Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Entritt in die Tagesordnung einige amtliche Mitteilungen: Der Abgeordnete Dr. Narjes hat am 9. Januar 1981 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat am 14. Januar 1981 der Abgeordnete Eymer die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich vermute, er hat noch gar keine Kenntnis davon, daß er heute hier in dieser Form wieder in die Arbeit des Deutschen Bundestags eingeführt wird. Ich möchte ihm trotzdem in Abwesenheit unser aller herzliche Glückwünsche für eine gute Zusammenarbeit aussprechen.
Eine weitere Mitteilung: Im Ältestenrat ist vereinbart worden, in der nächsten Sitzungswoche mit Rücksicht auf die in dieser Woche vorgesehene Aussprache über den Haushalt 1981 keine Fragestunde durchzuführen. Diese Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde muß entsprechend § 126 unserer Geschäftsordnung vom Bundestag mit entsprechender Mehrheit beschlossen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist also entsprechend § 126 der Geschäftsordnung so beschlossen.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Krebsberichts als Fortschreibung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage betreffend Krebsforschung
— Drucksache 8/3556 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Forschung und Technologie
Das Wort zur Einbringung hat Frau Bundesminister für Jugend, Gesundheit — und was noch?
Jugend, Familie und Gesundheit!
Entschuldigung. Ich habe doch gewußt, daß da noch etwas ist.
Bitte schön, Frau Minister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag befaßt sich heute zum wiederholten Male mit der schrecklichen Krankheit namens „Krebs", einer der fünf häufigsten Todesursachen bei uns — mit steigender Tendenz —, an der heute in der Bundesrepublik jeder fünfte Bürger stirbt.Bei Krebs haben wir es mit einer Krankheit zu tun, die nicht erst in neuerer Zeit erkannt oder behandelt wurde. Schon aus dem Altertum sind uns Beschreibungen überliefert, die auch heute noch für bestimmte Krebsformen genau zutreffen, und aus dem Mittelalter sind zum Teil recht blutige Abbildungen bekannt, die z. B. Brustamputationen zeigen bei an bösartigem Tumor erkrankten Frauen.Dennoch ist es wohl richtig, zu sagen, daß sich erst in diesem Jahrhundert Krebs zu einer bedeutenden Krankheit entwickelt hat. Das liegt daran, daß noch um die Jahrhundertwende die Infektionskrankheiten eine so bedeutende Rolle spielten und Krebs eine sehr häufige Krankheit des fortgeschrittenen Alters ist, dieses Alter aber früher in sehr vielen Fällen eben nicht erlebt wurde. Nachdem nun die Infektionskrankheiten in den hochzivilisierten Ländern zurückgedämmt worden sind und eine untergeordnete Rolle spielen, stehen wir vor der Tatsache, daß Krebs die zweithäufigste Todesursache ist und bei gleichbleibenden Verhältnissen mit einer Änderung in absehbarer Zeit wohl kaum zu rechnen ist.Krebs ist allerdings nicht nur eine Alterserscheinung. Auch bei Kindern ist — nach den Unfällen — Krebs die zweithäufigste Todesursache. Wieviel Leid hinter solchen Statistiken steht, kann eigentlich nur der ermessen, der entsprechende Erfahrungen hat.Bei Erwachsenen, bei denen die Herz-KreislaufKrankheiten 50% aller Todesfälle verursachen, wird die Erkrankung an Krebs dennoch ungleich schwerer empfunden als eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Denken Sie z. B. nur an die 20 000 neuen Fälle von
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434 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Bundesminister Frau HuberBrustkrebs im Jahr und die einschneidenden Veränderungen, die das im Leben der betroffenen Frauen bedeutet.Die Krebsforschung hat erst in diesem Jahrhundert bemerkenswerte Ausmaße angenommen. Wir kennen inzwischen mehr als 60 Formen von Krebs, ja, folgt man der internationalen Klassifikation, sogar über 200, die man gewebespezifisch unterscheiden kann.Wir wissen auch, daß sich diese Formen hinsichtlich der heutigen Möglichkeiten der Prävention, der Früherkennung und auch der Therapie unterschiedlich verhalten. Zwar können wir sagen, daß die 1971 eingeführte Früherkennung beim Mann inzwischen ungefähr 30 % und bei der Frau inzwischen 60 % der vorkommenden bösartigen Neubildungen erfaßt. Aber für die übrigen Krebsarten stehen derzeit noch keine technisch einwandfreien, für Screeninguntersuchungen geeigneten und auch zumutbaren, d. h. akzeptablen Untersuchungsmethoden zur Erf as-sung im Rahmen der Früherkennung zur Verfügung. Dies gilt besonders für den sehr häufig vorkommenden Lungenkrebs, aber z. B. auch für Magenkrebs. Dabei wissen wir, daß die Überlebensrate bei früherkannten Tumoren wesentlich höher ist als bei der Späterfassung. Die Heilquote bei Gebärmutterhalskrebs bei Früherkennung liegt z. B. zwischen 80 % und 90 %. Es kommt also darauf an, die Menschen zu motivieren, von den Angeboten der Vorsorgeuntersuchung Gebrauch zu machen, zugleich aber auch die Qualität dieser Untersuchung zu steigern.Auch in der Therapie sind große Fortschritte gemacht worden. Bestimmte Formen der kindlichen Leukämie z. B. sind heute zu einem Prozentsatz heilbar, von dem wir vor 15 Jahren noch nicht zu träumen wagten.Krebs, das ist allerdings nicht allein eine medizinisch-wissenschaftliche Fragestellung, die immer noch der Klärung bedarf, sondern eine Krankheit, deren Bekämpfung, Erforschung der Ursachen, Vorsorgebehandlung, Nachsorge in ihrer Vielschichtigkeit weit über das hinausgeht, was man unter Gesundheitswesen im engeren Sinne versteht.Dies zeigt, wie schwer der Kampf gegen den Krebs ist, auch wenn uns allen klar ist, daß mit wachsender Angst die Frage nach dem sogenannten großen Durchbruch immer dringender gestellt wird. Dieser „große Durchbruch" — darin ist sich die Wissenschaft einig — ist aber auf absehbare Zeit nicht zu erwarten, zumal gar nicht sicher ist, ob es nicht mehrere Ansätze gibt.Die dringend notwendige Forschung muß daher selbstverständlich weitergehen. Nur dürfen wir uns nicht damit begnügen, sondern wir müssen auch nach anderen Wegen suchen. Es wird eingewendet, jede Art von Krebsbekämpfung, die sich nicht auf die eigentliche .Verursachung beziehe, bleibe letztlich ineffektiv und löse das Kernproblem bei Krebs nicht. Dem möchte ich entgegenhalten, ohne Sie mit den vielen Zahlen zu behelligen, die Sie dem Krebsbericht entnehmen können, daß bei 150 000 Todesfällen und 230 000 Neuerkrankungen an Krebs im Jahr in unserer Bundesrepublik Verbesserungenauch dann schon sehr bedeutend sind, wenn sie diese Zahlen auch nur zu einem kleinen Prozentsatz verringern. Tausenden könnte ein Krebstod erspart bleiben, wenn man sich jeden erreichbaren Fortschritt zunutze macht. Wir dürfen nicht vergessen, daß hinter der enormen gesundheitspolitischen Herausforderung mit ihren so erheblichen volkswirtschaftlichen Konsequenzen Menschen stehen, die — jeder für sich — Rettung und Hilfe erwarten und auch auf unsere Hilfe Anspruch haben.Der vorliegende Bericht schließt sich dem Bericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1976 an. Er geht jedoch über den reinen Forschungsaspekt hinaus und versucht ein umfassendes Bild der Krebsbekämpfung im Verantwortungsbereich der Bundesregierung zu geben, ohne daß er den Anspruch erheben könnte, schon ein nationaler Krebsbericht zu sein. Die einzelnen Kapitel enthalten die heutigen Antworten auf die Fragen der Großen Anfrage von 1976 und zeigen, daß im Forschungsbereich intensiv weitergearbeitet wurde, insgesamt jedoch von erheblichen Verbesserungen leider nicht gesprochen werden kann.Daher beginnt der Bericht mit den Konsequenzen, die die Bundesregierung aus der unverändert unbefriedigenden Lage der Krebsbekämpfung gezogen hat, gestützt auf die Forderung des Bundestages von 1976, eine institutionalisierte Kooperationsebene zu schaffen. Gemeint ist die Große Krebskonferenz, zu der ich zusammen mit den anderen an der Krebsbekämpfung beteiligten Ressorts — dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dem Bundesminister für Forschung und Technologie, dem Bundesminister des Innern und dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft — nach gemeinsamer, intensiver Vorbereitung, in die auch der Bundesminister der Finanzen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft einbezogen waren, im September 1976 eingeladen habe. Zur Teilnahme aufgefordert wurden alle, die einen Beitrag zur Krebsbekämpfung leisten können, also nicht nur Wissenschaft, Bund und Länder, sondern auch die Ärzte, die Krankenhäuser, Sozialversicherungsträger sowie Selbsthilfegruppen, nicht zu vergessen auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages.Erfreulicherweise haben, wie erwartet, nicht nur alle meiner Einladung Folge geleistet, sondern es konnte auch eine allseitige Bereitschaft festgestellt werden, an dem von der Bundesregierung zunächst als Diskussionspapier vorgelegten Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung mitzuwirken, seine Vervollständigung und Umsetzung zu erarbeiten bzw. in Angriff zu nehmen und im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten mitzutragen. Diese konstituierende Sitzung war ein Test dafür, daß es gelingen kann, ein solches Gesamtprogramm unter Federführung des Bundes zu verwirklichen, was einige Kritiker bezweifelt hatten.Ziel des Gesamtprogramms, dessen einzelne Schwerpunkte ich hier natürlich nicht vollständig erläutern kann, ist eine deutliche Verbesserung der Situation durch Zusammenführung des vorhandenen Wissens und volle Ausschöpfung der gegebenen und erweiterungsfähigen Möglichkeiten für Vorsor-
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Bundesminister Frau Huberge, Therapie und Nachsorge zum Nutzen des einzelnen Patienten. Das setzt voraus, daß es gelingt, eine intensive und dauerhafte Beteiligung aller, die einen Beitrag leisten können, zu erreichen, nicht zuletzt auch die Beteiligung der Bürger selbst. Ich möchte Sie an dieser Stelle als federführender Minister, aber auch aus persönlichem Engagement dringend bitten, alle Gründe, die vielleicht in Meinungsverschiedenheiten, in politischen Differenzen bestehen können, zurückzustellen, um alles zu tun, damit ein optimales Programm entsteht, das realisierbar ist und auch realisiert wird.
