Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe zuerst den Zusatzpunkt 2 der gestern beschlossenen Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
zu dem Ergebnis des Maastrichter EG-Gipfels.
Ich eröffne die Aussprache. Herr Abgeordneter Junghans hat sich zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil uns der Ausgang des Treffens der Regierungschefs der Staaten der Europäischen Gemeinschaft in Maastricht mit großer Sorge erfüllt; denn dort zeigte sich erneut und besonders drastisch, daß der Wille zum gemeinschaftlichen Handeln — and das heißt zwangsläufig: zum gegenseitigen Geben und Nehmen — erheblichen Schaden genommen hat. Mit Nehmen und Geben meine ich natürlich nicht nur buchhalterisch den Ausgleich bei den Beiträgen zur Finanzierung der EG, sondern ich meine, daß jeder Staat seinen Beitrag leisten muß, um diese Europäische Gemeinschaft zu erhalten und für ihren weiteren Ausbau zu sorgen. Kein Staat der Europäischen Gemeinschaft sollte dabei vergessen, daß ihm besondere wirtschaftliche und politische Vorteile aus der Europäischen Gemeinschaft gegeben sind. Ich habe den Eindruck, daß dies gelegentlich vergessen wird. Man denkt häufig nur an das Nehmen und vergißt die Gegenleistung, das Geben. Ich nenne Beispiele.Erstens. Die britische Regierung kassiert zwar erleichtert die im Sommer für die Jahre 1980 und 1981 beschlossene Kürzung des britischen Beitrages zur Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft in Höhe von sechs Milliarden DM — wir zahlen allein zwei Milliarden DM davon —, aber die Regierung zeigt keinerlei Bereitschaft, zu ihrem Wort zu stehen und den leidigen Fischereistreit zu beenden.
Man muß sich einmal vor Augen halten, was dies bedeutet. Ein Einlenken Großbritanniens in dieser Frage, nämlich ein paar französische Fischer vor den Orkney- und den Shetlandinseln fischen zu lassen, bedeutet nach dem „Economist" etwa — die Zeitung hat das ausgerechnet — 50 Arbeitsplätze, aber für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet die britische Sturheit den Verlust von etwa 2 000 Arbeitsplätzen allein im Fischereibereich und weiteren 1 000 Arbeitsplätzen in der Fischverarbeitung. Diese Arbeitsplatzverluste drohen uns, wenn Großbritannien weiterhin so stur bleibt.Ein zweites Beispiel. Einige Länder, die gewiß nicht ärmer als die Bundesrepublik sind und die vom Agrarmarkt erheblich profitieren, sind immer dabei, wenn es darum geht, sich energisch allen Versuchen zu einer Reform des Agrarmarktes zu widersetzen. Diese Länder gehen offenbar immer wieder davon aus, daß letztendlich die Bundesregierung nachgeben und dann zahlen werde.Das dritte Beispiel ist der europäische Stahlmarkt. Von 1975 bis 1980 haben die europäischen Konkurrenten der deutschen Stahlunternehmen rund 37 Milliarden DM an Subventionen aus Staatskassen erhalten. Inzwischen kommen weitere Stützungsprogramme hinzu. Bis 1983 sind heute schon weitere 25 Milliarden DM an Subventionen vorgesehen und zugesagt. Ich habe zwar großes Verständnis für die Sorgen unserer Partnerländer um die Erhaltung ihrer Stahlarbeitsplätze. Wir können auch von ihnen nicht verlangen, daß ganze Regionen wirtschaftlich zugrunde gehen. Trotzdem können wir auf keinen Fall akzeptieren, daß unsere Stahlunternehmen und unsere Stahlbelegschaften von der subventionierten Konkurrenz an die Wand gedrückt werden.
Es ist einfach nicht akzeptabel, daß unsere Unternehmen, die eine erhebliche Vorleistung durch Modernisierung, Umstrukturierung und auch durch einen Kapazitätsabbau erbracht haben — davon sind auch die Belegschaften betroffen —, gegen wettbewerbsunfähige Stahlunternehmen, die nur mit Subventionen künstlich am Leben erhalten werden, konkurrieren sollen.Meine Damen und Herren, Ziel einer europäischen Stahlmarktpolitik muß vielmehr sein, die europäischen Unternehmen durch Umstrukturierung, Modernisierung und auch Kapazitätsabbau dort wieder konkurrenzfähig zu machen, wo sie auf Dauer ohne Subvention im internationalen Konkur-
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Junghansrenzkampf bestehen können. Das heißt, die Beschlüsse des Ministerrates vom 27. März sind nach unserer Auffassung nur ein Anfang. Wir brauchen mehr: Wir brauchen einen klaren und absolut verbindlichen Zeitplan zum Abbau technisch veralteter Stahlkapazitäten in Europa.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was will die Bundesregierung weiterhin tun, um diesen egoistischen Attitüden entgegenzusteuern? — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kunz .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs ist eine schwere Enttäuschung gewesen. Eine zweite Enttäuschung ist es, daß die Bundesregierung meint, die großen Probleme der Europapolitik in dieser Zeit und in dieser Form, d. h. in 5-Minuten-Beiträgen, überhaupt abhandeln zu können.
Meine Damen und Herren, dies ist symptomatisch für diese Art von Europapolitk.
Herr Bundeskanzler, Sie haben sich bemüht, die Nicht-Ergebnisse von Maastricht zu rechtfertigen, indem Sie sagen, Sie hätten klare Worte gefunden. Jahrelang haben Sie die Dinge treiben lassen; Sie haben die Europapolitik halbherzig betrieben!
— Herr Wehner, ich hatte mehrfach die Freude, mich mit Ihnen politisch auseinandersetzen zu dürfen. Ich darf zwei Beispiele bringen, die das belegen, was ich sage.
Ich nenne die Fischereipolitik, ich nenne die Stahlpolitik, so kurz ich das tun kann. Ist es denn in der Stahlpolitik nicht so gewesen, daß seit 1975 eine montanvertragswidrige Subventionspolitik hingenommen worden ist? Herr Bundeskanzler, es hat keinen Sinn, über andere zu jammern, andere anzuklagen. Hat Sie denn wirklich jemand in Illusionen gewiegt? Ist es nicht so gewesen, daß die Bundesregierung und Sie persönlich jahrelang hingenommen haben, daß die Politik auf diese schiefe Ebene gleiten konnte?
Wessen Schuld ist es denn, daß Arbeitsplätze von Dortmund bis zur Saar gefährdet worden sind?
Herr Bundeskanzler, Herr Kollege Junghans und Herr Kollege Wehner, wessen Schuld ist es eigentlich, daß wir diese Kalamität in der deutschen Fischerei haben? Es ist bedrückend, daß die deutsche Hochseeflotte nicht auslaufen kann; es ist wirklich bedrückend. Das ist eine zusätzliche
Gefährdung von Arbeitsplätzen. Meine Damen und Herren, wie ist denn da verhandelt worden?
Geben und Nehmen hieß es doch, Herr Junghans. Wie ist denn verfahren worden, als wir kürzlich — aus Erwägungen, die wir teilen, die erklärbar sind — Geldleistungen an Großbritannien getätigt haben? Wie ist denn die Problematik der Fischerei damals abgesichert worden? Überhaupt nicht!
Ihr Prinzip war: Geld gegen Hoffnungen. Dieses Wort mag Ihnen nicht gefallen, aber genau das ist die verfehlte Verhandlungsmethode gewesen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir brauchen wirkliche Impulse in der Europapolitik. Die Bundesregierung muß endlich diese Halbherzigkeit abstellen, die wir nicht genug anprangern können. Es ist diese Halbherzigkeit gewesen, die uns dazu geführt hat, daß die europäischen Dinge so in Unordnung geraten und über Jahre dahingetrieben sind. Wie brauchen einen wirklichen europäischen Impuls.
Wir brauchen einen ganz starken Impuls von der Europäischen Gemeinschaft in die Europäische Union. Dieser starke Impuls verlangt, daß auch auf konkreten politischen Feldern Aktionen gestartet werden. Diese Aktionen, Herr Bundeskanzler, haben Sie vermissen lassen. Kehren Sie zurück zu einer Europapolitik, die Europa wieder zu dem macht, was es sein muß! Vor lauter Meinungsverschiedenheiten über eine Reihe von Sachgebieten dürfen wir nicht so weit kommen, daß die außenpolitische Aktionsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft weiter leidet. Um die Geltung Europas und um die Geltung der Bundesrepublik Deutschland in Europa geht es. Es ist bedauerlich, dies in meinen fünf Minuten Redezeit anreißen zu müssen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Trotz der berechtigten Kritik am EG-Gipfel in Maastricht will ich doch betonen, daß es einige wichtige außenpolitische Erklärungen gegeben hat, zu Nahost, zum Libanon, zu Afghanistan, zu Spanien und zu Polen.Aus der Sicht der FDP-Bundestagsfraktion ist die Erklärung zu Polen wohl das wichtigste Ergebnis, weil die nun rasch anlaufende Polen-Hilfe eine solidarische Aktion aller EG-Staaten ist. Ich möchte an dieser Stelle besonders Bundesaußenminister Genscher für seinen Einsatz in dieser Frage nach seinem Warschau-Besuch herzlich danken.Doch insgesamt können diese wenigen positiven Aspekte den schlechten Gesamteindruck des Gipfeltreffens nicht auslöschen. Sicher ist es richtig, wenn man sagt, der Europäische Rat sei von seiner Konzeption her nicht dazu angelegt, als Entscheidungsorgan zu fungieren, er sei nicht darauf angelegt, Teil-
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Jung
probleme zu lösen. Aber ein bißchen mehr als das, was nun als Ergebnis vorliegt, hätte man sich angesichts der vorhandenen Probleme doch schon wünschen dürfen.Das Fischereiproblem bleibt nach wie vor ungelöst; Haupthindernis dafür ist die Nichteinigung zwischen Frankreich und Großbritannien. Durch das britische Junktim, mit dem auf EG-Ebene bereits ausgehandelten Abkommen werden Fangmöglichkeiten der deutschen Fischer vor Kanada, den Färöer-Inseln und Schweden behindert.Die beschlossenen 30 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt als Sofortmaßnahme für die deutsche Hochseeflotte werden zwar den Fischern etwas helfen, aber irgendwie ist dieses Verfahren doch unbefriedigend. Durch Griffe in die nationale Kasse können Gemeinschaftsprobleme nicht gelöst werden.Maastricht hat eben nicht das deutliche Signal gesetzt, das angesichts der Situation in der Gemeinschaft notwendig gewesen wäre. In Maastricht ging es ja nicht nur um Fischereifragen, um Protektionismus und die Probleme im Stahlbereich. So wünschenswert und so notwendig eine Lösung angesichts des Versagens des Ministerrates auch gewesen wäre, in Maastricht ging es um die Zukunft der Gemeinschaft.Ich hätte mir gewünscht, daß deutlicher geworden wäre, daß die Europäische Gemeinschaft nicht die Summe von Einzelstaaten ist, nicht die Summe ihrer Probleme und auch nicht der Abladeplatz für ungelöste nationale Probleme. Die EG ist vielmehr eine Solidargemeinschaft, unverzichtbar für die einzelnen Mitgliedstaaten, insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland; unverzichtbar aber auch als ein zunehmend wichtiger werdendes Element in den internationalen Beziehungen.Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, verblassen die Fischereiprobleme. Bleiben aber die aktuellen Probleme weiter ungelöst — man fragt sich wirklich, warum sich die Staats- und Regierungschefs mit solchen Details befassen müssen —, so kann dies durchaus schädliche Auswirkungen haben, auch und gerade bei uns in der Bundesrepublik, die ja besonders positiv und traditionell freundlich zur Europäischen Gemeinschaft eingestellt ist.Kein Mensch versteht hier mehr, warum die Frage des Sitzes des Europäischen Parlamentes noch nicht entschieden ist. Die Millionen, die uns dieser Wanderzirkus kostet, würden besser zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ausgegeben.
Kein Mensch versteht, warum nicht endlich der europäische Paß geschaffen wird, der schließlich ein wichtiges Identifikationsmerkmal für die Bürger Europas wäre. Diese Aufzählung ließe sich beliebig erweitern.Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Europäische Gemeinschaft hat nur als Solidargemeinschaft Zukunft. Wenn die Tendenz weiter zunimmt, daß Vereinbarungen nicht eingehalten werden, und Mitgliedsländer auch nicht davor zurückschrecken, bindende Vertragsvorschriften zu umgehen, wird dies zu Lasten anderer gehen und die Gemeinschaft in ihren Grundlagen gefährden. Nationale Probleme dürfen nicht länger auf die Gemeinschaft verlagert werden. Alle Versuche, kurzfristige nationale Erfolge herauszuschlagen, untergraben die Gemeinschaft.Gerade die Bundesrepublik Deutschland hat in finanzieller Hinsicht viele Leistungen, auch viele Vorleistungen, erbracht. Das ist uns oft nicht leicht gefallen. Unsere Bürger erwarten zu Recht, daß alle Mitgliedstaaten zu Kompromissen im Geiste Europas bereit sind.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der Tat Probleme mit einigen wirtschaftspolitischen Erscheinungen, die sich in der Europäischen Gemeinschaft immer deutlicher herausstellen und die auch in Maastricht behandelt worden sind. Wir sind sehr unzufrieden mit der Subventionspraxis vieler Länder in vielen Bereichen ihrer Wirtschaft. Ich erwähne hier z. B. und an erster Stelle neue Subventionspläne unserer Nachbarländer für ihre Textilindustrien, durch die erneut Wettbewerbsverzerrungen eintreten werden, durch die erneut die Gefahr besteht, daß Arbeitslosigkeit zu uns exportiert wird.
Ich sichere Ihnen zu, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung, wie sie das schon in der Vergangenheit getan hat, mit aller Eindringlichkeit die Kommission dazu anhalten wird, ihrer Verpflichtung gerecht zu werden, solche Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Wen es wundern sollte, meine Damen und Herren, daß ich hier mit der Textilindustrie begonnen und nicht — den vielen Zeitungsüberschriften entsprechend — die Stahlindustrie an erster Stelle genannt habe, den möchte ich einmal darauf aufmerksam machen, daß in der deutschen Textilindustrie 550 000 Mitarbeiter, in der Stahlindustrie 200 000 beschäftigt sind; der Unterschied liegt nur darin, daß die einen durch große Unternehmen und eine sehr große Gewerkschaft vertreten sind, die anderen durch viele kleine Unternehmen und eine kleinere Gewerkschaft. Das sollte uns nicht daran hindern, sie dennoch so zu behandeln.
Meine Damen und Herren, daß die Stahlprobleme im Vordergrund des Interesses stehen, ist jedermann bekannt. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen, Herr Kunz: Von wegen „jahrelang hingenommen"; davon kann überhaupt keine Rede sein!
— Das ist ja nicht wahr! Wir haben uns jahrelangdarum bemüht, einen Subventionskodex verabschie-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffden zu lassen. Das hat in Europa anderthalb Jahre gedauert,
aber in nächtelangen Sitzungen haben wir das Ende 1978 dann endlich erreicht.Wir haben uns jahrelang darum bemüht, die Kommission anzuhalten, diese Subventionspraxis einzustellen, und wir sind jetzt endlich einen entscheidenden Schritt weitergekommen; denn wir alle, meine Damen und Herren, gehen davon aus, daß auf die Dauer die privat geführte deutsche Stahlindustrie nicht einen Wettbewerb mit den Finanzministern der anderen Länder der Europäischen Gemeinschaft aushalten kann. Das ist nicht zu finanzieren.
Aber der Stahlrat vorn 26. März hat Ergebnisse erzielt, die einen deutlichen Schritt in die richtige Richtung bedeuten und die uns weiterbringen werden. Schon in den nächsten Sitzungen werden wir weiter darüber sprechen. Es müssen wieder — so hat der Rat beschlossen — normale Marktbedingungen herrschen. Rentable Unternehmen sind nur solche, die ohne Subventionen arbeiten, und Subventionen dürfen — dies war ganz entscheidend — nur in Verbindung mit Umstrukturierung und Kapazitätsabbau befristet und degressiv vergeben werden.Es ist auf die Forderungen der deutschen Delegation hin die Zusage der Kommission gegeben worden, die Genehmigung zu öffentlichen Beihilfen nur dann zu geben, wenn Kapazitätsabbau und Beihilfe in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, Darlehen nur noch nach gleichen Grundsätzen zu vergeben und vor allem — das ist für uns das Wichtigste — diejenigen Unternehmen vor Wettbewerbsverzerrungen zu schützen, die keine Subventionen erhalten und die deshalb gegen die Auswirkungen subventionierter Preise durch die Kommission in Schutz genommen werden müssen.
Meine Damen und Herren, es bleiben natürlich noch Probleme offen. Es bleibt z. B. das Problem: Wie lange dürfen überhaupt noch — auch unter diesen einschränkenden Bedingungen — öffentliche Beihilfen gegeben werden? Hier hat uns insbesondere die französische Delegation zugesagt, die bisher anvisierte Frist bis zum 30. Juni 1983 dann substantiell zu verkürzen, wenn sich die europäischen Stahlindustrien auf freiwilliger Basis auf eine Vereinbarung verständigen, die Liefer- und Produktionsbeschränkungen bedeutet.Dies ist nun allerdings die Aufgabe der Unternehmen, und es ist die Aufgabe der Führungen der Verbände dieser Unternehmen, dafür zu sorgen, daß diese Vereinbarung zustande kommt und nicht wieder, wie das in der Vergangenheit der Fall war, in erster Linie oder mindestens sehr maßgeblich an deutschen Unternehmen scheitert, die nicht bereit sind, diese Vereinbarung mitzutragen. Ich würde den Verbandsführungen mit ihren lautstarken Erklärungen in diesem Falle raten, sich einmal um Ordnung im eigenen Laden zu bemühen, bevor der Schutt vor der Tür der Bundesregierung abgekippt wird.
Meine Damen und Herren, wir haben — Sie alle haben das gelesen — die kumulative Forderung der deutschen Stahlindustrie gehört: erstens eine Mengenregelung — die müssen sie selber beschließen —, zweitens eine Grenzausgleichsabgabe — zu der werden wir in der Tat die Kommission anhalten, wenn weiter vertragswidrig verfahren wird —
und drittens öffentliche Subventionen. Die, meine Damen und Herren, wird es allerdings aus der Staatskasse für die deutsche Stahlindustrie nicht geben können. Die Gründe dafür brauche ich Ihnen hier nicht im einzelnen aufzuzählen.Dieses etwas befremdliche Fernschreiben, das der Herr Bundeskanzler bekommen hat, wird noch Gegenstand eingehender Unterhaltungen sein. Von den zehn Unterzeichnern habe ich bisher erst drei sprechen können; diese drei haben sich davon distanziert.Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen — und zu denen werden wir die Kommission anhalten —, die die Kommission ergreifen muß und ergreifen kann. Sie kann auf preisunterbietende Unternehmen einwirken, die Preise sofort wieder an Orientierungspreisen auszurichten. Sie kann Beihilfeentscheidungen zurücknehmen, wenn sich die Unternehmen nicht an diese Preise halten. Sie kann gewährte Investitionskredite zurücknehmen. Sie kann Unternehmen mit Geldbußen belegen, und sie kann den betreffenden Staat verpflichten — und wir werden uns eine solche Verpflichtung notfalls von der Kornmission auferlegen lassen —, eine Ausgleichsabgabe auf Lieferungen solcher Unternehmen zu erheben bzw. Importlieferungen in die Bundesrepublik zu kontingentieren. Es gibt einen breiten Kranz von Möglichkeiten innerhalb des Vertrages, und wir erwarten, daß die Kommission diese Möglichkeiten nutzt.
— Es ist nicht unsere Sache, Herr Wörner, sondern Sache der Kommission, sie auszuschöpfen.
Wir wollen uns vertragsgerecht verhalten, und wir haben — übrigens gemeinsam mit der deutschen Stahlindustrie — diese Diskussion mit der Kommission seit Jahren geführt.Einige abschließende Sätze zu dem, was der Abgeordnete Kunz hier gesagt hat. Zu dem „jahrelang hingenommen" habe ich mich schon geäußert. Dann haben Sie von der Halbherzigkeit gesprochen, Herr Kollege, und gesagt, wir hätten Aktionen vermissen lassen. Meine Damen und Herren, in wessen Regierungszeit ist denn aus dem Europa der Sechs das Eu-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffropa der Neun und schließlich das Europa der Zehn geworden?
Wer hat denn eigentlich Fortschritte gemacht?
— Herr Kollege Kohl, so einfach ist das nicht.
Denn wir wissen, wer jahrelang Großbritannien und die nordischen Länder nicht in der Gemeinschaft haben wollte. Diese Kräfte saßen in Ihrer Fraktion.
Wir haben in den vergangenen Jahren unermüdlich daran gearbeitet, und die Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland hat unermüdlich Beiträge erbracht. Wenn Herr Kunz heute sagt, „Sie zahlen nur", dann erinnert mich das an die Vorleistungsdiskussion zu Zeiten des Bundeskanzlers Adenauer, dem auch immer entgegengehalten wurde, er leiste vor.
Jawohl, es ist vorgeleistet worden, und es wird weiter vorgeleistet werden von einem wirtschaftlich starken Land, aber unter dem Strich im Interesse und zum Nutzen der Bürger der Bundesrepublik Deutschland.
Setzen Sie sich einmal in die nächtelangen Sitzungen der Ministerräte, und machen Sie diese Verhandlungen mit, dann werden Sie die Beschwerden noch besser verstehen: über den Entscheidungsmechanismus, über die Bürokratie, über die Umständlichkeit, über die Schwierigkeiten, über den „Wanderzirkus", über den noch nicht vorhandenen Paß. Alle diese Beschwerden sind gerechtfertigt, und jeder politische Druck ist wünschenswert. Aber geschichtlich gesehen — denken Sie doch an die europäische Geschichte und an die Auseinandersetzungen, die wir früher mit unseren Nachbarn geführt haben! — sind dies friedliche Auseinandersetzungen, und das ist ein ganz wesentlicher Vorteil für Europa.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben wieder den Eindruck erweckt, als hätten Sie entscheidende Fortschritte bei der Lösung der Strukturfragen des europäischen Stahlmarkts erreicht. Ich wünschte, es wäre so. Aber in dieser Behauptung steckt mehr Selbstlob als sachlicher Gehalt.
Denn, Herr Minister, weder in Maastricht noch in Brüssel ist Ihnen der große Durchbruch gelungen, den wir eigentlich wünschten: keine Unterbindung der Beihilfen, die den Wettbewerb verfälschen; keinen festen Endtermin für das Auslaufen aller Beihilfen überhaupt. Das und nichts anderes ist die Wahrheit, Herr Minister.
Dieser Gipfel in Maastricht war für die deutschen Stahlarbeiter und die deutsche Stahlindustrie eine Pleite. Sie sollten die Lage nicht verschönen.
Tausende von Arbeitsplätzen sind unmittelbar bedroht. Sie sind bedroht, obwohl es produktive Arbeitsplätze sind. Das verstehen nun einmal die deutschen Stahlarbeiter nicht.
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Diese Krise in der Stahlindustrie belasten Sie zusätzlich mit einer völlig unnötigen Auseinandersetzung um die Zukunft der Montan-Mitbestimmung. Wir brauchen in dieser Zeit sozialen Frieden und nicht sozialen Unfrieden. Sie säen Wind; ich hoffe, uns bleibt der Sturm erspart.
Herr Minister, Sie haben es zugelassen, daß seit Jahren massiv gegen den Art. 4 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl verstoßen wird. Seit 1975 befindet sich die deutsche Stahlindustrie in einer Krise. Dies ist eigentlich ein Irrsinn, wenn man bedenkt, daß sie in der Produktivität an zweiter Stelle in der Welt liegt. Sie haben nicht verhindert, daß unsere Partner — Herr Junghans, wir stimmen hier völlig überein — in den Jahren zwischen 1975 und 1983 etwa 60 Milliarden DM Beihilfen in die Stahlindustrie hineinstecken. Das heißt doch, daß bei jeder Tonne verkauften Stahl 100 DM Subventionen enthalten sind. Das heißt auch, daß einige Partnerländer in der Lage sind, zu einem Preis zu verkaufen, der unter den Produktionskosten der deutschen Stahlindustrie liegt, und das, obwohl die deutsche Stahlindustrie die rentabelste in der Europäischen Gemeinschaft ist. Das ist die Wahrheit. So werden gute Arbeitsplätze durch Ihre Politik vernichtet und schlechte Arbeitsplätze auf Staatskosten aufrechterhalten.
Die deutsche Stahlindustrie — hier greife ich ein Wort des Vorstandsmitglieds der IG Metall Judith auf, das er gestern in einer Anhörung gesagt hat — steht im Wettbewerb gegen Staatskassen. Diesen Wettbewerb hält die Stahlindustrie nicht aus, und diesen Wettbewerb halten die deutschen Stahlarbeiter nicht aus.Herr Minister, Sie haben auch in Ihrem heutigen Beitrag wieder viel Richtiges gesagt. Natürlich wollen auch wir keine Subventionen. Aber Sie sagen das
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Vogt
Richtige, und das Richtige wird nicht getan. Das ist das Übel der Bundesregierung.
— Das ist sein Problem, j a.Die Bundesregierung hat zugestimmt, daß weiter subventioniert wird, nur sollen die Subventionen mit dem Abbau von Kapazitäten verbunden werden. Zusagen haben Sie nicht. Die Bundesregierung darf sich deshalb nicht wundern, daß sich so mancher an das Spiel erinnert, das schon einmal vorgeführt wurde. Damals verkündete Graf Lambsdorff stolz, man habe sich auf einen Subventionskodex geeinigt. Sie haben das auch vorhin wieder angesprochen. Nichts ist daraus geworden. Das waren Sprechblasen, aber Sprechblasen sichern keine Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren, das Schicksal dieses Landes und seiner Bürger ist untrennbar mit dem Schicksal der Europäischen Gemeinschaft verbunden. Sie aber treiben eine Europapolitik mit dem kleinen Finger der linken Hand. Daraus kann nichts werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, daß bei schwierigen wirtschaftlichen Entwicklungen, die ihre Ursachen im wesentlichen in den schweren Strukturveränderungen der Weltwirtschaft haben, der Union nichts anderes zur Sache einfällt, als Regierungen in Düsseldorf und in Bonn dafür verantwortlich zu machen.
— Ich sage: nicht mehr dazu einfällt, als nationale Regierungen dafür verantwortlich zu machen. Ich muß Ihnen sagen: Das ist reichlich wenig. Zur Sache, zu Maßnahmen zur Gesundung, zur Neuordnung hat bisher noch niemand von Ihnen ein Wort gesagt. Sie bleiben im ganz kleinlichen Parteienstreit in Düsseldorf und in Bonn verhaftet.
Ausgerechnet die Union muß nun davon reden, daß staatliche Einrichtungen, ob in Bonn oder in Düsseldorf, mithelfen sollten, schwierige Lagen in der Stahlindustrie zu überwinden. Ich erinnere mich gut an Ihren Aufschrei, als vor anderthalb Jahren Bonn und Düsseldorf ein Angebot an das bedrängte Unternehmen in Dortmund machten, zu einem Teil an der Neuordnung dieses Unternehmens mitzuwirken. Da war das übelster Staatssozialismus, da war das übelster Dirigismus, da war das eine Verplemperung von Steuermitteln. Heute hört man es anders. Sie achten offensichtlich sehr auf die Zeitungen.
Was immer man auch von den Ergebnissen und von der Praxis in Europa hält, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat wirklich Veranlassung, Bundeskanzler und Wirtschaftsminister Anerkennung zu zollen für den entschiedenen Einsatz, in Europa wieder eine Stahlwirtschaft zu erreichen, die die Namen Wirtschaft, Wettbewerb, Konkurrenz und Leistungsfähigkeit verdient.
Ich finde, es ist eine ganze Menge, daß sich der Rat und die Kommission zunächst einmal auf diese Prinzipien verständigt haben: Beihilfe nur dann, wenn schrittweise Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden, Gesamtproduktion verringern, Produktionskapazität nicht erhöhen, ausgleichen, Beihilfe nur an solche Unternehmen, die Umstrukturierungspläne vorsehen und realisieren. Dazu gehört, glaube ich, auch die Kenntnisnahme davon, daß die Kommission bestätigt, sie werde Sorge dafür tragen, gemäß den Bestimmungen der Verträge zu gewährleisten, daß die Betriebe durch Wettbewerbsverzerrungen nicht geschädigt werden. Das ist der Aufhänger für die Bundesregierung, das, was sie in Erwägung gezogen hat, eine Einfuhrabgabe notfalls auch durchzusetzen, wenn die Neuordnung und die Gesundung anders nicht erreichbar sind. Nur weiß die Bundesregierung so gut wie Sie und wie auch wir, daß dies ein Instrument ist, das, wenn es in die Hand genommen wird, uns in manchen anderen Zusammenhängen große Sorgen bereitet. Deshalb finde ich es gut, daß sie sich nicht leichtfertig und hoppla hopp seiner bedient.Natürlich gibt es auch Teile in den Entschließungen des Rates, die nach wie vor zur Sorge Anlaß geben, etwa die Formulierung, daß noch bis 1983 neue Beihilfeprogramme eingeführt werden können. Dies ist eine ausdeutbare Bestimmung. Wenn es auf die Bundesregierung angekommen wäre, wäre diese Formulierung nicht so gefallen. Nun kommt es wirklich darauf an, an der Stelle in den nächsten Sitzungen eine Präzisierung herbeizuführen.Ich glaube, es ist auch nötig, daß man bei einer solchen Gelegenheilt der Stahlindustrie in der Bundesrepublik Deutschland, die nun erklärt, es sei fünf vor zwölf, sagt, daß sie die Zeit bis fünf vor zwölf in den zurückliegenden Jahren deutlich besser hätte nutzen können, als sie es getan hat. Seit 1974/75 hat es eine Reihe von Bitten, eine Reihe von Aufforderungen, eine Reihe von Angeboten an die deutsche Stahlindustrie gegeben. Heute beklagt sie sich wieder einmal darüber, daß sie einen Hüttenvertrag habe, der so aussieht, wie er aussieht. Seit 1974 haben Politik und Bergbau die Stahlindustrie händeringend darum gebeten, sie möge Neuverhandlungen des Hüttenvertrages mit dem Ziel einleiten, dann auch besseren Zugang zum Weltmarkt zu haben. Weder in Eurofer I noch während der Quotenregelung hat sich die deutsche Stahlindustrie mit einigermaßen Erfolg darum bemüht, eine gemeinsame
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ReuschenbachKapazitäts- und Produktionsplanung in der Bundesrepublik mit dem Ziel herbeizuführen, auf diese Art und Weise eine Neuordnung wenigstens auf dem deutschen Markt zu schaffen. Bis zur Stunde gibt es ja doch — —Präsident Stücklen: Herr Abgeordneter Reuschenbach — —Reuschenbach : Ich komme gerne zum Schluß.Bis zur Stunde gibt es noch keine Vereinbarungen der deutschen Stahlindustrie — bei all den Egoismen, die da eine große Rolle spielen.
Herr Abgeordneter, die Zeit ist abgelaufen. Ich rufe den nächsten Redner auf.
Ja.
Wir müssen uns hier streng an die Zeit halten.
Ja. Vielen Dank.
Präsident Stücklen: Bitte sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation der deutschen Stahlindustrie ist zur Zeit gesamtwirtschaftlich unerträglich. Wir müssen befürchten, daß dies in den Stahlerzeugungsregionen unseres Landes, insbesondere im Ruhrgebiet, zu einer verstärkten Krisensituation führt. Deswegen muß eine Ausuferung der Folgewirkungen der insbesondere von einzelnen Mitgliedstaaten der EG geduldeten vertragswidrigen Subventionen — es ergeben sich unerträgliche Folgen für die gesamte deutsche eisenschaffende Industrie — mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verhindert werden. Die FDP-Fraktion fordert daher, die widersprüchliche Politik innerhalb der EG zu beenden. Weder die staatlich zugelassenen freiwilligen Preisabsprachen noch das staatlich verordnete System der Erzeugungsquoten haben eine Verbesserung der Situation gebracht. Sie haben vielmehr die Lage der Stahlindustrie weiter verschlechtert, die Arbeitsplätze noch mehr gefährdet und dem Subventionswettlauf weiteren Auftrieb gegeben.
Deswegen begrüßt die FDP-Fraktion das Auslaufen des Quotensystems zum 30. Juni dieses Jahres. Diese Regelung schreibt nämlich überholte Stahlstrukturen fest. Investitions- und Innovationsbereitschaft werden gelähmt. Die Folge ist, daß auch wirtschaftliche Produktionsanlagen insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
Als einen positiven Ansatz sehen wir die Entscheidung des Ministerrates vom 26. März über die Stahlpolitik der Europäischen Gemeinschaft an. Gespannt sehen wir aber der Erfüllung der Zusage der Kommission entgegen, die Stahlindustrien, die nicht subventioniert werden, gegen unbilligen Wettbewerb zu schützen. Mit Interesse werden wir auch verfolgen, was aus der Zusage wird, daß die Genehmigung von Subventionen zukünftig daran gebunden sein wird, daß gleichzeitig der Abbau unrentabler Kapazitäten in einem angemessenen Verhältnis zur Subvention steht. Das gleiche gilt für die Umstrukturierung und den Kapazitätsabbau. Wir danken dem Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich für seine Beharrlichkeit und sein Standvermögen in diesen Fragen auch auf europäischer Ebene.
Meine Damen und Herren, natürlich sind jetzt auch die deutschen Stahlunternehmen aufgerufen, ihre Interessen in Zusammenarbeit mit der Kornmission durch freiwillige Vereinbarungen zu schützen und einen weiteren Erlösverfall zu verhindern. Es täusche sich niemand darüber hinweg: Wer sich nicht in der Lage sieht, freiwillig Disziplin zu üben, kann keinen Ausgleich durch staatliche Subventionen verlangen. Das Ziel der Sanierung des europäischen Stahlmarktes muß die Stillegung unrentabler Kapazitäten sein. Hierbei werden wir in einer Übergangsphase auf soziale und regionale flankierende Maßnahmen nicht verzichten können.
Sollten die vorstehenden Forderungen innerhalb der EG und weltweit nicht durchsetzbar sein, so muß die deutsche Regierung den Mut haben, zum Schutze der rentablen deutschen Stahlhüttenwerke Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Geeignete Mittel sind dann aber nicht Subventionen. Es hat keinen Sinn, in einen Wettlauf einzutreten. Es hat auch keinen Sinn, andere Nationen darin zu übertrumpfen. Geeignete Instrumente sind die EG-Verträge, auf Grund derer auch im Montanbereich bereits mehrfach Schutzmaßnahmen getroffen worden sind. Die EG-Kommission trägt nämlich für alle — auch die deutschen — Stahlunternehmen Verantwortung. Sie ist daher aufgerufen, unverzüglich zum Schutze deutscher rentabler Unternehmen tätig zu werden.
Der Einsatz des Bundeswirtschaftsministers in Brüssel und auch hier im Lande für eine zufriedenstellende Regelung der schwierigen Situationen auf dem Stahlmarkt kann nur dann erfolgversprechend sein, wenn er von einer entschlossenen und zur Strukturanpassung weiter bereiten Haltung der deutschen Stahlunternehmen und der in ihr tätigen Arbeitnehmerschaft unterstützt wird. Die FDP- Fraktion hat als erste Fraktion im Deutschen Bundestag eine Anhörung mit den Spitzenverbänden der Stahlindustrie und der Arbeitnehmerschaft durchgeführt. Der sachliche und konstruktive Verlauf dieser Anhörung war für uns hilfreich und ist von meiner Fraktion dankbar vermerkt worden. Die Bereitschaft, auf diesem Sektor zur marktwirtschaftlichen Verhaltensweise zurückzukehren, ist für uns die Voraussetzung dafür, den Anpassungsprozeß der Stahlindustrie durch nationale und europäische Hilfen zu flankieren. Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einer Vorbemerkung beginnen. Ich habe vorgestern hier in Bonn den in Maastricht begonnenen Meinungsaustausch mit dem irischen Ministerpräsidenten Haughey fortsetzen können. Wir waren uns darüber einig — der Landwirtschaftsminister, Kollege Ertl, hat das heute nacht zu einem Teil schon mit vollziehen können —, daß die politische und wirtschaftliche Solidarität der Gemeinschaft für ein Land in der Lage Irlands, zumal in der wirtschaftlichen und sozialen Lage Irlands, von besonderer Wichtigkeit ist. Ich möchte vor dem Bundestag deshalb noch einmal betonen, daß nach unserer Auffassung Irland legitimerweise ein Empfänger von Nettoleistungen der Europäischen Gemeinschaft bleiben muß, auch in Zukunft.Ich war mir mit dem irischen Kollegen über die politische Bedeutung der Tatsache einig, daß nun endlich zwischen Irland und Großbritannien im letzten Dezember eine Absprache getroffen wurde, die sich auf die Probleme Nordirlands bezieht und die jetzt dafür sorgt, daß diese nicht länger bloß interne Probleme des Vereinigten Königreiches sind, sondern daß der Komplex als ein internationales Problem angesehen wird, ein bilaterales Problem zwischen den Regierungen in London und in Dublin. Angesichts der tiefen Irritation — und das ist ja ein sehr vorsichtiges Wort —, die auch uns alle in Deutschland über die dauernde Gewalttat in Nordirland ergriffen hat, halte ich den hier eingeleiteten politischen Prozeß für einen Fortschritt.Es sind allerdings auch andere Länder in der Gemeinschaft seit Jahr und Tag Nettoempfängerländer, die ihrerseits einen genauso oder fast genauso hohen Lebensstandard wie wir haben. Wir sind dagegen seit Jahren Nettozahler. Ich glaube nicht, daß das, was für Irland gilt, auch nur für eine längere Zeit von Jahren noch für eine Reihe anderer Länder gelten kann, die ich mit Namen heute nicht nennen werde.Herr Jung, in Sachen Reisepaß ist in Maastricht — obwohl wir eigentlich nicht zuständig dafür waren — eine grundsätzliche Einigung erfolgt. Wie nicht anders zu erwarten, haben die Engländer immer noch einige Schwierigkeiten; die müssen dort noch ausgeräumt werden.Was die Sitzfrage angeht, fühlt sich die Bundesregierung nicht angesprochen. Es ist ein Streit über 20 oder noch mehr Jahre zwischen Frankreich, Luxemburg und Belgien entstanden. Von denjenigen, die kritisieren, daß immer noch keine bessere Einigung erfolgt ist, möchte ich gerne wissen, was sie der deutschen Bundesregierung als zusätzliche Opfer auf den Tisch zu legen empfehlen, damit entweder Frankreich oder Belgien oder Luxemburg auf seine Ansprüche verzichtet.
Anders wäre das j a nicht möglich.Nun zu Maastricht! Abgesehen von Polen, wozu ich gestern einige Bemerkungen machen durfte — das war eines der Hauptthemen unseres Meinungsaustausches; Entscheidungen standen zu keinem Thema zur Debatte —, war der Meinungsaustausch über die ökonomische Lage der Hauptgegenstand der Beratung. Wir haben es in allen zehn Ländern — mit der Ausnahme Englands; da liegt die Sache anders, aber nicht besser — mit einer weitgreifenden internationalen Einkommensumverteilung zu Lasten der Industrieländer Europas und zugunsten der Ölländer zu tun, eine deutliche Verschiebung der terms of trade zu Lasten Europas. Infolgedessen leiden alle Mitgliedstaaten mehr oder minder — die meisten mehr — unter einer sehr starken Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivitäten. Das prägt sich in Arbeitslosigkeitsziffern aus, die in allen Ländern höher sind als bei uns. Es prägt sich übrigens auch in Preisanstiegsziffern aus, die ebenfalls in allen anderen Ländern der EG höher sind als bei uns, zum Teil mehr als dreimal so hoch.In dieser Lage waren alle zehn Regierungen, die im Europäischen Rat vertreten sind, sich darüber einig, daß es in der gegenwärtigen ökonomischen Lage auf eine Anpassung der Produktionsstrukturen, der Dienstleistungsstrukturen, der eigenen Kapazitäten, an die veränderten terms of trade auf den Weltmärkten ankommt und daß andererseits sogenannte Konjunkturprogramme zur Stimulierung der allgemeinen Nachfrage unwirksam bleiben müßten. Das war die übereinstimmende Auffassung von zehn Regierungen sehr verschiedener parteilicher Couleur in jeder einzelnen Demokratie zu Hause.Wir waren uns auch darüber einig, daß mit den Vereinigten Staaten von Amerika über eine konzertierte Geld- und Zinspolitik gesprochen werden muß. Alle zehn Staaten leiden unter den Hochzinserscheinungen, die sich ausgebreitet haben.Ein wichtiger Teil des Meinungsaustausches — nicht der Beschlußfassung — waren die hier heute morgen schon zum Teil angesprochenen Problembereiche Fischerei, Stahl, Agrarpolitik, nicht zuletzt die Haushaltsprobleme der Gemeinschaft. Ich habe in Maastricht einer Abordnung der deutschen Fischer, die dort demonstrierten, gesagt, wie sehr ich ihre Verbitterung teile. Wenn sich z. B. der Rat am 30. Mai vorigen Jahres in einer protokollierten gemeinsamen Entschließung verpflichtet, die Fischereifragen bis zum Ende des letzten Jahres zu lösen — und damals kam es nur auf die englische Zustimmung zu dieser Verpflichtung an —, dann kann ich nicht einsehen, daß, wenn das schon nicht geschehen ist — es betrifft das interne Fischereiregime innerhalb des EG-Meeres —, dann ein Land versucht, die Vorenthaltung seiner Unterschrift zu einem von der Europäischen Kommission ausgehandelten Drittlandsabkommen — zu zwei Drittlandsabkommen: mit den Färöern und mit Kanada — zum Hebel zu machen in der Hoffnung, wegen der deutschen Interessen, unsere Fischer in den kanadischen Gewässern fischen lassen zu können, uns Deutsche auf diese Weise sozusagen als Instrument in einer Auseinandersetzung zu benutzen, die zwischen zwei anderen Mitgliedstaaten geführt wird. Ich bin darüber tief enttäuscht. Ich will Ihnen nicht vorenthalten, daß ich in Maastricht gesagt habe, daß in der Euro-
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Bundeskanzler Schmidtpäischen Gemeinschaft bisher Gentleman's Agreements eingehalten worden sind.Wir haben unsererseits enorme finanzielle Lasten auf uns genommen — die Steuerzahler in Deutschland bezahlen dafür —,
um anderen Staaten — in diesem Falle nicht mehreren anderen, sondern einem einzigen anderen Staat, nämlich England — ihre Nettozahlerposition zu erleichtern. Wenn ich die Abgeordneten der CDU, die bisher gesprochen haben, so verstehen soll, Herr Dr. Kohl, wenn das ihre wirkliche innere Einstellung wäre, daß sie meinen, man müsse sich von England in Zukunft alles schriftlich in Vertragsform mit notariell beglaubigter Unterschrift geben lassen, dann kann ich nur hoffen, daß sie nie an meine Stelle in den Europäischen Rat kommen; dann ginge es nämlich zu Ende mit der Europäischen Gemeinschaft.
Die Gemeinschaft basiert auf Solidarität, auf Treu und Glauben und auf dem Vertrag. Was die Verträge angeht, so geben sie uns Möglichkeiten, in Sachen Stahl die Subventionspraxis anderer EG-Staaten, die unsere Unternehmen und unsere Arbeitsplätze ruiniert, anzufassen. Wir haben das angekündigt. Die Kommission hat sich inzwischen zu ihrer Verantwortlichkeit bekannt. Ich will aber auch hier sagen — und ich bitte eigentlich um ein bißchen Unterstützung auch von seiten der Opposition, Herr Dr. Kohl, und des ganzen Deutschen Bundestages —, daß wir Einfuhrabgaben gegenüber subventioniertem Stahl aus anderen Staaten oder aber Quoten für subventionierten Stahl aus anderen europäischen Staaten verlangen müssen.
Die damals noch unklaren Agrarbeschlüsse sind gestern nacht geklärt worden. Glücklicherweise und entsprechend unserer Forderung ist ein wichtiges Element der Beschlüsse von heute nacht der Einstieg in die Neuorientierung der EG-Agrarpolitik: Einsparmaßnahmen. Die Kommission hat — das war unsere Bedingung — erklärt und erklären können, daß auf der Einnahmenseite der Europäischen Gemeinschaft auch 1982 die Grenze von 1 % der Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer nicht überschritten werden muß.Ich will in diesem Zusammenhang sagen, daß ich in Maastricht angekündigt habe, daß die Bundesrepublik Deutschland bei den fälligen neuen Finanzverhandlungen — ich nehme an, sie werden in diesem Herbst beginnen — verlangen wird, daß unsere Nettozahlerposition in der Europäischen Gemeinschaft genauso begrenzt wird wie diejenige Englands. Frankreich hat sich meinem Schritt angeschlossen. Es kann nicht länger angehen, daß wir in höchstem Maße netto einzahlen, um dann bei Stahl oder Fischerei- oder anderen Angelegenheiten uns so unfair behandeln zu lassen. Ich halte es für vernünftig, wenn die Nettozahlerpositionen begrenzt werden. Es sind drei Staaten, die netto einzahlen:Deutschland, Frankreich, England; alle anderen Staaten sind Nettoempfänger.Ich will noch einmal sagen: ich halte es für absolut notwendig, daß ein Land wie Irland oder wie Italien empfängt; ich möchte dabei auch in Zukunft bleiben. Aber andere müssen nicht Nettoempfänger sein.Herr Präsident, ich werde sofort zum Schluß kommen. Ich möchte mich nur noch gegen den Unfug wenden, die Stahlsubvention in Italien, in England, in Belgien mit etwas ganz anderem in Verbindung zu bringen. Herr Dr. Kohl, das sind ja alles christlich-demokratische oder konservative Regierungen, die dort mit Subventionen die Marktwirtschaft verderben. Ich muß mich dagegen wenden, daß einer Ihrer Redner dies mit dem Problem der Montan-Mitbestimmung in Verbindung bringt. Sie müssen sich darüber klar sein: ein einziger Unternehmensvorstand eines einzigen Unternehmens in Deutschland, das mit seiner Röhrenproduktion ohne unsere Osthandelspolitik niemals soweit gekommen wäre, hat dieses ganze Problem ausgelöst.
Im übrigen, Herr Dr. Kohl — ich sehe, daß Sie nach mir sprechen wollen —, finde ich, Sie müssen sich entscheiden, ob Sie lieber hier im Bundestag übereinstimmen wollen — unausgesprochen, aber doch zwischen den Zeilen hämisch erkennbar — mit dem Egoismus anderer Mitgliedstaaten, ob Sie lieber uns vorwerfen wollen, unsererseits Verträge noch nicht gebrochen zu haben, Abreden noch nicht gebrochen zu haben, oder ob Sie Ihren Einfluß in anderen Staaten und gegenüber anderen christlichen und konservativen Parteien und Regierungen geltend machen wollen, damit der Geist der Zusammenarbeit in Europa nicht verdirbt.
Meine Damen und Herren, nach Ziffer 7 der Richtlinien für die Aktuelle Stunde tritt folgendes ein. Wenn ein Mitglied der Bundesregierung, in diesem Falle der Herr Bundeskanzler, mehr als zehn Minuten im Rahmen der Aktuellen Stunde spricht, tritt § 44 Abs. 3 in Kraft, d. h., auf Antrag einer Fraktion ist die allgemeine Aussprache eröffnet.
Wird dieser Antrag gestellt?
— Damit ist die allgemeine Aussprache eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordente Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf diese Art, Herr Bundeskanzler, kommen wir jetzt wenigstens doch noch zu einer gemäßen Aussprache. Es ist eigentlich typisch für Ihre Europapolitik, daß Sie sich von Ihrer Fraktion eine Aktuelle Stunde im Bundestag geben ließen, weil Sie nach dem mageren Ergebnis von
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1382 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Dr. KohlMaastricht nicht gewagt haben, eine ordentliche Regierungserklärung abzugeben.
Herr Bundeskanzler, wenn etwas symptomatisch für ihre Europapolitik sein sollte, dann ist es genau dies. Sie machen eine Europapolitik im wahrsten Sinne des Wortes mit der linken Hand, und deren Ergebnis ist das, was Sie hier in dürren elf Minuten vorzutragen hatten, was Sie vorzutragen hatten an Vorwürfen gegenüber anderen.Sie haben mich konkret gefragt, und ich will Ihre Frage konkret beantworten. Für mich und für meine Freunde in der CDU/CSU ist die Frage der politischen Einigung Europas, ist die Frage der europäischen Integration doch keine parteipolitische Frage. Wenn sich parteipolitische Freunde von uns in anderen europäischen Ländern aus Gründen nationalstaatlichen Egoismus gegen die europäische Zukunft versündigen, dann findet das nicht unsere Zustimmung.
Nur muß ich Ihnen hier einige Hinweise geben. Sie haben j a immer Probleme mit der Geschichte, und Sie haben sie hier auch wieder gehabt. Wenn Sie unsere niederländischen Freunde in einer Regierung, die vom niederländischen CDA, also von den Christlichen Demokraten, und den Liberalen gebildet wird — die sind j a bekanntlich überall dabei —, hier anprangern — —
— Ich verstehe, daß die Kollegen von der FDP hier klatschen, denn das ist angesichts mancher Entwicklungen auch ein verständlicher tiefenpsychologischer Vorgang.
Hans-Dietrich Genscher danken und klatschen, das ist der Rest, der von Ihrer Konzeption übriggeblieben ist.
Aber, Herr Bundeskanzler, warum sagen Sie jetzt: die Niederländer und diese Regierung? Warum sagen Sie nicht korrekt, daß Ihr politischer Freund, den Uyl, in dieser Sache weit weniger europäisch gesonnen war als beispielsweise Dries van Agt?
Dann reden Sie von anderen Regierungen. Ja, sitzen denn die belgischen Sozialisten nicht mit in der Regierung in Brüssel, und ist ein Großteil der Probleme, die die belgische Regierung hat, nicht gerade durch die sozialistische Politik entstanden? Und wenn Sie die italienische Regierung apostrophieren: In ihr sitzen doch ebenfalls Ihre politischen Freunde. Was soll das eigentlich, wenn wir uns in der Rostra des Bundestags gegenseitig die politische Beteiligung an Regierungen in anderen Ländern vorwerfen?Herr Bundeskanzler, Sie sprechen weder in der italienischen noch in der französischen Kammer;Sie sprechen im Deutschen Bundestag. Dem deutschen Volk sind Sie Rechenschaft schuldig.
Was die Ausfälle gegen Großbritannien sollen, verstehe ich auch nicht. Es ist doch in der Tat eine Frage, die auch hier zu stellen ist: Hat sich etwa der Vorgänger der jetzigen Premierministerin von Großbritannien, Frau Thatcher — der Ihnen persönlich besonders nahestand —, in der Frage der Stahlpolitik in Großbritannien anders verhalten? Das, was mit Recht beklagt worden ist — Sie finden dabei unsere volle Unterstützung —, läßt sich doch nicht so einfach damit abtun, daß man das parteipolitisch aufspaltet.Aber wenn Sie schon Großbritannien ansprechen und wenn Sie schon die Haltung von Frau Thatcher apostrophieren: Nun, Herr Bundeskanzler, ich denke mir so manches Mal, daß sich die Bedingungen für Verhandlungen mit Großbritannien vielleicht besser entwickeln könnten, wenn in London — oder in Brüssel oder in Den Haag — bei Ihren Ausflügen ins Elsaß oder anderswohin nicht gelegentlich der Eindruck entstünde, als stehe Ihr Sinn immer noch nach einem quasi deutschfranzösischen Direktorium oder wie immer Sie es nennen wollen. Herr Bundeskanzler, es gibt keinen Zweifel: Europa wird nur werden — ich trete nicht in den Streit aus der gaullistischen Zeit ein: Europa der Vaterländer oder wie auch immer —, wenn zwischen den Großen und den Kleinen gegenseitiger Respekt besteht, wenn das, was etwa föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in über 30 Jahren Herrschaft unseres Grundgesetzes glückhaft geworden ist, auch in Europa möglich sein wird, wenn auch die kleineren Länder darin ihren Platz finden.Es tut Europa nicht gut, wenn der Eindruck erweckt wird, als seien zwei der Großen die eigentliche Achse. Natürlich ist die deutsch-französische Freundschaft ein Kernstück der Zukunft Europas. Das müssen wir, die CDU/CSU, wahrlich nicht von Sozialdemokraten, auch nicht von Herrn Schmidt, lernen; das haben wir längst vor Ihrer Regierungszeit geübt.
Aber wenn sich im Konzert der europäischen Länder zwei der ganz Großen zusammenschließen und besonders innige Beziehungen demonstrieren, dann hat das Folgen. Das hat psychologische Folgen, und zwar weniger für die Franzosen, die in der internationalen Politik seit alters her ein glückhaftes Temperament und ein sehr gutes Ambiente haben, sondern für uns; denn wenn sich zwei zusammentun und das — ich sage: überwiegend ganz unberechtigte — Gerede umgeht, in der Gemeinschaft gebe es ein „Hegemonialstreben" — ich sage das mit Anführungszeichen —, dann tut das den Deutschen besonders weh, weil niemand es leicht erträgt, wenn die Deutschen dabei sind — Deutschland ist auf Grund der gegebenen Faktoren das stärkste Land in Europa —, und weil die Deutschen — das muß man sagen — die Last ihrer besonderen Geschichte mit sich herumschleppen.
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Dr. KohlDeswegen ist es klug — diese Klugheit vermisse ich bei Ihnen, Herr Bundeskanzler —, wenn wir gerade in diesen Dingen, die sehr subtil und mit viel Takt zu entwickeln sind, im Konzert der europäischen Länder eher bescheiden auftreten und nicht mit markigen Reden, wenn unsere Bundesregierung in einer Weise auftritt — ich sage es noch einmal —, daß man spürt, sie macht in Sachen Europa keine Pflichtübung, sondern sie will dieses Europa und die politische Einigung auch von Herzen. Ich sage es noch einmal: Es ist ein Skandal, wenn man es genau betrachtet, daß wir diese Fragen im Rahmen einer Aktuellen Stunde besprechen, weil Sie nicht den Mut haben, eine Regierungserklärung abzugeben.
Weil das hier untergegangen ist, möchte ich ein Wort dazu sagen, was der Europäische Rat eigentlich ist. Der Europäische Rat wurde 1974 gegründet, damit die Dinge in Europa auf höchster Ebene vorangetrieben werden. Es war jetzt die 19. Tagung, und wie viele Konferenzen zuvor ist auch diese Konferenz gescheitert.Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, auch dazu hätte ich gern ein Wort gehört. Die Bürger Europas haben jetzt nach Maastricht geschaut, in einem weltpolitischen Augenblick, in dem die Entwicklung von Afghanistan über den Nahen Osten nach Polen bis zur friedensgefährdenden Aufrüstung der Sowjetunion die Ansprüche an gemeinsame Zusammenarbeit in Europa dringlich machen. Die politische Einigung Europas kann nicht ad calendas graecas hinausgeschoben werden. Es ist doch wahr — das will ich einmal mit Blick auf die Arbeit der Kollegen in Brüssel und Straßburg sagen —, der einzige Faktor, bei dem gegenwärtig in Europa spürbar ist, daß die europäischen Dinge mit Leidenschaft vorangetrieben werden, ist das freigewählte Europäische Parlament.
Was wir hier erleben, sind die Spätfolgen einer Politik, die in der Ara Brandt begonnen hat und in der Ara Schmidt fortgesetzt wurde, indem Sie ein Hauptaugenmerk Ihrer Politik - ich meine lange Zeit fast ausschließlich — auf das Gebiet der sogenannten Ostpolitik gelegt und die Europapolitik vernachlässigt haben. Das Ergebnis ist eine bittere Enttäuschung.Zum Schluß komme ich noch einmal zu den zwei Problemkreisen. Herr Bundeskanzler, ich gehe davon aus, daß Gentlemen's Agreements gehalten werden. Aber wir haben — insofern apostrophieren Sie uns völlig zu Unrecht — im April 1980 sofort unsere Bereitschaft bekundet, die Mehrkosten von 2,6 Milliarden DM mitzutragen, die einfach notwendig waren, um die EG aus der Sackgasse zu führen. Wir haben bei diesem Gespräch damals gesagt, daß wir auch davon ausgehen, daß damit in der Fischereifrage ein Durchbruch möglich ist.Wenn ich mich an das Frühjahr 1980 richtig erinnere, hatten Sie weit weniger Probleme mit der CDU/CSU, um die Unterstützung und Hilfe zu bekommen, als mit Ihrer eigenen Partei.
Das ist überhaupt Ihr Problem; wir haben gestern darüber geredet.
Ich möchte einen Nachtrag zur gestrigen Debatte bringen. In der gestrigen Debatte haben Sie zum Thema Nachrüstung wieder alles beschworen. Dann sind wir nach Hause gegangen, und jetzt lesen wir, was Herr Koschnick gestern gesagt hat.
Das ist doch Ihr Problem, Herr Bundeskanzler. Sie haben durchaus richtige Gedanken, flankiert auch von Ministern, die auch richtige Gedanken haben; aber Sie setzen sie nicht mehr durch, weil Sie in Ihrer eigenen Partei gar keine Mehrheit mehr haben.
Gegenüber den über 20 000 Arbeitnehmern in der Fischereiindustrie können Sie mit dem, was Sie heute hier gesagt haben, nicht auskommen. In diesem Bereich ist es besonders bedrückend — wir haben oft Probleme mit Industriebereichen, die krank geworden sind —, daß die deutsche Fischereiindustrie eine ganz gesunde Industrie ist. Sie kann leben, sie hat vernünftig rationalisiert. Ihr fehlen lediglich die Fanggründe. Es ist eine Absurdität, daß wir einen gesunden Wirtschaftszweig aus Gründen politischer Unfähigkeit abtöten lassen.
— Herr Kollege Wehner, an Ihrer Stelle würde ich in einer Europadebatte schweigen; denn Sie sind mitverantwortlich dafür, daß Ihre eigene Partei die Idee Europas weitgehend auf Eis gelegt hat.
Zum Thema Stahlarbeiter und Stahlindustrie kann ich mich auf das beziehen, was mein Kollege Vogt soeben hier gesagt hat.Mit einem Wort, Herr Bundeskanzler, Sie werden uns immer an Ihrer Seite finden, wenn es darum geht, die politische Einigung Europas, die Integration voranzutreiben. Wir bedauern zutiefst, daß im Rat der Regierungschefs, daß im Rat der Staatschefs auch in Maastricht wieder deutlich geworden ist, daß manche in ihren Amtszimmern glauben, die Uhr sei angehalten worden. Es ist für Europa fünf Minuten vor zwölf. Wenn wir in unserer Generation den Durchbruch zur politischen Einigung Europas nicht schaffen, ist diese Chance dieses Kontinents dahin. Der Rückfall in die nationalstaatlichen Betrachtungen hat immer und zu allen Zeiten gerade den Deutschen schreckliches Elend gebracht. Wir wollen niemals zurück zu dieser Zeit und zu diesem Zeitalter der Betrachtung.Herr Bundeskanzler, ein letztes Wort: Gerade die innere Entwicklung in der DDR — wie die DDR ver-
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1384 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Dr. Kohlsucht, die Idee des Kommunismus und die Idee des deutschen Nationalstaates miteinander zu verbinden, wie sie ihre Pflege deutscher Geschichte so interpretiert — sollte uns, den Demokraten, den Bürgern im freien Teil unseres Vaterlandes, doch mit Nachdruck aufgeben, diesen Weg nach Europa gehen, unsere deutschen Probleme unter einem europäischen Dach unterzubringen und um Gottes willen nicht zurück in die Vergangenheit zu gehen. Aber es gibt ein Zurück in die Vergangenheit: wenn die Regierungen in Europa und auch diese Regierung, Herr Bundeskanzler, nicht mehr Mut, mehr Initiative und mehr Bereitschaft investieren, auf den anderen zuzugehen. Wenn Sie das tun, haben Sie unsere Unterstützung. Der Bericht, der heute hier vorgelegt wurde, ist ein Zeugnis einer kläglichen, eben Ihrer Politik.
Meine Damen und Herren, wir sind in der allgemeinen Aussprache. Hier gilt die Regel, daß jeder Redner eine Redezeit von 15 Minuten hat. Kein Redner braucht sie auszunutzen, aber er hat das Recht, bis zu 15 Minuten zu sprechen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlaga.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es darf an erster Stelle erst einmal darauf verwiesen werden, Herr Dr. Kohl, daß es eine interfraktionelle Vereinbarung gegeben hat, eine Aktuelle Stunde über das Gipfeltreffen in Maastricht abzuhalten. Das wissen Sie ganz genau, und Sie unterschlagen das hier.
— Nein, das ist richtig so.Ich darf darauf verweisen, daß wir j a letztlich, was die Europäische Gemeinschaft anbetrifft, keine, noch keine politische Einheit haben. Dafür gibt es viele Gründe, die auch hier im Hause bekannt sind. Sicher sind es nicht die gerade von Herrn Kunz aufgezählten simplen Gründe, denn wenn wir denen und damit seiner Vorstellung folgen würden, dann müßten wir uns entweder in den nationalen Rahmen zurückziehen oder wir müßten mit gleicher Münze zahlen. Genau das wollen wir nicht. Das wissen Sie auch ganz genau.Angesichts der Klagen über exzessive Subventionen anderer Länder, die Sie hier vorgetragen haben, darf man doch einmal darauf hinweisen, daß es sich bei diesen Ländern vorwiegend um die konservativen Schwestern und Brüder der Union handelt, nämlich um Großbritannien und um Italien. Nehmen Sie das doch bitte einmal zur Kenntnis.
Graf Lambsdorff hat bereits darauf hingewiesen, daß es letztlich auch unserer Aktivität im Rahmen der EG zuzuschreiben ist, daß aus den Sechs Neun geworden sind und aus den Neun schließlich Zehn, also daß Griechenland hinzugetreten ist, und daß die Verhandlungen über den Beitritt Portugals und Spaniens laufen, die 1984 Mitglied werden sollen. Ich hoffe, daß dieser Termin eingehalten werden kann.Es ist mir klar, daß das sicher neue zusätzliche Probleme hervorruft, vielleicht auch zusätzliche Belastungen. Aber wir wollen uns an das erinnern, was wir hier oft versprochen haben, nämlich daß die Gemeinschaft nicht eine Gemeinschaft der reichen europäischen Länder sein darf.In der gemeinsamen Außenpolitik der Gemeinschaft sind zweifellos Fortschritte zu verzeichnen. Es muß jedoch darauf verwiesen werden, daß das Funktionieren dieser gemeinsamen Außenpolitik allerdings weitgehend von dem Zusammenhalt der Wirtschaftsgemeinschaft abhängig ist. Das heißt, die innergemeinschaftlichen Probleme und Differenzen, über die hier hinreichend gesprochen worden ist, müssen möglichst schnell gelöst werden. Dabei müssen auch unterschiedliche Interessen der Mitgliedstaaten weitgehend Berücksichtigung finden. Das ist sicher ein schweres, das ist ein kompliziertes Werk; darüber macht sich niemand Illusionen.Weil es aber diese Schwierigkeiten gibt, die am allerwenigsten durch die Bundesrepublik Deutschland verursacht worden sind, erklären Sie von der Union und erklärt Herr Kohl in einer Veröffentlichung der Fraktion, die Europapolitik der Bundesregierung für gescheitert. Ich halte das schon für ein starkes Stück. Es geht doch wohl nicht — vielleicht kann man das einmal zur Kenntnis nehmen — um lokale Unpäßlichkeiten, es sind doch weltweite Erschütterungen, an denen auch die Länder der Gemeinschaft nicht vorbeikommen. Sie aber suchen wiederum die Konfrontation um jeden Preis, auch um den Preis außenpolitischer Scherben.Trotz allem gibt es eine erfolgreiche gemeinsame Außenpolitik, und es gibt Gemeinsamkeiten von hohem Rang; zum Beispiel was die Beschlüsse im Rat in Maastricht betrifft — davon ist ebenfalls schon einiges angedeutet worden —: die erneute Verurteilung der Sowjetunion wegen ihres Überfalls auf Afghanistan; die Aufforderung an die Sowjetunion, Afghanistan sofort zu verlassen; dann die Erklärung des Rates zu Polen mit der Warnung an die Sowjetunion vor einem militärischen Eingreifen dort; den Beschluß des Rates, die wirtschaftliche Unterstützung Polens fortzusetzen; die Aufforderung an die Mitgliedsländer zu weiteren Lebensmittellieferungen. Da geht es aber auch z. B. um die politische Unterstützung des von reaktionären Putschisten gebeutelt gewesenen Spanien, oder es geht um die ständige Einbeziehung der Nordsüdproblematik in die politischen Überlegungen und Handlungen der Gemeinschaft. Schließlich und nicht zuletzt wird ständig eine Abstimmung des Verhältnisses zu den USA vorgenommen, dieses Mal wieder mit der Aufforderung, die Abrüstungsgespräche unverzüglich in Angriff zu nehmen. Man sollte ganz und gar nicht die Leistungen übersehen, die durch die Gemeinschaft in dem Gesamtkomplex der Entspannung zustandegekommen sind. Das ist, so meine ich, eine interessante und gute Bilanz, wenn auch nur eine sicher bescheidene Auswahl. Ein großer Anteil an dieser Bilanz gebührt den Initiativen der Bundesregierung. Ich möchte an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion dem Bundeskanzler besonders für seine
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SchlagaInitiativen und Leistungen in dieser Europapolitik danken.
Trotzdem — das wissen wir natürlich — bleibt sehr viel zu tun und sind sehr viele Schwierigkeiten auszuräumen. Wenn man zum Beispiel die internen Differenzen ausräumen will, wenn Europa eine politische Union werden soll — das will es ja — und wenn die gemeinsame Außenpolitik weiterhin funktionieren soll, dann muß dem europäischen, dem Gemeinsamkeitsbewußtsein erheblich auf die Sprünge geholfen werden.Die Wochenzeitung „Die Zeit" schreibt über Maastricht unter anderem: „Noch kann die Gemeinschaft kraftvoll für die Entspannung eintreten. Aber ihr außenpolitisches Gewicht wird schwinden, wenn ihr inneres Gefüge an Egoismus und Eigensinn zerbricht." Dem habe ich nichts hinzuzufügen. — Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben sich geeinigt, abweichend von der Regelaussprache sich weiterhin auf fünf Minuten Redezeit zu beschränken. Ich bitte also die nachfolgenden Redner, dies zu beachten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete MatthäusMaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute morgen war schon viel von Subventionen die Rede. Das erinnert mich natürlich daran, daß wir gestern im Finanzausschuß ein umfangreiches Hearing zum Gesetz über den Abbau von Subventionen abgehalten haben. Besonders bemerkenswert fand ich die Stellungnahme des Deutschen Industrie- und Handelstages, der gesagt hat — das muß man festhalten, denn dies war nicht immer die Meinung der Industrie —, daß Subventionen kein gutes Mittel seien, da sie in vielen Fällen die notwendige Strukturanpassung verhindert hätten und noch verhinderten, so daß sich von daher die Meinung durchgesetzt habe: Möglichst wenig Subventionen!Meine Damen und Herren, dies ist ein wichtiger Punkt auch für die Diskussion heute morgen. Dies ist seit langem die Meinung der Liberalen.Nebenbei, Herr Kohl, darf ich daran erinnern, weil Sie auch unser in Ihrer Rede gedacht haben: Die Hauptsubventionsländer beim Stahl, nämlich England, Italien, Belgien, sind nicht durch Liberale, auch nicht durch Koalitionsregierungen regiert. Das müssen schon die Sozialdemokraten bzw. die Sozialisten und Christdemokraten unter sich ausmachen.
