigen.
    Ein anderer Punkt, der mit der Gewinnung einer Lebensfähigkeit Deutschlands absolut unvereinbar ist — und damit darf ich schließen —, ist die Beibehaltung einer Stahlquote in Deutschland von 11,1 Millionen Tonnen. Ich will Ihnen nur eine Zahl sagen. In dem Plan der interalliierten Militärregierungen, in dem sie als sogenannten Longterm-Plan ausgerechnet haben, daß Deutschland im Jahre 1952/53 lebensfähig sein sollte, hat man uns vorgerechnet, wir sollten in dem Jahre einen Maschinenexport im Wert von etwa 1 Milliarde Dollar haben. Es kann niemand geben, der sich mehr darüber freut als wir. Aber wenn wir den Rechenstift in die Hand nehmen, dann wissen wir, daß wir in der Vorkriegszeit im ganzen großen Deutschland nur einen Maschinenexport von 175 Millionen gehabt haben, und das ist volumenmäßig heute vielleicht 350 Millionen. Man wünscht uns einen Maschinenexport im dreifachen Volumen der Vor-


    (Dr. Baade)

    kriegszeit und hat auf dem Petersberg erneut beschlossen, daß unsere Stahlproduktion auf 60 % der deutschen Stahlproduktion in einem Friedensjahre von Vollbeschäftigung herabgemindert sein soll.

    (Hört! Hört! links.)

    Das ist unvereinbar mit dem Ziel, dieses Deutschland jemals lebensfähig zu machen.

    (Zuruf rechts: Wie lange noch?)

    Wie lange noch? fragen Sie mich.

    (Zuruf rechts: Über eine Stunde!)

    — Ich dachte, Sie fragten mich, wie lange es noch dauern wird, bis wir davon freikommen. Das ist nämlich das, was das deutsche Volk uns fragt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Auf diese Frage, meine Damen und Herren, kann ich Ihnen auf Grund der bescheidenen Erfahrungen, die ich bisher in diesem Kampf erwerben durfte, nur eines sagen: Mit den Methoden des autoritären Regierens, wie es die Bundesregierung in diesem Fall versucht hat, wird es sehr lange dauern. Je früher wir uns dazu entschließen sen Kampf auf die breite, überparteiliche Grundlage zu stellen, auf der er allein gewonnen werden kann, und je früher es die Bundesregierung lernt, in diesem Kampf die berufene Vertretung des deutschen Volkes, die Volksvertretung, in vollem Umfange einzuschalten, desto eher werden wir diesen Kampf gewinnen.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Arndt hat davon gesprochen, daß wir in einer ernsten Stunde stehen. Es ist in der Tat eine ernste Stunde. Sie ist es in dem einen Sinn, daß jeder Augenblick, der uns zwingt, einen Rückblick auf unser geschichtliches Schicksal zu werfen, das uns seit dem unglückseligen Zusammenbruch des Jahres 1945

    (Abg. Renner: 1933, meinen Sie!)

    — ich bin sehr mit Ihnen einverstanden, auch seit dem Jahre 1933 — beschert worden ist, uns ernst und traurig zu stimmen vermag. Diese ernste Stunde hat aber noch einen anderen Gehalt. Es sei gleich voran gesagt: meine politischen Freunde und ich erwarten, daß von dieser Stunde, von hier und heute eine neue Epoche der Beziehungen des deutschen Volkes zur Welt beginnt.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU.)

    Es mag als ein großes Wort erscheinen, wenn
    das hier ausgesprochen wird, nachdem die Redner
    der Opposition durch ihre Argumente mit schweren Bedenken versucht haben, die Stunde zu analysieren, aber auch zu verkleinern. Es ist nicht an
    dem, daß heute nicht sehr viele Bedenken zu jedem
    möglichen Schritt deutscher Außenpolitik angemeldet werden könnten. Es ist nicht an dem, daß
    ernsthafte Argumente gegen neue Schritte in der
    deutschen Außenpolitik nicht ernsthaft aufgenommen würden. Aber es geht darum, heute einmal
    wirklich zu sehen, was beginnt, mehr auf den
    Geist der Dinge zu sehen als nur auf den einzelnen Buchstaben und das einzelne technische Wort.
    Als wir im Jahre 1945 zusammenbrachen, war
    uns nichts anderes übriggeblieben als unsere Hoffnung, unser Mut und die Kraft des Geistes und des
    Willens. Es war uns dazu noch übriggeblieben die
    Hoffnung — und da hat Herr Baade vollkommen recht — auf alle jene Gutgesinnten in der Welt, die bereit sein mochten, in einer Stunde, die nicht nur unser Schicksal, sondern das Schicksal der ganzen Welt besiegeln mochte, die Großmut des Siegers zu üben. Die Großmut des Siegers hat lange auf sich warten lassen, trotz all der vielen Kräfte, die hier aufgezählt worden sind und deren Beitrag zu dem, was heute erreicht worden ist, nicht geleugnet werden soll. Mancher Deutsche konnte sich die Frage stellen: Gibt es in dieser Situation für den Besiegten selber überhaupt eine Möglichkeit, in der neuen Bewegung der europäischen Politik mitzuwirken, selber Impulse zu geben, damit die europäische Politik aus einer verhängnisvollen Stagnation und Verkrampfung heraus jenem gemeinsamen Ziel entgegengeführt werde, das alle Gutgesinnten unseres Volkes und alle Gutgesinnten der Welt erstreben? Gewiß, Impulse der Macht konnten es nicht sein. Es mochte Deutsche geben — und es hat sie gegeben —, die glaubten, aus dem erwachsenden Gegensatz der großen Weltmächte Kapital schlagen zu können, die glaubten aushandeln zu können.

