Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Heute feiert der Abgeordnete Hauser seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere ihm im Namen des Deutschen Bundestages sehr herzlich.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen 9/1757, 9/1766 —
Wir kommen zunächst zu einer Dringlichen Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Das Haus ist durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Grüner vertreten.
Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Glos auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Elektrokonzern AEG eine Bundesbürgschaft zu geben und in welcher Höhe?
Herr Kollege, es ist richtig, daß die AEG am 14.6. 1982 einen Antrag auf Gewährung einer Bundesbürgschaft in Höhe von 1 Milliarde DM gestellt hat. Der Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff, hat heute das Kabinett hierüber unterrichtet. Der Antrag wird geprüft. Ich kann Ihnen heute leider keine Auskunft darüber geben, ob dem Antrag entsprochen werden kann. Ich bitte um Verständnis, daß zunächst das Ergebnis der haushaltsrechtlich erforderlichen Prüfungen abgewartet werden muß. Das heißt, es muß im einzelnen geprüft werden, ob die von der AEG geplanten Maßnahmen volkswirtschaftlich förderungswürdig sind — das schließt die Frage ein, ob ein tragfähiges Unternehmenskonzept vorliegt —, weiter, ob ihre Finanzierung ohne öffentliche Bürgschaften wirklich unmöglich ist und schließlich, ob das Risiko, das der Bund mit der Gewährung von Bürgschaften eingehen würde, vertretbar ist. Die Prüfungen sind sofort nach Antragseingang aufgenommen worden. Wegen der Schwierigkeit des gesamten Komplexes brauchen sie natürlich Zeit.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Glos.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich Meldungen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute, daß im Hinblick auf das Gerücht in Frankfurter Börsenkreisen, daß die Bundesregierung der AEG eine Bürgschaft geben würde, gestern der AEG-Kurs um ca. 8 % angezogen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Tatsache, daß ein Antrag auf Bürgschaftsgewährung gestellt worden ist, ist der Öffentlichkeit bekannt. Offenbar nimmt die Öffentlichkeit an, daß dieser Antrag positiv beschieden wird. Jedenfalls kann ich diese Bewegung am Aktienmarkt, die Sie schildern, nur so erklären.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Glos.
Herr Staatssekretär, Sie haben von einem Prüfungsverfahren gesprochen: Können Sie sagen, wie lange dieses Prüfungsverfahren in etwa dauern wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, ich kann keine Aussage machen.
Normalerweise brauchen solche Prüfungsverfahren Monate. In der Lage, in der sich die AEG befindet, wird natürlich mit besonderem Hochdruck gearbeitet werden. Wir werden mit Sicherheit auch den Haushaltsausschuß in die Überlegungen mit einbeziehen, weil schnelle Entscheidungen, in der negativen oder in der positiven Richtung, in jedem Fall bei der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit mit großen Risiken behaftet sein werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Laufs.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung im Rahmen dieser Prüfung auch die Problematik beachten, daß durch eine staatlich abgesicherte Sanierung der Produktionskapazitäten und Strukturanpassung an den Markt für Spitzenprodukte eines Unternehmens andere ebenfalls in dieser Branche von der anhaltenden Konjunkturschwäche betroffene Unternehmen in noch größere Schwierigkeiten geraten könnten?
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6482 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das wird ein wesentlicher Teil der Überlegungen sein. Ich habe auf diesen Tatbestand mit dem Satz aufmerksam gemacht, daß geprüft werden müsse, ob die von der AEG geplanten Maßnahmen volkswirtschaftlich förderungswürdig seien oder nicht.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 2 des Abgeordneten Glos auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, außer Bürgschaften weitere Maßnahmen zur Sanierung der AEG zu ergreifen, beispielsweise über bundeseigene Unternehmen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte zunächst sagen, daß die Bundesregierung eine Bundesbeteiligung an AEG nicht in Erwägung zieht. Im übrigen will ich der haushaltsrechtlichen Prüfung in keiner Weise vorgreifen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Glos.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß auch eine Beteiligung durch ein rechtlich selbständiges, im Bundesbesitz oder im mehrheitlichen Bundesbesitz befindliches Unternehmen nicht in Frage kommt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, das können Sie daraus nicht schließen. Wenn die in eigener Verantwortung nach dem Aktienrecht operierenden Bundesunternehmen Ansatzpunkte für eine sinnvolle Beteiligung sähen, würden wir dem selbstverständlich nicht im Wege stehen. Aber ich betone noch einmal, daß das in eigener Verantwortung der Bundesunternehmen geschehen muß und daß ein volkswirtschaftlich sinnvolles Konzept die Grundlage für eine solche Maßnahme und für einen solchen Schritt sein müßte.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Glos.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen — da Sie soeben von einem volkswirtschaftlich sinnvollen Konzept gesprochen haben —, daß die Vorschläge, die von der Firmenleitung der AEG eingereicht worden sind, keinerlei Sanierungsvorschläge in der Richtung enthalten wie etwa beim amerikanischen Unternehmen Chrysler, wo die Belegschaft über eigene Lohnverzichtmaßnahmen eine beträchtliche Summe in dieses Konzept mit eingesetzt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir sind bei der Prüfung der Frage, ob ein tragfähiges Unternehmenskonzept vorliegt. Ich möchte nicht in Einzelbewertungen eintreten, aber auch nicht bestimmte Möglichkeiten, ein solches tragfähiges Unternehmenskonzept zu erstellen, hier bewerten, negativ oder positiv.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Werner.
Herr Staatssekretär, können Sie uns — im Hinblick auf Ihre Aussage bezüglich bundeseigener Unternehmen und deren Beteiligung im Rahmen einer Sanierung der AEG — Auskunft darüber geben, ob die Bundesregierung bereit ist, Untersuchungen in der Richtung anzustellen — bzw. solche Untersuchungen schon angestellt hat —, welche Bundesunternehmen selbständiger Rechtsnatur gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt der Liquidität und der Solvenz in der Lage wären, sich entsprechend im Rahmen von Verschachtelungen oder dergleichen zu beteiligen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe kein bundeseigenes Unternehmen, das dafür aus meiner Sicht in Frage käme. Aber ich betone, daß es Sache der bundeseigenen Unternehmen ist, etwaige Angebote der AEG auf ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit zu prüfen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jens.
Herr Staatssekretär, daß die AEG in der letzten Zeit in der Presse Schlagzeilen produziert, wissen wir. Aber meinen Sie nicht auch mit mir, daß die Sanierungsbemühungen des Konzerns durch das öffentliche Gerede nur erschwert und nicht etwa erleichtert werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist sicher richtig. Eine öffentliche Diskussion über Sanierungsbemühungen ist dem Unternehmen abträglich. Diese öffentliche Diskussion ist aber dadurch unvermeidbar geworden, daß das Unternehmen wohl keinen anderen Weg gesehen hat, als mit einer Bürgschaftsforderung an die Bundesregierung heranzutreten.
Die Beantwortung der Dringlichkeitsfragen ist abgeschlossen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Die Frage 1 des Abgeordneten Engelsberger wird entsprechend dem Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Das gleiche gilt für die Frage 2 des Abgeordneten Auch aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Das Haus wird durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Grobecker vertreten.Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Bindig auf:Wird bei routinemäßigen Lebensmitteluntersuchungen nach dem Rückstandsgehalt von Endrin und Lindan gesucht, und ist nach den bekanntgewordenen Schadensfällen mit chlorierten Kohlenwasserstoffen geplant, in der gesamten Bundesrepublik Deutschland zukünftig gezielt und regelmäßig Rückstandsuntersuchungen in Lebensmitteln, insbesondere an Obst und Gemüse, nach diesen Stoffen durchzuführen?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982 6483
Herr Kollege Bindig, bei der Untersuchung auf Pflanzenschutzmittelrückstände wird routinemäßig auch auf chlorierte Kohlenwasserstoffe untersucht. Dies geschieht mit sogenannten Multimethoden, durch die Lindan und Endrin automatisch miterfaßt werden. Über spezielle Untersuchungen auf Lindan und Endrin liegen mir keine Kenntnisse vor. Mir liegt aber daran, Ihnen zu sagen, daß die Lebensmittelüberwachung Angelegenheit der Länder ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, können Sie in etwa umreißen, wie oft solche Routineuntersuchungen stattfinden?
Grobecker, Parl. Staatssekretär: Ich kann nicht sagen, wie oft das etwa pro Jahr geschieht. Ich weiß nur, daß diese Untersuchungen in regelmäßigen Abständen nicht nur an der Grenze, sondern auch beim produzierenden Gewerbe hier stattfinden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Läßt sich die Bundesregierung von den Institutionen, die letztlich die Kontrollen ausführen, hin und wieder Bericht über die Befunde geben, die dabei herausgekommen sind, um diese für die Auswertung und die Gesetzgebungsarbeit in Bonn heranzuziehen?
Grobecker, Parl. Staatssekretär: Das ist so, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter Eigen zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Erkenntnisse vor, inwieweit solche Rückstände bei importierten Lebensmitteln und wieweit sie bei in Deutschland produzierten Lebensmitteln vorhanden sind?
Grobecker, Parl. Staatssekretär: Es liegen Erkenntnisse vor, die aber zwischen importierten und selbstproduzierten Lebensmitteln keine wesentlichen Unterschiede aufweisen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Das Haus wird durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Wrede vertreten.
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Laufs auf:
Kann die Bundesregierung die Praxis der DDR-Behörden bestätigen, in dringenden Familienangelegenheiten die Ausreise jeweils nur eines Familienangehörigen zu erlauben, und welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, um in diesen Fällen die Besuchsmöglichkeiten zu erweitern?
Herr Kollege Dr. Laufs, die in der DDR geltende „Anordnung über Regelungen zum Reiseverkehr von Bürgern der DDR" vom 15. Februar 1982 sieht vor, daß den in der
DDR wohnhaften Großeltern, Eltern, Kindern und Geschwistern in dringenden Familienangelegenheiten die besuchsweise Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland genehmigt werden kann. Bezugsperson für die Verwandten in der DDR ist die hier jeweils von der dringenden Familienangelegenheit betroffene Person.
Eine generelle Praxis, wie Sie sie in Ihrer Frage unterstellen, gibt es nicht. Es gibt durchaus dringende Familienangelegenheiten, zu denen mehrere Verwandte gleichzeitig aus der DDR kommen dürfen. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen nur ein Verwandter oder gar keiner kommen darf, weil nach den DDR-Bestimmungen niemand einen Rechtsanspruch auf besuchsweise Ausreise hat.
Die Bundesregierung weiß, daß die bestehenden Reisemöglichkeiten in dringenden Familienangelegenheiten, gemessen an den berechtigten Wünschen der Bevölkerung, noch nicht ausreichend sind. Sie bemüht sich um weitere Erleichterungen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Laufs.
Herr Staatssekretär, wie zahlreich waren die Fälle und um welche Fälle handelte es sich im einzelnen, in denen die DDR die Ausreise mehrerer Familienangehöriger in dringenden Familienangelegenheiten erlaubt hat?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Kollege Laufs, die Zahlen sind mir nicht bekannt, weil wir darauf angewiesen sind, daß uns Mitteilungen gemacht werden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Laufs.
Herr Staatssekretär, war diese Frage auch Gegenstand der Gespräche mit der Regierung der DDR vom 18. Juni, und was bedeuten die im heutigen „Bulletin" der Bundesregierung genannten Lockerungen für Reisen von DDR-Bürgern in dringenden Familienangelegenheiten?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Dieses Thema ist wiederholt Gegenstand der Gespräche mit der anderen Seite gewesen, und die Erklärungen beziehen sich auf die Lockerungen, die durch die Verfügung vom 15. Februar 1982 entstanden sind und eine Steigerung der Ausreisezahlen um mehr als ein Viertel zur Folge hatten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Praxis der DDR, in vielen Fällen nur einen oder wenige Mitglieder einer Familie aus Anlaß dringender Familienangelegenheiten zu Besuchen zuzulassen, nicht bloß unbefriedigend ist, gemessen an den berechtigten Wünschen der betroffenen Bevölkerung, wie Sie sich vorhin geäußert haben, sondern auch einseitig gegen klare Abmachungen verstößt, z. B. im III. Korb der KSZE-Schlußakte von Helsinki, wo
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6484 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Jäger
Besuchsreisen zu Angehörigen in einer weitaus großzügigeren Regelung enthalten sind, als es der derzeitigen Praxis entspricht?Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung hat sich in dieser Frage wiederholt deutlich geäußert. Ich sage das noch einmal: Sie bemüht sich weiterhin darum, die Möglichkeiten der Besuchsreisen zu verbessern.
Herr Abgeordneter Dolata zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Mitteilungen über nicht genehmigte dringende Besuchsreisen dieser Art vor? Sie sprachen vorhin von Mitteilungen, die Sie nicht hätten bei Genehmigungen.
Wrede, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, wie ich Ihre Frage beantworten soll. Haben Sie gefragt, ob mir Zahlen vorliegen?
— Nein.
Ich rufe Frage 5 des Abgeordneten Jäger auf:
Treffen Pressemeldungen zu, in denen darüber berichtet wird, daß es in der DDR immer noch rund 5 000 politische Häftlinge gibt, und wie beurteilt die Bundesregierung eine so hohe Zahl politischer Häftlinge im Hinblick auf die völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechtsverpflichtungen der DDR?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, die von Ihnen zitierten Pressemeldungen zu bestätigen; die Zahl der in der DDR aus politischen Gründen inhaftierten Personen ist keiner Stelle bekannt.
Im übrigen darf ich als bekannt voraussetzen, daß die Bundesregierung jedwede politisch motivierte Inhaftierung verurteilt, gleichgültig, ob es sich um eine große oder kleine Zahl Betroffener handelt.
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, kann ich aus der Antwort, die Sie mir soeben gegeben haben, schließen, daß die Bundesregierung die Zahl sicher nicht bestätigen kann, daß sie diese Zahl in der Größenordnung aber auch nicht bestreitet?
Wrede, Parl. Staatsekretär: Die Bundesregierung kann die Zahl weder bestätigen noch bestreiten, weil ihr keine Zahlen bekannt sind, Herr Kollege Jäger.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß die Bundesregierung, die ja auch — wie wir Abgeordneten — zumindest die Presse liest, von dem Sachverhalt als solchem informiert ist und daß sie im Hinblick darauf die Regelung, wie sie zur Zeit besteht, auch als unvereinbar mit der Zusage ansieht, die etwa Staatsratsvorsitzender Honecker dem Bundeskanzler am Werbellinsee gegeben hat, nämlich die Beschlüsse von Helsinki zielstrebig in die Tat umsetzen zu wollen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich bitte um Verständnis, daß ich mich bei diesem sehr sensiblen Thema nicht weiter öffentlich äußern möchte, weil ich fürchte, daß öffentliche Erörterungen in diesem Bereich für die Betroffenen sicherlich nicht hilfreich sind.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Abgeordneter Dolata.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß Ihr Haus, wenn man Vereinbarungen schließt und entgegenkommende Zusagen der anderen Seite hat, nach Möglichkeiten suchen sollte, die Ergebnisse — in diesem Falle auch in negativer Hinsicht — in unserem Einzugsbereich zu überprüfen oder zu erfragen?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch auf diese Frage möchte ich die gleiche Antwort geben: Die Bundesregierung tut das, was in ihren Möglichkeiten liegt, aber sie sieht es nicht als hilfreich an, wenn darüber öffentlich geredet wird.
Herr Abgeordneter Pfeffermann zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich von Ihnen erfahren, welchen Bereich Sie jetzt als „sensibel" zu bezeichnen wünschen: den Vorgang der Inhaftierung aus politischen Gründen oder die Gespräche, die am Werbellinsee geführt worden sind?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pfeffermann, Sie wissen sehr wohl, daß ich den ersten Teil gemeint habe.
Abgeordneter Eigen zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie über Besuchsmöglichkeiten und über politisch Inhaftierte in der DDR im Ministerium nichts wissen: Worüber wissen Sie etwas? Können Sie uns diese Frage einmal beantworten?
Wrede, Parl. Staatssekretär: Diese Frage möchte ich nicht beantworten, Herr Kollege.
Wir verlassen den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen und gehen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft über. Das Haus wird durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Kuhlwein vertreten.Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Dr. Osswald auf:
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982 6485
Vizepräsident WindelenWie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß deutsche Studenten nach wie vor an schweizerischen Universitäten Studiengebühren zu bezahlen haben, obwohl im umgekehrten Fall für schweizerische Studenten an deutschen Hochschulen Gebührenfreiheit besteht?
Herr Präsident, ich möchte darum bitten, die Fragen 6 und 7 wegen des Zusammenhangs auch zusammenhängend beantworten zu dürfen, wenn der Fragesteller nichts dagegen hat.
Herr Kollege, sind Sie damit einverstanden?
— Dann werden wir so verfahren. Ich rufe also auch noch Frage 7 des Abgeordneten Dr. Osswald auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, in Ermangelung einer schweizerischen Bundesrekompetenz mit den einzelnen Kantonen als Träger der Universitäten in Verhandlungen zu treten, um das Prinzip der gegenseitigen Gebührenfreiheit auch mit der Schweiz zur Anwendung kommen zu lassen?
Kuhlwein, Parl. Staatssekretär: Zu Frage 6: Die Bundesregierung bedauert, daß für deutsche Studenten wie für alle ausländischen Studenten an schweizerischen Hochschulen seit dem Wintersemester 1981/82 eine Benutzungsgebühr erhoben wird. Die Höhe dieser Benutzungsgebühr liegt zur Zeit zwischen 600 und 1 000 Schweizer Franken.
Die Bundesregierung ist in dieser Frage bereits im November 1981 auf diplomatischem Wege bei den entsprechenden Stellen in der Schweiz unter Hinweis darauf, daß Schweizer Studenten in der Bundesrepublik Deutschland Gebührenfreiheit genießen, vorstellig geworden. Sie hat sich unter Hinweis auf die Notwendigkeit der wirklichen Einhaltung des Gegenseitigkeitsprinzips wiederholt um die Freistellung deutscher Studenten von diesen Gebühren bemüht.
In ihrer Antwort haben die Schweizer Stellen darauf aufmerksam gemacht, die Gebühren träfen nicht nur deutsche und andere ausländische Studenten, sondern auch Schweizer Studenten aus Kantonen ohne Universitäten, sofern diese keinen Finanzbeitrag an die Universitätskantone leisteten; eine Ungleichbehandlung deutscher Studenten im Innenverhältnis sei insofern nicht gegeben.
Zu Frage 7: Außer den bereits aufgezeigten Bemühungen seitens der Bundesregierung stehen uns keine weiteren Möglichkeiten zur Verfügung. Hier können nur die deutschen Hochschulen gemeinsam mit den Schweizer Hochschulen versuchen, auf die einzelnen Kantonsregierungen dahin gehend einzuwirken, daß nach Maßgabe des Gegenseitigkeitsprinzips Gebührenfreiheit für deutsche Studenten an Schweizer Hochschulen gewährt wird.
Die Schweizer Hochschulen — hier vor allem die Universität Zürich — haben sich eindeutig gegen die Erhebung der Gebühren für ausländische Studenten ausgesprochen. Sie haben wiederholt erklärt, es sei ihnen jedoch kraft der verschiedenen Konkordate der Finanzverwaltungen der einzelnen Kantone nicht möglich gewesen, diesen Beschluß zu ändern; den Schweizer Hochschulen sei aber wie in der Vergangenheit weiter daran gelegen, ausländische Studenten für das Studium an Schweizer Hochschulen zu interessieren.
Trotz aller Schwierigkeiten wird die Bundesregierung weiterhin bemüht bleiben, eine auch für deutsche Studenten befriedigende Lösung anzustreben.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dr. Osswald.
Mit Österreich gibt es ja ein solches Abkommen auf Gegenseitigkeit. Mit welchen Ländern existieren solche Abkommen noch?
Kuhlwein, Parl. Staatssekretär: Mit Griechenland wird Gegenseitigkeit praktiziert; griechische Studenten können auch ohne Zahlung von Studiengebühren in der Bundesrepublik Deutschland studieren. Mit Großbritannien und Irland gibt es eine Regelung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dr. Osswald.
In Ihrer Antwort auf die zweite Frage haben Sie gesagt, daß die Universitäten versuchen sollten, diese Fragen in Partnerschaften zu regeln. Gleiches hat Ihr Haus mir am 4. Dezember 1981 in bezug auf die Gebühren in den Vereinigten Staaten mitgeteilt; es wurde dort gesagt, daß viele Universitäten Partnerschaften hätten, womit die Gebührenfrage geregelt sei. Halten Sie diese Einzelabsprachen für sinnvoll, oder sehen Sie eine Chance, zu einer generellen Lösung zu kommen?
Kuhlwein, Parl. Staatssekretär: Die Rechtsauffassung der Bundesregierung ist, daß generell nach internationalen Gepflogenheiten und nach den Grundsätzen des Europarates zur Förderung der Mobilität von Studenten — und zum Europarat gehört neben einer Reihe anderer Länder ja auch die Schweiz — Gegenseitigkeit verbürgt sein müßte. Leider hat der Europarat insoweit keine direkten Einwirkungsmöglichkeiten, und es bedarf eben in erster Linie bilateraler politischer Verhandlungen, um unsere Rechtsauffassung, die der Europarat teilt, im Einzelfall auch politisch durchzusetzen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Das Haus wird durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär von Schoeler vertreten.Ich rufe zunächst Frage 34 des Abgeordneten Conradi auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird also nicht beantwortet.Ich rufe Frage 35 des Abgeordneten Kirschner auf. — Auch er ist nicht im Saal. Diese Frage wird ebenfalls nicht beantwortet.Für die Fragen 36 und 37 hat der Abgeordnete Dr. Voss schriftliche Beantwortung beantragt. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Der Abgeordnete Dr. Hupka hat für die Frage 38 ebenfalls schriftliche Beantwortung beantragt. Auch hier wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
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6486 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Vizepräsident WindelenWir können damit den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern verlassen. Ich darf mich, Herr Staatssekretär von Schoeler, für Ihre Mühe bedanken.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Das Ressort wird durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Haehser vertreten.Für die Fragen 39 und 40 hat der Abgeordnete Nelle schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Das gleiche gilt für die Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Dr. Zumpfort.Ich rufe Frage 43 des Abgeordneten Michels auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Absicht des Bundesfinanzministers Lahnstein, die Steuerbelastung für die Landwirtschaft im Haushaltsjahr 1983 zu erhöhen und gleichzeitig die Zuschüsse im Sozialbereich innerhalb der Landwirtschaft zu kürzen, eingedenk der Tatsache, daß schon im Haushaltsjahr 1981 der Einzelplan 10 eine Kürzung von 7,8 v. H. hinnehmen mußte und der vor einigen Monaten vorgelegte Agrarbericht des Bundesernährungsministers einen Einkommensrückgang von 12,6 v. H. in der Landwirtschaft ausgewiesen hat?
Herr Kollege, für die Beschlußfassung der Bundesregierung und für die Information des Parlaments über den Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt des kommenden Jahres gibt es ein im Grundgesetz und in der Bundeshaushaltsordnung geregeltes und ständig praktiziertes Verfahren. Danach erfolgt die Information unter Beachtung bestimmter Formen und Fristen nach dem Beschluß der Bundesregierung über den Haushaltsentwurf. Der Kabinettsbeschluß zum Bundeshaushalt 1983 ist für den 7. Juli 1982 vorgesehen. Ich muß Sie daher herzlich um Verständnis bitten, wenn ich die erbetenen Auskünfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erteilen kann.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Michels.
Herr Staatssekretär, kann ich Sie so verstehen, daß die durch mich angesprochenen Äußerungen des Bundesfinanzministers zur Zeit keinerlei besonderes Gewicht haben?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie können mich so verstehen, Herr Kollege, daß die Bundesregierung ihre Entscheidungen am 7. Juli trifft und nicht früher.
Ich rufe die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Neuhaus auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Austermann auf:
Welche gemeinsame ordnungspolitische Zielsetzung liegt den im Zusammenhang mit der Aufstellung des Haushaltsentwurfs 1983 bekanntgewordenen unterschiedlichen Detailvorschlägen des Bundesfinanzministeriums zu Einsparungen, z. B. zur Kürzung bisheriger Steuervergünstigungen, die insgesamt jedoch nicht ausreichen, den Haushalt ohne eine zusätzliche Neuverschuldung auszugleichen, zugrunde?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Austermann, im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bundeshaushalts 1983 ist von vielen Seiten vorgeschlagen worden, auch Finanzhilfen, Steuervergünstigungen und sonstige Leistungen abzubauen. Dieser Vorschlag wird unter anderem auf das Argument gestützt, daß Subventionen den marktwirtschaftlichen Wettbewerb verfälschen.
Die Bundesregierung macht sich zwar derartige Pauschalurteile nicht zu eigen, sieht aber keine ordnungspolitischen Bedenken, steuerliche Vergünstigungen abzubauen. Auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit sollten Steuervergünstigungen einer Überprüfung unterzogen werden.
Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Austermann auf:
Wodurch unterscheidet sich diese Zielsetzung gegebenenfalls von der vom Amtsvorgänger des Bundesfinanzministers heute vertretenen Zielsetzung?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Dazu, Herr Kollege Austermann, antworte ich Ihnen, daß die dargelegten Überlegungen keine Neuorientierung der Finanzpolitik darstellen.
Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Franke auf:
Wie hoch waren die Ausgaben des Bundes für Trennungsgeld und Familienheimfahrten der Bediensteten des Bundes im Haushaltsjahr 1981?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Franke, Trennungsgeld und Reisebeihilfen für Familienheimfahrten werden nicht einzeln veranschlagt, sondern zusammen mit Mietersatz, Fahrtkostenzuschüssen sowie Umzugskostenvergütungen aus dem Titel 453 01 der einzelnen Kapitel bezahlt. Eine Aufteilung der Ist-Ausgaben dieses Titels ist an Hand der im Bundesfinanzministerium verfügbaren Daten nicht möglich. Ich habe daher die obersten Bundesbehörden gebeten, die gewünschten Angaben zu ermitteln, und werde Ihnen, wenn Sie damit einverstanden sind, das Ergebnis schiftlich mitteilen.
Abgeordneter Franke zu einer Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn, wie ich vermute, diese Ausgaben nicht unerheblich sein sollten, würden Sie dann eine Überprüfung der Handhabung, die zu einer solchen sicherlich nicht unerheblichen Ausgabenhöhe führt, zusagen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Das will ich Ihnen gern zusagen, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Kirschner auf:Wie hoch ist die steuerliche Entlastung der steuerpflichtigen Betriebe insgesamt, die auf Grund ihrer Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht von Schwerbehinderten die Ausgleichsabgabe von 100 DM pro Monat pro nichtbesetzten Pflichtplatz entrichten müssen und diese dann steuerlich absetzen können?Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Aufkommen aus der Schwerbehindertenabgabe nach § 8 des Schwerbehindertengesetzes wird für
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982 6487
Parl. Staatssekretär Haehser1982 auf 206 Millionen DM geschätzt. Ihre steuerliche Abzugsfähigkeit als Betriebsausgaben führt zu Steuermindereinnahmen von etwa 100 Millionen DM.
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, gibt es bei der Bundesregierung Überlegungen dahingehend, diese steuerliche Absetzbarkeit eventuell zu verändern oder gar aufzuheben, denn so kommt es ja gar nicht zu einer Belastung von 100 DM pro Monat pro nicht besetzten Pflichtplatz?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin vom damaligen Kollegen Buschfort, dem jetzigen Beauftragten der Bundesregierung für die Schwerbehinderten, auf die Problematik aufmerksam gemacht worden und habe eine sorgfältige Prüfung im Bundesministerium der Finanzen veranlaßt. Auf Ihre Frage antworte ich Ihnen nun, daß die Ausgleichsabgabe durch den Betrieb und nicht durch außerbetriebliche Umstände veranlaßt oder mitveranlaßt wird. Sie ist damit nach Recht und Gesetz eindeutig eine Betriebsausgabe. Ein gesetzliches Abzugsverbot oder eine Abzugsbeschränkung für Aufwendungen, die ihrer Art nach Betriebsausgaben sind, sieht das Einkommensteuergesetz bisher nur vor, wenn entweder die Ausgaben mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehen oder es sich um Aufwendungen handelt, die die private Lebensführung berühren, z. B. Aufwendungen für Geschenke und Bewirtung.
Da die Ausgleichsabgabe nicht unter diese Aufwendungsgruppen fällt, würde durch die Einführung eines Abzugsverbotes eine neue Kategorie nicht abziehbarer Betriebsausgaben geschaffen, die sich, da es sich um echte Betriebsausgaben handelt, steuerrechtlich nicht begründen ließe.
Ich teile das Unbehagen an dieser Rechtssituation, aber bei der Bundesregierung gibt es keine Überlegungen, die darauf zielen, diese Rechtssituation zu ändern.
Herr Abgeordneter Kirschner zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung angesichts dieser Situation bereit, wenigstens in der Sprachregelung nach außen deutlich zu machen, daß diese 100 DM für jeden nicht besetzten Schwerbehindertenplatz im Grunde genommen gar keine 100 DM sind?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Dies kann man nach außen deutlich machen. Das muß aber nicht allein der Bundesregierung überlassen bleiben, sondern daran können alle Mitglieder des Hohen Hauses mitwirken.
Herr Abgeordneter Kühbacher zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß eine tatsächliche Belastung eines Betriebes mit nur 50 DM einen Unternehmer veranlassen könnte, einen Schwerbeschädigten zusätzlich einzustellen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann mich nicht in die Herzen der Unternehmer hineinversetzen, Herr Kollege Kühbacher. Andererseits kennt das Gesetz nicht nur die Abgabe, sondern es kennt auch Bußgeld. Das hat seinerzeit bei der Gesetzgebung eine Rolle gespielt. Ich empfehle Ihnen, sich die einschlägigen Paragraphen des Schwerbehindertengesetzes einmal anzusehen.
Herr Abgeordneter Eigen zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß es auch Unternehmen gibt, in die Schwerbehinderte nur sehr schwierig einzugliedern sind? Ich stelle die Frage, weil ich eine Nachfrage habe: Wie ist es denn bei den Bundesministerien? Haben die alle ihre Pflicht in dieser Hinsicht erfüllt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Soweit mir bekannt ist, Herr Kollege, haben die Bundesministerien in dieser Hinsicht ihre Pflicht erfüllt.
Im übrigen weiß ich natürlich, daß es oftmals nicht leicht ist, Schwerbehinderte unterzubringen. Gleichwohl darf das nicht zu der Auffassung führen, man könne die Schwerbehinderten ihrem Schicksal überlassen.
Herr Abgeordneter Immer zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, man muß davon ausgehen — das ist aus Ihren Ausführungen deutlich geworden —, daß die wirkliche Belastung für die Betriebe in diesem Falle doch fast als halbiert angesehen werden kann.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Das hängt mit dem Steuersatz zusammen.
Gut. — Ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung erwägt, diese Ausgleichsbelastung zu erhöhen, was schon häufig gefordert worden ist.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung stellt keine derartigen Überlegungen an, Herr Kollege.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung geprüft, ob der gesetzliche Ausschluß der Abzugsfähigkeit der Ausgleichszahlung verfassungwidrig wäre, oder ist sie zu dem Ergebnis gekommen, daß das von der Verfassung her wohl möglich wäre? Hat sie auch geprüft, ob es gerechtfertigt ist, daß über die steuerliche Abzugsfähigkeit, d. h.
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6488 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Stieglerüber die Steuerausfälle, eben Bund, Länder und Gemeinden die Schwerbehinderten-Programme indirekt mitfinanzieren müssen, obwohl das eigentlich durch die ausgleichspflichtigen Betriebe geschehen sollte?Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung prüft jeden Gesetzentwurf daraufhin, ob er dem Grundgesetz entspricht. In diese Prüfung tritt auch das Parlament bei seiner Gesetzgebungsarbeit ein. Es hat bisher nie irgendeinen Verdacht gegeben, daß die vom Parlament getroffenen Regelungen etwa verfassungswidrig wären. Die Folgen der getroffenen Regelungen sind in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments ausführlich besprochen worden, so daß sich auch aus diesen Besprechungen Antworten auf Ihre Fragen ergeben.
Herr Abgeordneter Peter zu einer Zusatzfrage.
— Sie haben nur eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
— Entschuldigung, die Geschäftsordnung schreibt zwingend vor, daß ein Fragesteller nur eine Zusatzfrage stellen darf. Der Präsident muß sich danach richten.
Herr Abgeordneter Peter zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich — im Anschluß an die eben gestellte Frage — Regelungen vorstellen, nach denen eine Ausgleichszahlung eben nicht der Steuerpflicht unterliegt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Darum dreht sich ja dieser ganze Teil der Fragestunde, Herr Kollege.
Ich habe hier auf den Charakter als Betriebsausgaben aufmerksam gemacht und auf die Frage des Herrn Kollegen Kirschner hin deutlich gemacht, daß nach dem derzeitigen Steuerrecht die Nichtabzugsfähigkeit nicht zu begründen wäre.
Ich möchte hier zwar keine Anregung geben, aber an dieser Stelle doch einmal sagen: Gesetzgeber ist der Deutsche Bundestag; auch Änderungsgesetze zu bestehenden Gesetzen können vom Deutschen Bundestag beschlossen werden.
Der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann hat um schriftliche Beantwortung der Frage 50 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Brandt auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es unbefriedigend ist, wenn im Auftrag der amerikanischen Stationierungsstreitkräfte arbeitende deutsche Firmen keine Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, obwohl der Bedarf an Facharbeitern dort sehr hoch ist und die Kapazitäten für Ausbildung vorhanden wären?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Herr Abgeordnete Brandt einverstanden ist, würde ich gern die Fragen 51 und 52 gemeinsam beantworten.
Der Herr Abgeordnete Brandt ist damit einverstanden. Ich rufe also zugleich die Frage 52 auf:
Was hat die Bundesregierung bisher unternommen, bzw. was gedenkt sie zu tun, um in Verhandlungen mit den Stationierungsstreitkräften die Verträge so zu gestalten, daß nicht nur Arbeitsstunden, sondern Ausbildungsstunden angeboten werden können?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Brandt, der Bundesregierung ist nicht bekannt, welche Firmen für die Stationierungsstreitkräfte tätig sind und ob diese Firmen Ausbildungsplätze bereitstellen. Nach den Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts hat die Bundesregierung keinen Einfluß darauf, an welche Firmen die Stationierungsstreitkräfte bei der Beschaffung von Lieferungen und Leistungen Aufträge vergeben. Es ist der Bundesregierung auch nicht möglich, auf die Gestaltung solcher Verträge einzuwirken.
Unbeschadet dessen bin ich gern bereit, konkrete Hinweise auf die Probleme, die Ihrer Frage zugrunde liegen, aufzugreifen und gegenüber den Stationierungsstreitkräften zur Sprache zu bringen. Die Erfolgsaussichten einer derartigen Initiative dürfen wegen der eindeutigen Rechtslage zwar nicht überschätzt werden, aber ich würde konkreten Hinweisen sorgfältig nachgehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Brandt .
Herr Staatssekretär, unbeschadet der Tatsache, daß ich das Angebot gern akzeptiere, mit Ihnen über einen konkreten Fall zu sprechen, darf ich Ihnen vielleicht doch einmal folgende Frage stellen. Hat nicht die Bundesregierung insofern doch einen Einfluß, als das Finanzministerium bei der Gestaltung der Verträge, die zwischen den Stationierungsstreitkräften und einer deutschen Firma abgeschlossen werden — wobei die Zuständigkeit sich zwar nicht auf den einzelnen Vertragsabschluß bezieht, das Finanzministerium aber von der Sache her für die Stationierungsstreitkräfte zuständig ist —, einen Hinweis darauf geben könnte, daß diese Verträge eben nicht nur im Blick auf Arbeitsstunden, sondern auch auf Ausbildungsstunden abgeschlossen werden? Ich darf hinzufügen, daß die Bereitschaft des Unternehmens, des Betriebsrats und auch der regional in Frage kommenden Stationierungsstreitkräfte vorhanden wäre. Es wird aber geltend gemacht, daß dies an den übergeordneten Stellen, insbesondere auf amerikanischer Seite, scheitere. Insofern würde eine Hilfe möglicherweise doch dankbar angenommen.
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Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach dem NATO-Truppenstatut gibt es keine Einwirkungsmöglichkeiten der Bundesregierung, auch keine Möglichkeiten der Einwirkung auf die Gestaltung der Verträge.Aber Ihre Frage und der Brief, den Sie mir bezüglich der Beschäftigung von Ausländern bei solchen Vorkommnissen geschrieben haben, waren mir heute morgen Veranlassung zu einem ausführlichen Gespräch in meinem Büro im Bundesministerium der Finanzen.Mit der heutigen Fragestunde ist mein Interesse an dem Problem nicht erledigt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Stationierungsstreitkräfte auch dort, wo sie unmittelbar Arbeitgeber sind, keine Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen — wie z. B. beim Truppenübungsplatz Grafenwöhr, wo mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigt sind und trotz zahlreicher lokaler Bemühungen keine Ausbildungsplätze bereitgestellt werden —, und ist die Bundesregierung bereit, bei ihren kommenden Gesprächen mit den Stationierungsstreitkräften auch diesen Problembereich noch einmal zur Sprache zu bringen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn die Mitteilungen stimmen, die Sie soeben gegeben haben, dann ist der Bundesregierung der von Ihnen geschilderte Sachverhalt jetzt durch Ihre Bemerkungen bekanntgeworden. Ich sage gern zu, daß die Bundesregierung in ihren Gesprächen mit den Stationierungsstreitkräften die Problematik der Ausbildungsplätze zur Sprache bringen wird.
Herr Abgeordneter Pfeffermann zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, berücksichtigen die Bundesregierung und ihre Behörden im allgemeinen auch bei anderen Aufträgen, nämlich denen deutscher Behörden selbst, die Tatsache, ob bei den Auftragnehmern auch Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, und ist das bei Vertragsabschlüssen ein besonderer Grund, dem einen oder dem anderen den Zuschlag zu geben, oder ist Ihnen irgend etwas in dieser Hinsicht — z. B. aus Verdingungsordnungen und ähnlichem — aus der Vergangenheit bekannt?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Derartiges, Herr Kollege, ist mir nicht bekannt. Ich will aber gern zur allgemeinen Unterrichtung des Hauses hinzufügen, daß die Bundesregierung recht selten Auftraggeber in diesem Sinne ist. Das sind Landesbehörden, Baubehörden der Länder, die das machen. Die Bundesregierung selber hat da kaum Befugnisse. Aber im Zusammenhang — das will ich deutlich machen — mit Aufträgen, wie sie in den Fragen von Herrn Brandt angesprochen worden sind, wird die Ausbildungsplatzsituation künftig mit in die Debatte eingeführt.
Für die Frage 53 hat der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten; es wird so verfahren. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet.
Wir gehen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über. Das Haus wird durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Gallus vertreten.
Ich rufe die Frage 54 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf.
Ist der Bundesregierung bekannt, wieviel Mineraldünger in der Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland 1950 und wieviel 1981 verwandt wurde, und wie lauten die entsprechenden Zahlen?
Herr Präsident, ich würde gern beide Fragen gemeinsam beantworten.
Zunächst zur Frage 54. Vom Statistischen Bundesamt wird der Absatz von mineralischen Düngemitteln über den Verbrauch im Inland erfaßt und nach Wirtschaftsjahren ausgewiesen.
Je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche sind verbraucht worden: 1950/51 Stickstoff 25,6 kg, 1980/81 126,6 kg. Phosphat damals 29,6 kg, 1980/81 68,4 kg. Kali 1950/51 46,7 kg, 1980/81 93,4 kg. Kalk 1950/51 45,4 kg, 1980/81 92,9 kg.
