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ID0100801200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 137 8. Sitzung Bonn, Dienstag, den 27. September 1949. Antrag der Zentrumsfraktion, betreffend Unterrichtung des Ältestenrats über den Stand der Abwertungsfrage: Dr. Reismann (Z) (zur Geschäftsordnung) 137C Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung . . . 137 B, 138 A Etzel (CDU) 138A Dr. Frey (CDU) 141D Dr. Kather (CDU) . . . . . . . 143C Euler (FDP) 146C Dr. Mühlenfeld (DP) 146D Dr. Besold (BP) 149D Unterbrechung der Sitzung . . 152B Löfflad (WAV) 152C Dr. Miessner (NR) 153A Dr. Ott (Parteilos) 155A Nächste Sitzung 156 C Die Sitzung wird um 15 Uhr 10 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Franz Etzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Im Rahmen der Debatte zur Regierungserklärung ist an dieser Stelle wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, daß man sie hätte abkürzen und dafür der Regierung Zeit für ihre Arbeit geben sollen. So richtig solche Meinungsäußerungen an sich sind, so darf doch nicht übersehen werden, daß in einem jungen Parlament der Wert solcher Debatten darin liegt, daß es sich profiliert und erste Standpunkte abgetastet werden, welche für die weitere Arbeit wertvoll sind. In diesem Sinne bejahe ich ganz besonders die Ausführungen des Abgeordneten Ollenhauer vom vergangenen Freitag. Ich stimme ihm zu, daß wir hier nicht den Versuch machen sollten, uns gegenseitig zu überzeugen. Das wäre im gegenwärtigen Augenblick verfehlt. Wir sollten aber versuchen, den andern zu hören und zu prüfen, ob sich auf der andern Seite nicht vielleicht doch Wertvolles und vielleicht auch Gemeinsames findet. Die Ollenhauerschen Ausführungen erscheinen so als ein wertvolles Symptom dafür, daß die Opposition vielleicht doch konstruktiv geführt werden kann.
    Gestatten Ake mir zunächst einmal einige allgemeine Bemerkungen. Herr Dr. Schumacher hat ausgesprochen, wir seien in einer Situation, in der große soziale Versager Heizstoffe für einen neuen Nationalismus und für einen Neofaschismus abgeben könnten. Ich stimme ihm darin zu. In dieser Erklärung liegt aber eine sehr große Verantwortung eingeschlossen, die Herr Dr. Schumacher zu übersehen scheint. Sie bedeutet, daß jeder in diesem Hause, dem es ernst ist mit seiner Verantwortung für unseren jungen demokratischen Staat, verpflichtet ist, echtes soziales Wollen überall anzuerkennen, wo es sich findet. Jeder Versuch, echte soziale Tatbestände zu leugnen und in ihr Gegenteil umzudeuten, nur weil sie vom politischen Gegner kommen, ist eine Sünde an diesem Staat.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Denn es liegt im Wesen des Politischen, daß solche Versuche immer Gläubige finden, die sich dann nicht in erster Linie gegen die jeweiligen politischen Machthaber, sondern in der Mehrzahl der Fälle gegen den Staat und damit gegen das richten, was allen guten Demokraten ein gemeinsames Anliegen sein soll. Ich wehre mich aus solcher Überlegung sehr energisch gegen die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher, in denen er so tut, als ob die Interessen der arbeitenden Bevölkerung nur bei der Opposition gewahrt würden,

    (Sehr richtig! bei der CDU)

    und wenn er behauptet, die Zusammensetzung der Regierung berge die Gefahr in sich, daß der neue Staat ein autoritärer Besitzverteidigungsstaat werde. Mit solchen Ausführungen tut man diesem neuen Staat keinen guten Dienst.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Ich darf aber in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß auch die Wähler der Abgeordneten der Regierungsparteien zur arbeitenden Bevölkerung gehören. Selbst wenn der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher unter „arbeitender Bevölkerung" hier die handarbeitende Bevölkerung gemeint haben sollte, so muß ich mit aller Festigkeit aussprechen, daß auch wir große Schichten dieser Bevölkerung vertreten und daß die Opposition kein Monopol auf soziale Gesinnung und auf alleinige Wahrung sozialer Interessen hat.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Wir haben Selbstbewußtsein genug, zu behaupten und zu beweisen, daß unsere Vorstellung von Sozial- und Wirtschaftspolitik zwar sehr wenig für anonyme Kollektive und ihre Funktionäre übrig hat, dafür aber um so bessere Lösungen für den Arbeiter als Menschen und die Besserung der Stellung der sozial Schwachen bietet. Wir sind von dem Glauben erfüllt, daß die Lösung der sozialen Frage die politische Aufgabe dieser Jahre ist, und wir werden danach handeln. Wir glauben aber nicht, daß man das Los der Arbeiter und der sozial Schwachen durch Gründung kollektiver Machtpositionen, Machthäufung beim Staate und Anwendung überlebter Theorien bessern kann.
    Herr Dr. Schumacher hat weiter ausgesprochen, der Herr Bundeskanzler habe die soziale Leistung von einer Wirtschaftsblüte abhängig gemacht, die nicht schnell realisiert werden könne. Wir räumen der Wirtschaft kein Primat vor der sozialen Gerechtigkeit ein. Ich muß aber unsere wiederholt ausgesprochene Meinung dahin nachdrücklich unterstreichen, daß eine gute Wirtschaftspolitik die beste Sozialpolitik ist; denn niemand kann auch in Deutschland mehr verteilen, als laufend erzeugt wird. Der wesentliche Grund der englischen Krise liegt schließlich in der Tatsache, daß der britische Wohlfahrtsstaat mehr verteilt hat, als erzeugt wurde.

