Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Große Anfrage betreffend Mikroelektronik, Punkt 13 der Tagesordnung, bereits heute im Anschluß an Punkt 3 der Tagesordnung beraten werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 23. November 1982 mitgeteilt, daß die Abgeordneten Hölscher, von Schoeler und Frau Schuchardt mit sofortiger Wirkung aus der Fraktion der FDP ausgeschieden sind.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine
Aktuelle Stunde
zu dem Thema Wohnungsbau und die Situation des Mieters verlangt. Die Aktuelle Stunde ist fristgerecht entsprechend der Nr. 2 b der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung verlangt worden. Interfraktionell wurde vereinbart, die Aktuelle Stunde jetzt durchzuführen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir die konservative Bundesregierung aufzufordern haben,
endlich klar zu sagen, was sie in der Wohnungsbau-und Mietenpolitik vorhat; denn es gibt schriftlich vorgelegte Koalitionsvereinbarungen, es gibt eine Regierungserklärung, und es gibt Verlautbarungen aus dem Bundesbauministerium, die zum Teil widersprüchlich sind.Herr Schneider scheint als Bundesbauminister ein Gerüst zusammengebastelt zu haben, das weder sozial noch finanzpolitisch sauber konstruiert ist;
ein Gerüst, das die wohnungssuchenden Normalverdiener nicht ersteigen können, weil CDU/CSU und FDP vorhaben, die unteren Sprossen zu zerschlagen; ein Gerüst auch, das für die Wohlhabenden mit besonders starken Bohlen in den oberen Etagen ausgestattet wird. Statt nämlich die Überförderung von Abschreibungsmodellen wenigstens einzuschränken
und vorhandene Wohnungen gegen Zerstörung, Umwandlung, Übermodernisierung zu schützen, demontieren Sie das Mietrecht, verteuern Sie Wohnraum durch eine Mieterhöhungstrategie, machen Sie bescheidenste Versuche rückgängig, die Bodenpreise zu dämpfen und die Bodenspekulation zu bekämpfen, machen Sie das Bauherrenmodell attraktiver, kürzen Sie Wohngeld, während die Mieten steigen und die Einkommen fallen, wollen Sie das Grunderwerbsteuerrecht noch am heutigen Tage so umgestalten, daß der kleine Häuslebauer 5 000 DM mehr bezahlen darf, damit der reiche Villenkäufer 17 500 DM einsparen kann.
Sie bluffen mit der Ankündigung eines Bauprogramms von angeblich 2,5 Milliarden DM, die Sie aus Zwangsanleihen gewinnen wollen. Obwohl es auch dazu noch unterschiedliche Vorstellungen gibt, werden wir uns sicher über ein Bausparzwischenfinanzierungsprogramm einigen können. Und natürlich sind wir damit einverstanden, wenn tatsächlich zusätzliche Sozialmietwohnungen geschaffen werden. Aber schon im Zusammenhang mit dieser Milliarde, die Sie dafür angeblich zur Verfügung stellen wollen, wird wohl erstens zu fragen sein, ob die Mittel wirklich in die Gebiete des Bedarfs fließen, und zweitens, ob dieses Finanzierungsinstrument Zwangsanleihe nicht ungeeignet ist, eine längerfristige Finanzierung zu sichern. Denn Sie wollen die Zwangsanleihe doch schon ab 1987 wieder zurückzahlen. Das heißt, entweder werden Sie dann die Mieten und die Abzahlungsverpflichtungen der Wohnungseigentümer dramatisch ansteigen lassen, weil Sie umfinanzieren und plötzlich Zinsen erheben müssen, oder aber Sie haben spätestens ab 1987
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Waltemathekeinen einzigen Heller mehr in der Kasse für den Wohnungs- und Städtebau.
Längst ist erwiesen, daß die steuerliche Förderung des Eigentumserwerbs zu 90 % den oberen Einkommensschichten zugute kommt.
Sie stocken die Überförderung Gutsituierter durch einen Schuldzinsenabzug noch auf, der dem gibt, der hat. Den kleinen Mann fordert Herr Blüm zur Lohnpause und zur Hinnahme von allerlei Kürzungen von Sozialleistungen auf. Außerdem wird diesem kleinen Mann gesagt, daß er gefälligst mehr Miete zu zahlen und seine Wohnung zu räumen hat, wenn Geldanleger mit der Wohnung spekulieren wollen.Sie verschweigen, daß Sie nach Ihren eigenen Vereinbarungen vorhaben, 1,5 Millionen Mietern in Ein- und Zweifamilienhäusern jeglichen Kündigungsschutz zu nehmen. Sie verschweigen, daß Sie die Einkommensgrenzen für den Sozialen Wohnungsbau eigentlich senken wollen, aber jetzt erst einmal denjenigen staatliches Geld zuschanzen, die über diesen Grenzen liegen.
Diese Brechstangenpolitik muß verhindert werden.Wir wollen durch diese Aktuelle Stunde dem Bürger deutlich klarmachen, auf was er gefaßt sein muß, wenn Sie Ihre Pläne durchsetzen.
Herr Minister Schneider, es war eigentlich eine gute Tradition der Bundesbauminister von Lauritzen bis Haack, daß sie sich als Sachwalter des Sozialen Wohnungsbaues und der Belange der Mieter und kleinen Eigentümer verstanden.
Sie aber haben sich in einem Zeitungsinterview selbst zum Hilfsminister in Wirtschaftsfragen ernannt. Sie betreiben eine Politik des Aktionismus und der Förderung privater Profite auf Kosten der breiten Schichten der Bevölkerung. Dem gilt unser Widerstand.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Clemens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Waltemathe, Ihr Beitrag war so, wie die Pressemitteilungen Ihrer Kollegen aus dem Rechtsausschuß, die nämlich da lautete: Es sei skandalös, wie man im Rechtsausschuß das Verfahren durchführe zu dem neuen Gesetz betreffs Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen.
Wissen Sie, was skandalös ist? — Skandalös ist Ihre Art im Rechtsausschuß, mit allen möglichen Tricks — ich vermeide bewußt das Wort Mätzchen — zu verhindern, daß wir hier noch das Mietrecht verabschieden. Das ist skandalös.Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Das ist schon nicht mehr Opposition, was wir in den letzten beiden Sitzungen erlebt haben, das war Obstruktion.
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Den Test der Zusammenarbeit mit den Grünen haben Sie glänzend bestanden. An Fundamentalopposition sind Sie, von der SPD, nicht mehr zu übertreffen.
— Ich komme jetzt dazu.Der zweite Punkt. Sie scheinen so zu tun, als ob es das Mietrechtsänderungsgesetz 1981 nie gegeben habe. Da gab es schon Staffelmiete, da gab es den Zeitmietvertrag.
Nun mögen Sie j a sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie mein Braunschweiger SPD-Kollege Kühbacher das auszudrücken pflegt, nämlich: daß Ihnen das mit der Staffelmiete von der FDP abgepreßt worden sei.
Aber beim Zeitmietvertrag müssen Sie doch wohl feststellen: Der stammt aus der Feder von Herrn Schmude. Also, den wollen Sie doch sicherlich nicht in die Pfanne hauen.
Nun komme ich zur Staffelmietvereinbarung im Bestand. Vorweg möchte ich aber sagen: Die CDU/ CSU ist für ein sozial ausgewogenes Mietrecht.
Wir stellen aber zugleich fest, daß viele Wohnungsuchende draußen vor der Tür bleiben, da wir kein hinreichendes Angebot an Wohnungen haben, und daß wir da etwas tun müssen. Das wollen wir mit diesem Gesetz. Damit wollen wir das Mietrecht ändern. Wenn Sie sich in diesem Bereich unserer Initiative verweigern, dann muß ich Ihnen sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, dann verkörpern eigentlich Sie die Ellenbogengesellschaft, weil Sie nämlich die Wohnungsuchenden buchstäblich draußen vor der Tür stehen lassen.
Sie verwirklichen in Wirklichkeit eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, aber nicht zwischen Mietern undVermietern, sondern zwischen Wohnungsbesitzern
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Clemensund Wohnungsuchenden. Das betrachte ich im höchsten Maße als unsozial.Nun etwas zur Staffelmiete im Bestand.
Die Staffelmiete im Bestand, sehr verehrte Damen und Herren von der SPD, ist ein entscheidender Punkt. Sie soll ausgleichen, daß die Mieten nicht nur im Neubereich drastisch gestiegen sind,
— Moment! —, sondern daß ein Ausgleich auch im Althausbereich stattfindet. Sie können sich dabei z. B. auf Herrn Professor Schiller beziehen, der im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums sitzt; bei ihm können Sie das sehr gut nachlesen.Aber was nicht in Ordnung ist und was ich in dieser Beziehung als unredlich betrachte, ist, daß Sie nicht davon sprechen, daß eine Staffelmietvereinbarung nicht notwendig ist.
Das heißt, sie muß zwischen Vermieter und Mieter vereinbart sein. — Sie ist nur als Neuvereinbarung möglich. Das heißt also, daß kein Mieter schutzlos einem Staffelmietbegehren des Vermieters ausgesetzt ist.
Wir haben den Grundsatz der Vertragsfreiheit, wir haben mündige Bürger — das haben Sie immer wieder betont —, die ihre Rechte kennen und auch wahrnehmen.Ich muß Ihnen ein Weiteres dazu sagen: Kein Mensch wird zur Staffelmiete gezwungen. Wenn er sie nicht will, bleibt es bei der Vergleichsmiete. Er hat den gesamten Schutz, bis zur Sozialklausel. Das wissen Sie. Und wenn Sie das anders darstellen und hier von Mieterhöhungseffekten reden, dann reden Sie wider besseres Wissen. Das muß ich Ihnen leider so vorhalten.
Weiterhin handeln Sie unredlich, wenn Sie, wie laufend geschehen, dem Bürger verschweigen, daß während der Laufzeit einer Staffelmietvereinbarung Mieterhöhungen einmal wegen der Erhöhung von Kapitalkosten, zum anderen wegen Modernisierung ausgeschlossen sind. All das verschweigen Sie doch. Eine Staffelmietvereinbarung ersetzt also Mieterhöhungen, die der Vermieter nach dem derzeit geltenden und von Ihnen entscheidend mitbeschlossenen Recht schon durchsetzen kann. Das müssen wir sehen. Wenn Mieterhöhungseffekte auftauchen, dann gab es die auch schon in Ihrem Mietrechtsänderungsgesetz.
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß.
Meine Damen und Herren, aus diesem Grunde, meine ich, sollten Sie aufhören, den Bürgern Berge von Sand in die Augen zu streuen.
Geben Sie Ihre Opposition in diesem Bereich auf, seien Sie vernünftig und verschließen Sie sich nicht unserer Initiative. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es Schule macht, daß wir jetzt jede Woche eine Aktuelle Stunde vor das übliche Programm vorschalten,
dann müssen sich die Vorsitzenden der Ausschüsse andere Terminierungsusancen einfallen lassen.Herr Walthemathe, Sie haben gesagt, Sie wollten endlich eine klare Antwort haben.
Innherhalb kürzester Zeit hat dieser Deutsche Bundestag zweimal über die von Ihnen angesprochene Thematik diskutiert,
bei der Regierungserklärung und beim Haushalt.
Und nun verhindern Sie durch, ich sage jetzt nicht Tricks, sondern durch Ausschöpfung jeder nur denkbaren Möglichkeit der Geschäftsordnung,
daß eine sachbezogene, am Punkt orientierte Diskussion über die von Ihnen gestellten Fragen in den Ausschüssen geführt wird.
Statt dessen soll es nun eine Aktuelle Stunde bringen — weil man da nämlich so schön pauschale, verleumderische Behauptungen
über die Vorhaben dieser Koalition der Mitte unterbringen kann,
weil man da so schön pauschal von der Schröpfung der armen Mieter, von dem Scheffeln ungebührlicher Gewinne in die Taschen der Vermieter,
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Gattermannkurz: von der Ellenbogengesellschaft in der Wohnungspolitik,
reden kann.
Mit solchen Schlagworten gedenken Sie die Debatte zu führen. Aber, meine Damen und Herren, wir werden dies nicht zulassen.
Wir werden Sie zwingen, Ihre Polemik auf die Punkte zu beschränken, in denen sich der Entwurf der neuen Koalition von dem Mietrechtsänderungsgesetz 1982 unterscheidet.
Das ist ja erst einige Monate her. Ich gebe zu, daß Sie das gerne verdrängen wollen.
Aber nur über die unterschiedlichen Punkte können und wollen wir reden.Ich will Ihnen klarmachen, wie unlauter diese Debatte geführt wird. Herr Waltemathe, Sie haben in Übereinstimmung mit entsprechenden Schreiben der Mieterschutzvereine angeführt, daß der Kündigungsschutz bei Ein- und Zweifamilienhäusern beseitigt werden sollte.
Es ist richtig, daß es einmal ein Papier gegeben hat — nicht etwa eine Koalitionsvereinbarung —, in dem solche Überlegungen angestellt wurden. In diesem Deutschen Bundestag wird über Regierungsvorlagen oder Gesetzesvorlagen diskutiert. Schauen Sie in diese Gesetzesvorlagen hinein! Es steht kein einziges Wort davon darin. Aber Sie brauchen es draußen im Lande für Polemik, weil Sie meinen, so könnte man preiswert Wahlkampf betreiben.
Es sind einige Veränderungen vorgenommen worden, und darüber wollen wir uns sachlich in aller Ruhe unterhalten.
Zum Beispiel ist die Dauer des Datenmaterials von drei auf fünf Jahre erhöht worden. Fragen Sie den ehemaligen Bundesbauminister, der dort sitzt! Er hat seinerzeit Berechnungen über die Unterschiede bei drei, vier und fünf Jahren Dauer des Datenmaterials in den Mietspiegeln anstellen lassen. Die Unterschiede waren nicht sehr erheblich
— ich will es Ihnen sagen —, weil es ein Symbol für Marktnähe ist.
Aber Sie verschweigen geflissentlich, daß es in dem neuen Entwurf z. B. die Kappungsgrenzen enthalten sind. Das heißt, diese Dinge können sich überhaupt nicht anders auswirken: Die maximaleHöchstbelastung entspricht der des alten Entwurfes.
Ein weiteres Beispiel ist das Zeitmietvertragsrecht, wo es gewisse gesetzestechnische Unterschiede zwischen den beiden Entwürfen gibt; aber in ihrer materiellen Substanz sind beide Entwürfe mit einer Ausnahme völlig unverändert. Diese Ausnahme ist der Vollstreckungsschutz, der anders geregelt wurde, da das Vollstreckungsverfahren, das unter Umständen eineinhalb bis zwei Jahre dauern kann, nicht hinterher erfolgen darf, wenn das Zeitmietvertragsrecht einen Sinn haben soll. Dann ist nämlich z. B. die notwendige Sanierungsmaßnahme nicht mehr zeitgerecht zu praktizieren.
So sehr Sie auch lachen, so sehr Sie auch schreiben, so sehr Sie auch polemisieren, so hat diese Bundesregierung zwei Ziele, und die wird sie verwirklichen.
Herr Abgeordneter, die Zeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, ich spreche nur diesen Satz noch zu Ende. Die Verzögerung ergab sich durch das Lachen und Unterbrechen.
Ja, bitte!
Wir haben nur zwei Ziele: Wir wollen Bauarbeiter wieder in Arbeit und Brot bringen,
und wir wollen Wohnungs- und Mietenpolitik nicht nur für diejenigen machen, die bereits in Wohnungen sitzen, sondern auch für die, die Wohnungen suchen. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Professor Klein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung beobachtet nicht ohne Sorge die Art und Weise, wie die sozialdemokratische Opposition
gegen die Wohnungsbaupolitik und die Mietrechtspolitik der Bundesregierung opponiert.
In der Aneinanderreihung polemischer Leerformeln, mit denen Herr Kollege Waltemathe hier zu Beginn der Diskussion aufgewartet hat, kam auch der Begriff von der Demontage des Mietrechts vor.
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Parl. Staatssekretär Dr. KleinAuch das ist eine These, die zunächst nichts als eine Leerformel darstellt und deren Untermauerung Sie bisher unterlassen haben.
Meine Damen und Herren, ich erinnere mich noch sehr gut der erst wenige Wochen zurückliegenden Zeit, wo Sie der damals in der Opposition befindlichen CDU/CSU mit besonderer Vorliebe Schwarzmalerei und Panikmache vorgeworfen haben.
Nur sind leider unsere Befürchtungen stets Wahrheit geworden, und meistens noch in einem sehr viel höheren Grade, als wir selbst es uns vorstellen konnten.
Sie spielen jetzt in einer von mir als verantwortungslos empfundenen Weise mit den Ängsten und Sorgen der Mieter.
Das einzige, was an Ihnen allerdings Bewunderung verdient, ist der Mut zur Inkonsequenz, den Sie mit Ihrer heutigen Argumentation beweisen, insofern nämlich, als Sie sich mit vielem von dem, was Sie sagen, in direkten Widerspruch zu dem setzen, was Sie noch bis vor wenigen Wochen selbst vertreten haben.Mich verwundert ein Weiteres. Die Sozialdemokraten scheinen bei Ihrer Auseinandersetzung um die Fragen des Mietrechts in erster Linie an jene zu denken, die schon Wohnungen haben. Die CDU/ CSU und die Bundesregierung denken auch an jene,
die entweder keine Wohnungen oder keine zureichenden Wohnungen haben oder die Wohnungen, die sie wegen ihrer Familiengröße bräuchten, gegenwärtig nicht bezahlen können.
Ich will versuchen, in einer unsachlich begonnen Debatte einige sachliche Überlegungen zur Neugestaltung des Mietrechts beizutragen.
Es wird z. B. behauptet, es sei für den Vermieter künftig leicht, das Vergleichsmietensystem zu umgehen. Natürlich läßt sich jede normative Regelung umgehen. Ich meine aber, daß wir unseren Bürgern nicht von vornherein die Absicht unterstellen dürfen, geltendes Recht zu umgehen.
Ich weise Sie weiter darauf hin, daß diese Umgehung in den neu vorliegenden Entwürfen ja auch durch einige Vorschriften zu verhindern gesucht wird, z. B. dadurch, daß der Vermieter, der Eigenbedarf vortäuscht, sich gegenüber dem Mieter schadensersatzpflichtig macht.
— Richtig!Sie behaupten weiterhin, daß dem Mieter in Zukunft durch das Gericht bei Zeitmietverträgen eine Räumungsfrist nicht gewährt werden könne. Dies ist richtig.
Aber es widerspräche ja der inneren Logik dieses ganzen Vorhabens, wenn man auf der einen Seite die Dauer des Mietverhältnisses kennt und ausdrücklich vereinbart und dann gleichwohl dem Mieter nach Ablauf dieser Zeit Vertrauensschutz gewähren will. Und darum geht es doch in der Sache. Den Vollstreckungsschutz — Herr Gattermann hat bereits darauf hingewiesen — verschweigen Sie im übrigen.Hinzu kommt: Nur dann, wenn das tatsächliche — ich betone: das tatsächliche — Ende der Mietzeit bekannt ist, besteht ja der von uns gewünschte und herbeizuführende Anreiz, bisher oft leerstehenden, vorübergehend nicht benötigten Wohnraum zu vermieten.Es wird weiter gerügt, daß der Mieter in der Regel, d. h. dann, wenn kein Härtefall vorliegt, Maßnahmen zur Verbesserung der gemieteten Räume oder zur Einsparung von Heizenergie zu dulden hat, wie das in § 541 b der Neufassung steht. Diesen Einwand, den ich in einer Veröffentlichung von Herrn Kollegen Gnädinger gefunden habe, muß man sich, glaube ich, auf der Zunge zergehen lassen. Die SPD scheint also gegen Energiesparmaßnahmen selbst dort zu sein,
wo Härten gegen den Mieter nicht stattfinden.
Sie ist offenbar dagegen, daß Wohnungen in den allgemein üblichen Stand versetzt werden, daß ihr wirtschaftlicher und ihr Wohnwert erhalten werden, und zwar auch dann — ich betone das, denn so steht es ausdrücklich im Entwurf —, wenn dies keine Härte gegenüber dem Mieter bedeutet.
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!In dieser Weise ließe sich fortfahren. Ich will nur einen Punkt noch herausgreifen. Die auf drei Jahre befristete Kündigungssperre bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wird als zu kurz bezeichnet. Die SPD möchte fünf Jahre, was ja doch eher ein quantitativer als ein qualitativer Unterschied ist.
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Parl. Staatssekretär Dr. KleinAber wer mit der Möglichkeit, in eine neuerworbene Eigentumswohnung einzuziehen, frühestens nach einem halben Jahrzehnt rechnen kann, der wird in vielen Fällen auf die Begründung von Wohnungseigentum verzichten.
— „So soll es sein", höre ich von Ihrer Seite. Sie wollen offensichtlich nicht die Schaffung von Wohnungseigentum. Sie wollen nicht die breite Eigentumsstreuung, die wir anstreben.
Ich bitte Sie, in diesem Zusammenhang den Art. 14 des Grundgesetzes nicht zu vergessen,
der ja nicht nur den Satz, den sehr berechtigten und notwendigen Satz, „Eigentum verpflichtet" enthält, sondern der auch die Dispositionsfreiheit des Eigentümers schützt.
Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei der Gestaltung des Mietrechts sowohl auf die soziale Bedeutung des Mietverhältnisses für den Mieter zu achten als auch an das Interesse des Vermieters an der Wirtschaftlichkeit der Wohnungen zu denken sei.Meine Damen und Herren, nach den Verlautbarungen, die wir aus den Reihen der Opposition gehört haben, fürchte ich fast, daß der Appell, zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren, vergeblich verhallen wird. Die Sozialdemokratie hat ausdrücklich erklärt, daß es ihre Absicht sei, einen emotionalisierten Wahlkampf zu führen.
Ein emotionalisierter Wahlkampf aber bedeutet Ausschaltung der Vernunft. Die Demokratie — das sollten Sie vielleicht bedenken — setzt aber den Wähler voraus, der bei seiner Wahlentscheidung weiß, worum es geht, der also nach vernünftiger Abwägung entscheidet. Wer die Vernunft auszuschalten trachtet, der handelt dem Geist der Demokratie zuwider.
Bitte spielen Sie also nicht länger mit den Gefühlen und Ängsten der Bürger.
Ich meine, das wäre auch in Ihrem Interesse, denn Sie würden dadurch unter Beweis stellen, daß Sie nicht nur über die demagogische Kunst der Verführung, sondern auch über sachliche Argumente verfügen.
Herr Abgeordneter Schmidt, bitte lesen Sie die Geschäftsordnung nach. Sie sind Jurist und werden sofort wissen, was die Bundesregierung kann und nicht kann, was sie darf und nicht darf.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmedt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wohngeld wird massiv gekürzt. Das ist keine Polemik, Herr Gattermann; das ist eine Tatsache.
Auch das war für uns ein Grund, diese Aktuelle Stunde zu fordern. Der neue Bundesbauminister, Herr Dr. Schneider, redet zwar freundlich über das Wohngeld, aber im stillen Kämmerlein streicht er mächtig daran herum, und zwar unter dem Motto: Mieten hinauf, Wohngeld herunter.Alle Kürzungen beim Wohngeld treffen einkommensschwache Bevölkerungsschichten. Bei den Schwerbehinderten ab 80 % Minderung der Erwerbsfähigkeit fällt die Doppelzählung weg. Die Grundrente wird zu einem Drittel als Einnahme angerechnet. Der bisherige Freibetrag wird nur noch erwerbstätigen und auszubildenden Alleinerziehenden gewährt, wenn sie lange Zeit außer Haus sind — und auch nur für Kinder unter zwölf Jahren. Der Freibetrag für mitverdienende Kinder von 2 400 DM wird auf 1 800 DM gesenkt. Der Freibetrag für Schwerbehinderte mit weniger als 80 Minderung der Erwerbsfähigkeit wird von 1 500 DM auf 600 DM pro Jahr gekürzt. Die Freibetrags-pauschalen werden reduziert, und die Bezieher von BAföG-Darlehen erhalten kein Wohngeld. Meine Damen und Herren, das alles ist sozialer Abstieg. Damit treffen Sie die Ärmsten der Armen. Das werden wir Sozialdemokraten nicht gutheißen.
Das ist doch nicht alles Tarifkorrektur. Das ist vielmehr ein Einschnitt in die Substanz. Wirksam werden soll dies alles erst zum 1. März 1983, auf keinen Fall früher. Die Wähler sollen nämlich erst nach der Bundestagswahl richtig merken, was die Übergangsregierung Kohl/Genscher angerührt hat.
100 Millionen DM an Wohngeld sollen 1983 weniger gezahlt werden.
1984, wenn die Kürzungen voll wirken, werden es zwischen 200 und 300 Millionen DM sein. Wir Sozialdemokraten werden dem nicht zustimmen.
Wenn der Bundesbauminister stolz auf 80 Millionen DM verweist, die er 1983 zusätzlich in den Haushalt eingestellt hat, so beweist das nur eines: Er rechnet mit deutlichen Mieterhöhungen und Einkommens-
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Frau Schmedt
einbußen, die viele neue Kunden für die Wohngeldämter mit sich bringen werden.Bei den Kürzungen des Wohngeldes sind Alleinerziehende eine besonders stark betroffene Gruppe. Zwei Beispiele, meine Damen und Herren: Eine alleinerziehende Frau mit einem 13-, 14-, 15- oder 16jährigen Kind verliert zukünftig den Anspruch auf einen Freibetrag in Höhe von 1 200 DM. Damit reduziert sich ihr Wohngeldanspruch. Möglicherweise entfällt er ganz. Hat diese alleinerziehende Frau ein Kleinkind, so wird sie den Freibetrag nur behalten, wenn sie lange außer Haus ist. Arbeitet diese Frau nur wenige Stunden am Tage, etwa weil sie sich um ihr Kleinkind kümmern will, entfällt auch für sie der Freibetrag.
1983 betragen die Kürzungen allein für diese Alleinerziehenden 40 bis 50 Millionen DM.Diese Wohnungspolitik ist weiß Gott eine schlimme Familienpolitik, Herr Bundesbauminister.
Der Familienminister, den das Ganze besonders interessieren müßte, ist hier noch nicht einmal anwesend. Eine wirklich tolle Wende in der Familienpolitik!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Doss.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche von diesem Platz aus heute zum erstenmal. Lassen Sie mich Ihnen deshalb vorab folgendes sagen.
In den Versammlungen, die wir alle bestreiten, wird sehr oft kritisiert, daß wir uns im Deutschen Bundestag nicht so sehr um die Sache bemühen, sondern uns unqualifiziert streiten. Ich muß sagen, daß das, was ich hier heute morgen in der Sache erlebt habe, diesem Vorurteil gegen den Deutschen Bundestag wieder neue Munition liefert.
Ich finde, wenn wir über eine sehr sensible sozialpolitische Sache wie das Wohngeld reden, dann sollten wir wirklich über die Sache diskutieren und dieses Instrument Wohngeld, bei dem ich davon ausgehe, daß wir es alle wollen und befürworten, nicht zum Gegenstand einer undifferenzierten Wahlkampfpolemik machen.
Tatsache ist, daß das Wohngeld steigt. Es hat von 911 Millionen DM im Jahr 1980 auf 1,34 Milliarden DM im Jahr 1982 zugenommen. Was wir vornehmen, ist im Grunde genommen eine Eingrenzung. Diese betrifft nur etwa die Hälfte aller Bezieher.
Auch Sie würden, wenn sie das Wohngeld im Grundsatz wollen, redlicherweise nicht umhin kommen, zu überlegen, wo Sie in diesem Bereich eingrenzen können, weil, wie ich ausgeführt habe, das Wohngeld nachgewiesenermaßen steigt, weil wir es wollen, es aber nicht ins Uferlose steigen darf, wenn es finanzierbar bleiben soll.
Es erfüllt — auch das ist an dem Volumen, das sich ausgeweitet hat, ablesbar — offensichtlich seine Funktion. Im Ausschuß wurde von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, dankenswerterweise gesagt, daß Sie sich mit einer ganzen Reihe der Vorschläge anfreunden könnten und wir von Ihnen andere Vorschläge darüber hören würden, wie Sie sich eine Eingrenzung vorstellten.
Ich bin der Meinung, wir sollten in der Frage Wohngeld zu dem zurückkehren, was dem Volk, was dem Staat, was dem Wohngeld und insbesondere dem Schwachen dient, indem wir sachlich über den besten Weg miteinander ringen, das Wohngeld auszugestalten, zu erhalten und auszubauen — was wir wollen, sobald die finanziellen Mittel dazu wieder da sind.
Alles, was wir zur Zeit tun, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht im Kontext der Tatsache, daß sich dieser Staat täglich um über 200 Millionen DM neu verschuldet und daß dies verhindert werden muß.
Hier bedarf es selbstverständlich auch praktischer Maßnahmen. Dabei wollen wir natürlich alle Leistungen auf den Prüfstand stellen. Was hier geschieht, ist sozial verantwortbar. Das Wohngeld ist eines unserer sozialen Ziele, dem wir näherkommen, wenn wir die Vertragsfreiheit, die wir mehr wollen, sozial abfedern. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Noth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Redner der SPD hört, könnte denken, die Vermieter würden als Beelzebub hinter den armen Seelen der Mieter herlaufen und dies habe in der Vergangenheit allenfalls dadurch gebremst werden können, daß ein Sozialdemokrat Bundeswohnungsbauminister war.
Meine Damen und Herren, ganz so sieht die Wirklichkeit zum Glück nicht aus. Ein Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse macht deutlich, daß die große Mehrheit der Mietverhältnisse in der Bundesrepublik sich ohne besondere Spannungen vollzieht, gottlob.
Das soll auch so bleiben, und damit das angesichts der Neuzugänge von Nachfragern auf dem Wohnungsmarkt so bleiben kann, müssen wir uns schon eine Menge einfallen lassen.
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7940 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Frau NothMeine Damen und Herren, fünf Minuten sind eine kurze Zeit, und man ist daher versucht, nur zu Einzelpunkten Stellung zu nehmen. Man kann aber im Grunde die Wohnungsbaupolitik auch dieser Regierung nur richtig würdigen, wenn man das Gesamtpaket an Maßnahmen sieht,
das ausgeht von den Fakten, denen wir uns in der Wohnungsbaupolitik in den kommenden Jahren gegenübersehen. Ich kann aber in diesen fünf Minuten nicht das Gesamtpaket behandeln, und deswegen möchte ich mich auf zwei Stichworte beschränken.Zum Wohngeld. Natürlich ist es richtig, daß auch bei diesem Sparhaushalt, den wir fahren müssen, beim Wohngeld gewisse Einschränkungen getroffen werden müssen. Aber — und das ist die erste Feststellung dazu — im Bereich des Wohngeldes gibt es keine linearen Kürzungen. Es bleiben sowohl die Höchstbeträge, bis zu denen die Wohnkosten bezuschußt werden, und gleichermaßen bleiben auch die Einkommensgrenzen bestehen, bis zu welchen Wohngeld gewährt werden kann. Einsparungen sind in der Tat vorgesehen bei den Personengruppen, die bereits durch Leistungen aus anderen Gesetzen erhebliche Unterstützung erhalten. Hier sollen die zusätzlichen Begünstigungen allerdings gestrichen bzw. eingeschränkt werden.Wenn hier davon die Rede war, daß der 1. März wohl ein im Hinblick auf die Wahl gewählter Termin sei, dann darf ich die Kolleginnen und Kollegen von der SPD daran erinnern, welche großen Schwierigkeiten uns in den letzten Jahren immer von der Verwaltung vorgetragen worden sind, als es um neue Gesetze ging und um deren Einführungstermine. Aus verwaltungstechnischen Gründen erscheint der 1. März als frühester Termin möglich. Bitte, nehmen Sie das zur Kenntnis.Die Staffelmiete ist ein Angebot. Hier ist bereits deutlich gesagt worden, daß wir davon ausgehen, daß sich die Staffelmiete keineswegs im gesamten Altbaubestand anwenden läßt, daß danach gar nicht die Nachfrage besteht, sondern daß die Staffelmiete möglicherweise bei Mieterwechsel eintritt und, wie gesagt, auch nur bei einem Teil der Neuabschlüsse. Wenn die Gegner behaupten, die Miete sei zu hoch, sage ich noch einmal: Die Staffelmiete ist ein Angebot. Wenn die Mieten zu hoch sind, bin ich sicher, wird es keine Mieter geben, denn schließlich haben wir Vertragsfreiheit, und auch die Staffelmiete kann nur in einem freien Vertrag vereinbart werden. Wir von der FDP wollen im Prinzip nichts anderes als Marktmieten. Wenn der Markt eben keine Staffelmietverträge annimmt, dann macht uns das nicht etwa besorgt, sondern würde uns sogar freuen.
— Selbstverständlich. Überhöhte Mieten sind nicht gerade das Prinzip der Wohnungsbaupolitik, das wir vertreten.
Meine Damen und Herren, starke Geburtenjahrgänge drängen auf den Wohnungsmarkt. Wir brauchen zunehmend Wohnungen für junge Familien. Geänderte Lebensgewohnheiten führen zum Anspruch auf geeignete Wohnungen bis ins hohe Alter seitens aller Bevölkerungsgruppen. Wir haben Millionen sanierungsbedürftige Wohnungen. Die Nachfrage nach Mietwohnungen kann durch den Einsatz öffentlicher Mittel allein nicht befriedigt werden.Die Mieterschutzgesetzgebung hat dazu geführt, daß Vermieter bei der Bereitstellung vorhandenen Wohnraums und bei der Schaffung neuen Wohnraums sehr zurückhaltend geworden sind. Wir haben die Konsequenzen gezogen und glauben, daß wir damit langfristig Mietern und Vermietern gerecht werden. Zeitmietverträge mobilisieren leerstehenden Wohnraum. Motivation für Investitionen im Wohnungsbau, Mietspiegel und Modernisierungsmaßnahmen sind die Teile unserer neuen Wohnungspolitik. Wir hoffen, daß wir mit diesem Angebot endlich — jedenfalls mittelfristig — des großen Mangels auf dem Wohnungsmarkt Herr werden können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Polkehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in aller Ruhe ein paar Sätze zur Sache sagen.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wir sollten täglich vor der Öffentlichkeit wiederholen, welche Wege zur Mietrechtsänderung Ihre Regierung beschreiten will, damit wir unseren Bürgern sehr deutlich machen können, was Sie unter sozialer Gerechtigkeit verstehen.
Ganz besonders, liebe Kollegin Noth, sollten wir deutlich machen, was die FDP heute unter sozialer Gerechtigkeit versteht.Die sozialliberale Bundesregierung hat — es ist noch gar nicht allzu lange her — einen Bericht über die Auswirkungen des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes vorgelegt und hat darin deutlich gemacht, daß sich das geltende Mietrecht bewährt hat und daß es nichts mit den Investitionshemmnissen zu tun hat. Dies steht in dem Bericht!
Sie, Herr Bundesminister Dr. Schneider, nehmendas alles nicht mehr zur Kenntnis und pauken einMietrecht mit der anspruchsvollen Bezeichnung
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7941
Polkehn„Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen" durch. Ihr Gesetz, Herr Dr. Schneider, ist unausgewogen, widerspricht der Praxis und zerstört den gerechten Ausgleich zwischen Mieter- und Vermieterinteressen. Sie legen in diesem Mietrechtsänderungsgesetz die Kurven zur Umgehung des Vergleichsmietensystems fest. Dem Vermieter wird es leichtgemacht, das Vergleichsmietensystem zu umgehen; Herr Staatssekretär Professor Klein hat das ja — zumindest indirekt — zugegeben.Ich begründe das. Erstens. Der Vermieter bekommt das Recht, Zeitmietverträge mit einer Geltungsdauer von bis zu fünf Jahren abzuschließen.
Zweitens. Das Gericht kann dem Mieter bei Zeitmietverträgen keine Räumungsfrist mehr gewähren. Auch dies hat der Herr Staatssekretär bestätigt.
Drittens. Staffelmietverträge können für alle Wohnungen abgeschlossen werden, also auch für den Bestand.
Dies alles sind doch Kurven zur Umgehung des Vergleichsmietensystems!
Viertens. Der Vermieter kann sich zur Begründung seines Mieterhöhungsverlangens auch auf eigene Wohnungen beziehen. Dies ist ein Selbstbedienungsrecht für Großvermieter.
Der Mieter muß künftig Modernisierungsmaßnahmen dulden, wenn sie die Wohnung in den allgemein üblichen Zustand versetzen.
Darauf, ob er dann die Miete noch zahlen kann, kommt es nicht an, so daß er gegen das sogenannte Herausmodernisieren letztendlich doch nicht geschützt ist.
Darüber hinaus werden die Mieter künftig höhere Mieten zahlen müssen. Als Maßstab für eine Mieterhöhung gilt künftig nicht mehr die ortsübliche Vergleichsmiete; Grundlagen sind künftig nur noch die besonders teuren Mietabschlüsse der letzten drei Jahre. Dies ist eine Tatsache.
Den sozial Schwächsten wird der nötige Schutz bei der Umwandlung ihrer Miet- in Eigentumswohnungen versagt. Die Sperrfrist — das ist die Frist, die der neue Eigentümer abwarten muß, bis er kündigen kann — wird nicht verlängert. Der Mieter soll auch kein Vorkaufsrecht haben.In diesem Zusammenhang, Herr Wohnungsbauminister Dr. Schneider, erinnere ich an die Umwandlungsproblematik in Nürnberg, zu der der parteilose Oberbürgermeister dieser Stadt, der Ihnen ja sehr gut bekannt ist, im Auftrage seines Stadtrates vorgetragen hat: Die Stadt Nürnberg fordert, daß die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Gebieten mit erhöhtem Wohnbedarf für die Dauer von zehn Jahren zu untersagen ist. — Das ist ein guter Vorschlag.
Verehrter Herr Dr. Schneider, ich bitte Sie, durch neue Gesetzgebungsverfahren den Frieden zwischen Vermieter und Mieter nicht zu zerstören
und Ihre Politik nicht von Wirtschaftsgruppen, sondern vom Bürger an der Mietenfront — und das sind Mieter und Vermieter — bestimmen zu lassen. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Waltemathe, Sie haben eine schlimme, eine böse Rede gehalten.
Sie haben Tatsachen entstellt und verzerrt.
Sie haben unsere Absichten, unsere guten Absichten verfälscht.
Ihre Rede war — es tut mir leid, es hier sagen zu müssen — eine einzige Anstiftung zum sozialen Unfrieden.
Meine Damen und Herren, Sie haben davon gesprochen, wir demontierten das Mietrecht.
Sie haben die wirtschaftlichen und sozialen Fundamente der Wohnungswirtschaft demontiert.
Vor allen Dingen haben Sie ein Mietrecht mit feudalistischen Privilegien geschaffen.
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7942 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Bundesminister Dr. SchneiderDer Inhalt und das Ziel unserer Wohnungspolitik ist, den Mieter wieder mündig zu machen.