In Nährstoff ausgedrückt ergab sich folgender Verbrauch: 1950/51 Stickstoff 362 000 Tonnen, 1980/ 81 1 551 000 Tonnen. Phosphat 418 000 Tonnen damals, 1980/81 837 000 Tonnen. Kali 1950/51 659 000 Tonnen, 1980/81 1 144 000 Tonnen. Kalk 1950/ 51 642 000 Tonnen, 1980/81 1 138 000 Tonnen. Diese Entwicklung ist in Verbindung mit den gestiegenen Anbauerträgen, z. B. zwischen 1950 und 1981 bei Getreide von 24 auf 44 Doppelzentner pro Hektar, zu sehen, die auch einen entsprechenden höheren Nährstoffentzug nach sich ziehen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, Sie haben mit Ihrem letzten Satz meine erste Zusatzfrage eigentlich schon beantwortet. Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen dem doch erheblich erhöhten Einsatz von Mineraldünger, der im Falle des Stickstoffdüngers das Fünffache von 1950 ausmacht, und den von Ihnen genannten Ertragssteigerungen, wonach sich der Hektarertrag in der genannten Zeit nur knapp verdoppelt hat?Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin. Natürlich ist nicht allein der Mineraldünger entscheidend. Vielmehr spielen die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens, die Gründüngung und die natürlichen Dünger — Mist, Stallmist, Jauche —, die vielfach zu ge-
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6490 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Parl. Staatssekretär Galluswaltigen Erträgen führen können, eine Rolle. Das müssen Sie alles in allem sehen.Ich habe auf die Steigerung beim Stickstoffeinsatz bei uns von 25 auf 126 kg hingewiesen. In unseren Nachbarländern lauteten die entsprechenden Zahlen für 1978/79: in den Niederlanden 217 kg pro Hektar, in Dänemark 130 kg, in Belgien 126 kg. 1978/79 lag der Wert in der Bundesrepublik Deutschland noch bei 110 kg N pro Hektar.
Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie ist das Verhältnis der Kostenerhöhungen, die die Landwirte durch den vermehrten Einsatz von Mineraldünger zu tragen haben, zu den durch die gesteigerten Erträge erzielten Preisen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir können folgendes feststellen: In dem Land, das in der EG den höchsten N-Einsatz hat, nämlich in den Niederlanden, erfolgt keine Steigerung des Einsatzes von N-Dünger mehr. Daher muß ich vermuten, daß die Holländer, die ja kluge Rechner sind, in bezug auf die Möglichkeiten der Ertragssteigerung bis an die Grenze dessen gegangen sind, was kaufmännisch überhaupt noch zu verantworten ist.
Ob dieser Zustand auch in der Bundesrepublik Deutschland schon erreicht ist, kann nur von Fall zu Fall beurteilt werden, weil in den einzelnen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland der Düngeraufwand natürlich unterschiedlich ist.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir denn bestätigen, daß die deutschen Landwirte Mineraldünger sehr sorgfältig und kaufmännisch vernünftig einsetzen und dabei den Naturschutz und die Landschaftspflege außerordentlich streng beachten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist beinahe eine Zumutung, für jeden Landwirt die Hand ins Feuer zu legen. Aber vom Grundsatz her beweisen schon die Durchschnittszahlen, daß der Aufwand von Handelsdünger bei uns — im Verhältnis zu unseren Nachbarn — als durchaus sinnvoll anzusehen ist.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kühbacher.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben den internationalen Vergleich zwischen Holland und der Bundesrepublik gebracht haben, frage ich: Ist zu befürchten, daß die Landwirte in der Bundesrepublik, um ihre Einkommenssituation zu verbessern, geneigt sein könnten, den Mineraldüngereinsatz heraufzusetzen, um zu ähnlichen Erträgen zu kommen wie in den Niederlanden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, in Zukunft wird eine Verlangsamung des Einsatzes von zusätzlichem N-Dünger eintreten, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist der Handelsdüngerpreis in den letzten zwei Jahren gewaltig gestiegen. Zweitens sind im Rahmen der Preisfestsetzung bei der EG die Getreidepreise weniger stark angehoben worden als die allgemeinen landwirtschaftlichen Preise. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet das eine allgemeine Anhebung um rund 7 %. Die Getreidepreisanhebung beträgt im Schnitt nur 5,3 %.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Meinung teilen, daß die Nennung von Durchschnittswerten in dieser Frage wenig Sinn hat, da ja in einzelnen Kulturen durch deren Besonderheit und Bodenbeschaffenheit zum Teil erheblich höhere Dosierungen gebraucht werden, während in anderen Kulturen auch von der Aufnahmefähigkeit der Pflanzen oder der Auswaschungsfähigkeit des Bodens her ganz andere Werte erreicht werden, so daß es eigentlich darauf ankäme, zu fragen, welche Dosierung — und möglicherweise auch welche Toxizität — in der Pflanze übrigbleibt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen das bestätigen. Leichter Boden bedingt höhere Auswaschung — das ist ganz natürlich —, und Intensivkulturen bedingen höheren Düngemitteleinsatz.
Herr Abgeordneter Conradi zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Warnungen von Trinkwasserexperten, daß durch weitere ungestörte Überdüngung mit Mineraldünger die Trinkwasserqualität in der Bundesrepublik nachhaltig gefährdet wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Vermutung in Ihrer Frage kann so pauschal nicht zutreffen. Das ergibt sich schon aus dem vom Herrn Kollegen Immer angesprochenen Sachverhalt, auf den ich soeben geantwortet habe, nämlich daß wir es mit sehr unterschiedlichen Bedingungen zu tun haben.
Ich kann aber auch umgekehrt nicht bestreiten, daß in bestimmten Gebieten, wo wir einen sehr hohen Düngeaufwand und auf der anderen Seite leichte Böden haben — zum Teil in bestimmten Gebieten, zum Teil auf Gemeinden begrenzt —, schon eine erhebliche Anreicherung mit Nitraten im Grundwasser erfolgt ist. Ich werde Ihnen diese Gemeinden und die Regionen in der Bundesrepublik, wo das der Fall ist, sehr gern mitteilen, sofern Sie das wünschen.
Herr Abgeordneter Kirschner zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es Untersuchungen über eine sogenannte Kosten-Nutzen-Analyse, d. h. wie sind die Unkosten durch den von
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KirschnerIhnen dargestellten stärkeren Einsatz von Düngern gestiegen, und wie hat sich in gleicher Sicht die Einkommenssituation bzw. der Reingewinn erhöht? Wobei ich mir darüber im klaren bin, daß man hier sehr differenzieren muß.Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen nur eine globale Antwort geben. Es stimmt: Im Wirtschaftsjahr 1980/81 ist nach dem letzten Agrarbericht die Situation so gewesen, daß die Kosten, insbesondere im Düngemittel- und Pflanzenschutzbereich, in zweistelligen Zahlen gestiegen sind und die Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft sich um 12,5 % verschlechtert hat.
Ich rufe die Frage 55 der Frau Abgeordneten Dr. Hartenstein auf:
Sind Fälle von Überdüngung mit Mineraldünger und/oder organischem Dünger bekanntgeworden, und welche Auswirkungen haben sich dabei ergeben?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, nach der derzeitigen Erkenntnis gibt es hinsichtlich der Nitratauswaschung des Grundwassers drei Arten von Problemgebieten: a) Gebiete mit hoher Konzentration von Betrieben mit intensiver Tierhaltung und — dadurch bedingt — hohem Anteil an Wirtschaftsdünger ohne entsprechende Flächenausstattung, b) Weinbaugebiete, insbesondere in flachgründigen Steilhanglagen, c) Gebiete mit hohem Anteil von intensivem Gemüseanbau auf absorptionsschwachen Böden mit hohem Grundwasserstand.
In der normalen Landwirtschaft kann die Gefahr einer Nitratauswaschung durch gezielten Düngereinsatz sowie pflanzenbauliche Maßnahmen wie Zwischenfruchtanbau und Einsatz von Nitrifikationshemmern weitgehend vermieden werden. Nachdem durch wissenschaftliche Untersuchungen, u. a. mit Förderung des Bundes, die Problemzusammenhänge erkennbar wurden, haben die Beratungseinrichtungen in den Ländern ihre Düngungs- und Bewirtschaftungsempfehlungen entsprechend ausgerichtet.
Darüber hinaus enthält das Abfallbeseitigungsgesetz nunmehr eine Eingriffsermächtigung, die den zuständigen Behörden ein Einschreiten erlaubt, wenn durch organische Überdüngung eine Gefährdung des allgemeinen Wohls zu befürchten ist. Außerdem enthält das Wasserrecht ein Instrumentarium zur Vermeidung von Schäden.
Sie wollten eine Zusatzfrage stellen, Frau Kollegin? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich gefragt habe, ob Fälle von Überdüngung mit Mineraldünger und/oder organischem Dünger bekannt geworden seien und welche Auswirkungen sich dabei ergeben haben? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese Frage beantworten könnten.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, uns sind beim Bund keine Fälle bekannt. Es ist auch sehr schwer, vom Bund aus solche Fälle festzustellen. Das ist allein eine Aufgabe der Länder. Deshalb habe ich diese Frage — ich gebe es zu, weil es nicht anders möglich ist — vom Bund aus für die einzelnen Bereiche und die einzelnen Gebiete global beantwortet. Aber auch für Sie gilt, Frau Kollegin, wenn Sie das wünschen, daß wir Ihnen die von den Ländern gemeldeten Gemeinden und Regionen mit erhöhtem Nitratgehalt im Trinkwasser mitteilen. Ich glaube, es würde zu weit führen, Herr Präsident, wenn ich die im einzelnen hier vorlesen würde. Ich bin aber dazu gerne bereit.
Sie wollten noch eine weitere Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Darf ich dann daraus schließen, Herr Staatssekretär, daß Sie beispielsweise die vor einigen Jahren im Raum Vechta aufgetretenen Probleme oder aber auch die am Bodensee festgestellten Probleme, nämlich des starken Eintrags von Nitraten und Phosphaten in den See und die daraus folgende Entrophierung nicht unter das Stichwort Überdüngung einreihen würden und sich nicht gehalten sehen, daraus entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, das entspricht nicht der Realität. Ich habe hier eindeutig erklärt, daß die Gemeinden Eingriffsermächtigungen haben. In bezug auf das Wasserrecht müssen die Länder tätig werden. Ich kann nicht verstehen, weshalb Sie mir die Frage in dieser Weise stellen. In der Liste ist z. B. Achkarren aufgeführt, das ja in der Gegend am Bodensee liegt. Liege ich damit jetzt richtig oder liege ich falsch? Es liegt jedenfalls in Südbaden.
— Es liegt nicht am Bodensee. Entschuldigung, dann liege ich falsch.
Ich finde nur gerade keine Gemeinde am Bodensee.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf das Abfallbeseitigungsgesetz hingewiesen. Ist die Tatsache, daß die Bundesregierung von der Möglichkeit nach dem Abfallbeseitigungsgesetz eine Rechtsverordnung gegen die Überdüngung mit organischen Düngern zu erlassen, bisher keinen Gebrauch macht, auf den hinhaltenden Widerstand des Ministeriums zurückzuführen, das vor allem für die
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6492 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
ConradiLandwirtschaft, möglicherweise nicht so stark für die Ernährung zuständig ist?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben selbst eine Frage eingebracht. Ich werde bei der Beantwortung dieser Frage darauf eingehen.
Herr Abgeordneter Jäger, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die gegenwärtig öffentlich geführte Überdüngungsdebatte zu einem nicht unbeträchtlichen Teil Bestandteil einer großangelegten öffentlichen Kampagne ist, mit der die deutsche Landwirtschaft als Hauptumweltverschmutzer dargestellt werden soll?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube das nicht. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß man aus gewissen Einzelfällen eine Verallgemeinerung herzuleiten versucht, die nicht gerechtfertigt ist.
Herr Abgeordneter Kirschner, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß Herr Minister Baum der Öffentlichkeit vor kurzem eine Studie vorgestellt hat, in der auch auf die zunehmende Belastung des Trinkwassers u. a. durch die Düngung und all die Stoffe, die dabei in den Boden gelangen, hingewiesen wurde?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das ist richtig. Ich bin aber der Auffassung, daß auch hier differenziert werden muß.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Zulassung von größeren Einrichtungen für intensive Tierhaltung in den Ländern jeweils von dem Nachweis einer ausreichenden Fläche zur Ausbringung der Exkremente dieser Tiere abhängig gemacht wird und daß die Gefahr, die einige Abgeordnete hier sehen, eigentlich schon durch diese Zulassung gebannt wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darüber habe ich schon Auskunft gegeben. Hier ist Vorsorge getroffen. Die Länder haben die Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß hier eine Begrenzung erfolgt.
Herr Abgeordneter Immer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß das vorhin angeführte Beispiel des Bodensees gerade in eine ander Richtung weist, da wir feststellen mußten, daß die dort vorhandenen Stoffe insbesondere aus den ungeklärten Abwässern der Gemeinden, also insbesondere aus den Privathaushaltungen stammen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es wird oft übersehen, daß die Überdüngung, die Phosphorierung von Seen und Flüssen zu einem erheblichen Teil auf Waschmittel und die privaten Haushalte, nicht aber direkt auf die Landwirtschaft zurückgeht. Hier muß man fairerweise ebenfalls differenzieren.
Herr Abgeordneter Funk zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie die wissenschaftlichen Untersuchungen, die vorliegen, bestätigen, die zu dem Ergebnis geführt haben, daß der größte Teil des Phosphateintrags in unsere Gewässer auf dem Wege über unsere Siedlungsabwässer erfolgt, weil es den Kläranlagen nicht gelingt, diese Phosphate in genügendem Maße auszuklären?
Gallus, Parl. Staatssekretär: In bezug auf den Phosphateintrag kann ich das bestätigen. Aber hier ist in erster Linie über die Nitratbelastung gesprochen worden. Wie gesagt: Was die Phosphatbelastung anbetrifft, kann ich das bestätigen.
Herr Abgeordneter Conradi, Ihre Frage 56 ist aufgerufen:Wie weit sind die Überlegungen der Bundesregierung zur Vorbereitung einer Überdüngungsverordnung, die nicht nur die organischen, sondern auch die mineralischen Dünger erfaßt, gediehen, und wann ist mit einer solchen Verordnung zu rechnen?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt derzeit nicht den Erlaß einer Überdüngungsverordnung. Bezüglich der Wirtschaftsdünger wird auf die kürzlich erfolgte Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes hingewiesen. Danach können die Landesregierungen Rechtsverordnungen, die das Aufbringen von Jauche, Gülle oder Stallmist regeln, erlassen. Dies gilt insoweit, als das übliche Maß der landwirtschaftlichen Düngung überschritten wird. Darüber hinaus ist eine Eingriffsermächtigung für die zuständige Behörde geschaffen worden, von der sie im Einzelfall Gebrauch machen kann, wenn durch Überdüngung die Gefährdung des Wohls der Allgemeinheit zu besorgen ist.Für Handelsdünger besteht nach dem Düngemittelgesetz keine Ermächtigung für den Erlaß einer derartigen Verordnung. Die schärfere Regelung für Wirtschaftsdünger wurde getroffen, weil insbesondere Gülle infolge ihres kontinuierlichen Anfalls und oft unzureichender Lagerungskapazitäten sowie regional gehäufter flächenunabhängiger Tierhaltung vielfach nicht entsprechend dem Pflanzenbedarf ausgebracht wurde. Vor allem kann Gülleausbringung während der Zeit der Vegetationsruhe zu stärkeren Grundwasserbelastungen bei leichten Böden führen. Dagegen können Mineraldünger dem Pflanzenbedarf entsprechend gezielt ausgebracht und hierdurch Auswaschungen weitgehend vermieden werden. Hinzu kommt, daß die Bemessung der Stickstoffgaben durch neuere Methoden der Stickstoffbedarfsanalyse in den letzten Jahren erheblich verbessert werden konnte. Starre Regelungen, die bei Anwendungsvorschriften unvermeidbar wären, würden den zahlreichen zu berücksichtigenden Fak-
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Parl. Staatssekretär Gallustoren wie z. B. Nährstoffvorrat im Boden, Mineralisation, Aneignungsvermögen der Pflanzen oder Witterungsverlauf nicht gerecht. Auch wäre die Überwachung der Einhaltung allgemeingültiger Düngungsvorschriften selbst bei hohem Verwaltungsaufwand nicht möglich.Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die hier anstehenden Probleme am besten durch eine gute Aus- und Weiterbildung der in der Landwirtschaft Tätigen und eine gezielte Beratung gelöst werden können. Hierfür liegt die Zuständigkeit weitgehend bei den Ländern.Außerdem sei daran erinnert, daß das Wasserrecht Möglichkeiten vorsieht, Wasserschutzgebiete mit bestimmten Auflagen zu versehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorher selbst darauf hingewiesen, daß in Fällen leichter Böden mit verstärkten Auswaschungen und Trinkwassergefährdungen zu rechnen ist: Bleiben Sie auch angesichts dieser von Ihnen getroffenen Feststellungen bei der Überzeugung, daß eine Überdüngungsverordnung für mineralische Dünger nicht erforderlich ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich bin der Auffassung, daß wir, d. h. die Länder, mit anderen Maßnahmen mit dem Problem fertig werden können, weil es sich nur um regional begrenzte Gebiete handelt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, wenn eine solche Überdüngungsverordnung, wie Sie vom Herrn Kollegen Conradi gefordert wurde, erlassen würde, müßten dann nicht auch Jauchekontrolleure in unserem Lande eingeführt werden?
Herr Kollege, würden Sie bitte die Antwort am Mikrophon entgegennehmen? —
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei der Ausbringung von Wirtschaftsdüngern wie Jauche dürfte in den Gebieten, in denen eine starke Überdüngung vorkommt, eine gelegentliche Kontrolle durchaus in Erwägung zu ziehen sein. Eine grundsätzliche Überdüngungsverordnung zu überwachen, halte ich für ein Ding der Unmöglichkeit.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein.
Herr Staatssekretär, darf ich noch einmal nachfragen, ob Sie, wenn man alle drei Gesichtspunkte berücksichtigt, angesichts der heute schon erheblich, um nicht zu sagen: enorm gestiegenen Verbrauchsmengen an Düngemitteln — ich erinnere: fünfmal höher beim Stickstoffdüngereinsatz —, angesichts der massiven Werbung durch die herstellende Industrie, der der Landwirt ausgesetzt ist, und angesichts der auch von Ihnen nicht bestrittenen Gefahren für die Oberflächengewässer und das Grundwasser, auch dann noch bei Ihrer Auffassung verbleiben, daß eine Überdüngungsverordnung nicht erforderlich sei?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich bleibe bei dieser Auffassung, weil die Ermächtigung der Länder ausreicht, die Probleme zu lösen. Vergessen Sie nicht, Frau Kollegin, daß wir nach dem Wasserrecht bei den Wassereinzugsgebieten ganz strenge Regelungen in bezug auf Düngung oder Nichtdüngung haben, von denen die Gemeinden bzw. die Wasserverbände Gebrauch machen können. Im Wassereinzugsgebiet I darf z. B. überhaupt nicht gedüngt werden; im Wassereinzugsgebiet II darf Dünger nur bedingt angewendet werden. Ich glaube, daß diese Bedingungen ausreichen.
Eine ganz andere Frage ist natürlich, inwieweit überhaupt genügend Grundwasser zur Versorgung der Menschen vorhanden ist, ob man in der Zukunft — das gehört aber nicht in unser Ressort — zwischen Brauchwasser und Trinkwasser trennen muß. Das steht auf einem anderen Blatt geschrieben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, liege ich falsch, wenn ich davon ausgehe, daß in Ihren Ausführungen doch ein gewisser Widerspruch vorhanden ist, wenn Sie auf der einen Seite auf die strengen Vorschriften hinweisen und auf der anderen Seite zugestehen, daß trotz alledem eine enorme Belastung des Grundwassers zu verzeichnen ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann in meinen Ausführungen keinen Widerspruch erkennen, weil ich darauf hingewiesen habe, daß die Dinge nach Gebieten und Kulturarten differenziert gesehen werden müssen.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Bindig auf:Kann die Bundesregierung am Beispiel des Pflanzenschutzmittels Endrin darlegen, wie die nach dem Pflanzenschutzgesetz mit der Überwachung zugelassener Pflanzenbehandlungsmittel betraute Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft und die weiteren dafür zuständigen Behörden oder Stellen im Verantwortungsbereich der Bundesregierung in den vergangenen Jahren die Anwendung dieses Mittels durch die einzelnen Anwender effektiv überwacht haben, um sicherzustellen, daß die für dieses Mittel ausgesprochene Anwendungsbeschränkung auch tatsächlich eingehalten wird?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach § 18 des Pflanzenschutzgesetzes gehört es zu den Aufgaben der Biologischen Bundesanstalt für Land-und Forstwirtschaft, die zugelassenen Pflanzenschutzmittel zu überwachen. Dabei handelt es sich um die Überprüfung der in den Verkehr gebrachten
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6494 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Parl. Staatssekretär GallusMittel auf ihre Identität mit dem bei der Zulassung geprüften Muster. Die Überwachung des Verkehrs mit Pflanzenschutzmitteln obliegt auf Grund § 19 des Pflanzenschutzgesetzes den Ländern. Von besonderem Interesse ist dabei die Einhaltung der bestehenden Anwendungsverbote und Beschränkungen für Pflanzenschutzmittel. Nach Auffassung der Länder sind die für den Wirkstoff Endrin bestehenden Anwendungsbeschränkungen sowie die von der BBA — der Biologischen Bundesanstalt — zusätzlich erteilten Auflagen ausreichend kontrolliert worden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bindig, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wenn so eine ausreichende Kontrolle bestanden hat, frage ich mich, wieso im Zusammenhang mit den Schadensfällen, die es jetzt gegeben hat, und der damit einhergehenden Presseberichterstattung dann plötzlich spontan weitere Fälle bekannt wurden, die aber nicht von den Pflanzenschutzdiensten ermittelt wurden, sondern die durch aufmerksame Bürger den Behörden zur Kenntnis gebracht worden sind.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich hoffe, daß Sie die Formulierung in der Beantwortung der Frage aufmerksam verfolgt haben.
Ich habe hier erklärt: Nach Auffassung der Länder sind die für den Wirkstoff Endrin bestehenden Anwendungsbeschränkungen usw. ausreichend kontrolliert worden. Es liegt nicht im Aufgabenbereich des Bundes, dafür zu sorgen, daß diese Kontrollen vollzogen werden. Wir sind hier auf die Mitteilungen der Länder angewiesen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, meine Frage zielt gerade in den Bereich der Zuständigkeiten hinein. Sind Sie darauf aufmerksam geworden, daß bei der Aufzählung der Verpflichtungen, die nach § 19 des Pflanzenschutzgesetzes den Ländern obliegen, die effektive Anwendungskontrolle in den sieben Punkten, die dort genannt sind, gar nicht aufgeführt ist, sondern nur die Überwachung der Pflanzenbestände, die Überwachung des Versandes von Pflanzen, die Prüfung von Pflanzenbehandlungsmitteln, die Überwachung des Verkehrs? Daraus ergibt sich die Frage, wer denn nun wirklich die effektive Anwendung kontrolliert.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, soweit Pflanzenschutzmittel nach Landesvorschriften als Gift gelten, wie z. B. Endrin in Baden-Württemberg, muß der Handel bestimmte Vorschriften einhalten. Jeder, der ein solches Pflanzenschutzmittel verwendet, ist verpflichtet, sich entsprechend den von der Biologischen Bundesanstalt auf der Verpackung festgelegten Anwendungsvorschriften zu verhalten, damit kein Schaden entstehen kann. Darüber hinaus vollziehen die Länder ihre Kontrollen. Der Bund ist in diesem Bereich nicht Kontrolleur der Länder, sondern die Länder vollziehen die Kontrolle in ihrem Bereich in eigener Zuständigkeit.
Herr Abgeordneter Eigen zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Kontrolle der Pflanzenschutzmittel im Grundsatz und auch die Kontrolle in der Anwendung in der Bundesrepublik Deutschland sehr viel strenger als in anderen Ländern der Welt ist, daß es beispielsweise in weiten Bereichen überhaupt keine Möglichkeit der Kontrolle gibt und wir dennoch Agrarprodukte aus diesen Ländern importieren?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen bestätigen, daß es in vielen Ländern der Erde keine so scharfen Gesetze für die Anwendung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln gibt. Das ist leider so. Das ist auch ein Problem in bezug auf die Entwicklungsländer. In kaum einem Land, nicht einmal der EG, sind so viele Wirkstoffe wie in der Bundesrepublik Deutschland verboten. Ich darf nur an das kürzliche Verbot von Quecksilber in Beizmitteln erinnern, obwohl in den meisten Staaten der EG quecksilberhaltige Beizmittel noch zugelassen sind und die deutschen Landwirte für die neuen Beizmittel einen zehnfachen Preis zu entrichten haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, können Sie uns mitteilen, wie viele Ordnungswidrigkeiten wegen Verstößen gegen die Anwendungsbeschränkungen im letzten Jahr festgestellt worden sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen leider nicht mitteilen. Aber ich kann Ihnen folgendes sagen. Der Bund und die Biologische Bundesanstalt haben auf Grund der Vorkommnisse am Bodensee bei Endrin die Konsequenz gezogen. Die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft hat am 25. Mai 1982 die Zulassung aller Pflanzenschutzmittel, die den Wirkstoff Endrin enthalten, widerrufen und ordnet gegebenenfalls sofortige Vollziehung an. Es ist vorgesehen, die Anwendung des Wirkstoffs Endrin im Pflanzenschutz vollständig zu verbieten. Dem Präsidenten des Bundesrates ist der Entwurf einer Ersten Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung, der die entsprechende Regelung enthält, von unserem Hause bereits zugeleitet worden.
Es sind jetzt noch Zusatzfragen der Abgeordneten Kirschner, Frau Dr. Hartenstein und Kühbacher angemeldet. Ich wollte dann die nächste Frage aufrufen.Herr Abgeordneter Kirschner zu einer weiteren Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982 6495
Herr Staatssekretär, nach dem von Ihnen dargestellten Begriff einer ausreichenden Kontrolle möchte ich fragen: Wie war es möglich, daß auf der einen Seite die Biologische Bundesanstalt nach Aussagen des Bundes dieses Gift Endrin noch vor kurzem als unbedenklich eingestuft hat
und auf der anderen Seite dann diese Vogelkatastrophe am Bodensee eintrat?
Gallus, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, es hat 30 Jahre lang, wenn die Anwendungsvorschriften befolgt worden sind, mit diesem Mittel in ganz Europa kein Problem gegeben. Höchstwahrscheinlich ist diese ganze Geschichte auf menschliches Versagen zurückzuführen, indem die Anwendungsvorschriften mißachtet wurden. Es ist aber nicht Aufgabe des Bundes, sondern des zuständigen Landes, dies ausfindig zu machen und zu kontrollieren.
Herr Abgeordneter Kühbacher zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß wir hier zum Teil die Aufgaben des baden-württembergischen Landtages mit übernehmen, und könnten Sie bei einem nächsten Gespräch mit Ihren Kollegen aus den Länderressorts vielleicht auf diese Fragestunde hinweisen, um auch solche Einzelfälle möglichst auszuschließen, damit es auch nicht zu solchen Zwischenrufen kommen muß, Herr Kollege Eigen, wie es hier soeben geschehen ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bestätige Ihnen gern, daß ich hier, d. h. die Bundesregierung, für etwas geradezustehen habe, wofür eigentlich das entsprechende Land zuständig ist. Ich werde empfehlen, daß Abgeordnete der entsprechenden Fraktionen die Fragen in bezug auf die Kontrolle im Landtag von Baden-Württemberg stellen.
Für die Frage 58 hat der Herr Abgeordnete Dr. Feldmann um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Paintner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt und was gedenkt sie dagegen zu tun, daß Erzeugergemeinschaften auf dem Sektor Vieh und Fleisch laufend gegen das Marktstrukturgesetz verstoßen, indem sie auch Schlachtvieh von Nichtmitgliedern verwerten und vermarkten und dadurch eine vom Marktstrukturgesetz nicht beabsichtigte Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten privater Vermarkter schaffen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung ist ein Fall bekanntgeworden, in dem eine Erzeugergemeinschaft für Schlachtvieh einen regelmäßigen Handel mit Nichtmitgliedern betrieben haben soll. Dies würde den Anerkennungsvoraussetzungen für die Erzeugergemeinschaft widersprechen. Nach den Bestimmungen des Marktstrukturgesetzes ist es Aufgabe des Landes, in dem die Erzeugergemeinschaft ihren Sitz hat, die Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen zu überwachen. Nach meiner Kenntnis ist in dem betrettenden Fall die zuständige Landesbehörde bereits tätig geworden. Sie hat die Erzeugergemeinschaft auf die Grenzen ihrer Tätigkeit hingewiesen und auf die Konsequenzen für die weitere Aufrechterhaltung der Anerkennung aufmerksam gemacht. Es ist daher davon auszugehen, daß die Angelegenheit ordnungsgemäß bereinigt wird.
Sie wollten eine Zusatzfrage stellen. Bitte schön, Herr Abgeordneter Paintner, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß auch die Bundesregierung bei der Verabschiedung des Marktstrukturgesetzes davon ausgegangen ist, daß nur Erzeugergemeinschaften gewollt sind, die ausschließlich Produkte von Mitgliedern liefern?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage ist deshalb nicht eindeutig zu beantworten, weil nach den Kommentaren und nach den bisher erfolgten Gerichtsurteilen — auch bei diesem Fall in Bayern handelt es sich heute noch um ein schwebendes Verfahren; es ist noch nicht durch alle Instanzen hindurch entschieden — nicht klar gesagt werden kann, was der Gesetzgeber damals eigentlich wollte. Ich persönlich, der ich als Abgeordneter mitgewirkt habe, war damals der Auffassung — wenn ich meine Meinung hier sagen darf —, daß dieses Gesetz nur für Mitglieder von Erzeugergemeinschaften geschaffen worden ist, aber ich möchte hier der Entscheidung eines Gerichts keineswegs vorgreifen.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Eigen auf:
Wie vereinbart die Bundesregierung die Zustimmung zu den Produktionsschwellen bei Getreide und Raps im Ministerrat der EG mit ihrem Sozialanspruch, wenn Millionen von Menschen in der Welt hungern?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Hilfe für hungernde Menschen in der Dritten Welt wird durch die für Getreide und Raps eingeführte Garantieschwelle nicht erschwert, denn mit der Schwelle wird die Erzeugungsmenge von Getreide und Raps nicht begrenzt. Die Gemeinschaft wird daher auch in Zukunft in der Lage sein, ihren Beitrag zur Minderung des Hungers in der Welt zu leisten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Eigen.
In welcher Weise will denn die Gemeinschaft überhaupt die Ernte des Getreides und des Rapses so exakt erfassen, daß sie es verantworten kann — so sieht es das Reglement vor —, einen für den Landwirt außerordentlich empfindlichen Preisabzug durchzuführen, wenn diese Marge um eine bestimmte Höhe überschritten wird, und wie soll sich der einzelne Landwirt darauf einstellen?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die Kommission glaubt, daß die
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6496 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Parl. Staatssekretär GallusStatistischen Ämter der einzelnen Länder in der Lage sind, die korrekten Zahlen zu liefern.Der Landwirt muß sich damit auseinandersetzen, daß es in Europa auch bei der Produktion von Getreide langsam an einen Punkt gekommen ist, an dem wir eine Überschußproduktion haben, insbesondere noch bei dem gewaltigen Zufluß von Substituten, so daß wir zum Nettoexporteur von Getreide geworden sind. Das verursacht erhebliche zusätzliche Kosten, aber nicht nur das: Tatsache ist auch, daß uns die Amerikaner große Vorhaltungen machen, wir brächten mit den Ausgleichsbeträgen für Getreide beim Export den Weltmarkt in Gefahr, so daß der traditionelle Anteil Amerikas am Weltmarkt für Getreide geschmälert werde. Das hat eine eminent politische Bedeutung.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, das habe eine eminent politische Bedeutung, dann darf ich im Anschluß daran eine Frage an Sie richten. Ich bin Ihrer Meinung, nur in ganz anderer Hinsicht. Deswegen habe ich eine Frage bezüglich „Brot für die Welt" gestellt. Wenn Hunderte von Millionen Menschen heute in der Welt immer noch hungern, dann kann doch Getreideproduktion sicherlich nicht Fluch sein, sondern sie muß Segen sein.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gebe zu, daß beim Bürger draußen der Eindruck einer gewissen Schizophrenie entsteht, wenn auf der einen Seite von Hunger in der Welt und von Tod vom Menschen durch diesen Hunger und auf der anderen Seite leider auch von einer weltweiten Überschußproduktion von Getreide geredet werden muß. Immerhin müssen die Amerikaner, bei denen die neue Ernte schon begonnen hat, allein 23 Millionen Tonnen Weizen mit in das neue Getreidewirtschaftsjahr hinübernehmen. Das bewegt sich in der Größenordnung der gesamten deutschen Getreideernte.
Von daher ergibt sich ein völlig anderes Problem, nämlich die Tatsache, daß allein das Geld entscheidend ist, ob es gelingt, diejenigen, die Hunger haben, auch satt zu machen.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung durch die USA-Reise des Parlamentarischen Staatssekretärs Gallus in bezug auf die bestehenden Importhemmnisse in den USA für Fleisch-, Wurst- und Milchprodukte aus der Europäischen Gemeinschaft gewonnen, und in welcher Weise sollen sie abgebaut werden?
Bitte.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die in den USA bestehenden Importhemmnisse für Fleisch-, Wurst- und Milchprodukte dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind im Gesamtzusammenhang der derzeitigen agrarpolitischen Diskussion zwischen der EG und den USA zu sehen.
Der Hauptvorwurf der USA liegt darin, daß die EG als Netto-Exporteur mit ihrer Exporterstattungspolitik zunehmend in vermeintlich traditionelle Märkte der USA eindringe, das Preisniveau drücke und sich auf diese Weise entgegen dem im GATT vereinbarten Subventionskodex einen verhältnismäßig hohen Anteil am Welthandel verschaffe.
In meinen Gesprächen und Diskussionen mit maßgeblichen Vertretern der Administration und des Berufsstandes anläßlich meines kürzlichen USA-Besuches habe ich demgegenüber darauf hingewiesen, daß den USA als größtem Agrarexporteur der Welt, der zudem seine Agrarproduktion laufend gesteigert hat, eine besondere Verantwortung zukomme, zumal wenn man berücksichtigt, daß die USA in den 50er Jahren noch Netto-Importeur von Nahrungsmitteln gewesen sind.
Insbesondere habe ich in allen Gesprächen immer wieder betont, daß die USA für ihre Getreidesubstitute nur dann einen nach wie vor ungehinderten Zugang zum europäischen Markt erwarten könnten, wenn sie ihrerseits bereit seien, umgekehrt die europäischen Veredelungsproduktion auf den amerikanischen Markt zu lassen.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß die hier angesprochenen Einfuhrhemmnisse weitgehend durch den sogenannten Waiver abgedeckt sind, d. h. durch eine Ausnahmegenehmigung für mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen auf dem Agrarsektor, die die USA im Jahre 1955 von den GATT-Vertragsparteien erhalten haben. Die USA waren bisher nicht bereit, auf dieses Privileg zu verzichten.
Außerdem behindern die strengen veterinärpolizeilichen Seuchenvorschriften der USA hinsichtlich der Schweinepest, der Schweinebläschenkrankheit und der Maul- und Klauenseuche sowie die geringe Flexibilität bei deren Anwendung den Export von Fleisch-, Wurst- und Milcherzeugnissen aus der EG erheblich. Unsere diesbezüglichen Wünsche, diese strengen Bestimmungen zu lockern, sind von meinen Gesprächspartnern in den USA zur Kenntnis genommen worden.
Ich habe die Erkenntnis gewonnen, daß kurzfristig kaum mit einer Aufhebung der hier in Rede stehenden Importhemmnisse zu rechnen ist. Die Bundesregierung wird bilateral und im Rahmen der EG weiterhin bemüht bleiben, zu einem Abbau dieser Einfuhrhemmnisse zu gelangen. Sie hält es darüber hinaus für wichtig, mit den USA im Gespräch zu bleiben, damit es nicht zu einseitigen Reaktionen im Agrarhandel zwischen der EG und den USA kommt.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Eigen.
Herr Staatssekretär, kann ich also davon ausgehen, daß die Bundesregierung alles tun wird, damit die Europäische Gemeinschaft bei den zukünftigen GATT-Verhandlungen die Handelshemmnisse der USA beim Import von Agrargütern aus der Europäischen Gemeinschaft abbaut?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982 6497
Gallus, Parl. Staatssekretär: Sie können davon ausgehen. Nur steht im Augenblick Europa auf der Anklagebank, weil die USA behaupten, wir hätten durch die derzeitigen GATT-Regelungen zu viele Vorteile.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Eigen.
Nicht auf Grund dieser, aber auf Grund Ihrer vorhergehenden Aussage darf ich fragen: Kann ich also auch davon ausgehen, daß die Bundesregierung auf die Europäische Gemeinschaft dahin gehend Einfluß nehmen wird, daß sie bei den zukünftigen GATT-Verhandlungen auch die Handelshemmnisse beispielsweise Japans bezüglich des Imports von Agrargütern aus der Europäischen Gemeinschaft in Frage stellen bzw. abzubauen versuchen wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ja.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Funk auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Interventionspreiserhöhung für Raps nach Auskunft der aufnehmenden Hand nur 2,8 v. H. beträgt und nicht — wie von der Regierung veröffentlicht — 5,7 v. H.?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Anhebungsrate von 5,7 % bezieht sich auf den Richtpreis, der für die Höhe der Erzeugungsbeihilfe als Differenz zwischen Richt- und Weltmarktpreis maßgebend ist.
Die Anhebungsraten bei den Interventionspreisen für Raps sind unterschiedlich. Das liegt daran, daß in diesem Wirtschaftsjahr noch nach Erzeugungs- und Verbrauchsgebieten unterschiedliche Interventionspreise bestehen. Diese werden 1982/83 vereinheitlicht.
Daraus ergibt sich, daß in den deutschen Erzeugungsgebieten mit niedrigeren Interventionspreisen — wie Regensburg — die Preise um 5,2 % von 1031,56 DM auf 1084,95 DM je Tonne, in den Hauptverbrauchsgebieten — das sind vor allem die Bereiche Hamburg, Mannheim und Düsseldorf — um 2,8 % von 1054,94 DM auf wiederum 1084,95 DM je Tonne angehoben werden.
Im übrigen gilt für erucasäurefreien und glucosinolatarmen Raps, den sogenannten OO-Raps, ein besonderer Interventionspreis. Er ist für die Hauptmühlenstandorte um 4,8 % von 1108,07 DM je Tonne auf 1160,89 DM je Tonne und für Regensburg um 7 von 1084,69 DM je Tonne auf ebenfalls 1160,89 DM je Tonne angehoben worden. Solcher Raps wird in der Bundesrepublik allerdings wenig angebaut.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Funk .
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß das, was Sie eben vorgetragen haben, für einen Landwirt schwer verständlich und für einen Nichtlandwirt völlig unverständlich ist und daß es von der Bundesregierung falsch war, öffentlich bekanntzugeben, daß der
Rapsinterventionspreis um 5,7 % erhöht wird, wenn er doch in Wirklichkeit nur in Regensburg, wie Sie gerade bestätigt haben, um 5,2 % erhöht wird, in anderen Gebieten Deutschlands aber nur um 2,8 %?
Im übrigen hat dafür ein rapserzeugender Landwirt kein Verständnis.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich hoffe, daß die Beantwortung Ihrer Frage zur Klarheit beiträgt.
Herr Abgeordneter Funk, wollten Sie noch eine Zusatzfrage zur Frage 62 stellen?