Wir sind der Meinung, in der jetzigen Situation wären Subventionen für die Stahlindustrie das schlechteste Mittel, um die zweifellos vorhandenen Schwierigkeiten abzubauen. Wir empfinden zum jetzigen Zeitpunkt den Vorstoß der deutschen Stahlindustrie in einer Situation, in der der Wirtschaftsminister in Europa gerade die ersten Erfolge — natürlich keine endgültig durchschlagenden, aber die ersten Erfolge — auf diesem Gebiet durchgesetzt hat, als ausgesprochenes Störmanöver. Wir weisen diese Auforderungen zurück; wir werden ihnen nicht folgen.Wir meinen, daß die Anwendung der EG-Verträge zu einem besseren und schnelleren Abbau der Subventionspraxis in den anderen Ländern führen wird als der Aufbau neuer Subventionen auf unserer Seite. Wir sind eben der Ansicht, meine Damen und Herren, Marktwirtschaft ist nicht nur eine Schönwetterveranstaltung, sondern ihre Prinzipien kommen gerade dann zum Tragen, wenn Schwierigkeiten da sind.Wir bitten Sie um Ihre Unterstützung und erinnern auch die Industrie — ich erinnere an die Aussagen des DIHT gestern im Finanzausschuß — an ihre eigenen Äußerungen und an ihre eigene Glaubwürdigkeit, die dann verlorengeht, wenn sie zum erstbesten Zeitpunkt, wenn das Thema wieder auf der Tagesordnung steht, erneut nach Subventionen ruft.Ich teile im übrigen, gerade als Finanzpolitiker — und meinen Kollegen wird es genauso gehen —, die Enttäuschung und Verbitterung des Bundeskanzlers über das Ergebnis von Maastricht in Sachen Fischereipolitik, die er j a letzte Woche im Fernsehen ziemlich ungeschminkt zum Ausdruck gebracht hat.Meine Damen und Herren, viele haben es vergessen, aber der Ausgangspunkt für die gestern in Kraft getretene Erhöhung der Mineralölsteuer und der Branntweinsteuer war — jedenfalls zu einem großen Teil — die Entscheidung in Europa vom vergangenen Jahr. Es ist damals sowohl dem Finanzminister, der Regierung wie auch den Koalitionsfraktionen schwergefallen, vor dem Wahlkampf — meine Damen und Herren, ich erinnere daran: vor einem wichtigen Wahlkampf — dem deutschen Wähler öffentlich zu sagen: Wir werden nach der Wahl die Mineralölsteuer erhöhen; wir werden die Branntweinsteuer erhöhen.
Das ist j a nicht nachher wie Ziethen aus dem Busch passiert, sondern vorher angekündigt worden — nicht ganz so, wie wir es nachher durchgeführt haben.
— Nicht ganz — ich sagte das gerade — in der Quantität, wie wir sie dann durchgesetzt haben.
Aber wir haben vorher gesagt, daß wir aus europäischen Gründen an dieser Finanzierung festhalten.Wenn Sie dann diese große Kampagne vor den Tankstellen und vor den Supermärkten gestern veranstaltet haben, dann bitte ich Sie, Herr Kohl, nicht zu vergessen, daß ein wichtiger Gesichtspunkt eben unsere europäischen Zugeständnisse vom letzten
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1386 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Frau Matthäus-MaierJahr waren. Ich finde es einfach nicht gut, daß Sie hier zu antieuropäischen Ressentiments mit beitragen, ob gewollt oder ungewollt.
Ich meine, Sie haben hier als Opposition nur zwei Möglichkeiten, da diese Finanzfrage noch öfter auf uns zukommen wird: Entweder Sie geben uns über den Finanzausgleich, sprich: Mehrwertsteuer was sonst damit zusammenhängt, die notwendigen Gelder, die wir brauchen, um auf europäischer Ebene handlungsfähig zu bleiben,
oder aber wir müssen uns diese Gelder holen. Ich halte es für wichtig, daß dies klargemacht wird: Wir brauchen dazu auch Geld.Ich bitte Sie, auch bei den Ihnen befreundeten Regierungen im europäischen Ausland darauf hinzuwirken, daß das, was sich in Maastricht angedeutet hat — selbstverständlich noch nicht in einem Sinne, wie wir es alle wünschen —, für die Durchsetzung in den anderen Ländern Mehrheiten findet. Herr Kohl, ich halte nichts davon, diese Regierung deswegen anzugreifen, weil sie nicht alles durchgesetzt hat. Der Anfang müßte von Ihnen begrüßt und unterstützt werden. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Stauffenberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst einige Anmerkungen zu dem Verlauf der bisherigen Debatte. Ich glaube, sie wirft ein kennzeichnendes Licht auf den derzeitigen Zustand Europas.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer würde, wenn man die Beiträge der Regierung und die Beiträge der Koalition noch einmal Revue passieren ließe, erkennen, daß es sich hier um ein Europa handelt, das einmal begonnen und begründet worden ist, um die Sicherheit der Freiheit der Völker Europas zu gewährleisten und ihren Wohlstand zu heben? Davon war kaum etwas oder gar nichts zu spüren.
Der Beitrag von Graf Lambsdorff war, wie ich meine, bemerkenswert. Sie haben gesagt, Graf Lambsdorff, gewandt an die Opposition: „Setzen Sie sich doch mal in die Verhandlungen hinein." Graf Lambsdorff, ich habe die Frage: Ist das ein Angebot an die Opposition, Ihre Stellung zu übernehmen? Heißt das, daß Sie aus Ihrer Ratlosigkeit nun einen Regierungswechsel wünschen, um bessere Verhandlungsergebnisse im europäischen Geist zu ermöglichen?
Zu dem Vorwurf, daß in den letzten zehn Jahren in der Europapolitik nichts geschehen ist, haben Sie gesagt, die Gemeinschaft sei doch erweitert worden. Sicherlich; aber wir waren uns doch alle darüber im klaren, daß europäische Quantität nicht europäische Qualität ersetzt.
Es bleibt leider so: Wir haben heute die Auswirkungen der Tatsache, daß die vergangenen zehn Jahre davon geprägt waren, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien die europäische Komponente, die Einigung Europas in der sachlichen Priorität hinter die Ostpolitik und die ostpolitischen Illusionen gestellt haben und versucht haben, sie den ostpolitischen Illusionen dienstbar zu machen. Das ist das Problem, vor dem wir heute stehen. Deswegen geht es, auch was den deutschen Beitrag anlangt, in Europa eben nicht weiter.
Herr Jung hat auf die vielen Papiere und Erklärungen hingewiesen, die in den vergangenen Jahren nach dem europäischen Gipfel, auch jetzt wieder in Maastricht, herausgegeben wurden: zum Nahen Osten — Gipfel von Venedig —, zum Libanon, zu Polen und anderem. Aber alle Welt stellt sich die Frage: Wieviel sachliches Gewicht, wieviel echte politische Stärke versteckt sich denn hinter der Fülle der Worte?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das Abschlußkommuniqué von Maastricht liest, der sieht doch — und daran wird der ganze Jammer des europäischen Einigungsprozesses zur Zeit deutlich —, daß nichts an wirklichem Gewicht dahintersteht. Herr Bundeskanzler, Ihre Stromrechnung, die Sie einmal zitierten, ist, verglichen mit dem Text des Maastrichter Abschlußkommuniqués, geradezu eine süffige Unterhaltungslektüre. Dieser Text gibt doch nichts her. Das ist die Sprache von jemandem, der etwas mitteilen muß, aber nichts mitzuteilen hat und der Skrupel hat, es merken zu lassen. Das ist das Abschlußkommuniqué von Maastricht.
Schließlich ist überhaupt nicht über eine Initiative gesprochen worden — ich weiß nicht, ob es eine Einzelinitiative oder mit der Bundesregierung abgesprochen war —, die der Herr Bundesaußenminister in Stuttgart am Anfang dieses Jahres gestartet hat. Ich hatte gehofft, daß die Bundesregierung hier jetzt ein Konzept vorlegt, welche Initiative sie für weitere Einigungsschritte ergreifen will, etwa zur Einbeziehung der äußeren Sicherheit des freien Europa in den Bereich der Europäischen Gemeinschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat j a nicht nur die Initiative gegeben, sondern es hat dankenswerterweise auch eine entsprechende literarische Aufbereitung durch einen Herrn aus dem Auswärtigen Amt gegeben. Aber wo bleibt denn die Auswirkung, wo bleibt die Realisierung, wo bleibt die Verwirklichung dessen, was hier angekündigt worden ist, oder sind das alles wieder nur leere Worte? Wir wollen Taten in Europa sehen, wir wollen eine Einigung zur Sicherung der Freiheit der europäischen Völker haben. — Ich danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walther.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1387
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein wenig schwer, nach der Rede des Herrn Kollegen Graf Stauffenberg auf einen Teil der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zurückzukommen, der sich — ich sage es einmal so vereinfacht — mit dem Geld befaßt. Ich möchte für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ausdrücklich die von Ihnen, Herr Bundeskanzler, hier dargelegte Position unterstützen, die da heißt: Die Nettozahlungen der Bundesrepublik Deutschland können nicht in dem Umfang weiter steigen wie bisher.
Ich will Ihnen dazu einige Zahlen nennen. 1974 haben wir netto etwa 1,7 Milliarden DM zugezahlt, 1979 waren es 3,7 Milliarden DM und 1981 werden es 5 Milliarden sein.
Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, und die Bundesregierung ermuntern, auf dieser Position, die Sie heute morgen dargelegt haben, zu beharren. Es kann nämlich nicht sein, daß derjenige, der große Überschüsse im argrarischen Bereich produziert, dafür auch noch dadurch belohnt wird, daß er die größten Rückzahlungen bekommt. Das heißt — wenn ich mir die Anregung erlauben darf —, wir müssen zu einem Finanzierungssystem kommen, bei dem derjenige, der Überschüsse produziert und dadurch hohe Kosten verursacht, auch aus seinen eigenen nationalen Haushalten an der Finanzierung dieser Überschüsse beteiligt wird.
Dies könnte, wie ich glaube, auch dazu führen, daß die Diskussion um die eigenen Einnahmen, was den Anteil an der Mehrwertsteuer — dieses eine Prozent — betrifft, vielleicht noch ein wenig ernsthafter als bisher geführt wird.
Der Herr Bundeskanzler hat zwar gesagt — ich hoffe, seine Informationen sind richtig — daß die Argrarpreisbeschlüsse von heute nacht noch nicht dazu führen werden, daß wir 1982 an die 1 %-Grenze kommen werden. Ich habe da aber meine Zweifel, ob diese Information richtig ist. Wenn wir zu einem neuen Finanzierungssystem kommen könnten, könnte dies auch dazu beitragen, die Ausgabendisziplin in Europa zu fördern.
Die eigenen Einnahmen haben ein dynamisches Element. Sie wachsen in jedem Jahr um 10%. Nur sind in den letzten Jahren die EG-Haushalte um 23 % pro Jahr gestiegen. Das heißt: Spätestens 1982 oder 1983 wird der europäische Haushalt am Ende sein, wenn nichts passiert. Dann wird Brüssel zahlungsunfähig werden — um das einmal vereinfacht zu sagen.
Das ist der Grund, warum ich für meine Fraktion die Bundesregierung und den Herrn Bundeskanzler ermuntern möchte, auf der dargelegten Position — Begrenzung der Nettoeinzahlungen und Begrenzung des Ausgabenzuwachses in Europa — zu beharren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Vorgriff auf weitere demnächst wohl erfolgende Anschuldigungen insbesondere von seiten der Opposition wegen einer verfehlten Fischereipolitik und auf Grund dessen, was Sie, Herr Kohl, gesagt haben, möchte ich zur Fischereipolitik der sozialliberalen Koalition Stellung nehmen.Zuerst einmal einige Informationen. Es handelt sich nicht nur um die Hochseefischer, sondern auch um Kutterfischer. Die Kutterfischer in der Ostsee sind durch das Nichtzustandekommen der Regelungen in Brüssel genauso betroffen wie die Hochseefischer. Der ganze Bereich, der von Schweden in der Ostsee beansprucht wird, wird in Zukunft wegen der nicht zustandegekommenen Regelungen für die deutschen Kutterfischer gesperrt sein.Zum zweiten. Die Hochseefischerei bedient die industrielle Infrastruktur am Lande zu ungefähr 50 % mit Frischfisch und mit gefrorenem Fisch; der andere Teil wird durch Importe gedeckt. Das heißt: Die Produktion kann auch jetzt dort weitergehen. Wir müssen uns nur energisch dagegen verwahren, daß die Briten — das tun sie zur Zeit — auch noch versuchen, durch Erhöhung der Referenzpreise die Importe zu erschweren.
Um endlich mit falschen Beschuldigungen aufzuräumen: Die Fanggründe sind da, Herr Kohl. Die sind da, wenn sich die Mitgliedsländer der EG endlich einigen. Die Fanggründe sind so aufgeteilt, daß eine deutsche Kernflotte, d. h. eine bestimmte Anzahl Frischfischfänger und Fangfabrikschiffe existieren kann. Für diese Kernflotte bestand von 1978 bis 1980 ein Sofortprogramm zur Strukturanpassung. Dieses Sofortprogramm hatte eine Größenordnung von 112 Millionen DM. Wer dieses hier vernachlässigt und sagt, die Bundesregierung tue nichts, der streut Sand in die Augen der Bürger.Die Kernflotte soll auch weiter unterstützt werden — eben weil die Regelungen nicht zustande gekommen sind —, ebenso die Kutterfischer, und zwar in Form einer Fortführung der Strukturanpassungsmaßnahmen.Die Opposition behauptet, die Bundesregierung tue nichts. Ich habe Ihnen dargelegt, daß sie im Inland etwas tut.Nun zur EG-Seite. Wer hat denn immer darauf hingewiesen, daß es in der EG zu wenig Gemeinsamkeiten gebe, daß es dort keine geschlossene Zielsetzung gebe, sondern ausschließlich nationale Zielsetzungen? Das war Minister Ertl. Er macht das doch nicht erst jetzt, sondern er macht das seit zehn Jahren. Er bemüht sich seit zehn Jahren, daß Regelungen für unsere deutschen Hochseefischer und Kutterfischer zustande kommen.
Wer hat sich denn in Brüssel so vehement für unsereFischer eingesetzt, daß Bündnispartner verstimmtwaren und daß die Dänen offiziell protestiert haben?
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1388 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Dr. ZumpfortIst das etwa der Beweis für mangelnde Tätigkeit? Genau das Gegenteil ist der Fall.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie höflich bitten, Ihre Beiträge zum Problem des Fischereikompromisses auf eine sachliche Grundlage zu stellen und nicht weiter mit Anschuldigungen zu arbeiten, von denen man glaubt, daß sie oben an der Küste vielleicht gut ankommen, weil man nicht genau informiert ist. Ich sage Ihnen: Ich war an der Nordseeküste und an der Ostseeküste Schleswig-Holsteins bei sämtlichen Genossenschaften. Ich habe mir in Niedersachsen bei den Hochseefischern einen Eindruck verschafft. Ich weiß, wie die Situation ist. Ich weiß, daß die Fischer dort oben darauf vertrauen, daß die Bundesregierung ihr Äußerstes getan hat, um ihre Existenz zu sichern. Und sie wird das auch in Zukunft tun. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Zumpfort hat sich eben mit einer Rede auseinandergesetzt, die ich jetzt halten möchte. Er hat im vorhinein das, wovon er erwartet hat, daß ich es sagen würde, kritisiert. Herr Zumpfort, ich bitte Sie, nun erst einmal zuzuhören.
Der Bundeskanzler hat hier heute in bezug auf die Fischereipolitik der Gemeinschaft eigentlich recht emotional gesprochen. Er hat gesagt, er teile die Verbitterung der Fischer, er könne nicht einsehen, daß die Verpflichtungen vom 30. Mai 1980 nicht eingehalten würden, er sei tief enttäuscht. Es gab noch andere Äußerungen in diesem Sinne. Ich glaube, Herr Bundeskanzler, mit solchen emotionalen Äußerungen werden Sie weder den Erwartungen der Betroffenen an der Küste noch den Gründen dafür gerecht, daß es überhaupt zu diesem Gipfel der Enttäuschungen und zu den Peinlichkeiten in der Fischereipolitik gekommen ist.
Wir hatten doch alle den Eindruck, daß Sie in Maastricht in der Fischereifrage wie ein Bittsteller aufgetreten sind. Dazu hätte es überhaupt nicht kommen dürfen.
Im Widerspruch zu Ihrem sonst gerne geübten Auftreten als Norddeutscher haben Sie allzulange dieser typisch norddeutschen Problematik nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet.
Im übrigen hat die Fischereipolitik der Gemeinschaft eine längere und unerfreuliche Geschichte. Ich will hier nur zwei Äußerungen wiedergeben.
In der Agrardebatte im April 1977, vor vier Jahren, hat Herr Ertl hier an dieser Stelle erklärt, die Voraussetzungen für ein EG-Meer seien geschaffen. Der Sprecher der SPD hat an dieser Stelle gesagt, die große Tatkraft, das nötige Standvermögen, die erforderliche Umsicht und das bekannte Verhandlungsgeschick der Bundesregierung hätten Ergebnisse in der europäischen Fischereipolitik gebracht. Im Widerspruch dazu hat der Deutsche Gewerkschaftsbund jetzt erklärt, die Fischereipolitik der Bundesregierung sei arbeitnehmerfeindlich. Und genau das ist die Tatsache, meine Damen und Herren.
Lassen Sie mich eine Zahl erwähnen. Wir hatten in der Bundesrepublik Deutschland vor fünf Jahren eine Hochseefischereiflotte mit über 70 Einheiten. Wir haben heute noch ganze 27. Ebenso ist auch unsere Kutterflotte auf einen Kern- oder Restbestand geschrumpft.
Drei Punkte aus der Entwicklungsgeschichte sind zu erwähnen: Erstens ist die Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen im Hinblick auf die Einrichtung der 200-Seemeilen-Fischereizonen von der Bundesregierung in ihrer Bedeutung für unsere Fischereiinteressen lange Zeit unterschätzt worden. Zweitens ist beim britischen EG-Beitritt versäumt worden, eine gemeinsame Politik der Gemeinschaft in der Fischereifrage zu verankern. Drittens ist die Neuverhandlung über den britischen EG-Beitrag im Mai 1980 nicht genutzt worden.
Jetzt ist erneut ein nationales Hilfsprogramm für die Fischerei aufgelegt worden. Wir begrüßen das, auch weil es gleichrangig für Kutter- und Hochseefischerei gilt. Wir sind aber der Meinung, daß dieses Programm nicht aus dem ohnehin erheblich geschrumpften Agrarhaushalt bezahlt werden darf, sondern hier andere Möglichkeiten, insbesondere im Hinblick auf die europäischen Zahlungen, gefunden werden müssen, damit der geschröpfte Haushalt des Bundesernährungsministers nicht weiter belastet wird.
Schließlich erwarten wir, daß die Bundesregierung ein langfristiges Konzeptfür die Existenzsicherung und die Perspektive der deutschen Fischerei vorlegt; denn eines möchte ich noch einmal hervorheben — Helmut Kohl hat das vorhin schon gesagt —: Es ist ein Skandal, daß ein gesunder Wirtschaftszweig aus rein politischen Gründen in die Enge getrieben und möglicherweise zerstört wird.
Angesichts der Kürze der Zeit will ich auf die drängenden Fragen gerade auch der Kutterfischerei in der Ostsee, auf die Unklarheit, die hier in den Grauzonen herrscht, nicht weiter eingehen. Ich möchte nur betonen, daß die Kutterfischerei und die Hochseefischerei auch um der Glaubwürdigkeit der europäischen Politik willen erwarten können, daß künftig solche Ereignisse wie der Maastrichter Gipfel nicht mehr stattfinden können, sondern daß man sich durch entschlossene, vernünftige und kluge Verhandlungen auf einer niedrigeren Ebene geeinigt hat, bevor man der staunenden Öffentlichkeit ein solches Schauspiel wie in Maastricht vorführt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grunenberg.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1389
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs dem Bundeskanzler für sein großes persönliches Engagement in der Fischereifrage im Namen der SPD-Bundestagsfraktion, aber auch der Bewohner an der Küste herzlich danken.
— Ich gehe darauf gleich ein.
Herr Bundeskanzler, Ihre Sorge darüber, daß Gentlemen's Agreements nicht eingehalten werden, daß ein gegebenes Wort nicht eingehalten wurde, wird auch an der Küste geteilt.
Gleichzeitig stelle ich fest, daß die CDU/CSU-Opposition zwar keine Gelegenheit ausläßt, der Bundesregierung Nachlässigkeit in der Fischereifrage vorzuwerfen, daß mir aber keinerlei Bemühungen der CDU/CSU bekanntgeworden sind, auf ihre konservative Bruderpartei in Großbritannien, die dort ja die Regierung stellt, zugunsten der deutschen Fischerei einzuwirken.
Herr Kollege Dr. von Geldern, die überparteiliche Notgemeinschaft Fisch in Bremerhaven/Cuxhaven hätte einen entsprechenden Brief Ihres Herrn Dr. Kohl an Frau Thatcher vielleicht als etwas hilfreicher empfunden als das, was Sie heute schon wieder hier verbreitet haben und was eine alte Platte ist.
Seit vier Jahren versucht die EG, eine Einigung über die gemeinsame Fischereipolitik zu erzielen, und zwar aus dem Zwang seerechtlicher Entwicklungen heraus, die die Fischerei der EG-Staaten von den Fanggründen vor Drittländern ausschloß und auf den Bereich des EG-Meeres beschränkte. Im Zuge einer Entwicklung paßte die deutsche Fischerei ihre Kapazitäten den veränderten Fangmöglichkeiten weitgehend an. Für eine moderne Hochseeflotte wie die deutsche, eine Flotte, die traditionell auf Fernfischerei ausgerichtet war und ist, sind Abkommen mit Drittländern, die uns traditionelle Fanggründe wieder öffnen, lebenswichtig. Der Ratsbeschluß vom 30. Mai 1980, in dem sich die Mitgliedstaaten verpflichteten, sich auch über eine gemeinsame Fischereipolitik zum Jahresende 1980 zu einigen, war von uns mit Zugeständnissen an Großbritannien hinsichtlich dessen Beitragszahlung an die EG teuer erkauft.
Daß es dann auf Grund von Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und Großbritannien über bestimmte Zugangsrechte zu den britischen Gewässern zu dieser internen Einigung nicht kam, ist zwar bedauerlich und enttäuschend, hätte aber noch hingenommen werden können, wären damit nicht auch die Drittlandabkommen mit Kanada und den Färöern blockiert worden. Das ist der Grund, der an der Küste Enttäuschung und Erbitterung hervorruft.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich gegenüber Großbritannien in der Frage der Beitragsrückerstattung entgegenkommend verhalten. Uns kostet das immerhin 2,5 Milliarden DM. Das ist der Betrag, den der deutsche Steuerzahler heute nicht zuletzt über die Mineralölsteuer finanzieren muß.
Es hätte daher den Briten gut angestanden, dem deutschen Wunsch entsprechend — wennschon keine Einigung über das interne Fischereiregime möglich war — doch wenigstens das Kanada-Abkommen zu ratifizieren. Dieses Abkommen hätte der deutschen Hochseefischerei eine ausreichende Beschäftigung in den ersten Monaten des Jahres 1981 gewährleistet.
Die Haltung Großbritanniens ist unverständlich, widerspricht dem Geist des EG-Vertrages und ist unfair gegenüber einem Partner, der sich immer wieder bemüht hat, den Wünschen Großbritanniens entgegenzukommen. Der Starrsinn der britischen Premierministerin kann — höflich ausgedrückt — nur noch als sehr unfreundlich gegenüber der Bundesrepublik empfunden werden. Denn nur wir sind davon betroffen. Die Menschen an der Küste, die von der Fischerei leben, sehen ihre Arbeitsplätze in Gefahr. Sie zweifeln auch an einem Europa, in dem nationales Interesse so weit auf die Spitze getrieben wird, daß einzelne Wirtschaftszweige anderer EG-Staaten in den Ruin getrieben werden.
Die Bundesregierung und die regierenden Fraktionen des deutschen Bundestages haben sich zur finanziellen Hilfe für die Fischerei bereit erklärt, um unsere Hochseefischerei zu erhalten. Die deutsche Politik sollte das Verhalten Großbritanniens nicht vergessen und es zukünftig in ihre Haltung gegenüber der EG einbeziehen. Wir werden unsere Fischerei weiterhin unterstützen und werden an einer Lösung des Fischereikonflikts auch weiterhin mitarbeiten. Aber Enttäuschung, Verärgerung, ja, Verbitterung möge man uns im Vereinigten Königreich nicht verübeln. — Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten des Deutschen Bundestages
Ich bitte um Vorschläge. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens der Fraktion der CDU/CSU zur Wahl zum Vizepräsidenten des Hauses den Kollegen Windelen vorschlagen.
Die CDU/CSU schlägt Herrn Abgeordneten Windelen vor. Werden weitere Vorschläge gemacht? — Dies ist nicht der Fall.
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1390 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Präsident StücklenNach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auf eine Wahl mit verdeckten Stimmzetteln verzichtet werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Das ist mit der für die Abweichung von der Regel in der Geschäftsordnung festgelegten erforderlichen Zweidrittelmehrheit beschlossen.Wir kommen jetzt zur Wahl. Wer dem Abgeordneten Windelen seine Stimme geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Eine Enthaltung. Damit ist der Herr Abgeordnete Windelen ohne Gegenstimmen bei einer Stimmenthaltung zum Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages gewählt.
Ich frage Sie, Herr Abgeordneter Windelen: Nehmen Sie die Wahl an?
Ja, Herr Präsident, ich nehme die Wahl an.
Ich beglückwünsche Sie als Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages und bin überzeugt, daß mit Ihrer Wahl zum Vizepräsidenten weiterhin auch eine gute kollegiale Zusammenarbeit im Präsidium und mit dem ganzen Hause gewährleistet ist. Alles Gute!
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung des Agrarberichts 1981 der Bundesregierung
— Drucksachen 9/140, 9/141 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat ist eine Debatte bis gegen 18 Uhr vereinbart worden. — Ich sehe, das Haus ist auch mit dieser Zeitbegrenzung einverstanden.
Das Wort zur Einbringung hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. — Herr Bundesminister, wenn Sie sich noch einen Augenblick zurückhalten, kann die Gratulationscour abgeschlossen werden, ehe wir in der Tagesordnung fortfahren.
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, die Plätze einzunehmen, auch hier im Mittelgang.
— Darf ich bitten, die Plätze einzunehmen. — Meine sehr verehrten Kollegen im Mittelgang, Sie meine ich, jawohl.
Herr Bundesminister, beginnen Sie, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute früh bin ich aus Brüssel zurückgekehrt. Wir haben am letzten Freitag entsprechend dem Auftrag der Regierungschefs im Fischereirat verhandelt. Ich möchte eingangs meiner Rede darüber kurz berichten. Von Montag bis heute früh haben wir im Agrarrat über das Agrarpreispaket verhandelt. Auch darüber und die damit zusammenhängenden Beschlüsse will ich sprechen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst zum Fischereirat einige Bemerkungen machen, auch im Blick auf das, was ich während der Debatte hier gehört habe. Ich will das gestrafft zusammenfassen, darf aber folgendes vorausschicken.Bei der Festlegung der Fischereizonen handelte es sich um eine sehr wichtige Entscheidung für die deutsche Fischerei, speziell für die deutsche Hochseefischerei, die in ihrer ganzen Struktur so angelegt ist, daß sie im wesentlichen nicht in EG-internen Gewässern fischt, sondern, wie man in der Fachsprache so schön sagt, in Drittlandsgewässern, nämlich in den Gewässern Islands, Grönlands, Kanadas, Norwegens und anderen Gewässern. Diese sehr wichtige Entscheidung ist gefallen, nachdem eine Übereinstimmung für 200 Seemeilen erreicht wurde. Dies war eine Entscheidung, die, wie ich hier noch einmal hinzufügen möchte, die Vereinigten Staaten, unser Hauptverbündeter, ebenso forciert haben wie die Sowjetunion.Ich sage das schlichtweg aus folgendem Grund. Wenn jemand heute in diesem Hause oder anderswo sagt, diese Entscheidung sei von der Bundesregierung zu vermeiden gewesen, dann allerdings kennt er nicht die Konstellation, die zu der 200-SeemeilenZone geführt hat.
Das war eine Entscheidung im Pflichtwege. Man mag das bedauern. Ich gehöre zu denen, die es bedauern. Die Konstellation ergab sich aus den gemeinsamen nationalen Interessen aller großen Küstenländer, ganz gleich, wo ihr ideologischer Standort ist, ob es sich um westliche oder östliche Küstenländer oder um Entwicklungsländer oder um Industrieländer handelt. Dagegen ist die Bundesregierung bei allem wirtschaftlichen Potential, glaube ich, machtlos; denn die einzige Waffe, die wir in dieser Frage überhaupt haben, ist die Gemeinschaft, ob das einem wiederum paßt oder nicht.Wenn Sie sich die Landkarte anschauen, werden Sie feststellen, daß die Bundesrepublik einen relativ kleinen Küstenstreifen hat. Wir haben also nichts anzubieten, haben nichts zu geben, sondern haben nur zu nehmen. Wir brauchen in der Tat nicht nur Küsten-, sondern auch andere Gewässer, in denen wir fischen können. Wir sind hier, auf uns allein gestellt, ziemlich verlassen.Dies macht es, glaube ich, deutlich, warum sich die Bundesregierung so hart und zäh um ein EG-internes Fischereiregime bemüht und zugleich alles versucht, mit Drittländern zu besseren Übereinkünften zu kommen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1391
Bundesminister ErtlIch muß das vorausschicken und darf noch eine zweite Bemerkung hinzufügen. Wäre es während der Grünen Woche 1978 nicht zu dem Berliner Kompromiß gekommen, bei dem sich acht Mitgliedstaaten — Ausnahme: Großbritannien — einigten, sie würden so handeln, als ob es ein internes Fischereiregime gäbe — und danach ist auch bisher pragmatisch gehandelt worden —, dann wäre die Situation der deutschen Hochseefischerei und der deutschen Kutterfischerei viel schlimmer geworden. Nur dieses Agreement, das unter Führung der Bundesregierung zustande gekommen ist — das darf ich hier einmal sehr deutlich sagen —, hat überhaupt das Überleben unserer Hochseefischerei und zum Teil auch der Kutterfischerei ermöglicht.
Insoweit habe ich das, was ich im Jahre 1977 sagte, Herr von Geldern, nicht aus der Luft gegriffen.Im übrigen darf ich noch hinzufügen: Nur dadurch war es möglich — daran sehen Sie die Komplexität dieser Materie —, wiederum Dänemark dafür zu gewinnen, unsere Schutzinteressen in der berühmten Grauzone vor Schweden wahrzunehmen, was zu einer Entspannung und zu einer Erleichterung für unsere Ostseekutter geführt hat, wenn auch nicht zu einer befriedigenden Lösung. In gleicher Sache verhandelt die Bundesregierung im Moment aktiv mit der polnischen Regierung. Die polnische Regierung hat in allen Gesprächen bis jetzt eine wohlwollende Prüfung zugesagt. Sie wissen auch, daß es seit Jahren keine neuen Übergriffe gegeben hat. Es ist also nicht so, daß hier nichts geschehen ist.Ich verhehle nicht, daß ich die Enttäuschung des Bundeskanzlers auch teile, j a, daß ich schon lange enttäuscht bin. Deshalb wollte ich einmal die Position darlegen. Ich könnte noch viele Details hinzufügen, wollte aber nur diese zwei grundsätzlichen Bemerkungen vorausschicken.Trotzdem darf ich noch eine dritte Bemerkung hinzufügen. Die Bundesregierung hat alle ihre Möglichkeiten genutzt, auf dem Verhandlungswege zum Teil auch mit finanziellen Zusagen und finanziellen Leistungen sicherzustellen, daß zusätzliche Fangmöglichkeiten vor anderen Drittländern ausgeschöpft werden. Ich denke z. B. an die Abmachungen mit Argentinien, in denen wir uns verpflichtet haben, Entwicklungshilfemaßnahmen auf dem Fischereisektor zu leisten sowie Hilfe und Unterstützung für die Fischereiforschung zu gewähren. Es ist auch zu Abmachungen und Zusagen gekommen. Es entzieht sich meiner Kenntnis — ich will hier auch niemanden kritisieren —, warum es letzten Endes nicht zu Abmachungen in einem größeren Umfang gekommen ist. Eine kleine Reederei hat die Möglichkeiten auf jeden Fall stärker genutzt als größere Reedereien. Es mag auch sein, daß es für größere Reedereien Schwierigkeiten gibt. Ich will das hier nicht untersuchen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf unsere Verhandlungen mit Neuseeland hinweisen. Es gibt kein Land, das unseres Wissens ausreichende Fischgründe hat, mit dem wir nicht aktiv verhandeln und auch Verhandlungspositionen für Joint-ventures vorbereitet haben.Es ist aber nicht Aufgabe der Bundesregierung — denn wir haben keine staatliche, sondern eine private Hochseefischerei, und dabei soll es auch bleiben —, letzten Endes zu entscheiden, in welchem Umfang Joint-ventures zustande kommen. Dafür darf man die Bundesregierung nicht verantwortlich machen. Die Bundesregierung ist verantwortlich, die ihr gegebenen Möglichkeiten zu nutzen. Die haben wir genutzt, und ich werde Ihnen den Katalog von Verhandlungen für mögliche Joint-ventures vorlegen.Es gibt auch noch einen vierten Punkt, der mir in der Gesamtproblematik gerade noch einfällt. Der spielt für Drittländer, aber auch für Großbritannien eine Rolle, in meinen Augen eine mehr vorgeschobene Rolle; ich sage das sehr freimütig.Natürlich verlangen diese Länder im Gegenzug für Fischereirechte dann auch den Zugang zu unserem Markt, und hier gibt es an der Küste ein „Splitting" zwischen jenen, die fangen, und jenen, die verarbeiten und verkaufen. Denn die, die verarbeiten und verkaufen, wollen keine zu teuren Rohprodukte. Diejenigen, die fangen, sagen: Wir müssen auf unsere Kosten kommen. Dieses „Splitting" muß man natürlich in der ganzen Materie sehen. Das macht die Position des verhandelnden Ministers nicht einfach. Denn ich muß auch daran denken, daß unsere Verbraucher ausreichend versorgt werden. Das kommt auch noch dazu, deswegen muß man hier eine mittlere Linie einhalten.Nun lassen Sie mich noch etwas zu den Fischereiverhandlungen sagen. Wir alle sind tief enttäuscht über das bisherige Ergebnis, das in der Tat. im Widerspruch zu allen bisherigen Zusagen steht. Wer das Protokoll vom 30. Mai 1980 nachliest, wird feststellen, daß dort im Zusammenhang mit den Umpolungen und den Zahlungen an Großbritannien beschlossen wurde, eine endgültige Fischereilösung bis zum 1. Januar 1981 zu erzielen. Ich füge aber hinzu: Es ist natürlich auch so, daß der jetzige Zeitpunkt nicht unbedingt der günstigste für eine Lösung ist. Deshalb habe ich sehr gedrängt, daß nicht im April und Mai neue Verhandlungen stattfinden. Ich halte es für inopportun, vor und kurz nach den französischen Wahlen überhaupt noch zu verhandeln, weil vermieden werden muß, an der Küste noch mehr Enttäuschungen zu erzeugen; denn bei der Zugangsfrage handelt es sich j a im wesentlichen um ein Problem, das zwischen Frankreich und Großbritannien sehr strittig ist. Zur Demokratie gehören auch Wahlen — Gott sei Dank, möchte ich sagen —, und es ist klug, internationale oder auch kommunitäre Verhandlungen vor solchen Wahlen auszusetzen.Aus diesem Grund habe ich gefordert, die nächsten Verhandlungen gut vorzubereiten und im Juli den Versuch zu machen, endgültig zu einer Lösung zu kommen. Wir appellieren dabei sehr leidenschaftlich an die Briten, nicht zu vergessen, daß sie im Wort sind.Hinzu kommt — das muß man auch sehr deutlich sagen, das gehört dazu —: Die Drittlandsabkommen haben mit dem inneren Fischereiregime direkt und indirekt nichts zu tun. Obwohl es nicht angebracht ist, wurde, einer Praxis entsprechend, auch hier ein
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1392 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Bundesminister ErtlJunktim aufgestellt. Das wird gern getan. Bis heute früh haben wir z. B. wiederum über ein Paket verhandelt, d. h. über Materien, die nicht zusammenhängen, aber gemeinsam in die Verhandlungen eingebracht werden, um so möglicherweise zu besseren Gesamtpositionen zu gelangen.Das Drittlandsabkommen für Norwegen ist ratifiziert. Vor Norwegen kann die deutsche Hochseefischerei auch fischen. Was Grönland anlangt, ist es uns in mühsamen Verhandlungen gelungen — ich bin für meine Sprache nicht überall gelobt worden, weder in Dänemark noch in Deutschland, aber das spielt j a keine so große Rolle —, ein Kontingent von 5 000 Tonnen zu erreichen — da haben sich die Dänen fair verhalten —, das zumindest für eine gewisse Zeit einen Ersatz für den Ausfall vor Kanada darstellt. Wir stehen in weiteren Verhandlungen mit den Grönländern. Aber eines muß gelten: Die Drittlandsabkommen sind so rechtzeitig zu ratifizieren, daß die deutschen Fischer die kommende Fangsaison vor Kanada wahrnehmen können.Fünfter Punkt: Maßstab für die politische Entscheidung muß der EG-Vertrag bleiben. Ich will jetzt nicht werten, welche Regierung in Großbritannien sich kommunitärer verhalten hat. Ich habe hinsichtlich der Regierungen in Großbritannien so meine Erfahrungen. Eines muß ich auf jeden Fall sagen: Mein früherer Kollege Silkin sitzt dem jetzigen britischen Minister Walker natürlich im Genick. Das muß ich fairerweise zugeben. Herr Silkin hat nämlich eine Position vertreten, die mit dem Vertrag überhaupt nicht in Übereinstimmung zu bringen war.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Geldern?
Bitte.
Herr Minister, ich freue mich über Ihre letzte Äußerung zur Kontinuität der britischen Politik und möchte Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, daß einseitig an die britische Adresse gerichtete Vorwürfe nicht berechtigt sind, sondern daß es sich, wenn wir schon Partnerländer nennen wollen, um ein britisch-französisches Problem handelt.
Was den letzten Punkt angeht, kann ich Ihnen nicht ganz zustimmen, lieber Herr von Geldern. Aber ich will das erläutern. Ich bin Ihnen für die Frage sehr dankbar.
— Nebenbei, setzen Sie sich ruhig hin, lieber Herr von Geldern. Ich muß dazu etwas länger reden.
— Danke schön, sehr lieb von Ihnen.Herr Silkin hatte z. B. entgegen allen vertraglichen Abmachungen Präferenzzonen bis zu 50 Seemeilen gefordert. Wen es interessiert, den bitte ich, einmal die Art. 100 und 101 des EG-Vertragswerks nachzulesen. In diesen beiden Artikeln sind die Maßstäbe für das innere Fischereiregime nach dem Beitritt niedergelegt. Die Zahl 50 taucht in keinem Passus des Vertrags auf, sondern im Vertrag heißt es — ich gebe das jetzt sinngemäß wieder —: Im Interesse der Küstenbevölkerung können Schutzzonen bis zu 12 Seemeilen errichtet werden. Im Bereich dieser 12 Seemeilen müssen die historischen Rechte gewahrt werden. Dabei steht im Vertrag wortwörtlich: Historische Rechte sind die Fänge bis 1971. Es stellt sich also die Frage, wie die historischen Rechte zwischen 1971 und 1981 behandelt werden. Ich will das nicht weiter vertiefen. Ich muß korrekterweise sagen, die derzeitige britische Regierung hat ihre Forderung — ausgenommen den Norden Englands, das ist das Gebiet der Orkney-, Shetlandinseln, und Teile des nordöstlichen Englands — auf eine Schutzzone von 12 Seemeilen reduziert. Allerdings verlangen die Briten in dem nördlichen Gebiet — da beginnt der Konflikt, zu dem Herr von Geldern eine Frage gestellt hat — ein im Vertrag nicht vorgesehenes zusätzliches Schutzgebiet oder eine gewisse Box, wie man so schön in der Fachsprache sagt, das weit über 12 Seemeilen hinausgeht. Eine Ausdehnung über 12 Seemeilen lehnen die Franzosen ab. Es ist der deutschen Bundesregierung gelungen, einen Vorschlag zu machen, den die Kommission und der Rat übernommen haben. Für den Fall, daß man im Interesse einer Einigung zu einer Sonderausdehnung der Zwölf-Seemeilen-Zone im nördlichen Teil Englands kommt, soll ein Lizenzsystem für die Fischer eingeführt werden, die aus der Gemeinschaft kommen. Vorwiegend betrifft das französische, möglicherweise auch belgische, möglicherweise sogar auch deutsche Fischer.Der Streit geht um folgendes, und hauptsächlich hierüber muß, wie ich meine, verhandelt werden: Die Briten verlangen, daß diese Lizenzen national vergeben werden. Wir verlangen - ich glaube, wir sind wiederum in guter Übereinstimmung mit dem EG- Recht —, daß es sich um eine kommunitäre Lösung handeln muß, d. h., die Kommission muß bei der Lizenzvergabe entscheiden.Ich bitte um Entschuldigung dafür, daß ich den Sachverhalt so differenziert dargelegt habe. Ich werde oft gefragt, worum es bei den Fischereiverhandlungen geht. Das sind die Kernpunkte. Ich meine, es muß uns in gemeinsamen Bemühungen gelingen, daran festzuhalten, daß auch für die Fischerei der EG-Vertrag die Basis sein muß. Man kann sich nicht nur auf den EG-Vertrag berufen, wenn man das Angenehme haben will, sondern man muß den Vertrag auch dann respektieren, wenn er Unangenehmes bringt.Das zweite Prinzip muß sein, daß der Weg für die Drittländer freigemacht wird und daß es ein endgültiges Regime gibt, in dem es auf Dauer keine nationalen Sonderrecht geben darf. Es muß vielmehr ein kommunitäres System sein. Darum werden wir ringen, und ich bin davon überzeugt, daß wir zu einem Ergebnis kommen werden. Ich hoffe, daß das so bald wie möglich der Fall sein wird. Das waren meine Ausführungen zur Fischereipolitik aus aktueller
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1393
Bundesminister ErtlSicht. Zu den nationalen Maßnahmen bei der Fischerei will ich nichts sagen, da sie Ihnen bekannt sind. Auch die Haushaltsprobleme meines Etats sind Ihnen bekannt. Ich meine, die Hilfe für die Fischerei muß vordringlich sein, damit die deutsche Hochsee- und Kutterfischerei die schwierige Phase in diesem Jahr überwindet. Ich glaube, dies muß Priorität haben, und ich bin bereit, an einer Lösung außerordentlich kooperativ und konstruktiv mitzuwirken. Die Lösung von Notsituationen muß auch im Haushalt Priorität haben.Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zu dem Ergebnis der mühsamen Verhandlungen in der letzten Nacht über ein Agrarpaket machen. Aus meiner Sicht und Erfahrung möchte ich einiges zur bisherigen Debatte sagen. Eingangs möchte ich auch die politische Umwelt ansprechen, in der die Beschlüsse gefaßt worden sind. Mich betrübt zunehmend, daß die Europäische Gemeinschaft in unserer öffentlichen Meinung, aber auch in diesem Hohen Haus eher als eine profitgierige Gemeinschaft oder egoistische Gemeinschaft dargestellt wird. Dabei möchte ich gar nicht verhehlen, daß der nationale Egoismus zunimmt; das macht mir Sorgen, ich werde darauf noch zurückkommen.Es ist sehr auffällig, daß diejenigen Länder, die dieser Gemeinschaft nicht angehören, voller Neid auf diese Gemeinschaft schauen. Darüber sollten wir einmal ein klein wenig nachdenken. Ich tue das aus aktuellem Anlaß. Am vergangenen Sonntag war der ägyptische Landwirtschaftsminister bei mir zu Besuch. Er ist eigens von Präsident Sadat geschickt worden, um sich mit mir zu unterhalten, und zwar über die Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft, aber natürlich auch über eine bilaterale Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik. Er kam aus Salisbury, wo eine Geber-Konferenz für Zimbabwe stattgefunden hatte. Er sagte mir: Wir Ägypter — ich kann auch für alle die Afrikaner sprechen, zu denen wir ein gutes Verhältnis haben, vielleicht sogar auch für diejenigen, zu denen wir kein gutes Verhältnis haben — setzen unsere wirtschaftlichen und politischen Hoffnungen auf diese Europäische Gemeinschaft. — Ich darf auch hinzufügen: Es gibt eine Vielzahl von maßgeblichen ungarischen Politikern — bei denen darf ich sicherlich wagen, es zu sagen, ich wüßte auch Gebiete, die ich lieber nicht nenne —, die sicherlich ideologisch nicht bei den Liberalen anzusiedeln sind, die mir aber immer wieder sagen: Unsere große Hoffnung ist der politische Stellenwert und die politische Dynamik und die wirtschaftliche Potenz dieser Gemeinschaft.
Ich glaube, wir selbst haben oft Angst vor dieser Gemeinschaft. Dabei lassen Sie mich hinzufügen: Ich bin heute nacht weder mit Zufriedenheit noch mit Freude zurückgekehrt. Ich bin vielleicht mit dem Gefühl zurückgekehrt, daß ich meine Pflicht im Interesse dieser Gemeinschaft, im Interesse des Ausgleichs von Interessen erfüllt habe, wobei ich noch nicht einmal sicher bin, ob alles ganz gerecht oder ganz objektiv war. Aber anders wird es nicht gehen. Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesen Tagen oft darüber nach: Wie mag es eigentlich gewesen sein, als die Deutsche Zollunion vor über 100 Jahren entstand? Ich könnte mir vorstellen, daß im Jahre 1870 manch einer ähnliche Gedanken gehabt hat, wie wir sie heute vielleicht gegenüber der Europäischen Gemeinschaft haben. Das heißt: Ich will diese Gemeinschaft nicht idealisieren, ich will bei weitem nicht behaupten, wir seien so weit, daß wir sagen könnten: Das Verhalten, der Geist und die Handlungsweisen in dieser Gemeinschaft sind immer kommunitär. Die Fischerei ist ein Beispiel dafür. Ich habe in diesen Tagen viele solcher Beispiele erlebt.Aber ich will eines ganz klar und deutlich sagen: Ich sehe weder wirtschaftlich noch politisch eine Alternative zu dieser Gemeinschaft, es sei denn um den Preis unserer eigenen Grundordnung und um den Preis der Stabilität auf dem wirtschaftlichen Sektor auch in Deutschland.
Jedes Land muß wissen — das gilt nicht nur für unser Land —: Bei einem Zerfall dieser Gemeinschaft — ich hoffe, daß niemand mit dieser Idee spielt — ist der Status jedes einzelnen Mitgliedslandes wirtschaftlich und politisch schwächer als innerhalb einer bestehenden Gemeinschaft.
Und wer gar den Frieden und die Stabilität in Europa erhalten will — und das ist eine unserer Prioritäten —, wer dafür sorgen will, daß es nicht zu neuen schwierigen Situationen kommt, die uns zutiefst berühren, wie etwa die Vorgänge in Polen, der, glaube ich, muß eine handlungsfähige Gemeinschaft aufrechterhalten. Die Folge könnte sonst das Ungleichgewicht zwischen den Mächten in Europa sein. Das würde ungeheuer viel Geld kosten, wenn es nicht möglicherweise sogar die Grundlage unserer lebensfähigen Demokratie zerstört.
Ich sage das mit allem Ernst. Denn — darüber gibt es gar keinen Zweifel — je enger das wirtschaftliche Korsett für jedes Land wird, um so stärker wird die Leidenschaft zum nationalen Egoismus. Das ist eine zwangsläufige Folge. Hohe Inflationsraten, hohe Arbeitslosenziffern, reduzierte Haushalte oder Rückgänge bei den Haushaltseinnahmen: Das ist ein Hintergrund, der zwangsläufig zu dem Versuch führen muß, anderen die eigene Last aufzubürden. Es ist vorhin darüber gesprochen worden, welche Probleme es gibt. Ich füge hinzu: Natürlich ist es ein unguter Zustand; das habe ich heute früh erst gesagt. Ich habe leidenschaftlich an meine Kollegen appelliert. Ich habe gesagt: Das muß jeder auch in seiner eigenen Regierung und in seinem eigenen Parlament vertreten. Deshalb tue ich das hier und heute. Es wird ganz schlimm werden, wenn jeder versucht, das, was man zu Hause mit nationalen Mitteln nicht erreichen kann, durch supranationale, das heißt kommunitäre Mittel zu ersetzen. Wenn dies geschieht, wird es ganz schlimm werden. Die Versuchung dazu ist sehr groß. Um ihr zu begegnen, bedarf es — das muß ich einmal betonen — eines großen politischen Grundkonsenses in der Gemein-
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Bundesminister Ertlschaft. Dieser Aufgabe kann sich niemand entziehen. Deshalb möchte ich diese Problematik mit aller Offenheit ansprechen.Es heißt weiter: Priorität in der Gesamtpolitik der Gemeinschaft muß die Bekämpfung der Inflation und der Arbeitslosigkeit haben. Sonst bleiben die Sachzwänge erhalten und werden dann übertragen auf die Europapolitik.Ich möchte noch ein zweites hinzufügen, um dann zu dem Ergebnis von gestern und der letzten Tage zu kommen: Die Deutschen müssen ein klein wenig vorsichtig sein, meine verehrten Damen und Herren, immer von ihrer „großen Zahlerrolle" in Europa zu sprechen.
— Ich habe ihn nicht ganz so verstanden, denn dazu kennt er die Zahlen zu gut. Ich sage ja nicht, daß wir alles zahlen müssen, sondern ich sage nur, wir sollten nicht so tun, als wären immer wir die großen Zahler in Europa.
— Nein, unterstellen Sie ihm hier nichts! Ich habe hier lange Zeit zugehört. Schaffen Sie hier keine Konflikte! Außerdem ist mir die Frage viel zu ernst, um sie mit solchen Randbemerkungen auszufüllen. Das ist schon eine sehr ernste Angelegenheit.Natürlich sehen viele unserer Partner ihre Zahlungen, ihren Beitrag zur EG im Rahmen ihrer Außenhandelsbilanz mit der Bundesrepublik. Schauen Sie sich einmal diese Zahlen an, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin überrascht, wie wenig die Zahlen im politischen und öffentlichen Raum und in der Bevölkerung bekannt sind. Ist es nicht so, daß die Bundesrepublik Deutschland nahezu 60 % ihres Außenhandels innerhalb der Zehnergemeinschaft abwickelt? Wenn Sie die übrigen europäischen Staaten dazunehmen, beispielsweise die Beitrittsländer Spanien und Portugal, aber auch die Rest-EFTA-Staaten, die j a, wie ich beinahe sagen möchte, praktisch fast der Gemeinschaft angehören, zumindest ihr gerne angehören würden, wobei es aber politische Schwierigkeiten gibt — denken Sie an den Staatsvertrag Osterreichs, die spezielle neutrale Rolle der Schweiz, aber auch die besondere Situation von Schweden und Norwegen —, ist es dann nicht so, daß wir nahezu 70 % unseres Außenhandels mit den demokratischen Ländern Europas abwickeln? Das sehen die Franzosen natürlich auch.Sie dürfen mir glauben, mir paßt auch nicht alles, was in der EG verhandelt wird. Ich sage noch einmal: Ich kehre nicht mit Freude oder gar mit Glanz und Gloria oder mit einem Glücksgefühl zurück. Ich kann lediglich behaupten, meine Pflicht und Schuldigkeit im Interesse der Gemeinschaft getan zu haben, damit sie wieder Ansätze zum Weiterleben und für den weiteren Ausbau findet.Aber Sie müssen natürlich auch den Franzosen zubilligen, daß sie wissen, wie die Handelsbilanz zwischen Frankreich und Deutschland aussieht.Handelsbilanz heißt natürlich Absatz, heißt Arbeitsplätze, ja, heißt gesicherte Arbeitsplätze!Alle die mich kennen und meine Reden nachlesen, die ich vor 1969 gehalten habe — viele dieser Reden könnte ich auch heute noch so halten —, werden wissen, daß ich nicht als euphorischer Europäer nach Europa gegangen bin. Ich bin auch heute noch keiner, aber ich bin ein überzeugter Europäer, weil ich weiß, in Europa liegen die großen Chancen der Stärkung der Demokratie und der Stärkung unserer eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ein Beitrag zur Sicherung von Frieden und Freiheit in der Welt.
Da muß man eben Kompromisse schließen, die nicht immer Freude machen. Damit komme ich zu dem geschlossenen Kompromiß. Entschuldigen Sie, wenn ich einige generelle Bemerkungen vorher gemacht habe. Mir erscheint es aber dringend notwendig, darauf hinzuweisen, bevor emotionale Verkrustungen entstehen. Natürlich fragen sich die andern: Was geht bei den Deutschen vor, wollen sie die Gemeinschaft nicht mehr so? Ohne Zweifel gibt es in der Gemeinschaft Menschen und auch Politiker, die eine Freihandelszone wollen.
Ich sage Ihnen: Ich kann davor nur warnen, auch vom Geld her. Ich kann nur warnen! Das wird viel, viel teurer. Ich will das nicht weiter ausführen, sonst betreibe ich gar noch das Geschäft des Außenministers. Um Gottes willen, der hat mit Moskau Sorgen genug; ich will hier nicht seine Rolle übernehmen. Soviel aber wollte ich hier gern bemerken.Lassen Sie mich auch noch etwas anderes sagen, was mich fasziniert. Sie dürfen mir glauben, im Kreise der Agrarminister wird deutlich gesprochen. Da wird nicht diplomatisch gesprochen. Das liegt schon an der Mentalität. Wir eignen uns nicht dazu, etwas mit Glacéhandschuhen anzufassen und so zu reden, wie wir eigentlich nicht denken. Wir reden so, wie wir denken. Das ist der Unterschied. Wir verfassen j a auch keine Kommuniqués, sondern müssen immer drei Aufgaben im Auge behalten: daß auch die Landwirtschaft ein Anrecht auf Gleichberechtigung in Wirtschaft und Gesellschaft hat, daß die Verbraucher ausreichend und preiswert versorgt werden und daß die Steuerzahler es noch bezahlen können. Da kann man eben nicht immer sagen: Lieber Freund, da werden wir schon Lösungen finden.Aber, meine Freunde, eines darf ich hier leidenschaftlich, fast emotional bekennen: Ich bin davon überzeugt, daß dann, wenn es so etwas wie einen Ministerrat um die Jahrhundertwende gegeben hätte, Europa vielleicht die Weltkriege erspart geblieben wären.
Und stellen Sie sich vor, wie die Welt heute ausschauen würde, auch unser Vaterland; vielleicht gäbe es dann keinen Stacheldraht und keine Mauer in Berlin. Das alles sollte man in der rechten Per-
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Bundesminister Ertlspektive sehen. Wir reden ja immer darüber, daß wir Perspektiven brauchen. Mich fasziniert z. B., daß unsere Jugend in einer Gemeinschaft aufwachsen kann, wie ich sie mir in meiner Jugend erträumt habe. Ich hätte als Kind so gern einmal über die Grenzen meines eigenen Vaterlandes hinaus Ferien gemacht. Für unsere Kinder ist das selbstverständlich geworden. Und das gilt nicht nur für Ferien und Urlaub, sondern jeder kann sich in diesem größeren Europa seinen Platz suchen. Ich sage Ihnen sogar: Die Stabilität der Demokratie steht und fällt mit der stabilen Demokratie in Europa.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt in Kürze die Beschlüsse erläutern. Der Rat hat einen Preisbeschluß gefaßt, der zu einer durchschnittlichen Anhebung der ECU-Preise um etwa 9,6 % — jedoch differenziert nach einzelnen Produkten — führt. Durch die Aufwertung der grünen D-Mark um 3,3 % bedeutet dies für die deutsche Landwirtschaft eine Anhebung der Marktordnungspreise in D-Mark von durchschnittlich etwa 4,8 %, mit Bezug auf den EG-Produktionskorb von 5,8 %. Das darf ich hinzufügen, denn es ist ein Unterschied, ob ich den EG-Produktionskorb oder unseren Warenkorb unterstelle.Hierbei handelt es sich um eine durchschnittliche Erhöhung der in den Marktordnungen vorgesehenen Stützungspreise. Dies wird eine rechnerische Auswirkung von etwa 1,3 % auf die Lebensmittelpreise in Deutschland und von etwa 0,3 % auf den Index der Lebenshaltungskosten insgesamt haben.Der Rat hat gleichzeitig mit den Preisentscheidungen Einsparmaßnahmen in Höhe von etwa 700 Millionen ECU beschlossen. Er hat außerdem durch Grundsatzerklärungen festgelegt, daß das Prinzip der Erzeugermitverantwortung in den Bereichen Getreide, Obst und Gemüse, Rindfleisch und Milch eingeführt bzw. verstärkt wird. Auch die Mitverantwortungsabgabe für Milch ist um 0,5 % angehoben worden; dazu ist ein Beschluß gefaßt worden.Bezüglich des Haushalts hat der Rat die folgende Erklärung der Kommission übereinstimmend zur Kenntnis genommen: Der beschlossene Kompromiß wird 1981 nicht zu einem Nachtragshaushalt führen; 1982 wird durch diese Beschlüsse die Grenze von 1 % der Mehrwertsteuer nicht überschritten. — Der Anstieg der Agrarausgaben wird auf Grund dieses Preisbeschlusses und der noch vom Rat zu treffenden Maßnahmen, die in den Grundsatzbeschlüssen verankert sind, unter dem Anstieg der eigenen Einnahmen liegen. Der Gesamtkompromiß wurde vom Rat in voller Übereinstimmung mit der Kommission beschlossen.Ich darf auch noch einmal bezüglich des Haushalts sagen — denn damit ist j a einem einstimmigen Beschluß dieses Hohen Hauses Rechnung getragen worden —, daß er nach einer Erklärung der Kommission — und zwar nicht nur seitens des Agrarkommissars, sondern auch in Übereinstimmung mit dem Haushaltskommissar Tugendhat — gedeckt ist.Abschließend darf ich das Verhandlungsergebnis wie folgt bewerten: Es gab für mich drei wesentliche Zielpunkte: Es muß ein Ergebnis sein, das haushaltsmäßig zu verkraften ist — ich sage das jetzt ohne Rangordnung —, es muß der Ertragslage der Landwirtschaft, aber auch einer stabilitätsorientierten Politik und damit den Belangen der Verbraucher Rechnung tragen. Ich glaube sagen zu können, daß wir uns bemüht haben, diese Ziele annähernd zu erreichen.Im Rahmen des Kompromisses mußten aber auch vitale Interessen der Franzosen abgedeckt werden. Ich möchte hier freimütig sagen — ich kann das jetzt ruhig öffentlich sagen —: Es gab vor den Verhandlungen, bevor die letzte Runde gelaufen ist, ein Gespräch zwischen den Finanzministern und Landwirtschaftsministern von Frankreich und Deutschland. Auf meine Frage an die französische Delegation, den französischen Finanzminister und den französischen Landwirtschaftsminister: „Ist die französische Regierungsposition unverändert jene, daß die agrarischen Ausgaben die obligatorischen d. h., die vorrangigen sind?" hat der französische Finanzminister ganz klar und präzise mit Ja geantwortet, dies sei die Position der französischen Regierung. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen, in dieser Position sind die Franzosen nicht allein.
Ich nenne einmal diejenigen, die diese Position unterstützen: selbstverständlich Irland, selbstverständlich Benelux, selbstverständlich Dänemark, selbstverständlich Italien. Sie können sich vorstellen, wer da noch übrigbleibt.
— Ich habe nicht gesagt, daß es bei uns anders ist. Natürlich gibt es andere Interessen. Sogar ich persönlich habe hierzu eine differenzierte Meinung.
Ich werde das gleich in meiner Rede sagen, Herr Susset, darüber brauchen wir uns gar nicht zu streiten. Natürlich haben wir da zum Teil andere Auffassungen. Ich habe zum Beispiel die Auffassung, daß Sie das Problem der Kleinbauern nicht über Agrarpreise, sondern nur über die Wirtschaftsstruktur und die Agrarstruktur lösen können.
Da unterscheide ich mich zum Beispiel fundamental von den Franzosen, und nicht erst gestern und heute, sondern seit vorgestern.
— Ich bin froh über Zwischenrufe. Da werde ich immer lustig, wie Sie wissen.Ich habe doch die Konstruktion der Agrarpolitik und der Zollunion nicht erfunden. Da brauchen Sie nur meine Reden nachzulesen. Die haben Ihre Parteifreunde erfunden. Natürlich ist die Agrarpolitik immer in einer kritischen Lage, wenn sie sozusagen
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Bundesminister ErtlSchrittmacherdienste für eine Zoll- und Währungsunion leisten soll. Dann ist sie überfordert. Die Zoll- und Währungsunion müßte eigentlich den Rahmen darstellen und hätte einer gemeinsamen Agrarpolitik vorlaufen müssen. Aber das ist doch eine Frage, die ich heute nicht zu entscheiden habe; das ist der Schnee von gestern. Daß die Wirtschaftspolitik und die Regionalpolitik für die Ertragslage und für die soziale Situation der ländlichen Bevölkerung mindestens ebenso entscheidend sind wie die reine Agrarpreispolitik, ist doch eine solche Selbstverständlichkeit, daß ich mich wundere, darüber noch reden zu müssen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist im wesentlichen das Ergebnis der Preisbeschlüsse.Lassen Sie mich jetzt zum Agrarbericht 1981 noch einige Bemerkungen machen, auch zu anderen Fakten. Ich werde meinen Vortrag kürzen, was nicht heißen soll, daß die Ausführungen im Redemanuskript nicht meine Zustimmung finden. Wer will, kann das Manuskript ganz nachlesen. Ich hielt es auf Grund der Ereignisse dieser Nacht für dringlich, die Fischereipolitik und die generelle Position in der Agrarpolitik darzustellen. — Natürlich nur, wer will. Wer nicht will, braucht es nicht zu lesen.
— Das freut mich; ich hätte es von Ihnen auch nicht anders erwartet.Lassen Sie mich zum Agrarbericht noch folgendes bemerken. Daß der Landwirtschaftsminister keine besondere Freude hat, diesen Agrarbericht vorzulegen, brauche ich nicht zu betonen. Denn sowohl für das Berichtsjahr 1979/80 als auch für das laufende Wirtschaftsjahr 1980/81 muß mit einer negativen Einkommensentwicklung gerechnet werden.Ich will hier gleich generell sagen, ich bin überzeugt — das ist auch die Position der Bundesregierung — wir alle werden wohl in den nächsten Jahren grosso modo mit dem leben müssen, was wir haben, vielleicht sogar mit einem Minus wegen höherer Energiekosten. Das gilt für die Landwirtschaft, aber das muß auch für alle anderen gelten. Wenn Opfer unumgänglich sind, dann müssen sie annähernd gleichmäßig verteilt werden. Auf Prozente genau werden wir das nie berechnen können.Dieses Ergebnis spiegelt die konjunkturelle Lage wider, natürlich ganz besonders die Folgen der Energieverteuerung und im Zusammenhang damit die Verteuerung anderer Produktionsmittel, auch den gebremsten Strukturwandel infolge einer abgeflachten, ja, sehr gebremsten Konjunktur. Zum Beispiel hätten wir ohne Energieverteuerung noch eine Erhöhung des Reineinkommens je Arbeitskraft von 1,9 % erreicht.Auch regional verlief die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft wiederum außerordentlich unterschiedlich. Im Süden gab es auf Landesebene Einkommenszuwächse bis zu 8,5%, im Norden witterungsbedingt sowohl mengen- als auch qualitätsmäßige Einbußen bis zu 16,6 %. In den Weinbaubetrieben und in den privaten Forstbetrieben war die Einkommensentwicklung mit plus 16,8 % bzw. plus 15% positiv. Im Gartenbau konnten dank der unternehmerischen Leistung der Betriebsinhaber trotz Energieverteuerung und Wettbewerbsverzerrung im Durchschnitt noch befriedigende Einkommen erzielt werden, wobei es je nach Gruppe — beispielsweise Gemüsebau, Baumschulen und Zierpflanzen — unterschiedlich ist.1979 sind sowohl die relativen als auch die absoluten Einkommensabstände größer geworden. Der Gewinn je Familien-Arbeitskraft betrug im unteren Viertel der schlechter verdienenden Betriebe mit 7 600 DM nur ein Achtel des Gewinns der erfolgreichen Betriebe im oberen Viertel, die ca. 58 000 DM je Familien-Arbeitskraft erreichten. Ich meine, die Erkenntnis und auch die Einsicht nimmt zu, daß der Versuch, das Problem des unteren Viertels ausschließlich mit preispolitischen Mitteln zu lösen, auf die Dauer wohl nicht zum Erfolg führt.
Ich komme gleich zum nächsten wesentlichen Punkt. Wenn Sie diesen Argrarbericht sehr aufmerksam gelesen haben — ich möchte meinen Mitarbeitern, aber auch allen denen, die in den Ländern daran mitgewirkt haben, sehr herzlich danken —, dann werden Sie feststellen, daß es immer noch ein ganz vordringliches Problem gibt. Das ist die Zahl der sogenannten Problembetriebe, das heißt der Zuerwerbsbetriebe und der Vollerwerbsbetriebe mit geringer Produktionsleistung. Hier, glaube ich, wird man eine differenzierte Betrachtungsweise anstellen und auch mit differenzierten Verhaltensweisen bzw. staatlichen Rahmenbedingungen arbeiten müssen. Dabei muß man wohl davon ausgehen, daß ein Teil der Betriebe im Zuge des Generationenwechsels aufgegeben wird. Das beweist auch eine Untersuchung der ASG, der Agrarsozialen Gesellschaft, die sich diesem Thema besonders gewidmet hat. Ein beachtlicher Teil der Betriebe wird den Weg zum kombinierten Einkommen gehen, d. h. zur Nebenerwerbslandwirtschaft. Sicherlich wird auch ein Teil die Entwicklung zur befriedigenden Vollerwerbsexistenz suchen. Für die Betriebe, die keine Alternativen haben, müssen soziale Auffangpositionen geschaffen werden, wie wir sie zum Teil in Form der Landabgaberente schon haben.Ich meine, es kommt besonders darauf an, dem einzelnen Betrieb beziehungsweise dem Wollen des einzelnen Betriebsleiters Rechnung zu tragen. Das können Sie eben nur durch eine einzelbetriebliche Förderung. Es gibt keine pauschale und globale Förderungsmöglichkeit. Sie kann sich nur an dem einzelnen Betrieb orientieren. Daher meine ich, daß das Prinzip der einzelbetrieblichen Förderung im Gegensatz zum von einigen Ländern so favorisierten Agrarkredit richtig ist. Ich will das wegen der Kürze der Zeit nicht vertiefen.Was aber ganz wichtig ist: Wir müssen den Mut haben, diese Problematik offen und redlich mit den betroffenen Landwirten und insbesondere mit der jüngeren Generation zu besprechen. Es ist doppelt notwendig, die jüngere Generation auf die Bedeutung einer guten Ausbildung aufmerksam zu machen, sei es — je nach dem langfristigen Berufsziel
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Bundesminister Ertl— außerhalb, sei es innerhalb der Landwirtschaft. Ich appelliere leidenschaftlich an alle Verantwortlichen — sei es in den Verbänden, sei es in der Politik —, durch eine Kooperation gemeinsam für Offenheit zu sorgen und zur nötigen Information beizutragen.Auch bei einer abgeflachten Konjunktur kann niemand sagen, daß es nicht auch für Jüngere eine Möglichkeit gibt, eine Lehrstelle zu bekommen. Das Angebot an Lehrstellen hat zugenommen. Wenn man die kleinen Landwirte am Lande halten will — und ich will das —, gibt es keinen anderen Weg als eine vollwertige Ausbildung für einen außerlandwirtschaftlichen Beruf, sei es im Dienstleistungsbereich, sei es in Industrie, Gewerbe, Handwerk.Ich möchte zum Strukturwandel grundsätzlich etwas sagen: Er ist ein äußerst komplexer Prozeß, der in einer engen Wechselbeziehung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung steht. Die Entscheidung über den Verbleib in der Landwirtschaft oder die Aufnahme einer nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeit ist letztlich das Ergebnis einer sehr persönlichen Abwägung von Risiken und Chancen, von Vorteilen und Nachteilen der Existenz in beiden Bereichen. Der Landwirt bezieht heute offensichtlich mehr als früher Umstände seiner Existenz in die Abwägung mit ein, die nicht in den gängigen Einkommenszahlen des Agrarberichts zu erfassen sind, z. B. — und ich meine, es ist gut, daß das geschieht — Selbständigkeit, relative Sicherheit des Vermögens und des Arbeitsplatzes, Einheit von Wohn- und Arbeitsplatz, Arbeit in einer intakten Umwelt. Und wir möchten daran auch nichts ändern.Auf der anderen Seite muß die Landwirtschaft erkennen, daß die daraus resultierende Verlangsamung des Strukturwandels nicht ohne Einfluß auf die Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens bleiben kann. Darin wird folgendes deutlich: Nur selten vollzieht sich der Strukturwandel in einem abrupten Übergang von der landwirtschaftlichen Beschäftigung zur ausschließlich außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit. Die Regel ist vielmehr ein Wechsel in Stufen, von Vollerwerb über Zuerwerb schließlich zum Nebenerwerb. Dieser Wechsel vollzieht sich sehr oft im Verlaufe von Generationen.Ganz wichtig in einer konjunkturell schwachen Situation ist, daß es einer mit der Agrarstrukturpolitik verbundenen Regionalpolitik möglich ist, außer-landwirtschaftliche Arbeitsplätze nicht nur zu sichern, sondern neu zu schaffen. Wir kommen nicht darum herum, diese Aufgabe zu bewältigen, wenn wir nicht einen unbefriedigenden strukturellen Stillstand in der Landwirtschaft herbeiführen wollen.Lassen Sie mich einmal die strukturelle Entwicklung seit 1970 darstellen: Der Anteil der Nebenerwerbslandwirte hat sich von 35 % auf 39 % erhöht, der der Vollerwerbsbetriebe von 43 % auf 49 %, der der Zuerwerbsbetriebe hat sich von 22 % auf 12 % vermindert. Der Anteil der Zuerwerbsbetriebe, der das Gros dieser 100 000 Problembetriebe einschließt, hat sich also in zehn Jahren von 22 % auf 12 % vermindert. Darin sehe ich einen Beweis für den richtigen Denkansatz unserer Struktur- und Förderungspolitik. Sonst wäre das gar nicht möglich gewesen. Daneben hat die Regionalpolitik dazu beigetragen, wie sie in unserem Lande auch in Zusammenarbeit mit den Ländern betrieben wird.Ich möchte aus gegebenem Anlaß ein Weiteres hinzufügen: Wer bei einem solchen Prozeß von einer Politik des Wachsens oder Weichens spricht, kennt entweder die Fakten nicht oder betreibt bösartige Polemik.