Der Bericht geht in der Folge zunächst auf die Bereiche Krebsepidemiologie, Vorsorge, Versorgung und Krebsforschung ein. Ich möchte hier nicht einzelne Fakten besprechen, sondern mich darauf beschränken, auf die Konsequenzen, insbesondere für unser Gesamtprogramm, aufmerksam zu machen, die sich aus den vorgelegten Tatsachen ergeben.Hier handelt es sich sowohl um eine Stärkung der Epidemiologie als auch um eine weitgreifende Verbesserung im eigentlichen Vorsorgebereich, d. h. um Bekämpfung der schädigenden Umwelteinflüsse, einschließlich der Arbeitsplatzverhältnisse, aber auch des ungesunden Lebensstils der einzelnen Bürger. Früherkennungsprogramme sind auszuweiten; ihre Akzeptanz ist durch verschiedene Methoden zu erhöhen.In der onkologischen Versorgung müssen die bestehenden großen regionalen Unterschiede durch eine intensivere Zusammenarbeit der vorhandenen und neu zu schaffenden onkologischen Zentren ausgeglichen werden. Ziel muß es sein, allen Krebskranken, gleich wo sie wohnen, eine zwar abgestufte und spezialisierte, aber dennoch optimale Versorgung anzubieten, so daß das Schicksal der Patienten weniger als bisher davon abhängt, wo sie gerade wohnen.Im Rahmen der Nachsorge wird es künftig noch stärker darauf ankommen, die einzelnen Bereiche wie medizinische Nachsorge, berufliche Rehabilitation, psycho-soziale Betreuung und wirtschaftliche Absicherung gut zu koordinieren und zu standardisieren.Was den Forschungsbereich betrifft, meine Damen und Herren, so hat die zwischenzeitlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft vorgelegte Situationsbeschreibung der Krebsforschung in der Bundesrepublik Deutschland gezeigt, daß es hier noch sehr intensiver Arbeit bedarf. Sicher ist, daß weder genug Wissenschaftler noch genug finanzielle Ressourcen vorhanden sind, um eine flächendekkende Bearbeitung des gesamten Krebsforschungsbereichs zu ermöglichen. Es kommt vielmehr darauf an, in Zukunft Ansätze verstärkt dort zu fördern, wo bereits existierende Vorarbeiten und Voraussetzungen besondere Erfolge, die sich auch international messen lassen, in Aussicht stellen. Hierfür ist auch eine Weiterführung und Ausgestaltung der internationalen Zusammenarbeit sowohl hinsichtlich der Forschungsergebnisse als auch des Wissenschaftleraustauschs nötig.Die folgenden Kapitel des Berichts befassen sich mit unkonventionellen Methoden der Krebsbekämpfung, den zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln, den Bereichen Information und Dokumentation sowie Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung.Besonders schwierig ist der Bereich der unkonventionellen Krebsbekämpfung. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat sich in den zurückliegenden Jahren in Absprache mit den anderen Ressorts darum bemüht, alle eingehenden Anträge sorgfältig zu prüfen, in der Meinung, daß es die derzeitige Situation erfordert, jedem auch nur einigermaßen Erfolg versprechenden Hinweis nachzugehen. Als besonders problematisch erweist sich hierbei auch bei den Anträgen, die nicht von vornherein als unqualifiziert eingestuft werden mußten, daß zum einen eine wissenschaftliche Überprüfung der Vorstellungen und Vorschläge nach Kriterien, die auch für die Schulmedizin gelten, erfolgen sollte, während die Einsender eine Behandlung nach den Maßstäben der Schulmedizin als unzureichend oder unangemessen ansahen. Hier einen Weg zu finden, der den Anträgen gerecht wird, wissenschaftlich vertretbar ist und gleichzeitig eingefahrene Geleise verläßt, dürfte auch in Zukunft schwierig sein.Dennoch wird sich die Bundesregierung weiterhin ernsthaft bemühen, den Vorstellungen, die sich am Rande oder außerhalb der Schulmedizin bewegen, Raum zu geben, wenn qualifizierte Anträge vorgelegt werden. Unkonventionelle Wege müssen nicht unrichtige Wege sein, auch wenn bislang die konventionellen Einrichtungen zur Wissenschaftsförderung in der Bundesrepublik hier nicht weiterhelfen konnten.Die finanziellen Mittel, die jährlich für die Krebsforschung seitens des Bundes ausgegeben werden, haben eine beträchtliche Höhe erreicht. Sie werden ergänzt durch entsprechende Zuwendungen der Länder, der Deutschen Krebshilfe und der Stiftung Volkswagenwerk. Wir müssen uns weiterhin bemühen, auch bei knapper werdenden Mitteln für die gesamte Krebsforschung die notwendige finanzielle Basis zu sichern. Dies dient keineswegs allein der Erhaltung oder Verbesserung des Standards der deutschen Krebsforschung im internationalen Vergleich, sondern kommt letztlich im Versorgungsbereich jedem einzelnen Patienten zugute.Ähnliches gilt für das Gebiet der Information und Dokumentation. Es ist sicher, daß das bestehende Informations- und Dokumentationsnetz bereits gut ausgebaut ist. Sicher ist aber auch, daß ihre Effektivität letztlich davon abhängt, wie intensiv und konsequent sie genutzt werden.Im Bereich der onkologischen Ausbildung, Weiterbildung, Fortbildung bestehen zwar keine schwerwiegenden Mängel, jedoch wird es gerade hier darauf ankommen, das vorhandene und sich rasch erneuernde Wissen möglichst umgehend und vollständig an alle die heranzutragen, die beruflich im Rahmen von Krebsdiagnostik, -therapie oder- nachsorge eingebunden sind. Daneben könnte für
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Bundesminister Frau Hubereinige Bereiche eine spezielle onkologische Aus-oder Weiterbildung zu erwägen sein.Als besonderes Problem erweist sich eine Verknüpfung von Ausbildung und Forschung. Hier wird die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern im Rahmen der bestehenden Kommissionen um Lösungen bemüht sein müssen, die sich auf lange Sicht als praktikabel erweisen.Der vorliegende Bericht der Bundesregierung kann nur dann seinen Sinn erfüllen, wenn Konsequenzen aus den dargelegten Fakten gezogen werden. Daher ist die Durchführung des Gesamtprogramms zur Krebsbekämpfung entscheidend. Im Anschluß an die große Krebskonferenz haben sich entsprechend den Schwerpunkten des unter meiner Federführung stehenden Programms die Fachbereichskommission „Prävention" unter Leitung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit und die Fachbereichskommission „Versorgung" unter Leitung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung gebildet. Die Aufgabenschwerpunkte im Bereich Prävention — Krebsvorsorge, Gesundheitsschutz und Krebspidemiologie — haben eine Aufteilung der anstehenden Arbeiten an die Arbeitskreise „Epidemiologie" und „Umwelteinflüsse" — letzterer unter Leitung des Innenministers — als notwendig erscheinen lassen.Zum Stichwort Vorsorge mache ich ein paar Bemerkungen zum Chemikaliengesetz, das am Ende der 8. Wahlperiode verabschiedet worden ist. Unter den Chemikalien, die uns heute begegnen, sei es am Arbeitsplatz, im Haus oder in der Freizeit, gibt es solche, die Krebs erzeugen können. Andere stehen in dem Verdacht, Krebs bilden zu können, und über wieder andere wissen wir noch nichts in dieser Hinsicht. Es ist daher wichtig, dieses Gesetz bald umzusetzen, das nicht nur die Prüfung von Stoffen vorschreibt, sondern auch ihre Gefährlichkeit gegebenenfalls unmißverständlich bekanntzumachen, Sicherheitsmaßnahmen vorzuschreiben, Verkehrseinschränkungen zu verordnen oder Verbote auszusprechen erlaubt. Auch dies ist ein wichtiges Instrument zur Krebsbekämpfung.Baldige Ergebnisse erwarten wir von der Gruppe Epidemiologie der Fachbereichskommission Prävention. Denn dieser Arbeitskreis befaßt sich mit der dringenden Frage der Krebserkrankungsregister. Sie wissen, daß der Deutsche Bundestag in Kenntnis dieser Probleme bei der Verabschiedung des Chemikaliengesetzes in seiner Entschließung die Bundesregierung aufgefordert hat, zusammen mit den Ländern die Errichtung von weiteren Krebsregistern zu intensivieren. Dem entspricht auch eine Aussage des Herrn Bundeskanzlers in der Regierungserklärung vom November letzten Jahres.Krebsregister können unterschiedlichen Zwecken dienen. Sie geben je nach Aufbau und Ausrichtung wichtige Auskünfte über den Verlauf der Erkrankung beim einzelnen Patienten. Sie sind unentbehrlich zur Therapiekontrolle und insbesondere in der Nachsorge. Sie können für bestimmte Forschungen eingesetzt werden.Von ganz besonderer Bedeutung aber sind die epidemiologisch orientierten Register, um die es für die anstehende Aufgabenstellung in erster Linie geht. Diese Register müssen, wenn sie die Daten in genügendem Umfang enthalten, nicht nur Aussagen machen über das zahlenmäßige Vorkommen von Krebserkrankungen bzw. ihre einzelnen Lokalisationen und über die Neuerkrankungsrate pro Jahr, sondern sie sollen Grundlagen für die Ursachenforschung liefern. Wir wissen, daß von vielen Seiten die Forderung nach solchen Krebsregistern an uns gestellt wird. Wir sind mit den Fachleuten einig, daß die Todesursachenstatistik keinesfalls ausreichend ist, daß es aber auch nicht sinnvoll sein kann, für die verschiedenen Noxen wie Luftverunreinigung, Chemikalien, Strahleneinwirkungen, Medikamente — um nur einige zu nennen — Register unterschiedlicher Zielrichtung auf- bzw. auszubauen. Das verbietet sich schon im Hinblick darauf, daß angenommen werden muß, daß sich die einzelnen schädigenden Einflüsse addieren oder gar in der Zusammenwirkung verstärken. Anzustreben ist also ein einheitlicher Registertyp, wobei geklärt werden muß, ob es besser ist, ein zentrales, die ganze Bundesrepublik erfassendes Flächenregister einzurichten oder repräsentative, regional verteilte Register auf- oder auszubauen.Trotz gewisser Nachteile wird von den Mitgliedern des Arbeitskreises Epidemiologie die zweite Alternative bevorzugt. So ist die Passage auf Seite 6 des Berichts, in der von fachlichen Erwägungen hinsichtlich eines zentralen Registers die Rede ist, als überholt zu betrachten. Anzustreben ist die Errichtung bzw. der Ausbau mehrerer repräsentativer dezentraler Register, die den Umfang von jeweils 4 Millionen bis 6 Millionen Einwohnern nicht überschreiten sollten. Diese Register müssen gleichartig sein im Aufbau, und die Daten müssen zusammenführbar sein. Gleichzeitig sollten sie ausbaufähig sein, so daß wir durch schrittweise Entwicklung dann doch eines Tages ein flächendeckendes System erreichen können, wobei natürlich die finanziellen Möglichkeiten eine große Rolle spielen.Als problematisch erweist sich der Datenschutz bzw. die ärztliche Schweigepflicht, die einer Meldung des Krebspatienten an ein Register entgegensteht. Ich habe Verständnis für den Widerstand von Ärzten gegen eine Verpflichtung zur Meldung ihrer Patienten. Eine entsprechende bundesgesetzliche Regelung wird auch nicht angestrebt, zumal bekannt ist, daß andernorts, wo es solche Regelungen gibt — wie z. B. in Österreich —, die erwarteten Ergebnisse bisher nicht eingetreten sind. Jede Lösung dieses Problems, die nicht allein auf der Einwilligung des Patienten beruht, muß den Datenschutz ernst nehmen und eine anonymisierte Datenweiterleitung gewährleisten.
Dennoch müssen möglicherweise gesetzliche Vorschriften geschaffen werden, die Meldungen ermöglichen und den Ärzten die Mitarbeit erleichtern, z. B. analog zu der im Saarland geltenden Regelung einer Meldebefugnis. In jedem Fall ist es wichtig, daß Lö-
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Bundesminister Frau Hubersungen gefunden werden, die eine für die gesamte Bundesrepublik einheitliche Datenerhebung garantieren und vergleichbare Ergebnisse liefern.Ich möchte allerdings vor einer Registereuphorie warnen. Es ist nicht damit getan, Register aus dem Boden zu stampfen und schnell gesetzliche Regelungen zu schaffen, die dann auf Widerstände stoßen, sondern dies muß sich auch durchsetzen lassen und der Sache angemessen sein. Register schaffen jedoch die bisher fehlende Voraussetzung für eine Krebsursachenforschung. Sie liefern natürlich noch nicht allein durch ihre Einrichtung die Ursachen und beseitigen sie selbstverständlich auch nicht. Wenn Register auch jetzt nötig sind, so muß doch bedacht werden, daß von ihnen keine kurzfristigen Aussagen erwartet werden dürfen, die sich unmittelbar umsetzen lassen. Das liegt zum einen daran, daß Krebskrankheiten eine lange Vorschädigungszeit haben, zum anderen aber auch daran, daß sich gegenseitig verstärkende Wirkungen eintreten.Neben dem Arbeitskreis Epidemiologie hat die Fachbereichskommission „Prävention" die Arbeitskreise „Umwelteinflüsse" und „gesundheitliche Aufklärung" eingerichtet, zu deren Aufgaben die Bestimmung des Ausmaßes der Schädlichkeit bestimmter Umwelteinflüsse und die Umsetzung von Erkenntnissen über kanzerogen wirkende Umwelteinflüsse in wirksame Maßnahmen gehören, ebenso die Definition noch zu wenig erforschter Gebiete im Bereich krebsauslösender Umweltfaktoren oder die Weiterentwicklung und Intensivierung der Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung als Hilfe zur individuellen Krebsvorsorge. Schließlich geht es auch um Überprüfung, Fortentwicklung und Bündelung von Maßnahmen gesundheitlicher Aufklärung zur Verbesserung der Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen oder zur Ausdehnung der gesundheitlichen Aufklärung im Bereich der psychosozialen Nachsorge.Beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist als Folgeaufgabe der Großen Krebskonferenz die Fachkommission „Versorgung von Krebspatienten" eingerichtet worden. Ihre Aufgabe ist es, Wege aufzuzeigen, wie das heute vorhandene Wissen in der Krebsdiagnostik in der Therapie, Nachsorge und Rehabilitation möglichst allen Krebspatienten zugute kommen kann. Ein weiteres Ziel ist die Minderung der Krebsgefährdung am Arbeitsplatz.Alle auf diesem Gebiet Verantwortlichen, die Kranken-, die Rentenversicherungsträger, wissenschaftliche Fachgesellschaften, Arzteorganisationen, Bund, Länder, Gemeinden, Gewerkschaften, Arbeitgeber, arbeiten bei den vier Aufgabenschwerpunkten mit: Früherkennung und Diagnostik, Krebsgefährdung am Arbeitsplatz, Verbesserung der Krebsbehandlung, Nachsorge und Rehabilitation.Es ist in mehreren Sitzungen von den Fachgruppen ein Programm erstellt worden, in dem die einzelnen Ziele genauer umrissen werden und die kurz- und mittelfristigen Maßnahmen aufgeführt sind. Ein besonders wichtiger Punkt ist die Errichtungvon Tumorzentren und onkologischen Schwerpunktkrankenhäusern. Hier hat die Deutsche Krebshilfe praktische Vorabeit geleistet. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren hat bedeutende Konzeptionsarbeiten vorgelegt. Es wird nun darum gehen, die erforderlichen institutionellen und personellen Voraussetzungen für eine bessere Versorgung der Krebspatienten zu schaffen. Aber auch bei den anderen Schwerpunkten zeigt sich eine Fülle von Aufgaben. Hier ist in den nächsten Monaten und Jahren noch viel Arbeit zu leisten, etwa zur Verbesserung der Methoden der Früherkennung, zur weiteren Erforschung krebserzeugender Arbeitsstoffe, zur Standardisierung medizinischer Nachsorge, der Rehabilitationsmaßnahmen usw.Alle Beteiligten sind sich darüber im klaren, daß nicht alle Ziele gleichzeitig zu verwirklichen sind. Es wäre aber bereits viel erreicht, wenn es gelänge, den Standard der onkologischen Versorgung durch die Beseitigung unnötiger Schwachstellen und durch den Ausbau bestehender Behandlungseinrichtungen zu verbessern. Mit dem von der Fachbereichs-kommission „Versorgung von Krebspatienten" erarbeiteten Programm ist schon ein wichtiger Schritt getan. Unter Leitung des Bundesministers für Forschung und Technologie wird sich in nächster Zeit auch eine Fachbereichskommission „Forschung und Ausbildung" konstituieren, die unter anderem die relevanten Anforderungen, die sich aus der programmatischen Arbeit der laufenden Untergruppen „Prävention" und „Versorgung" ergeben, zu diskutieren und umzusetzen haben werden.Meine Damen und Herren, Krebs ist ein vielschichtiges und brennendes Problem, besonders deshalb, weil kaum eine andere Krankheit soviel Angst zu verbreiten vermag. Der Krebsbericht dokumentiert die Aufmerksamkeit, die wir auf dieses Gebiet der Gesundheitspolitik legen. Ich hoffe, daß uns der eingeschlagene Weg einige Schritte voranbringen wird. Aber wir wissen alle, daß dies hier heute keinesfalls die letzte Debatte sein wird, in der wir uns mit dem Krebs beschäftigen.Die gesundheitspolitische Situation unserer Industriegeselischaft erfordert natürlich — ohne die Bedeutung des Krebsproblems zu schmälern —, daß wir unsere Augen auch vor den übrigen Leiden nicht verschließen und uns mehr als bisher der so wichtigen Frage zuwenden, ob wir nicht insgesamt mehr zur Verhütung von Krankheiten tun könnten.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Minister Huber hat mit sehr eindrucksvollen Zahlen die Krebsproblematik aufgezeigt und uns wieder einmal klargemacht, wie wenig Möglichkeiten wir augenblicklich noch haben, Heilungen Krebskranker durchzuführen. Sie hat damit auch gezeigt, wie schwer die Schicksale der Krebskranken zu bewerten sind.