    (Abg. Renner: Der heißt Adenauer!) — nein, der Mann heißt gewiß nicht Adenauer; ich werde auf diesen Punkt noch zu sprechen kommen —, die wirklich eine Politik des Kuhhandels glaubten betreiben zu können. Das waren, verehrter Herr Dr. Schumacher, Leute des 19. Jahrhunderts; das waren Leute, die nicht begriffen haben, was die Stunde des 20. Jahrhunderts geschlagen hatte. Nicht zu denen bei uns und bei anderen bekennen wir uns, die da Europa im Munde führen und nur den Vorteil des eigenen Landes meinen.

    Beifall bei der CDU.)
    Uns ist Europa und mit Europa die Welt eine wahrhaft wichtige Angelegenheit, weil wir ganz genau wissen, daß die Entscheidung in diesem Jahrhundert entweder die europäische Entscheidung sein wird. Dann werden alle diese Streitfragen, um die wir uns heute noch zanken, keine Bedeutung mehr haben.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Oder Europa wird diesen Weg nicht finden; dann geht es unter. Das ist die Alternative, die vielleicht jeder in diesem Hause — außer Ihnen ganz links — in ihrem vollen Ernst sieht.
    Nun ist das Wort Bismarcks von der Politik als der Kunst des Möglichen viel gebraucht und, ich weiß, viel mißbraucht worden. Darüber scheinen heute in der Tat die Ansichten der Regierung und der Opposition auseinanderzugehen. Und wenn wir ernst und offen miteinander reden und uns wirklich bemühen, uns nicht gegenseitig parteipolitische und parteitaktische Gründe zu unterschieben, dann wollen wir uns diesen Gegensätzen nicht verschließen. Mir erscheinen zwei Äußerungen der Vertreter der Opposition besonders aufschlußreich, um diese verschiedene Auffassung über den Weg, den die deutsche Außenpolitik einschlagen sollte, zu beleuchten. Die eine Außerung war die des Herrn Kollegen Dr. Arndt, der gesagt hat: „Wir wollen eine totale Kooperation der Völker" — einverstanden! —, „nicht nur eine Allianz der herrschenden Klassen". Hier zeigte es sich, daß die Opposition, die Sozialdemokratische Partei, aus ihrer innenpolitischen Konzeption eine außenpolitische Konzeption entwickelt,

    (Zuruf von der SPD: Wieso denn?)



    (Kiesinger)

    indem sie den Standpunkt der sozialistischen Politik, wie sie ihn immer begreift,

    (Abg. Dr. Wuermeling: Klassenkampf!) gegen die Politik stellt, die wir als die Politik nicht nur einer herrschenden Klasse, sondern als die Politik begreifen, die zum wahren Wohl des deutschen Volkes führen wird.

    Die zweite Bemerkung des Kollegen Baade war die, daß er sagte: Ja, wenn bei der Ruhrbehörde deutsche, englische, amerikanische Arbeiter — wenn ich ihn recht verstanden habe — vertreten wären, würden wir zu dieser Behörde anders stehen. Das ist doch nun in der Tat ein 'Gegensatz, der ganz klar genannt werden soll. Ob deswegen der andere Gegensatz, der von der Sozialdemokratischen Partei vertreten wird, wirklich so bedeutsam ist, weiß ich nicht. Es wird von der Opposition gesagt, daß wir viel zu rasch und zu früh zu Vorleistungen, Gegenleistungen, zu Verkoppelungen von Leistungen bereit gewesen sind, während durch eine vielleicht kraftvolle oder konsequente Politik — über deren Einzelheiten wir allerdings nur sehr wenig vernommen haben —

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    diese oder noch viel weitergehende Erfolge sich erreichen ließen.
    Es ist eine Unterstellung, die wir scharf zurückweisen müssen, daß bei dieser Außenpolitik — auch in den Schlußworten des Kollegen Baade kam dies zum Ausdruck — es sich um ein Bündnis von kapitalistischen oder herrschenden Klassen der Völker handle. Es geht uns — das dürfen Sie von der Opposition uns glauben —, genau so wie wir es von Ihnen annehmen möchten, um das Wohl der Völker.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wie es in der Wirtschaftspolitik falsch ist, die Dinge so zu formulieren, als ob die einen nur für das Wohl der arbeitenden Klasse und die anderen für das Wohl der besitzenden Klasse Politik betrieben, genau so falsch ist es, auf außenpolitischem Gebiet den Gegensatz so herauszustellen.