Das möchte ich hier einmal ganz deutlich sagen; denn man muß doch sehen, daß die Entwicklung zu einem Anteil der Nebenerwerbsbetriebe von 39 %, zu einem Anstieg des Anteils der Vollerwerbsbetriebe und zu einem Schrumpfen des Anteils der Problembetriebe geführt hat. Entweder wollen Sie bewußt Problembetriebe erhalten — das will ich aber niemandem unterstellen —, oder Sie haben einfach die Fakten, wie sie sich vielfältig darstellen — das kann ich hier aus Zeitgründen nicht ausführen —, nicht erkannt und können daraus nicht die nötigen Konsequenzen ziehen. Ich möchte noch hinzufügen, daß dieses böse Wort vom Wachsen oder Weichen — es wird bewußt gebraucht, um Ängste zu schüren und falsche Grundvorstellungen zu erzeugen — schon deshalb widerlegt ist, weil die Durchschnittsgröße unserer landwirtschaftlichen Betriebe, aller Betriebe, von den Nebenerwerbsbetrieben bis hin zu den Vollerwerbsbetrieben, heute — wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe — ungefähr bei 14 ha liegt. Wenn man die Nebenerwerbsbetriebe, also die kleinen Betriebe, die früher die Betriebe der sozial Schwachen und Armen des Landes waren — heute sind sie es auf Grund der kombinierten Einkommen, die von ihnen allerdings mehr Leistung erfordern, Gott sei Dank nicht mehr —, unberücksichtigt läßt, dann kommen wir noch nicht einmal auf eine Durchschnittsgröße von 24 ha bei allen Vollerwerbsbetrieben. Wer hier von Wachsen oder Weichen, von der Tendenz zum Großbetrieb spricht und nicht bestätigt, daß dies eigentlich die Größe eines bäuerlichen Familienbetriebes ist, spricht gegen die Fakten, gegen die Tatbestände.Hinzu kommt folgendes. Ich sage das jetzt nicht, um hier abzulenken; das möchte ich hier gleich betonen. Wenn Sie den Agrarbericht nachlesen, werden Sie feststellen, daß sich das Einkommen der Nebenerwerbslandwirte um 5,3 % erhöht hat, nicht wegen der agrarischen Einnahmen, sondern wegen der außerlandwirtschaftlichen Einnahmen. Eines will ich jetzt feststellen: Die soziale Situation der Nebenerwerbslandwirte, soweit sie einen Dauerarbeitsplatz haben oder auch durch Tourismus — sei es im Fremdenverkehr oder wo auch immer — Dauereinnahmen haben, ist in diesem Lande stabil. Damit ist, wie ich meine, die kombinierte Einkommensform auch für die Zukunft von großer Bedeutung.In diesem Zusammenhang möchte ich als nächsten Block gern die Agrarsozialpolitik erwähnen. Ich meine, daß wir die Frage der Beitragsleistungen durchaus zu untersuchen haben. Sie wissen, wir haben bei den Streichungsnotwendigkeiten der Bundesregierung die Sozialmaßnahmen bewußt ausgenommen. Solche Notwendigkeiten machen natürlich keinem Ressortminister Freude. Wer aber, und zwar
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1398 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Bundesminister Ertlmit Recht, von Staatsverschuldung spricht, muß auch wissen, daß eine der Konsequenzen Kürzungen der einzelnen Etats sind. Wer dann fordert, bei einzelnen Etats keine Kürzungen vorzunehmen, muß ganz klar und konkret — ich hätte nichts dagegen, wenn die 30 Millionen DM für die Fischerei nicht aus meinem Etat gezahlt würden — sagen, welches Ressort aus seiner Sicht die Millionen für die Fischerei aufbringen muß. Er muß dann auch konkrete Beispiele nennen. Es geht nicht an, pauschal zu sagen, die Mittel müßten irgendwo herkommen.
— Die Regierung wägt das schon ab.
— Sie wägt es, meine ich, gar nicht so schlecht ab, wenn ich mir unsere Daten bezüglich Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit anschaue.Neben unsere außenpolitischen und entwicklungspolitischen Verpflichtungen sowie unsere europäischen Verpflichtungen sind auch die agrarischen Verpflichtungen zu stellen. Die Sozialausgaben haben inzwischen einen Umfang von 3,5 Milliarden DM. Meine Mitarbeiter haben ein Konzept entwickelt bzw. Vorschläge erarbeitet, wie man Leistungen und Beitrag vielleicht auch entsprechend der Einkommenssituation in der Landwirtschaft ausgewogener und gerechter verteilen könnte. Ich habe die leidenschaftliche und herzliche Bitte an Sie alle hier in diesem Hohen Hause, aber auch an die Verbände, an einem solchen Konzept mitzuwirken, auch im Interesse von mehr Gerechtigkeit bezüglich Leistungen einerseits und Beitrag andererseits. Ich glaube, hier gibt es Möglichkeiten. Bei einer guten Kooperation läßt sich sicher eine Lösung finden.Ich habe schon darauf hingewiesen, daß auch mein Etat einige Kürzungen hinnehmen mußte, und zwar vorwiegend bei den Gemeinschaftsaufgaben, aber auch in Form der Umstellung der Gasölbetriebsbeihilfe auf rückwirkende Vergütung. Besonders wichtig war die Kürzung der Gemeinschaftsaufgaben; sie schlägt mit 20 % gegenüber dem Vorjahr zu Buche. Ich möchte dazu sagen: Wenn gespart werden muß, muß jedes Ressort sparen. Ich halte mich dazu für verpflichtet. Insoweit kann man, wie ich meine, wenn man sich die Zahlen anschaut, weder von einem Sonderopfer der Landwirtschaft noch davon sprechen, daß die Landwirtschaft ausgeklammert wurde. Beides ist in der Relation falsch.Ich möchte jetzt noch einige Bemerkungen zu der Kürzung von 20 % im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben machen. Ich habe hier und heute bei dieser Debatte eine große Bitte, und zwar vor dem Hintergrund dessen, daß es in den nächsten Jahren sicherlich zunehmend zu einem Dialog über die Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern kommen wird. Ich will jetzt nicht an das erinnern, was ich als Sprecher der damaligen Opposition einmal im Bundestag zu Gemeinschaftsaufgaben gesagt habe. Das ist genauso Schnee von gestern wie das Zustandekommen des gemeinsamen Agrarmarktes und derZollunion. Ich möchte nur folgendes sagen. Ich meine, es ist höchste Zeit — ich habe die leidenschaftliche Bitte an alle politischen Gruppierungen —: Man muß sich klar werden, in welchem Umfang zwischen Bund und Ländern gemeinschaftliche Aufgaben wahrgenommen werden sollen oder nicht.
— Das ist ja eine aufoktroyierte Sache, verehrter Herr Schmitz . Sie haben uns bisher auch noch nicht gesagt, wie Sie die Nettokreditverschuldung reduzieren wollen ohne Kürzung bei den Etats.
— Ich habe auch noch nie welche von Ihnen gehört.
— Die möchte ich gern mal nachlesen. Im Gegenteil, ich habe Ihnen — —
— Ja, was soll denn das? Sie können es mir ja vorlegen, Herr Lemmrich. Wenn Sie so klug sind, können Sie das ja vorlegen.
— Also, so ist es ja wohl nicht.
— Dann muß man wissen, ob es ein objektiver Antrag war.
Eines ist sicher: daß ich bisher noch nie gehört habe, bei welchen Ressorts Sie einsparen wollen und bei welchen Sie abstocken wollen. Das habe ich noch nie gehört.
Vielleicht können Sie mir das einmal während der Haushaltsdebatte vorlegen. Ich bin ja lernfähig.Jetzt will ich sogar deutlich werden, Freunde. Sie haben mich provoziert, und wenn man mich provoziert, dann gehe ich aus mir heraus. Ich lese doch die Protokolle der Konferenzen zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten. Da will ich Ihnen eine sehr nette Geschichte erzählen, Herr Niegel. Vielleicht können Sie, Herr Lemmrich, mal aufhören, die Zeitung zu lesen. Es ist ganz wichtig. Man darf nicht jemanden unterbrechen und dann, wenn er antwortet, ihm nicht zuhören. Ich finde das nicht nobel.
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Bundesminister ErtlIch finde das nicht nobel. Ich meine, unterbrechen kann man einen ruhig, aber dann soll man wenigstens die Kraft aufbringen, die eine Minute zuzuhören, während der er antwortet.
Ich höre ja auch zu. Oder man sagt eben: Mit dem kann ich umgehen, wie es mir paßt. Das nehme ich auch zur Kenntnis.Aber ich will Ihnen mal etwas sagen. Ich bin da z. B. im letzten Herbst zu einer Kabinettsitzung gefahren und lese in der Zeitung — das muß j a ein Kabinettsmitglied auch, ganz gleich ob die Lektüre erfreulich ist oder nicht; meistens lese ich ja sowieso, was wir beschließen, in der Zeitung; das heißt, ich höre im Südwestfunk um 9 Uhr meistens schon, was ich zu beschließen habe; das freut mich auch immer sehr —, aber wie immer das ist: ich lese, die Ministerpräsidenten haben sich mit dem Bundeskanzler geeinigt, die Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben zu entsperren. Ich habe gedacht, da muß die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur auch dabei sein. Ich habe dann dafür gesorgt, die Haushaltsleute wissen es, daß für die 30 Millionen eine Entsperrung erfolgt. Ich habe mich auch genau erkundigt, welche Positionen die Ministerpräsidenten eingenommen haben. Da war relativ wenig die Rede von der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz. Wenn ich richtig im Bilde war, hat sich nur ein einziger Ministerpräsident für die Entsperrung bei dieser Gemeinschaftsaufgabe ausgesprochen. Aber ich sage das mit Vorbehalt.
Es hat sich nur ein einziger dafür ausgesprochen, meine verehrten Freunde. Wenn ich richtig informiert bin — ich habe auch wieder das Protokoll gelesen —, ist bei der letzten Ministerpräsidentenbesprechung überhaupt nur noch vom Hochschulbau— ich habe nichts gegen den Hochschulbau —, aber nicht mehr von Küstenschutz und Agrarstruktur gesprochen worden.
— Ich will doch hier kein Schwarzer-Peter-Spiel betreiben. Dazu ist mir die Sache viel zu ernst. Nein, ich habe nur Fakten beigetragen, und dazu bin ich provoziert worden. Sie werden mir doch gestatten, daß ich auf eine Provokation antworte. Das wird ja noch in dieser Demokratie erlaubt sein. Dafür sorge ich schon. Das lasse ich mir auch nicht verbieten. Nein, dafür bin ich ja da. Vielmehr geht es mir darum: es muß Klarheit herrschen, weil es eine unserer föderativen Verfassung entsprechende Aufgabe ist, Klarheit zwischen Bund und Ländern zu schaffen, in welchem Umfang wir Gemeinschaftsaufgaben wollen, in welcher Form sie dotiert werden sollen. Diese Klarheit herbeizuführen halte ich für eine vordringliche Aufgabe.
Herr Bundesminister, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen. Ich möchte, weil ich nicht weiß, wie lange Sie noch reden, Gäste aus
Finnland begrüßen. Auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation des finnischen Reichstags Platz genommen. Ich freue mich darüber, daß Sie den Deutschen Bundestag besuchen, und begrüße Sie sehr herzlich. Ich wünsche Ihnen in der Bundesrepublik einen guten Aufenthalt.
Herr Minister, da ich nicht weiß, wie lange Ihre Rede noch dauert, dachte ich, es wäre angemessen, die Delegation zwischendurch zu begrüßen.
Herr Präsident, wenn Sie sagen, ich soll aufhören, dann höre ich auf. Ich bin ja gewohnt zu gehorchen.
— Wenn ich mag!Es ist wirklich eine ganz wichtige Frage: Was soll gemeinschaftlich finanziert werden, was soll getrennt finanziert werden? Dazu gehört natürlich dann auch die Frage der Steueraufteilung; das ist selbstverständlich. Aber lassen Sie mich dieses Kapitel verlassen.Wenn man die Finanzierung der Landwirtschaft anschaut, muß man, meine ich, zwangsläufig natürlich auch die EG-Marktordnungsausgaben mit einbeziehen. Natürlich kommen sie nicht alle der deutschen Landwirtschaft zugute, sondern auch die übrigen EG-Landwirtschaften werden daraus mit finanziert. Daß aber aus der finanziellen Sicht und unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft die EG-Marktordnungsausgaben zu berücksichtigen sind, ist, glaube ich, unbestreitbar und richtig. Dabei ist es nicht angebracht — ich möchte jetzt die Zahlen nicht nennen —, zu sagen, daß die Maßnahmen auf meinem Sektor von überproportionalen Sparbeschlüssen gekennzeichnet sind.Meine Damen und Herren, die strukturelle Vielfalt unserer Landwirtschaft ist nach meiner festen Überzeugung die beste Garantie dafür, daß sie nicht am Weltmarkt vorbei produziert, sondern flexibel genug bleibt, die Produktion von Gütern zu verstärken, für die ein volkswirtschaftlicher Bedarf besteht oder absehbar ist. Ich meine hier, daß in Zukunft die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen sowohl die Nahrungsmittelmärkte entlasten als auch neue Einkommenschancen bieten kann. Gleichzeitig würde damit ein Beitrag zur Energie- und Rohstoffversorgung geleistet werden. Wir sind auch in unserem Lande dabei, hier sowohl die wissenschaftliche Entwicklung wie auch die Möglichkeiten praktischer Anwendung mit Hilfe des Bundes zu verstärken und zu nutzen. Es gibt gar keinen Zweifel daran, daß auf diesem Sektor seitens der Wissenschaft, aber auch der Praxis noch ein erheblicher Bedarf an Entwicklungsarbeit gegeben ist. In der Bundesrepublik sind seit 1979 bis heute 55 Einzelvorhaben mit einem Zuschußvolumen vom 12, 5 Millionen DM gefördert worden. Auch unsere Nachbarn entwickeln erhebliche, vielfältige Programme. Es ist zu überle-
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1400 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Bundesminister Ertlgen, inwieweit nicht auch staatliche Anreize notwendig sind zur Erzeugung und Verarbeitung von Industrie- und Energiepflanzen; denn dies wird eine Frage sein, die für uns alle auch im Hinblick auf die durch die Energieverteuerung entstandene weltweite Situation von großer Bedeutung ist. Daß dabei dem Wald und somit dem Forst eine große Bedeutung zukommt und daß für viele unserer bäuerlichen Betriebe der Forstwirtschaftsanteil sehr wesentlich ist, brauche ich hier nicht besonders zu erwähnen.Ich möchte noch einige Bemerkungen zu dem Verhältnis von Landwirtschaft zu Umwelt und Naturschutz machen.
- Darauf komme ich gerade; Sie können sich darauf verlassen.
- Ich würde mal sagen, ich bin da sehr — —
— Ja, da bin ich sehr flexibel — das will ich Ihnen mal sagen —, weil ich die Erfahrungen der Schweiz und Amerikas mit der Verbandsklage und auch die Probleme kenne, die durch eine falsch formulierte Verbandsklage entstehen können. Ich kenne beide Seiten.
— Mein Kreuz ist ein sehr breites. Da muß erst mal einer ganz schön Kraft entwickeln, um mich aufs Kreuz zu legen. Bisher habe mehr ich aufs Kreuz gelegt als andere mich; darauf können Sie sich verlassen. Das liegt an meiner körperlichen Statur. Sie können es mal mit mir probieren,
vielleicht auch mit Fingerhakeln.
Wir machen es dann schon, wie sich's gehört: im körperlichen Clinch.Wir können unsere Lebensgrundlagen nur sichern, wenn wir die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter ungeschmälert erhalten. Ich meine, daß die Einsicht in die ökologischen Zusammenhänge die Ökonomen und die Ökologen langfristig und grundsätzlich zusammenführt. Gemeinsames Ziel aller muß sein, mit unseren unersetzlichen Naturgütern so schonend wie möglich umzugehen, damit auch kommende Generationen in unserem Land leben und wirtschaften können. Der Mensch kann nur mit der Natur leben, nicht aber gegen sie. Das wissen allerdings unsere Landwirte zuallererst. Zudem sollten wir stolz darauf sein, daß wir in einer Umwelt leben, die als Kulturlandschaft nicht zuletzt aus dem jahrhundertelangen Wirken von Förstern und Bauern hervorgegangen ist. Es geht darum, auch in Zukunft eine Kulturlandschaft zu erhalten. Dazu gehört nicht nur die funktionsfähige Natur, sondern auch die ausgewogene ländliche Siedlungsstruktur. Ich sage zum wiederholten Male: Ausländer und auch mein eigenes Gefühl sagen mir, unser Land ist ein schönes Land, von Flensburg bis Berchtesgaden, von Bayerisch-Eisenstein bis zum Rhein. Und das nicht zuletzt auch deshalb, weil es uns gelungen ist, eine vielfältige, offene Landschaftsstruktur, aber auch Siedlungsstruktur zu erhalten. So füge ich auch hinzu: Naturschutz und Landschaftspflege bleiben ohne Mitwirkung derjenigen, die über die Bodennutzung verfügen, Stückwerk. Deshalb hat hier die Landwirtschaft eine große gesellschaftspolitische Verpflichtung, die auch in der Neuformulierung der bisherigen Landwirtschaftsklausel im Naturschutzgesetz zum Ausdruck kommen wird.Die Bundesregierung setzt sich für die Begrenzung des Landschaftsverbrauchs, die Eindämmung der Schädigung unserer Natur sowie für den Schutz einer artenreichen Pflanzen- und Tierwelt ein.Mit gleicher Zielsetzung hat die Koalition vereinbart, die Verbandsklage im Naturschutzgesetz zu verankern. Dabei sollten nur vom Bund oder von den Ländern anerkannte qualifizierte Naturschutzverbände ein Klagerecht erhalten, und zwar nur für Maßnahmen, die mit erheblicher Beeinträchtigung von Natur und Landschaft verbunden sind. Damit Sie es sehr klar wissen: Ich würde niemals mein Jawort dazu geben, daß jede kleine Gruppe von sich aus ein Klagerecht bekommt, denn das würde in der Tat zu einer Blockade unseres gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens führen. Hier muß die nötige fachliche Voraussetzung und auch das nötige Verantwortungsbewußtsein gegeben sein, und das kann nur durch bundesweit anerkannte Verbände oder auch durch landesweit anerkannte Verbände möglich sein. Das Klagerecht muß auch so gestaltet sein, daß es sich wirklich um erhebliche Eingriffe handeln muß. Es kann nicht — das ist sehr simpel, sehr einfach — ein Verbandsklagerecht für jeden Strauch oder jeden einzelnen Ast geben. Ich habe das sicherlich überspitzt ausgedrückt und bin mir auch dessen bewußt, daß verantwortungsbewußte Naturschützer so etwas nicht wollen.Die Erhaltung des Artenreichtums sollte als kulturelle Verpflichtung ebenso selbstverständlich sein wie die Bewahrung der von Menschenhand geschaffenen Kulturgüter wie Gemälde, Skulpturen und anderes mehr.Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren habe ich wiederholt auf die Problematik hingewiesen, die uns in diesem Jahrhundert oder auch noch im nächsten Jahrhundert erwarten wird bezüglich der Verbindungen zwischen Ernährungs-, Energie- und Umweltproblemen. Ich bin oft deshalb kritisiert worden. Mir wurde unterstellt, ich wolle dabei von aktuellen Problemen der EG-Agrarpolitik ablenken und ähnliches mehr. Ich möchte heute aber erneut — eben weil ich meine Auffassung im Verlauf des letzten Jahres immer wieder bestätigt gefunden habe, auch in vielen internationalen Analysen — auf einige Punkte hinweisen, auf die wir perspektiv Rücksicht zu nehmen haben und zu deren Lösung wir durch aktives Handeln beizutragen haben; denn die Trends haben sich verstärkt. Es sind folgende Fakten:
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Bundesminister ErtlDas Bevölkerungswachstum in der Welt ist ungebrochen. Wir haben im Jahr 2000 mit 6 Milliarden Menschen zu rechnen. Es gibt sogar Rechnungen, die von 7 Milliarden sprechen. Die Welterzeugung an Getreide, dem wichtigsten Nahrungsgut, wird nach Schätzungen der FAO von Ende 1980 nun schon im dritten Jahr hintereinander stagnieren. Die Weltgetreidevorräte werden am Ende der laufenden Saison nur noch 14 % des Weltverbrauchs ausmachen gegenüber 17 %, die zur Sicherung der Welternährung allgemein als notwendig erachtet werden.Wegen der besorgniserregenden Energieverteuerung besteht kaum Aussicht auf schnelle Mobilisierung der Produktionsreserven in den Entwicklungsländern. Sie werden weiterhin an Mangel an Kaufkraft leiden. Auch der ägyptische Landwirtschaftsminister hat mir beredt berichtet über die Hungerkatastrophen in Teilen Afrikas. Hinzu kommt, daß mit zunehmender Energieverteuerung Agrarprodukte wie Zucker und Mais als Energierohstoff der Verwendung für Nahrungsmittelzwecke entzogen werden.Schließlich werden die Grenzen der Landnahme und der Nutzung unserer natürlichen Ressourcen immer deutlicher. Jährlich gehen allein durch das Vordringen der Wüste 6 Millionen Hektar ehemals wertvollen Ackers und Weidelands verloren. Die Auswirkungen von Überschwemmungen und Trokkenheit will ich gar nicht weiter erwähnen.All das in seiner Gesamtheit ist für mich weder ein Anlaß, aktuelle Probleme der EG-Agrarmärkte herunterzuspielen, noch ein Anlaß, daran unangemessene Erwartungen zur dauerhaften Lösung der Einkommensfrage unserer Problembetriebe zu knüpfen. Meines Erachtens ist es allerdings sehr notwendig, Lösungen in diesem weltweiten Zusammenhang zu sehen und vor übereilten Schritten zu warnen.Ich wollte noch einige Bemerkungen zu der Substitutionsproduktion machen. Ich will es mir wegen der aktuellen Berichte schenken. Aber eines lassen Sie mich noch kurz erwähnen. Zur verantwortlichen Ernährungspolitik gehört nicht nur eine ausreichende Versorgung der Verbraucher, sondern auch eine Versorgung mit höchster Qualität. Das gilt sowohl für die Gesundheit — ich sage deutlich: Gesundheit hat Priorität — als auch für die Qualität im allgemeinen. Wer gegen die Regeln des Lebensmittelrechts und Futtermittelrechts verstößt, hat keine Gnade zu erwarten, sondern wird mit der nötigen gesetzlichen Härte bestraft.
Aber ich wehre mich sehr entschieden dagegen, der Landwirtschaft pauschal zu unterstellen, sie produziere mit Methoden, die unseren Anforderungen hinsichtlich der Qualität nicht entsprächen oder gar gegen die gesetzlichen Bestimmungen des Lebensmittelrechts oder Futtermittelrechts verstießen. Es handelt sich hierbei um eine Minderheit. Diese Minderheit — ich muß das zur Ehrenrettung des Berufsstandes sagen — erfährt auch keine Unterstützung durch den Berufsstand. Ich habe keinen Verantwortlichen gehört, der diese Leute in Schutz genommen hat. Ich wäre allerdings sehr dankbar, wenn dieseFragen nicht polemisch und emotional, sondern in einem sachlichen Dialog ausdiskutiert und die Mißstände durch Handlungen beseitigt werden würden.
— Das gilt für alle. Es gibt überall schwarze Schafe. Selbst bei der CDU/CSU soll es schwarze Schafe geben.Ich möchte auch noch gern darauf hinweisen, daß die EG Agrareinfuhren in einem Wert von immerhin 73 Milliarden DM getätigt hat und damit unverändert der größte Nahrungsmittelimporteur der Welt ist. Seit 1960 ist der Nahrungsmittelimport der EG aus Drittländern um mehr als 200 % angestiegen.Es wird oft gesagt: Aber bei den Gütern, die importiert werden, handelt es sich nicht immer um solche, die in der EG produziert werden. Zugegebenermaßen wird ein Großteil nicht in der EG produziert. Aber das liegt an den natürlichen Voraussetzungen. Das zu erwähnen gehört auch zur Versachlichung der Diskussion. Subtropische Länder werden niemals hochspezialisierte tierische Veredelungsproduktionen haben, sondern sie werden eben subtropische Produkte erzeugen, weil die Art der Agrarprodukte vom Boden, Klima und von den Menschen abhängig sind. Das ist der große Unterschied zwischen agrarischer Produktion und industriell-gewerblicher Produktion.Mit den Thailändern haben wir inzwischen ein Substitutenselbstbeschränkungsabkommen ausgehandelt. Ich möchte Sie davon nur informieren.Damit komme ich zu den Schlußbemerkungen. An die Öffentlichkeit möchte ich abschließend appellieren, den Bauern nicht immer nur den Vorwurf zu machen, daß sie zuviel produzieren. Wir sollten ihnen auch einmal dafür danken, daß sie nicht nur die eigene Bevölkerung reichhaltig, vielfältig und kostengünstig ernähren, sondern auch in der Lage sind, Reserven zu mobilisieren, wenn irgendwo in der Welt Mangel herrscht. Eine der wichtigsten Hilfen — so hat der Außenminister im Kabinett berichtet — sind für Polen in seiner gegenwärtigen schwierigen politischen und für uns besorgniserregenden Situation sicher die Nahrungsmittellieferungen der Gemeinschaft.Wir können uns glücklich schätzen, daß unser Tisch seit 30 Jahren immer reichlicher gedeckt worden ist. Angesichts der Not und des Hungers in weiten Teilen der Welt haben wir die Verpflichtung, mit unseren Vorräten zu helfen. Wir haben das auch getan. Im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe hat sich die EG u. a. zu jährlichen Lieferungen von 1,65 Millionen Tonnen Weizen, 150 000 Tonnen Magermilchpulver sowie 45 000 Tonnen Butteröl im Werte von über 1,5 Milliarden DM verpflichtet. Dies ist kein Ersatz für eine planvolle Entwicklungshilfe, aber eine humanitäre Verpflichtung, da auf akute Notstände geantwortet werden muß.Unsere Landwirtschaft erbringt ihre hohen Leistungen in den letzten Jahren bei teilweise unbefriedigenden Einkommen und mit größerem Arbeitsein-
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Bundesminister ErtlSatz, als dies in vielen anderen Bereichen unserer Wirtschaft üblich ist. Das betrifft zumindest Wochenendarbeit und Urlaub. Dies gilt vielleicht am meisten für unsere Bäuerinnen mit doppelter Belastung in Betrieb und Familie, denen mein besonderer Dank gilt. In den Dank für die Leistungen unserer Landwirtschaft möchte ich unsere gesamte Ernährungswirtschaft einschließen, die wesentlich mit dazu beigetragen hat, daß die Verbraucher mit qualitativ hochwertigen und preiswerten Nahrungsmitteln versorgt werden. Auch das ist ein Grund dafür, daß wir unseren Agrarexport so verstärken konnten.Die Lebensmittelpreise sind im Berichtsjahr wieder weniger stark als die Preise für sonstige Güter und Dienstleistungen des privaten Bereichs gestiegen. Ich möchte noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen — auch das sollte man nicht unterbewerten —: Die Nahrungsmittelpreise haben in den letzten drei Jahren erheblich dazu beigetragen, daß unsere Preissteigerungsrate noch erträglich blieb, und haben auch im abgelaufenen Jahr erneut dämpfend auf den Anstieg der Kosten für die Lebenshaltung insgesamt gewirkt. Dies ist Ausdruck unseres fortwährend steigenden Lebensstandards, woran aber auch die Landwirtschaft teilhaben muß. Die Bundesregierung hat viel Verständnis für die gegenwärtigen Sorgen unserer Landwirte. Sie setzt aber auch auf ihr Verständnis für die marktwirtschaftlichen und haushaltspolitischen Zwänge, denen wir derzeit alle in einem schwierigen ökonomischen Umfeld unterworfen sind. — Ich danke Ihnen.
Der Agrarbericht ist eingebracht. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Abgeordneter Kiechle das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Ertl hat heute mit der Einbringungsrede den Bericht vorgestellt, der, wie üblich, über die Lage der Landwirtschaft Auskunft gibt. Er hat dabei Vorbemerkungen zu Europa gemacht. Ich glaube, diese Vorbemerkungen, die er gemacht hat, unterstreichen wir von der Opposition, von der CDU/CSU vorbehaltlos. Nur, Herr Minister, das müssen Sie am Kabinettstisch erzählen! Das müssen Sie nicht uns sagen!
Wir verteidigen dieses Europa draußen dauernd. Aber was machen denn Ihre Kollegen? Der Herr Bundeskanzler sagt: Da fallen ihm nur Witze ein, wenn er an Europa denkt.
Der Herr Bundesfinanzminister versteigt sich dazu, auf einer großen Versammlung oder gar großen Konferenz der SPD zu sagen: Ich wünsche mir einen Volksaufstand, damit ich endlich drüben in Brüssel die Kosten dämpfen kann.
So wird gegen Europa geredet.
Das sind Ihre Kabinettskollegen. Wir sind mit Ihnen schon einverstanden, aber Sie sind, entschuldigen Sie, in diesem Punkt nicht einmal mehr ein einsamer Rufer in der Wüste, sondern Sie haben in diesem Punkt — das muß ich ganz offen sagen — jedenfalls für mich eine ganz merkwürdige Stellung, weil Ihnen Ihre eigenen Kollegen aus beiden Fraktionen in den letzten Monaten dauernd und nachhaltig die politische Bedeutung, die Sie in dieser Kabinettsrunde einmal hatten, sagenhaft demontiert haben.
Deswegen reicht es wahrhaftig nicht mehr, nur von Ihnen viel zu Europa zu hören, sondern das Gesamtbild, das das Kabinett in seinen Aussagen macht, muß stimmen, damit es glaubwürdig wird. Weil es nicht stimmt, ist es nicht glaubwürdig.Nun haben Sie gesagt, wir Deutschen sollten uns nicht zuviel auf unsere EG-Finanzleistung einbilden. Auch da stimme ich Ihnen zu. Es steht dem Reicheren sehr wohl an, wenn weniger Reiche etwas vom gemeinsamen Tisch haben wollen — und Europa sollte ein gemeinsamer Tisch sein —, sich das nicht auch noch mit viel Getöse abkaufen zu lassen, sondern es steht ihm sehr wohl an, dabei etwas bescheiden zu sein. Dadurch macht er sich Freunde. Wenn er trotzdem zahlen muß und dann noch etwa die großspurige Aussage in der Welt verbreitet, wir seien nicht die Zahlmeister Europas, macht er sich erstens keine Freunde und zweitens zahlt er trotzdem, solange der Vertrag eingehalten wird. Dafür haben Sie ja — sicher mit Einverständnis des ganzen Hauses — richtig plädiert.Herr Minister, Sie haben sehr lange zur Fischereipolitik gesprochen, aber Sie haben sich in Ihrem Bericht lange nicht bei dem aufgehalten, was bei den Preisverhandlungen in der vergangenen Nacht betreffend die Landwirtschaft in Europa erreicht worden ist. Uns fehlen jetzt natürlich die schriftlichen Unterlagen über dieses Ergebnis, aber das, was wir erfahren haben, bedarf schon ein bißchen näherer Erläuterung, als Sie hier gegeben haben.Die Preiserhöhung beträgt 9,6 %. Für Normalsterbliche klingt das nach einem sehr beachtlichen Anstieg der Erzeugerpreise. Wenn ich richtig informiert worden bin, werden bei den Deutschen wegen des Abbaus des Grenzausgleichs grundsätzlich knapp 5 %, nämlich 4,8 %, ankommen. Das ist ein Stützungspreis, kein direkter Preis. Auf Grund dessen, was ich errechnen kann, mache ich hier die Aussage: Die deutschen Bauern können bei den Marktordnungspreisen — jedenfalls im Schnitt — mit etwa einer 2,5 %igen Preisanhebung rechnen.
Dem steht die entsprechende Betriebsmittelkostenbelastung von 5 bis 6 % gegenüber, die ja nun real ist. Dem steht auch das allgemeine Inflationsniveau gegenüber.Aber das ist noch nicht alles. Sie haben offensichtlich zugestimmt, daß der Grenzausgleich bei der Milch — immer vorausgesetzt, die Informationen,
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Kiechledie ich bekommen habe, stimmen — um 6,6 % und nicht um 4,8 % abgebaut wird,
so daß dabei noch ein Preisanstieg — wiederum auf den Stützungspreis bezogen — von 3,2 % möglich wäre. Wenn dann noch, wie ich höre, die von mir in dieser Form immer abgelehnte Mitverantwortungsabgabe — sie trifft global alle gleich, ob sie mehr produzieren oder nicht — um ein halbes Prozent erhöht worden ist, dann sieht für unsere deutschen Bauern, soweit sie Milch produzieren, das Brüsseler Ergebnis so aus, daß sie am Schluß eine Preiserhöhung von 0,9 Pfennig haben werden. Dies, meine Herren, ist sehr, sehr bescheiden. Das ist also noch nicht einmal eine Preiserhöhung von 2 % bei der Milch. Dazu hätten Sie, jedenfalls nach meiner Meinung, schon ein bißchen mehr sagen können.Auch der Agrarbericht selber — das lag aber wohl daran, wie Sie selbst gesagt haben, daß Sie ihn nicht mit Freude vorgelegt haben — ist von Ihnen natürlich nicht besonders im Detail kommentiert worden. Aber das Ergebnis, das der Agrarbericht für jedermann ersichtlich nach außen gebracht hat, läßt sich ja auch an wenigen Zahlen erläutern. Da muß ich schon sagen: Dieser Agrarbericht weist aus, Herr Minister, daß Ihre Politik und die Ihres Kabinetts auf diesem Sektor, nämlich auf dem Sektor der Agrarpolitik, in den beiden letzten Jahren ein ganz schlechtes Ergebnis vorweisen muß. Ich komme nachher noch darauf zu sprechen.Erinnern wir uns einmal gemeinsam daran, daß der gleiche Bundesernährungsminister 1970 von diesem Platz aus bei seiner ersten Einbringungsrede sehr freudig verkündet hat, daß der Bundeskanzler der Landwirtschaft in der Regierungserklärung die Teilnahme an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung in vollem Umfang versprochen habe; dies sei wohl mit auch sein Werk. Vier Jahre später, 1974, war das Wort „voller Umfang" aus der Regierungserklärung schon verschwunden, die Abschwächung also beträchtlich. Die letzte Regierungserklärung hat der Land- und Forstwirtschaft allerdings nur noch eine ganz geringe Wertschätzung eingeräumt, Herr Bundesminister. Mit keinem Wort hat da der Bundeskanzler, der nach dem Grundgesetz die Richtlinien der Politik bestimmt, dieses wichtige agrarpolitische Ziel der Teilnahme der Landwirtschaft an der Einkommensentwicklung überhaupt noch angesprochen.
Er hat der Agrarpolitik — ich glaube, das war ein Novum — nicht einmal einen eigenen Abschnitt in seiner Regierungserklärung eingeräumt, wobei das nicht einmal ein Versäumnis war, wie ich mir habe sagen lassen, sondern auf Weisung des Bundeskanzlers so geschehen war; die Entwurfsformulierung sei gestrichen worden.
Für die Bauern, die Bäuerinnen und die Landjugend, gerade für sie, bleibt als Ergebnis der agrarpolitischen Zielansprache Schmidt/Genscher, daß die Regierung an der gleichrangigen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung der landwirtschaftlichen Erwerbspersonen achtlos vorübergeht.Nun hat der Bundeskanzler eine Reihe von Maßnahmen im Bereich der europäischen und nationalen Agrarpolitik vorgeschlagen, die — ich muß es leider sagen — die Einkommenssituation der Landwirtschaft noch zusätzlich verschlechtert. Hat er seine Regierungserklärung unter das Motto gestellt „Mut zur Zukunft" — sie wurde übrigens in den Medien weitgehend, nicht etwa nur von der Landwirtschaft, sondern allenthalben, zerrissen —, so hat diese Regierungserklärung nicht nur keinen Mut zur Zukunft gebracht, sondern bei der ländlichen Bevölkerung zu Resignation, Ärger, ja sogar teilweise zu Empörung geführt.Die wirtschaftlichen Ergebnisse auf den deutschen Bauernhöfen und die verschiedenen Aussagen, die von einer Reihe von Koalitionspolitikern gemacht wurden, haben eher zur Hoffnungslosigkeit geführt und treiben die Bauern heute zu Hunderttausenden auf die Straße. Die Bauern fühlen sich von der Bundesregierung und den beiden Parteien SPD und FDP im Stich gelassen. Wenn die Bauern ihren Unmut und ihre Sorgen öffentlich zum Ausdruck bringen, dann tun sie dies in friedlichen und, wie ich meine, auch äußerst disziplinierten Kundgebungen. Sie bekunden damit übrigens auch ihre positive Einstellung zu diesem unserem gemeinsamen Staat; andere könnten sich da gelegentlich eine Scheibe als Verhaltensmuster abschneiden.
Ich möchte auch für die Unionsfraktion den Bauern gegenüber ganz offen bekunden, daß unsere Sympathie und unser Verständnis ihren Anliegen und ihren Sorgen gilt. Wir erkennen diese staatstragende und staatsbejahende Haltung, die sie auch in dieser Zeit und angesichts dieses Vorganges zeigen, durchaus dankbar an.Ich halte es allerdings für eine politische Merkwürdigkeit, daß der Bundeskanzler und auch Sie, Herr Minister Ertl, diesen Bauernkundgebungen bisher nicht sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt haben. Sie hüllen sich entweder in Schweigen oder — nicht Sie persönlich, aber andere Mitglieder Ihres Kabinetts — äußern dann neben unverbindlichen Worten auch entsprechende Worte der Kritik.Ich weiß aus vielen Begegnungen mit Bauern, deren Angehörigen und vor allem auch der Landjugend aus der jüngsten Zeit, wie die Stimmungslage an der Basis — um einmal diesen Begriff zu gebrauchen — ist. Zunehmend macht sich unter diesen Bürgern — ich sage das mit vollem Ernst und auch noch aus ganz anderen Beweggründen — Empörung darüber breit, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien offensichtlich Hausbesetzern, also in der Regel Rechtsbrechern, und Randalierern, Chaoten und Gewalttätern mehr politische Aufmerksamkeit zollen als den vielen hart arbeitenden rechtschaffenen Bauern und deren Familien.
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KiechleIch möchte auch eine kurze Anmerkung zu den Berichterstattungen der öffentlich-rechtlichen Medien machen. Während über die Bauernprotestkundgebung am vergangenen Freitag in Bonn — es waren immerhin 30 000 Bauern hier, ohne daß Fensterscheiben geklirrt haben und ähnliches mehr — in Fernsehen und Rundfunk nur am Rande und zum Teil mit negativer Kommentierung berichtet wurde, überboten sich die Anstalten, insbesondere die des Rundfunks, mit Nachrichten, Kommentaren und Interviews über den sogenannten Hausbesetzerkongreß, der immerhin eine Veranstaltung des Rechtsmißbrauchs darstellte, in Münster.
Ich halte dies, meine Damen und Herren, für eine gesellschaftspolitisch höchst bedenkliche Verschiebung der Wertvorstellungen im Zusammenleben der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
Die wirtschaftliche Talfahrt, in der sich die Landwirtschaft befindet, auch die ständig zunehmende Diffamierung der land- und forstwirtschaftlichen Betätigung in der Öffentlichkeit, steht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der politischen und geistigen Haltung der meisten Mitglieder der Bundesregierung unter Helmut Schmidt. Ich muß das einmal ganz offen sagen. Es hat j a keinen Sinn, wenn man immer nur drumherumredet. Der Herr Bundeskanzler Schmidt, die Bundesminister Matthöfer, Huber, Apel, Baum und Lambsdorff sind alle mehr oder minder in einer Art Funktions- und Funktionärsdenken des technischen Zeitalters verhaftet, das es ihnen fast unmöglich macht, anderen Lebens- und Arbeitsbedingungen, wie sie in der Land- und Forstwirtschaft von der Natur her nun einmal vorgegeben sind, mit einer angemessenen Politik zu begegnen. Eine Ausnahme machen Sie, Herr Bundesminister Ertl; das ist richtig. Aber Ihr politisches Gewicht — ich habe das schon eingangs gesagt — ist zwischenzeitlich geringer geworden, um es einmal ganz höflich zu formulieren. Wir, die Union, haben uns nicht beteiligt an diesem Spiel,
an diesen Schüssen aus dem Hinterhalt mit alter Munition. Wir waren es nicht;
es waren schon Leute aus anderen Reihen, solche, die sonst seine Verbündeten sind.
Aber das Ergebnis ist auch uns nicht gleichgültig. Herr Bundesminister, Sie sind — ich sage das einmal ganz offen —, so wie wir es beurteilen, zur Belastung für die Koalition geworden, und Ihre eigenen Linken beschießen Sie.
Das brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen, aberich möchte es hier offen aussprechen, um auch deutlich zu machen, daß wir Ihnen gegenüber in diesen Dingen fair gewesen sind.
Wir sind aber natürlich nicht dazu da, sozusagen Ihre eigenen Heckenschützen ausfindig zu machen. Aber Ihr verringertes Gewicht innerhalb des Kabinetts — das damit wohl auch sinken sollte; das ist es, was uns stört
— na gut —, ist uns nicht gleichgültig, weil wir glauben, daß damit auch der Landwirtschaft nichts Gutes getan wird. Für die Macher, so wie sich der Herr Bundeskanzler gerne sieht, ist es — vielleicht unbewußt, das gebe ich zu — ein tiefes Ärgernis, daß es in dieser technischen Welt immer noch Dinge gibt, die wachsen müssen, die z. B. vom Wetter abhängen, Dinge also, die man nicht machen kann, wie natürliche Wachstumsrhythmen und Fruchtsbarkeitsgesetze. Der Frankfurter Psychologe Tobias Brocher hat dies in aller Kürze so bezeichnet: Es handelt sich um Dinge, die die Allmachtvorstellung der technischen Machbarkeit ärgerlich in Frage stellen.Wer nun die Agrarpolitik der Bundesregierung von SPD und FDP über ein Jahrzehnt lang aufmerksam beobachtet hat, wird unschwer erkennen können, daß diese Politik von einer bemerkenswerten — ich will es einmal so nennen — Verleugnungstendenz begleitet gewesen ist. Der Bauer wird in der öffentlichen Wertschätzung und Wertstellung wie in ständischen Zeiten immer als einer der Letzten betrachtet. Dies wird zwar nicht so offen ausgesprochen, aber die Taten der Regierenden belegen dies eindeutig.
Mit zunehmender finanzieller Unbeweglichkeit der Bundesregierung wird dann der Chor derer, die die Landwirtschaft angreifen, um nicht zu sagen: diffamieren, immer größer. Es wird dann in unverantwortlicher Weise von Überschüssen geredet. Der Bundeskanzler und der Bundesminister lamentieren nur noch über die angeblich zu hohen Kosten, aber der allgemeinen Verleumdungskampagne gegen die Bauern, wie etwa bei der tierischen Produktion, tritt dann außer dem Herrn Ertl, der dies immer wieder einmal versucht, niemand mehr entgegen. Die Bundesregierung sagt nichts dazu, daß die Agrarpreise die Billigmacher im Warenkorb sind, außer einmal im Jahr hier bei der Agrardebatte.Ich möchte hier einmal ein Beispiel dafür nennen, was ich meine. Ich möchte damit auch diese — ich sehe es so — ideologische Verklemmtheit der Bundesregierung belegen. Sehen Sie, als einzelne Bauern rechtswidrig, wie ich deutlich sage, ihren Tieren verbotene Masthilfsmittel verabreicht hatten und dabei erwischt worden sind, hat sich der frühere Staatssekretär Professor Wolters, mit dem wir uns hier oft auseinandersetzen mußten und es auch getan haben, um eine sachliche Klärung dieses Tatbestandes bemüht. Seine Einlassungen paßten nicht in das ganze Diffamierungskonzept, und dann wurde er als Opfer des Herrn Bauerngegners Bäumer
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Kiechleschlicht und einfach weggejagt. Das meine ich, wenn es um tiefere, nicht nur um oberflächlich gesehene Ursachen der Betrachtungsweise der Anliegen der Landwirtschaft durch diese Bundesregierung geht.
Ich will die aktuelle Lage in Polen, meine Damen und Herren, die Not, unter der die Menschen dort leben müssen — die dortige Lebensmittelnot —, nicht dazu nutzen, um bei uns bestehende Probleme zu verniedlichen. Aber es zeigt sich gerade in den jüngst vergangenen Zeiten, wie wichtig es ist, eine gesunde, leistungsfähige Agrarwirtschaft zu besitzen, um in Notfällen helfen zu können.Wenn in diesen Tagen erneut über Nahrungsmittelhilfen für Polen gesprochen wird, so sollten sich die vielen Kritiker an den deutschen und europäischen Bauern darüber im klaren sein, daß außer den Bauern niemand in den Industrienationen in der Lage ist, die erforderlichen Mengen an Nahrungsmitteln bereitzustellen. Das gleiche gilt übrigens auch für die Welthungerhilfe, was vorhin bei der Einbringungsrede schon gesagt worden ist.Es wäre ganz gut, wenn man sich bei der Bundesregierung statt nur die Tages- und Monatsentwicklungen, die Tendenzen der letzten drei Jahre an den Weltagrarmärkten etwas genauer betrachten würde. Wir glauben jedenfalls feststellen zu können, daß auf jeden Fall mittelfristig, wahrscheinlich langfristig noch mehr, der Weltmarkt für Nahrungsmittel heute schon erste Verknappungserscheinungen zeigt und weiter zeigen wird. Aber diesen neuen Anforderungen steht unsere Bundesregierung hilflos gegenüber, wie ich meine. Sie läßt sich nicht Zeit und bemüht sich auch nicht um vernünftige agrarpolitische Überlegungen. Nur das Drängen des Tages und die augenblickliche Finanzlage bestimmen jeweils die Handlungsweise der Bundesregierung.Das kann man mit ein paar Beispielen belegen. Es ist notwendig, Natur und Landschaft zu erhalten. Ich will auch nicht kritisieren, daß die Bundesregierung ein paar hundert Seiten Papier bedruckt hat, um Pflanzen und Tiere zu katalogisieren, zu typisieren und in ein bestimmtes Schema einzuordnen. Vielleicht mußte das sein; ich weiß es nicht. Wenn dieses Spiel allerdings so weit getrieben wird, daß dabei die normale Agrarproduktion und die Bauern diskriminiert und ständig auf die Anklagebank gezerrt werden, dann hört der Spaß auf.Wenn beispielsweise der Bundeskanzler im Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege die Landwirtschaftsklausel beseitigen will, dann steckt dahinter das von mir schon vorher beschriebene Unvermögen eines Machers gegenüber den Vorgängen in der Natur.
Der Bauer, der durch seine Tätigkeit immerhin — das mag man von welcher Seite auch immer betrachten — einen ganz wesentlichen und im großen und ganzen auch kostenlosen Beitrag zur Erhaltung unserer Kulturlandschaft leistet, wird allein durch diese Ankündigung, daß diese Bestimmung dort herausgenommen wird, in gewisser Weise wieder einseitig klassifiziert, um nicht zu sagen: diffamiert.Damit kein Irrtum entsteht: Wir befürworten natürlich die Erhaltung von Natur und Landschaft. Das ist längst ein Thema der Agrarpolitik und der Landwirte überhaupt gewesen, bevor es dieses ganze offizielle und öffentliche Klima um Natur- und Umweltschutz gegeben hat. Aber die Politik auf diesem Gebiet muß die Werterelation richtig ordnen, wenn sie den Namen Politik, was ja Gestaltung der Zukunft heißt, überhaupt verdienen soll.
Hier hat die Bundesregierung versagt. Sie hat irgendwelchen Forderungen von Verbänden nachgegeben, sonst gar nichts. Alles was Sie dazu ausgeführt haben, Herr Bundesminister Ertl, war eine mehr als lahme Entschuldigung, aber eine Erläuterung war es nicht. Jetzt auch noch — ich will es ein bißchen polemisch sagen — Kontrollkommissare des sogenannten Naturschutzes und seiner Verbände auf die Landwirtschaft loszulassen, das fehlte gerade noch.Aus vielen Zuschriften besorgter Bürger wissen wir j a um ihre Bereitschaft, eine lebenswerte Umwelt zu erhalten. Aber das sollte doch nicht jedes Mal gleichzeitig zu Angriffen gegen die Bauern führen. Warum eigentlich wird z. B. der Getreideanbau in unserem Land heutzutage mit der abwertenden Bezeichnung „Monokultur" belegt? Offensichtlich sind einige von der Technik befangene Menschen nicht mehr fähig, ein wogendes Weizen- oder Roggenfeld als unbedingte Voraussetzung für eine lebensnotwendige Produktion zu erkennen. Ich will gar nicht an die Hungererlebnisse vergangener Jahrzehnte erinnern. Aber es muß doch wohl erlaubt sein, in einer Agrardebatte im Deutschen Bundestag auf die Möglichkeit des Ausfalls einer lebenswichtigen Produktion aufmerksam zu machen.Sie sollten einmal die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", die uns in agrarpolitischen Dingen immer sehr kritisch begleitet — ich will es einmal so sagen —, ich glaube, von vorgestern, lesen, was die über die Entwicklung der polnischen Landwirtschaft schreibt, die zu 70 % noch privat betrieben wird, und darüber, wie schnell man auch Landwirtschaft kaputtmachen kann. Auch das ist möglich, wenn man entsprechende falsche politische Weichenstellungen vornimmt.Deswegen wehren wir uns auch so nachdrücklich gegen die Beseitigung dieser Landwirtschaftsklausel und gegen die Einführung der Verbandsklage. Es ist mir ganz unverständlich, Herr Bundesernährungsminister, warum Sie Ihre Ansicht dazu im Kabinett nicht durchsetzen konnten. Ich will Ihnen auch gleich sagen, neben unserer Ablehnung werden Sie jedenfalls auch bei den von der Union geführten Bundesländern auf wenig Gegenliebe bei diesem Vorhaben stoßen.Für uns haben die Sicherung der Ernährung und die Erhaltung der Umwelt einen hohen Stellenwert, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Eine Ver-
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Kiechleschiebung der Wertordnung zu Lasten der Agrarproduktion kommt für uns nicht in Frage.
Lassen Sie mich noch etwas zum ökonomischen Teil des agrarpolitischen Geschehens sagen. Ein paar unbestrittene Fakten will ich wiederholen. Das Einkommen der Bauern — immer vergleichbar für die letzten Jahre errechnet — ist also zurückgegangen, und zwar im Berichtsjahr um knapp 2 %; im laufenden Jahr wird es nach Schätzungen der Bundesregierung noch einmal um 12 % zurückgehen. Nach unseren Erkenntnissen ist es wahrscheinlich, daß die Einkommen noch stärker zurückgehen werden. Die vorsichtigen Schätzungen Ihrer Regierung bewegen sich je nach landwirtschaftlicher Betriebsform zwischen minus 11 und minus 28 %. Die Einkommen der Familienarbeitskraft sind damit nominal 15 % und real 35 % niedriger als 1975/1976. Dies, Herr Minister, ist auch ein Ergebnis Ihrer Agrarpolitik.Sie sind heute vor die deutschen Bauern hingetreten und haben, wenn auch sehr verschämt und schnell sprechend und nur mit wenigen Erläuterungen, gesagt, daß letztlich bei den Brüsseler Verhandlungen rechnerisch 4,8 %, bei der Milch noch fast 2% weniger Preiserhöhungen herausgekommen sind; real kommt davon erfahrungsgemäß ein bißchen mehr als die Hälfte an. Damit ist — ich habe es schon gesagt — der Einkommensrückgang auch für das kommende Wirtschaftsjahr 1981/1982 bereits vorprogrammiert, es sei denn, ungeheuer gute Ernten und entsprechende Steigerungen der Leistung der Bauern würden dies noch ausgleichen können. Nur jammern Sie dann sehr wahrscheinlich wieder über die erhöhten Anlieferungen und die dabei entstehenden Überschüsse. Es gibt übrigens in keinem Wirtschaftsbereich einen derartigen Einkommensrückgang. Kaum ein Wirtschaftszweig — das muß ich noch einmal sagen — ist historisch, politisch bedingt in seinem Wohlergehen von der jeweiligen Regierungspolitik so abhängig wie die Landwirtschaft. Nach den Zahlen zu urteilen, Herr Bundesminister, ist diese Politik wirklich miserabel gewesen.Zwei politische Umstände machen es übrigens den Bauern besonders schwer. Zum einen hat sich das Preis-Kosten-Verhältnis laufend verschlechtert. Wenn wir als Basisjahr 1976 gleich 100 nehmen, so zeigt die amtliche Statistik Ihres Hauses, daß der Preisindex für Agrarpreise — für Bauern also — jetzt im Januar 1981 bei 102 liegt, der der Betriebsmittel aber bei 117. Das zeigt halt auf: 2 % Steigerung bei den Agrarpreisen, rund 17 % Steigerung bei den Betriebsmittelpreisen. Von den übrigen jeden Bürger treffenden Inflationsraten wollen wir gar nicht reden.Dann gibt es noch einen zweiten Bereich, den Sie übrigens in Ihrer Einbringungsrede länger behandelt haben. Das ist der stagnierende Strukturwandel. Auch das geht auf Ihr Konto.
Inflation, nachlassendes Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Rückgang der Beschäftigtenzahlen,außenwirtschaftliches Ungleichgewicht, steigendeSteuern und Abgaben, Staatsverschuldung und rückläufige Ausgaben im Agrarhaushalt sind die denkbar ungünstigsten Voraussetzungen für einen vernünftigen agrarischen Strukturwandel. Wem wollen Sie denn erzählen, er solle „wandeln", angesichts der Tatsache, daß er bei 1,3 oder 1,2 Millionen — im Jahresmittel jedenfalls über einer Million — Arbeitslosen nicht einmal mehr weiß, wohin er sich wandeln soll?Da haben Sie nun — ich habe das mit innerem Vergnügen gehört — den Übergang von Problembetrieben zu Nebenerwerbsbetrieben sehr gelobt. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen Sie und Leute Ihrer Couleur über diese hauptsächlich aus der bayerischen Agrarpolitik stammende Idee, die Leute nicht herauszudrängen, sondern ihnen die Möglichkeit zu zusätzlichem Einkommen zu verschaffen, sehr viel Negatives gesagt haben. Ich will das nicht vertiefen. Sie haben vorhin gesagt, das sei Schnee von gestern. Einverstanden. Aber manchmal ist eine solide Altschneeunterlage für den Skifahrer etwas sehr Gutes, wie Sie als Präsident des Skiverbandes sicherlich wissen. Man sollte also nicht jeden Altschnee gleich als nicht mehr akzeptabel betrachten. Aber wie dem auch sei. Dieses Hinüberwandeln macht es notwendig, daß gleichzeitig auf- und abgestockt werden kann. Dies wird heute durch vieles verhindert.
Ich habe einige Ursachen genannt. Dies wird auch dadurch verhindert, daß immer weniger Finanzmittel dafür zur Verfügung stehen.
Herr Kollege Kiechle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Kiechle, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es z. B. falsch war, daß die bayerische Landesregierung Landwirten mit kleinen Vollerwerbsbetrieben gesagt hat, daß sie eine Zukunft in der Landwirtschaft hätten, obwohl jedermann zu dieser Zeit gewußt hat, daß Betriebe in der Größenordnung von 15 bis 18 ha diese einfach auf Grund ihrer Basis nicht haben können?
Das hat die bayerische Staatsregierung in dieser Form nie gesagt. Was sie gesagt hat, ist folgendes: Wir, die bayerische Staatsregierung, maßen uns nicht an, euch über einen staatlichen Kommissar zu sagen, wer entwicklungsfähig ist und wer nicht.
Wir geben euch Geld, wenn ihr glaubt, daß ihr eine vernünftige Maßnahme durchführen könnt.Sie war gegen Ihr Konzept. Und heute habt ihr zu diesem Kommissarskonzept nicht einmal mehr das Geld. Das wollen wir hier gleich mal festhalten.
KiechleEs gibt noch eine andere Wechselwirkung der Agrarpolitik. Das ist die Auswirkung auf die Verbraucherpreise. Dankenswerterweise hat der Bundesminister schon darauf hingewiesen. Ich meine aber, daß den Bauern schon zustehen würde, dazu auch einmal ein Wort der Bundesregierung allgemein zu hören. Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise sind — durch amtliche Zahlen belegt — in den letzten fünf Jahren um 2 Prozentpunkte, die Nahrungsmittelpreise — also die Ladenverkaufspreise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse — um 13 Prozentpunkte, aber die Kosten der allgemeinen Lebenshaltung um 20 Prozentpunkte gestiegen. Das ist ein klarer Beweis dafür, daß diese nur um zwei Prozentpunkte gestiegenen Erzeugerpreise die Billigmacher für die Verbraucher gewesen sind. Das sollte man einmal offen anerkennen.Eine andere Wechselwirkung ergibt sich durch die Einkäufe der Landwirtschaft in der gewerblich-industriellen Wirtschaft. 56 Milliarden DM erhält die deutsche Landwirtschaft beim Verkauf ihrer Güter. 33 Milliarden DM davon gibt sie wieder für Dienstleistungen und Produktionseinkäufe, 10 Milliarden DM für Investitionen aus, so daß von den 56 Milliarden DM 43 Milliarden DM im Rücklauf bei der gewerblichen Wirtschaft wieder ankommen. Hinzu kommt noch der private Verbrauch. Das sind insgesamt weit höhere Beträge als z. B. bei der deutschen Automobilindustrie. Das muß im Zusammenhang mit einer Betrachtung der Agrarpolitik auch einmal angesprochen werden. Wenn sich heute Landmaschinenschlepperhersteller darüber beklagen, daß die Bauern weniger kaufen, Herr Bundesminister, dann ist das nicht ein Ergebnis falscher Geisteshaltung der Bauern, sondern ein Ergebnis gesunkener Kaufkraft durch diese Agrarpolitik. Im Jahre 1980 sind in Deutschland 26 % weniger Schlepper abgesetzt worden.Nun sagten der Bundeskanzler und auch der Bundesfinanzminister — und der Bundesernährungsminister widerspricht dem nicht —, daß sie besondere Rezepte für die deutschen Bauern hätten. Laut Regierungserklärung sind das die berühmte vorsichtige Preispolitik, die stärkere Beteiligung der Erzeuger an der Beseitigung der Überschüsse, die Lockerung der landwirtschaftlichen Interventionsmechanismen und schließlich die deutliche Beschränkung bei der Finanzierung der EG-Agrarausgaben. Mit diesem Konzept werden Sie weder die Kaufkraft stärken noch die Betriebe der Landwirtschaft erhalten noch werden Sie den nach unten gehenden Einkommenstrend irgendwie aufhalten können. Zu diesen Dingen kommt dann noch national der von Ihnen verordnete Maßnahmenkatalog hinzu: Steuererhöhung, Dieselverteuerung, stärkere Belastung in der Sozialversicherung. Damit wird die wirtschaftliche Lage noch mal stark verschlechtert.Wo bleiben Sie da eigentlich, Herr Bundesminister? Ich hätte schon gern etwas dazu gehört, ob es denn z. B. bei der Einkommensteuerneuordnung bei den angesetzten Verdiensten, die rund 2 1/2mal so hoch sind, wie sie vorher waren, angesichts des um 15 % nominal zurückgegangenen Einkommens bleibt. Um solche Dinge müßten Sie sich auch einmal ein paar Gedanken machen. Das könnte, ohne daß es den Bund etwas kostet, auf diesem oder jenem Sektor übrigens zu einer Entspannung und Erleichterung der Lage der Bauern — auch der wirtschaftlichen Lage — führen. Ich möchte — wie Sie, Herr Minister — auch hinzufügen, daß es ohne den gemeinsamen Agrarmarkt keine Zollunion und alle damit zusammenhängenden Vorteile für die industrielle Wirtschaft und deren Arbeitnehmer gäbe. Wenn nur wir beide das sagen und wenn Sie als Mitglied des Kabinetts das einmal im Jahr hier verkünden und vielleicht noch ab und zu auf einer Versammlung, aber Ihre Kabinettskollegen draußen das Gegenteil verkünden und nur von den Kosten und ähnlichen Dingen reden, dann ist das zu wenig. Dann hat das nicht jene Bedeutung, auf die die Bauern rechnen dürfen oder auf die sie auch einen gewissen Anspruch haben. Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt hat hier z. B. vor kurzem noch von riesigen Butterbergen und Zuckerhalden gesprochen. Völlig zu Unrecht! Es gibt sie gar nicht.
Abgesehen von Butter und Magermilchpulver zeigen ja alle Versorgungsbilanzen für die einzelnen Warenbereiche keine nennenswerten Ungleichgewichte mehr auf. Wer erzählt eigentlich unseren Verbrauchern ab und zu einmal, daß wir, die ganze EG, rund ein Drittel aller Nahrungsmittel, die auf dem Weltmarkt zur Verfügung stehen, kaufen, und zwar für rund 40 Milliarden DM netto, die Ausfuhren davon schon abgezogen?Das alles gehört auch zum Bild einer modernen Landwirtschaft, nur wird dieses Bild nicht mehr gebracht. Dann wird so viel über die Zuwachsraten der Ausgaben im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik geredet. Ich bin sicher, der Herr Zumpfort hat heute wieder eine Riesenzahlenreihe bereit, wenn er reden sollte. Diese Zuwachsraten sind gegenüber früher erheblich kleiner geworden. Die Agrarausgaben machen auch nicht rund 70% des Gesamthaushalts aus. Bei dieser schludrigen Rechnung zieht man nämlich jene Ausgaben nicht ab, die mit der Agrarpolitik nichts zu tun haben, z. B. die Ausgaben betreffend die Hungerhilfe, das Lomé-Abkommen, den Währungsausgleich und die Neuseelandbutter. Ich hoffe, daß nicht auch noch die Polen-Hilfe zu Lasten des Agrarmarktes gerechnet werden soll.Wenn man die Einnahmen, die der EG-Markt hat, noch abzieht, ergibt sich ohnehin ein ganz anderes Bild. Man sollte dieses Bild dann doch auch realistisch schildern, und zwar seitens des ganzen Kabinetts, wenn man darüber berät. Bei einer realistischen Schilderung dieses Bildes müßte gesagt werden, daß diese Ausgaben rund 50 % beanspruchen, nicht etwa, wie immer gesagt wird, rund 70%. Im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt der EG werden in Europa für die Agrarpolitik knapp 0,5 % ausgegeben, während es in den Industrieregionen USA und Japan 1,5% bzw. 5% des Bruttosozialproduktes sind.Herr Bundesminister, Sie haben dazu aufgerufen, man solle doch zur Versachlichung der Agrarpolitik beitragen. Ich habe mir bei der Konzipierung meiner Rede auch gedacht, daß eine solche Notwendigkeit
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Kiechlebesteht. Ich habe meine Rede deshalb so sachlich wie möglich gehalten. Natürlich kann ich nicht in allen Fällen das, was Sie aus unserer Sicht nicht richtig gemacht haben, in meiner Rede aussparen. Den Dauerkritikern, die immer so viel Kritik an dem Agrarmarkt anbringen, möchte ich empfehlen, sich einmal hinzusetzen, Bleistift und ein Blatt Papier zur Hand zu nehmen und auszurechnen, was es wohl kosten würde, wenn wir eine gemeinsamen Sozialpolitik von Hamburg bis Sizilien mit dem Ziel, gleiche Lebens- und Sicherungsverhältnisse zu schaffen, betreiben wollten. Ich kann Ihnen versichern: wenn Sie die Zahlen, die sich dann ergäben, anschauen, werden Ihnen die Agrarmarktkosten wie ein Merkposten vorkommen. Sie können Ihre Sonntags- und Blablarederei dann ganz schnell bleiben lassen. So mancher unqualifizierte Angriff auf die Landwirtschaft würde dann ausbleiben.
Es wird auch immer von den Subventionen für die Landwirtschaft gesprochen. Das klassische und schöne Wort „Subventionen" höre ich immer wieder, besonders auf der Seite der SPD oder wenn die Frau Vorsitzende des Finanzausschusses spricht. Ich will keine negative Kritik anfügen. Ich will Ihnen aber einmal folgendes sagen. Jährlich bekommen die Deutsche Bundesbahn ungefähr 14 Milliarden DM, der Steinkohlebergbau 6 Milliarden DM, der Bergbau für alte Soziallasten 8 Milliarden DM, Berlin 10 Milliarden DM, der öffentlich geförderte Wohnungsbau ebenfalls 10 Milliarden DM und, wenn man die Steuervergünstigungen hinzurechnet, sogar noch einmal 10 Milliarden DM an Hilfen aus öffentlichen Mitteln. Falls es gewünscht wird, kann ich diesen Katalog noch ein bißchen ausweiten.Es ist auch bemerkenswert, daß der öffentliche Personennahverkehr sich nur zu einem Drittel finanziert und eine einzige Sozialwohnung mit 80 m2 Wohnfläche mit 100 000 bis 150 000 DM Subvention bezuschußt wird. Darüber gibt es keine öffentliche Kritik. Das ist es, was uns ärgert. Das ist auch das, was die Bauern draußen ärgert. Leider Gottes ist es so, daß das Wort „Subvention" zu einem negativen Symbol allein dieses Berufsstandes von Ihnen gemacht worden ist. Das finde ich weder politisch fair noch gerechtfertigt.