Sie haben ihn entmündigt. Wir wollen die Chancengleichheit für alle Mieter, vor allem für die sozial schwachen Mieter wiederherstellen.
— Meine Damen und Herren, ich kann ja Ihre Freude verstehen; die Probleme, die Sie nicht zu lösen vermochten, sind wir eben dabei zu lösen.
Einen Augenblick, Herr Bundesminister! — Darf ich bitten, daß wir die Zwischenrufe doch ein bißchen einschränken. Temperament ist gut, aber wenn es zuviel ist, ist es, insbesondere wenn eine Debatte mit nur fünf Minuten Redezeit vorgesehen ist, ausgesprochen störend.
— Das gilt für beide Seiten.
Ich behaupte, daß unser Mietrecht heute feudalistische Züge trägt, und zwar deshalb, weil sozialwidrige Besitzstände mehr geschützt werden und weil der Fehlbeleger mehr geschützt wird als der wirtschaftlich und sozial schwache Mieter, der nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz, nach den Bestimmungen des sozialen Mietrechts anspruchsberechtigt wäre. Wer jung oder alt ist, steht schutzlos vor der Tür, und der Arbeitslose, der zwar wieder einen Arbeitsplatz findet, scheitert oft daran, daß er in einer anderen Stadt vor verschlossenen Türen steht, die Sie mit Ihrem Mietrecht zugesperrt haben.
Sie schützen den sozial starken Fehlbeleger mehr als das sozial schwache junge Ehepaar.
Lieber Kollege Waltemathe, Sie unterstellen uns, wir wollten das kapitalistische Bauherrenmodell in besonderer Weise entwickeln. Dazu liegt zunächst überhaupt keine Erklärung vor, und dazu gibt es auch keine Entscheidung. Aber ich will Ihnen etwas anderes sagen. Ihr Vorschlag, den Sie machen, ist in jeder Hinsicht arbeiterfeindlich;
denn auf Grund des Bauherrenmodells werden in unserem Land jährlich 30 000 Wohnungen gebaut; ohne Bauherrenmodell werden sie nicht gebaut. Das heißt, schaffen Sie das Bauherrenmodell ab, dann werden Sie 60 000 Arbeitsplätze vernichten. Wollen Sie das?
Ein Wort zum Wohngeld; das konnte ja nicht fehlen. Ich habe jedes Verständnis dafür, daß man mit Besorgnis auf die Entwicklung beim Wohngeld achtet; ich teile diese Sorge. Es wäre mir lieber gewesen, wir hätten hier nichts kürzen müssen. Aber wer hat denn mit dem Kürzen begonnen? Das war doch die alte Bundesregierung. Der alte Bundesfinanzminister hat doch am 2. Juli einen Brief geschrieben. In dem Brief steht doch drin, daß man das Wohngeld kürzen soll. Ich will aus vertraulichen Papieren nicht zitieren.
— Ich wäre leicht auf Grund der Aktenlage in der Lage, dies zu widerlegen. Jedenfalls haben sogar auch Sie in verantwortungsvoller Weise darüber nachgedacht, wie man den Tarif dort ändern kann, wo es sozial zumutbar ist, wo man bei behutsamem Zugriff die soziale Funktion des Wohngeldes insgesamt voll erhält. Das geschieht mit unserem Gesetz. Also dies ist Heuchelei, was hier betrieben wird.
Dann ein Weiteres! Ich muß natürlich auch noch etwas darüber sagen, was wir machen. Ich hätte beinahe vergessen, zu sagen, was wir machen. Ich wollte nur auf das eingehen, was Sie gesagt haben. Die Ungeheuerlichkeiten wollte ich zurückweisen.Mein verehrter Amtskollege, Herr Dr. Haack, wäre ja sehr glücklich gewesen, wenn ihm seine Regierung, wenn ihm sein Finanzminister auf einen Schlag zweieinhalb Milliarden DM zur Ankurbelung des Wohnungsbaus gegeben hätte,
2 Milliarden für den sozialen Wohnungsbau, 500 Millionen für die Bausparzwischenfinanzierung und pro Jahr allein Bundesanteil 1,7 Milliarden für den Schuldzinsenabzug. Das sind doch grandiose Leistungen. Davon haben Sie doch gar nicht träumen können. Dann sind Sie aus Ihrem Traum erwacht, stehen vor der Wirklichkeit, sind erschreckt und beschimpfen uns.
Ihre Polemik, meine Damen und Herren! Sie verstehen von der Sache viel zuviel, als daß Sie glaubwürdig polemisieren können, Herr Kollege Waltemathe.
Was Sie hier vorgetragen haben, glaubt Ihnen niemand.
Laßt uns Taten sehen! Auf Ihre Taten haben wir 13 Jahre lang gewartet. Wir sind noch nicht einmal zwei Monate an der Regierung und haben eine Fülle von Tatsachen geschaffen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7943
Bundesminister Dr. SchneiderNehmen Sie Ihre roten Augenbinden ab, und erkennen Sie die Tatsachen an, die kraftvoll vor Ihren Augen liegen!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kansy.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen hier über Wohnungsbau oder — besser — nach 16 Jahren SPD-Wohnungsbauministern über Nichtmehr-Wohnungsbau in diesem Land. Denn bis 1969/70 wurden rund 600 000 Wohnungen im Jahre gebaut und 1981 noch 365 000,
und 1982 ist ein weiterer Rückgang um ungefähr 10 % zu verzeichnen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Wir sprechen über Wohnungsbau.
Freifinanzierte Wohnungen können überhaupt nicht mehr gebaut werden, die Wirtschaftlichkeit fehlt. Für den sozialen Wohnungsbau fehlt dem Staat das Geld. Ich sage Ihnen: zuwenig Wohnungsbau und Wohnungsknappheit, das sind die größten Ursachen für Mietpreiserhöhungen und nicht ein vernünftiges Mietrecht.
Ihr einziges Ergebnis war, daß Sie statt Wohnungen ganze Wagenladungen von Berechtigungsscheinen produziert haben — nach dem alten Motto: Versprechungen kosten j a nichts.
Diese Wohnungsbaupolitik wurde durch das heute vielfach angesprochene Mietrecht so verschärft, daß nur diejenigen geschützt waren, die die Wohnung hatten, nicht diejenigen, die vor der Tür standen, die keine hatten, ganz egal, ob in den Wohnungen zu Recht oder zu Unrecht, ob überbelegt oder fehlbelegt gewohnt wurde.
Es läßt sich deswegen kurz und ergreifend auf Ihre Vorwürfe, Herr Waltemathe, sagen: Nicht der mutige Versuch eines neuen Anfangs, sondern Ihre Politik der letzten 13 Jahre im Wohnungsbau war höchst unsozial.
Die Regierung Kohl hat deswegen im Bereich des Wohnungsbaus sofort gehandelt. Der Bundesbauminister hat es vorgestellt, das Sofortprogramm im sozialen Wohnungsbau, auch, Herr Waltemathe, im Eigentumsprogramm. Ich wundere mich eigentlich, daß Sie immer noch den alten Hut hervorzaubern, als ob die Eigenheimer die zu Unrecht großsubventionierten Bürger dieses Landes sind.
80 % aller Eigenheimbauer haben ein mittleres Einkommen von 30 000 bis 40 000 DM pro Jahr und sind Arbeitnehmer. Es ist doch so, daß bei der Förderung des Eigenheimers mit etwa 40 000 DM Subvention
nur ein Viertel der Summe gebraucht wird, die wir im sozialen Wohnungsbau im ersten Förderungsweg für eine Wohnung aufbringen.
Es besteht deswegen nicht der geringste Anlaß, uns Vorwürfe zu machen, daß wir dem Eigenheimer als demjenigen, der sich am meisten helfen kann und die größten Opfer in diesem Lande bringt, auch in diesem Programm Geld zur Verfügung stellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließen: Sie haben den Wahlkampf 1976 mit einer Täuschung im Bereich der Renten zu führen versucht.
Sie haben den Wahlkampf 1980 mit dem Versuch geführt, die Staatsverschuldung zu verniedlichen, die dieses Land in alle die Probleme gestürzt hat, vor denen wir heute gemeinsam stehen.
Sie unternehmen nun für den Bundestagswahlkampf 1983 den untauglichen Versuch, den Popanz einer Ausbeutergesellschaft hinzumalen, in der Mieter die Ausgebeuteten
und Vermieter die großen Buhmänner der Nation sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das wird Ihnen nicht gelingen, und zwar deswegen nicht, weil dem mündigen Bürger dieses Landes eine auch unter schwierigen Umständen gebaute und finanzierte Wohnung lieber ist als zehn sozialistische Wolkenkuckucksheime. — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schmidt , ich appelliere noch einmal: Es ist wirklich kein guter Stil, wenn permanent Zwischenrufe kommen. Ich selbst verstehe den Redner hier oben nicht mehr so präzise, wie es Aufgabe des Präsidenten ist, die Rede zu verfolgen. Ich bitte also, darauf zu achten. Also, freundlicher kann ich die Mahnung an das Haus doch gar nicht richten.
— Das geht — ich sage das noch einmal — an beide Seiten.
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7944 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Präsident StücklenDas Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wohnungsbaupolitik auf dem Rücken der Mieter — das muß man über Ihr Konzept schreiben.
Wir haben heute Herrn Dr. Schneider gehört, einen Wohnungsbauminister, der sich als Anwalt der Mieter bezeichnet. Nach seinen Ausführungen müssen wir — wir sagen dies in dieser Aktuellen Stunde auch deutlich — erklären: Schützt die Mieter, die 40 Millionen, die in Miete wohnen, vor diesem Wohnungsbauminister, vor dem, der sich zwar Anwalt der Mieter nennt, die Mieten aber erhöht und das soziale Mietrecht, das in den letzten 13 Jahren geschaffen worden ist, beeinträchtigt und abbaut! Das ist Politik zu Lasten der Mieter.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, sagen, besser Mieterhöhungen als Wohnungsbau, dann können Sie nicht daran vorbeigehen, daß in den letzten Jahren immerhin 5 Millionen Wohnungen in der Bundesrepublik gebaut worden sind — davon sind 1,5 Millionen Sozialwohnungen — und daß die Mieter, die in diesen Wohnungen wohnen, dies jedenfalls in gesicherten Mietsrechtsverhältnissen tun können.Wohnungsbau schafft Arbeitsplätze. Wir unterstützen deshalb die Vorschläge der Regierung, die arbeitslosen Bauarbeitern möglichst schnell einen Arbeitsplatz und dem notleidenden Baugewerbe Aufträge bringen. Wir haben deshalb auch in der Vergangenheit bei den wohnungspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre, Verbesserung von § 7 b, Verbesserung von § 7 Abs. 5, der Beschäftigungspolitik den Vorrang gegeben.
Aber, meine Damen und Herren, Wohnungspolitik darf nicht allein Beschäftigungspolitik sein, sondern Wohnungen müssen heute und hier dort entstehen, wo Schlangen von Wohnungsuchenden vor den Wohnungsämtern stehen,
wo der Wohnungsuchende keine Chance hat, eine preiswerte Wohnung anzumieten, und wo zum Nachteil der Mieter kein Ausgleich zwischen Wohnungsangebot und Wohnungsnachfrage besteht. Wir meinen, daß die staatliche Eigentumsförderung auch dem Normalverdiener eine Chance geben muß und nicht nur, wie Sie das tun, durch Abschreibungserleichterungen dem Gutverdienenden Vorteile zu Lasten der Allgemeinheit verschaffen darf.
Wenn Sie fragen, warum die Menschen in den Städten vor den Wohnungsämtern stehen,
muß zunächst einmal festgehalten werden, daß es am 31. Dezember 1981 im Bundesgebiet immerhin 25,7 Millionen Wohnungen gab. Ihnen standen 25,1 Millionen Haushalte gegenüber. Wir haben also in der Tat in der Bundesrepublik mehr Wohnungen als Haushalte. Die Wohnungen fehlen uns aber dort, wo sie gebraucht werden, nämlich in den Großstädten und den Verdichtungsgebieten.Auf Grund einer Umfrage in 24 Großstädten haben wir festgestellt, daß dort 150 000 Haushalte eine Wohnung suchen. Das sind mehr als 350 000 Menschen. Davon sind allein 76 000 Notfälle. An dieser Nachfrage, an diesen Notfällen geht die Wohnungspolitik der neuen Rechtskoalition vorbei.Ihre Baupolitik — das will ich Ihnen im einzelnen nachweisen — hat für den sozialen Mietwohnungsbau in den Städten zwar 500 Millionen DM vorgesehen, die zur Förderung von 4 000 Wohnungen im ersten Förderungsweg ausreichen. Aber dem steht gegenüber, daß Sie für Eigentumsförderung und den sogenannten zweiten Weg, der ja auch wieder eine Fülle von Steuerabschreibungsmöglichkeiten mit sich bringen kann, immerhin das Dreifache, nämlich 1,5 Milliarden DM, bereitstellen. Das ist kein ausgewogenes Verhältnis. Es ist ein einseitiges Verhältnis zu Lasten derer, die als Wohnungsuchende noch draußen vor der Tür stehen.
Wir Sozialdemokraten sehen keinen Gegensatz zwischen Wohnungseigentum und Mietwohnung, wir sehen keinen Gegensatz zwischen Stadt und Land. Für uns gilt: Eigenheime und Eigentum dort, wo das möglich und — ich sage — gerecht finanzierbar ist, und Mietwohnungen dort, wo sie dringend nötig sind. Deshalb haben wir in unserem Beschäftigungskonzept, das am Freitag im Bundestag vorgetragen wird, insgesamt 20 000 Wohnungen im ersten Förderungsweg und 30 000 Wohnungen im zweiten Förderungsweg vorgeschlagen. Wir möchten damit insbesondere den Familien mit Kindern in den Ballungsgebieten helfen, die in einer Wohnungsnotlage sind.Das neue Wohnungsprogramm, das Sie, Herr Minister Schneider, vorlegen, hat eine soziale Schieflage. Nun könnte man sagen, auch der schiefe Turm von Pisa ist ein sehenswertes Baudenkmal. Wir aber brauchen keine leerstehenden oder nicht bezahlbaren Wohnungsdenkmäler oder Abschreibungshalden im Wohnungsbau, die nur steuerlichen Vergünstigungen dienen.
Wir brauchen in der Bundesrepublik dringend Sozialwohnungen, auch Sozialwohnungen für Bauarbeiter, ...
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7945
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zu Ihrem letzten Satz.
... denen wir einen neuen Arbeitsplatz schaffen wollen, die aber eine Wohnung, die sie bauen, dann auch bezahlen und anmieten können.
Das Wort hat der Abgeordnete Linsmeier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Verfahren des heutigen Tages möchte ich doch noch einmal feststellen: Es ist schon reichlich eigenartig, zuerst zu versuchen, die Diskussion im Ausschuß zu vertagen,
dann zu versuchen, die Sachverständigen eine Woche später einzuladen, hier aber vorher schon Ihre Meinung kundzutun, die offenbar unverändert feststeht. Warum wollen Sie denn die Sachverständigen noch hören, wenn Sie heute schon wissen, wie Ihre Polemik laufen soll?
Sie haben sehr viel über die steuerlichen Zusammenhänge des Wohnungsbaus gesprochen. Dazu möchte ich Ihnen folgendes vorlesen:
Die Erhöhung der degressiven Abschreibung und die Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten im Wohnungsbau, die den Bau von einigen Zehntausenden neuer Wohnungen anreizen werden, werden von uns nicht nur hingenommen, sondern ausdrücklich befürwortet.
So der Parteivorsitzende der SPD, Willy Brandt, in einem Schreiben an die „lieben Genossen". Ich meine doch, Sie sollten sich diesen Brief vom Sommer nochmals herausholen und in den Wohnungsbauausschuß mitnehmen.
Darüber hinaus möchte ich hier auf die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge des Wohnungsbaues eingehen.
Die Bereitschaft, im Mietwohnungsbau zu investieren, hängt stark von den gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten und deren erwarteter Entwicklung ab. Entscheidungen über Investitionen im Mietwohnungsbau beruhen auf langfristigen Renditeerwägungen. In diesem Zusammenhang ist es auch ein wichtiger Aspekt, wieweit in Zukunft Mieterhöhungen durchsetzbar sind.
Ich bemerke, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß Ihnen dieser Text noch bekannt ist. Er entstammt nämlich der Begründung
des Entwurfs Ihrer Bundesregierung aus dem Jahre 1981.
Auch diesen Text sollten Sie in den Ausschuß mitnehmen. Dann entspannt sich manches in der Diskussion, die hier von Ihnen so polemisch geführt wird, ganz von selbst.
Ein nächster Punkt.
Sie haben die Staffelmiete angegriffen. Sie haben auch gesagt, die Staffelmiete sollte im Bestand nicht eingeführt werden. Ihr früherer Wohnungsbauminister hatte sich eigens eine Sachverständigenkommission geholt und sich von dieser beraten lassen. Im Ergebnis stellte diese Sachverständigenkommission seinerzeit fest: Mietsteigerungen sollen zwischen Mieter und Vermieter für eine begrenzte Zeit sowohl für neugebaute Wohnungen als auch für neu vermietete Wohnungen des Bestandes vereinbart werden können. .
Ihr Problem war, daß Sie sich in dieser Frage, wie so oft, aus dem sachverständigen Rat nur das herausgepickt haben, was vielleicht in der Partei durchsetzbar war und was Ihren Vorstellungen entsprochen hat, daß Sie aber das Gesamtkonzept und das, was in sich schlüssig und notwendig ist, nicht übernommen haben. Wir sind bereit, in diesem Fall den Vorstellungen der Sachverständigen zu folgen
— das ist ja von der Sachverständigenkommission, lieber Herr Kollege —,
damit nach 13 Monaten, die wir die Regierung stellen werden, der Weg dahin vorgezeichnet ist, daß das aufhört, was nach 13 Jahren SPD-Regierungsverantwortung eingerissen ist. Nach 13 Jahren Verantwortung der SPD haben wir — da bin ich für den Hinweis sehr dankbar — Schlangen vor den Wohnungsämtern, nach 13 Jahren SPD haben wir Schlangen vor den Sozialämtern, und nach 13 Jahren SPD haben wir Schlangen vor den Arbeitsämtern.
Was wir hier tun, ist, diese Schlangen abzubauen und für die Menschen wieder vernünftige Bedingungen zu schaffen. Das sollten Sie anerkennen, meine Damen und Herren. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Ich warte gerne, bis Sie sich beruhigt haben.
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7946 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Schmidt
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Begriff des Euphemismus kommt aus dem Griechischen und bedeutet die wohlklingende Bemäntelung aus der Furcht heraus, irgend etwas beim Namen zu nennen. So war es im Mittelalter gang und gäbe, Herr Kollege Erhard, den Teufel den „Gottseibeiuns" zu nennen. Die Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen"
ist meiner Meinung nach eine euphemistische Meisterleistung, ein euphemistischer Weltrekord.
Wenn man den Teufel beim Namen nennen wollte —
und jetzt sage auch ich es einmal deutlich, weil der Minister und andere hier sehr polemisch waren —, müßte dieses Gesetz heißen: Entwurf zur Ausplünderung und Rechtlosstellung der Mieter und zur Einkommensteigerung der Hauseigentümer.
Sie, Herr Wohnungsbauminister, haben einmal davon gesprochen, daß es darauf ankomme, einen fairen Ausgleich zwischen Vermieter und Mieter zu schaffen. Wenn Sie dies tatsächlich wollten, müßten Sie das Mietrecht verbessern und nicht, wie Sie es hier tun, verschlechtern. Sie stoßen mit diesem Gesetzentwurf den Mieter aus seiner bisherigen Rechtsposition heraus und geben ihn weitgehend der Willkür des Hauseigentümers preis. Ich will ein paar Beispiele nennen.Die Reduzierung des Mietspiegels auf veränderte und vereinbarte Mieten der letzten drei Jahre wird in den Großstädten zu dramatischen Mietpreissteigerungen führen.
Weil Sie immer sagen, 25 % seien angemessen, möchte ich gleich eines einfügen: In den Großstädten zahlen gerade diejenigen mit Durchschnittseinkommen heute schon bis zu 50 % ihres Einkommens an Miete. Ich finde es deshalb lächerlich, wenn jemand sagt, daß der Prozentsatz auf 25 angehoben werden müsse. Sie treffen gerade die Einkommensschwachen, wenn Sie diese Forderung aufstellen. Großverdiener, wenn sie in einer Mietwohnung wohnen sollten — meistens haben sie nur eine Zweitwohnung als Mietwohnung, häufig auch das nicht, weil durch die steuerlichen Vorteile des Bauherrenmodells der Eigentumserwerb auch an diesen Zweitwohnungen gefördert wird —, zahlen nur einen relativ geringen Anteil ihres Einkommens. Die anderen zahlen dagegen einen hohen Anteil.Die Einführung der Staffelmiete im Wohnungsbestand führt dazu, daß das Vergleichsmietensystem über kurz oder lang zu Ende geführt wird. Die Möglichkeit der Heranziehung von drei Wohnungen aus dem eigenen Bestand führt dazu, daß Sie geradezu ein Selbstbedienungsrecht für die Großverdiener zur Ausplünderung der Mieter schaffen. Hier ist auch der Willkür Tür und Tor geöffnet.Mit dem Verzicht auf eine Verlängerung der Frist für eine Eigenbedarfskündigung und eine Zumutbarkeitsklausel bei der Modernisierung und durch eine Reihe steuerlicher Privilegien heizen Sie genau das an, was heute die Geißel in unseren Großstädten ist, die Spekulation bei der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen.
— Darauf würde ich jetzt gern eingehen.
Sie gibt es deshalb, weil es wegen der hohen Bodenpreise für viele profitabler ist, ihr Geld in den Altbau zu stecken, statt in den Wohnungsneubau.Sie, Herr Wohnungsbauminister, haben kurz nach Ihrer Ernennung gesagt, Sie seien der Anwalt der Mieter. Da ich aus diesem Beruf komme, muß ich sagen: Auf Grund des Entwurfs, der hier vorliegt, müßte man Sie eigentlich wegen Parteienverrats von der Anwaltsliste streichen.
Mit der Gleichförmigkeit einer tibetanischen Gebetsmühle wiederholen Sie den längst widerlegten Vorwurf, daß das geltende Mietrecht ein Investitionshemmnis sei.Weil Sie immer so bildungsbeflissen sind, antworte ich Ihnen hier mit einem Goethe-Zitat aus dem „Westöstlichen Diwan". Es lautet: „Getretener Quark wird breit und nicht stark."Sie kennen genausogut wie wir die drei Erzübel, die den Wohnungsbau knebeln: hohe Zinsen, hohe Baupreise und hohe Grundstückspreise.
Wenn Sie etwas Wirksames gegen die Spekulation im Grundstücksbereich tun wollen, Herr Bundeswohnungsbauminister, könnten Sie es tun. Da hätten Sie uns jederzeit auf Ihrer Seite.
Im übrigen — das muß ich noch dazusagen, weil Sie Ihre Vorlagen so loben — kommt die Kritik doch nicht nur von Mietervereinen, Gewerkschaften oder Sozialdemokraten, sondern auch von Kornmunalpolitikern Ihrer eigenen Partei.
Der Münchner Oberbürgermeister ist — um es hier einmal freundlich zu sagen — ein leidenschaftlicher Briefeschreiber. Wenn man nicht so freundlich ist, könnte man ihn sogar einen pathologischen Briefeschreiber, sozusagen einen Graphomanen, nennen. Aber er hat manchmal recht mit dem, was er schreibt. Er hat an Sie am 5. November 1982 ge-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7947
Schmidt
schrieben, daß Sie sich dafür einsetzen sollten, die Duldungspflicht bei der Modernisierung einzuschränken, die Frist für die Eigenbedarfskündigung von drei auf fünf Jahre hinaufzusetzen und das Wohngeld zu erhöhen.
Herr Abgeordneter
Schmidt, der Brief ist zu lang. Es tut mir leid.
Nichts mehr!
Gut. Ich sage: Sie tun hier genau das Gegenteil. Die Wende in Bonn war — das kann man deutlich sagen — eine Katastrophe für die Mieter.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schmidt ist dafür bekannt, daß er im Rechtsausschuß, wo diese Dinge behandelt werden, lächelnde Gastspiele gibt, dann wieder verschwindet, sich an der Verzögerung der Mietrechtsberatungen kräftig beteiligt und lächelt, wenn dann wieder ein Geschäftsordnungstrick gut durchgegangen ist.
Das ist der Beitrag zur Mietverbesserung für die Münchner und großstädtischen Bürger des Herrn Schmidt.
Auf Ihre Polemik gegen den Münchner Oberbürgermeister, Herr Schmidt, für die Sie bekannt sind, möchte ich gar nicht eingehen, weil diese auch auf dessen Vorgänger zutrifft, und da haben Sie, obwohl Sie in der Regierung waren, hier in Bonn auch nichts erreicht, wenn man es einmal so sagen darf.
Halten Sie jetzt lieber den Mund und hören zu! Das ist für Sie vielleicht ertragreicher.
Meine Damen und Herren, wie wollen mehr Wohnungen. Sie verhindern, daß, vor allem in den Ballungsräumen, mehr Wohnungen gebaut werden.
Sie wollen verhindern, daß die Bestimmungen über die Luxusmodernisierung so verbessert werden, daß der Mieter geschützt bleibt, wenn Sie das jetzt weiter verzögern. Sie wollen verhindern, daß sinnvolle Zeitverträge kommen, die Häuser, die modernisiert werden sollen, auch noch für eine kürzere Zeit vermietbar machen, und schließlich wollen Sie verhindern, daß dadurch mehr Geld für Studentenwohnungen zur Verfügung gestellt wird, daß das Rotationssystem durch diesen Gesetzentwurf verbessert wird.
Wann ist denn der soziale Wohnungsbau z. B. in München zum Erliegen gekommmen? Es war unter der Oberbürgermeisterschaft von Vogel und Kronawitter. Daran sollten Sie sich einmal ganz deutlich erinnern. München steht jetzt bei allen Großstädten, was den Neubau von Wohnungen im Sozialbereich anlangt, an der Spitze. Das sollte einmal gesagt werden; das haben Sie geflissentlich verschwiegen. Wer hat ein Jahrzehnt lang verhindert, daß das sogenannte Schießplatzgelände in München, jenes Gelände, wo 5 000 Wohnungen auf einmal hätten gebaut werden können, verkauft wird. Das waren Sie mit Ihrer Bodenideologie, die wollten, daß nur eine öffentliche Hand überhaupt in Frage kommt, diese Grundstücke zu kaufen, und nicht Bauwillige, Bauträger usw., die vor zehn Jahren sofort mit dem Wohnungsbau hätten beginnen können. Ihr Finanzminister Matthöfer hat die Preise immer wieder in die Höhe geschraubt, bis es dann endlich gelungen ist, einen vernünftigen Kaufpreis für diese Grundstücke zu bekommen.
— Herr Sperling, im Haushaltsausschuß ist dafür plädiert worden, einen Grundstückspreis zu verlangen, der angemessen ist, um einen sozialen Mietwohnungsbau überhaupt zu ermöglichen. Sie haben in den Ballungsräumen in der Vergangenheit verhindert, daß ausreichender Wohnraum geschaffen wird.
Diese Bundesregierung bzw. dieser Entwurf der beiden Koalitionsfraktionen wird zusammen mit den finanzpolitischen Maßnahmen dafür sorgen, daß endlich wieder mehr Wohnraum geschaffen wird und daß wir uns in Zukunft nicht mehr über solche Themen wie Staffelmiete zu unterhalten brauchen, weil genügend billiger, guter Wohnraum zur Verfügung stehen wird. Da appelliere ich an Sie: Sabotieren Sie nicht weiter, sondern helfen Sie dabei, daß die Gesetze zügig durch die Ausschüsse kommen! — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.
Die Sitzung wird um 13 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung bis Freitag erweitert werden um den Entwurf des von der Fraktion der SPD eingebrachten Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes — Drucksache 9/2064 —, den Entwurf des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten KriegsdienstverweigerungsNeuordnungsgesetzes — Drucksache 9/2124 — und den Entwurf des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften — Drucksache 9/2119 —. Ich gehe davon aus, daß mit der Aufset-
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7948 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Präsident Stücklenzung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurfs auf Drucksache 9/2124 und des bereits auf der Tagesordnung stehenden Antrags der Fraktion der SPD betreffend Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985 — Drucksache 9/2123 — gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen wird. — Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Es ist somit beschlossen.Der Antrag unter Punkt 11 a) der Tagesordnung betreffend Freilassung des Gewerkschaftsführers Lech Walesa und anderer politischer Häftlinge — Drucksachen 9/1541, 9/1963 — ist von der Fraktion der CDU/CSU zurückgezogen worden, so daß die Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses entfällt.Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 15 der Tagesordnung, die erste Beratung des Entwurfs eines Bilanzrichtliniengesetzes — Drucksache 9/1878 —, abgesetzt werden. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 9/2111 —Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.Frage 6 der Frau Abgeordneten Krone-Appuhn soll auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:Unterliegen Angehörige der Berufsfeuerwehr der Wehrpflicht und werden sie damit „MOB"-mäßig eingeplant, und wenn ja, welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu veranlassen, um in einem möglichen Anforderungsfall zu verhindern, daß Gemeinden, die eine Berufsfeuerwehr haben, keinen oder einen eingeschränkten gesetzlich vorgeschriebenen Schutz haben, während Gemeinden, die eine freiwillige Feuerwehr haben, mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Schutz versorgt sind, da die Angehörigen der freiwilligen Feuerwehr nicht „MOB"-mäßig eingeplant sind?Bitte.
Herr Präsident, wenn der Kollege Klejdzinski zustimmt, möchte ich die Fragen 1 und 2, die in enger Verbindung stehen, gemeinsam beantworten.
Sind Sie einverstanden?
— Gut. Dann rufe ich auch Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, durch gesetzliche Regelungen, beispielsweise durch eine Quotierung, dafür zu sorgen, daß die Aufgaben der Feuerwehren grundsätzlich ohne Einschränkungen wahrgenommen werden können, zumal im
Verteidigungs- und im Spannungsfall diese Dienstleistungen mit höheren Bereitschaftsgraden zur Verfügung stehen müssen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich bedanke mich. — Herr Kollege Klejdzinski, die Angehörigen der Berufsfeuerwehren unterliegen der allgemeinen Wehrpflicht. Nur wenige werden jedoch für den Verteidigungsfall mobilmachungsbeordert, da sie in aller Regel bei der Feuerwehr unentbehrlich sind.
Der Bundesrat hat nun vorgeschlagen, in den dem Bundestag zur Beratung vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wehrrechts und des Zivildienstrechts eine generelle Wehrdienstausnahme für Berufsfeuerwehrleute aufzunehmen. Die Bundesregierung hat dem zugestimmt.
Keine Zusatzfrage?
— Dann rufe ich Frage 3 des Herrn Abgeordneten Antretter auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob Presseinformationen zutreffen, denenzufolge im Fall eines Scheiterns der Genfer Verhandlungen im Dezember des Jahres 1983 die Aufstellung von 36 Pershing-II-Raketen in Schwäbisch Gmünd vorgesehen sein soll?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Antretter, die Bundesregierung hat wiederholt betont, daß das Bündnis Ende 1983 mit der Stationierung von amerikanischen nuklearen Mittelstreckensystemen in Europa, also auch in der Bundesrepublik Deutschland, beginnen wird, falls bis dahin die Rüstungskontrollverhandlungen in Genf ohne konkrete Ergebnisse bleiben sollten.
Die Bundesregierung hat stets Presseinformationen zu angeblichen Standorten für diese Mittelstreckensysteme auf deutschem Boden weder bestätigt noch dementiert. Dies entspricht geübter Praxis aller Bundesregierungen, da Ortsangaben zur Lagerung von Nuklearwaffen und Standorten von Einheiten mit nuklearfähigen Waffensystemen der Geheimhaltung unterliegen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung die Darstellung amerikanischer Senatshearings bekannt, denen zufolge die Standorte der amerikanischen Pershing-I-Stellungen, die ja die Pershing II aufnehmen sollen, nicht der Geheimhaltung unterliegen, d. h. öffentlich sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Antretter, ich weise noch einmal auf die Praxis aller Bundesregierungen hin und wiederhole die Antwort auf viele Fragen unserer Kollegen, daß die Bundesregierung daran festhalten wird, unabhängig davon, was andere alliierte NATO-Staaten tun, Standorte nuklearer Einheiten geheimzuhalten.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7949
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, kann die Bundesregierung demzufolge bestätigen, daß die Geheimhaltung der Standorte von A- und C-Waffen nicht vom Bundeskanzler Helmut Schmidt eingeführt wurde, sondern Übung aller Bundesregierungen war, beginnend mit den Kabinetten Adenauer, und daß somit die laut Plenarprotokoll der 128. Sitzung vom 12. November von Ihnen auf die Fragen des Herrn Kollegen Dr. Spöri gegebenen Antworten falsch sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich will Ihnen nicht sagen, daß dies falsch ist, sondern wenn wir darauf hingewiesen haben, daß wir uns der Gepflogenheiten der gerade vorangegangenen Bundesregierung bedienten, dann war dies ein aktueller, sicherlich nicht bis in die Tiefe der Geschichte der Bundesrepublik zurückgehender Blick. Auch andere Bundesregierungen haben sich so verhalten, wie wir dies tun und wie die Regierung Schmidt es tat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spöri.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben konzediert haben, daß andere NATO-Verbündete hier eine andere Auskunftspraxis im Hinblick auf diese vergleichbaren Standorte in anderen Ländern praktizieren, möchte ich Sie fragen, ob Sie die Behauptung aufrechterhalten, daß die Geheimhaltungspraxis auf Grund der NATO-Vereinbarungen obligatorisch ist, wie Sie das in der Antwort auf meine letzte Frage behauptet haben.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Kollege Spöri, ich habe auf Ihre Frage für die Bundesregierung und nicht für andere NATO-Staaten — dies können wir auch gar nicht — geantwortet. Die Bundesregierung wird — dies werden wir auch bei den in Kürze beginnenden Beratungen der Ministerkonferenz in Brüssel erklären — bei der von ihr geübten Verhaltensweise der Geheimhaltung solcher Standorte bleiben.
Herr Abgeordneter Spöri, das ist eine sehr lange bestehende Unzufriedenheit, daß der Fragesteller der Meinung ist, ihm sei nicht ausreichend geantwortet worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jungmann.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß diese geübte Geheimhaltungspraxis dazu führen kann, daß bei allen Baustellen, die in militärischen Objekten bestehen, die Bevölkerung in die Situation versetzt werden könnte, anzunehmen, es handle sich um Vorbereitungsmaßnahmen für die Stationierung von Cruise Missiles und Pershing, und wäre es nicht besser, um diese Desinformation aufzuheben, die Standorte bekanntzugeben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist nicht Ihrer Meinung.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ist es denn obligatorisch, daß solche Sachen geheimgehalten werden müssen, und zwar auf Grund bestehender Abkommen mit anderen NATO-Partnern?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hält dies für die angebrachte Verhaltensweise, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft, aus den mannigfaltigen und immer wieder dargelegten Gründen, Herr Kollege Klejdzinski.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Das gleiche gilt für die ebenfalls von ihm gestellte Frage 5. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung.
Ich rufe Frage 7 des Herrn Abgeordneten Immer auf:
Welche Ursachen bzw. welche Behörden oder Personen sind nach Auffassung der Bundesregierung für die unbeanstandeten Lieferungen und die falsche Deklarierung sowie Verwertung minderwertiger Fleischsorten als hochwertiges Fleisch mit mehr als 1 Million Kilogramm verantwortlich zu machen, und welche Maßnahmen wird sie zur Verhinderung eines ähnlichen Fleischskandals ergreifen?
Herr Kollege Immer, nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen ist in einigen Fällen Fleisch von Haarwild, z. B. Känguruh und Antilope, unter Mißachtung der fleischbeschaurechtlichen und der lebensmittelhygienerechtlichen Vorschriften in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden. Sowohl hier als auch in solchen Fällen, in denen diese Fleischarten unter Beachtung der Vorschriften in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden sind, ist dieses Fleisch teilweise unter fehlender oder falscher Bezeichnung weiterveräußert oder auch verarbeitet worden. Die Verantwortlichkeit dafür wird zur Zeit von den zuständigen Ermittlungsbehörden untersucht. Das Ergebnis dieser Ermittlung bleibt zunächst abzuwarten.Die fleischbeschaurechtlichen und lebensmittelhygienerechtlichen Vorschriften werden von den Landesbehörden in eigener Zuständigkeit ausgeführt. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat nach Eingang erster Informationen über mögliche falsche Bezeichnungen der Tierart im internationalen Fleischhandel die für die Einfuhruntersuchung und Lebensmittelüberwachung zuständigen obersten Landesveterinärbehörden gebeten, bei der Einfuhr und im Rahmen der Lebensmittelüberwachung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland verstärkt auf die Identität von
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Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkieingeführtem Wildfleisch sowie dessen Verwendung und Verbleib zu achten. Dabei sind die jetzt bekanntgewordenen Unregelmäßigkeiten aufgedeckt worden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Kollegin, sind auch außerhalb des Landes Rheinland-Pfalz solche mißbräuchlichen Verwendungen bekanntgeworden und hat die Bundesregierung das, was in Trier passiert ist, zum Anlaß genommen, auch die anderen Landesregierungen darauf hinzuweisen, daß die Feststellungsformen und -arten, die Verfahren, verbessert werden, damit solche Mißbräuche in Zukunft nicht mehr passieren?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Immer, soweit mir bekannt ist, ist der Fall in Trier der einzige. Sie dürfen sicher sein, daß das Bundesministerium alles tun wird, die anderen Landesregierungen von den Vorfällen in Kenntnis zu setzen, damit so etwas nicht mehr vorkommt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Kollegin, wenn ich Sie in Ihrer Hauptantwort auf meine Frage richtig verstanden habe, so lehnen Sie, Ihr Haus und die Bundesregierung alle Bagatellisierungen dieser Vorkommnisse, wie sie z. B. in einer Sendung des Südwestfunks, Landesstudio Mainz, in der letzten Woche erfolgt ist, die offenbar zur Entlastung der Landesregierung — —
Herr Immer, wie wäre es, wenn wir jetzt zu der Frage kämen?