    (Sehr richtig! bei der CDU. Unruhe und Zurufe links.)

    Der Übergang zur Marktwirtschaft war deswegen auch eine soziale Tat, weil er die Produktion nachhaltig gesteigert hat. Selbst unter Abrechnung der seit der Währungsreform vorgenommenen Selbstfinanzierung kann schließlich von niemand geleugnet werden, daß seit dieser Zeit an Konsumgütern erheblich mehr für die Lebenshaltung des Volkes zur Verfügung gestellt worden ist als vorher.
    Mit dieser zweiten allgemeinen Bemerkung bin ich aber schon mitten in der entscheidenden Auseinandersetzung. Die Opposition will nicht wahrhaben, daß der 14. August der Regierung und den Regierungsparteien ein klares Mandat für die Fortsetzung der Frankfurter Wirtschaftspolitik gegeben hat.

    (Zurufe links.)

    Die Ehrlichkeit sollte gebieten, meine Damen und Herren, anzuerkennen, daß das so ist.
    Herr Dr. Schumacher hat als die Aufgabe, vor der wir stehen, die Erhöhung des Produktionsvolumens um grob geschätzt ein Drittel bezeichnet. Ich will mich hier auf keine Zahl festlegen, aber im Prinzip ist die Aufgabenstellung völlig richtig gesehen. Es bleibt nun ein Geheimnis der Opposition, warum sie die Frankfurter Wirtschaftspolitik verurteilt, obwohl dieselbe den Weg der Produktionserhöhung seit dem ersten Tage Monat für Monat gegangen ist, obwohl sie die Produktion mehr als verdoppelt hat und immer steigend im August 1949


    (Etzel)

    bei 91 Prozent der Produktion von 1936 angelangt ist. (Unruhe und Zurufe links.)

    Inwiefern Herr Dr. Schumacher bei solchem Tatbestand in seiner großen Rede vom schrumpfenden Sozialprodukt redet, bleibt sein Geheimnis.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Es kann weiter nicht geleugnet werden, daß der Reallohn, der weiß Gott für bestimmte Schichten immer noch niedrig genug ist, seit der Währungsreform ganz unverkennbar bedeutend gestiegen ist.

    (Lachen links.)