Wenn das der agrarpolitische Sprecher der AGV tut, dann mag das an dessen Ignoranz und Unfähigkeit zur Problembeurteilung liegen. Wenn das aber ein Bundesminister macht, wenn er ähnliches tut, dann ist es unseriös, und er fördert damit im übrigen auch die Staatsverdrossenheit.Dem Bundeskanzler geht es auch um folgendes. Die Erweiterung der EG und die sonst geplanten gemeinsamen Politiken werden Geld kosten, und zwar viel Geld. Alle diese Vorhaben sind von ihm mit großer Euphorie begrüßt und im übrigen mit beschlossen worden. Aber wie sie finanziert werden sollen, darüber hat man sich sehr wenig Gedanken gemacht. Nun geht die Bundesregierung von der illusionären Vorstellung aus, daß alle diese neuen Aufgaben der Erweiterung der EG und was damit zusammenhängt durch eine Reduzierung des EG- Agrarhaushalts finanziert werden können. Das halte ich schlicht und einfach auf Dauer nicht für möglich. Dann muß man andere Kriterien der Finanzierung finden. Dann soll man nicht so ähnlich wie ein Schiffbrüchiger, der sich an einen Rettungsanker hängt oder an eine Boje, dauernd rufen: Aber ein Prozent, das ist unsere Marge! Dann darf man vorher die Ausgaben nicht beschließen, wenn man nachher die Einnahmen nicht hat. Im übrigen sind diese Dinge, die von der Bundesregierung letztlich alle mit zu verantworten sind, sowohl national wie international gar nicht agrarpolitisch bedingt. Sie entspringen vielmehr finanzpolitischen Überlegungen auf Grund der finanziellen Chaoswirtschaft der Bundesregierung. Ich glaube, das muß man ganz deutlich sagen.
Meine Damen und Herren der Bundesregierung und der Koalition, von Ausnahmen abgesehen: was Sie brauchen, ist eine andere, eine objektivere und unvoreingenommene Einstellung zu den Bauern und den Bauernfamilien sowie zum wirtschaftlichen Geschehen auf den Bauernhöfen. Hier fehlt es bei Ihnen von Grund auf. Deshalb treffen Sie auch so viele Fehlentscheidungen. Es mangelt Ihnen an Grundverständnis gegenüber der Landwirtschaft.
Ich sage Ihnen einmal folgendes, und ich weiß, daß es ein Vorwurf ist, und zwar ein harter, aber ich sage hier mal ganz offen, was mein subjektiver Eindruck ist. Sie orientieren sich an Ihren Gefühlen der Wahlenttäuschung, weil Ihnen die Bauern nicht vertrauen. Dabei vergessen Sie Ihre Pflicht zur Gleichbehandlung aller Mitbürger. Die Staatstreue der Bauern achten Sie gering. Aber die Infragestellung unseres freiheitlich-demokratischen Systems hätscheln und entschuldigen Sie. Ich brauche nur an Herrn Baum zu denken. Grund-und-Boden-Besitzer sind Ihnen verdächtig — oder einem Teil von Ihnen —, und Ihren Linken sind sie sowieso ein Greuel. Hausbesetzer dagegen nicht so sehr. 30 000 demonstrierende Bauern, die zum Schluß ihrer hilfesuchenden Demonstration in Bonn unsere Nationalhymne singen, finden bei Ihnen weniger Beachtung. Krawallmacher, Polizistenprügler und Sachenzerstörer hingegen lösen hektische Betriebsamkeit, Ursachenforschung und ganze Konferenzabläufe, verbunden mit trauriger Hilflosigkeit, aus. Da brauchen wir uns über die Staatsverdrossenheit draußen nicht mehr zu wundern.
Wirklich Hilfe brauchen unsere deutschen Bauernfamilien derzeit vom Staat. Den repräsentieren Sie. Sie haben die Wahl gewonnen. Sie haben die Mehrheit und sind als erste angesprochen.Wir schlagen der Bundesregierung und damit den sie tragenden Fraktionen Sofortmaßnahmen und mittelfristig sich auswirkende agrarpolitische Entscheidungen vor. Dazu gehören angemessene Agrarerzeugerpreise. Was Sie eingebracht haben, Herr Minister, kann unseren Beifall leider Gottes
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Kiechlenicht finden, weil die Nettoanhebungsrate nicht unterhalb der Inflationsrate sein dürfte und darf. Denn die Bauern haben ja den Gürtel in den letzten Jahren — wie Ihr Bericht ausweist — bereits enger geschnallt. Dazu gehören eine gesetzestreue Behandlung der Vorsteuerpauschale im Mehrwertsteuer-recht und eine Korrektur des Einkommensteuergesetzes sowie die Verhinderung einer neuen Dieselölverteuerung, die zu zusätzlichen Wettbewerbsverzerrungen wieder zu Lasten der deutschen Landwirtschaft innerhalb der EG beiträgt.Einen Teil der notwendigen Maßnahmen finden Sie in dem Entschließungsantrag unserer Fraktion. Anderes haben wir, und zwar nicht nur wir Agrarier, bei vielen Gelegenheiten vorgeschlagen und auch unsere Mitarbeit bei der Realisierung der Vorhaben zugesichert, wenn Sie uns in den Beratungsprozeß einschalten. Wenn Sie das nicht tun, dann ist es natürlich Ihr Problem.Mut zur Zukunft, sagte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung. Meine Damen und Herren, Unmut herrscht derzeit zu Recht bei unseren Bauern. Mut zur Zukunft brauchen die Bauern heute, und zwar mehr denn je. Aber dieser Mut erwächst nicht aus politischen Parolen, sondern aus verantwortungsbewußtem Regieren. Nicht mehr Bürokratie und Bevormundung ist gefragt, sondern mehr Vertrauen zu unseren Bürgern und mehr Freiräume für deren verantwortliches Handeln. Da brauchen wir dann nicht noch zusätzliche, neue Klagerechte und weiß Gott was alles an neuen Beauftragten zur Kontrolle der Landwirtschaft. Daraus erwächst dann auch wieder mehr Vertrauen in den Staat. Nicht umgekehrt funktioniert das Rezept.Meine Damen und Herren, sehen Sie sich doch einmal als Gegenpole die Landwirtschaft im freien Europa und die Landwirtschaft des sozialistischen Herrschaftsbereichs an! Hier beste Versorgung mit Nahrungsmitteln, dort schrecklicher Mangel; hier Hilfsfähigkeit, dort Hilfsbedürftigkeit bei der Schaffung des täglichen Brots. Die Verbraucher im freien Teil Europas haben Anlaß zur Zufriedenheit, sie sind mit Nahrungsmitteln gut versorgt. Die Bundesregierung allerdings findet nur Anlaß zur Kritik an den Bauern und erfindet immer neue Maßnahmen der Belastung.Ich möchte an dieser Stelle namens der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion den deutschen Bauern, den Bäuerinnen und der Landjugend aus gegebenem Anlaß für ihre Mühe und Arbeit, aber auch für ihre gesellschafts- und staatserhaltende Disziplin trotz berechtigten Ärgers und echter Existenzsorgen danken und ihnen für 1981 eine gute Ernte und auskömmliche Preise wünschen.
Am Schluß meiner Rede möchte ich auf ein Zitat zurückgreifen, das mir neulich in die Hände fiel. — Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. — Ernst Bloch, ein marxistischer Denker, wie ich glaube, der vor wenigen Jahren verstorben ist, hat kurz vor seinem Tod in einem Fernsehinterview sinngemäß folgendes gesagt: Ich habe den Begriff Heimat in mein Prinzip Hoffnung eingeführt und eingefügt. Heimat, so sagt er sinngemäß, ist etwas Natürliches. Der Mensch entstammt ihr und kehrt zu ihr zurück.Meine Damen und Herren, zur Heimat im ursprünglichen Sinne gehört auch eine natürliche und funktionierende Landwirtschaft. Viele Menschen, die an mangelnder Identität leiden, haben keine Heimat, geistig und buchstäblich. Wenn die bäuerliche Landwirtschaft bei uns zerstört würde, ginge ein großes Stück lebensnotwendiger Heimat verloren. Dies zu bedenken ist genauso wichtig wie das Thema Angebot und Nachfrage.
Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich davon ausgehe, daß dieses Parlament den Agrarbericht eingeführt hat, um ein Bild über die Einkommenslage der Landwirtschaft zu haben bzw. eine genaue Übersicht über alle agrar- und ernährungspolitischen Zusammenhänge zu bekommen, bin ich der Meinung, daß ein Agrarbericht noch nie so große Bedeutung hatte wie der heutige. Sicherlich gehört es zur demokratischen Gepflogenheit, daß die Opposition versucht, der Regierung und den Regierungsparteien möglichst viel Negatives anzulasten. Herr Kiechle hat hier sicherlich den Einstieg gegeben. Er hat sogar versucht, den Minister, wenn auch nicht gerade noch für das Wetter, so doch für alles Mögliche verantwortlich zu machen, auch für die Auswirkungen der Wirtschafts- und der Ölkrise.Wäre es aber nicht doch an der Zeit, in gesundem Wettstreit die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Jetztzeit zu geben? Wäre es nicht an der Zeit, gerade in diesem Parlament mehr darüber nachzudenken, welchen Stellenwert und welche Bedeutung z. B. der Hunger in der Welt, der Landschafts-, Natur- und Tierschutz, der gesamte ländliche Raum, die Landwirtschaft im besonderen als viertgrößter Devisenbringer mit rund 18 Milliarden DM in unserem Staat hat? Der politische Gegner verwendet diesen Agrarbericht — wie immer, wenn ein Minus vor den Zahlen steht; allerdings nicht dann, wenn schon einmal ein Plus von 40 % davorgestanden hat — dazu, uns anzugreifen. Die Protestversammlungen des Berufsverbandes, soweit sie der Aufklärung der besonderen Verhältnisse in der Landwirtschaft dienen und dienten, sind nur zu begrüßen. Ich möchte hier in diesem Zusammenhang besonders hervorheben, daß diese Protestversammlungen überall diszipliniert verlaufen sind, und dafür, so meine ich, gebühren diesem Verband auch Dank und Anerkennung.
- Das ist ganz etwas anderes, Herr Wehner. Dafür habe ich nicht gedankt.
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PaintnerEin Einkommensminus von 1,9 % würde auch keine der anderen Gruppen widerspruchslos hinnehmen. Man kann und darf nicht übersehen, daß auf die Landwirtschaft 1980 zusätzliche Kosten durch gestiegene Energiepreise und Verteuerung der Betriebsmittel gekommen sind. Das ist einer der besonderen Gründe dafür, daß die landwirtschaftlichen Einkommen im Wirtschaftsjahr 1979/80 im Durchschnitt um 1,9 % zurückgegangen sind und im laufenden Wirtschaftsjahr sogar mit einem Minus von ungefähr 12 % gerechnet werden muß.Das sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der Energiekrise. Sie verlangen größte Opfer auch von der Landwirtschaft wie von jedem Bürger. Die Anpassung unserer Volkswirtschaft an die erhöhten Energiepreise hat, wie ich meine, erst begonnen. Aber auch die gebremste strukturelle Entwicklung — eine Abwanderung von 1,5 % 1979/80 gegenüber 3 % und mehr in den Jahren vorher — hat zu dem schlechten Ergebnis beigetragen. Denn 1 % weniger Abwanderung bedeutet 1 % weniger Einkommenszuwachs je Kopf.Wenn man den Agrarbericht näher beleuchtet, und dies gehört wohl mit zur Debatte über den Agrarbericht, so können wir feststellen, daß die Einkommensentwicklung regional sehr verschieden ist und die Entwicklung außerordentlich unterschiedlich verläuft. Wenn in Baden-Württemberg die Gewinne um 8,5 % und in Bayern um 1,3 % angestiegen sind, dann sollte man auch dies in dieser Diskussion hier erwähnen. In Nordrhein-Westfalen lag der Rückgang bei 1,9 %. Im Wirtschaftsgebiet Eifel-Westpfalz, das auch noch zu Nordrhein-Westfalen gehört, gab es im statistischen Durchschnitt einen Anstieg um mehr als 13,1 %. Es ist festzustellen, daß bisher einkommensstarke Regionen starke Einkommenseinbußen hinnehmen mußten, wie z. B. die niedersächsischen Nordseemarschen mit einem Einkommensrückgang von 23,4 %, Mittelholstein mit einem Rückgang von 17,2 %. Aber trotz dieses Rückgangs liegt Mittelholstein noch um 2 000 DM über dem Durchschnittseinkommen von 24 309 DM, und Ostholstein liegt mit einem Rückgang von 16,8 % auch noch um 4 000 DM über dem Durchschnittseinkommen.Es ist auch kein Geheimnis, daß dieser Rückgang zum Teil witterungsbedingt ist. Ich habe vorhin schon erwähnt, daß sicherlich nicht der Minister und diese Regierung für witterungsbedingte Ereignisse verantwortlich gemacht werden. Das tut selbst nicht einmal unser Kollege Kiechle.
— Es wäre sicherlich sehr schwarz, wenn es von Ihnen bestimmt würde.Das Marschengebiet Schleswig-Holstein liegt mit einem Rückgang von 16,1 % um 2 000 DM unter dem Durchschnittseinkommen. In diesem Gebiet wären also Klagen besonders berechtigt. Aber auch hier wissen wir, daß die Witterung dabei maßgeblich mitgewirkt hat. Die Braunschweig-Hildesheimer Lößbörde liegt mit einem Anstieg von 1,7 % bei einem Familienarbeitskrafteinkommen von 55 738 DM mehr als 100 % über dem Durchschnittseinkommen. Wirtschaftlich schwächere Regionen erzielten erhebliche Einkommensverbesserungen. So stieg z. B. im badischen Rheintal das Einkommen um 40,3 % obwohl nur ein Durchschnittseinkommen von 22 133 DM erreicht werden konnte. In der Eifel-Westpfalz stieg das Einkommen um 13,1 %. Trotzdem konnte nur ein Durchschnittseinkommen von 20 217 DM erzielt werden.Wenn man die innerlandwirtschaftlichen Einkommensunterschiede beleuchtet, kann man feststellen, daß das Viertel der Betriebe mit dem höchsten Gewinn je Familienarbeitskraft das Siebenfache von dem Viertel in der unteren Ebene erwirtschaftet. Die absoluten und relativen Einkommensabstände zwischen dem unteren und oberen Viertel sind im Wirtschaftsjahr 1979/1980 größer geworden. Während in den Betrieben des oberen Viertels Steigerungen der Erträge annähernd ausreichten, um den höheren Aufwand auszugleichen, übertraf in den Betrieben des unteren Viertels die Aufwandssteigerung den Erwerbszuwachs um das Doppelte.Von besonderer Bedeutung erscheint mir, daß das Familieneinkommen der Nebenerwerbslandwirte erneut um 5,3 % zugenommen hat und somit beinahe bei dem durchschnittlichen Familieneinkommen der Vollerwerbsbetriebe von rund 33 000 DM liegt. Laut jetzt vorgelegtem Agrarbericht ging im vergangenen Wirtschaftsjahr das durchschnittliche Einkommen je Familienarbeitskraft um 1,9 % auf 24 309 DM zurück.Von der Betriebsstruktur her verlief die Einkommensentwicklung auch sehr unterschiedlich. Während die Marktfruchtbaubetriebe 4,3 % Einkommenseinbußen hinnehmen mußten, konnten die Veredelungs- und Dauerkulturbetriebe Gewinnzuwächse von 12 bis 19 % verzeichnen. Dies sage ich aus folgenden Gründen. Erstens sieht man, wie verschieden die Einkommenssituation innerhalb der Landwirtschaft sein kann. Zweitens möchte ich meinen Berufskollegen sagen, die zu denen gehören, die ihr Einkommen trotz der durchschnittlichen Senkung von 1,9 % erheblich anheben konnten, daß, falls sie klagen, diese Klagen unberechtigt sind und nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Situation der Einkommenslage in der Landwirtschaft und vielleicht in Solidarität zu den anderen Berufskollegen gesehen werden können.
Drittens möchte ich deutlich machen, daß ich vollstes Verständnis für die 100 000 Berufskollegen habe, die im unteren Viertel liegen und bei den Marktfruchtbaubetrieben ein Familieneinkommen von 5 800 DM, bei den Futterbaubetrieben 8 274 DM, bei den Veredelungsbetrieben 7 764 DM, bei den Dauerkulturbetrieben 5 693 DM und im Durchschnitt 7 586 DM erwirtschaften konnten. Ich bin der Meinung, daß hier das Übel liegt. Rund 7 500 DM Familieneinkommen sind ein Hungerlohn für eine schwere Arbeit in der Landwirtschaft.
PaintnerEs ist nicht nur unsozial, es ist auch unverantwortlich. Diese Betriebe sind echt in Not. Hier muß etwas geschehen.Sie werden mir als praktizierendem Landwirt sicher nicht unterstellen, daß ich nicht von der Wichtigkeit einer vernünftigen Preispolitik überzeugt bin. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, daß auch die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse steigen müssen. Für diese 100 000 kleinen Vollerwerbsbetriebe wird kaum alles allein über den Preis in Ordnung gebracht werden können. Hier muß man über die Strukturpolitik und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze auf dem Land neue Wege gehen.Auf Grund dieser Situationsbeschreibung, die sicherlich in der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht vollkommen sein kann, komme ich zu folgendem Ergebnis. Trotz der Tatbestände, die ich hier soeben erwähnt habe mit den 100 000 Betrieben und der Verteuerung der Betriebsmittelpreise, für die die Regierung nicht verantwortlich gemacht werden kann, kann sich die Leistungsbilanz dieser sozialliberalen Regierung im Schnitt der letzten Jahre sehen lassen.
Das erklärte Ziel der Agrarpolitik, Teilnahme der Landwirtschaft an der Wohlstandsentwicklung, wurde im Durchschnitt der Jahre erfüllt.
Seit 1968/69 haben sich die landwirtschaftlichen Einkommen — hören Sie genau zu, Herr Kollege Susset — von 12 500 DM auf 24 309 DM im Wirtschaftsjahr 1979/80 verdoppelt. Das ist im Durchschnitt der Jahre ein Anstieg von zirka 6 bis 7 %. Der gewerbliche Vergleichslohn ist allerdings etwas stärker angewachsen. Die Zahlen sind nur bedingt vergleichbar, weil die unterschiedlichen Belastungen auf dem steuerlichen und sozialen Gebiet anders bewertet werden müssen. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Einheit von Wohn- und Arbeitswelt, aber auch die meist längere Arbeitszeit der Landwirte an Sonn- und Feiertagen seien nur als Beispiel angeführt.Die Agrarsozialpolitik war ein Meilenstein dieser Bundesregierung mit Minister Josef Ertl. Die Erfolge auf diesem Gebiet werden meine Kollegen Holsteg und Bredehorn noch besonders herausstellen. Das gleiche gilt für den Bereich der Steuerpolitik, der Agrarstruktur, des Natur-, Landschafts- und Tierschutzes sowie der EG-Agrarpolitik.Abschließend möchte ich sagen, daß sich meine Fraktion mit Minister Josef Ertl und Staatssekretär Georg Gallus bewußt darüber ist, was eine funktionsfähige Landwirtschaft für dieses Land bedeutet. Ich brauche es Ihnen nicht zu sagen: Sie dient dem Wohle aller Verbraucher und dem Bürger in diesem Lande.Das Minus in diesem Bericht — wie auch schon das für den nächsten Bericht angelegte — ist für mich Anlaß, immer und überall auf die Bedeutung der Ernährungssicherung, die Erhaltung der Kulturlandschaft, die Bereitstellung preiswerter und qualitativ hochwertiger Nahrungsmittel, die Sicherung der Arbeitsplätze, die mit dem landwirtschaftlichen Bereich verbunden sind, die Bedeutung der vielleicht schon in absehbarer Zeit mehr zur Geltung kommenden Ersatzenergien — hier seien nur Biomasse, Agrarsprit usw. genannt — zu erinnern.Wir Liberalen wissen, daß die Agrarpolitik bei geänderter Wirtschaftslage fast täglich schwieriger wird. Ertl hat in Brüssel nach den gegebenen Umständen gehandelt, und dafür möchte ich ihm auch von dieser Stelle aus danken.
Ich glaube, daß auch die Landwirte in unserem Lande einsehen, daß nach den gegebenen Umständen gehandelt worden ist.Ich möchte ebenso wie mein Kollege Kiechle in diesem Zusammenhang auch den Landwirten, den Bäuerinnen und Bauern draußen, der Landjugend und allen danken, die sich gerade in der letzten Zeit in der Landwirtschaft bewährt haben.Jetzt gilt es zunächst, die Stimmung in unserem eigenen Lande der Realität anzupassen. Das ist nicht selbstverständlich. Zu Unrecht haben viele die Landwirtschaft zum Prügelknaben der Nation gemacht. Jetzt ist es für alle an der Zeit, aufzuklären,
ob es Opposition, Regierungsparteien, Verbände, Bauernverband, Verbraucherverbände sind. Hier muß über die Notwendigkeit einer gesunden bäuerlichen Landwirtschaft aufgeklärt werden, die dem Bürger in diesem Lande die Ernährung auch in besonderen Krisenzeiten sichert und die ihn mit guten Nahrungsmitteln versorgt. Aufzuklären ist auch über die Notwendigkeit einer bäuerlichen Landwirtschaft, die im Bereich des Natur-, Landschafts- und Tierschutzes besondere Funktionen zu erfüllen hat.Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang auch daran, wie berechtigt und wichtig die vom Finanzminister zurückgestellte Erhöhung der Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft ist. Ich verspreche mir viel und rechne mit dem Verständnis, das unser Finanzminister immer für die Landwirtschaft hatte.
Ich möchte hier auch nicht verheimlichen, daß es gerade Herr Wehner war, der manchmal in ein falsches Licht gerückt wird — es ist gar nicht notwendig, daß ich den Koalitionspartner verteidige, und das ist auch gar nicht meine Art —. der auch für die Landwirtschaft immer sehr viel Verständnis aufgebracht hat. Vielen herzlichen Dank!
Ich sagte, es müsse auch darüber aufgeklärt werden, daß die Landwirte einen gerechten Lohn erhalten müssen. Zu dieser gerechten Entlohnung gehört sicherlich auch in der Zukunft die Agrarpreisanhe-
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Paintnerbung. Diese muß sich allerdings auch im Rahmen der Bemessungsgrundlage von 1 % Mehrwertsteuerabführung nach Brüssel bewegen.Dieses Parlament hat mit wenigen Ausnahmen diese Regelung beschlossen. Ich will heute gar nicht sagen, wer dagegengestimmt oder wer sich der Stimme enthalten hat; Sie wissen es selber. Das Parlament hat hier Zeichen gesetzt, und ich glaube, daß wir uns in diesem Rahmen zu bewegen haben. Es ist daher gerade von den Oppositionspolitikern unverantwortlich, Preisforderungen zu stellen, die diesen Rahmen sprengen würden. Es hätte auch keinen Sinn, Preisanhebungen zu beschließen, die sich am Markt nicht durchsetzen lassen.
Gerade deshalb sollte ein besonderes Augenmerk auf die Wiederherstellung des Marktgleichgewichtes gerichtet werden.Aufzuklären ist aber auch deshalb, weil die wichtigsten Grundbedürfnisse leicht zur Selbstverständlichkeit werden und Selbstverständliches meist unterbewertet wird.
Für uns in der FDP ist es von besonderer Bedeutung, daß alles getan und nichts unterlassen wird, was geeignet ist, diesem Lande auch in Zukunft viele bäuerliche Familienbetriebe zum Wohle der Bürger zu erhalten. Ich bin auch der Meinung, daß wir alles tun sollten, daß wir uns mit den Naturschützern, Landschaftsschützern und allen anderen Gruppierungen, die es in unserem Lande noch gibt,
an einen Tisch setzen sollten, um hier zu vernünftigen Regelungen zu gelangen.
— Sie werden sicherlich eine andere Meinung haben als ich. Aber ich bin der Auffassung: in dieser Sache kann man nur durch Konsensbereitschaft etwas bewegen; nur so kann man der Sache dienen. Der bäuerliche Familienbetrieb wird Grundlage unserer Politik bleiben. Auch alle anderen Argumente werden wir in unsere politischen Überlegungen mit einbeziehen. Ich bin sicher, daß wir diese Probleme auch in Zukunft lösen.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine kurze Mittagspause vorgesehen. Ich unterbreche jetzt die Sitzung. Der Deutsche Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 9/285 —
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung: Der Fragesteller zu Frage 58 — der Abgeordnete Dr. Kunz — bittet darum, seine Frage schriftlich zu beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander zur Verfügung.
Der Fragesteller zu den Fragen 59 und 60 — der Abgeordnete Breuer — bittet um schriftliche Beantwortung seiner Fragen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 61 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wieviel nach dem gegenwärtigen Strafrecht straffreie Schwangerschaftsabbrüche 1980 in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt worden sind, wie viele davon fallen unter den Tatbestand der sog. sozialen Indikation, und wie verhalten sich diese Zahlen zu den Vergleichszahlen der Jahre 1980 und 1979?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, die amtlichen Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes über die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 1980 beziehen sich nur auf die ersten drei Quartale. Eine Gesamtzahl für 1980 liegt noch nicht vor.
Im Jahr 1980 wurden an das Statistische Bundesamt im ersten Quartal 1980 23 572, im zweiten Quartal 21000, im dritten Quartal 21 013 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet.
Dem entsprechen im Jahr 1979 im ersten Quartal 20 898, im zweiten Quartal 20 975, im dritten Quartal 20 888, im vierten Quartal 20 027 Schwangerschaftsabbrüche.
Insgesamt wurden im Jahr 1979 82 788 Abbrüche gemeldet.
Nimmt man für das vierte Quartal 1980 einen Schätzwert von 21 000 bis 22 000 Schwangerschaftsabbrüchen an, so ergibt sich für 1980 eine geschätzte Gesamtzahl von 86 500 bis 87 500.
Der zu erwartende Anteil der Notlageindikation von 71 bis 72 % im Jahr 1980 entspricht dem Anteil von 71 % im Jahr 1979.
Gegenüber dem Jahr 1979 hat danach 1980 die Gesamtzahl der Abbrüche geschätzt um ca. 3 700 bis 4 700 zugenommen. Dem steht ein stärkerer Rückgang der Schwangerschaftsabbrüche gegenüber, die bei deutschen Frauen in den Niederlanden durchgeführt wurden. Die Zahl sank um mehr als 5 000 von 31 388 im Jahr 1979 auf 26 044 im Jahr 1980.
Werden Zusatzfragen gestellt? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie mir darüber Auskunft geben, ob in diesen Zahlen, die Sie soeben genannt haben, alle Schwangerschaftsabbrüche enthalten sind, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf Grund der vorhandenen gesetzlichen Indikationsfälle vor-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1413
Jäger
genommen worden sind, auch die der anderen Indikationsfälle?Zander, Parl. Staatssekretär: Ja; die Gesamtzahlen, die ich genannt habe, sind die dem Statistischen Bundesamt gemeldeten Zahlen aller legalen Schwangerschaftsabbrüche in der Bundesrepublik Deutschland.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, angesichts dieser nach wie vor steigenden Tendenz frage ich Sie: Welche Überlegungen hat die Bundesregierung angestellt, um dem Umstand entgegenzuwirken, daß von dem Tatbestand der sogenannten sozialen Indikation in so gewaltigem Umfang Gebrauch gemacht wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, zunächst ist keine steigende Tendenz festzustellen. Was die Gesamtzahl der Schwangerschaftsabbrüche angeht, habe ich Sie darauf hingewiesen, daß es eine Verlagerung in die Bundesrepublik Deutschland gibt. Das bedeutet, daß sich mehr Frauen dafür entscheiden, sich dem legalen Verfahren in der Bundesrepublik zu unterziehen und nicht ins Ausland zu gehen, was im übrigen erfreulich ist, denn es eröffnet natürlich auch die Möglichkeit durch Beratung eine Schwangere vom Schwangerschaftsabbruch abzuhalten, was ja in vielen Fällen auch geschieht.
Was den Anteil der Notlageindikation, nicht der sozialen, wie Sie sagen, angeht, so ist dieser gleichgeblieben.
Danke sehr, Herr Staatssekretär. Es gibt keine weitere Zusatzfrage mehr.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Stahl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Steger auf. Der Fragesteller bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 63 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Wie gestalten sich z. Z. Finanzierung und Weiterentwicklung der beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien Schneller Brüter und Hochtemperaturreaktor?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, darf ich vielleicht mit Genehmigung des Herrn Kollegen Lenzer die Fragen 63 und 64 zusammen beantworten?
Dann rufe ich zusätzlich Frage 64 des Abgeordneten Lenzer auf:
Welche Kosten werden nach jüngsten Erkenntnissen bei den beiden Prototypen SNR 300 und THTR 300 entstehen?
Bitte sehr.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lenzer, Ihre Fragen beantworte ich wie folgt.
Die Bundesregierung hat wie in den Vorjahren Mittel für die Finanzierung der Reaktorlinien bereitgestellt. Darüber hinaus steht sie mit den Elektrizitätsversorgungsunternehmen in Verhandlungen über eine stärkere Beteiligung dieser Unternehmen an der Finanzierung der Schnellbrut- und Hochtemperaturreaktorlinien. Sie geht dabei davon aus, daß die EVU neben den bisher getragenen Anteilen zusätzlich weitere substantielle Beiträge leisten werden. Die Verhandlungen konnten noch nicht zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden.
Gegenüber den Angaben über die Gesamtkosten der beiden Prototypreaktoren SNR 300 und THTR 300 im Entwurf des Bundeshaushaltsplanes für 1981 sind Mehrkosten von den Betreibern und Herstellern der beiden Anlagen angemeldet worden. Die der Bundesregierung bisher genannten, aber noch nicht detailliert überprüften neuen Kosten für die Fertigstellung bis zur Übernahme durch die Betreiber betragen beim THTR 300 rund 3 Milliarden DM und beim SNR 300 rund 5 Milliarden DM für Lieferung, Bau und Herstellung der Brennelementerstausstattung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, welcher Teil der Kostensteigerungen z. B. auf die gängigen Preissteigerungen zurückzuführen ist und welcher Teil dadurch hervorgerufen wird, daß hinsichtlich der Sicherheitsanforderungen beim Baufortschritt zusätzliche Auflagen gemacht wurden?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lenzer, wenn wir z. B. von den Zahlen des SNR 300 bei Projektbeginn 1972 ausgehen und 1980 eine Schätzung im Blick auf die Übernahme 1986 anstellen, ergibt sich in etwa folgendes: Sachleistungen auf Preisbasis 1972: 1,14 Milliarden DM, Schätzung 1980 für Übernahmetermin 1986: 2,350 Milliarden DM, also eine Veränderung von rund 1,2 Milliarden.
Bei den Ingenieurleistungen gibt es eine Steigerung von 195 auf etwa 850 Millionen DM, also ein Plus von etwa 655 Millionen.
Die Preisgleitung macht gegenüber 200 Millionen im Jahre 1972 nach der Schätzung 1980, also hochgerechnet auf 1986, etwa ein Plus von 1,6 Milliarden DM aus.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, wie sich — im Vergleich zu diesen beiden Prototypen, die ja unter besonderen Voraussetzungen stehen — etwa die Kostensteigerungen bei einem herkömmlichen Leichtwasserreaktor darstellen?Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lenzer, ich kann Ihnen dies nicht aus dem Stand detailliert
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1414 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Parl. Staatssekretär Stahlbeantworten, aber ich wäre bereit, Ihnen das schriftlich zu geben
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lenzer, bitte.
Darf ich Sie zu den beiden Prototypen weiter fragen, ob bei dem augenblicklichen atomrechtlichen Genehmigungsverfahren und bei den Anforderungen, die sich hinsichtlich des Standes von Wissenschaft und Technik aus § 7 ergeben, Prototypen überhaupt noch genehmigt und gebaut werden können?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung geht davon aus, daß derartige Anlagen genehmigt und auch gebaut werden können. Dem steht das Atomgesetz nicht entgegen; im Gegenteil, Herr Kollege Lenzer, es regelt ja diesen gesamten Bereich.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Lenzer.
Herr Staatssekretär, darf ich den Äußerungen, die Sie jetzt in Beantwortung auch der Zusatzfragen gemacht haben, entnehmen, daß Sie bzw. die Bundesregierung entgegen Berichten, die auch heute wieder durch die Presse gingen, doch die Absicht haben, beide Prototypen fertigzustellen, also nicht aus der Entwicklung beider Linien auszusteigen?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lenzer, die Bundesregierung geht derzeit davon aus, daß diese beiden Prototypen fertiggestellt werden und daß sie auch in Betrieb gehen werden. Aber ich möchte hinzufügen, wir erwarten natürlich auch, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen sich an der Finanzierung dieser Technologien verstärkt beteiligen. Die Bundesregierung ist sehr erfreut, daß die Opposition hier ihrer Meinung ist.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung stehen die Herren Staatsminister Huonker und Staatssekretär Lahnstein zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Schröder auf:
Aus welchen Gründen hat das Bundeskanzleramt eine Untersuchung über Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland in Auftrag gegeben, und welches sind die wesentlichen Ergebnisse dieser Studie?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich diese Frage etwas ausführlicher beantworte, da zwei Fragen darin enthalten sind.
Anlaß der Studie war die in den Jahren 1977 und 1978 wachsende Zahl von rechtsextremistischen Vorfällen, die in der Öffentlichkeit Aufsehen und Besorgnis ausgelöst hatten. Auch im Vorfeld rechtsextremistischer Kriminalität gab es beunruhigende Phänomene wie zum Beispiel die steigenden Auflagen nationalsozialistischer Propagandaliteratur und antisemitische Vorfälle in Schulen und Jugendheimen.
Bei der öffentlichen Diskussion dieser Vorfälle wurde deutlich, daß es keine systematischen Untersuchungen über rechtsextremistische Einstellungen in der Bundesrepublik gab.
Die wesentlichen Ergebnisse, zu denen die Studie kommt:
Erstens. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung lehnt Führerkult, Militarismus, Antisemitismus und Verehrung der Naziherrschaft ab. Sie befürwortet im Gegensatz zu den Extremisten die parlamentarische Demokratie.
Zweitens. 13 % der Wahlbevölkerung haben — gemessen mit den vom Institut entwickelten Instrumenten — ein ideologisch geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild. Um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen: Hier gilt ebenso wie für alle weiteren Zahlen, die ich nenne, daß diese Studie keine Aussagen über das Verhalten der Befragten macht. Gemessen wurden Einstellungen, das heißt verbale Äußerungen zu bestimmten Fragen. Das wirkliche Verhalten kann von diesen Einstellungen durchaus abweichen.
Drittens. 6 % der Wahlbevölkerung, knapp die Hälfte der 13 % rechtsextrem Eingestellten, akzeptieren rechtsextreme politische Gewalttaten. Das Ergebnis läßt allerdings keinerlei Rückschlüsse darauf zu, ob diese Personen selbst zu Gewalt greifen würden.
Viertens. 2 % der Wahlbevölkerung sind dem ÖkoRechtsextremismus zuzurechnen. Sie haben eine Einstellung, die „Blut-und-Boden-Denken" mit Ideen der modernen Öko-Bewegung verbindet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß 54,5 % des rechtsextrem eingestellten Wählerpotentials bei der Bundestagswahl die CDU/CSU gewählt haben, aber nur 20 % die SPD und 4 % die FDP? Wenn Sie das bestätigen können, wie bewertet die Bundesregierung dieses Faktum?
Huonker, Staatsminister: Herr Kollege, ich hielte es für falsch, wenn die Diskussion des Gutachtens wegen eines einzelnen Teilergebnisses auf eine parteipolitische Diskussion verengt würde. Die Phänomene, die dieses Gutachten offengelegt hat, sind viel zu ernst, als daß man sie in eine parteipolitische Auseinandersetzung verwickeln sollte.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1415
Herr Staatsminister, ich stimme Ihnen ja zu, was die sorgfältige Behandlung dieser Studie angeht. Aber Sie haben meine Frage nur teilweise beantwortet. Ich hatte gefragt, ob Sie die von mir zitierten Zahlen bestätigen können.
Huonker, Staatsminister: Ich kann bestätigen, daß diese Zahlen so in dem Gutachten enthalten sind.
Herr Abgeordneter Thüsing zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, leitet die Bundesregierung aus der erwähnten Studie die Notwendigkeit besonderer Anstrengungen in der Jugendpolitik ab, um gefährdeten Jugendlichen eine Lebensperspektive anzubieten, die anders ist als die von diesen Gruppen angebotene?
Huonker, Staatsminister: Herr Kollege, wie ich schon in meiner Antwort zum Ausdruck gebracht habe, hat diese Studie unter anderem die Funktion, das Bewußtsein vor rechtsextremen Gefahren zu schärfen. Dies kann natürlich dadurch, wie das in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, geschehen, daß es in der Bevölkerung eine breite Diskussion, auch mit der Jugend, über diese Fragen gibt.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, können Sie dem Hause darüber Aufschluß geben, ob sich die Studie auch des näheren mit dem Bereich befaßt, wo sich Rechtsextremismus und Linksextremismus in auffallender Weise begegnen, nämlich der Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele?
Huonker, Staatsminister: Herr Kollege, dies war nicht Gegenstand dieser Studie. Deswegen muß ich Ihre Frage mit Nein beantworten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 66 des Abgeordneten Schröder auf.
Ist die Datenbasis der Studie repräsentativ für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne sozialwissenschaftlicher Kriterien, und hält die Bundesregierung die Ergebnisse der Studie für geeignet, das Bewußtsein für Gefahren von rechts zu schärfen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Huonker, Staatsminister: Herr Kollege, die Verantwortung für das wissenschaftliche und methodische Verfahren der Untersuchung liegt ausschließlich bei dem Institut, das die Studie angefertigt hat. Ich muß allerdings hinzufügen, daß die Datenbasis dieser Studie repräsentativ erscheint, denn bei dieser Untersuchung wurden 6 968 wahlberechtigte Bundesbürger befragt. Diese Stichprobe ist größer, als bei Meinungsumfragen allgemein üblich ist. Für eine sorgfältige und ausgewogene Diskussion der politischen Gefahren des Rechtsextremismus sind wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse notwendig.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die Ergebnisse der Untersuchung für eine solche Diskussion und zur Schärfung des Bewußtseins für die Gefahren von rechts hilfreich sein kann.
Keine Zusatzfragen mehr.
Ich rufe Frage 67 des Abgeordneten Haase auf.
Trifft es zu, daß der Bundeskanzler mit zwölf Begleitpersonen in zwei verschiedenen Luftwaffenmaschinen in den Neujahrsurlaub auf Gran Canaria geflogen ist, und wie hoch waren die Unterbringungskosten für die Begleitung des Bundeskanzlers in dem zur ersten Preiskategorie gehörenden „Palm-Beach-Hotel"?
Bitte, Herr Staatsminister.
Huonker, Staatsminister: Herr Kollege Haase, die Begleitung des Bundeskanzlers bestand nicht aus 12, sondern aus 9 Personen, nämlich 4 Sicherheitsbeamten und 4 Fernmeldetechnikern, die abwechselnd rund um die Uhr Dienst machten, sowie einem persönlichen Referenten. Sieben der eben genannten Personen der Begleitung des Bundeskanzlers waren im Palm-Beach-Hotel untergebracht. Die Kosten für die Unterbringung im Palm-Beach-Hotel belaufen sich auf 470 000 Peseten, d. h. ca. 11 750 DM.
Das Hotel wurde allein unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Nähe zum Aufenthaltsort des Bundeskanzlers und unter dem Gesichtspunkt der Verfügbarkeit freier Zimmer ausgewählt.
Es trifft zu, daß die bei einem Auslandsaufenthalt des Bundeskanzlers unerläßlichen fernmeldetechnischen Einrichtungen und die dazugehörigen Fernmeldetechniker zwei Tage vor dem Bundeskanzler mit einem Flugzeug der Bundeswehr nach Gran Canaria geflogen wurden, da diese Einrichtungen aus zwingenden Gründen zu dem Zeitpunkt, in dem der Bundeskanzler ankam, einsatzbereit zur Verfügung stehen mußten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Haase.
Herr Staatsminister, bestanden keine Möglichkeiten, den vorgezogenen Transport, der sich nach Ihrer Darstellung als notwendig erwies, in Linienmaschinen der Lufthansa oder anderer Fluggesellschaften vornehmen zu lassen? War es zwingend geboten, eine Maschine der Luftstreitkräfte zur Verfügung zu stellen?
Huonker, Staatsminister: Sehr geehrter Kollege, dies war zwingend geboten. Ich sage hier nur ein Stichwort: Sicherheitsgründe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, wäre es nicht zu empfehlen gewesen, danach zu trachten, die Mitstreiter des Kanzlers in etwas preisgünstigeren Herbergen unterzubringen?Huonker, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe ausgeführt, daß dieses Hotel unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Nähe und der Verfügbarkeit freier Zimmer ausgewählt worden ist. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
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1416 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Weiter keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Haase auf:
Trifft es zu, daß andere Urlauber ihre für die gleiche Zeit im „PalmBeach-Hotel" bereits fest gebuchten Zimmer nicht bekamen, weil diese von der Begleitung des Bundeskanzlers in Anspruch genommen wurden, und gibt es frühere Fälle, bei denen bei privaten und dienstlichen Reisen des Bundeskanzlers andere Hotelgäste ihre fest gebuchten Zimmer räumen mußten bzw. nicht beziehen konnten, weil sie vom Bundeskanzler oder seiner Begleitung in Anspruch genommen wurden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Huonker, Staatsminister: Sehr geehrter Herr Kollege! Wie das Bundeskanzleramt von der Tageszeitung „Die Welt" erfahren hat, sollen drei Urlaubern, die auf Gran Canaria zur selben Zeit wie der Bundeskanzler Urlaub machten, zwei im voraus von diesen Urlaubern gebuchte Hotelzimmer mit der Begründung versagt worden sein, die Begleitung des Bundeskanzlers benötige in dem betreffenden Hotel mehrere Zimmer.
Fest steht, daß die Hoteldirektion bei der Zimmerbuchung für die Begleitung des Bundeskanzlers auf die ausdrückliche Frage, ob dadurch andere Gäste berührt seien, versicherte, dies treffe nicht zu.
Der Leiter des Kanzlerbüros, sehr geehrter Herr Kollege, hat diesen Sachverhalt durch einen Leserbrief in der „Welt" vom 18. Februar 1981 — er wurde auch abgedruckt — klargestellt.
Dem Bundeskanzleramt ist kein vergleichbarer Fall bekannt. Ich füge hinzu: Im Zusammenhang mit einem Auslandsaufenthalt des Bundeskanzlers zum Jahreswechsel 1977/78 kam es allerdings zu Unzuträglichkeiten für deutsche Touristen. Bei jenem Aufenthalt war der Bundeskanzler im Anschluß an einen offiziellen Besuch in jenem Land noch einige Tage privater Gast des dortigen Staatspräsidenten. Deshalb lag die organisatorische Vorbereitung und Abwicklung ausschließlich bei den dortigen Behörden. Damals ist die gastgebende Seite vom Bundeskanzleramt nachdrücklich gebeten worden, dafür Sorge zu tragen, daß nicht Dritte in ihrer Urlaubsgestaltung durch den Aufenthalt des Bundeskanzlers beeinträchtigt würden.
Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, dann ist in dem Beispiel, das Sie eben nannten — soweit ich es zurückverfolgen kann, handelt es sich wohl um Ägypten —, die Exmittierung der deutschen Reisenden auf ägyptische Veranlassung hin geschehen?
Huonker, Staatsminister: Ihre Frage beantworte ich mit Ja.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Hansen auf:
Auf welche Weise wird die Bundesregierung die „erheblichen Schwierigkeiten" bei der Geltendmachung von Regreßansprüchen gegen Regierungsmitglieder überwinden, soweit diese unter Rechtsbruch und
Verletzung von Gesetzen zusammen mit der Firma Merex AG an Waffengeschäften beteiligt waren, die den Fünf-Millionen-Vergleich zwischen der Bundesregierung und der Firma Merex AG verursachten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf darauf hinweisen, daß dies die vierte Anfrage zum Merex-Prozeß ist. Ich bitte deshalb um Verständnis, wenn ich mich in der Antwort hier und dort wiederholen mag.
Ich darf daran erinnern, daß ich auf Ihre Anfrage vom 21. Januar 1981 in einer schriftlichen Antwort ausgeführt habe, daß das Oberlandesgericht Köln die von Ihnen erwähnte Amtspflichtverletzung darin gesehen hat, daß es der Bund unterlassen haben soll, bei den zuständigen Finanzbehörden zugunsten der Merex AG einzutreten, als es um die Rückforderung gewährter Umsatzsteuerrückvergütung ging. Grund der Amtspflichtverletzung — so das Oberlandesgericht — war also nicht ein Handeln zugunsten der Merex AG, wie Sie möglicherweise annehmen, sondern gerade die Unterlassung eines derartigen Handelns.
Im zweiten Teil meiner Antwort muß ich sagen, daß ich mich Ihrer Unterstellung absolut nicht anschließen kann, daß Regierungsmitglieder unter Rechtsbruch und Verletzung von Gesetzen zusammen mit der Firma Merex an Waffengeschäften beteiligt waren. Dafür hat der Merex-Prozeß keine Anhaltspunkte gegeben.
Im übrigen wird der Bund natürlich mit dieser Frage beschäftigt bleiben, und zwar mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne schuldhaftes Zögern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen, bitte.
Herr Staatssekretär, sollte Ihnen entgangen sein, daß ich in meiner Frage nicht nach Amtspflichtverletzungen von Bediensteten im Zusammenhang mit steuerlichen Forderungen gefragt habe, sondern im Zusammenhang damit, daß sich damals öffentlich Bedienstete, im Staatsdienst Stehende, direkt oder indirekt am illegalen Waffenhandel beteiligt und sich damit disziplinarrechtlich oder auch nach allgemeinen Gesetzen strafbar gemacht haben?
Lahnstein, Staatssekretär: Das ist mir nicht entgangen. Ich habe versucht, in meiner Antwort deutlich zu machen, daß der Gegenstand des von Ihnen erwähnten Verfahrens Fragen der Amtspflichtverletzung waren. Für die dahinter liegenden Unterstellungen, die ich im Hinblick auf das von Ihnen verwendete Wort „Regierungsmitglieder" bereits zurückgewiesen habe, gälte die gleiche Zurückweisung, wenn Sie diese mit den Worten „öffentliche Bedienstete" belegen würden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Da Sie sagen, daß es wegen des Vergleichs, der mit der Firma Merex abgeschlossen wurde, nicht zu einem rechtskräftigen Urteil eines
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1417
HansenGerichts gekommen ist, wonach man hätte feststellen können, welche Amtspflichtverletzungen objektiv begangen worden sind, möchte ich Sie fragen, ob sich die Bundesregierung selbst bemüht hat, festzustellen, ob es zu solchen Pflichtverletzungen gekommen ist.Lahnstein, Staatssekretär: Die Bundesregierung hat sich bemüht und hat aus heutiger Sicht keine Anhaltspunkte für eine derartige Amtspflichtverletzung festgestellt, Herr Abgeordneter.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Hansen auf:
Was veranlaßt die Bundesregierung, Antworten auf Fragen nach den konkreten Gründen für die behauptete noch bestehende Gefährdung der Staatssicherheit und der auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland durch eine Offenlegung der Bestimmungsgebiete illegaler Waffengeschäfte der Merex AG Mitte der 60er Jahre im Jahr 1981 unter Hinweis auf den heute noch notwendigen Geheimnisschutz abzulehnen , obwohl nach einem Hearing vor einem Untersuchungsausschuß des US-Senats (1967). laut einem Bericht im Spiegel (Nummer 52/1975) und laut einem Artikel des „Kölner Stadtanzeigers" (6. März 1979) einige der Empfängerländer dieser verbotenen Waffenlieferungen, nämlich Pakistan, Indien und Saudi-Arabien, seit langem öffentlich bekannt sind?
Lahnstein, Staatssekretär: Ich beantworte diese Frage wie folgt, Herr Abgeordneter. Bei Abwägung des berechtigten Informationsinteresses des Deutschen Bundestages und der Geheimhaltungspflicht der Bundesregierung sprechen auch heute noch gewichtige Gründe dagegen, die von Ihnen genannten Pressemeldungen über die Bestimmungsgebiete von Waffenexporten der Merex AG zu bestätigen oder zu dementieren. Auf die Gründe dafür habe ich bereits in voraufgehenden Antworten hingewiesen. Ich will das nicht wiederholen.
Für unsere Beziehungen zu ausländischen Staaten und auch zu ausländischen Staatsbürgern bedeutet es eben einen bedeutenden Unterschied, ob Presseorgane über illegale Waffenlieferungen in bestimmte Staaten berichten oder ob die für die auswärtige Politik zuständige und verantwortliche Bundesregierung derartige Meldungen amtlich bestätigt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob das auch dann gilt, wenn der Inhalt, der einer solchen Geheimhaltung unterliegt — die ja bei grundsätzlich gewünschter Öffentlichkeit von Vorgängen manchmal notwendig ist —, auch dann einer strengen Geheimhaltung bedarf, wenn dieser Inhalt bereits zu einem öffentlichen Geheimnis geworden ist, wie ich Ihnen das an Hand jener Zitate deutlich zu machen versucht habe.
Lahnstein, Staatssekretär: Das ist zutreffend, Herr Abgeordneter. Das gilt auch dann.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter.
Dann möchte ich Sie fragen: Wer legt denn eigentlich wann und warum diese Vorschriften der Geheimhaltung fest, und gelten sie, wenn sie festgelegt sind, dann für 99 Jahre oder für die Ewigkeit?
Lahnstein, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Grundsätze gelten so lange, wie sie nicht durch den dafür Zuständigen geändert werden.
— Die Bundesregierung.
Im übrigen gilt auch hier wie in der Einzelfrage der Amtspflichtverletzung natürlich die Prüfung des Einzelfalls. Im vorliegenden Einzelfall hat sich die Bundesregierung jedoch so zu verhalten — und sie hat sich auch so verhalten —, wie ich Ihnen dies eben dargelegt habe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Vorkehrungen getroffen, daß der Anlaß, der zu der Veröffentlichung in den erwähnten Presseorganen geführt hat, in Zukunft nicht mehr gegeben sein wird?
Lahnstein, Staatssekretär: Ich muß bekennen, ich habe Ihre Frage nicht voll verstanden; denn der Anlaß, der in den Presseorganen erwähnt worden
ist — —
Ich habe es etwas falsch formuliert. Ich bitte um Entschuldigung. Hat die Bundesregierung Vorkehrungen getroffen, daß der Anlaß, der zu den Veröffentlichungen geführt hat, zukünftig bei neuen Wünschen von Empfängerländern nicht mehr gegeben sein wird?
Lahnstein, Staatssekretär: Sie sprechen hier aber einen politisch etwas anderen Zusammenhang an. Sie wissen, daß sich die Bundesregierung in einer intensiven Diskussionsphase befindet, was ihre Rüstungsexportpolitik angeht. Wenn Sie diese meinen, so kann ich nur sagen, daß ich die Ergebnisse dieser Diskussion hier nicht vorwegnehmen will. Das könnte ich auch gar nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen. Danke sehr, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.Die Fragen 71 und 72 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Würtz, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Werner auf:Liegen der Bundesregierung nähere Kenntnisse darüber vor, daß Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Nicaragua tätig sind und im Fall des Berliner Geschäftsmanns Horst-Peter Koltermann an Folterungen teilnahmen ?Bitte, Herr Staatsminister.
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1418 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Herr Kollege, der Bundesregierung liegen zu dem in der Frage angesprochenen Sachverhalt keine Erkenntnisse vor.
Zusatzfrage.
Heißt das, Herr Staatsminister, daß die Bundesregierung auch bei der von mir angegebenen Zeitung nachgefragt hat, woher deren Erkenntnisse stammen, oder ist diese Nachforschung unterblieben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich gehe davon auf, daß entsprechenden Hinweisen immer nachgegangen wird. Hier liegen aber keine Erkenntnisse vor.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist dem Auswärtigen Amt etwas darüber bekannt, daß sich ähnliche Vorfälle in anderen Ländern abgespielt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist eine sehr pauschale Fragestellung. Ich weiß nicht, was Sie unter „anderen Ländern" verstehen. Zu dem hier gegebenen Zusammenhang muß ich aber noch einmal sagen: Es liegen keine Erkenntnisse vor.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, besitzt denn die Bundesregierung überhaupt Erkenntnisse darüber, daß sich in Nicaragua Berater oder als solche bezeichnete Personen aus der DDR aufhalten und dort eine — wie auch immer geartete — Tätigkeit ausüben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das ist wieder eine sehr allgemeine Frage. Es gibt nach unserer Erkenntnis z. B. im Bereich des Unterrichts oder auch im Bereich anderer Tätigkeiten der Regierung Personen aus der DDR, die sich in Nicaragua befinden. Zu einer so allgemeinen und pauschalen Fragestellung kann ich Ihnen hier natürlich nicht im einzelnen Auskunft geben.
Keine weitere Zusatzfrage zu dieser Frage.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Werner auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung den Vorwurf des polnischen Außenministers vor dem polnischen Parlament, der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 12. Februar 1981 über die Darstellung Deutschlands in Schulbüchern und kartographischen Werken für den Schulunterricht stehe im krassen Widerspruch zum deutsch-polnischen Vertrag von 1970 sowie anderen Vereinbarungen und sei völkerrechtswidrig, zurückzuweisen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat der polnischen Regierung im einzelnen dargelegt, daß der polnischen Seite die Auffassung der Bundesregierung zur Rechtslage Deutschlands bekannt ist. Sie hat die polnischen Vorwürfe insofern als unbegründet zurückgewiesen, als die Bundesregierung betont hat, daß sie, die Bundesregierung, voll zu ihren Verpflichtungen aus dem Warschauer Vertrag steht, insbesondere zu der Feststellung des Warschauer Vertrages, daß für die Bundesrepublik die Oder-Neiße-Linie die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen bildet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner, bitte schön.
Herr Staatsminister, bedeutet dies, daß die Bundesregierung ihrerseits bereit ist, auch in Zukunft gegenüber der polnischen Regierung bei entsprechendem Anlaß aktiv auf der Wahrung dieses deutschen Rechtsstandpunktes, der vom Grundgesetz, von entprechenden Beschlüssen sowie Urteilen des Verfassungsgerichts vorgegeben ist, zu bestehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hält sich immer an das Grundgesetz.
Noch eine Zwischenfrage.
Herr Staatsminister, gehe ich recht in der Annahme, daß Sie mit Ihren Ausführungen ausdrücken wollen, daß die Bundesregierung die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz der Länder zur Frage der kartographischen Darstellung für juristisch einwandfrei und richtig hält und auch in entsprechender Weise bereit und willens ist, diese im Ostblock gegebenenfalls aktiv zu vertreten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie verweisen mit Recht auf die Zuständigkeit der Länder. In dieser Frage können die Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeit entsprechende Darstellungen vornehmen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie sich aber den polnischen Protest gegen den KMK-Beschluß, wenn doch der polnischen Seite seit 1970 die Haltung der Bundesrepublik Deutschland bezüglich des Offenhaltens der deutschen Frage bekannt sein muß?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die polnische Rechtsauffassung ist uns auch bekannt; so ist auch der polnische Protest zu erklären.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Diederich, bitte.
Herr Staatsminister, wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den Stellenwert der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlung?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, könnten Sie die Frage noch einmal präzisieren?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1419
Es hat dort ja wohl noch weiterlaufende Diskussionen und Gespräche in einer Konferenz gegeben, die sich gerade zu der Frage der Darstellung der Grenzen geäußert hat. Wenn ich recht unterrichtet bin, sollten danach die existierenden Grenzen dargestellt werden.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt in der Umsetzung der Schulbuchempfehlungen auch innerhalb der Länder unterschiedliche Auffassungen. Sie wissen, daß gerade in dieser Frage nach dem Beschluß der Kultusministerkonferenz zwei Bundesländer ihre Bedenken oder abweichenden Auffassungen geltend gemacht haben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 75 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Ist bei den Gesprächen des Bundesaußenministers in Warschau direkt oder indirekt der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 12. Februar 1981 — Grundsätze für die Darstellung Deutschlands in Schulbüchern und kartographischen Werken für den Schulunterricht — angesprochen worden, und wie steht die Bundesregierung zu den Äußerungen, die der polnische Außenminister vor dem polnischen Sejm dazu getan haben soll?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 12. Februar dieses Jahres über die Grundsätze für die Darstellung Deutschlands in Schulbüchern und kartographischen Werken für den Schulunterricht ist bei dem Besuch von Herrn Genscher am 19. bzw. 20. März dieses Jahres in Warschau zur Sprache gekommen. Herr Genscher hat dem polnischen Kollegen vorgeschlagen, über die Einzelheiten weiter zu sprechen.
Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Dr. Diederich auf:
Hält die Bundesregierung diese Empfehlungen für hilfreich im Hinblick auf das, was der Bundesaußenminister über die gemeinsame Interessenlage der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland und über die Zusammenarbeit in Mitteleuropa gesagt hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Kompetenz für die Zulassung von Schulbüchern und kartographischen Werken für den Unterricht liegt bei den Ländern. Die Länder sind frei, auch darüber zu entscheiden, wie verfassungsmäßige Gegebenheiten und vertragliche Vereinbarungen mit anderen Staaten didaktisch in Schulbüchern und Schulatlanten umgesetzt werden.
Herr Staatsminister, würden Sie mir nicht doch zustimmen, daß, wenn der Kanzler etwa darauf hinweist, daß die Hilfe für Warschau nicht nur aus dem Geiste der Bergpredigt gewährt werde, sondern daß die Bundesrepublik auch ein vitales politisches Interesse daran habe, daß ein Zusammenbruch Polens verhindert werde, man sich gerade durch die Darstellung der Grenzen von 1937 natürlich den Vorwurf des Revisionismus einhandeln könnte und die polnische Regierung zwingt, Allianzen zu verstärken, bei denen wir kein Interesse an einer Zusammenarbeit haben und die daher eigentlich nicht gefördert werden sollten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin sicher, daß die Regierung der Volksrepublik Polen die Einstellung der Bundesregierung zu diesen Fragen kennt und insbesondere weiß, daß die Formulierung des Warschauer Vertrages, auf den ich vorhin hingewiesen habe, nämlich daß die Oder-Neiße-Linie die Westgrenze Polens bedeutet, auch als ein politisches Faktum gesehen wird. Ich glaube also nicht, daß aus der Debatte, wie sie jetzt in der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Punkt geführt wird, Konsequenzen gezogen werden könnten, wie Sie sie angedeutet haben.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Diederich.
Herr Staatsminister, ist Ihnen die Äußerung von John Dornberg in der International Herald Tribune in einem Artikel „On drawing a map of Germany" bekannt? Sie lautet:
Whether this
— er meint damit die Darstellung der Grenzen von 1937 —
will help future generations of West-German pupils to understand geography is doubtful.
Und würden Sie dieser Äußerung auch zustimmen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, indem ich zunächst vorwegschicke, daß dies in der Tat eine Aufgabe der Länder und nicht des Bundes ist, würde ich der Schlußfolgerung, die Sie hier eben in Englisch verlesen haben, zustimmen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, begrüßt es die Bundesregierung, daß auf diesem zugegebenermaßen schwierigen Gebiet durch den Beschluß der Kultusministerkonferenz über die Grundsätze, dem ja die Kultusminister aller Länder und aus ganz unterschiedlichen politischen Parteien ihre Zustimmung gegeben haben, jetzt eine gewisse Einheitlichkeit in der Darstellung erreicht wird und die unterschiedliche Darstellung je nach politischer Farbe der verschiedenen Länder überwunden werden kann?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist sicher richtig, daß auf diese Weise eine gewisse Einheitlichkeit hergestellt werden konnte, aber die Einheitlichkeit ist doch in einem Kompromiß gefunden worden, gegen den es nicht unerhebliche Bedenken gegeben hat. Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß zu diesen Bedenken auch die Überlegungen gehören, die der Kollege Diederich soeben hier vorgetragen hat, nämlich ob eine wirkliche Information der Jugendlichen über die Realitäten in Europa durch die Darstellung, wie sie vorgenommen worden ist, gefördert wird. Dies sind auch die Gründe, warum in der Kultusministerkonferenz die Diskussion erneut aufgebrochen ist. Und vielleicht wird die jetzt geführte Diskussion in der Kultusministerkonferenz auch einen Schritt weiterführen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß auf dem Hintergrund der schwierigen Entwicklungen und Verhältnisse in Polen gerade im Augenblick der, wie ich meine, völlig unnötige Versuch gemacht wird, über die Frage der Grenzen eine innenpolitische Debatte zu entfesseln?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der zeitliche Zusammenhang ist sicherlich nicht glücklich. Aber ich will noch einmal unterstreichen: Die polnische Seite kennt die Position der Bundesregierung in den Grundsatzfragen, um die es geht. Ich glaube auch, daß man auf polnischer Seite weiß, wie sich die Bundesregierung für die Umsetzung der Schulbuchempfehlungen eingesetzt hat. Diese Fragestunde gibt noch einmal Gelegenheit, deutlich zu machen, welche Bedenken und Vorbehalte die Bundesregierung auch in einem Bereich hat, in dem sie nicht über Zuständigkeiten verfügt, wenn Darstellungen erfolgen, die für die polnische Seite eventuell mißverständlich sein könnten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es Aufgabe der Schulen ist, den Schülern das Offenhalten der deutschen Frage und das Noch-Ausstehen eines Friedensvertrages auch als Informationsstoff, als Lehrstoff im Unterricht zu vermitteln?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist sicherlich richtig. Aber ob das am besten durch die kartographische Darstellung von Grenzen geschieht, die durch den Warschauer Vertrag politisch — wir haben uns ja öfters in diesem Hause darüber unterhalten — so zu behandeln sind, daß die OderNeiße-Linie die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen bildet, darüber kann man in der Tat mindestens streiten. Ich will wiederholen: Die Darstellung einer rechtlichen Offenheit ist etwas anderes als die — vielleicht — Irreführung von Kindern über politische Realitäten in Europa.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wehner.
Herr Staatsminister, hier ist wiederholt über Zuständigkeiten der Länder gesprochen worden. Ich frage Sie: Gibt es nicht auch eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Warschauer Vertrag und den sich daraus ergebenden Pflichten im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen? Ist da nicht auch eine Zuständigkeit? Und selbst wenn beide miteinander — na, sagen wir einmal — strittig behandelt werden, muß doch wohl die Zuständigkeit des Bundes — oder irre ich mich da — darin bestehen, dem deutschen Volke deutlich zu machen, was der Warschauer Vertrag für uns eigentlich wirklich an Pflichten bedeutet.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminster: Herr Abgeordneter Wehner, die Bundesregierung ist ja urn diese Verdeutlichung immer wieder bemüht, hier im Hause und an anderer Stelle. Ich habe ja hier eben noch einmal auf die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze der Volksrepublik Polen — oder als westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen — hingewiesen. Allerdings möchte ich auch deutlich sagen, daß die Bundesregierung gegenüber den Ländern in der Frage der Darstellung von Grenzen auf Schulatlanten nicht mehr tun kann, als auf die Umsetzung der Schulbuchempfehlungen zu drängen. Sie können versichert sein, Herr Kollege Wehner, daß, was die Gespräche zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen betrifft, der polnischen Seite deutlich gemacht worden ist — auch an diesem Beispiel —, wo die Bundesregierung in dieser Frage steht.
— Herr Präsident, wenn ich das noch aufgreifen darf. - Herr Kollege Wehner, Sie wissen, daß diese Frage in diesem Hause und zwischen den Parteien streitig ist. Es gibt Parteien in diesem Hause, die ihre Möglichkeiten suchen, dieses dem deutschen Volk klarzumachen. Die Bundesregierung tut das auch. Sie haben hier eben gerade wieder bemerkt, wie von seiten der Opposition Rechtsfragen in scheinbare politische Fakten umgesetzt werden, und auch damit muß man sich auseinandersetzen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Herr Staatsminister, nachdem Sie auf die drittletzte Frage dargelegt hatten, daß Sie es zumindest einmal in Zweifel stellten, ob eine wirkliche, den Realitäten entsprechende Information durch den KMK-Beschluß gegeben würde, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit mir der Auffassung sind, daß auch das Recht, vor allem wenn es international als Rechtsverwahrung offenkundig gemacht wurde, eine Realität darstellt und die aktive Wahrung des Rechts auch und gerade der Bundesregierung als einem Staatsorgan der Bundesrepublik Deutschland als immerwährende Aufgabe aufgetragen ist.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe das jetzt hier wiederholt beantwortet. Es ist ganz selbstverständlich, daß sich die Bundesregierung an das Recht und an das Grundgesetz hält, aber es ist ebenso selbstverständlich, daß die Bundesregierung die faktischen politischen Verhältnisse, die Realitäten in Europa und die Verpflichtungen aus dem Warschauer Vertrag deutlich macht. Beides tut die Bundesregierung, und über beides haben wir im Hause hier auch oft genug gestritten. Ich möchte noch einmal unterstreichen: es ist der Jugend in Deutschland nicht damit gedient, daß man ihr Atlanten vorlegt, aus denen sich scheinbare Verhältnisse in Europa oder für Deutschland ergeben,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1421
Staatsminister Dr. von Dohnanyidie den politischen Realitäten und auch den rechtlichen Verpflichtungen aus dem Warschauer Vertrag nur mit sehr viel Fragezeichen entsprechen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung — ich zitiere —:
Unser Rechtsstandpunkt kann nur sein, daß bei Friedensvertragsverhandlungen von Deutschland in den Grenzen von 1937 ausgegangen werden muß. Auf dieses Deutschland hat der Alliierte Kontrollrat 1945 seine Hand gelegt.
und sind Sie der Meinung, daß in der Legende zu den Landkarten in den Schulatlanten nicht darauf hingewiesen werden sollte, daß diese Frage eben offen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Wittmann, wir schreiben nicht das Jahr 1965, sondern das Jahr 1981, und wir schreiben das Jahr 1981 elf Jahre nach dem Warschauer Vertrag.
Deswegen kommt es darauf an, ich habe das hier schon öfter im Hause sagen müssen, in dieser Frage den politischen Realitäten so zu entsprechen,
daß dem Recht Genüge getan wird, aber dadurch nicht eine Irreführung des deutschen Volkes oder Mißverständnisse beim polnischen Volk entstehen können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lintner.
Herr Staatsminister, wie erklären Sie sich nach Ihren Ausführungen über die mögliche Irreführung die Tatsache, daß auch sozialdemokratische Kultusminister dieser Vereinbarung zugestimmt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, weil sozialdemokratische Kultusminister
— nein, Herr Kollege Haase —, weil sozialdemokratische Kultusminister den Versuch gemacht haben, sich in einer Sache wenigstens insofern zu einigen, daß nicht unnötige Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen. Aber einige sozialdemokratisch geführte Länder haben, wie Sie wissen, seitdem doch Bedenken daran bekommen, ob dieser Kompromiß wirklich besser ist als eine offene Meinungsverschiedenheit in dieser Frage. Ich bin sicher, das Gespräch wird weitergeführt werden, Herr
Kollege, am besten auf eine Weise, die der Bedeutung des Gegenstandes für unser Volk und für das polnische Volk gerecht wird. Und Polemik, wenn ich das den Kollegen der Opposition sagen darf, ist hier wenig dienlich.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich komme zu den Fragen 77 und 78 des Abgeordneten Dr. Hennig. — Dr. Hennig ist nicht im Saal.