    (Beifall bei der CDU.)

    Wir sind gegen eine Politik der planenden oder zwingenden Wirtschaft deswegen, weil wir uns von ihr keinen Erfolg versprechen, auch keinen Erfolg für die arbeitenden Klassen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Und wir machen uns nach den bisherigen Erfahrungen darüber keine Illusionen, daß eine Politik, die sich etwa auf die internationale Solidarität der arbeitenden Klassen bezöge, uns aus unserem Elend herausreißen würde.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Ich gebe zu, daß drüben auf den englischen Inseln Männer und Frauen leben, die sich in vorbildlicher Weise für unsere Belange, die Belange der Menschlichkeit eingesetzt haben. Da hat Kollege Baade vollkommen recht; aber sie haben sich nicht durchsetzen können, allzu lange nicht durchsetzen können; und noch jüngst hat der englische Außenminister seinen Zorn gegen das deutsche Volk, seine Ressentiments gegen die Deutschen selbst in einer hochpolitischen Rede nicht unterdrücken können. Ich habe bedauert, daß er es getan hat.

    (Abg. Renner: Er hat aber ganz bestimmte Deutsche gemeint!)

    — Verehrter Herr Renner, er hat nicht einmal Sie ausgenommen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Er hat nämlich von den Deutschen gesprochen,

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Zuruf von der KPD: Ein schlechter Politiker und ein noch schlechterer Schauspieler! — Weitere Zurufe und Unruhe.)

    — Ich habe Ihre Randbemerkungen zugelassen, ohne zu glauben, daß es sich lohnt, darauf einzugehen.

    (Zuruf von der KPD: Dazu fehlen Ihnen die Voraussetzungen!)

    — Ich traue mir durchaus zu, Ihnen, wo es notwendig ist, eine Antwort zu geben.

    (Zurufe.)

    Nun, meine Damen und Herren, um was handelt es sich wirklich? Das ist die Frage, die ich nach den Ausführungen des Kollegen Arndt aufgreifen will. Es handelt sich nicht darum, hier vor diesem Parlament große völkerrechtliche Kollegs zu lesen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Es handelt sich nicht darum, den großen Erfolg, den unser Bundeskanzler in den letzten Tagen nach der Meinung nicht nur des großen Teils des deutschen Volkes, sondern des überwiegenden Teils der Welt

    (Lebhafter Beifall in der Mitte)

    erzielt hat, zu verkleinern. Wir nehmen unserer Opposition nicht das Recht, da ihre Stimme zu erheben, wo sie glaubt, dazu verpflichtet zu sein, und wo sie glaubt, darauf hinweisen zu müssen, daß noch das eine oder das andere getan und noch erlangt werden könnte. Eins wollen wir aber unter allen Umständen verhindern: Wir wollen nunmehr unseren führenden Politikern jenes Schicksal der Politiker nach 1919 — und zwar das Schicksal der fähigen Politiker nach 1919 — ersparen, die, von einem Teil ihrer politischen Gegner bekämpft, geschmäht, ja oft genug verleumdet oder aber umgeben von der frostigen Atmosphäre politischen Unverständnisses oder politischer Uninteressiertheit eines großen Teiles unseres Volkes ihr bitteres Amt haben ausführen müssen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wir sind hier nicht zusammengekommen, um unserem Bundeskanzler überflüssige Ovationen darzubringen. Aber wir haben uns verpflichtet gefühlt, ihm, der diesen einsamen und schweren Weg der letzten Wochen hat gehen müssen,

    (Lachen links)

    der diesen notwendig einsamen Weg hat beschreiten und diesen Kampf hat führen müssen,

    (Zustimmung in der Mitte und rechts)

    der aber bei jeder Phase dieses Weges sein Gewissen befragte, wie wir genau wissen, zu versichern, daß er unser Vertrauen hat und daß er dieses unseres Vertrauens auch auf dem weiteren Wege versichert sein darf.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Wenn ich vorhin davon sprach, wie denn ein Besiegter in dieser europäischen Situation von sich aus der stagnierenden europäischen Politik Impulse zuführen konnte; so konnte die Antwort nur lauten: der Besiegte, der über keine Macht und keine Gewaltmittel verfügt, darf sich nicht darauf beschränken, eine Politik des Schachern, des Handelns, der bloßen Ausnutzung zeitbedingter Situationen zu betreiben; dieser Besiegte, der nicht, wie nach 1919 manche noch glauben konnten, eine


    (Kiesinger)

    Politik des allmählichen Heraushandelns von Vorteilen für die eigene Nation im Auge hat, sondern der wie jeder echte europäische Politiker das Ziel der kommenden europäischen Föderation — oder wie Sie das kommende Gebilde nennen wollen — im Auge hat, mußte einen anderen Impuls geben. Diesen Impuls kann man nicht mit schönen Worten geben; denn die politischen Tatsachen sind dafür viel zu hart und viel zu rauh. Diesen Impuls konnte man nur mit Taten geben.