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Frau Dr. NeumeisterSie hat dazu aufgerufen, daß die Parteien miteinander an dieses Problem herangehen sollten. Ich glaube, ich kann mit voller Überzeugung sagen: Die CDU/CSU-Fraktion ist durchaus bereit, hier ernsthaft mitzuarbeiten. Gerade in der Gesundheitspolitik sollten wir erkennen, daß die Grenzen zwischen den einzelnen politischen Parteien — mit ihren sicherlich unterschiedlichen Ansätzen zur Bewältigung von Problemen — abgebaut werden sollten. Nur gemeinsam können wir an diese Problematik herangehen. Ich glaube, wir haben das einigermaßen eindrucksvoll in der vergangenen Legislaturperiode bei den ersten Ansätzen zur Bekämpfung der rheumatischen Erkrankungen bewiesen.
Diese Bereitschaft zur gemeinsamen Arbeit enthebt uns natürlich nicht der Verpflichtung, dort Kritik zu üben, wo wir meinen, daß Schwachstellen vorhanden sind, wo wir Lücken entdecken — Lücken in der gesamten Krebsbekämpfung, auf die uns auch die Experten aufmerksam gemacht haben.Meine Damen und Herren, vor genau einem Jahr wurde von der Bundesregierung mit einem Jahr Verspätung der im Juli 1976 vom Parlament geforderte Krebs-Bericht vorgelegt. Angesichts der Fülle der Ermittlungen, Prüfungen statistischer Aussagen und Erarbeitungen von Zielprojekten war, im nachhinein betrachtet, der vorgesehene Zeitraum von zwei Jahren für die Erstellung dieses Berichtes sicherlich zu kurz bemessen. Die Begründung allerdings, daß das Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung erst mit der ersten großen Krebs-Konferenz im September 1979 Gestalt annehmen sollte, klingt nicht so sehr überzeugend..Diese große Krebs-Konferenz, die auch die Opposition durchaus als Chance begrüßt hatte, in Zusammenarbeit aller fachkundigen und betroffenen Institutionen und Organisationen eine gemeinsame Grundlinie in der Arbeit zu diskutieren, entpuppte sich eigentlich als eine schillernde Seifenblase. Es täte mit leid, wenn diese große Krebs-Konferenz als Test gewertet würde.Die Chance wurde vergeudet. Nur knapp vier Stunden Zeit standen ca. 200 Teilnehmern, die meinten, gehört zu werden, zur Verfügung. Zwei Stunden davon füllte die reine Selbstdarstellung der Ministerien und einiger ausgewählter Institutionen, die mit wohlvorbereiteten Statements die längst fällige öffentliche und offene Diskussion verhinderten.Auch das, was in der Folge dieser Konferenz geleistet wurde, läßt das Einfließen praktischer Erfahrung und ihre Auswertung zum Wohle der Kranken noch nicht erkennen. Die Aussagen von Frau Minister Huber allerdings lassen hoffen, daß mit dieser Auswertung und Auswirkung auf die Praxis in Zukunft gerechnet werden kann.Der zweite Grund für die Verspätung war die Bestandsaufnahme der Krebsforschung in der Bundesrepublik durch eine spezielle Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die erst am 20. Mai 1980 vorgelegt werden konnte. Das Ergebnis dieser Bestandsaufnahme war allerdings deprimierender als erwartet und dadurch nicht gerade zur alsbaldigen Vorlage eines Gesamtberichts motivierend.Nur in wenigen spezialisierten Teilbereichen wird der bundesdeutschen Krebsforschung eine Spitzenstellung oder eine mit anderen Ländern vergleichbare Stellung zugesprochen, z. B. im Bereich der krebsauslösenden Viren sowie der chemischen und physikalischen Kanzerogene, während der Bericht ansonsten ziemlich negativ ausfällt.Einigkeit besteht zwischen der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Bundesregierung erfreulicherweise darin, daß die Lösung des vielschichtigen Problems Krebs nur in Angriff genommen werden kann, wenn Voraussetzungen für eine intensive, nutzbringende Forschung geschaffen werden, und zwar durch Koordinierung der unterschiedlichen Forschungsbereiche, um mit den nicht unbegrenzt vorhandenen Ressourcen möglichst viel zu erreichen.Aufgabe der Senatskommission wäre es demnach in Zukunft, sich — aufbauend auf der Bestandsaufnahme — um die Koodinierung der Forschung zu bemühen — keine leichte Aufgabe, da bisher noch kein Konzept der Bundesregierung vorliegt und die Organisation der Forschung sowie des Mittelaufwandes mehr oder weniger von zufälligen Entscheidungen abhängen. So ist z. B. das im Krebsbericht auf Seite 23 erwähnte Internationale Institut für wissenschaftliche Zusammenarbeit, Schloß Reisensburg, mit der Vorbereitung der Förderung von multizentrischen prospektiven Therapiestudien beauftragt, obwohl in keiner Weise eine ausreichende Besetzung mit Fachkräften sichergestellt und die rechtliche Absicherung nicht immer gewährleistet ist. Diese Studien bedürfen immer einer gründlichen rechtlichen Prüfung.Als weiteres negatives Beispiel kann man die Arbeitsweise des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg anführen, das in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie fällt. Es ist in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit durch ein Übermaß an Organisation und eine als geradezu chaotisch zu bezeichnende Verwaltung gelähmt.Die Bundesregierung muß sich den Vorwurf gefallen lassen, die notwendige Koordination der vorhandenen Institutionen bisher versäumt zu haben und insbesondere eine optimale Abstimmung der wichtigsten Forschungsförderungseinrichtungen auf diesem Gebiet, z. B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und anderen, nicht sichergestellt zu haben. Die Folge davon ist, daß ein gezielter Einsatz der vorhandenen Finanzmittel nicht möglich und somit das Bemühen um eine nutzvolle Anwendung der Ergebnisse in keiner Weise gegeben ist.Gerade aber die Langfristigkeit der Krebsforschung erfordert einen verläßlichen Rahmen und eine gesicherte langfristige Finanzierung, die nicht nur vom zufälligen Engagement einzelner Persönlichkeiten und Spender abhängen darf. Eine solche Koordination braucht aber sicherlich keineswegs in
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981 439
Frau Dr. NeumeisterForschungsdirigismus auszuarten — darüber sind wir uns auch mit denjenigen einig, die an dem Bericht gearbeitet haben —, sie muß zum Ziel haben, unnötige Doppelforschung zu vermeiden, die jeweils dem neuesten Stand der Forschung entsprechenden wissenschaftlichen Prioritäten festzulegen oder neu zu definieren.Notwendig ist fernerhin, daß Forschungskreativität und Forschungspluralität nicht durch materielle Abhängigkeit institutionalisierter Forschungsförderung eingeengt werden. Selbstverständlich ist eine gewisse Kontrolle der Mittelverwendung notwendig, nur fragt sich, ob bei den heute üblichen Vergabe- und Förderungsbedingungen den Forscher nicht Resignation wegen der Undurchschaubarkeit der Entscheidungen, der endlosen Bearbeitungsdauer und des übergroßen Maßes an Verwaltungsaufwand befallen muß. Forschung bedarf individueller Selbständigkeit, die auf einem hohen Maß an Selbstverantwortlichkeit gründet.Die Deutsche Forschungsgemeinschaft betont, daß die Grundlagenforschung vermehrt gefördert werden müsse, wozu es zwar zusätzlicher Mittel, aber „prinzipiell keiner Programmierung" bedürfe. Unter dieser Voraussetzung müßte es auch möglich sein, sogenannten unkonventionellen Überlegungen, z. B. ob Krebs nun eine lokale oder eine Allgemeinerkrankung ist, die Chance zu geben, in die Forschung einbezogen zu werden; dann müßten auch „Außenseiter"-Therapien die Möglichkeit haben, an der Forschungstätigkeit beteiligt zu werden.Ich bin Frau Minister Huber sehr dankbar, daß sie in ihrer Rede auch gerade auf diese Problematik und auf die Notwendigkeit, die unkonventionellen Methoden ernst zu nehmen, hingewiesen hat. Ich glaube, wir sollten uns alle ihr Wort merken, daß unkonventionelle Wege nicht falsche Wege sein müssen. Nur: Es erhebt sich Skepsis, wenn man im Bericht der Bundesregierung liest, daß für diese Fälle eine sogenannte Clearingstelle im Deutschen Krebsforschungszentrum eingerichtet wurde. Meine Damen und Herren, welcher Forschungsantrag, der nicht schulmedizinkonform ist, soll aber diese Clearingstelle wohl je überwinden?Eine multikausale Betrachtungsweise der Krebserkrankungen, die einfach notwendig ist, müßte automatisch Auswirkungen auf die Grundlagenforschung haben, ebenso in der klinischen Forschung neue Akzente setzen und vor allem die Koordinierung beider Forschungsbereiche in den Vordergrund des Bemühens stellen. Aus diesem Grunde ist z. B. der Vorschlag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, onkologische Arbeitseinheiten einzurichten, in denen Forscher aus naturwissenschaftlichen und theoretisch-medizinischen Disziplinen mit Klinikern unter einem Dach in gleichberechtigter Weise zusammenwirken, ernsthaft zu prüfen. Durch diese Einheiten würde auch die notwendige Einbindung des Hausarztes, der ja erste und letzte Anlaufstelle des Krebskranken ist, in das Gesamtprogramm erfolgen.Dieser Vorschlag bleibt jedoch so lange unrealistisch, wie es bei uns an wissenschaftlichen Ausbildungsstätten sowohl auf einigen Gebieten derGrundlagenforschung als auch der patientenbezogenen Forschung mangelt. Hier bedürfte es vor allem besserer Voraussetzungen, um junge Forscherpersönlichkeiten für die .Forschung sowohl im Inland wie im Ausland freizustellen. Unsere derzeitige Gesetzgebung und Rechtsprechung sowie die Regelung der Tarifverträge über die maximale Dauer von Zeitarbeitsverträgen mit Wissenschaftlern erweisen sich hier als echte Hindernisse.Als Hilfswissenschaft für die Grundlagenforschung, aber auch für die angewandte Forschung und die Krebsbekämpfung bezeichnet die Bundesregierung in ihrem Bericht die Krebsepidemiologie. Dies muß allerdings eine ganz neue Erkenntnis sein, denn die Bestandsaufnahme der DFG ergibt — so wörtlich —:Die Epidemiologie als Forschungszweig ist in der Bundesrepublik unterentwickelt. Sie bedarf in hohem Maße der Förderung.Gerade im Hinblick auf Vorbeugung und Früherkennung von Krebserkrankungen bedarf es aber der Ermittlung von Risikofaktoren der Umwelt. Allein die Epidemiologie ist in der Lage, die für Basisinformationen wichtigen Morbiditätsstatistiken zu liefern, die in der Bundesrepublik in zufriedenstellender Form einfach nocht nicht vorhanden sind.Die einzige Möglichkeit zur Ermittlung der Krankheitshäufigkeit bieten regionale Krebsregister. Ich bin sehr dankbar, daß Frau Minister Huber darauf hingewiesen hat und von dem großen nationalen Krebsregister abgewichen ist. Zur Zeit haben wir nur in Hamburg und Saarbrücken solche regionalen Krebsregister; sie erfassen nicht einmal 5% der Bevölkerung. Die CDU/CSU-Fraktion forderte bereits 1976 ein weiteres Flächenregister, um so die notwendige Erfassungsquote von mindestens 10 bis 15% zu erreichen. Bisher geschah noch nichts, vermutlich infolge der hemmenden Wirkung des Bundesdatenschutzgesetzes. Man hat zunächst juristische Überbrückungsmaßnahmen treffen müssen, um überhaupt die vorhandenen Register nicht schon schließen zu müssen.Auch die Forderung eines Krebsregisters im Chemikaliengesetz war aus Gründen des Datenschutzes und des Arztgeheimnisses nicht durchzusetzen, ganz davon abgesehen, daß es in ein nur einen Teilbereich der Krebsproblematik betreffendes Gesetz nicht hineingehörte. So wird es natürlich auch der Forderung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung nach Erstellung eines Krebskatasters, wie er sagte, ergehen, wenn nicht gesetzliche Maßnahmen — z. B. in Form eines Gesundheitsstatistikgesetzes - hier Klarheit schaffen.So sind prospektive epidemiologische Studien unter den jetzigen Bedingungen nach wie vor ausgeschlossen. Der Absatz über spezielle Aspekte der Krebsepidemiologie im Krebsbericht ist dadurch fast total hinfällig. Einen wirksamen Schutz der Arbeitnehmer z. B. vor toxischen Schädigungen am Arbeitsplatz kann man ohne personenbezogene Daten und prospektive Längsschnittbetrachtungen jedoch gar nicht betreiben.