Ich rufe auf die Frage 84 des Abgeordneten Dreßler. —
Welche Initiativen hat die Bundesregierung bisher unternommen, um die vorübergehende Verhaftung, das mehrstündige Verhör und die Beraubung persönlichen Eigentums von einem Mitarbeiter des Informationsbüros Nicaragua e. V., Wuppertal, plus Begleiter, anläßlich einer Zwischenlandung in Guatemala am 16. Februar 1981 aufzuklären, nachdem der Botschafter in Guatemala und das Auswärtige Amt mit Fernschreiben vom 18. Februar 1981 den Vorgang zugeleitet bekommen haben?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das Auswärtige Amt hat den Botschafter von Guatemala einbestellt und ihn unter Übergabe eines Aide-mémoire eindringlich darauf hingewiesen, daß die Behandlung zweier Bundesbürger bei ihrer Zwischenlandung in Guatemala-City am 16. Februar dieses Jahres durch die dortigen Behörden der Bundesregierung Anlaß zu ernster Besorgnis gegeben habe. Der Botschafter wurde gebeten, seine Regierung hierüber zu unterrichten und dafür Sorge zu tragen, daß die bei der Untersuchung des Gepäcks der Betroffenen abhanden gekommenen Gegenstände möglichst unverzüglich zurückgegeben werden.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, nachdem der deutsche Botschafter in Guatemala dem Informationsbüro Nicaragua in Wuppertal per Telex am 4. März 1981 mitteilte, daß der Fall dem Auswärtigen Amt, Referat 331, vorgelegt worden sei — und zwar von der Botschaft — und von dort weitere Nachricht an das Informationsbüro gehen würde, erlaube ich mir zu sagen, daß ich Ihre Antwort damit nicht mehr in Einklang bringen kann. Anders ausgedrückt: Wer ist nun dafür zuständig, den Leuten eine Nachricht zukommen zu lassen, ob sie eine Chance haben, die gestohlene Habe wiederzubekommen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben auf verschiedenen Ebenen versucht, einzuwirken. Ich habe Ihnen eben gesagt, daß die nach unseren Erfahrungen wirksamste Einflußnahme gewählt worden ist, nämlich die Übergabe eines Aidemémoire an den Botschafter hier. Ich hoffe, daß damit auch das Ergebnis bewirkt werden kann, daß die Gegenstände freigegeben werden.
Ich rufe die Frage 85 des Abgeordneten Dreßler auf:Welche Aussichten bestehen nach Auffassung der Bundesregierung, daß die anläßlich des Vorfalls entwendete persönliche Habe der deutschen Mitarbeiter des Informationsbüros Nicaragua e. V. wiederbeschafft werden?Bitte, Herr Staatsminister.
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1422 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dem Botschafter von Guatemala wurde bei seiner Einbestellung mit dem Aide-mémoire eine Liste der bei der Durchsuchung des Gepäcks abhanden gekommenen Gegenstände mit der Bitte übergeben, die für die Rückgabe an die Eigentümer notwendigen Schritte bei seiner Regierung zu unternehmen. Allerdings dürften die Chancen dabei nach unserer Erfahrung nicht zu hoch eingeschätzt werden.Das Auswärtige Amt und unsere Botschaft werden sich weiterhin nachdrücklich um eine Rückgabe der Gegenstände bemühen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dreßler, bitte.
Darf ich daraus entnehmen, Herr Staatsminister, daß über den deutschen Botschafter in Guatemala ein förmlicher Protest eingelegt worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe Ihnen schon gesagt, daß der Protest durch ein Aide-mémoire hier eingelegt worden ist. Ich unterstreiche noch einmal, daß uns dieser Weg am ehesten Hoffnung gibt, das Ergebnis zu erzielen, das wir suchen.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 86 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik der großen Eurobanken an dem jüngsten Polen gewährten staatsverbürgten 150-Millionen Kredit., weil mit diesem Kredit keinerlei Auflagen an Polen verbunden worden seien?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesregierung ist von einer in Ihrer Frage erwähnten Kritik der Eurobanken nichts bekannt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka, bitte.
Ist der Bundesregierung dann entgangen, was in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 26. März 1981 zu lesen war, nämlich daß die Eurobanken kritisiert hätten, daß dieser jüngste Kredit blanko gewährt worden sei; „man müßte auch von den Regierungen der Gläubigerländer jetzt erwarten können, daß sie mit neuen Kreditbewilligungen harte Auflagen an Polen verbinden."
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir alle lesen die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", und vielleicht steckt gelegentlich auch ein kluger Kopf dahinter. Aber nicht immer können wir alles das, was in ihr steht, für bare Münze nehmen. Uns ist das von den Banken, auf die Sie Bezug nehmen, nicht vorgetragen werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, kennen Sie den anderen Vorschlag, daß man Polen angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation raten sollte, dem Internationalen Währungsfonds beizutreten, weil das bezüglich der Wirtschaft in Polen eine gewisse Sicherheit für die Kreditgeber wäre?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kenne nur den Ratschlag, unsere Interessen auch dadurch zu wahren, daß wir der Volksrepublik Polen jetzt, soweit das in unseren Kräften steht, helfen, ihre eigenen Angelegenheiten lösen zu können.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß diese Kritik aus Bankkreisen in auffälliger Übereinstimmung mit der Kritik der polnischen Gewerkschaft Solidarität steht, die darauf hingewiesen hat, daß ein Großteil der ausländischen Hilfe durch die völlige Unfähigkeit der polnischen Wirtschaftsbürokratie vereitelt wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das ist mir so nicht bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es angesichts der augenblicklichen Lage in Polen darauf ankommt, schnell, unbürokratisch und wirksam zu helfen und nicht eine Debatte über Bedenken von Eurobanken angesichts der gewährten und ausgestellten Kredite zu entfachen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt solche Bedenken auch nicht; auf jeden Fall sind sie uns nicht bekannt. Wir sind auch dagegen, daß immer irgendwelche Bedenken gegen eine Sache zitiert werden, die vom ganzen deutschen Volk und von der Bundesregierung und, wie ich hoffe, vom ganzen Hause für richtig gehalten werden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Böhme zur Verfügung.Die Fragen 87 und 88 des Herrn Abgeordneten Pensky sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal.Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
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Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1423
Vizepräsident WurbsHat die Bundesregierung die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Wohngebäude in nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 formell festgestellten Schutzzonen bei der Feststellung der Einheitswerte auf Antrag generell mit einem Abschlag versehen werden können?Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, ich bitte, die beiden von Ihnen eingereichten Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Welchen Bewertungsabschlag hält die Bundesregierung in der Schutzzone 1 und in der Schutzzone 2 — jedenfalls dem Rahmen nach — für angemessen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich bedanke mich. — Nach § 82 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes können bei der Einheitsbewertung von Grundstükken ungewöhnlich starke Beeinträchtigungen durch Lärm dann zu einem Abschlag vom Grundstückswert führen, wenn sich diese Beeinträchtigungen nicht bereits in der Höhe der Jahresrohmiete oder in der Höhe des sogenannten Vervielfältigers ausgewirkt haben. Es ist davon auszugehen, daß sich die Beeinträchtigung durch ungewöhnlich starken Fluglärm im Einzugsbereich von Flugplätzen bei einem Großteil der im Ertragswertverfahren bewerteten Objekte bereits in einer geringeren Jahresrohmiete ausgewirkt und somit auch den Einheitswert bereits entsprechend gemindert hat. Gleichwohl werden von der Finanzverwaltung bei allen in Einflugschneisen größerer Verkehrs- oder Militärflugplätze belegenen Grundstücke auf den so ermittelten Wert noch zusätzlich Abschläge gemacht.
Diese Abschläge betragen nach übereinstimmenden Entscheidungen und Erlassen der Obersten Finanzbehörden der Länder im Einvernehmen des Bundes
1. bei Verkehrsflughäfen und militärischen Flugplätzen ohne An- und Abflug von Flugzeugen mit Strahltriebwerken in der Schutzzone 1 bis zu 5 und in der Schutzzone 2 bis zu 3 % und
2. bei Verkehrsflughäfen und militärischen Flugplätzen mit An- und Abflug von Flugzeugen mit Strahltriebwerken in der Schutzzone 1 bis zu 10 %, in der Schutzzone 2 bis zu 5 %.
Diese Abschläge, Herr Kollege, wirken sich bei allen einheitswertabhängigen Steuern, also Grundsteuer, Erbschaftsteuer, Vermögensteuer und Besteuerung des Nutzungswertes im eigengenutzten Einfamilienhaus, aus.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, Sie haben von den Abschlägen in den Schutzzonen 1 und 2 gesprochen. Darf ich fragen, welcher Abschlag für die Schutzzone 3 vorgesehen ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Hier sind keine generellen Abschläge vorgesehen. Jedoch kann nach Lage des Falles von den einzelnen Finanzämtern hier im Wege von Erlassen noch zusätzlich Hilfe gewährt werden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob die Abschläge für die Schutzzonen 1 und 2 auf irgendwelchen gutachtlichen Stellungnahmen beruhen und ob die Bundesregierung bereit ist, diese zu überprüfen, wenn der Marktwertabschlag für ein Grundstück, welches in der Nähe eines Militärflughafens liegt, nachweisbar erheblich größer ist als die von Ihnen genannten Richtsätze?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Maximalabschläge, Herr Kollege, sind von den Finanzverwaltungen der Länder festgesetzt worden. Nach den Erkundigungen, die die Bundesregierung laufend bei den Ländern einholt, haben sich diese Maximalabschläge zur Zeit als ausreichend erwiesen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte noch einmal fragen: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Richtsätze ausreichend seien, aber ich frage Sie, Herr Staatssekretär, ob Ihnen bekannt ist, woraus die Bundesregierung diese Auffassung gewinnt oder gewonnen hat.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Sie wissen genau, daß der Bundesfinanzminister keine eigene Unterverwaltung hat, sondern daß die Finanzen und damit auch die Festsetzung der Einheitswerte durch die Länder als eigene Landesverwaltung geschieht. Die Erkenntnisse und Informationen werden uns von den Bundesländern übersandt. Darauf beruht meine Antwort.
Letzte Zusatzfrage, bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, darf ich Sie, bezugnehmend auf den ersten Teil Ihrer Antwort, fragen, ob, wenn die Schutzzone erst nach Feststellung des Einheitswertes festgestellt worden ist, auch dann eine Fortschreibung des Einheitswertes in Angriff genommen wird, wenn fraglich ist, ob die übliche Fortschreibungsgrenze von 5 % erreicht ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies muß natürlich vom Finanzamt im Einzelfall entschieden werden. Ich würde meinen, daß eine solche Fortschreibung erforderlich ist und daß die Finanzämter alles tun, damit die Bürger, die bekanntermaßen in Einflugschneisen sehr belästigt sind, die also eine Belastung auf sich nehmen müssen, wenigstens von dieser Seite eine Entlastung erfahren.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Friedmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die hier genannten Abschläge
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1424 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Dr. Friedmanndazu führen, daß unter anderem die Grundsteuereinnahmen der Gemeinden sinken, die ja selbst sehr vom Fluglärm betroffen sind, so daß eine Situation entsteht, die derjenigen gleicht, wenn sich jemand am eigenen Schopfe aus dem Sumpf herausziehen soll?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist richtig, daß es sich bei der Grundsteuer um eine Gemeindesteuer handelt und daß die finanziellen Auswirkungen die Gemeinden treffen. Dies hängt aber auch sicher damit zusammen, daß die Gemeinden eben die Möglichkeiten haben oder gehabt haben, selbst darüber zu entscheiden, ob der Flugplatz gerade dorthin kommt oder nicht. Es handelt sich in der Regel um sehr alte Entscheidungen, die von den Gemeinden vor alters getroffen worden sind und die die Bundesregierung nicht beeinflussen kann oder auch nicht beeinflussen will.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Der Fragesteller der Fragen 92 und 93, Herr Abgeordneter Milz, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 94 des Abgeordneten Lintner auf:
Wie bringt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Pendler im Zonenrandgebiet von der Mineralölsteuer besonders betroffen sind, u. a. mit § 2 Abs. 1 Nr. 4 des Bundesraumordnungsgesetzes in Einklang, wonach die Lebens- und Arbeitsbedingungen denen im gesamten Bundesgebiet mindestens gleichwertig sein sollen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird ein Konzept zur Änderung der Kilometerpauschale erarbeiten. Dabei sollen auch die in Ihrer Frage angesprochenen Punkte in die Prüfung und Entscheidung einbezogen werden. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß sich die Bundesregierung mit den Bundesländern seit Jahren darum bemüht, durch regionale und zonenrandpolitische Förderungsmaßnahmen im sogenannten Zonenrandgebiet neue Arbeitsplätze zu schaffen, um damit den Zwang zum Pendeln abzubauen.
Zu einer Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie den betroffenen Bevölkerungskreisen irgendeinen Anhaltspunkt dafür geben, daß der Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten der Steuererhöhung am 1. April und dem Inkrafttreten der Ausgleichsmaßnahmen nicht unzumutbar lang sein wird?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird ihr Konzept im Zusammenhang mit der beabsichtigten Änderung der Kfz-Steuer vorlegen. Dies soll möglichst bis zum Ende der Sommerpause geschehen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Lintner.
Darf ich noch einmal nachfragen: Bis wann rechnen Sie damit, daß diese Ausgleichsmaßnahmen echt und tatsächlich in Anspruch genommen werden können?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird sich bemühen, diese Ausgleichsmaßnahmen so bald als möglich im Rahmen des von mir genannten Konzeptes vorzulegen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, in welche Richtung soll denn nach Ihrer Auffassung oder nach Auffassung der Bundesregierung dieses Bündel von Überlegungen gehen, nachdem doch in der letzten Sitzungswoche hier in der Fragestunde Ihr Kollege Haehser im Auftrag der Bundesregierung jede Erhöhung der Kilometerpauschale seitens der Bundesregierung ausdrücklich abgelehnt hat?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß es vorschnell wäre, nur eine solche Anhebung der km-Pauschale vorzuschlagen. Es können überhaupt nicht einseitig und vorschnell, Herr Kollege, Lösungen vorgetragen werden, die den finanz- und verkehrspolitischen sowie den ökonomischen Erfordernissen nicht entsprechen.
Diese Punkte, von denen ich eben sprach, sollen dagegen im Konzept der Bundesregierung enthalten sein, um damit das Pendlerproblem einer ökonomisch richtigen wie auch finanz- und verkehrspolitisch notwendigen Lösung zuführen zu können.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gobrecht.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen ein Flugblatt der CDU/CSU bekannt, das gestern am 1. April anläßlich der Erhöhung der Mineralölsteuer an Tankstellen verteilt worden ist; und wie werten Sie, wenn es Ihnen bekannt ist, darin getroffene Aussagen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung ist dieses Flugblatt bekannt. Eine Durchsicht hat ergeben, daß die dort angeführten Zahlen zum Teil irreführend oder zum Teil falsch sind. Im Flugblatt wird zum Beispiel die jetzige Steueranhebung bei der Mineralölsteuer um 7 Pfennig zusammengeworfen und in eins gerechnet mit der möglichen Anhebung der Mineralölsteuer im Zusammenhang mit einer erwogenen und jetzt noch zu prüfenden und zu entscheidenden Änderung bei der Kfz-Steuer. Dies ergibt natürlich eine ganz andere Zahl. die dann hier als ausgewiesene Anhebung der Mineralölsteuer genannt wird. Tatsächlich aber dürfen beide Vorgänge nicht zusammengerechnet werden, schon deswegen nicht, weil die Bundesregierung mehrfach ausgeführt hat, daß bei einer möglichen Änderung der Kfz-Steuer unverzüglich, also in diesem gleichen Moment, eine Lösung des Pendlerproblems mit vorgeschlagen wird.
Weiterhin ist festzustellen, daß hier ein Extrembeispiel — nämlich eines mit einer Fahrleistung von 30 000 km — durchgerechnet worden ist. Wenn man die Zahlen in diesem Bereich kennt, ist festzuhalten,
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn. Donnerstag, den 2. April 1981 1425
Pari. Staatssekretär Dr. Böhme
daß mehr als 90 % der Pendler weniger als 20 km tägliche Fahrleistung haben, so daß das gewählte und im Flugblatt der CDU zugrunde gelegte Beispiel allenfalls 2 % der Pendler, vielleicht sogar noch weniger, tatsächlich betrifft. Deswegen kann man wohl sagen, daß dieses Beispiel ein Extrembeispiel ist, welches in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle die wirkliche Lage überhaupt nicht trifft.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Spöri.
Herr Staatssekretär, bis wann wird die Bundesregierung einen Lösungsvorschlag zum Ausgleich von Härtefällen bei Pendlern machen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich schon vorhin auszuführen Gelegenheit hatte, wird sich die Bundesregierung darum bemühen, das von mir genannte Konzept bis zum Ende der Sommerpause vorzulegen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Wilms.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihre Darlegungen bezüglich des Flugblattes der CDU dahin gehend richtig verstanden, daß Sie der Absicht, den Pendlern entgegenzukommen, erst dann nahetreten, wenn die Kfz-Steuer umgelegt werden könnte?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich habe deutlich ausgeführt, daß die Bundesregierung auch im Zusammenhang mit der Änderung der Kfz-Steuer ein Konzept erarbeiten will, welches sowohl ökonomisch richtig ist als auch den verkehrs- und finanzpolitischen Gegebenheiten Rechnung trägt. Dies soll bis Ende der Sommerpause geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatssekretär, gehen Sie also davon aus, daß Ausgleichsmaßnahmen nur im Zusammenhang mit einer möglichen Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer erwogen werden? Gibt es da ein Junktim oder nicht?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin ausgeführt, daß die Bundesregierung mehrfach angekündigt hat, daß sie prüft und beabsichtigt, einen Gesetzentwurf zur Änderung der Kfz-Steuer vorzulegen, und daß ein Teil dieses Konzepts und der gesamten Überlegungen auch darin besteht, die Gesamtproblematik der Pendler aufzugreifen und einer vernünftigen Lösung entgegenzuführen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zu den Fragen 95 und 96. Der Fragesteller, der Herr Abgeordnete Carstens , ist nicht im Saal.
Ich rufe die Frage 97 des Grafen Stauffenberg auf:
Trifft es zu, daß die Aufnahme kurzfristiger Kredite durch den Bund auf dem Geldmarkt neben der Inanspruchnahme der Kassenverstärkungskredite bei der Deutschen Bundesbank eine Hauptursache für die überhöhten Zinsen für Tagesgeld am 2. März 1981 war, und kann die Bundesregierung angeben, welche Auswirkungen dies auf den Finanzierungsspielraum der gewerblichen Wirtschaft, der Länder und der Gemeinden hatte?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ursache für den hohen Anstieg der Geldmarktsätze am 2. März 1981 war nicht die Aufnahme von Geldmarktmitteln durch den Bund, sondern die vorangegangene Einstellung der Sonderlombardgewährung durch die Deutsche Bundesbank an diesem Tage. Hinzu kamen arbeits- und markttechnische Gründe.
Schwankungen der Geldmarktsätze an einem Tage dürfen den Finanzierungsspielraum der gewerblichen Wirtschaft, der Länder und der Gemeinden nicht beeinträchtigen. Die Tagesgeldsätze sind im übrigen am darauffolgenden Tag wieder deutlich gesunken, weil die Bundesbank die Gewährung des Sonderlombards wieder aufnahm.
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie hoch tatsächlich an diesen fraglichen Tagen, also um den Monatswechsel einschließlich des Rosenmontags, die Kassenkredite waren, die die Bundesregierung a) bei der Bundesbank und b) am allgemeinen Kapitalmarkt aufgenommen hat?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die erste Zahl kann ich Ihnen nennen, Herr Kollege, weil sie Gegenstand der soeben zurückgestellten Frage des Kollegen Carstens ist. Das Gesamtvolumen der Kassenverstärkungskredite betrug am 2. März 1981 6,3 Milliarden DM. Davon wurden 5,6 Milliarden DM als Kassenkredit bei der Bundesbank aufgenommen. Die Antwort auf die andere Frage reiche ich Ihnen schriftlich nach; ich habe die Zahlen jetzt nicht so genau parat.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind bei diesen von Ihnen genannten 6,3 Milliarden DM bereits jene Beträge abgesetzt, die als Späteingänge in der Gesamtbilanz der Kassenkredite dann als Guthaben verbucht worden sind?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich, Herr Kollege. Bei den sogenannten Späteingängen handelt es sich um Zahlungen, die nachmittags bei der kontoführenden Steile, in dem Falle also bei der Bundesbank, eingehen. Auch wenn die Buchung erst am nächsten Tag erfolgt, erfolgt die Wertstellung für den Tag des Eingangs, so daß das in dem gesamten Kassenkredit enthalten war.
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1426 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rapp.
Herr Staatssekretär, sieht das Bundesbankgesetz überhaupt vor, daß diese Unterwegs-Schecks einbezogen werden müssen, und können diese Unterwegs-Schecks überhaupt aktuell zutreffend ermittelt werden?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Das Bundesbankgesetz, Herr Kollege, sagt nichts darüber aus, daß diese sogenannten Unterwegs-Schecks anzurechnen sind. Im übrigen würde eine genaue Ermittlung einen unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand verursachen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Haase .
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesrepublik Deutschland an diesen fraglichen Tagen für Teilbeträge Zinssätze bis zu 27 % zahlen mußte?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Diese Frage kann ich auch sehr genau beantworten, weil das der Frage des Kollegen Carstens zugrunde lag. Es war der Rosenmontag, so daß die Frage, ob dies Auswirkungen für andere Geschäfte hatte, sich weniger gestellt hat. An diesem Tag wurden für Tagesgeld bei einem Teilbetrag von 0,6 Milliarden DM 21 % Zinsen per annum gezahlt und für einen Betrag von 100 Millionen DM 27,5 %.
Kein Kommentar, Herr Abgeordneter! Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann.
Stimmen Sie mir zu, daß die Liquiditätslage des Bundes somit Anfang März äußerst prekär war, und sehen Sie einen Zusammenhang mit der Erklärung einer Großbank, sie möchte in diesem Jahr dem Bund keine einzige Mark mehr leihen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein, da sehe ich überhaupt keinen Zusammenhang. Es waren besondere Gründe, daß die Zinssätze in diesen Tagen derart hoch gewesen sind. Das hat überhaupt nichts mit dem anderen Teil Ihrer Frage zu tun.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Spöri.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die extreme geldpolitische Klemme an diesem Tag und die extreme Zinsentwicklung hauptsächlich auf die neuartige Handhabung des geldpolitischen Instrumentariums der Bundesbank zurückzuführen ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich habe dies vorhin zu umschreiben versucht. Aber nachdem Sie so genau nachfragen, muß und will ich bestätigen, daß die extremen Tagesschwankungen an dem besagten 2. März mit der Suspendierung des Sonderlombards durch die Bundesbank zusammenhingen. Damit ist selbstverständlich keine Kritik verbunden. Ich möchte hinzufügen, daß dies keinesfalls den Absichten der Bundesbank entsprach, die auf Verstetigung der Geldmarktmittel ausgerichtet sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gobrecht.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der Bund im Interesse sparsamer Haushaltswirtschaft bei Bedarf erst den billigeren Buchkredit bei der Bundesbank in Anspruch nehmen sollte, ehe er in den teureren Geldmarkt geht, und wissen Sie, wie die Zinssätze am 2. März bei der Bundesbank und auf dem Geldmarkt gewesen sind?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß der Bundesfinanzminister sich im generellen bemüht, sogenannte Buchkredite aufzunehmen, wenn diese Buchkredite billiger sind als das sogenannte Tagesgeld. Ich habe die genauen Sätze nicht parat. Im März bewegte sich das Zinsniveau für Buchkredite bei etwa 7,5% und für Tagesgeld bei etwa 12,5 %.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 98 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf.
Trifft es zu, daß ohne die Inanspruchnahme kurzfristiger Kredite auch auf dem Geldmarkt der Bund am Monatswechsel Februar/März 1981 entweder seinen Verpflichtungen zur Zahlung der Gehälter an seine Bediensteten oder seinen sonstigen fälligen Verpflichtungen nicht hätte nachkommen können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage ist rein hypothetisch. Der Bund verfügte am Monatswechsel Februar/März 1981 über die erforderlichen kurz- und langfristigen Kredite, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß dies auch in Zukunft so sein wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg, bitte.
Herr Staatssekretär, wenn dies so selbstverständlich gewesen wäre, wie Sie eben gesagt haben, und offenbleibt, warum der Bund den horrenden Zinssatz, wie Sie vorhin gesagt haben, von 27,5 % für diesen einen Tag für eine nicht unbeträchtliche Summe gezahlt hat, habe ich folgende Frage: Ist von den Späteingängen, von denen Sie vorhin gesagt haben, daß sie bei der Zahl von 5,3 Milliarden DM natürlich abgebucht und berücksichtigt gewesen seien, in der Zwischenzeit retrospektiv bekannt, wie hoch sie tatsächlich gewesen sind?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen auswendig jetzt nicht sagen. Ich habe nur die Gesamtsumme an diesem Tag. Sie lautet übrigens 5,6 und nicht 5,35 Milliarden DM.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1427
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, treffen Meldungen zu, daß die Bundesbank an dem fraglichen Rosenmontag oder an einem Tag darum herum angesichts der Liquiditätsknappheit der Bundesregierung ihre kreditpolitischen Beschlüsse hinsichtlich des Sonderlombardsatzes kurzfristig ausgesetzt oder relativiert hat?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies kann ich nicht bestätigen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß die exorbitant hohen Zinssätze an diesem Tag überhaupt nichts mit einer Finanzsituation der Bundesregierung zu tun haben, sondern damit, daß die Bundesbank ihre Konditionen geändert hat, worauf hinzuweisen ich vorhin schon Gelegenheit hatte. Daß dies üblicherweise an Tagen geschieht, an denen sonst kein starker Geldverkehr vorliegt, hatte ich auch schon erwähnt. Das war, wie gesagt, der Rosenmontag.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rapp.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß es sich am 2. März teils um eine mit der Bundesbank abgesprochene Inanspruchnahme des Geldmarkts, teils um eine von der Bundesbank genehmigte Inanspruchnahme des Kassenkredits zur kurzfristigen Überbrückung einer Diskrepanz zwischen Einnahme und Ausgabe, wie das im Gesetz so steht, gehandelt hat, und ließe sich dies durch eine Aussage Ihrerseits bestätigen, wie hoch zwischenzeitlich die Kassenguthaben der Bundesregierung gewesen sind?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Kassenverstärkungsmittel — um die handelt es sich hier — betragen nach den gesetzlichen Bestimmungen etwa 5 % des jeweiligen Haushaltsvolumens. Das wären also jetzt über 10 Milliarden DM. Kassenkredite darf die Bundesbank nach den gesetzlichen Bestimmungen dem Bund bis zu einer Höhe von 6 Milliarden DM gewähren. In praxi, Herr Kollege, hat die Bundesbank diesen Kassenkredit auf 5 Milliarden DM beschränkt, um Buchungen auch korrekt erfassen zu können. An diesem Tag war somit das in der Praxis geltende Limit von 5 Milliarden DM überschritten, wobei ich darauf hinweisen muß, daß es sich um ein internes Limit ohne Absprache mit der Bundesbank handelt. Daraus ergibt sich schon, daß die Bundesbank an diesem Tage selbstverständlich über die Tatsache der Aufnahme und die Höhe des Kassenkredites informiert war und zustimmte.
Im zweiten Teil Ihrer Frage hatten Sie gefragt: Weiches war der Höchstbetrag der Inanspruchnahme des Geldmarktes im März? Dieser betrug 8,4 Milliarden DM.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Spöri.
Herr Staatssekretär, können Sie uns, in der Tendenz zumindest, schildern, wie sich die Kassenlage des Bundes in den Tagen nach dem exotischen Zinstag 2. März bis heute entwickelt hat?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es handelt sich um eine ganz kurzfristige Maßnahme, die damals an diesem 2. März aufgenommen worden ist — um eine kurzfristige Diskrepanz —, zu einem auch entsprechend kurzfristigen Liquiditätsausgleich. Die genauen Zahlen, die Sie erfragen, kann ich aus dem Stegreif nicht nennen. Ich bin gern bereit, sie nachzuliefern.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr.
Wir kommen zu den Fragen 99 und 100. Die Fragestellerin ist nicht im Saal.
Wir sind damit am Ende der Fragen aus diesem Geschäftsbereich.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 101 des Abgeordneten Repnik auf:
Treffen Meldungen zu, wonach deutsche Architekten und Ingenieure in der Schweiz ohne Niederlassungsbewilligung, die erst nach zehnjährigem ununterbrochenen Aufenthalt in der Schweiz erteilt wird, keine selbständigen Tätigkeiten ausüben können und auch nicht zu in der Schweiz ausgeschriebenen Wettbewerben zugelassen werden, da die Schweiz Arbeits- oder Grenzgängerbewilligungen nur an Arbeitnehmer erteilt und Selbständigen die Übernahme von Aufträgen verwehrt, obwohl schweizerische Architekten und Ingenieure in der Bundesrepublik Deutschland ohne Schwierigkeiten an deutschen Wettbewerben teilnehmen und auch selbständige Planungen ausführen können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Meldungen, wonach deutsche Architekten und Ingenieure ohne eine Niederlassungsbewilligung der Schweiz dort keine selbständigen Tätigkeiten ausüben können und auch nicht zu in der Schweiz ausgeschriebenen Wettbewerben zugelassen werden, treffen in diesem Falle nicht zu. Es gibt keine Vorschriften, die ein Tätigwerden deutscher Architekten und Ingenieure in der Schweiz schlechthin ausschließen. Allerdings stimmt, daß in der Praxis deutsche Architekten und Ingenieure nicht in demselben Maße Möglichkeiten für ein Tätigwerden in der Schweiz wahrnehmen können wie schweizerische Architekten und Ingenieure in Deutschland.Dies hat verschiedene Gründe. Soweit öffentliche Auftraggeber in der Schweiz Tätigkeiten und Wettbewerbe ausschreiben, kommt es auf die Teilnahmebedingungen an, die sie jeweils festlegen. Die schweizerischen Kantone und Gemeinden sind bezüglich der Ausschreibungsbedingungen autonom und können infolgedessen den Teilnehmerkreis auf inländische Architekten und Ingenieure beschränken. Ein anderes Hindernis liegt darin, daß deutsche Architekten und Ingenieure ausländerrechtliche Bewilligungen für sich und ihre Arbeitnehmer nicht in dem Umfange erhalten, der zur Ausübung von Tätigkeiten in der Schweiz erforderlicht ist. Die restriktive Ausländerpolitik der Schweiz wirkt sich auch in diesen Fällen aus. Deutschen Architekten und Ingenieuren bleibt allerdings unbenommen, Tätigkeiten
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1428 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Parl. Staatssekretär Grünerin der Schweiz mit Hilfe schweizerischer Angestellter wahrzunehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Repnik? — Keine.
Ich rufe die Frage 102 des Abgeordneten Repnik auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung gegen die völlig unausgeglichene Konkurrenzlage in diesem Bereich zu ergreifen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist bereit, die Ursachen für die unausgeglichene Konkurrenzlage deutscher Architekten und Ingenieure in der Schweiz im Vergleich zu schweizerischen Architekten und Ingenieuren in Deutschland näher zu untersuchen, und wird sich im Rahmen des Möglichen bei der schweizerischen Regierung für eine Verbesserung der Wettbewerbschancen der deutschen Architekten und Ingenieure verwenden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß angesichts der schlechten Auftragslage im Baugewerbe und in der Bauplanung im Bereich Südbaden entlang der schweizerischen Grenze gerade diese Chancenungleichheit zwischen schweizerischen Unternehmen und deutschen Unternehmen zunehmend deutsche Unternehmen in Schwierigkeiten — bis hin zur Existenzbedrohung — bringt, und ist die Bundesregierung bereit, angesichts dieser akuten Situation deutscher Unternehmer hier in nächster Zeit tätig zu werden und mit der Schweiz in offizielle Verhandlungen einzutreten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung sind derartige Existenzbedrohungen nicht bekannt.
Ich bestätige noch einmal, daß wir uns um die Verbesserung der Möglichkeit für deutsche Architekten und Ingenieure, in der Schweiz tätig zu sein, im Rahmen des Möglichen bemühen werden. Ich bestätige ferner, daß das natürlich vor allem für im Grenzraum Ansässige von besonderer Bedeutung ist.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zur Frage 103. Der Fragesteller ist nicht im Saal.
Ich rufe die Frage 104 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Trifft es zu, daß der Staatsratsvorsitzende der DDR, Honecker, von der Bundesregierung die Lieferung von Steinkohle und anderen Kohleerzeugnissen bzw. Koks um mehr als 100 Millionen DM aufgestockt haben möchte, und ist die Bundesrepublik Deutschland in Anbetracht der angespannten Energieversorgungslage überhaupt in der Lage, Kohlelieferungen in diesem Umfang vorzunehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Staatsratsvorsitzende der DDR, Herr Honecker, hat sich wegen einer Erhöhung des vereinbarten Lieferkontingents für Steinkohle und Steinkohlenkoks im Rahmen des Abkommens über den innerdeutschen Handel nicht unmittelbar an die Bundesregierung gewandt. Vielmehr wurde — wie auch in früheren Jahren mehrmals geschehen — auf Wunsch der DDR zwischen der Treuhandstelle für den Interzonenhandel und dem Ministerium für Außenhandel am 15. März 1981 eine Vereinbarung getroffen, den bestehenden Genehmigungsrahmen für Steinkohlenlieferungen in die DDR für 1981 von 250 Millionen Verrechnungseinheiten auf 450 Millionen Verrechnungseinheiten zu erhöhen. Die Ausfüllung dieser Rahmenvereinbarung ist ausschließlich Sache der kommerziellen Unternehmen in der Bundesrepublik bzw. der DDR. Bei derzeit wieder leicht steigenden Haldenbeständen können gegenüber dem Vorjahr erhöhte Lieferungen ohne Beeinträchtigung der Versorgung in der Bundesrepublik vorgenommen werden.
Zusatzfrage? — Nein.
Ich rufe jetzt die Frage 105 des Abgeordneten Niegel auf:
Wird die DDR in der Lage sein, die vorstehenden erhöhten Lieferungen aus der Bundesrepublik Deutschland bezahlen zu können, oder wird im Zuge eines erhöhten Swings dieser Betrag kreditiert werden, bzw. muß befürchtet werden, daß durch Dumpingimporte aus der DDR, z. B. auf dem Polstermöbel-, Kinderwagen-, Porzellan-, Textil- und Nahrungsmittelsektor dieser Betrag ausgeglichen werden soll?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die DDR kommt ihren Zahlungsverpflichtungen im innerdeutschen Handel pünktlich nach. Es besteht kein Anlaß, zu bezweifeln, daß die DDR in der Lage ist, die erhöhten Steinkohlenlieferungen zu bezahlen. Eine Erhöhung des Swing steht nicht zur Diskussion. Sie wurde von keiner Seite ins Spiel gebracht. Es ist mit der DDR auch keine besondere Kompensationsvereinbarung getroffen worden. Die Bezahlung der Steinkohlenlieferungen wird die DDR aus den Erlösen ihrer Lieferungen im Rahmen des normalen Waren- und Verrechnungsverkehrs tätigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die DDR komme ihren Zahlungsverpflichtungen nach; aus welchen Gründen erhöht sich dann ständig der Swing?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das resultiert in allererster Linie aus der Erhöhung des Handelsaustausches.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Bedeutet die Erhöhung um 150 Millionen Verrechnungseinheiten nicht auch eine Erhöhung des Handelsaustausches?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Erst dann, Herr Kollege, wenn von dieser Erhöhung Gebrauch gemacht wird. Eine solche Vereinbarung sagt noch nichts darüber aus, in welchem Umfang auf kommerzieller Basis tatsächlich Abschlüsse getätigt werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1429
Herr Staatssekretär, in welcher Höhe ist der Swing zur Zeit beansprucht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin auf diese Frage, da sie nicht gestellt war, leider nicht vorbereitet, werde Ihnen das aber gern schriftlich mitteilen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Der Fragesteller der Frage 106 hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 107 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Grund der Quotenregelung nach Artikel 58 des EGKS-Vertrags in Betrieben der Stahlindustrie kurzgearbeitet wird, um die Mengenbegrenzung in den Referenzzeiträumen einzuhalten, und von der Bundesanstalt für Arbeit Kurzarbeitsgeld gezahlt wird, obwohl Aufträge zur Auslastung der Betriebe vorliegen, und wie verträgt sich eine solche Kurzarbeit mit den Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes und mit der Politik der Vollbeschäftigung der Bundesregierung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß trotz vorliegender Aufträge zur Auslastung der Betriebe auf Grund der Quotenregelung nach Art. 58 des EGKS-Vertrages in Betrieben der Stahlindustrie — abgesehen von wenigen Einzelfällen — kurzgearbeitet wird. Die Höhe der Quoten wird von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an Hand der vorausgeschätzten Absatzmöglichkeiten festgelegt. Damit soll die Erlössituation am Stahlmarkt stabilisiert werden. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Quotenregelung generell zu einer Minderauslastung der Stahlindustrie führt. Die geringe Auslastung der Betriebe ist vielmehr im allgemeinen auf die zurückgegangene Nachfrage zurückzuführen. Dem Bundeswirtschaftsministerium sind einige wenige Fälle bekanntgeworden, in denen die Quotenzuteilung der Auftragslage des Unternehmens nicht entsprach. Das Ministerium hat Anträge der Unternehmen auf Erhöhung der zugeteilten Quoten gegenüber der Kommission der Europäischen Gemeinschaften unterstützt. Soweit bekannt, hat die Kommission den Anträgen im Rahmen der Möglichkeiten der Entscheidung über das Quotensystem stattgegeben.
Es mag zutreffen, daß in einzelnen Fällen Unternehmen dennoch unter Hinweis auf die Quotenregelung der Europäischen Gemeinschaften Kurzarbeit bei der Arbeitsverwaltung angemeldet haben und Kurzarbeitsgelder gezahlt worden sind. Hierzu ist die Bundesanstalt für Arbeit auf Grund der gesetzlichen Vorschriften verpflichtet. Denn der Anspruch auf Kurzarbeitergeld setzt einen vorübergehenden Arbeitsausfall voraus, der auf wirtschaftlichen Ursachen oder auf einem unabwendbaren Ereignis beruht. Ein unabwendbares Ereignis liegt nach dem Arbeitsförderungsgesetz auch dann vor, wenn der Arbeitsausfall durch behördliche oder behördlich anerkannte Maßnahmen verursacht ist, die der Arbeitgeber nicht zu vertreten hat. Der EG-Beschluß über ein Quotensystem im Stahlbereich wäre eine solche behördliche Maßnahme, die einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld begründen würde.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete, bitte.
Herr Staatssekretär, wie würden Sie denn dazu stehen, wenn andere Branchen ähnliche Vereinbarungen treffen, so daß das bisherige Kriterium, wonach die Auftragslage ein wesentliches Moment für Kurzarbeit und den Bezug von Kurzarbeitergeld ist, ad absurdum geführt würde?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie wissen, daß wir die Quotenregelung nicht für eine gute Lösung gehalten haben und daß wir darum ringen, daß diese Quotenregelung ausläuft, was ja auch erreicht worden ist. Es bleibt aber dabei, daß es nach dem Arbeitsförderungsgesetz dann, wenn behördliche Maßnahmen getroffen worden sind und diese die Ursache für den vorübergehenden Arbeitsausfall darstellen, gerechtfertigt ist, Kurzarbeitsgelder zu zahlen. Das würde nach der Fassung des Gesetzes auch für alle andern behördlichen Maßnahmen gelten.
Eine weitere Zusatzfrage; bitte, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß Ihnen bekannt ist, daß bei Fragen der Arbeitszeitregelung der Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz mitzubestimmen hat. Wie stehen Sie zu dem Problem des Unterlaufens der Mitbestimmung des Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz durch solche Maßnahmen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann den Zusammenhang dieser Frage mit Ihrer schriftlichen Frage nicht sehen und wäre sehr dankbar, wenn Sie diese Frage bei einer anderen Gelegenheit stellen würden, so daß ich mich darauf vorbereiten kann.
Frau Abgeordnete, ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß die Frage 16 schriftlich beantwortet wird, da die Zeit der Fragestunde um ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. — Ich bedanke mich sehr.
Der Abgeordnete Braun hat seine Fragen 111 und 112 zurückgezogen.
Wir sind am Ende der Fragestunde.
Wir fahren im Tagesordnungspunkt 2, Beratung des Agrarberichts 1981, fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir vorweg drei Vorbemerkungen:Zunächst möchte ich Herrn Kollegen Ertl — ich sehe ihn leider nicht — meine Freude darüber aussprechen, daß er die wochenlangen nerventötenden Verhandlungen in Brüssel offenbar gut überstanden hat.
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1430 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Dr. Schmidt
Eine zweite Vorbemerkung: Die in der letzten Nacht gefaßten Preisbeschlüsse sind mir nur im groben Raster bekannt. Die Sparvorschläge bedürfen einer genauen Analyse. Der Einbau weiterer marktwirtschaftlicher Elemente bedarf der Nachprüfung. Die Auswirkungen der Beschlüsse auf Erzeuger und Verbraucher in den einzelnen Produktbereichen müssen noch untersucht werden. Kurzum: Kein Kommentar zu dieser Stunde. Ich bin eben nicht so klug wie der Kollege Kiechle,
der eben aus der Hüfte schießen kann. Aber die Öffentlichkeit kann sicher sein, daß ich in der kommenden Woche nach einer harten Prüfung dazu ausführlich und glasklar Stellung nehmen werde.
Eine dritte und letzte Vorbemerkung zur Rede des Kollegen Kiechle heute vormittag: Das von Anfang bis Ende seine Rede durchziehende Herumwühlen in Vorgängen des Kabinetts und der Vorstände der Fraktionen und der Parteien und dabei das besondere Streicheln, Herausstreichen und Prügeln des Bundesministers Ertl ist Methode und — lassen Sie mich noch hinzufügen — Methode im „Bild"-Zeitungsstil.
Derartige Angriffe unter die Gürtellinie auf den politischen Gegner hat es unter Agrarpolitikern in den 30 Jahren, die ich überschauen kann, nicht gegeben.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?
Nein. — Ich verabscheue solche Methoden. Lesen Sie meine Reden der letzten 30 Jahre nach, und Sie werden Derartiges nicht finden.
Was die Haltung seiner politischen Freunde angeht — sei es hier, sei es in den Ländern —: Wir könnten mit gleicher Münze heimzahlen. Kollege Kiechle hat den Mund zu voll genommen. Ich weiß ganz genau, daß die Bauern unter einem Herrn Strauß nicht viel zu erwarten haben.
Wie Herr Kohl mehr noch als die Bundesregierung Europa voranbringen und gleichzeitig seine Versprechungen an die Bauern einhalten will, das wird für immer sein Geheimnis bleiben.
Wenn man in der Sache keine brauchbaren und zu verwirklichenden Lösungen anzubieten hat, nimmt man eben Zuflucht zu billigen Angriffen.Nun, zu den einzelnen Sachpunkten in den Bemerkungen des Kollegen Kiechle wird mein Freund Rudi Müller, sein Landsmann, das Nötige sagen.Aber noch eins, ehe ich es vergesse: Die SPD braucht von Herrn Kiechle und von der CDU keine Belehrungen über die Leistungen der deutschen Landwirte und Bauern.
Wir brauchen keine Belehrungen über den hohen Stellenwert einer sicheren Ernährung. Wir wissen um den hervorragenden Beitrag der Land- und Ernährungswirtschaft zur Stabilität. Deshalb liegt uns nichts daran, daß zwischen den Bauern und den übrigen Gesellschaftsgruppen gegenseitige Vorwürfe gemacht und Gegensätze aufgebaut werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur europäischen Agrarpolitik und ihren Problemen zurückkommen. Nach der Debatte von heute vormittag kann ich mir Aussagen über die innere Situation in der Kommission wie in den Räten ersparen. Was mich zunehmend bitter macht, ist, daß nationale Interessen immer rücksichtsloser in den Vordergrund gerückt werden. Das war in den ersten 15 Jahren der EG nicht gegeben. Da bauen die einen ihre unvorstellbaren Überproduktionen rücksichtslos weiter aus, die anderen gewähren ihren Bauern MilliardenSubventionen zur Einkommensstützung, und die Dritten erpressen Beihilfen kaum vorstellbarer Art. Auf der anderen Seite kriegt man es nicht einmal fertig, Einigung darüber zu erzielen, daß Investitionsbeschränkungen bei der Milch- und Schweineproduktion durchgeführt werden.Ich habe den Eindruck, daß in der Gemeinschaft ein mieser Krämergeist immer mehr Schule macht.
Die Gründe und Ursachen für diese Entwicklung und für die veränderte Lage lassen Sie mich bitte in zehn Schlagzeilen aufführen:1. Mangelnde gemeinsame Auffassungen über den Stellenwert der Agrarwirtschaft;2. der technische Wandel und die rasanten wissenschaftlichen Erkenntnisse mit der Folge höherer Marktleistungen;3. einer schrumpfenden Nachfrage steht eine höhere Produktion und damit die Bildung höherer Überschüsse gegenüber;4. der Nettoimporteur ist zum Nettoexporteur geworden;5. die gesetzlichen Marktregelungen wurden unter ganz anderen Voraussetzungen konzipiert und weisen daher heute einige Mängel auf;6. Mängel in der Organisation, im System der Räte und der Kommission;Dr. Schmidt
7. die Veränderungen gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen und die Sachzwänge im Außenhandel;8. der finanzielle Spielraum ist überall deutlich eingeschränkt;9. der Egoismus der Länder ist durch die Erweiterung von sechs auf neun gewachsen und dürfte bei der Erweiterung von neun auf zwölf Länder noch weiter steigen;10. die Sensibilität der ganzen Bevölkerung gegenüber der Agrarfrage ist größer geworden.Welche Konsequenzen, meine Damen und Herren, ergeben sich aus diesen Feststellungen?Erstens. Ich meine, wir haben alle Anstrengungen zu machen, daß die EG zu gemeinsamen Grundlinien in der agrarpolitischen Zielsetzung zurückfindet. Dieser Konsens wäre durch die EG-Kommission vorzubereiten, und es wäre für den neuen Präsidenten, Thorn, eine ganz herausragende Aufgabe, dazu beizutragen.Zweitens. Die Funktionsfähigkeit der Agrarmärkte muß schnellstens wiederhergestellt, d. h. normalisiert werden. Patentlösungen dafür sind nicht in Sicht.Einige suchen Trost darin, daß es noch immer gelungen sei, sich durch die Probleme durchzuwursteln. Andere suchen Trost und das Heil in dem steigenden Bedarf auf den Weltmärkten auf Grund von Mißernten und von hohen Wachstumsraten der Weltbevölkerung. Wieder andere, gerade im wissenschaftlichen Bereich, nutzen die Chance, alle nur denkbaren Theorien und Vorstellungen der Öffentlichkeit und der Politik anzubieten. Da wird empfohlen: Einführung des englischen Systems. Da wird empfohlen: Kontingentierung von Betriebsmitteln wie Futtermitteln und Handelsdünger. Da wird empfohlen: Einführung von Produktionsquoten in vielen Variationen. Und da wird empfohlen, die Abschlacht- und Nichtvermarktungsprämien bei Milchvieh wiedereinzuführen, und noch vieles, vieles mehr.Meine Damen und Herren, zunächst einmal ist die Kommission gefordert. Sie hat vom Europäischen Rat im Mai 1980 den Auftrag erhalten, bis zum Sommer dieses Jahres einen Vorschlag zur Neuordnung des Agrarmarktes vorzulegen. Als Vorstufe hat sie urn die Jahreswende der Öffentlichkeit ein sogenanntes Strategiepapier übergeben.Eine erste Anmerkung dazu: Ich finde, in diesem Papier werden die Probleme verharmlost und die Schwierigkeiten verzerrt dargestellt.Und eine zweite Anmerkung dazu: Man merkt ganz deutlich, wer in der Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Gemeinschaft das Sagen hat und die Feder führt.Nach diesem Strategiepapier wird das gegenwärtige Marktsystem einer tiefgreifenden Änderung unterzogen. Zum Inhalt möchte ich, auch nur in Schlagworten, folgendes sagen.a) Für ein Dutzend Produkte soll ein Quantumsystem mit Kontingentierungen bis zum Hof eingeführt werden.b) Die Mitverantwortungsabgabe soll für einige Produkte — bisher war sie nur bei Milch gegeben — eingeführt und ausgeweitet werden. Schlimmer noch: Das System der Mitverantwortungsabgabe soll sogar institutionalisiert werden. Was das bedeutet, können Sie sich ausmalen. Es ist im Grunde genommen eine weitere, neue Steuer.c) Für die einzelnen Bereiche werden Preisdifferenzierungen je nach abgegebener Menge eingeführt.d) Der Außenschutz wird verstärkt; weitere Importbeschränkungen werden eingeführt. Und letztendlich:e) Der expansiven Ausfuhrpolitik für Agrargüter wird in diesem Papier das Wort geredet.Meine Damen und Herren, am liebsten würde ich dazu sofort im einzelnen Stellung nehmen, aber aus Zeitgründen muß ich mir das ersparen. Schon jetzt aber möchte ich auch den Geschäftsführern der Fraktionen die Anregung geben, daß über das endgültige Memorandum im Herbst dieses Jahres in diesem Hause diskutiert wird, damit die Regierung weiß, wie der Bundestag dazu steht.
Dennoch eine kleine Würdigung dieses vorläufigen Strategiepapiers:Ich finde, die Kommission hat sich in einen Dirigismus schlimmster Art geflüchtet, schlimmer, als es ihn jemals in der Zeit von 1933 bis 1945 gegeben hat.
Die Vorschläge führen zu unliebsamen, unlösbaren Verteilungskämpfen in der EG und im nationalen Bereich. Sie garantieren nach meiner Überzeugung den Konfliktstoff in Permanenz und sind daher europafeindlich. Und nicht zuletzt: sie sind ein Hindernis in der Entwicklung einer leistungsfähigen Landwirtschaft überhaupt.Ich gebe der Kommission einen Rat: Sie möge bei ihrem endgültigen Vorschlag darauf achten, daß ihre Vorschläge auch in allen Ländern der Gemeinschaft — inzwischen sind es zehn - durchführbar sind.
In meiner Fraktion ist über dieses Papier noch nicht diskutiert worden, aber ich glaube schon heute sagen zu dürfen, daß dieses System in seiner Gänze für uns unannehmbar ist.Meine Damen und Herren, meine Partei hat vor einem halben Jahr Vorschläge zur Normalisierung der EG-Agrarmärkte unterbreitet. Eine vorzeitige Veröffentlichung eines Vorentwurfs hat zu sehr kritischen Bemerkungen in den landwirtschaftlichen Blättern geführt. Leider hat dieselbe Presse über
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1432 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Dr. Schmidt
das beschlossene Papier kein Wort mehr verkündet.Was wollen wir mit unseren sozialdemokratischen Vorschlägen?Erstens die Funktion der Landwirte als Unternehmer erhalten, die Freiheit seiner Dispositionen garantieren.
Zweitens eine Grundsicherung ihrer Einkommen durch Preise und Märkte nicht in Frage stellen.
Drittens. Die Grundsicherung der Ernährung unserer europäischen Bevölkerung muß in Europa liegen und nicht auf den Weltmärkten.Viertens. Die Menschen, die man einem Strukturwandel nicht mehr zuführen kann, werden wir der Verelendung nicht preisgeben.
Fünftens. Die drei Grundelemente des Gemeinsamen Marktes, der freie Warenverkehr, der gemeinsame Außenschutz und die finanzielle Solidarität, werden damit nicht angetastet.
Meine Damen und Herren, darüber mehr — ich bin gleich fertig — in der Herbst-Debatte über die endgültigen Reformvorschläge der EG-Kommission.Zu dem ganzen Fragenkomplex darf ich jetzt am Ende meiner Darlegungen eine Bitte und eine Anregung an die Bundesregierung weitergeben:Erstens. Im Memorandum der Kommission im Sommer dürfte eine Aussage über die künftige Agrarstrukturpolitik unter kritischer Würdigung der Entwicklung und Handhabung der letzten 20 Jahre nicht fehlen.Zweitens. Die unzähligen Beihilfen für die Erzeugung, den Verbrauch und für die Verarbeitung haben ein solches Ausmaß angenommen, daß Vorschläge zur Reduzierung ernsthaft notwendig sind.
In dem vorhin genannten Strategiepapier, also dem Vorgänger, finden Sie kein einziges Wort über eine Reduzierung auch nur der kleinsten Beihilfe überhaupt. Deswegen muß man darauf besonders achten.In beiden Fällen, meine Damen und Herren und Herr Bundesminister, darf ich die Bitte aussprechen, daß Entscheidungen im Rat bis zur Verabschiedung des Gesamtpakets nicht mehr zu treffen sind, bevor nicht auch der Bundestag dazu Stellung bezogen hat.Drittens. Die EG-Kommission wird eine Aussage darüber zu machen haben, wo und in welchen Teilbereichen sie noch eine gemeinsame Politik anstrebt und für notwendig hält, wo sie nur eine Koordinierung der nationalen Regelungen für richtig hält, wo sie die Notwendigkeit gemeinsamer Preise für gegeben hält und wo nicht mehr.Das sind alles wertfreie Fragen. Ich könnte noch eine ganze Reihe von Fragen anhängen.So weit meine Bemerkungen zur Europapolitik, zur Agrarpolitik und zu meinen Wünschen an die Bundesregierung.Lassen Sie mich abschließend die Feststellung treffen, daß die Landwirtschaft wie die Agrarpolitik nach wie vor große Aufgaben vor sich haben. Sie liegen erstens in der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Ernährung unserer Bevölkerung,
zweitens in einem Beitrag zum Ersatz fossiler Energieträger duch nachwachsende Rohstoffe, drittens in der Sicherung unserer Naturgüter vor den zerstörenden Eingriffen einer hoch entwickelten Industriegesellschaft und letztens in der Verbesserung der positiven Umweltwirkungen unserer Land- und Forstwirtschaft. Diese Aufgaben sind bedeutungsvoll. Sie sind uns gestellt, und ich hoffe, daß wir sie erfolgreich bewältigen werden. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, ich habe von Ihnen schon Reden aus der Zeit nachgelesen, in der Sie in der Opposition und ich noch nicht im Bundestag war. Immerhin habe ich jetzt seit zwölf Jahren Gelegenheit, im Bundestag jeweils die agrarpolitische Diskussion zu verfolgen und in die Debatten einzugreifen. Daß Sie allen Grund haben, auf die Ausführungen meines Kollegen Kiechle etwas erregt zu reagieren, verstehe ich; denn auch in der SPD ist in den vergangenen 30 Jahren nicht vorgekommen, was gerade im letzten Jahr zu hören war, als maßgebliche Vertreter der SPD negative Äußerungen zur Europapolitik insgesamt machten. Man sprach von der Europapolitik und meinte die Agrarpolitik. Ich könnte auf einige Dinge eingehen; ich täte das sehr gerne.Ich möchte den Vorwurf zurückweisen, Kollege Kiechle habe heute vormittag unter die Gürtellinie geschlagen. Herr Minister Ertl, mit dem ich gesprochen habe, hat mir beispielsweise mit auf den Weg gegeben: Bitte sage Kollege Kiechle, er habe eine anständige Rede gehalten.
Das steht doch im Gegensatz zu der Meinung des Kollegen Schmidt, und ich möchte das deshalb an Sie weitergeben.
— Relativ, Herr Kollege Wehner.Die SPD braucht keine Belehrungen. Wir wollen die SPD nicht belehren. Aber wir nehmen uns das Recht heraus, Äußerungen von Politikern der ersten, der zweiten und der dritten Garnitur der SPD zur
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1433
SussetAgrarpolitik zum Anlaß zu nehmen, darauf zu antworten. Was hat Herr Brandt, was hat Herr Apel und was hat Herr Matthöfer in letzter Zeit zu den agrarpolitischen Problemen alles gesagt? Was kürzlich Herr Herberholz, Herr Immer in „Agra-Europe" erklärte, war wenig hilfreich. Gestern kam ein entsprechendes Papier auf den Tisch. Das ist doch Kritik an der Agrarpolitik, ohne daß überhaupt konstruktive Ansätze erwähnt werden, wie man es anders machen wollte.Herr Kollege Schmidt, ein Beispiel aus dem heutigen Pressespiegel. Überall wird über die Preiserhöhung bei Benzin geklagt. Verschiedene Stimmen sagen dazu: Diese Mineralölpreiserhöhung ist ein EG-Opfer. Diese Erhöhung war notwendig, damit weiteres Geld in die Kassen der EG fließen kann.Warum kommt die Presse zu diesem Ergebnis? Weil damals, als es um die Nachbesserungsverhandlungen mit den Engländern ging — sie bekamen dann 2,6 Milliarden DM mehr an Zuwendungen von der Bundesrepublik —, Herr Matthöfer erklärte, der Verbraucher müsse das, was in der Agrarpolitik für Blödsinn gemacht werde, über die Erhöhung der Mineralölsteuer bezahlen. Deshalb kommt das jetzt, lange Zeit danach, in die Diskussion.Wenn wir dies so sehen, ist, glaube ich, der Beweis dafür erbracht, daß es eine ganze Reihe von Äußerungen aus den Reihen der SPD gibt, die das rechtfertigen, was der Kollege Kiechle heute früh dazu sagte. Das hat nichts damit zu tun, die Diskussion um die Agrarpolitik und über Europa zu versachlichen.Sie haben das Agrarpapier der SPD angesprochen. Da war von finanzieller Solidarität die Rede, aber auch von nationalen Ausgleichszahlungen. Herr Kollege Schmidt, auch der Vorsitzende dieser Kommission, der Herr Bundesverteidigungsminister Apel, hätte wissen müssen, daß eine Rückkehr zu nationalen Ausgleichszahlungen ein Teilausstieg aus der EG und ein Teilausstieg aus der gemeinsamen Agrarpolitik ist. Das können wir sicherlich nicht wollen.Lassen Sie mich noch die Bemerkung dazu machen: Wie man heute feststellt, hätte der Herr Verteidigungsminister Apel im letzten Jahr anderes zu tun gehabt, als sich um Agrarpapiere zu kümmern; dann hätte es vielleicht keines Untersuchungsausschusses bedurft, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß ihm zwei Milliarden DM bei der Finanzierung eines Waffensystems fehlen.
Meine Damen und Herren, der Herr Minister Ertl hat heute früh erklärt: Wir setzen unsere Hoffnung auf diese Gemeinschaft, weil es keine Alternative zu dieser Gemeinschaft gibt. — Dazu stehen wir, aber wir sagen dazu: Ohne gemeinsame Agrarpolitik gibt es diese Europäische Gemeinschaft nicht mehr. Deshalb haben wir uns, wenn wir die agrarpolitischen Fragen in diesem Jahr ansprechen, auch daran zu orientieren.Der Herr Minister hat schon im Februar die Zahlen des Agrarberichts sehr unwillig vorgetragen; er hatte ja auch heute früh allen Grund, festzustellen, daß es keine Freude macht, gleich für zwei Wirtschaftsjahre Einkommenseinbußen aus regierungsamtlichen Dokumenten der Öffentlichkeit vortragen zu müssen. Ich habe Verständnis dafür. Aber diese Zahlen belegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland keine Bundesregierung gab, die den Auftrag des Landwirtschaftsgesetzes, „die in der Landwirtschaft Tätigen in die Lage zu versetzen, an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilzunehmen", so sträflich vernachlässigt hat. Der Rückgang der allgemeinen Einkommen in den Jahren 1979/80 von 1,9 % und die noch optimistische Prognose des Einkommensrückgangs 1980/81 von 12 % sind regierungsamtliche Zahlen, die für zwei Jahre einen Rückgang des durchschnittlichen Einkommens von 13,9 % belegen. Dies ist kein einmaliger Betriebsunfall, der allein mit steigenden Energiekosten begründet werden kann, sondern er ist Ausweis agrarpolitischer Fehlleistungen im vergangenen Jahrzehnt.
1980/81 sinkt der Gewinn je Familienarbeitskraft nominal um 15 % gegenüber 1975/76. Real sind die Gewinne 1980/81 unter Berücksichtigung der Inflationsrate gegenüber 1975/76 um rund 35 % zurückgegangen. In den letzten Jahren, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurden kritische Anmerkungen meiner Fraktion zur Agrarpolitik der Bundesregierung immer durch Verweis auf die höhere Inflationsrate in anderen EG-Mitgliedstaaten beschwichtigt. Seit Vorlage des Kommissionsberichts zur Lage der Landwirtschaft in der Gemeinschaft, der im letzten Jahr veröffentlicht wurde, gilt dies nicht mehr. Denn dieser Bericht stellt klar, daß die deutsche Landwirtschaft auch im europäischen Vergleich von 1976 bis 1979 die höchsten realen Einkommenseinbußen von allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft hatte, und zwar um 5,7 %. Ich sage: real; das ist das Faktum, das sind die Zahlen, an die wir uns halten müssen. In Frankreich beispielsweise steigerten sich die Einkommen um 3,1 %, in Italien um 4 % und in Luxemburg um 3,7 %. Ich nenne diese Zahlen, um dem Beschwichtigungsgerede der Regierung und der Koalition entgegenzutreten.Der Agrarbericht weist aus, daß in Süddeutschland Einkommenszuwächse erzielt wurden, weil die Einkommen in diesen Ländern früher niedriger waren, während in Norddeutschland, auch witterungsbedingt, Einkommenseinbußen bis zu 16,6 % eingetreten sind. Aber diese Zahlen und die Einkommensrückgänge in Norddeutschland beweisen natürlich auch, daß, wenn die Preis-Kosten-Schere auseinanderklafft, auch ausreichende Betriebsgrößen und optimale Betriebsstrukturen nicht ausreichen, um die notwendigen Einkommen zu erwirtschaften.
Die Bundesregierung wie die Vertreter der Koalitionsfraktionen versuchen ja mit ihren Nebelwerferbatterien immer wieder, der Öffentlichkeit mit den Einkommensunterschieden zwischen den verschiedenen Betriebstypen den Eindruck vorzugaukeln,
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1434 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Sussetals verdiene das obere Viertel der erfolgreichen Betriebe, deren Einkommen mit durchschnittlich 58 000 Mark beziffert wird, zuviel. Heute zum erstenmal hat der Kollege Paintner zugegeben, daß der Gewinn im unteren Viertel, wo man nämlich nur 7 600 Mark verdient, natürlich zu wenig sei. Aber ich höre nirgendwo von der Bundesregierung einen Vorschlag, wie man dem begegnen könnte; es gibt zwar vom Kollegen Gallus immer wieder mal einen Vorschlag — der zwar nichts bringt; aber zumindest ist es ein Vorschlag -, das untere Viertel bei der Darstellung der Einkommenslage im Agrarbericht künftig total wegfallen lassen. Dem würden wir uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur wegen des kosmetischen Ansatzes, sondern wegen des eindeutigen Widerspruchs zum Landwirtschaftsgesetz widersetzen. Denn im Landwirtschaftsgesetz ist bestimmt, daß die Einkommenslage der gesamten Landwirtschaft darzulegen ist. Dem würden wir uns, Herr Kollege Gallus, mit der gleichen Entschiedenheit widersetzen, mit der der Herr Krause vom Beamtenbund oder Herr Kluncker von der ÖTV widersprechen würde, wenn man die Einkommen im öffentlichen Dienst nach dem Durchschnitt der auf der Regierungsbank Sitzenden beurteilen würde, während man die Bediensteten von der Botenmeisterei oder die Fahrer usw. draußen ließe. Alle, auch die unteren Einkommensgruppen, gehören zum öffentlichen Dienst. Ebenso gehören auch die schlechterverdienenden Landwirte zur Landwirtschaft und sind im Bericht ebenfalls darzustellen.
Der Agrarbericht weist für Weinbaubetriebe eine Verbesserung der Einkommensentwicklung von 16,8 % auf. Diese Verbesserung des Einkommens ist erfreulich, wenngleich dazu festzustellen ist, daß die Einkommen je Familienarbeitskraft sehr unterschiedlich in den einzelnen Weinbaugebieten sind. Es wäre unredlich, hier nicht festzustellen, daß die Einkommen in den weinbaulichen Vollerwerbsbetrieben, beispielsweise an Mosel, Saar und Ruwer, bei weitem nicht die Einkommen in anderen Gebieten erreichen, Dies macht aber auch deutlich, daß gerade im Weinbau die unterschiedlichen Herbsterträge zu günstigen und ungünstigen Einkommensverhältnissen führen. Der schlechte Ertrag des Jahres 1980 wird dies im kommenden Jahr sicherlich zeigen.Die im Weinbau Tätigen und die gesamte Weinwirtschaft können sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlassen, wenn es darum geht, bei der Beratung des Weingesetzes die rechtlichen Voraussetzungen für die Chancengleicheit aller deutschen Weinbaugebiete zu schaffen. Wir sind hierzu genauso bereit, wie wir es bei der Beratung des Weinwirtschaftsgesetzes waren, wo die Koalition zerstritten und die Regierung handlungsunfähig war und wir ihr im letzten Jahr aus der Patsche geholfen haben.
Wie differenziert die Lage der Landwirtschaft gesehen werden muß, zeigt die Einkommensentwicklung im Obstbau. Dort sind im Wirtschaftsjahr 1978/79 die Einkommen gegenüber dem Vorjahr um52,1 % zurückgegangen und im Wirtschaftsjahr 1979/80 nochmals um 23,9 %, so daß der Gewinn je Familienarbeitskraft heute 14 311 DM beträgt. Angesichts dieser miserablen Lage des Obstbaus fordern wir die Bundesregierung auf, auch der Versorgungssicherheit der Bevölkerung wegen, die durch den Beitritt Griechenlands und den in Aussicht genommenen Beitritt Spaniens und Portugals auf den Obstbau zukommenden Probleme abzumildern. Die vom Ernährungsausschuß beschlossene Aufnahme der Förderung der Umstellung auf moderne Obstanlagen könnte ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.Der Gartenbau als wichtiger Zweig der Landwirtschaft hat, was den Unterglasgartenbau anlangt, durch die von Jahr zu Jahr steigenden Energiekosten unter den Kostensteigerungen gelitten wie kaum ein anderer Zweig der Volkswirtschaft. Wir haben die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, im Ministerrat gegen die wettbewerbsverzerrenden Sondertarife für den niederländischen Gartenbau vorzugehen. Wir unterstützen die von Präsident Ley in seinem Fernschreiben an Bundesminister Ertl zum Ausdruck gebrachte Kritik an der Untätigkeit der Kommission in dieser Frage. Wir fordern die Bundesregierung auf, in dieser Frage einmal genauso hart aufzutreten, wie Frau Thatcher — was heute früh immer wieder beklagt wurde — ihre nationalen Interessen, ob es um Finanzfragen oder um Fischereifragen geht, durchsetzt. Auch das ist eine Möglichkeit, die nationalen Interessen in der EG zu vertreten, ohne daß man sich gegen die Verträge der EG vergeht.Die Tatsache, daß auch der Anbau von Freilandgemüse 1980 gegenüber 1979 um 10,4 % zurückgegangen ist, ist der Beweis dafür, daß bereits auf den existenzvernichtenden Wettbewerb reagiert wurde. Der ständige Rückgang im Konservengemüseanbau ist die Reaktion auf die schlechte Einkommensentwicklung. Dies kann uns um des Erhalts der Arbeitsplätze in diesen Betrieben und um des Erhalts der Arbeitsplätze in der Konservenindustrie nicht gleichgültig sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es stellt sich nun die Frage: Was tut die Bundesregierung, was tun die Koalitionsfraktionen, um dem Auftrag des Landwirtschaftsgesetzes gerecht zu werden? Wer die Hoffnung auf die Gemeinschaft setzt, Herr Minister, kann sicherlich nicht — wie der Vorsitzende der SPD, Herr Brandt, auf dem Wahlparteitag der SPD im Juli 1980 — erklären, die Gemeinschaft stecke in einer Krise, sie befinde sich in einem miserablen Zustand; er kann nicht erklären: Wir lassen uns nicht einreden, daß Butterberge, Rindfleischhalden und Weinseen Krisenvorräte sind; die Agrarpolitik der EG muß an Haupt und Gliedern reformiert werden. — Das sind doch die Aussagen, von denen der Kollege Kiechle sprach und die ich hier wiederholen möchte!
Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, sagtederselbe Willy Brandt, der als Vorsitzender der
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SussetNord-Süd-Kommission in einem abschließenden Memorandum erklären läßt — so ab Willy Brandt läßt man erklären —: Dem Hunger ein Ende zu setzen ist eine Herausforderung an die Wirtschaftsordnungen der Welt. — Herr Brandt verlangt nationale und internationale Maßnahmen: Nur großes Bemühen kann sicherstellen, daß die Nahrungsmittel für die 6 Milliarden Menschen, die es im Jahre 2000 voraussichtlich gibt, zur Verfügung gestellt werden können.Herr Kollege Schmidt, hier wird doch die Unredlichkeit der agrarpolitischen Diskussion innerhalb der SPD deutlich. Wir sind fest davon überzeugt, daß Sie ein anderes Papier erarbeitet hätten, als der SPD-Vorstand es verabschiedet hat, und daß Sie zu den Dingen anders Stellung nehmen würden als beispielsweise Herr Brandt oder Herr Bäumer. — Auf Herrn Apel möchte ich jetzt nicht mehr eingehen; ich habe vorhin schon gesagt, er hätte andere Dinge zu tun gehabt.Ich möchte jetzt noch auf den erfolgten Abbau der Butterberge und der Magermilchpulverbestände eingehen und möchte feststellen, daß am 31. März im Bonner „General-Anzeiger" stand, Herr Genscher sei über die Verzögerung der Nahrungsmittellieferungen an Polen sehr verärgert, weil sich die Kommission den Kopf darüber zerbreche, ob die Erfüllung der polnischen Wünsche nicht einen Preisanstieg auf dem europäischen Markt hervorrufe, da die Vorräte knapp seien. Wie paßt das mit der Überschußdiskussion zusammen? Wir sind doch fest davon überzeugt, daß diese Nahrungsmittellieferungen an Polen — die von allen Fraktionen befürwortet werden — ein besserer Beitrag zur Erhaltung des Weltfriedens und ein besserer Beitrag zur Entspannungspolitik sind als alle Sprüche, die hier in dieser Richtung gemacht werden.
Wer außer der EG und den USA könnte so etwas, wer außer der EG und den USA wäre überhaupt in der Lage, etwas zum Abbau des Hungers in der Welt zu tun?Nun, die CDU/CSU-Fraktion hat Ihnen einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem wir die Bundesregierung auffordern, angesichts der im Agrarbericht 1981 dargelegten schwierigen Situation der deutschen Landwirtschaft Maßnahmen einzuleiten, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern, und mit dem ihr zur Verfügung stehenden Instrumentarium Preisstabilität und Vollbeschäftigung zu schaffen, damit — Herr Kollege Gallus, dies zu der Zwischenfrage von heute vormittag — Strukturwandel möglich ist; Strukturwandel ist nur möglich, wenn Vollbeschäftigung da ist, und die haben wir heute nicht. Vor allem muß das notwendige wirtschaftliche Wachstum bei außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und solider Finanzwirtschaft gegeben sein. Nur so ist es möglich, die strukturellen Probleme zu lösen.Die Aussagen zu den Einkommensverhältnissen im unteren Viertel der Vollerwerbsbetriebe wurden heute einige Male angesprochen. Was sollen diese Menschen tun, wenn es keine außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätze gibt? Für sie bleibt doch nur die Möglichkeit, entweder auf ihrem Betrieb mit schlechtem Einkommen zu bleiben oder die Gänge von Josef Stingls Arbeitsämtern zusätzlich zu bevölkern; und das wollen wir doch sicherlich nicht.Es ist doch ein Widerspruch — darauf möchte ich auch Sie, Herr Kollege Schmidt, hinweisen —, wenn auf der einen Seite in Ihrer Fraktion Arbeitsgruppen da sind, die Beschäftigungsprogramme suchen, während man auf der anderen Seite eine Politik zuläßt, die Arbeitsplätze nicht nur im landwirtschaftlichen, sondern auch im außerlandwirtschaftlichen Bereich vernichtet. Ich glaube, dagegen haben wir uns mit unseren Maßnahmen zu wehren.Was ist das für eine Politik, wenn der Herr Minister Ehrenberg kürzlich in einem Memorandum an den Bundeskanzler für staatliche Schritte zur Belebung des Arbeitsmarktes eintritt und die Rechnung aufmacht, daß ein Arbeitsloser 18 000 DM kostet? Das wissen wir. Aber dann kann man doch auf der anderen Seite nicht fordern, daß diejenigen, die in der Landwirtschaft heute nicht das entsprechende Einkommen erzielen, einfach heraus sollen. Die Arbeitsplätze sind nicht da.Wenn irgendwo durch den Zusammenbruch eines Betriebes Massenentlassungen notwendig werden, so wenden sich mit Recht die Abgeordneten aller Fraktionen dagegen und fordern, daß so etwas rückgängig gemacht wird. In Duisburg protestiert man zu Recht für die Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie, obwohl auch diese Arbeitsplätze Steuergelder kosten. Dagegen gibt man die Arbeitsplätze der Landwirtschaft geradezu wie selbstverständlich auf. Wer diese Arbeitsplätze in Frage stellt, muß wissen, daß dann auch Hunderttausende von Arbeitsplätzen verlorengehen, die von der Landwirtschaft direkt oder indirekt abhängig sind. Nicht von ungefähr sind heute bei Protestdemonstrationen Vertreter des Landhandels, der Landmaschinenindustrie und sonstiger mit der Landwirtschaft verbundener Wirtschaftszweige dabei, wenn es darum geht, für Einkommensverbesserungen der Landwirtschaft zu kämpfen, weil diese Einkommensverbesserungen notwendig sind, um die davon betroffenen außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätze zu sichern.
Wir ersuchen deshalb die Bundesregierung, uns bis zum 1. Oktober schriftlich zu berichten, zu welchen Ergebnissen die von der Regierung eingeleiteten Maßnahmen führen, die ich gerade aus dem Entschließungsantrag vorgetragen habe.Des weiteren ersuchen wir in unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung — das gilt noch, Herr Minister Ertl, obwohl ich es schon gestern abend aufgeschrieben habe —, daß die Bundesregierung dafür eintreten soll, daß das deutsche nominale Agrarpreisniveau mindestens um die Inflationsrate angehoben wird. Davon können wir nach dem, was wir bis jetzt wissen, nicht ausgehen, wenn wir all das, was hier an Mitverantwortungsabgaben usw. wieder im Raum steht, bedenken.
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1436 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
SussetDie Anhebung der Vorsteuerpauschale, auf die die Landwirtschaft schon seit drei Jahren Anspruch hätte, hat unverzüglich zu erfolgen. Sie darf aber nicht als Ersatz für nicht erfolgte Preiserhöhungen in Brüssel gesehen werden. Herr Gallus hat im Ausschuß erklärt, daß durch die nicht erfolgte Anhebung der Vorsteuerpauschale der Landwirtschaft Einkommenseinbußen in Höhe von 1,6 Milliarden DM entstanden sind.
Angesichts dieser Zahlen ist es gerechtfertigt, daß Sie, Herr Minister, den notwendigen Gesetzentwurf unverzüglich im Kabinett einbringen.
Ich könnte mir vorstellen, Herr Kollege Paintner, daß die Streicheleinheiten für Herrn Matthöfer von heute vormittag diese Aufgabe erleichtern. Sie haben auch den Herrn Fraktionsvorsitzenden Wehner angesprochen. Er hat doch sicherlich die Autorität in seiner Fraktion, daß er den Kollegen Matthöfer davon überzeugen kann, daß dies notwendig ist. Wenn nur dies herauskäme, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann hätte sich diese Diskussion gelohnt.Die CDU/CSU-Fraktion erneuert in diesem Entschließungsantrag ihren Vorschlag, den sie schon bei der Beratung des Einkommensteuergesetzes eingebracht hat, den Wert der Arbeitsleistung bei Landwirten, die nach § 13 a des Einkommensteuergesetzes veranlagt werden, von 0,07 auf 0,05 AK abzusenken und den Nebenerwerbslandwirten, die durch diese Steuergesetzgebung am meisten betroffen werden, einen Abschlag von 25 % zu gewähren.
— Ich sage hier „Streicheleinheiten". Aber wenn es darum geht, nun konkret dazu zu stehen, dann gibt es nichts. Der Abschlag von 25 % bei der Ermittlung des Durchschnittssatzes ist den Nebenerwerbsbetrieben zu gewähren, wie wir dies schon bei der Beratung des Einkommensteuergesetzes gefordert haben.Die seit dem 1. April 1981 wirksame Mineralölsteuererhöhung ist durch die Gasölbetriebsbeihilfe auszugleichen, damit wir uns nicht — auch das ist in diesem Hause in der Fragestunde schon durch die Bundesregierung deutlich gesagt worden — noch weiter von den Dieselpreisen der übrigen EG-Länder entfernen, weil die Bundesrepublik die höchsten Dieselpreise hat. Dies ist ein wesentliches Betriebsmittel, dessen Preis mit darüber entscheidet, ob die Einkommen in Ordnung gehen.Wir fordern, die zur Zeit in Beratung befindliche Änderung des Branntweinmonopolgesetzes zu Lasten der landwirtschaftlichen Brennereien fallenzulassen, weil kleine Betriebe vernichtet werden. Herr Minister, was hier in Brüssel geschieht, daß ein paar große Whisky-Betriebe in England mit 60 oder mehr Millionen DM unterstützt werden, ist doch gerade das Gegenteil von dem, was unserer Meinung nach bewirkt werden soll. Die kleinen Brennereien bei uns werden künftig noch stärker in die Zange genommen, während man den Engländern nachgegeben und Geld aus der EG gezahlt hat, das die Briten zur Unterstützung ihrer großen Whisky-Brennereien verwenden.Wir ersuchen die Bundesregierung ferner, darauf hinzuwirken, daß bei der einzelbetrieblichen Förderung, die immer mehr zum Ärgernis werdende Förderschwelle abgeschafft wird.Wir, Herr Minister Ertl, sind durchaus der Meinung, daß einzelbetriebliche Förderung notwendig ist. Wir bestreiten das nicht. Aber wir haben andere Vorschläge. Die Förderschwelle, die sich am außerlandwirtschaftlichen Einkommen orientiert, das von Jahr zu Jahr steigt, während andererseits das landwirtschaftliche Einkommen von Jahr zu Jahr sinkt oder zumindest stagniert, wird doch für immer mehr Betriebe zum Fallbeil. Die können überhaupt nicht mehr gefördert werden. Deshalb fordern wir, die Förderschwelle abzuschaffen.Wir ersuchen die Bundesregierung ferner, bis 1. Oktober 1981 schriftlich darüber zu berichten, wie sich die von der Bundesregierung vorgeschlagene 20 %ige Kürzung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" ausgewirkt hat.Im letzten Absatz unseres Entschließungsantrages ersuchen wir die Bundesregierung, uns bis zum 1. Oktober 1981 ein mittel- und langfristiges Konzept zur Existenzsicherung der deutschen Kutter- und Hochseefischerei vorzulegen. Die auf See und an Land tätigen Menschen haben es verdient, daß ihnen die Zukunftsangst genommen wird.Der Entschließungsantrag der CDU/CSU zeigt Wege auf, wie wir der Verpflichtung des Landwirtschaftsgesetzes national und unseren Verpflichtungen aus den EG-Verträgen gerecht werden können. Die CDU/CSU bekennt sich zu Art. 39 des EG-Vertrags, in dem die Vorstellungen vom Gemeinsamen Markt und zur Preispolitik niedergeschrieben sind. Die kontinuierliche Versorgung mit Nahrungsmitteln ist selbst bei hohen Ansprüchen gesichert. Es hat im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nie Versorgungsschwierigkeiten gegeben. Die weltpolitischen Ereignisse machen deutlich, wie schnell auch in traditionell agrarischen Überschußländern Mangelsituationen entstehen können, wenn die Agrarpolitik versagt. Der Ostblock ist ein Beweis dafür.Lassen Sie mich zum Schluß noch einen anderen Aspekt beleuchten. Bei der friedlichen Demonstration der Landwirtschaft im Februar und am Freitag vergangener Woche in Bonn haben Vertreter von Wirtschaftszweigen, die von der Landwirtschaft abhängig sind, für den Erhalt der Arbeitsplätze in landtechnischen und im Dienstleistungsbereich des Handels demonstriert. Betriebsräte und Arbeitnehmer von Traktoren- und Landmaschinenfirmen intervenieren für eine Agrarpolitik, die es der Landwirtschaft ermöglicht, wieder zu investieren, damit Arbeitsplätze im industriellen Bereich, im Handwerk, bei den Genossenschaften und beim Landhandel wieder sicher werden. Wer die zunehmende Verflechtung der Landwirtschaft mit der gesamten
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SussetWirtschaft ignoriert, der vernichtet Arbeitsplätze in und außerhalb der Landwirtschaft.
Wer die gemeinsame Agrarpolitik in Frage stellt, gefährdet auch die industrielle Zollunion in der EG und damit die Sicherheit vieler Arbeitsplätze für den Export, in der industriellen und gewerblichen Wirtschaft. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich im Interesse des Volksganzen bei allen politischen Entscheidungen, besonders bei agrarpolitischen Entscheidungen, in der Zukunft zu berücksichtigen. — Ich danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Susset, lassen Sie mich mit einem Punkt beginnen, den Sie anfangs angesprochen haben, als Sie hier Ihre Europatreue bekundeten. Auch Herr Kollege Kiechle ist am Vormittag darauf eingegangen und hat gesagt, er sei hier mit Herrn Kollegen Ertl einer Meinung, aber die böse SPD schimpfe hin und wieder, sei mit der Politik nicht einverstanden, auch nicht mit dem, was die Frau Thatcher mache. Am Schluß haben Sie aber plötzlich gesagt, die Bundesregierung müsse noch härter werden, die Bundesregierung müsse die nationalen Interessen noch stärker vertreten. Herr Kollege Susset, das ist doch das Problem in Europa, daß jedes Land nur noch an die eigenen nationalen Interessen denkt. Das macht doch Europa kaputt. Daran sollten Sie einmal denken.
Nun zum Herrn Kiechle: Er hat anfangs gesagt, er würde ruhig und sachlich hier berichten
— sachlich seiner Meinung nach. Aber ich meine, er hat uns ruhig und sachlich einige Gemeinheiten an den Kopf geworfen
— ja, Sie fallen immer wieder auf das gleiche herein, Herr Waigel; ich weiß das schon —, z. B. daß die SPD nicht bereit sei, das oder jenes zu tun, daß sie für die Landwirtschaft nichts übrig habe usw.
Die CDU/CSU würde alles tun, alles viel, viel besser machen, aber sie könne nicht, sie sei eben nur in der Opposition.
Das beste dessen, was Sie tun wollen, Herr Kollege Kiechle, haben Sie, deine ich, für den sogenannten bäuerlichen Betrieb vorgesehen. Ich habe mich ein bißchen gewundert, weil ich im letzten Jahr in der Agrardebatte hier zum bäuerlichen Betrieb einiges gesagt und auch einige Fragen gestellt habe.
Ich habe erwartet, daß ich irgendwann von Ihnen, von der Opposition, dazu einige Antworten bekomme. Bis heute habe ich dazu nichts gehört. Deswegen will ich einige Dinge etwas konzentriert wiederholen.
— Nur nicht nervös werden, Herr Kollege Waigel. Ich spreche Sie doch gar nicht an.
Ich spreche die an, die in Ihrer Fraktion wirklich Agrarpolitik betreiben.
Wir alle wissen doch, daß der bäuerliche Betrieb etwas mit Flächen- und Bestandsgrößen zu tun hat.
Ich glaube, wir alle sind doch der Meinung, daß Konzentrationen von Flächen und Beständen verhindert werden müssen. Deswegen frage ich Sie, nicht nur Sie persönlich, Herr Kollege Kiechle, sondern Sie von der CDU/CSU: Sind Sie bereit, eventuell bei Zupacht oder bei Zukauf einige Grenzen nach oben einzuziehen, regional verschieden, verschieden je nach Produktion usw. — darauf brauche ich nicht näher einzugehen —? Sind Sie bereit, in der Tierhaltung einige Höchstzahlen festzusetzen?
Sind Sie unter Umständen bereit, Umweltschutzbestimmungen zu verschärfen, damit bodenunabhängige Produktion unmöglich wird?
Ich würde mich freuen, wenn ich dazu von Ihnen einige Antworten bekommen könnte.
Herr Kollege Kiechle, so einfach wie Sie, der Sie heute vormittag von Monokulturen gesprochen haben, kann man es sich nicht machen. „Wogende Getreidefelder" haben Sie gesagt.
— Wer sieht die nicht gerne, Herr Kollege Eigen. Wir haben die vor 30 Jahren gesehen, und wir freuen uns, wenn wir sie heute auch noch sehen. Nur gibt es Landstriche bei uns, wo man kilometerweit nur noch Getreidefelder sieht, wo es keinen Baum, keinen Strauch, keine Hecken mehr gibt,
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Müller
wo jeder Tümpel zugeschüttet worden ist. Gehen Sie einmal in der Bundesrepublik herum und schauen Sie sich das einmal an!
Gehen Sie einmal in den Steigerwald! Dort gibt es keinen Bach mehr, der noch in seinem natürlichen Bett fließt.
Das sind doch die Probleme. Wir brauchen uns doch nicht zu wundern, wenn Naturschützer dann rebellieren. Dies ist doch ein Punkt, den wir erwähnen müssen und in dem wir — seien wir doch ehrlich — das eine oder das andere durchaus auch hätten anders machen können.Der Herr Kollege Kiechle hat des weiteren die Steuer angesprochen. Herr Kollege, wer erhöht schon gerne Steuern? Das ist unpopulär. Das wissen wir auch. Jeder — ob das nun die Regierung oder eine Parlamentsmehrheit ist — macht lieber populäre Gesetze oder bringt lieber populäre Gesetze ein. Ich meine aber, eine Regierung muß auch fähig sein und den Mut haben, unpopuläre Maßnahmen einzuleiten.
— Wir haben das vor der Wahl angekündigt. Sie sollten hin und wieder einmal lesen, was von uns geschrieben wird.
Wer das nicht kann oder wer dazu nicht den Mut hat, ist auch nicht zur Regierung fähig.
Nun zur Einkommensbesteuerung. Herr Kollege Kiechle, Sie wissen doch genausogut wie ich, daß § 13a EStG Vorteile bringt und daß es eine solche Vorschrift nur in der Landwirtschaft und in sonst keinem anderen Wirtschaftszweig gibt. Es gibt Freibeträge, die in der Einkommensbesteuerung vorgesehen sind, und zwar nur im Blick auf die Landwirtschaft. Wir sollten doch nicht so tun, als wäre das ein Belastungsgesetz. Diese Einkommensbesteuerung beinhaltet nach wie vor eine Begünstigung der Landwirtschaft. Das sollten auch Sie einmal ehrlich zugeben.
Jetzt komme ich zu Ihrem Entschließungsantrag.
— Doch, darum geht es.
— Lassen Sie mich jetzt erst einmal zu dem Entschließungsantrag etwas sagen, Herr Kollege Eigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, er soll mich erst einmal ausreden lassen; danach bin ich gerne dazu bereit.
Dann kommen wir noch einmal darauf zurück.
In diesem Entschließungsantrag steht: Nebenerwerbsbetrieben ist bei der Ermittlung des Durchschnittsgewinns ein Abschlag von 25 vom Hundert zu gewähren. Wir alle wissen doch, wie die Einkommenssituation in den Nebenerwerbsbetrieben ist. Wie wollen Sie diesen Punkt denn den Vollerwerbsbetrieben erklären? Das würde mich einmal interessieren.
Weiter: Wie wollen Sie diesen Abschlag von 25 % dem Arbeiter in der Fabrik erklären, der am gleichen Arbeitsplatz wie der Nebenerwerbslandwirt steht? Wie wollen Sie dem Arbeiter das klarmachen, wenn er z. B. das Einkommen des Nebenerwerbslandwirtes sieht?
Das ist doch ein Punkt, an den Sie hin und wieder auch einmal denken sollten. Ich habe manchmal den Eindruck, von Ihnen wird das und jenes in der Hoffnung gefordert: Wir sind ja in der Opposition und brauchen dies gar nicht durchzusetzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle?
Ja, bitte.
Herr Kollege Müller, Sie wollen uns hier doch nicht erzählen, daß Sie glauben, der 25%ige Abschlag sei von uns so gedacht, als ob er auf das in dem Betrieb verdiente Einkommen bezogen wäre. Sie wissen doch ganz genau, daß sich dieser Abschlag auf die extensiv betriebene Nebenerwerbslandwirtschaft desjenigen bezieht, der nach seiner Tätigkeit an seinem Arbeitsplatz daheim noch den landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet. Erstens wollen wir, daß er eine solche extensive Bewirtschaftung betreibt, und zweitens wollen wir erreichen, daß er durch die Kumulation auf Grund des Zusatzeinkommens letztlich nicht noch bestraft wird.
Kurze Zwischenfragen, bitte.
Entschuldigen Sie. Sie sollten es doch wirklich richtig verstanden haben; denn die Kenntnisse haben Sie doch.
Herr Kollege Kiechle, das habe ich schon begriffen. Nur, es ist doch ein Zusatzeinkommen. Wenn der Arbeitnehmer irgendwo
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Müller
ein Zusatzeinkommen bezieht, muß er das voll versteuern.
Deswegen sage ich: Wie soll ich das dem Arbeitnehmer erklären? Das ist für mich der entscheidende Punkt!
— Entschuldigung, ich kann jetzt keine Zwischenfrage mehr zulassen. Sie wird auf meine Zeit nicht angerechnet; sonst würde ich es gern tun.
Wollen Sie die Frage nicht doch zulassen?
Bitte. Vizepräsident Frau Renger: Herr Eigen, bitte.
Herr Kollege Müller, was sagen Sie dazu, daß Experten — nicht ich — behaupten, daß die neue Besteuerung die Landwirtschaft in einem normalen Einkommensjahr etwa eine Milliarde an Steuern zusätzlich kostet?
Herr Kollege Eigen, erstens würde ich Ihnen raten, erst einmal abzuwarten, wie das ausgeht, und zweitens gibt es Experten mit anderen Meinungen. Ich könnte auch andere Experten zitieren. Das hilft uns nicht weiter.
Zum nächsten Punkt, der Vorsteuerpauschale. Es ist richtig, wenn gesagt wird, jeder Landwirt könne optieren, jeder könne abwälzen, wenn er will. Dem stimme ich zu. Aber ich meine: Wenn das Pauschalieren gesetzlich möglich ist, sollte man auch dafür sorgen, daß durch das Pauschalieren kein Nachteil entsteht. Dann sollte man dafür sorgen, daß die Vorsteuerbelastung auch der Vorsteuerpauschale entspricht. Deshalb bitte ich den Finanzminister — er ist leider nicht hier, aber es wird ihm sicher mitgeteilt —, dies in seine Überlegungen einzubeziehen und hier einen gangbaren Weg zu suchen.
Nun zum Einkommen. Wir sind nicht erfreut über die Einkommen des Wirtschaftsjahres 1979/1980. Erfolgsmeldungen verkaufen sich immer besser; das wissen wir auch. Große Sorgen bereitet uns die weitere Einkommensentwicklung, obwohl ich für die Opposition Verständnis habe, die ausgerechnet das Jahr 1975/1976 heranzieht, das Jahr mit dem höchsten Einkommen überhaupt. Hätten Sie ein Jahr vorher oder ein Jahr nachher genommen, sähe es ganz anders aus.
— Ganz anders! Ich könnte Ihnen die Zahlen vorlesen, Herr Kollege Eigen.Mit Statistik kann man alles machen; es kommt nur darauf an, welches Ergebnis man erreichen will.Entscheidend bei der Landwirtschaft ist die langfristige Betrachtung. Langfristig gesehen schaut es nicht so kritisch aus, obwohl ich betone: Sorgen macht uns die Gegenwart; da wollen wir gar nichts beschönigen.Der Kollege Susset hat von der Einkommensdisparität gesprochen. Herr Kollege Susset, diese Einkommensvergleiche beruhen immer auf dem sogenannten Bruttovergleich. Ich will das jetzt nicht näher ausführen. Sie wissen — hier sind ja nur Fachleute —, was man mit „brutto" alles vergleichen kann. Es wäre notwendig, zum Nettovergleich umzusteigen. Leider fehlen hier die Zahlen für die Landwirtschaft. Deswegen bleiben eben die berühmten Bruttozahlen, die an und für sich überhaupt nichts aussagen. Das wollen wir doch einmal ganz deutlich betonen.Wenn ich sage: Wir sind besorgt über die Gegenwart, dann meine ich, daß sich das Einkommen in der Landwirtschaft eben so entwickelt hat, trotz Marktordnung, trotz Abnahmegarantie, trotz Mindestpreise und trotz Interventionen.
Seit Jahren, Herr Kollege Eigen, machen wir Vorschläge, predigen hier von diesem Pult an das Hohe Haus, wie wir uns eine Änderung vorstellen, weil wir der Meinung sind, daß es gar nicht am System der Marktordnungen liegt, sondern daran, wie man mit diesen Marktordnungen umgeht. Wir wissen, daß vieles nicht durchsetzbar ist. Dies bestätigt sich durch das, was ich bisher über die letzte Sitzung gehört habe. Wahrscheinlich wird sich einiges erst dann ändern, wenn das Wasser bis zum Halse steht; ich kann nur hoffen: nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das Ergebnis ist Ihnen bekannt: Die Produktion ist von Jahr zu Jahr gestiegen, die Überschüsse sind von Jahr zu Jahr gestiegen und die EG-Agrarkosten sind auch von Jahr zu Jahr gestiegen.Ich komme wieder auf das zurück, was der Kollege Susset vorhin gesagt hat. Schauen Sie sich die EG- Agrarausgaben an. 1974 waren es 13,4 Milliarden DM, 1980 waren es 34 Milliarden DM. Das heißt: die Kosten haben sich in dieser Zeit verdreifacht. Das Entscheidende aber ist: Diese Kosten haben sich nicht im Einkommen der Landwirte niedergeschlagen. Da liegt das Problem. Da nützen keine Hinweise auf die USA oder Japan. Es nützt auch nichts, Herr Kollege Susset, wenn man darauf hinweist, daß die Interventionsbestände noch nie so niedrig gewesen sind wie jetzt. Da stimme ich j a zu. Schauen wir uns aber doch einmal an, was es gekostet hat, daß die Interventionsbestände so niedrig geworden sind.
Ich will nur einmal die Milch erwähnen: 1974 waren es 4,6 Milliarden DM, 1980 aber 11,5 Milliarden DM. Da liegt doch das Problem. Ich kann doch nicht argumentieren: Schaut einmal her, wie niedrig jetzt diese Reserven sind! Das Entscheidende ist, daß erheblich
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über diese notwendigen Reserven hinaus produziert wird.
Welcher Unsinn hierin liegt, will ich nur an einem Beispiel erläutern: Milchpulver beispielsweise wird zum Interventionspreis von 325 DM aufgekauft, mit einer Beihilfe von 156 DM subventioniert, um konkurrenzfähig zu sein, und dann an den gleichen Bauern wieder verkauft, der die Milch geliefert hat. Da ist wirklich Unsinn zur Methode geworden.Wenn Sie uns wegen dieser Agrarpolitik tadeln, dann doch wohl nur deshalb, weil wir sie so lange fortgeführt haben. So verstehe ich auch die Demonstrationen der Landwirte. Natürlich waren sie diszipliniert, was man aber von den Reden dort nicht unbedingt sagen kann. Auch die Argumente, die vorgebracht wurden, waren zum Teil richtig. Aber Lösungen wurden auch nicht aufgezeigt,
höchstens neue Forderungen gestellt.
Deswegen muß ich Ihnen dies entgegenhalten: sowohl Sie von der Opposition als auch die Vertreter des Berufsstandes haben sich doch immer gegen eine Änderung dieser EG-Agrarpolitik gewandt; Sie wollten sie doch gar nicht. Geben Sie das doch endlich zu und tun Sie meinetwegen Buße.
Wegen der Auswüchse haben wir ein Agrarpapier vorgelegt. Ich will gar nicht näher darauf eingehen. Martin Schmidt hat ja vorhin einiges dazu gesagt. Aber statt sachlich darüber zu diskutieren, kommen Vorwürfe, kommen Unterstellungen, wie wir es erst heute wieder erlebt haben. Was wollen wir im Endeffekt? Wir wollen die Marktkräfte stärken. Wir wollen, daß der Betriebsleiter, der hart und fleißig arbeitet, nicht immer erst nach Brüssel schielen muß, ob seine Leistung dort auch entsprechend honoriert wird.
Wir wollen, daß die unternehmerischen Fähigkeiten, in die ich sehr großes Vertrauen habe, wieder ein größeres Gewicht bekommen.
Wir wollen den Landwirten eine Zukunftsperspektive geben, wir wollen ihnen Mut machen.
— Lesen Sie mal unser Papier. Da steht das drin, Herr Kollege Susset. Wir wollen ihnen Mut machen. Wir wollen die Eigenverantwortung stärken.
Wir wollen den Landwirt unabhängiger von der Verwaltung machen. Dafür werden wir beschimpft. Horrorbilder werden an die Wand gemalt. Ich frage mich: Welchen Sinn haben dann Ihre ordnungspolitischen Reden, die Sie hier im Plenum immer wieder halten, in denen Sie fordern: weniger Planung, weniger Staat, auch mehr Eigenverantwortung, Ihre Reden, in denen Sie sich als Verteidiger der Marktwirtschaft aufspielen und uns als Planungsfetischisten abstempeln? So ist es doch! Statt dessen kommen Sie mit einem Vorschlag eines Quotensystems, das nur mit mehr Planung, mit mehr Verwaltung, mit mehr Bürokratie verbunden ist, ob beim Einführen oder beim Überwachen oder bei der Kontrolle! Sie wollen also nicht mehr Markt, Sie wollen mehr Bürokratie.
Ich bin ja nun einiges von der Opposition gewohnt; aber eines verstehe ich nicht. Wenn eine Ihrer Agrargrößen diesen unseren Vorschlag als sozialistisches Gedankengut diffamiert, dann komme ich — ehrlich — nicht mehr mit. Sie wissen, wer es war, nämlich der Landwirtschaftsminister des Freistaats Bayern, Herr Eisenmann.
Sozialistisches Gedankengut gleich mehr Markt, und dies von der CDU/CSU!
Wenn wir schon von Einkommen reden, sollten wir dazu doch auch sagen, daß mehr Einkommen auch durch Kostensenkung ermöglicht wird. Hier gibt es noch sehr viele Möglichkeiten,
z. B. auf dem Energiesektor. Es wird von Stroh oder von Holz und Wärmerückgewinnung gesprochen. Ich will es nur in Schlagworten sagen. Ich denke an die überbetriebliche Zusammenarbeit, an Maschinenring, an Maschinengemeinschaften. Es muß j a nicht immer jeder alles selbst investieren. Ich habe das hier schon einmal erwähnt. Ich denke auch an die Selbsthilfe bei Reparaturen oder beim Stallbau. Hier hat gerade der Landtechnische Verein Weihenstephan einige Möglichkeiten zur Kosteneinsparung aufgezeigt. Es wäre interessant, sich das etwas näher anzuschauen und bei der Beratung mit zu berücksichtigen. Wenn man unsere Verhältnisse mit denen in anderen Ländern vergleicht, was z. B. den Besatz mit Ackerschleppern oder den Besatz mit Mähdreschern anlangt, dann hat man den Eindruck, daß in der Bundesrepublik nicht nur übermechanisiert, sondern auch überinvestiert worden ist.,
Nun noch etwas zu zwei Punkten Ihres Entschließungsantrages. Ich habe ja Verständnis, wenn man plakative Forderungen aufstellt — die kommen draußen bei den Landwirten sehr gut an. Einer sachlichen Prüfung aber halten sie nicht unbedingt stand. Wenn ich hier den zweiten Spiegelstrich sehe — die bestehenden Instrumente einsetzen, damit das und jenes passiert —, dann frage ich mich, ob die CDU/CSU davon ausgeht, daß um die Bundesrepublik eine Mauer gebaut werden muß. Sie müßte ja wissen, daß man bei unserer Importquote die Einflüsse von außen nicht ausschalten kann. Daran sollte man denken.
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Müller
Oder hier „Preissteigerungen", „Inflationsrate". Das höre ich jetzt von Ihnen schon einige Jahre. Da spielen andere Gesichtspunkte, Kostenentlastungen, Produktionssteigerungen, überhaupt keine Rolle. Ich meine, das sollten Sie sich ein bißchen besser überlegen, ein bißchen mehr Geist investieren.Wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß die Bundesregierung den Landwirten keine Einkommensgarantie geben und ihnen auch nicht eine bestimmte Einkommenshöhe versprechen kann. Das kann Sie weder bei den Landwirten noch den Handwerkern noch den Gewerbetreibenden. Sonst müßte man mit der Landwirtschaft einen Tarifvertrag abschließen. Aber dann hätten wir keinen freien Bauern mehr. Ich meine aber, wir sind uns einig, daß wir auch in Zukunft den freien, selbständigen Landwirt haben wollen. Und ich habe sehr großes Vertrauen in die Fähigkeiten der Landwirte, in ihre Eigeninitiative, in ihre Risikobereitschaft und in ihre Unternehmerqualitäten. Wir wollen helfen, soweit es geht, daß diese Tugenden wieder stärker zum Tragen kommen. — Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Holsteg.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Bundesminister Ertl hat heute morgen über die schwierigen Agrarpreisverhandlungen in Brüssel berichtet. Wir alle wissen, daß die Lösung der anstehenden Agrarprobleme fast einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Da sollen die berechtigten Forderungen der Bauern nach spürbaren Preisanhebungen befriedigt werden, gleichzeitig darf der Finanzrahmen der Gemeinschaft nicht gesprengt werden; die Überschüsse der Gemeinschaft bei einigen wichtigen Produkten sollen abgebaut, aber die offene Flanke der Agrarpolitik, die abgabenfreie Einfuhr von Substituten, darf aus wohlerwogenen handelspolitischen Gründen nicht geschlossen werden; die jeweiligen nationalen Interessenlagen müssen berücksichtigt werden. Dies alles sollen die zehn Agrarminister unter einen Hut bringen und einstimmige Entscheidungen fällen. Wahrlich eine Aufgabe, um die die Agrarminister nicht zu beneiden sind, wenn es nicht einmal den Regierungschefs gelingt, einen Grundkonsens in Form von Leitlinien der EG-Verhandlungen zu finden.Deshalb, meine Damen und Herren, hoffe ich auf die Zustimmung des ganzen Hauses, wenn ich unserem Bundeslandwirtschaftsminister, Josef Ertl, den herzlichen Dank ausspreche für seinen Einsatz und für seine Verhandlungsführung in Brüssel, die ihn oft bis an den Rand der physischen Leistungsfähigkeit gefordert hat.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei hat großes Verständnis für die berechtigten Forderungen der Bauern nach zweistelligen Preisanhebungen. Der Agrarbericht 1981, über den wir heute debattieren, liefert dafür eine wichtige Begründung. Nicht zuletzt die sehr maßvollen Preisanhebungen der letzten drei Jahre haben dazu geführt, daß auch bisher gut geführte landwirtschaftliche Betriebe in die Kostenklemme geraten.
Es darf auch nicht übersehen werden, daß diese vorsichtige Preispolitik den Preisanstieg bei Nahrungsmitteln eng begrenzt hat,
daß dieser Preisanstieg unter der allgemeinen Teuerungsrate geblieben ist und die Landwirtschaft somit einen erheblichen Stabilitätsbeitrag geleistet hat.
Angesichts der jetzt auf die Landwirtschaft zurollenden Kostenlawine, vor allen Dingen für die energieabhängigen Produktionsmittel, kann diese Politik — zumindest vorübergehend — nicht fortgesetzt werden. Auch die Landwirtschaft hat ein Anrecht darauf, daß sich ihre Einkommenssituation nicht nachhaltig verschlechtert.
Es liegt im wohlverstandenen Interesse der Landwirte selbst. daß die gemeinsame Agrarpolitik finanzierbar bleibt. Ein Anstieg der Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik um mehr als 20 % muß den gemeinsamen Agrarmarkt sprengen, weil er dann nicht mehr zu finanzieren ist. Der Ausweg über die Erhöhung der Mittel für Brüssel ist verbaut, nicht zuletzt auch dadurch, daß dieser Bundestag in der 8. Legislaturperiode, mit großer Mehrheit aus allen Fraktionen, eine Entschließung gefaßt hat, in der das Festhalten an der 1-Prozent-Mehrwertsteuergrenze bekräftigt wird. Daran sollten sich auch alle Kollegen und Kolleginnen der Opposition erinnern.
Denn es kann nur dann zu aktiven Beiträgen zu diesem Thema kommen, wenn man sich daran erinnert, daß man sich ernste Gedanken über Kostenbegrenzungen machen muß.So sind auch die Vorwürfe des Herrn Kollegen Susset in der vorhergehenden Rede doch in etwa zu revidieren, und zwar auf Grund der wegen der angespannten Haushaltslage in Brüssel beschlossenen Preisfestsetzungen. Ich nenne nur einige wenige Zahlen: Weichweizen plus 4 %, Brotweizen plus 2,3 %, Hartweizen plus 2 %, Gerste plus 4,4 %, Zucker plus 4,7 %.Ich möchte Sie nicht mit weiteren Zahlen belasten. Jedenfalls sind das Tatsachen, die das widerlegen, was hier vorhin von dem Herrn Kollegen gesagt bzw. was Herrn Ertl vorgehalten wurde.Wenn also der finanzielle Spielraum für die Brüsseler Kassen so begrenzt ist — er ist es, auch wenn die drückenden Überschußlasten kurzfristig abgebaut werden konnten —, dann kann sich die europäische Agrarpolitik nur an dem gegebenen Finanzrahmen ausrichten. Das heißt konkret: Die FDP spricht sich dafür aus, angesichts der Einkommenslage in der Landwirtschaft den Finanzrahmen bei den
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HolstegPreisanhebungen auszuschöpfen, dabei aber den Einstieg in die notwendige Strukturreform durch konkrete Schritte abzusichern. Wir wollen das System der Agrarmarktordnungen marktgerechter handhaben, um die Produktion schrittweise an den Verbrauch anzupassen und um Überschüsse zu vermeiden.Wir sprechen uns für eine vorsichtige Preispolitik, für eine Beteiligung der Erzeuger an der Überschußfinanzierung aus und halten eine schrittweise Einschränkung der Garantiepreise und Absatzgarantien im Interesse einer marktgerechten Erzeugung für sinnvoll und notwendig.Konsequenterweise ist aber für uns auch die Frage der Einkommensübertragung in Problembereichen dann kein Tabu. Allerdings kann es sich bei diesen direkten Einkommensübertragungen nur um national finanzierte personengebundene Einkommen handeln.Daraus ziehe ich für die Freien Demokraten die Schlußfolgerung, für die anstehenden weiteren Verhandlungen in Brüssel:Erstens. Fortsetzung der vorsichtigen Preispolitik. Die Entscheidung von Brüssel in bezug auf die Agrarpreise ist situationsgerecht. Aber ich verhehle nicht: die Landwirtschaft hat schon deshalb einen moralischen und berechtigten Anspruch auf die Anhebung der Vorsteuerpauschale, weil die Kosten stärker gestiegen sind als die Preise.
Ziel bleibt es, das Marktgleichgewicht schrittweise wiederherzustellen.Zweitens. Beteiligung der Erzeuger an der Überschußverwertung in der EG. Das heißt im Grundsatz: Verringerung der bestehenden Marktstützung bzw. Abbau oder Verringerung der vorhandenen Erzeugerbeihilfen. Am Beispiel Milch, dem Sektor also, der die größten Probleme und auch die höchsten Kosten verursacht, möchte ich das verdeutlichen. So spricht sich die FDP für eine nach der Milchmenge je Betrieb und je Hektar Futterfläche gestaffelten Erzeugerabgabe aus.
Wenn es nämlich richtig ist, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft einen politisch begründeten Milchpreis garantieren — ich halte das für richtig und sinnvoll —, dann muß es auch erlaubt sein, diesen politischen Preis politisch zu gestalten, jedenfalls so lange, wie damit Überschüsse verbunden sind. Wenn es also richtig ist, daß durch die Milchpolitik vor allem in Grünlandregionen bäuerliche Betriebe existenzfähig gehalten werden sollen, muß doch die Frage erlaubt sein, ob dieser politische Preis für jeden Produzenten Gültigkeit haben muß.Wir wollen keine Milchfabriken, auch nicht in bäuerlicher Hand, deren Futterbasis importierte Futtermittel sind. Deshalb halten wir den Vorschlag vonMinister Ertl für sinnvoll, den garantierten Milchpreis an die Milchmenge je Hektar Futterfläche zu binden. Wir wollen aber auch keine Konzentration der Milchviehhaltung in wenigen Großbetrieben. Deshalb schlagen wir vor, die angelieferte Milchmenge je Betrieb, die sich auf über 200 000 kg Milch im Jahr beziehen sollte, nach einer nach der Milchmenge gestaffelten Erzeugerabgabe zu belegen.Wir bekennen uns zum flächenbezogenen bäuerlichen Familienbetrieb, und wir müssen die entsprechenden Schritte zu seiner Existenzsicherung gewährleisten.
Ich bin allerdings der Meinung, daß auch die Frage erlaubt sein muß, ob im Nebenerwerbsbereich die Milchviehhaltung nicht auch einer Mitverantwortungsabgabe unterzogen werden sollte; denn bei aller Wertschätzung der Nebenerwerbslandwirtschaft kann es doch nicht das Ziel der Agrarpolitik sein, daß dieser politische Preis auch an diejenigen zu zahlen ist, die ein zufriedenstellendes außerlandwirtschaftliches Einkommen haben. Diese Frage darf doch zumindest einmal vorgebracht werden. Sie sollte ernsthaft überlegt werden.Diese Vorstellungen, die auch nicht von heute auf morgen in der Gemeinschaft durchsetzbar sind, haben einen weiteren Vorteil: Ihre Verwirklichung vermeidet eine drohende Kontingentierung, wie sie von der EG-Kommission mit der Superabgabe und auch vom Deutschen Bauernverband und Teilen der COPA heraufbeschworen werden.Der Vorschlag des Deutschen Bauernverbandes ist auf den ersten Blick verlockend. Da werden der Preis und der Absatz der bestehenden Milchproduktion in den einzelnen Betrieben garantiert, und der Preis für die Milchmenge wird jährlich sogar noch entsprechend der Kostenlage angepaßt. Nur die darüber hinausgehende Produktion wird zu Marktpreisen verwertet, erlöst also einen erheblich geringeren Preis.Einmal bestehende Strukturen werden festgeschrieben. Jungen Betriebsleitern ist es in der Zukunft nicht mehr möglich, ihre Betriebe zu modernisieren, weil sie dann keine Chance mehr zur Betriebsaufstockung haben. Da helfen auch keine handelbaren Kontingente; denn diese würden von bestehenden leistungsstarken Betrieben aufgekauft werden.Glaubt ernsthaft jemand daran, daß auf der Ebene des Ministerrates in Brüssel dann überhaupt noch vertretbare Entscheidungen gefällt werden können? Denn neben den Preisen müßten dann auch noch die Mengen politisch festgelegt werden. Aus dem Grunde also Hände weg von Kontingentierungen! Der Einstieg mit der Kontingentierung bei Milch hätte zur Folge, daß wir uns über kurz oder lang über weitere Kontingentierungen zu unterhalten hätten. Ich nenne nur Rindfleisch, Schweineproduktion neben anderen Bereichen.Drittens. Auflockerung der Intervention: Staatliche Preisfestsetzungen von Absatzgarantien bergen immer die Gefahr in sich, daß die Marktkräfte unter-
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Holsteglaufen werden, zumal dann, wenn die Preise aus politischen Gründen nach einem Gleichgewichtspreis festgesetzt werden müssen. Weitere staatliche Eingriffe sind dann die zwangsläufige Folge, da sich relativ schnell Überschüsse bilden, die sich zu den festgesetzten Preisen nicht unterbringen lassen. Dieses Problem darf nach Meinung der FDP jedoch nicht durch Kontingentierung der Produktion gelöst werden. Statt dessen müssen die Absatzgarantien in vertretbarem Umfang verringert werden.So darf auch die Frage erlaubt sein, ob die unbegrenzte Intervention bei Magermilchpulver weiterhin richtig ist; denn angesichts der Energieverteuerung muß überdacht werden, ob Magermilch unbedingt erst mit einem hohen Energieaufwand eingetrocknet und anschließend wiederum mit Energieaufwand in Magermilch verwandelt werden soll. Der Frischabsatz von Magermilch, wie er häufig in der Diskussion war, sollte jedenfalls sehr ernst aufgegriffen werden.Bei Rindfleisch sollte sich die Gemeinschaft endlich wieder dazu durchringen, nur noch zur Weideabtriebszeit Rinder aus dem Markt zu nehmen und nicht während des ganzen Jahres. Außerdem scheint es mir unbedingt erforderlich zu sein, bei Intervention auf europäischer Ebene nach einheitlichen Kriterien und Maßstäben vorzugehen. Das heißt, daß in Zukunft das Zweinutzungsrind und das Fleischrind den Vorzug vor den einseitig hochgezüchteten Milchrindern à la Holstein-Frisian erhalten müssen. Nur dadurch kann es gelingen, das Zweinutzungsrind wettbewerbsfähig gegenüber dem Milchleistungsrind zu halten.Viertens: Abbau von Beihilfen. Im Zuge der jährlichen Preisverhandlungen hat sich im Laufe der Jahre ein Wust von Beihilfen und Prämien für die verschiedensten Produkte in das Agrarmarktsystem eingeschlichen, zumal nur durch derartige Hilfen für einzelne Regierungen die Preisvorschläge kompromißfähig wurden.Dieser Bereich muß dringend durchforstet werden, wobei ein Teil der Beihilfen, z. B. für Saatgut, Flachs, Hanf, Hopfen, Ackerbohnen und Trockenfutter ganz gestrichen werden sollte, andere, etwa für Obst und Gemüse, Olivenöl, schrittweise reduziert werden müssen, vor allem im Hinblick auf die vorgesehene Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal, zu der wir politisch stehen, die aber unter den gegenwärtigen Finanzierungsbedingungen erhebliche zusätzliche Kosten für die gemeinsame Agrarpolitik verursachen wird.Fünftens: Weitere Ausrichtung der Produktion auf Qualität und weniger auf Quantität. Die Ausnutzung jeglichen fütterungstechnischen und züchterischen Fortschritts bei der Veredelungsproduktion, aber auch die intensive Bodennutzung haben die Mengenproduktion erheblich gesteigert. Es verdienen aber auch alternative Produktionsweisen durchaus unsere Aufmerksamkeit, auch wenn sie generell keine Alternative zur modernen Landwirtschaft darstellen.
Auf europäischer Ebene sollte jedoch der Anreiz für alternative Produktionsweisen verstärkt werden, zumal dadurch das Mengenproblem nicht noch weiter erhöht würde. Es sollte nach meiner Meinung die Investitionsförderung in den Überschußbereichen in Europa zumindest vorübergehend ganz eingestellt werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies sind in aller Kürze unsere Vorstellungen für die Weiterentwicklung oder — wenn Sie so wollen — für die Reform der europäischen Agrarpolitik. Wir sind Realisten genug, um zu wissen, daß schon diese vorsichtigen Reformansätze teilweise auf erbitterten Widerstand bei einzelnen unserer Partner in der Gemeinschaft stoßen werden.Diese Vorschläge sind aber realisierbar, weil sie die Grundprinzipien der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik nicht in Frage stellen, nämlich den freien Warenverkehr, die Gemeinschaftspräferenz und die finanzielle Solidarität. Erwarten Sie also nicht zuviel von der Reformdiskussion in der Gemeinschaft, und vergessen wir vor allen Dingen nicht, daß die gemeinsame Agrarpolitik mit Hypotheken belastet ist, die ihre Ursache in anderen Politikbereichen haben. Ich nenne nur die offene Flanke unserer Milchpolitik: die abgabefreie Einfuhr von Substituten. Hier gilt bisher der Grundsatz: Soja gegen deutsche Pkws. Ich nenne die Buttereinfuhren aus Neuseeland, ich nenne AKP-Zucker, und ich nenne die fehlende Wirtschafts- und Währungsunion.Dies alles gilt es, mit zu berücksichtigen, wenn wir das Erreichte nicht in Frage stellen wollen. Wir wollen Europa, und wir sind sicher, daß Bundesminister Ertl in diesem Sinne in der Gemeinschaft weiter verhandeln wird.
In den 80er und 90er Jahren wird auch Europa den wesentlichen Herausforderungen der Welt gerecht werden müssen: dem Bevölkerungswachstum, der Energieverknappung, den weltweit ungelösten Ernährungsproblemen und nicht zuletzt — dies muß unser gemeinsames Bemühen sein — dem Schutz von Natur und Landschaft. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Müller von der SPD hat die Überschüsse in der Europäischen Gemeinschaft beklagt. Es ist richtig, daß sich die Agrarpolitik bemühen muß, diese Überschüsse zu beseitigen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich eines dazu bemerken: Ich glaube, eine Politik, die mit Überschüssen lebt, ist leichter zu führen als eine Politik, die den Mangel verwalten muß. Wir haben in unserem Lande schon einmal Mangel gehabt und wissen deshalb, was das bedeutet.
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Sauter
Ich frage Sie: Wie sollten wir eigentlich den Ländern der Dritten Welt helfen und wie wollten wir den Polen etwas geben, wenn wir nicht übrige Mittel zur Verfügung hätten?
Dies schließt nicht aus, daß wir versuchen müssen, Herr Kollege Müller, die Überschüsse zu beseitigen. Wir haben dabei ja auch schon Fortschritte gemacht.Ich hätte gerne dem Herrn Bundesminister auch den Dank meiner Fraktion für das Ergebnis der heutigen Verhandlungen gesagt; doch bin ich mir noch nicht ganz sicher, was dabei herausgekommen ist. Ich werde den Verdacht nicht los, Herr Bundesminister — vielleicht können Sie ihn entkräften —, daß für die deutsche Landwirtschaft ein sehr mageres Ergebnis herausgekommen ist und daß Sie derjenige Minister sind, der bei dieser Ratssitzung am schlechtesten abgeschnitten hat. Aber Sie können mich gerne korrigieren.Herr Kollege Müller, Sie haben an die CDU/CSU- Fraktion Fragen gestellt; vielleicht würden Sie jetzt einmal geschwind aufpassen, wenn ich Ihnen sage, wie unsere Vorstellungen zum bäuerlichen Betrieb und seinen Obergrenzen sind.Sie wissen alle, daß es unendlich schwierig ist, gesetzliche Regelungen zu treffen und Obergrenzen einzuziehen. Wir haben uns doch in der letzten Legislaturperiode gemeinsam um das Pachtgesetz bemüht; dies ist gescheitert. Was die Frage der Obergrenze bei der Förderschwelle anbetrifft, so rennen Sie da bei uns offene Türen ein. Dies ist überhaupt keine Frage.Es ist uns fast schon ein Pamphlet zu diesem Thema zugegangen, in „Agra-Europe" abgedruckt, und zwar vom Kollegen Immer. Es hieß dort: Einmal müsse das Leitbild vom bäuerlichen Familienbetrieb neu überdacht werden, und auch der Nutzen der Nebenbetriebe müsse überdacht werden. — Vielleicht versuchen Sie zunächst einmal in Ihrer eigenen Fraktion dies alles auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.Herr Kollege Müller, was wir in der Entschließung zu den wirtschaftlichen Rahmendaten gesagt haben, das findet doch hoffentlich auch Ihre Zustimmung. Es sollte doch keinen Dissens darüber geben, daß die Agrarpolitik dann, wenn a) die Preise stimmen und b) die wirtschaftlichen Rahmendaten stimmen, am besten geführt werden kann. Hier hat es in den letzten Jahren schwere Fehler und Versäumnisse gegeben.Lassen Sie mich ein paar kurze Bemerkungen zum Agrarbericht machen, der sicher eine zutreffende Schilderung dessen ist, was im letzten Wirtschaftsjahr geschehen ist. Es gibt in diesem Agrarbericht auch ein paar undeutliche Hinweise auf die Ziele der Agrarpolitik. Nur, wie diese Ziele erreicht werden sollen, darüber herrscht Schweigen, oder es gibt widersprechende Aussagen. Wir lesen: Teilnahme am wirtschaftlichen Fortschritt, oder: über Preis und Absatz ein höheres Einkommen zu erzielen, sei sehr schwierig. Um so wichtiger — so geht es dort weiter — seien Strukturpolitik, Raumordnung, steuerliche Maßnahmen und Sozialpolitik.Meine Damen und Herren, wie sieht denn die Realität in unserem Lande aus? Die Einkommensteuergesetzgebung, Herr Kollege Müller, führt zu zusätzlichen Belastungen. Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe in all ihren Facetten wurden gekürzt. Für neue Vorhaben von Flurbereinigung, Wasserwirtschaft, einzelbetriebliches Förderprogramm stehen fast keine Mittel mehr zur Verfügung. Die Mineralölsteuererhöhung trifft die Landwirte und die Bewohner des ländlichen Raumes. Die Mittel für die regionale Strukturpolitik wurden gekürzt, Bahn und Post ziehen sich aus der Fläche zurück. Gleichzeitig erleben wir ein Programm, das 600 Züge im Nahverkehr streichen will. Der Bundesminister Hauff weiß überhaupt nicht mehr, wie er den Straßenbau in Zukunft finanzieren soll. Die Brennereien erleiden neues Ungemach.Die Gesetzesvorhaben zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und zum Wegfall des Haftsummenzuschlags führen zu neuen Problemen bei den Kreditinstituten, und damit wächst die Gefahr, daß sich diese aus der Fläche zurückziehen. Die Arbeitslosigkeit nimmt gerade in den schwach strukturierten Gebieten in erschreckendem Maße zu. Das heißt, Herr Bundesminister: Außerlandwirtschaftliche Alternativen stehen in Zukunft in noch geringerem Maße zur Verfügung. Deshalb ist dieser Agrarbericht ein deprimierendes Dokument der Ausweglosigkeit.
Die Flächenausstattung lasse sich durch Zukauf und Pacht aus Kostengründen kaum vergrößern; in der tierischen Veredelung sei die Aufnahmefähigkeit des Marktes schon jetzt teilweise überschritten.Herr Minister Ertl, Sie sollten in Ihrem eigenen Hause — und wenn man die Aussagen von Herrn Paintner von heute morgen mitberücksichtigt, meine ich, darüber hinaus auch innerhalb der FDP — darauf achten, daß in die Aussagen etwas mehr Klarheit kommt. Ihre Politik wird nämlich allmählich insgesamt unglaubwürdig.Dann gibt es noch das Thesenpapier der SPD. Auf den Herrn Apel will ich nicht mehr näher eingehen; aber es sind ja zwei entscheidende Momente, die als der Weisheit letzter Schluß dargestellt werden. Da ist einmal das Thema „Einkommensübertragung". Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist das mit der Einkommensübertragung angesichts der leeren Kassen in der Bundesrepublik Deutschland und in der Gemeinschaft?
Zum anderen wird ausgerechnet von der SPD mehr Marktwirtschaft verlangt. Die Landwirtschaft ist offenbar der einzige Bereich, in dem die SPD
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Sauter
mehr Marktwirtschaft will, weil sie sonst keinen Ausweg mehr weiß.
Weil dies heute schon angeklungen ist, möchte ich zum Thema „Agrarstruktur" noch ein paar Anmerkungen machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten in der Bundesrepublik Deutschland vor 30 Jahren 1,6 Millionen Betriebe. Wir haben heute 790 000 Betriebe.
Die Durchschnittsgröße liegt in Deutschland derzeit bei 14,5 ha. In England haben wir derzeit 66 ha. In England ist man der Auffassung, daß diese Größe nicht ausreicht, daß dort also die Strukturpolitik weiter fortgesetzt werden soll. Herr Kollege Gallus, überlegen wir uns einmal, wie es wäre, wenn das bei uns so weiterginge; dann hätten wir in 25 Jahren oder bereits im Jahre 2000 in diesem Lande noch 200 000 Betriebe. Auch Ihnen, Herr Gallus, ist dabei offenbar nicht mehr ganz so wohl, denn Sie sagen: Wir müssen die Entwicklung aufmerksam beobachten.D as einzelbetriebliche Förderprogramm, Herr Minister Ertl, hat diese Entwicklung beschleunigt. Es hat — ob Sie das wahrhaben wollen oder nicht — schon zu einer Politik des „Wachsens oder Weichens" geführt und hat gleichzeitig zur Mehrproduktion beigetragen. Inzwischen haben wir ja vernommen, daß es bei diesem Programm Korrekturen geben soll. Wir haben ja immer Kritik an diesem Programm geübt. Unter dem Diktat der leeren Kassen ist man wohl bereit, hier Änderungen vorzunehmen.Wir sind — das möchte ich noch einmal nachdrücklich unterstreichen — der Auffassung, daß diese Richtlinie in Zukunft als Rahmenrichtlinie gehandhabt werden muß, damit wir im nationalen Bereich mehr Spielraum haben, und daß vor allen Dingen eine Abkoppelung vom sogenannten außerlandwirtschaftlichen Einkommen stattfinden muß. Herr Bundesminister Ertl, ich teile nicht Ihre Auffassung, die Sie in anderem Zusammenhang geäußert haben, daß nämlich die Agrarprogramme der Länder letzten Endes zur Mehrproduktion geführt hätten.Wir von der CDU/CSU sind der Auffassung, daß die Strukturpolitik behutsam weitergeführt werden muß und daß das Tempo nicht unnötig durch den Staat forciert werden darf. Eine Konzentration der Landwirtschaft in wenigen Händen lehnen wir aus gesellschafts- und vermögenspolitischen Gründen ab. Wir bekennen uns auch in der Landwirtschaft und in der Agrarpolitik zum breitgestreuten Eigentum. Die Union steht zum Familienbetrieb in allen seinen Ausformungen. Dabei muß es möglich sein, unter menschenwürdigen Bedingungen ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Überall dort, wo dies nicht möglich ist, müssen überzeugende Alternativen angeboten werden.Die Kürzung der Gemeinschaftsaufgaben fügt dem ländlichen Raum Schaden zu. Herr Minister Ertl — lassen Sie mich dies auch einmal sagen — hat zweifellos seine Meriten um die Landwirtschaft.Aber es fehlt ihm gerade in der Zeit nach der Bundestagswahl an politischem Durchsetzungsvermögen. Ein angeschlagener Minister wurde bei den Koalitionsverhandlungen verheizt und hat sich im Kabinett nicht mehr durchsetzen können. Es waren und sind die eigenen Leute, die diesen konservativen Minister nicht mehr haben wollen. Das Ergebnis ist ein Minus von 7,3 % im Haushalt. Herr Bundesminister, da nützen keine Ausflüchte auf die verfassungsrechtlichen Probleme der Gemeinschaftsaufgabe. Tatsache ist, daß die Mittel um 20 % gekürzt worden sind und daß die Landwirte und der ländliche Raum die Leidtragenden sind. Der Gesamthaushalt ist um über 4 % angestiegen; der Agraretat ist um 7,2 % gekürzt worden. Er ist die letzte Reservekasse für die desolaten Bundesfinanzen.Das heißt, die Zukunftsaussichten der ländlichen Regionen sind schlechter geworden. Da nützt alle Gesundbeterei nicht, wie sie gelegentlich betrieben wird. Ich bitte Sie, den Raumordnungsbericht und die Prognosen der Fachleute genau anzusehen. Dort wird auch die zutreffende Feststellung getroffen, daß die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen die wichtigste strukturpolitische Maßnahme sei. Aber angesichts einer Arbeitslosenzahl von 1,3 Millionen sind die Aussichten dafür außerordentlich schlecht.Wir von der CDU/CSU verwahren uns gegen eine passive Sanierung dieser Gebiete, und wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß die ländlichen Regionen nicht nur Dienstleistungsfunktionen für die Ballungsgebiete haben, sondern daß sie eigenständige Aufgaben und Funktionen zu erfüllen haben. Im Mittelpunkt unserer Strukturpolitik steht der Mensch, der in dieser Region lebt und arbeitet. Es müssen also vorhandene Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden und zusätzliche Existenzgründungen möglich sein.Herr Bundesminister, die angekündigte Verbandsklage verhindert eine geordnete Entwicklung dieser Gebiete. Wenn Sie die jüngste technologische Entwicklung aufmerksam beobachten, dann können Sie feststellen, daß es durchaus wieder Ansätze zu einer dezentralen Industrialisierung in verstärktem Maße gibt. Ich habe die Sorge, daß die hitzige Debatte um die derzeitige Situation in den Ballungsgebieten den Blick für die Strukturschwächen unseres ländlichen Raums etwas verstellt.Ich möchte noch einmal mit Nachdruck betonen, daß durch die drastische Erhöhung der Mineralölsteuer den Arbeitnehmern in dieser Region weiterer schwerer Schaden zugefügt worden ist. Es darf auch keinen weiteren Rückzug der Bahn aus der Fläche mehr geben.Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem sagen, was heute mehrfach — auch in der Rede des Bundesministers — angeklungen ist, nämlich zu den Betrieben und den Familien, die mit ihrem Einkommen weit unter dem Durchschnitt sind. Es sind teilweise Betriebe der unteren Größenklassen, aber es handelt sich auch um die Betriebe in den benachteiligten Agrargebieten.
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1446 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Sauter
Wir begrüßen es sehr, daß der zuständige Ausschuß in den nächsten Monaten Gelegenheit nehmen wird, sich an Ort und Stelle über die Situation in diesen Problemgebieten zu erkundigen. Ebenso sind wir dankbar dafür, daß auch die Obstregionen, die noch schlechter gestellt sind und am unteren Ende der Einkommenskala stehen, besucht werden.
Wir haben bei den Vollerwerbsbetrieben in den benachteiligten Regionen Einkommen um die 20 000 DM. Hier sollte man meines Erachtens noch eine stärkere Differenzierung vornehmen und vor allen Dingen genauer untersuchen — es ist in Andeutungen im Agrarbericht angesprochen —, wie es mit den Betrieben in den Berg- und Kerngebieten aussieht, für die wir dankenswerterweise die Ausgleichszahlungen zur Verfügung stellen, die leider bei ihrem Anfangsbetrag stehengeblieben sind.Wer sich mit den Leuten dieser Region unterhält, muß feststellen, daß dort ein hohes Maß an Resignation zu registrieren ist. Da war ein Besuch von zwei leibhaftigen Staatssekretären aus Bonn in dieser Region.
Die Redezeit ist zu Ende.
Ich komme gleich zum Schluß. — Da hat es nur Ausweglosigkeit und Ratlosigkeit gegeben. Gerade in diesen Regionen ist es wichtig, daß wir die Strukturen verbessern, daß wir außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze erhalten. Wir sollten unsere gemeinsame Anstrengung darauf lenken, daß gerade diese Gebiete und diese Betriebe alle Möglichkeiten unserer Hilfe erfahren. CDU und CSU sind bereit, im Rahmen der Möglichkeiten der Landwirtschaft insgesamt in besonderer Weise diesen Problemgebieten ihre Unterstützung zu geben. — Ich danke Ihnen sehr.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen etwas zur Geschäftslage sagen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sollen die Punkte 3, 6 und 7 von der Tagesordnung heute abgesetzt werden, damit wir Gelegenheit haben, die Agrardebatte ausführlich zu Ende zu führen. Ich schätze, dies dauert etwa bis 19.30 Uhr. Wir werden dann den Rest der Tagesordnungspunkte abwickeln, der ohne Debatte über die Bühne gehen kann; das sind zweite und dritte Beratungen. Wir werden die drei Punkte, die ich eben nannte, auf die Tagesordnung der nächsten Woche setzen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Immer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin für den persönlichen Schluß des Kollegen Sauter sehr dankbar, der angekündigt hat, daß die CDU/ CSU-Fraktion alles tun wird, um gemeinsam mit uns die Probleme des ländlichen Raums und der Landwirtschaft in der Zukunft positiv zu regeln.In einer Rede des Abgeordneten Susset, die ich nicht hören konnte, und von Herrn Kollegen Sauter ist ein Artikel erwähnt worden, den ich im SPD-Pressedienst und auch im „Agra-Europe" veröffentlicht habe. Ich glaube, es ist unstrittig, daß man die Rolle der NE-Betriebe — Nebenerwerbsbetriebe — und der Vollerwerbsbetriebe und Übergangsbetriebe immer wieder neu diskutieren muß. Der bayerische Weg, meine Damen und Herren von der CSU, ist ja wohl dadurch durchlöchert, daß man, wie ich mir anläßlich einer Bereisung des bayerischen Raums berichten ließ — die Beratungstätigkeit für den Vollerwerbsbetrieb ein wenig eingeschränkt hat und offenbar darauf setzt, daß die Zukunft der Landwirtschaft, wie es einige Wissenschaftler schon einmal formuliert haben, der Nebenerwerbsbetrieb sei. Herr Kiechle, ich habe das von Beratern gehört und werde darauf noch in einem anderen Zusammenhang zurückkommen.
— Mag sein, nur, Sie waren nicht anwesend, und Sie hätten das richtigstellen können.
Wenn Herr Sauter, darauf möchte ich eingehen, in einem Rundumschlag — „Schlag" ist ein bißchen abgemildert -- alle Probleme der Strukturpolitik im ländlichen Raum angesprochen hat, dann hat er nur einige Schlagworte genannt, aber er hat nicht gesagt, wie das eigentlich aussehen könnte, was er anders machen wollte, ausgenommen die alte Forderung, alternative Arbeitsplätze zu schaffen. Sie wissen genau, daß — ich bin Raumordnungsfachmann gewesen und ich bin es noch heute — die Strukturpolitik und die regionale Wirtschaftsstruktur nicht allein Ländersache sind, sondern im Verein mit dem Bund für den Ort bestimmend festgelegt werden sollen. Wenn da Schwierigkeiten auftauchen — in Baden-Württemberg gibt es kaum Schwierigkeiten, aber im Bayerischen Wald, in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein mag es Schwierigkeiten geben — dann muß es die Landesregierung ausweisen. Wenn aber 66 % der Fläche des deutschen Bundesgebietes Förderungsgebiete sind, dann weiß ich nicht, wie das weitergehen soll.
Ich habe mich — das möchte ich hinzufügen - anläßlich der interessanten Fachtagung der Gesellschaft für Innere Kolonisation, wo leider keiner der Kollegen der CDU und der FDP anwesend war, sehr genau über das Projekt der Seen im Frankengebiet informiert und sehr interessante Ausführungen für eine alternative Landnutzung gehört, die uns sicherlich auch im Blick auf Pacht, Eigentumsübertragung bewegen werden. Ich bedaure hier zutiefst, daß insbesondere die Kollegen von der Opposition nicht dabei waren, um andere, alternative Vorstellungen zu entwickeln.
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Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1447
Immer
— Ihr könnt nicht überall sein. Ihr seid kein Gott.
Die Ubiquität ist auch bei Ihnen nicht gegeben. Aber ich war dabei.
— Und ich freue mich, das ist wahr.
Ich darf noch auf einen Punkt eingehen, Herr Sauter. Sie haben erwähnt: Mehr Markt, und das ausgerechnet bei der SPD? Sie verkennen dabei, daß die Sozialdemokratische Partei auch in der übrigen Wirtschaft mehr Wettbewerb fordert. In dem in Rede stehenden Bereich möchte sie durch ihre Maßnahmen den Wettbewerb besser herstellen. Und wenn sich die Landwirtschaft sperrt — und das steht in dem Artikel, den ich veröffentlicht habe, auf den Sie nicht eingegangen sind — —
— Nein, Strukturräte haben Sie in meinem Artikel nicht gefunden, sondern Sie haben nur gefunden, daß die SPD im Augenblick die einzige Partei ist, die auch im landwirtschaftlichen Bereich mehr Wettbewerb fördert, und daß alle die, die immer von Marktwirtschaft reden, plötzlich eine ideologische Hemmschwelle haben, wenn es um die Landwirtschaft geht. Die Landwirtschaft scheint ein völlig anderes Gewerbe zu sein; aber ich glaube, das ist nicht richtig.Die Landwirtschaft hat Probleme. Die Landwirtschaft hat, weil Lie Preiselastizität der Nachfrage bei Nahrungsmitteln gering ist, Schwierigkeiten. Aber mehr Markt würde hier guttun.Um nicht meinen Kollegen die Zeit wegzunehmen, möchte ich trotz der Verlängerung der Agrardebatte, die ich begrüße, nur noch auf einen Punkt eingehen und auf die Gemeinschaftsaufgabe zu sprechen kommen. Als die 20%ige Kürzung, die wir sicher alle bedauern, aus Finanzierungsgründen ins Haus stand, da schriee ausgerechnet diejenigen hier im Bundestag auf, die sonst im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsaufgabe sagten, die Mischfinanzierung müsse vom Tisch.