Ich habe Sie gefragt, ob Sie alle Bagatellisierungen ablehnen, die in dieser Richtung eine Irreführung der Verbraucher veranlassen, und ob Sie gegebenenfalls bereit sind, gegen Sendungen dieser Art vorzugehen.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Wir lehnen eine Bagatellisierung ab, und wir sind auch bereit, im Interesse des Verbrauchers hier vorzugehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Kollegen Stiegler auf:
Was hält die Bundesregierung von dem von Zahnärzten gemachten Vorschlag, zur Kariesprophylaxe eine stärkere Trinkwasserfluoridierung zu betreiben?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung befürwortet nachdrücklich alle Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der Zahngesundheit, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen führen. Es bestehen keine Zweifel, daß die Kariesanfälligkeit durch Fluoridanwendung, Verbesserung der Mundhygiene und Änderung des Ernährungsverhaltens wesentlich vermindert werden kann. Dagegen weichen die Auffassungen der Wissenschaftler über Nutzen und Risiko der Zuführung von Fluorid über das Trinkwasser erheblich
voneinander ab. Aus diesem Grund wird zur Zeit in der Bundesrepublik kein Trinkwasser fluoridiert.
Ich verweise hierzu auf die Antwort des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Zander vom 14. Dezember 1981 auf die Schriftliche Anfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt im Deutschen Bundestag.
Die Aufmerksamkeit der Bundesregierung ist darauf ausgerichtet, daß Fluoride in solchen Darreichungsformen — wie z. B. durch eine Fluoridierung anderer Lebensmittel oder durch Tabletten — zugeführt werden, die in ihrer Wirksamkeit derjenigen der Trinkwasserfluoridierung entsprechen, die jedoch durch ihre individuellere Ausrichtung zu einer weniger problematischen Kariesprophylaxe führen.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Kollegin, liegen der Bundesregierung Erfahrungsberichte aus anderen Ländern zur Trinkwasserfluoridierung zur Kariesbekämpfung vor?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ja.
Frau Kollegin, wäre die Bundesregierung bereit, in einigen Regionen oder etwa Städten, falls die kommunalpolitisch Verantwortlichen mitwirken würden, Modellversuche mit Trinkwasserfluoridierung zu unterstützen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich jetzt so nicht zusagen. Ich prüfe das und gebe Ihnen Kenntnis.
Weitere Zusatzfragen, Herr Abgeordneter Immer.
Frau Kollegin, stimmen Sie mit mir darin überein, daß sich die generelle Versetzung von Wasser mit solchen Stoffen deshalb verbieten könnte, weil sie Auswirkungen auf Menschen hätte, die gegen diese Stoffe allergisch sind, und sich die Konzentration auf Säuglinge anders als auf Erwachsene auswirkt?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Zum ersten: ja.
Zum zweiten: Das ist nicht auszuschließen. Wir werden den Gesamtzusammenhang, auch die Ergebnisse, die in anderen Ländern erzielt worden sind, prüfen und Ihnen das zur Kenntnis geben, Herr Immer.
Keine weiteren Zusatzfragen.Dann rufe ich die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Stiegler auf:Welche rechtlichen Möglichkeiten gäbe es, eine stärkere Trinkwasserfluoridierung durchzusetzen?Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die gesetzlichen Bestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland sehen lediglich vor, daß im Einzelfall Ausnahmen für das Zusetzen von Fluoriden zu Trinkwasser zur Vorbeugung gegen Karies durch
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Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkidie von den Landesregierungen bestimmten Stellen zugelassen werden können. Bisher hat jedoch kein Bundesland von dieser Ermächtigung in § 37 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes Gebrauch gemacht. Die Bundesregierung sieht sich bei der augenblicklichen widersprüchlichen Diskussion über Vor- und Nachteile der Trinkwasserfluoridierung nicht in der Lage, den Bundesländern die Einführung dieser Maßnahme zu empfehlen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dolata auf:
Welche organisatorischen und technischen Probleme verhindern die bereits zum 1. Oktober 1982 geplante Einbeziehung Berlins in den Haus-zu-Haus-Gepäckverkehr der Deutschen Bundesbahn?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, wegen des Sachzusammenhangs möchte ich gerne die Fragen 10 und 11 zusammen beantworten, wenn der Herr Kollege Dolata einverstanden ist.
Herr Abgeordneter Dolata ist einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dolata auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach die Reichsbahn der DDR sich neuerdings daran interessiert zeigt, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbahn einen Teil dieses Gepäckverkehrs zu übernehmen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Deutsche Bundesbahn, Herr Kollege, hatte beabsichtigt, im Herbst dieses Jahres einen Haus-Gepäck-Service auch im Berlin-Verkehr einzuführen.
Nachdem sich die Deutsche Reichsbahn zunächst an einem solchen Verkehr nicht interessiert gezeigt hatte, teilte sie inzwischen der Deutschen Bundesbahn mit, daß sie ihrerseits Vorbereitungen für einen solchen Service in West-Berlin getroffen habe. Für den durchgehenden Versand der Gepäckstücke von Haus zu Haus sind noch tarifliche und abwicklungstechnische Fragen zwischen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn zu klären. Dabei geht es insbesondere um einen einheitlichen Stücktarif und um eine einfache Abfertigung.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß im Endergebnis zusätzliche unangemessene Kosten auf unsere Bundesbahn oder andere Stellen zukommen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es gibt noch eine ganze Reihe von Verhandlungspunkten. Ich bin gerne bereit, im Anschluß an diese Fragestunde mit Ihnen persönlich darüber zu sprechen, wenn Sie damit einverstanden sind.
Weitere Zusatzfrage.
Trotzdem hier noch die Frage: Wann rechnen Sie damit, den Gepäckverkehr dieser Art auch auf Berlin ausdehnen zu können?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Deutsche Bundesbahn ist bemüht, daß dies so schnell wie möglich geschieht. Sie hat dabei die volle Unterstützung der Bundesregierung. Einen genauen Termin kann ich nicht nennen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hauptvorstand der Deutschen Bundesbahn beabsichtigt, die zentral gelegene Bundesbahnschule Bebra zu schließen, so daß dem Zonenrandgebiet eine wichtige schulische Einrichtung verloren geht, an der in diesem Jahr allein nahezu 3 000 Lehrgangsteilnehmer für vielseitige Beschäftigung bei der DB ausgebildet wurden?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Enders, der Bundesregierung ist der angesprochene Sachverhalt bekannt. Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Antwort auf die Frage 47 des Abgeordneten Böhm am 12. November 1982 die folgende Stellungnahme abgegeben — ich zitiere —:
Die Auswirkungen der gesamtwirtschaftlichen Situation der Deutschen Bundesbahn auf den Personalbestand und Personalbedarf lassen für 1983 und — aus heutiger Sicht — auch in den darauffolgenden Jahren mit einem erheblich absinkenden Ausbildungsaufkommen rechnen. Auch unter Berücksichtigung von Fortbildungsmaßnahmen werden daher die Bundesbahnschulen und somit auch die Bundesbahnschule Bebra in den nächsten Jahren nicht mehr voll ausgelastet sein. Dies macht eine Anpassung der Schulkapazität an den vorhandenen Bedarf erforderlich und zwingt die Deutsche Bundesbahn, den Schulbetrieb an einigen Bundesbahnschulen zu reduzieren. Die schwierigen und umfangreichen Untersuchungen zu der Frage, in welchem Umfang diese Reduzierung erfolgen muß und welche Bundesbahnschulen von den Maßnahmen betroffen sein werden, konnten nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn noch nicht abgeschlossen werden.
So weit das Zitat aus der letzten Fragestunde. Der Stand ist seitdem unverändert.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, vereinbart sich diese geplante Schließung der Bundesbahnfachschule in Bebra mit der Politik der Bundesregierung für das Zonenrandgebiet?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird versuchen, ihrer besonderen Verantwortung für das Zonenrandgebiet auch in diesem Fall gerecht zu werden, sofern dies mit den gesetzlichen Vorschriften im eigenverantwortlichen Be-
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Parl. Staatssekretär Dr. Schultereich der Deutschen Bundesbahn zu vereinbaren ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, falls im Rahmen der Reduzierung Bundesbahnfachschulen geschlossen werden müssen, bewußt für Bebra einzutreten, weil diese Schule einmal zentral, verkehrsmäßig günstig und zum anderen im Zonenrandgebiet liegt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Sie kennen die Praxis der Bundesregierung, auf die Anliegen des Zonenrandgebietes besonders zu achten. Ich darf hinzufügen, daß auf der 21. Sitzung des Unterausschusses für Zonenrandförderung, die am heutigen Tage stattfindet, das Thema behandelt wird: Erhaltung und Stärkung der Bundesbahnschulen im Zonenrandgebiet bei Maßnahmen zur Kapazitätsanpassung. Ich nehme an, dieser Termin ist Ihnen bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, darf davon ausgegangen werden, daß die Bundesregierung bei der Prüfung, welche dieser Schulen erhalten bleiben, dem Zonenrandgebiet den Vorrang und die Bedeutung zuweisen wird, die diesem Gebiet infolge seiner zentralen innerdeutschen Situation zukommt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorher bereits darauf verwiesen, daß es zwischen dem Eigentümer Bund und dem Unternehmen Deutsche Bundesbahn eine Aufgabenteilung gibt. Ich habe aber ebenfalls darauf verwiesen, Herr Kollege Jäger, daß sich die Bundesregierung ihrer besonderen Verantwortung für das Zonenrandgebiet bewußt ist. Dies wird auch hier so sein.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Welche Anstrengungen kann die Bundesregierung unternehmen, um die 23 Arbeitsplätze bei der Bundesbahnschule Bebra zu retten und die Nutzung der Unterrichts- und Übungsräume sowie der 100 Internatsplätze weiterhin zu sichern?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf auf meine Antwort auf Ihre erste Frage verweisen.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Becker soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen
steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung. Die Fragen 34 des Abgeordneten Weirich, 41 und 42 des Abgeordneten Dr. von Geldern, 43 des Abgeordneten Pauli und 44 des Abgeordneten Herberholz sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Auch auf:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu der vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth angekündigten Bundesratsinitiative, mit der die Zuständigkeit für die Beamtenbesoldung wieder zu den Ländern zurückverlagert werden soll?
Herr Kollege Auch, entsprechende Überlegungen werden derzeit innerhalb der Bundesregierung nicht angestellt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Halten Sie, Herr Staatssekretär, eine entsprechende Forderung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Herrn Späth, für sinnvoll?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihre zweite Frage bereits in meiner ersten Antwort mitbeantwortet.
Einen Augenblick! Diese Frage kann ich hier nicht zulassen, weil auch der Parlamentarische Staatssekretär hier nicht über die Meinung eines Ministerpräsidenten zu urteilen hat.
Eine andere Zusatzfrage, bitte.
Hält die Bundesregierung eine Diskussion über diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt für sinnvoll?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Auch, da die Bundesregierung bisher zu den Überlegungen des Herrn Ministerpräsidenten Späth noch keine Überlegungen angestellt hat, hat sie auch keine Überlegungen zu den in Ihrer weiteren Frage angeschnittenen Problemen angestellt.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie also richtig — —
Einen Moment! Die Zusatzfrage von eben wollten wir streichen. Sie haben nun noch eine Zusatzfrage. Bitte!
Verstehe ich Sie also richtig, Herr Staatssekretär, daß Sie dies nicht für sinnvoll erachten?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Auch, ich wiederhole meine Antwort: Zu diesem Problem hat die Bundesregierung bisher keine Überlegungen angestellt.
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Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich denn vorstellen, daß die Bundesregierung sich auch Gedanken zu diesem Problemkreis macht, die dieses Problem der Belastung der öffentlichen Haushalte auch in der Hinsicht betreffen, daß man zu Überlegungen der angesprochenen Art kommen könnte?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu, daß solche Überlegungen natürlich möglich sind. Solche Überlegungen sind aber noch nicht angestellt worden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß, wenn die Bundesregierung einen solchen Vorstoß als sinnvoll ansehen würde, sie entsprechende Initiativen ergreifen würde?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich vermag Ihren Überlegungen nicht zuzustimmen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Schreiner auf:
Bei welchen typischen Fallgestaltungen im öffentlichen Dienst sind die Versorgungsbezüge der Betroffenen höher als die letzten Nettoarbeitseinkommen, und wie hoch sind jeweils die Zahl der Betroffenen und die durchschnittlichen Differenzbeträge?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, sofern sich die Frage auf beamtenrechtliche Versorgungsempfänger beziehen sollte, weise ich darauf hin, daß es in der Beamtenversorgung keine typischen Fallgestaltungen gibt, bei denen die Nettoversorgungsbezüge höher sind als das letzte Nettoarbeitseinkommen. Das Ruhegehalt eines Ruhestandsbeamten beträgt im Regelfall 75 v. H. der letzten Dienstbezüge und wird bis auf einen speziellen Versorgungsfreibetrag ebenso wie die aktiven Dienstbezüge besteuert.
Lediglich in bestimmten Fällen eines Dienstunfalls, der z. B. bei einer mit besonderer Lebensgefahr verbundenen Diensthandlung eingetreten ist, kann es zu einem Überschreiten des letzten Nettoarbeitseinkommens durch die erhöhte Unfallversorgung kommen.
Anders verhält es sich bei den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes. Hier ist festzustellen, daß als Folge des Anstiegs der Arbeitsentgelte sowie der Steuern und der Sozialversicherungsbeiträge in Verbindung mit der praktisch abzugsfreien Zahlung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes eine Gesamtversorgung bereits ab etwa 70 v. H. des letzten Bruttoarbeitsentgeltes, zum Teil schon bei einem niedrigeren Versorgungssatz zur Zeit regelmäßig das letzte verfügbare Arbeitsentgelt übersteigt. Eine Lösung des Problems
der Nettoüberversorgung wird in derzeit laufenden Tarifverhandlungen angestrebt.
Ihre Frage nach der Zahl der Betroffenen kann nur hinsichtlich der Leistungsempfänger der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in Karlsruhe beantwortet werden. Im Bereich dieser größten Zusatzversorgungseinrichtung des Bundesgebietes mit mehr als 1,4 Millionen versicherten Arbeitnehmern gibt es auf Grund einer Grobschätzung derzeit rund 140 000 Versorgungsrentner mit einem Versorgungssatz von 70 bis 75 v. H. Die durchschnittlichen Differenzbeträge zum letzten Nettoarbeitsentgelt können nur mit einem unverhältnismäßig großen Arbeitsaufwand ermittelt werden, da die Höhe der Versorgungsrente von der Höhe der Grundversorgung — dazu gehören die gesetzliche Rente oder eine befreiende Lebensversicherung oder Versorgungsleistungen eines Versorgungsträgers im Sinne des § 7 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes — unmittelbar abhängig ist und daher zur Ermittlung des Durchschnittsbetrages jeder Einzelfall herangezogen werden müßte.
Im Gegensatz zum Beamtenversorgungsrecht enthält das Zusatzversorgungsrecht der Arbeitnehmer keine besonderen Regelungen über die Versorgung nach einem Arbeitsunfall. Hier addieren sich die Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung, aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der Zusatzversorgung bei einer relativ günstigen Konkurrenzregelung der gesetzlichen Rente und der Unfallrente zu einem Gesamtbetrag, der bei Steuerfreiheit für alle genannten Renten das letzte Nettoarbeitsentgelt in typischen Fällen übersteigt.
Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:Besteht nach Auffassung der Bundesregierung derzeit irgendein Anlaß, daran zu zweifeln, daß die Behörden der schweizerischen Eidgenossenschaft und des Kantons Graubünden mit großer Sorgfalt prüfen, ob der projektierte Ölspeicher im Calanda-Massiv bei Chur — unter anderem im Fall von Erschütterungen durch Erdbeben — Gefahren für das Grundwasser und möglicherweise sogar für den Trinkwasserspeicher Bodensee mit sich bringen würde, und besteht irgendeine Besorgnis, die schweizerischen Behörden könnten das Projekt genehmigen, bevor die genannten Gefahren ausgeräumt wären?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung zweifelt nicht daran, daß die zuständigen schweizerischen Behörden das Projekt des Heizöl-Kavernenspeichers im Calanda-Massiv und möglicherweise von ihm ausgehende Gefährdungen mit großer Sorgfalt prüfen. Dies verlangt schon die Lage des Kavernenspeichers im Einzugsgebiet des Bodensees, ist aber auch im eigenen nationalen Interesse der Schweiz unverzichtbar. Die Bundesregierung hat bisher keinen Anlaß, besorgt zu sein, daß die schweizerischen Behörden eine Baugenehmigung erteilen, bevor alle nur möglichen Gefahren ausgeräumt sind. Die schweizerischen Behörden unterrichten ihre Unterlieger im Rahmen der internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee regelmäßig
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Parl. Staatssekretär Sprangerüber den Stand der Voruntersuchungen. Dabei haben sie wiederholt deutlich gemacht, daß auch die durchgeführten Probebohrungen und Stollenausbrüche noch kein Präjudiz für eine Genehmigung des Projekts darstellen.Aus einem der Bundesregierung kürzlich zur Verfügung gestellten Bericht geht hervor, daß den schweizerischen Behörden die bisher von den Bauherren geführten Nachweise noch nicht ausreichen und eine Baubewilligung heute jedenfalls noch nicht zu verantworten sei. Dies gilt in bezug auf die erforderlichen Nachweise sowohl über die Standsicherheit des Speichers — u. a. gegenüber eventuellen tektonischen Störungen — als auch darüber, daß kein 01 aus dem Speicher austritt und das anfallende ölhaltige Abwasser jederzeit optimal gereinigt wird.Ich versichere Ihnen, daß die Bundesregierung den Fortgang der Untersuchungen, insbesondere im Hinblick auf den Schutz des Bodensees als Trinkwasserspeicher und Erholungsraum, weiterhin mit großer Aufmerksamkeit verfolgen wird. Sie ist wie die schweizerischen Behörden der Auffassung, daß bei dem derzeitigen Stand der Untersuchungen eine Projektgenehmigung noch nicht zu verantworten ist. Bei der jetzt auf deutscher Seite angelaufenen Prüfung des Projektenberichts durch die Bodenseeanliegerländer Baden-Württemberg und Bayern arbeiten Sachverständige der Bundesregierung mit.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, kann man nach dem, was Sie hier berichtet haben, also davon ausgehen, daß die schweizerischen Behörden jede nur erdenkliche Sorgfalt bei der Prüfung anwenden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, davon kann man nach dem jetzigen Sachstand ausgehen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß schon heute schweizerische Abgeordnete, wenn man mit ihnen über diese Frage spricht, erklären, die einzige Gefahr bestehe darin, daß vom Ausland publizistischer und sonstiger Druck ausgeübt werde, der im Gegensatz zu den gründlichen Prüfungen durch die eidgenössischen Behörden eher dazu führen könne, daß man sich unter Außerachtlassen gewisser Sicherheitsbestimmungen zu voreiligen Entscheidungen verleiten lassen könnte?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich nehme dies gern zur Kenntnis. Die Bundesregierung wird die Probleme, die Sie angeschnitten haben, bei ihrem weiteren Vorgehen berücksichtigen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer .
Ist Ihre Antwort eben so zu verstehen, daß Sie die begründeten Sorgen der Grenzbewohner in der Bundesrepublik Deutschland als Bundesregierung nicht ernst nehmen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, wenn Sie meine ausführliche Antwort mitverfolgt hätten, hätten Sie wissen können, daß die Bundesregierung diese Sorgen außerordentlich ernst nimmt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, inwieweit werden in deutschen Genehmigungsverfahren die in der Frage des Kollegen Jäger aufgeführten Gefährdungen von Großprojekten in Erdbebengebieten berücksichtigt? Ich denke da z. B. an das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich.
Herr Abgeordneter Immer, dies steht nicht in einem Zusammenhang mit dieser Frage. Es tut mit leid. Es geht hier um diese Öllagerung in dem schweizerischen Gebiet, nicht um Kraftwerke.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Was ist der Bundesregierung über Zielsetzung und Erfolg der Herausgeber der offenkundig rechtsextremistischen und den Nationalsozialismus verharmlosenden Veröffentlichung „GÄCK — Das Magazin mit der gewissen Toleranz" bekannt, und wie bewertet sie diese Publikation?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Miltner, das Schülermagazin „GÄCK" der rechtsextremistischen Wiking-Jugend verfolgt das Ziel, unter Schülern rechtsextremistisches Gedankengut zu verbreiten. Es bedient sich dazu vor allem der Form der Satire. Die wesentlichen Agitationsthemen sind Verherrlichung des NS-Regimes, Leugnung von NS-Verbrechen und Ausländerfeindlichkeit. Damit nähert sich die rechtsextremistische Agitation des Magazins in der Sache weitgehend den Positionen der Neonazis an.
Über den Erfolg des an Schulen verteilten Blattes liegen keine konkreten Erkenntnisse vor. Die Mitgliederzahl der Wiking-Jugend ist seit dem Erscheinen von „GÄCK" zurückgegangen, obwohl diese Zeitung unverhüllt versucht, unter Schülern für die Wiking-Jugend zu werben.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir Angaben über Herausgeber und Erscheinungsweise dieser Zeitschrift machen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Miltner, das Magazin wird seit 1978 von dem jetzigen Bundesfahrtenführer der Wiking-Jugend, dem 23jährigen Rudi Wittig — teilweise zusammen mit anderen Personen —, herausgegeben. Der Erscheinungsort ist Köln. Die Erscheinungsweise ist nach
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7955
Parl. Staatssekretär Sprangerunserem Kenntnisstand unregelmäßig. Die Auflage beträgt nach den eigenen Angaben des Magazins 10 000 Exemplare je Heft. Jedoch sind derartige Angaben rechtsextremistischer Jugendzeitschriften erfahrungsgemäß meist überhöht.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Können Sie mir in kurzer Form sagen, in welcher Weise die genannten Hauptagitationsthemen von „GÄCK" behandelt werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es gibt einige typische Beispiele, wie die Verherrlichung des NS-Regimes. Sie erfolgt z. B. dadurch, daß das Magazin in mehreren Fortsetzungen die Geschichte des Dritten Reiches in Form einer Sage erzählte. Der Leugnung der NS-Verbrechen diente der Beitrag „Stoppt Holocaust" in Heft 6/79, der die Judenvernichtung durch das NS-Regime als Fälschung und als „Sechs-Millionen-Legende" darstellte. Auch die Ausländerfeindlichkeit von „GÄCK" kommt in den neueren Heften zum Ausdruck, die jeweils eine Seite für Gastarbeiter enthalten, in denen Ausländer in satirischer Form oft sehr massiv verunglimpft werden. In Übereinstimmung mit der Terminologie der Neonazis wird auch die Forderung „Ausländer raus!" erhoben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Erkenntnisse vor, wie dieses neonazistische Magazin finanziert wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Mir liegen zur Zeit hier keine Erkenntnisse vor.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Was ist die Bundesregierung gemeinsam mit den zuständigen Stellen der Länder bereit zu tun, um die mit „GÄCK" angesprochenen Jugendlichen durch Informationen z. B. an Schülervertretungen, Lehrer und Eltern, über den Charakter dieser Veröffentlichung aufzuklären?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Miltner, wie schon in der Frage zum Ausdruck gebracht wird, ist es in erster Linie Sache der Länder, im Rahmen ihrer Kulturhoheit die mit „GÄCK" angesprochenen Jugendlichen durch Information im schulischen Bereich über den Charakter dieser Zeitschrift aufzuklären. Die Bundesregierung ist deshalb bereit, die Frage und die hier gegebene Antwort den zuständigen Landeskultusministern mit der Anregung zu übersenden, die Frage einer geeigneten Unterrichtung in eigener Zuständigkeit zu prüfen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Maßnahmen gegen „GACK" oder beteiligte Personen überhaupt ergriffen worden, eventuell welche? Können Sie mir das sagen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Dr. Miltner, es wurde gegen den Herausgeber Rudi Wittig im Februar 1980 wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß rechtskräftig eine Geldstrafe in Höhe von 1 350 DM verhängt.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn bereit, zu prüfen, wie diese Zeitschrift finanziert wird, und sind Sie bereit, das Ergebnis dieser Prüfung dem Bundestag mitzuteilen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne dazu bereit.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Auch. Bitte sehr! Bitte, auf den Knopf drücken.
— Aber nicht so, daß er gleich hinten rauskommt.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Prüfung so gestalten, daß am Ergebnis auch feststellbar ist, mit welchen Organisationen — gegebenenfalls Parteien — dieser Herausgeber zusammenarbeitet?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Dazu sind wir gerne bereit.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob von irgendeiner zuständigen Stelle schon ein Antrag gestellt wurde, dieses Magazin in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufzunehmen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist mir nicht bekannt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Schäfer auf:
Trifft es zu, daß der Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium, von Loewenich, erklärt hat, daß rechtsextremistische Parteien nicht mehr mit einem Verbotsantrag durch das Bundesinnenministerium beim Bundesverfassungsgericht zu rechnen haben, und beabsichtigt die Bundesregierung, von der bisher geübten Praxis, über Verbotsmaßnahmen gegen extremistische Parteien öffentlich nicht zu berichten, abzugehen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, ich beantworte Ihre Frage — in beiden Teilen — mit Nein.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, ich frage auf der Grundlage Ihrer Antwort: Wie beurteilen Sie dann die Äußerung des zuständigen Ministerialdirektors in Ihrem Ministerium, ein Ver-
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Schäfer
botsantrag gegen rechtsextremistische Parteien gemäß Art. 21 unseres Grundgesetzes sei nicht aktuell?Spranger, Pari. Staatssekretär: In dieser Form hat sich der zuständige Beamte nicht geäußert.
Eine Zusatzfrage? — Ja, bitte.
Da wir beide offenkundig unterschiedliche Manuskripte vorliegen haben, frage ich jetzt: Wären Sie bereit, darauf hinzuwirken, daß jede öffentliche Erörterung über mögliche Verbotsanträge extremistischer Parteien von Beamten Ihres Hauses wie auch von Ihnen selbst künftig unterbleibt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, auf welche Zitate Sie jetzt Bezug nehmen. Der Beamte hat sich, wie ich in Beantwortung Ihrer Frage schon gesagt habe, in der Weise, wie ihm unterstellt wird, nicht geäußert.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
— Wir zählen da mit! Wir sind zu dreien. Sie haben schon zwei Zusatzfragen gestellt. Sie bekommen, wenn Sie es wünschen, bei der nächsten Frage sicherlich wiederum zwei Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause denn mitteilen, in welcher Form er sich geäußert hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das mitteilen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wollen Sie das mitteilen oder schriftlich nachreichen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nein, ich bin gefragt worden, ob ich es mitteilen kann, und ich sage: Ich kann es mitteilen.
Also, gut, die Bereitschaft ist ja da. Sie legen also Wert darauf, daß es mitgeteilt wird? Sie wollen die Mitteilung haben?
— Sie wollen jetzt eine selbständige Zusatzfrage stellen? — Dann sind Sie noch nicht dran.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat Herr Dr. Miltner. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, da ich das Interesse der SPD-Kollegen an der Verbotsfrage durch die Äußerung eines Beamten hier erlebe: Können Sie mir bestätigen, daß das Instrument des Verbotsantrages und des Verbots von Parteien
durch Äußerungen von SPD-Vertretern zumindest in der Vergangenheit stumpf geworden ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Miltner, ich bitte, eine Gepflogenheit der Bundesregierung beibehalten zu dürfen, zu Fragen des Verbotes extremistischer Parteien hier in der Fragestunde keine Absichtserklärungen abzugeben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jungmann.
Herr Präsident, ich darf vor der Zusatzfrage vielleicht einmal etwas für meinen Kollegen Schäfer sagen: Der Herr Staatssekretär hat beide Fragen, die der Kollege Schäfer gestellt hat, mit Nein beantwortet.
Herr Abgeordneter Jungmann, ich habe Ihnen das Wort gegeben, nicht damit Sie hier eine Diskussion beginnen, sondern um eine Zusatzfrage zu stellen. Bitte, machen Sie von diesem Recht Gebrauch.
Herr Staatssekretär, Sie haben dargestellt, daß sich der Ministerialdirektor nicht in dem Sinne geäußert hat, wie der Kollege Schäfer das hier dargestellt hat. Sind Sie denn bereit, uns hier mitzuteilen — inhaltlich —, wie er sich geäußert hat und wie der Wortlaut der Äußerung ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur meine Auskunft wiederholen: Ich bin bereit.
Herr Abgeordneter Lambinus, ich werde von meinen mich unterstützenden Schriftführern darauf aufmerksam gemacht, daß Sie keine Zusatzfrage mehr zu dieser Frage haben.
Eine neue Frage habe ich noch nicht aufgerufen.
— Sie haben zu der Frage 37 noch keine Zusatzfrage gestellt?
— Im Zweifelsfalle für den Abgeordneten Lambinus, bitte sehr.
Nicht im Zweifel, Herr Präsident, sondern sicher. — Herr Staatssekretär, darf ich Sie bitten, uns die Äußerungen des Herrn Mini-
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Lambinussterialdirektors jetzt und hier und heute in diesem Hause mitzuteilen?
Meine Herren, bisher haben wir die Fragestunden noch ohne Zwischenrufe abwickeln können. Wollen wir es dabei belassen. — Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn ich, um das Verfahren abzukürzen, die Frage des Kollegen Lambinus dahin umdeuten darf, daß er mich fragt, welchen Inhalt die Darlegung des Herrn Loewenich damals gehabt hat, dann bin ich bereit, diese Frage zu beantworten.
Der Ministerialdirektor von Loewenich hat anläßlich eines Symposiums der Evangelischen Akademie Loccum über den Rechtsextremismus am 4. November 1982 in einem Referat zu dem Thema „Demokratische Strategien gegen den Rechtsextremismus" u. a. folgendes wörtlich gesagt:
1969 hat die damalige Bundesregierung der Großen Koalition erwogen, gegen die NPD, die damals ihren Höhepunkt erreicht hatte, einen Verbotsantrag zu stellen. Sie hat sich damals entschlossen, keinen Antrag zu stellen. Statt dessen wollte sie der NPD mit politischer Überzeugungsarbeit entgegentreten und so verhindern, daß sie — was damals ernsthaft zu befürchten war — in den Deutschen Bundestag einzog. Das war also damals eine legitime Ermessensentscheidung.
Wie ist die Lage heute? Außer der NPD ist im rechtsextremistischen Bereich keine Partei vorhanden, die für ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Betracht käme. Die Frage einer Anwendung des Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz ist also im Rechtsbereich nicht aktuell.
Aus der Tatsache, daß seit 1956 kein Parteiverbot mehr erfolgte, darauf zu schließen, daß dieses verfassungsrechtliche Instrument in Zukunft nicht mehr angewandt werde, ist zu kurzatmig. Ich kann nur sagen: Wir im BMI, die wir im Rahmen der Bundesregierung für Parteiverbote zuständig sind, sind uns des Instrumentariums, das uns die Verfassung zur Verfügung stellt, durchaus bewußt.
Daß wir auch nicht zögern, gegen rechtsextremistische Organisationen mit Verbotsmaßnahmen vorzugehen, die sich selbst als Partei ausgeben, in Wirklichkeit aber keine Partei sind, haben wir erst jüngst bewiesen. Im Januar dieses Jahres hat der BMI die VSPD/PDA verboten, allerdings nicht im Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz, sondern gemäß Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz in Verbindung mit dem Vereinsgesetz.
Herr Abgeordneter Penner, zu einer Zusatzfrage, bitte.
Herr Kollege Spranger, gibt es ein Redemanuskript zu diesen Ausführungen? Sind Sie bereit, mir dieses Redemanuskript zur Verfügung zu stellen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Falls es ein Redemanuskript gibt, werde ich es Ihnen selbstverständlich zur Verfügung stellen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 38 des Hern Abgeordneten Schäfer auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, von der Möglichkeit eines Verbots extremistischer Organisationen gemäß § 3 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom 5. August 1964, geändert 1974, zukünftig keinen Gebrauch mehr zu machen?
Herr Präsident, die Frage ist schon zuvor beantwortet worden.
Wenn sie beantwortet ist, ist es in Ordnung. Wenn Sie der Meinung sind, sie ist beantwortet, ist es gut. Haben Sie zur Frage 38 noch Zusatzfragen?
Herr Präsident, der Herr Staatssekretär hatte beide Fragen im Zusammenhang beantwortet.
Herr Abgeordneter Schäfer, das ist ein Hörfehler, der sich bei Ihnen eingeschlichen hat. Der Herr Staatssekretär hat sich zu den beiden Teilen der Frage 37 geäußert, nicht zu den zwei Fragen. Sonst hätte Herr Lambinus zu Recht noch eine Zusatzfrage gehabt, und Sie hätten selbstverständlich noch zwei Zusatzfragen gehabt.
Die Frage 38 ist aufgerufen. Wenn Sie der Meinung sind, sie ist beantwortet: Haben Sie dazu Zusatzfragen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Frage 38 noch nicht beantwortet, weil ich die Frage 37, die zwei Teile hat, mit Nein beantwortet habe.
Zur Frage 38: Herr Kollege Schäfer, die Notwendigkeit eines Verbots von extremistischen Vereinigungen wird vom Bundesminister des Innern ständig geprüft. Die Bundesregierung lehnt es in Übereinstimmung mit ihrer Vorgängerin ab, sich an einer öffentlichen Diskussion über das Verbot extremistischer Vereinigungen zu beteiligen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort auf die Frage 38 so verstehen, daß das, was Sie zuvor zur Frage 37 zitiert haben, im Widerspruch zu der eben gegebenen Antwort steht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, Ihre Interpretationen meiner Antworten teile ich nicht.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
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7958 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Herr Staatssekretär, haben Sie aus einem Redemanuskript zitiert, oder ist das, was Sie hier vorgetragen haben, darauf zurückzuführen, daß Sie den betroffenen Beamten eine schriftliche Stellungnahme haben abgeben lassen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß darauf aufmerksam machen, daß das, was Sie jetzt fragen, schon bei der Frage 37 beantwortet worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Broll, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, darf ich aus den Antworten, die Sie soeben gegeben haben, zumindest schließen, daß sich wenigstens die Bundesregierung des Unterschieds zwischen Art. 21 und Art. 9 des Grundgesetzes bewußt ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist sich der Rechtslage auch hier bewußt.
Die letzte Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darüber überein, daß die öffentlich gemachte Feststellung eines Spitzenbeamten Ihres Hauses, ein Verbotsantrag gegen mögliche rechtsextremistische Parteien sei nicht aktuell, eine öffentliche Erörterung darstellt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, Sie nehmen wieder eine Verkürzung der Darlegungen des Beamten vor und kommen damit erneut zu unzutreffenden Schlußfolgerungen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Krey auf:
Wie verhält sich die politische Theorie und Praxis der vom Kommunistischen Bund abgespaltenen „Z-Fraktion" zum Kernbestand unserer Verfassungsordnung?
Bitte sehr.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Krey, darf ich aus Gründen des Sachzusammenhangs Ihre Fragen 39 und 40 zusammen beantworten?
Ich rufe dazu die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Krey auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Einfluß und Wirkung dieser „Z-Fraktion"?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die „Gruppe Z" hat sich im Dezember 1979 vom „Kommunistischen Bund" abgespalten und zunächst „Zentrum-Fraktion" genannt. Sie gehört ebenso wie der „Kommunistische Bund" selbst zu den dogmatischen Gruppen der „Neuen Linken", den sogenannten K-Gruppen. Diese verstanden sich in den zurückliegenden Jahren, bei zum Teil unterschiedlichen organisatorischen Ansätzen und abweichenden strategischen Konzepten, als marxistisch-leninistische Kaderorganisationen mit dem Ziel, den „bürgerlichen" Staat revolutionär zu zerschlagen.
Diese Abspaltung der „Gruppe Z" vom „Kommunistischen Bund" war maßgeblich von der Vorstellung getragen, in der „grünen" und „alternativen" Bewegung einen Prozeß zur „Herausbildung einer neuen linken Partei" vorzufinden, dem man sich unter Aufgabe des sogenannten Avantgarde-Anspruchs zuwenden müsse; man wollte nicht mehr — wie der „Kommunistische Bund" — versuchen, von außen auf die Bewegung einzuwirken, sondern „innerhalb dieser Bewegung" zu arbeiten. Diese Spaltung vom „Kommunistischen Bund" war mit einer Abkehr vom Marxismus und von leninistischen revolutionären Kernthesen nicht verbunden.
Äußerungen führender Funktionäre der „Gruppe Z" der jüngsten Zeit sprechen von einer „schrittweisen Entwicklung" der Kritik an Positionen des Leninismus und von Versuchen zu einer „Synthese von Marxismus und politischer Ökologie".
Ob ein u. a. in diesen Äußerungen sich spiegelnder Diskussionsprozeß innerhalb der „Gruppe Z" zu Vorstellungen führen wird, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind, läßt sich noch nicht beurteilen.
Die „Gruppe Z" zählt insgesamt ca. 150 Mitglieder, von denen die meisten in Hamburg wohnen. Soweit bekannt, gehören alle Mitglieder zugleich der Partei „Die Grünen" an. Der Einfluß der „Gruppe Z" konzentriert sich daher auf den Landesverband Hamburg der „Grünen". Anfang 1982 stellte die „Gruppe Z" dort sechs von acht Vorstandsmitgliedern. Nach den Bürgerschaftswahlen ging ihre Vertretung im Landesvorstand auf drei zurück. Zwei Mitglieder der „Gruppe Z" wurden über die „Grün-Alternative Liste" in die Hamburger Bürgerschaft gewählt.
Zwei andere Mitglieder der „Gruppe Z" gehören der Programmkommission „Der Grünen" auf Bundesebene an. Auf der Bundesversammlung „Der Grünen" vom 12. bis 14. 11. 1982 wurde einer der beiden, Rainer Trampert, zu einem der drei Sprecher des Bundesvorstandes der „Grünen" gewählt. Die „Gruppe Z" hat innerhalb der „Grünen" als einzige linksextremistische Gruppierung einen organisierten Zusammenhang aufrechterhalten.
Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie es als notwendig und angezeigt ansehen, auf diesen Sachzusammenhang in der Offentlichkeit noch stärker hinzuweisen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es ist sicher Aufgabe der Bundesregierung, in verstärktem Maße Aufklärung zu diesen Bereichen in der Offentlichkeit und in der Bevölkerung durchzuführen.
Weitere Zusatzfrage. Bitte.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7959
Kann es für die ökologische Bewegung von Nutzen sein, wenn diese Zusammenhänge deutlicher ins Bewußtsein gerückt werden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin sicher, daß es für die gesamte Bevölkerung von außerordentlicher Bedeutsamkeit ist, wenn diese Zusammenhänge stärker in die Öffentlichkeit gebracht werden.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Häfele zur Verfügung.
Die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Schreiber und die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Dr. Sperling werden auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Frage 82 des Abgeordneten Jansen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Dies ist der kleine Unterschied. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 — des Herrn Abgeordneten Baack — auf:
Beabsichtigt der Bundesfinanzminister, bei seinem Vorschlag an die Länder über die Neuregelung der Finanzausgleiche auch einen Vorschlag zu machen, um die Ergänzungszuweisung des Bundes in ihrer Höhe und in der Verteilung auf die einzelnen Bundesländer verfassungsgemäß neu zu ordnen?
Bitte sehr.
Herr Kollege Baack, ich darf Ihre Frage folgendermaßen beantworten.