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440 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Frau Dr. NeumeisterHier müßte zunächst einmal von der Regierung untersucht werden, was wichtiger ist: der Schutz der Gesundheit oder der Schutz der persönlichen Daten. Das ist eine Frage, die sicher sehr ernsthaft abgewogen, aber dann auch eindeutig entschieden werden muß. Wir werden auch Einigkeit in dieser Hinsicht erreichen. Ich will hier jetzt nicht etwa die persönlichen Daten frei anbieten. Wir müssen in dieser Hinsicht aber Klarheit haben, damit wir mit unserer Forschung nicht hoffnungslos beim Datenschutz steckenbleiben.Vor allen Dingen ist es wichtig, daß in solchen Berichten wie dem Krebsbericht nicht Forderungen aufgestellt werden, deren Durchsetzung infolge anderer Gesetze überhaupt nicht möglich ist. Sonst würde jede Aussage der Regierung einfach unglaubwürdig.
Epidemiologisch kann man wohl an nicht personenbezogenen Daten Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren und Krankheit aufdecken. Dabei handelt es sich dann aber nur um Korrelationen und nicht um Kausalzusammenhänge. Soll jedoch eine Person geschützt werden, was insbesondere bei der Arbeitsmedizin von Bedeutung ist, kann man dies nur tun, wenn die Person bzw. ihre persönlichen Daten bekannt sind, um sie laufend beobachten und von Zeit zu Zeit untersuchen zu können.Zum Beispiel wird im Arbeitssicherheitsgesetz verlangt, daß der Betriebsarzt seine Untersuchungsergebnisse erfaßt und auswertet. Auch dies ist zur Zeit bei dem bestehenden Datenschutzgesetz nicht zulässig. Ebenso lassen sich die Forderungen des Programms zur Förderung der Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit 1978 bis 1981 in vielen Punkten nicht verwirklichen. Zum Beispiel wird dort die Forschung und Entwicklung bei Krankheiten und Behinderungen von hoher gesundheitspolitischer Bedeutung gefordert. Jedoch kann man den Verlauf einer chronischen Krankheit ebenfalls nur an personenbezogenen Daten beobachten, da der Ablauf der biologischen Veränderungen sich bei einzelnen Menschen unterschiedlich darstellt. Außerdem muß auch der Anteil derjenigen Personen beobachtet werden, der die gesuchte Organerkrankung zunächst nicht aufweist. Da ist es eben sehr schwer, an die personenbezogenen Daten heranzukommen. Wirkliche Krebsvorsorge ist, wie sich leider immer mehr bestätigt, nur in beschränktem Umfang möglich. Wichtig sind in diesem Bereich die Lebensmittelüberwachung, die Prüfung von Arzneimitteln, der Umweltschutz, aber vor allen Dingen auch der Arbeitsschutz. Aber die Tatsache z. B., daß zur Zeit in der Bundesrepublik weniger als 1 % alle Karzinome von seiten der Gutachter als berufsbedingt anerkannt werden, zeigt mit aller Deutlichkeit die Notwendigkeit, die arbeitsbezogene Berufskrebsforschung durch epidemiologische Untersuchungen zu ergänzen. Bisher liegen immer noch weit mehr experimentelle Daten als epidemiologische oder Fallberichte vor.Dies ist zum Teil auf die sehr viel höheren Kosten und die längere Dauer von epidemiologischen Studien zurückzuführen. Hier sollte man sich jedochnicht durch Mehrkosten abhalten lassen, Notwendiges zu tun. Schließlich ist man j a im übrigen Gesundheitswesen bereit, 80 % des Finanzaufwandes für selbstbeeinflußbare Krankheiten aufzuwenden, so für sogenannte Wohlstandskrankheiten, die aus Überernährung, Bewegungsarmut, Maßlosigkeit des Konsums von Genuß- und Suchtmitteln, oft aber auch aus sozialen Verhältnissen und Konflikten entstehen. Ausgerechnet aber bei den restlichen 20 % der schicksalhaften Erkrankungen will man sparen. Albert Müller von der „Welt" stellte in diesem Zusammenhang einmal die meiner Ansicht nach sehr treffende Frage: „Soll das Unaufschiebbare unterlassen werden, weil das Vermeidbare zu teuer ist?"Doch auch eigenverantwortliches Handeln kann das Krebsrisiko erhöhen. Ein Beispiel dafür ist das Rauchen. Hier bedarf es einer Intensivierung der Gesundheitsaufklärung und der Gesundheitserziehung. Das Wissen über die Schädlichkeit des Rauchens ist zwar weitgehend vorhanden. Es fehlt nur noch an der Motivation, nach diesem Wissen auch tatsächlich zu handeln. Hier liegt noch eine große Aufgabe im Bereich der freien Initiative zur Gesundheitserziehung. Doch auch der Staat sollte sich nicht ganz aus seiner Verantwortung herausstehlen. Schließlich nahm er im Jahre 1979 10,7 Milliarden DM an Tabaksteuer ein. Dagegen betrugen seine Ausgaben für die Aufklärung über die möglichen Folgen des Rauchens noch nicht einmal 1 % dieser Summe.Auch die Bereitschaft, die von den Krankenversicherungen angebotenen Früherkennungsmaßnahmen besser zu nutzen, wäre durch eine bessere, positiv gestaltete Gesundheitsaufklärung sicherlich gesteigert worden. Das Bewußtsein der Verantwortung für die eigene Gesundheit muß so früh wie möglich geweckt und gefestigt werden und darf nicht durch übersteigerte Anreize zum Anspruchsdenken verkümmern. Menschen, denen zu viel Verantwortung abgenommen wird, verlieren leicht die Verantwortung gegenüber sich selbst und warten auf die Hilfe des Staates. Krebsvorsorge und Früherkennung aber brauchen aktive und verantwortungsbewußte Bürger. Früherkennung bleibt aber ohne Effekt, wenn sich nicht eine konsequente Behandlung und eine ausreichend lange und intensive Nachsorge als sogenannte tertiäre Prävention anschließt.In dieser Hinsicht muß man es als alarmierend bezeichnen, daß laut Aussage der Deutschen Forschungsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft und zu den USA ein großer Mangel an Radiotherapeuten herrscht, so daß eine angemessene Patientenversorgung nicht mehr gesichert ist. So wörtlich bei der DFG. Man spricht von 550 bis 600 fehlenden Strahlentherapeuten.Ebenso wird laut DFG die Rolle der psychischen Faktoren bei der Krebserkrankung in der Bundesrepublik unterschätzt. Dabei tritt — ähnlich wie beim Herzinfarkt — der psychosoziale Zusammenhang dieser zweiten großen modernen Volksseuche immer stärker in unser Gesichtsfeld. Damit wird laut Professor Schäfer, Heidelberg, deutlich, in welchem
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Frau Dr. NeumeisterUmfang Krankheit der Spiegel unserer gesellschaftlichen Verhältnisse ist.Diese Erkenntnis muß auch in den im Krebsbericht angesprochenen Rehabilitationsgesamtplan einfließen. Ein Schritt auf diesem Wege ist, daß die Bedeutung der Selbsthilfegruppen bei der Rehabilitation erkannt und eine Förderung entsprechender Modelle im Bericht angekündigt werden. Rehabilitation braucht, um erfolgreich zu sein, aktive Patienten, bedarf aber auch der Kooperation zwischen Klinik, Hausarzt und Selbsthilfegruppen.Lassen Sie mich zusammenfassen. Der Krebsbericht ist tatsächlich, wie die Bundesregierung selbst betont, eine nüchterne Darlegung der politisch bedeutsamen Entwicklungen im Bereich von Krebsforschung und Krebsbekämpfung. Das am Anfang des Berichts stehende Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung versucht unter Ausschöpfung der gegebenen Möglichkeiten, ein Konzept für eine bessere Vorsorge, Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie für eine effektivere Forschung zu erstellen, wobei die Betonung der Kooperation und Koordination aller Bereiche erfreulich auffällt.Es bleibt nur die Frage, ob die Bürokratie eines Ministeriums die ordnende Funktion zu übernehmen in der Lage ist, die notwendig ist, um eine klare Linie im bestehenden Kompetenzwirrwarr unter den mehr als ein halbes Dutzend beteiligten Bundesressorts herzustellen und um die vielfältigen Aktivitäten in der Praxis in unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen schrittweise zu einem Gesamtkonzept zusammenzuführen.Wir möchten aus diesem Grunde die Bundesregierung auffordern, den Antrag der CDU/CSU vom April 1979 — Bundestagsdrucksache 8/2733 — zur Errichtung eines Deutschen Rates zur Krebsbekämpfung noch einmal kritisch zu überdenken und sich dabei nicht der Erkenntnis zu verschließen, daß unser gemeinsames Anliegen, nämlich eine Intensivierung der Krebsbekämpfung durch ein Gremium, das nicht der Unbeweglichkeit von Bürokraten unterliegt, sondern von der wissenschaftlichen und persönlichen Autorität seiner Mitglieder getragen sein muß, dadurch besser verwirklicht werden kann. Entscheidend muß sein, daß die Eigeninitiative nicht durch bürokratische Hemmnisse entmutigt, sondern gestärkt und finanziell abgesichert wird und daß die gemeinsamen Anstrengungen aller vernünftig eingebunden werden.Ich hoffe, daß in den Ausschußberatungen ohne unnötige Konfrontation eine optimale Lösung gefunden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Rayer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Dr. Neumeister, zu Beginn meiner Ausführungen ein Punkt, den ich in Ihren Ausführungen vielleicht mißverstanden habe: Sie haben zu Anfang von den wenigen Heilungschancen gesprochen, die bei der Krankheit Krebs heute gegeben seien. Ich glaube, dies sollten wir so allein nicht stehenlassen, sondern deutlich hinzufügen, daß sich die Heilungschancen bei rechtzeitiger Inanspruchnahme von Früherkennung in den letzten Jahren wesentlich gesteigert haben. Wir müssen das deutlich machen, ganz einfach um sicherzustellen, daß sich die weitverbreitete Schwellenangst, die heute vorhanden ist,
nicht noch weiter ausbreitet, sondern statt dessen so etwas wie Hoffnung für diejenigen, die betroffen sind, aufkommt.
Der uns vorliegende Krebsbericht der Bundesregierung zeigt ehrlich, offen und deutlich ein Bild der Krebssituation in der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Nüchternheit seiner Bestandsaufnahme macht er klar: Diejenigen, die heute in unserem Staat die politische Verantwortung tragen, stehen vor den Ergebnissen einer lang andauernden zivilisatorischen und industriellen Entwicklung, die in einigen Bereichen zu unkontrolliert verläuft und teilweise auch zu gutgläubig und auch unwissend betrachtet worden ist, bei der die Möglichkeiten, die Entwicklungen, die sich vollzogen haben, zu untersuchen, zu kontrollieren, zu bewerten und auch zu korrigieren, nicht Schritt gehalten haben mit dem, was sich in der Wirklichkeit bereits vollzogen hatte. Die Zahlen des Krebsberichts — 60 bis 90 % der Krebserkrankungen sind verursacht durch Umwelt und Arbeitsplatz — können vielleicht in ihrer Konkretheit zu hoch gegriffen sein. Aber ich glaube, allein die Größenordnung macht das eben Gesagte deutlich.Die Feststellungen des Berichts selbst sind deprimierend. Es gibt 150 000 Krebstote im Jahr! Besonders erschüttert hat mich die Tatsache, die mir bis dahin einfach nicht bewußt war: Auch bei den 5- und 14jährigen, also bei Kindern, ist Krebs die zweithäufigste Todesursache, direkt nach den Unfällen. Dies macht die ganze Dimension des Problems deutlich. Außerdem wurde festgestellt, daß die Neuerkrankungen bei Krebs ständig weiter ansteigen.Die Probleme, vor die uns der Krebs heute stellt, sind deshalb nicht die Probleme einer Regierung, nicht die Probleme eines Parlaments und nicht die Probleme der Medizin oder der Forschung, sondern es sind die Probleme unserer gesamten Gesellschaft.