Ich möchte den Herrn Staatssekretär bitten, daß diese Antwort in einer sehr verständlichen Form schriftlich gegeben wird, daß die Landwirte es auch verstehen.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich werde Ihnen die Antwort auch noch schriftlich zustellen. Ich darf aber auch darauf hinweisen, daß sie im Protokoll des Deutschen Bundestages ebenfalls nachzulesen ist.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir dann festzustellen, daß die Aussagen der Bundesregierung im Ernährungsausschuß hier im Deutschen Bundestag in bezug auf die Preisbeschlüsse von Brüssel falsch waren?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein.
Abgeordneter Jäger , wollten Sie eine Zusatzfrage stellen? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, da Sie dem Kollegen Funk eben gesagt haben, seine Frage habe erst wirklich zur Aufhellung des Sachverhalts beigetragen: Ist die Bundesregierung bereit, uns künftig wissen zu lassen, zu welchen Punkten wir aufhellende Fragen stellen sollen, damit die Informationspolitik der Bundesregierung vom Parlament her wirkungsvoll unterstützt werden kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin sicher, daß die einschlägigen Bereiche es nie anders gesehen haben, als ich es eben in Beantwortung der Frage von Herrn Funk dargelegt habe. Aber wenn die Beantwortung der Frage einem breiteren Kreis deutlich macht, um was es geht, dann hat meines Erachtens die Frage ihren Zweck erfüllt.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Funk auf:
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6498 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Vizepräsident WindelenIn welcher Weise kann die Bundesregierung darauf hinwirken, daß die veröffentlichten Agrarpreiserhöhungen auch bei den Bauern als Einkommensverbesserung auf Höfen ankommen?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wegen der unterschiedlichen Stützungssysteme in den einzelnen Marktordnungen wirken sich die beschlossenen Anhebungen bei den Agrarpreisen unterschiedlich auf die tatsächlichen Erzeugerpreise bei den einzelnen Agrarprodukten aus. Daneben spielt auch die Handhabung der vorhadenen Instrumente in den einzelnen Marktordnungen eine Rolle. Rein rechnerisch kann nach den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre davon ausgegangen werden, daß die beschlossenen Preisanhebungen im Durchschnitt zu einer Erhöhung der tatsächlichen Erzeugerpreise im Wirtschaftsjahr 1982/83 von rund 4% führen werden. Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen, daß unter Berücksichtigung der Markt- und Haushaltslage die Instrumente der einzelnen Marktordnungen so genutzt werden, daß die beschlossenen Agrarpreiserhöhungen in ausreichendem Umfang bei den tatsächlichen Erzeugerpreisen ihren Niederschlag finden und bei den Bauern als Einkommensverbesserung auf den Höfen ankommen.
Wollten Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordneter? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, hätten Sie dann die Güte, nachzuprüfen, ob — im Falle Raps ist es ja bei Ihnen auch erst durch die Fragestellung zu einer Aufhellung gekommen — diese Preise, die Sie als Preiserhöhung veröffentlichen, auch tatsächlich gezahlt werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, man müßte das System der EG-Marktordnungen völlig mißverstehen, wenn man meinte, das ginge so einfach, wie Sie das von mir verlangen.
Zunächst einmal ist es so, daß nur für ungefähr 58 der Agrarprodukte die Interventionspreise maßgebend sind. Bei einem erheblichen Teil der Agrarproduktion, zum Beispiel beim Schweinefleisch, ist nur die Inzidenz maßgebend. Danach ist nur der Anteil des Getreides, das an dieses Schwein verfüttert wird, für den Schweinefleischpreis ausschlaggebend. Weil das alles so ist, ist es nicht einfach mit einer Rückfrage bei der BALM getan. Die übrigen Preise müssen sich am Markt erst entsprechend durchsetzen lassen.
Das gilt z. B. auch bei der Milch. Ein Teil der Molkereien sind Interventionsmolkereien, ein anderer großer Teil sind Marktmolkereien. Es ist eine altbekannte Tatsache, daß die Interventionsmolkereien mit dem Preis sofort nach oben können, während die Marktmolkereien Monate brauchen, bis das, was in Brüssel beschlossen worden ist, am Markt überhaupt durchgesetzt werden kann.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Funk.
Herr Staatssekretär, würden Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß die Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung — das ist die BALM — eine Einrichtung Ihres Hauses ist und auch von Ihnen zu überwachen ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, natürlich ist es so. Das bezweifelt doch niemand. Nur muß ich Ihnen dazu folgendes sagen. Die BALM kann letztlich nur soviel ausrichten, wie ihr Mittel zur Verfügung stehen, um Produkte aus dem Markt zu nehmen, damit die Preise entsprechend angehoben werden können. Man kann aber nur so weit gehen, daß der Rahmen der finanziellen Mittel nicht gesprengt wird. Diesen Rahmen bildet ein Beschluß dieses Hohen Hauses — auch Ihrer Fraktion — vom 27. Juni 1979, daß die Finanzierung der EG über 1 % des Mehrwertsteueraufkommens nicht hinausgehen darf.
Wir sind damit am Ende der heutigen Fragestunde.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982
— Drucksache 9/1750 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Ist das Haus damit einverstanden, daß für diesen Tagesordnungspunkt und für die Tagesordnungspunkte 5, 7, 9 und 10 von der Frist unserer Geschäftsordnung für den Beginn der Beratung abgewichen wird? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung hat der Bundesminister der Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Nachtragshaushalt 1982 zieht die Bundesregierung die Schlußfolgerung aus der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Arbeitslosigkeit wird in diesem Jahr höher, die Steuereinnahmen werden niedriger sein, als bei der Verabschiedung des Haushalts im späten Herbst 1981 absehbar gewesen ist.Aus diesen veränderten wirtschaftlichen Rahmendaten ergibt sich: Der Bundeszuschuß zur Bundesanstalt für Arbeit wird um 4,1 Milliarden DM höher, die Ausgaben für Arbeitslosenhilfe werden um 900 Millionen DM höher ausfallen als geplant. Über den Haushalt des Bundes trägt damit die Gesamtheit der Steuerzahler zur Aufrechterhaltung der sozialen Stabilität in unserem Lande bei, und zwar mit erheblichen Beträgen. Diese zusätzliche Anstrengung ist absolut unverzichtbar, auch wenn sie ein zusätzliches Loch in die Kasse des Bundes reißt.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982 6499
Bundesminister LahnsteinWir werden außerdem wegen der schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung nach der jüngsten Steuerschätzung von Anfang Juni Steuermindereinnahmen von 2,1 Milliarden DM haben. Ich darf zu dieser Zahl eine Anmerkung machen:Auf Grund der wirtschaftlichen Stagnation, aber auch auf Grund der erheblichen Steuerentlastungen der letzten Jahre hat die volkswirtschaftliche Steuerquote in der Bundesrepublik Deutschland einen historischen Tiefstand erreicht. Der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttosozialprodukt — methodisch um das Kindergeld bereinigt, was man j a wohl tun muß — ist heute mit 22,6 % niedriger als im Jahre 1952. Damals betrug diese Quote 23,4 %. Hätten wir heute nur die Steuerquote des Jahres 1952, so würde allein dies für den Bund Mehreinnahmen von 7 Milliarden DM bedeuten.
Auch dies ist in der Diskussion um die Entwicklung der Steuer- und Abgabenquote sicherlich bedenkenswert.
Die Mehrausgaben für Arbeitslosigkeit und die Steuermindereinnahmen machen im Jahre 1982 zusammen 7,1 Milliarden DM aus. Um diesen Betrag steigt auch die Nettokreditaufnahme. Die Erhöhung der Nettokreditaufnahme dient also der Finanzierung klassischer konjunkturbedingter Mehrausgaben und Mindereinnahmen. Alle übrigen Mehrausgaben, auch die in diesem Jahr anfallenden Ausgaben für die „Gemeinschaftsinitiative", werden durch anderweitige Einsparungen oder Mehreinnahmen an anderer Stelle — hier erinnere ich nur an die Verwaltungseinnahmen — finanziert.Es wäre nach Auffassung der Bundesregierung nicht nur unmöglich, sondern auch in gefährlicher Weise prozyklisch, derartige Mehrausgaben und Mindereinnahmen mitten im laufenden Haushaltsjahr einsparen zu wollen. Die Rückführung der Nettokreditaufnahme bleibt notwendig, aber sie muß auch weiterhin durch mittelfristig angelegte Einsparungen im konsumtiven Bereich, bei Finanzhilfen und bei Steuervergünstigungen erfolgen. Genau das wird mit dem Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 1983, auf den ich am Schluß noch einmal zurückkommen darf, geschehen.Wie dies zu passieren hat, dazu gibt uns die Deutsche Bundesbank in ihrem heute veröffentlichten Monatsbericht einen wertvollen Hinweis. Es heißt dort — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsident —:Die weitere Wirtschaftstendenz in der Bundesrepublik wird aber auch stark davon bestimmt, ob es gelingt, zur Stabilisierung der bestehenden Erwartungen— Erwartungen in Richtung Wirtschaftsaufschwung —den im Herbst letzten Jahren eingeschlagenen Kurs eines allmählichen Abbaus der staatlichen Haushaltsdefizite einzuhalten.Ähnliche Ratschläge enthält der Jahresbericht der Europäischen Gemeinschaft für die Bundesrepublik Deutschland. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht auch den Internationalen Währungsfonds heranziehen, der uns in seinem „Deutschland-Examen" erst vor einigen Wochen sehr nachdrücklich davor gewarnt hat, jetzt — bei noch gedrückter Wirtschaftstätigkeit — die staatliche Nachfrage zu stark einzuschränken, und der uns die Hinnahme konjunkturbedingter Mehrausgaben und Mindereinnahmen vorschlägt. Auch dies ergibt einen weiteren und wertvollen Hinweis auf die Notwendigkeiten für 1983.Wichtig ist nach all diesen Aussagen, die mit der Auffassung der Bundesregierung voll übereinstimmen, die Tendenz der Ausgaben- und Einnahmen-entwicklung im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt. Die konjunkturbedingt pendelnde aktuelle Nettokreditaufnahme kann dann zu einer gefährlichen Wegmarke werden, wenn sie zur alleinigen Richtschnur finanzpolitischer Entscheidungen wird. Dies ist übrigens eine der wenigen Aussagen, über die sich auch heute noch alle Ökonomen, seien sie nun angebots- oder nachfrageorientiert, weitgehend einig sind. Auch das sollte bei aller tagespolitisch bedingten Hektik nicht übersehen werden.Die im Rahmen der „Operation 1982" erzielten erheblichen mittelfristigen Einsparerfolge werden durch den Nachtrag überlagert, aber sie werden nicht zunichte gemacht.
Nun werden manche die Frage stellen, ob die jetzt eintretenden Mehrausgaben und Mindereinnahmen nicht schon bei der Haushaltsaufstellung im letzten Jahr erkennbar waren.
Diese Frage ist verständlich.
Risiken waren damals sicherlich erkennbar.
— Auf Herrn Friedmann wird mein Kollege Westphal nachher noch im einzelnen eingehen.
Risiken waren damals sicherlich erkennbar und sind von meinem Vorgänger Hans Matthöfer in seiner Einbringungsrede im September 1981 auch deutlich angesprochen worden. Das kann jeder in der Einbringungsrede nachlesen.Nun muß jede Haushaltsplanung — das geht gar nicht anders — mit notwendigerweise unsicheren Schätzungen für den wirtschaftlichen, auch für den finanzwirtschaftlichen Verlauf der nächsten 18 Monate arbeiten. Dies gilt um so mehr dann, wenn, wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, der Haushalt des jeweils kommenden Jahres bereits lange vor Beginn dieses Jahres aufgestellt werden muß. Wir stehen jetzt z. B. vor der nicht ganz präzise auszurechnenden Aufgabe, die wirtschaftliche Entwicklung des letzten Quartals des Jahres 1983 in die Haushaltsplanung zu übersetzen. Ökonomisch und politisch ist dieser Weg nicht unbedingt sinnvoll.
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6500 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Bundesminister LahnsteinAber er ist uns und damit auch der Opposition rechtlich vorgegeben. Ich komme rechtlich am Haushaltskalender nicht vorbei, und ich muß bereit sein, wegen dieser rechtlichen Gegebenheiten auf Risiken und Schätzunsicherheiten immer auch an dem einen oder anderen Punkt erst vorläufige Antworten geben zu können. Die jetzige Erhöhung der Nettokreditaufnahme — also was wir jetzt im Nachtrag haben — entspricht knapp 3 % des gesamten Haushaltsvolumens, entspricht 25 % der ursprünglich geplanten Nettokreditaufnahme. Das ist, wenn Sie das international vergleichen, eine für mich immer noch erstaunlich präzise Leistung.
In den USA dagegen haben sich die Defizitschätzungen für 1982 seit dem letzten Herbst — also etwa dem gleichen Zeitpunkt — mehr als verdreifacht. In Japan sind sie um 60 % gestiegen, und in England haben sie sich verdoppelt. Die Besserwisser wird natürlich auch das nicht überzeugen — das sehe ich wohl ein —, die Vernünftigen aber durchaus.
— Ich zähle mich zu den Vernünftigen; das ist richtig festgestellt.Das Haushaltsdefizit der Gebietskörperschaften in Prozent des Bruttosozialprodukts, also der international übliche Vergleichsmaßstab, betrug 1981 bei uns 4,5 %; es wird trotz Nachtrags auf 4 % fallen. In den USA ist dieses Defizit von 0,9 auf 3,2 % gestiegen.— Dabei weiß jeder, der mit diesen Zahlen umgeht, daß es nicht auf die absolute Größenordnung ankommt, weil die j a auch von anderen Faktoren abhängt, z. B. von der Sparneigung, sondern daß die Bewegung, die Veränderung, der entscheidende Punkt ist. Deshalb ist es ja auch nicht verwunderlich, daß das Ringen um den Haushalt in Washington politisch eine so große Rolle spielt. — Im gleichen Zeitraum hat sich in Frankreich das Defizit von 2,4 auf 4 % gestellt, in Großbritannien von 2,5 auf 3,5 %. Wir sind so ungefähr der einzige große Industriestaat, der bei wirtschaftlicher Flaute sein öffentliches Defizit hat herunterfahren können; eine Entwicklung, die übrigens auch in der Bundesrepublik Deutschland selber nicht ohne Kontroversen diskutiert wird. Daran ändert, wie ich sagte, auch die jetzige Erhöhung der Nettokreditaufnahme um 7 Milliarden DM nichts.Gleichwohl nehme ich jede Besorgnis ernst, diese Erhöhung könne im laufenden Jahr die weitere Senkung des Zinsniveaus beeinträchtigen. Aber auch hier müssen wir die Tatsachen sehen. Seit Jahresanfang gab es z. B. in der Bundesrepublik Deutschland bei deutlich gesunkenem Zinsniveau gegenüber dem Jahresbeginn einen Nettokapitalexport von etwa 15 Milliarden DM. So unergiebig kann ein Kapitalmarkt nicht sein, der dies bei gesunkenen Zinsen verkraftet. Sie wissen, daß unser Zinsabstand zum Dollar im Vergleich zum Jahresbeginn deutlich gewachsen ist; er beträgt jetzt immerhin 6 Prozentpunkte. Mehr erscheint derzeit nicht möglich. Unsere Leistungsbilanz hat sich deutlich und für viele überraschend stark gebessert. Unser Stabilitätsvorsprung ist gestiegen. Die dadurch entstandene Möglichkeit der Abkoppelung vom amerikanischen Zinsniveau sind von der Bundesbank konsequent genutzt worden; sie sind allerdings derzeit zunächst ausgeschöpft.Ich will noch eines zum Stand der Nettokreditaufnahme selbst sagen. Unter Einschluß des Nachtragshaushalts haben wir beim Bund unseren Nettokreditbedarf bereits heute zu mehr als 70 % gedeckt. Der Bund wird den Kapitalmarkt weiterhin nicht belasten; nochmals: unter Einschluß des Nachtragshaushalts.Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich — um nochmal einen unverdächtigen internationalen Zeugen zu zitieren — weist in diesem Zusammenhang der Zinsentwicklung in den Vereinigten Staaten die Schlüsselrolle zu und stellt fest — ich zitiere —, „daß ohne den amerikanischen Einfluß die Nominal- und Realzinsen in zumindest zwei wichtigen Ländern, in Japan und der Bundesrepublik Deutschland, auf einem Niveau gewesen wären, das mit den Erfordernissen eines binnenwirtschaftlichen Gleichgewichts besser übereingestimmt hätte".An die Adresse der Opposition sei gesagt, daß es nach Ansicht aller Fachleute — ich nehme an, auch nach Ihrer Ansicht —, aber nicht nur der Fachleute, die Wirtschaftspolitik in den Vereinigten Staaten ist, die derzeit mit dem für die Vereinigten Staaten höchsten Realzinsniveau der Nachkriegszeit weltweit — nicht nur in den Vereinigten Staaten — Investitionen behindert.Hinzu kommt eine für mich und für die Bundesregierung insgesamt schwer verständliche Politisierung wichtiger Teile des Welthandels. Das Verhalten der Vereinigten Staaten in der Diskussion um das europäisch-sowjetische Erdgas-Röhren-Geschäft ist nach unserer Auffassung im rechtlichen Sinne fragwürdig und verletzt den Grundsatz von Treu und Glauben in den internationalen Beziehungen.
Wir mußten und konnten davon ausgehen, daß nach Versailles und dem NATO-Gipfel in Bonn sowie auch nach den bilateralen Gesprächen mit dem amerikanischen Partner Übereinstimmung über das weitere Verhalten im Handel mit dem Osten bestand. Otto Wolff von Amerongen hat dies — ich zitiere — „eine höchst gefährliche Politik" genannt. Ich will hier aber der morgigen Regierungserklärung des Bundeskanzlers in einem sehr wichtigen Punkt nicht vorgreifen.Zur weltweiten Wirtschaftsentwicklung, die j a sozusagen den Hintergrund für den Nachtrag, aber auch für den Entwurf 1983 darstellt, sei gesagt: Eine Wende ist nach meiner Auffassung nur zu erhoffen — und dann ist sie aber auch zu erhoffen —, wenn sich die Dinge in den Vereinigten Staaten selber zum Besseren wenden. Es wäre Provinzialismus und Wunschdenken, diese Zusammenhänge zu leugnen. All jenen, die an sozialliberaler Wirtschaftspolitik so gern vollmundige Kritik üben, sei eine Studienreise
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Bundesminister Lahnsteinzu unseren wichtigsten westlichen Partnerländern empfohlen.
Derartige Reisen bilden nicht nur, sie werden auch zu Heimweh führen, auch zu politischem Heimweh.
— Herr Kollege, ich habe bewußt kein wichtiges westliches Partnerland ausgelassen; da sind wir völlig einig. Ich dividiere da die Hauptstädte nicht so gern auseinander. Aber daß die objektive Bedeutung der Vereinigten Staaten nun etwas größer ist als die anderer Staaten — sei es des Vereinigten Königreichs, sei es Frankreichs —, wird niemand bestreiten.In den USA stehen nun die Entscheidungen für eine mittelfristige Begrenzung der Defizite noch aus, die wir bereits im letzten Jahr getroffen haben und die wir mit dem Regierungsentwurf für den Haushalt 1983 ergänzen werden. Unsere Maßnahmen — darin sind sich die Koalitionspartner einig — werden nicht nur nach wie vor dauerhaft wirken, sondern auch weiterhin sozial ausgewogen sein. Dann wird die CDU/CSU Gelegenheit haben, im Bundestag und vor allem auch im Bundesrat zu zeigen, ob sie wirklich jene soziale Volkspartei ist, als die Herr Geißler oder Herr Blüm sie vorstellen, oder ob eine gewisse Gutsherrenmentalität die Oberhand gewinnt,
die wie z. B. Herr Häfele erst jetzt in der „Bild am Sonntag" Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit schlicht als Appell
— ich zitiere — „an die Neidgefühle" darstellt.
— Ich kann auch vollständig zitieren. Dann zitiere ich jetzt also „Bild am Sonntag":Über die Motive von Schmidt und Westphal denkt Hansjörg Häfele, CDU, finanzpolitischer Sprecher der Bonner Unionsfraktion, ganz ähnlich.— Das heißt: ähnlich wie andere, die vorher zitiert worden waren.
Dann kommt wörtliche Rede:Die wollen mit diesem Appell— also auch die Besserverdienenden müssen ihren Teil tragen —
an die Neidgefühle den Eindruck erwecken, das Finanzierungsproblem sei so zu lösen.
Den Eindruck, Herr Häfele, hat niemand erwecken wollen, daß damit die Kassenprobleme des Bundes zu lösen seien.
— Diesen Eindruck, Herr Häfele, haben selbst diejenigen in der Koalition nicht erwecken wollen, die für eine Ergänzungsabgabe eintreten. Hier ging es immer nur — damit wir uns richtig verstehen — —
— Aber, Herr Häfele, wenn Sie mich ausreden ließen, könnten Sie sich den Zwischenruf sparen. Ich habe Sie jetzt vollständig zitiert. Sie können ja gern anders reden.
Meine Damen und Herren, ich darf einen Moment unterbrechen. Alle haben die Möglichkeit, in der Debatte zu sprechen. Dies ist eine Einbringungsrede.
Wenn ich Sie herzlich bitten darf — —
— Ich akzeptiere sellbstverständlich Zwischenrufe. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das gehört zum Parlament. Aber dann bitte auch wieder aufhören, damit der Redner weiterreden kann.
Bitte, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann ihn gern noch einmal wörtlich zitieren. Aber das bringt uns nicht weiter.Wenn wir daran denken, Belastungen in ökonomisch schwerer Zeit eben nicht nur auf die Schultern derjenigen zu legen, die sie in der Breite sowieso tragen müssen, sondern gleichgewichtig — ich meine das nicht quantitativ, sondern politisch-psychologisch — auch auf die Schultern derjenigen zu legen, die nach unserem System auch mehr leisten können, dann empfinde ich die Abqualifizierung dieses Vorgangs als „Appell an die Neidgefühle" in der Tat als in der Nähe der Mentalität liegend, die ich eben beschrieben habe.
Noch einmal also zurück: Wir werden dann ja bald sehen, ob dieser Weg zur sozialen Volkspartei von der Union im Bundestag und im Bundesrat konsequent beschritten werden wird oder ob es dabei bleibt, was hier als „Appell an die Neidgefühle" unzutreffend dargestellt worden ist.Zum Nachtragshaushalt zurück! Der Gesamthaushalt 1982 des Bundes erhöht sich durch den Nach-
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6502 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Bundesminister Lahnsteintrag auf gut 245 Milliarden DM. Dies entspricht einer Steigerungsrate von knapp 5,5 % gegenüber dem Ist 1981. Auch unter Einschluß des Nachtragshaushalts — das darf nicht übersehen werden — wird sich der Ausgabenanstieg damit erheblich abflachen und um etwa 2,5 Prozentpunkte niedriger sein als im Vorjahr.Gewiß, die Nettokreditaufnahme steigt auf knapp 34 Milliarden DM. Sie bleibt damit übrigens in der Größenordnung, die ich auch im Haushaltsausschuß schon als möglich angedeutet hatte. Immer noch ist sie damit um 4 Milliarden DM niedriger als 1981.Der Nachtragshaushalt — dies ist wichtig im Hinblick auf einen Punkt, auf den ich sofort komme — beruht auf einer klaren Unterscheidung zwischen solchen Komponenten, die als Reflex der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung anzusehen sind, und haushaltswirtschaftlichem Mehrbedarf aus anderen Gründen. Der letzte führt nicht zur Erhöhung des Nettokreditbedarfs, sondern wird im Haushalt selber aufgefangen.Zu diesen Ausgaben möchte ich aber ein Wort sagen, weil sie bislang unter Wert verkauft worden sind; ich meine die Ausgaben im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsinitiative. Die vorgesehene Kapitalerhöhung bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau wird es möglich machen, Kreditprogramme für kleinere und mittlere Unternehmen um ein Gesamtvolumen von 5 Milliarden DM zu erhöhen. Im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative erhält auch das ERP-Sondervermögen zusätzlichen Spielraum von anderthalb Milliarden D-Mark zur Kreditgewährung.Der vorrangigen Aufgabe der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stellen wir mit dem Nachtrag zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung. Wir stocken die Fördermittel für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten auf. So erhalten bis zu 20000 Jugendliche früher die Möglichkeit, an einer die betriebliche Ausbildung ergänzenden überbetrieblichen Ausbildung teilzunehmen. Wir stocken die Mittel für die Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen auf und hoffen, damit im Herbst dieses Jahres weiteren 1 300 benachteiligten Jugendlichen, die bislang keine Ausbildungschance hatten, eine Berufsausbildung geben zu können. Wir stocken das Programm zur Berufsvorbereitung junger Ausländer auf, damit im Kursusjahr 1982/83 weitere 1 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Alle diese Maßnahmen werden im Laufe der Jahre 1982 bis 1984 in steigender Zahl bis zu 30000 jungen Menschen nicht nur eine Ausbildungs-, sondern eine Lebenschance eröffnen können.
Diese Maßnahmen werden einiges bewirken können. Vor allem aber kommt es darauf an, daß sich die Unternehmen weiterhin auf das äußerste bemühen. Handwerk, Handel, Industrie, aber, wie ich hinzufüge, auch Gemeinden, Länder und Bund — überall dort, wo sie Arbeitgeber sind oder wo sie über Beteiligungsverhältnisse Einfluß im gewerblichen Be-reich haben — müssen hier noch auf Jahre hinaus ihre staatspolitische Pflicht erfüllen.
Die vielfachen Appelle gerade auch des Bundespräsidenten und der Kirchen dürfen nicht verhallen.Nun ist bereits im Zusammenhang mit dem Haushalt 1981, aber, wenn ich es recht sehe, noch verstärkt im Zusammenhang mit dem Haushalt 1982 aus den Reihen der Opposition Kritik daran laut geworden, daß die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr — inklusive des Nachtrags — höher sei als die Investitionsausgaben des Bundes. Gestern hat die CDU/CSU-Fraktion aus diesem Grunde beschlossen, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, weil die Bestimmungen des Art. 115 des Grundgesetzes verletzt seien. Ich will hierauf eingehen und muß mit einigen Worten zur ökonomischen Begründung der jetzt geplanten Neuverschuldung beginnen. Wir müssen die Nettokreditaufnahme j a wohl im Zusammenhang mit der „Operation '82", mit der Gemeinschaftsinitiative und mit den Eckwertbeschlüssen zum Haushalt 1983 sehen. Sonst haben wir ein isoliertes und deshalb falsches Bild. Wir haben seinerzeit für den Haushalt 1982 Haushaltsentlastungen von in der Wirkung etwa 20 Milliarden DM beschlossen, die sich bis 1985 unter Einschluß der Investitionszulage auf 40 Milliarden DM aufsummieren. Das war die Konsequenz aus der Diagnose, daß die wirtschaftliche Lage durch tiefgreifende Strukturprobleme der deutschen Volkswirtschaft gekennzeichnet ist, deren Lösung einen mittelfristigen Denkansatz erfordert. Auf dieses Wort „mittelfristig" kommt es mir bei meiner Bewertung Ihres Vorgehens entscheidend an. Das kann natürlich nur dann erfolgversprechend gelingen, wenn auch die Finanzpolitik ebenso mittelfristig Beiträge zur Bewältigung des Wachstums- und Beschäftigungsproblems leistet. Deshalb ist es wichtig — ich sagte es schon —, daß konjunkturbedingte Mehrausgaben und Mindereinnahmen nicht in voller Höhe sozusagen nachgespart werden.Ein derartiges Verhalten entspricht genau den Bestimmungen des Art. 115, der uns ja sehr präzise Handlungsmöglichkeiten für den Fall gibt, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgwicht gestört ist, oder, um es ganz präzise zu sagen, daß eine derartige Störung abgewehrt werden muß. Ich muß Sie fragen: Wann denn sonst als in einer Situation der wirtschaftlichen Stagnation, wann denn sonst als bei den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt, die wir heute haben, ist gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht eigentlich gestört?
Wenn überhaupt, dann jetzt, wenn überhaupt, dann auf eine längere Zeit. Der kurzfristige antizyklische Denkansatz hilft uns hier nicht, Herr Carstens. Wir müssen an dieses Problem mittelfristig herangehen. Deswegen halten wir nach wie vor daran fest, daß wir voll im Rahmen der Möglichkeiten gehandelt haben und handeln, die uns Art. 115 gibt.
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Bundesminister LahnsteinNun entspricht natürlich — entschuldigen Sie, wenn ich bei einem zweiten Punkt polemisch werde; aber es gibt ja Dinge, die einen ab und zu auch einmal ärgern — die etwas sehr rasche Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch die Union einer leider schon bekannten Praxis:
Nur keine eigenen Konsolidierungsvorschläge machen!
Statt dessen lehnen Sie ab, was von uns kommt. Ich brauche hier nur an die Diskussion über die Finanzierung der Investitionszulage hier und im Bundesrat zu erinnern. Ab und zu gehen Sie dann aus Verlegenheit eher nach Karlsruhe, anstatt die Diskussion zur Sache in den Ausschüssen das Parlaments und im Parlament selber zu führen.
Das hat nach meinem bescheidenen Selbstverständnis mit Politik wenig zu tun.
Der Bürger wird es bemerken.
— Dann sehen wir dem Ende einmal in Ruhe entgegen. Ich erinnere mich hier fast an Vorbilder, an die der eine oder andere von Ihnen nicht mehr so gern erinnert werden möchte.
Ich komme zum Schluß. Ich habe meine Redezeit ein bißchen überzogen, weil ich mit Herrn Häfele wegen des sauberen Zitats ein Zwischenspiel hatte.Natürlich, auch wir haben unsere Last an schwachem Wirtschaftswachstum, auch immer noch an Inflation und Arbeitslosigkeit zu tragen, aber diese Last ist und bleibt wesentlich kleiner, wesentlich erträglicher als anderswo. Und wir sind selbstbewußt genug,
dies auch — und dieses „auch" will ich unterstreichen — unserer Politik zuzuschreiben.
Daß die Bundesrepublik Deutschland die Wirtschafts- und Finanzpolitik auf einem Kurs der Vorsicht und Vernunft steuert, wird übrigens häufig im Ausland eher, nachhaltiger und deutlicher anerkannt
als von der Opposition im eigenen Lande. So ist das nun einmal.Ich will hier noch einmal darauf hinweisen, daß die jüngste Wechselkursanpassung im Europäischen Währungssystem ja nun nicht gerade ein Zeichen für eigene Schwäche war.
Zum Haushaltsentwurf 1983: Er wird fristgerecht und mit den Problemen, die das für die Präzision der Annahmen im einzelnen mit sich bringt, am 7. Juli im Bundeskabinett beschlossen werden und, wie dies rechtlich notwendig ist, im September 1982, im September dieses Jahres, hier eingebracht werden können. Dieser Entwurf wird deutlich machen, daß die Bundesregierung ihren Teil der gemeinsamen Verantwortung ernst nimmt. Bereits der Haushalt 1982 steht unter dem Vorzeichen der engen Begrenzung konsumtiver Ausgaben. 1983 wird das fortgesetzt werden. Nur so kann mittelfristig die Umschichtung zu mehr privaten und öffentlichen Investitionen gelingen. Bereits 1982 haben wir Haushaltsverbesserungen durch Einsparungen vorgenommen. 1983 werden wir diesen Weg fortsetzen.Mit dem Subventionsabbaugesetz und der Operation 1982 haben wir Subventionen und andere Vergünstigungen im Interesse von Wachstum, Energieeinsparung und Strukturwandel abgebaut. Wir werden 1983 damit fortfahren. Und wir werden die Union im Bundestag und im Bundesrat vor unbequeme Fragen stellen. Ich bin auf die Antworten gespannt. Mit dem Hinweis auf Appelle an die Neidgefühle in Sonntagszeitungen wird es dann wohl nicht mehr abgehen.
Damit bleibt der politische Kurs klar und glaubwürdig.
— Ich weiß gar nicht, warum Sie darüber lachen. Ich habe hier noch sehr viel mehr Zitate von Einrichtungen, die Sie ansonsten kaum belächeln, ob das nun der Internationale Währungsfonds ist, ob das die BIZ ist, ob das die Europäische Gemeinschaft ist, ob das die Bundesbank ist. Ich kann sie alle anführen.
Es wäre gut, auch einmal gegenteilige Stimmen international zu sammeln. Da müssen Sie lange suchen, ehe Sie überhaupt einen Hinweis finden, der Ihnen das Lachen sozusagen erleichtern würde.
Dieser Kurs ist — das muß auch an dieser Stelle ordentlich angemerkt werden — dadurch gekennzeichnet, daß in den nächsten Jahren praktisch kein Spielraum für neue Aufgaben vorhanden ist. Zur Begrenzung des Kreditbedarfs müssen die Ausgaben für den Zeitraum des mehrjährigen Finanzplans langsamer wachsen als das nominale Bruttosozialprodukt. Das gilt für den Bund; das gilt aber auch für Länder und Gemeinden.Wir sind der Auffassung, daß die Steuerquote nicht über ihren mittelfristigen Durchschnittswert
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Bundesminister Lahnsteinsteigen darf. Sie darf aber auch nicht unter die 22,6% fallen. Steuererhöhungen wollen wir für 1983 vermeiden. Nennenswerte Entlastungen sind im Rahmen einer konstanten Steuerquote allerdings ohne Umschichtung zu den indirekten Steuern nach meiner Auffassung auch nicht finanzierbar.
Der vorliegende Nachtrag, meine Damen und Herren, orientiert sich an den gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten. Die Erhöhung der Nettokreditaufnahme zum Ausgleich konjunkturbedingter Mindereinnahmen und Mehrausgaben ist sachlich richtig. Der Nachtragshaushalt gibt Hilfestellungen, wie in der Gemeinschaftsinitiative vorgesehen, zur Umstrukturierung kleiner und mittlerer Unternehmen, zur Modernisierung und zur Energieeinsparung und vor allem zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Für 1983 und die Folgejahre wird die Bundesregierung am 7. Juli ihr Konzept für eine Haushaltsund Finanzpolitik der Stetigkeit und Vernunft beschließen.Niemand kann dafür garantieren, daß alle Probleme zu jeder Zeit lösbar sind; aber diese Bundesregierung steht dafür ein, daß sie auch weiterhin besser gelöst werden als in fast allen anderen Industriestaaten.Haushaltsvorlagen, Frau Präsident, meine Damen und Herren, sind an sich nüchterne Angelegenheiten. Das gilt für den Nachtrag 1982, das wird auch für den Entwurf 1983 gelten. Das Haushaltsbuch ist zu ernst, als daß man daraus ein Drehbuch für tagespolitische Auseinandersetzungen,
für parteipolitische Profilierungen oder, um mich nun direkt an Sie zu wenden, für vordergründige Polemik zu machen.
Der Bundesminister der Finanzen darf sich an derartigen Spielen nicht beteiligen. Er wird es auch nicht tun. Um Herrn Häfele zu helfen, lasse ich ihm gern die „Bild am Sonntag" da; dann kann er sie noch einmal komplett zitieren. — Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stavenhagen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Was man an Finanzminister Lahnstein bewundern muß, ist der Mut, mit dem er sich hier hinstellt und behauptet, alles sei bestens. Dann frage ich mich einmal, warum diese Koalition jedesmal, wenn sie Haushaltsberatungen macht, bis in die Fugen kracht, zuletzt noch gestern.
Eines möchte ich Ihnen auch sagen. Wenn Sie immer Studienreisen ins Ausland empfehlen, sollten Sie das einmal den Wählern sagen, die Ihnen scharenweise davonlaufen. Warum laufen die Ihnen denn davon?
Weil wir hier in der Bundesrepublik Deutschland mit der Arbeitslosigkeit, der Verschuldung und den Problemen nicht fertig werden! Unsere Bürger wollen wissen, was bei uns gegen diese Misere getan wird.
Der Nachtragshaushalt, so sagte der Herr Finanzminister, sei die Schlußfolgerung aus der wirtschaftlichen Entwicklung.
Es ist in diesem Lande nicht üblich, einmal auf die Opposition zu hören. Es hätte Ihnen gut angestanden. Denn wir haben Ihnen gesagt, daß der Haushalt 1982 so nicht in Ordnung ist. Der Kollege Friedmann hat Ihnen auf Heller und Pfennig vorgerechnet, daß 5 Milliarden DM für die Arbeitslosen fehlen. Wie sagte damals der Regierungssprecher? — „Herr Matthöfer war elektrisiert, als er diese Meldung las, und zugleich entrüstet. Er hat mich ermächtigt, hier zu sagen: Hieran ist nicht ein einziges Wort wahr."
Der Arbeitsminister Ehrenberg sagte zu Herrn Friedmann: „Sie können Ihre Behauptungen so oft wiederholen, wie Sie wollen; sie werden deshalb nicht richtig." Nun, heute sind sie richtig geworden. Heute beraten wir den Nachtragshaushalt, dessen größter Posten bei den Ausgaben just 5 Milliarden DM für die Arbeitslosen sind.In der Zweiten Lesung des Bundeshaushalts erklärte der Kollege Hoppe, unverzichtbares Element für die auf Konsolidierung ausgerichtete Finanzpolitik sei die deutliche Herabsetzung der Nettokreditaufnahme. Von entscheidender Bedeutung sei, daß die konsolidierte Haushaltsplanung 1982 auch so vollzogen werde und sich nicht das Haushaltsverfahren 1981 wiederhole.Wir sollten uns daran erinnern, wie das 1981 lief: Im Januar 1981 wurde ein Regierungsentwurf mit einer Neuverschuldung von 27,4 Milliarden DM vorgelegt; im Juni bei Abschluß des Haushalts waren wir bei 33,8 Milliarden DM, im Dezember 1981 schließlich bei 37,4 Milliarden DM. Jetzt haben wir 1982 genau das gleiche Spiel: im Januar Verabschiedung mit 26,8 Milliarden DM, jetzt im Juni Erhöhung der Schuldenaufnahme um 7 Milliarden DM auf 33,9 Milliarden DM. Es werden noch Wetten angenommen, wo wir zum Jahresende stehen werden.
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Dr. StavenhagenWie sagte Herr Hoppe damals? — „Es empfiehlt sich nicht, den Haushalt künftig als Lochstreifen herauszugeben nach dem Motto: Loch nach Loch kommt doch!"
Herr Lahnstein, zur Präzision Ihrer Planung: Wenn Sie im „Spiegel" am 24. Mai, bevor Sie mit den Koalitionsberatungen zum Haushalt 1983 überhaupt richtig angefangen haben, schon ankündigen, daß Sie auch im nächsten Jahr damit rechnen müssen, mit aller Wahrscheinlichkeit einen Nachtrag zu brauchen, dann empfehle ich Ihnen, die Daten präziser zu rechnen und uns dieses Schauspiel in Zukunft zu ersparen. Das ist doch eine Schande! Machen Sie doch einmal präzise Haushalte!
Seit 1975 macht die Neuverschuldung jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge aus.
Seit 1975 schreiben Sie in jeden Finanzplan knakkige Konsolidierungssprüche: „Ab 1977 wird die Kreditaufnahme drastisch reduziert", „Fortsetzung der Konsolidierungspolitik im Planungszeitraum", „Deutliche Rückführung der Nettokreditaufnahme ist das herausragende Merkmal", „Mittelfristig soll die jährliche Nettokreditaufnahme schrittweise verringert werden" usw. Das Ergebnis Ihrer Bemühungen, meine Kolleginnen und Kollegen, sind seit 1975 bis dato 228 Milliarden DM Zunahme der Nettoverschuldung. Auf deutsch: Der Schuldenberg des Bundes ist um diesen Betrag höher geworden.
Wenn einer von Ihnen hier noch einmal von Konsolidierung spricht, dann darf getrost gelacht werden.
In diesem Jahr hat nur die Bundesbank die Regierung davor bewahrt, Schulden von über 45 Milliarden DM ausweisen zu müssen; denn der Finanzminister hat rund 10 Milliarden DM Bundesbankgewinne unter seinen Einnahmen verbuchen können.