Die abschließende Behandlungsrunde mit den von der Ländergesamtheit bestimmten Ministerpräsidenten über die Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung und der Ergänzungszuweisungen ab 1983 hat am 22. November dieses Jahres, also vorgestern, stattgefunden. Das Gespräch wurde auf der Grundlage des vom Kabinett am 27. Oktober beschlossenen neuen Angebots des Bundes geführt. Dabei sind beiden Seiten befriedigend erscheinende Ergebnisse erzielt worden. Der Bundesregierung ist es damit gelungen, die Verteilungsverhandlungen zwischen Bund und Ländern zu entkrampfen und zu einem schnellen Ende zu führen.
Das Verhandlungsergebnis wird im wesentlichen von allen an den Verhandlungen beteiligten Ländern mitgetragen. Lediglich hinsichtlich eines bestimmten Einzelvorschlags ist noch eine Bestätigung von Länderseite vorbehalten, die bis Freitag dieser Woche erfolgen soll. Insoweit kann ich dem Ergebnis noch nicht vorgreifen.
Im Hinblick auf diesen Sachstand hat der Bundesfinanzminister nicht die Absicht, den Ländern weitere Vorschläge zur Neuregelung des Finanzausgleichs zu unterbreiten. Der Bundesfinanzminister wird entsprechend der Ankündigung in der Begründung zu Art. 6 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 die Verhandlungsergebnisse im Wege der Formulierungshilfe in den laufenden Gesetzgebungsgang einführen, damit das Haushaltsbegleitgesetz noch in den Ausschußberatungen um die entsprechenden Regelungen ergänzt werden kann.
Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich jetzt bei Ihrer Antwort davon ausgehen, daß die Bundesregierung noch zu ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates zum horizontalen Finanzausgleich vom 19. November 1982 steht, daß nämlich die zusammengehörenden Einzelkomponenten des Finanzausgleichs nur insgesamt neu geregelt werden können, daß also nur als Paket über die Umsatzsteuerneuverteilung, über den horizontalen Finanzausgleich und über den vertikalen Finanzausgleich beraten und entschieden werden kann?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Sie haben vollkommen recht. Alle drei Einzelgesetze müssen im Zusammenhang gesehen werden. So sieht es die Bundesregierung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auch der Auffassung, daß es sich bei den drei in der Verfassung vorgesehenen Finanzausgleichskomponenten um ein verfassungspolitisch und finanzwirtschaftlich abgestimmtes, kompliziertes System handelt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Genau, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung es mit der Verfassung für vereinbar, daß der horizontale Finanzausgleich seit 1969 praktisch eingefroren wurde, wenn die Ergänzungszuweisungen 15mal so hoch geworden sind in dieser Zeit und heute fast 70 % der Höhe des Länderfinanzausgleichs ausmachen? Obwohl z. B. durch die Einbeziehung der Förderzinsen auch bei den Ergänzungszuweisungen das Volumen erheblich gesenkt werden könnte?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der horizontale Finanzausgleich wird jetzt geändert.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zeitler.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die bundesrechtliche Regelung der Ergänzungszuweisungen des Bundes an die finanzschwachen Länder nach der Verfassung als Ergänzung des horizontalen Finanzausgleichs konstruiert sein muß und damit auch die Kriterien für die Bemessung des horizontalen Finanzausgleichs den Ergänzungszuweisungen zugrunde zu legen sind?
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7960 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja, beides muß zusammen gesehen werden. Völlig richtig.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in dem von Bund und Ländern gemeinsam in Auftrag gegebenen Gutachten über die Umsatzsteuerverteilung seinerzeit alle Gutachter die bloße Notarfunktion des Deutschen Bundestages kritisiert und beanstandet haben? Und ist Ihnen weiter bekannt, daß im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages bisher die einstimmige Auffassung bestand, daß diese bloße Notarfunktion des Bundestages nicht richtig ist, sondern daß eine umfassende Information und Diskussion über die finanzwirtschaftlich für Bund und Länder so bedeutsame Frage der Umsatzsteuerverteilung erforderlich ist?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es wäre sicher falsch, in der Tätigkeit des Bundestages und damit des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages nur eine Notarfunktion zu sehen. Bloß: im Bundesrat muß man für diese Frage nachher eine Mehrheit bekommen. Das ist auch wichtig.
Eine weitere Zusatzf rage, Herr Abgeordneter Kübler.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung die zu den verfassungsrechtlichen Fragen des Finanzausgleichs von den Bundesländern eingeholten verfassungsrechtlichen Gutachten bekannt, und hat sie diese auch ihren Entscheidungen und Überlegungen zugrunde gelegt?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, wir sind ja in dieser Runde verhältnismäßig sehr großzügig gewesen, und ich kann Ihnen sagen: Selbst die Ministerpräsidenten — fast alle; ob es immer alle sind, wird eine schwierige Frage sein — sind eigentlich überrascht, wie großzügig die neue Bundesregierung bei den Verhandlungen war.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Weinhofer auf:
Welchen Konfessionen und Sekten insbesondere deren haupt- und nebenamtlichen Beschäftigten mit Seelsorgeaufträgen gewährt die Bundesregierung Steuerfreibeträge in Form von sogenannten Stolgeldern?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, beantworte ich beide Fragen zusammen.
Dann rufe ich auch die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Weinhofer auf:
Wie hoch taxiert die Bundesregierung den Steuerausfall für den Bund, der dadurch entsteht, daß dieser Personengruppe mit Seelsorgeauftrag pro Jahr ein entsprechender Steuerfreibetrag zugesprochen wird?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Zur ersten Frage: Unter Stolgeldern wird die Leistung besonderer Zuwendungen von Angehörigen der katholischen Religionsgemeinschaft an deren Geistliche verstanden, durch die der Geistliche zu einer besonderen kirchlichen Handlung verpflichtet wird. Stolgelder gehören deshalb zu den steuerpflichtigen Dienstbezügen des Geistlichen. Sie werden in der Regel zwar nicht im Lohnsteuerabzugsverfahren, aber durch Veranlagung zur Einkommensteuer herangezogen.
Zu Ihrer zweiten Frage: Für Stolgelder sieht das Einkommensteuerrecht Freibeträge nicht vor. Somit tritt auch kein Steuerausfall ein.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe in meiner Frage auch nach der steuerrechtlichen Behandlung der Sekten gefragt. Wie beurteilen Sie den Umstand, daß amerikanische Sekten, die nicht ausschließlich bei den alliierten Stationierungsstreitkräften wirken, steuerrechtlich nach dem Truppenstatut behandelt werden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist aber eine völlig andere Frage. Selbstverständlich werden alle Kirchengemeinschaften bezüglich der Stolgelder steuerrechtlich gleichbehandelt. Das war die Frage, die Sie gestellt haben.
Aber in meiner Frage steht doch ausdrücklich: Wie erfolgt die steuerrechtliche Behandlung der haupt- und nebenamtlichen Beschäftigten?
Herr Abgeordneter Weinhofer, der Herr Parlamentarische Staatssekretär hat das sicherlich genau gelesen. Also eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie dann die steuerrechtliche Behandlung der nebenamtlichen Beschäftigten, die sogenannten Seelsorgeaufträge innerhalb von Sekten ausüben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: In der nationalen Beurteilung sind alle gleichzubehandeln. Das ist jetzt eine spezielle Frage, die eventuell mit dem Truppenstatut zusammenhängt. Wenn Sie dazu eine spezielle Frage haben, werden wir ihr gerne nachgehen.
Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Jungmann auf:Hält die Bundesregierung an der durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs verursachten Entscheidung fest, ab 1. Januar 1983 den zollfreien Verkauf von Agrarprodukten auf Butterfahrten zu untersagen, und ist sie bereit, sofort den betroffenen mittelständischen Unternehmen die bisher unterbliebenen verständlichen und umfassenden Informationen darüber zu geben, welche Waren ab 1. Januar 1983 unter das Verbot fallen?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jungmann, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung hält daran fest, die Zoll-und Abschöpfungsfreiheit für Waren, die auf sogenannten Butterfahrten unverzollt erworben wer-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7961
Parl. Staatssekretär Dr. Häfeleden, zum 1. Januar 1983 abzuschaffen. Diese Maßnahme ist am 25. August 1982 noch von der vorigen Bundesregierung beschlossen worden. Die erforderlichen Rechtsänderungen enthält eine Verordnung des Bundesministers der Finanzen vom 28. September 1982 .Die Neuregelung bringt kein Verbot für bestimmte Waren, sondern gilt allgemein für alle Waren.Die betroffenen Wirtschaftskreise — Reeder und Schiffsausrüster — sind über die Neuregelung eingehend unterrichtet worden. Bereits seit 1981 hat die Presse auf Grund entsprechender Informationen des Bundesfinanzministeriums verschiedentlich auf die zu erwartenden Einschränkungen hingewiesen. Mit den interessierten Verbänden und Unternehmen haben — insbesondere auch auf örtlicher Ebene — enge Kontakte stattgefunden. In Verbandsveröffentlichungen, z. B. des Verbandes Deutscher Schiffsausrüster, ist über die Neuregelung mehrere Male in allen Einzelheiten berichtet worden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn so informiert worden ist, wie Sie das darstellen, wie kommt es dann, daß sich einzelne Unternehmen an ihre Bundestagsabgeordneten wenden, weil sie nicht wissen, wie die Regelung, die am 1. Januar 1983 in Kraft treten soll, aussieht? Liegt der Grund dafür nicht in der Tatsache begründet, daß die Verordnungen nicht allgemeinverständlich gefaßt sind und daß bestimmte Produkte, die Veredelungsprodukte sind und von denen die Unternehmer nicht wissen, ob sie nun unter Agrarprodukte fallen oder nicht, nicht in diese Liste aufgenommen worden sind?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wenn einzelne Interessierte mehr Vertrauen zu örtlichen Bundestagsabgeordneten haben als zu allgemein zugänglichen Informationsquellen, dann ehrt das den Abgeordneten, aber die Informationsquellen sind vorhanden.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gibt es in dieser Verordnung eine ins Detail gehende Liste, die dem Betroffenen deutlich macht, welche Produkte und gegebenenfalls auch Veredelungsprodukte unter die Verordnung fallen?
Dr. Häfele, Staatssekretär: Ich habe Ihnen schon auf Ihre Frage geantwortet, daß kein Verbot für bestimmte Waren vorliegt. Das gilt vielmehr allgemein für alle Waren.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Jungmann auf:
Sieht die Bundesregierung rechtliche Hindernisse, wenn ab 1. Januar 1983 auf Butterfahrten Agrarprodukte verkauft werden, die auf dem Binnenmarkt eingekauft werden, und so die Angebotsvielfalt und das Interesse an Butterfahrten weitgehend erhalten bleiben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich darf Ihre Frage beantworten: Rechtliche Hindernisse gegen den Verkauf von Agrarwaren auf Butterschiffen, die zuvor zu den normalen Wettbewerbsbedingungen des Binnenmarktes gekauft worden sind, bestehen nicht. Es könnten sich jedoch praktische Schwierigkeiten bei der Eingangsabfertigung ergeben, wenn den Umständen nach nicht eindeutig ist, ob es sich um Waren aus dem zollrechtlich freien Verkehr handelt oder nicht. Wie sich derartige Schwierigkeiten vermeiden lassen, kann nur im konkreten Fall durch die örtlichen Zolldienststellen beurteilt und geregelt werden. Diese örtlichen Zolldienststellen sind angewiesen, das möglichst vernünftig praktisch zu handhaben.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit dieser Antwort: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Kommission der Europäischen Gemeinschaft beabsichtigt, die Bundesregierung in dieser Frage erneut vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, und kann man davon ausgehen, daß die Bundesregierung ab 1. Januar 1983 das Gesamturteil vollstrecken wird oder nur den Teil, den die alte Bundesregierung am 28. August beschlossen hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch wir haben aus Pressemitteilungen davon gehört, aber offiziell ist uns noch nichts zugegangen, insbesondere ist uns noch keine Klageschrift bekannt. Wir müssen das dann in Ruhe prüfen. Nehmen Sie aber bitte an, daß wir die Linie der alten Bundesregierung hier fortführen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Herr Kollege Broll, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Deutsche Bundespost kauft Kabel — —
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wenn Sie mir die Möglichkeit geben, die Frage aufzurufen:
Frage 54 des Herrn Abgeordneten Broll:Trifft es zu, daß die Deutsche Bundespost Kabelmaterial unter anderem aus der DDR bezieht, und warum kauft die DBP dieses Material nicht bei Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland, obwohl diese über Absatzschwierigkeiten klagen und zum Teil kurzarbeiten müssen?Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
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7962 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Broll, die Deutsche Bundespost kauft Kabel und sonstiges Leitungsmaterial grundsätzlich nicht in der DDR ein. Zur Realisierung und Verbesserung des Fernsprechverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin bzw. der DDR hat sie jedoch in den Jahren 1975 und 1976 für zwei Streckenabschnitte aus übertragungstechnischen Gründen geringe Mengen an Koaxial-Trägerfrequenzkabeln in der DDR gekauft.
Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung auch in Zukunft bei dieser Linie bleiben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das wird sie tun, Herr Kollege Broll.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Mit welchen Kosten- und Erlössteigerungen rechnet die Deutsche Bundespost in den einzelnen Jahren bis 1990 im Zusammenhang mit der verstärkt betriebenen Verlegung von Breitbandkabeln in herkömmlicher Kupferkoaxialkabeltechnik?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Kollege Friedmann einverstanden ist, würde ich die beiden Fragen wegen des Sachinhalts gerne zusammenfassend beantworten.
Sie sind einverstanden, gut. Ich rufe auch noch die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Inwieweit werden Vorleistungen bei der Verlegung von Breitbandkabel in Kupferkoaxialkabeltechnik für die spätere Glasfasertechnik erbracht, und wie hoch sind diese zu beziffern?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Friedmann, ein konkretes Planungsprogramm für den Ausbau von Kupferkoaxialkabelnetzen bis zum Jahre 1990 liegt noch nicht vor — ich sage: ein konkretes Planungsprogramm. Ein solches Programm muß aufbauen auf den Erfahrungen, die mit dem verstärkten Ausbau in den Jahren 1983 und 1984 gewonnen werden. Hier ist vorgesehen, pro Jahr 1 Milliarde DM zu investieren. Die Bundesregierung ist bestrebt, für die aufgebauten Netze Rentabilität sicherzustellen, so daß die entstehenden Kosten durch die Einnahmeentwicklung zumindest abgedeckt werden.
Für die Strategie der Einführung von Kupferbzw. Glasfaser-Breitbandkabeln gibt es sowohl die Möglichkeiten der Leerrohrmitverlegung als auch die Möglichkeit des Parallelverlegens von vorerst nicht genutzten Glasfaserkabeln. Von beiden Möglichkeiten wird, soweit das irgendwie technisch und wirtschaftlich vertretbar ist, in bestimmten Fällen Gebrauch gemacht werden. Die exakten Randbedingungen, für die solche vorsorglichen Maßnahmen getroffen werden sollen, sind jedoch noch nicht endgültig festgelegt, so daß der finanzielle Aufwand, der zusätzlich hierfür entstehen kann, zur Zeit von uns nicht abgeschätzt werden kann.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie zumindest aus heutiger Sicht davon überzeugt sind, daß sich die verstärkte Verlegung von Breitbandkabeln in Kupferkoaxialtechnik rentierlich für die Deutsche Bundespost gestalten wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Friedmann, nach den uns vorliegenden Nachfragen gehe ich davon aus, daß wir dies annehmen dürfen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie somit der Meinung, daß das Urteil der Deutschen Postgewerkschaft, wonach es sich bei der Verlegung von Breitbandkabeln in Kupferkoaxialtechnik um rausgeschmissenes Geld für eine überholte Technik handeln soll, nicht zutreffend ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich unterstelle nach dem, was mir bekanntgeworden ist, zunächst, daß hier eine Reihe von Mißverständnissen aufgetaucht ist. Dies schließe ich vor allen Dingen daraus, daß der Haushalt der Deutschen Bundespost im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost mit den Stimmen auch der Personalvertreter einstimmig verabschiedet worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, besteht die Gefahr, daß der forcierte Ausbau eines Rundfunk- und Fernsehverteilnetzes in Kupferkoaxialtechnik zu Lasten des Fernmeldenetzausbaues gehen kann und daß damit die Beseitigung der sogenannten Telefonengpässe verzögert oder in Mitleidenschaft gezogen wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Dr. Friedmann, diese Gefahr besteht nicht. Wir werden selbstverständlich in den künftigen Jahren auch bemüht sein, erhebliche Investitionen zu tätigen, um die Fernmeldeengpässe, von denen Sie gesprochen haben, zu beseitigen. Es handelt sich hier um die Größenordnung von jährlich etwa 3,5 Milliarden DM, die wir in diesem Bereich einsetzen wollen.
Letzte Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wissen Sie heute schon, ob es zu Übergangsschwierigkeiten z. B. hinsichtlich der Kompatibilität kommen wird, wenn Sie von der Kupferkoaxialtechnik auf die Glasfasertechnik übergehen wollen, und wie werden Sie dann diese Schwierigkeiten lösen?Rawe, Parl. Staatssekretär: Soweit Erkenntnisse darüber in unserem Hause vorliegen, glauben wir,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7963
Parl. Staatssekretär Rawedaß es nicht zu Schwierigkeiten kommen wird. Wir werden allerdings in unseren Bedingungen, insbesondere dort, wo wir Kooperationsmodelle anbieten, dafür Sorge tragen müssen, daß vertraglich abgesichert wird, daß solche Schwierigkeiten nachher beim Zusammenschließen nicht eintreten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Laufs.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in absehbarer Zeit Vorstellungen dazu entwickeln, in welchem Umfang Breitbandkommunikation auch über Fernmeldesatelliten abgewickelt werden kann?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das wird sie sicherlich tun. Die Überlegungen dazu sind in vollem Gange.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leuschner.
Herr Staatssekretär, welche Gründe sprechen denn nach Auffassung der Bundesregierung dagegen, sofort die fortschrittlichere Technik einzusetzen, anstatt zunächst auf Kupfer auszuweichen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß die Glasfasertechnik im Moment nicht so weit ausgereift ist, daß wir sie in Ortsnetzen verlegen können. Sie bietet sich zur Zeit eigentlich nur dazu an, sie für Fernleitungen zu verwenden. Wenn wir das einmal von der Wirtschaftlichkeit her betrachten, dann werden Sie mir auch sicherlich zustimmen, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Glasfaser als Netzanschluß von niemand bezahlt werden könnte.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, in welcher Zeit werden dann die jetzt neu zu verlegenden Kupferkoaxialleitungen abgeschrieben sein? Welche Abschreibungsfristen bestehen da?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, Herr Kollege. Wir gehen davon aus, daß man mit einer Frist von 15 bis 18 Jahren zu rechnen hat. Diese Frist macht auch deutlich, daß es sinnvol ist, diese Technik jetzt einzusetzen; denn Sie wissen, daß alle bisher bekannten Dienste mit Kupferbreitbandkabel durchaus bedient werden können — mit Ausnahme des Fernseh-Telefons.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börnsen.
Herr Staatssekretär, können Sie uns einige der Nachfrager, die für die Rentabilität der zu verlegenden Kupferkabel sorgen sollen, hier konkret nennen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das kann ich nicht. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich eine solche Liste nicht habe. Aber ich kann Ihnen sagen, daß z. B. in der Stadt Berlin, wo die Schwierigkeiten beim Empfang besonders groß sind, die Nachfrage besonders rege ist. Wir haben dort in der Zwischenzeit über 40 000 Anfragen, in denen Kabelanschlüsse gewünscht werden.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gehören zu diesen Nachfragern, die die Kosten einbringen sollen, auch Verleger und Zeitungskonzerne?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Daß von dort ein gewisses Interesse besteht, will ich gar nicht leugnen.
Wenn ich von Nachfragern sprach, dann ging es mir vor allem darum, deutlich zu machen, daß seitens einiger Länder und vieler Städte und Gemeinden, die für ihren Bereich eine Verkabelung wünschen, schon konkrete Anfragen in unserem Hause sind.
Aber es bleibt bei dem, was mein Minister dazu mehrfach in der Öffentlichkeit gesagt hat: Wir können die technischen Voraussetzungen natürlich immer nur dann schaffen, wenn von den Ländern auch die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen worden sind.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dallmeyer.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß von dem Ausbau mit Koaxialkabeln eine enorme Belebung der örtlichen und regionalen Tiefbauwirtschaft ausgeht?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte das bestätigen und meine Schlußfolgerung von den vorhin von mir erwähnten Nachfragen ableiten.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß im Rahmen des Postverwaltungsrates und der Beratungen des Haushaltes 1983 seitens des Ministers in Aussicht gestellt worden ist, daß der Frage der Telefonengpässe noch einmal unter dem Gesichtspunkt nachgegangen werde, ob die Industrie in der Lage sei, mehr Material in kürzerer Zeit anzuliefern, so daß diese Telefonengpässe unabhängig von den Bestrebungen, Koaxialkabel zu verlegen, möglicherweise schneller abgebaut werden könnten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, ich bestätige Ihnen das gerne und will hinzufügen, daß wir uns bemühen, Verhandlungen mit der Industrie voranzutreiben, damit wir in den nächsten Jahren in verstärktem Maße Investitionen auf diesem Gebiet tätigen können, weil auch uns das ein Ärgernis ist.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
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7964 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Hinweis auf die Verkabelungen, die in Berlin in den letzten Jahren auch unter der letzten Bundesregierung angelaufen sind, wonach sich in der Zwischenzeit die Zahl nicht nur der Interessenten, sondern auch der Anschlüsse positiv entwickelt hat, in dem Zusammenhang verstehen, daß in der vorletzten Postausschußsitzung seitens der Deutschen Bundespost bestätigt worden ist, daß sich die dort in Vorleistung erbrachten Verkabelungen durch die Zahl der Anschlüsse bereits jetzt für die Deutsche Bundespost rentierlich gestalten, daß dieser Punkt zumindest im Laufe des Jahres 1983 erreicht werden wird?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Daß das im Jahre 1983 erwartet wird, Herr Kollege Pfeffermann, ist richtig.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Auch.
Herr Staatssekretär, wenn Sie hier in der Fragestunde auf der einen Seite sagen, daß Ihnen die notwendigen Erkenntnisse fehlen, um Fragen nach den Kosten der Verkabelung mit der Koaxialtechnik präzise beantworten zu können, frage ich Sie, wie Sie dann auf der anderen Seite den Vorgang so darstellen können, als ob eine entsprechende Verkabelung rentierlich wäre.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage, ob eine Verkabelung rentierlich ist oder nicht, hängt doch von vielen Faktoren ab.
— Aber Herr Kollege Roth, der Glaube ersetzt nicht die Rechnung, sondern das kann man in der Tat rechnen. Nur muß man dabei die wichtigsten Faktoren berücksichtigen, vor allem die Frage: Wie schnell kann ich eine vernünftige Anschlußdichte erreichen?
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Hause einmal Ihre Datenbasis zur Verfügung zu stellen, auf der Sie diese Ihre Meinung aufbauen, was die Kalkulation und die Rentierlichkeit anbelangt?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie mir das konkret sagen oder schreiben, werde ich das selbstverständlich gern tun.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, können Sie etwas zum Preisunterschied je Einheit zwischen Kupferkoaxialkabel und Glasfaser und dazu sagen, ob Ihre Aussage von einer Abschreibungszeit von 15 bis 18 Jahren dann tatsächlich noch so Bestand hat, wie Sie es von der Wirtschaftlichkeit her dargestellt haben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage habe ich vorhin bewußt damit beantwortet,
daß es unterschiedliche Meinungen darüber gibt. Ich habe hinzugefügt: Nach den uns jetzt vorliegenden Erkenntnissen gehen wir davon aus, daß das mit einer Abschreibungszeit von 15 bis 18 Jahren für die Kupferkoaxialkabel so sein kann. Sie wissen wie ich, daß es Schätzungen darüber gibt, daß heute für einen Glasfaseranschluß im Ortsnetz zirka 1 Million DM zu erbringen wäre.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie so richtig verstanden, daß das, was Sie in Ihren Antworten auf Fragen verschiedener Kollegen dem Hause dargestellt haben, heute noch auf sehr tönernen Füßen steht?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nein, da haben Sie mich falsch verstanden, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Hier steht uns Herr Bundesminister Dr. Riesenhuber selber zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 58 und 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 57 des Herrn Abgeordneten Hoffmann . — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen, behandelt.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Leuschner auf:
Welche Schwerpunkte sind im mit Frankreich vereinbarten bundesdeutschen F + E-Programm zur Schnellbrüterentwicklung gesetzt, welche Projekte beziehen sich insbesondere auf die Konzeption und die Entwicklung des Brutmantels eines schnellen Brüters?
Die deutsch-französische Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung, an der auch belgische, italienische und niederländische Einrichtungen beteiligt sind, umfaßt alle wesentlichen Bereiche in der Schnellbrüterentwicklung. Sie konzentriert sich zur Zeit insbesondere auf folgende Schwerpunkte: die Ingenieurbearbeitung der Auslegung großer Schnellbrüterkernkraftwerke, gemeinsame Experimente zur physikalischen Auslegung großer Schnellbrüterkerne ; Erfahrungsaustausch und gemeinsame Experimente zur Sicherheit von Schnellen Brutreaktoren, gemeinsame Arbeiten zur Feststellung der Versagensgrenzen von Brenn- und Brutelementen, Austausch von Betriebserfahrungen. Dies, Herr Kollege, sind die Schwerpunkte.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Leuschner.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7965
Herr Minister, unterliegen die Forschungsergebnisse der Geheimhaltung oder sind sie allgemein, also der deutschen Wissenschaft und auch anderen, zugänglich?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Diese Forschungsergebnisse sind im Kontext der Gemeinsamen Erklärung von Nizza, die Herr Bundesminister Matthöfer seinerzeit unterzeichnet hat, einer Veröffentlichung nicht uneingeschränkt zugänglich.
Herr Abgeordneter Catenhusen, eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, ob Veröffentlichungen vor allem über die möglichen Konfigurationen eines Brutmantels eines Schnellen Brutreaktors vorliegen oder ob gerade in diesem Bereich bisher keine Veröffentlichungen vorgenommen worden sind?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Diese Frage kann ich Ihnen hier nicht aus dem Stand beantworten. Dies ist eine fachliche Frage, die ich gern nachprüfe; das Ergebnis will ich Ihnen gern nachreichen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Leuschner auf:
Welche Mittel stehen der Bundesregierung zur Verfügung um sicherzustellen, daß aus dem Super-Phénix, der Teil der 1976 in Nizza vereinbarten technologischen deutsch-französischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Schnellbrüter-Entwicklung ist und an dessen Baugesellschaft RWE mit 16 v. H. beteiligt ist, reines Plutonium 239 nicht militärischen Zwecken zugeführt werden kann?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Die im Jahre 1973 vereinbarte Zusammenarbeit von Energieversorgungsunternehmen aus schließlich sechs europäischen Ländern, nämlich Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien, Niederlande und Italien, die u. a. die Errichtung eines Schnellbrutreaktors Super-Phénix zum Gegenstand hat, ging der deutsch-französischen Erklärung von Nizza aus dem Jahre 1976 voraus. Sowohl die staatliche als auch die industrielle Zusammenarbeit erstreckt sich ausschließlich auf die friedliche Nutzung der Kernenergie. Bereitstellung und Nutzung des Plutoniums für den Super-Phénix sind durch einen Plutoniumbereitstellungsvertrag festgelegt, der zwischen den Gesellschaftern des Super-Phénix abgeschlossen worden ist. Er wurde von EURATOM gebilligt. Zu diesen Gesellschaftern gehören für Frankreich die EdF, für Italien die ENEL, für Deutschland, Belgien, die Niederlande und Großbritannien die SBK. Abgeschlossen wurde dieser Vertrag in dem genannten Zeitraum. Das von der Schnellbrüter-Kernkraftwerksgesellschaft SBK entsprechend ihrem Beteiligungsanteil zur Verfügung zu stellende Plutonium — also 16 % — verbleibt im Eigentum der SBK, ebenso der entsprechende Prozentsatz des sich aus dem Brutprozeß ergebenden Plutoniums. Die Verwendung des genannten Plutoniums unterliegt den Sicherungsmaßnahmen gemäß dem EURATOM-Vertrag.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Leuschner.
Herr Minister, Ihrer Antwort darf ich also ganz klar entnehmen, daß eventuelle Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrags nicht tangiert sind, auch wenn wir mit 16% an diesem Vorhaben beteiligt sind?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Soweit die Verfügung der SBK als einer Partnergesellschaft innerhalb dieses Vertrages betroffen ist, ist dies eindeutig. Sie kennen die besondere Vertragssituation Frankreichs.
Herr Catenhusen, eine Zusatzfrage, bitte.
Kann ich Ihrer Aussage zu der Frage des Abgeordneten Leuschner entnehmen, daß der Bundesrepublik nur Mittel zur Verfügung stehen, um sicherzustellen, daß aus Deutschland geliefertes Plutonium nicht für Kernwaffenzwecke aus dem französischen Brüter entnommen werden kann?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Dies entspricht der rechtlichen Vertragssituation, so wie sie 1976 von einer früheren Regierung festgelegt worden ist.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Catenhusen auf:
Hat nach Informationen der Bundesregierung das Energieversorgungsunternehmen RWE auf Grund seiner bisherigen Verträge über den Bau des Super-Phénix die rechtliche Handhabe, die Entnahme von reinem Plutonium aus dem Brutmantel des Super-Phénix durch den französischen Staat für das französische Kernwaffenprogramm zu verhindern?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Die Frage des Kollegen Catenhusen möchte ich wie folgt beantworten. Wie Ihnen bekannt ist, verfügt Frankreich für die militärische Nutzung der Kernenergie über eigene, von den Schnellen Brutreaktoren getrennte Anlagen. In der Antwort auf die Frage 61 des Kollegen Leuschner habe ich darauf hingewiesen, daß das von der SBK für den Einsatz im Super-Phénix bereitgestellte Plutonium leihweise zur Verfügung gestellt ist und insofern im Eigentum der SBK verbleibt und nach der genannten Verwendung an Deutschland zurückgegeben wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Catenhusen.
Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Akzeptanz der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland Schaden erleiden könnte, wenn nicht auszuschließen ist, daß bundesdeutsche Unternehmen sich über eine technologische Zusammenarbeit mit Atomwaffenstaaten an Projekten beteiligen, aus denen — ich nenne etwa das Beispiel des Schnellen Brüters — Beiträge für das Atomwaffenprogramm eines Atomwaffenstaates folgen können?Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Frankreich hat mehrfach eindeutig erklärt, daß es das Programm
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7966 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Bundesminister Dr. Riesenhuberzur friedlichen Nutzung der Kernenergie — einschließlich der Brütertechnologie — deutlich von den entsprechenden militärischen Programmen getrennt hat. Soweit es innerhalb der Möglichkeiten der Bundesregierung liegt, hat sie hier die vertraglichen Vorkehrungen getroffen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung — und zwar gilt dies für sämtliche Bundesregierungen — eindeutige Erklärungen dazu abgegeben hat, daß die Bundesrepublik Deutschland Kernenergie in jeder Form nur zur friedlichen Nutzung einsetzen will. Im übrigen bin ich der Auffassung, daß die Frage der Akzeptanz der Kernenergie von anderen grundlegenden politischen Entscheidungen in wesentlich höherem Maße abhängt. Dies war Ihre Frage.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Catenhusen.
Herr Minister, kann ich Ihrer Aussage entnehmen, daß Ihnen offizielle Aussagen der französischen Regierung vorliegen, die im Widerspruch zu Äußerungen in der französischen Offentlichkeit stehen, daß das atomare Aufrüstungsprogramm Frankreichs nur mit Hilfe des Schnellen Brüters realisiert werden kann, weil die für die neuen Atomwaffen benötigten Mengen an Plutonium in Höhe von etwa 5 t nur auf diesem Wege in Frankreich bereitgestellt werden können?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Herr Kollege Catenhusen, entsprechende Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor. Ich möchte aber ergänzend bemerken, daß hier über die Aussagen der französischen Regierung zu ihren Zielen hinaus die Schnellen Brüter technisch nicht ein optimal geeignetes Instrument darstellen, Plutonium in waffengrädiger Form zu erbrüten. Es ist bekannt, daß andere, speziell für waffengrädiges Material eingerichtete Reaktoren in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht erhebliche Vorteile bieten. Wenn der Schnelle Brüter hier das geeignete Instrument gewesen wäre, dann wäre vermutlich in den vergangenen Jahrzehnten die Entwicklung der Schnellen Brüter sehr viel zügiger vorangegangen als es faktisch der Fall gewesen ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Stahl.
Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, daß es für Frankreich sicherlich einfacher ist, Plutonium für Waffentechnologien aus seinen Aufbereitungsanlagen zu verwenden, statt es aus dem Super-Phénix zu nehmen?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Es ist nach dem jetzigen Stand der Technik und nach allen bekannten Daten für Frankreich sicher einfacher, solches Material aus speziell hierfür eingerichteten Anlagen zu entnehmen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Lenzer.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, den Kollegen Catenhusen in Präzisierung Ihrer ersten Antwort darauf hinzuweisen, daß Frankreich seit Jahren eine militärische Wiederaufbereitungsanlage in der Stadt Pierrelatte im Departement Drôme betreibt und überhaupt nicht auf die Einbeziehung des Schnellen Brüters in ein militärisches Programm angewiesen ist?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Diese Aussage trifft zu. Sie ergänzt die Aussagen, die ich sowohl zum Grundsätzlichen als auch zu den technischen Alternativen, als auch zu der komparativen Wirtschaftlichkeit beider Wege zum Plutonium vorgetragen habe.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Catenhusen auf:
Welche Mittel stehen der Bundesrepublik Deutschland als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrags zur Verfügung um sicherzustellen, daß das deutsche Energieversorgungsunternehmen RWE seine Kapitalbeteiligung am Bau des Super-Phénix aufgibt, wenn der französische Staat die in der Öffentlichkeit diskutierten Überlegungen, Plutonium aus dem Brutmantel des Super-Phénix für das französische Atomwaffenprogramm zu verwenden, verwirklichen wird?
Bitte sehr, Herr Minister.
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Die Frage 63 des Kollegen Catenhusen beantworte ich wie folgt.
Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte vor, daß der französische Staat Plutonium aus dem Super-Phénix für das französische Atomwaffenprogramm verwenden wird. Wie ich schon in der Antwort auf die Frage 62 dargelegt habe, wird das Plutonium, das der SBK gehört, dieser zurückgegeben und unterliegt entsprechend den bestehenden Verträgen internationalen Sicherungsmaßnahmen.
Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen läßt Frankreich als Kernwaffenstaat im Sinne von Art. IX Abs. 3 des Nichtverbreitungsvertrags in der Verwendung seines Plutoniums frei und bietet infolgedessen keine der Handhaben, wie sie in der von Ihnen gestellten Frage impliziert sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Catenhusen.
Herr Minister, für den Fall, daß sich die französische Regierung im Sinne der von mir geäußerten Befürchtungen entscheidet, frage ich: Hätte die Bundesregierung dann die Möglichkeit — und sähe sie auch einen Sinn darin —, dem RWE eine weitere Beteiligung am Super-Phénix in Frankreich zu untersagen?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, Verhaltensweisen für den Fall zu diskutieren, daß sich eine befreundete Regierung anders verhält, als es ihren bisherigen Äußerungen zu entnehmen ist.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Kollege Catenhusen.
Da Sie mir in Beantwortung einer vorhergehenden Frage gesagt haben, Ihnen
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Catenhusenseien Aussagen der französischen Regierung zu dem Thema nicht bekannt — ich sehe da einen gewissen Widerspruch —, möchte ich meine zweite Zusatzfrage dahin gehend stellen: Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß die in Frankreich zur Verfügung stehenden Plutoniumerzeugungsanlagen — nämlich zwei alte Graphitreaktoren und die Wiederaufarbeitungsanlage — auch nach französischen Quellen nicht ausreichen, um den Plutonium-bedarf von etwa 300 bis 400 kg jährlich für dieses Atomwaffenprogramm zu decken?Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Diese Spekulationen in der Öffentlichkeit sind mir durchaus grundsätzlich bekannt. Ich kann nur sagen: Dies ändert nichts daran, daß die französische Regierung die von mir erwähnten Erklärungen abgegeben hat. Die Möglichkeiten der Bundesregierung in dem bestehenden Rahmen sind vorgetragen worden. Im übrigen haben wir nach allem, was über die französischen Anlagen — es sind militärische Anlagen; insofern wird nicht alles veröffentlicht — bekanntgeworden ist, keinen Grund, anzunehmen, daß Frankreich in irgendeiner Form von seinen Aussagen abrücken wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Lenzer auf:
Wieviel Raumflugkörper befinden sich nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zur Zeit im Weltraum?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Derzeit befinden sich 4 770 Objekte im Weltraum.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Lenzer.
Herr Bundesminister, können Sie Angaben darüber machen, wie viele nach den jetzt bestehenden Planungen jährlich in etwa hinzukommen und ob irgendwo eine Grenze der Kapazität erreicht wird?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Die Zahl der jährlich hinzukommenden Objekte dürfte in der Größenordnung von etwa zwei bis drei Dutzend liegen, etwa bei 30. Diese Zahl ist deshalb relativ gering, weil gleichzeitig durch Wiedereintreten in die Erdatmosphäre ein erheblicher Anteil der jetzt schon vorhandenen Objekte verglüht und damit aus der Bilanz herausfällt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Minister, können Sie über die nationale Herkunft dieser Objekte etwas sagen?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Ich kann hier nicht nach Nationalitäten aufschlüsseln; aber es ist offenkundig, daß sie im wesentlichen von den Raumforschung und Raumfahrt betreibenden Nationen ausgehen. Das sind im wesentlichen die USA und zu einem anderen Anteil die Sowjetunion. Ich
bin aber gerne bereit, Ihnen hier eine detaillierte Liste nachzureichen, wenn Sie es wünschen.
Sonst wird das Wort zu Zusatzfragen nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Welche Gefahren gehen von diesen Flugkörpern für die friedliche Nutzung des Weltraums aus?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Lenzer beantworte ich wie folgt.
Die meisten dieser Objekte — etwa 3 400 — sind Trümmer, also Teile von ausgebrannten Raketenstufen, defekte Satelliten usw. Davon befindet sich wiederum der größte Teil in erdnaher Umlaufbahn, wobei in relativ kurzer Zeit ein Eintritt in die obere Erdatmosphäre mit Verglühen erfolgt.
Die Wahrscheinlichkeit einer Kollision unter den aktiven Satelliten — davon gibt es etwa 1 150 — ist außerordentlich gering.