Unter diesem Gesichtspunkt sind die Probleme natürlich auch nur in konzentrierter Zusammenarbeit als derjenigen lösbar, die dazu etwas beitragen können, und zwar gemeinsam mit allen denen, die daran beteiligt sind.Für die Hilfe, die wir in der parlamentarischen Beratung und auch durch unsere Beschlußfassungen zu leisten haben, muß gelten, daß die Arbeit, die wir erbringen, darin besteht, die notwendigen Voraussetzungen für die bestmögliche Erforschung der Krebsursachen, für die bestmögliche Erforschung von Behandlungsmethoden und für die bestmögli-
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Rayerche Erforschung von Gefährdungspotentialen zu schaffen, damit wir unser Wissen über den Krebs durch die Arbeit der Forschung vermehren. Wir müssen die notwendigen Voraussetzungen zur bestmöglichen Behandlung, Nachbehandlung und Betreuung schaffen, damit durch die Arbeit von medizinischem und Pflegepersonal sowie — das finde ich besonders wichtig — durch die Arbeit der Selbshilfegruppen und anderer die Krebskranken besser behandelt und betreut werden können.Unsere Arbeit muß auch darin bestehen, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, vermutete Gefahren schnellstmöglich abklären und erkannte Gefahren — auf das Beispiel Asbest werde ich gleich kommen — auf ein Minimum begrenzen zu können, damit möglichst viele vor einer Erkrankung an Krebs von vornherein bewahrt bleiben. Ich gehe davon aus, daß wir unsere Arbeit in den Ausschüssen gemeinsam, unvoreingenommen und auch in Offenheit für neue Gedanken und neue Überlegungen in den Einzelbereichen leisten werden.Die im Bericht der Bundesregierung dargestellten Maßnahmen erscheinen mir trotz der Kritik — darüber muß man diskutieren — insgesamt als Schritte in die richtige Richtung. Das gilt einerseits für die bisher bereitgestellten Mittel. Ich habe einmal versucht, sie zusammenzurechnen. Allein von 1976 bis 1978 wurden vom Bund und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über 400 Millionen DM aufgewendet. Das ist ein nicht unbeträchtlicher Mitteleinsatz. Es gilt aber auch für die Neueinstellung der Haushaltsposition „Maßnahmen zur Verbesserung der Krebsbehandlung" im neuen Entwurf, was ich für einen deutlichen Fingerzeig in die richtige Richtung halte. Es gilt auch für die Überlegungen zur Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten, die angesprochen wurden, ebenso für die Förderung und Verbesserung der Nachsorge und Betreuung. Es gilt weiter für den Ansatz — da sind wir vielleicht etwas unterschiedlicher Meinung — der großen Krebskonferenz und für die Arbeit der Fachkommission, bei denen wir fairerweise berücksichtigen sollten, daß sie auf einem schweren und so komplexen Gebiet der erste Versuch sind, in dieser Richtung etwas zu unternehmen. Ich glaube, im Hinblick darauf sind sie durchaus einer positiven Beurteilung wert.Ich will in dieser ersten Aussprache, auch wegen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht auf die Einzelbereiche und Spezialprobleme eingehen; das werden wir im Ausschuß mit mehr Gründlichkeit tun müssen. Ich möchte zwei, drei Gedanken, die nicht unbedingt neu sind, mit in die Diskussion einbringen, weil sie mir für die weitere Beratung wichtig erscheinen. Nach allem, was wir wissen, gibt es für die Krebsentstehung drei Ursachenbündel: 1. die persönliche Krebsanfälligkeit, von der biologischen Disposition bis hin zu persönlichen Lebensumständen,2. den Bereich der persönlichen Verhaltensweisen — das wurde am Beispiel des Rauchens dargestellt —,3. den Bereich der krebserzeugenden Stoffe in der Umwelt und am Arbeitsplatz. Frau Dr. Neumeister, dieser Bereich ist mir bei Ihnen etwas zu kurz gekommen.
Vielleicht können wir im Ausschuß Verständigung darüber erzielen, daß er zusätzlich verstärkt werden muß.
Die drei Ursachenbündel, die ich eben dargestellt habe, sind durch den einzelnen Menschen unterschiedlich stark zu beeinflussen. Für uns müßte in unserer Arbeit die Maxime gelten, daß der Staat, also auch wir als Gesetzgeber, in dem Bereich am meisten gefordert ist, wo die Chancen des einzelnen, sich der Krebsgefährdung zu entziehen, am geringsten sind. Dies wäre, glaube ich, eine sinnvolle Zielsetzung.Konkret heißt das: Wir müssen den Bereich der Vorsorge, den Schutz vor krebserzeugenden Stoffen verstärkt in Augenschein nehmen. Wir müssen ihm mehr Aufmerksamkeit widmen als in der Vergangenheit. Wir müssen bei bekannten und festgestellten Gefährdungen auch entscheidender eingreifen als in der Vergangenheit.Ich will dies am aktuellen Beispiel Asbest verdeutlichen. Die Gefahr durch Asbest ist bekannt und von niemandem mehr bestritten. Nur: Welche Konsequenzen wurden bisher daraus gezogen? Die möglichen Toleranzwerte sind diskutiert worden. Es wurden Verarbeitungs- und Bearbeitungshinweise entwickelt und Warnungen ausgesprochen. Es wurde auch über Ersatzstoffe diskutiert. Aber die Frage ist: Reicht es eigentlich, dies zu tun, wenn wir wissen, daß bereits geringste Mengen von Asbestfasern in kleinster Form krebserzeugend sein können?Der Krebsbericht der Bundesregierung sagt zu diesem Punkt — ich zitiere —:Da die Wirkung krebserregender Stoffe irreversibel ist und die erforderlichen Einwirkungszeiten bis zur Krebsentstehung von der einmaligen Exposition bis zur jahrzehntelangen Einwirkung reichen, ist die gesetzliche Festlegung tolerierbarer Dosen heute erst ungenügend möglich.Dies ist eine ehrliche Feststellung, fordert aber die Frage heraus: Können wir es uns erlauben, mit solchen „ungenügend tolerierbaren Dosen" in einem so gefährlichen Bereich zu arbeiten? Oder müssen wir nicht technische Auflagen fordern, die — von unvorhersehbaren Zwischenfällen abgesehen — im Interesse der betroffenen Menschen einen Nullwert garantieren?Können wir es uns erlauben, bei Produkten des täglichen Lebens, die ständig Asbestfasern freisetzen — wie beispielsweise Bremsbeläge —, lange Übergangszeiten für die Erforschung und/oder die Verwendung von unbedenklichen Ersatzprodukten zuzugestehen? Oder müssen wir nicht Druck ausüben, damit beispielsweise die Wirtschaft ihre Möglichkeiten zur Substitution voll und schnell ausschöpft?
Müssen wir nicht überlegen, ob wir nicht in den Fällen, da es die Wirtschaft allein nicht schaffen kann, zusätzlich Hilfe für Forschung und Umstellung bereitstellen müssen? Müssen wir nicht dar-
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Rayerüber nachdenken — vielleicht müssen wir es heute sogar schon fordern —, einen konkreten Zeitrahmen aufzustellen, innerhalb dessen die Gefahren, die vermutet werden, geprüft werden, und müssen wir nicht einen konkreten Zeitablaufplan mit Angabe der Fristen, innerhalb deren die Gefahren abgestellt werden, entwickeln? Müssen nicht, wenn dies alles nicht funktioniert, letztendlich nach dem Ablauf dieser Zeiträume auch Verbote ausgesprochen werden? Dies alles werden wir mit bedenken müssen, wenn wir weiter beraten.Um ein Mißverständnis zu vermeiden: Ich rede hier nicht einem Kahlschlag durch Rundumverbote das Wort, etwa nach dem Motto, man sollte sicherheitshalber erst einmal alles verbieten. Nur: Nach den Ergebnissen des Asbestberichts des Innenministers und der dort dargestellten Sachlage muß auch ein Verbot bestimmter Stoffe möglich sein, wenn kurzfristig andere Lösungen nicht realisierbar sind. Die Größenordnung von jährlich 5 000 Toten durch Asbest ist, glaube ich, eine eindeutige Aufforderung, hier schärfer als in der Vergangenheit heranzugehen.
Wer Diskussionen und Debatten zum Problem Krebs nachliest, wird feststellen, daß es vielfache Ansätze in der von mir genannten Richtung auf Vorsorge und Schutz vor Krebsgefahren gab und gibt. Ich finde, diese Ansätze haben es verdient, bei den anstehenden Beratungen noch konsequenter vorangetrieben zu werden. Das würde uns vielleicht die Chance geben, für die nachwachsende Generation das Risiko Krebs wesentlich zu mindern und ihr damit vieles zu ersparen, was dieser Generation wahrscheinlich nicht mehr zu ersparen ist. Gute Ansätze bis hin zum Umweltchemikaliengesetz sind ja vorhanden. Gerade deshalb lohnt es sich um so mehr, konsequent die Arbeit fortzusetzen.Ein weiterer Gedanke muß noch etwas stärker an uns selbst gerichtet sein. Wir alle formulieren heute morgen gemeinsam das Anliegen, Entscheidendes gegen Krebs zu unternehmen. Wie lange können wir eigentlich mit dieser Formulierung noch glaubhaft bleiben, wenn etwas, was leicht zu machen ist, nicht getan wird. Ich will das konkret sagen. Wir diskutieren über ein möglicherweise notwendiges Verbot von Asbest, von Kadmium und anderen Stoffen. Die Frage ist, ob die Diskussion darüber die nötigen Erfolge haben wird, wenn wir es nicht einmal schaffen, die Werbung für einen der größten Risikoträger und Risikofaktoren, nämlich das Rauchen, zu verbieten oder stark einzuschränken.
Dies ist für mich eine Frage auch an unsere Glaubwürdigkeit. Das gehört auch zu den Konsequenzen, die wir für unser Handeln aus unseren Überlegungen ziehen müssen.Eine abschließende Bewertung. Der Bericht der Bundesregierung zeigt, daß die Arbeiten in den wichtigen Bereichen in den letzten Jahren, in der letzten Zeit in Bewegung gekommen sind. Es gibt Fortschritte bei der Vorsorge und beim Schutz vorKrebsgefahren. Es gibt Ansätze für die Erforschung von Ursachen und Behandlungsmethoden. Es gibt Überlegungen und Anstrengungen zur Nachbehandlung und Betreuung. Dies soll und muß man anerkennen.Der Bericht zeigt aber auch: In Anbetracht der Größe des Problems stehen wir alle praktisch noch am Anfang. So können wir in den weiteren Beratungen wichtige Punkte setzen. Bei einem so komplexen Bereich wie Krebs, bei so schwer zu heilenden und zu behandelnden Krankheiten müssen wir die Arbeiten auf allen Bereichen, die damit zu tun haben, energisch vorantreiben. Der Gedanke der Vorsorge und der Vorbeugung, der Gedanke, Krebsgefahren zu verhindern, muß dabei nach meiner Auffassung ein zusätzliches Schwergewicht bekommen. Das ist letztendlich der einzig sichere Weg im Kampf gegen den Krebs.
Das Wort hat Frau AdamSchwaetzer. Bitte schön.
Das war eben auch eine erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich beglückwünsche Sie nachträglich. Bei Ihnen, Frau Abgeordnete ist es ebenso. Im voraus schon viel Erfolg.
— Deshalb hat das Präsidium im allgemeinen darauf verzichtet, noch darauf zurückzukommen, weil nicht genau Buch geführt wird.. Sie sind eine neue Abgeordnete, waren aber schon am Rednerpult. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte große Krebsdebatte ist in diesem Hause am 9. November 1979 geführt worden. Ich habe mir natürlich den Stenographischen Bericht dieser Sitzung angesehen. Diese Debatte wurde hauptsächlich über die Organisation von Forschung und Bekämpfung der Krebserkrankungen geführt. Frau Kollegin Neumeister, ich habe das Gefühl, mit Ihrem heutigen Beitrag wollten Sie diese Debatte fortsetzen. Ich meine allerdings, daß das nicht ausreicht. Krebsbekämpfung ist nicht nur ein Problem der Organisation von Forschung und Bekämpfung. Die vor uns liegende Bestandsaufnahme der Bundesregierung über die Situation in der Bundesrepublik Deutschland ist von allen meinen Vorrednern als eine nüchterne Bestandsaufnahme gewertet worden. Ich kann mich diesem Votum nur anschließen.Ich möchte versuchen, einige Faktoren aufzuzeigen, die möglicherweise Erfolge bei der Krebsbekämpfung verhindern und die außerhalb einer wie auch immer zulänglichen oder unzulänglichen Organisation von Forschung und Bekämpfung liegen.Der Krebsbericht der Bundesregierung macht ganz deutlich, daß unser Wissen über die Krebserkrankung in den letzten Jahren gewachsen ist. Er macht aber ebenfalls deutlich, daß gesichertes Wissen heute nur überwenige und ganz bestimmte Fragen vorhanden ist.