    Die Entgleisungen infolge einer fehlerhaften Währungsreform sind seit der Jahreswende weitgehend aufgefangen. Das Ausmaß der Lebenshaltungskostensenkung seit der Jahreswende bis August 1949 beträgt 6 Prozent, wozu noch die seit diesem Zeitpunkt erfolgte Erhöhung des Nominallohns kommt. Auch hier muß ich beanstanden, daß Herr Dr. Schumacher vom sinkenden Reallohn spricht. Hier haben wir wieder eine unrichtige Behauptung, die ich aus dem Munde des Parteivorsitzenden der zweitgrößten Partei nicht gern höre.
    Die Opposition scheint, wenn ich die Herren richtig verstanden habe, das Problem dadurch lösen zu wollen, daß durch eine Preisverbilligung die Massenkaufkraft gehoben wird. Das ist eine sehr schöne Forderung, der man sehr begeistert zustimmen wird. Man muß aber auch sagen, wie man das machen will. Das Mittel des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher lautet: Konzentration der wirtschaftlichen Kräfte und der Rationalisierungspotenzen auf Massengüter, Planung in der Reihenfolge der Wichtigkeit der Güter, völlige Abkehr von der Produktion von Luxusgütern, Kontrolle und Lenkung der Rohstoffe und Kontrolle der Kreditverwendung.
    Der Abgeordnete Ollenhauer hat diese Gedankengänge unterstrichen. Ich finde in solcher Vorstellung vom richtigen Wege zur Preisverbilligung als Mittel der Produktionserhöhung nichts als das Herausholen alter Ladenhüter aus der glücklich gerade hinter uns gebrachten Zeit. Das ist doch ein so tiefer Eingriff in die gerade zurückgewonnene wirtschaftliche Bewegungsfreiheit, daß wir auf diesem Wege im Handumdrehen wieder bei der Planwirtschaft aus der Zeit vor der Währungsreform angelangt sein würden, wenn auch der Abgeordnete 011enhauer erklärt hat, daß er das gerade nicht will. Meine Damen und Herren, gehört angesichts der eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet und angesichts des Debakels, das zur Zeit in England offenbar wird, nicht geradezu der Mut der Verzweiflung dazu, uns hier erneut solche Empfehlungen zu machen? Die Pfundabwertung bedeutet doch gar nichts anderes, als daß die Kosten des englischen Wohlfahrtsstaates zu einem 'Teil auf das Ausland abgewälzt werden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wenn das Realeinkommen und damit der deutsche Lebensstandard durch die Abwertung beeinträchtigt werden sollten, dann möge sich die deutsche Bevölkerung der Tatsache bewußt sein, daß sie damit zur Tragung der Kosten des von der Opposition uns so angepriesenen Wirtschafts- und Sozialexperiments beiträgt. Wir in Deutschland hatten keine Abwertung nötig. Wir haben gearbeitet und nicht mehr verbraucht, als da war.
    Was heißt es denn überhaupt, wenn von der Opposition eine Konzentration der wirtschaftlichen Kräfte auf Massengüter und eine Planung in der
    Reihenfolge der Wichtigkeit der Güter verlangt wird? Heute wird in Deuschland jede Nachfrage auch nach Massengütern abgedeckt. Wo heute die Marktwirtschaft herrscht, dort allein gibt es Preisrückgänge und keinen schwarzen Markt. Wo aber an der Bewirtschaftung festgehalten worden ist, liegen auch die Preise fest und gibt es auch noch einen schwarzen Markt. Man zeige uns doch nur ein einziges Land in der Welt, wo die Planwirtschaft sich bewährt hätte! Nein, meine Damen und Herren, die soziale Marktwirtschaft hat die Zukunft für sich, nicht aber das Museumsstück der gelenkten Planwirtschaft. Es wird allerdings von unseren Gegnern immer wieder mit Fleiß versucht, das Wesen der sozialen Marktwirtschaft umzudeuten. Mein Fraktionsfreund Blank hat am Freitag sehr deutlich dargetan, was wir unter solcher Marktwirtschaft verstehen. Ich kann mich hier ganz wesentlich auf ihn beziehen und möchte nur ergänzend und unterstreichend folgendes zu. dem Thema sagen.
    In der von uns vertretenen sozialen Marktwirtschaft haben wir eine Wettbewerbsordnung hergestellt, in der ein echter Leistungswettbewerb bei gleichen Chancen und fairen Wettkampfbedingungen in freier Konkurrenz die bessere Leistung hervorbringt und in der besseren Leistung belohnt wird. Wir legen den Ton auf bessere Leistung und sind der Meinung, daß gerade unser Volk ein sehr feines Organ dafür hat, darauf angesprochen zu werden, daß wir in erster Linie durch Arbeit und Leistung aus unserer Not herauskommen müssen.
    In einer solchen Wirtschaft bedarf es allerdings wie in jeder Wirtschaft eines Ordnungsprinzips, welches das Zusammenwirken aller Beteiligten regelt. Dieses Steuerungsmittel ist der marktgerechte Preis, der dadurch entsteht, daß Kaufkraft O und angebotene Gütermenge auf dem Markt zum Ausgleich gebracht werden. Nicht eine lenkende Behörde, nicht Bezugscheine, nicht Beschlagnahme, auch nicht Kontrolle und Straforgane sollen Produktion und Verteilung lenken, sondern das soll nach unserer Meinung der Verbraucher selber tun. Er soll in einer echten demokratischen Abstimmung, dargestellt durch die vielen Hunderttausende täglicher Kaufabschlüsse, bestimmen, was er verbrauchen will, und damit indirekt auch, was produziert werden soll. Die von der Opposition angesprochenen breiten Massen bestimmen damit selber, was sie für Bedürfnisse haben und wo die Grenze für die Produktion von Luxusgütern liegt.
    Meine Damen und Herren, denken Sie bitte auch einmal daran, daß keine Lenkung der von Ihnen gewünschten Art den Staatsanwalt und die Polizei entbehren kann. Je mehr der Staat lenkt und plant, um so mehr muß er seine Polizeigewalt aufbauen.
    Wichtige Vorbedingung dafür, einen marktgerechten Preis herbeizuführen, ist ein geordnetes Geldwesen. Alle Versuche, die Funktionsfähigkeit des Preises abzubauen oder gar unser Geldwesen in Unordnung zu bringen, werden daher immer unserer schärfsten Ablehnung begegnen. Der echte Leistungswettbewerb funktioniert durch Belohnung der guten und der besseren Leistung gemäß der Entscheidung der Verbraucher, nicht aber durch planwirtschaftlichen Befehl von oben oder gar durch Verleihung einer goldenen Fahne oder durch das Hennecke-System. Im Rahmen des echten Leistungswettbewerbs steigt die Produktion. Mit steigender Produktion kann bei richtiger Geldpolitik Preissenkung und damit Erhöhung des Reallohns erreicht werden.


    (Etzel)