— Die Post kommt noch hinzu.Nach § 27 des Bundesbankgesetzes ist die Verwendung der Bundesbankgewinne eindeutig geregelt. Die Verwendung beim Bund zum Ausgleich laufender Ausgaben kommt aber, volkswirtschaftlich gesehen, einer Erhöhung der Neuverschuldung gleich. Deshalb muß der Bundesbankgewinn der Neuverschuldung eigentlich hinzugerechnet werden, um ein wahres und richtiges Bild der Lage zu erhalten.
Diese Verwendung im laufenden Konsum ist haushaltspolitisch schlimmer als Schuldenaufnahme;denn sie kostet keine Zinsen und löst deshalb auchkeinen Sparzwang aus. Sie ist außerdem geldpolitisch abzulehnen, weil auf diese Weise praktisch die gesamte von der Bundesbank vorgesehene Geldmengenausweitung über den Bundeshaushalt läuft. Es ist ein zentraler Unterschied, ob das Geld über die Bundeskasse in den Staatskonsum fließt oder ob es über das Bankensystem für Investitionen der Wirtschaft zur Verfügung steht.
Die einzig volkswirtschaftlich richtige Verwendung des Bundesbankgewinns ist die Verringerung der Schulden und sonst überhaupt nichts.
Ein beliebtes Argument der Bundesregierung zur Rechtfertigung ihrer Verschuldung war wiederholt, so auch von Finanzminister Matthöfer immer wieder vorgetragen, daß bei ungebrochener Sparneigung der Staat dem Bürger eine sichere und gut verzinsliche Anlage seiner Ersparnisse biete. Daß der Kapitalmarkt die Geldgier der öffentlichen Hände längst nicht mehr bedienen kann, zeigt nicht nur das Zinsniveau, sondern auch die zunehmende Verschuldung im Ausland. Im Jahre 1981 hat sich der Bund von seinen 37 Milliarden DM Neuschulden 23 Milliarden DM oder 62 % im Ausland besorgt. Davon wieder kamen 13,6 Milliarden DM oder 60 % aus OPEC-Staaten. Dank der Finanzpolitik dieser Regierung sind wir in doppelter Weise abhängig geworden, nämlich energiepolitisch und finanzpolitisch. Ende 1981 betrug der Schuldenstand des Bundes insgesamt 278 Milliarden DM, und davon stammten 67 Milliarden DM oder 24 % aus dem Ausland.
Ich zitiere den Ifo-Schnelldienst Nr. 16/82:Auch 1981 erreichte die Finanzpolitik ihr Ziel, den Ausgabenanstieg zu begrenzen, nicht. Im Gegenteil, das Defizit war 1981 nochmals deutlich höher als im Vorjahr. Aus dieser Entwicklung resultierte nicht nur eine hohe quantitative Beanspruchung der in- und ausländischen Finanzmärkte, auf mittlere Frist werden durch eine solche Politik auch Zinsen, Wechselkurs, Leistungsbilanz, Geldwert und Wirtschaft Strukturbelastungen ausgesetzt, die kaum noch reversibel sind.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat bis in die jüngste Vergangenheit immer behauptet, daß die Schuldenpolitik dazu beigetragen habe, eine Verschärfung der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Die Wirklichkeit sieht aber ganz anders aus.
Im Jahre 1970 hatten wir eine Neuverschuldung von etwas über 1 Milliarde DM und eine Arbeitslosenquote von 0,7 %; im Jahre 1975 waren wir bei 30 Milliarden DM Neuverschuldung und 4,7 % Arbeitslosen; im Jahre 1981 waren wir bei 37 Milliarden DM Neuverschuldung und 5,5 % Arbeitslosen. In diesem Jahr haben wir bei den Arbeitslosen die 2-Millionen-Zif-
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Dr. Stavenhagenfer durchstoßen. Staatliche Schulden haben sich also zweifellos als ungeeignet erwiesen, Arbeitslosigkeit zu verhindern.
Vielmehr stecken wir in einem sich immer schneller drehenden Teufelskreis von Arbeitslosigkeit und Haushaltsdefiziten. Der damalige Finanzminister Matthöfer hat in der „ZEIT" vom 7. Mai dieses Jahres auf die Ursachen dieses Teufelskreises hingewiesen. Er schreibt dort:Die überproportionale Dynamik der Sozialausgaben, die in hohem Maß durch gesetzliche Verpflichtungen abgesichert ist, ist fast vollständig der finanzpolitischen Steuerung entzogen, so daß von ihr ein Druck auf Einschränkungen bei anderen, insbesondere auch bei den investiven oder sonst wachstumsfördernden Ausgaben ausgeht.Genau dies ist das Problem.Meine Damen und Herren, bei allen schönen Vergleichen mit dem Ausland fragen uns ja unsere Steuerzahler hier in der Bundesrepublik Deutschland, die für die Staatsschulden geradestehen müssen, wenn diese Regierung und auch nach ihr kommende Regierungen längst nicht mehr im Amt sind: Wo eigentlich sind die Grenzen der Verschuldung?
Seit 1975 übersteigen die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden ihre gesamten Einnahmen. In diesem Jahr ist die Zinslast der öffentlichen Hände— Bund, Länder und Gemeinden — mit 45 Milliarden DM höher als ihre Nettoinvestitionen mit etwas über 40 Milliarden DM. Die Schere wird sich in den nächsten Jahren weiter zu Lasten der Investitionen öffnen.Nach der gültigen Finanzplanung werden 1983 die Zinsen des Bundes die Höhe der Neuverschuldung erreichen und sie 1984 hinter sich lassen. Jeder Bürger unseres Landes — vom Säugling bis zum Greis— ist heute rechnerisch mit 10 000 DM öffentlicher Schulden belastet.Noch immer hält sich die Meinung, daß die öffentlichen Hände nicht pleite gehen könnten. Gerade in Deutschland sollte man es besser wissen, denn hier hat sich der Staat in diesem Jahrhundert schon zweimal von seinen Schulden befreit. Wenn man weiter in der Geschichte zurückgeht, dann zeigt sich, daß ein großer Teil der die Finanzwelt erschütternden Krisen von Staatsbankrotten ausgelöst worden ist.
— Ich komme gleich darauf.Bundesfinanzminister Matthöfer sagte im Haushaltsausschuß am 12. Juni 1980:Die Vorstellung, der Bund würde jemals seine Schulden zurückzahlen, ist doch irre.Während sich früher Staaten gelegentlich noch offen als zahlungsunfähig erklärten, verlegt man sich in der Neuzeit mehr auf den verschleierten Staatsbankrott. Das sieht dann so aus, daß der Gläubiger zwar eine Zahlung empfängt, die nominell die Schuld deckt, aber nicht den Realwert hat, den er bei Hergabe seines Kredits gehabt hat und den er erwarten konnte. Herr Finanzminister, um die Bürger hiervor zu schützen, haben die Väter des Grundgesetzes in den Art. 115 des Grundgesetzes hineingeschrieben, daß die Einnahmen aus Krediten die Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen. Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.Die Bundesregierung ist nach meinen Unterlagen in diesem Jahr zum vierten Mal im Begriff, gegen dieses Verfassungsgebot zu verstoßen, nämlich nach 1975, nach 1976 und nach 1981 jetzt im Jahre 1982. Meine Damen und Herren, nicht aus Besserwisserei, sondern weil dies vor dem Verfassungsgericht abgemahnt werden muß, wenn Sie nicht von allein bereit sind, das sein zu lassen, gehen wir nach Karlsruhe.
In Karlsruhe werden Sie die Beweislast dafür zu tragen haben, ob Ihre Schuldenpolitik bestimmt und geeignet war, gesamtwirtschaftliche Störungen zu beseitigen — das ist doch der Punkt! —
Nicht daß sie da war, sondern ob diese Schuldenpolitik dazu überhaupt geeignet war. Dann werden Sie dort einmal erklären müssen, wie mehr Staatskonsum die allgemeine Krise besser bewältigen kann als mehr private Investitionen.
Herr Genscher hat auf dem FDP-Parteitag in Köln am 29. Mai vergangenen Jahres gesagt: Eine Haushaltsführung, die ihre Rettung nur noch in hoher Staatsverschuldung sieht, schafft sich vielleicht etwas Luft für heute, aber nur um den Preis des sicheren Erstickungstodes für morgen.Meine Damen und Herren, es gibt — neben denen des Art. 115 des Grundgesetzes — weitere, ökonomische Grenzen der Staatsverschuldung. Zum einen muß die Finanzpolitik auf die im Stabilitätsgesetz verankerten wirtschaftspolitischen Ziele Rücksicht nehmen. Diesem Anspruch wird die Bundesregierung seit Jahren nicht mehr gerecht. Die öffentliche Verschuldung überfordert die Kapitalmärkte, wirkt zinstreibend und zieht das Geld von privaten Investitionen ab. Wachstumsspielräume gehen dadurch verloren. Zugleich wirkt diese Politik inflationär, und die Bundesbank wird in ihrem Bemühen um Geldwertstabilität alleingelassen und obendrein noch beschimpft.Die Staatsverschuldung stößt auch dort an ihre Grenzen, wo sie künftige Generationen unangemessen belastet und eine vom Bürger überhaupt nicht gewollte Ausdehnung der Staatsquote finanziert.
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Dr. StavenhagenDie Bruttokreditaufnahme —Neuverschuldung plus Umschuldung alter Kredite — wird in diesem Jahr für die öffentlichen Hände — Bund, Länder und Gemeinden — 124 Milliarden DM betragen. Für Zins und Tilgung werden, alle öffentlichen Hände zusammengenommen, in den nächsten Jahren folgende Beiträge fällig: 1983 117 Milliarden DM, 1984 123 Milliarden DM, 1985 131 Milliarden DM. Dieses Geld fehlt für dringende öffentliche Aufgaben mit wachstumsförderndem Charakter, z. B. für Infrastrukturverbesserungen, Anstöße zur Energieeinsparung, Umweltschutz, Investitionsförderung, berufliche Qualifizierung. Das alles sind zukunftsgerichtete Aufgaben, für die das Geld fehlt.Der staatliche Ausgabenspielraum sollte schließlich für künftige Haushalte gewahrt werden. Tatsächlich haben sich aber fest verankerte Tabus in bezug auf bestimmte Staatsleistungen herausgebildet. Die Staatsausgaben im konsumtiven Bereich sind nach unten völlig unbeweglich geworden. „Wahrung des Besitzstandes" gilt als Selbstverständlichkeit. Eine weitgehende Entkopplung von Staatsausgaben und ihrer Finanzierung hat sich vollzogen. Was einmal versprochen und beschlossen wurde, darf unter keinen Umständen wieder rückgängig gemacht werden. So kommt es — auch hier verweise ich auf den ehemaligen Finanzminister Matthöfer —, daß über 90 % der Etatrahmen festgelegt sind, so daß Spielräume für neue Maßnahmen, für gestaltende Politik auf ein Minimum schrumpfen. Das Bleigewicht struktureller Defizite erdrückt jeden Handlungsspielraum.Die Grenzen der Staatsverschuldung und auch die Grenzen der Belastung der Bürger sind erreicht. Herr Finanzminister, wenn Sie nur die Steuerquote heranziehen, empfehle ich Ihnen doch auch einen Blick auf die gesamte Abgabenquote, die kontinuierlich gestiegen ist. Dann, wenn Sie sich auf den Kapitalmärkten einmal umsehen, was Sie ja sicher tun, wissen Sie, wie sich das Kapital dieser Belastung zu entziehen versucht. Das haben Sie im Haushaltsausschuß schon beklagt. Nur ist es ein Faktum, und Sie können dabei die Daumenschrauben so lange anziehen, bis überhaupt nichts mehr geht. Damit haben Sie vielleicht recht, aber Sie haben dann das Land zugrunde gerichtet.
Was wir brauchen, ist ein mehrjähriges Sanierungskonzept mit gravierenden Einschränkungen der konsumtiven Ausgaben.
— Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht!
Unsere Vorschläge sind: als Einstieg lineare Kürzung bei Leistungsgesetzen und Subventionen.
Personalabbau im öffentlichen Bereich, Umstrukturierung des Bundeshaushalts zugunsten von Investitionen und wachstumsfördernden Maßnahmen, Freisetzung der Wachstumskräfte in der Wirtschaft durch Abbau von Investitionshemmnissen und Bürokratie, Stärkung der Eigenverantwortung der Bürger durch sozial akzeptable Eigenbeteiligung. Greifen Sie doch diese Vorschläge auf, wenn Sie dazu überhaupt noch in der Lage sind!Der Finanzminister Lahnstein hat offenbar schon resigniert, bevor er überhaupt richtig angefangen hat. Der Nachtragshaushalt wird fast ausschließlich über neue Schulden finanziert, und wo bei den Ausgaben gekürzt wird, betrifft es wieder Investitionen, nämlich Kohleheizkraftwerke, Kohleveredelung und Zuschüsse für Schiffswerften, um nur einige zu nennen.Herr Finanzminister, Sie haben bei Ihrem Amtsantritt im Ministerium gesagt, Sie würden mit Leidenschaft für den Anspruch des Bürgers eintreten, die Staatsausgaben in Ordnung zu halten. Herr Minister, bei allem Respekt: Aber dafür wird nicht einmal Ihre Leidenschaft ausreichen, weil nämlich diese Koalition kein finanzpolitisches Konzept mehr hat und kein gemeinsames finanzpolitisches Ziel mehr hat.
Der Nachtragshaushalt und der schon angekündigte Nachtragshaushalt für 1983 — obwohl wir den eigentlichen Haushalt noch gar nicht kennen — belegen deutlich, daß Sie finanzpolitisch allenfalls über wenige Wochen und Monate disponieren können, aber von längerfristiger Planung und Gestaltung ist hier nichts zu sehen.
Sie sollten es angesichts dieser Tatsachen dem Publikum wirklich ersparen, daß Sie hier den Strahlemann mimen und so tun, als sei alles in Ordnung. Finanziell sind Sie am Ende!
Das Wort hat der Abgeordnete Zander.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung noch vor der parlamentarischen Sommerpause einen Nachtragshaushalt für das Haushaltsjahr 1982 vorlegt. Dem neuen Bundesminister der Finanzen ist es gelungen, den Entwurf in verhältnismäßig kurzer Zeit vorzulegen. Es ist ihm auch gelungen, den Kabinettsentwurf mit verhältnismäßig wenig öffentlicher Begleitmusik zu erstellen. Ich möchte ihm dazu meine Anerkennung aussprechen.
Die Vorlage eines Nachtragshaushalts wurde erforderlich, weil sich wesentliche gesamtwirtschaftliche Rahmendaten entgegen den Annahmen, die dem Haushalt 1982 zugrunde lagen, verändert hatten.
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ZanderWenn wir als Sozialdemokraten auch die Vorlage des Nachtragshaushalts begrüßen, so können wir doch nicht verhehlen, daß wir die Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Daten, die diese Vorlage notwendig gemacht haben, mit großer Sorge betrachten. Das gilt in erster Linie für die hohe Arbeitslosigkeit. Mit Bedrückung haben wir den Anstieg der Arbeitslosenzahl auf 1,8 Millionen im Jahresdurchschnitt 1982 verfolgt.
Das gilt aber auch für die Steuermindereinnahmen.
Sie sind die Folge der tiefen, lang andauernden und noch nicht überwundenen wirtschaftlichen Rezession. Auch wenn sich die Voraussetzungen für den Beginn eines neuen Wirtschaftsaufschwungs in letzter Zeit deutlich verbessert haben, wird es noch eine sehr lange Zeit dauern, bis ein neuer Aufschwung sich auch im Steueraufkommen bemerkbar machen wird.Unsere Bedenken gelten schließlich auch den Ansätzen für die Gemeinschaftsinitiative. Hinsichtlich ihrer Finanzierung hatten wir Sozialdemokraten andere Vorstellungen, die wir parlamentarisch nicht durchsetzen konnten. Die Ablehnung der vorgezogenen Anhebung der Mehrwertsteuer durch die Bundesratsmehrheit zwingt jetzt zur Finanzierung durch den Nachtragshaushalt.
Meine Damen und Herren, der Schwerpunkt des Nachtragshaushalts ist eindeutig. Es sind die für die Bundesanstalt für Arbeit in 1982 erforderlichen zusätzlichen Mittel in Höhe von 5 Milliarden DM.
Diese Ausgaben sind notwendig. Solange auf Grund der allgemeinen Konjunkturschwäche und auf Grund regionaler und sektoraler Probleme die Vollbeschäftigung noch ein Ziel in weiter Ferne darstellt, bleibt es unserer Meinung nach eine unabweisbare Verpflichtung, die Leistungen an die ohne eigenes Verschulden arbeitslos gewordenen Menschen ungekürzt zu leisten.
Unserem Verfassungsgebot in Art. 20 entspricht es allerdings weit mehr, Arbeitslosigkeit soweit irgend möglich zu vermeiden oder zu beseitigen. Vermeidung und Abbau von Arbeitslosigkeit sind nicht nur gesamtwirtschaftlich billiger, sondern auch sozialer und humaner. Hier muß unserer Meinung nach der Staat seine vorrangige Verpflichtung sehen.Ich begrüße es daher, daß der Nachtragshaushalt ein weiteres wichtiges Teilstück in einer ganzen Reihe von Maßnahmen bildet, mit denen die Bundesregierung ihrer Verantwortung im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit entsprochen hat. Ich verweise auf die Operation '82. Ich nenne den Haushalt 1982.Ich nenne die Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität mit ihrem Kernstück, der zehnprozentigen Investitionszulage. Der Nachtragshaushalt schließlich bildet das Schlußstück in diesen Anstrengungen zum Abbau von Arbeitslosigkeit und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.Erfahrungen der vergangenen Jahre belegen, daß haushaltspolitische Mittel durchaus mit Erfolg zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt wurden.Mit dem heute von der Bundesregierung eingebrachten Nachtragshaushalt erhöht sich der Gesamthaushalt 1982 um rund 5 1/4 Milliarden auf rund 245 3/4 Milliarden DM. Das bedeutet eine Steigerungsrate von etwa 5,5 % gegenüber dem Ist-Ergebnis von 1981. Die Nettokreditaufnahme steigt um gut 7 Milliarden auf 33,86 Milliarden DM. Bezogen auf den Gesamthaushalt macht die Ausgabensteigerung etwa 2 % des gesamten Ausgabevolumens des Jahres 1982 aus.Meine Damen und Herren, in einer Zeit turbulenter wirtschaftspolitischer Entwicklungen, in einer Zeit erheblicher Unsicherheiten über die ökonomische Entwicklung in vielen Ländern der Welt erscheint mir dieses Volumen des Nachtragshaushaltes gemessen an den Unsicherheiten, denen man bei Beginn dieses Jahres gegenüberstand, relativ gering zu sein.
Als wir den Bundeshaushalt im Deutschen Bundestag am 22. Januar 1982 verabschiedeten, gab es, Herr Abgeordneter Stavenhagen, wohl niemanden, der Zweifel darüber haben konnte, daß das Haushaltsjahr 1982 erhebliche Risiken bringen würde. Der Bundesfinanzminister Matthöfer — ich darf Sie daran erinnern — hat bei dieser Gelegenheit auch erklärt — ich zitiere —:Es hat keinen Sinn, leugnen zu wollen, daß der Haushaltsvollzug im Jahre 1982 unter erheblichen Unsicherheiten steht. Wir haben versucht, den möglichen Entwicklungen und Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, soweit uns das vernünftig erschien.So weit Herr Matthöfer im Januar dieses Jahres.Kann man denn vernünftigerweise etwas anderes erwarten?
Es liegt doch weder in unserer Hand, die weltwirtschaftlichen Risiken auszuschalten, noch kann doch ein zu politischem Handeln verpflichteter Politiker wie gelähmt auf sich ständig ändernde binnen- und außenwirtschaftliche Daten starren und vor lauter Faszination über den Wechsel der Bedingungen untätig gegenüber solchen Entwicklungen verharren. Nein, ich meine, der Haushalt mußte zu Beginn des Jahres so verabschiedet werden, wie er verabschiedet wurde, im Angesicht der Risiken. Nun muß wegen der veränderten Situation der Nachtragshaushalt folgen.
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ZanderIch bleibe dabei, Herr Kollege Stavenhagen: Angesichts der schnell sich ändernden ökonomischen Lage war der Haushalt 1982 relativ treffsicher und die Korrekturnotwendigkeit ist jetzt relativ gering.Die gesamtwirtschaftlichen Annahmen, die dem Bundeshaushalt für 1982 zugrunde lagen, lauten wie folgt: reales Wachstum des Bruttosozialprodukts zwischen 1 und 1,5 %, Preisanstieg zwischen 4,5 und 5 %, Leistungsbilanzdefizit zwischen 12 und 15 Milliarden DM — hier sehen, wie Sie alle wissen, die aktuellen Zahlen j a bereits wesentlich besser aus — und durchschnittliche Zahl der Arbeitslosen 1,6 Millionen.Nunmehr, Mitte 1982, ist die entscheidende Korrektur bei der Zahl der Arbeitslosen vorzunehmen. Sie stieg von 1,6 auf 1,8 Millionen im Jahresdurchschnitt.Neben den großen Positionen, die den Nachtragshaushalt erforderlich gemacht haben — Arbeitslosigkeit, Kosten der Gemeinschaftsinitiative, Steuermindereinnahmen — umfaßt die Vorlage der Bundesregierung weitere Positionen, von denen ich einige hervorheben möchte.Die Bereitschaft unserer Bürger, mit privaten Geschenkpaketen in Polen zu helfen, war wesentlich größer als ursprünglich angenommen wurde.
Ich denke, wir alle begrüßen dieses humanitäre Engagement unserer Bürger. Die Regelung, diese Pakete bis zum 30. Juni dieses Jahres gebührenfrei zu befördern, erforderte auf Grund dieser Spendenbereitschaft mehr Mittel als die ursprünglich veranschlagten 30 Millionen DM.
Ich verspreche mir auch positive Wirkungen von der Kapitalzuführung an die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 140 Millionen DM. Kleineren und mittleren Unternehmern werden mit diesen Mitteln zusätzliche Möglichkeiten mit einem Gesamtvolumen von 5 Milliarden DM zur Gründung oder Erweiterung geboten und damit auch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Auch die Erweiterungen der Kreditmöglichkeiten des ERP-Sondervermögens weisen in diese Richtung von Schaffung von Arbeitsplätzen.Das Mutterschaftsgeld nach dem Mutterschutzgesetz ermöglicht es vielen Frauen, sich bis zu einem halben Jahr nach der Geburt ihrem Kind zu widmen. Dieses Gesetz ist wichtig für die frühkindliche Entwicklung, und seine Leistungen werden stärker in Anspruch genommen, als veranschlagt wurde. Wegen dieser positiven Resonanz sind zusätzliche Mittel erforderlich.Die SPD-Fraktion begrüßt es, daß die Bundesregierung nicht tatenlos zusieht, wie sich die Schwierigkeiten vieler Jugendlicher bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz verschärfen. Der hessische Ministerpräsident Holger Börner hat kürzlich völlig zu Recht gesagt: Das Hauptproblem der jungen Generation ist nicht der Ausstieg, sondern der Einstieg in die Gesellschaft.
Ich denke, niemand hier kann von diesen Problemen unberührt bleiben. Appelle sind in diesem Zusammenhang eine gute und notwendige Sache. Die Anstrengungen der Wirtschaftsverbände und der Betriebe sind beachtlich und werden von uns begrüßt. Zusätzlich erscheint es uns aber noch erforderlich, in dieser kritischen Zeit die Anstrengungen der Betriebe durch verstärkte Förderung der überbetrieblichen Ausbildung für Jugendliche mit besonderen Schwierigkeiten zu ergänzen.Angesichts der Größenordnung und der Dringlichkeit dieses Problems begrüße ich es außerordentlich, daß im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative insgesamt 400 Millionen DM zur Verbesserung der Ausbildungs- und Berufschancen junger Menschen vorgesehen sind, davon allein 57 Millionen DM noch für das Jahr 1982, die ihren Platz in diesem Nachtragshaushalt gefunden haben.
Die hierfür vorgesehenen Mittel im Jahre 1982 und darüber hinaus betrachtet die sozialdemokratische Fraktion als dringend notwendige Investitionen in die Zukunftschancen unserer jungen Generation, meine Damen und Herren.
Beschäftigungsimpulse gehen auch von den folgenden Positionen aus. Die Erhöhungen der Ansätze und der Verpflichtungsermächtigungen für Hochbaumaßnahmen des Bundes führen dazu, daß gut ein Drittel der für diesen Zweck bis 1985 vorgesehenen 800 Millionen DM noch im Jahre 1982 wirksam werden können. Die Mittel sind für Energieeinsparung und Modernisierung vorgesehen.Die Schaffung von Arbeitsplätzen für Stahlarbeiter, die infolge des strukturellen Wandels ihre Arbeitsplätze verlieren, wird mit gut 91/4 Millionen DM gefördert.Der Nachtragshaushalt stopft also nicht nur Löcher, meine Damen und Herren, die durch Steuerausfall und Arbeitslosigkeit entstanden sind, er ist durch die Teilfinanzierung der Gemeinschaftsinitiative und durch die von mir eben genannten Positionen auch ein positiver Beitrag zur Vermeidung und zum Abbau von Arbeitslosigkeit.
In dem Beitrag des Kollegen Stavenhagen stand die Finanzierungsproblematik im Vordergrund. Ich möchte nicht allzuviel zu dem abwegigen Argument sagen, Herr Stavenhagen, die Abführung des Bundesbank-Gewinns stelle Schulden oder einen Kredit dar.
Ich möchte Sie eigentlich beglückwünschen. Sie haben damit den rückzahlungsfreien und zinslosenKredit entdeckt. Das ist wahrscheinlich seit der
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ZanderSchwundgeldtheorie von Gesell der größte Fortschritt in der nationalökonomischen Forschung.
Aber, im Ernst, meine Damen und Herren: Niemand macht gern Schulden um der Schulden willen; das gilt im öffentlichen Bereich genauso wie im privaten Bereich. Dies ist auch überhaupt nicht die Frage. Weder das Godesberger Programm noch die Beschlüsse unseres Münchener Parteitages verlangen Staatsverschuldung aus Prinzip. Die Frage ist einzig und allein: Ist die Erhöhung der Nettokreditaufnahme in der gegebenen wirtschaftlichen Situation unumgänglich, und ist sie vertretbar? Ich bin weit davon entfernt, Probleme der staatlichen Kreditfinanzierung zu verharmlosen. Ich denke auf der anderen Seite auch nicht daran, dieses Mittel zu dämonisieren. Ich möchte vielmehr zwei Feststellungen dazu treffen.Erstens. Ich glaube, wir können es uns nicht mehr leisten, eine Finanzpolitik mit den Instrumenten der Brüningschen Notverordnungs- und Sparpolitik zu betreiben.
Eine Finanzierung dieses Nachtragshaushalts durch weitere Einsparungen wäre in meinen Augen prozyklisch und auch wegen der noch erforderlichen Gesetzesänderungen für 1982 kaum realistisch.Wir dürfen — zweitens — nicht vergessen, daß die Kreditfinanzierung zu den wirtschaftspolitischen Instrumenten gehört, die im Grundgesetz und im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz geregelt sind und deren Einsatz im Falle der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sogar geboten ist.Ich vermag auch keinen Verstoß gegen Art. 115 des Grundgesetzes zu erkennen. Es gibt nicht nur die Vorschrift, wonach Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen, sondern, Herr Stavenhagen, auch das ausdrückliche Gebot des Art. 109: „Bund und Länder haben bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen." Genau dies geschieht hier. Man kann die Frage, ob denn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist, angesichts eines unzureichenden Wirtschaftswachstums und hoher Arbeitslosigkeit nur bejahen.Meine Redezeit läuft ab. Als Abschluß zu diesem Punkt möchte ich noch einmal den hier so oft zitierten ökonomischen Sachverstand bemühen. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Herr Professor Krupp, hat sich — ausweislich der „Frankfurter Rundschau" vom 19. Juni — wie folgt geäußert:Unter Ökonomen — und hier würde ich ausdrücklich den Sachverständigenrat einbeziehen — herrscht weitgehend Einigkeit, daß zusätzliche staatliche Kreditaufnahme, die auf konjunkturell bedingte Mindereinnahmen einerseits und konjunkturell bedingte Mehrausgaben andererseits, z. B. für Arbeitslose, zurückzuführen ist, durchaus zulässig ist.Ich muß wohl nicht eigens betonen, daß ich dieser Beurteilung voll und ganz zustimme.Zum Schluß möchte ich folgendes sagen. Es gibt gelegentlich Situationen, in denen es aus objektiv vorhandenen Problemen keinen brillanten, allseits überzeugenden Ausweg gibt. Das trifft für unsere derzeitigen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Probleme zu. Ihre Ursachen liegen zum überwiegenden Teil in Vorgängen außerhalb unserer Grenzen und außerhalb unserer Macht. In einer solchen Situation kommt es darauf an, die relativ beste Lösung, den chancenreichsten Weg zu finden. Mit dem Nachtragshaushalt und seiner Finanzierung hat meiner Meinung nach die Bundesregierung einen solchen Weg vorgeschlagen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Anleitung von Herrn Kannengießer jetzt befolgen wollen, dann würde ich sagen: Warum sollen Sie nicht mal nach dessen Pfeife tanzen? Es fehlt Ihnen ja offenbar jemand, der Ihnen sagt, welche Politik Sie machen sollen.
— Wenn Sie wenigstens auf das hörten, was die FDP sagt, dann ginge es uns schon besser.Der Finanzplanungsrat hat vor zwei Tagen folgende Feststellung getroffen:Die derzeit absehbare Entwicklung der öffentlichen Finanzwirtschaft und die Situation an den Kreditmärkten erlaubt keine Lockerung der bisherigen finanzpolitischen Grundlinie, die auch in den folgenden Jahren auf eine zurückhaltende Ausgabenpolitik, eine schrittweise Zurückführung der Nettokreditaufnahme und einen Abbau der strukturellen Ungleichgewichte in den öffentlichen Haushalten ausgerichtet sein muß. Dies ist auch deshalb erforderlich, weil sonst die zunehmende Zinslast die künftigen finanzpolitischen Spielräume zu sehr einengt. Gleichzeitig muß auch die Struktur der öffentlichen Haushalte zugunsten wachstumsfördernder Ausgaben verbessert werden.Meine Damen und Herren, es sieht fast so aus, als würden wir vor dieser Feststellung mit dem Nachtragsetat 1982 so etwas wie ein Kontrastprogramm beschließen.
Bei einer Erhöhung der Neuverschuldung um 7 Milliarden DM ist man jedenfalls versucht, in der uns
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Hoppesonst so eigenen Formelsprache zu formulieren, daß dies ein großer Schritt in die falsche Richtung sei.
Das Fatale daran ist, daß es dazu keine Alternative gibt.
Natürlich wird mit einer solchen, etwas boshaften Umschreibung der Vorgang nicht tatsächlich ausgeleuchtet. Und man wird ihm damit auch nicht gerecht.Der Finanzminister hat die Begründung für die zu etatisierenden konjunkturellen Spätschäden, die sich aus dem Anstieg der Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahlen sowie aus dem Mehrbedarf an Schlechtwettergeld sowie bei der Arbeitslosenhilfe ergeben, dargelegt. Ohne darauf jetzt im einzelnen eingehen zu wollen, macht dies, wie mir scheint, eben auch einen Rückblick auf die Operation '82 erforderlich. Wir von der Koalition können guten Gewissens auf diesen Vorgang zurückblicken; denn hier haben wir in der Tat ein gutes Gewissen. Die Opposition muß eher Gewissensbisse haben;
denn so sehr viel haben Sie, meine Damen und Herren, uns dabei nicht geholfen. Die Operation hat den öffentlichen Haushalten für 1982 eine Entlastung von rund 21 Milliarden DM gebracht. Das wirkt in diesem Umfang auch in die nächsten Jahre hinein fort.
Es bedurfte eines unerhörten Kraftakts, um diese Maßnahmen zur Gesetzesreife gelangen zu lassen. Wer in diesem Zusammenhang immer noch vom Bonner Sommertheater spricht, verniedlicht die unerhörte Demontagearbeit an einem geradezu monumentalen Anspruchsdenken. Diese Demontagearbeit wurde hier geleistet, und wir haben sie alle nötig, weil alle Parteien in der Vergangenheit das Anspruchsdenken gepflegt haben. Meine Damen und Herren, wenn wir diesen Kraftakt nicht vollbracht hätten, dann, so meine ich, würden wir jetzt wohl in einem Schuldenmeer ertrinken.So haben wir uns jedenfalls die Chance bewahrt, die auf Konsolidierung gerichtete Politik fortzuführen. Wer allerdings geglaubt hat, mit der Verabschiedung des Haushalts 1982 einen Silberstreif am Horizont der Konsolidierung zu sehen, muß jetzt erkennen, daß er nun erst richtig zupacken muß; denn sonst laufen wir Gefahr, bald überhaupt keinen Horizont mehr zu erblicken.
Meine Damen und Herren, der Vorgang des Nachtragsetats, der Schatten auf den Glanz der Operation '82 fallen läßt, ruft in der Tat unangenehme Erinnerungen hervor. Bei der Einbringung des Haushalts 1982 hat sich Herr Matthöfer unter Hinweis auf einen vergleichbaren Haushaltsablauf 1981 dazu etwa wie folgt geäußert:Die Veränderung der Eckdaten des Haushalts 1981 führte zu einer Diskussion, in der sich die Sorge ausdrückte, das Vertrauen in die Solidität der Finanzpolitik könne bei solchen Veränderungen erschüttert werden, und unsere Entschlossenheit, die Neuverschuldung einzugrenzen, verliere an Glaubwürdigkeit. Deshalb muß schon die Planung alle berechenbaren Risiken für die Ausgabenentwicklung nach Möglichkeit berücksichtigen. Auf der anderen Seite kann und darf die Haushaltsplanung aber nicht alle vielleicht möglichen oder sogar nur vermuteten negativen Entwicklungen vorwegnehmen wollen.Hier nun stellt sich für uns die selbstkritische Frage, ob nach dieser Handlungsmaxime denn auch tatsächlich verfahren worden ist.
Sicher hat uns die Konjunktur einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber ob alles mit konjunkturellen Gründen zu entschuldigen ist, darf denn doch wohl füglich bezweifelt werden.
Schön wäre es j a gewesen, wenn sich eine andere Hoffnung aus der Einbringungsrede erfüllt hätte. Darin findet sich nämlich auch die Annahme, daß sich im Laufe des Jahres zeigen wird — vielleicht schon vorher —, daß auf der Einnahmeseite und auf der Ausgabeseite des Haushalts durchaus auch positive Entwicklungen zu erwarten sind. In Abwandlung des Liedes muß man da mit Marlene Dietrich klagen: Sag mir, wo die positiven Entwicklungen sind, wo sind sie geblieben?
An die „Wurzel des Übels" hat uns Minister Matthöfer geführt, als er bei seiner Abschiedsrede,
entnommen der Ausgabe der „Zeit" vom 7. Mai 1982, wie folgt analysiert hat:Die überproportionale Dynamik der Sozialausgaben, die in hohem Maß durch gesetzliche Verpflichtungen abgesichert ist, ist fast vollständig der finanzpolitischen Steuerung entzogen, so daß von ihr ein Druck auf Einschränkungen bei anderen, insbesondere auch bei investiven oder sonst wachstumsfördernden Ausgaben ausgeht .. .Wenn man es überzeichnet formulieren wollte, so könnte man sagen, daß in einer Zeit, in der alles vom Vorrang der Zukunftsvorsorge und der Schaffung neuer Arbeitsplätze spricht, die direkten Steuern und die Sozialabgaben den aktiv Beschäftigten und der Wirtschaft immer mehr Geld entziehen, um es in immer höherem Maße in unproduktive Verwendungen zu lenken.
Hier— so Matthöfer —
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Hoppeliegt die Wurzel der Forderung nach einer Umstrukturierung des Sozialprodukts zugunsten produktiver, innovativer und investiver Verwendungen.
Die Korrektur des Haushalts 1982 zeigt — und sie sollte uns das lehren und einbläuen —, daß große Sprünge zu kurz geraten, wenn der Anlauf nicht kraftvoll genug ist.
Dennoch gibt die wirtschaftliche Situation, die sich nach der Operation '82 doch für uns alle positiv entwickelt hat und die sich nicht zuletzt auch in der Aufwertung der D-Mark im Europäischen Währungssystem dokumentiert, wahrlich keinen Anlaß zur Panik.Richtig ist auch, daß der Nettokreditbedarf der öffentlichen Hände insgesamt mit rund 70 Milliarden etwa um 10 Milliarden niedriger sein wird als 1981. Aber leider ist eben auch richtig, daß es wiederum 10 Milliarden weniger an Rückführung der Neuverschuldung sind, als wir uns vorgenommen hatten.Ob die günstige Entwicklung bei Leistungsbilanz und Zinsen anhält, hängt entscheidend von den Beschlüssen für den Haushalt 1983 ab. Es bleibt — wie die Pendelausschläge am Kapitalmarkt zeigen — nach wie vor ein Vertrauensproblem, dem wir uns hier stellen müssen.
Es kommt deshalb darauf an, jene Politik zum Erfolg zu bringen, die die Bundesregierung formuliert und als Botschaft mit dem Informationsbrief
des Bundesfinanzministers zum Haushalt 1982 im Februar 1982 publiziert hat:
Angesichts der Änderung der gesamtwirtschaftlichen Voraussetzungen— wie sie dort beschrieben wurden —hat die Bundesregierung sich in ihrer Finanzpolitik eindeutig zum Ziel der Herabsetzung der Neuverschuldung bekannt. Sie hat nämlich erkannt, daß gegenwärtig eine höhere staatliche Kreditaufnahme — auch für zusätzliche Konjunkturprogramme — die Zinsen nach oben treiben und damit die Wirtschaftslage eher negativ beeinflussen würde.Meine Damen und Herren, so kann man noch einmal zum 16. September 1981 zurückkehren, wo diese Politik vom Bundesfinanzminister wie folgt begründet worden ist:. .. die sozial vorrangigste Frage ist zur Zeit die zunehmende Arbeitslosigkeit und der Verlust weiterer Arbeitsplätze. Wir können aber bei der Beschäftigungspolitik nur erfolgreich sein, wenn wir die Investitionsquote in der Wirtschaft wieder erhöhen und jedenfalls das Wachstumder konsumtiven Transferleistungen begrenzen.Auf der anderen Seite bedeutet eine Erhöhung der Investitionsquote in der Wirtschaft, daß der Wirtschaft — und dazu gehören nun einmal Selbständige und Freiberufler ebenso wie kleine und mittlere Unternehmer und große Konzerne — eben nicht investierbares Kapital entzogen werden sollte.Herr Matthöfer hat damals weiter formuliert:Im Gegenteil, das für Investitionen verfügbare Kapital müßte eigentlich vermehrt werden. Die kurzfristig von uns nicht veränderbare ungleiche Verteilung des Produktivvermögens darf uns nicht daran hindern, unter den uns vorgegebenen Bedingungen das volkswirtschaftlich Notwendige zu tun, wenn wir wirklich Vollbeschäftigung anstreben wollen.Diese so beschriebene und beschworene Politik gilt es mit Kontinuität, Stetigkeit und Verläßlichkeit voranzubringen. Die FDP wird sich dieser Aufgabe nicht entziehen.
Wir werden von eben dieser Politik der Regierung Schmidt/Genscher nicht abweichen und dabei nicht wanken oder wackeln.