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Frau Dr. Adam-SchwaetzerIch möchte zunächst auf drei allgemeine Probleme hinweisen. Da ist zunächst das Problem der öffentlichen Diskussion über Krebs überhaupt. Diese Diskussion ist ja eigentlich erst richtig in den letzten fünf Jahren in Gang gekommen, als die Vorsitzende der Deutschen Krebshilfe diese Diskussion dankenswerterweise in die Öffentlichkeit brachte. Wie kontrovers und wie emotionsvoll diese Diskussion auch heute noch geführt wird, möchte ich an dem Beispiel des Rauchens darstellen. Auch meine Vorredner sind j a schon darauf eingegangen, daß Rauchen heute auch in der Öffentlichkeit sehr umstritten ist. Ich glaube, wir müssen davon ausgehen, daß ein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Bronchial- und Lungenkrebs und Rauchen besteht.Nun gibt es in dieser Diskussion auf der einen Seite die Eiferer, die sagen: Deshalb müssen wir das Rauchen verbieten. Es gibt auf der anderen Seite die, die diese Zusammenhänge leugnen, und zwar deshalb, weil wir keine sicheren Zusammenhänge beweisen können, sondern dieser Zusammenhang eben nur wahrscheinlich ist. Meine Damen und Herren, dies ist etwas, womit wir in der Forschung, in der medizinischen Forschung immer rechnen müssen; gesicherte Zusammenhänge gibt es nur sehr wenige. Wir müssen uns also darauf einstellen, unsere Konsequenzen für die Bekämpfung auch aus wahrscheinlichen Zusammenhängen zu ziehen.In dieser Diskussion, in der einerseits die Eiferer, auf der anderen Seite die sind, die Zusammenhänge leugnen, ist eigentlich nur der Schluß zulässig, daß auf beiden Seiten die Angst, möglicherweise betroffen zu sein, den Hintergrund bildet, vor dem die Personen diese Diskussion führen, die Angst, von einer Krankheit betroffen zu sein, die im Bewußtsein vieler Leute als unausweichlich oder mit unausweichlichen Konsequenzen behaftet angesehen wird. Meine Damen und Herren, gerade diesem Eindruck müssen wir, glaube ich, entgegenwirken. Auch die Krebsbekämpfung hat in der letzten Zeit Fortschritte gemacht. Es ist ganz unbestritten, daß die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen und die Früherkennung bei bestimmten Krebsarten zu besseren Heilungschancen führen. Hier liegt eine Aufgabe, die wir speziell bei der Früherkennung sicherlich noch diskutieren müssen.Ein zweiter allgemeiner Punkt, auf den ich hier hinweisen möchte, ist, daß der Krebs nicht nur eine Krankeit ist. Ich glaube, diese Tatsache ist etwas, was schnelle Erfolge ebenfalls weitgehend verhindert. Krebs wird nicht nur durch unterschiedliche Lokalisationen im Körper definiert, sondern Krebs wird natürlich auch über ganz unterschiedliche medizinische, physiologische Tatsachen definiert, die dafür sorgen, daß Krebs eben nicht nur eine Krankheit ist, sondern daß wir es hier mit sehr vielen, zum Teil ganz unterschiedlichen Krankheiten zu tun haben. Meine Damen und Herren, auch darauf müssen wir mit unserem Programm zur Krebsbekämpfung abstellen, wenn wir denn ein solches einsetzen.Ein dritter Punkt, auf den ich aufmerksam machen möchte, ist, daß Krebs eine chronische Erkrankung ist. Es reicht nicht, sich darüber zu unterhalten, was wir im präventiven Bereich in der Früherkennung, in der Akuttherapie oder in der Nachsorge isoliert tun können. Krebs ist eine Erkrangung, bei der diskutiert wird, ob nicht nur medizinische, sondern auch soziale und psychische Bezüge auslösend wirken können. Krebs wird dadurch bestimmt, daß eventuell ein Wiederauftreten der Krankheit mit in Kauf genommen werden muß. Krebs wird dadurch charakterisiert, daß die Behandlung für den Patienten in jedem Fall sehr eingreifend ist, ganz egal, ob es eine Operation ist, ganz egal, ob es eine Bestrahlungstherapie ist oder ob es eine Therapie mit zellteilungshemmenden Medikamenten ist. Es handelt sich für den Patienten in jedem Fall um eine sehr eingreifende Therapie, die bleibende Schäden setzt und ihn deshalb zu einem chronisch Kranken werden läßt. Darauf müssen wir abstellen, wenn wir uns über Maßnahmen unterhalten, die wir fördern.Ich lege Ihnen kurz die Prioritäten dar, die wir für die Krebsbekämpfung sehen. Das Langzeitziel — da stimme ich mit meinem Vorredner überein — muß ganz eindeutig sein, soweit es irgend möglich ist, zu verhüten, daß neue Krankheiten entstehen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß das nur begrenzt möglich sein wird, eben weil für die Krebsentstehung mit ziemlicher Sicherheit nicht nur ein einziges auslösendes Moment, sondern eine ganze Palette auslösender Faktoren vorhanden ist. Auch darauf ist hier schon eingegangen worden.Worum wir uns mit Sicherheit und sehr verstärkt bemühen. müssen — das ist ein Ziel, das kurzfristig nicht zu verwirklichen sein wird —, ist die Erkennung und Ausschaltung von krebserzeugenden oder krebsfördernden Faktoren. Diese Faktoren können in der Umwelt oder am Arbeitsplatz oder im Verhalten des Patienten oder auch in seiner persönlichen Situation liegen.Die Voraussetzung für die Erkennung und die Definition solcher krebserzeugenden oder krebsfördernden Faktoren ist in meinen Augen tatsächlich die Führung von Krebsregistern. Nur statistisch gesicherte Daten lassen überhaupt Rückschlüsse darauf zu, welche Ursachen für die Entstehung unter Umständen in Frage kommen. Nur solche statistisch gesicherten Daten können uns die Basis bieten, zu entscheiden, welche Maßnahmen ergriffen werden können.Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß dieses Ziel nicht kurzfristig zu erreichen ist. Denn die regionalen Krebsregister, die wir zur Zeit haben, können dies für die gesamte Bundesrepublik noch nicht leisten. Wir glauben deshalb, daß diese regionalen Krebsregister, wie es die Arbeitsgruppe Epidemiologie empfohlen hat, weitergeführt und ausgebaut werden sollten, so daß wir zu statistisch zuverlässigen Aussagen durch die Zusammenfassung der erhobenen Daten kommen können.Dies muß unter Wahrung des Datenschutzes geschehen. Wir dürfen uns die Entscheidung darüber nicht leicht machen. Aber ich möchte hier den Datenschutzbeauftragten zitieren, der immer wieder darauf hinweist: Datenschutz ist auch eine Frage der Fantasie. Wir wissen heute noch nicht, wie der
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Frau Dr. Adam-SchwaetzerDatenschutz tatsächlich gewahrt sein könnte. Wir müssen uns diese Entscheidung schwermachen. Aber ich glaube, wir müssen diese Entscheidung zugunsten der Krebsregister treffen.Eine kurzfristige Verbesserung der Situation sehen wir in einer besseren Nutzung der Früherkennung von Krebs. Ich wies schon darauf hin, daß es ganz unbestritten ist, daß bei bestimmten Krebsarten Früherkennungsmaßnahmen dazu führen, daß die Heilungschancen der Patienten erhöht sind. Wir müssen die Möglichkeiten, die hier liegen, besser nutzen.Für das Schicksal eines möglicherweise Betroffenen ist es ganz entscheidend, wer die Diagnose stellt. In den meisten Fällen ist es ein niedergelassener Arzt. Wir müßten dafür sorgen, daß diese Möglichkeiten verstärkt dadurch genutzt werden, daß Ärzte mehr in die Lage versetzt werden, diese Funktion wahrzunehmen.Ganz wichtig ist es in diesem Bereich, daß wir eine Aufklärung betreiben, die dem Patienten das Bewußtsein vermittelt, daß es für ihn nützlich ist, früh zum Arzt zu gehen. Ganz wichtig erscheint mir auch, daß wir mit diesen Maßnahmen nicht nur den Patienten verpflichten, zum Arzt zu gehen, sondern auch dafür sorgen, daß die Maßnahme zum Patienten, z. B. an den Arbeitsplatz, kommen kann.Für die Fortentwicklung von Früherkennungsmaßnahmen erscheint es uns allerdings unabdingbar, eine bessere Definition von Risikogruppen vorzunehmen. Auch dafür sind Krebsregister unverzichtbar.Als letztes spreche ich den Punkt an, der für den Patienten eigentlich am wichtigsten ist. Wir können uns nicht über Maßnahmen unterhalten, ohne auch darüber zu sprechen, welche Auswirkungen diese Maßnahmen für die Situation des Patienten haben. Was wir brauchen, ist ein Zusammenspiel von medizinischen, psychologischen und sozialen Maßnahmen sowohl bei der Therapie als auch bei der Rehabilitation. Dabei liegt für uns bei der Rehabilitation das Schwergewicht auf der ambulanten Versorgung bei dem Patienten zu Hause. Daß dadurch Krebsnachsorgekliniken nicht überflüssig werden, ist ganz klar. Ich wies schon darauf hin: Krebs ist nicht nur eine Erkrankung, und je nach der Art der Erkrankung sind eben auch unterschiedliche Maßnahmen in der Rehabilitation notwendig.Eine ganz entscheidende Bedeutung messen wir in diesem Bereich den Selbsthilfegruppen bei, die es zu fördern gilt, deren Arbeit auf gar keinen Fall behindert werden darf.In der Nachsorge brauchen wir einen Verbund von Heilberufen. Niedergelassene Ärzte allein sind nicht in der Lage, dies zu leisten, ein Verbund von Heilberufen muß in der Nachsorge wirken.Bei Beachtung dieser Grundsätze können wir, glaube ich, bei Nutzung der vorhandenen Organisationsstrukturen und deren Ausbau zu einer verbesserten Bekämpfung kommen, vor allen Dingen zu einer am Patienten orientierten Bekämpfung des Krebses. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Terborg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Krebs-Bericht geht auf die Große Anfrage betr. Krebsforschung aus dem Jahre 1975 zurück. Er widmet sich der Krebsbekämpfung. Die SPD-Fraktion begrüßt, daß er sich nicht nur mit der Forschung, sondern mit dem gesamten Spektrum der Krebsbekämpfung befaßt.Das wesentliche Element des Krebs-Berichts ist das Gesamtprogramm, auf dessen Grundlage gemeinsam mit den Bundesländern, den Sozialversicherungsträgern, den Ärzten und Krankenhäusern, der Deutschen Krebshilfe, den wissenschaftlichen Fachgesellschaften, den Institutionen der Forschungsförderung und allen anderen der Kampf gegen den Krebs verstärkt werden soll. Schwächen der Versorgung von Krebspatienten wurden in früheren Jahren vorschnell der Krebsforschung angelastet. Zunächst muß man doch fragen, ob denn das bereits vorhandene Wissen auch im wünschenwerten Umfang in der Praxis eingesetzt wird. Genau diesen Ansatz verfolgt das Gesamtprogramm.Aus den noch verbleibenden Lücken und Schwächen der Bekämpfung ergeben sich Anregungen, die von der angewandten Forschung aufgegriffen werden sollten. Hinzu kommt der weite Bereich der Grundlagenforschung, bei der vorher aber nicht abschätzbar ist, ob eine Forschungsrichtung später für die Krebsbekämpfung einen wesentlichen Beitrag leisten wird. Aus diesen Gründen geht es bei dem Problem der Koordinierung nicht nur um die Forschung. Wie Sie wissen, ist eine große Anzahl von Institutionen jeweils mit Teilaspekten von Krebsforschung und Krebsbekämpfung befaßt. Hier kann nach Ansicht der SPD-Fraktion eine umfassende Koordinierung nur dadurch herbeigeführt werden, daß alle einschlägigen Einrichtungen Beiträge zur Koordinierung leisten und diese miteinander verzahnt werden. Über den unzweckmäßigen Versuch, hier eine Verdopplung der Bürokratie zu schaffen, ist in diesem Hause bereits am 9. November 1979 diskutiert worden.Das Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung hat im Jahre 1980 bereits zu ersten Ergebnissen geführt. Die im Anschluß an die große Krebs-Konferenz am 27. September 1979 gebildete Fachkommission für Prävention und Versorgung hat vorläufige Prioritäten erarbeitet.Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat eine Bestandsaufnahme Krebsforschung vorgelegt und eine Fülle von Empfehlungen zu einzelnen Bereichen ausgesprochen. Insgesamt wird ein Bild gezeichnet, das neben Spitzenleistungen auch Mittelmäßigkeit und Lücken aufweist. Diese Bestandsaufnahme selbst wird sicher eine heilsame Wirkung in der Wissenschaft herbeiführen. Jetzt kommt es darauf an, zwischen den Beteiligten einvernehmlich festzulegen, wer die Initiative für weitere Abklärun-