    Der Leistungswettbewerb ist aber nicht das einzige Mittel der sozialen Marktwirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft will keinen Rückfall in die freie Wirtschaft alter Art. Um das zu erreichen, ist zur Sicherung des Leistungswettbewerbs die unabhängige Monopolkontrolle nötig. Denn so wenig wie der Staat oder halböffentliche Stellen die gewerbliche Wirtschaft oder einzelne Märkte lenken sollen, dürfen Privatpersonen oder private Verbände derartige Lenkungsaufgaben übernehmen. Der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher und die Abgeordnete Frau Wessel haben hier an dieser Stelle ihr Mißtrauen geäußert, ob es zu einem Antimonopolgesetz kommt. Ich glaube mich hier mit dem Herrn Wirtschaftsminister einig, wenn ich erkläre, daß dem Hohen Hause ein solches Gesetz sehr bald vorgelegt werden wird.
    Die soziale Marktwirtschaft bejaht weiter aber auch die planvolle Beeinflussung der Wirtschaft mit den organischen Mitteln einer umfassenden Wirtschaftspolitik auf Grund einer elastischen Marktbeobachtung. Diese Wirtschaftspolitik führt in sinnvoller Kombination von Geld-, Kredit-, Handels-, Zoll-, Steuer-, Investitions- und Sozialpolitik sowie anderen Maßnahmen dazu, daß die Wirtschaft in Erfüllung ihrer letzten Zielsetzung der Wohlfahrt und der Bedarfsdeckung des ganzen Volkes dient. Sie sehen, meine Damen und Herren, der entscheidende Unterschied unserer Auffassung gegenüber unserer Wirtschaftsordnung alter liberaler Prägung ist absolut vorhanden. Wir lassen den einzelnen, Produzent und Verbraucher, frei; aber wir pflegen den Garten unserer Volkswirtschaft, in dem beide wurzeln.
    Gestatten Sie mir, an dieser Stelle etwas zur Eigentumsordnung, zur Gewinnbeteiligung und zur ) Mitbestimmung in den Grundstoffindustrien zu sagen. Ich glaube feststellen zu dürfen, daß sich unser wirtschaftspolitisches Denken in einem sehr entscheidenden Punkte sehr wesentlich geändert hat. Das Sozialprodukt kommt nicht nur durch die Leistung des Kapitalisten zustande - diese Auffassung beherrscht noch das geltende Aktienrecht —; das Sozialprodukt entsteht aus dem Zusammenwirken von Kapital, Arbeit und Unternehmerleistung. Auf keine dieser drei Kräfte kann verzichtet werden; sie sind alle gleichermaßen notwendig und stehen auch in keinem Gegensatz zueinander. Wenn dem aber so ist, meine Damen und Herren, dann haben alle drei Kräfte einmal Anspruch auf Anteil am Gewinn und zum andern das Recht auf Mitbestimmung, Mitberatung und Mitwirkung bis zu der selbstverständlichen Grenze, daß die echte Unternehmerverantwortung gewahrt und gesichert wird. Es kommt hier allerdings auf ein echtes Mitbestimmungsrecht betriebszugehöriger Arbeiter, nicht aber auf das Mitbestimmungsrecht betriebsfremder Funktionäre an.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die Stellung des Eigentümers in der Großwirtschaft bekommt bei solchem Denken einen ganz andern Inhalt. Der Hauptangriff gegen das Großkapital ging gegen seine Machtstellung; Monopolkontrolle und Aufteilung der gesellschaftlichen Rechte haben dem Kapital bereits seine wesentliche Machtstellung genommen. Wir dürfen und können sie aber nicht dadurch neu entstehen lassen, daß wir einen neuen Monopolkapitalismus beim Staate schaffen. Für eine solche Form der Neuordnung bietet auch der englische Vorgang ein sehr schlechtes Beispiel. Es darf auch nicht durch Sondervermögen gebildet und durch Treuhänder ver-
    waltet werden. Wenn der Herr Bundeskanzler daher erklärt hat, daß eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien notwendig sei, so hat die CDU mit der Aufstellung ihres Machtverteilungsprinzips bereits vor zwei Jahren im Ahlener Programm den Weg gewiesen.
    Der Herr Abgeordnete Ollenhauer hat nun hier zum Ausdruck gebracht, daß in allen Lagern in der Frage der Sozialisierung verschiedene Auffassungen bestehen. Ich halte diese Erklärung, deren Inhalt mir nicht fremd ist, für wesentlich. Sie bietet die Möglichkeit zu Gesprächen.

    (Zuruf von der KPD: Nach 18` habt ihr auch gesprochen!)

    Was die besonders von den Gewerkschaften geforderte Mitbestimmung in der Wirtschaft anlangt, so hat der Herr Bundeskanzler gefordert, daß die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zeitgemäß neu geordnet werden. In der Bestätigung der Koalitionsfreiheit liegt auch die Anerkennung der Gewerkschaften eingeschlossen. Ich erkenne gern an, daß die Gewerkschaften bei den Preissteigerungen des vergangenen Winters mit Ausnahme eines Sonderschrittes ein großes Maß von Einsicht und guter Disziplin gehalten haben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Soweit ihnen in Zukunft Mitverantwortung in der Wirtschaft übertragen wird, muß sie übernommen werden im Rahmen der Mitverantwortung anderer gleichgeordneter Wirtschaftsverbände wie Arbeitgeberverbände, Organisationen des gewerblichen Mittelstandes, freie Berufe usw. Es muß aber ganz klar ausgesprochen werden, daß alle politischen Entscheidungen eindeutig beim Parlament bleiben müssen. Hier hat der Arbeitnehmer die gleichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger, die er durch den Stimmzettel ausübt.
    Soziale Marktwirtschaft mit echtem Leistungswettbewerb, mit Monopolkontrolle, mit planvoller Beeinflussung der Wirtschaft und den organischen Mitteln einer umfassenden Wirtschaftspolitik, Beteiligung am Gewinn, Mitbestimmung im Betrieb und die Mitbestimmung der Gewerkschaften und Verbände in der Selbstverwaltung das sind unsere Mittel einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, von der niemand, der es ernst mit seiner Verantwortung in Regierung und Opposition meint, behaupten kann, daß sie nicht in einem hohen Maße die sozialen Interessen der arbeitenden Schichten mit einer geradezu revolutionären Gestaltungskraft vertrete.
    Lassen Sie mich hier etwas zum Problem der Vollbeschäftigung im Rahmen der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit sagen. Auch wir bejahen die Notwendigkeit, die Wirtschaft in einem Zustand der Vollbeschäftigung zu erhalten. Für uns ist aber die Vollbeschäftigung nicht ein ökonomisches Prinzip, sondern sie ist ein volkswirtschaftliches Ziel. Auf unsere Lage übertragen bedeutet das, daß nicht die Erhaltung des seit der Währungsreform ungefähr gleichbleibenden Beschäftigungsstandes, sondern seine nachhaltige Ausweitung die Aufgabe ist. Eine Ausweitung der Produktion aber ist nicht mit den Mitteln bloßer Planung und Kontrolle der Investierungen, sondern nur mit der Aufbringung zusätzlicher Mittel für die Investierungen zu schaffen. Die Vollbeschäftigung in dieser dynamischen Auffassung führt also zum Kapitalproblem. Die Neubeschaffung von Arbeitsplätzen für die Millionen von Vertriebenen ist nicht zuletzt eine Kapital-