— Lassen Sie mich, wenn sich Ihre Heiterkeit wieder gelegt hat, mit dem Schlußsatz eines Briefes schließen, der mich und meine Freunde sehr betroffen gemacht hat. Wer Zweifel am Partner nährt, stärkt nicht die Handlungsfähigkeit. Diese Handlungsfähigkeit aber brauchen wir heute mehr denn je. Verlassen wir nicht den Boden der vereinbarten Politik, und verlieren wir dabei nicht das in der Haushalts- und Finanzpolitik vereinbarte Ziel der Herabsetzung der Neuverschuldung aus den Augen! Wir Freien Demokraten stehen zu unserem Wort, halten Kurs und werden uns ausschließlich an Sachfragen orientieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als mein Kollege Lutz Stavenhagen vorhin die ganze Breite der desolaten Finanzpolitik darlegte, saßen die Herren in der ersten Reihe der Regierungsbank gelangweilt da.
Ich stelle fest: Wenn wir jetzt über die Arbeitslosen sprechen, sind außer dem Herrn Bundeskanzler nur noch der Herr Finanzminister und der Herr Arbeitsminister da. Aber vielleicht darf ich mit ihrer Auf-
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Dr. Friedmannmerksamkeit rechnen, und vielleicht können wir überhaupt miteinander rechnen.
— Ich denke, Sie stellen die Regierung. Oder meinen Sie, der Herr Kohl sei schon der Bundeskanzler?
— Danke schön für das, was Sie uns zutrauen, auch jetzt schon.
Auf Grund dieses Nachtragshaushalts, den wir hier besprechen, will und wird die Bundesregierung in diesem Jahr 5,2 Milliarden DM mehr ausgeben. Von diesen 5,2 Milliarden DM entfallen 5 Milliarden DM auf die Betreuung der Arbeitslosen. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf diese 5 Milliarden DM lenken.Am 12. November haben wir hier über das Haushaltsstrukturgesetz beraten. Damals trug ich für meine Fraktion hier vor, daß in diesem laufenden Jahr in Nürnberg 5 bis 6 Milliarden DM fehlen würden.
Wir stießen damals auf den massiven Widerstand der Bundesregierung,
insbesondere von Herrn Minister Ehrenberg,
aber auch auf den Widerstand der Koalition.
Wie Herr Ehrenberg damals reagierte, das hat Lutz Stavenhagen vorhin freundlicherweise gesagt.
— Sie sagen es, Herr Kollege Haase.Anschließend hat auch die Koalition reagiert, nicht nur der Regierungssprecher, der vorhin zitiert wurde.
— Danke schön, ich werde gleich den Grund für Ihr Prädikat hier angeben dürfen.Der Kollege Lutz zum Beispiel hat gesagt, wir würden hier Löcher vorzaubern, wo keine seien, wie gesagt: Löcher, wo keine seien. Und jetzt zeigt sich, was alles fehlt. Sie sagen: Es war ein guter Mann, der so kommentiert hat. Ich beziehe das auf Ihr Werturteil.Hinterher ging die Debatte im Haushaltsausschuß weiter. Damals kam Herr Minister Ehrenberg zusammen mit Herrn Präsident Stingl, mit seinen Staatssekretären und hat, Herr Kollege Haase, fast einen Tag lang versucht, Punkt für Punkt unserer Berechnungen zu widerlegen. Wir waren der Meinung, es sei nicht gelungen; er hat dies anders interpretiert. Der damalige Abgeordnete Grobecker, heute Parlamentarischer Staatssekretär, hat gesagt, jene Besprechung hätte gezeigt, daß unsere Berechnungen reine Spekulation und durch nichts fundiert wären.
— Das war vielleicht seine Qualifikation zum Staatssekretär. Mindestens hat es vielleicht dazu beigetragen. Mag sein, daß dies die Kriterien dieser Regierung sind.
— Ich bedanke mich, daß Sie einen 50jährigen noch als jung bezeichnen, Herr Löffler.
Hinterher haben wir während der Haushaltsdebatte am 21. Januar nochmals die Situation dargelegt, und Herr Ehrenberg hat erneut stock und steif behauptet, nichts sei an all dem wahr.
— Danke schön für den Zwischenruf, Herr Hackel.Am 3. Dezember hatte Herr Ehrenberg gesagt, wenn sich unsere Berechnungen als richtig erweisen sollten, würde er als Minister zurücktreten.
Heute haben wir es ja nicht mehr mit ihm als Minister zu tun.
Doch nun, meine Damen und Herren, ist es allerdings nicht so, daß die 5 Milliarden Mark, die heute von der Regierung für den Arbeitsmarkt verlangt werden, völlig deckungsgleich mit den 5 bis 6 Milliarden Mark wären, die in Nürnberg fehlen. Denn in den 5 Milliarden Mark, die die Bundesregierung verlangt, sind 900 Millionen für die Arbeitslosenhilfe inbegriffen. Diese 900 Millionen ressortieren direkt beim Bundesarbeitsminister, stecken also nicht im Haushaltsplan der Bundesanstalt für Arbeit. Das heißt, von den 5 Milliarden Mark, die die Bundesregierung verlangt, bekommt Nürnberg nur 4,1 Milliarden Mark. Wenn unsere Berechnung damals richtig war, heißt dies: es fehlen in Nürnberg auch jetzt noch anderthalb Milliarden Mark. Dies ist in der Tat so.Ich möchte Ihnen dies gerne begründen und vorrechnen. Bisher lagen wir im wesentlichen bei 4 kardinalen Punkten auseinander. Wir hatten die Überzeugung vertreten, daß das Arbeitslosengeld zu niedrig gerechnet war, desgleichen das Kurzarbeitergeld, auch das Schlechtwettergeld, auch, daß die Mindereinnahmen zu niedrig veranschlagt waren. Inzwischen hat die Bundesregierung zugegeben, daß sie mehr Arbeitslosengeld braucht, daß sie mehr Kurzarbeitergeld braucht, daß sie mehr Schlechtwettergeld braucht und daß es Einnahmeausfälle gibt. Wir liegen aber nach wie vor wesentlich auseinander bei der Höhe des benötigten Arbeitslosengeldes, bei der Höhe des Kurzarbeitergeldes, und wir
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Dr. Friedmannliegen auseinander bei der Berechnung der Mindereinnahmen der Bundesanstalt.Wie ergibt sich dies nun im einzelnen? Neuerdings rechnet die Bundesregierung mit durchschnittlich 1,8 Millionen Arbeitslosen in diesem Jahr. Bislang ging sie von 1,65 Millionen aus. Sie rechnet also mit 150 000 mehr. Gegen diesen Ansatz ist nichts einzuwenden. Aber mehr Arbeitslose kosten nicht nur Geld, sondern mehr Arbeitslose müssen auch richtig berechnet sein in ihrer finanziellen Auswirkung. Die Bundesregierung sagt neuerdings, sie gehe von einer Leistungsempfängerquote von 54 % aus. Ich selbst habe da Bedenken. Das heißt, sie unterstellt, daß von 100 Arbeitslosen nur 54 Arbeitslosengeld beziehen werden. Unterstellt man dies als zutreffend, dann heißt es, daß 150 000 mehr Arbeitslose entsprechend mehr Zahlungsempfänger bedeuten. Aufs Ganze umgerechnet heißt dies, daß 1,8 Millionen Arbeitslose genau 972 000 Leistungsempfänger bedeuten. Ein Leistungsempfänger kostet nach der Berechnung der Bundesanstalt — so hat sie es in ihrem Haushalt angegeben — spitz gerechnet 19 668 Mark. Multipliziert man nun diese 972 000 Leistungsempfänger mit diesen jährlichen Kosten der Bundesanstalt je Arbeitslosen, so ergeben sich vorneweg 700 Millionen Mark mehr Arbeitslosengeld, als die Bundesregierung jetzt verlangt. Ich muß ausdrücklich sagen: das ist nicht eine politische Wertung; ich arbeite nur mit den Zahlen der Bundesregierung. Das ist simpel und einfach eine Rechenaufgabe.
— Richtig, Herr Biehle, es ist nicht einmal die Mengenlehre, die hier beherrscht werden muß. Man braucht ja nicht in Milliarden zu baden. Man muß nur richtig multiplizieren, vervielfältigen, wie es die Grundschüler in der dritten Klasse machen.
Herr Minister Westphal, ich darf hier etwas einfügen; Sie waren ja lange Mitglied im Haushaltsausschuß. Mir scheint es eine Schwäche Ihres Hauses zu sein, daß man dort nicht richtig mit Zahlen umgehen kann.
Sie wären gut beraten, wenn Sie Ihr kritisches Augenmerk einmal darauf richten würden.
Allein, weil das Einmaleins nicht richtig beherrscht wird, fehlen 700 Millionen Mark. Aber das geht ja weiter. Die 54 %, die hier als Leistungsempfängerquote neuerdings unterstellt werden — bisher ging man von 56,25 % aus —, sind zu optimistisch. Im ersten Quartal sind nämlich Sonderfaktoren wirksam geworden, die den Jahresdurchschnitt nicht auf Dauer so drücken wie im ersten Quartal. Zwei Beispiele: Bis zum Ende vergangenen Jahres bekam jemand nur dann Arbeitslosengeld, wenn er sechs Monate bezahlt, also eine Anwartschaft von sechs Monaten hatte. Jetzt braucht er zehn Monate Anwartschaft. Zweites Beispiel: Wenn ein Arbeitnehmer selbst gekündigt hat, gab es im letzten Jahr noch eine Sperrfrist von einem Monat. Jetzt liegt dieSperrfrist bei zwei Monaten. Beide Faktoren haben zunächst bewirkt, daß es weniger Leistungsempfänger gab. Inzwischen stellen sich die betroffenen Personen auf die neue rechtliche Situation ein, so daß dieser Dämpfungseffekt zwar im ersten Quartal war, aber nicht im zweiten, dritten und vierten Quartal sein wird. Infolgedessen ist eine Leistungsquote von 54 % zu günstig angenommen. Nimmt man den Mittelwert zwischen den 54 % neuerdings und den 56 % bisher, also 55 %, so heißt dies, daß weitere 350 Millionen DM Arbeitslosengeld fehlen. In diesem Punkt möchte ich zusammenfassen: Über eine Milliarde DM an Arbeitslosengeld fehlt auch jetzt noch in Nürnberg, weil die Regierung zu kurz und teilweise falsch gerechnet hat.Ein Zweites. Die Bundesregierung sieht inzwischen ein, daß sie im Jahresdurchschnitt mit mehr Kurzarbeitern rechnen muß. Bisher hat sie im Jahresdurchschnitt 240 000 unterstellt, neuerdings 475 000, also rund das Doppelte. Aber im Finanzansatz hat sie nicht entsprechend mitgezogen. Sie hat den Ansatz nur um 800 Millionen DM erhöht, brauchte aber 150 Millionen DM mehr. Bei den Kurzarbeitern fehlen also auch 150 Millionen DM. Damit sind wir schon bei 1,2 Milliarden DM, die in Nürnberg fehlen werden und die nicht hier im Haushalt gedeckt sind.Dazu kommen jetzt aber noch weitere Mindereinnahmen, und zwar auf Grund folgenden Sachverhaltes. Mehr Arbeitslose bedeuten weniger Beitragszahler. Die Bundesregierung selber sagt, daß 100 000 Arbeitslose Mindereinnahmen für Nürnberg in der Größenordnung von 117 Millionen DM bedeuten. Dies heißt, daß 150 000 mehr Arbeitslose 160 Millionen DM weniger Beitragseinnahmen für Nürnberg bedeuten. Dies zum ersten.Das geht weiter, und ich komme zum zweiten. In Nürnberg und bei der Bundesregierung ging man bisher davon aus, daß die Löhne in diesem Jahr um durchschnittlich 5 % steigen würden. Tatsächlich steigen sie um weniger, etwa nur um 4 %. Das heißt, daß die Beitragseinnahmen auf Grund zu hoher Löhne berechnet wurden und daß damit die Beitragseinnahmen um 250 Millionen DM zu hoch veranschlagt wurden, mit anderen Worten, daß auch hier 250 Millionen DM fehlen werden.Dazu kommt ein Drittes: Die Bauumlage, die bezahlt werden muß, bringt weniger, weil die Baukonjunktur schlechter läuft. Sie bringt 100 Millionen DM weniger.Dazu kommt ein Viertes: Was die Unternehmer für die 59jährigen Arbeitslosen zahlen müssen, bringt wiederum 100 Millionen DM weniger. Dies alles summiert sich. Diese soeben genannten Mindereinnahmen liegen um 300 Millionen DM über dem Regierungsansatz. Sie summieren sich mit den anderen Faktoren auf 1,5 Milliarden DM, die immer noch fehlen, die in diesem Nachtragshaushalt nicht vorgesehen sind und die demzufolge auch in Nürnberg fehlen werden.Es ist allerdings äußerst schwierig, solche Berechnungen in diesem Bereich anzustellen. Es ist fast nicht möglich, aus dem Arbeitsministerium zuver-
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Dr. Friedmannlässige Rechenunterlagen zu bekommen. Im allgemeinen vollzieht sich die parlamentarische Zusammenarbeit ja so, daß die einzelnen Häuser von sich aus auf die Berichterstatter zugehen und sie über das informieren, was sich entwickelt. Das geschieht beim Arbeitsministerium überhaupt nicht.
Ich habe mindestens ein Dutzend Ferngespräche geführt, um annähernd zu erfahren, wie man glaubt, daß sich die 4,1 Milliarden DM bei der Bundesregierung zusammensetzen könnten. Die zwei letzten Zahlen, die zweimal 100 Millionen DM, die bei den Einnahmen fehlen werden, habe ich aus einer Aufstellung des Herrn Stingl, die er mir am Rande einer Veranstaltung gegeben hat. Das war eine handgeschriebene Aufstellung. Mit solchen Methoden muß man hier als Oppositionspolitiker arbeiten, um irgendwo zuverlässige Unterlagen zu bekommen.
Nebenbei bemerkt: Bei der betreffenden Veranstaltung, zu der ich Herrn Stingl gebeten hatte, wollte ein Mitglied der SPD-Fraktion erreichen, daß Herr Ehrenberg Herrn Stingl verbietet, auf dieser Veranstaltung zu sprechen.
Herr Ehrenberg ging nicht ganz so weit, aber in einem zweiseitigen maschinegeschriebenen Schreiben hat er den Verhaltenskodex aufgeführt, der für Herrn Stingl gilt. Und dies von einem Minister, dessen Parteivorsitzender zugesagt hat, daß mehr Demokratie praktiziert werden würde! Auch das ist hier einmal anzubringen.
— Herr Stingl muß bereit und in der Lage sein, auf einer überparteilichen Veranstaltung zu sprechen. Das war eine solche, Herr Löffler.Ich darf also für diesen Teil meiner Ausführungen festhalten: Es fehlen immer noch 1,5 Milliarden DM
in Nürnberg; dieser Betrag ist im Bundeshaushalt nicht vorgesehen.Meine Damen und Herren, wir sollten das doch einmal recht kritisch werten. Diese 5 Milliarden DM und die Steuermindereinnahmen bedeuten eine zusätzliche Neuverschuldung des Bundes von 7 Milliarden DM. — Herr Hoppe, ich wende mich nun direkt an Sie. Als wir diese Situation beraten haben, haben Sie im Haushaltsausschuß gesagt, wir könnten uns auf Sie verlassen. Wenn beim Haushaltsvollzug irgendwo ein Loch entstehen werde, dann werde dieses Loch dadurch gestopft, daß an anderer Stelle eingespart werde. Sie haben ausdrücklich gesagt, die Neuaufnahme von Krediten komme nur insoweit in Frage, als Steuerausfälle infolge schlechter konjunktureller Entwicklung einträten. Nun nehme ich Sie beim Wort, Herr Hoppe. Wie haben wir es miteinander? In Nürnberg entsteht ein Loch. Das heißt zu deutsch: Nun sind Sie aufgerufen, an anderer Stelle einzusparen. Und genau davon wollen Sie nichts mehr wissen.
Ich verstehe Ihre Argumentation im Grunde genommen überhaupt nicht mehr.
Da sagt die Koalition, für sie sei die Haushaltssituation die Nagelprobe. Sie sagen: Im nächsten Jahr müssen die Finanzen so und so geregelt werden; es dürfen nicht mehr als 26 Milliarden DM neue Schulden sein, sagt die FDP.
Herr Lahnstein würde gerne 35 Milliarden DM Schulden machen. Irgendwo in der Mitte werden Sie sich treffen. Nur: Warum denn so weit in die Ferne schweifen? Warum reden Sie über die Milliarden des nächsten Jahres und machen sie zur Nagelprobe? Herr Lambsdorff hat gesagt, selbst eine halbe Milliarde Differenz — bezogen auf das nächste Jahr — könne zum Bruch der Koalition führen. Und heute in dieser Stunde haben wir 7 Milliarden DM, die wir neue Schulden machen. Machen Sie es doch gleich wahr!
Machen wir uns doch nichts vor, meine Herren von der FDP, Klaus Gärtner genauso. Sie sind doch erfahrene Haushaltspolitiker, und Sie müßten doch allmählich die Tricks dieser Regierung durchschauen. Es beginnt doch jedesmal so, daß man mit einem relativ niedrigen Ansatz ins neue Jahr hineingeht, und hinterher kommt man mit einem Nachtragshaushalt, über den man nicht mehr groß spricht, weil man schon wieder in das folgende Jahr hinein denkt.
Sie werden doch — auf deutsch gesagt — jetzt genauso wieder hereingelegt, wenn Sie jetzt irgendwann erfolgversprechend verkünden: Wir haben uns mit 29 Milliarden DM Neuverschuldung durchgesetzt. — Ich sage Ihnen heute schon: Nach dem gleichen Prinzip, wie wir jetzt den Nachtragshaushalt kritisieren, läuft das im nächsten Jahr auch. Irgendwann kommt der Finanzminister und sagt: Es tut mir leid, wir brauchen mehr Geld. Und dann machen Sie halt wieder mit. So geht das nicht mit einer seriösen Finanzpolitik!
Herr Minister Westphal, Ihre Schwierigkeit besteht darin, daß sich Ihr Vorgänger, Herr Ehrenberg, hier in eine Spekulation finanzieller Art eingelassen hat,
die auch auf Sie durchschlägt. Ich dachte, Sie würden aus den Fehlern Ihres Vorgängers lernen. Siemüssen doch selber spüren, daß dieser neue Ansatz
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Dr. Friedmannwieder nicht reicht. Wäre es denn nicht besser und wäre es nicht ehrlicher gewesen, wenn Sie gleich von vornherein die Karten auf den Tisch gelegt hätten?
Ich habe Ihre ersten Einlassungen als Arbeitsminister mit Interesse gelesen. Was Sie zuerst gesagt haben, war folgendes: Jetzt müssen wir die Besserverdienenden steuerlich stärker belasten, um den Arbeitsmarkt entlasten zu können. — Das heißt, Sie haben für die Ergänzungsabgabe plädiert.Herr Lahnstein hat vorhin gesagt, jawohl, das müsse sein. Aber, Herr Minister Lahnstein, ich erinnere Sie an Ihre eigenen Worte im Haushaltsausschuß.
Da haben Sie doch sinngemäß erklärt, Sie wüßten selber, daß Sie mit der Ergänzungsabgabe nicht genug Geld beibringen, um den Haushalt konsolidieren zu können und zusätzliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanzieren zu können; aber aus psychologischen Gründen müßten Sie so etwas tun, Sie könnten der breiten Masse — so meinten Sie — nur dann etwas zumuten, wenn Sie die Besserverdienenden stärker belasteten.Meine Herren, hier machen Sie eine ganz falsche Rechnung auf!
Sie bekommen diese Wirtschaft nur dann wieder in Gang, wenn Sie diejenigen, auf deren Leistung, auf deren Bereitschaft, auf deren Engagement es ankommt, nicht vor den Kopf stoßen, sondern motivieren.
Herr Lahnstein, Sie treffen mit Ihren Plänen genau den falschen Personenkreis, und deshalb, Herr Westphal, sage ich Ihnen: Wenn Sie auf der Ergänzungsabgabe herumreiten, kann ich Sie nicht daran hindern, aber Sie werden nicht das erreichen, was Sie damit erreichen wollen.
Sie sollten mit dieser ganzen Maschinerie nicht weiter spielen. Sie haben sich aber bis heute nicht von diesem Ungetüm, von dieser Mißgeburt einer Arbeitsmarktabgabe distanziert. Wie können Sie Selbständigen zumuten, Beiträge in eine Versicherung zu zahlen, von der sie ex definitione niemals auch nur einen Pfennig bekommen?
Dahinter steht doch nur die Überlegung: Wie komme ich an anderer Leute Geld, ohne denen jemals etwas dafür geben zu müssen?
Ein Letztes, weil ich nur noch eine Minute Zeit habe: Neuerdings überlegen Sie sich nun, für die Arbeitslosen die Beiträge an die Rentenversicherung zu kürzen, weniger Beiträge an die Rentenversicherung zu zahlen. Zwar entlasten Sie damit Nürnberg, aber das Geld fehlt doch in der Rentenversicherung.
Die Folge ist: Im nächsten Jahr — nicht erst nach der nächsten Bundestagswahl — werden wir über die Finanzprobleme der Rentenversicherung sprechen, und dieses Problem lösen Sie auch nicht, indem sie dem Präsidenten der Rentenversicherung verbieten, in der Öffentlichkeit über seine Probleme zu reden,
wie es ja gegenüber Herrn Präsident Hoffmann geschehen ist.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend möchte ich nur folgendes sagen. In diesem Nachtragshaushalt kommt im Grunde genommen das ganze Mißgeschick, Ihre ganze unglückliche Politik der Finanzgestaltung für dieses Land zum Ausdruck.
Wenn Sie dies herunterspielen und dabei noch auf Brüning verweisen, sage ich Ihnen: Die Vergleiche passen nicht. Die Zeit Brünings war eine andere Zeit. Das hing mit Versailles, das hing mit Reparationsleistungen, das hing mit Finanzierung über den Außenhandel, das hing mit einer nicht machbaren Abwertung in der damaligen Zeit zusammen, weil die mit einer Inflation in Zusammenhang gebracht worden wäre.
Brüning konnte nur den Weg der Einsparungen gehen, und als seine Arbeit Früchte trug, mußte er gehen.Meine Damen und Herren, was Sie hier vorlegen, verdient nicht unser Vertrauen. Wir stimmen diesem Nachtragshaushalt nicht zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sieler.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Friedmann, gerade weil Sie so gute Kenntnisse von den Interna der Bundesanstalt für Arbeit haben
und ganz genau wissen, daß vor wenigen Tagen der Vorstand der Bundesanstalt den Nachtragshaushalt, mit dem wir uns hier zu beschäftigen haben, für den Verwaltungsrat verabschiedet hat, stellt sich schon ein bißchen die Frage nach der Seriosität Ihrer Aussagen über die für diesen Nachtragshaushalt fehlenden weiteren Milliarden.
Ich möchte hier dem Bundesarbeitsminister nicht vorgreifen, aber ich empfehle Ihnen, auch einmal
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Sielerdarüber nachzudenken, daß das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung immerhin von einer noch niedrigeren Leistungsempfängerquote als der, die Sie hier schon in Frage stellen, ausgeht.Meine Damen und Herren, es ist ja schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß es bei dem Nachtragshaushalt zum größten Teil um den Bereich der Bundesanstalt für Arbeit geht. Nun gibt es natürlich eine Reihe von professionellen Zukunftsdeutern, die sagen: Das haben wir ja alles schon gewußt, das haben wir alles schon vorhergesagt!Wenn wir uns aber jedesmal auf die Schwarzmalerei der Opposition verlassen müßten,
wäre mittelfristig eine kontinuierliche Wirtschaftspolitik von vornherein nicht möglich.Lassen Sie mich den in diesem Kreis sicher nicht bestrittenen Professor Claus Köhler, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, in einem kurzen Absatz zitieren. E'r stellt auf die konjunkturelle Entwicklung ab und sagt, daß diese konjunkturelle Entwicklung gegenwärtig besser sei als die Stimmung. Deswegen, meine Damen und Herren von der Opposition, möchte ich Sie herzlich bitten, Ihre Schwarzmalerei zu lassen; denn dies löst nicht unsere Probleme.
Die Bundesregierung hat sich stattdessen auf die damals gültigen Rahmendaten gestützt, wie sie von der Mehrheit der Konjunkturforschungsinstitute, der Bundesbank und der Steuerschätzer festgelegt wurden. Bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts im Jahre 1982, also noch nach der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts, bestand keine Veranlassung zur Korrektur dieser Eckwerte. Die tatsächlichen Verhältnisse hatten sich ja bis dahin nicht geändert.Dennoch war sich die Bundesregierung durchaus darüber klar, daß der Haushalt der Bundesanstalt wegen seiner Konjunkturabhängigkeit besonders schwierig vorauszukalkulieren ist. Dies, Herr Kollege Friedmann, ist ja gerade in bestimmten Bereichen unbestritten. Hier konkrete Voraussagen zu machen, ist etwas, worüber sich andere Leute Gedanken machen sollten.
So muß ja wohl jedem einleuchten, daß bereits eine zeitliche Verzögerung der konjunkturellen Stabilisierung um ein halbes Jahr
— Herr Franke, darüber sollten Sie einmal nachdenken — auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Andere Faktoren beeinflussen das natürlich auch. Das reicht von der subjektiven Einschätzung der künftigen Wirtschaftsentwicklung der Unternehmer bis zur tatsächlichen Einstellungs- und Entlassungspraxis.Diese und andere Faktoren, meine Damen und Herren, haben dazu geführt, daß die Arbeitslosigkeit stärker angestiegen ist, als die Experten im letzten Jahr vermutet haben.Wer bei diesen Unsicherheiten, werte Kolleginnen und Kollegen, dennoch in der Lage ist, exakte Vorhersagen zu tätigen, sollte sich dieses Gewerbe patentieren lassen.
Die notwendigen Mehraufwendungen auf Grund der höheren Arbeitslosigkeit betragen für das Arbeitslosengeld 1,3 Milliarden DM, für die Arbeitslosenhilfe 900 Millionen DM, für das Kurzarbeitergeld 800 Millionen DM, für das Konkursausfallgeld 200 Millionen DM und für die Beitragsausfälle wegen der höheren Arbeitslosigkeit 300 Millionen DM.Meine Damen und Herren, summiert ist dies ein Mittelbedarf von 3,5 Milliarden DM, der ausschließlich auf die Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist.Bei den arbeitsmarktpolitischen Leistungen sind rund 1 Milliarde DM zur Abdeckung von Mehrausgaben im Bereich der beruflichen Bildung und der beruflichen Rehabilitation notwendig. Auch hier hat sich herausgestellt, daß entgegen den ursprünglich gemachten Aussagen gerade die Zahl der Empfänger von Unterhaltsgeld durch die gestiegenen Beteiligungen an den Bildungsmaßnahmen der Bundesanstalt zugenommen hat und nicht zurückgegangen ist.Die Erhöhung der Ausgabentitel für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und für die Lohnkostenzuschüsse für ältere Arbeitnehmer geht indirekt ebenfalls auf die gestiegene Arbeitslosigkeit zurück. Hier sind zusätzlich 200 Millionen DM kurzfristig wirksame Hilfen erforderlich.Schließlich, meine Damen und Herren, hat es auch das Wetter mit dem Arbeitsmarkt nicht besonders gut gemeint. Ich habe noch einmal nachgelesen, Herr Friedmann, was Sie dazu in der letzten Debatte im Januar dieses Jahres gesagt haben.
Ich hoffe aber, meine Damen und Herren, daß dieser außergewöhnlich lange und strenge Winter nicht auch der sozialliberalen Koalition angelastet wird. Dieser Winter hat Mehrausgaben in Höhe von 300 Millionen DM für Schlechtwettergeld erforderlich gemacht.
Dieser Nachtragshaushalt beträgt damit insgesamt 5 Milliarden DM. Das sind Zahlen, die von niemandem auf die leichte Schulter genommen werden. Da es sich eindeutig um konjunkturbedingte Defizite handelt, ist eine Kreditfinanzierung ökonomisch sinnvoll und konjunkturgerecht. Konjunkturbedingte Defizite sollen selbst nach der Auffassung des Sachverständigenrates durch Kreditaufnahme finanziert werden. Der Sachverständigenrat steht sicherlich nicht in dem Geruch, in der politischen Nähe der sozialliberalen Koalition zu stehen.Was die Ursachen der verzögerten konjunkturellen Stabilisierung anbelangt, erlauben Sie mir noch einige wenige Bemerkungen. Als sich zu Beginn des Jahres die weitere Verschlechterung des Arbeitsmarktes abzeichnete, haben der Deutsche Gewerk-
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Sielerschaftsbund und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit Nachdruck zusätzliche beschäftigungspolitische Initiativen verlangt. Dem konnte sich die Bundesregierung auf Grund der Warnsignale aus Nürnberg nicht verschließen. Man hat deshalb auch schnell gehandelt und die Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität beschlossen. Wie im Haushalt 1982 stand dabei der investitionsfördernde Teil im Vordergrund.Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben mit der Verzögerung des Beschäftigungsförderungsgesetzes ganz erheblich zur Verunsicherung der Investoren beigetragen.
Wegen dieser destruktiven Haltung der Unionsmehrheit im Bundesrat konnte das Beschäftigungsförderungsgesetz erst am 9. Juni dieses Jahres in Kraft treten. Unverständlich war für uns Ihre Verzögerungstaktik vor allen Dingen auch deshalb, weil Sie nichts Gewichtiges gegen diese Investitionszulage einzuwenden hatten.
Den ökonomisch unsinnigen Streit um die bloße Verlegung der Mehrwertsteuererhöhung um sechs Monate haben Sie j a aus parteipolitischem Egoismus auf Kosten der Arbeitnehmer und der Wirtschaft vom Zaune gebrochen.
Immerhin ist zu hoffen, daß die endlich beschlossene zehnprozentige Investitionszulage bald zu einer Belebung der Investitionen führt und im Anschluß daran auch positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sichtbar werden.
Ein Teil ihrer Wirkung haben Sie den Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung ja bereits weggenommen. Dies werden Sie, meine Damen und Herren von der Union, zu verantworten haben. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Ich weise darauf hin, daß nach § 44 unserer Geschäftsordnung damit die Möglichkeit besteht, die Aussprache wieder zu eröffnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war wohl klar, daß auf das, was Herr Kollege Friedmann gesagt hat, der Arbeitsminister antworten muß. Darüber gibt es sicherlich keinen Zweifel. Wenn Sie zugestehen, Herr Jenninger, daß es mir als inzwischen altgedientem Parlamentarier richtig erscheint, erst das Parlament über den vorgelegtenNachtragshaushalt debattieren zu lassen und sich danach zu melden, dann bitte ich, auch Verständnis dafür zu haben, daß ich mich jetzt melde und die Zeit dadurch überschritten wird.
— Nein. Ich habe mich gemeldet. Es war von vornherein klar, daß dies noch beantwortet werden mußte.
— Eine Zehnminutenrede. Ich konnte mich ja vorbereiten, die Argumentation von Herrn Friedmann war j a vorher bekannt.
Mit 5 Milliarden DM haben die Mehrausgaben für den Bereich der Arbeitsverwaltung den bei weitem größten Anteil an dem Nachtragshaushalt 1982, über den wir sprechen. Davon entfallen 4,1 Milliarden DM, Herr Friedmann, auf die Liquiditätshilfe an die Bundesanstalt für Arbeit und 900 Millionen DM auf den Ansatz für die Arbeitslosenhilfe.Es ist keine angenehme Aufgabe, in meiner ersten Rede vor dem Parlament in dem mir neu übertragenen Amt Sie bitten zu müssen, diese großen Beträge nachzubewilligen. Aber ich tue es, weil wir alle verpflichtet sind, diejenigen, die auf Grund des ungünstigen Verlaufs der wirtschaftlichen Entwicklung ihren Arbeitsplatz verloren haben, nicht hängen zu lassen, sondern ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld und auf Arbeitslosenhilfe zu erfüllen.Die Bundesregierung korrigiert damit unzutreffend gewordene Annahmen, die der Verabschiedung des Bundeshaushalts am Anfang dieses Jahres zugrunde lagen. Die Regierung hatte für 1982 — gemeinsam mit der Mehrzahl der wirtschaftswissenschaftlichen Institute — eine Jahresdurchschnittszahl von 1,6 Millionen Arbeitslosen vorausgeschätzt.
Sie, Herr Kollege Friedmann, hatten 1,65 Millionen Arbeitslose geschätzt und diese Zahl Ihren Rechnungen zugrunde gelegt. Die heutigen Annahmen nun, über die wir hier miteinander reden, für den Gesamtverlauf des Jahres liegen wegen geringeren Wirtschaftswachstums nicht bei 1,6 Millionen, nicht bei 1,65 Millionen, sondern bei 1,8 Millionen Arbeitslosen, und das ist bitter. Dies hat, wie Sie wissen, inzwischen zu Konsequenzen in der Beschäftigungspolitik geführt — mein Kollege Sieler hat darüber gesprochen —, wobei Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, der Finanzierung dieser Beschäftigungspolitik — leider! — verweigert haben.Ich kann mir nicht denken, Herr Dr. Friedmann, daß Sie es als einen Triumph empfinden, daß Ihre zum Glück überhöhte Voraussage eines hohen Defi-
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Bundesminister Westphalzits bei der Bundesanstalt für Arbeit fast eingetroffen ist, wenn man sich einmal die Globalzahlen ansieht. Bei der gebotenen nüchternen Betrachtung zeigt sich aber, daß Sie, Herr Friedmann, weder die Jahresarbeitslosenzahlen noch die Quote der Leistungsempfänger noch die Inanspruchnahme der Bildungsmaßnahmen noch die Wirkungen der Einschränkung bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen richtig eingeschätzt haben.
Aber was hilft's! Wir haben damals Ihre Einzeleinschätzungen nicht geteilt und sind damit im Recht geblieben; doch entscheidender ist leider, daß wir alle uns hinsichtlich des wirtschaftlichen Verlaufs und seiner Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt geirrt haben. Das ist die Lage.
— Sie haben sich geirrt, wenn Sie sich nach den Zahlen von Herrn Friedmann richten. Ich will Ihnen das belegen.
— Ich habe Ihnen das soeben bei der Arbeitslosenzahl nachgewiesen; ich will es Ihnen, Herr Friedmann, jetzt auch bei der Quote der Leistungsempfänger nachweisen.Dem Haushalt 1982 lag eine Einschätzung der Leistungsempfängerquote für das Arbeitslosengeld von 56 % zugrunde. Sie haben 60 % geschätzt, Herr Friedmann; Sie meinten, die Quote werde vier Prozent höher sein. Heute — im Zusammenhang mit dem Nachtragshaushalt — schätzt der Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit mit uns zusammen eine Leistungsempfängerquote, die unter 56 % liegt, nämlich bei 54 %. Das Institut, das Herrn Stingl berät und das über eine hohe Fachkunde verfügt, sagt sogar, zu erwarten seien 53 %. Alles das hat, wie Sie richtig sagen, in der Schätzung „dicke Millionenauswirkungen". Es geht ja immer um Vorausschätzungen für ein ganzes Jahr. Niemand kann sich hinstellen und sagen: Dies ist ein Vorgang, den man zurückweisen kann, weil sich das am Schluß als falsch herausstellen könnte und wir alle können dies erst am Schluß beurteilen.Wenn Sie nun, Herr Friedmann, jetzt dasselbe noch einmal tun, was Sie zu Anfang des Jahres bei den Haushaltsberatungen getan haben, dann benehmen Sie sich damit in dieser Hinsicht so, wie man sonst im allgemeinen Sprachgebrauch das Verhalten einer Unke bezeichnet.
— Sie haben die Geräusche gemacht. — Wie das Verhalten einer Unke!Das heißt also, Sie sagen uns erneut, am Ende des Jahres würden der Bundesanstalt für Arbeit anderthalb Milliarden DM fehlen, und Sie lösen sich damit in vollem Umfange von dem, was der Vorstand derSelbstverwaltungseinrichtung Bundesanstalt in der vergangenen Woche für sich als Grundlage genommen hat. Ich will hier gar nicht Einzelheiten darlegen; das ist eine Angelegenheit für die Ausschußberatungen; dort will ich Ihnen gern erklären, wie es war. Aber hinsichtlich der Zahlen zur Berechnung des Arbeitslosengeldes gehen die Bundesanstalt und wir im Ministerium von den gleichen Grundlagen aus und kommen zu den gleichen Ergebnissen, zwar mit einem unterschiedlichen Faktor, der darin enthalten ist, aber das Ergebnis ist dasselbe.Bei der Leistungsempfängerquote, Herr Dr. Friedmann, bedeutet das, was wir sagen — ich habe es soeben schon einmal verdeutlicht —, eine höhere Quote — im Gegensatz zu dem, was Sie vorhin in Ihrer Rede gesagt haben —, während das Institut in Nürnberg eine noch niedrigere Leistungsempfängerquote mit den daraus folgenden Zahlen annimmt.— Bei derartigen Voraussagen kann ich Ihnen erst— so hoffe ich — am Ende des Jahres nachweisen, daß sie in den Einzelheiten korrekt gewesen sind. Ich habe aber die Hoffnung, daß wir alle, die wir beteiligt sind, richtig geschätzt haben; mehr kann ich derzeit nicht sagen.
— Gut: Mit dem besten Wissen und Gewissen derjenigen, die da rechnen. Das sind nicht nur die Mitarbeiter eines Ministeriums, hochqualifizierte Fachbeamte, sondern das ist ein ganzes Institut in Nürnberg, das dafür vorhanden ist und das überall — so ist mir gesagt worden, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln — in seinen Fähigkeiten hochgeschätzt wird.Herr Hoppe, ich möchte mich auf eine Äußerung von Ihnen beziehen. Wenn ich den Wortlaut Ihrer Ausführungen richtig in Erinnerung habe, dann war er etwa so: „Ob alles das, was dort an Kosten neu anfällt und was wir jetzt im Nachtragsetat zu decken haben, konjunkturbedingt ist, darf doch wohl füglich bezweifelt werden." Dazu gebe ich eine nüchterne Antwort. Von den 5 Milliarden DM Mehrausgaben für den Bereich der Arbeitsverwaltung sind 3,5 Milliarden DM — oder 70 % — zweifellos unmittelbar konjunkturbedingt. 300 Millionen DM Mehrausgaben erfolgen für Schlechtwettergeld; das sind 6 %. Niemand wird die bei Konjunktur einordnen können. Wir sind noch nicht für Wetter verantwortlich, und keiner von uns erwartet oder erhofft das.