    (Sehr richtig in der Mitte und rechts.) Taten aber konnten in diesem Zusammenhang nur Opfer, nur Zugeständnisse sein.

    Gewiß, das ist eine Politik, die mit Risiko verbunden ist, eine Politik, die unter Umständen auch fehlgehen könnte, nämlich dann, wenn die Partner dieser Politik sie nicht verstehen würden. Unser Kanzler hat immer wieder in gelegentlichen Adressen an das Ausland darauf hingewiesen, es sei die Voraussetzung seiner Politik, daß auch drüben auf der anderen Seite jener Geist der Zusammenarbeit, jener Geist europäischen Gemeinsinnes, ja Weltgemeinsinnes, vorhanden sei der allein uns zu einer wirklichen Lösung bringen könne.

    (Zuruf von der KPD: Glauben Sie an diese Lösung?)

    — Daran glauben wir; denn wenn wir nicht daran glaubten, Herr Renner, dann müßten wir heute resignierend unser Schicksal vom Osten her hinnehmen, und das wollen wir nicht.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.) Wir glauben immer noch an eine Lösung, und zwar an eine Lösung der Freiheit und des Friedens.


    (Erneute lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Man mag nun zu diesen Zugeständnissen, wie man sie nennt, tatsächlich verschieden Stellung beziehen. Man mag sagen: „zu früh, zu viel, zu rasch!

    (Zurufe von der KPD.)

    Wir sind der Meinung: nicht zu früh, nicht zu viel und nicht zu rasch! Wir sind deswegen dieser Meinung, weil sich die Situation des Jahres 1919 nicht wiederholt, weil es in der Tat jetzt nicht darum geht, wie vorhin dem Bundeskanzler und seiner Politik unterschoben worden ist, eine Politik des Kuhhandels, der Verkoppelung, des Schacherns, der Kleinkrämerei zu betreiben. Wer könnte dies der Politik des Bundeskanzlers und der Bundesregierung in der Tat vorwerfen!. Diese Politik hat eine ganz andere Grundlage und ein ganz anderes Ziel.

    (Widerspruch bei der KPD und bei der SPD.)

    Es ist eine Politik, die darauf hinausgeht, ganz Europa und insbesondere Frankreich — denn hier liegt ja der Schlüssel für die Lösung des europäischen Problems — aufzufordern, nun nach diesen Beispielen echten europäischen Gemeinsinnes, die wir beibringen, den europäischen Gemeinsinn ihrerseits zu fördern.

    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Das Abkommen, das auf dem Petersberg beschlossen worden ist, zeigt ja nicht nur in seinen einzelnen Bestimmungen, sondern in seinem ganzen Wortlaut, in dem Ton, in dem es gehalten ist, daß dies die eigentliche Seele des Abkommens ist. Wenn in dem Abkommen ausdrücklich der Satz steht, daß auf der Grundlage des gegenseitigen
    Vertrauens die Beziehungen der Mächte fortschreitend weiter zu entwickeln sind, dann ist damit deutlich genug gesagt, daß in dieses Abkommen in der Tat ein dynamisches Prinzip mit hineingenommen worden ist und daß es sich nicht um eine jener ewig statischen, ewig starren Vereinbarungen handelt, die shylockhaft ausgelegt werden sollen. Es geht hier vielmehr um ein Abkomkommen, das von vornherein die Entfaltung, die Entwicklung in sich begreift. Das liegt ja — und das ist das größte Plus der Politik des Kanzlers — einfach im Zuge der europäischen geschichtlichen Entwicklung. Wir brauchen nicht so ängstlich und so kleinlich zu sein. Wir dürfen den Mut haben, daß die Zeit des anarchischen Nationalstaatentums wirklich vorbei ist. Wer bei uns oder bei den anderen jener Zeit und jener Konzeption noch anhangen sollte, der würde in der Tat einer versteinten Zeit angehören.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Wir Deutsche wollen doch wieder einmal - was
    wir so selten in unserer Geschichte haben tun
    können — im Zuge der Zeit Politik machen: denn
    immer dann ist Politik erfolgreich, wenn sie wirklich im Geiste der Zeit lebt und handelt und nicht
    entgegen der Zeit, wie wir es so oft getan haben.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts; Zurufe von der KPD.)