    (Etzel)

    irage. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Herr Preller, hat die Kosten für die Schaffung eines einzigen Arbeitsplatzes zur Aufnahme eines Vertriebenen auf 5000 DM beziffert.
    Der Zustand der Vollbeschäftigung ist zur Zeit nicht erreicht. Damit komme ich zur Arbeitslosigkeit. Das Steigen der Arbeitslosenziffer ist nicht gleichbedeutend mit der Schrumpfung des Beschäftigungsstandes. Die Zahl der Beschäftigten seit der Währungsreform ist im großen und ganzen gleich geblieben. Die Gesamtzahl der Arbeitnehmer ist dagegen um rund 750 000 gestiegen. Ein großer Teil der Arbeitslosigkeit ist in der Flüchtlingsfrage begründet, als solche bedingt durch Wohnungsmangel und fehlende Freizügigkeit. Auf der anderen Seite muß festgestellt werden, daß in dem Wirtschaftsbereich, der freigegeben wurde, 600 000 Arbeitnehmer zusätzlich in Arbeit kamen, während in dem Bereich, der noch der Bewirtschaftung unterliegt, eine gleiche Menge freigestellt worden ist.
    Herr Dr. Schumacher hat nun weiter die orthodoxe Geldpolitik der Bank deutscher Länder kritisiert. Ich gebe zu, daß in einer zu orthodoxen Handhabung der Geldpolitik Gefahren liegen können. Eine aktive Konjunkturpolitik kann aber niemals ein Allheilmittel sein. Die Grenze liegt hier in der Gleichschaltung von Nominaleinkommen und Güterproduktion. Ich verweise an dieser Stelle auf das neueste Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates der Verwaltung für Wirtschaft, dessen Ausführungen ich voll unterstreiche. Wer das Rezept der Kreditausweitung empfiehlt, darf aber auch nicht verschweigen, daß es nur bei einem rigorosen Lohntop funktionieren kann; sonst bilden sich die nflationistische Kaufkraftaufblähung und der aufgestaute Kaufkraftüberhang, und es wird auch der Opposition bestimmt nichts daran gelegen sein, uns das Gespenst des Herrn Dr. Schacht hier neu zu empfehlen.
    Also das Problem bleibt, welche Kapitalmittel der deutschen Volkswirtschaft zur Verfügung gestellt werden können. Entscheidend für die Höhe der uns zur Verfügung stehenden Investitionsmittel ist die Kapitalbildung durch echtes Sparen. Auch Herr Dr. Schumacher hat darauf hingewiesen, daß an ausländischen Krediten kaum etwas zu erwarten ist, wenn nicht mindestens die gleichen Beträge aus eigener Kraft aufgebracht werden. Darin unterscheiden wir uns dann allerdings, daß wir diese Kapitalbildung weitgehend in die Hand des Verbrauchers und Sparers, nicht aber über den Steuertarif und andere Zwangsmaßnahmen in die Hand des Staates legen wollen. Dieser Weg ist uns zu teuer und zu schwerfällig und er betrügt den Steuerzahler um Vorteile, die er als Sparer für die Aufbringung der gleichen Beträge erhält.
    Auch in diesem Zusammenhang lautet daher unsere Forderung nicht nur auf Umbau unseres Steuersystems, sondern auf nachhaltige Senkung unserer Steuersätze. Unsere heutigen Steuersätze bestrafen die Leistung und hemmen damit die Erhöhung unserer volkswirtschaftlichen Produktion. Wer eine solche Erhöhung will, muß die Fesseln des überhöhten Steuertarifs lockern. Wer über Steuerunehrlichkeit klagt, sollte sich vor Augen halten, daß der Staat diejenigen als Steuerzahler hat, die er nach der Gerechtigkeit seines Steuersystems verdient.
    Wir bejahen auch den sozialen Wohnungsbau. Ich kann auch hier in vollem Umfang auf unsere Düsseldorfer Leitsätze verweisen, um meine Darlegungen zu kürzen und nicht zu weite Ausführungen machen zu müssen. Wir stimmen aber dem Herrn Bundeskanzler sehr überzeugt zu, wenn er ausgesprochen hat, daß sich das private Kapital wieder des Wohnungsbaus bemächtigen muß. 95 Prozent der vorhandenen Wohnungen sind einst von privatem Kapital erstellt worden. Das sollte man nicht vergessen. Es gehört auch zu dem kleinen volkswirtschaftlichen Einmaleins, daß die wichtigste Voraussetzung für die Errichtung von Wohnungen darin besteht, daß wir für Neubauten auf eine Miete kommen, welche die Kosten deckt. Darauf kann kein Bauherr verzichten, sei er eine öffentliche Körperschaft, sei er ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen, sei er ein Privatmann. Wollte man statt dessen den Wohnungsbau subventionieren, wie es offenbar viele wollen, dann müßten die Mittel hierfür aus den gleichen Quellen aufgebracht werden wie die Mieten, nämlich aus den breiten Schichten unseres Volkes. Ich halte Subventionen lediglich bei der Seßhaftmachung der Vertriebenen für möglich und auch für nötig. Wesentlich erscheint mir hier auch die Erhöhung der Ballkapazitäten Auf diesem Gebiet kann man übrigens überraschende Feststellungen machen. Das Münchner Institut für Wirtschaftsforschung hat jüngst 100 000 Wohnbaustellen bei der Bauarbeit statistisch ermittelt. Das sind 200 000 Wohnungen, davon die Hälfte Neubauten. Hier haben wir die überraschende Bestätigung der Überlegenheit der privaten Initiative; denn alle Planungen für dieses Jahr bei den Gewerkschaften, den gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmungen und auch bei allen politischen Parteien haben nur eine Kapazität von 150 000 Wohnungen als erreichbar bezeichnet. Wir fordern vor allen Dingen auch die Beseitigung der bürokratischen Erschwerungen des Wohnungsbau und der Verteurung durch Sondersteuern, Gebühren und Abgaben. Im Altbau ist weitgehend eine Lockerung der Zwangswirtschaft anzustreben. Die heutige Zwangswirtschaft einschließlich der Art der Mietpreisbildung ist zu einer völlig unsozialen Verzerrung der Wohnungsverteilung geworden. Wir werden auch hier sehr bald mit konkreten Vorschlägen hervortreten.
    Meine Damen und Herren, das ist es, was ich im Rahmen der knappen mir zur Verfügung stehenden Zeit zu sagen habe.