Eine Gefahr für die friedliche Nutzung des Weltraums ist in absehbarer Zeit nicht gegeben. Ein Problem besteht jedoch in der Nutzung des genau definierten geostationären Orbits für Fernmeldesatelliten. Es handelt sich hier im wesentlichen um eine Bahn in einer Höhe von 36 000 km, die äquatornah verläuft. Diese Bahn stellt eine begrenzte Ressource dar, die allen Ländern der Erde zur Verfügung steht. Die USA betreiben zur Zeit für den Inlandsverkehr 12 Satelliten, die jeweils vier Längengrade auseinander stehen. Bei zunehmendem Kommunikationsbedarf können in Zukunft Engpässe durch gegenseitige Überlagerung der Sendebereiche in dieser Orbitposition auftreten. Gegenwärtig werden Technologien untersucht, um durch Steigerung der Leistungsfähigkeit der Satelliten — etwa durch höhere Frequenzbereiche, größere Transponderzahl, Aufbau von „Clusters", also Satellitengruppen — diesem Engpaß zu begegnen. Weltweit beschäftigt sich mit diesem Problem im Rahmen der UNO die Internationale Fernmeldeunion — ITU —, die sich um Festlegung von Kriterien zur gleichberechtigten und effizienten Nutzung des geostationären Orbits bemüht.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Lenzer.
Herr Bundesminister, ist sichergestellt, daß die Bundesregierung im Rahmen dieser internationalen Vertragswerke die Möglichkeit der Mitwirkung bei der rechtlichen Ausformulierung der friedlichen Nutzung des Weltraums und der eventuell damit verbundenen Gefahren hat?
Dr. Riesenhuber, Bundesminister: Die Bundesregierung hat innerhalb der bestehenden Verträge, aber auch bei den noch anstehenden Abkommen, hier ihre Möglichkeiten und Interessen voll gewahrt.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Damit sind die Fragen aus dem Ge-
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7968 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Vizepräsident Dr. h. c. Leberschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung begrüße ich den Parlamentarischen Staatssekretär Pfeifer.Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Schätz auf:Teilt die Bundesregierung die in der Begründung zum Urteil vom 10. Dezember 1980 niedergelegte Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, daß der Staat, wenn er in Anerkennung der Aufgabenteilung „die praxisbezogene Berufsausbildung der Jugendlichen den Arbeitgebern überläßt, erwarten muß, daß die gesellschaftliche Gruppe der Arbeitgeber diese Aufgabe nach Maßgabe ihrer objektiven Möglichkeiten und damit so erfüllt, daß grundsätzlich alle ausbildungswilligen Jugendlichen die Chance erhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen und dies auch dann gilt, wenn das freie Spiel der Kräfte zur Erfüllung der übernommenen Aufgabe nicht mehr ausreichen sollte", und — wenn ja — welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung einzuleiten, um angesichts des notstandsartigen Ausbildungsmangels die Wirtschaft zur Erfüllung ihrer verfassungsgerichtlich festgestellten Pflichten zu veranlassen?Bitte sehr.
Herr Kollege Schätz, Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind für die Bundesregierung selbstverständlich verbindlich. Im übrigen stimmen alle an der beruflichen Bildung Beteiligten darin überein, daß alle ausbildungswilligen Jugendlichen eine faire Ausbildungschance haben müssen. Die Wirtschaft hat dementsprechend auch in diesem Jahr erhebliche Anstrengungen unternommen. Das hat dazu geführt, daß der befürchtete notstandsartige Ausbildungsplatzmangel nicht eingetreten ist.
Die Bundesregierung verkennt die Probleme der Ausbildungsplatzsituation in diesem Ausbildungsjahr keineswegs. Auffassungsunterschiede bestehen offensichtlich im Hinblick auf die Wahl der Mittel, mit denen man diesen Problemen beikommen kann. Außerdem darf nicht außer acht gelassen werden, daß die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen es den Betrieben nicht einfach machen, die erforderliche große Zahl von Ausbildungsplätzen bereitzustellen.
Die Bundesregierung hat die Ausbildungsplatzsituation im Herbst 1982 eingehend geprüft und sie mit den Repräsentanten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gründlich erörtert. Ergebnis war, daß insbesondere vor Ort, also in den Kreisen, Arbeitsamtsbezirken, Städten und Gemeinden, intensiv versucht wird, diejenigen Jugendlichen noch in Ausbildung zu bringen, die zu Beginn des Ausbildungsjahres noch keinen Arbeitsplatz hatten. Die Bundesregierung geht davon aus, daß solche Initiativen aller Beteiligten vor allem geeignet sind, im Bedarfsfall weitere Ausbildungsmöglichkeiten zu mobilisieren. Die Bundesregierung prüft außerdem, entsprechend der Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982, gemeinsam mit den Organisationen der Wirtschaft, wie für die schwierigen nächsten Jahre vorübergehend zusätzliche Ausbildungskapazitäten
geschaffen oder Ausbildungsmaßnahmen organisiert werden können.
Besonders schwer haben es nach wie vor bestimmte Personengruppen. Deshalb fördert die Bundesregierung die Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher, die Ausweitung der Ausbildungschancen von jungen Frauen sowie die Berufsausbildung von Ausländern. Die Mittel für diese Förderung sollen im Bundeshaushalt 1983 auf insgesamt 140 Millionen DM erhöht werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schätz.
Herr Staatssekretär, denkt die Regierung für den Fall, daß die von Ihnen angestellten Überlegungen hinsichtlich einer aus Ihrer Sicht verhältnismäßig positiven Ausbildungsplatzentwicklung bis zum Jahresende oder auch darüber hinaus nicht so positiv eintreten werden, an eine Umlagefinanzierung auf Kammerebene und in Verantwortung der Kammern?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung möchte an dem derzeitigen Finanzierungssystem in der beruflichen Bildung prinzipiell festhalten, weil sich dieses Finanzierungssystem in den zurückliegenden Jahren und auch in diesem schwierigen Jahr als außerordentlich leistungsfähig erwiesen hat. Deswegen gibt es in der Bundesregierung keine Überlegungen, wie sie in der Frage enthalten sind.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Schätz, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, kommt diese Aussage von Ihnen auch in Kenntnis der Tatsache, daß es j a bereits Kammerbereiche gibt, die eine derartige Umlagefinanzierung eingeführt haben, und daß es in Bereichen, in denen die Kammern das noch nicht getan haben, dringend geboten wäre, hier etwas nachzuhelfen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bin nicht der Meinung, daß es Aufgabe der Bundesregierung sein kann, den Kammern hier nachzuhelfen.
Herr Kollege Auch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß viele Betriebe, die ausbilden, einen Wettbewerbsnachteil dadurch erleiden, daß sich andere diese Kosten sparen und nach Art von Parasiten fertig ausgebildete Kräfe bei den Erstgenannten abwerben, und halten Sie es für der Sache dienlich und vom Auftrag her für gerechtfertigt, wenn von manchen IHKs krampfhaft versucht wird, die Nichtausbildenden zu schützen, indem sie diese nicht namhaft machen?Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung legt großen Wert darauf und unterstützt die Industrie- und Handelskammern darin, daß sowohl im Jahre 1982 als auch in den kommenden Jahren alle Ausbildungsmöglichkeiten in den Betrieben ausge-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7969
Parl. Staatssekretär Pfeiferschöpft und gestärkt werden, d. h. daß vor allem die Ausbildungsbereitschaft in kleineren und mittleren Betrieben erhöht wird. Aber die Bundesregierung sieht in einer Veränderung der betrieblichen Ausbildungsfinanzierung kein geeignetes Mittel, um die Ausbildungsbereitschaft zu stärken; die Bundesregierung ist im Gegenteil der Meinung, daß die Diskussionen über veränderte Finanzierungsmodelle der beruflichen Bildung in der Vergangenheit eher geeignet waren, die Betriebe in ihrer Ausbildungsbereitschaft zu verunsichern.
Herr Präsident — —
Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Herr Präsident, der Herr Staatssekretär hat meine Frage nicht beantwortet!
Entschuldigen Sie, das ist etwas anderes, ob Sie mit der Beantwortung zufrieden sind. Aber Sie können nur eine Zusatzfrage stellen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage die Frau Kollegin Weyel.
Herr Staatssekretär, im Hinblick darauf, daß wir annehmen, daß der derzeitige Stand des Nachfrageüberhangs richtig und eine gewisse Dunkelziffer vorhanden ist sowie die demographischen Zahlen darauf hinweisen, daß die Nachfrage im nächsten Jahr noch etwas erhöht sein wird: Von welchem Nachfrageüberhang an halten Sie den Bedarf für so groß, daß Sie eine Finanzierung irgendeiner Art durch die Bundesregierung oder eine Finanzierung durch die Wirtschaft für dringlich erachten?
Pfeifer, Parl Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe eben schon zum Ausdruck gebracht, daß ich nicht der Meinung bin, daß durch überbetriebliche Finanzierungsmodelle, insbesondere durch die Umlagefinanzierung, zusätzliche Ausbildungsbereitschaft geweckt werden kann. Ich bin eher der Auffassung, daß dadurch die Betriebe in ihrer Ausbildungsbereitschaft verunsichert würden.
Aus diesem Grund gibt es für die Bundesregierung auch in der derzeitig schwierigen Situation bei den Lehrstellen keine Veranlassung, Modelle zur Umlagefinanzierung zu erwägen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Büchner.
Herr Staatssekretär, wieviel zusätzliche Ausbildungsplätze in welchen Berufen verspricht sich denn die Bundesregierung von der von ihr beabsichtigten wesentlichen Verschlechterung des Jugendarbeitsschutzes?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung beabsichtigt überhaupt keine Verschlechterung des Jugendarbeitsschutzes. Die Bundesregierung ist vielmehr der Ansicht, daß die notwendigen Jugendarbeitsschutzbestimmungen für die Jugendlichen erhalten bleiben müssen. Die Bundesregierung ist allerdings der Ansicht, daß auf der Grundlage auch von vorliegenden Gesetzentwürfen geprüft werden muß, wie Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes, die sich möglicherweise als ausbildungshemmend erweisen, so gestaltet werden können, daß künftig solche Ausbildungshemmnisse im Interesse der jungen Generation von ihnen nicht ausgehen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Roth.
Herr Staatssekretär, ich möchte die Frage von Herrn Auch aufnehmen: Finden Sie es richtig, daß die Industrie- und Handelskammern auch solche Unternehmen der Öffentlichkeit nicht bekanntgeben, die, obgleich sie einen Bedarf an ausgebildeten Arbeitskräften haben, sich niemals an der Ausbildungspflicht der Unternehmen beteiligen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich betrachte es nicht als Aufgabe der Industrie- und Handelskammern, solche Betriebe in der Öffentlichkeit im einzelnen zu nennen. Aber ich möchte nochmals sagen: Die Bundesregierung unterstützt die Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft in allen Maßnahmen, die geeignet sind, die Ausbildungsbereitschaft in den Betrieben zu wecken und vor allem die kleinen und mittleren Betriebe auch in der derzeitig schwierigen Situation zu ermutigen, ihren Ausbildungsverpflichtungen nachzukommen. Ich glaube nicht, daß das geeignete Mittel darin besteht, Betriebe anzuprangern, sondern ich glaube, daß das geeignete Mittel darin besteht, Betriebe zu ermutigen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Osswald.
Herr Staatssekretär, wieviel Ausbildungsplätze sind im Laufe des letzten Jahres im Bereich des Bundes und der bundeseigenen Unternehmen, z. B. bei der Bundesbahn, abgebaut worden? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dem entgegenzuwirken?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Fragestellung beinhaltet, wenn ich Sie richtig verstehe, eine Kritik an der vorausgegangenen Bundesregierung. Ich möchte dazu sagen, daß, soweit mir bekannt ist, die vorausgegangene Bundesregierung viele Anstrengungen unternommen hat und auch diese Bundesregierung alle Anstrengungen unternehmen wird, damit auch von seiten der öffentlichen Hand die mögliche Zahl von Ausbildungsplätzen bereitgestellt werden kann. Ich bin gern bereit, Ihnen dazu auch eine ins einzelne gehende schriftliche Ausarbeitung vorzulegen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Broll.
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7970 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß es gerade der Initiative der Kammern zu verdanken ist, daß in den letzten Jahren die Zahl der Ausbildungsplätze in der freien Wirtschaft erheblich gestiegen ist?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist den Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, vor allem den Kammern, aber in einer besonderen Weise auch den Betrieben dafür dankbar, daß auch im Jahr 1982 in einem wesentlich stärkeren Maß, als es in manchen Prognosen zu Beginn dieses Jahres angenommen worden war, Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt worden sind.
Keine weitere Zusatzfrage zu Frage 66.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Marschall auf:
Trifft es zu, daß im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft die Anweisung gegeben wurde, die Broschüren mit dem Wortlaut des geltenden BAföG auch auf konkrete Anforderung von Organisationen und einzelnen Bürgern nicht mehr abzugeben, bzw. wer hat gegebenenfalls eine solche Anweisung erteilen lassen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Marschall, es trifft nicht zu, daß im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft die Anweisung gegeben wurde, die Broschüren mit dem Wortlaut des geltenden BAföG auf konkrete Anforderungen von Organisationen und einzelnen Bürgern nicht mehr abzugeben. Im Gegenteil, es wurde ausdrücklich die Anweisung gegeben, diese Broschüren mit der geltenden Fassung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf Anfrage weiter zu verteilen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Marschall.
Herr Staatssekretär, anderslautende Erfahrungsberichte führen mich zur Frage, ob die Führung des Ministeriums bereit ist, durch eine erneute Anweisung sicherzustellen, daß einzelne Bürger und Organisationen auf Anforderung diese Broschüre zugestellt bekommen.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Marschall, Ihre Frage war mir Veranlassung, mich zu erkundigen, wie das in den letzten Tagen gehandhabt worden ist. Ich habe dabei festgestellt, daß Sie selbst am 16. November 1982 über Ihr Büro zehn Exemplare der BAföG-Broschüre beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft angefordert und umgehend erhalten haben. Ich denke, daraus ergibt sich die Richtigkeit meiner Feststellung vorhin.
Eine weitere Zusatzfrage? — Nicht.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Marschall auf:
Wieviel BAföG-Broschüren hat das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft seit dem Regierungswechsel abgegeben, wieviel stehen zur Zeit zur Verfügung, und was soll mit den noch vorhandenen geschehen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Marschall, seit dem 1. Oktober 1982 sind 14 328 BAföG-Broschüren abgegeben worden. Zur Zeit stehen noch 2 000 Exemplare zur Verfügung, die auf Anfrage abgegeben werden.
Keine Zusatzfrage.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Klein hier.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß zur Wahrung der freien Bildberichterstattung und damit zur Wahrung der Pressefreiheit ein Beschlagnahmeverbot von selbst hergestelltem Bildmaterial eingeführt werden sollte, soweit Gegenstand der Untersuchung nicht ein Verbrechen ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege de With, wie Sie wissen — daß Sie es wissen, ergibt sich nicht zuletzt aus Ihrer Fragestellung —, enthält ein im Bundesministerium der Justiz erstellter Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung strafverfahrensrechtlicher Vorschriften, das sogenannte Strafverfahrensänderungsgesetz 1983, u. a. eine Regelung, mit der entsprechend Ihren Vorstellungen ein Verbot, bei den Medien selbstrecherchiertes Bild- und Tonmaterial zu beschlagnahmen, vorgeschlagen wird. Der Referentenentwurf ist am 23. September 1982 den Ländern und Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet worden. Die Erörterung des Entwurfs unter Beteiligung der Praxis wird der Bundesregierung eine Entscheidungsgrundlage dafür bieten, ob und in welcher Ausgestaltung ein erweitertes Beschlagnahmeverbot zugunsten der Medien den gesetzgebenden Körperschaften vorgeschlagen wird.
Eine Zusatzfrage. Herr Kollege de With. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, darf ich daraus entnehmen, daß Sie dem Kern nach bei der alten Vorlage bleiben werden?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege de With, ich möchte den weiteren Überlegungen der Bundesregierung nicht vorgreifen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege de With.
Ist Ihnen bewußt, Herr Staatssekretär, daß auf Antrag der Fraktion der FDP im Abgeordnetenhaus von Berlin das Haus dort mit Mehrheit beschlossen hat, den Senat zu bitten, eine entsprechende Vorlage im Bundesrat einzubringen, die gegenüber dem von Ihnen erwähnten Entwurf noch eine Erweiterung vorsieht, indem nämlich generell das, was selbst recherchiert ist, einem Be-
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Dr. de Withschlagnahmeverbot ebenso wie dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen soll?Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist mir bekannt, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 70 — des Herrn Abgeordneten Dr. de With — auf:
Wird die Bundesregierung Meldungen, wonach ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Augsburg wegen verbotswidriger Preisabsprachen bei Bauprojekten im Allgäu mit einem Schadensumfang von möglicherweise einer halben Milliarde DM verjährt ist, zum Anlaß nehmen, eine Initiative zu ergreifen, damit der dem Deutschen Bundestag vorliegende Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ergänzt wird um eine Strafvorschrift gegen den Ausschreibungsbetrug?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die frühere Bundesregierung hat auf die Aufnahme eines Tatbestandes über „Ausschreibungsbetrug" in den von ihr vorgelegten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verzichtet. Für die Beurteilung der Frage, ob ein solcher Tatbestand eingeführt werden soll, haben sich zwischenzeitlich keine neuen Gesichtspunkte ergeben. Bei dieser Sachlage sieht die Bundesregierung keinen Anlaß für neue Initiativen.
Was den von Ihnen angesprochenen Tatkomplex angeht, darf ich zunächst klarstellen, daß es dabei nach den vorliegenden Pressemeldungen um ein Bauvolumen — also nicht um einen Schadensumfang — von zirka 500 Millionen DM gehen soll. Er kann nach den mir bisher vorliegenden vorläufigen Mitteilungen auch noch nicht als völlig abgeschlossen angesehen werden. Das Bundeskartellamt prüft, ob die Fälle nicht zumindest teilweise noch als Ordnungswidrigkeiten nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verfolgt werden können. Im übrigen ist für die Bundesregierung der Eintritt der Verjährung in einem konkreten Fall allein noch kein Grund, neue Straftatbestände zu schaffen bzw. ihre Schaffung anzuregen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege de With.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß in der Zwischenzeit doch insoweit eine Veränderung eingetreten ist, als die nunmehrige Auffassung der Bundesregierung zu der Auffassung der Mehrheit der im Bundesrat vertretenen Justizminister in Gegensatz steht?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege de With, Ihnen ist aus der Vorgeschichte sicherlich bekannt, daß die Frage der Schaffung eines Tatbestandes für den Ausschreibungsbetrug seit, ich darf sagen, Jahrzehnten unter den Fachleuten umstritten ist. An dieser Sachlage hat sich in der Tat bis zum heutigen Tage nichts geändert.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege de With.
Ist die Bundesregierung bereit, einzuräumen, daß es an sich eine kriminelle Handlung ist, wenn mit Hilfe verbotswidriger Absprachen bei Ausschreibungen auf Kosten des Steuerzahlers Millionengewinne gemacht werden?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihnen darin zu, daß dies ein strafwürdiger Tatbestand ist.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Die Fragen 71 und 72 werden vom Fragesteller zurückgezogen. Ich rufe die Frage 73 — des Abgeordneten Dr. Wittmann — auf:Sind auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1982 — 1 BvL 25/80 unter anderem — zum gemeinsamen Sorgerecht geschiedener Eltern gesetzgeberische Maßnahmen veranlaßt, und gegebenenfalls welche?Bitte, Herr Staatssekretär.Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Wittmann, bei der Entscheidung über die elterliche Sorge im Falle der Scheidung der Eltern hat das Familiengericht nach § 1671 Abs. 2 BGB die Regelung zu treffen, die dem Wohle des Kindes am besten entspricht. Hierbei sind die Bindungen des Kindes, insbesondere an seine Eltern und Geschwister, zu berücksichtigen.Dem Richter war es bisher ausnahmslos verwehrt, die elterliche Sorge nach der Scheidung beiden Elternteilen zuzuweisen. Denn der § 1671 Abs. 4 BGB sah in seinem Satz 1 vor, daß nach der Scheidung die elterliche Sorge nur einem Elternteil allein zugeteilt werden kann. Diese Vorschrift hat nun das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 3. November 1982 als unvereinbar mit dem Elternrecht des Art. 6 des Grundgesetzes angesehen und deshalb für nichtig erklärt. Damit ist dem Richter bei der Entscheidung über die elterliche Sorge nunmehr die Möglichkeit eröffnet, entweder die elterliche Sorge auf einen Elternteil zu übertragen oder sie beiden Elternteilen gemeinsam zu überlassen. Der Richter hat im Einzelfalle nach § 1671 Abs. 2 unter Feststellung und Würdigung aller erheblichen Umstände zu entscheiden, welche Regelung dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Hierbei hat er natürlich auch die Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen, die einem Kind bei der Wahrnehmung der elterlichen Sorge durch nur einen Elternteil oder durch beide Elternteile entstehen. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist zu entnehmen, daß nach der Verfassung für den Richter nur unter den folgenden Voraussetzungen Anlaß für die Zuteilung des gemeinsamen Sorgerechts besteht:Erstens. Beide Eltern sind nach der Scheidung voll erziehungsfähig.Zweitens. Die Eltern sind gewillt, die gemeinschaftliche Elternverantwortung weiter zu tragen.Drittens. Es liegen keine Gründe vor, die die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil im Interesse des Kindeswohls angezeigt erscheinen lassen.Viertens. Der Richter erlangt die Überzeugung, daß die Eltern in der Lage sind, auch nach der
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Parl. Staatssekretär Dr. KleinScheidung die Pflege und Erziehung des Kindes weiterhin gemeinschaftlich wahrzunehmen.Das Bundesverfassungsgericht geht hierbei davon aus, daß eine Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts nur nach eingehender richterlicher Prüfung in Betracht kommt. Aufgabe des Richters sei es auch, manipulierte Sorgerechtsentscheidungen zu vermeiden und eine gemeinsame Sorgerechtsausübung in den Fällen auszuschließen, in denen der Antrag der Eltern nicht allein vom Kindeswohl getragen sei. Das geltende Recht ermöglicht dem Richter auch und gerade nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, über die Zuteilung der elterlichen Sorge sachgerecht zu entscheiden. Ein Bedarf für eine gesetzliche Ergänzungsregelung besteht daher derzeit nicht. Die Bundesregierung wird jedoch die Entwicklung der Rechtsprechung aufmerksam verfolgen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Wittmann.
Herr Staatssekretär, ich teile die von Ihnen gezogene Konsequenz, stelle aber die Frage: Werden die Familiengerichte diese volle Konsequenz auch ausschöpfen? Werden Sie vielleicht veranlassen, daß diese Ihre Schlußfolgerung — natürlich rechtlich nicht bindend — den Familiengerichten in irgendeiner Form zur Kenntnis kommt, damit dort nicht wieder Schwierigkeiten entstehen?
Dr. Klein, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Wittmann, ich kann natürlich schwer voraussehen, wie sich die Rechtsprechung der Familiengerichte auf der Grundlage des Bundesverfassungsgerichtsurteils entwickeln wird. Ich gehe aber davon aus, daß alle Gerichte, auch die Familiengerichte, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfolgen und beachten. Im übrigen werde ich der Überlegung gerne nähertreten, was evtl. getan werden kann, um der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die gebührende Berücksichtigung zu verschaffen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Frage 73 ist beantwortet.
Meine Damen und Herren, die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Ich beende die Fragestunde.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Erhöhung von Wertgrenzen in der Gerichtsbarkeit
— Drucksache 9/2106 —
Berichterstatter: Abgeordneter Gnädinger
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Der Berichterstatter wünscht das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hat in seiner 516. Sitzung am 29. Oktober 1982 beschlossen, zu dem vom Bundestag am 30. September 1982 verabschiedeten Gesetz zur Erhöhung von Wertgrenzen in der Gerichtsbarkeit, den Vermittlungsausschuß anzurufen. In seinem Anrufungsbegehren greift der Bundesrat alle Punkte seiner ursprünglichen Gesetzesinitiative wieder auf, mit Ausnahme des nunmehr konkretisierten Zeitpunkts des Inkrafttretens zum 1. Januar 1983.Im einzelnen handelt es sich um folgende Anrufungspunkte:Erstens. Die Erweiterung der Zuständigkeit des Amtsgerichts durch Anhebung der Streitwertgrenze in § 23 GVG von dreitausend auf sechstausend DM.Zweitens. Die Erhöhung der Berufungssumme aus § 511 a ZPO von fünfhundert auf eintausend DM.Drittens. Die Erhöhung der Beschwerdesumme in Kostensachen.Viertens. Die Erhöhung der Beschwerdesumme in § 14 der Hausratsverordnung von fünfhundert auf eintausend DM.Fünftens. Die Erhöhung der Beschwerdesumme nach dem Wohnungseigentumsgesetz und die Erhöhung von Wertgrenzen für Beschwerden in zwölf weiteren Gesetzen von jeweils einhundert auf zweihundert DM.Bei seinem Wunsch nach Erhöhung der Wertgrenzen für die Zuständigkeit des Amtsgerichts gegenüber dem Landgericht hat sich der Bundesrat von der wachsenden Belastung der Zivilgerichtsbarkeit leiten lassen. Nach seiner Ansicht sind die Landgerichte dabei besonders betroffen. Seit der letzten Anhebung der Wertgrenzen zum 1. Januar 1975 sei eine Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten um mehr als 30 % eingetreten. Dadurch seien immer mehr Streitigkeiten in den Zuständigkeitsbereich der Landgerichte hineingewachsen. Die Zahl der Eingänge und die unerledigten Sachen bei den erstinstanzlichen Zivilkammern der Landgerichte sei unverhältnismäßig viel höher als die entsprechende Zunahme bei den Amtsgerichten. Der Bundesrat will über die bloße Anpassung der Wertgrenzen an die allgemeinen Preissteigerungen hinaus ein ausgewogenes Gesamtgefüge in der Zivilgerichtsbarkeit wieder herstellen, indem er einen deutlichen Entlastungseffekt bei den Land-und Oberlandesgerichten erreichen will.Demgegenüber hat sich der Bundestag in seinem Gesetzesbeschluß nur zu einer Anhebung der Streitwertgrenze von dreitausend auf viertausendfünfhundert DM bereitgefunden. Er konnte sich an Hand des ihm vorgelegten und von ihm überprüften Zahlenmaterials sowie der daraus folgenden Einschätzung der zukünftigen Entwicklung nicht davon überzeugen, daß eine so starke Anhebung der Wertgrenzen erforderlich ist. Nach dem Beschluß des Bundestages sei nur eine Anpassung an die Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten seit dem Inkrafttreten des Entlastungsgesetzes er-
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Gnädingerforderlich, was eine Anhebung um eintausend DM bedeute. Der Bundestag war indes bereit, die Wertgrenze um weitere fünfhundert DM anzuheben, um einer künftig zu erwartenden Belastung der Landgerichte entgegenzuwirken.Der Deutsche Bundestag hat im übrigen die vom Bundesrat vorgesehene Erhöhung der Berufungssumme, der Beschwerdesumme in Kostensachen, der Beschwerdesumme in Verfahren nach der Hausratsverordnung und nach dem Wohnungseigentumsgesetz sowie der Erhöhung der Wertgrenzen in Kostenbeschwerden in zwölf weiteren Gesetzen nicht aufgegriffen. Nach seiner Auffassung bestand zu einer weiteren Änderung in diesem Gesetzgebungsverfahren kein Anlaß. Insbesondere hat sich der Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages gegen die Erhöhung der Berufungs- und verschiedener Beschwerdesummen deswegen gewandt, weil dadurch einzelne Geschäftsbereiche einer zweitinstanzlichen Überprüfung entzogen worden wären.Der Vermittlungsausschuß hat am 12. November 1982 den Gesetzesbeschluß und das Anrufungsbegehren beraten. Das Ergebnis liegt Ihnen in dem aus der Drucksache 9/2106 ersichtlichen Einigungsvorschlag vor. Dieser Vorschlag erhöht die vom Bundestag beschlossene Streitwertgrenze zwischen der Zuständigkeit von Amtsgericht und Landgericht von viertausendfünfhundert auf fünftausend DM. Angesichts der erneut vorgetragenen und erörterten Zahlen aus den letzten abgeschlossenen Geschäftsjahren und der erkennbaren Entwicklung im laufenden Jahr 1982 bei den Land- und Amtsgerichten hielt es der Vermittlungsausschuß für zweckmäßig, Ihnen eine weitere Erhöhung der Streitwertgrenze vorzuschlagen.Im Hinblick auf die starke Belastung der landgerichtlichen Berufungskammern schlägt Ihnen der Vermittlungsausschuß vor, in voller Kenntnis des daduch bewirkten Ausschlusses der Berufungsinstanz in kleineren Streitfällen die bisherige Berufungssumme von fünfhundert auf siebenhundert DM zu erhöhen.Weiter enthält der Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses die vom Bundesrat begehrte Erhöhung der Beschwerdesumme in Hausratsachen. Der Vermittlungsausschuß hält diese Änderung für vertretbar, weil bei Auseinandersetzungen zwischen geschiedenen Eheleuten um Wohnung und Hausrat in beachtlichem Umfang der Streitwert von eintausend DM erreicht werden wird, der zu einer Möglichkeit der Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung führt.Letztlich schlägt Ihnen der Vermittlungsausschuß vor, die Beschwerdesumme in Wohnungseigentumsstreitigkeiten, die im Jahre 1951 auf fünfzig DM bestimmt worden war, auf zweihundert DM zu erhöhen. Wenngleich es sich beim Streit um Maßnahmen der Wohnungseigentümergemeinschaft oder der Hausverwaltung nur um kleine Beträge handelt, erscheint dem Vermittlungsausschuß diese maßvolle Erhöhung nach mehr als 30jähriger Laufzeit des Gesetzes für vertretbar.In allen anderen Punkten konnte das Anrufungsbegehren des Bundesrates die Zustimmung des Vermittlungsausschusses nicht finden. Es bleibt in Kostensachen bei einer Beschwerdesumme von einhundert DM und in 12 weiteren Gesetzen, wie sie in Artikel 5 des Anrufungsbegehrens aufgezählt sind, bei einer Beschwerdesumme von ebenfalls einhundert DM.Ich darf namens des Vermittlungsausschusses bitten, dem Einigungsvorschlag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist.Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 9/2106 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist durch eine große Mehrheit entsprochen worden.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Grunderwerbsteuergesetzes
— Drucksache 9/251 —a) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 9/2126 —Berichterstatter: AbgeordneteWaltherHoppeCarstens
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksachen 9/2104, 9/2114 —Berichterstatter: AbgeordneteFeileDr. Langner
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden.Wird das Wort vom Berichterstatter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Langner.
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7974 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die alte Koalition nicht geschafft hat — die Koalition der Mitte verhilft dieser Initiative des Bundesrates zur Gesetzeskraft; ein Entwurf, der aus der Verwaltungserfahrung der Länder erwachsen ist, ein Entwurf, der von CDU-und SPD-regierten Ländern gleichermaßen eingebracht worden ist. Dabei bedaure ich die sachverständigen Kollegen der verehrten Opposition aus dem Finanzausschuß etwas, daß sie gegen bessere Facheinsicht hier ihr oppositionelles Nein sagen müssen;
denn, Herr Gobrecht, dieses Gesetz ist einfach sachdienlich.Sie begründen dieses Nein mit einem Zahlenspiel. Wer ein Haus kaufe — so sagten Sie — für 250 000 DM, der müsse jetzt 5 000 DM Grunderwerbsteuer zahlen; bisher habe er gar nichts bezahlen müssen.
Wer ein Haus für 700 000 DM kaufe, der zahle nur 14 000 DM; früher habe er 31 500 DM zahlen müssen.Was kann man aus diesen Zahlen eigentlich lernen? Was beweisen diese Zahlen wirklich?
— Diese Zahlen beweisen, Herr Conradi, erstens, daß Hauskäufe subventioniert worden sind, und zwar mit 5 000 DM. Sie beweisen zweitens, daß die Subvention begrenzt war, und sie beweisen drittens, daß ein ganz kleiner Rest wegen der 85 % Befreiungen aller Erwerbsvorgänge die gesamte Summe von etwa 21/2 Milliarden, die hier aufkommen, erbringen mußte.
Diese Fehlentwicklung, dieser Dschungel kasuistischer Befreiungen, die immer dicker werdenden Loseblattsammlungen, die Sie, Herr Gobrecht, genau kennen, und den über 1 000 Seiten starken Standardkommentar hierzu — das alles konnte sich überhaupt nur deswegen entwickeln, weil der grundsätzliche Fehler gemacht wurde, eine kleine Verkehrssteuer zur Wirtschafts- und Soziallenkung zu gebrauchen. Das wurde immer exzessiver, immer unüberlegter und immer unsystematischer.Dabei ist es doch die erste Aufgabe einer Steuer, Staatseinnahmen zu erzielen. Das Steuern mit Steuern mag man getrost den Ertragsteuern überlassen. Die Grunderwerbsteuer taugt jedenfalls hierzu nicht; denn ein Regelsatz von 7 % bei dieser Steuer ist viel zu hoch, da sie bei jedem Verkauf erhoben wird, also kein Vorsteuerabzugseffekt, wie bei der Umsatzsteuer, da ist. Schon nach zwei Verkäufen — zweimal 7 % — haben Sie 14 %. Das ist mehr als bei der Umsatzsteuer.Deshalb wurden auch im nichtbefreiten Bereich, vornehmlich im gewerblichen Bereich, künstliche Vertragsgestaltungen gewählt. Es wurde meist Pacht gewählt, wo eigentlich eine Eigentumsübertragung angebracht gewesen wäre.Wir meinen nun, daß ein Gesetzgeber, der die Verhältnisse so regelt, daß die Bürger nur durch komplizierte Vertragsgestaltungen wirtschaftlich sinnvolle Ergebnisse erreichen können, nichts taugt.
Deshalb diese Reform.
Umgekehrt ist ein Steuersatz von null überhaupt nicht einzusehen, wie sympathisch die einzelnen Befreiungen immer begründet gewesen sein mögen. Wer Grundeigentum erwirbt, ist in der Lage, eine mäßige, 2 %ige Besteuerung zu tragen.Wenn sie dem Erwerber nämlich nicht abverlangt würde, trüge sie indirekt die Allgemeinheit, also auch diejenigen, die gar kein Grundeigentum erwerben können. Und das ist immer noch die gute Hälfte der Bevölkerung. Ist das gerecht? Ich glaube: nein. Und soweit der Wohnungsbau zu subventionieren ist, wird er systemgerechter an anderer Stelle subventioniert.
Das neue, vereinfachte und gerechtere Grunderwerbsteuerrecht erlaubt uns, 68 Gesetze und Verordnungen sowie 131 Einzelvorschriften aufzuheben. 1 800 Finanzbeamte waren bisher damit beschäftigt, sich durch das Dickicht der Befreiungen hindurchzubeißen. Die Hälfte von ihnen, so kann man wohl schätzen, kann demnächst gut und gerne sinnvoller eingesetzt werden.
— Das glaube ich mit Sicherheit, Herr Gobrecht. — Bei den Finanzämtern hat man sich doch über Arbeit nicht zu beklagen.Die Eintragung von Eigentumsvorgängen in die Grundbücher kann jetzt viel schneller durchgeführt werden. Das neue Recht erlaubt ein Verwaltungsverfahren, bei dem der Notar den Scheck über die Steuer gleich an die Urkunde heftet und so dem Finanzamt weiterleitet. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung kann sofort erteilt werden. Zusätzlicher Formularkrieg erübrigt sich. Mancher Bauherr, meine Damen und Herren, wird die Tatsache, daß er vielleicht vier Wochen eher mit dem Bau beginnen kann, weil er schon Eigentümer geworden ist, für wichtiger erachten als die mäßige Besteuerung von 2%, die ihn beim Bauplatzerwerb schmerzt.Weil die Belastungswirkungen durch die Auswahl von Extrembeispielen oft sehr verzerrt dargestellt werden, will ich einmal den Normalfall zeigen: Wenn jemand ein Baugrundstück erwirbt, etwa 350 qm groß, wobei der Quadratmeter 100 DM kostet — was schon ein stolzer Preis ist —, und Baukosten von ungefähr 300 000 DM hat — unter denen geht es kaum mehr —, dann beträgt seine Belastung durch Grunderwerbsteuer 0,2 %. Wer ein fertiges Haus kauft, steht sich in vielen Fällen nach neuem Recht schon besser, nämlich ab einem Kaufpreis von etwa 350 000 DM, wofür man, leider, im groß-
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Dr. Langnerstädtischen Bereich schon nicht immer mehr ein Reihenhäuschen erwerben kann.
Die künftige gleichmäßige und mäßige Besteuerung des Grunderwerbs bedeutet vor allem die Wiedergewinnung eines Stücks Steuergerechtigkeit, meine Damen und Herren.
Ein verfassungsrechtlich bedenklicher Zustand wird beendet. Und Sie kennen die Klagen, die vorliegen.Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist bekanntlich eine Fundamentalnorm des Steuerrechts. Gleiches gilt für die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung. Je komplizierter aber die Fallgestaltungen sind, desto niedriger ist die Quote richtiger Tatbestandsfeststellungen. Je komplizierter das Recht, desto größer die Möglichkeit, durch sachkundige Beratung der Steuer auszuweichen. Dient das dem kleinen Mann? Ich glaube: nein. Je verzwickter die Rechtsfragen, desto häufiger Finanzgerichtsprozesse. Auch in Zeiten konjunktureller Schwäche sollte niemand auf die Idee kommen, daß das alles sinnvolle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wären. Die Menschen von unnötiger Bürokratie und von Prozessiererei zu befreien, das ist das einzig Produktive, und dem dient dieser Entwurf.
Herr Kollege Langner, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe nur noch zwei Minuten Zeit.
Bei der Reform haben wir darauf geachtet — wir mußten darauf achten —, daß eine aufkommensneutrale Lösung gefunden wurde; denn den Landkreisen und kreisfreien Städten geht es bekanntlich finanziell sehr schlecht. Sie sind auf die 2,5 Milliarden DM Einnahmen aus dieser Steuer dringend angewiesen. Im Durchschnitt verlieren sie nichts. Im Einzelfall mag es z. B. in Großstädten nicht ganz aufgehen. Den Kämmerern dieser Kommunen sei die gleichzeitig noch fließende Nachversteuerung für die nächsten fünf Jahre nach altem Recht ein gewisser Trost.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Übergang von altem zu neuem Recht ist klar, aber auch flexibel gestaltet. Die dankenswerten Veröffentlichungen der letzten Wochen haben die Betroffenen auf die Rechtsänderungen aufmerksam gemacht, so daß sich jeder einrichten konnte. Jetzt haben es alle am Grundstückserwerb Beteiligten leichter: die Notare, die Richter, die Finanzämter, die Makler, die Käufer und Verkäufer von Grundstücken. Nur die werden trauern, denen das bisherige komplizierte Recht Gelegenheit zu dicken Kommentaren gegeben hat. Wir aber wünschen uns noch viele Gesetze, die dicke Kommentare überflüssig machen. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Feile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein altes deutsches Sprichwort sagt: Nicht alles ist Gold, was glänzt.