Der dritte Punkt: Die restlichen rund 1,2 Milliarden DM — 24 % der Gesamtmehrausgaben — sind— so ist es meine Auffassung, Herr Hoppe — mittelbar konjunkturabhängig; denn insbesondere die Ausgaben für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, aber auch die Aufwendungen für die berufliche Bildung und Rehabilitation sind die Konsequenz aus der erheblich gestiegenen Arbeitslosigkeit. Sie sind in großem Umfang notwendig, um gerade Arbeitslosen die Rückkehr ins Arbeitsleben zu ermöglichen. Würde man — so muß man doch wohl schlußfolgern — diese arbeitsmarktpolitischen In-
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Bundesminister Westphalstrumente nicht einsetzen, könnte man zwar in diesem Bereich Mittel „einsparen"; dies würde sich jedoch in der zusätzlichen Zahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe niederschlagen.Ich bestätige Ihnen damit, Herr Hoppe, daß Sie recht haben, wenn Sie sagen, es ist nicht alles direkt konjunkturabhängig. Aber Sie werden Verständnis auch für die Argumentation haben: indirekt ist ein enger Zusammenhang gegeben. Daher ist die Entscheidung, die in der Koalition und im Kabinett getroffen wurde, übereinstimmend und richtig.Meine Damen und Herren! Es bleibt dabei: Die Mehrausgaben für den Bereich der Arbeitsverwaltung sind in erster Linie auf die sehr schwache Entwicklung der Binnenkonjunktur zurückzuführen. Aus heutiger Sicht kann im Jahre 1982 mit einer deutlichen Besserung, die auch auf den Arbeitsmarkt durchschlägt, eben nicht gerechnet werden. Wir müssen deshalb davon ausgehen, daß die Zahl der Arbeitslosen im Durchschnitt des Jahres 1982 bei 1,8 Millionen liegt.Was ich noch gern hier verdeutlichen möchte: Bei der Einschätzung des finanziellen Mehrbedarfs — Herr Friedmann, damit auch dies gesagt ist — für die Liquiditätshilfe an die Bundesanstalt, decken sich die Auffassungen der Bundesregierung und der Bundesanstalt weitgehendst. Zwar veranschlagt der Vorstand der Bundesanstalt im Augenblick den Zuschußbedarf um 280 Millionen DM höher als die Bundesregierung. Doch wenn sich nach weiteren Prüfungen Mitte Juli der Verwaltungsrat der Bundesanstalt abschließend mit dem Nachtragshaushalt befaßt, dann werden bessere Erkenntnisse über die Entwicklung der Ist-Zahlen von dann mehr als der Hälfte des Jahres 1982 vorliegen. Ich nehme an, daß dann unsere Einschätzung über einen Zuschußbedarf in Höhe von rund 4,1 Milliarden DM bestätigt werden wird, so daß auch die Gremien der Bundesanstalt ihnen zustimmen können.Schon in den Vorstandsberatungen — Herr Friedmann, dies ist auch für Sie wichtig — ist ja ein Verwaltungsentwurf mit wesentlich höheren Zahlen nach unten korrigiert worden, weil man in wichtigen Teilbereichen unsere Einschätzungen teilte. Die noch vorhandene Differenz liegt bei der Vorausschätzung der Kurzarbeiterzahlen, der Erwartung von Beitragsausfällen und einem geringen Unterschied in der Beurteilung des Zusatzbedarfs bei der beruflichen Bildung.Abschließend, meine Damen und Herren, freue ich mich hier sagen zu können — es gibt dabei auch etwas Freudiges —, daß der Bundesminister der Finanzen einer gewissen Aufstockung der ABM-Mittel, also der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, durch Umschichtung zugestimmt hat. Dies ermöglicht, in Problemgebieten und bei Problemgruppen mehr zu tun und damit Entlastung zu schaffen, die bitter nötig ist.Dies ist sowohl von den Arbeitnehmervertretern als auch von den Vertretern der Länder und Gemeinden in besonderer Weise ausdrücklich begrüßt worden. Wir werden dabei achtzugeben haben, daß die Mittel gemäß den enger gestalteten Regeln verwendet werden, weil wir uns mißbräuchliche oder auch nur mit zu leichter Hand bewilligte Maßnahmen nicht leisten können. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Sieler hat uns soeben der Schwarzmalerei bezichtigt. Dies erinnert uns an den untauglichen Versuch des Bundeskanzlers, den er machte, als er unlängst auch Herrn Präsident Stingl der Schwarzmalerei bezichtigte, nur weil dieser die nüchternen Zahlen des Arbeitsmarkts der Öffentlichkeit vorgetragen hatte.
Wir tun nichts anderes, als die gegebene Situation richtig und realistisch einzuschätzen. Die Entwicklung bestätigt uns. Aber Sie sagen, wir betrieben Schwarzmalerei. Ich meine, es ist umgekehrt: Sie, Herr Sieler, betreiben Schönfärberei, und wir sind realistisch.
Herr Minister Westphal, ich kann es Ihnen nachfühlen, daß es für Sie unangenehm ist, hier als neuer Arbeitsminister auftreten und zugeben zu müssen: Nun brauchen wir für Nürnberg halt doch 4,1 Milliarden DM mehr. Aber Sie argumentieren so nach dem Motto: Die Gesamtzahl ist zwar richtig, aber im einzelnen sind die Zahlen falsch.Wir haben schon im letzten Jahr gesagt: In Nürnberg fehlen 5,6 Milliarden DM. Nun geben Sie zu: Ja, es sind 4,1 Milliarden DM. Wie ich Ihnen begründet habe, fehlen weitere 1,5 Milliarden DM. Es läuft also immer wieder auf das gleiche hinaus: In Nürnberg fehlen 5 bis 6 Milliarden DM. Da brauchen wir im Detail nicht hin- und herzureden. 5 bis 6 Milliarden DM fehlen, so wie wir es gesagt haben. Ich gebe Ihnen den menschlichen Rat, Herr Minister Westphal: Sie sollten sich dazu rechtzeitig bekennen. Sie wollen doch nicht das politische Schicksal Ihres Vorgängers teilen?
Ich meine, wir alle, die wir hier sitzen, sollten aus diesem Beispiel eine Lehre ziehen. Wir haben hinnehmen müssen, daß Sie der Öffentlichkeit mit Ihrer Mehrheit dartaten, man komme durch dieses Jahr mit 27 Milliarden DM neuer Schulden hindurch. Nun nehmen wir zur Kenntnis, daß Sie neue Kredite in Höhe von 7 Milliarden DM brauchen. Nach eigenen Angaben machen Sie also 34 Milliarden DM neue Schulden; nach unserer Schätzung sind es mindestens 35 Milliarden DM.Das ist kein sauberer politisch-demokratischer Stil. Das darf sich nicht wiederholen. Wenn Sie in der Koalition faire Demokraten sind, dann ziehen Sie aus den Vorgängen dieses Jahres die Lehre, und legen Sie diesem Haus im September einen Haus-
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Dr. Friedmannhalt für das nächste Jahr vor, der keinen solchen Nachtrag erforderlich macht!
Nur wenn Sie hier einen ehrlichen Haushaltsentwurf vorlegen und die FDP dann immer noch sagt: „Jawohl, wir sind bei 26 Milliarden DM neuen Schulden, wie sie die mittelfristige Finanzplanung vorgesehen hat", wenn also dies zusammenkommt, dann habe ich einen gewissen Respekt vor Ihnen. Aber so, wie es jetzt läuft, legen Sie uns alle erneut herein. Das sollte dieser Regierung und dieses Hauses nicht würdig sein. — Ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Entwurf des Nachtragshaushaltsgesetzes 1982 Drucksache 9/1750 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Ich stelle Ihr Einverständnis fest. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der steuerlichen Berücksichtigung von Kindern
— Drucksache 9/1732 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, vom Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Darf ich feststellen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Ich stelle Ihr Einverständnis fest. Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Will-Feld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Vereinfachung der steuerlichen Berücksichtigung von Kindern vor. Bisher war der Gesetzeszustand so, daß alle Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres uneingeschränkten Anspruch auf Kindergeld und steuerliche Entlastungen hatten. Nach dem Zweiten Haushaltsstrukturgesetz sind die Anspruchsberechtigungen der Kinder auf das 16. Lebensjahr begrenzt, sowohl beim Kindergeld als auch bei den steuerlichen Entlastungen.Zur Herabsetzung des Kindergeldanspruches will ich heute überhaupt nichts sagen. Ich will auch gleich von vornherein sagen, daß wir als CDU/CSUFraktion beim Zweiten Haushaltsstrukturgesetz dem Kompromiß zugestimmt haben. Nur hindert uns nichts daran, klüger zu werden. Dieser Entwurf stellt einen Beitrag zur Steuervereinfachung dar.
Mit diesem Entwurf soll die steuerliche Berücksichtigung aller Kinder bis zum 18. Lebensjahr wiederhergestellt werden. Warum soll solches geschehen?Es soll verhindert werden, daß eine Fülle von Anträgen auf die Finanzverwaltung zukommt. Die Bundesanstalt für Arbeit hat — es liegen uns Pressemeldungen von vor einigen Wochen vor — allein 2 800 000 Antragsformulare verschickt, um die Änderung des Kindergeldes aufzunehmen. Wenn die 16-und 17jährigen, die durch die Herabsetzung auf das 16. Lebensjahr betroffen werden, nur eine Million ausmachen, können Sie sich vorstellen, was auf die Finanzverwaltung zukommt.Was geschieht bei der Finanzverwaltung? Erstens. Es müssen die Lohnsteuerkarten eingereicht und die antragsberechtigten Kinder darauf vermerkt werden. Zweitens. Es muß der Nachweis gebracht werden, daß die Kinder auch antragsberechtigt sind. Drittens. Es muß geprüft werden, ob dieser Nachweis richtig ist. Das ganze Spiel wiederholt sich noch einmal bei der Einkommensteuerveranlagung und eventuell beim Lohnsteuerjahresausgleich. Dies führt zu einem Verwaltungsaufwand, der, so meinen wir, nicht mehr vertretbar ist.
Ihnen allen sind die Hilferufe und die Schreiben bekannt, die uns jetzt laufend von Steuergewerkschaften und von Mitarbeitern der Finanzverwaltung erreichen. Sie haben alle einen Inhalt: Um Gottes willen, verkompliziert die Gesetze nicht weiter,
um Gottes willen, schafft uns nicht noch mehr Arbeit, um Gottes willen, wir können diese Arbeit nicht mehr bewältigen. Aus diesem Grunde hat der Bundesrat diesen Gesetzentwurf eingebracht.Um wieviel geht es eigentlich hier? Es geht hierbei um 50 Millionen DM. Wenn ich — ich sage dies jetzt völlig unter Vorbehalt — einer Meldung trauen darf, die vor einigen Wochen durch die Presse gelaufen ist, dann sind 3,5 Milliarden DM an ausstehenden BAFöG-Forderungen nicht eintreibbar oder sie können aus irgendwelchen Gründen nicht eingetrieben werden. Ich frage mich: Was steht überhaupt für ein Aufwand zur Diskussion? Auf der einen Seite sind es bei den Finanzämtern 50 Millionen DM, auf der anderen Seite echte Forderungen von 3,5 Milliarden DM.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch diesen Hinweis geben. Es sind j a auch in diesem Fall nicht die sozial Stärkeren, nämlich die Besserverdienenden, sondern es sind in aller Regel die sozial Schwächeren, die davon betroffen sind, wenn sie Anträge auf Inanspruchnahme der Kinderadditiven stellen müssen.Wir sollten — diesen Gesichtspunkt sollten wir in die Beratung einbringen — in Zukunft doch mehr darauf achten, daß zwischen Verwaltungsaufwand
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Frau Will-Feldeinerseits und tatsächlichem oder auch vermeintlichem gesetzlichen Regelungsbedürfnis andererseits um des finanziellen Aufwandes bzw. der finanziellen Ersparnis willen die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. — Ich bedanke mich.
Ich erteile Herrn Abgeordneten Hitzigrath das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der Reform des Familienlastenausgleichs besteht im Hinblick auf den Kindertatbestand weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Kindergeldrecht und dem Einkommensteuerrecht. Diese Parallelität hat sich bewährt. Wir sollten es dabei belassen.
Wir haben daher durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes und durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz, wie Sie aus den Vorlagen ersehen können, die Altersgrenze für die uneingeschränkte Berücksichtigung eines Kindes im Kindergeldrecht und im Einkommensteuerrecht vom vollendeten 18. Lebensjahr auf das vollendete 16. Lebensjahr herabgesetzt. Das bedeutet, daß Kinder, die bereits im 17. oder 18. Lebensjahr erwerbstätig sind, nunmehr rein steuerrechtlich nicht länger zusätzlich begünstigt werden. Dagegen werden Kinder im selben Alter, die zur Schule gehen oder noch in der Ausbildung sind, nach wie vor steuerrechtlich begünstigt werden, allerdings nur auf Antrag ihrer steuerpflichtigen Eltern. Das erscheint gerecht. Dies sollten wir, glaube ich, in den Vordergrund stellen. Die oder der steuerpflichtige 17jährige kann nicht selbst Steuern zahlen, Freibeträge in Anspruch nehmen und außerdem zusätzlich an der Steuerbegünstigung seiner Eltern teilnehmen. Das darf und kann nicht sein.
Als wir diese Neuregelung konzipierten, hatten wir noch keine Steuerschätzungen. Jetzt wissen wir, daß, folgen wir der Bundesratsvorlage, Steuermindereinnahmen in Höhe von 100 Millionen DM — nicht in Höhe von 50 Millionen DM; das sollten wir hier offenlegen, Frau Kollegin — eintreten werden. Des weiteren: Würden wir im Einkommensteuerrecht wieder uneingeschränkt zum vollendeten 18. Lebensjahr zurückkehren, so würde die Forderung, dies auch im Kindergeldrecht zu tun, sofort folgen. Wir können der Bundesratsvorlage daher nicht folgen.
Lassen Sie mich abschließend noch zu zwei Punkten Stellung nehmen. Ich komme zunächst auf den Vorwurf des erhöhten Verwaltungsaufwandes zu sprechen. Die Bundesregierung sieht einen solchen auf uns zukommen. Wir haben im Kindergeldrecht aber bereits Erfahrungen mit der Bundesanstalt gemacht. Es zeigte sich, daß auf Grund der Neuregelung kein erhöhter Aufwand entstanden ist.
Herr Abgeordneter, Frau Abgeordnete Will-Feld möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Bitte, Frau Kollegin.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die Zahl von 50 Millionen DM vor einigen Tagen im Bundesrat von dem Senator für Finanzen aus Hamburg vorgetragen worden ist?
Das ist mir bekannt. Maßgebend sind meines Erachtens aber die Untersuchungen, die von der Bundesregierung selbst und von der Bundesanstalt durchgeführt worden sind. Auf Grund dieser Untersuchungen, auf Grund der Erfahrungen ist man zu dem Betrag von 100 Millionen DM gekommen.
Wir werden die Frage des möglichen erhöhten Verwaltungsaufwandes im Ausschuß genau zu prüfen haben.
Des weiteren müssen wir auch prüfen, ob durch diese zusätzliche Belastung, vielleicht auf zusätzliche Belästigung der steuerpflichtigen Eltern etwas auf uns zukommt, was nicht zu ertragen ist.
Lassen Sie mich zum Schluß hervorheben: Mit dem jetzigen Recht wird möglicher Mißbrauch verhindert. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Deswegen sollten wir diese Mitnehmereffekte verhindern. Und es geht um 100 Millionen DM. Die können wir meines Erachtens nicht einfach aus dem Fenster hinausschmeißen. — Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst etwas zu diesem Verfahren sagen. Wie Sie wissen, geht es bei dem vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates darum, daß eine Maßnahme, die im Haushaltsstrukturgesetz vom Bundestag beschlossen worden ist und nach Abschluß des Vermittlungsverfahrens am 18. Dezember letzten Jahres auch die Zustimmung des Bundesrates gefunden hat, nun wiederum zurückgenommen werden soll. Wenn ein Kompromiß gefunden worden ist, nicht nur zwischen Opposition und Koalition im Bundestag, sondern auch mit dem Bundesrat, geht es doch nicht an, daß anschließend etwas, was einem nicht paßt, was man vielleicht als Zugeständnis in diesen Kompromiß eingebracht hat, wieder umgestoßen werden soll, während die Dinge, die einem gepaßt haben, nicht zur Diskussion gestellt werden. Dies ist vom Verfahren her nicht möglich, insbesondere da der Bundesrat keinerlei neue Argumente vorbringt und auch keine Argumente, die schon im letzten Jahr bekannt gewesen wären, Argumente, die ihn vielleicht zu einer neuen Haltung hätten bewegen können.Ich darf auf verschiedene Argumente eingehen, die in der Diskussion sind und die meiner Ansicht nach dazu führen, daß man diesem Antrag nicht zustimmen kann. Das wesentliche Argument ist der Verwaltungsmehraufwand, der durch diese gesetzlichen Maßnahmen entstanden sein soll. Ich glaube nicht, daß in der kurzen Zeit irgendwelche Erfahrungen gesammelt worden sein können, die einen klaren Überblick geben. Aber unabhängig davon ist es schon heute so, daß im Lohnsteuerermäßigungsver-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982 6523
Dr. Solmsfahren genauso wie im Lohnsteuerjahresausgleich eine große Zahl von Anträgen ohnehin ausgefüllt und eingereicht werden müssen. Beim Lohnsteuerermäßigungsverfahren handelt es sich um knapp 3 Millionen, beim Lohnsteuerjahresausgleich um über 10 Millionen Anträge, so daß man davon ausgehen kann, daß bei der Mehrheit der Haushalte der Bundesrepublik diese Verfahren, bei denen dann die Altersgrenze mit eingebracht werden kann, ohnehin durchgeführt werden müssen. Das führt also nur bei einer kleineren Zahl der Haushalte und nur in den Fällen, wo die Kinder zwischen 16 und 18 Jahren weiterhin in der Ausbildung sind, zu einem zusätzlichen Aufwand. Das ist eine ganz geringe Zahl von Fällen im Vergleich zu dem, was hier vom Bundesrat dargestellt wird.Dabei darf ich darauf hinweisen, daß beim Lohnsteuerermäßigungsverfahren ohnehin ein Freibetrag im Zusammenhang mit § 7 b des Einkommensteuergesetzes oder Werbungskosten, soweit sie den Pauschbetrag übersteigen, eingetragen werden; aber es wird auch die Nichtbeanstandungsgrenze bei den Kinderbetreuungskosten eingetragen. Dies ist doch ein Beispiel — und hier gibt es viel mehr Fälle —, wo man Verwaltungseinsparungen veranlassen könnte, wenn man das konsequent wollte. Das ist schließlich ein Hobby der CDU und des Bundesrates gewesen, seinerzeit durchgesetzt beim Steueränderungsgesetz 1979, bei der Einführung der Kinderbetreuungskosten. Wenn man hier Verwaltungsvereinfachung haben wollte, hätte man sie in einem größeren Umfang und dazu noch geringere Steuerausfälle, 2,5 Milliarden DM. Frau Will-Feld, das wäre ein Antrag, dem wir zustimmen könnten. Er hätte haushaltspolitisch entscheidende Wirkungen und Verwaltungseinsparungen, die wir wünschen, zur Folge.
Ich darf als zweites die Frage ansprechen: Entsteht ein wesentlicher Mehraufwand für den Bürger, und ist dieser Mehraufwand gerechtfertigt? Der Mehraufwand entsteht — ich habe vorhin schon darauf hingewiesen — nur in einer begrenzten Zahl von Fällen. Berechtigt ist dieser Mehraufwand in meinen Augen in jedem Fall; denn — wenn Sie sich die Sache genau betrachten — hier wollen Bürger eine Steuerbegünstigung erwerben. Ich sehe nicht ein, daß jemand, der eine Steuerbegünstigung erwerben will, das nicht nachdrücklich sollte begründen müssen.Drittens. Würde man dem Bundesrat folgen, würde es in großer Zahl mißbräuchliche Ausnutzungen geben. Man denke nur an die Ausländerkinder, soweit sie sich in ihren Heimatländern befinden und nicht in der Bundesrepublik aufhalten. Gerade in diesen Fällen kann man davon ausgehen, daß die Ausbildungszeiten in aller Regel kürzer sind und die Jugendlichen sich schon mit dem 16. Lebensjahr, oft sogar früher, im Arbeitsprozeß befinden. Alle diese Fälle führen bei der Altersgrenze von 16 Jahren nicht mehr zu einem Steuervorteil.Viertens würde es zu einer ungleichen Behandlung der Kinder im Steuerrecht und im Kindergeldrecht führen. Im Bundeskindergeldgesetz ist die Altersgrenze auf 16 Jahre herabgesetzt worden. Ich weiß nicht, wie Sie dem Bürger klarmachen wollen, daß im Steuerrecht die Altersgrenze wiederum auf 18 Jahre gesetzt wird, im Kindergeldrecht aber bei 16 Jahren bleibt. Das führt zu einer Verwirrung der Bürger und kann nicht zur Rechtsklarheit beitragen.Zum Schluß komme ich zur Frage nach den Haushaltsauswirkungen. Es ist von der Bundesregierung angeführt worden, daß die Haushaltsauswirkungen sich auf eine Höhe von etwa 100 Millionen DM belaufen würden. Die Einnahmeausfälle von 100 Millionen DM verteilen sich auf den Bund in Höhe von 40 Millionen DM und auf die Länder in Höhe von 60 Millionen DM. Das ist der einzige neue Gesichtspunkt, der seit Verabschiedung des Gesetzes in die Debatte eingeführt worden ist. Genau unter diesem Gesichtspunkt muß dem Antrag des Bundesrates widersprochen werden. Denn meines Wissens — und dem wird wohl keiner hier widersprechen — sind ja auch bei den Bundesländern Haushaltsprobleme vorhanden, wie sie auch der Bund hat. Bei den Bundesländern ist der Ausfall höher, nämlich 60 Millionen DM. Ich sehe keinen Grund, warum man nicht zu einer Verbesserung der Haushaltssituation bei Bund und Ländern in gleicher Weise beitragen sollte, wenn damit ein vernünftiges und gerechteres Verhalten herausgefordert wird.Da der zusätzliche Verwaltungsaufwand erträglich ist, das geltende Recht mißbräuchliche Ausnutzung verhindert und eine einheitliche Behandlung der Kinder in verschiedenen Rechtsbereichen sicherstellt und weil schließlich auch Steuermittel gespart und nicht zweckentfremdet verteilt werden, sieht die FDP-Fraktion keine Argumente, die eine Zustimmung zu diesem Antrag des Bundesrates rechtfertigen können. Wir lehnen den Antrag ab. — Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates 9/1732 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und an den Haushaltsausschuß. Ich darf Sie fragen, ob Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden sind. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Faltlhauser, Dr. Jentsch , Dr. Dregger, Spranger, Kroll-Schlüter, Würzbach, Frau Dr. Neumeister, Dr. Hackel, Biehle, Kalisch und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die gesundheitliche Versorgung
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Vizepräsident Windelenim Rahmen des Zivilschutzes
— Drucksache 9/1448 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
InnenausschußVerteidigungsausschußAusschuß für Bildung und WissenschaftMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Darf ich das Haus fragen, ob es mit diesem Vorschlag einverstanden ist? — Ich stelle Ihre Zustimmung fest. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war am 25. Juni 1965, als hier im Bundestag nach dem Wassersicherstellungsgesetz das Wirtschaftssicherstellungsgesetz, das Ernährungssicherstellungsgesetz und das Verkehrssicherstellungsgesetz verabschiedet wurden. Spätestens seit diesem Tag ist allen Experten und allen Fraktionen des Bundestages bewußt, daß zusätzlich zu diesen Vorsorgegesetzen auch noch die Vorsorge für die Gesundheit der Bevölkerung im Kriegsfall zwingend einer Regelung bedarf.Seit dieser Zeit gibt es Ankündigungen, Vertröstungen, Versicherungen.In Beantwortung einer Kleinen Anfrage der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion erklärte die Bundesregierung noch am 21. Juni 1979 — ich zitiere —:Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die vorhandenen Rechtsvorschriften und die bisher von Bund und Ländern getroffenen Vorkehrungen nicht ausreichen, um die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung in einem Spannungs- und Verteidigungsfall hinreichend sicherzustellen.
Der Innenauschuß des Deutschen Bundestages hat am letzten Tag der letzten Legislaturperiode in einer Sondersitzung noch einhellig Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung verabschiedet, in denen gefordert wird, daß für den Verteidigungsfall — ich zitiere wieder — „die Rechtsgrundlage zur Deckung personellen Bedarfs im öffentlichen und privaten Gesundheitswesen an Angehörige der Heilpflege- und Heilhilfsberufe gegeben und die organisatorische Basis für ein von den Streitkräften und der Zivilbevölkerung gemeinsam zu nutzendes stationäres Sanitätswesen geschaffen wird."Dieser Forderung aller Fraktionen im Innenausschuß schien die Bundesregierung durch einen Referentenentwurf im Mai 1980 gerecht zu werden. Dieser Referentenentwurf war ohne Zweifel von Verantwortungsbewußtsein und Sachkunde getragen. Gleichwohl war er viel zu weitgehend. Er hat die Länderbehörden und die zu verpflichtenden Institutionen viel zu detailliert festgelegt. Der Entwurf ist der zentralistischen Perfektion erlegen.Aber dieser Referentenentwurf wäre immerhin eine Diskussionsgrundlage für uns hier, für den Bundestag, gewesen. Leider ist aber aus dem Referentenentwurf keine Vorlage der Bundesregierung geworden. Die Bundesregierung hat ihr eigenes Vorhaben seit Mai 1980 blockiert, zurückgestellt, verschämt versteckt.Nun waren wir sehr zuversichtlich, daß die neue Frau Minister im Gesundheitsministerium die Dinge energisch vorantreiben würde, geht ihr doch der Ruf voraus, sie habe „die Hosen an" und sei sehr entschlußfreudig. Tatsächlich wurde Tatendrang sofort sichtbar — allerdings in die verkehrte Richtung: Frau Fuchs, kaum im Amt, betonte, daß der Referentenentwurf eines Gesundheitssicherstellungsgesetzes nicht weiter verfolgt werden würde.
Aber diese Einstandserklärung war — ebenso wie Ihr Beifall — etwas voreilig abgegeben; denn im Ältestenrat wurde unserer Fraktion deutlich gemacht, daß das Bundeskabinett doch entschlossen ist, der Notwendigkeit eines Gesundheitssicherstellungsgesetzes Rechnung zu tragen.Drei Wochen später wurde dann von Frau Fuchs erneut gesagt: Wir lehnen dieses Gesetz ab!Was nun? Was will die Bundesregierung wirklich? Gilt das, was die Bundesregierung 1979 angekündigt hat? Gilt das, was die Koalitionsfraktionen mit uns gemeinsam 1980 gefordert haben? Gilt das, was das Innenministerium, das Verteidigungsministerium einhellig aus sachlichen Erwägungen für notwendig halten? Oder gilt das Rückzugssignal der neuen Ministerin?Ich meine: nach Geschlossenheit und Gradlinigkeit sieht die Haltung der Bundesregierung und die der zuständigen Ministerin — auch in dieser Frage — wirklich nicht aus!
Wir meinen, die Bundesregierung dreht und windet sich zwischen der unabweisbaren Einsicht in die Notwendigkeit eines Gesetzes einerseits und andererseits einem irrlichternden Opportunismus in Blickrichtung auf Teile der Friedensbewegung.Die Einsicht in die Notwendigkeit des Gesetzes hat die Bundesregierung wiederholt betont und im Referentenentwurf festgeschrieben. Zur Verdeutlichung des Opportunismus sind zwei Meinungen hier in besonderer Weise kennzeichnend. Da schreibt z. B. der Kollege Schöfberger am 5. März 1982 im sozialdemokratischen Pressedienst zum Gesundheitssicherstellungsgesetz:Zur Friedenspolitik gibt es auch keine bürokratische Alternative. Es ist daher die Aufgabe sozialdemokratischer Bundesminister, solche Referentenentwürfe zu töten,
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Dr. Faltlhauser— dies ist die Friedenssprache! —bevor sie mit makabrer Gesetzeskraft regeln, wie unerträglich es ist, mit und ohne sichergestellte Gesundheit atomar getötet zu werden.
Frau Fuchs stößt in einem Rundfunkinterview vom 11. Mai dieses Jahres in das gleiche Horn, wenn sie sagt — ich zitiere sie —:Ich möchte mit diesem Gesetz noch einmal dazu beitragen, daß alle Kraft darauf verwandt werden muß, einen Krieg zu verhindern. Ich möchte sehr dazu beitragen, daß man da gar nicht in solche Gedanken hineinkommt, und ich glaube, daß die Zurückziehung dieses Gesetzes ein Zeichen setzen kann.Frau Bundesminister, mit einer derartigen Sprachregelung fallen Sie genau in die Schlaglöcher, tappen Sie in die Argumentationsfalle derjenigen, denen weniger an echter Friedenssicherung gelegen ist, sondern mehr an Agitation mit dem Begriff des Friedens.
Wir meinen: Verabscheuungswürdig ist der Krieg, nicht diejenigen Maßnahmen, die für den Fall eines Krieges die schrecklichen Folgen zu lindern versuchen. Natürlich kommt es in erster Linie darauf an, einen Krieg zu verhindern, aber diese Erkenntnis entbindet uns doch nicht von der Pflicht, für kriegerische Auseinandersetzungen Vorsorge und Fürsorge für die Opfer zu treffen!Die organisatorischen Vorbereitungen für die gesundheitliche Versorgung im Rahmen des Zivilschutzes, wie wir sie in diesem Gesetz hier vorlegen — wir nennen es Gesundheitsschutzgesetz, weil wir meinen, daß die „Sicherstellung" der Gesundheit in einem derartigen Fall wohl nicht der richtige Begriff ist; man kann bestenfalls versuchen, die Gesundheit zu schützen —, sind nicht Akte verstärkter Aufrüstung, sondern ein zwingendes Gebot angesichts möglicher Kriegsgefahren. Wenn wir diese Kriegsgefahren für nicht völlig ausgeschlossen halten — wer in diesem Raum will etwa aufstehen und sagen, daß in unserer Region jegliche Kriegsgefahr ausgeschlossen ist? —, müssen wir vorbereitend tätig werden.Es ist letztlich eine Frage an das Gewissen jedes einzelnen: Steht es in unserem Ermessen, mögliche Hilfsmittel den Mitmenschen vorzuenthalten, die in einem möglichen Krieg verletzt werden?Es ist erschütternd und empörend genug, daß 50 deutsche Mediziner in einem „Appell gegen den Kriegsdienst" alle Mitarbeiter im medizinischem Bereich aufgerufen haben, die ärztliche Hilfeleistung im Falle eines Krieges zu verweigern. Diese Verhaltensweise verstößt nicht nur gegen den Hippokratischen Eid, sie ist nicht nur unmoralisch und unmenschlich, sondern sie treibt auch Mißbrauch mit der Angst vor dem Tod und vor dem Krieg.
Dieser Bundestag und alle in diesem Haus vertretenen Fraktionen sollten vermeiden, diesen Ärzten auch nur den Anschein einer Rechtfertigung zu geben.
Frau Minister, Sie geben durch das Zurückziehen Ihres Referentenentwurfs nicht ein Zeichen für den Frieden, sondern Sie geben ein Zeichen des Einverständnisses mit jenen Kreisen, die den zweifelhaften Appell gegen den Kriegsdienst unterzeichnet haben und ihn stützen.
Vor zwei Jahren leitete Carl Friedrich von Weizsäcker sein Plädoyer für mehr Bevölkerungsschutz im Kriegsfall mit folgenden Worten ein — ich zitiere ihn —:Dringend not tut heute ein Wandel des öffentlichen Bewußtseins in Fragen des Bevölkerungsschutzes. Es handelt sich darum, seit Jahrzehnten Versäumtes rasch, maßvoll, entschlossen und ohne Panik nachzuholen. Der Grund dafür ist rein humanitär. Menschen müssen geschützt werden, wir, unsere Angehörigen, unsere Kinder und Enkel, unsere Freunde und Mitbürger. Begrenzte Kriegshandlungen in unserem Lande sind möglich, und ob es, vielleicht in wenigen Jahren, zu ihnen kommt, hängt nicht von uns alleine ab. Die Meinung, der Frieden sei schon gesichert, war immer ein Irrtum. Die Meinung, jeder mögliche Krieg ist so übergroß, daß es keinen Schutz gegen ihn gäbe, ist ebenfalls irrig. Es macht einen Unterschied, ob wir für den Schutz etwas tun oder nicht.Soweit ein sicherlich unverdächtiger Zeuge und Experte, Carl Friedrich von Weizsäcker.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will, entsprechend den Worten von Carl Friedrich von Weizsäkker „maßvoll, entschlossen und ohne Panik" das von der Bundesregierung Versäumte nachholen. Es ist zwar sicherlich nicht unsere Aufgabe als Opposition, überall dort, wo die Regierung nichts tut, im Detail Alternativvorschläge zu machen. Im Falle der Organisation des Sanitäts- und Gesundheitswesens im Ernstfall schien uns die Verantwortungslücke jedoch zu groß zu sein: Wir halten es nicht für verantwortbar, daß es zwar Hilfskrankenhäuser gibt, die Zuordnung dieser Hilfskrankenhäuser zu Stammkrankenhäusern jedoch Schwierigkeiten bereitet. Wir halten es nicht für verantwortbar, daß heute niemand weiß, wie viele Hilfskräfte im Gesundheitsbereich insgesamt vorhanden sind und wie ihr Ausbildungsstand ist. Wir halten es nicht für verantwortbar, daß man zwar weiß, daß alle Ärzte, Schwestern und medizinisch-technischen Hilfskräfte im Ernstfall dringend gebraucht werden, aber niemand weiß, wo sie gebraucht werden. Wir halten es nicht für verantwortbar, daß nicht geklärt ist, welche Behörde und welche Personen im Verteidigungsfalle für die Koordination und Organisation ärztlicher Versorgung verantwortlich sind.Der Verantwortung zur Regelung dieser und weiterer Probleme kann sich die Bundesregierung, wie ich meine, auch nicht unter Hinweis auf die Zustän-
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6526 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Dr. Faltlhauserdigkeit der Länder entziehen. Wenn der Parlamentarische Staatssekretär Grobecker auf eine Anfrage des Kollegen Dr. Jentsch antwortet: „In einem Verteidigungsfall, der mit konventionellen Waffen bestritten wird, können die bestehenden Instrumente des medizinischen Katastrophenschutzes, für den die Bundesländer zuständig sind, zum Tragen kommen", negiert der Herr Staatssekretär einfach die Verfassungslage. In Art. 73 Nr. 1 des Grundgesetzes steht eindeutig, daß der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung hat; und der Herr Bundeskanzler hat doch hier 1980 in seiner Regierungserklärung gesagt, daß der Zivilschutz ein Teil der Gesamtverteidigung ist. Herr Staatssekretär, hier handelt es sich nicht um erweiterten Katastrophenschutz, sondern um gesundheitlichen Zivilschutz!Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Ihrer Antwort an den Kollegen Jentsch anschließen. Sie schreiben: Die Bundesregierung „ist allerdings der Auffassung, daß in einem Verteidigungsfall, in dem atomare Waffen eingesetzt werden, ein wirkungsvoller Bevölkerungsschutz nicht möglich ist". Aber, Herr Staatssekretär: Wer sagt Ihnen denn, daß jede kriegerische Auseinandersetzung, der wir in diesem Lande gewärtig sein müssen, eine atomare Auseinandersetzung ist? Und überdies: Selbst Restbestände einer vorbereiteten organisatorischen Infrastruktur sind besser als überhaupt keine Vorbereitungsmaßnahmen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion legt diesem Hause ein Rahmengesetz vor, das durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist.Erstens: Der Entwurf stellt fest, wer die zuständigen staatlichen und kommunalen Behörden bei der gesundheitlichen Versorgung im Rahmen des Zivilschutzes sind.Zweitens: Der Entwurf umreißt die Aufgaben der Vorbereitung, der Ausbildung und der Fortbildung dieser Behörden.Drittens: Der Entwurf legt die Befugnisse dieser Behörden — wie z. B. die Auskunftsrechte, die Betretungs- und Besichtigungsrechte — fest.Viertens: Der Entwurf nennt die verpflichteten Institutionen, d. h. die Kammern der Heilberufe, die Kassenärztlichen und die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, die Hilfsorganisationen, das Bundesamt für den Zivildienst, die Rettungsleitstellen.Kennzeichen der Gesetzesvorlage der CDU/CSU ist — im Gegensatz etwa zu dem Referentenentwurf —, daß nicht vom Bund zentral planerische Vorgaben gemacht werden, sondern dies den organisatorisch besser gerüsteten Ländern im Detail überlassen wird.Der vorliegende Entwurf ist ein Organisationsgesetz, das sich auf vorhandene Einrichtungen und vorhandenes Personal stützen muß, ist also kein Investitionsgesetz, sondern ein Gesetz, das nicht — zumindest nicht unmittelbar — haushaltswirksam wird.Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, die Unionsfraktion macht mit diesem Gesetzentwurf ein Angebot an Sie; ein Angebot zur sachlichen Diskussion über dieses Rahmengesetz in den zuständigen Ausschüssen. Wenn ideologische Vorurteile abgebaut sind, sind die in diesem Gesetz zu behandelnden Fragen nicht Fragen grundsätzlicher politischer Orientierung, sondern Fragen organisatorischer Zweckmäßigkeit. Deshalb sind wir für Anregungen und Verbesserungen im Einzelfall selbstverständlich offen. Bringen Sie von den Koalitionsfraktionen Ihre Vorstellungen konstruktiv ein, und füllen Sie damit gemeinsam mit uns eine gesetzgeberische Lücke für eine Situation, von der wir alle gemeinsam hoffen, daß sie nie eintritt.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand wird die Notwendigkeit des Katastrophenschutzes verneinen oder in Zweifel ziehen. Wir haben in der Bundesrepublik bereits einen gut ausgebauten Katastrophenschutz. Aber jeder wird sagen: Nichts ist so gut, daß es nicht besser werden könnte. Insofern, Herr Kollege Faltlhauser, stimmen wir miteinander überein, daß auf dem Felde des Katastrophenschutzes sicherlich noch einiges geschehen kann.Die Opposition meint jedoch, die gesundheitliche Versorgung im Rahmen des Zivilschutzes per Gesetz regeln zu müssen. Es ist das gute Recht der Opposition, sich darüber Gedanken zu machen. Aber ebenso ist es das gute Recht der anderen Seite des Hauses, einige Zweifel an der Durchführbarkeit dieses Unternehmens anzumelden.Eine Grundsatzbemerkung vorweg. Ist es nicht eine gefährliche Illusion, zu meinen, man könne im Verteidigungsfall eine Bevölkerung von 60 Millionen in der Bundesrepublik umfassend gesundheitlich versorgen? Ich komme aus einer Stadt von 90 000 Einwohnern, in der es zwei Krankenhäuser mit etwa 800 Betten gibt. Wie sollen diese 800 Betten im Verteidigungsfall aufgeteilt werden? Ich wohne in einem Stadtteil, in dem 10 000 Menschen wohnen. Dort gibt es einen Bunker, der sich in einem Kaufhaus befindet, in den bestenfalls 100 Menschen hineingehen. Was soll denn mit den übrigen 9 900 Menschen im Verteidigungsfall geschehen? Wer entscheidet denn darüber, wer als Verwundeter und Verletzter in ein Krankenhaus kommt? Wer entscheidet darüber, wer im Falle eines Bombenangriffs in den Bunker hineingehen darf und wer nicht?Gestatten Sie mir also, daß ich einige Zweifel anmelde.
Könnte nicht mit all solchen Überlegungen der Irrglaube geweckt und gestärkt werden, ein Krieg mitten in Europa, in einer der am dichtesten besiedelten Zonen dieses Erdballs, sei überlebbar?
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FiebigMein grundsätzlicher Einwand gegen alle diese Unternehmungen lautet, es könnte der Glaube geweckt oder bestärkt werden, dies alles könnte man machen.
— In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs, Herr Kalisch, wird der Vergleich mit dem Autofahren und dem Gurt gezogen. Es wird gesagt, der Gurt sei auch so etwas wie eine Vorsorge. Nein, Autofahren und konventioneller oder atomarer Krieg sind schlechterdings miteinander unvergleichbar.
Ich halte es für einen Irrweg, das miteinander zu vergleichen.Werden nicht also unsere Mitbürger in einer falschen Sicherheit gewiegt, in einer konventionellen oder atomaren Auseinandersetzung könnte Leben gerettet werden? Vor falscher Sicherheit warne ich. Ich meine, die Lösung dieses Problems müßte ganz woanders ansetzen. Wenn man sich daran erinnert — ich bin Jahrgang 1935 —, wie der Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg in England oder in Deutschland stattgefunden hat, kann man sich gut vorstellen, wie dies alles in einem nächsten Krieg sein wird. Meines Erachtens grenzt es an Größenwahnsinn, zu meinen, im Ernstfall gebe es ein noch funktionierendes Gesundheitswesen. Bitte, ich betone: Ich bin selbstverständlich für einen weiteren Ausbau des Katastrophenschutzes, frage mich aber, ob das, was die Opposition vorschlägt, machbar ist.Ich will einiges aus dem Gesetzentwurf der Opposition hier vorführen, um zu zeigen, daß dies alles undurchführbar ist. Sie schreiben, Herr Faltlhauser, Sie wollten keine zentralistische Perfektion. In § 3 Abs. 1 sprechen Sie von der Durchführung aller Maßnahmen, die für die Anpassung des Gesundheitswesens für den Verteidigungsfall erforderlich sind. Wer soll denn bestimmen, welche Maßnahmen das sind? Wer soll festlegen, was alles diese Maßnahmen umfassen sollen? Etwa der Oberkreisdirektor in einer Kreisverwaltung?Wissen Sie, Herr Faltlhauser, manchmal kann man sich auch eines kleinen Schmunzelns nicht erwehren. „Gegenstand der Anpassung ist auch die tierärztliche Versorgung von Nutztieren"; so heißt es in § 1 Abs. 1. Sie wollen also erst einmal Schutzbunker für Milchkühe bauen, um die dann auch im Verteidigungsfall als Spender von Milch zur Verfügung zu haben. Nur, wissen Sie, ich fürchte, in einem atomaren Krieg wird auch diese Milch verseucht sein.