    Dieser Geist der Zeit wird von allen, die nicht in einer einseitigen, dogmatischen politischen Konzeption befangen sind, durchaus begriffen. Es ist der Geist der Einheit, es ist der Geist der Freiheit und es ist der Geist des Friedens, der Geist, den nicht, wie man uns glauben machen will, ein paar bösartige Kapitalisten als Propagandavorwand gebrauchen, sondern der Geist, der Hunderte von Millionen Menschen auf dieser Welt beseelt. Darüber sind wir uns, glaube ich, auch mit dem größten Teil unserer Opposition einig.
    Wenn mir noch ein kurzes Wort zur juristischen Sachlage zu sagen erlaubt ist, so möchte ich nicht auf die langen juristischen Erörterungen, die heute abend hier gehalten worden sind, im einzelnen eingehen. Ich möchte aber insbesondere den scharfsinnigen und sorgfältigen Begründungen des Herrn Kollegen Dr. Arndt entgegenhalten, daß sie einem traditionellen Völkerrecht oder einer traditionellen völkerrechtlichen Argumentation entnommen sind, die, wie er selber weiß, heute von Völkerrechtlern durchaus ernsthaft bestritten werden kann und ernsthaft bestritten wird. Es gibt je und je im Ablauf der Jahrhunderte und seit den Zeiten des Hugo Grotius und seines „De iure belli ac pacis" Entwicklungen — und wir erleben jetzt wieder eine solche Zeit —, in der die bisherigen Grundlagen des Völkerrechts sich auflösen, zertrümmert werden, in der völlig neue Tatbestände geschaffen werden und aus diesen neuen Tatbeständen sich erst wieder ein neues Völkerrecht entwickelt.

    (Zuruf von der SPD: Das haben wir an Hitler erlebt!)

    — Wir haben an Hitler nicht erlebt, daß sich ein neues Völkerrecht entwickelt hat, aber wir haben nach 1945 erlebt, daß durch das, was angerichtet worden ist, dieses neue Völkerrecht dann allerdings in der Tat mit Macht in Erscheinung trat.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Daß wir Deutsche dabei in der Hauptsache die Leidtragenden sind, ist wahr. Ich gehe nicht so weit in meinen Entgegnungen gegen Herrn Kollegen Dr. Arndt, wie einer dieser deutschen Völker-


    (Kiesinger)

    rechtler, in seiner Hilflosigkeit der Situation gegenüber, zu sagen: „Ja, man muß feststellen, daß es heute zweierlei Rechte im Völkerrecht gibt, eines, ein Sonderrecht für die Deutschen, man könnte es auch ein Unrecht für die Deutschen nennen, und all das andere für die übrigen Völker." Dieses Argument will ich nicht bringen.

    (Abg. Dr. Arndt: Aber nur e i n Grundgesetz, Herr Kollege!)

    — Richtig, Herr Kollege Dr. Arndt, nur ein Grundgesetz, aber Sie können in diesem Falle das Grundgesetz ja nicht losgelöst von einer völkerrechtlichen Betrachtung konzipieren, da ja die Streitfrage abhängt von völkerrechtlichen Betrachtungen, nämlich davon, ob der Artikel 59 hier betroffen ist, ob es sich um völkerrechtliche Vereinbarungen und nicht um Vereinbarungen ganz eigener, ganz neuer Art handelt, eben im Rahmen dieses Besatzungsrechts, und darum, ob es nicht in der Tat richtig ist, daß wir keinerlei Hoheitsrechte übertragen, sondern daß wir nur einen Zustand hinnehmen, der bereits besteht. Ich bin mit meinen Freunden der Auffassung, daß es in der Tat so ist und daß infolgedessen die Voraussetzungen der Verfassung nicht zutreffen.
    Aber, meine Herren von der Opposition, des großen Klagens ist keine Not; denn das, was Sie letztlich wollen, eine Willenskundgebung des Parlamentes zu dieser Politik der Regierung, das bekommen Sie zwar nicht in dieser formalistischen Art einer besonderen Gesetzgebung, aber Sie bekommen es heute und jetzt, diesen Abend noch werden Sie es erleben!

    (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte und rechts. — Zurufe links.)

    Wenn Sie also davon sprechen, daß das Parlament übergangen werde, so ist es nur in einem gewissen formellen Sinne von Ihrem Standpunkt aus richtig. Sie wissen selbst, daß das Ergebnis, ob wir heute abend dieses Parlament so unformell befragen, oder ob es den formellen Weg der Gesetzgebung ginge, sachlich kein anderes sein würde.

    (Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Uns liegt die Sorge um die Bewahrung des Grundgesetzes und der verfassungsmäßigen Rechte des Parlamentes genau so am Herzen wie der Opposition.

    (Zurufe links: Na, na!)

    Die Opposition mag uns einwenden: „Das sieht nicht so aus!" — Gut, wir können auch hier vielleicht eine etwas verschiedene Konzeption vom Grundgesetz haben. Das Grundgesetz selbst ist ja durchaus nicht ganz einfach einzufügen in das Schema irgendeines durchschnittlichen parlamentarischen Verfassungsstaates. Die Rechtsstellung, die es der Regierung und dem Bundeskanzler bewußt durch die Verfassungsgesetzgebung erteilt hat, ist in der Tat eine wesentlich andere als etwa zur Zeit der Weimarer Verfassung.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Das ist bewußt so gewollt, um jenem entsetzlichen Elend und Unglück zu steuern, das wieder hätte kommen können, diesem ewigen Wechsel machtloser Regierungen, nie arbeitsfähig, nie entschlußfähig, und damit die Öffnung des Weges zum politischen Chaos, zur politischen Anarchie, zur politischen Demagogie und zuletzt zur politischen Diktatur!