In der Tat, Herr Kollege Dr. Langner, vermag ich den Glanz nicht zu teilen, den Sie dem neuen Grunderwerbsteuerrecht da eben verliehen haben. Ich komme noch darauf zurück.
Zunächst möchte ich allerdings sagen, daß ich es bedauere, daß es nicht zu einer gemeinsamen Lösung aller Fraktionen dieses Hauses gekommen ist. Die Möglichkeit dafür — das ist meine feste Überzeugung — bestand.
Im übrigen ist der heutige Tag Abschluß in dem Bemühen, das Grunderwerbsteuerrecht neu zu ordnen. In der Tat — das sagen auch wir — war die Reform fällig. Zweifellos ist die gegenwärtige Situation unbefriedigend. 68 Einzelgesetze, überwiegend der Bundesländer und 136 Rechtsvorschriften regeln dieses Recht in beeindruckender Länge. Sie sind alle im Gesetzentwurf angeführt. Nicht darin steht, daß die einzelnen Landesgesetze teilweise wieder voneinander abweichen, zum Nachteil der Bürger, wenn sie von einem zum anderen Bundesland wechseln. Dies alles ist uns bekannt.
Die Überlegungen zur Neuordnung der Grunderwerbsteuer haben, wie bekannt — das hätten Sie vielleicht dazu sagen können —, eine lange Vorgeschichte. Nicht neu sind auch die drei Lösungsvorschläge: erstens die Abschaffung der Grunderwerbsteuer, zweitens ein einheitliches Bundesgesetz mit radikalem Abbau der Steuervergünstigungen oder drittens ein einheitliches Bundesgesetz mit Verringerung der Vergünstigungen bei gleichzeitiger Senkung des Steuersatzes.
Augenblick, Herr Kollege. Meine Damen und Herren, darf ich bitten, die vielen Einzelgespräche im Saal einzustellen und nach Möglichkeit Platz zu nehmen.
Ich wiederhole: Erstens einheitliches Bundesgesetz, zweitens radikaler Abbau der Vergünstigungen bei gleichzeitiger Senkung des Steuersatzes und schließlich drittens, das, was als sogenannte mittlere Linie bekanntgeworden ist: einheitliches Bundesgesetz, Verringerung der Vergünstigungen bei gleichzeitiger Reduzierung des Steuersatzes.Die Haltung der SPD-Fraktion war und ist: Wir bejahen die Zusammenfassung aller Vorschriften in einem einheitlichen Bundesgesetz und damit einen Beitrag zur Rechtsvereinfachung. Mit Nachdruck stelle ich allerdings fest — hier widerspreche ich Ihnen, Herr Kollege Langner —, daß sich die ursprüngliche Erwartung, mit einer solchen Lösung könnte Personal eingespart werden, wohl nicht erfüllen wird. Die jetzt generell notwendig werdende Steuerveranlagung und Steuerfestsetzung nahezu aller Grunderwerbsteuervorgänge schließt nach meiner nicht ungeprüften Verwaltungserfahrung solches eigentlich aus. Das ist im übrigen ein
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7976 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
FeileGrund mehr für unsere Feststellung, daß die Reform zu teuer erkauft ist.
Unser zweiter Ansatz: Diese Reform kann nicht Anlaß sein, gezielte Teil- oder Vollbefreiungen von der Grunderwerbsteuer aufzugeben, steuerliche Präferenzen, die seinerzeit vielfach von allen Parteien bejaht wurden. Ich bedaure, daß dies jetzt aufgegeben wird.Deshalb haben wir in den Ausschußberatungen auch vorgeschlagen, erstens die Teilbefreiung von der Grunderwerbsteuer beim Kauf von Einfamilien- und Zweifamilienhäusern sowie Eigentumswohnungen, soweit sie eigengenutzt sind, beizubehalten. Wir meinen auch, daß es konsequent ist, die Freibeträge dem geänderten § 7 b anzupassen.Zweitens haben wir vorgeschlagen, den Erwerb von Grundstücken für den sozialen Mietwohnungsbau wie bisher von der Grunderwerbsteuer zu befreien.Drittens. Erwerbsvorgänge nach dem Städtebauförderungsgesetz sollten nach unserer Meinung ebenfalls von der Grunderwerbsteuer befreit bleiben.Viertens. Aus den Beratungen der Ausschüsse dieses Hauses haben wir die Empfehlungen einer Steuerbefreiung für Schwerbehinderte übernommen. Wir empfinden deren Ablehnung als einen seltsamen Nachhall zum eben vergangenen Jahr der Behinderten.
Außerdem haben wir den Vorschlag, den ich nachhaltig unterstützen will, übernommen, einen Steuersatz von 14 % dann vorzusehen, wenn beim Erwerb einer in Eigentum umgewandelten Mietwohnung der Erwerber nicht zugleich der Mieter ist.
Mit Hilfe dieser Veränderungen, die leider Ihre Zustimmung nicht fanden, wäre es möglich gewesen, das zu verhindern, was wir als soziale Schlagseite des Gesetzes bezeichnen, daß nämlich rund 80 % der Steuerlast, die jetzt durch Umverteilung gewonnen werden muß, durch den Wohnungsbau aufzubringen sind und — was Sie ja nicht leugnen können, meine Damen und Herren von der Union und von der FDP — sich die sowieso schon vorhandene Benachteiligung des Wohnungsbaus im steuerlichen Bereich damit noch weiter erhöht.Es kommt hinzu, daß die bisherige Vergünstigung beim Kauf von billigeren und in der Regel Einkommensschwächeren zugänglichen Altimmobilien aufgegeben wird. Ich wiederhole mein Beispiel, Herr Kollege Langner: Es ist für Sozialdemokraten nicht zumutbar und nicht zu verantworten, daß derjenige, der künftig eine gebrauchte Eigentumswohnung für meinetwegen 250 000 DM erwirbt, 5 000 DM Grunderwerbsteuer zu entrichten hat, während gleichzeitig — dies ist mein vielzitiertes Beispiel — beim Erwerb einer Villa für 700 000 DM eine Steuerersparnis von 17 500 DM eintritt. Dazu werden Sie Sozialdemokraten nicht bekommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Vorschlag hätte es auch nicht zugelassen, daß meinetwegen beim Ankauf von Mietobjekten zur gesamten Hand, wie man ihn vor allen Dingen in großstädtischen Regionen aus Spekulationsgründen durchaus feststellen kann, ein Steuergewinn in der Größenordnung von mehreren hunderttausend DM dann eintritt, wenn diese Objekte, was sicher im Interesse der Herren Erwerber liegt, nach einigen Jahren wieder veräußert werden. Wenn man auf diese Weise einen Steuergewinn von 250 000 DM erzielen kann und dies dann noch als Vereinfachung und als Reform bezeichnet wird, so kann ich dem — es tut mir leid — nicht folgen.Im übrigen bewirkt der Bundesratsentwurf mit tödlicher Sicherheit eine weitere Erhöhung der Mieten. Es ist hier die Zahl von 0,20 DM pro qm genannt worden. Ich halte dies allenfalls für die Untergrenze. Was bei der ganzen Betrachtung immer untergeht, ist nämlich folgendes. Steuersystematisch wird hier die alte Allphasenumsatzsteuer eingeführt, mit der Folge, daß es beim Wohnungsbau durchaus möglich sein kann, daß an Stelle von 2 % am Ende 4 % oder gar 6 % Grunderwerbsteuer anfallen.Im übrigen garantiert der Bundesratsentwurf — dies ist unbestritten — zwar die Aufkommensneutralität im ganzen Bundesgebiet, aber bei den einzelnen Stadtstaaten und einigen anderen Staaten tritt durchaus eine Minderung des Aufkommens ein. Es ist ein schlechter Trost, wenn man die Kämmerer dann darauf verweist, daß sie vielleicht andere Möglichkeiten hätten, die irgendwo in den Sternen stehen, um diesen Ausfall zu kompensieren.Ich fasse zusammen. Die eindeutige soziale Schlagseite, die erkennbare Umverteilung von unten nach oben veranlaßt uns, den Bundesratsentwurf abzulehnen. Wären Sie unseren Vorstellungen gefolgt, wäre dies alles, was ich vorhin aufgezählt habe, möglich gewesen. Auch wir hätten eine Vereinfachung erzielt. Es wäre sogar möglich gewesen, den allgemeinen Steuersatz von 7 % auf 5 %, beim Zusammennehmen aller Kräfte unter Umständen sogar auf 4 % zu senken. Damit wäre allen Beteiligten gedient gewesen. Es wäre zu einer maßvollen Steuersenkung gekommen, ohne daß die von uns nachhaltig befürworteten Grunderwerbsteuervergünstigungen, vor allem im Wohnungsbau, deshalb dem neuen Gesetz hätten zum Opfer fallen müssen. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gleich zu Anfang die große Zufriedenheit der FDP-Fraktion darüber zum Ausdruck bringen, daß die seit langem überfällige Reform der Grunderwerbsteuer durch die neue Mehr-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982 7977
Dr. Solmsheit in diesem Hause ohne Verzögerung zustande gekommen ist.
Die Grunderwerbsteuer war in ihrer bisherigen Form für die Betroffenen, die Grundstückseigentümer, die Verwaltungsbeamten, die Notare, die Finanzgerichte usw., nicht mehr zumutbar. Die Vielfalt der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Regelungen ist selbst für Fachleute heute nicht mehr überschaubar.Obwohl schon genannt, will ich die Fakten noch einmal aufführen, die zur Kritik am geltenden Recht geführt haben. Man muß es sich eben einfach mal auf der Zunge zergehen lassen, zu welchem Aberwitz an Vorschriftenwust die Besteuerung des Grundstücksverkehrs entartet ist.Das Grunderwerbsteuerrecht, ein einfacher unkomplizierter Besteuerungstatbestand, besteht aus 68 einzelnen Gesetzen mit zusätzlich 131 Einzelvorschriften, die noch dazu von Land zu Land dazu unterschiedlich sind. Wer soll da noch durchblikken?Von 100 Grunderwerben werden nur 15 besteuert. Von 100 % der Werte werden nur 20 % erfaßt. Kein Mensch hat hier noch einen klaren Überblick. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, ob hier die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, die durch die Verfassung geboten ist, noch gewahrt ist. Schon die Steuerreformkommission von 1971 konnte hierin keine Regelung mehr sehen, die mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu vereinbaren gewesen wäre. Ich zitiere wörtlich:Sie— die Kommission —hält es für nahezu grotesk, daß der gesetzliche Regelfall die Steuerbefreiung, die gesetzliche Ausnahme dagegen die Steuerpflicht sein soll.Die Kommission schlägt daher in ihrem Gutachten vor, das Problem durch einen drastischen Abbau der Steuerbefreiungen in Verbindung mit einer gleichzeitigen Senkung des Steuersatzes zu lösen.Die Vereinheitlichung durch Bundesgesetz ist infolge der Finanzverfassungsreform von 1969 möglich geworden. Nun folgt auf Initiative des Bundesrats das Parlament diesem Vorschlag der Reformkommission. Bereits 1979 haben die Finanzminister der Länder einmütig, d. h. ohne Gegenstimmen der SPD-geführten Länder, eine Vereinheitlichung der Grunderwerbsteuer gefordert. Selbst der damalige Bundesfinanzminister Matthöfer hat die Haltung der Länderfinanzminister seinerzeit gestützt.Der Finanzausschuß ist nunmehr dem Anliegen des Bundesrats mit geringfügigen Änderungen gefolgt. Die Grunderwerbsteuer wird vereinheitlicht. Der Steuersatz wird von 7 auf 2 % gesenkt. Die Befreiungstatbestände werden beinahe ausnahmslos abgeschafft.
Augenblick, Herr Kollege Solms! — Meine Damen und Herren, Sie helfen dem Redner erheblich, wenn Sie die zahlreichen Einzelgespräche im Saal einstellen und Platz nehmen.
In diesem Zusammenhang möchte ich anführen, daß die von der SPD-Fraktion und vom Herrn Kollegen Feile geforderten Ausnahmebestimmungen eben nicht zu einer so drastischen Steuersatzsenkung hätten führen können, sondern allenfalls zu einer Senkung des Satzes auf 4 oder 5 % geführt hätten und damit ein wesentlicher Anreiz zu dieser Gesetzesänderung verlorengegangen wäre.
Im übrigen glaube ich nicht, daß wir steuerliche Spezialgesetze wie ein Verkehrsteuergesetz auch als ein sozialpolitisches Gesetzeswerk auffassen dürfen. Ich glaube, die Steuerpolitik ist ohnehin mit zu vielen unterschiedlichen Zielen überfrachtet. Das erträgt die Steuergesetzgebung auf Dauer nicht. Gerade dadurch ist sie so unübersichtlich und für den Bürger unverständlich geworden.
Das von Herrn Feile angeführte und oft zitierte Rechenbeispiel, wie unsozial diese Änderung sei, läßt sich tatsächlich stark relativieren. Es ist doch so, daß schon heute alle gesetzlichen Möglichkeiten, wie dies von Herrn Langner schon angeführt worden ist, ausgenützt werden, um die Steuerbelastung mit Erfolg zu umgehen.Im übrigen habe ich hier einen Preisspiegel für Baugrundstücke und Eigenheime aus dem Jahr 1980. Daraus geht hervor, daß Eigenheime mit 150 qm und mehr bereits 1980 in allen Großstädten der Bundesrepublik mit mehr als 500 000 Einwohnern im Durchschnitt über 350 000 DM gekostet haben. Es tritt also in diesen Fällen auch nach dem neuen Gesetz in der Regel eine Steuererleichterung für die Betroffenen ein. Selbst in den Mittelstädten mit 50 000 bis 500 000 Einwohnern wird diese Zahl überwiegend überschritten, so daß auch hier keine zusätzliche Steuerbelastung bei den von Herrn Feile angeführten Betroffenen entstehen kann.
Mit der Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes können wir viele von uns allen geforderten Ziele durch eine einzige Maßnahme gleichzeitig verwirklichen.Erstens. Die Steuerbelastung wird in Zukunft alle Betroffenen gleichmäßig und ohne Ausnahme treffen. Damit wird dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung entsprochen. Das Gesetz wird nach meiner Meinung gerechter und nicht ungerechter. Das alte Gesetz hatte doch den Mangel, daß durch den Wunsch nach zu großer Gerechtigkeit die Wirkung des Gesetzes in Ungerechtigkeit auf Grund zu großer Zersplitterung und zu großer Undurchsichtigkeit umgeschlagen ist. Nur noch die Cleveren konnten die Ausnahmeregelungen für sich in Anspruch nehmen.Zweitens. Die Steuerbelastung wird für die Betroffenen der Höhe nach erträglicher. Das Steuer-
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Dr. Solmsaufkommen für die öffentliche Hand bleibt jedoch erhalten. Die Aufkommensneutralität ist voll gewahrt.Drittens. Die Steuerbeitreibung wird erheblich vereinfacht und auch billiger. Man schätzt, einigen hundert bis zu tausend Beamte können wichtigeren Aufgaben zugeführt werden. In einer Zeit, in der wir alle zusammen um zusätzliche Möglichkeiten der Verwaltungskosteneinsparung kämpfen, sollten wir auch eine solche Gelegenheit nicht zu gering schätzen.Viertens. Der bremsende Einfluß der siebenprozentigen Grundsteuerbelastung auf die Mobilität des Grundstücksmarktes wird erheblich eingeschränkt. Dadurch wird gerade für die mittelständische Wirtschaft ein zusätzlicher Schritt zur Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Möglichkeiten des Strukturwandels erreicht. Der Handwerksbetrieb, der aus der Zentrallage der Großstadt vertrieben wird — beispielsweise wegen Umweltbelastung oder weil er sich erweitern will und das in der Zentrallage nicht kann —, erhält so eine Gelegenheit leichter ein neues Grundstück in der Randlage zu erwerben. Damit ist die Reform ein Teil unserer konsequenten Politik, den Umstrukturierungsprozeß in der Wirtschaft zu erleichtern, um damit neue Arbeitsplätze schaffen zu können.Fünftens. Mit dieser Entscheidung können wir endlich einmal glaubwürdig nachweisen, daß wir das Versprechen ernst nehmen, die Gesetze einfacher und verständlicher zu machen, die Bürokratie abzubauen und der Bevormundung der Bürger durch den Staat entgegenzuwirken.
In seiner Regierungserklärung vom 24. November 1980, also vor genau zwei Jahren, hat Altbundeskanzler Helmut Schmidt ausgeführt — ich zitiere wörtlich —:Steuervereinfachung und Entbürokratisierung bleiben wichtige Ziele der Steuerpolitik. Die Bundesregierung rechnet hier mit der Unterstützung der Länder.
Meine verehrten Kollegen von der SPD-Fraktion, die Länder sind dieser Aufforderung in diesem Bereich offensichtlich gefolgt. Stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu und folgen Sie damit der von Ihnen oder von Ihrem damaligen Bundeskanzler verkündeten Zielsetzung!Die FDP-Fraktion unterstützt dieses einfache, gerechte und burger- wie verwaltungsfreundliche Gesetz. Sie sieht in seiner schnellen Beratung und Verabschiedung durch die neue Mehrheit dieses Hauses ein Signal dafür, daß Steuerpolitik vorurteils- und ideologiefrei betrieben werden kann. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt es, daß die vielberedete und längst fällige Grunderwerbsteuerreform nun endlich zum Abschluß kommt.
Ich meine, daß hier das Wort Reform einmal zu Recht am Platze ist. Das neue Grunderwerbsteuergesetz des Bundes bringt nicht nur eine Verwaltungsvereinfachung. Es beseitigt vor allem die unerträgliche Rechtszersplitterung, die wir auf diesem Felde haben. Es fördert mit einer weitgehenden Vereinfachung des Rechts auch die Rechtssicherheit. Hierin sieht die Bundesregierung außerdem einen spürbaren Beitrag zur Entlastung der Finanzgerichtsbarkeit. Ich habe mir sagen lassen, daß bei den Finanzgerichten teilweise ganze Senate bis zu zwei Dritteln ausschließlich mit Fällen aus dem Bereich der Grunderwerbsteuer beschäftigt sind. Das wird künftig entfallen.
Meine Damen und Herren, diese Vorteile der Neuregelung sind so überzeugend, daß demgegenüber die für manchen künftigen Grundstückserwerber eintretenden Nachteile in Kauf genommen werden sollten. Es liegt mir fern, diese Nachteile bagatellisieren zu wollen. Ich meine aber, daß diese Nachteile, die übrigens nicht immer nur den Grundstückserwerber treffen, zumutbar sind. Denn eine Reform der Grunderwerbsteuer ohne Belastungsverschiebungen ist nicht zu verwirklichen. Echte Steuervereinfachung hat ihren Preis.
Auch die vielempfohlene Beibehaltung einzelner Steuerbefreiungen wäre keine brauchbare Alternative zu der jetzt vorgesehenen Lösung gewesen. Gerade bei der Grunderwerbsteuer hat die Erfahrung gelehrt, daß mit jeder Steuerbefreiung der Keim für neue, meist unabweisbare Ausnahmen gelegt ist. Deshalb hätten wir mit einer solchen Regelung die Probleme der Grunderwerbsteuer nicht wirksam lösen können.
Ich meine, das Hohe Haus kann stolz sein, diese Reform heute bewältigt zu haben. Die neue Regierungskoalition hat bewiesen, daß sie rasch handlungsfähig ist.
Wenn Herr Fredersdorf im öffentlichen Leben noch voll aktiv wäre, würde er die neue Regierungskoalition heute loben.
Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 28, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den
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Vizepräsident Dr. h. c. Leberbitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? —
Stimmenthaltungen? — Die Mehrheitsverhältnisse werden angezweifelt, meine Damen und Herren.
— Meine Damen und Herren, es war schon immer so, daß Mehrheit glaubt, sie sei Mehrheit. Aber das Präsidium ist sich leider nicht schlüssig darüber, ob das eine Mehrheit ist. Wir müssen leider auszählen. Ich bitte Sie, den Saal zu verlassen.Sind alle Abgeordneten aus dem Saal? — Ich bitte, die Türen zu schließen. Ich bitte die Schriftführer, an den Türen Platz zu nehmen und die Stimmen zu zählen. Die Abstimmung ist eröffnet.Sind alle Stimmen ausgezählt? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte, die Türen zu schließen, und die Schriftführer, hierherzukommen.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 429, das Haus ist also beschlußfähig. Von diesen haben mit Ja gestimmt 262, mit Nein haben gestimmt 167;
enthalten hat sich niemand.
Damit sind die aufgerufenen Vorschriften in zweiter Lesung angenommen.
Die zweite Beratung ist geschlossen. — Meine Damen und Herren, wir sind in der Abstimmung, darf ich Sie um Ruhe bitten!Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen?
Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Lesung zweifelsfrei mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Börnsen, Catenhusen, Dr. Steger, Auch, Berschkeit, Fischer , Grunenberg, Ibrügger, Reuter, Frau Terborg, Vosen, Stockleben, Dr.-Ing. Laermann, Timm, Zywietz, Popp, Frau von Braun-Stützer, Frau Dr. Engel, Neuhausen, Beckmann, Funke, Dr. Haussmann und der Fraktion der SPD und FDPMikroelektronik— Drucksachen 9/1742, 9/1988 —Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Ich sehe, es erhebt sich kein Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort, wenn im Saal Ruhe eingetreten ist. Wer zuzuhören wünscht, soll hierbleiben, wer Gespräche führen will, den möchte ich bitten, daß er den Saal verläßt.Als erster Redner in der Aussprache hat der Abgeordnete Börnsen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anlaß für die SPD-Fraktion, zum Thema Mikroelektronik eine Große Anfrage zu stellen, war das Ziel, diese Herausforderung der Zukunft hier im Plenum des Deutschen Bundestages zu diskutieren. Wir erhoffen uns eine breite Öffentlichkeitswirkung, um die Diskussion zwischen Betroffenen, den Tarifparteien, innerhalb der Gewerkschaften, und in den Medien anzuregen und, wo es erforderlich ist, auch zu versachlichen.
In vielen Bereichen kann man heute manchmal — —
— Davon bin ich allerdings auch ausgegangen, daß dem Forschungsminister das Thema Mikroelektronik interessiert. Aber das scheint nicht ganz der Fall zu sein.
— Wir werden sehen, vielleicht entdeckt er sein Interesse noch.In vielen Bereichen kann man heute manchmal den Eindruck haben, als säßen wir wie ein Kaninchen vor der Schlange Mikroelektronik — in der Gewißheit, das Teufelsding wird uns beißen, wir aber, wie gelähmt, sind nicht fähig zu reagieren.Zweifellos steht unsere Gesellschaft vor der Einführung der Mikroelektronik. Wie die Antwort der Bundesregierung ausweist, deuten erste Schätzungen darauf hin, daß langfristig etwa drei Viertel der deutschen Industrie von Produkt- und Prozeßinnovationen durch die Mikroelektronik betroffen sein werden. Nicht umsonst also wird von einer industriellen Revolution gesprochen. Wir stehen aber vor diesem Umbruch. Das ist eine Herausforderung und eine Chance — eine Chance dann, wenn wir fähig sind, nicht nur zu reagieren, sondern auch zu agieren.Wir wollen und können diese neue Technologie nicht verhindern.Wir wissen, daß sich auch die Gewerkschaften in ihrer gesamten Geschichte niemals als Maschinenstürmer zur Verhinderung neuer Technologien ver-
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Börnsenstanden haben. Dies wird auch bei der Mikroelektronik nicht der Fall sein.Um so mehr aber ist es unsere Aufgabe, die zu erwartenden Auswirkungen abzuschätzen und zu prüfen, welche Weichen zu stellen sind, um nicht von der Technik überrollt zu werden. Handlungsbedarf ist vorhanden, ja, geradezu Handlungszwang. Wenn wir nur reden, wenn wir gar nur beschönigen, dann sind wir für die möglichen schlimmen Arbeitsmarktkonsequenzen mitverantwortlich.Um die Diskussion anzuregen, hat die SPD-Fraktion eine große Anfrage formuliert. Diese Anfrage konzentriert sich auf folgende Punkte: Zielsetzungen zur Förderung der Mikroelektronik, wirtschaftliche und soziale Veränderungen durch Entwicklung und Ausbreitung der Mikroelektronik, Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, zu erwartende Änderungen von Quantität und Qualität der Arbeit, der Arbeitsplätze und der Ausbildung, mögliche Konsequenzen aus der militärischen Anwendung der Mikroelektronik.Die Bundesregierung hat unter dem Datum vom 15. September geantwortet. Mit Verlaub gesagt: Die Antwort ist unbefriedigend, weil nichtssagend. Die Antwort ist zwei Tage vor dem Regierungswechsel im Kabinett beschlossen worden. Dies ist zweifellos bei der Bewertung zu berücksichtigen. Unsere Information, daß die Antwort in erster Linie vom Wirtschaftsminister formuliert wurde, sagt ein übriges. Wenn Sie von der CDU/CSU und insbesondere von der FDP heute die Inhalte der Antwort kritisieren wollen, dann seien Sie vorsichtig: Der Verursacher sitzt unter Ihnen.Die Antwort der Bundesregierung ist unbefriedigend, weil sie zwar die gegenwärtige Sachlage, bezogen auf die Wettbewerbssituation und die Förderprogramme korrekt darstellt, jedoch nur sehr allgemeine Aussagen zu den Fragen der Zukunftsbewältigung macht. Ich zitiere aus dieser Antwort:Wenn auch nach Meinung von Experten vom Einsatz der Mikroelektronik voraussichtlich keine Trendbrüche in der Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu erwarten sind, ist doch unstrittig, daß der hierdurch beeinflußte Strukturwandel neben Chancen auch Probleme aufwerfen wird. Von der Kooperation und Konsensbereitschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf Betriebs-, Unternehmens- und Tarifebene wird es abhängen, ob diese Probleme unter gleichzeitiger Nutzung der Chancen der Mikroelektronik bewältigt werden.Die Konsensbereitschaft der Gewerkschaften jedoch kann nur erreicht werden, wenn bereits bei der Ausformulierung der Förderprogramme, mehr noch bei deren Umsetzung, den Gewerkschaften auch ein Mitwirkungsrecht eingeräumt wird. Ich möchte dies konkret machen am Sonderprogramm „Anwendung der Mikroelektronik".Die SPD-Fraktion unterstützt nicht nur den Inhalt dieses Programms, sondern schätzt die Umsetzung durch das VDI-Technologiezentrum in Berlin auch sehr hoch ein. Gerade deswegen ist es höchst bedauerlich, daß z. B. von der IG Metall die Zusammenarbeit mit dem Forschungsministerium in den Bereichen angewandter Mikroelektronik — also damit auch die Zusammenarbeit mit dem VDI-Technologiezentrum — als außerordentlich schlecht bezeichnet wird.Es knüpft sich die Frage an, welche Schwerpunkte die künftige Förderung beinhalten soll. — Der Minister ist nicht da.
— Ich bitte um Nachsicht. Er ist in mein Blickfeld getreten.
Das Sonderprogramm Mikroelektronik wird drei Jahre laufen. Bereits heute wissen wir, daß die Software-Kapazitäten jedoch einen Engpaß darstellen. Auf deutsch gesagt: Die Maschinerie ist bekannt, die vielfältigen Möglichkeiten bedürfen intelligenter Steuerungstechniken, und die fehlen — nicht zuletzt, weil sie sehr kostenintensiv sind.Die Finanzierung künftiger Förderprogramme ist ein aktuelles Problem. Das ist uns klar. Aber die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, gerade den USA und Japan gegenüber, gebietet es, die Informationstechnologie als Förderschwerpunkt auszubauen. Wir fordern die Bundesregierung deswegen auf, bis zum 30. Juni 1983 ein neues Programm „Informationstechniken" vorzulegen, das die in unserem Entschließungsantrag formulierten Elemente berücksichtigt.Gerade der Vergleich mit den USA und Japan weist auf den technologischen Handlungszwang hin. In den USA wird die Entwicklung durch Militäraufträge gepusht, in Japan durch die MITI-Organisation von Industrie, Banken und Gewerkschaften. In der Bundesrepublik sind die Förderprogramme dagegen geradezu als niedlich zu bezeichnen, sowohl in ihrer Finanzausstattung als auch in ihrer Wirksamkeit. Wir brauchen in der Bundesrepublik aber vergleichbar wirksame Steuerungsinstrumente, um einen ähnlichen Technologiepush in Schwerpunktbereichen der Informationstechnologie zu erreichen. Wir würden diesen Push in die Zukunft z. B. erreichen durch forcierte Investitionen der Deutschen Bundespost in der Glasfasertechnologie, denn damit verbunden sind Folgeanwendungen für die Mikroelektronik durch den Einstieg in die Digitalisierung der Fernmeldetechnik. Deshalb auch unsere Kritik an der verantwortungslosen Kupferverkabelung durch den Bundespostminister. Er verhindert den konzentrierten Einstieg in die neue Technologie. Er blockt Märkte ab für die Industrie. Es werden einige Arbeitsplätze heute geschaffen, aber es werden viele Arbeitsplätze in der Zukunft gefährdet. An den Forschungsminister also die Forderung, sich den unsinnigen Kupferverkabelungsplänen zu widersetzen, wenn er es ernst meint mit der Zukunftssicherung durch moderne Technologie. Es geht nicht nur um Kabelinteressen oder um Privatfernsehen, es geht um die Konkurrenzfä-
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Börnsenhigkeit der deutschen Informations- und Kommunikationsindustrie in der Zukunft.Ich erwähnte die gute Arbeit des VDI-Technologiezentrums in Berlin. Ich meine, diese erfolgreichen Beratungskapazitäten sollten Anlaß zu Überlegungen geben, nach regionalen Anforderungen z. B. in der norddeutschen Küstenregion, im Ruhrgebiet und für die Betriebsstrukturen in Baden-Württemberg weitere Angebote zu schaffen, für die neben dem Forschungsministerium als Träger der VDI, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber angesprochen werden sollten.Die betriebsnahe Beratung hat sich beim Sonderprogramm Mikroelektronik sehr bewährt. Sie sollte als ein mögliches Modell angesehen und weiterentwickelt werden.Ziel muß die forcierte Anwendung der Mikroelektronik sein. Bedingung jedoch muß sein die verstärkte Berücksichtigung der Auswirkungen auf die betroffenen Arbeitsplätze. Bedingung muß auch sein, die Chance zu nutzen, durch moderne Technologien die Arbeitsplätze menschlicher zu gestalten. Das Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" unterliegt, wie wir wissen, gerade hier im Hause vielfältiger Kritik. Wenn ich einmal von vordergründigen Argumenten derer absehe, denen der ganze Humanisierungsansatz suspekt ist und überflüssig erscheint, dann bleibt die oftmals nicht ungerechtfertigte Kritik der Gewerkschaften, daß das HdA-Programm sich nur als Reparaturbetrieb für verkorkste Arbeitsbedingungen und Technologien verstehe. Uns erscheint es notwendig, die Zusammenarbeit zwischen HdA und dem Programm „Informationstechnologien" zu stärken, zu intensivieren, um, positiv ausgedrückt, belastungsmindernde Technologien bereits im Planungsstadium berücksichtigen und sichern zu können. Dies hieße nach unserer Überzeugung gleichzeitig, die Mitwirkungsrechte der Betriebsräte als gewählte Vertreter der Arbeitnehmer zu stärken: Mitwirkung bei der Planung neuer Arbeitsstrukturen, Mitbestimmung bei deren Umsetzung und Unterstützung dieses Planungs- und Umsetzungsprozesses durch HdA.Meine Damen und Herren, abgesehen davon, daß wir Sozialdemokraten den Mitbestimmungsgedanken aus Überzeugung vertreten, möchte ich an CDU/CSU und FDP appellieren, diese Forderung nicht sofort in den ideologisch umrahmten Abfallkorb zu befördern. Überzeugen Sie sich in den Betrieben, wie wertvoll die konstruktive Mitarbeit der Betriebsräte und Gewerkschaften an Projekten zur Humanisierung, zur Einführung neuer Technologien ist, wieviel unnötiger Konfliktstoff abgebaut wird, wenn Arbeitnehmern nicht nur die Folgen aufgebürdet werden, sondern wenn sie ihre Interessen selbst mitvertreten können, im Interesse ihres Arbeitsplatzes und damit im Interesse des gesamten Betriebes. Nicht nur vom notwendigen Konsens der Tarifparteien zu reden, sondern die Voraussetzungen für diesen Konsens zu schaffen ist unsere Aufgabe. Deshalb sollten auch die entsprechenden Artikel des Betriebsverfassungsgesetzes dahin gehend geändert werden, daß dem Betriebsrat verstärkt Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte bei der Planung und Umsetzung neuer Technologien eingeräumt werden.
Neben den technischen Ergänzungen und Weiterentwicklungen hängt der Einsatz der Mikroelektronik von der personellen Bewältigung durch Hersteller, Nutzer und Konsumenten ab. Wichtig ist dabei die Feststellung langfristig stabiler Qualifikationsinhalte für die Ausbildung. Angesichts der hohen Zeitkonstante im öffentlichen Ausbildungsbereich ist die flexible Ausbildung personeller Defizite zumindest fraglich, schwierig. Aber um so dringender ist der Handlungsbedarf.Mir liegt eine Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion vom 28. Juni 1982 vor, in der die damalige parlamentarische Geschäftsführerin und heutige Ministerin für Bildung und Wissenschaft zur Problematik des technischen Fortschritts am Beispiel der Mikroelektronik Stellung genommen hat; ich zitiere daraus:Durch die Mikroelektronik wird Arbeit und Kapital gespart, werden neue, bisher unbekannte Produkte entwickelt. Der Veränderungs- und Mobilitätsdruck nimmt ebenso zu wie die Notwendigkeit, aus diesem technischen Fortschritt Konsequenzen für die Ausbildung und vor allem für die Weiterbildung zu ziehen.Frau Ministerin Wilms ist heute aufgefordert, diese von ihr selbst genannten notwendigen Konsequenzen zu nennen. Wir sagen ihr Unterstützung zu und hoffen, bald Initiativen feststellen zu können. Wir sind auch bereit, Anregungen zu geben, um den Zeitverlust so gering wie möglich zu halten.Erforderlich ist z. B. ein wirkungsvolles Weiterbildungsangebot, gezielt für die Branchen und Betriebe, in denen Arbeitsplätze durch Mikroelektronik betroffen sein werden. Der Arbeitnehmer soll vor Verlust seines Arbeitsplatzes das Angebot einer qualifizierten Weiterbildung in seinem Betrieb erhalten.Erforderlich ist auch die Formulierung langfristig stabiler Qualifikationsinhalte für den Berufsbildungssektor und für die Hochschulausbildung, wobei das Weiterbildungsangebot sicherlich auch von den Lehrenden genutzt werden sollte.Erforderlich ist schließlich die Prüfung, ob zusätzlich zur Facharbeiterqualifikation und zum graduierten Ingenieur eine weitere Ebene, die des Technikers, wieder angeboten werden sollte, mit dem Ziel, die Kluft zwischen Betrieb und „Schreibtischtäter" zu vermindern.Meine Damen und Herren, Sie haben festgestellt, daß ich das Thema Arbeitszeitverkürzung inhaltlich nicht angesprochen habe; dies wird von meiner Kollegin Skarpelis-Sperk getan werden. Aber ich hoffe dennoch, das Thema genügend deutlich gemacht zu haben.Wir stehen am Beginn einer umwälzenden Entwicklung. Wir müssen handeln; ein Reagieren käme zu spät. Wir müssen Förderschwerpunkte für die Informationstechnologie weiterentwickeln, um die
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BörnsenWettbewerbsfähigkeit der Industrie auch von unserer Seite her zu sichern, und die Industrie ist aufgefordert, Trägheit zu überwinden und Risiken auf sich zu nehmen. Parlament und Tarifpartner müssen gemeinsam Voraussetzungen schaffen bzw. Möglichkeiten nutzen, um den Veränderungen am Arbeitsmarkt, im Betrieb und für den Arbeitsplatz gerecht zu werden. Wir bieten Ihnen unsere sachorientierte Mitarbeit an. Aber wir verlangen von Ihnen, von der Regierung, eigene Vorschläge und konkrete politische Initiativen zur Bewältigung dieser Probleme.Ich beantrage, unseren Entschließungsantrag an die Ausschüsse zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Maaß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke dem Kollegen Börnsen, daß wir in einem Punkt vollständig gemeinsamer Auffassung sind, und zwar in dem Punkt, daß die bislang erfolgte Förderung in ihren Ergebnissen relativ dürftig ausgefallen ist, und in dem weiteren Punkt, daß die beiden Stellungnahmen der alten Bundesregierung zum Thema Förderung der Datenverarbeitung und Informationstechniken sowie Mikroelektronik ebenfalls mehr als dürftig ausgefallen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erkenntnisse, daß technische Entwicklungen nicht unbedingt gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten, ist nicht neu. Die Ansicht, daß Mikroelektronik, Computer und Roboter die Arbeitswelt total verändern und zur Aufgabe ganzer Berufssparten führen, läßt viele im Lande mit Bangen an die Zukunft denken. Diese Angst zu schüren, wäre töricht. Wir sollten alle gemeinsam zur Versachlichung beitragen.Andererseits dürfte feststehen, daß ein Ausstieg aus dieser revolutionären Technologie für die Bundesrepublik Deutschland kaum mehr möglich sein wird. Die Abhängigkeiten vom Export und den Märkten der Welt sind zu groß. Wenn wir hier ausstiegen, würde das für unsere Wirtschaft, für unsere Sozialpolitik und für unsere Technik tödlich sein.Eine blauäugige Betrachtung, bei der man in der Öffentlichkeit nur mit Begriffen wie „Mikroelektronik gleich job killer" oder „Mikroelektronik gleich Job-Knüller" operiert, ist ebenfalls fehl am Platze. Hier muß mehr mit Inhalt gearbeitet werden.Ich darf, da der ursächliche Zusammenhang sehr, sehr deutlich ist, auf die beiden Antworten der Bundesregierung eingehen. Das eine ist die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema Förderung der Datenverarbeitung und Informationstechniken, das andere ist die Antwort der Bundesregierung aufGrund der Anfrage der SPD-Fraktion zum Thema Mikroelektronik.
— Herr Steger, lassen Sie mich ausreden. Sie haben nachher genügend Gelegenheit, zu antworten.Meine Damen und Herren, hier ist ein ursächlicher Zusammenhang zu sehen. Wir haben auch im Gespräch der Obleute und im Ausschuß darüber Einigkeit erzielt, hier im Verbund darüber zu reden, weil man eine isolierte Betrachtung nicht vornehmen kann. Es wäre töricht, wenn Sie sich jetzt davon distanzierten, Herr Steger.