— Ja, aber es fing in Bayern an
und setzte sich in Baden-Württemberg fort.
Ich kann nur sagen, daß das Land, in dem ich lebe, Rheinland-Pfalz, gerne bereit wäre, die Gemeinschaftsaufgabe weiterzuführen; denn sie hat über die Menschen im ländlichen Raum, speziell in der Landwirtschaft, viel Segen gebracht.Wenn es einen Umbau bei der Gemeinschaftsaufgabe geben soll, muß darüber diskutiert werden — obwohl ich in der letzten Legislaturperiode nur stellvertretendes Mitglied dieses Ausschusses war, habe ich mitüberlegt und gern mitdiskutiert —, ob es nicht an der Zeit ist, die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes neu zu strukturieren, eine Flurbereinigung durchzuführen. Wir haben das damals auch in einem Hearing grundsätzlich überlegt — in einer Zeit, wo über die Finanzierung dieser Gemeinschaftsaufgabe noch keine Diskussion entstanden war —, daß die Gemeinschaftsaufgabe neu strukturiert werden könnte, daß eine Flurbereinigung stattfinden könnte. Leider ist diese Chance verpaßt worden, und wir gehen erst jetzt daran — angesichts der knappen Kassen bedaure ich das —, diese Gemeinschaftsaufgabe daraufhin zu überprüfen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bötsch?
Herr Kollege, wären Sie so freundlich, zuzugestehen, daß die Diskussion um die Gemeinschaftsaufgabe und die gesamte Mischfinanzierung, wie sie vom Freistaat Bayern ausgegangen ist, immer beinhaltet hat, daß nicht an eine bloße Abschaffung gedacht worden war, sondern daß das System durch ein neues System des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern ersetzt werden sollte und daß die Forderung der bayerischen Staatsregierung insoweit durch einen einstimmigen Beschluß des Bayerischen Landtags unterstützt wurde?
Herr Dr. Bötsch, ich glaube Ihnen gern, daß die bayerische Staatsregierung und der Landtag von Bayern gern bereit wären, folgende Regelungen zu schaffen: Die bayerische Staatsregierung gibt das Geld aus, und der Bund bezahlt. Das glaube ich gerne! Nur, wer bezahlt, muß auch die Musik bestellen können. Ich glaube, diese Problematik wird uns in der nächsten Zukunft noch beschäftigen.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Kollege Immer, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage: Es ist doch ein bißchen sehr schlitzohrig zu sagen: „Wir fordern die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe, aber wir wollen natürlich das Geld vom Bund in unserem Landeshaushalt haben, damit wir die Maßnahmen durchführen können, aber bei Maßnahmen soll eben kein Täfelchen vorhanden sein, auf dem z. B. steht, daß hier mit Mitteln des Bundes flurbereinigt wird"?
Wegen des Täfelchens ist mir nicht bange. Das Problem besteht ja darin, daß der Bund in einen Landeshaushalt hinein bezahlt und keine Möglichkeit besteht, irgendwie eine Garantie darüber abzugeben, daß diese Mittel zur Deckung des Haushalts mindestens der Länder, die ihre Haushalte nicht ausgleichen können, verwendet werden, etwa von Rheinland-Pfalz, Schles-
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1448 Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Immer
wig-Holstein und Bayern — um nur einige zu nennen.
— Dort kann man den Haushalt schon ausgleichen.
— Moment, Herr Eigen, ich habe auf zwei Fragen geantwortet. Ich möchte meine Meinung vortragen. Wenn Sie „Schleswig-Holstein" hören, gehen Sie natürlich sofort hoch wie ein Phönix aus der Asche.
Der Herr Abgeordnete läßt keine weitere Zwischenfrage zu, wenn ich ihn richtig verstanden habe.
Fahren Sie bitte in der Rede fort.
Sie können natürlich gezielte Zwischenrufe machen. Aber wenn drei gleichzeitig zwischenrufen, kann ich natürlich nicht hören, was wichtig ist.
— Was war falsch, Herr Kiechle?
— Nein, daß man mit den Mitteln des Bundes einen Haushalt ausgleicht, nachdem Bayern, SchleswigHolstein und Rheinland-Pfalz sowieso schon vom Bund und von den Ländern Ausgleichsmittel erhalten.
— Ich freue mich j a. Wenn ich rede, gibt es immer wunderbaren Widerspruch oder Zustimmung. Das belebt endlich einmal die Agrardebatte. Das war bisher leider nicht der Fall.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der sicherlich von der Rede von Herrn Sauter bestimmt ist und fast aus dem Rahmen fällt; ich kann mir die Sache nicht verkneifen. Sie haben von den Problemen der Verdünnung der Leistungen im öffentlichen Verkehrsbereich gesprochen. Nur, Herr Kollege Sauter, man darf die Geschichte j a nicht verfälschen. Man wird doch darauf hinweisen dürfen, daß der Gedanke aus den Kreisen der CDU kam, eine Privatisierung der Bundesbahn herbeizuführen.
— Moment mal! Natürlich!
— Seit wann war Grimm im Bundestag?
— Also, ich wüßte nicht, daß die Gebrüder Grimm hier waren und hier Märchen erzählt haben.
Ihre Kollegen aus dem Verkehrsausschuß haben in den vergangenen Legislaturperioden immer wieder dafür gesorgt, daß die Diskussion um Privatisierung der öffentlichen Verkehrsleistungen nicht abgerissen ist. Das hätte bedeutet, daß alle Nebenstrecken der Deutschen Bundesbahn einem Privatunternehmen nicht mehr lukrativ erschienen wären, und hätte bedeutet, daß schon längst die Strecken der Deutschen Bundesbahn im Bereich der ländlichen Räume stillgelegt worden wären. Der Personennahverkehr, der Güterverkehr wären dort stillgelegt worden. Ich wollte das nur klarstellen.
— Entschuldigung, Herr Niegel, also, darf ich Sie einmal scharf ansehen? Gucken Sie mal!
Das, was Sie im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu diesem Problem in der letzten Legislaturperiode gesagt haben,
ist einfach nicht korrekt; denn Sie wissen genau — ich will keinen Namen eines Kollegen nennen —, daß gerade Ihre Fraktion immer — nicht ewig, aber verschiedentlich — darauf hingewiesen hat, daß endlich einmal die Leistungen der öffentlichen Hand bis in die Postbeförderung hinein da privatisiert werden müßten, wo es die geringsten Risiken gibt. Das hätte zur Folge, daß der ländliche Raum — das können Sie in Amerika einmal studieren — total aufgehört hätte zu bestehen,
daß wir — und damit möchte ich abschließen, um nicht andere von ihren Reden abzuhalten — auch entgegen unserer Regierung und zum Teil im Clinch mit unserer Regierung und diesen Vorstellungen
als SPD-Fraktion einen harten Kampf dafür führen würden, daß Stellen der Post, Strecken der Bahn, daß Verkehrswege im ländlichen Raum erhalten werden und daß entsprechend dem Bundesraumord-
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nungsgesetz und insbesondere dem Bundesraumordnungsprogramm die dezentralisierte Konzentration, also nicht die Konzentration auf die großen Ballungsräume, sondern in kleineren Bereichen erfolgt. Sie können gewiß sein, daß wir das weiterverfolgen.Herr Niegel, Ihre Vorschläge gehen nur in der Agrardebatte in diese Richtung. Wenn aber Ihre Verkehrsexperten, wenn Ihre Postexperten hier reden, sieht das völlig anders aus. Das ist eine Doppelbödigkeit, die ich gerne zurücktreiben möchte.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorhin von meinem Kollegen Holsteg skizzierten Vorstellungen der Freien Demokraten zur europäischen Agrarpolitik dürfen nicht den Blick auf die Einkommenslage der Landwirte verstellen.
sie darf es auch nicht. Denn auch unsere Landwirtschaft muß sich dem europäischen Wettbewerb auf dem Argrarsektor stellen. Sie hat sich dabei bisher durchaus gut behaupten können.
Jeder, der Bauer bleiben will, kann Bauer bleiben. Niemand wird gezwungen, seinen Hof aufzugeben. Allerdings kann dann der Staat auch nicht jedem Landwirt, unabhängig von seinem Können, seinen Fähigkeiten, der Ausstattung seines Betriebs, ein Einkommen garantieren, das dem Vergleichseinkommen entspricht. Hier verstehe ich die Aufregung der Opposition nicht ganz. Der Landwirt ist freier und selbständiger Unternehmer und nicht Tarifpartner des Staates.
Der Staat muß sich in der Einkommenspolitik amordnungsgemäß bewirtschafteten bäuerlichen Familienbetrieb orientieren, damit dieser ein vernünftiges Einkommen erzielen kann.
Diesem Anspruch ist die Agrarpolitik von Josef Ertl und der SPD/FDP-Koalition in den vergangenen elf Jahren gerecht geworden.
Gewiß gibt es wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch Problembetriebe. Wir haben heute noch 397 000 Vollerwerbsbetriebe gegenüber 476 000 Vollerwerbsbetrieben vor zehn Jahren. Dabei hat sich im letzten Jahr der Einkommensabstand zwischen dem oberen Viertel der Betriebe mit 58 000 DM Einkommen je Familienarbeitskraft und dem letzten Viertel der Betriebe mit 7 600 DM Einkommen je Familienarbeitskraft weiter vergrößert.Theoretisch wäre es sicher möglich, daß auch 200 000 Betriebe unsere Nahrungsmittel produzieren. Wir müssen aber politisch entscheiden, welche Landwirtschaft wir eigentlich wollen: die Agrarfabrik — möglichst mit wenig Land — auf der Grundlage eingeführter Futtermittel — möglichst aus Entwicklungsländern, wo die Menschen hungern — oder den bäuerlichen Familienbetrieb mit seinen sozialen, gesellschaftspolitischen und ökologischen Vorteilen.
Wir dürfen diese letzten hunderttausend Problembetriebe nicht vernachlässigen. Nur, meine Damen und Herren, allein mit den Mitteln der Preispolitik ist hier wenig auszurichten. Eine Preisanhebung von beispielsweise 10 % würde das Einkommen des oberen Viertels von jetzt 58 000 DM — ich sage es — zwar lukrativ erhöhen, aber das des unteren Viertels von 7 600 DM je Familienarbeitskraft vielleicht gerade auf 8 500 DM bringen. Allein diese Zahlen unterstreichen die eben getroffene Aussage. Deshalb müssen wir für den Problembereich andere Lösungsmöglichkeiten suchen.Ich möchte allerdings von vornherein davor warnen, die Problembetriebe alle über einen Kamm zu scheren. Vielfach handelt es sich um auslaufende Betriebe, deren Investitionsbedarf gering ist und bei denen somit das konsumfähige Einkommen erheblich höher ist, als es der Agrarbericht ausweist. Vielfach sind es Betriebe, die sich in Richtung auf Zuoder Nebenerwerbsbetriebe bewegen. Für den Teil der Betriebe, die mangels Alternativen ihren einkommensschwachen Vollerwerbsbetrieb längere Zeit weiterführen müssen, gilt es, neue Lösungen zu suchen. Aufgabe staatlicher Agrarpolitik muß es sein, durch eine stärkere Differenzierung der eingesetzten Mittel — z. B. beim einzelbetrieblichen Förderungsprogramm — gerade diesen noch entwicklungsfähigen Betrieben eine positive Fortentwicklung zu ermöglichen.Die Beschränkungen der förderungsfähigen Bestandsgrößen bei Milchvieh und Schweinen sind richtig. Es kann doch nicht Aufgabe der Politik sein, Konzentrationen noch zu fördern.
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BredehornErinnern möchte ich hier auch noch einmal an den FDP-Vorschlag für eine gestaffelte Erzeugerabgabe bei Milch — mein Kollege Holsteg hat das schon im einzelnen ausgeführt —, die gerade den kleineren Betrieben eine Chance läßt.Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion sagen. Darin heißt es auf der zweiten Seite beim letzten Spiegelstrich, es sei dafür zu sorgen, daß die Strukturrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft vor allem im Bereich der einzelbetrieblichen Förderung geändert würden. Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Strukturpolitik war so schlecht wohl nicht. Ich bin allerdings der Meinung, angesichts der Überschüsse und der knappen Finanzmittel sollten wir durchaus zu der Überlegung kommen, ob wir nicht vorübergehend EG-weit die einzelbetriebliche Förderung aussetzen sollten, auch wenn, ich glaube, Herr Kollege Susset davon sprach, daß geringe Überschüsse auf dem Sektor Milch, Butter usw. vorhanden sind. Ich kann das nur bestätigen, und ich freue mich darüber. Nur müssen wir einfach sehen, daß uns dies auch erhebliche Gelder gekostet hat.In Regionen mit erschwerten Wirtschaftsbedingungen wollen wir die sogenannte Bergbauernförderung konsequent fortsetzen.Eine weitere Variante, die mir zukunftsträchtig erscheint, ist die im Ernährungsministerium entwickelte Überlegung, im Rahmen einer neuen Forstkonzeption die Aufforstung nicht nur direkt zu fördern, sondern für derartige Problembetriebe für die ersten zehn Jahre eine Entschädigung für die entgangene Nutzung der Flächen zu zahlen, um auf diese Weise, sozusagen als Nebeneffekt, bisher landwirtschaftlich genutzte Flächen aus der Produktion zu nehmen und damit unsere Märkte zu entlasten. Ich meine, es wird sich lohnen, darüber im Ausschuß weiter zu diskutieren, wobei allerdings von vornherein klargestellt werden muß, daß die Finanzierung derartiger Maßnahmen nur national erfolgen kann; denn eine EG-Maßnahme würde angesichts der sehr unterschiedlichen Strukturen zu erheblichen. zusätzlichen Kosten führen.Meine Damen und Herren, Bundesminister Ertl hat in seiner Einbringungsrede dankenswerterweise den Naturschutz und sein Verhältnis zur Landwirtschaft angesprochen. Der Natur- und Umweltschutz hatte bei uns stets hohe Priorität. Ich erinnere an das Bundesnaturschutzgesetz von 1976, an die Artenschutzverordnung von 1980, an die Novellierung des Flurbereinigungsgesetzes 1976, die die Belange des Naturschutzes bei Flurbereinigungen verstärkt berücksichtigt. Erwähnt werden müssen hier auch das Bundeswaldgesetz sowie die Verordnungen zu Pflanzenschutz-, Dünge- und Futtermitteln. Die Landwirte sollten im eigenen Interesse alle vernünftigen Forderungen auf dem Gebiet von Natur- und Umweltschutz sehr ernst nehmen.
Ich möchte die Landwirte ermuntern, ihre jedenfalls von der Verbandsspitze mit Vehemenz vorgetragene Ablehnung der Verbandsklage zu überdenken. Wir sind für die Verbandsklage im Naturschutz und werden sie in dieser Legislaturperiode einbringen.
Klagen können nur anerkannte Verbände.Warum wollen wir die Verbandsklage?Erstens. Die Einführung der Verbandsklage im Naturschutz stellt die Chancengleichheit zwischen Allgemeininteresse und Individualinteresse her und ist im modernen Sozialstaat eine notwendige Ergänzung zum individuellen Rechtsschutz.Zweitens. Die Verbandsklage ermöglicht in vielen Fällen erst eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde, ob die Entscheidung dem Naturschutzrecht entspricht. Das gegenwärtige Verwaltungsrecht gibt die Klagebefugnis nur dem, der nachweisen kann, daß die betreffende Anordnung — sei es ein Genehmigungsbescheid oder ein Feststellungsbeschluß — ihn selbst in seinen Rechten verletzt.Drittens. Die Beteiligung der Umweltverbände verbreitert die Informationsbasis und kann die Qualität der Entscheidungen nur fördern.Viertens. Die Verbandsklage im Bereich des Naturschutzes fördert eine fortschrittliche Bürgerbeteiligung. Erfahrungen aus der Schweiz und aus den Vereinigten Staaten — Ländern, in denen es die Verbandsklage gibt — zeigen, daß nur vorübergehend nach der Einführung eine Prozeßlawine auftrat, daß aber dann die Gerichte von den zahllosen Einzelklagen entlastet waren. Es gibt ja Beispiele im Deichbau an der schleswig-holsteinischen Küste — Herr Eigen, Sie kennen das sicher —, wo es Tausende von Einwendungen gab. Daß das dann weniger wird, ist auch ein guter Grund für die Verbandsklage.Täglich wird Natur verbraucht. Viele Pflanzen und Tiere sind vom Aussterben bedroht. 16 % der Bundesrepublik sind mit Bauten und Verkehrsflächen bedeckt, und täglich kommt eine Fläche von mehr als 100 ha hinzu. Wir müssen daher mit der Natur sehr sorgfältig umgehen. Die Natur darf vor Gericht nicht rechtlos sein.
Die Ablehnung der Verbandsklage, meine Damen und Herren von der Opposition — ich habe es von Ihnen gehört, Herr Kiechle —, ist doch nur Machtarroganz gegen Bürgerwille und Bürgerfreiheit.
Der mitdenkende, mitentscheidende Bürger ist nun mal unbequem. Wir aber wollen den unbequemen Barger.
Landwirte und Umweltschützer haben ein gemeinsames Ziel: den möglichst schonenden Umgang mit den Naturgütern. Sicher, es wird immer Meinungsverschiedenheiten darüber geben, was denn schonender Umgang mit der Natur ist.Eines aber dürfte ganz sicher sein: Naturschutz und Landschaftspflege können am besten mit der
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BredehornLandwirtschaft gestaltet werden, aber nicht gegen sie. Ich begrüße es, daß die sogenannte Landwirtschaftsklausel im Bundesnaturschutzgesetz überarbeitet wird, zumal sie ohnehin nur zu Mißverständnissen zwischen Landwirten und Naturschützern geführt hat. Niemand kann heute leugnen, daß auch von der intensiven Landwirtschaft, denken wir an die industrielle Geflügel- und Schweineproduktion, Gefahren für Natur und Umwelt ausgehen.Deshalb sollten wir unsere Bemühungen verstärken, bei allen überbetrieblichen Maßnahmen der Flurbereinigung sowie bei wasserbaulichen und kulturbautechnischen Maßnahmen ökologische Ausgleichsflächen zu schaffen. Darüber hinaus möchte ich an die Landwirte appellieren, dort, wo es möglich ist, Hecken, Gebüsche und Gehölze, aber auch Tümpel und Feuchtflächen zu erhalten, um auf diese Weise selbst einen Beitrag zur Erhaltung einer artenreichen Flora zu leisten. Ich möchte aber auch hinzufügen: Auch Umweltschützer sollten etwas mehr Verständnis für die Probleme der Landwirte aufbringen und nicht pauschal die moderne Landwirtschaft verteufeln, wie das leider immer wieder geschieht.
Ich bin auch davon überzeugt, daß es uns gut anstehen würde, die Flächen für den Naturschutz erheblich auszuweiten. Wir sollten auch darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll wäre, in begrenzten, für den Naturschutz interessanten Räumen, den Landwirten eine Entschädigung für entgangene Nutzungsmöglichkeiten zu zahlen, wenn sie auf eine intensive Nutzung der betreffenden Flächen im Interesse des Naturschutzes verzichten. Ich meine, dies wäre billiger und sinnvoller, als wenn der Staat überall die für den Naturschutz relevanten Flächen aufkauft, zumal vielfach eine extensive Nutzung dieser Flächen gerade im Interesse des Natur- und Landschaftsschutzes geboten ist.Meine Damen und Herren. die Agrarsozialpolitik — darauf hat bereits Bundesminister Ertl hingewiesen — ist ein Kernstück unserer Agrarpolitik. Ich begrüße es sehr, daß der Mittelansatz für diesen Politikbereich für das laufende Haushaltsjahr nicht gekürzt wurde, sondern sogar noch um 239 Millionen DM auf 3,7 Milliarden DM, d. h. um 6,9 %, aufgestockt werden konnte.
Angesichts der wirtschaftlichen Situation in der Landwirtschaft ist dies notwendig, werden doch diese Mittel direkt einkommenswirksam. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, daß der Zuschuß zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung von 400 Millionen DM beibehalten wurde. Dies war in der gegebenen Situation dringender als die Anhebung der Vorsteuerpauschale, über die wir allerdings nach meiner Meinung angesichts der sich weiter verschlechternden Einkommenssituation in der Landwirtschaft noch in diesem Jahr reden müssen.
Nachdem es in der letzten Legislaturperiode gelungen ist, das agrarsoziale Sicherungssystem für die Landwirtschaft durch die Regelung für jüngere Hinterbliebene abzuschließen, müssen wir uns in den kommenden Jahren mit der Frage beschäftigen, wie die Beitragsbelastung in ein angemessenes Verhältnis zur Wirtschaftskraft der Betriebe gebracht werden kann. Um es vorweg zu sagen: nach unserer Auffassung dürfen derartige Überlegungen nicht dazu führen, daß die sozialen Leistungen von den Beiträgen losgelöst werden.Da die Agrarsozialpolitik auch einkommens- und strukturpolitische Bedeutung hat, muß das eigenständige System der agrarsozialen Sicherung aufrechterhalten werden. Deshalb muß auch der Bundesmitteleinsatz entsprechend der heutigen Rechtssituation sichergestellt werden.Wir werden uns auch überlegen müssen, ob Landwirte mit ertragsschwächeren Betrieben ohne ausreichende anderweitige Erwerbseinkünfte, die laut Agrarbericht 40 % ihres Einkommens für die agrarsoziale Sicherung aufbringen mußten
— ich komme zum Schluß! —, durch einen gezielteren Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel entlastet werden können.Wir sollten die zur Strukturverbesserung wichtige Maßnahme der Landabgaberente über 1982 hinaus fortführen. Dabei muß die Attraktivität gegenüber dem Altersgeld gegeben sein.Meine Damen und Herren, vieles von dem, was wir heute in der Agrardebatte debattieren, stimmt unsere Landwirte sicher nicht gerade hoffnungsfroh. Wir müssen aber auch die großen Probleme in der Welternährung sehen. Die Weltbevölkerung wird bis zum Jahre 2000 von 4 Milliarden auf 6 Milliarden Menschen zunehmen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme zum Schluß; einen Satz noch! — Im Energiebereich wird die Bedeutung nachwachsender Rohstoffe auf dem Agrarsektor sicher zunehmen. Somit werden wir auch in Zukunft den bäuerlichen Familienbetrieb brauchen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Herkenrath.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist jetzt die Runde der Jungfernreden. Herr Bredehorn hat soeben, wenn ich das richtig sehe, seine erste Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Mir kommt diese Ehre auch zu.Mir juckt es jetzt in allen Fingern, zum Thema Verbandsklage von mir aus gleich etwas zu sagen. Aber bekanntlich sind die Arbeitsgebiete aufgeteilt, und mein Kollege von Schorlemer, der auch noch seine Jungfernrede halten wird, hat sich das Thema Verbandsklage vorbehalten. Aber eins lassen Sie
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Herkenrathmich dazu sagen. Wenn Sie das durchsetzen, was beabsichtigt wird, wird es Ihnen wie dem Zauberlehrling gehen, der die Geister, die er rief, nicht mehr loswurde.
Das, was Sie dem einen zubilligen, dürfen Sie anderen nicht versagen. Dann läuft in Sachen Naturschutz, in Sachen Strukturpolitik nichts mehr. Aber das übrige wird Herr von Schorlemer dazu als Fachmann sagen.
Ich habe der ganzen Debatte heute mit großer Aufmerksamkeit gelauscht. Ich muß sagen: Es war zwischendurch manchmal recht anstrengend. Es bestand ein wenig die Gefahr, daß die Debatte als Diskussion zwischen Fachleuten dahinplätschert. Herr Immer hat zweifellos das Verdienst, daß er die ruhig dahinplätschernde Debatte der Fachleute ein bißchen belebt hat, wobei ich nicht unterstellen will, daß er kein Fachmann ist. Aber das, was Sie vorgetragen haben, Herr Immer, ging doch ein bißchen durcheinander.Natürlich ist es einfach, sein Bedauern auszudrükken, daß von seiten der Opposition keine alternativen Vorschläge gemacht werden, wenn man selbst keine hat. Darüber werden wir im Agrarausschuß mit Sicherheit noch intensiv zu sprechen haben; denn ich darf Sie z. B. daran erinnern, daß die Anregung, die Gemeinschaftsaufgaben wirklich einmal ernsthaft zu überprüfen, einer lange bestehenden,immer wieder erhobenen Forderung von seiten meiner Freunde entspricht. Ich selbst habe in der letzten Ausschußsitzung das Vergnügen gehabt, Frau Präsident, das noch einmal zu sagen.Ich finde, die Bundesregierung ist bei der Debatte heute - lassen Sie mich das an alle gerichtet sagen — eigentlich viel zu gut weggekommen angesichts der schlimmen Fehler, die sie macht. Wenn etwa über das Thema Arbeitsplatzbeschaffung in der Landwirtschaft gesprochen wird, müssen wir wissen, daß das nicht nur ein Thema der Agrarpolitik, sondern auch ein Thema der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist, die die Rahmenbedingungen dafür schaffen muß. Und die sind wegen der verfehlten Politik der letzten Jahre denkbar schlecht. Gut, Herr Dr. Schmidt , Sie sind kein Juso, sondern ein mir sehr sympathischer Mann,
und Ihnen zuliebe will ich als Neuling jetzt nicht auch noch anfangen, zu sehr auf die Bundesregierung zu schimpfen. Aber ich möchte doch ein neues Thema in die Debatte einführen.Nachdem ich die Aussprache der Fachleute verfolgt habe, habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Beurteilung der Situation der Landwirtschaft in bestimmten fachlichen Fragen quer durch die Parteien gar nicht so weit voneinander entfernt ist. Die Tatsache, daß man in der Beurteilung fachlicher Fragen dicht beieinander liegt, mag auch dazu führen, daß die Debatte eben bloß zu einem Austausch von fachlichen Argumenten wird.Alle waren sich in der Beurteilung einig, daß die Landwirte in der Tat viele berechtigte Sorgen um ihre Zukunft haben. Da sich insofern alle einig sind, müßte auch darüber Einigkeit bestehen, daß es nicht genügt, hier zu verkünden: Wir wollen den Landwirten wieder Mut machen. Vielmehr muß auch das allgemeine Klima so beschaffen sein, daß die Landwirte den Mut behalten können.Ich spreche jetzt zum Verhältnis der Landwirte zur übrigen Öffentlichkeit, zum Thema Verbraucherpolitik. Die deutsche Landwirtschaft — das ist in der Debatte klargeworden — hat die Forderungen, die die Bürger, die Verbraucher an sie stellen, in den vergangenen Jahren hervorragend und beispielhaft erfüllt. Dafür ist den Bauern und Bäuerinnen von allen Seiten gedankt worden. Dabei hatte ich den Eindruck, daß die Reden der FDP-Kollegen überwiegend im Vorzimmer von Bundesminister Ertl geschrieben worden sind, denn in jenen Reden war gleich noch die Dankadresse an den Minister mit enthalten.
Man kann sich ja in der Tat einen schlechteren Landwirtschaftsminister vorstellen.Ich erinnere an die Forderungen — ich will mich da jetzt kurz fassen —, die da lauten, durch angemessene Preise dafür zu sorgen, daß die Produkte nicht zu teuer sind. Die Preise werden zur Zeit sogar von den staatlichen Stellen festgesetzt, und diese Regelung hat Auswirkungen in der Landwirtschaft. Z. B. die Auswirkung, daß in den vergangenen Jahren praktisch jeder zweite Landwirt aus der Landwirtschaft abgewandert ist, weil die staatlich festgesetzten Preise nicht ausgereicht haben. Das muß man hier doch auch einmal sagen. Wo gibt es einen Berufsstand, der unter solchen festgesetzten Preisen arbeiten muß, die nachweislich nicht ausgereicht haben — denn es sind ja so viele Menschen aus der Landwirtschaft abgewandert —, und der sich dann noch zur Zeit ein Klima in der Öffentlichkeit gefallen lassen muß, das, wie ich finde, alles andere als Ermutigung für die Landwirtschaft bedeutet?Es gibt das bestmögliche, ausreichende und vielseitige, mit Wahlmöglichkeiten versehene Angebot aus der deutschen Landwirtschaft, und es gibt eben auch ein umweltgerechtes Angebot, das sachgerecht von den Landwirten erzeugt und von den Verbrauchern nachgefragt wird. Die Verbraucher fordern, daß die Produktion keine Gefahren für die Umwelt beinhalten darf. Schließlich ist auch die Forderung nach bestmöglicher Qualität von den Landwirten erfüllt. Darüber gab es hier heute keine Meinungsverschiedenheit.Wir können also schlicht und nachdrücklich feststellen, daß die Landwirtschaft ihr Teil an der Erfüllung der Forderungen, die die Öffentlichkeit stellt, voll übernommen hat.
Deshalb sollte man meinen, meine verehrten Damen und Herren, wenn man dies alles wägt und wertet und nochmals in Erinnerung bringt — das ist heute schon angesprochen worden —, daß die land-
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Herkenrathwirtschaftliche Produktion, die Lebensmittel, praktisch die Billigmacher im deutschen Warenkorb sind und daß die Bundesregierung immer bemüht ist, möglichst viele Lebensmittel in den Warenkorb zu packen, damit sie nachweisen kann, daß die Preissteigerung doch nicht so hoch ist, wie sie in Wirklichkeit in vielen anderen Bereichen ist.
— Gut; wie auch immer. Aber es ist ja nicht zu bestreiten, daß die Lebensmittel die Billigmacher im Warenkorb der Bundesrepublik sind.
Man sollte deshalb meinen, verehrte Freunde, daß zwischen Landwirten und Verbrauchern eitel Harmonie herrscht. Wie aber ist es, wenn ich mir die gesamte veröffentlichte Meinung einmal ansehe? Zwischenrufe, die jetzt kommen, scheinen mir das zu bestätigen. Ich kann Ihnen eine kurze wahllose Blütenlese vorlesen. Da heißt es: Gift im Frühstücksei — Wie gefährlich sind Hormone? — Ampullen im Heuhaufen — Östrogenkälber wechseln nur den Schlachthof! Und Minister Bäumer wird zitiert: Unsere EG-Regelung begünstigt Giftmischer! — Mäster mit hormonbespritzer Weste — Unser täglich Gift gib uns heute — Der Skandal wird immer größer. Das ist wahllos eine Ausbeute von Überschriften aus dem Zeitschriftenwald der letzten Wochen. Der Bauernverbandspräsident von Heereman wehrt sich — meines Erachtens zu Recht — mit der Überschrift und dem Ausruf: Unsere Bauern sind keine Giftmischer! Und damit hat er recht.
Das Schlechte, Herr Kollege Immer, an dieser Sensationsdarstellung ist, daß wieder einmal der Berufsstand der Landwirte, der es ja, wie wir heute in der Debatte gespürt haben, sowieso nicht einfach hat, in Bausch und Bogen für Dinge verurteilt und beschimpft wird, die die einzelnen Landwirte selber am wenigsten verursachen und an denen sie am wenigsten Schuld tragen. Ich will das Thema „Lebensmittel und Gift" gewiß nicht verharmlosen. Aber ich finde es auch in einer Agrardebatte wichtig, daß eine Gruppe unserer Gesellschaft in Schutz genommen wird, wenn ihr Unrecht geschieht — hier meine ich die Landwirte; ich spreche ja, wie man weiß, als Verbraucher —, und es ist hier der Ort, das deutlich zu tun. Wir alle, in erster Linie wir Politiker, die wir uns in der Öffentlichkeit äußern, haben uns um sachgerechte Information zu mühen. Und hier haben in den vergangenen Wochen und Monaten Politiker einfach generell die deutsche Landwirtschaft mit geprügelt, die das nicht verdient.Es wird heute unwahrscheinlich viel von der Landwirtschaft verlangt. Das wissen Sie alle. Der Landwirt muß nicht nur perfekter Ingenieur, Physiker, Techniker, Zoologe und Botaniker sein,
er muß Kaufmann, er muß Mathematiker sein, erwird auch als Chemiker gefordert. Wegen dieserUniversaleigenschaften, Herr Immer, sind Sie es wahrscheinlich nicht. Darüber hinaus soll er nun auch noch Toxikologe, d. h. Giftsachverständiger und besser noch als der Tierarzt sein. Das ist das, was heute in Wahrheit vom Landwirt verlangt wird. Deshalb sind die pauschalen Vorurteile über die Landwirtschaft, wie wir sie hörten, schlimm. Hier im Deutschen Bundestag wären wir auch zu Recht empört, wenn sich einer unserer Kollegen danebenbenimmt und wir alle miteinander dafür verurteilt würden, was ja hier nicht vorkommen kann!Nun ist es eindeutige Meinung in der Landwirtschaft — das ist vielfach erklärt worden und sei hier auch noch einmal ausgedrückt—, daß jemand, der in der Tierhaltung oder im Pflanzenschutz unerlaubte Mittel einsetzt, streng bestraft werden muß. Diese eindeutige Meinung haben die berufsständischen Organisationen und ihre Repräsentanten aus der Landwirtschaft wiederholt und an den verschiedensten Stellen erklärt. Deswegen muß man sich gegen pauschale Vorwürfe wehren. Man muß hier auch sagen: Die Bundesrepublik Deutschland hat das schärfste Lebensmittelrecht. Die Landwirte verlangen, daß es konsequent und insbesondere da angewandt wird, wo eine besondere Gefahr besteht, d. h. besonders bei der Einfuhr von Lebensmitteln an den Grenzen, damit dort das Gesetz nicht umgangen wird. Schließlich wird, wie wir wissen, in Belgien weiter Östrogen gespritzt; in England und Irland sind diese Methoden ebenfalls legal. Warum ist dies so? Weil man dort die Verwendung natürlicher Hormone für nicht schädlich hält. Ich will hier nun keine Vorlesung über Biochemie halten und will nicht untersuchen inwieweit dies berechtigt ist, doch sollte man wissen, daß die Gefährlichkeit der bisher gefundenen Mengen von Hormonen enorm übertrieben worden ist. Unsere Chemie hat inzwischen Methoden und Untersuchungsverfahren entwickelt, mit denen kleinste Mengen von Fremdstoffen sofort entdeckt werden. Es kann praktisch nichts verborgen bleiben, was bedeutet, daß nicht jeder in diesen Labors arbeiten darf. Manche Frauen werden dann erleben, wie die entsprechenden Apparate ausschlagen, wenn sie zu nahe mit ihnen zusammenkommen.Wie gefährlich die Hormone wirklich sind, bleibt zwischen den Wissenschaftlern umstritten. Ich brauche aber darauf nicht weiter einzugehen, weil die deutschen Bauern das ganze Zeug am liebsten gar nicht sehen wollen. Dem deutschen Bauern kann es nur recht sein, wenn hier strengste Verbote erlassen werden.
Es ist grotesk, daß jetzt eine diesbezügliche EG-Verordnung beraten wird, die möglicherweise eine Lokkerung der deutschen Regelung ergibt. Bekannterweise steht diese Verordnung in den Ausschüssen jetzt zur Beratung an. Die Bundesregierung wird aufgefordert, hierzu auf der europäischen Ebene ihren Standpunkt durchzusetzen. Wir haben heute öfter darüber gesprochen, daß das der Bundesregierung unwahrscheinlich schwerfällt und daß das, wie es scheint, nicht mehr gelingen wird.
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HerkenrathDie Landwirte fordern, daß wir für die Schaffung gleicher Chancen der europäischen Landwirte im Wettbewerb miteinander sorgen, und sie wehren sich auch hier gegen die unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen, meines Erachtens zu Recht.Die Frage an uns lautet: Wie können wir unsere Bürger, eben unsere Verbraucher, so informieren, daß ihnen nicht unnötige Ängste eingejagt werden? Ich kann hier noch das Stichwort Cadmium einwerfen, das auch Zukunftsängste zu erzeugen scheint und wo möglicherweise wieder Landwirte gescholten werden, die am allerwenigsten Verursacher sind. Sachgerechte Information ist also vonnöten, sachgerechte Information dient allen, auch der Landwirtschaft. Zur sachgerechten Information gehört, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß ohne Chemie keine sachgemäße Düngung und ohne Anwendung der Erkenntnisse des Landbaus die Ernährung für unser Land, die Ernährung in unserer Welt heute nicht zu sichern ist. Herr Bredehorn hat vorhin die weltweite Perspektive geschildert. Hierzu muß man darauf hinweisen, daß der Hunger in der Welt nur zu bekämpfen ist, wenn im Bereich der Landwirtschaft sachgemäße Düngung, sachgemäßer Ackerbau angewandt werden. Biologischer Landbau und Agrarkultur frei von jeder künstlichen Düngung werden immer etwas für elitäre Kreise bleiben, die dann auch die entsprechenden Preise zahlen sollen.
Die notwendige Lebensmittelproduktion und die ausreichende Versorgung setzen Steigerungen der Leistungen in unseren Betrieben voraus. Politiker haben den Auftrag, dies ihren Bürgern deutlich zu sagen. Damit helfen wir nicht nur den Landwirten, sondern leisten sogar auch einen Beitrag dazu, den inneren Frieden in unserem Lande zu sichern. — Ich danke Ihnen.
Als nächste Rednerin hat die Frau Abgeordnete Zutt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs ein paar Bemerkungen zu dem Agrarbericht insgesamt machen, der für einen Neuling wie mich — auch ohne Hof im Hintergrund — in hervorragender Weise Einblick in die Landwirtschaft als Teil unserer Volkswirtschaft gibt. Gerade im Zusammenhang mit der Beratung des Einzelplans 10 des Haushalts hat er deutlich gemacht, daß der Landwirtschaft als ältestem Teil des Wirtschaftens und als Stätte der Produktion unserer Nahrung — daher heißt der Bericht ja auch „Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung" — besondere Bedeutung zukommt.Der Bericht macht aber auch deutlich — und davon habe ich bei den Oppositionsrednern nichts gehört —, daß der Anteil der Landwirtschaft an unserer Volkswirtschaft seit Jahren und Jahrzehnten zurückgeht, also einem ständigen Schrumpfungsprozeß ausgesetzt ist, und daß es entscheidend darum geht, den Strukturwandel zu bewältigen, dem die Landwirtschaft wie auch die Industrie ausgesetzt ist. Ich meine, Agrarpolitik hat dort einzusetzen, wo es darum geht, soziale Härten, die sich aus diesem Strukturwandel ergeben, aufzufangen.Der Bericht hat mir auch gezeigt, daß die Leistung der Landfrauen — gerade der Landfrauen in kleinen und mittleren Betrieben und in vielen Nebenerwerbsbetrieben — sehr hoch ist und daß diese Leistung hilft, diesen Strukturanpassungsprozeß zu vollziehen.
Doch ich möchte nun zu meinem Thema kommen. Vor einigen Tagen erschien in einer der großen Zeitungen eine Zeichnung, auf der ein Bauer mit einem Traktor übers Feld fährt und offensichtlich düngt. Im Hintergrund dieser Zeichnung sah man eine fröhliche Wandererfamilie, die lauthals singt: „Im Märzen der Bauer mit Cadmium düngt, was kümmert es uns, ob Krebs uns winkt".Nun werden Sie sagen: Das ist Angstmacherei.
Ich bin der Ansicht, daß die Zeichnung in komprimierter Form — vielleicht überzeichnet; das haben Karikaturen so an sich — den Problemen Ausdruck gibt, denen sich die Landwirtschaft heute bei der Erzeugung gesundheitlich einwandfreier Nahrungsmittel in einer industrialisierten Umwelt gegenübersieht.Sie werden zugeben, daß der Verbraucher fast an jedem Tag in der Zeitung entweder von Östrogenrückständen im Kalbfleisch, von Cadmiumrückständen in Rindernieren, von Rückständen im Schweinefleisch, von Quecksilber bei Fischen, von Pestizidrückständen bei Obst oder von Nitraten im Grundwasser liest. Wir können diese Dinge nicht negieren. Die Folge ist, daß wir uns doch sagen müssen, daß von den vier Zielen, die sich die Verbraucherpolitik im Ernährungsbereich setzt, nicht alle gleichermaßen erreicht werden.Oder sind Sie der Ansicht, daß diese Meldungen einfach dadurch zustande kommen, daß wir inzwischen bessere Gesetze und bessere Meßinstrumente haben, das heißt, daß wir früher vielleicht eine ähnliche Nahrung zu uns genommen haben und es nur nicht gemerkt haben? Ich kann diese Ansicht nicht teilen.Aus diesem Grunde sehe ich keinen Widerspruch zwischen den verbraucherpolitischen Zielen insgesamt und den Zielen einer auf gesunde Ernährung ausgerichteten Landwirtschaft. Das ist kein Zielkonflikt, sondern wir müssen sehen, daß es in der Praxis einige Missetäter gibt, die sich nicht an die Gesetze halten. Diese sollten wir im Interesse der gesamten Landwirtschaft entsprechend ahnden.
— Wenn es unstrittig ist, Herr von Schorlemer, dann frage ich mich, warum das so wenig in der Debatte zum Ausdruck kam. In der Stellungnahme des Deutschen Bauernverbands zum Agrarbericht finden Sie nicht ein Wort zu den verbraucherpolitischen Zielen oder zu den Widersprüchen, die sich aus Umwelt-
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Frau Zuttschutz und Produktionsweise in der Landwirtschaft ergeben können.Doch ich möchte hier deutlich sagen, daß von den vier Zielen, die sich die Verbraucherpolitik im Ernährungsbereich setzt, nämlich eine sichere Versorgung der Bevölkerung, auch in möglichen Krisenzeiten, mit einem vielfältigen Lebensmittelangebot zu angemessenen Preisen in gesundheitlich einwandfreier Beschaffenheit, eigentlich nur dem letzten gegenüber Zweifel angebracht sind. Es wurden hier genügend Ausführungen darüber gemacht, daß die drei anderen Ziele eindeutig erreicht sind.Ich gehöre auch nicht zu jenen, die sagen, an der Nichterreichung dieses letzten Ziels sei die Landwirtschaft schuld. Ich habe schon ausgeführt, wenn eine Minderheit von Landwirten das bei uns verbotene DES verwendet, so liegt es im Interesse der gesamten Landwirtschaft und muß es in ihrem Interesse liegen, daß diese Vergehen aufgedeckt und auch bestraft werden.
Hier kann es keinen Zielkonflikt zwischen den Interessen der Verbraucher und der Landwirtschaft insgesamt geben. Nur, wenn unsere Gesetze eingehalten werden — und dazu sind Kontrollen und Stichproben notwendig —, kann dieses gemeinsame Ziel erreicht werden. Mir ist allerdings völlig unverständlich, daß gegen den Landwirtschaftsminister eines Landes polemisiert wird, nur weil er diese Mißstände im Interesse der Verbraucher und der Landwirtschaft aufgedeckt hat.
— Dieser Auffassung bin ich nicht. Ich habe seine Rede und seine verschiedenen Äußerungen gelesen. Ich muß gestehen, ich fand es nicht polemisch. Was ich heute hier gehört habe, kam mir polemischer vor.
Ich bin der Ansicht, daß es im Interesse der sich an die Gesetze haltenden Mehrheit sowohl der Kälbermäster als auch der anderen Tiermäster ist und sein muß, daß diese Vergehen einzelner bestraft werden. Gerade weil wir in der Bundesrepublik gute Lebensmittel- und Futtermittelgesetze haben, ist es notwendig, daß sie eingehalten werden, und wir müssen darauf hinarbeiten, daß sie auch in der gesamten EG Geltung bekommen.
Mir hat es gutgetan, daß Herr Minister Ertl heute morgen darauf hingewiesen hat, daß es das Ziel der Landwirtschaftspolitik sein muß, Ökologie und Ökonomie zusammenzuführen, weil der Mensch nicht gegen die Natur, sondern nur mit der Natur leben kann. Mit diesen seinen Worten hat er aber auch ausgedrückt, daß zwischen der Erhaltung der Umwelt und einer zu intensiven Bodennutzung z. B. heute bereits Konflikte bestehen. Der Konflikt zwischen Umwelt und gesundheitspolitischen Anforderungen einerseits und einem großen Teil der Großbetriebe in der Landwirtschaft andererseits hat sich meiner Ansicht nach verschärft.
Dies gilt sowohl für den verstärkten Einsatz von chemischen Unkrautvernichtungsmitteln, die ja sinnigerweise bei uns unter der Rubrik Pflanzenschutzmittel laufen — das muß man sich einmal vorstellen — —
— Wissen Sie, ich unterscheide zwar auch zwischen nützlichen Pflanzen und Unkraut. Ich habe aber inzwischen dazugelernt, es gibt andere Leute, die unterscheiden zwischen Kultur- und Wildpflanzen.
— Das ist etwas ganz anderes. Beim Abspritzen von Bahndämmen und anderen Dingen können Sie mir nicht mit der Blattlaus kommen.
— Ich habe nicht von der Reblaus oder der Blattlaus gesprochen. Ich frage mich, ob nicht um so resistentere Formen gezüchtet werden, je stärkere Mittel wir verwenden. Das kann ich aber nicht beweisen.Das gilt auch für den Bereich der Massentierhaltung, die die Tierschützer immer stärker auf die Barrikaden bringt und die die Frage aufwirft, ob das noch eine artgerechte Tierhaltung ist — um nur bei diesen Beispielen zu bleiben.
Von diesen Konflikten — ich habe es schon gesagt — ist in der sonst sehr ausführlichen Stellungnahme des Deutschen Bauernverbandes überhaupt nicht die Rede; so als ob hier alles wunderbar in Ordnung wäre. Von ihm kommt überhaupt kein Wort dazu, daß das Problem überhaupt besteht. Nur in seiner ablehnenden Stellungnahme für die Beibehaltung der Landwirtschaftsklausel sagt er folgendes — ich zitiere jetzt wörtlich —:daß eine modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragende, an betriebswirtschaftlichen Erfordernissen ausgerichtete sowie den Anforderungen der Rechtsordnung entsprechende landwirtschaftliche Bodennutzung regelmäßig naturschutzfreundlich ist.
Das nenne ich das Problem unter den Tisch gekehrt.Meiner Ansicht nach sind die Erfahrungen anders.Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal die hohe Leistung erwähnen, die gerade die Bergbauern und ein großer Teil der Nebenerwerbsbetriebe bei der Wahrnehmung der landespflegerischen Aufgaben erbringen. Ich möchte aber auch auf die wach-
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Frau Zuttsende Bedeutung des ökologischen Landbaus hinweisen, auch wenn er gegenwärtig noch zu höheren Preisen produziert, müssen wir doch feststellen, daß viele und immer mehr Verbraucher bereit sind, für in ihren Augen natürliche Produkte höhere Preise zu bezahlen.
Erfreulich finde ich in dem Zusammenhang, daß im Haushalt des Bundesernährungsministeriums — also im Einzelplan 10 — eine Reihe von Forschungsvorhaben über Alternativen im Landbau bezuschußt und unterstützt werden. Ich halte das für gut.
Es wird sehr darauf ankommen, daß die Ergebnisse dieser Forschungen sorgfältig geprüft werden und daß wir dann daraus auch Konsequenzen ziehen.Wenn wir die Landwirtschaft in ihrem strukturellen Anpassungsprozeß, der nötig ist, unterstützen wollen, müssen wir ermöglichen, daß Landwirtschaft angewandte Ökologie werden kann.
Das würde auch bedeuten, von der einseitigen Subventionierung über den Preis zur Einkommenssicherung wegzukommen; nicht nur, weil sie zu verschärften Einkommensdisparitäten führt, sondern auch, weil diese einseitige Subventionierung verhindert, daß andere Aufgaben, gerade umweltpolitische und landschaftserhaltende Aufgaben, der Landwirtschaft gar nicht aufgegeben werden können. Die scheinen mir in Zukunft immer wichtiger zu werden. — Ich danke.
Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat der Abgeordnete von Schorlemer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein niedersächsischer Landsmann und FDP-Kollege Bredehorn hat hier für seine Fraktion zum Ausdruck gebracht, daß er für die Verbandsklage und für die Änderung der Landwirtschaftsklausel sei, so, wie dies auch in der Textziffer 235 des Agrarberichts 1981 erläutert worden ist.Ich frage zunächst: Haben sich das Bundesnaturschutzgesetz und die Ausführungsgesetze der Länder nicht bewährt, und wie werden eigentlich die Sätze des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung vom 24. November 1980 gewichtet, die da lauten — ich zitiere —:Ich habe den Begriff „Natur" großzügig gebraucht. In Wirklichkeit leben wir, abgesehen vom norddeutschen Wattenmeer und vom Hochgebirge, nicht in Naturlandschaften, sondern in Kulturlandschaften, und ein Teil unseres Artenreichtums ist der Kulturlandschaft zu verdanken.Deshalb frage ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, zweitens weiter: Wer hat eigentlich diese Kulturlandschaften gestaltet? Wer hat sie geschaffen, und wer sichert und gestaltet sie auch heute? Es waren nicht irgendwelche Phantasten und Theoretiker, nein, es waren und sind über Jahrhunderte und Generationen Land- und Forstwirte, die mit praktischen und theoretischen Kenntnissen diese unsere Kulturlandschaften geschaffen haben.
Herr Kollege Müller , wenn Sie eben in Anspielung auf einige Sätze des Kollegen Kiechle davon gesprochen haben, daß es in der Bundesrepublik kilometerweite, wogende Getreideflächen ohne Strauch, ohne Baum und ohne Tümpel gebe, dann frage ich Sie: Wo sind die? Ich kann Ihnen aber sagen, wo Sie die anderswo sehen können. Wenn Sie sich in den Zug setzen und von Helmstedt nach Berlin fahren, dann sehen Sie genau das, was Sie hier in der Bundesrepublik meinten sehen zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es waren natürlich auch — und dies muß ich hinzufügen, wenn ich von der Gestaltung dieser Kulturlandschaft spreche — die staatlichen Stellen, die ihre Beiträge dazu geleistet haben. Dies ist auch ein Grund dafür, daß bisher bei uns beispielsweise keine Erosionsprobleme aufgetreten sind, wie wir sie anderswo in Europa haben.Drittens — so frage ich weiter —: Erleben wir heute nicht eine Art von Diskriminierung so vieler land- und forstwirtschaftlicher Maßnahmen, die doch zum sehr großen Teil auf strotzende Unkenntnis der wirklichen Tatsachen beruht?Müßte nicht hier — und dies ist meine vierte Frage — die Bundesregierung sehr viel mehr aufklärend wirken? Aber sie ist gefangen in sich selbst. Da ist der Bundesinnenminister. Der heißt zwar Baum, aber deshalb wachsen die Bäume nicht schneller und schon lange nicht in den Himmel.
Der wird nur noch von einem übertroffen, und dennoch ist die Mehrzahl von Baum eben nicht Bäumer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun, wie angekündigt, zum Recht der Verbandsklage: Es dürfte verfassungspolitisch höchst bedenklich sein, wenn die Entscheidung über politisch und administrativ geprägte Aufgaben immer stärker von der Exekutive auf die Judikative verlagert würde. Während die Verwaltung bei naturrelevanten Vorhaben alle Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft zu berücksichtigen und zu erwägen hat, würden doch bei einer Verbandsklage nur einzelne Belange, etwa die von privaten Interessenverbänden, einseitig herausgegriffen und die Verantwor-
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Freiherr von Schorlemertung für ihre Durchsetzung eben diesen privaten Interessenverbänden übertragen. Die Politik würde mit der Verbandsklage das Eingeständnis verbinden, daß der Exekutive, die ja parlamentarisch kontrolliert wird, eine ordnungsgemäße, am Gemeinwohl zu orientierende Entscheidung nicht mehr zuzutrauen ist und deshalb Privatorganisationen zu Aufsehern über die Exekutive bestellt werden müssen. Dies ist — ich sage dies auch an die Adresse des Verfassungsministers Baum — eine gefährliche Entwicklung für unsere parlamentarisch-repräsentative und auf Gewaltenteilung aufgebaute Demokratie.
Außerdem würde die Verbandsklage im Bereich des Naturschutzes mit Sicherheit präjudizierende Wirkung auf Straßengesetze, auf Wassergesetze, Abfallbeseitigungsgesetze, Flurbereinigungsgesetze, Baugesetze, Energiegesetze — um nur einige zu nennen — haben. Dadurch würden dann im öffentlichen Interesse liegende Bauvorhaben blockiert, die Investitionsbereitschaft gelähmt und die Schaffung neuer Arbeitsplätze erheblich beeinträchtigt. Gerade strukturschwache ländliche Räume würden in ihrer Entwicklung besonders hart getroffen, weil dann hier und auch sonst eben nichts mehr geht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang begrüßen wir den Brief der Präsidenten der kommunalen Spitzenverbände, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, des Deutschen Bauernverbandes, des Deutschen Industrie- und Handelstages und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks vom 10. Februar 1981 an den Bundeskanzler, der, bezogen auf die Verbandsklage, mit dem Schlußsatz endet: „Wir lehnen eine solche Einrichtung ausdrücklich ab."
Die Antwort des Chefs des Bundeskanzleramtes, Lahnstein, für den Bundeskanzler lautet abschließend:Diese Diskussion hat gezeigt, daß es eine Reihe von gewichtigen Gründen gibt, die gegen die Einführung einer Verbandsklage sprechen. Es ist aber auch nicht zu verkennen, daß die Zahl der Bürger, die eine solche Klagemöglichkeit fordern, in den letzten Jahren größer geworden ist. Auch deren Argumente sind ernst zu nehmen. Nach sorgfältiger Abwägung aller Argumente hat die Bundesregierung sich entschlossen, einen Gesetzentwurf zur Einführung der Verbandsklage in das Bundesnaturschutzgesetz auszuarbeiten.Dort steht also: Es gibt auf der einen Seite gewichtige Gründe, die dagegen sprechen, und auf der anderen Seite gibt es Bürger, die die Einführung der Verbandsklage fordern; deren Zahl sei größer geworden; deshalb müsse man deren Argumente ernst nehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann nur sagen: Welch fadenscheinige Begründung! Wo bleibt eigentlich die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers auch in dieser Frage? Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang bitten, Seite 23 des „Spiegel" dieser Woche zu lesen. Dort heißt es — ich zitiere —:Den Kanzler — so sieht es ein enger SchmidtGehilfe — plagt zunehmend die Sorge, er, der als starker Mann gestartet sei, werde demnächst als Schwächling in die Geschichtsbücher eingehen.Dem ist nichts hinzuzufügen.
— Verehrter Herr Kollege Wehner, es ist für mich eine ausgesprochene Ehre, daß Sie bereits auf meine erste Rede mit einem Zwischenruf eingehen.Herr Minister Ertl, wie ich als neues Mitglied im Bundestag und auch im Ernährungsausschuß Sie in Ihren Argumenten in dieser Frage bisher kennenzulernen versucht habe, kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie wirklich für die Verbandsklage sind. Ich glaube vielmehr, daß Ihre Bereitschaft der Preis war, den Sie in der Ressortfrage nach dem Motto „Naturschutz bleibt beim BML" mit dem Hintergedanken gezahlt haben, der Bundesrat werde das schon nicht zulassen. Ich halte dies aber für ein unredliches Spiel. Ich glaube auch, daß Ihre Einlassung heute morgen zu diesem Thema im Grunde genommen ein „Dein" war, das zumindest Schleusen öffnen kann, die, wenn sie erst einmal offen sind, später kaum wieder geschlossen werden können.
Des weiteren soll die Landwirtschaftsklausel geändert werden. Ich frage noch einmal: Hat sie sich nicht bewährt? Im Bundesnaturschutzgesetz vom 20. Dezember 1976 wird sie wie folgt formuliert:Der ordnungsgemäßen Land- und Forstwirtschaft kommt für die Erhaltung der Kultur- und Erholungslandwirtschaft eine zentrale Bedeutung zu. Sie dient in der Regel den Zielen dieses Gesetzes.Bedeutet der Wegfall dieser Klausel, daß z. B. der Landwirt nur noch mit Genehmigung der unteren Naturschutzbehörde Acker in Grünland — oder umgekehrt — umwandeln kann oder Auflagen zum Anbau von Getreide- und Hackfrüchten bekommt? Muß sich der Forstwirt in Zukunft jeden Abtrieb von Altholzbeständen und die anschließende Neuaufforstung genehmigen lassen? Müssen Dünger- und Pflanzenschutzpläne der Betriebe und ihre Anwendung in Zukunft durch die untere Naturschutzbehörde genehmigt werden? Ist dabei nicht von der Gesetzestechnik her eine Beseitigung der Landwirtschaftsklausel unzulässig? Das Gesetz nämlich definiert, was als Eingriff in die Natur anzusehen ist. Wäre diese Regelung nicht vorhanden, müßte gemäß der Eingriffsdefinition jedes Pflügen, Mähen und Ernten einen Eingriff im Sinne des Gesetzes darstellen und somit verboten beziehungsweise genehmigungspflichtig sein. Dies würde sicherlich verfassungswidrig sein, da es einen Eingriff in einen einge-
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Freiherr von Schorlemerrichteten Land- und Forstwirtschaftsbetrieb darstellen würde.Die ordnungsgemäße Land- und Forstwirtschaft stellt nach unserer Meinung keinen Eingriff im Sinne des Gesetzes dar. Was dabei ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Nutzung bedeutet, muß in erster Linie von der Agrarwissenschaft beantwortet werden, deren Ergebnisse sodann Verwaltung und Gerichte in kritischer Prüfung übernehmen. Durch die Landwirtschaftsklausel mußte bisher dem produzierenden Land- und Forstwirt durch die Behörde nachgewiesen werden, wann er nicht ordnungsgemäß wirtschaftet, und nicht er hatte dies zu beweisen. Ein Wegfall der Landwirtschaftsklausel würde dazu führen, daß der Schwächere den Beweis zu führen hätte und der Stärkere davon befreit würde.Der Parlamentarische Staatssekretär Gallus erklärte laut Agra-Europe vom 9. Februar 1981: Die Landwirtschaftsklausel sei in der bestehenden Form vom Bundeslandwirtschaftsministerium nie gewollt oder empfohlen worden, sondern ein Vorschlag aus dem Bundesrat gewesen. „Gallus legt allerdings" — so heißt es in der Erklärung von „AgraEurope" weiter — „Wert auf die Feststellung, daß bei einer Neufassung der Landwirtschaftsklausel eine Formulierung gefunden werden müsse, welche die Landwirtschaft in angemessener Form berücksichtige." Was will er nun wirklich? Ich meine, das ist mehr ein Eiertanz als eine klare Aussage.Wir sind der Meinung, die bisherige Regelung ist angemessen, ihre Abschaffung würde eine von der Regierung gewollte Infragestellung der ordnungsgemäßen Land- und Forstwirtschaft bedeuten. Sie würde aber auch für Überschriften Flankenschutz bedeuten, wie sie zum Teil in perfider Form in letzter Zeit in der Presse formuliert wurden. Der Herr Kollege Herkenrath hat bereits von der Überschrift „Unser täglich Gift gib uns heute" gesprochen, und ich darf noch ein weiteres hinzufügen: „Weg mit den Chemikalien", um nur zwei zu nennen.Um eines vorwegzunehmen: Wir sind für einen sachgerechten Tier-, Natur- und Pflanzenschutz. Sehr geehrte Frau Kollegin Zutt, Sie haben j a vermißt, daß der Deutsche Bauernverband in seiner Stellungnahme zu diesem Bericht gerade diese Fragen nicht angesprochen habe. Darf ich vielleicht zu Ihrer Information vorlesen, was der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, von Heereman, anläßlich der Kundgebung vor über 30 000 Menschen hier in Bonn zu diesem Thema gesagt hat:Wir sind dafür, daß entsprechende Gesetze strikt eingehalten werden. Wir sind für eine sachgerechte Kontrolle von Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Wir sind aber auch dagegen, daß bei uns entsprechende Kontrollmaßnahmen durchgeführt und bei unseren EG-Nachbarn wie eh und je verfahren wird.Das gleiche können Sie auch für den tierischen Bereich als hinzugesetzt ansehen.Kritiker bemerken oft gegen die praktizierte Landwirtschaft — Sie, Frau Kollegin Zutt, haben dies auch gesagt —, der Einsatz von Chemikalien, besonders der Einsatz von Mineraldüngern und Pflanzenschutz verschlechtere die Umwelt. Sie haben dann jenes Bild zitiert vom pflügenden und säenden Bauern und das Lied „Im Märzen der Bauer ...". Ich glaube, daß auch Sie auf diese Überschrift hier reingefallen sind. So, wie ich Sie bisher als Kollegin im Ausschuß kennen-, und ich würde hinzusetzen, schätzengelernt habe, habe ich bisher immer Ihre Sachlichkeit bewundert und anerkannt. Hier sind Sie ein wenig von Ihrer Art abgegangen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zu diesem Thema ganz kurz folgendes feststellen. Hätten wir in den letzten hundert Jahren nicht auf Mineraldünger und Pflanzenschutz zurückgreifen können, wären viele Millionen Menschen, auch Millionen Deutsche, in dieser Zeit verhungert.
Auch heute werden noch um 70 % der benötigten Nahrungsmittel im eigenen Lande produziert. Selbst beim Umbruch aller Wald- und Naturschutzgebiete würden wir die Ernährung aus eigener Scholle nicht erreichen. Herr Professor Vetter, der Präsident des Verbandes der landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalten schreibt dazu u. a. in einer Schrift über den Einfluß der Einführung der Mineraliendüngung und des chemischen Pflanzenschutzes auf die Umwelt und Nahrungsqualität:Die Einhaltung einer aufgelockerten, vielgestaltigen Landschaft mit einem ausreichend großen Anteil an Wald, Naturschutzgebieten, Hecken, Feldrainen und Parks ist mit Hilfe des modernen Landbaus wesentlich erleichtert worden, weil so die Nahrungsmittelerzeugung auf vergleichsweise kleinerer Fläche möglich ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit.
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die von Ihrer Fraktion angemeldete Zeit zu Ende ist.
Die Land- und Forstwirtschaft steht im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie. Über Jahrhunderte und Generationen hat sie eine schöne Kulturlandschaft geschaffen und sich selber wirtschaftlich weiterentwickelt. Diskriminierung und gesetzliche Maßnahmen wie Verbandsklage und Änderung der Landwirtschaftsklausel helfen weder der Land- und Forstwirtschaft noch der Kulturlandschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies in der jährlichen Debatte über den Agrarbericht zu sagen, ist notwendig, weil auch hier der Landwirtschaft eine weitere Einengung ihrer Entwicklung ins Haus steht, vor der rechtzeitig gewarnt werden muß.
Als nächster Redner hat der Abgeordnete Oostergetelo das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in diesem
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OostergeteloJahr wieder einen Agrarbericht vor uns liegen, der in klarer und umfangreicher Darstellung die Situation der Land- und Forst- und der Ernährungswirtschaft eindrucksvoll interpretiert und nichts verniedlicht. Dies ist auch nicht in der Einbringungsrede geschehen. Dafür möchte ich dem Herrn Minister und seinen Mitarbeitern an dieser Stelle danken.
Die problematische Lage der Landwirtschaft — das wissen wir doch alle — verlangt es, daß wir uns genauer mit den Ergebnissen des Agrarberichts beschäftigen. Positiv ist festzustellen, daß wir trotz aller Unkenrufe eine leistungsfähige Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa haben. Obwohl sie klein strukturiert ist, sucht sie in der Welt ihresgleichen. Diese Leistungsfähigkeit ist nicht nur durch die EG-Agrarpolitik, sondern auch durch die Strukturpolitik und durch die Absicherung in der Sozialpolitik der Bundesregierung erreicht worden. Daraus haben nicht nur die Landwirte Vorteile gezogen. Auch die Verbraucher können mit einer Lebensmittelversorgung zu relativ gering angestiegenen Preisen zufrieden sein; denn sie haben immer weniger von ihrem Einkommen für Nahrungsmittel ausgeben müssen.Trotz dieser positiven Entwicklung zeigt der Agrarbericht, daß insgesamt die Einkommen in den landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieben um 1,9 % zurückgegangen sind. Hinter dieser Zahl verbergen sich aber große betriebliche und regionale Unterschiede. Die Einkommensdisparität zwischen den Betrieben und Regionen hat sich erhöht, da viele agrarpolitische Maßnahmen den einkommensstarken Betrieben überproportionale Vorteile bringen. Es ist eine betriebswirtschaftliche Binsenwahrheit, daß z. B. die Preispolitik dem umsatzstarken, ohnehin leistungsfähigen Betrieben eher zugute kommt als den einkommensschwachen.Der obere Teil der Vollerwerbsbetriebe verdiente im vergangenen Wirtschaftsjahr 4 800 DM je Familienarbeitskraft monatlich. Das ist fast das Doppelte des gewerblichen Vergleichslohns. Das untere Viertel der Betriebe verdiente demgegenüber nur etwa ein Viertel des Vergleichslohns; das sind ganze 630 DM je Familienarbeitskraft, und damit müssen die Betreffenden ihren Unterhalt, Teile ihrer sozialen Sicherung und ihre Nettoinvestitionen finanzieren.Es wird noch krasser: 10 % im untersten Bereich verdienten insgesamt 1,7 %, 10 % im obersten Bereich der Betriebe demgegenüber 27,4 %. Das ist ein Verhältnis von 1 : 16, meine Damen und Herren! Wenn man dann sagt, das Problem sei nur mit Preispolitik zu lösen, scheint das ja wohl nicht ehrlich gemeint zu sein.
Im laufenden Wirtschaftsjahr wird sich diese Situation sogar noch verschärfen. Es wird mit einem Rückgang der Einkommen um 12 % gerechnet.Bei dieser Einschätzung ist es kein Wunder, daß Landwirte auf die Straße gehen. Das ist ihr gutes Recht, wenn es auch Plakate gibt, auf denen beispielsweise steht: „Matthöfer ist ein Bauernkiller" oder Brüssel und irgendwelche Leute — ich will nicht einmal die Namen nennen — vom „Dritten Reich" seien das gleiche. Das sind Entgleisungen. Aber es ist ihr gutes Recht, auf die Straße zu gehen. Dies haben Bauern übrigens früher bei CDU-Regierungen viel öfter gemacht.
Man muß sich nach Lage der Dinge bei dieser Einkommensdisparität, Herr Eigen, aber auch einmal fragen, ob nicht die Bezieher kleinster Einkommen für die Bezieher größerer Einkommen die Auseinandersetzung führen. Ich habe nichts davon gehört, daß das den Bauern auf den großen Demonstrationen wirklich gesagt wurde, was ist. Preiserhöhungen werden in jedem Jahr gefordert. Ich kenne auch hier keine Debatte, in der der ausgehandelte Kompromiß der Union ausreichend gewesen wäre. Dies haben auch die Redner heute wieder bewiesen.Daraus ziehe ich den Schluß, daß wir unsere Politik gezielt an der sozialen und wirtschaftlichen Lage des einzelnen Landwirts auf seinem Betrieb und seiner Region ausrichten müssen. Die innerlandwirtschaftliche und regionale Einkommensdisparität ist das eigentliche Problem. Sie wird von immer mehr Landwirten zu Recht kritisiert. Das sollten auch die Berufsverbände nicht länger negieren.Die CDU bleibt sich, wie ich finde, in dieser Frage aber selber treu. Mir scheint, das Herumreiten auf den Fragen der Preiserhöhungen ist z. B. mit der Forderung zu vergleichen, die wir auch immer wieder hören; ich meine die Forderung, einen Kinderfreibetrag über die Steuer zu gewähren. Hier wird ein altes Wort umgemünzt: Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat, dem wird genommen, was er hat.
— Nein. Ich bin gern bereit, Herr Kollege, bei Ihnen mal in die Versammlung zu kommen und Ihnen einmal die Durchschnittsergebnisse Ihres Landes klarzumachen und zu zeigen, wie es dort aussieht.