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Frau Terborggen und die Verwirklichung jeder einzelnen Empfehlung aus dem Forschungsbereich ergreifen sollte.Meine Fraktion erwartet, daß diese Abstimmung in Kürze von der noch anstehenden Fachkommission Forschung geleistet wird. Ich möchte der Arbeit der Fachkommission nicht vorgreifen, aber doch anregen, daß wir uns über deren Rolle klar werden. Es kann nicht Aufgabe der Fachkommission sein, konkrete Förderungsmaßnahmen zu beschließen; wohl aber dürfte es die Fachkommission interessieren, welche Schlußfolgerungen die verschiedenen Einrichtungen für ihre Arbeit aus der Bestandsaufnahme gezogen haben. Vielleicht bedarf es hier zusätzlicher Abstimmungsmechanismen zwischen diesen Einrichtungen.Ich denke dabei besonders an das Deutsche Krebsforschungszentrum und seine Arbeitsteilung gegenüber der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft, was die Grundlagenforschung angeht. Ich möchte bei dieser Gelegenheit den Bundesminister für Forschung und Technologie nachdrücklich auffordern, die Forschungskapazität dieser großen Einrichtung weiter zu stärken, ihre Einbindung in die nationale und insbesondere die internationale Krebsforschung zu verbessern und der wissenschaftlichen Entwicklung durch Hinwendung zu grundlegenden Fragen Rechnung zu tragen.Die bisherigen Erfolge der Krebsbekämpfung haben, wie wir wissen. noch zu keinem durchbrechenden Erfolg geführt; aber immerhin sollte man hier anmerken, daß die Mittel seit 1976 fast verdoppelt worden sind. 1976 waren 55 Millionen DM und 1980 waren 95 Millionen DM eingesetzt. Zu begrüßen ist daher auch die Initiative des Deutschen Krebsforschungszentrum und des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, auch unkonventionelle Mittel und Wege ernsthaft zu prüfen und gegebenenfalls zu entwickeln. Ich habe den Eindruck, daß eine Reihe der bisherigen Forschungsempfehlungen unter die Forschungsprogramme der Bundesregierung zur Humanisierung des Arbeitslebens, Umwelt und Gesundheit fallen. Wir erwarten, daß innerhalb dieser Programme Projekte gefördert werden, die stärker als bisher die praktischen Bedürfnisse der Krebsbekämpfung berücksichtigen.Bei der Therapieforschung herrscht in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere bei den prospektiven Therapiestudien ein erheblicher Nachholbedarf. Hierbei werden seit 20 Jahren in den USA und Großbritannien Erfahrungen mit verschiedenen Therapiemöglichkeiten miteinander verglichen, damit künftigen Patienten die beste Therapie gegeben werden kann bzw. um zu verhindern, daß viele Patienten noch Jahrzehnte mit weniger wirksamen Methoden behandelt werden müssen. Der Bundesminister für Forschung und Technologie wird aufgefordert, diese Möglichkeit auch in Deutschland zu fördern und zu prüfen, welche rechtlichen Hindernisse einem solchen Vorgehen entgegenstehen und wie sie überwunden werden können.Wir begrüßen es, daß der Bundesminister 1980 im Programm Humanisierung des Arbeitslebens einen besonderen Schwerpunkt zur Gefährdung durch Asbest ausgeschrieben hat. Diese Förderung reicht von der Verbesserung der Meßtechnik bis zur Entwicklung von Ersatzstoffen und Ersatzlösungen. Wir fordern daher den Bundesminister auf, zu prüfen, ob auch für andere Schadstoffe am Arbeitsplatz analoge Schwerpunkte eingerichtet werden können. Bisher wurde der Verhütung von Krankheiten am Arbeitsplatz immer noch nicht die Bedeutung zugemessen, die ihr zukommen sollte. Gerade bei den Krebskrankheiten sollten wir alles tun, um die Entstehung zu verhindern. Das bedeutet auch, daß die Forschungsergebnisse unverzüglich in den praktischen Arbeitsschutz umgesetzt werden müssen.Der seit Jahren geforderte Ausbau und die Ergänzung der bestehenden Krebsregister müßte jetzt endlich zügig vorangetrieben werden — dies ist hier auch schon mehrfach angesprochen worden, und ich freue mich, daß alle drei Fraktionen hierin übereinstimmen —, nicht nur um bessere Daten für die Planung von Krankenhäusern zu erhalten, sondern auch um den Epidemiologen Ansatzpunkte für weitere Forschungen nach den Ursachen von Krebserkrankungen zu geben. Wir appellieren deshalb besonders eindringlich an die zuständigen Landesministerien und den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.Meine Damen und Herren, wir sollten uns alle darüber klar sein, daß eine Verbesserung der Situation in der Krebsbekämpfung nicht durch viele Worte erreicht werden kann, sondern durch harte Arbeit, auch harte Arbeit im Bereich der Forschung.Wir geben deshalb dem Programm der Bundesregierung zur Krebsbekämpfung eine Chance und erwarten, daß alle Beteiligten bereit sind, die Ausfüllung des Programms mitzugestalten und die ihnen zur Verfügung stehenden Daten und Informationen einzubringen. Nur so können die Prioritäten weiter präzisiert werden; denn nicht alle genannten Schwerpunkte können gleichzeitig mit dem erforderlichen Nachdruck angegangen werden. Vor allem aber geht es darum, die Schwerpunkte auch wirklich mit Leben zu erfüllen.Die SPD-Fraktion wird ihren Beitrag im Interesse der betroffenen Bürger dazu leisten. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich im Anschluß an die Ausführungen, die hier zu dieser Fortschreibung des Krebs-Berichts gemacht worden sind, noch einmal betonen, daß wir es für richtig und notwendig halten, daß sich der 9. Deutsche Bundestag zu Beginn der Legislaturperiode mit dem für die gesamte Menschheit so wichtigen Thema der .Krebsbekämpfung und insbesondere auch mit der
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Dr.-Ing. LaermannKrebsforschung befaßt. Ich glaube, daß sich kein Parlament der politischen Verantwortung entziehen kann, sich mit allen Kräften um die Überwindung der Gefährdung der Menschen durch den Krebs zu bemühen. Die Parlamente haben dafür zu sorgen, daß die Voraussetzungen für die Bekämpfung dieser Menschheitsgeißel geschaffen werden, die Voraussetzungen dafür, daß Mediziner und Wissenschaftler andere Disziplinen in interdisziplinärer und internationaler Kooperation Möglichkeiten erhalten, den Krebs zu bekämpfen und auf dem Gebiet der Krebsforschung zu erarbeiten.Es geht darum, die Ursachen des Krebses zu erforschen, zuverlässige Diagnosemethoden zu entwikkeln, Therapieverfahren zu verbessern wie auch die Möglichkeiten einer optimalen Nachsorge und Rehabilitation zu schaffen.Vieles ist in den letzten Jahren in internationalem Bemühen in der Krebsforschung erreicht worden. Auch seitens der Wissenschaftler der Bundesrepublik sind anerkanntermaßen beachtliche Erfolge erzielt worden — sicherlich nicht in der ganzen Breite, aber doch auf Spezialgebieten, und zwar mit internationaler Anerkennung. Dies ist nachweisbar. Wir müssen den Wissenschaftlern, die sich dieser Aufgabe zugewandt haben, besonderen Dank abstatten.Dennoch sind die Erfolge, bisher jedenfalls, keineswegs ausreichend. Da machen wir uns auch gar keine Illusionen: Hier müssen die Bemühungen fortgesetzt, die Forschungen weiter verstärkt und weiterhin intensiv gefördert werden.Die Krebsforschung umfaßt ein sehr weites Feld. Sie ist zu einem Teil auch nur schwer gegenüber dem allgemein-medizinischen Bereich abgrenzbar. Es kann deshalb, wie ich meine, kaum erwartet werden, daß im nationalen Bereich allein, verehrte Frau Kollegin Neumeister, eine alle Bereiche umfassende Krebsforschung, sozusagen flächendeckend, betrieben werden kann.
Ich halte das für nahezu ausgeschlossen. Die experimentelle und die klinische Onkologie sind zu weite Felder, als daß man sie voll im nationalen Bereich allein abdecken könnte. Es erscheint daher richtig — und es entspricht auch den Empfehlungen der Senatskommission für Krebsforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft —, die Forschung auf Schwerpunkte zu konzentrieren und sich gleichzeitig um internationale Arbeitsteilung zu bemühen und dafür zu sorgen, daß der Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse auf den verschiedensten Gebieten und der Austausch der praktischen Erfahrungen zu einem vollständigen, umfassenden Konzept auf internationaler Ebene ausgeweitet wird.Die Bundesregierung hat in Verbindung mit den Bundesländern und den Forschungsförderungsinstitutionen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den verschiedenen Stiftungen, der Deutschen Krebshilfe finanziell und organisatorisch sehr viel geleistet, wie ich meine. Ich will das hier nicht im einzelnen auflisten. Der Bericht enthält eine umfassende Darstellung.Dennoch — und da sind wir uns sicherlich einig — bleibt noch viel zu tun; es ist und bleibt noch viel zu tun auf dem Sektor der Krebsforschung.Die Zahl der Zentren für Onkologieforschung muß vergrößert und die Grundlagenforschung verstärkt werden. Dabei ist gleichzeitig für einen besseren Transfer der Erkenntnisse in die angewandte Forschung und schließlich auch an normale Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte zu sorgen. Dies alles ist zu verbessern.Hier soll noch einmal an die Vorschläge erinnert werden, über regionale Tumorzentren unmittelbareren und engeren Kontakt mit Krankenhäusern und praktischen Ärzten zu unterhalten. Frau Minister Huber hat vorhin darauf hingewiesen. — Frau Minister, wir hoffen und erwarten, daß sich diese Vorschläge, die nun seit längerem auf dem Tisch liegen, nun endlich realisieren lassen. Ich glaube, hier sollten wir intensivste Bemühungen ansetzen, dies zu verwirklichen.Ich komme damit zu einem ganz wesentlichen Punkt: Der fortschreitende Erkenntnisstand in der Krebsforschung, in der Diagnostik wie auch in der Therapie stellt die Ausbildung und insbesondere die Weiterbildung vor besondere Probleme, die auch von den vielfältigen bisherigen Bemühungen über Fachkongresse, Fachgesellschaften, ärztliche Fortbildungsakademien, Literatur- und Datenbanken und Informationssysteme nicht voll befriedigend gelöst wurden. Hier ist eine besondere Aufgabe, deren Lösung wir uns intensiv zuwenden müssen.Auch die Förderung des hochqualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses muß hier angesprochen werden. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf den medizinischen Nachwuchs und den Nachwuchs von Wissenschaftlern in der Krebsforschung. Die DFG hat wiederholt und nachdrücklich — insbesondere auch im Hinblick auf die Krebsforschung — darauf hingewiesen, daß sich die Kluft zwischen moderner klinischer Ausbildung und den Möglichkeiten klinischer Forschung vertieft habe. Hinzu kommen wachsende Belastung durch klinische Routine und Behinderung durch zu viel Forschungsbürokratie. Es wird immer dringender, daß mehr Naturwissenschaftler für die interdisziplinären Aufgaben gerade in der Forschung motiviert werden. Hierzu sind dringendst die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Wir werden unsere Vorstellungen dazu in die Ausschußberatungen einbringen.Ich möchte hier unsere Erwartungen formulieren, daß sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer Kompetenzen mit den Bundesländern mit besonderem Nachdruck konkret um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses bemüht und dabei auch Bedarfsnotwendigkeiten, wie z. B. ein den Krankheitshäufigkeiten entsprechendes Verhältnis zwischen Onkologen und Hämatologen, berücksichtigt. Es fehlt, wie auch die DFG bestätigt, an Strahlentherapeuten; ein großes Problem, das möglichst kurzfristig einer Lösung zugeführt werden muß.Ich möchte hier auf die internationale Zusammenarbeit eingehen, die in den Debattenbeiträgen bisher wenig erwähnt worden ist. Die internationale Zusammenarbeit, der Austausch zwischen Wissen-