Meine Damen und Herren, wir müssen in diesem Zusammenhang einfach einmal feststellen, daß wir neben dem Scherbenhaufen in der Finanzpolitik auch auf sehr, sehr miese Ergebnisse im Bereich der Förderung der Datenverarbeitung und vor allen Dingen der Informationstechniken zurückblicken müssen. Hier lassen Sie mich einen Punkt anschneiden, den ich schon im Ausschuß angesprochen hatte. Ich möchte ihn hier einmal öffentlich behandeln.Als die CDU/CSU-Fraktion vor gut einem Jahr den Antrag zu Datenverarbeitung und Informationstechnik eingebracht hatte, initiierte, welch Wunder, die damalige Bundesregierung sofort einen Gutachterauftrag an die Firmen SRI und Arthur D. Little, um 12 Jahre Förderpraxis aus dem Bereich Datenverarbeitung und Informationstechnik prüfen zu lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in 12 Jahren 3,5 Milliarden DM in den Bereich Datenverarbeitung und Informationstechniken hineingepumpt. Wir vergaben dann ein Gutachten in einer Größenordnung von rund 700 000 DM um Erkenntnisse als Grundstein für die Entwicklung weiterer politischer Entscheidungen zu bekommen. Was wir bekommen haben, ist bei weitem nicht das, was die Gutachter tatsächlich festgestellt haben. Die Forderung, die im Ausschuß gestellt und in die Öffentlichkeit getragen worden ist, berief sich immer wieder darauf. Wir möchten die gutachterliche Urfassung, den „Urfaust" sehen. Aber mit diesem „Urfaust" ist die alte Bundesregierung immer hinter dem Berge geblieben.
— Nein, nein, ich verdrehe keine Tatbestände.
— Herr Kollege Steger, es tut mir leid. Ich kann keine Zwischenfragen beantworten, weil ich nur eine begrenzte Redezeit habe. Aber Sie haben nachher Gelegenheit, zu fragen.
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Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen folgendes dazu sagen: Ich habe Informationen zu einer Vorpräsentation der Firmen SRI und Arthur D. Little, und was sich da auftut, ist mehr oder weniger erschreckend. Ich möchte einige Sätze davon hier in der Öffentlichkeit vortragen:Trotz Technologieförderung fiel die deutsche DV-Industrie und informationstechnische Industrie technologisch in wichtigen Bereichen zurück bzw. weiter zurück.Das steht auf Seite 24 der Vorpräsentation vom 20. Januar 1981. Warum hat man das dem Parlament verschwiegen?Eine weitere Erkenntnis:Es ist auch nicht nachweisbar, inwieweit diese Ergebnisse ohne die DV-Förderung der deutschen DV-Hersteller und privatwirtschaftlichen Nutzer oder durch andere Verwendung der Mittel erreicht worden wären. Um so schwerer wiegen die Probleme und Schwächen bei der Durchführung der Förderung der deutschen DV-Hersteller und der privatwirtschaftlichen DV-Nutzung: unzureichende Erkenntnisse strategisch relevanter Marktsegmente, unzureichende Koppelung der F & E-Förderung der deutschen DV-Industrie mit den wichtigen strategischen Maßnahmen, Unterbewertung der marktbezogenen Produkt- und Systementwicklung und der Anforderung der Kompatibilität mit IBM, Streuung der begrenzten Fördermittel über ein zu breites Spektrum von Vorhaben, zu geringe Priorität der Förderung von kommerzieller Standardsoftware-Entwicklung, unzureichende Kopplung der F & E-Förderung mit der Exportförderung.Hinzu kommt die Antwort auf die wichtige Frage, ob das Instrument der F & E-Zuschüsse geeignet war, die Programmziele zu erreichen. Die Anwort lautet Schlichtweg: nein. Begründung: „mangelhafter Erfolgsnachweis, Belohnung von Größe der geförderten Unternehmen, unklare Ergebnisverantwortung, begrenzte Verwaltbarkeit".Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte diesen Negativkatalog fortsetzen; ich tue es jedoch nicht.
Ich will nur noch feststellen, daß uns hier mit einer solchen Ignoranz vor dem Deutschen Bundestag nicht die Wahrheit gesagt worden ist.
— Herr Stahl, Sie können dagegen sprechen, wie Sie wollen, aber das ist die Tatsache.
Ich bitte den neuen Bundesminister für Forschung und Technologie, daß solche Machenschaften unter seiner Regie nicht mehr stattfinden.
Ich bitte, die Parlamentarier so zu behandeln, wie es ihnen zusteht, daß sie Informationen bekommen, die tatsächlich ermittelt worden sind. Letztendlich sind noch 700 000 DM Steuergelder für dieses Gutachten ausgegeben worden. Diesen Stil muß ich kritisieren.
— Das gehört mit dazu, Herr Roth. Das sollten Sie einmal lesen.Ich komme jetzt gern noch weiter auf die Mikroelektronik. Der Zusammenhang war deutlich festzustellen. Auch die Antwort der alten Bundesregierung — hier stimme ich mit dem Kollegen Börnsen überein — ist — —
— Na, Herr Roth, hören Sie auf!
Ich stimme mit dem Kollegen Börnsen darin überein, daß dieses Dokument ein Dokument der Hilflosigkeit ist. Man kann Nachdenken durch Antworten ersetzen, die man sich selber gibt. Diese Methode, die hier zur Anwendung gekommen ist, ist nicht mit unseren Überlegungen in Übereinstimmung zu bringen.Wir haben — das kann Herr Stahl bestätigen — gerade im Bereich der Förderung der Anwendung der Mikroelektronik mit dafür gesorgt, daß das 300Millionen-Programm und die Aufstockung um 150 Millionen DM stattgefunden haben. Wir haben es begrüßt, obwohl wir wissen, daß dieses Förderprogramm nicht das Optimum ist. Ich bin heute sehr behutsam und vorsichtig und sage nach einem Dreivierteljahr nicht gleich: hervorragende Förderung. Man kann die Förderung nicht daran messen, wie viele Mittel abfließen, sondern wir müssen erst einmal feststellen, was am Ende herausgekommen ist.
Ich möchte nur sehr grob auf die Schwachstellen der Antwort der Bundesregierung eingehen. Die alte Bundesregierung muß selbst einräumen, daß es zwar gelungen ist, im Bereich der Leistungsbauelemente gewisse Spitzenleistungen zu erreichen, daß es aber nach wie vor an der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und einer bedeutenden Marktsituation fehlt. In Zahlen liest sich dies so: Westeuropa nimmt 16 % der Weltproduktion im Mikroelektronikbereich auf, trägt aber durch eigene Herstellung nur 10 % bei. Noch düsterer sind die Zahlen für die Bundesrepublik. Sie kann sich nur zu 30% aus eigener Produktion versorgen. Die Importe nahmen im Zeitraum von 1975 bis 1980 pro Jahr um 30 % zu.
Die alte Bundesregierung muß selbst einräumen,daß die Software mit der raschen Entwicklung der
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MaaßHardware nicht Schritt halten konnte. Hier wird erneut ein Engpaß sichtbar. Dieser Engpaß wird auch bei der Förderung der Mikroelektronik deutlich. Wir müssen heute feststellen, daß wir zwar Gelder zur Anwendung der Mikroelektronik zur Verfügung gestellt haben, daß wir dies aber nicht in die Tat umsetzen können, weil uns die entsprechende Software und die entsprechende Beratungskapazität in den jeweiligen Betrieben fehlt. Hier ist ein Engpaß. Unterhalten Sie sich bitte mit Herrn Friebe vom Technologiezentrum!
Heute morgen kam von Herrn Steger der Vorwurf, die neue Bundesregierung sei für die Situation in der Unterhaltungselektronik verantwortlich.
Auch hierauf muß ich Ihnen antworten. In beiden Stellungnahmen der alten Bundesregierung findet man keinen Satz über die Unterhaltungselektronik.
Wir müssen feststellen, daß 13 Jahre Förderung im Bereich der Datenverarbeitung und Informationstechnik bei weitem nicht das gebracht haben, was man sich vorgestellt hat. Wir müssen abwarten, was die Mikroelektronikförderung uns bringt. Für ein künftiges verantwortliches politisches Handeln sind meiner Auffassung nach folgende drei Prämissen zu berücksichtigen.Prämisse 1: Aufgabe des Prinzips, Technologien anderer Nationen unbedingt nachvollziehen zu wollen, sozusagen das Rad zum zweitenmal erfinden zu wollen.Prämisse 2: Aufgabe des bisherigen Prinzips, Förderung von Hardware und Software getrennt vorzunehmen, anstatt sie als Ganzheit zu betrachten.Prämisse 3: Einschränkung der bisherigen stark ausgeprägten direkten Projektförderung und Hinwendung zur indirekten Forschungsförderung. Hierauf wird der Kollege Lenzer noch eingehen.Aus diesen drei Prämissen ergeben sich drei Schlußfolgerungen.Schlußfolgerung 1: Bündelung aller Forschungsressourcen unter Beteiligung aller pluralistischen Gruppen wie insbesondere der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Gewerkschaften, um der Bundesrepublik Deutschland den Anschluß an den internationalen Technologiestandard zu sichern und eine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu ermöglichen. Ich denke hierbei auch an folgendes Problem. Man sollte sich einmal überlegen. inwieweit eine Poolung von Vorentwicklungs- und Forschungsressourcen auf nationaler Ebene oder sogar auf europäischer Ebene möglich ist. Die Japaner beweisen es uns. Die Amerikaner haben das jetzt auch erfolgreich in Angriff genommen. Ein MITIsollte in der Bundesrepublik zumindest einmal geprüft werden, und es sollte studiert werden, ob hier nicht tatsächlich auch so etwas in Anwendung gebracht werden kann — eine Forderung, die in zunehmendem Maße auch aus der Wirtschaft kommt.
— Ich weiß. Herr Steger, kommen Sie mir hier nicht mit Investitionslenkung. Damit hat das nichts zu tun.
Schlußfolgerung 2: Erforderlich ist auch eine Forschungspolitik, die sich an den Gesetzen des Marktes orientiert, eine Forschungspolitik, die Versuche unternimmt, Marktnischen zu entdecken, und die nicht bloße Absicht, sondern den technologischen Erfolg honoriert. In diesen Kontext gehört auch, daß nicht nur die Größe eines Unternehmens Auswahlkriterium für die Förderung sein darf, sondern daß einzig das technische Know-how im Vordergrund stehen sollte. Das heißt im Klartext: Forschungsförderungspolitik muß sich auch an mittelständischen Unternehmen ausrichten.
Schlußfolgerung 3: Um diese Förderungspolitik umzusetzen, reicht die Bereitstellung finanzieller Mittel nicht aus. Hinzu kommen muß ein gesellschaftlicher Grundkonsens, der dem Einsatz neuer Technologien positiv gegenübersteht. Dies ist nicht nur Aufgabe der Bildungspolitik der Bundesregierung und der Länder, sondern insbesondere auch der Wirtschaft und vor allen Dingen auch unsere Aufgabe.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß — die Gewerkschaften sind vom Kollegen Börnsen in vielfacher Weise zitiert worden — ein Zitat des Vorsitzenden der IG Metall, Eugen Loderer, anführen, das er anläßlich eines Besuchs im vergangenen März in Washington gebracht hat. Ich zitiere:Die Entwicklung neuer Technologien ist der einzige Weg für unsere Wirtschaft, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.— Richtig! —Dabei dürfen wir keine Angst haben, wenn Arbeitsplätze der Rationalisierung zum Opfer fallen.— Richtig! —Dafür werden an anderer Stelle neue geschaffen.— Richtig! — Wir müssen mobiler werden.— Richtig! —Nur Idioten würden versuchen, den Fortschritt aufzuhalten.— Richtig! —
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MaaßDiesen Ausführungen ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Timm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich war ja vorgesehen, daß wir dieses Thema Mikroelektronik gemeinsam mit den Bereichen Informationstechnik und Datenverarbeitung diskutieren. Das wäre eigentlich auch logisch gewesen. Aber wir können jetzt nur in einzelnen Teilen darauf eingehen. Auch dieser kleine Teilbereich reicht ja schon aus, damit sich die Kollegen von der SPD einen Buhmann aussuchen, in diesem Fall wieder unseren Herrn Wirtschaftsminister. Herr Börnsen, in der Vorlage steht ja, wer sie erarbeitet hat. Ich glaube, wenn unser Wirtschaftsminister sie erarbeitet hätte, wäre das deutlich positiv zum Ausdruck gekommen.
Lassen Sie mich eine allgemeine Vorbemerkung machen. Solange es Menschen gibt, sind sie bemüht gewesen, sich durch Erfindungsgeist in den Nutzen immer neuer technischer Einrichtungen und Technologien zu setzen. Das wird natürlich auch in Zukunft so bleiben. Daß sich dabei eine Art Unterordnungsstruktur entwickelt hat, konnte so lange ohne sichtbare Folgen nach außen bleiben, wie es überhaupt noch etwas gab, was sich unterordnen ließ: Natur, Umwelt, Lebewesen. Seit geraumer Zeit ist der Unterordnungsspielraum gering geworden, wenn nicht aufgehoben. Technik, Wissenschaft und Technologie werden zunehmend benötigt, Folgen früherer Entwicklungen zu beseitigen. Es sieht so aus, als habe der Mensch begriffen, daß er nicht sich selber der Technik unterzuordnen hat, sondern diese für seine eigene Zukunftsvorsorge einsetzen muß.Der Leistungsstand unserer Technik, meine Damen und Herren, ist hoch, auch wenn in dem zur Debatte stehenden Teilbereich Mikroelektronik andere die Spitze anführen. Die Mikroelektronik ist aus dem technischen Fortschritt einfach nicht mehr wegzudenken. Ihre Vernachlässigung würde gleichzeitig Rückschritt bedeuten. Das meine ich auch im Sinne meiner Eingangsbemerkungen; aber darauf komme ich nachher noch zurück.Was wäre unsere Exportwirtschaft beispielsweise im Maschinenbau ohne Mikroelektronik! Ich will gar nicht zu den Sternen greifen und an die Raumfahrttechnik denken, obwohl es lohnenswert und vielleicht sogar sehr interessant wäre, gerade über die Raumfahrttechnik, die ja ein Förderer und Initiator dieser Feinsttechnik im eigentlichen Sinne ist, zu sprechen.Wir haben es in zunehmendem Maße mit wesentlichen Veränderungen zu tun, die durch die Einführung und Nutzung der Mikroelektronik zweifellos im wirtschaftlichen, aber auch im gesamten sozialen Bereich liegen. Unsere Wirtschaft hat die Potentiale der Mikroelektronik nach meiner Auffassung noch nicht ausgeschöpft. Ihre Wettbewerbsposition, die in Teilen gut bis sehr gut ist, kann durchaus verbessert werden, und zwar, wie ich meine, nicht nur mit staatlicher Förderung.Das Sonderprogramm Mikroelektronik-Anwendung hat den Weg erfolgreich gewiesen. Es gibt Kostensenkung bei der Produktion, Energieeinsparung und Mitteleinsparung. Je nach Engagement der verschiedenen Beteiligten gibt es Verbesserungen und Verschiebungen in Marktanteilen. Wer sich frühzeitig zu dieser neuen Technik bekannt hat und sie sich zunutze gemacht hat, hat dabei Vorteile verbucht. Wer sich von dieser neuen Technik ferngehalten hat, unterlag im schlimmsten Fall der Marktverdrängung.Einführung und Nutzung der Mikroelektronik haben neben der Verbrauchsanreicherung — leistungsfähigere Produkte bei günstiger Kostengestaltung — zur Automatisierung und infolge davon zur Leistungsausweitung geführt.In diesem Zusammenhang möchte ich schon einen kleinen Blick auf die neuen Kommunikations-und Informationstechniken richten. Dieser große Nutzungsbereich bedarf baldmöglichst einer Förderung im Sinne von Entscheidung. Das ist natürlich sinnvoll, um auch sicherzustellen, daß staatlich geförderte oder initiierte Forschung auf diesem Gebiet ihren Erfolg zeigt.Eine Vielzahl konkreter Forschungsergebnisse wartet auf die Umsetzung im Geräte- und im Produktionsbereich, ich meine, auch im Bereich der Humanisierung der Arbeitswelt. Denn eines ist mir deutlich geworden: Wenn man sich die Ergebnisse der Forschung in den verschiedensten Bereichen ansieht, dann muß man davon ausgehen, daß die Umsetzung in die Tat, in die Produktion, in die Nutzung sicher im Interesse der in Arbeit stehenden Menschen ist. Dafür gibt es viele Beispiele.Gleichzeitig werden neue Möglichkeiten der Wettbewerbsverbesserung eröffnet. Der Staat muß dazu die Rahmenbedingungen schaffen. Aber — ich glaube, in diesem Fall besteht Übereinstimmung — er muß sie bald schaffen. Die Einführung der neuen Glasfasertechnik, auch die Frage des Postmonopols im Endgerätebau sind nur einige Stichworte. Im institutionellen Bereich, im Dialogverkehr — wegen der Zeit- und Kosteneinsparung — bis hin zur Energieeinsparung gibt es Möglichkeiten, diese neue Technik umzusetzen. Ich denke dabei ziemlich zuletzt an Rundfunk und Fernsehen.
— Auch da, selbstverständlich. Aber ich denke erst einmal in den Kategorien unserer wirtschaftlichen Bezüge.
— Wer so denkt, das ist eine andere Sache. Aber das ist nicht meine Denkrichtung.
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Timm— Ich bin den Notwendigkeiten unserer Wirtschaft und unseren Menschen treu, die in dieser Wirtschaft arbeiten, damit sie alle in der Zukunft ihre Arbeitsplätze haben und ein ausreichendes Einkommen erzielen können.
— Das haben Sie uns ja leider verbaut. Das lag bei Ihnen.
Aber ich wollte mich nicht über den vor die Tür gesetzten Stuhl unterhalten.Es gibt einige einschneidende Veränderungen im gesamten sozialen Bereich. Der ist ja auch schon angesprochen worden. Die in und mit den neuen Techniken arbeitenden Menschen müssen eine Veränderung der qualitativen Anforderungen über sich ergehen lassen. Das gilt sowohl bei der Produktion als auch bei der Nutzung dieser Einrichtungen. Es gibt Änderungen der Tätigkeitsmerkmale, es gibt andere Arbeitsinhalte, es gibt unter anderem auch eine andere Arbeitsplatzverteilung. Letzteres könnte, insbesondere unter Anwendung neuer Kommunikationstechniken, sicherlich sogar zu Strukturverbesserungen führen, d. h. zur Verteilung von Arbeitsplätzen in strukturschwache Gebiete hinein. Das ist allerdings eine Zukunftsperspektive; aber immerhin, wir unterhalten uns ja unter anderem auch über Zukunft.Leider gibt es durch die zunehmende Anwendung der Mikroelektronik auch das Arbeitsplatzrisiko. Das gilt ganz besonders für die Berufsgruppen, die ungelernten oder angelernten Arbeitnehmern überlassen sind. Die Arbeitsplatzverdrängung ist insbesondere in diesem Bereich groß; sie ist auch bei den sogenannten traditionellen Frauenarbeitsplätzen groß. Das bereitet Sorge. Ich meine, hier muß sichergestellt werden, daß durch ausreichendes Bildungsangebot Möglichkeiten der zusätzlichen oder auch der nachträglichen Ausbildung geschaffen werden, dies sowohl innerbetrieblich als auch außerbetrieblich. Ich sehe darin eine Chance und vor allem auch einen Anteil an der Humanisierung am Arbeitsplatz. Auch wenn aus einschlägigen Studien hervorgeht, daß von einer Arbeitslosigkeit durch Technologie nicht gesprochen werden kann, ist in vielen Berufssparten eben doch ein Arbeitsplatzabgang zu verzeichnen. Dieser kann insbesondere in einer so schwierigen Situation wie der, in der wir uns derzeit befinden, nicht so schnell durch Strukturveränderungen aufgefangen werden. Hier spielt eben dann doch, meine ich, die Bildung und Ausbildung im weiteren eine große Rolle.Auf der positiven Seite ist dabei sicherlich zu vermerken, daß das, was wir derzeit in diesem Bereich schon verändert haben oder verändert vorfinden, einer Qualitätsverbesserung der Arbeitsplätze gleichkommt, auch ein Anteil zur Humanisierung.Die neuen Technologien führen sowohl in der Produktion als auch in der Anwendung zu einer verhältnismäßig großen Verschiebung im Berufsbereich. Das heißt, die Produktionsberufe werden prozentual weniger — jedenfalls die herkömmliche Art —, und die Dienstleistungsberufe werden mehr. Das mag daran liegen, daß eben auch bei der Produktion und bei der Anwendung der Mikroelektronik immer mehr ein gewisser Anteil von Serviceleistung in den Vordergrund tritt. Ich meine, daß das nicht unbedingt negativ sein muß; es kann auch ein Element der Verbesserung für die im Arbeitsleben Tätigen sein.Die Veränderungen am Arbeitsmarkt bergen also sowohl Chancen als auch Probleme in sich. Die negativen Folgen der Anwendung neuer Techniken, also Rationalisierungsfolgen, können unter anderem durch Bedarfssteigerung und Erschließung neuer Verbrauchsmärkte abgebaut werden. Daß noch ein hoher Bedarf vorhanden ist, wird ja von allen Fachleuten bestätigt. Die hohe Qualität der Produkte der Mikroelektronik trägt im übrigen dazu bei. Die Veränderungen am Arbeitsmarkt sind aber nur verkraftbar im Konsens der am Arbeitsprozeß Beteiligten. Ich bin der Auffassung, daß unsere Arbeitsverfassung hierfür sehr wohl weitestgehend die Voraussetzung bildet. Insbesondere die mittelständische Wirtschaft ist berührt. Sie ist der Hauptanwender und hat auch noch den größten Bedarf. Dafür sind zunehmend unsere Beratungsmöglichkeiten — einige sind hier schon von den Kollegen angesprochen worden — zu nutzen oder auszubauen.Ich raffe meine Ausführungen jetzt etwas, weil die Redezeit zu Ende geht. Der Wettbewerb ist verbesserungsfähig. Mit Hilfe der Mikroelektronik ist wirtschaftlichere Produktion möglich. Das heißt, auch die Wettbewerbsfähigkeit ist gegeben. Ein wesentlicher Bestandteil ist die zitierte Software, ein altdeutsches Wort, daß für „weiche Ware" oder Geist in diesem Zusammenhang gelten darf. Sie ist Mangelware, weil sie kostenträchtig ist und ein großes Wissen voraussetzt, ein Punkt, über den wir im übrigen schon an anderer Stelle diskutiert haben. Die Software bedarf eben doch der konsequenten Förderung.Sozialpolitik und Bildung müssen in diesem Zusammenhang Hand in Hand gehen. Es geht um höchste und verbesserte Qualifikation. Das bedarf einer verbesserten Grund- und Erstausbildung und einer Erweiterung der Weiterbildung und der Erwachsenenbildung. Ich halte es für eine Notwendigkeit, daß man unsere moderne Technologie, unsere Wissenschaft und Forschung und die Bildung insgesamt in einen geschlossenen Rahmen stellt und nicht das eine und dann das andere betrachtet und anschließend versucht, dazwischen die Wege zu finden.
Die Zukunftsvorsorge ist der größte Abnehmer unserer neuen Technologie, ob es nun um die Energieeinsparung, um Gewässerschutz, um Abgasentgiftung oder um die Medizin geht. Vielfältige Beispiele zeigen, daß die neue Technologie derartige Maßnahmen erleichtert und wesentlich dazu beitragen kann, unsere Zukunftsvorsorge zu gestalten. Da hier im allgemeinen bisher nicht soviel getan wor-
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Timmden ist, kann man davon ausgehen, daß in diesen großen Aufgabenfeldern Mikroelektronik mit Sicherheit neue Arbeitsplätze schafft. Hier kann der Mensch nämlich sein ganzes technisches Wissen in den Dienst seines eigenen Überlebens stellen und sich die Technik dabei zunutze machen; anders als früher kann er das — damit bin ich im Grunde wieder am Anfang meiner Ausführungen.Wir unterstützen die Bemühungen, durch Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, durch gezielte Förderung allgemein nützlicher Entwicklungen die neue Technologie in den Dienst der Menschen zu stellen. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster Redner hat das Wort die Abgeordnete Dr. Skarpelis-Sperk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Maaß hat hier in Optimismus gemacht und davor gewarnt, Angst vor dem Jobkiller Mikroelektronik zu schüren. Nun, ich glaube, so einfach kann man es sich mit diesem Problem nicht machen, denn daß das Problem „Jobkiller Mikroelektronik" so weit und mit einer zunehmenden Heftigkeit in der breiten Bevölkerung diskutiert wird, steht wesentlich im Zusammenhang mit zwei Sachverhalten: erstens mit der zunehmenden Geschwindigkeit der Anwendung von Mikroelektronik-Bausteinen in den verschiedenartigsten technischen Geräten und in der zunehmenden Verbreitung dieser neuen Techniken über nahezu alle Branchen hinweg und zweitens mit der Weltwirtschaftskrise, die für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland die schwerste Beschäftigungskrise seit ihrem Bestehen gebracht hat.Monokausale Erklärungsversuche für diese Krise sind sicher unangebracht und helfen vor allem bei der Suche nach Lösungen nicht weiter. Es ist aber sicher richtig, daß einer der wichtigen Gründe die langfristige und konstant hohe Produktivitätsentwicklung ist, der an vielen Stellen kein Bedarf an zusätzlicher Produktion gegenübersteht.Diese Tatsache ist mittlerweile fest im Bewußtsein nicht nur der einschlägigen Fachwelt, sondern auch in immer breiteren Kreisen der Bevölkerung verankert. Nicht nur bei Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, sondern bei Hunderttausenden, ja Millionen Menschen werden die Arbeitsplatzkonsequenzen diskutiert. Immer mehr Arbeitnehmer und solche, die es werden wollen, fühlen sich betroffen, und immer stärkere Publizität gewinnen Prognosen, die massive Arbeitsplatzverluste in den nächsten Jahren durch die neuen Technologien, vor allem durch die Anwendung der Mikroelektronik, voraussagen.So befürchtet z. B. die Industriegewerkschaft Metall bis zum Jahre 1990 Arbeitsplatzverluste allein im Bereich der Automation der Montage in Höhe von 200 000 Beschäftigten, im Bereich der Automation der Teilefertigung in Höhe von 150 000 Beschäftigten, bei computergestützten EntwicklungsKonstruktions-, Planungs- und Steuerungssystemen in Höhe von 100 000 Beschäftigten und im Bereich der Textverarbeitung im Büro in Höhe von immerhin 200 000 Beschäftigten allein im Organisationsbereich der IG Metall.Nun kann man diese Zahlen vielleicht für überschätzt halten,
Tatsache ist, daß die IG Metall — meines Erachtens zu Recht — den größten Teil der Arbeitsplatzverluste auf das Konto der Mikroelektronik bucht.So stark umstritten auch die prognostizierte Höhe der Arbeitsplatzverluste im Bereich der informationsintensiven Tätigkeiten ist, so ist doch unumstritten, daß der größte Rationalisierungsschub in diesen Branchen und Berufsgruppen erfolgen wird und daß in diesem Tätigkeitsbereich, dem immerhin 10 Millionen Arbeitsplätze zuzuordnen sind, etwa die Hälfte aller Arbeitsplätze betroffen sein wird. In welchem Ausmaß und ob sie ganz oder teilweise wegfallen werden, ist noch offen. Betroffenheit heißt für mich nicht nur Freisetzung, d. h. Arbeitsplatzverlust — der vom DGB in diesem Bereich auf ca. 2 Millionen Arbeitsplätze geschätzt wird —, sondern auch Umsetzung, Verlust an Einkommen und Status, Verlust an Qualifikation.Hauptbetroffene werden Frauen sein. Das ist offensichtlich im Bereich Dienstleistungen und Verwaltungen, aber auch bei der Automation der Montage, in Teilbereichen der Fertigung und besonders in der Industrieverwaltung.Von Arbeitgeberseite und von seiten der interessierten Anwender in der Industrie, im Dienstleistungsbereich und in der Verwaltung, aber auch bei der Regierung wird das Problem möglicher massiver Arbeitsplatzverluste heruntergespielt. Die interessierte Arbeitgeberseite spricht von neuen Wachstumsfeldern und verbesserten Absatzchancen neuer Produkte.
Die Regierung — sowohl die Antwort auf die Anfrage als auch der Bundeswirtschaftsminister — relativiert das Problem mit der sibyllinischen Anmerkung, der technische Wandel werde voraussichtlich in den nächsten Jahren keine bruchartigen Entwicklungen mit dramatischen Folgewirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt herbeiführen, und erläutert, globale Aussagen über Beschäftigungswirkungen dieser technologischen Entwicklungen seien nur sehr begrenzt möglich und mit großer Unsicherheit behaftet.Das ist bei nahezu allen Prognosen auch sicher richtig. Es mag auch für Wissenschaftler sinnvoll sein, solche Anmerkungen zu machen. Für die breite Masse der Betroffenen — nach Umfragen fürchten mehr als die Hälfte aller Bundesbürger um ihren Arbeitsplatz — ist das kein Trost, ist es vor allem auch keine Aussage, die die Befürchtungen dieser Menschen unberechtigt erscheinen läßt, vor allem dann, wenn man sich jene Untersuchun-
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Frau Dr. Skarpelis-Sperkgen genauer ansieht, auf denen die Aussagen der Bundesregierung fußen. Natürlich hat es auch in der Vergangenheit erhebliche Produktivitätszuwächse durch technischen Wandel gegeben. Sie waren übrigens mit durchschnittlich 5,5 % pro Jahr erstaunlich konstant,
und immer schon war gesamtwirtschaftlich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts hinter der Produktivitätsentwicklung zurückgeblieben. Der Rückstand war aber so gering, daß er durch den Rückgang der Arbeitszeit je Erwerbstätigen aufgefangen werden konnte; teilweise kam es sogar zu einer Zunahme der Erwerbstätigenzahl.Eine wichtige Rolle hat dabei der tertiäre Sektor gespielt, der insbesondere in den 60er und 70er Jahren den Personalabbau in den anderen Sektoren — vor allem bei der Produktion — auffing. Nach übereinstimmender Meinung aller Experten — gleich welchen Interessenhintergrundes — wird allerdings in Zukunft mit einer solchen Auffangfunktion des tertiären Sektors nicht mehr zu rechnen sein, eher mit deutlichem Stellenabbau.Darüber hinaus beruhen alle Aussagen über relativ geringe negative Beschäftigungseffekte, auf die Sie sich so gern berufen, entweder auf Untersuchungen über den Zeitraum von 1973 bis 1980 bzw. 1976 bis 1980 — in diesem Zeitraum hatte der Einsatz der Mikroelektronik gerade erst eingesetzt; Relevanz für die bundesrepublikanische Wirtschaft bekam der Mikroprozessor erst ab 1976 — oder aber auf Untersuchungen wie etwa der vielzitierten Prognos-Studie, die allerdings nur deswegen keinen revolutionären Einfluß der technischen Entwicklung unter Einschluß der Mikroelektronik erwartete, weil u. a. die gewachsenen Strukturen des technischen, ökonomischen und sozialen Systems auch künftig einer schlagartigen Durchsetzung neuer Technologien entgegenstünden, nicht aber, weil das technische Potential es nicht gestatte.Nun waren diese Aussagen sicherlich zu dem Zeitpunkt, zu dem sie gemacht wurden, richtig. Aber mittlerweile ist offensichtlich, daß sich die Diffusionsgeschwindigkeit deutlich erhöht hat. Sichtbar wird dies — um nur zwei Beispiele zu nennen — im Bereich der CNC-Werkzeugmaschinen und im Bereich der mikroelektronischen Datenverarbeitung im Büro, wo gegenwärtig die Investitionen zu greifen beginnen, so daß ein Personalabbau unmittelbar zu erwarten ist.Zusätzlich erhöht sich in der Krise der Rationalisierungsdruck auf die Verwaltungs- und Dienstleistungsbereiche. In der Produktion sind j a nicht mehr sehr viele Rationalisierungslücken zu finden. Wo sie noch vorhanden sind, wie in der Montage und Fertigung, werden sie im Moment sehr konkret angegangen. Es bleibt also nur noch der Gemeinkostenbereich: Verwaltung, Dienstleistung. Und da wird denn auch rationalisiert. Nur gibt es nun kein Auffangbecken mehr, und Umsetzungen sind kaum mehr möglich, so daß Entlassungen anstehen, und das auf breiter Front.Als Auffangbecken bleiben noch die Herstellung der mikroelektronischen Produkte, vor allem der neuen Konsumgüter, und der generell erwartete Wachstumsschub.Schauen wir uns diesen Wachstumsschub aber doch mal an. Wenn das richtig wäre, müßte das Wachstum doch zuerst bei den Herstellern dieser Produkte auftreten. Hier zeigt uns aber die Strukturberichterstattung, und dort die IFO-Studie, daß vielmehr eine Abnahme von immerhin 56 000 Arbeitsplätzen zu erwarten ist. Dies ist nicht zuletzt deswegen ein Problem, weil ein Teil der Produkte lediglich Substitutionsprodukte sind, z. B. elektronische Uhren, Fernschreiber, Schreibmaschinen, und weil wegen einer geringen Fertigungstiefe sehr rationell gefertigt werden kann.Daß das Rationalisierungspotential der Mikroelektronik das Wachstumspotential dieser Technik weit übersteigt, möge ein Beispiel verdeutlichen: Wenn 10 000 Arbeitskräfte die mikroelektronischen Elementbausteine herstellen, dann bauen 100 000 diese in Geräte ein, und ca. einer Million Menschen wird damit der Arbeitsplatz rationalisiert. Damit ist klar, wie hoch das Rationalisierungspotential über dem Wachstumspotential liegt.
Auch bei den langlebigen Konsumgütern ist ohne Umverteilung zugunsten der unteren Einkommensschichten — gegen die diese Rechtskoalition ja deutlich ist — wegen der hohen Marktsättigung kein großer Wachstumsschub zu erwarten.Wo soll denn dann der Strom der „Freigesetzten" hin? Wo soll er denn Beschäftigung finden?
Das Auffangbecken privater Verbrauch? Nun, da war die Beschäftigung ja schon im vergangenen Jahrzehnt rückläufig; und damals gab es noch kein sinkendes oder stagnierendes Realeinkommen.Das Auffangbecken öffentlicher Sektor? Für die Zukunft sehe ich dort nur dann Chancen, wenn der jetzige Kurs von Bund, Ländern und Gemeinden sich ganz grundsätzlich ändert.Das Auffangbecken Export? Nur sehr große Optimisten erwarten hier — bei nur sehr schwach steigendem bzw. stagnierendem Welthandel und deutlicher Neigung zum Protektionismus — eine weitere Expansion.Können Sie denn unter diesen Umständen nicht verstehen, daß die Betroffenen oder diejenigen, die fürchten, daß sie betroffen sein könnten, nicht zu Propagandisten dieser neuen Technologie werden?
Ist es angesichts der Beschreibungen denn nicht einsichtig, daß massive Ängste entstehen und die Betroffenen die Einführung neuer Technologien zu blockieren suchen, vor allem dann, wenn sie und
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Frau Dr. Skarpelis-Sperkihre Vertreter weder vor noch bei der Einführung der Technologien informiert und vor allem beteiligt werden?
Daß so etwas keine illusionäre Forderung ist, zeigen übrigens bereits gewonnene Erfahrungen im Rahmen des von meinem Kollegen Börnsen genannten Programms „Humanisierung des Arbeitslebens".
Es ist von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden, wie wichtig zum Erhalt unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Einsatz neuer Technologien und damit auch der Mikroelektronik ist.
Das ist gar nicht zu bestreiten. Wir können es uns als ein auf den Export angewiesenes Land auch angesichts der negativen Beschäftigungswirkungen gar nicht leisten, den technischen Wandel zu behindern oder gar zu verhindern.
Wir sind in wichtigen Konkurrenzbereichen zwischen den USA und Japan „eingeklemmt" und können uns hier von der Weltentwicklung nicht abkoppeln, aber über das Wie, in welchem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld dieser technische Wandel mit den Betroffenen und nicht gegen die Betroffenen eingeführt wird, sollten wir uns mehr als nur ein paar Gedanken machen.
Die Erfahrung zeigt, daß der Innovationsprozeß nicht mehr alleiniges Privileg der Unternehmensführung ist.
Mitarbeiter mit hoher beruflicher Qualifikation gewinnen hier zunehmend an Einfluß. Sie erkennen schnell die Gefahren für ihre eigene Position, ihre Qualifikation, ihren Arbeitsplatz. Wenn man aber dem einzelnen das Arbeitsplatzrisiko individuell auflädt und wenn er keine beruflichen Perspektiven für sich im Unternehmen oder auch allgemein am Arbeitsmarkt sieht, dann darf man sich nicht wundern, wenn der einzelne Mitarbeiter die Gefahren eventueller technischer und organisatorischer Änderungen für seine Position und seinen Arbeitsplatz abschätzt und versucht, Entwicklungen zu verzögern oder gar zu blockieren. Wohin das führen kann, zeigen uns die Erfahrungen anderer Industrieländer.Die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung — sei es nun über Arbeitszeitverkürzung, sei es über Beschäftigungsprogramme, die wir Sozialdemokraten immer wieder gefordert haben und weiter fordern werden —
ist nicht nur aus menschlichen und sozialen Gründen eine dringende Notwendigkeit, sondern auch weil klar sein sollte, daß nicht Sanktionen, nicht die Angst vor Arbeitslosigkeit Menschen zu hohen Leistungen motivieren, sondern, wie die Vergangenheit gezeigt hat, der gemeinsame Wille zum Aufbau einer sozialen und gerechten Gesellschaft, der Wille, gemeinsam und solidarisch auf die Lösung von Problemen hinzuarbeiten und gemeinsam auch Lasten zu tragen.Dieser gemeinsame Wille, der soziale Konsens, wird nur dann erreichbar sein, meine Damen und Herren, wenn wir durch massive Arbeitszeitverkürzungen verhindern, daß ein Teil der Bevölkerung durch zerstückelte, immer intensivere, immer kontrollierte Arbeit belastet wird, während der andere Teil der Bevölkerung psychisch und physisch zerbricht, weil er nicht arbeiten darf.
Frau Kollegin, ich will Ihren Redefluß ja nicht unterbrechen, aber Ihre Fraktion hat eine wesentlich geringere Redezeit für Sie angemeldet, als Sie gegenwärtig schon in Anspruch genommen haben.