Nein, Herr Kalisch, das geht doch so alles nicht. Sie schreiben: keine Perfektion. Aber liest man das im einzelnen, muß man feststellen, daß Sie in der Tat nichts ausgelassen haben; sogar an die Milchkühe ist gedacht.
Aber nein, es wird ja noch viel schlimmer. In § 4 Abs. 2 ist davon die Rede: wer sich nicht freiwillig als Hilfskraft im Ernstfall zur Verfügung stellen will, der kann natürlich auch zwangsweise verpflichtet werden. Die Union redet doch immer so viel von der Freiheit. Wie hält sie es denn in diesem Fall mit der Freiheit? Da soll auf einmal zwangsweise verpflichtet werden. Zwang im Gesundheitswesen — das sind ganz neue Töne. Sonst werfen Sie doch immer uns Sozialdemokraten vor, wir seien die großen Verfechter des Zwanges.
In § 4 Abs. 5 reden Sie von Erfassung. Ich erinnere mich hoch, im Dritten Reich wurde alles „erfaßt", und das wurde vom Gauleiter bis hin zum Blockwart alles gesteuert.
Vielen Dank! Die Menschen in unserem Lande sind es leid, erfaßt zu werden. Orwells „1984" scheint dann schon zwei Jahre vorher zu passieren.
In § 4 Abs. 3 heißt es:
Für Kapazitäten zur stationären Versorgung sind in der Regel Träger bereits vorhandener Einrichtungen heranzuziehen. Dabei können friedensmäßige Aufgaben vorhandener Einrichtungen für den Verteidigungsfall eingeschränkt, umgewandelt oder völlig untersagt sowie neue Einrichtungen geschaffen werden.Herr Faltlhauser, soll das etwa der Einstieg in die Staatsmedizin sein, den Sie uns Sozialdemokraten ja immer unterstellen? Soll nun alles restlos planwirtschaftlich im Stile östlicher Provenienz gestaltet werden?In § 4 Abs. 6 sprechen Sie von den Trägern; sie sollen dafür sorgen, „daß der Einsatz der von den zuständigen Behörden genannten Personen durch freiwillige Verpflichtung vorbereitet wird". Haben Sie etwa schon mit den Trägern gesprochen, ob die dazu bereit sind, etwa mit den Trägern konfessioneller Krankenhäuser, ob die darin auch ihre Aufgabe sehen? Und haben Sie einmal über die Kosten nachgedacht? Haushaltsmäßige Kosten fallen nicht an, sagen Sie. Sollen denn etwa die freien Träger nun die Kosten für diese ganzen Unternehmungen übernehmen?In § 9 sprechen Sie von der Verpflichtung zur Sicherstellung:Die zuständigen Behörden können die Träger der geeigneten Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung für den Verteidigungsfall verpflichten, die Bereitstellung der notwendigen Kapazitäten vorzubereiten und ihre Funktionsfähigkeit im Verteidigungsfall personell und materiell sicherzustellen.Ist das etwa Subsidiarität im Sinne der katholischen Soziallehre? Haben Sie alle — in Ihrem Sinne — guten Prinzipien vergessen, als Sie diesen Gesetzentwurf schrieben? Die Zivildienstleistenden haben Sie natürlich ebenfalls nicht vergessen. Ob das denn
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6528 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 107. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1982
Fiebigwohl im Sinne des Grundgesetzes ist, die Zivildienstleistenden für diese Aufgaben heranzuziehen?An alles haben Sie gedacht. Auch geübt werden muß natürlich vorher. Herrlich wird das werden, wenn der Verteidigungsfall dann von breiten Kreisen der Bevölkerung geübt werden muß; wirklich deutsche Gründlichkeit.
Ich könnte mir vorstellen, daß solch ein Gesetzentwurf in der Volkskammer der DDR vorliegen könnte.
Ist das also der erste Schritt zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens?
Fazit: nach meiner Auffassung ist Ihr Gesetzentwurf wahrhaftig nicht durchdacht. Nach meiner Auffassung gehen Sie von einem völlig falschen Denkansatz aus. Richtig wäre, daß Bund und Länder gemeinsam überlegen, wie der Katastrophenschutz weiter ausgebaut und verbessert werden kann.Ich komme zum Schluß.
Ein altes Wort aus der Antike sagt: Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. Ich halte es für sehr gefährlich, meine Herren von der Opposition, wenn man die Menschen allmählich daran gewöhnt, das Undenkbare — Krieg — denkbar zu machen,
das Unüberlebbare in den Vorstellungen der Menschen überlebbar machen zu wollen. Mit einer derartigen Themenstellung wächst die Angst unter den Menschen, es käme doch wieder ein Krieg.
Lassen Sie uns die politische Tagesordnung so gestalten, daß die Angst vor einem Krieg nicht zunimmt, sondern abnimmt! Darauf sollten wir unsere Arbeitskraft und unsere Phantasie verwenden und nicht auf die Phantasterei, Krieg sei in irgendeiner Form überlebbar.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das uns vorliegende Gesundheitssicherstellungsgesetz — oder Gesundheitsschutzgesetz, wie die Union es genannt hat — gehört eigentlich zu dem Komplex der Notstandsgesetze, von denen Herr Dr. Faltlhauser einige schon andeutungsweise erwähnt hat. So sehr wir Liberalen den Notstandsgesetzen kritisch gegenüberstanden, die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes wird von uns nicht bestritten. Die Diskussion darüber wird in derÖffentlichkeit von Gruppen geführt, die von den Auswirkungen dieses Gesetzes betroffen werden und die sich diesen Auswirkungen möglicherweise hier und da entziehen wollen, natürlich auch von Ärzten und von einigen Frauenverbänden.Wir wollen uns einer solchen Diskussion nicht entziehen. Wir halten aber die Sicherstellung der gesundheitlichen Vorsorge der Bevölkerung für nötig. Deshalb steht die FDP auch zu dem Beschluß der letzten Legislaturperiode, in dem die Organisation des Gesundheitsschutzes als ein wichtiger Bestandteil des Zivilschutzes angesehen wird.Am 3. Juli 1980 hat der Bundestag einstimmig die Bundesregierung aufgefordert, im Rahmen der Gesamtverteidigung ein Gesundheitssicherstellungsgesetz vorzulegen. Daran möchte ich auch meinen Kollegen Fiebig erinnern.
Ich wäre allerdings froh, wenn neben dem Gesetzentwurf der Union auch ein Entwurf der Bundesregierung vorläge; denn das, was Herr Kollege Dr. Faltlhauser uns hier anpreisen wollte, erfüllt unsere Ansprüche nicht. Hier wird ein Minirahmen des Bundes angeboten, mit dem dem Föderalismus der Länder mehr als nötig und mehr als der Sache nach zuträglich Rechnung getragen wird. Die Ausformulierungen des Entwurfs widersprechen den Anforderungen und der Praxis der Länder; ich möchte nur zwei nennen: erstens Nordrhein-Westfalen, das ein derartiges Gesetz gefordert hat, und zum anderen Rheinland-Pfalz, das in der Ausgestaltung seines eigenen Gesetzes sehr eng mit dem Familienministerium zusammengearbeitet hat.Der Entwurf widerspricht nach meiner Überzeugung aber auch den selbstgesetzten Anforderungen. Im Ernstfall ist nämlich keine Vorbereitungszeit gegeben. Wenn das so ist, können Ländergrenzen keine Rolle spielen. Die Grundorganisation muß in allen Ländern gleich sein. Eine Gesetzgebung des Bundes muß sicherstellen, daß Reibungsverluste von Bundesland zu Bundesland nicht auftreten. Ich möchte wiederholen: Diesen Anspruch kann der Gesetzentwurf, der von der Union vorgelegt wurde, nicht erfüllen.Ich kann die Kritik der Opposition an Frau Minister Fuchs — z. B. an ihrer Erklärung auf dem Kongreß für ärztliche Fortbildung in Berlin am 1. Juli — wie auch die Kritik, die die Union von dieser Stelle aus und in ihrem Pressedienst geübt hat, nicht teilen. Beide schauen in erster Linie auf die Kompetenz der Länder, und so groß ist der Meinungsunterschied im Grundsatz nicht, daß er diese Art der Kritik rechtfertigte.Allen wirklichen Problemen des Gesundheitsdienstes für den Zivilschutz entzieht sich der Unionsentwurf. So werden etwa Ermächtigungen der Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen bei der Meldepflicht vorgesehen. Solche Ermächtigungen in so grundlegenden Fragen kommen ja immer dann in Gesetze hinein, wenn im politischen Raum eine Einigung nicht erreicht werden kann. Ich frage mich also, ob das auch auf die innere Struktur der
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Eimer
Opposition zutrifft oder ob man sich hier möglicherweise nur um ein heißes Eisen drücken wollte. In einer für Bürgerrechte so wichtigen Frage kann ich diesem Verfahren nicht folgen.Ich möchte bei dieser Gelegenheit mein allgemeines Mißtrauen gegen Rechtsverordnungen ausdrükken. Für den Bürger wirken sie genauso wie Gesetze. Sie gehen am Parlament — an uns also — vorbei und können sogar, wie wir aus Erfahrung wissen, gegen den Willen des Gesetzgebers formuliert werden; die politische Verantwortung aber müssen wir alle tragen.Der Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, soll dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit überwiesen werden. Wir Freien Demokraten haben nichts dagegen. Vielleicht kann dort mit Hilfe des Ministeriums eine Konzeption erstellt werden, die den Problemen Rechnung trägt; vielleicht kann daraus ein vernünftiges Gesetz werden. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur kurz nach dieser Debatte zu den Problemen der Gesetzesvorlage der Opposition Stellung nehmen. Schon vor der Übernahme meines jetzigen Amtes bin ich in politischen Diskussionen wiederholt auf das Gesundheitssicherstellungsgesetz angesprochen worden, und natürlich, nachdem ich Minister geworden bin, verstärkt.
Wer sich mit dieser Materie befaßt, meine Damen und Herren, mit Vorschlägen, Forderungen und Entwürfen, und auf der anderen Seite weiß, wie die vorwiegend auf Ausstattung und Versorgung ausgerichteten Sicherstellungsgesetze anderer Bereiche beschaffen sind, der wird mir zustimmen, daß es nicht um Gesundheitssicherstellung gehen kann. Das gibt schon der Begriff nicht her, und Sie sind ja bei Ihrem Gesetz schon ein bißchen vorsichtiger in der Formulierung.
Sowohl der zuletzt besprochene Entwurf des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit als auch der Oppositionsentwurf, der hier in Frage steht, tragen der Tatsache Rechnung, daß es um einen gesundheitlichen Zivilschutz geht — gesundheitlicher Zivilschutz ist meiner Meinung nach ein Sonderfall des Katastrophenschutzes —, und zwar vornehmlich um ein Organisationsgesetz.
Vor kurzem habe ich — Sie haben darauf hingewiesen — den Entwurf eines Gesetzes aus dem Jahre 1980 zurückgezogen. Ich will Ihnen begründen, warum ich dies getan habe.
Dieser Gesundheitssicherstellungsgesetzentwurf war mit den Ländern ausgiebig diskutiert. Das Zurückziehen dieses Entwurfes hat ein unterschiedliches Echo hervorgerufen. Die einen sahen darin wie
Sie die Absicht, unsere Bevölkerung schutzlos einem Spannungsfall auszusetzen, den anderen war die Zurücknahme dieses Entwurfs nicht radikal genug, da sie in einem solchen oder einem ähnlichen Gesetz eine Schwellensenkung sehen im Hinblick auf die Bereitschaft, einen Krieg zu riskieren. Angesichts des möglichen Unheils in unserer hochtechnisierten Welt im Frieden wie im Kriege bin ich schon der Auffassung, daß gesundheitliche Vorsorge angebracht, sogar sehr nötig ist. Es sind Naturereignisse, technische Großpannen, auch kriegerische Ereignisse denkbar, auf die im gesundheitlichem Bereich unsere auf Individualversorgung ausgerichtete Struktur im Gesundheitswesen nicht vorbereitet und auch durch bisherige Katastrophenschutz- und Zivilschutzgesetzgebung nur lückenhaft ausgerichtet ist.
Nun haben wir diesen Gesetzentwurf, Herr Faltlhauser, den wir im Mai 1980 angefangen haben, mit den Ländern diskutiert, und wir stellen fest, daß auch in den Ländern das Bewußtsein, daß sie für diese Großkatastrophen Vorsorge treffen müssen, an Hand der Diskussion gewachsen ist.
Wir haben festgestellt, daß der Entwurf aus dem Mai 1980 zu detailliert, zu perfektionistisch war.
Sie sagen, es war ein zentralistischer Entwurf. Aber Ihrer ist es natürlich auch. Denn wie wollen Sie den Widerspruch auflösen, auf der einen Seite eine zentrale Kompetenz ausreichen zu lassen, zum anderen aber nicht zentralistisch zu werden? Vor allem aber hat die Diskussion über den Entwurf gezeigt, daß das Zwischenstück der Vorsorge, nämlich im Gesundheitswesen in den Ländern, nur unzureichend für den Friedensfall geregelt war. Von daher war — das war so ein Schlagwort — das Wort „abspecken" in der Diskussion. Ich versichere Ihnen, auch Ihr Gesetzentwurf wird dieses Schicksal erleiden. Wir werden darüber diskutieren, wir werden sehen, welche weiteren organisatorischen Möglichkeiten wir vorsehen müssen. Aber auch dann werden Sie auf ein kleineres Organisationsgesetz zurückkommen müssen.
Ich habe deswegen keine andere Möglichkeit gesehen, als diesen Referentenentwurf des Jahres 1980 zurückzuziehen. Die Entwicklung auch aus der Diskussion mit den Ländern hatte diesen Entwurf überholt. Sie wissen sicher, daß wir nunmehr daran sind, einen realistischen Ansatz zu erarbeiten und daß auch darüber Ressortgespräche begonnen haben.
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Bitte sehr.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Biehle.
Frau Minister, muß ich nach Ihren Ausführungen davon ausgehen, daß die Erklä-
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Biehlerung der Bundesregierung vom 21. Juni 1979, in der folgendes festgestellt worden ist:Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die vorhandenen Rechtsvorschriften und die bisher von Bund und Ländern getroffenen Vorkehrungen nicht ausreichen, um die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung in einem Spannungs- oder Verteidigungsfall hinreichend sicherzustellen.Dies zeigt namentlich die Auswertung der Übungsergebnisse. Die Bundesregierung bereitet deshalb einen Gesetzentwurf vor, der bestehende Regelungen ergänzen soll, insbesondere Verpflichtungen und Befugnisse vorsehen wird, die Gesundheitsvorsorge für einen Verteidigungsfall in normalen Friedenszeiten zu planen und vorzubereiten.nicht mehr Gültigkeit hat?
Sie haben mich nicht ausreden lassen; denn jetzt kommt die Frage, die ich Ihnen gleich beantworten kann: Was ist geschehen, nachdem ich den Gesetzentwurf vom Mai 1980 zurückgezogen habe? Bevor Sie Ihre Frage stellten, war ich gerade dabei, zu sagen, daß wir jetzt über einen realistischen Ansatz nachdenken und die Frage stellen, ob und welche weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen wir noch brauchen.
Ich kann Ihnen versichern, daß wir in der Sache viel weiter sind, als Sie hier im Augenblick in der Debatte den Eindruck haben. Wir haben nämlich festgestellt — ich habe es vorhin angedeutet —, daß die Länder dabei sind, ihren Katastrophenschutz zu überprüfen und zu überdenken. Sie wissen, daß z. B. Rheinland-Pfalz ein Brandschutzgesetz aus jüngster Zeit hat. All diese verschiedenen Ländergesetze haben uns zu der Überzeugung gebracht, daß wir mit den Ländern weiter im Dialog bleiben müssen, um ihre Katastrophenschutzvorbereitungen zu begleiten und dann zu entscheiden, ob und welche weiteren organisatorischen Maßnahmen wir in dieser Frage brauchen.
Frau Minister, sind Sie mit einer Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Faltlhauser einverstanden? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Faltlhauser.
Frau Minister, nachdem Sie nunmehr angekündigt haben, daß Sie eine andere Lösung in anderer Form anstreben und erarbeiten, frage ich Sie: Wie ist es mit Ihrer grundsätzlichen Ablehnung, Ihrer öffentlich erklärten Zielsetzung, durch die Zurücknahme des von Ihnen ursprünglich erarbeiteten Gesetzentwurfs ein „Zeichen setzen" zu wollen?
Ich hielt den Referentenentwurf aus dem Jahr 1980 in der Tat für einen überperfektionierten Gesetzentwurf, der in der Bevölkerung Sorge ausgelöst hat. Wenn man einen Gesetzentwurf aus dieser Sorge zurücknimmt, dann setzt man ein Zeichen, um die Diskussion zu beruhigen.
Ich sage Ihnen offen: Die Frage, welche gesundheitliche Vorsorge wir weiter treffen müssen — Sie werden merken, daß ich mich hier nicht in eine Polemik hineinbegebe —, ist eine Frage, an der wir alle miteinander sehr behutsam und sehr beharrlich arbeiten müssen, um vielleicht zu einem Ergebnis zu kommen, das uns gegenseitig zufriedenstellt.Ich sage noch einmal an die Adresse der Opposition: Ich kann meine politischen Freunde sehr gut verstehen. Wenn sie sich Ihren Gesetzentwurf auf der Zunge zergehen lassen, dann müssen sie so antworten, wie es Herr Fiebig tut.
Einen solchen Gesetzentwurf wollen wir j a auch nicht. Wir werden einem solchen Gesetzentwurf nicht zustimmen können, sondern wir werden — ich wiederhole mich — nach den Erfahrungen mit der Diskussion seit 1980, nach den Erfahrungen aus dem Dialog mit den Ländern unseren realistischen Ansatz, den wir erarbeitet haben, der sich in den Abstimmungen mit den Ressorts befindet, zu einem Gesetzeswerk reifen lassen.Nun komme ich noch einmal auf das zurück, was ich Ihnen vortragen wollte. Wir sind im Dialog mit den Ländern weiter, als es hier den Anschein hat. In der letzten Gesundheitsministerkonferenz vor einigen Wochen in München habe ich Gelegenheit genommen, über diese Frage zu diskutieren. Ich habe beachtliche Zustimmung zu diesem Weg gefunden, nämlich an Hand der Diskussion um Katastrophenschutz in den Ländern parallel miteinander die Frage des Gesundheitsschutzes zu diskutieren. Dort wurden Fragen aufgeworfen: Wie halten wir es mit Katastrophenschutz für den Fall, daß es länderübergreifende Katastrophen gibt? Wie halten wir es mit Katastrophenschutz für den Fall, daß Großeinsatz nötig ist? Und welche Vorkehrungen brauchen wir auch in den Ländern, um die auf individuelle Betreuung ausgerichtete Gesundheitsversorgung und -organisation für diesen Zweck nutzen zu können?Die Länder haben gut erkannt, daß im Katastrophenschutz Mängel bestehen. Wir haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die wie üblich zunächst Funktionen analysiert, Defizite erhellt und über Lösungen berät und solche empfiehlt. Wir sind dort beteiligt. Es wird ein Thema der Gesundheitsministerkonferenz bleiben. Es liegen Zeichen vor, daß es den Ländern möglich ist, die zunächst notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Ich sage jetzt noch einmal: Wir sind dabei, diesen unseren realistischen Ansatz mit den Überlegungen in den Ländern zu kombinieren.Ich denke deswegen, daß wir im Ausschuß Gelegenheit haben, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich würde es noch besser finden, wenn Sie die Weiterbehandlung Ihres Entwurfes zurückstellen und sich dem Dialog mit den Ländern über Katastrophenschutz und seine Notwendigkeiten beteiligen würden, damit wir dann gemeinsam überlegen
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Bundesminister Frau Fuchskönnen, was uns noch zu regeln übrig bleibt. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Faltlhauser, Dr. Jentsch , Dr. Dregger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1448 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Verteidigungsausschuß und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich stelle Ihre Zustimmung fest. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
— Drucksache 9/785 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksachen 9/1761, 9/1770
Berichterstatter:
Abgeordnete Sielaff Schartz
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Beiträge von je bis zu zehn Minuten und ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Darf ich davon ausgehen, daß Sie mit dieser Regelung einverstanden sind? — Ich stelle dies fest.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schartz .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Meine Herren! Schon in der letzten Wahlperiode hatte die Bundesregierung einen Entwurf für ein neues Weingesetz vorgelegt. Heute, nach den Abschlußberatungen in den Ausschüssen, kann man feststellen: Es hat dem Gesetz gutgetan, daß der Gesetzentwurf in der letzten Wahlperiode nicht weiter behandelt worden ist.
In diesem Gesetzentwurf hat die Bundesregierung vorgeschlagen, eine amtliche Kontrolle bei Trauben einzuführen, was zur Folge gehabt hätte, daß in rund hunderttausend Weinbaubetrieben jede einzelne Partie von Trauben hätte untersucht werden müssen. Es hätte zur Folge gehabt, daß eine große Zahl vereidigter Prüfer hätte eingestellt werden müssen. Es hätte zur Folge gehabt, daß eigentlich in jedem Winzerdorf Fahrzeugwaagen hätten installiert werden müssen. Es hätte — wegen der Besonderheit der Trauben — auf gar keinen Fall die Folge gehabt, daß exakte Meßergebnisse hätten erzielt werden können.Die heute erzielte Regelung, daß Stichproben sowohl im Weinberg als auch im Keller verstärkt werden, ist eine praktikablere Lösung. Wir stimmen dieser Lösung zusammen mit einer täglichen Aufzeichnung der Ernte durch den Winzer zu.Ich persönlich will nicht verhehlen, daß mir in der Frage der Herbstkontrolle eine Bestimmung gar nicht gefällt, nämlich die, daß ab der Ernte 1985 eine amtliche Kontrolle eingeführt werden kann. Ich habe die Sorge, daß dies zu einer entscheidenden Wettbewerbsverzerrung innerhalb der deutschen Weinwirtschaft, insbesondere zu ungunsten der selbst markenden und selbst aufbauenden Winzer führen kann.Dieses Gesetz, über das wir heute beraten, ist ohne Zweifel, gemessen an dem, was zur Zeit gültig ist, besser geworden. Es berücksichtigt wesentlich mehr die natürlichen Produktionsgrundlagen im deutschen Weinbau. Es ändert die entscheidende Benachteiligung deutscher Qualitätsweine — in der Bezeichnung, in der Herstellung und in der Geschmacksangabe.Ich darf — weil ich aus diesem Gebiet komme — als einen wesentlichen Vorteil dieses neuen Gesetzes nennen: Dieses neue Gesetz geht auf die natürlichen Produktionsbedingungen der nördlichen deutschen Weinbaugebiete wesentlich stärker ein als sein Vorgänger. Ich halte die Bestimmung, durch die die Restzuckerfreiheit bei Qualitätsweinen eingeführt wird, für eine den Qualitätswein und damit mehr als 50 % der gesamten deutschen Weinernte fördernde Bestimmung. Ich bin der Meinung, daß die Einführung eines Landweines richtig ist. Ich hoffe, daß er sich genau wie sein französischer Vorgänger durch Bekömmlichkeit auszeichnet und beim Essen besondere Verwendung findet.Ich bin der Bundesregierung dankbar, daß sie der Aufforderung des Ernährungsausschusses gefolgt ist und ein Mindestmostgewicht von 50 Grad Öchsle oder 6 Volumenprozent in Brüssel durchgesetzt hat. Der Ernährungsausschuß hat in seiner Stellungnahme zur EG-Verordnung 337 ausdrücklich gefordert und auch in diesem Gesetz festgeschrieben, daß für die nördlichen deutschen Weinbaugebiete eine Anreicherungshöchstgrenze von 36 Grad Öchsle auf Dauer gelten soll — eine Regelung, die bisher nur in Ausnahmefällen nach einem sehr umständlichen bürokratischen Verfahren von Brüssel aus gewährt werden konnte. Die Bundesregierung hat auf die Nichtkonformität dieser Regelung mit den EG-Regelungen in dem Gesetz, das wir heute beschließen, hingewiesen. Die Abgeordneten aller Fraktionen haben diesen Hinweis zur Kenntnis genommen und im Wissen um diese Nichtübereinstimmung mit den entsprechenden Regelungen der EG trotzdem diese Bestimmung in das Gesetz aufgenommen. Ich entnehme daraus die Forderung — ich will sie hier im Bundestag wiederholen —, daß die Bundesregierung
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Schartz
alles daransetzen muß, um diese Grenze von 36 Grad Ochsle auch in Brüssel durchzusetzen. Ich stehe noch unter dem Eindruck einer Diskussion im Deutschen Weinbauernverband heute mittag und halte die Frage für berechtigt, wer denn eigentlich bei der Gesetzgebung noch etwas zu bestimmen hat. Es kann nicht so sein, wie auch Beamte der Bundesregierung sagen oder wie es heute mittag von einem Beamten der EG vorgetragen worden ist, daß sich die Bundesrepublik nun auf ein Vertragsverletzungsverfahren einrichten müsse.Es gibt schließlich zwei Möglichkeiten der Änderung, nämlich erstens die Möglichkeit, daß die Bundesrepublik sich in ihrer Gesetzgebung ohne Wenn und Aber den Bestimmungen der EG unterwirft, und zweitens die Möglichkeit, daß die EG ihre Bestimmungen ändert. Ich bin der Meinung, wenn der deutsche Gesetzgeber einstimmig in den Ausschüssen und, wie ich glaube, auch einstimmig in diesem Hause eine solche Bestimmung um der Sache willen, um der Bürger in unserem Lande willen beschließt, muß die EG diesem Votum des deutschen Gesetzgebers folgen.Ich möchte noch eine Bemerkung machen. Es gibt heute das weitverbreitete Wort von der Staatsverdrossenheit. Ich glaube nicht, daß dies ein Wort ist, das das Verhältnis von Bürger und Staat, wie es viele empfinden, richtig beschreibt. Es ist wohl eher ein Ausdruck dafür, daß der Staat in seiner Erscheinungsform gegenüber dem einzelnen Bürger nicht mehr richtig verstanden wird. Wenn das für einen nationalen Staat gilt, dann gilt es auf jeden Fall mehr noch für die EG. Es kommt j a nicht von ungefähr, daß der Begriff „Eurokrat" mittlerweile eine Potenzierung des Begriffes „Bürokrat" beinhaltet, weil die Entscheidungen in der Europäischen Gemeinschaft undurchsichtig, unverständlich und wohl auch im höchsten Maße bürokratisch sind. Ein Beispiel dafür: Ich habe kürzlich in einer Zeitung gelesen, daß die Zehn Gebote, die Moses übergeben hat, aus 279 Worten bestanden haben sollen. Die Europäische Gemeinschaft hat kürzlich eine Verordnung über Karamelbonbons erlassen. Sie besteht, wenn die Zeitungsnotiz richtig war, aus 25 911 Worten.
— Das ist wohl möglich. Aber es kommt ja darauf an, daß es der Wahrheit entspricht. Was ich damit sagen wollte, wird dadurch bestätigt, daß sich allein über 1 100 Verordnungen mit dem Wein beschäftigen.Meine Damen und Herren, diese Beratung über das Weingesetz — dies sage ich im Blick auf die Meinung der EG zum deutschen Weingesetz — sollte die Aufforderung an den deutschen Gesetzgeber zum Inhalt haben, mehr Politik in Europa zu wagen und die europäische Administration nicht zu mißbrauchen, um das Fehlen politischer Entscheidungen zu kaschieren.
Ich bin besonders glücklich darüber, daß es in diesem Gesetzentwurf gelungen ist, eine Regelung fürSekt zu finden, die den Erfordernissen der deutschen Weinwirtschaft wie auch des deutschen Verbrauchers gerecht wird. Endlich — nach vielen und ergebnislosen Anläufen — wird nach Verabschiedung dieses Gesetzes die Bezeichnung „deutscher Sekt" nur dann verwandt werden dürfen, wenn dieser Sekt auch aus deutschem Wein hergestellt ist. Ich halte die daran anknüpfende Bestimmung für Sekt und Perlwein, daß auf dem Etikett sichtbar gemacht werden muß, aus welchem Wein dieser Sekt bzw. Perlwein hergestellt ist, für eine wesentliche Bestimmung dieses Gesetzes.Es ist gut, daß in einer Entschließung die Bundesregierung aufgefordert wird, für eine bessere Kontrolle der eingeführten ausländischen Weine zu sorgen. Ich bedaure, daß ein Entschließungsantrag von mir persönlich im Ausschuß untergegangen ist. Ich bin durch einen Besuch in der letzten Woche in Österreich bestärkt in meiner Meinung, daß die Kontrolle ausländischer Weine verbessert werden muß. Es ist eigentlich ein Skandal, daß die Weine dort, beim österreichischen Winzer, doppelt so viel kosten wie in deutschen Kaufläden. Die Bundesregierung hat mir ausdrücklich mitgeteilt, daß mit eingeführten ausländischen Weinen schwere Verfehlungen vorgekommen sind.
Zum Abschluß will ich die Meinung meiner Fraktion sagen. Wir halten dieses Gesetz, das j a auf dem aus dem nationalen französischen Weinrecht abgeleiteten Rahmen der EG beruht, für eine entscheidende Verbesserung des bisherigen bestehenden Rechtszustandes. Wir sind der Meinung, daß die deutsche Weinwirtschaft mit diesem Gesetz besser leben kann als mit dem zur Zeit bestehenden Gesetz. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetz zu.
— Ich bin der Meinung, Kollege Jaunich, wenn ich das auf Ihre Frage sagen darf: Dies gilt sicher auch im Hinblick auf die Wahrung der Interessen der deutschen Verbraucher.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sielaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben, lieber Herr Schartz, natürlich eine Rede aus der Sicht der Weinwirtschaft gehört.
Es ist richtig, daß die Winzer und die Weinwirtschaft von diesem Gesetz besonders betroffen sind. Ebenso trifft das aber auch, Herr Schartz, für die Verbraucher zu. Es ist ja nicht zufällig, daß der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit der federführende Ausschuß ist.
— Es ist schon bemerkenswert, Herr Susset, daß dieOppositionsparteien die Änderung zum Weingesetz
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Sielaffoffensichtlich nur aus der Sicht der Produzenten beurteilen und fast
— das kann man zumindest an Hand der Redner, die auf der Liste stehen, ersehen — außer acht gelassen wird, daß es sich hier auch um ein Verbraucherschutzgesetz handelt; denn wir alle wissen, daß die vielen Weinpanscherprozesse ja wohl auch ein wesentlicher Auslöser für die beschleunigte Behandlung dieser Gesetzesänderung waren.
Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist also nicht nur als Schutz für die ehrlichen Winzer von Wichtigkeit, deren Ruf durch die in jüngster Zeit publik gewordenen Weinpanscherprozesse — man spricht von über 2 000 anstehenden Verfahren — Schaden litt, sondern auch als Schutz für den Verbraucher und für die Verbraucherin von Bedeutung.Die Änderung des Weingesetzes, die Verschärfung einiger Paragraphen, garantiert dem Verbraucher, wie ich meine, sicherlich keinen absoluten, aber doch einen wesentlich besseren Schutz vor Manipulation und Betrug. Darin sind wir uns auch einig. Ganz besonders wichtig sind dabei die §§ 4 und 11, in denen es um die Herbstkontrolle bei Qualitätsweinen und Qualitätsweinen mit Prädikat sowie Anbringung von amtlichen Prüfungsnummern geht.Es waren sich, so glaube ich, alle bei den Beratungen einig, daß härtere Kontrollen bei der Lese eingeführt werden müssen. Uneinigkeit herrschte allerdings darin — und das wurde auch durch die Ausführungen von Herrn Schartz deutlich —, wie die Kontrollen durchzuführen sind. Die einen meinten, daß schon schärfere Stichproben ausreichten, andere wollten eine lückenlose, aber keineswegs amtliche Kontrolle, und eine dritte Gruppe plädierte für die eindeutige amtliche Kontrolle ab 1985.Bei den Unionsparteien war man sich offensichtlich nicht ganz einig. Die einen wollten lediglich Stichproben, die wohl kaum eine Verbesserung für die Verbraucher gebracht hätten. Die anderen plädierten für die lückenlose, aber nicht amtliche Kontrolle. Hauptsächlich spielten hier sicherlich wieder Kostengründe für die Winzer eine Rolle. Der Regierungsentwurf dagegen war eindeutig. Er forderte in § 4 die amtliche Kontrolle ab 1985 und fand zunächst auch die volle Unterstützung des Deutschen Weinbauverbandes und der Bundesländer, in denen Weinbau betrieben wird. Die Mehrheit des Bundesrates war es dann, die die amtliche Kontrolle ablehnte und meinte, die Verwaltung kann sich auf Stichproben beschränken. Daraufhin schlug der Weinbauverband den jetzt in der Beschlußfassung vorgesehenen Kompromiß vor, der vom Landwirtschaftsausschuß und auch vom Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mehrheitlich übernommen wurde.Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sehen in dieser Formulierung den Einstieg in die amtliche Herbstkontrolle, wenn es heißt, ab Ernte 1985 kann vorgeschrieben werden, daß diese Feststellungen amtlich getroffen werden. Weine, die aus derart kontrolliertem Lesegut hergestellt sind, dürfen auf dem Etikett als „aus amtlich kontrolliertem Lesegut" gekennzeichnet werden. Wir meinen, wenn ein Bundesland — wie es aussieht, wird Baden-Württemberg dieses wohl tun — den natürliche Alkoholgehalt und die Erntemenge amtlich feststellen läßt, und auf die Etiketten dieser Weine steht „aus amtlich kontrolliertem Lesegut", dann werden andere folgen müssen, wenn sie bei den Verbrauchern nicht in den Verdacht geraten wollen, fehlende Hinweise auf den Etiketten bedeuten auch fehlende Kontrolle.Wir hoffen, daß die Winzer selbst die Länderregierungen drängen werden, die amtliche Kontrolle beim Lesegut einzuführen. Die Verbraucher und ihre Verbände sollten ebenfalls an dieser Forderung festhalten, so daß am Ende die amtliche Herbstkontrolle doch so eingeführt wird, wie sie die Bundesregierung schon jetzt festlegen wollte.Meine Damen und Herren, alle an der Änderung des Gesetzes Beteiligten haben sicherlich viele Briefe und Stellungnahmen von sehr unterschiedlichen Interessenten erhalten. Größtenteils — ich möchte das betonen — war viel Konstruktives dabei. Insbesondere der Deutsche Weinbauverband war bemüht, neben den Interessen der Winzer auch die Wünsche der Verbraucher und Verbraucherinnen immer wieder mit zu berücksichtigen — dieses sicherlich im Wissen, daß die Verbraucher Qualität und die Wahrheit und Klarheit im Weinglas honorieren werden. Aber manche Stellungnahmen waren auch sehr eindeutig, so meine ich, nur aus dem Geschäftsinteresse oder der besonderen Situation einer Gruppe erklärbar und daher nicht selten widersprüchlich.In den Beratungen der Ausschüsse, meine Damen und Herren, waren wir uns alle darin einig, die in-und ausländischen Weine gleichermaßen schärfer zu kontrollieren und nicht nur die Interessen der Weinwirtschaft, sondern auch der Verbraucher im Auge zu behalten. Es gab im Grunde wirklich nur wenige strittige Punkte am Ende bei den Beratungen.Es wurde zum Schluß die vorliegende Beschlußfassung vom federführenden Ausschuß einstimmig verabschiedet. Wir meinen, die Regierung hat gute Arbeit geleistet, denn die Grundkonzeption des Regierungsentwurfs wurde im Grunde nicht verändert.
Jetzt kommt es darauf an, Herr Schartz, die Landesregierungen — auch Rheinland-Pfalz — an ihre Kontrollfunktion zu erinnern: daß sie die voll ausführen und daß auch das nach EG-Recht vorgeschriebene Begleitscheinverfahren in allen Bundesländern konsequent durchgeführt wird.Ich möchte zwei kritische Punkte ansprechen. Im Weingesetz sind in § 9 Höchstmengen an Schwefliger Säure, H2 S02, festgeschrieben, die dem Wein,
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Sielaffz. B. zur Erhaltung der Frische, beigefügt werden können. Während die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher e. V. bei der Anhörung im federführenden Ausschuß forderte, den zulässigen Gehalt an gesamter Schwefliger Säure auf höchstens 200 mg/l zu begrenzen, hielt der Weinbauverband eine weitere Absenkung der zulässigen SO2-Werte für nicht sachgerecht, da dieses immer wieder, so meinte man, Ausnahmeregelungen für einzelne Fälle notwendig machen würde und der gewünschte Effekt auch ohne Absenkung der vorgeschriebenen Höchstwerte erreicht werden könne. Ich meine, die Weinwirtschaft sollte von sich aus bemüht sein, mit Minimalwerten von Schwefliger Säure auszukommen und den zulässigen Gehalt einer gesundheitlich sicherlich nicht unbedenklichen chemischen Substanz überall zu reduzieren und wirklich nur in Ausnahmefällen die Höchstwerte auszunutzen.Ich möchte einen weiteren kritischen Punkt ansprechen. Der Innenausschuß hat in seiner Sitzung am 10. März 1982 die Bundesregierung gebeten, Verwendungsverbote für Asbest da auszusprechen, wo Substitutionsmöglichkeiten bestehen. Auch im Weinbau wird Asbest, und zwar bei der Filtration des Weins, eingesetzt. Es gibt seit einiger Zeit asbestfreie Filtrationsprodukte. Ein Ersatz für Asbest ist also möglich. In den meisten europäischen Staaten, z. B. Frankreich, Italien, Benelux-Staaten und auch in skandinavischen Ländern, gibt es Tendenzen, die Verwendung von Asbest bei der Getränkefiltration beinahe vollständig einzustellen. Ich möchte daher an dieser Stelle an die Winzer appellieren, zukünftig freiwillig auf Asbestfilter zu verzichten und andere, asbestfreie zu verwenden.
Meine Damen und Herren, Wein wird seit Jahrtausenden von einem besonderen Mythos umgeben. In vielen alten religiösen Schriften spielt der Wein ein besondere Rolle unter den Getränken.
— Hoffen wir, Herr Magin, daß wir mit dieser vierten Änderung des Weingesetzes dem Anspruch des Philosophen Plutarch aus dem ersten Jahrhundert nach Christus gerecht werden, der schrieb — Sie werden dem sicherlich zustimmen —: „Der Wein ist unter den Getränken das nützlichste, unter den Arzneien die schmackhafteste und unter den Nahrungsmitteln das angenehmste." Achten wir gemeinsam darauf, daß uns, den Verbrauchern und Verbraucherinnen, den Winzern und Winzerinnen die Pan-scher dies nicht völlig verderben!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sielaff, es hätte Ihnen gut angestanden, hier mitzuteilen, daß es ohne die Unterstützung der Opposition überhaupt nicht möglich gewesen wäre, dieses Gesetz durchzubringen, weil Sie für das, was Sie hier sagen, in Ihrer Fraktion keine Mehrheit hatten.