    (Zuruf links: Abgelesen!)

    — Entschuldigen Sie, das hat Herr Dr. Schumacher auch getan!
    Wir sind entschlossen, den Weg der sozialen Marktwirtschaft weiterzugeben. Wir sehen in Professor Erhard den echten Vertreter einer europäischen Wirtschaftspolitik,

    (Lachen links)

    weil nur ein echter Leistungswettbewerb die Angleichung der europäischen Wirtschaften ermöglicht, während eine nationale wohlfahrtsstaatliche Wirtschaft eine gesunde internationale Arbeitsteilung ausschließt. In diesem Sinn waren die Wahlen vom 14. August 1949 ein erfreuliches Bekenntnis.

    (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Frey.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Martin Frey


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Gegen alle wirtschaftliche Vernunft ist das deutsche Volk durch die Abtrennung seiner fast rein landwirtschaftlichen Provinzen östlich der OderNeiße-Linie und durch die Vertreibung der dort


    (Dr. Frey)

    seit Jahrhunderten ansässigen Bevölkerung und ihre Zusammendrängung auf dem verbliebenen Gebiet in Bedingungen versetzt, die im bisherigen Verlauf der Geschichte — so kamt man wohl sagen -- ohne Beispiel sind. Durch diese Situation hat Deutschland etwa den gleichen Zuschußbedarf an Nahrungsmitteln wie Großbritannien. Wenn nun England als Kern eines breit gelagerten Weltreichs Schwierigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung hat und gewaltige Anstrengungen zur Erhöhung der eigenen Produktion macht, wieviel bedrohlicher muß dann jedem klar denkenden Deutschen unsere eigene Lage erscheinen!
    Die Nahrungsmittelversorgung Westdeutschlands ist abhängig von dem Ausfall der Ernten in den Vereinigten Staaten und von der Bereitwilligkeit des amerikanischen Kongresses, Etatmittel für unsere Nahrungsmitteleinfuhr zur Verfügung zu stellen, und von den Entscheidungen der leitenden Männer des Marshallpians. Meine Damen und Herren, das ist auf die Dauer ein unerträglicher Zustand. Es geht nicht an, daß ein ganzes Volk durch etwaige plötzliche Veränderungen in seiner politischen und wirtschaftlichen Umwelt in lebensbedrohlichen Hunger gestürzt werden kann. Diese Gefahr abzuwenden, muß die dringendste Aufgabe der deutschen Staatsführung sein.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung bereits aufgezeigt — und das ist auch hier und dort bei allen übrigen Kollegen in ihren Reden angeschnitten worden —, daß uns in dieser bedrohlichen Lage letztlich nur die Ausschöpfung aller noch zur Verfügung stehenden Reserven in der Land- und Forstwirtschaft, das heißt also eine intensive landwirtschaftliche Produktionssteigerung retten kann. Daraus aber, meine Damen und Herren, ergeben sich eine ganze Reihe von Prinzipien für eine konstruktive Agrarpolitik und Erfordernisse und Voraussetzungen, die unbedingt vorher erfüllt sein müssen.
    Das erste Erfordernis ist ein gut funktionierendes Preissystem. Die Landwirtschaft will durchaus kein Sonderrecht für sich in Anspruch nehmen, aber sie erwartet doch mit aller Entschiedenheit, daß ihr dieselben Bedingungen und Voraussetzungen zuerkannt werden wie jedem anderen Wirtschaftszweig auch. Dazu gehört, daß die Preise der Produktionsmittel und besonders auch die Kosten der Arbeitskräfte für die Landwirtschaft im Preis der landwirtschaftlichen Produkte wieder hereinkommen. Für die Arbeitskräfte beansprucht die Landwirtschaft dieselben sozialen Bedingungen, vor allem auch für die Arbeiter dieselben Löhne wie in der einschlägigen Industrie. Preisgerechtigkeit und richtige Preisrelation müssen also gegeben sein. Nichts erträgt die Landwirtschaft schlechter als ein Auf und Ab der Preise. Was sie zu ihrer Erzeugung am dringendsten braucht, ist eine gewisse Stetigkeit im Preis und damit auch eine Stetigkeit in der Betriebsführung, da sich ihre Produktion ja immer über einen langen Zeitraum erstreckt und sie ihre Produktion nicht nach der jeweiligen marktbedingten Lage von Monat zu Monat ändern kann. Ohne die Erfüllung dieser Bedingungen gibt es keine Mehrerzeugung von Nahrungsmitteln. Darüber muß man sich vollends im klaren sein. Die Erfüllung dieser Vorbedingung aber steht in keinem Verhältnis zu den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten und zu den technischen Möglichkeiten einer landwirtschaftlichen Produktionssteigerung. Ein staatliches Bewirtschaftungssystem, das selbst ohne Vertrauen zu seinen