Letzter Satz! In den vergangenen Jahrzehnten sind jede Menge Fehler bei der Einführung neuer Technologien gemacht worden,
so daß zu Recht eine Humanisierung der Arbeit — da bin ich bei der Praxis, verflixt noch mal — gefordert wird und angesichts des bestehenden technologischen Wandels auch gefordert werden mußte. Lassen Sie uns wenigstens heute darauf achten, daß wir bei der Anwendung dieser neuen Technologie — obwohl andere technische Möglichkeiten existieren — nicht in dieselben Fehler verfallen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir steht nur eine kurze Redezeit zur Verfügung. Deswegen will ich jeder Versuchung widerstehen, mich mit der, wie ich zugebe, sehr engagiert und mit einer beeindrukkenden Rhetorik vorgetragenen Rede der Kollegin auseinanderzusetzen. Aber ich muß sagen, ich bin enttäuscht, denn als es konkret wurde, sind Sie die Antwort schuldig geblieben. Sie haben von der Wende gesprochen, von der Wende, die bei Bund, Ländern und Gemeinden jetzt einkehren muß, ohne auch nur an einem einzigen Beispiel deutlich zu machen, was denn nun konkret geschehen kann.
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LenzerWir von der CDU/CSU-Fraktion, für die ich hier spreche, und ich bin sicher, auch die Bundesregierung und auch die zuständigen, mit dieser Problematik befaßten Minister sehen das durchaus. Sie können sicher sein, daß wir die menschlichen Ängste, die mit dieser neuen Technologie einhergehen, nicht gering achten. Wir wollen versuchen, darauf eine Antwort zu finden. Aber, bitte, begreifen Sie doch auch, daß man dazu eine Alternative anbieten muß, daß man sich die Frage gefallen lassen muß: Was bleibt uns denn übrig, wenn es diese Sachzwänge im technologischen Bereich gibt? Können wir uns denn einfach abkoppeln? Können wir einfach aus einer internationalen Entwicklung aussteigen?Eigentlich sollten wir die elektronische Datenverarbeitung, die Informationstechnik und die Mikroelektronik in einem Zusammenhang betrachten. Ich hätte es auch begrüßt, wenn wir das in Ruhe im zuständigen Ausschuß hätten tun können. Ich glaube, Herrn Kollegen Börnsen ist auch nicht ganz wohl dabei, daß wir uns heute nur zu diesem einen Punkt zu äußern haben.Was soll mit diesem Antrag geschehen? Auch das muß j a einmal geklärt werden. Wir sind mit der Überweisung einverstanden, die Sie beantragt haben. Wir schlagen vor, daß der Ausschuß für Forschung und Technologie die Federführung übernimmt und daß wir die Große Anfrage zur Mitberatung auch noch an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überweisen. Es gibt eine ganze Menge von Dingen, wo wir einen Konsens feststellen können. Es gibt auch eine ganze Fülle von einzelnen Punkten, die wir sicherlich kontrovers diskutieren werden. — Herr Kollege Steger, ich sehe, daß Sie schon mit freudiger Bewegung darauf warten.Lassen Sie mich nur noch zu vier Punkten in der gebotenen Kürze etwas sagen, erstens zur Bedeutung der Mikroelektronik, zweitens zu der Frage: Wie sah die bisherige Förderung aus?, drittens zu der Frage: Hat sich der beabsichtigte Erfolg eingestellt?, und viertens zu der Frage: Was ist denn auf diesem Hintergrund konkret zu tun?Ich glaube, es besteht kein Zweifel daran, daß die Mikroelektronik zu den wichtigsten Techniken überhaupt gehört. Stürmische Entwicklung und enorme technische Möglichkeiten kennzeichnen sie, andererseits aber ein enormer Preisverfall bei den Halbleiter-Bauelementen mit allen Problemen, die das mit sich bringt. Es gibt Schätzungen, daß etwa 600 Milliarden DM beim Industrieumsatz und über 50 % des Exportwertes in irgendeiner Weise von der Mikroelektronik beeinflußt werden. Hier sieht man also, daß von daher auf die Industrie ein enormer Innovationsdruck zukommt. Ich verweise in dem Zusammenhang auf die anderen Dokumente, die hier schon angesprochen worden sind, die noch zur Zeit der vorigen Bundesregierung vorgelegt worden sind. Darüber werden wir diskutieren. Ich freue mich bereits darauf.Wie sieht es aus? 5,3 Milliarden DM 1979 war die Position der Vereinigten Staaten am Weltmarkt mit einem Produktionswert von insgesamt 7,84 Milliarden DM. Daraus sieht man schon, was das für unsere Wirtschaft — nicht nur für uns national, sondern für ganz Europa — bedeutet. Ich will nicht auf unseren Minussaldo in der Außenhandelsbilanz bei den integrierten Schaltkreisen verweisen, der in die Hunderte von Millionen geht, oder auch bei den elektronischen Bauelementen insgesamt.Ich möchte die Frage stellen: Ist das denn für uns akzeptabel? Man könnte sogar versucht sein, bei dieser Entwicklung zu fragen: Müssen wir denn auf jedem technologischen Feld tätig sein? Läuft uns denn hier die Entwicklung nicht schon so weit weg, daß wir einfach mit dem Mut zur Lücke sagen, wir regeln das Ganze in Zukunft durch Zukauf und verzichten auf jegliche Betätigung hierbei? — Nein!Lassen Sie mich gleich hier feststellen: Die Mikroelektronik ist für uns eine wichtige Basistechnologie, die auch auf nationaler Ebene, in der nationalen Wissenschaft und in der nationalen Wirtschaft verfügbar sein muß.
Was waren bisher die Ziele? Die Anstrengungen industriepolitischer Art, volkswirtschaftlicher Art und auch wissenschaftlicher Art sollten dazu führen, daß zu Beginn der 80er Jahre im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung eine Industriestruktur geschaffen werden konnte, die mittel- und längerfristig ohne staatliche Zuwendungen lebensfähig ist. So ungefähr war es formuliert. Es sollte der internationale Wettbewerb gesichert werden. Ich glaube, wir sind von diesem Ziel noch weit entfernt, und das, obwohl in drei Datenverarbeitungsprogrammen — der Kollege Maaß hat in seinem Beitrag schon daran erinnert — von 1967 bis 1979 3,536 Milliarden DM, eine wahrhaft gigantische Summe, aufgebracht worden sind und allein davon— auch dies ist wichtig für unsere Betrachtung —42,3 %, d. h. 1,49 Milliarden DM, an direkten Zuwendungen in die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen der Wirtschaft geflossen sind.
— Wir haben leider nicht die Möglichkeiten der USA, allein schon von der Marktnachfrage her. Die USA sind ein gigantischer Binnenmarkt, mit dem wir allenfalls noch den gesamten europäischen Markt vergleichen können.Wir müssen die Frage stellen: Steht der Erfolg in angemessenem Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln? Herr Börnsen, es war für mich beeindruckend, daß Sie gleich zu Beginn Ihrer Intervention die bisherigen Programme etwas salopp als niedlich bezeichnet haben — darüber werden wir noch zu sprechen haben —
und daß Sie die Antworten der vorigen Bundesregierung auf die von Ihnen gestellten drängendenFragen als völlig unbefriedigend, wie Sie es übri-
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Lenzergens auch schriftlich hier in Ihrem Entschließungsantrag niedergelegt haben, bezeichnet haben.
— Manchmal schreiben Sie schneller, als Sie denken, manchmal denken Sie aber auch schneller, als Sie schreiben.
— Sehen Sie, es gibt manche Regierungen, die haben eine so gute und treue Opposition gar nicht verdient.Man muß — ich glaube, da sind wir uns einig — vor diesem Hintergrund besonders die direkte projektgebundene Forschungs- und Entwicklungsförderung, die Hardware-Förderung, die hier schon beschworen worden ist, kritisch betrachten. Es sind Erfolge schwer nachzuweisen, wie die Arthur-D.Little-Studie sagt. Die Bevorzugung von Großunternehmen ist ganz evident. Das Antragsauswahl- und Bewilligungsverfahren läßt sehr viel zu wünschen übrig. Ich verweise in dem Zusammenhang darauf, daß der neue Forschungsminister heute morgen in seiner Präsentation vor dem Forschungsausschuß das ja auch ganz eindeutig und klar gesagt hat und er das in das Zentrum seiner Bemühungen stellen will. Diese Studie zieht das Fazit:Die deutsche DV-Industrie hat trotz der Erfolge der DV-Förderung und der bisherigen Leistungen der Unternehmen nicht eine internationale Wettbewerbsposition erringen können, aus der sie die weitere Entwicklung aus eigener Kraft bewältigen könnte.Sie war zu sehr, so fahre ich fort, auf den deutschen Markt beschränkt und steht im Wettbewerb mit den enormen, wie Sie auch gesagt haben, nationalen Programmen etwa in Japan oder auch bei unseren westlichen Nachbarn in Frankreich.Ich muß zum Schluß kommen, da meine Redezeit langsam abläuft. Wir brauchen den Zugriff auf diese wichtige Basistechnologie. Dies wird auch in Zukunft die gemeinsame Aufgabe — das sage ich ausdrücklich; ich möchte mich jeder blauäugigen Betrachtung enthalten und nicht die reine Lehre verkünden, habe da auch ordnungspolitisch überhaupt keine Schwierigkeiten — von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat sein. Der Staat — dazu wird der Minister sicher noch etwas sagen — wird seine Rolle auch in Zukunft im Rahmen der allgemeinen Daseinsvorsorge hier zu spielen haben, aber wir müssen stärker von der reinen staatlichen Subventionspolitik bei der Förderung wegkommen. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir z. B. dieses Mikroelektronik-Förderungsprogramm, das zur Amtszeit des Bundesministers von Bülow noch aufgestockt wurde, als einen Schritt in die richtige Richtung bezeichnet haben. Wir haben dies von Anfang an als eine Art indirekt spezifische Maßnahme immer unterstützt.Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Anliegen der Politik muß es sein, einen breiten Konsens darüber herbeizuführen, daß Forschung und Entwicklung sowie der Einsatz moderner Technologien Grundvoraussetzungen für die Existenz einer modernen Industriegesellschaft sind. Die Politik aller verantwortungsbewußten Parteien darf keinen Zweifel daran lassen, daß sie auf moderne Technik setzt und gerade deswegen alles tut, um ihre nicht zu bestreitenden Risiken zu beherrschen. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Steger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre sicherlich interessant gewesen, wenn wir die Vorstellungen der Bundesregierung hier noch so gehört hätten, daß man in der parlamentarischen Debatte darauf hätte reagieren können. Nachdem aber schon der „Bonner Energiereport" die Schlagzeile hat „Stürzt Riesenhuber oder stirbt der Brüter?", verstehe ich j a gerne, daß sich der neue Bundesforschungsminister nicht gleich noch ein brandheißes Thema ans Bein binden möchte.
Ich finde bemerkenswerte Unterschiede in der Debatte nicht so sehr in der Bewertung, sondern in der Tat in der Frage: Was ist zu tun? Ich glaube, es gibt einen Konsens darüber, daß frühere „Auffangbecken" beschäftigungspolitischer Art mit zusätzlichen Arbeitsplätzen — von der Landwirtschaft in die Industrie, von der Industrie in den Dienstleistungsbereich, wie das in den 50er und 60er Jahren bis zur Mitte der 70er Jahre gelaufen ist — nicht mehr da sind und aus diesem Grunde, Herr Maaß — das ist der entscheidende Unterschied —, das Produktivitätswachstum offensichtlich dauerhaft über dem Produktionswachstum liegt mit der Folge, daß sich die Schere der Arbeitslosigkeit immer weiter öffnet. Dies in einer Weise technokratisch zu handhaben, wie Sie das hier getan haben, halte ich politisch nicht für angemessen,
Sie werden sicherlich auch in große Schwierigkeiten mit Ihrem liberalen Koalitionspartner kommen, der j a schon angekündigt hat, er wolle gegenüber den populistischen Neigungen der CDU den marktwirtschaftlichen Wächter spielen. Ich wünsche Ihnen da interessante Diskussionen. Wir haben darin unsere Erfahrungen. Wenn Sie sagen: „Warum brauchen wir eigentlich kein deutsches MITI?", darf ich auf unseren Entschließungsantrag verweisen, was dort im ersten Absatz zu diesem Punkte steht. Nur, wie immer Sie die Tätigkeit dieser japanischen Erfindung umschreiben, ob Sie dies Investitionslenkung, vorausschauende Strukturpolitik oder wie immer Sie es nennen wollen, Tatbestand bleibt doch, daß wir die Innovationsschübe, die auf uns zukommen, ohne eine vernünftige Arbeitsteilung zwischen Staat und Industrie über-
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Dr. Stegerhaupt nicht sozialverträglich werden bewältigen können, es sei denn, Sie vertreten die These, daß es für uns überhaupt nicht darauf ankommt, wie hoch die Arbeitslosigkeit steigt. Die Alternative, die maßgeblich der alte und neue Bundeswirtschaftsminister bisher angeboten hat, nämlich aus ordnungspolitischen Gründen Strukturpolitik zu blockieren, hat doch im Ergebnis nicht Strukturpolitik verhindert, sondern zu einer Strukturpolitik des schlechten Gewissens geführt. Der Staat hat nämlich immer dann interveniert, wenn Krisenbranchen vor die Wand gefahren sind und der politische Druck auf Intervention groß wurde. So hat denn mittlerweile auch das Bundeswirtschaftsministerium eine erkleckliche Klientel von fußkranken Branchen um sich gesammelt. Man hat nie gewagt, wirklich frühzeitig mit Modernisierungsprozessen gezielt einzugreifen, und man hat zu wenig getan, wirklich innovative Branchen auch hochzuziehen, so wie die Japaner.Ich habe den Herrn Bundesforschungsminister vorhin im Ausschuß gefragt, warum er nichts zu Grundig sagt. Dabei geht es nicht nur um Grundig. Ich habe auch nicht die neue Bundesregierung für Grundig verantwortlich gemacht; weit gefehlt! Es geht vielmehr um den Prozeß, der sich dort abzeichnet, nämlich daß die Japaner jetzt zu Dumpingpreisen auf den Videorecorder-Markt gehen, damit unsere Unterhaltungselektronik ruinieren, die neuen Systeme der europäischen Hersteller nicht in die Kostendegression von großen Serien kommen und sie dann in der zweiten Runde, wenn es um fortgeschrittene mikroelektronische Anwendungen geht, nicht mehr wettbewerbsfähig sind, weil sie nicht in der Lage waren, die entsprechenden Erträge und die entsprechenden Forschungs-und Entwicklungsaufwendungen zu erwirtschaften. Dies ist doch der Punkt, nicht nur, daß bei uns ein Deindustrialisierungsprozeß auf Grund einer nicht vorhandenen Struktur- und Modernisierungspolitik läuft, sondern daß Sie jetzt auch noch den Ruin von Zukunftsbranchen erleben. Der springende Punkt bei Grundig ist, daß er mit einer Kooperation mit den Franzosen anfangen wollte und jetzt er aus einer Situation der Schwäche heraus im Grunde an die Franzosen verkaufen muß. Die Frage ist, wie lange die Bundesregierung — auch eine konservative — aus irgendwelchen abstrakten ordnungspolitischen Überlegungen heraus den Verkauf und Ausverkauf von Zukunftsbranchen tatsächlich noch hinnehmen will.Ich sage nicht, daß Bürokraten besser entscheiden können als Unternehmer. Worauf es ankommt, ist doch, daß wir eine Arbeitsteilung organisieren zwischen Unternehmensleitungen, Gewerkschaften und dem Staat, indem jeder die Rolle übernimmt, die er am effektivsten spielen kann. Von daher gesehen, gemessen an diesem strukturpolitischen Anspruch, will ich Ihnen gern zugeben, daß das, was wir in der sozialliberalen Koaliton in dieser Frage getan haben, in Ansätzen gut war, insbesondere das sogenannte 450-Millionen-DM-Programm, aber daß es insgesamt zuwenig gewesen ist und daß wir eine Verstärkung der Anstrengungen brauchen, nicht nur mit dem reinen Zuschuß vonForschung. Wir müssen auch über strukturpolitische Ziele reden. Denn nur dann kann man sinnvoll über den Instrumenteneinsatz sprechen. Der große Fehler des konservativen Ansatzes ist es, daß Sie, Herr Minister, immer versuchen, daß ganze Thema auf einen instrumentellen Ansatz zu bringen: direkte oder indirekte Forschungsförderung. Reden wir doch mal über die struktur- und industriepolitischen Ziele! Wie muß denn die Industriestruktur der Bundesrepublik aussehen, damit wir wieder Vollbeschäftigung bekommen?
Mit welchen Qualifikationsstrukturen dahinter? — Herr Gerstein, wir wollen doch nicht solche Zustände wie im Bergbau haben, wo die Unterabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums für Kohle praktisch die ganzen Bergbauunternehmen managt. Das wollen wir doch nicht. Das können Sie doch den Sozialdemokraten nicht sagen.Ich habe vielmehr davon gesprochen, daß wir eine Arbeitsteilung zwischen Industrie, den Unternehmensleitungen, den Gewerkschaften und dem Staat brauchen. Da gibt es verschiedene Modelle, z. B. das amerikanische Modell. Sie brauchen nur mal in den Verteidigungshaushalt der Amerikaner zu schauen. Da werden Sie blaß vor Neid, was Sie dort beispielsweise an mikroelektronischer Grundlagenforschung finden, etwas das sogenannte VHSIC-Programm. Es gibt das japanische Modell, es gibt die unterschiedlichsten Modelle. Ich sage doch nicht, daß wir die anderen Länder einfach kopieren wollen. Aber ich sage Ihnen, es gibt kein Land in Westeuropa, auch nicht die Vereinigten Staaten, das glaubt, mit einer so primitiv angelegten Wirtschaftspolitik wie der des Ordoliberalismus den Herausforderungen von Zukunftsinvestitionen und Zukunftsinnovationen tatsächlich zu begegnen.
— Nein, nein, das ist kein Widerspruch.
Herr Maaß, ich gebe Ihnen gerne zu, daß dies immer einer der strittigsten Punkte in der alten Koalition gewesen ist. Meine Kritik an dem ordnungspolitischen Ansatz des Bundeswirtschaftsministeriums artikuliere ich seit 1976, solange ich in diesem Hause bin.Lassen Sie mich noch ein letztes sagen, zu der Frage der Industriestruktur — weil ich gesagt habe, wir wollten über industriepolitische Ziele reden—: Es war sicherlich ein Fehler des Konzeptes der Schlüsseltechnologien, wie es noch der jetzige Bundesfinanzminister Stoltenberg entwickelt hat, daß man sich zu schnell und zu einseitig auf bestimmte technologische Projekte, die weitgehend bei Großunternehmen liefen, festgelegt und einfach gesagt hat: Die vier sind Schlüsseltechnologien, alles andere interessiert uns nicht.
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Dr. StegerWir haben in den letzten Jahren im Grunde eine relativ breite Innovationsmobilisierung hingekriegt, mit einem ganz starken Akzent auf kleinen und mittleren Unternehmen. Und dies — das sage ich hier ausdrücklich als Sozialdemokrat — finden wir richtig, weil wir für unsere Industriestruktur eine Breite auch innerhalb der Unternehmensgrößenstruktur brauchen. Wir sind es gewesen, Herr Maaß, die die einseitige Bevorzugung der Großindustrie durch die Forschungs- und Technologiepolitik abgebaut haben.
— Zusammen mit den freidemokratischen Kollegen, einverstanden.
— Nein, nein, dazu hat es nicht Ihrer Nachhilfe bedurft. Sie sind es doch gewesen, die dieses auf die Großindustrie hin organisierte Forschungsförderungssystem eingeführt haben. Das war doch Stoltenbergs Konzept. — Wir haben es geändert. Die Mikroelektronik gibt uns die Chance, daß wir auf diesem Weg weiter fortfahren können.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, sehe ich den weiteren Debatten, aber vor allen Dingen den Ausführungen des Bundesforschungsministers, mit besonderem Interesse entgegen. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Steger hat auf die Klientel fußkranker Branchen hingewiesen, die wir hier vorgefunden haben. Herr Kollege Steger, wenn das an irgendeinem Zusammenhang mit den Ergebnissen und den Ansätzen von Forschungspolitik gelegen hat, dann war dies nicht unsere Forschungspolitik, sondern Ihre Forschungspolitik. Wenn ein Zusammenhang mit der Schwierigkeit bestimmter hochinnovativer Branchen und dem, was an Forschungspolitik gemacht worden ist, besteht, dann ist dies eine Fragestellung an frühere Forschungsminister, und dies waren sozialdemokratische Forschungsminister.
— Nun sagen Sie „Wirtschaftsminister". Ich greife dies gerne auf. Sie haben hier über Modelle von Forschungsförderung und ein „Phantom neoliberaler Forschungsmodelle" gesprochen, das Sie nicht sehr konkret gefaßt haben, es sei denn mit dem Begriff der indirekten Forschungsförderung. Hier möchte ich, wenn Sie von dem Wirtschaftsminister sprechen, sagen, daß der Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff in seinem Haushalt das Personalzulagengesetz eingestellt hat. Wenn es ein Instrument indirekter Forschungsförderung gibt, das erfolgreich auf kleine und mittlere Unternehmen zugegangen ist, und das schon über Jahre, dann ist es dieses Instrument gewesen.Ich sage dies nicht deshalb, weil ich einen Streit dort vom Zaun brechen wollte, wo kein Dissens ist. Ich sage das deshalb, um Auseinandersetzungen in Bereichen zu vermeiden, wo wir uns in einem wesentlichen Punkt einig sind, und ich sage es deshalb, weil ich sagen will, daß wir eine vernünftige Zuordnung direkter und indirekter Förderungsinstrumente brauchen, um überhaupt arbeiten zu können. Hier sollten wir nicht einen Dissens konstruieren, der nicht existiert.
— Wenn wir über Ziele reden, Herr Kollege Steger, dann sollten wir die Frage stellen: Welche Schwerpunkte sind eigentlich als Ziele in den vergangenen Jahren gesetzt worden? — Wir haben flächendekkende Programme ohne jeden Schwerpunkt. Wenn Sie versuchen, alles zu fördern, werden Sie nichts fördern. Wenn Sie versuchen, ganze Branchen, die ganze Industrielandschaft mit Fördermitteln zuzudecken, wird sich niemand mehr darauf einstellen, sich innovativ und initiativ in Märkten zu bewegen, sondern darauf, Systeme aufzubauen, die den Zugang zu öffentlichen Geldern eröffnen. Dies kann doch nicht der Sinn einer Forschungspolitik sein.Mich hat an dieser Diskussion eigentlich beeindruckt, daß wir uns in einigen Punkten einig, in anderen — das möchte ich gleich sagen — nicht einig waren. Die werde ich sehr gerne aufgreifen.Der eine Bereich war die gemeinsame Feststellung, daß die Datenverarbeitung, die Mikroelektronik in unserem Lande in einer kritischen Lage sind. Wenn dies so ist, dann ist es eine interessante Frage, was die alte Bundesregierung hier zu sagen gehabt hat. Wenn Sie sich die Antwort der alten Bundesregierung auf Ihre Anfrage ansehen, werden Sie feststellen, daß zu der Frage, wie die anerkanntermaßen kritische Situation der Mikroelektronik in Europa aufgearbeitet werden kann, keine Antworten vorliegen. Nun hat das natürlich seinen Grund. Der Grund liegt u. a. vielleicht darin, daß in der Anfrage damals überhaupt nicht danach gefragt worden war. Es hat aber andererseits den sehr unbefriedigenden Hinweis hinterlassen, daß der Kern des Problems nicht im Griff war.Nun möchte ich eine nachdenkliche Bemerkung aufgreifen, die Frau Skarpelis-Sperk in die Diskussion eingeführt hat. Frau Skarpelis-Sperk hat im Grunde gefragt: Kommen wir nicht in einen Teufelskreis hinein, der uns dazu führt, daß wir, weil wir uns auf diese Techniken verlassen, in einen zunehmenden Verlust von Arbeitsplätzen bewußt hineinlaufen, und ist das nicht etwas, was von vornherein — jetzt darf ich Sie, Frau Kollegin, ein Stück weiter interpretieren — dazu führen müßte, daß wir diesen Techniken gegenüber zurückhaltender wer-
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Bundesminister Dr. Riesenhuberden? Nun ist die Frage: In welchen Alternativen stehen wir, Frau Skarpelis-Sperk?
— Nein, ich habe an dieser Stelle extrapoliert, und ich sage genau, an welchen Punkten wir uns aus meiner Sicht treffen und wo das nicht der Fall ist.Wir haben hier im Grunde Alternativen. Wir haben immer Alternativen: Wir können erstens darauf verzichten, Mikroelektronik einzusetzen. Diesen Verzicht verlangen Sie nicht. Er würde nämlich dazu führen, daß wir auf den Weltmärkten nicht nur mit unseren Exporten in einer aussichtslosen Lage wären, sondern daß auch die konkurrierende Industrie, die auf unsere Märkte drängt, hier eine große Überlegenheit hätte. Wir könnten zweitens überlegen, ob wir auf die Fertigung verzichten sollten. Auch dies kann offensichtlich nicht sinnvoll sein; denn sonst hätten wir die Arbeitsplatzverluste in dem Rationalisierungsprozeß unverändert — denn Mikroprozessoren würden in unseren Märkten unverändert eingesetzt —, wir würden aber auf die Chance verzichten, neue hochinnovative Arbeitsplätze in Wachstumsbranchen zu schaffen, wo wir sie brauchen, nämlich in den Branchen der Mikroelektronik selbst, aber auch in ihren verschiedene Auswirkungsbereichen, die heute in mehreren Beiträgen angesprochen worden sind, von der Kraftfahrzeugtechnik bis zur Energieeinsparung, von der Nachrichtentechnik bis zur Datenverarbeitung selbst. Dies alles ist angesprochen worden. Hier meine ich: Wenn es tatsächlich die Grundfrage ist, ob es uns gelingen kann, Arbeitsplätze im Strukturwandel neu zu schaffen, wissend, daß in anderen Industrien Arbeitsplätze verlorengehen, dann müssen wir die Voraussetzungen schaffen, daß dieser Strukturwandel so stattfindet, daß die zusätzlichen neuen Arbeitsplätze vorzugsweise bei uns und nicht etwa in Japan und in den USA geschaffen werden.
— Ich bedanke mich.Wenn dies aber so ist, dann haben wir hier die Voraussetzungen zu schaffen — hier scheint mir wieder der Konsens zu bestehen —, unter denen in unserem Land Mikroelektronik so entwickelt und eingesetzt werden kann, daß dies erfolgreich ist, und zwar für die Industriestrukturen unseres Landes und für seine Exportfähigkeit, auch erfolgreich für seine Fähigkeit, mit Techniken — wir sprachen in einer anderen Debatte vor kurzem darüber — für Länder der Dritten Welt hilfreich zu sein, die diese Techniken vielleicht einsetzen, nicht aber entwikkeln können.Damit darf ich diesen Abschnitt — ich weiß, es ist stichworthaft — nur an einer Stelle zusammenfassen. Wenn wir als Industrienation ein hochrangiges Ziel haben, dann ist es doch wohl das Ziel, Rohstoffe, die knapper werden, Umwelt, die knapper wird— ich darf das so verkürzt formulieren —, durch technische Intelligenz und Kapital zu ersetzen, solange es verfügbar ist, und zwar dort, wo es sinnvollist. Wenn das Wort von einem qualitätsorientierten Wachstum irgendeinen Sinn haben soll, dann bedeutet das, daß wir Branchen zum Wachstum bringen, in denen der Verbrauch an Rohstoffen, Energie und Umwelt gering ist, die Wachstumsraten erheblich sind und Innovationseffekte groß sind. Auch dies spricht dafür, daß wir in diesem Bereich mit besonderem Nachdruck vorgehen.
— Richtig, Herr Steger. Es ist mir nicht ganz einsichtig, wie Sie zu der Unterstellung kommen, ich wollte meine Arbeit als Forschungsminister damit beginnen, daß ich offiziell auf die Anwendung von Forschungspolitik verzichte. Ich habe hier die Differenz klargemacht. Die Differenz liegt darin — —
— Wenn ich in der Fraunhofer-Rede sage, daß zur Leistung auch Muße gehört, dann halte ich dies uneingeschränkt aufrecht. Wenn ich gesagt habe, daß ein Wissenschaftler auch einmal im Wald spazieren gehen soll, so halte ich das auch uneingeschränkt aufrecht.
Denn ich halte es nicht für glücklich, wenn Forscher mit administrativen Tätigkeiten zugedeckt werden und in dem Bereich dann nicht mehr geforscht werden kann.
— Es ist eine faszinierende Herausforderung, die Sie mir vorlegen, Frau Skarpelis-Sperk. Wenn ich es mir im Moment verkneife, darauf einzugehen, so nur aus Gründen der Disziplin im Blick auf Redezeiten, auf die sich auch andere einzustellen versucht haben.Wenn dies so ist, fragt es sich: Was können wir hier in unserem Land tun? Ich habe darauf hingewiesen, daß die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage in dieser Hinsicht nicht außerordentlich ergiebig ist. Ich möchte hier den Bericht der Bundesregierung zum Gebiet der Datenverarbeitung hinzunehmen, in dem ebenfalls einige relativ rätselhafte Sätze zu finden sind. So schrieb die alte Bundesregierung beispielsweise: „Für die deutsche Industrie hat sich die Ausgangslage für die Sicherung einer der japanischen vergleichbaren Position in den letzten Jahren zwar verschlechtert, aber nicht entscheidend gewandelt." — Was dies nun im einzelnen heißt, ist einer rationalen Betrachtung nicht leicht zugänglich. Jedenfalls besagt die Aussage im Kern, daß die Lage schwierig ist. Wenn wir davon ausgehen, fragt sich, wo wir einsetzen können. Ich möchte hier einige wenige Bereiche in sechs Punkten ansprechen.Wir haben erstens im Bereich der Forschung einzusetzen. Was diesen Bereich angeht, so stimme ich denjenigen zu, die gesagt haben — dies haben heute mehrere Redner gesagt —, daß wir hier im
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Bundesminister Dr. RiesenhuberRespekt vor der jeweiligen spezifischen Verantwortung zu einer rationalen Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Wissenschaft kommen müssen. Hier ist es in der ersten Runde die Aufgabe des Staates, Hemmnisse abzubauen, Rahmenbedingungen für eine Entwicklung zu schaffen, die es möglich macht, daß diese Technik sich in einer vernünftigen Weise nach ihren Kräften im Markt durchsetzt, nicht aber durch restriktive Auflagen irgendwelcher Art — der Verkabelungsstopp und ähnliche Themen sind mehrfach diskutiert worden — zurückgehalten wird. Es kommt darauf an, daß die angewandte Forschung mit der Industrie so eng zusammenarbeitet, daß das, was in ihrem Bereich an Erkenntnissen gewonnen worden ist, kurzfristig in industrielle Strukturen und in Arbeitsplätze umgesetzt werden kann. Dies bedeutet andererseits, daß dort, wo staatliche Forschung in den eigenen Instituten unterstützt wird, die Grenzen gegenüber der Industrie niedriger gesetzt werden und eine Gemeinschaftsforschung, eine Drittmittelforschung, eine Zusammenarbeit gestärkt und unterstützt wird.Wir brauchen zweitens eine gezielte Technologieförderung. Dies ist auch wieder ein Bereich einer sinnvollen Zusammenarbeit bei getrennten Verantwortlichkeiten von Staat und Industrie. An einigen Stellen ist darauf hingewiesen worden, in welcher Weise dies andere Länder tun. Es ist darauf hingewiesen worden, daß die massiven „incentives" der amerikanischen Verteidigungsforschung von uns hier nicht einzuholen sind. Es ist von den integralen Programmen in Japan gesprochen worden. Es ist, wie ich glaube, auch von Anstrengungen in Frankreich gesprochen worden. Jedes Land verfährt nach seinem eigenen Modell. Wir sollten nicht davon ausgehen, daß wir kopieren müssen. Nicht kopieren — kapieren! Wir müssen Strukturen entwickeln, die bei uns in die Forschungslandschaft, in die Industrielandschaft hineinpassen. Dazu habe ich an wenigen Punkten Andeutungen zu machen versucht, und ich versuche dies auch weiterhin. Dies bedeutet, daß wir in einer vernünftigen Arbeitsteilung bürokratische Hemmnisse, wo es sie gibt — in zwei Reden ist darauf hingewiesen worden —, abbauen und daß wir Märkte in ihrer Wirksamkeit stärken, auch über die nationalen Märkte hinaus. Deshalb halte ich es für eine echte und hilfreiche europäische Aufgabe, wenn in dem Programm ESPRIT, dessen Pilotphase jetzt anläuft, versucht wird, in Europa Industrien so aufeinander zuzuführen, daß schließlich ein gemeinsamer europäischer heimischer Markt entsteht, in dem sich die Industrieunternehmen in Konkurrenz miteinander, aber auf gleicher Basis und nicht etwa gestützt durch nationale Normen oder durch sonstige indirekte Hemmnisse bewegen können. Auch dies ist eine Möglichkeit, Märkte zu öffnen, indem man vernünftige Rahmenbedingungen schafft. Ziel von Forschungsförderung muß es schließlich sein — ich verweise hier auf Aussagen früherer Forschungsminister, die das ausdrücklich gesagt haben; wir stehen dabei in einer Kontinuität und ich werde in dieser Hinsicht überhaupt keine Abstriche machen — Schnelläufer, nicht aber Fußkranke — oder wie immer man esformuliert hat — zu fördern. Insofern, Herr Steger, waren mir Ihre Bemerkungen — wir können dies hier nicht aufarbeiten — über die fußkranken Branchen und über die Schwierigkeiten im Bergbau einfach zu kurz. Sie können diese Fragen nicht so aufarbeiten. Dies muß man in einen anderen Kontext bringen. Ich kann dies hier nicht mit einbringen.Es gehört dazu, daß wir den Transfer aus der Forschung und Entwicklung in die Märkte hinein verstärken. Das bedeutet natürlich auch, daß wir kleineren und mittleren Unternehmen Chancen eröffnen. Dazu haben wir indirekte Instrumente unterschiedlicher Art. Es hat mich immer gewundert, warum das Instrument einer staatlichen Nachfrage nicht gezielt eingesetzt worden ist, nicht etwa im Sinne einer Investitionslenkung bezüglich nationaler Produkte. Dies ist mit einem außerordentlich begrenzten Erfolg in bestimmten Bereichen geschehen; ich möchte darauf nicht eingehen.Aber man muß darauf hinweisen, daß folgende Bereiche, die eine Änderung von Arbeitsplätzen und Arbeitstechniken mit sich bringen, bei den Beschaffungen nicht nur des Bundes und seiner Behörden und nachgeordneten Institutionen, sondern auch der Länder und Gemeinden in einer angemessenen Weise berücksichtigt werden, so daß die Marktschwelle, die jede neue Technik zu überwinden hat, etwas gesenkt wird und schnell expandierende Märkte erreicht werden. Das Problem besteht in vielen Fällen ja nicht darin, daß wir nicht eine gute Technik hätten. Wir haben in vielen Bereichen eine sehr ordentliche Technik. Das Problem besteht darin, daß sich diese Technik nicht Marktanteile erobert hat, die ausreichen, um ihr aus eigener Kraft weiterzuhelfen. Dies bedeutet einerseits, wie ich sagte, die Erweiterung der Märkte zumindest auf den europäischen Bereich. Es bedeutet andererseits — dies nur als Hinweis —, daß dort, wo staatliche Nachfrage auch für neue Techniken gezielt eingesetzt werden kann, genau geprüft werden muß, wo Märkte frühzeitig geschaffen werden sollten. Dies ist eines der Instrumente, aber es sind nicht alle.Hier ist auf das Programm der Mikroelektronik eingegangen worden. Es ist ein Programm, das in der vollen Kontinuität der Programme zur indirekten Forschungsförderung steht, die wir über Jahre gefördert haben und die wir in den 60er Jahren, als die Bundesregierung noch unter Unionskanzlern arbeitete, als eigentliche Instrumente der Forschungspolitik eingesetzt haben. Sie brauchen nur die Relation zwischen direkter und indirekter Forschungsförderung der 60er Jahre mit dem zu vergleichen, was jetzt erreicht worden ist.Das Mikroelektronikprogramm ist als Programm einer indirekten spezifischen Förderung durchaus vernünftig. Aber wir müssen noch lernen, punktgenau abzugrenzen, damit die Streuverluste beherrschbar bleiben und wir nicht mit außerordentlich großen Beträgen in Graubereiche hineingehen, wo nichts angestoßen wird. Was dieses Sonderprogramm der Mikroelektronik betrifft, so erhalten außerordentlich viele kleine und mittlere Unternehmen Anstöße. Das kann nur erfreulich sein.
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7996 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 129. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. November 1982
Bundesminister Dr. RiesenhuberDas letzte und aus meiner Sicht Entscheidende wird sein, daß wir die Menschen an die Technik heranführen. Wir sehen, wie in Japan die Schüler wie selbstverständlich mit der Technik umzugehen lernen. Wir sehen, mit welcher Souveränität Kinder dahin geführt werden, spielend den Umgang mit komplexen neuen Techniken zu lernen.Bei uns ist das anders. Ich erzähle im Deutschen Bundestag nur selten aus meiner Familie. Aber was hatte doch mein Sohn Maxi, der jetzt 12 Jahre ist, für Schwierigkeiten, bis er einen Volkshochschulkurs gefunden hat, in dem er EDV lernen kann! Man muß schon den Kindern die Möglichkeit geben, auf etwas hinzuarbeiten, was sie reizt und woran sie Freude haben. Sie müssen spielend in eine solche Arbeit hineinkommen, damit sie sie beherrschen. Wir können das zwar nicht organisieren, aber wir können dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Jedenfalls müssen Lust und Freude am Umgang mit einer solchen Technik wachsen.Dies waren sechs Punkte, die ich für möglich und richtig halte. Wir werden in einen vernünftigen Dialog mit denen einzutreten haben, die in den jeweiligen Bereichen, sei es in der Wirtschaft, sei es in der Politik, sei es in Forschung und Wissenschaft, Verantwortung tragen.Aber es wird hier auch darauf ankommen — für den entsprechenden Hinweis bin ich dankbar —, daß wir in einem vernünftigen öffentlichen Dialog die Risiken für die Arbeitsplätze so rational aufarbeiten, daß jeder weiß, worauf er sich einstellen muß, und jeder weiß, daß wir in einem vernünftigen und verantwortlichen Umfang in einer Wahl zwischen Alternativen einen vertretbaren Weg gefunden haben. Und dies ist auch etwas, Frau Skarpelis-Sperk, was aus meiner Sicht von den Gewerkschaften nicht nur mitgetragen, sondern im Hinblick auf das Ergebnis auch voll unterstützt werden kann. — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache zur Großen Anfrage.
Zu der Großen Anfrage betreffend Mikroelektronik liegt ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Börnsen, Dr. Steger und weiterer Abgeordneter und der Fraktionen der SPD und der FPD auf Drucksache 9/2122 vor. Es ist beantragt, den Entschließungsantrag an den Ausschuß für Forschung und Technologie zur federführenden Beratung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft sowie zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Stimmt jemand dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Es ist entsprechend beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der Tagesordnung der heutigen Sitzung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 25. November 1982, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.