Ich glaube, wir taten gut daran, uns mit diesem Gesetz Zeit zu lassen, weil es eine vielschichtige Gesetzesmaterie ist. Die Kritik, die wir in der Offentlichkeit dafür einstecken mußten, können wir, glaube ich, gut tragen.Die Herbstordnung und die Herbstkontrolle sind das Kernstück des Änderungsgesetzes, und von der Beantwortung dieser Frage hängt die Glaubwürdigkeit der gesamten Qualitätsprüfung des deutschen Weines und mehr noch die Wettbewerbsgleichheit und damit die wirtschaftliche Entwicklung unseres Weinbaus ab. Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich seit Inkrafttreten des Weingesetzes von 1971, an dessen Zustandekommen ich auch mitgewirkt habe, den Finger immer auf die offene Wunde einer unbefriedigenden Herbstprüfung gelegt habe. Die von dem gesamten deutschen Weinbau mehrfach beschlossenen Leitlinien, zuletzt anläßlich des Weinbaukongresses 1979 in Stuttgart, fordern diese lükkenlose Herbstkontrolle. Mir persönlich wäre es lieber — das sage ich hier —, wenn die Herbstordnung, wie im Regierungsentwurf vorgesehen und von den Ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Bundesrat unterstützt, hier nun im Gesetz stehen würde.
Herr Kollege Sielaff, wo waren hier sozialdemokratische Länder, wie Hamburg, wie Bremen, wie Nordrhein-Westfalen, im Bundesrat?
Die haben hier überhaupt nicht mitgemacht. Das muß man hier einmal feststellen.Herr Sielaff, Sie haben jetzt eine ganz andere Meinung als beispielsweise meine beiden Mitstreiter bei einer Podiumsdiskussion vertreten, die vor einer Stunde beim Deutschen Weinbauverband zu Ende war. Da haben die Kollegen Müller und Rumpf erklärt, sie seien natürlich nicht dafür, daß dann unter Umständen aus dem jetzt Beschlossenen eine amtliche Herbstkontrolle werden würde. Wir müssen hier redlich argumentieren.In Abs. 3 wurde beschlossen, daß die Landesregierungen der Länder, in denen Weinbau getrieben wird, eine Herbstordnung erlassen können. Ab der Ernte 1985 kann dann vorgschrieben werden, daß Weine, die aus derart kontrolliertem Lesegut hergestellt sind, auf dem Etikett „Aus amtlich kontrolliertem Lesegut" gekennzeichnet werden dürfen. Ich gebe Ihnen recht, daß das Auswirkungen auf den gesamten Weinbau haben wird.In letzter Zeit war so viel von Etikettenschwindel die Rede. Mit der Herbstordnung muß, wenn sie durchgeführt wird, wie wir es als Gesetzgeber er-
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Sussetwarten, neues Vertrauen in die Aussagekraft des Weinetiketts kommen,
denn das Weinetikett ist für mich die Geburtsurkunde des Weines. Es soll für den Weintrinker eine verläßliche Aussage machen über den Jahrgang, die Traubensorten und die Herkunft, also das Weinbaugebiet, den Bereich, den Ort, die Lage und die Qualitätsstufe. Darauf hat der Verbraucher einen Anspruch.In § 11 wird die gesetzliche Voraussetzung dafür geschaffen, daß durch Rechtsverordnung vorgeschrieben werden kann, daß Weine eventuell mit einem Kontrollzeichen versehen werden können und unter Umständen sogar müssen.Die Pressekampagne über Weinskandale unter dem Stichwort „Germanisierung von Auslandsweinen": Meldungen, daß seit 1974 eine Milliarde Liter Auslandswein als deutscher Qualitätswein verkauft wurde, haben uns — und zwar alle drei Fraktionen gemeinsam — veranlaßt, hier einen Entschließungsantrag einzubringen. Darin fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, „in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, die auf Grund des Grundgesetzes die Weinkontrolle als eigene Angelegenheiten durchführen", das seit 1. April 1981 angewandte Meldeverfahren auf Dauer beizubehalten und auf Grund der zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrungen auszubauen. Der Deutsche Bundestag hält es für unerläßlich, „daß zur Verhinderung unerlaubter Verschnitte zwischen eingeführten Auslandsweinen das nach EG-Recht vorgeschriebene Begleitscheinverfahren in allen Bundesländern konsequent durchgeführt und derart organisiert wird, daß es für Weinkontrollzwecke zeitnah herangezogen werden kann". Wir fordern deshalb, daß die Weinkontrollorgane in allen Bundesländern auch entsprechend verstärkt werden.
Zur Sicherung einer gleichmäßigen Überwachung in den Bundesländern und zur Gewährleistung einer schnellen und effizienten Zusammenarbeit über die Grenzen der Bundesländer hinweg fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, unverzüglich eine Rechtsverordnung gemäß § 58 Abs. 4 Weingesetz zu erlassen.Die nationale Weingesetzgebung wird durch die Vielzahl von EG-Verordnungen sicher auch in der Zukunft nicht leichter. Man verschone uns bitte künftig mit Vorschlägen wie der Wiedereinführung einer Abgabe auf Saccharase, die zur Anreicherung der Weine verwendet wird. Man mute uns künftig von der EG auch bitte nicht mehr zu, Saccharase durch rektifiziertes Traubenmostkonzentrat zu ersetzen. In Europa gibt es meiner Meinung nach Wesentlicheres zu tun, als der Weinwirtschaft und dem Verbraucher vorzuschreiben, welcher Wein künftig jemandem zu schmecken hat. Für solche Vorschläge der EG-Kommission wird es auch in der Zukunft in diesem Parlament keine Mehrheiten geben.Meine Damen und Herren, die Belastungen, die der deutschen Weinwirtschaft und dem einheimischen Weinbau erwachsen sind, können allein unter dem Aspekt der politischen Notwendigkeit eines vereinten Europas angenommen werden. Dies darf uns jedoch nicht daran hindern, uns in angemessener Weise für die Wahrnehnmung unserer Belange einzusetzen und sie durchzusetzen. Die Anpassung, um die es vor allem geht, zwingt zur Aktivität in allen uns berührenden Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsbereichen. Daß sich einiges durchsetzen läßt, Herr Kollege, haben wir, glaube ich, bei der Beratung verschiedener EG-Verordnungen im zuständigen Ausschuß schon bewiesen. Dort sagten die Vertreter der Bundesregierung nämlich immer: Es geht überhaupt nicht, hier nun in Brüssel etwas durchzusetzen, weil es gegen den EG-Vertrag verstößt. Nachher kommt die Bundesregierung nach Hause und sagt: Wir haben es durchgesetzt. Ich habe das heute nachmittag in einer Diskussion auch Herrn Reichardt von der EG-Kommission gesagt, daß sie sich künftig darauf verlassen könne, daß wir manchmal etwas mehr Zähne in dieser Richtung zeigen werden.Bis jetzt wurde nichts unterlassen, was im Interesse des einheimischen Weinbaus notwendig war. Nicht alle Lösungen sind optimal, wie das bei Kompromissen in der Regel immer der Fall ist, aber sie ermöglichen eine bis jetzt im großen und ganzen zufriedenstellende Entwicklung des einheimischen Weinbaus.Wenn die Witterung weiter mitmacht, dürfen wir in diesem Jahr — das freut uns alle — einen guten Herbst erwarten. Ein guter Ertrag wäre notwendig, um der Weingärtner- und Winzerfamilie ihre harte Arbeit zu lohnen. Ein guter Ertrag wäre auch notwendig, um weitere Entlassungen und Kurzarbeit in unseren Kellereien zu vermeiden. Volle Keller wären aber auch notwendig, um unsere Verbraucher auch künftig mit erstklassigem deutschen Qualitätswein aus unseren elf Anbaugebieten beliefern zu können.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Herberholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. Dezember 1750 wurde in Kassel ein Weingesetz erlassen, in dem es heißt, daß „diejenigen, so die Verfälschung mit Vegetabilien, Rosinen und Zucker verüben, ausgepeitscht und auf ewig des Landes verwiesen" werden. Auspeitschen, körperliche Züchtigung haben wir in der Zwischenzeit abgeschafft. Heute stellen wir fest, daß die Betreffenden freiwillig das Land verlassen und sich ins Ausland absetzen. Aber die Problematik, um die es 1750 ging, ist auch heute noch unverändert.Das Weingesetz, Herr Kollege Susset — da stimme ich Ihnen voll und ganz zu —, ist nicht eine Frage, die unter den Fraktionen strittig war. Ich glaube, daß sich in vielen Punkten unsere Ansichten im Verhältnis zu denen in unseren Fraktionen sehr viel näher sind. Es ging hier vielmehr um regionale Gesichtspunkte, wo der betreffende Kollege und in
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Herberholzwelchem Anbaugebiet er wohnt. Hier spielten Nord-Süd und West-Ost eine Rolle, aber nicht die Fraktionen. Die Position hing ganz davon ab, welche Interessen man legitimerweise aus seinem Wahlkreis heraus zu vertreten hat.Wir haben bei den Beratungen eine ganze Menge Vorschläge auf unseren Tisch bekommen. Ich glaube, wir haben viele davon aufgegriffen. Wir haben uns gehütet, das deutsche Weingesetz mit anderen Weingesetzen vergleichen zu lassen, weil es einfach nicht angeht, daß man das deutsche Weingesetz z. B. mit dem französischen vergleicht und sich dessen Rosinen herauspickt, aber die schwierigen Dinge vor der Tür läßt.Ich möchte nur einmal die Frage, die diskutiert wurde, der Aufbesserung der Prädikatsweine ansprechen. Das hat in unseren Beratungen alles keine Rolle mehr gespielt, weil wir versucht haben, eine auch über die Fraktionen hinaus gemeinsam zu tragende Fassung zu bekommen.Kernpunkt ist sicherlich — für mich zumindest — die Kontrolle, d. h.: Wie kann ich die in den Keller ein- und ausgehenden Mengen einigermaßen sicher angeben? Der deutsche Weinbauverband bestand seit vielen Jahren auf der amtlichen Kontrolle. Das Land Rheinland-Pfalz als größter Weinproduzent besteht seit 1977 auf der amtlichen Herbstkontrolle. Es steht dort im Weinbauplan. Das heißt, man kann der Bundesregierung keinen Vorwurf machen, wenn sie die Interessen der Weinwirtschaft aufgreift. Ich muß sagen: Hier hat sie die Interessen des Landes Rheinland-Pfalz und des Deutschen Weinbauverbands aufgegriffen. Wenn das aus anderen Gründen zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht nicht realisierbar ist, haben wir, glaube ich, zumindest den zweitbesten Weg gewählt, denn wir überlassen das ab 1985 dem Markt. Herr Kollege Schartz, deshalb bin ich froh, daß dieser bewußte Satz dort steht. Wir überlassen es dem Markt zu entscheiden, was damit passiert, wenn auf der Flasche steht „aus amtlich kontrolliertem Lesegut", ob dann ein gewisser Zugzwang entsteht.Ich gehe davon aus, daß das geschehen wird, weil ich davon überzeugt bin, daß zumindest ein Bundesland mit Sicherheit das so tun wird. Wir werden sehen, was am Markt passiert. Ich gehe also davon aus, daß wir 1985 eine amtliche Kontrolle nicht per Gesetz, sondern vom Markt her haben werden.
— Dann fragen Sie einmal die Baden-Württemberger. Die haben ganz konkrete Vorstellungen, wie das funktioniert. Auch das Land Rheinland-Pfalz hat das gefordert und hat ganz konkrete Vorstellungen, wie es funktionieren soll.Wir haben darüber hinaus das sogenannte Kontrollabzeichen beschlossen, die Banderole, um die Menge des kontrollierten Weins, die den Keller verläßt, in den Griff zu bekommen. Es geht einfach nicht an, daß eine bestimmte Menge des Weins angeliefert wird, aber nachher am Markt die zehnfache Menge erscheint. Mit der amtlichen Prüfnummer, die wir schon haben, mit der ja auch amtlich etwas bescheinigt wird, können wir im Grunde genommen noch viel weniger amtlich bescheinigen, als wir es in Zukunft vielleicht können.Wir haben mit unserer Resolution vom 11. März versucht, besondere Gebiete, die spezielle Regeln erfordern, abzusichern, indem wir die Mindestmostgewichte gesenkt haben, und zwar sowohl beim Qualitätswein als auch beim Kabinettswein.Aber die im Gesetz niedergelegte ständig erhöhte Anreicherung — Herr Kolleg Schartz, Sie haben davon gesprochen — wird uns natürlich in Schwierigkeiten bringen. Sie können nun sagen: Wir müssen in Brüssel darauf drängen, daß das europäisches Recht wird. Die Frage ist, welchen Preis wir dafür zu zahlen bereit sind und wie wir diesen Preis finanzieren. Daß wir unter Umständen politisch in der Lage sind, in Brüssel etwas durchzusetzen, daran besteht kein Zweifel. Nur müssen wir dann beziffern, wie hoch der Preis ist. Darüber müssen wir uns unterhalten. Ich sehe bei den jetzigen Verfahren ein Kontrollverfahren auf uns zukommen. Das ist richtig.Wir haben, Herr Kollege Schartz, was für den Weinbau förderlich ist, die Restzuckerbegrenzung aufgehoben. Ich sehe hier einen unmittelbaren Zusammenhang mit der obligatorischen Geschmacksrichtungsangabe. Über die Wortwahl könnten wir uns sicherlich noch unterhalten. Aber die Freigabe der Restzuckerbegrenzung ist nur möglich im Zusammenhang mit der obligatorischen Angabe der Geschmacksrichtung.Wir haben auf Wunsch der Weinwirtschaft den Begriff des unschädlichen Gebrauchs der Süßreserve verankert. Wir haben den „Landwein", wenn auch unter Schwierigkeiten, eingeführt. Wie er in den bestimmten Anbaugebieten — Mosel, Saar, Ruwer — bei der schmalen Marge von 48 bis 50 Grad Öchsle erfolgreich sein kann, ist mir noch nicht ganz klar.Andere Dinge, die zur Diskussion standen — etwa zusätzliche Bezeichnungen wie „Hochgewächs" oder „Steillage" —, sind Dinge, die unter Umständen in Zukunft in Brüssel angesprochen werden müssen. Sie konnten mindestens in diesem Gesetz nicht berücksichtigt werden.Ich bin froh, daß die Frage des deutschen Sekts geregelt ist. Wir haben das für unabdingbar gehalten. Die gefundene Lösung ist sicherlich gut.Hinsichtlich der Auslandsweinkontrolle steht man natürlich etwas seltsam da, wenn man die amtliche Kontrolle hier ablehnt, sie aber an der Grenze fordert. Nur muß man einfach sehen, daß die Manipulation mit ausländischem Wein hier geschieht und nicht vor der Grenze,
so daß unsere Aufmerksamkeit dem Weg ab Grenze bis zum Vermarkter gewidmet sein muß. Da passiert unter Umständen die wundersame Vermehrung.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. 1974 schrieb die „Allgemeine deutsche Weinfachzeitung" — ich zitiere wörtlich —:... die Zeit des Redens, des Herabspielens, desVerniedlichens, des Tabuisierens, sei es, von
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Herberholzwelcher Seite auch immer, ist vorbei. Die seriösen Weinkellereien ... haben erkannt, worum es geht: um das Überleben der Anständigen.Acht Jahre hat es gedauert, bis uns das — hoffentlich — gelungen ist. Dr. Faas von der Weinwerbung Mosel-Saar-Ruwer sagt:Was könnte man besser als Werbung tun, als einen ehrlichen, guten, bekömmlichen Wein anzubieten, den wir ja haben.Dem ist im Grunde genommen nichts hinzuzufügen. Ich hoffe, daß das Gesetz dazu beiträgt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zwei kleine Vorbemerkungen. Es wäre, wenn es das Hohe Präsidium erlauben würde, sicherlich gut, wenn die wenigen, die hier ausgeharrt haben, auch die auf der Bundesratsbank, auf der Regierungsbank, und die paar Zuschauer, eine Runde Wein hier kredenzt bekämen.
— Nach Wahl. — Jedenfalls steht das Interesse der Öffentlichkeit an dieser Debatte im umgekehrten Verhältnis zu den Schlagzeilen, die der Weinbau in den letzten Jahren gemacht hat.
Zweite Vorbemerkung. Sie werden gemerkt haben, daß ich für die Freien Demokraten die erste Runde passieren lassen konnte. Wir Freien Demokraten reden mit einer Zunge.
Ich rede mit der Zunge des Weinkonsumenten, Herr Sielaff, und trotzdem als einer, der mit dem Weinbau auch schon etwas zu tun hat, weil er schon lange Vorsitzender des Ausschusses für Agrarpolitik und Weinwirtschaft in Rheinland-Pfalz ist.Meine Damen und Herren, was lange währt, wird endlich gut. Wenn dieser Spruch überhaupt noch etwas gilt, dann gilt er, kann man sagen, sicherlich für die Beratung und Verabschiedung dieses Weingesetzes. Für die Freien Demokraten im Deutschen Bundestag kann ich jedenfalls feststellen, daß wir uns von den Schlagzeilen und den Skandalen der Weinwirtschaft nicht haben beeindrucken lassen. In aller Ruhe und ohne Hektik wurden die von uns für notwendig befundenen Veränderungen und Verbesserungen in das Weingesetz gebracht. Ich kann hier und heute sogar behaupten, daß die Novellierung des Weingesetzes genauso verlaufen wäre, wenn es die spektakulären Ereignisse um Verfälschungen oder Germanisierung von ausländischen Weinen nicht gegeben hätte. Unsere Weinbaufachleute und -experten haben sich früh zu Wort gemeldet und ihre Auffassung in die Beratung eingebracht.Es war sicher auch gut — Herr Schartz hat es schon gesagt —, daß wir die im 8. Deutschen Bundestag liegengebliebene Novelle noch einmal von Anfang an und in aller Ruhe durchgearbeitet haben. In der Zwischenzeit sind sogar von den Verbänden bessere Lösungen gekommen.
Hätten wir schnell gemacht, was ja wortreich von uns verlangt worden war, dann müßten wir jetzt sicher schon bald wieder eine neue, eine fünfte Weingesetznovelle beraten. So aber konnten die Erkenntnisse alle eingearbeitet werden.Dabei, meine Damen und Herren, war für uns Freie Demokraten von vornherein klar, daß die Kontrolle, die wir in § 4 als Herbstkontrolle einführen, nicht teilbar sein kann. Wenn also eine Herbstkontrolle eingeführt werden soll, dann muß auch die Kontrolle der Importweine besser werden. Hier hat die Bundesregierung relativ schnell gehandelt und eine verbesserte Importkontrolle durch die Zollbehörden schon ab 1. April 1981 durchgesetzt. Namens der FDP-Fraktion danke ich auch dem damaligen Finanzminister Matthöfer, daß das so schnell über die Bühne gegangen ist.Für uns Liberale war eigentlich sonnenklar, daß die Kontrollmöglichkeiten bisher durchaus schon ausreichten; nur wurden sie nicht — das wissen wir alle, meine Damen und Herren — in dem notwendigen Maße auch tatsächlich ausgeschöpft. Dabei kann ich insbesondere das Land Rheinland-Pfalz, aus dem ich selbst komme und das das größte Anbaugebiet in Deutschland ist, nicht ausnehmen. Die Forderungen, im Gesetz eine totale amtliche Kontrolle zu verankern, ließen deshalb auch nicht auf sich warten; und in der Tat — wir Freien Demokraten wollen jetzt auch einmal wissen, wo der Bartelt den Most holt, im wahrsten Sinne des Wortes!
Mit der im Regierungsentwurf vorgesehenen amtlichen Kontrolle jedoch, die zu einer entsetzlichen Bürokratisierung geführt und ein ganzes Heer von Kontrolleuren erforderlich gemacht hätte, konnten wir uns nicht befreunden. Wir stimmen aber der Vorlage zu, in der es heißt, daß die Winzer selbst täglich ihre Mengen und Mostgewichte aufzuschreiben haben und daß ab 1985 amtlich kontrolliert werden kann. Wer also sein Lesegut kontrollieren lassen will, kann dies tun und kann das dann auch auf das Etikett schreiben.Wie das im einzelnen geschehen soll, darüber können wir noch drei Jahre lang reden. Insofern wird es wahrscheinlich nicht dazu kommen, wie vorhin hier gesagt wurde, daß man künftig nicht mehr über das Weingesetz sprechen wird; es werden noch weitere Erfahrungen gesammelt, die werden eingebracht, und ich habe eigentlich keinen Zweifel, daß die Pfiffigkeit der Winzer und der Verbände ausreichen wird, praktikable Lösungen zu entwickeln. Wichtig ist zunächst einmal, daß es die totale Herbstkontrolle nicht geben wird, Herr Sielaff, zumindest nicht
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Dr. Rumpfsofort. Wichtig ist auch, daß es einen leichten Zwang zum Handeln gibt: Die einzelnen Weinbauern sind gefordert, ihre Buchführung zu verbessern, Betriebsspiegel anzulegen; eventuell sind die Länder gefordert, Hektarhöchsterträge festzusetzen und auch ein Weinlagenkataster anzulegen, wie es in Frankreich schon besteht. In Frankreich ist es ja durchaus nicht so, daß der Wein schlechter kontrolliert wäre als bei uns.Es darf aber vielleicht auch einmal festgestellt werden, daß es bei den Beratungen des Weingesetzes in den Ausschüssen keine Parteien gegeben hat — das wurde schon angedeutet; es gab vielmehr ganz andere Fraktionen. Es gab die Mosel-Fraktion, die Franken-Fraktion, die Badische Fraktion. Aber solche Fraktionen gibt es j a sogar im Deutschen Weinbauverband — warum soll es sie dann nicht auch im Deutschen Bundestag geben?Weil ich nun selbst aus dem Wahlkreis Cochem komme, freue ich mich, feststellen zu können, daß dieses strukturell stark benachteiligte Gebiet im Gesetz eigens erwähnt wird — erstmals! —, und zwar hinsichtlich des Mindestalkoholgehalts, weiter hinsichtlich der Anreicherungsmöglichkeit und schließlich noch bei der Festsetzung der Prädikatsweine für Riesling und Elbling. Expressis verbis sind die Gebiete Mosel-Saar-Ruwer, Ahr und Mittelrhein genannt. Ich sehe darin einen ganz entscheidenden Schritt zur Wettbewerbsverbesserung dieser Gebiete gegenüber den anderen.Ich meine auch in Anspruch nehmen zu können, daß diese erstmalige besondere Erwähnung dieser Gebiete in einem deutschen Weingesetz auf die Initiative der Freien Demokraten und den gemeinsamen Antrag von SPD und FDP zurückgeführt werden kann, dem dann letztlich die CDU mehrheitlich ebenfalls zugestimmt hat. Gleichwohl verhehle ich nicht, daß es mir lieber gewesen wäre, wenn dieser Sachverhalt noch deutlicher geworden wäre, denn wenn in Zukunft weitere beitrittswillige Länder an die Tür der EG pochen werden — nämlich Spanien und Portugal —, werden wir unsere deutschen Weinbaugebiete konkurrenzfähig gemacht haben müssen. Die Strukturnachteile der nördlichen Gebiete sind auf diese Weise mit Sicherheit schon einmal ins Gespräch gebracht.Andere Maßnahmen müssen natürlich hinzukommen. Ich möchte das jetzt nicht alles im einzelnen aufführen. Ich denke jedoch, daß der größte Marktvorteil des Moselweins sicherlich sein geringer Alkoholgehalt ist. Vielleicht könnte man dafür etwas mehr Reklame machen, Herr Schartz; Sie als Präsident könnten sicherlich ebenfalls dafür sorgen.Von der Einführung des Landweines versprechen wir Freien Demokraten uns eine Qualitäts- und Imageverbesserung des Qualitätsweins bestimmter Anbaugebiete. Deshalb halten wir auch den Unterschied um 0,5 % gegenüber dem Tafelwein für richtig.Schließlich bringt das Gesetz wesentliche Verbesserungen für die Schaumwein- und Sektherstellung. Der deutsche Verbraucher weiß künftig, wenn er deutschen Sekt kauft, daß dieser aus deutschemWein besteht. Ich finde, das sind wir dem Bürger schuldig. Oder glaubt hier jemand, daß der Bürger bisher gewußt hat, daß die Bezeichnung „deutscher Sekt" auch bedeuten könnte, daß italienischer und französischer Wein darin ist? Das kann man nicht glauben.Wir sehen in dem Gesetz einen wesentlichen Fortschritt in Richtung Wahrheit im Wein: In vino veritas. Wir sehen darin auch einen Beitrag zur besseren Chancengleichheit auf dem Markt, die noch sehr wichtig werden wird. Und wir sehen darin eine Möglichkeit der Produzenten, bessere Ausgangspositionen zu haben, und schließlich nicht zuletzt einen verbesserten Verbraucherschutz.Wir Freien Demokraten brauchen hier keine Zusatzerklärungen mehr zu machen. Dem Gesetz stimmen wir uneingeschränkt zu. Herr Sielaff hat Plutarch zitiert; ich darf Ortega y Gasset zitieren, der sagte: „Wein war, bevor er ein Verwaltungsgetränk wurde, ein Gott." Es liegt an uns allen — vor allen Dingen auch an den Verbänden —, daß dieser Wein kein Verwaltungsgetränk wird, sondern ein göttliches Getränk bleibt.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Will-Feld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier steht ein Verbraucher von Wein, das möchte ich doch jetzt einmal sagen,
und zwar ein Liebhaber von Wein aus allen deutschen Gauen. Ich trinke gern und sehr oft Wein.Herr Kollege Sielaff, ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß es sich hier auch um ein Gesundheitsgesetz handelt. Aber als die Mediziner noch Bader waren — zu gut deutsch: Friseure —, haben sie damals schon einen leichten Mosel zur Heilung von Krankheiten verordnet.
Dies wollen wir einmal festhalten!Herr Kollege Sielaff, daß Winzer unserer Fraktion am heutigen Nachmittag aufgetreten sind und für das Weinrecht sprachen, ist kein Nachteil. Hier haben Sachkundige etwas gesagt, und wenn Sachkundige etwas sagen, dann ist das auch für den Verbraucher.
Ein Letztes. Wer gern Wein trinkt, braucht nicht mit einer Zunge zu reden; der redet oftmals mit schwerer Zunge, Herr Kollege Rumpf.
Ich muß mich etwas beeilen, da ich nur fünf Minuten Redezeit habe.Erste Bemerkung. Ich teile die Meinung derjenigen, die gesagt haben: Wir werden in der kommenden Zeit mehr zu freiwilligen Selbstkontrollen kommen. Dies würden wir sehr begrüßen; denn was frei-
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Frau Will-Feldwillig geschieht, geschieht aus vollem Herzen, und es geschieht auch viel intensiver, als wenn es amtlich verordnet ist.
Zweite Bemerkung. Bei der Beratung dieser Novelle zum Weingesetz hat es sich wieder einmal erwiesen, wie schwierig es ist, ein Naturprodukt wie den Wein in einen gesetzlichen Rahmen zu zwingen. Deshalb begrüße ich, daß wir nach intensiver und harter Beratung in den verschiedensten Ausschüssen zum Schluß zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen sind. Ob sich das Gesetz nunmehr draußen bewährt, werden wir erst nach einiger Zeit feststellen können. Dann sollten wir auch so offen sein zu sagen, man kann auch klüger werden. Wenn dann die Erfahrungen der Winzer vor Ort eingebracht werden, sind wir in der Lage, als Gesetzgeber wieder Änderungen einzuführen.Dritte Bemerkung. Wir sollten den Winzer vor Ort — dies gilt vor allem für das Weinbaugebiet, das ich die Ehre habe hier zu vertreten — einmal darauf hinweisen, daß das Weingesetz nicht Strukturpolitik ersetzen kann. Das Weingesetz kann Hilfe leisten. Aber es soll dabei nicht überfordert werden. Ich meine, wir haben einen guten Beitrag zur Strukturpolitik des Weinbaus geleistet, als wir die Regelungen über deutschen Sekt und deutschen Perlwein eingebracht haben.Meine Damen und Herren, was das Weingesetz aber gar nicht leisten kann, sind Werbung, Aufklärung und Marketing. Ich erinnere mich an die Beratungen sowohl im Landwirtschaftsausschuß als auch im Gesundheitsausschuß. Als es um den Landwein ging, diskutierte man über die Frage, ob es „moselländischer Landwein" oder „Mosellandwein" heißen sollte oder ob es „fränkischer" oder „mainfränkischer" oder „Landwein aus Franken" heißen sollte. Bei diesen Beratungen ist mir bewußt geworden, daß sich hier Werbeelemente in die gesetzlichen Regelungen einschleichen. Davor sollten wir uns aber doch hüten und auch in Zukunft darauf achten.
Vierte Bemerkung. Das nationale Weingesetz macht — Herr Kollege Schartz hat schon darauf hingewiesen — unser Weinrecht in Verbindung mit einer Fülle von EG-Verordnungen außerordentlich kompliziert. Ich stehe nicht an, auch einmal zu sagen, daß mir das große Sorge bereitet. Wenn der Weinkommentar jetzt schon 1065 Seiten umfaßt, was soll dann für unsere einfachen Winzer, die draußen mit Schippe und Hacke umgehen müssen, in Zukunft daraus werden? Hier hat sich der Gesetzgeber noch einige Gedanken zu machen.
Fünfte Bemerkung. Im Jahr 1979 betrug die Ernte in der EG 175,1 Millionen hl. Davon entfielen auf Frankreich 83,5, auf Italien 83,3, auf die Bundesrepublik Deutschland 8,2 Millionen hl. Unser Anteil beträgt knapp 5 % des gesamten Weinaufkommens in der EG. Dabei habe ich die weltweite Weinproduktion in die Betrachtung noch nicht einbezogen.Ich darf diese Zahl einmal in eine These fassen: Wenn in der Bundesrepublik nur deutscher Wein als deutscher Wein verkauft wird, mache ich mir in Zukunft überhaupt keine Sorge um unsere Absatzchancen. Gleichwohl — das ist hier schon verschiedentlich gesagt worden — sollten wir sehr sorgfältig beobachten, was an Wein aus Drittländern in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt wird; denn die Weinschwemme von dort wird allmählich durch Türen und Schlösser zu uns hereinkommen.Sechste Bemerkung. Hoffen wir, meine Damen und Herren, daß wir ein Weingesetz verabschieden, welches das Vertrauen zwischen Winzern, den deutschen Weinbaugebieten und den Verbrauchern stärkt.Nun lassen Sie mich mit einem Zitat aus einer Zeitung vom 23. Februar 1905 schließen. Kollege Herberholz hatte aus dem Jahr 1750 zitiert; so weit kann ich gar nicht zurückgehen. In der Zeitung heißt es zur Kontrolle — auch damals war das ein Problem —:Es muß dies endlich einmal an dieser Stelle gesagt werden, da in anderen Gegenden vielfach die Anschauung verbreitet ist, im Moselgebiet werde die Kontrolle nicht streng genug gehandhabt.Die Zeiten ändern sich, die Probleme ändern sich nie, meine Damen und Herren. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fischer .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herbstordnung, Kontrollzeichen, Restzuckerbegrenzung haben den Rechtsausschuß nur am Rande beschäftigt. Im Mittelpunkt unserer Beratungen stand der ausgefeilte Katalog von Strafnormen. Diesen Katalog haben wir einer sehr kritischen Prüfung unterzogen, einer kritischeren, als es die Väter des Entwurfs wohl erwartet haben. Gestatten Sie mir deshalb, einige Bemerkungen hierzu zu machen.Die Änderungs- und Ergänzungsvorschläge sind relativ zahlreich. Sie sind von dem Bemühen gekennzeichnet, das Gesetz lesbarer, verständlicher und durchsichtiger zu machen, das Gesetz inhaltlich zu verbessern und den Abbau der Kompetenzen des Parlaments gegenüber den Bürokratien der Europäischen Gemeinschaft zu verhindern.
Diese Bemühungen hatten zumindest teilweise Erfolg. Die im Entwurf vorgesehene Verdoppelung der Strafvorschriften gegenüber dem geltenden Recht konnte reduziert werden, namentlich durch die Herausnahme solcher Rechtsverordnungsermächtigungen aus dem Strafnormenkatalog, die auf die Regierungen der weinbautreibenden Länder abgestellt sind. Damit wird verhindert, daß partikulares Strafrecht entsteht. Es kann ja wohl nicht sein, daß Keltermethoden, die in Bingen am Rhein zulässig sind,
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Fischer
auf der anderen Rheinseite in Rüdesheim kriminelles Verhalten darstellen.Wir begrüßen es zum zweiten auch, daß in Anlehnung an das geltende Lebensmittelrecht derjenige, der durch sein Fehlverhalten die Gesundheit oder gar das Leben von Menschen gefährdet, mit höherer Strafe zu rechnen hat, denn es kann auch keinen Unterschied machen, ob solche Gefährdungen von verdorbener Milch oder von verdorbenem Wein ausgehen. Wir sind uns darüber im klaren, daß weitere Verbesserungen des Weingesetzes möglich, ja nötig sind.Es gilt insbesondere, die Philosophie des geltenden Weinrechts zu überdenken, wonach jedes Gebot und jedes Verbot — sei es vom nationalen oder vom europäischen Gesetzgeber ausgesprochen — straf- oder bußgeldbewehrt sein muß. Zu den Flüssigzukker- und Germanisierungsskandalen ist es doch nicht deshalb gekommen, weil es an Strafnormen gefehlt hätte. Nein, dazu ist es deshalb gekommen, weil die Rechtsanwender, die staatlichen Behörden, nicht für ausreichende Kontrolle gesorgt haben. Nicht der Gesetzgeber, nein, die die Gesetze ausführenden Verwaltungsbehörden der Länder haben versagt. Ich halte es für nicht ausgeschlossen, daß der Mainzer Untersuchungsausschuß dazu demnächst einige Antworten geben wird.Die erstrebenswerte weitere Reduzierung der Zahl der Strafvorschriften ist allerdings dadurch erschwert, daß die notwendigen rechtstatsächlichen Grundlagen fehlen. Das dem Ausschuß vorgelegte statistische Material war unergiebig. Kaum jemand aus der Praxis vermag zu sagen, ob und gegebenenfalls nach welcher der zahlreichen Strafnormen in der Vergangenheit jemals eine Verurteilung erfolgt ist. Nach meiner Erfahrung genügten bisher das geltende allgemeine Strafrecht, das Steuerstrafrecht und ganz wenige Weinstrafnormen, um den Sündern das Handwerk zu legen. Warum kann es eigentlich nicht dabei bleiben?Ein wichtiges Anliegen konnte nicht erledigt werden, nämlich Weinstraftätern die rechtswidrig erlangten Vermögensvorteile wieder wegzunehmen. Für mich ist es unerträglich, daß sich jemand eine halbe Million DM erpanscht, erwischt wird, von dieser halben Million DM aber 450 000 DM in der Tasche behält, weil er nur mit 50 000 DM bestraft wird. Hier muß für Abhilfe gesorgt werden, und zwar rasch. Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung die Absicht hat, im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität dieses Problem anzugehen.
Bei den Beratungen des Gesetzentwurfes hat sich schließlich ein verfassungspolitisches Problem gezeigt, das über den Bereich des Weinrechts hinausreicht. Ich meine die enge Verknüpfung des nationalen mit dem europäischen Recht und die damit verbundene Versuchung des europäischen Gesetzgebers, am nationalen Parlament vorbei durch Strafnormen in die Rechtssphäre des Bürgers einzugreifen. Dem ist der Rechtsausschuß mit Recht und mit Nachdruck entgegengetreten. Die zahlreichen dynamischen Verweisungen des Gesetzentwurfes auf europäische Rechtsvorschriften sind ebenso beseitigt wie die im Entwurf enthaltene Blankettermächtigung, die es dem Verordnungsgeber künftig gestattet hätte, festzulegen, welches europäische Gebot oder Verbot straf- oder bußgeldbewehrt wird.Wir begrüßen es besonders — damit komme ich zum Schluß —, daß gerade auch diese Beschlüsse einstimmig gefaßt worden sind. Alle drei Fraktionen des Deutschen Bundestages haben damit nachdrücklich unterstrichen, daß sie nicht gewillt sind, das ureigenste Recht des Parlamentes preiszugeben, nämlich Gesetzgeber zu sein. — Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Abgeordneten Sielaff als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle einvernehmlich für alle Fraktionen den Antrag, daß in Art. 1 unter Nr. 12 Buchstabe c) in § 11 Abs. 3 des Weingesetzes hinter Satz 1 folgender Satz 2, der auch im Regierungsentwurf steht, eingefügt wird:
In der Weinbauzone A darf bei Rebsorten mit spätreifenden Trauben für bestimmte Rebflächen der natürliche Mindestalkoholbedarf bis auf 6,5 Volumenprozent herabgesetzt werden.
Dieser Satz ist irrtümlicherweise aus dem Regierungsentwurf nicht übernommen worden. Er ist auf Seite 19 der Beschlußempfehlungen einzufügen. Dies wird einvernehmlich von allen Fraktionen vorgeschlagen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht will Herr Gallus auch noch etwas sagen. Mir bleibt zum Abschluß dieser bedeutsamen Debatte nur, mich bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages herzlich dafür zu bedanken, daß dieses Gesetz nun endlich die parlamentarischen Hürden genommen hat. Wenn man sich in die Materie eingearbeitet hat — dies mußte ich auf Grund meiner neuen Funktion ja tun —, erschreckt man gelegentlich über das, was in den deutschen Weinlanden so alles vorkommt. Der Abgeordnete Rumpf meinte, man sollte die Winzer zu mehr Selbsttätigkeit ermuntern. Ich glaube, die Winzer haben selbsttätig auch die Panscherei veranstaltet, gegen die wir uns mit diesem Gesetzentwurf nunmehr wehren wollen.Im übrigen haben wir — so habe ich die Debatte verstanden — etwas gegen die Bürokratisierung getan. Wir haben einen Beitrag zum Thema „Kostendämpfung im Gesundheitswesen" geliefert, denn die Krankenkassen werden sicherlich die Ermunterung
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Bundesminister Frau Fuchsaufnehmen, nunmehr sauberen Wein auch für die Gesundheitspolitik zu verwenden.
Herr Susset hat die Bundesregierung gelobt, aber wohl nicht alle CDU/CSU-Abgeordneten waren seiner Meinung. Meine politischen Freunde waren auch ein bißchen unsicher, welchen Weg sie nun gehen sollten. Die FDP in der Mitte wollte eigentlich gar keine staatlichen Maßnahmen. Nun haben wir zu einem Kompromiß gefunden. Das ist ein wegweisendes Verfahren, um demokratische Substanz zu beweisen.Wenn es so ist, daß die CDU- bzw. CSU-Winzer dazu beitragen, daß Sozialdemokraten sauberen Wein trinken dürfen, so ist dies, wie ich glaube, auch ein wichtiges Ergebnis dieser Debatte. Ich bin deswegen sehr dankbar, daß wir dieses Gesetz über die Bühne gebracht haben. Wir werden uns nunmehr weiter eines ungetrübten Weingenusses erfreuen dürfen. Ich glaube, wir sollten auch nach draußen kundtun, daß dieses Gesetz nunmehr verabschiedet werden konnte. — Herzlichen Dank.
Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag abstimmen, den der Berichterstatter eben vorgetragen hat. Er hat beantragt, auf Seite 19 der Beschlußempfehlungen in Art. 1 unter Ziffer 12 in § 11 Abs. 3 des Weingesetzes einen Satz einzufügen. Ich lasse über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Stimmt jemand dagegen? — Stimmenthaltungen? — Ich stelle fest, daß dieser Antrag einstimmig angenommen ist.
Wir kommen nun zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift in der soeben geänderten Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Stimmt jemand dagegen? — Stimmenthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Es ist nun noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1761 unter Ziffer II die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich danke sehr. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. Juni 1982, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.