Ich finde, alle Redner haben das verniedlicht. Der werte Kollege Sauter hat gesagt, Überschüsse seien doch nicht das Problem in einer Welt des Hungers. Was für eine Alternative! Vom Kollegen Kiechle wird die Frage der Einkommensdisparität völlig ignoriert. Herr Susset hat sie negiert; er sagt: das ist ja alles nicht so wild. Ich bedanke mich in diesem Fall sowohl bei dem Herrn Bundesminister als auch bei dem Kollegen Bredehorn, die das Problem hier eindeutig angesprochen haben: Es sind die Hunderttausend im unteren Bereich, die das Nachsehen haben. Machen wir uns doch nichts vor, wenn wir von Solidarität im Berufsstand sprechen!Ein Redner hat hier gesagt, gleiche Chancen seien gefordert. Das ist richtig. Er meinte: innerhalb der
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OostergeteloLänder. Er hat nicht von gleichen Chancen innerhalb des Berufsstandes gesprochen.Herr von Schorlemer, Sie sind mir natürlich ein sympatischer Kollege, aber wenn Sie so in Ihren Ausführungen die Kolchosen als Begründung anführen — das haben Sie j a wohl gemeint —, und sagen, man solle mal zur anderen Seite hinüberfahren, dann habe ich den Eindruck — —
— Das ist ja wunderbar! Aber dafür gibt es bei uns — wir sind ja in der Nachbarschaft — starke Bestrebungen, riesige Betriebe zu etablieren, und dann auch noch mit der Begründung von Ihnen, wir könnten uns nicht selber ernähren. So hieß es doch in Ihrem Vortrag. Wir könnten näher darauf eingehen; aber dies wäre Lokalpatriotismus, und das wollen wir nicht. Wahr ist nur, daß Sie dort die Mehrheit haben, wo jene Großställe entstanden sind. Ich sage Ihnen, wir, die SPD, wollen weder Kolchosen noch eine Großfarm-Landwirtschaft.Die Forderung nach Gerechtigkeit für die Landwirte durch höhere Preise ist zu simpel und ignoriert die vorhandenen Einkommensunterschiede völlig. Im Gegenteil, durch die Preispolitik werden die Unterschiede, absolut gesehen, noch verschärft. Die Auswirkungen des diesjährigen Preispakets dürften meiner Meinung nach die zu erwartenden Einkommensrückgänge ausgleichen. Das ist erforderlich und gut so. Es bedeutet aber immerhin eine weitere Verschärfung der absoluten Einkommensabstände.Viele Redner von unserer Seite haben die Problematik im unteren Bereich angesprochen, und ich hatte den Eindruck, daß wir in der Frage, was man da tun kann, gar nicht so weit auseinander sind. Aber es kommt hier keine Antwort, und so will ich mir erlauben, von mir aus eine Möglichkeit wenigstens zur Diskussion zu stellen. Ich finde, wir sollten die direkte produktionsunabhängige Einkommensübertragung als eine Möglichkeit ansehen. Wir dürfen diese Frage nicht länger negieren oder tabuisieren. Die negativen Schlagworte in diesem Zusammenhang von der Union und auch von seiten der Berufsvertretungen kenne ich zur Genüge. Was dort nicht alles zu diesem Problembereich gesagt wird, wo es wirklich um den Menschen geht! Ich kenne die damalige Zeit auch; ich denke an die Einführung der Krankenkasse. Heute sind alle sehr froh über diese für den bedürftigen Menschen eingeführte Maßnahme; sie wird heute allgemein anerkannt.Meine Damen und Herren, auch wenn wir viele positive Entwicklungen in der Landwirtschaft zu verzeichnen haben — ich denke besonders an die Produktivitätssteigerung und an die Fortschritte in der sozialen Absicherung in den vergangenen zehn Jahren —, so haben wir doch Probleme! Weitere Produktionssteigerungen führen zu Überschüssen, die keine Absatzmöglichkeiten mehr finden. Ein Marktausgleich wird immer schwieriger. Der Finanzrahmen der EG ist fast ausgeschöpft. Die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen engen den politischen Handlungsspielraum wieder ein. Auch ein momentaner Rückgang der Lagerbestände aus der Überschußproduktion — was uns viel gekostet hat; dies muß man dabei sagen; wenn man behauptet, wir hätten keine Überschüsse, dann muß man gleichzeitig auch die Kosten nennen, das ist dann ehrlich — sollte uns nicht davon abhalten, Maßnahmen zur Reform der Agrarpolitik zu ergreifen, um wieder ausgeglichene Märkte für Agrarprodukte zu schaffen, damit zukünftige Preiserhöhungen wieder die Bauern erreichen und ihnen nicht über flankierende Maßnahmen wieder genommen werden müssen.Meine Damen und Herren, Strukturwandel bleibt sicher notwenig, wenn wir langfristig eine leistungsfähige Landwirtschaft erhalten und ausbauen wollen. Falsch ist es aber, einem radikalen Wettbewerb das Wort zu reden, den nur der Stärkste übersteht. Einkommensunterschiede sind zwar ein wesentlicher Leistungsanreiz und Schrittmacher für den Strukturwandel, aber wir dürfen dabei nicht diejenigen vergessen, die auf Grund natürlicher und/oder wirtschaftlicher Gegebenheiten keine Erwerbsalternativen haben, weder innerhalb noch außerhalb der Landwirtschaft. Außerdem erfüllen die Landwirte gerade in den von Natur aus benachteiligten Gebieten viele Funktionen, so z. B. in der Landschaftsgestaltung, in der Landschaftserhaltung und bei der Aufrechterhaltung einer Mindestbesiedlungsdichte,
— natürlich —, die zur wirtschaftlichen Stabilität des ländlichen Raumes beiträgt, und vieles mehr. Die Landwirte erfüllen häufig Funktionen zum Wohle unserer Gesellschaft, die sich nicht in Geld messen lassen. Auch die Nebenerwerbslandwirtschaft leistet hier einen unbezahlbaren Dienst.Im Hinblick auf Tier- und Umweltschutz sowie im Hinblick auf eine sichere Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln kann eine Konzentration kein agrarpolitisches Ziel sein. So werden wir uns in Zukunft für eine Strukturpolitik einsetzen, die auf der einen Seite eine starke Konzentration verhindert und auf der anderen Seite diejenigen stärker berücksichtigt, die durch ihre landwirtschaftliche Produktion für sich ein Mindesteinkommen nicht sicherstellen können.In diesem Zusammenhang möchte ich darauf aufmerksam machen, daß ein weiterer Umstand die Konzentration insbesondere in der bodenunabhängigen tierischen Produktion fördert. Der unbeschränkte Import von Futtermitteln in die EG hat z. B. dazu geführt, daß große Betriebe in Hafennähe entstehen. Aber auch durch die Preisgarantien hat man dazu beigetragen bzw. ermöglicht, daß immer größere Betriebseinheiten entstehen, die dann große Überschüsse produzieren.An dieser Stelle möchte ich etwas über die Überschüsse bei uns und den Hunger in der Dritten Welt sagen. Schon heute werden viele Futtermittel nach Europa importiert, die eine Größenordnung ausmachen, wie sie auf der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche der Bundesrepublik produziert werden könnten: 12 Millionen Hektar. Neben den dadurch
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Oostergetelobedingten negativen Auswirkungen auf die Handelsbilanz verdient die immer größere Abhängigkeit im Ernährungsbereich besondere Beachtung. Ich denke, wir sollten gemeinsam daran arbeiten, weil wir uns doch einig sind: Nur eine flächengebundene Produktion erhält uns weitgehende Unabhängigkeit.
Die EWG produziert Überschüsse mit Nahrungsmitteln auch aus Ländern der Dritten Welt mit hungernder Bevölkerung, die wir dann als hoch subventionierte Nahrungsmittel zum Teil wieder nach dort verschenken. Hier auch noch etwas, was wir alle in der Schule gelernt haben: Für 1 kg Fleisch brauche ich 3 kg Getreide. Man kann nicht so tun, als ob unsere Überschüsse zum Abbau des Hungers in der Welt beitragen. Nein, ich vernichte 3 Kilokalorien, um 1 Kilokalorie — oder Joule, wie man das heute nennt — zu gewinnen.
Herr Kollege Oostergetelo, Ihre Fraktion hat für Sie eine Redezeit von 15 Minuten angemeldet. Die Zeit ist abgelaufen.
Ich möchte den Landwirten sagen, daß Sozialdemokraten in einer schwierigen Phase auch im Agrarbereich keine Politik der Illusionen machen werden. Wir wollen nicht durch Miesmacherei, wie sie von der Opposition jedes Jahr wieder praktiziert wird, dazu beitragen, junge Menschen davon abzuhalten, sich für die Landwirtschaft zu entscheiden. Mittel- und langfristig sehe ich sehr wohl eine gute Chance für die Landwirtschaft, z. B. auch hinsichtlich der Fortentwicklung der Möglichkeiten in der Biotechnik.
Sozialdemokraten sind — auch im Interesse der Verbraucher — natürliche Verbündete einer leistungsfähigen Landwirtschaft im Voll- und Nebenerwerb. Die Landwirtschaft hat auch mittelfristig Zukunft, und die Gesellschaft braucht die Landwirtschaft. — Vielen Dank.
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Zuerst dem Kollegen Schorlemer ins Stammbuch: Nicht jeder Zwischenruf des Fraktionsvorsitzenden der SPD muß als große Ehre empfunden werden. Ab und zu ist ein Zwischenruf des Herrn Wehner auch der Beweis dafür, daß die Idee des Redners nicht übermäßig geistreich oder originell ist.Ich möchte zwei Punkte hier vertiefen. Einer tauchte in sehr vielen Reden auf, nämlich die Frage: Agrarüberschüsse und Entwicklungspolitik. Wir sind nicht in der Lage, mit den Agrarüberschüssen das Problem des Hungers in der Welt so einfach zu lösen, wie hier immer wieder der Eindruck vermittelt wird. Tatsache ist, daß wir in Europa für einen begrenzten Zeitraum Überschüsse haben und daß wir einige Produkte haben, die wir nicht absetzen können, und daß damit keineswegs unbedingt zeitlich oder in der Sache der Bedarf der Dritten Welt getroffen wird. Wir sollten uns angewöhnen, daß wir hier den Zusammenhang etwas präziser, etwas exakter erfassen. Denn unsere Überschüsse sind als Entwicklungshilfeinstrument nur in ganz seltenen Fällen tauglich. Nahrungsmittelhilfe ist Soforthilfe in Katastrophenfällen, bei Dürre, bei Ernteausfällen,
aber kein Instrument, um der Dritten Welt langfristig zu helfen. Das sollte man, wenn man über EG- Überschüsse und Hunger in der Welt diskutiert, deutlicher herausstellen.Die langfristige Frage, die wir uns zukünftig in stärkerem Maß stellen sollten, ist, inwieweit wir der Dritten Welt Nahrungsmittel wegkaufen, um möglicherweise Energie bei uns zu substituieren. Hier tauchen Probleme auf — ich denke an Zuckerrohr —, für die wir im Moment noch keine Lösung haben, und die wir sehr grundsätzlich durchdenken sollten.Ich möchte einen zweiten Punkt hier anschneiden. Wir haben inzwischen j a die Preisentscheidungen des EG-Ministerrats vorliegen. Wir wissen, daß die Preisanhebungen einer Gruppe in der Landwirtschaft sicher nicht den Einkommenszuwachs bringen, den diese Gruppe sich erhofft und auch auf Grund ihrer innerlandwirtschaftlichen Einkommensdisparität erwarten kann. Ich meine die Höhenlandwirte, die Bergbauern. Sie werden auch durch die Anhebung der Milchpreise und der Rindfleischpreise im Einkommenssprektrum nicht an die anderen Betriebe herangeführt. Hier wird langfristig nur der Ansatz sinnvoll sein, daß wir das Bergbauernprogramm der EG — die Zuschüsse — aufstocken und daß wir das Instrumentarium, wie es uns im Moment gegeben ist, anwenden. Ich meine den 120-DM-Grundbetrag, der von den Ländern als Gemeinschaftsaufgabe auf 180 DM anzuheben ist und bis 270 DM je Großvieheinheit und Hektar aufgestockt werden kann. In diesem Rahmen liegt die Möglichkeit, neben der Agrarproduktion die Landschaftspflege zu honorieren, die von dieser Gruppe von Landwirten erbracht wird. Aber wenn wir 270 DM je Hektar geben wollen, wird es notwendig sein, nicht nur die Höhe als Kriterium einzubeziehen. 600 Meter über dem Meer sind lediglich der Beweis, daß hier gewisse klimatische Nachteile vorhanden sind, daß die Vegetationsperiode kürzer ist und daß im Bereich der Wirtschaftsgebäude mehr Aufwand betrieben werden muß. Das eigentliche Problem der Bergbauern ist die Arbeitserschwernis in Steillagen. Deshalb halte ich es für dringend notwendig, daß wir, wenn wir es mit dem Abbau der Einkommensdisparität dieser landwirtschaftlichen Gruppe ernst meinen, dem Kriterium der Arbeitserschwernis wesentlich größere Beachtung schenken. Hierzu hat die Landwirtschaftsverwaltung ein Höfekataster anzulegen, um dann EG-Förderung, Bundesförderung und Landesmittel, aber auch die vom Kreis und den Gemeinden aufgebrachten Mittel zu summieren. Hier gibt es mit dem Mähgeld schon heute sehr vernünftige Ansätze, wie die Kommunalpolitik in
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1462 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Dr. Vohrerdieses Gesamtkonzept eingebracht werden kann. Ich würde es für richtig halten, falls wir uns im Ansatz einig sind, daß wir die agrarischen Einkommen der Höhenlandwirte fördern wollen, das Instrumentarium so zu ergänzen, daß es greifen kann und daß die Gesamtheit der Träger ein vernünftiges Konzept zustande bringt. Nur so wird es möglich, daß die Bergbauern ihre beiden Aufgaben, nämlich Landschaftspflege und Agrarproduktion, erfüllen können. Da sollten alle drei Parteien zusammenarbeiten. Das Instrumentarium ist ausreichend. Jetzt gilt, es, auch in den Ländern die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. — Danke schön.
Als nächstem Redner erteile ich dem Herrn Abgeordneten Eigen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg eine Aussage zu der Demonstration des Deutschen Bauernverbandes in der vorigen Woche hier in Bonn. Meine Damen und Herren, ist das noch selbstverständlich, daß Menschen, die sich in der Not befinden wie viele Bauern, vor allem junge tüchtige Bauern, die ihren Beruf erlernt haben, die leistungsfähig sind, die investiert haben und nun durch ein schlechtes PreisKosten-Verhältnis und durch die Hochzinspolitik — ich will sie gar nicht bemängeln, sie kommt aber bedrängend hinzu — in die Schere genommen werden— das sind junge tüchtige Bauern, die Familie haben, die nun auf ihren Höfen sitzen und nicht wissen, wie sie in den nächsten zwei, drei Jahren zurecht kommen sollen —, friedlich demonstrieren, wie es das Grundgesetz befiehlt?
Und welche Beachtung wird diesen Demonstrationen in den Medien, auch in den staatlichen Medien geschenkt?
— Herr Immer, wer hat etwas kaputtgeschlagen?
— Vor 14 Jahren.
Meine Damen und Herren, daß in unseren Großstädten beinahe jede Nacht Fensterscheiben kaputtgeschmissen werden, ist schlimm, weil sich diese Menschen ungesetzlich betragen und Volksvermögen und Privatvermögen zerstören. Viel schlimmer aber ist, daß solche Dinge offensichtlich nötig sind, um das Interesse der Medien zu wecken und um auf die Probleme aufmerksam machen zu können. Unsere jungen Bauern bedrängen uns mit Fragen, ob sie auch einmal wie in Frankreich einen Präfekten „einstecken" oder Lastzüge mit Fleisch ausbrennen sollen, ob sie auch in den Großstädten demonstrieren und Fensterscheiben zerschlagen sollen, damit ihr Problem Beachtung findet. Ich finde, Sie sollten zumindest einmal darüber nachdenken.Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen vor Beginn der Agrardebatte eine Aktuelle Stunde gehabt. Die war für mich jedenfalls außerordentlich lehrreich. Der Bundesminister Ertl hat ein flammendes Bekenntnis — er sprach von Leidenschaft und von Engagement — zur europäischen Politik abgelegt. Das unterschreibe ich hundertprozentig ohne Wenn und Aber. Sein Kollege Graf Lambsdorff sprach vom Wanderzirkus. Ob auch das die positiven Kräfte in unserem Volk weckt, wenn man vom gewählten Europäischen Parlament als von einem Wanderzirkus spricht?Herr Schmidt beklagt, daß er in der Europäischen Gemeinschaft Nettozahler sei. Ja, vordergründig nominal sind wir gemeinsam mit Frankreich und England Nettozahler. Das ist richtig, sogar sachlich richtig. Nur, Herr Bundesminister Ertl, ich nehme an, Sie haben dem Bundeskanzler in einer Kabinettsitzung einmal eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse vorgelegt. Die muß er doch begreifen können. Wenn Sie das getan haben, dürfte er nicht solche Sprüche wie heute morgen machen, sondern müßte wissen, daß die Bundesrepublik Deutschland nach dieser Kosten-Nutzen-Analyse viel besser wegkommt, als sie eigentlich sollte; denn sie hat aus der Europäischen Gemeinschaft den größten volkswirtschaftlichen Nutzen. So ist es und nicht anders. Das sollte eigentlich schon im Kabinett klargemacht und nicht erst hier ausgeführt werden.Eine weitere Tatsache aus der Diskussion von heute morgen: Der Herr Bundeskanzler sprach im Bereich Stahl von Grenzabschöpfungen. Davon hat der Bundeskanzler hier im Deutschen Bundestag gesprochen! Das haben die Regierungen der weiteren neun Mitgliedsländer sicherlich beachtet. Bei Stahl sind 200 000 Arbeitsplätze in Gefahr, bei Textil, wie Graf Lambsdorff heute morgen sagte, 500 000, bei der Landwirtschaft allein — ohne Zulieferer und ohne Abnehmer — 1,4 Millionen.In den vielen Jahren, in denen wir gemeinsam versucht haben, aus der Agrarpolitik das Beste zu machen, habe ich Sie, Herr Minister, gefragt: Was unternehmen Sie eigentlich gegen die Wettbewerbsverzerrungen meinetwegen in bezug auf Erdgas und Heizöl bei den Gärtnern? Was unternehmen Sie beispielsweise in bezug auf die Herausforderung der französischen Regierung, die ganz offen deklariert hat „Wir werden unsere Landwirtschaft stützen und schützen, wir werden ihr sogar" — und das geht jetzt los; vielleicht ist das Geld schon ausgezahlt — „nationale Einkommensübertragungen geben, wir werden unsere Ernährungsindustrie fördern und massiv unterstützen, denn sie soll den europäischen Markt erobern; unsere Landwirtschaft ist unser Erdöl"? Was sagen Sie zu dieser Herausforderung? Was sagen Sie zu der Herausforderung Hollands? Sie haben sicher bei den Hühnern ein bißchen dazu getan, daß das Umlaufvermögen nicht auch noch gefördert wird, aber die Holländer fördern in ihrem WIR-Programm nach wie vor bis zu 47 %. Die Holländer und die Franzosen sind unsere Hauptkonkurrenten. Und die Antwort der Bundesregierung?Der Bundeskanzler sagte in seiner Regierungserklärung: Bremsen von Einfuhren und Fördern von
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1463
EigenExport von Agrarprodukten lösen die Probleme nicht. — Außer „Mut zur Zukunft" hat er uns überhaupt kein Problemlösungsangebot gemacht. Das aber, meine ich, muß doch in der Regierungserklärung eines Bundeskanzlers eines so großen Landes, der auch 800 000 bäuerliche Familienbetriebe zu betreuen hat, stehen!
Nun höre ich hier immer wieder eine neue Diktion der FDP. Ich will nicht behaupten, daß das aus einer Schreibstube kommt, aber offensichtlich ist es abgestimmt, und das ist j a auch gut so; dagegen ist gar nichts einzuwenden. Da wird jetzt also immer — auch vom Bundesminister heute morgen — gesagt: Ja, diese 100 000 Problembetriebe, die sogenannten kleinen Vollerwerbsbetriebe, können wir über das Preis-Kosten-Verhältnis nicht retten. Richtig! Nur, was passiert dann, wenn Sie kein vernünftiges Preis-Kosten-Verhältnis herstellen? Das haben Sie, Herr Minister, bei allem Bemühen, das ich anerkennen will, soweit ich es beurteilen kann, heute morgen in Brüssel nicht getan. Dann werden Sie demnächst die nächsten 100 000 Problembetriebe haben! Was hat es dann, wenn Sie das Preis-Kosten-Verhältnis sich nicht so einpendeln lassen, daß der gut strukturierte leistungsfähige Vollerwerbsbetrieb leben kann, für einen Sinn, eine Strukturpolitik zu machen, damit andere Betriebe, in diese Struktur hineinkommen? Das alles ist doch sinnlos!Sie sagen, wenn wir keine vernünftige Preis-Kosten-Politik machen können, machen wir Strukturpolitik, und dann kürzen Sie die Gemeinschaftsaufgabe um 20 %! Ihre Beamten haben uns im Ernährungsausschuß gesagt: Die Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe um 20 % bedeutet nichts anderes, als daß die Neuinvestitionen nicht auf zwei Drittel, sondern um zwei Drittel zurückgehen. Wie wollen Sie da noch Strukturpolitik machen? Sie haben doch überhaupt keine Möglichkeit mehr!Meine Damen und Herren, dieser Agrarbericht ist von fleißigen Beamten erstellt worden. Dafür hat mein Freund und Kollege Ignaz Kiechle für die CDU/CSU-Fraktion schon ein Dankeschön gesagt; das brauche ich nicht zu wiederholen. Aber im Agrarbericht muß auch etwas über die Zukunftsaussichten stehen. Deswegen debattieren wir doch; wir debattieren doch nicht über minus 2,9 oder minus 1 oder minus 3. Das alles ist schlimm, aber viel schlimmer ist, daß Sie überhaupt keine Maßnahmen zur Verbesserung der Situation anbieten.Oder, Herr Bundesminister, sagen Sie — im Anschluß an meine kurze Rede —, daß Sie jetzt antreten werden, um die zweite Preisanhebung am 1. Oktober 1981 in Brüssel durchzusetzen, damit die Landwirte das an Preiserhöhung bekommen, was sie nach den Kostensteigerungen haben müssen? Diese Frage muß man doch ernsthaft stellen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das noch einmal kurz erklären. Wir haben die Kostenschübe ohne eigenes Verschulden bekommen. Das gilt mit Ausnahme der letzten Gesetze zur Mineralölsteuer. Das war natürlich das Letzte; das ist klar. Das ist eben sozialistische Politik! Die schieben noch obendrauf! Wenn die Scheichs schieben, sagt die SPD: Wir sind auch Scheichs, wir schieben schnell hinterher, damit wir ja beim Schieben zu höheren Preisen mit auf den Zug aufgesprungen sind. Das muß j a sein; der kleine Mann muß j a belastet werden. Der Generaldirektor tankt nicht; der fährt nicht einmal sein Auto selbst. Aber der sogenannte kleine Mann im ländlichen Raum, der tankt selbst,
und der muß selbst bezahlen.
Seit langen Jahren zum erstenmal in der Geschichte der Agrarpolitik dieses Landes wird, meine Damen und Herren, eine zusätzliche Verteuerung von Diesel durch Mineralölbesteuerung nicht rückvergütet. Dann tut die Bundesregierung so, als wäre dieser Abbau von 17 Pfennig, 13,7 Pfennig, ein Drittel der Rückvergütung, plus 3 Pfennig neue Mineralölsteuererhöhung, nur ein Verschieben nach hinten, als wären da bei der Landwirtschaft nur ein paar Zinsverluste zu beklagen. In Wirklichkeit wird der Dieselpreis in Deutschland um 17,1 Pfennig für drei Jahre angehoben und ist damit 15 Pfennig über dem nächstteuren in der Europäischen Gemeinschaft. Das ist Ihre Aussage zur Wettbewerbsregelung.
— Herr Minister, gut, daß Sie sagen: das ist falsch.
Dann ist Ihr Subventionsabbaugesetz falsch. Denn in dem Subventionsabbaugesetz — das können Sie nachlesen — steht auf Seite 15: Einsparung an Dieselöl-Rückvergütung 1981: 220 Millionen DM, 1982: 220 Millionen DM, 1983: 220 Millionen DM.
Wer hat nun recht? Haben Sie recht, oder hat die Bundesregierung recht, die die Gesetzesvorlage macht?Das, was in der Gesetzesvorlage steht, stimmt leider. Denn darüber müssen wir uns im klaren sein: wir haben diese Zeche zu bezahlen, wir haben den Schuldenkanzler zu bezahlen.
Herr Kollege Eigen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?
Herr Kollege, Sie haben sich so engagiert um die notleidende Landwirtschaft bemüht.
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege, da Sie gleichzeitig Bauernverbandspräsident sind: Haben Sie Ihren Mitgliedern einmal gesagt, was die Dieselöl-Rückvergütung für den einzelnen Bauern bedeutet oder was der Zuschuß des Bundes für die Berufsgenossenschaften für den einzelnen Bauern bedeutet und
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1464 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Oostergetelowas die von Ihnen geforderte nochmalige Preiserhöhung bedeutet? Habe ich recht, Herr Präsident,
daß in Holstein im oberen Drittel in der Tat weit über dem Durchschnitt, über 5 300 DM im Monat, verdient wird und Ihre Kleinbauern ganze 250 DM im Monat verdienen.
Herr Kollege Oostergetelo, Ihre Frage wird etwas lang, und mir fällt es schon schwer, sie zu behalten. Wenn Sie eine geordnete Antwort haben wollen, sollten Sie zunächst einmal dem Redner dazu Gelegenheit geben.
Herr Präsident, ich behalte die Frage, und ich werde schon eine ordentliche Antwort geben.
Die erste Antwort: Diese Berechnung kenne ich aus der Anhörung zum neuen Hochbesteuerungsgesetz der SPD für Mineralöl. Da hat ein Professor, ein Umweltschützer — ich weiß doch, was ein Professor verdient —, gesagt, der Arbeiter würde nur mit 17 DM im Monat duch das neue Gesetz belastet. So machen Sie Gesetze. Er tut so, als ob das gar nichts ist, 17 DM im Monat. Für mich sind 17 DM im Monat viel Geld.
— Ich bin ein sparsamer Mensch, ich weiß noch, was 17,10 DM wert sind.
Zu dem zweiten, was Sie sagten: Diese Diskussion um innere Disparität ist einem wirklich langsam zuwider.
Jeder Bereich der Selbständigen und Unselbständigen hat eine Disparität, die weit über die Disparität in der Landwirtschaft hinausgeht. Es gibt bei Ärzten Disparitäten von 1 : 20, bei Rechtsanwälten von 1 : 20, sogar bei Beamten von 1 : 20.
— Jawohl, in allen Bereichen gibt es eine Disparität. Wenn ein Agrarpolitiker überhaupt nicht mehr weiß, wie er die Zukunft gestalten will, dann redet er von der inneren Disparität; dann hat er es nicht geschafft.
Einige Halbwissende wie Sie, Herr Immer — das haben Sie neulich am Pult gezeigt —, bekommt er auf jeden Fall auf seine Seite, die dann nur vordergründig begreifen: der eine verdient viel, der andere verdient wenig, also ist das eine schlechte Politik.
Herr Kollege Eigen, der Herr Kollege Oostergetelo hat sich bemerkbar gemacht, daß er noch eine Zwischenfrage an Sie zu richten wünscht.
Dann muß ich ein bißchen zugelegt bekommen.
Ich muß Sie nach der Geschäftsordnung fragen, ob Sie geneigt sind, sie zu beantworten. — Bitte sehr.
Herr Klinker — — Eigen : Nein, Eigen.
Herr Eigen; Entschuldigung, so ein Versehen!
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe für den Fragesteller.
Darf ich Sie fragen: Haben Sie Ihren Mitgliedern einmal gesagt, daß jede Preiserhöhung, die Sie fordern, bei Ihren Disparitäten 1 : 21 für Ihre Bauern bedeutet?
Herr Kollege Oostergetelo, das sind Ihre diffizilen Berechnungen,
mit denen Sie nichts anderes als eine schlechte Politik beweisen wollen. Ich wiederhole, was ich hier gesagt habe. Wenn das Preis-Kosten-Verhältnis, Herr Minister — Sie machen hier die Politik und nicht Herr Oostergetelo —,
für Ihren Wunschbetrieb, den Sie hinstrukturiert haben wollen, nicht in Ordnung ist, hat doch im Grunde die ganze Strukturpolitik ihren Sinn verloren. Das heißt: Erst einmal muß die Preis-Kosten-Politik stimmen, und dann kann man auch vernünftige Strukturpolitik machen, gegen die niemand etwas hat.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur EG sagen. Herr Oostergetelo sitzt schon wieder; dann muß ich Schluß machen.
Ich frage einmal ganz deutlich und präzise: Was unternimmt die Bundesregierung in bezug auf die Wettbewerbsverzerrungen, die in allen Bereichen unserer Landwirtschaft innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vorhanden sind? Was unternimmt die Bundesregierung, um ein Preis-Kosten-Verhältnis sicherzustellen, das dem leistungsfähigen Betrieb die Bezahlung des Kostenschubes über das Mineralöl mit all seinen Folgen, wie bei Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, Dienstleistungen und al-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1465
Eigenlem was dazugehört, ermöglicht, damit der Landwirt diese Kostensteigerung auffangen kann? Diese Frage muß man stellen. Das ist die entscheidende.Meine Damen und Herren, wir stehen an der Schwelle zu besseren Zeiten.
— Ja, ja. Voraussetzung ist, daß ein kleiner Regierungswechsel stattfindet.
Wir stehen an der Schwelle zu besseren Zeiten. Der Verbraucher und unsere Volkswirtschaft — vor allem von ihr hängt es ab, ob der Verbraucher Wohlfahrt erfahren wird oder nicht — brauchen eine leistungsfähige Landwirtschaft gestern, heute und morgen noch viel nötiger. Wir werden dadurch, daß erstens — das ist etwas Gutes in der Bewegung der Jugend — —
Herr Kollege Eigen, ich muß Sie leider darauf aufmerksam machen, daß auch bei großzügigster Handhabung Ihre Redezeit überschritten ist.
Bei großzügigster — —
Meine Damen und Herren, so geht es einem, wenn man unterbrochen wird.
Etwas Gutes an der Bewegung der Jugend ist ihre Sensibilität für Gerechtigkeit und Hunger in der Welt. Diese Sensibilität ist positiv für die Landwirtschaft.
— Lieber Herr Kollege Wehner, sensibler als Sie bin ich immerhin!
Herr Kollege Eigen, ich muß Sie bitten, jetzt zum Ende zu kommen, es sei denn, Ihre Fraktion stellt den Antrag, Ihre Redezeit zu verlängern.
Meine Damen und Herren, die deutsche Landwirtschaft, die 800 000 bäuerlichen Familien können sich wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft auf die CDU/CSU verlassen!
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte allen Diskussionsrednern sehr herzlich danken. Es ist eine vielfältige Palette gewesen, die angesprochen wurde. Ich möchte von mir aus auf einige zentrale Fragen eingehen, ohne etwas zu bagatellisieren, aber auch ohne zu dramatisieren. Ich glaube, das ist dann demokratische Politik.Lassen Sie mich gleich zu Ihnen kommen, verehrter Herr Kollege Eigen. Ich schicke Ihnen die Fotokopie eines Flugblatts, das die französischen Bauern gestern in Brüssel verteilt haben, zu. Da können Sie lesen, was die französischen Bauern von der Agrarpolitik des deutschen Landwirtschaftsministers einschließlich der Wettbewerbsverzerrung halten. Für die französischen Bauern ist z. B. der Grenzausgleich eine Wettbewerbsverzerrung. Man muß immer die Kirche im Dorf lassen. Das sollte man insbesondere bei der CDU als Leitspruch berücksichtigen.
Das gehört eigentlich dazu, auch bei mir, obwohl ich zu den Liberalen gehöre. Oder nehmen wir Holland. Ich weiß nicht, Herr Kollege Eigen, ob ich im Zuge meiner Aktivitäten in Brüssel dafür sorgen sollte, daß die steuerliche Behandlung der Landwirtschaft so, wie sie in Holland durchgeführt wird, zum Vorbild für eine Steuerharmonisierung in der Gemeinschaft und damit der Bundesrepublik Deutschland gemacht wird. Sie können sich darauf verlassen, daß die Holländer das wissen. Die sind nämlich mindestens ebenso klug wie manches Mitglied in diesem Hohen Hause.
Ich warne immer davor, in dieser Art zu argumentieren. Das kann man vielleicht bei einer Kreisbauernveranstaltung so machen. Aber dort, wo Kompetenz ist, muß man eben auch mit ihr rechnen. Dann müssen Sie — ich muß Ihnen das deutlich sagen — möglicherweise mit solchen Rückfragen rechnen. Diese Rückfragen würde ich der deutschen Landwirtschaft nicht wünschen.Damit hake ich gleich den nächsten Punkt ab. Die deutsche Landwirtschaft ist unverändert nicht steuerlich benachteiligt, sondern begünstigt.
Mehr will ich nicht sagen. Man sollte das fairerweise zugeben. Wer mehr wissen will — Kollege Sauter sitzt so liebenswürdig und nett vor mir —, dem kann ich zu dieser Frage einen Artikel des „Württembergischen Wochenblatts" zum Lesen geben, wobei ich der Redaktion besonders herzlich für den Freimut und auch für die Objektivität danken möchte, mit der sie dieses Thema im Vergleich von Arbeitern und Bauern behandelt hat. Mehr will ich dazu nicht sagen. Ich verhindere durch Schweigen oft Schaden für die Landwirtschaft. Es ist manchmal ganz nützlich, entsprechend dem Sprichwort „Schweigen ist Gold, Reden ist Silber" zu verfahren.Im übrigen hat die Bundesregierung — und, Herr Eigen, Sie wissen das; deshalb wundert es mich, daß Sie die Frage gestellt haben; haben Sie sie vielleicht gestellt, um die Zuschauer zu unterhalten oder zu beeindrucken? — die Holländer nicht nur bilateral, sondern auch durch Aktivitäten in Brüssel gezwungen, ihren Erdgastarif anzuheben. Das ist noch nicht befriedigend, aber sie heben ihn an.
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1466 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Bundesminister Ertl— Aber dann wollen wir das doch hier sagen. Dann darf man doch nicht sagen, ich hätte nichts getan oder die Bundesregierung hätte nichts getan.Im Gegenteil, wir haben ein Verfahren gegen die holländische Regierung nicht nur beantragt, sondern über die Kommission beim Europäischen Gerichtshof anhängig gemacht. Das ist die unabhängige rechtsprechende Instanz für europäische Rechtsfragen. Wir müssen warten, wie dieses Verfahren ausgeht. Diesen Spielregeln haben wir uns alle unterworfen. Dies wollte ich noch sagen.Zum Gasöl habe ich eine Aufstellung hier, die meine Mitarbeiter kurzfristig gemacht haben. Das Gasöl wurde 1979 um 41,15 Pfennige auf rund 48 Pfennige verbilligt. Diesen Preis hatte der Landwirt zu zahlen. Durch die Umstellung auf nachträgliche Zahlung vermindert sich die Verbilligung um 11,52 Pfennig je Kilogramm, so daß der Landwirtschaft dann rund 60 Pfennig je Kilogramm an Kosten verbleiben. Das ist die Rechnung, die wir ad hoc gemacht haben. Von 17 Pfennigen ist da nichts enthalten.
Aber eines will ich Ihnen ganz offen sagen, verehrter Herr Kollege Eigen — und ich sage das gar nicht, um hier einen rechthaberischen Dialog zu führen —: Einer der großen Fehler, den manche Vertreter der deutschen Landwirtschaft zu Lasten der Landwirtschaft begehen, ist, daß sie so tun, als ob von der Energieverteuerung, der weltweiten Arbeitslosigkeit und weltweiten Rezession die Landwirtschaft allein betroffen sei. Ich sage Ihnen: 1,3 Millionen Arbeitslose haben dafür auch kein Verständnis. Aber nicht nur das: Auch Arbeitnehmer denken darüber nach, welche Mehrausgaben sie haben, z. B. für Treibstoff, wenn sie täglich meinetwegen 50 Kilometer zum Arbeitsplatz fahren müssen.
Wir müssen alle bezahlen, weil das eine weltweite Entwicklung ist und weil wir in der Bundesrepublik Deutschland zufällig nicht über Erdöl verfügen. Das muß man einfach fairerweise zugeben. Ich will das gar nicht beschönigen.
— Sie wissen ganz genau, daß das Motiv dieser Steuererhöhung darin liegt, anzuregen, auf alternative Energieträger umzusteigen.
— Ich wundere mich, warum Sie sich darüber so aufregen. Ich sage Ihnen: Das ist ein Aspekt, der der Landwirtschaft in den nächsten 20 Jahren sogar große Chancen eröffnet. Ich bin davon überzeugt, daß die Landwirtschaft in den nächsten 10, 20, 30, 40 Jahren durch die Produktion von Ölsubstituten einen zusätzlichen und bedeutenden Stellenwert bekommen wird. Das Öl kann dadurch zwar nicht in vollem Umfange ersetzt werden. Aber dies ist ein Teilaspekt im Hinblick auf alternative Energien.Diese landwirtschaftlichen Produkte könnten auch eine Rohstoffbasis für die Chemie bilden. Sie können sich bei allen Fachleuten, die sich in der Chemie damit beschäftigen, danach erkundigen, daß sich hier ein großer Wandel vollzogen hat. Insoweit wundert mich Ihre Ablehnung. Diese Steuererhöhung ist doch nur von der Absicht getragen, daß wirklich Energie, Öl, gespart wird. Das ist eine Schicksalsfrage für die Stabilität in dieser Welt und für unsere Stabilität. Das macht doch niemandem Freude. Über die Frage von Öleinsparung oder Mehrverbrauch an Öl kann der Weltfrieden in Gefahr kommen. Ich weiß nicht, ob das ein wünschenswerter Zustand wäre. Zumindest sind wir doch wirtschaftlich über dieses Problem in eine ganz gefährliche instabile Phase gekommen, und zwar weit über Europa hinaus, sogar weltweit.Ich habe noch einige Fragen zu beantworten. Ich will mich in meinen Ausführungen, wie gesagt, nur auf einige wesentliche Kernprobleme beziehen. Ich bitte hierfür um Nachsicht. Andernfalls würde ich Ihnen den Abend verderben. Der Kollege Sauter hat mich gefragt, wie das mit den Preisverhandlungen sei und ob ich dabei am schlechtesten abgeschnitten hätte. Sie kennen ja die unterschiedlichen Inflationsraten in der Gemeinschaft. Sie können deshalb auch Vergleiche anstellen. Es gibt sicherlich Mitgliedstaaten, die vielleicht etwas besser abgeschnitten haben. Eines muß ich aber einmal sagen. Wir können davon ausgehen, daß wir, gemessen am deutschen Agrarpreisniveau, bei einem Wert von etwas mehr als 4 % liegen und der Index für Betriebsmittelpreise bei uns eine Steigerung von 7 % ausweist. Vergleichen wir diese Werte nun mit den Werten anderer Länder. In Frankreich beträgt die entsprechende Steigerung beim Index für Betriebsmittelpreise 15 %. Sie müssen nun das Ergebnis in Relation setzen.
— Sie müssen das Ergebnis in Relation dazu setzen, Herr Kollege Sauter, daß der Durchschnittswert im Index für Betriebsmittelpreise in den übrigen EG- Staaten bei plus 12 % liegt, wobei ich jetzt noch gar nicht von Großbritannien spreche. Danach können Sie die Preisbeschlüsse bewerten.Herr Kollege Kiechle hat auch eine Frage gestellt. Ich will Ihnen jetzt in Ergänzung der Ausführungen des Kollegen Holsteg einige weitere Preise nennen. Der Mindestpreis 1980/81 in Deutschland für Zukkerrüben beträgt 91,08 DM. Er geht in der Summe auf 95,36 DM. Das macht ein Plus von 4,7 % aus. Bei Raps/Rüben beträgt der entsprechende Wert 4,3 %. Bei Milch — dies hat der Herr Kollege Kiechle bezweifelt — kommen wir bei Abzug der Anhebung der Mitverantwortungsabgabe auf ein Plus von 3,5 %. Der Erzeugerrichtpreis steigt von 619 DM auf 644 DM für 1 000 kg Milch.Ich muß in diesem Zusammenhang eine Richtigstellung vornehmen. Es ist ja immer ganz schwierig, die Auswirkungen der Preisbeschlüsse exakt auszurechnen. Meine Mitarbeiter rechnen oft wochenlang daran, da heute viele Faktoren eine Rolle spielen. Ich habe heute früh gesagt, daß der Anstieg der
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1467
Bundesminister ErtlNahrungsmittelpreise auf Grund der Agrarpreisbeschlüsse etwa 3 % betragen werde. Nach den neuesten Berechnungen liegt er zwischen 1,3 und 1,5 %.
— Das ändert aber nichts daran, daß wir nach der deutschen Produktionsstruktur eine Anhebung von 4,8 % haben, Herr Kiechle. Deshalb können Sie nicht sagen, daß dieser Wert weit von der Inflationsrate entfernt ist. Im übrigen muß ich auch dies betonen: Der Staat ist nicht Tarifpartner der deutschen Landwirtschaft. Sonst hätte mein Selbstverständnis von Unternehmertum in der Landwirtschaft keine Basis. Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen, daß es anders wohl nicht gehen kann.
Natürlich — ich will das hier zum Abschluß ganz freimütig sagen; es war eine sehr offene, eine sehr wohlwollende Aussprache — muß der Preisbeschluß für die deutsche Landwirtschaft auch in die Stabilitätsbemühungen in anderen Bereichen und bei vergleichbaren Gruppen hineinpassen. Das ist für mich doch politisch etwas Selbstverständliches — ohne daß sich dabei ein Tarifverhältnis ergibt. Wenn man gemeinsam zur Stabilität beitragen will, muß, wie ich meine, jeder etwas tun. Ich bin hier ja sehr gelobt worden. Ich bedanke mich bei der Opposition für das, was sie zu meinem europäischen Engagement gesagt hat. Ich muß das vorliegende Ergebnis auch in diesem Bundestag unter europäischen Gesichtspunkten und nicht unter rein nationalen Gesichtspunkten behandeln. Ich möchte haben, daß mein Verhandlungsergebnis unter diesem Gesichtspunkt behandelt wird: Zwar müssen natürlich die berechtigten Anliegen unserer Landwirtschaft, unserer Verbraucher, der Steuerzahler berücksichtigt werden; dem muß aber die Frage übergeordnet sein: Ist es ein Ergebnis, das neue Impulse für die Gemeinschaft auslöst oder zumindest der Gemeinschaft nutzt und nicht schadet? Diese Frage kann ich mit Ja beantworten.
Ich will in dem Zusammenhang auch auf eine weitere Frage eingehen. Für mich ist die Zukunft der 100 000 Vollerwerbsbetriebe am unteren Ende der Einkommenskala nicht ein Nebenkriegsschauplatz, sondern ein sehr, sehr ernstes Problem. Ein ordentlich bewirtschafteter Betrieb muß natürlich angesichts des Kostenanstiegs auch bessere Ergebnisse erwirtschaften, und dazu trägt die Preispolitik bei. Für mich ist das ein sehr ernstes Problem, weil ich überzeugt bin, daß gewissen strukturschwachen Betrieben über die Preispolitik allein nicht geholfen werden kann.
Das ist der Punkt.
Wir in Deutschland können, was diese Problematik angeht, eigentlich noch recht zufrieden sein. In Frankreich gibt es große Verwerfungen zwischen Stadt und Land. Sie wissen, ich war erst wieder beimParlamentarier-Skirennen in Val d'Isere. Ich war deprimiert von der Fahrt vom Val d'Isere nach Genf. Erst wenn Sie kurz vor Genf sind oder erst, wenn Sie durch Annecy durchfahren, sehen Sie wieder ordentliche Betriebe. Vorher sehen Sie sehr viele verfallene Höfe, sterbende Dörfer. Wenn Sie in diese sterbenden Dörfer hineinfahren, treffen Sie nur Leute von 60 Jahren und älter an. Die Jugend ist weg. Das ist ein großer Unterschied zu unseren Dörfern.
Das ist auch dadurch bedingt, Herr Kollege Sauter, und deshalb bin ich so unglücklich in der Diskussion mit meinen französischen Ministerkollegen. Sie beginnen langsam, andere Weichen zu stellen, weil die Franzosen in der Tat glaubten, über den Milchpreis könne man die soziale Lage eines Betriebes mit sechs bis acht Kühen verbessern, damit könnte man das Leben des Betriebes verlängern oder man könnte nach dem Motto „Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig" etwas erreichen. Die soziale Lage eines Bauern können Sie nur verbessern, wenn Sie ihn zum kombinierten Einkommen, gleich in welcher Form, hinführen.
Das ist ja die entscheidende Aufgabe, wenn Sie die Menschen auf dem Land halten wollen. Daran führt gar kein Weg vorbei.Deshalb meine ich, daß wir uns mit den zehn Jahren Strukturbilanz dieser Bundesregierung — ich will es einmal vorsichtig sagen — sehen lassen können. Deshalb habe ich die Zahlen genannt, den Anstieg des Anteils der Nebenerwerbsbetriebe und die Halbierung des Anteils der Zuerwerbsbetriebe. Denn ein großer Teil der 100 000 Problembetriebe, über die wir sprechen — ob es nun genau 90 000 oder 100 000 sind, das ist ja nicht so wichtig —, liegt in der Kategorie der Zuerwerbsbetriebe und im unteren Einkommensbereich der Vollerwerbsbetriebe.Ich wage es fast nicht zu sagen, weil mir möglicherweise vorgehalten werden könnte, ich wolle hier ablenken: Wenn Sie die oberen drei Viertel der Vollerwerbsbetriebe betrachten, dann haben Sie doch ein Plus gegenüber dem Vergleichseinkommen. Ich kann Ihnen die Zahlen liefern. Deshalb ist es so wichtig, hier eine differenzierte, den einzelnen Verhältnissen angepaßte Agrarpolitik zu betreiben mit allen Facetten, einschließlich der Sozialpolitik.
Deshalb ist es so wichtig, daß wir z. B. den Versuch machen, diese schwachen Betriebe in ihrer Beitragsgestaltung so zu entlasten, daß sie nicht auch noch von den Sozialbeiträgen her zusätzliche Belastungen haben.Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen und Sie über die mir vorliegenden Unterlagen informieren. Es wurde sehr viel von Überschüssen und dergleichen gesprochen. Ich will das hier nicht vertiefen. Ich will nur sagen: die Bestände haben sich
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1468 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Bundesminister Ertlweltweit sehr abgebaut. Ob das eine zyklisch bedingte Erscheinung ist, ob das eine saisonbestimmte Erscheinung ist oder ob das ein Trend ist, wird im Moment niemand beantworten können. Dazu haben sich die Verhältnisse im letzten Jahr zu stark verändert. Sicher ist eines, und ich habe nicht ohne Grund darauf hingewiesen und es ist wirklich des Nachdenkens wert: Wir müssen damit rechnen, daß wir es infolge von Energieverteuerung, Energieverknappung weltweit mit einem Rückgang der Agrarproduktion zu tun haben. Je schwächer die einzelne Volkswirtschaft entwickelt ist, desto stärker wird der Rückgang sein. Denn es fehlt einfach die nötige Energie.Ich kann jetzt gleich einen Brückenschlag machen zu dem Thema Gesundheit. Natürlich gilt auch für eine Landwirtschaft: Wo es keinen Input gibt, gibt es keinen Output. Dies ist ein Gesetz, das läßt sich nicht verändern. Das, glaube ich, muß man sehen. Bei der Frage, was ordnungsgemäße Bewirtschaftung ist, bin ich nicht Schiedsrichter. Ich möchte das hier in aller Deutlichkeit sagen. Wer aber glaubt, er könne es sich leisten, ohne Handelsdünger auszukommen, täuscht sich. Ich sage bewußt Handelsdünger, weil mich die Terminologie stört, wenn gesagt wird, das sei alles Kunstdünger. Ich habe mir vor kurzem eine kleine Verletzung zugezogen, und mit der Verletzung kam auch noch die Grippe. Ich bekam eine Spritze und fragte meinen Arzt: Was spritzen Sie mir da? Er sagte: Kalzium, mit einem Penicillinmittel gemischt. Darauf sagte ich: Dann tun Sie mich ja kunstdüngen. — Nun, bei den Menschen findet man das ganz normal, daß sie Kalziumspritzen bekommen, aber wenn die Pflanzen Kalzium bekommen, nennt man das Kunstdüngung.Ich wäre wirklich dankbar, wenn man sich in dieser Frage einmal sachlicher und präziser unterhalten würde
und sich nicht mit einfachen Schablonen begnügen würde, die sehr leicht von Ignoranten zur Politik ausgenutzt werden. Ich sage bewußt: von Ignoranten.
Das ist, glaube ich, das Problem, und deshalb habe ich bereits heute früh diese Bitte ausgesprochen.Ich will dabei noch etwas sehr Deutliches sagen. Sie wissen, während der Amtszeit dieser Koalition ist das DDT verboten worden, aber das DDT wird in Teilen Ostasiens in Reiskulturen angewandt. Ich sage Ihnen: es muß sogar angewandt werden, beispielsweise in Thailand und in Vietnam, wenn dort nicht noch mehr Menschen Hungers sterben sollen, weil sie keine Alternative zur Reisproduktion haben. Das ist eine Güterabwägung, und zwar eine sehr schwerwiegende Güterabwägung. Man darf sich das alles nicht ganz so einfach machen.Ich muß jetzt noch ein Wort der Ehrenrettung sagen. Ich bin sehr dankbar dafür, gnädige Frau, daß Sie dieses Thema angeschnitten haben. Wer in diesem Hohen Hause Interesse daran hat, sollte einmal eine Reise nach Berlin zur Biologischen Bundesanstalt machen — ich wäre denkbar, wenn das geschähe — und sich einmal anschauen, mit welcher Gewissenhaftigkeit dort die biologischen Tests gemacht werden, und der sollte dann auch gleich zum Bundesgesundheitsamt in der Nachbarschaft gehen. Ich muß zur Ehrenrettung dieses sehr fleißigen, tüchtigen wissenschaftlichen Personals sagen, das sein Bestes gibt,
daß es sein ganzes Wissen und Können dafür einsetzt, die Gesundheit in höchstem Maße zu garantieren. Sie sollten einmal sehen, wie lange diese Tests dauern. Nachdem ein Pflanzenschutzmittel zugelassen wurde, kommt es in den Wiederholungstest. Wenn sich negative Nebenwirkungen herausstellen sollten, wird das Mittel zurückgezogen.Ich habe nicht umsonst von input und output gesprochen. Ich kann diese Begriffe jetzt nicht in aller Form vertiefen. Vielleicht können wir uns einmal im Ausschuß zusammensetzen und über dieses Thema sprechen. Ich halte es jedenfalls geradezu für eine Pflicht zur Redlichkeit, wenn etwas passiert, die Öffentlichkeit an Hand von offengelegten Fakten über Anzahl und Häufigkeit exakt zu informieren.
Es geht nicht an, einfach zu sagen, da und da sei was passiert, ohne Fakten und Zahlen zu nennen,
sondern dann muß man sagen: Es hat da und da soundso viele Fälle gegeben. Das erwarte ich, damit nicht Hysterie erzeugt wird, sondern man in der Lage ist, die wirklichen Sünder entsprechend den gesetzlichen Vorschriften auch der Strafe zuzuführen.
Niemand wird sich vor solche Sünder stellen. Ich bin sehr dankbar, daß dieser Punkt hier angesprochen wurde.Ich habe mir einige Notizen gemacht, angefangen von den Preisen über die Strukturpolitik bis zu anderen Punkten. Sehr vieles gäbe es sicherlich noch über die Regionalpolitik zu sagen. Ich bin überzeugt, daß eine wirksame Agrarstrukturpolitik überhaupt nur möglich ist, wenn die Regionalpolitik die Voraussetzung dafür schafft. Wegen der fortgeschrittenen Zeit wollte ich Ihnen die Zahlen — ich habe sie hier — eigentlich nicht nennen. Es ist nicht so, daß in einer konjunkturschwachen Zeit keine neuen Arbeitsplätze geschaffen würden. Als Zahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze haben mir meine Mitarbeiter für 1980 58 537 herausgeschrieben. Für 1981 sind 76 250 neue Arbeitsplätze geplant. Im Zeitraum von 1974 bis 1980 waren es 637 000.
— Da haben Sie sehr recht. Ich habe Ihnen ja auch gesagt: Das muß man bei der wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft auch berücksichtigen. Im übrigen habe ich im Fernsehen gehört, die Zahl derBundesminister ErtlArbeitslosen sei im März wieder zurückgegangen. Aber wie immer das auch ist, sicherlich ist es doch nicht so, Herr Sauter, daß es die Arbeitslosigkeit nur auf dem Lande gibt. Das wäre doch eine falsche Darstellung. Es gibt sie viel mehr in den strukturschwachen Räumen. Deshalb trifft uns doch das Fischereiproblem so stark. Bei der Fischerei wird derselbe Raum getroffen, der schon durch die Entwicklung bei den Werften getroffen ist, der schon durch die Entwicklung der Flugzeugindustrie getroffen ist. Und jetzt auch noch durch die Fischerei!
Das ist doch der Punkt. Da kann man doch nicht sagen, Arbeitslosigkeit gebe es nur auf dem Lande. Im Gegenteil! Mancher Arbeitsplatz ist heute auf dem Lande sicherer als in der Großstadt. Ich betrachte das sogar als einen großen Erfolg.
— Schauen Sie sich doch die Karten an! Dann werden Sie doch nicht sagen können, daß diese Stellen alle auf dem Lande sind, verehrter Herr Eigen. Ich wohne z. B. auf dem Lande, am Tegernsee. Schauen Sie sich die ganze oberbayerische Region von München bis Berchtesgaden an! Da gibt es gerade eine Kampagne, die von der CSU ausgelöst wurde: Man will, daß Gastarbeiter wieder hereingelassen werden, um der Personalnot im Gaststättengewerbe abzuhelfen. In Berchtesgaden, in Bayern wird diese Forderung erhoben. Wohl deshalb, weil es so viele Arbeitslose gibt! Wir haben, glaube ich, über 200 000 arbeitslose Gastarbeiter. Da sollten wir doch wenigstens die erst einmal in den Gaststätten beschäftigen. Also ganz so ist es nicht mit der Arbeitslosigkeit.Sie dürfen mir glauben: ich studiere die Karten sehr genau, ich bin kein Schablonenleser. Es gibt Arbeitsplätze, die sind auf dem Lande sicherer als in gewissen strukturschwachen großstädtischen Gebieten.
— Ich habe es ja nicht pauschal gesagt, sondern sehr differenziert, Herr Sauter.
— Herr Eigen, schauen Sie sich auf der Karte an, wo die meisten Arbeitslosen sind. Dazu gehört u. a. das Emsland und in meinem Lande, in Bayern, der Arbeitsamtsbezirk Deggendorf. Sie werden ebenso — begrenzt — auch in großstädtischen Räumen hohe Arbeitslosenziffern finden. In einigen Räumen! Ich habe ja nicht gesagt: überall. Das wollte ich bloß noch einmal hinzufügen. Ein Strukturwandel und die Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze ist auch in einer konjunkturschwachen Zeit möglich.Meine Damen und Herren, ich schaue auf die Uhr und möchte Sie wirklich nicht mehr länger strapazieren. Ich will aber doch noch zwei oder drei Punkte aufgreifen, damit niemand sagt, ich hätte mich dem entzogen.Erstens die Massentierhaltung. Mein Ziel ist, Tierfabriken zu verhindern. Aber man muß auch die Folgen sehen, wenn man der Forderung gerecht werden will, preiswerte und gesundheitlich einwandfreie Nahrungsmittel zu erzeugen. Ich möchte das nicht weiter vertiefen, denn dann müßte ich einige Sätze mehr verlieren. Die Haltungsformen sind nicht ohne Einfluß darauf. Das sind zumindest die wissenschaftlichen Erkenntnisse all derer, die sich mit dieser Materie beschäftigen; unabhängig davon — lassen Sie mich auch das sagen —, hat die EG auf mein Drängen hin beschlossen, einen Bericht über Massentierhaltungen anzufertigen, dem sich dann Maßnahmen anschließen sollen. Natürlich ist es auch in diesem Fall notwendig, auf EG-Ebene zu einer Einigung zu kommen. Das ist selbstverständlich. Das soll nicht heißen, daß wir nicht den nationalen Rahmen, dort, wo er gegeben ist, ausnutzen. Aber er muß objektiv ausgefüllt werden. Die Regelungen müssen nachweisbare, wissenschaftlich belegbare Grundlagen haben.Noch eine Bemerkung zur Landwirtschaftsklausel im Bundesnaturschutzgesetz. Niemand hat von ihrer Streichung gesprochen, sondern nur von einer ökologisch angepaßten Landwirtschaftsklausel. So etwas kann ich mir vorstellen. Man muß fairerweise sagen: Natürlich gibt es auch durch Landwirtschaft, oder durch Übernutzung in der Landwirtschaft, oder wie immer man es nennt, die Möglichkeit der Umweltschädigung. Das gilt allerdings wiederum nicht — und das hat auch niemand behauptet — für die Mehrheit der Wirtschaftsweisen in der Landwirtschaft. Ich bin sehr froh, daß es in dieser Frage einen Allparteienkonsens gibt. Deshalb ist es auch so wichtig, daß wir bäuerliche Strukturen erhalten. Denn bäuerliche Strukturen sind die beste Garantie für die Erhaltung einer umweltfreundlichen Landschaft und auch für eine geringere Belastung.
Wenn man einen so schönen Allparteienbeifall bekommt, ist man natürlich verführt zu sagen: das wollen wir nutzen. Dann muß man aber sorgen, daß diese bäuerlichen Betriebe auch in Zukunft lebens- und leistungsfähig sind. Das ist die logische Konsequenz.
Niemand denkt daran zu behaupten, landwirtschaftliche Bewirtschaftung, auch wenn sie den normalen Maßstäben entspricht, gelte in Zukunft als umweltfeindlich. Das würde ich nicht mittragen. Wenn ich mich richtig erinnere, ist in § 1 des Bundesnaturschutzgesetzes die Landwirtschaftsklausel durch den Bundesrat hineingekommen. Jedenfalls ist sie an einer Stelle — es gibt die Landwirtschaftsklausel ja an zwei Stellen des Gesetzes — durch den Bundesrat hineingekommen. Ich habe das Gesetz jetzt nicht im Kopf. Sie dürfen mir glauben, daß ich bis heute früh um 3 Uhr andere Texte im Kopf hatte.
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1470 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Bundesminister ErtlWie dem auch sei, daß man die Landwirtschaftsklausel mit einer ökologischen Zielsetzung in Einklang bringen kann, daran habe ich eigentlich gar keinen Zweifel.Nun zur Verbandsklage. Sie haben mich danach gefragt. Natürlich kenne ich die Problematik, Herr von Schorlemer, und niemand sollte sich dieser ernsthaften Problematik entziehen. Ich weiß allerdings, weil ich mir die Mühe gemacht und sowohl mit den Amerikanern als auch mit den Schweizern, die ja die Verbandsklage kennen, ausführlich über dieses Thema gesprochen habe, daß man in einer funktionsfähigen Demokratie — also ohne destruktives Verhalten — auch mit der Verbandsklage leben kann. Es kommt im wesentlichen darauf an, wie die Verbandsklage formuliert, gestaltet und ausgeführt wird.
— Mein Gott im Himmel, was heißt: anderer Meinung! Ich habe mich sachkundig gemacht. Das ist ja keine Schande. Wer immer bereit ist, etwas zu lernen, zeigt, daß er Geist hat. Wer immer sagt: ich behalte meine Meinung, die ich seit 30 Jahren habe, bei, zeigt, daß er ein Trottel ist, daß er nicht zu lernen bereit ist.
Ich habe in meinem Leben schon viel gelernt. Herr Sauter, wenn Sie dieses Ministerium hätten, würden Sie merken, daß Sie jeden Tag in die Schule gehen. Für mich ist jeder Tag ein Lerntag. Solange ich dieses Amt habe, habe ich jeden Tag etwas Neues gelernt. Ich bin auch bereit, Neues zu lernen.Ich kann auch ohne Verbandsklage leben. Nur die Frage lautet, und ich meine, das ist die Kernfrage: Wie kommen wir in diesem so emotional geladenen Feld zu einem kooperativen Verhalten zwischen der Landwirtschaft, die für sich mit Recht beansprucht, über Jahrhunderte einen Beitrag zur Gestaltung von Landschaft und Kultur und — man kann auch sagen — zur Erhaltung der Ressourcen geleistet zu haben, und jenen Gruppen, die aus welchen Gründen immer, aus Wohlstandsangst, vielleicht sogar aus Wohlstandsüberdruß, aber vielleicht auch aus echter Sorge der Meinung sind: wir sind ein dicht besiedeltes Land, und deshalb muß dafür gesorgt werden, daß sich das Verhalten insgesamt in solchen Formen vollzieht, daß auch noch kommende Generationen Freude an der Welt und an unserer Natur haben?Es gibt diese Menschen, und ich freue mich, Herr von Schorlemer, daß auch Sie gesagt haben, daß Sie dieses Anliegen sehr ernst nehmen. Die Frage ist: Kann man mit einer solchen Initiative so etwas wie eine kooperative Phase einleiten oder nicht? Wenn man diese Phase einleiten kann, dann werde ich das sehr begrüßen. Wenn man sie nicht einleiten kann, soll man auf dieses Unternehmen verzichten. Das ist die Frage, die wir an Hand des Gesetzestextes ernsthaft zu prüfen haben werden. Ich bin der Meinung, daß solch ein Versuch notwendig ist, daß wir eine Entkrampfung, den Abbau dieser Voreingenommenheit herbeiführen müssen.Ich habe nicht ohne Grund gesagt, daß mir der Arzt Kalzium gespritzt hat. Und wenn ich einer gewissen politischen Richtung angehören würde, die ab und zu Schlagzeilen macht, dann würde ich sagen: jetzt bin ich kunstgedüngt, nachdem ich Kalziumspritzen bekommen habe. Aber ich habe mich dabei ganz wohlgefühlt. Und Sie wissen ja, man kriegt nur an einem gewissen Körperteil gewisse Hitzeschwierigkeiten,
d. h. Temperaturschwierigkeiten. Aber die übersteht man. Das ist so wie beim Eintauchen in die Atmosphäre; wenigstens stelle ich mir das so vor, wenn ein Satellit wieder in die Atmosphäre eintaucht.Aber wie immer das ist, eines, so glaube ich, ist wichtig, Herr von Schorlemer, und darum bitte ich auch die Opposition wirklich sehr, damit sich in dieser Frage ein flexibler Standpunkt ergibt: alles zu tun, um dieses Feld nicht zu emotionalisieren, sondern zu versachlichen. Das brauchen wir — abgesehen von allen anderen Bereichen, vor allem auf dem Gebiet des Naturschutzes. Es darf hier kein zusätzliches Feld für Polarisierung geben. Das darf kein zusätzliches Feld für militante Minderheiten in diesem Staate werden, die zu meinem Leidwesen sowieso schon unsere öffentliche Meinung beherrschen. Das ist eine ganz schwierige Frage; das wissen wir.Das wollte ich zum Schluß der Debatte sagen. Ich darf mich noch einmal bei allen, die so lange ausgehalten und so konstruktiv zur Diskussion beigetragen haben, sehr herzlich bedanken. Ich meine, sagen zu dürfen, daß ich einen beachtlichen Konsens hinsichtlich der Bestrebungen meiner Politik — bis hin zur Vorsteuerpauschale — sehe. Ich hoffe, daß das dem Landwirtschaftsminister auch den nötigen Rückhalt und die nötige Unterstützung für die nicht leichten Verhandlungen gibt, die in Bonn und in Brüssel vor uns stehen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Agrarbericht 1981 der Bundesregierung auf den Drucksachen 9/140 und 9/141 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
— Bleiben Sie schön sitzen. — Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Zu dem Agrarbericht der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Dazu ist Ausschußüberweisung beantragt. Besteht darüber im Haus Einvernehmen? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist beschlossen, daß der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 9/293 federführend an den Aus-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981 1471
Vizepräsident Leberschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, mitberatend an den Finanzausschuß und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen ist.Ich rufe die Punkte 4 und 5 der Tagesordnung auf:4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem am 29. August 1975 in Genf unterzeichneten Genfer Protokoll zum Haager Abkommen über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster und Modelle— Drucksache 9/234 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Beitreibungsgesetzes- EG— Drucksache 9/204 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: FinanzausschußWird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 9/234 und 9/204 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 4. August 1963 zur Errichtung der Afrikanischen Entwicklungsbank— Drucksache 9/20 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 9/269 —Berichterstatter:Abgeordnete Esters GärtnerSchröder
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit
— Drucksache 9/262 —Berichterstatter:Abgeordnete Bindig Schmöle
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Ich sehe, das ist nicht der Fall. Wird das Wortanderweitig gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe die Artikel 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Das Gesetz ist beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. März 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen— Drucksache 9/71 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 9/273 —Berichterstatter:Abgeordnete Gerlach Tietjen
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Schlußabstimmung. Ich rufe die Artikel 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen— Drucksache 9/66 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 9/277 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Klejdzinski Dr. Wittmann
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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1472 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. April 1981
Vizepräsident LeberWir kommen zur Einzelberatung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe auf die Artikel 1 bis 3, die Einleitung und die Überschrift. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden.Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt gegen das Gesetz? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Vertrages vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen— Drucksache 9/67 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 9/278 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Klejdzinski Dr. Wittmann
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. — Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht.Ich rufe auf die §§ 1 bis 36, die Einleitung und die Überschrift in der Ausschußfassung. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht. den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist beschlossen.Ich rufe die Punkte 12 bis 16 der Tagesordnung auf:12. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungÄnderung des Vorschlags für eine Fünfte Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Regelungen über die Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern im grenzüberschreitenden Reiseverkehr— Drucksachen 9/108 Nr. 60, 9/230 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Hellwig 13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Einführung vorübergehender Sondermaßnahmen betr. das endgültige Ausscheiden von Beamten der Europäischen Gemeinschaften aus dem Dienst infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten— Drucksachen 9/37 Nr. 139, 9/239 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Wernitz Regenspurger14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Änderung der ersten Richtlinie des Rates vom 23. Juli 1962 über die Aufstellung einiger gemeinsamer Regeln für bestimmte Beförderungen im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und der Richtlinie 65/269/ EWG des Rates— Drucksachen 9/86, 9/244 —Berichterstatter: Abgeordneter Antretter15. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Festlegung des Zollgebiets der Gemeinschaft— Drucksachen 9/37 Nr. 151, 9/209 —Berichterstatter:Abgeordneter Rapp
16. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft— Drucksachen 9/37 Nr. 88, 9/212 —Berichterstatter:Abgeordneter Wimmer
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Ich lasse jetzt über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 9/230, 9/239, 9/244, 9/209 und 9/212 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Die Beschlußempfehlungen sind angenommen.
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Vizepräsident LeberIch rufe die. Punkte 17 und 18 der Tagesordnung auf:17. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu derAufhebbaren Siebenundsiebzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — Aufhebbaren Sechsundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksachen 9/80, 9/90, 9/191 —Berichterstatter: Abgeordneter Echternach18. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu derAufhebbaren Neunundvierzigsten Verordnung zur Änderung der AußenwirtschaftsverordnungAufhebbaren Siebenundvierzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksachen 9/122, 9/121, 9/195 —Berichterstatter:Abgeordneter Wolfram
Der Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verordnungen nicht zu verlangen. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft auf den Drucksachen 9/191 und 9/195 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Die Beschlußempfehlungen sind angenommen.Ich rufe den Punkt 19 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 8 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/242 —Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 9/242, die in der Sammelübersicht 8 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:Beratung der Übersicht 2 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 9/243 —Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/243, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der genannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.Ich rufe den Punkt 21 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPErneute Überweisung von Vorlagen aus der 8. Wahlperiode— Drucksache 9/253 —Wird dazu das Wort gewünscht? — Ich sehe: das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Antrag auf Drucksache 9/253 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Stimmt jemand dagegen? — Enthält sich jemand der Stimme? — Das ist nicht der Fall. Der Antrag ist angenommen.Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung angelangt.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. April 1981, 14 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.