    (Händeklatschen in der Mitte und rechts.)

    Auch hier kann in der Tat — das wäre einmal unter uns in allem Ernst auszudiskutieren — eine verschiedene Konzeption zugrunde liegen. Wir werden in Zukunft Gelegenheit haben, noch mit Ihnen über diese Dinge zu sprechen.
    Was anzuerkennen ist, ist doch, daß diese Art von Erfolgen, die der Kanzler in den letzten Tagen und Wochen, in den kurzen Tagen und Wochen —
    zwei Monate, wurde heute gesagt, und ich betrachte zwei Monate im Leben eines Parlaments als eine verteufelt kurze Zeit — erreicht hat, doch nicht zuletzt auf eine gewisse Elastizität, auf eine gewisse Beweglichkeit und Spontaneität des Handelnkönnens beim Kanzler zurückzuführen ist.

    (Zurufe von der KPD.)

    — Ja, Sie von ganz links hätten das natürlich immer wieder gern, nicht wahr, den ganzen schwerfälligen Apparat der Gesetzgebung, der in Bewegung gesetzt würde, womöglich mit Einspruch des Bundesrats, hätten das Wochen, Monate vielleicht hinausgezögert! Dann würden wir überhaupt zu keiner politischen Aktivität mehr kommen.

    (Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Es muß doch dem parlamentarischen und demokratischen Sinne einer Verfassung entsprechen, wenn der Herr Kanzler weiß, daß er das Vertrauen der Mehrheit dieses Hauses hat

    (Hört! Hört! links)

    und daß das Hohe Haus ihm nun einmal bis zu einem gewissen Grade auch eine Blankovollmacht erteilt hat.

    (Lebhafte Zurufe links: Aha!)

    Anders geht es selbst in einem demokratischen Musterstaate nicht.

    (Zurufe links: Ermächtigungsgesetz!)

    — Meine Damen und Herren, bringen Sie mir nicht das Ermächtigungsgesetz! Sie wissen ganz genau, schon die Diskussion heute abend an dieser Stelle wäre bei einem Ermächtigungsgesetz nicht möglich; Sie wären nicht zu Wort gekommen und wir auch nicht.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Wir haben kein Ermächtigungsgesetz, sondern wir haben nur die Notwendigkeit, dem Kanzler eine gewisse Freiheit, einen gewissen Spiel- und Bewegungsraum im Politischen zu geben. Wie weit der im einzelnen zu gehen hat und zu geben ist, darüber kann in der Zukunft und wird zweifellos in der Zukunft noch manches in diesem Hohen Hause und in den Fraktionen dieses Hohen Hauses zu sagen sein. Aber ich habe den Eindruck, daß die Mehrheit dieses Hohen Hauses mit dem, was aus dieser Bewegungsfreiheit aus Spontaneität des Handelns nunmehr erreicht, worden ist, durchaus zufrieden sein kann.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und, meine Damen und Herren, nicht nur wir sind zufrieden. In diesen Abendstunden ist bereits draußen in den Arbeitsstätten, in den Fabrikstädten, in denen nun der Demontagestop Wirklichkeit geworden ist, das, was heute abend hier diskutiert wird, auch diskutiert worden, unter einfachen, schlichten Männern, die sich nicht den Blick trüben lassen

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts)

    durch kleinliche Analysen, sondern die wissen,
    um was es geht. Ich habe hier die ersten Meldungen vor mir liegen, die DPA hereingebracht


    (Kiesinger)

    ) hat. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten will ich wenigstens zwei von ihnen verlesen:
    Das Echo der deutsch-alliierten Abkommen. Hamburg (dpa). In den bisher zur Demontage vorgesehenen Betrieben des Ruhrgebiets hat die Verkündung des Demontagestops eine freudige Stimmung ausgelöst.

    (Zuruf links: Das ist eine abgemachte Sache!)

    Die Leute auf den Werken rufen sich die Einstellung der Demontage zu, teilt die Betriebsleitung der Chemischen Werke Bergkamen mit. Es herrscht eine Stimmung wie am Weihnachtsfest.

    (Zurufe links.)

    Für Bergkamen wird es einen kolossalen Auftrieb geben.

    (Erneute Zurufe links.)

    — Hören Sie es sich nur an! Und die zweite Meldung:
    Die Werksleitung der Krupp-Treibstoffwerke in Wanne-Eickel erklärt:
    Uns ist ein Stein vom Herzen gefallen. Alle sind begeistert. Es ist ein außerordentlicher Erfolg für Dr. Adenauer.