    papierenen Verordnungen steht, kann das Problem keinesfalls lösen.
    Zur Lösung des Problems bedarf es vor allen Dingen einer sinnvollen Regelung der Importe, und es muß meines Erachtens eine der vordringlichsten Aufgaben der Mitglieder dieses Hohen Hauses sein, die bestehende Agrargesetzgebung baldigst im Sinne eines produktionsfördernden Anreizes zu revidieren und neu zu gestalten. Diese Produktionssteigerung gewinnt auch heute im Zeichen der Währungsabwertung und des verteuerten Kaufs im Ausland eine besondere Bedeutung. Hierhin gehört ebenso eine sinnvolle Gesetzgebung zur Regelung des inneren Marktes auf der Basis einer freiwilligen Ordnung, etwa im Sinne der Milchverwertungsgesetzgebung vom Jahre 1928 und vom Jahre 1932. Solange aber der Weltmarkt in Teilmärkte mit ganz verschiedenem Preisniveau zerrissen ist und noch einzelstaatlichen Planungen unterliegt, die durch politische Ziele und die devisenwirtschaftliche Zwangslage bestimmt sind, können normale Bedingungen für das innerdeutsche Angebot nur hergestellt werden, wenn jene Störungen von außen, die bald die Produzenten, bald die Konsumenten benachteiligen, durch eine Einfuhrregelung im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft neutralisiert werden. Denn, meine Damen und Herren, für die Konsumenten ist das eigene Brot, auf eigener Scholle gewachsen, auf die Dauer immer das sicherste und dann sicher auch das billigste.

    (Sehr richtig!)

    Die Handelspolitik in bezug auf die Landwirtschaft muß in neue Wege geleitet werden. Während wir gegenüber unserem Hauptlieferland, den USA, ein Dollardefizit haben, das nicht ausgeglichen werden kann, versuchen unsere Nachbarländer, ihre Käufe von uns mit ihren Verkäufen an uns aufeinander abzustimmen. Das bedeutet aber eine viel stärkere Verkoppelung von Industrieausfuhr und Agrareinfuhr in Europa, als sie jemals früher bestanden hat. Der kürzlich getätigte Handelsvertrag mit Holland ist in seiner Auswirkung das gerade Gegenteil zum Anreiz einer deutschen landwirtschaftlichen Erzeugungssteigerung. Er ist vielmehr der Weg zur Verelendung unseres gesamten hochintensivierten westdeutschen Obst- und Gemüsebaus. Die heutige handelspolitische Tendenz geht überhaupt dahin, die Einfuhren von Veredelungsprodukten der Viehwirtschaft und von Obst und Gemüse aus unseren Nachbarländern zu vermehren. Wir werden immer mehr mit den Produkten beliefert, die wir leicht und gut selbst produzieren könnten, und der bäuerlichen Wirtschaft — das ist sehr wichtig — wird immer mehr ihr Arbeitseinkommen entzogen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Die gegenteilige Tendenz muß zum Zug kommen. nämlich erhöhte Einfuhr von Futtergetreide und Futtermitteln, damit wir selber veredeln können, um damit Devisen für die teueren Veredlungsprodukte zu sparen, vor allem aber, um unsere Grundnahrungsmittel für das Volk — nämlich Brotgetreide und Kartoffeln — aus dem landwirtschaftlichen Betrieb herauszuholen und sie vor dem Futtertrog zu bewahren.
    Meine Herren Abgeordneten! Das sind im wesentlichen die Grundsätze einer Agrar- und Wirtschaftspolitik, die der notwendigen landwirtschaftlichen Intensivierung Raum und Möglichkeiten geben. Die Hebung des Leistungsdurchschnitts der Landwirtschaft ist bekanntlich sehr schwierig.