    (Händeklatschen in der Mitte und rechts. — Zurufe links.)

    Meine Damen und Herren, auch Sie, meine Damen und Herren von der Kommunistischen Partei,

    (Zurufe von der KPD. — Abg. Dr. Wuermeling: Setzen Sie doch mal Ihre Parteibrille ab da drüben!)

    wollen Sie von der Kommunistischen Partei ernsthaft behaupten, daß heute abend die Arbeiter dieser Städte in Sack und Asche herumlaufen?

    (Abg. Renner: Ich gebe Ihnen gleich die Antwort!)

    — Dann bedaure ich, daß wir hier keinen Fernseher haben, der Ihnen sofort vor Augen führte, wie die wahre Stimmung des Volkes ist, auch jenes Teiles des Volkes, den Sie angeblich allein vertreten.

    (Lebhafte Zurufe: Sehr richtig! und Händeklatschen in der Mitte und rechts. — Abg. Renner: Hat Herr Pferdmenges auch schon kapituliert?)

    Das, meine Damen und Herren, ist die Situation, wie meine politischen Freunde sie sehen. Wir sind der Meinung, daß wir tatsächlich Mut haben müssen zu dieser Politik. Wir verkennen nicht ihre Risiken. Wir wissen, daß es um ernste Entscheidungen geht. Wir sind stets bereit, die Einwände der Opposition anzuerkennen, wenn sie
    — und das muß ich hier einmal aussprechen — so vorgebracht werden, daß der Herr Bundeskanzler nicht wieder einmal genötigt wird, in eigener Sache das Wort zu ergreifen. Es muß dann aber in einer Form geschehen, die erträglich ist, sowohl innerhalb als auch außerhalb dieses Parlaments.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

    Es gibt eine Art der Kritik, die, von oben herab
    erteilt, in einem schulmeisterlichen Ton gehalten,
    mit Unterstellungen von vielleicht sogar unlauteren Motiven, mit dem Hinweis auf vollkommene
    Dummheit, auf den Mangel jeglicher politischen
    Konzeption usw., so vorgetragen werden kann, daß
    sie fast notwendigerweise eine Reaktion aus dem
    gegnerischen Lager herausfordert. Und wie bedauerlich ist das doch! Meine Damen und Herren,
    ich gehöre zu denen, die nichts sehnlicher wünschen, als daß dieser Zustand, den Herr Kollege Baade gekennzeichnet hat, erreicht würde, und ich weiß, daß auch der größte Teil meiner Freunde, ich möchte sagen, alle meine Freunde, diesen Zustand herbeiwünschen, den Zustand nämlich, daß wir einmal Außenpolitik treiben könnten auf der breitesten Grundlage, die in diesem Hause zu erreichen überhaupt möglich ist. Aber die Opposition wird mir zugestehen, daß sie uns das, insbesondere durch ihren Führer, nicht immer leicht gemacht hat. Man kann nicht einfach den Regierungsparteien immer nur vorwerfen, sie seien zu einer solchen gemeinsamen Außenpolitik nicht bereit. Ich habe nicht gefunden, daß von oppositioneller Seite eine solche Bereitschaft in Wort und Tat bisher ernsthaft gezeigt worden wäre.

    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Das soll aber nicht bedeuten, daß wir nicht alle aufgerufen wären, diesen Versuch auch in der Zukunft zu machen. Wer von uns sollte wirklich ernsthaft den Unsinn wünschen, daß in Sachen der deutschen Außenpolitik dieses h ou e Haus wirklich auf die Dauer nicht nur gespalten, sondern immer katastrophaler auseinandergerissen würde? Wir alle müssen doch wünschen, daß wir uns eines Tages in der Tat zusammenfinden. Aber dann müssen wir auch unseren Standpunkt ehrlich, höflich und mit gegenseitigem Respekt verfechten. Das wollen wir tun und haben wir auch getan, meine Herren von der Opposition,

    (Zuruf von der SPD: Eben nicht!)

    und wir erwarten es auch von Ihnen. Statt daß wir uns heute gegenseitig Vorwürfe machen, sollten wir lieber in der Zukunft aufpassen und bei aller Verschiedenheit der sachlichen Standpunkte versuchen, wenigstens das Menschenmögliche herauszuholen.

    (Abg. Rische: Wer macht denn die Politik?)

    Vielleicht wird auch auf diesem Gebiet weniger die Überzeugung Und die Einsicht das leisten, was in der Geschichte der Menschen immer nur die Not geleistet hat. Wir sind noch nicht am Ende unserer vaterländischen Not, der Not unseres Volkes, und ich betone es noch einmal: unseres Volkes in allen seinen Kreisen, der sogenannten Besitzenden und der Nichtbesitzenden.

    (Abg. Rische: „Sogenannten" ist gut!)