    (Dr. Frey)

    In einem Beruf, in. dem sich schon in normalen Zeiten das investierte Kapital nur mit 21/2 Prozent verzinst, fehlen der Anreiz und das Kapital für eine weitere Intensivierung. Eine wohldurchdachte und ins einzelne gehende Beratung und Förderung muß deshalb einsetzen, um heute eine Produktionssteigerung, und zwar bei allen Betriebsgrößen, zu erreichen. Es muß aber eine Beratung gefordert werden, die vom Vertrauen der Bauern getragen ist. Voraussetzung für dieses Vertrauen ist, daß die Beratung nur privatwirtschaftlich richtige Ratschläge gibt und daß sie technisch richtig aufgezogen ist. Privatwirtschaftlich richtig, sagte ich. Meine Damen und Herren, hören wir doch endlich auf, ernährungs- oder volkswirtschaftliche Notwendigkeiten nur über die Beratung erreichen zu wollen! Der einzige Motor für wirtschaftliche Leistung ist der wirtschaftliche Erfolg. Wir müssen in der gesamten Agrarpolitik dem Grundsatz zum Durchbruch verhelfen, daß das, was volkswirtschaftlich notwendig ist, auch privatwirtschaftlich richtig sein muß. Wenn diese Voraussetzung geschaffen ist, werden wir mit einer technisch richtigen Beratung auch Erfolg haben. Zu diesem Zwecke sind für bestimmte Maßnahmen staatliche Zuschüsse erforderlich.

    (Zuruf links: An wen? )

    Der Berater stößt dann nicht mehr auf die unüberwindliche Schwierigkeit, daß zur Durchführung seiner Ratschläge die Mittel fehlen. Solche Maßnahmen, die ich Sofort-Produktiv-Beratung nennen will und die durch Beihilfen gefördert werden müssen, sind vor allem die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch Bodenuntersuchungen und auf Grund dieser Untersuchungen notwendige Gesunddüngungen, genossenschaftliche Getreidereinigungs-
    und -beizanlagen sowie eine durchgreifende Schädlingsbekämpfung. Ein besonders wichtiges Kapitel ist die Bekämpfung der Rindertuberkulose, der Unfruchtbarkeit des Rindes und die Durchführung der freiwilligen Milchleistungskontrolle - Flurbereinigung und Meliorationen sind hier schon des öfteren genannt worden —, Wiederaufforstung von Kahlflächen bzw. ungenügend bewirtschafteten Waldflächen, Gründung genossenschaftlicher hauswirtschaftlicher Gemeinschaftsanlagen, um das harte Los unserer Bäuerin zu verbessern.
    Auch die Bodenreform, die der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher in der Regierungserklärung vermißt hat, wie er sagte, muß als wichtiges bevölkerungs- und wirtschaftspolitisches Problem sinnvoll in den Rahmen der allgemeinen landwirtschaftlichen Produktionssteigerung eingegliedert werden. Wir sind der Meinung, daß diese Frage von einer so eminent soziologischen und wirtschaftlichen Bedeutung ist, daß sie einmal im Plenum gesondert behandelt werden muß.
    Das sind die Maßnahmen, deren Förderung ich für äußerst dringlich halte. Ich möchte aber, daß alle Mittel, die zur Verfügung stehen, konzentriert auf diese wenigen Aufgaben verwandt und unter keinen Umständen verzettelt werden. Ihnen, meine Herren Abgeordneten, mögen solche Forderungen angesichts unserer allgemeinen Not vielleicht übertrieben erscheinen. Ich behaupte, daß es angesichts unserer Not Mindestforderungen sind. Wenn es uns in Westdeutschland gelingt, die landwirtschaftliche Erzeugung nur um zehn Prozent zu steigern, werden wir eine Milliarde an Devisen sparen. Ich glaube, daß dieses Ziel jeden Einsatz lohnt und jeder anderen Maßnahme vorangehen muß, so bitter notwendig sie auch sein mag. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir ganz erhebliche Mittel für die Intensivierung anfordern müssen, wenn wir bei der Beendigung des Marshallplans nicht verhungern wollen. Dies hat nichts mit den früheren Subventionierungen zu tun, sondern liegt unseres Erachtens auf derselben Linie wie die öffentlichen Förderungsmaßnahmen, die der Staat auch anderen nationalen Produktionszweigen, zum Beispiel dem Bergbau, zukommen läßt Ich glaube nicht, daß für Intensivierungsbeihilfen, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, zehn Mark ausreichen werden. Aber diese Beträge werden vielfältig aus dem deutschen Boden zurückfließen und der gesamten deutschen Wirtschaft und dem gesamten Volk zugute kommen.

    (Beifall.)