    Denn mit den alten Schlagworten des Klassenkampfes haben wir ja wohl alle allmählich aufgehört. Wir müssen diesen Geist der Tat — und es geht hier nicht um Phrasen, es geht hier um bittere Wirklichkeit — in die kommende Entwicklung mit hineinnehmen, nachdem, woran ich nicht zweifle, das Hohe Haus heute abend die Politik des Bundeskanzlers gebilligt haben wird. Wir alle müssen uns nicht nur als Deutsche untereinander in diesem Hause verpflichtet fühlen, sondern auch als Europäer unter Europäern; denn denselben Appell, den wir an uns richten, richten wir heute auch an die Menschen jenseits unserer Grenzen. Ich habe gesagt, um was es geht, daß wir diese Politik des Kanzlers nicht durchführen können, wenn nicht auch jenseits dieser Grenzen Einsicht, politische Weisheit, politische Güte, politische Großzügigkeit herrschen, die wir zu zeigen bereit sind und wie wir sie in der Tat schon gezeigt haben.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)



    (Kiesinger)

    Dies scheint mir, meine Damen und Herren, nach all den vielen kleinen Ausstellungen an der Politik das Wesentliche zu sein.
    Ich habe das Bedürfnis, am Schluß noch einmal gerade gegenüber Herrn Baade zu sagen: Es ist richtig, daß viele gute Kräfte in der Welt und viele zwangsläufige Entwicklungen unseren Kampf vorbereitet haben, der auch von seiten meiner Parteifreunde schon lange begonnen worden ist; denken Sie an den schon im Wirtschaftsrat seit langem geführten mühseligen Kampf gegen die Demontagen.

    (Zuruf: Nordrhein-Westfalen!)

    — Im ganzen Bundesgebiet. — Aber eines dürfen wir nicht verkennen: Wie leicht ist es, wenn nun mit einem Erfolg hervorgetreten wird, zu sagen: „Das ist gar nichts; wieviel mehr hätte sich heute oder morgen oder übermorgen erreichen lassen!" Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß hier doch etwas mehr im Spiele ist, daß das nicht nur eine mehr oder weniger zwangsläufige Entwicklung ist, sondern daß hier in der Tat eine bedeutende politische Persönlichkeit sich nun auf deutscher Seite endlich in das weltpolitische Gespräch mit unserer Unterstützung eingeschaltet hat. Diese Persönlichkeit ist unser Bundeskanzler Dr. Adenauer mit seinen Gehilfen in der Regierung.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Widerspruch links.)

    Diesen Erfolg kann man nicht verkleinern. Wir haben keinen Anlaß, diesen Erfolg als ein Freudenfest für Deutschland zu begehen. Daß es aber in vielen deutschen Herzen, in Tausenden und aber Tausenden, Freude gegeben hat und Freude geben wird, darüber ist kein Zweifel. Es ist auf dem mühseligen Weg aus der Katastrophe zu einem neuen menschenwürdigen Dasein ein wesentlicher Schritt vorwärts getan worden.
    Wenn ich noch ein Wort sagen darf zugunsten jener Armen, die durch die Vereinbarung nichts bekommen haben: Salzgitter usw., so dürfen diese Menschen gewiß sein, daß nichts, aber auch nichts unversucht gelassen wird, um auch ihnen in Zukunft zu helfen.
    Ich habe darauf hingewiesen, daß dieses Abkommen denkwürdig ist. Ich bin hier wie in vielen Fragen, die Herr Kollege Baade angeschnitten hat — ohne im einzelnen auf sie einzugehen —, der Auffassung, daß über kurz oder lang, ohne den berühmten „dolus eventualis", bald aus dem Geiste gegenseitigen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens sich jene von der Vereinbarung gewollte fortschreitende Entwicklung herausbilden wird. Wenn auch wir — anders geht es ja nicht — durch unser Mitdabeisein uns den nötigen Kredit verschafft haben, werden noch viele und hoffnungsvolle Möglichkeiten in der Entwicklung der Dinge liegen. Uns dabei, meine Herren von der Opposition, in jeder Art zu unterstützen, durch sachkundigen Rat, durch Erheben von Bedenken, wenn Sie glauben, daß ein Fehler gemacht worden sei, in der richtigen taktvollen und taktisch richtigen Art, sei niemandem verwehrt, wie auch wir uns bemühen wollen, alles so recht zu tun, wie es uns möglich ist. Wir wollen uns nicht von vornherein trennen. Wir wissen ja, um was es geht und was viele von uns über die Fraktionsschranken hinweg bekümmert hat. Dieses Bekenntnis des Vertrauens zur Politik des Kanzlers wollte ich zum Schluß auch im Namen meiner Parteifreunde abgeben. Es ist in der Tat nicht so einfach, solche
    Erfolge zu erreichen. Dazu gehört mehr: Männer, Persönlichkeiten! Weil wir dieser Auffassung sind, hat meine Fraktion folgende Entschließung gefaßt:
    Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Befriedigung von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis genommen und stimmt der politischen Zielsetzung der Bundesregierung zu.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)