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Dr.-Ing. Laermannschaftlern und den Institutionen ist ständig weiter ausgebaut worden. So besteht enge Zusammenarbeit mit der Internationalen Zentralstelle für Krebsforschung, zu deren Aufgaben die Koordinierung der Forschung, Arbeitsteilung, Ausnutzung des wissenschaftlichen Potentials, die Erarbeitung wissenschaftlicher Fortbildungsprogramme und die laufende Erfassung und Auswertung von neuen Erkenntnissen gehört. Gleiche oder ähnliche Aufgaben nimmt die Weltgesundheitsorganisation wahr. Auch das Regionalkomitee der Weltgesundheitsorganisation sieht die Schwerpunkte seiner Arbeit in der Information, in der Koordinierung der Forschungsschwerpunkte und in der Umsetzung der Ergebnisse. Weiterhin besteht Zusammenarbeit mit der Internationalen Union gegen Krebs in Genf, der Europäischen Vereinigung für Krebsforschung in Kopenhagen, der Europäischen Organisation für Forschung und Behandlung von Krebs in Brüssel, der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, der Internationalen Vereinigung für Krebsregister in Lyon, dem Europäischen Gesundheitsausschuß des Europarates, dem Koordinierungsrat für Krebsforschung, an dem die deutsche Krebshilfe beteiligt ist. Dazu gibt es im nationalen Bereich die Große Krebskonferenz, Fachkommissionen und Arbeitskreise. Neben der Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den europäischen Ländern besteht ein Abkommen z. B. auch mit Rumänien auf dem Gebiet der Krebsforschung. Mit den USA bestehen Vereinbarungen über biomedizinische Forschung und Technologie.Meine verehrten Damen und Herren, ich finde das beeindruckend; aber ich möchte mir in diesem Zusammenhang — deswegen habe ich hier diese etwas langatmige Auflistung vorgenommen — eine kritische Anmerkung erlauben. Birgt die große Zahl der internationalen Organisationen nicht erstens die Gefahr der Verzettelung und Zersplitterung der Aktivitäten in sich? Zweitens: Erfordert sie nicht zur Kommunikation und Koordinierung untereinander zuviel personelle und finanzielle Kapazität? Drittens: Produziert sie möglicherweise auch zuviel Bürokratie, über die sich auch die Wissenschaftler in der Krebsforschung zunehmend beklagen?Mit besonderem Nachdruck und mit Befriedigung kann festgestellt werden, daß Informationssysteme und Dokumentationssysteme mit weltweiter Verknüpfung unter Nutzung der Möglichkeiten, die die automatische Datenverarbeitung und die Datenfernübertragung bieten, die Verfügbarkeit von Erkenntnissen und Erfahrungen und die rasche Umsetzung in die praktische Anwendung entscheidend verbessert haben. Wir müssen ausdrücklich betonen, daß es richtig war, daß die Bundesregierung für die Einführung der Datenverarbeitung und für mehr Datenverarbeitung in diesem Bereich gesorgt hat. Das Deutsche Institut für medizinische Information und Dokumentation verfügt über onkologische Datenbasen und über weitere für die Krebsforschung relevante Datenbasen in internationaler Zusammenführung. Es ist unbestritten, daß Diagnose-, Therapie- und Rehabilitationsforschung für die Menschen von größter Bedeutung sind und konzentrierter Anstrengungen bedürfen, um zu besseren Heilerfolgen zu kommen.Es ist aber wenig tröstlich, daß z. B. in den USA die Heilerfolge bei etwa 58 % liegen, wenn gleichzeitig die absolute Zahl der vielfältigen Krebserkrankungen rapide zunimmt. Für die Krebsbekämpfung ist deshalb ebenso wichtig, nein, ich meine, eventuell sogar noch wichtiger, die Ursachen der Krebsentstehung zu erforschen, und diese Ursachen zu bekämpfen, damit die Zahl der Erkrankungen reduziert wird. Die Vermeidung, die Verhütung von Krebs ist sehr wichtig, viel wichtiger noch als die Heilung. Eine der schweren Aufgaben, die wir in der kommenden Zeit zu erfüllen haben, ist es, Umwelteinflüsse, Umweltverschmutzung, Einwirkung von Chemikalien der verschiedensten Art, Arbeitsstoffe, Strahlenbelastung aus natürlichen und künstlichen Quellen in ihren Ursachen-Wirkungs-Beziehungen und in ihrer Bedeutung als Risikofaktoren für den Menschen intensiver zu untersuchen.Ich bedanke mich. Ich bin am Ende meiner Redezeit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Krebsbericht der Bundesregierung auf Drucksache 8/3556 dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend — und dem Ausschuß für Forschung und Technologie zur Mitberatung zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
betr. Bundesausbildungsförderungsgesetz
hier: Bericht der Bundesregierung gemäß der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 18. Mai 1979
— Drucksache 8/4187 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind für die Aussprache zwei Beiträge bis zu je zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe, daß das Haus mit dieser Regelung einverstanden ist.
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Bera-
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Frau Geigertung des vorliegenden Berichtes der Bundesregierung stehen wir vor einer grotesken Situation. Die Bundesregierung bescheinigt dem Bundesrechnungshof als Bundesbeauftragtem für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, daß er weder rechnen noch logisch denken könne. Die Hauptergebnisse des Gutachtens wurden im Bericht der Bundesregierung in einer Weise heruntergemacht, daß sich der Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung zu einer eigenen Stellungnahme genötigt sah. Daraufhin warf die Bundesregierung dem Bundesrechnungshof u. a. nicht nachvollziehbare Annahmen, wiederholte methodische Fehler, unrichtige Unterstellungen und unberechtigte Kritik vor.Über die Kosten des Darlehenseinzuges und der Darlehensverwaltung kommen die Bundesregierung und der Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung zu völlig anderen Ergebnissen. Der Bundesrechnungshof setzt z. B. den realen Rückflußwert der Darlehen auf 20 bis 30 % fest, während die Bundesregierung ihn auf 30 bis 40 % taxiert. Wie sollen sich angesichts dieser Meinungsverschiedenheiten das Parlament und die Öffentlichkeit ein auch nur einigermaßen verläßliches Bild über die wahren Kosten machen?
Die Bundesregierung allein trägt die Verantwortung für diese polemische Auseinandersetzung und für die sachlich ungenügenden Ergebnisse der Kontroverse. Skandalös ist dies, weil die Praxis der Darlehenstilgung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in schlimmer Weise zu wünschen übrigläßt und zu unerträglichen Mängeln geführt hat. Der Präsident des Bundesrechnungshofes hat die eklatanten Mängel des Einzugsverfahrens am 8. August 1980 charakterisiert — ich zitiere —:Neuerliche Erhebungen beim Bundesverwaltungsamt haben ergeben, daß dort die laufende Arbeit eingestellt wurde.
Es werden keine Leistungsbescheide, keine Mitteilungen über das Ausbildungsende und keine Zwischenbescheide mehr erstellt. Die Zahl der noch anzulegenden Akten beträgt jetzt 770 000. Die normale Post braucht mindestens sechs Monate vom Eingang bis zum Tisch des Sachbearbeiters.
Die Bundesregierung selber hat in ihrer Antwort vom 30. September 1980 auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zugegeben, daß beim Vollzug des Gesetzes erhebliche Schwierigkeiten bestehen. Wir haben kein Verständnis dafür, wenn sich die Bundesregierung trotz der chaotischen Zustände im Bundesverwaltungsamt mit einer nichtssagenden Floskel aus der Affäre zu ziehen versucht. Die Bundesregierung stellt nämlich lapidar fest, die zuständigen Bundesminister hätten ihre vorgeschriebene Verantwortlichkeit wahrgenommen. Da muß man aber schon fragen: Wer ist denn verantwortlich dafür, daß der ordnungsgemäße Gesetzesvollzug beider Darlehensverwaltung im Bundesverwaltungsamt faktisch zusammengebrochen ist? Wer trägt denn die Verantwortung dafür, daß zum Schaden des Staates und des Steuerzahlers mindestens 70 000 Leistungsbescheide zur Darlehensrückzahlung nicht ergangen sind?
Die Bundesregierung kann sich auch nicht mit dem Hinweis auf den .Haushaltsausschuß aus der Affäre ziehen, der ihr für 1980 zusätzliche 38 Planstellen für den BAföG-Bereich vorenthalten habe. Es sollte doch dem für die Dienstaufsicht zuständigen Bundesminister möglich gewesen sein, eine unumgängliche Umsetzung von Personal und Stellen aus anderen Behörden seines Geschäftsbereichs vorzunehmen.
Offiziell beklagt sich der Innenminister über die mangelnde Personalausstattung des Bundesverwaltungsamts. Aber gleichzeitig wird durch Untätigkeit das Chaos in seinem Amt ständig vergrößert. Ist es da wirklich unangemessen, von einer Amtspflichtverletzung zu sprechen?
Bei der Darlehensfinanzierung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zeigt sich wieder einmal die in letzter Zeit häufig zu beobachtende Verfahrensweise. Weite Kreise der SPD und der FDP bekämpfen offen die Politik der Bundesregierung.
Die Bundesregierung hat wiederholt betont — zuletzt in der Stellungnahme, die wir heute besprechen —, sie werde trotz der Einwände des Bundesrechnungshofes eine Änderung der gesetzlichen Darlehensregelung nicht in Betracht ziehen. Dagegen verkündeten im Pressedienst der Bundestagsfraktion der FDP am 2. Juli 1980 die bildungspolitische Sprecherin der FDP, Frau Schuchardt, und der haushaltspolitische Sprecher, Gärtner, offiziell die Forderung nach Beseitigung der BAföG-Pflichtdarlehen.
Die Stellungnahme der Bundesregierung wurde als unpolitisches Bürokratenpapier abqualifiziert. Die SPD hat sich in einer ähnlichen Weise geäußert.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hält an ihrer Absicht fest, eine teilweise Finanzierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes durch Darlehen zu erreichen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, endlich einen ordnunsgemäßen Gesetzesvollzug bei der Darlehensverwaltung sicherzustellen.
Die Argumente, die 1974 von der Bundesregierung angeführt wurden, gelten heute mehr denn je. Ich zitiere aus der Begründung der Bundesregierung zur zweiten BAföG-Novelle:Die steuerliche Belastung durch einen steigenden Finanzbedarf für ein besseres und gerechte-
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Frau Geigerres Bildungswesen wird heute zu einem großen Anteil gerade von denjenigen getragen, die selbst diese Möglichkeiten nicht hatten. Es erscheint deshalb nur gerecht, daß ein Teil dieser Belastung wiederum von denen übernommen wird, die nun in besonderem Maße von dieser Leistung der Gesellschaft persönlichen Nutzen ziehen.Auch auf die nach unserer Auffassung sehr wichtige Eigenverantwortlichkeit des Schülers und des Studenten für seine Ausbildung wird hingewiesen. Was sollte sich daran bis heute geändert haben?Leider ist heute von einer weiteren Verbesserung des Systems der individuellen Ausbildungsförderung nichts mehr zu spüren. Die drastischen bildungspolitischen Sparbeschlüsse der neugewählten Bundesregierung sprechen da leider eine deutliche Sprache. Die Bundesregierung sollte deshalb endlich aus den vom Bundesrechnungshof angeprangerten untragbaren Zuständen die erforderlichen Konsequenzen ziehen. Die ausgegebenen Darlehen müssen in die öffentliche Hand zurückgeführt und für die weitere BAföG-Förderung verwendet werden. Auch der Deutsche Bundestag — und damit sind wir alle angesprochen — sollte sich ernsthaft und verantwortlich mit diesen Problemen auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir als einem neugewählten Mitglied dieses Hauses am Ende meiner Ausführungen eine persönliche Bemerkung. Wo immer man draußen mit jungen Menschen spricht, immer ist viel von Staats- und Parteienverdrossenheit die Rede. Die Politiker haben besonders bei der jungen Generation erschreckend an Glaubwürdigkeit verloren. Besonders nachdenklich sollte uns stimmen, daß dieser Vertrauensverlust in erster Linie bei den Jugendlichen anzutreffen ist, die durch unser heutiges Bildungswesen verstärkt gefördert worden sind. Da ist sicher im Reformeifer der letzten Jahre manches falsch gelaufen, was neu überdacht und korrigiert werden sollte.Aber auch die Politiker selbst sollten ihre Verhaltensweisen neu überdenken. Dazu gehört auch, daß sich Politiker zu ihrer Verantwortung bekennen; und die, die in der Regierung stehen, haben nun einmal eine besondere Verantwortung.Meiner Ansicht nach ist das größte Übel die politische Doppelzüngigkeit.
Damit lassen sich vielleicht kurzfristig Wahlen gewinnen, aber auf längere Sicht leidet die Glaubwürdigkeit nicht nur des einzelnen Politikers und seiner Partei, sondern auch des demokratischen Systems insgesamt.
Dies geschieht vor allem dann, wenn die entscheidenden Sachfragen von den Regierenden nicht mehr aufgegriffen werden, sondern im parteipolitischen Tageskompromiß steckenbleiben.Das heißt, auf unseren Fall bezogen: Es ist unredlich, wenn Politik nach der Methode „A sagt er, B denkt er, C wäre wichtig gewesen" gemacht wird. Die jungen Leute müssen wissen, was auf sie zukommt. Im Interesse der Schüler und Studenten sollte eine klare Linie bezogen werden und sollte diese Linie auch durchgezogen werden.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dafür zu sorgen, daß das, was mehrheitlich beschlossen wurde, jetzt auch in der Praxis durchgeführt wird. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordente Vogelsang.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!
Herr Abgeordneter, darf ich Sie unterbrechen, um noch einmal auf folgendes zurückzukommen. Ich würde bei einer ersten Rede immer sehr gern einen Glückwunsch aussprechen, aber ich sitze ja nicht bei jeder Sitzung hier oben und kann also nicht selber verfolgen, wer schon einmal gesprochen hat. Ich bin aber gern bereit, auch mit meinen Kollegen vom Präsidium darüber zu reden, daß ich dann, wenn die Parlamentarischen Geschäftsführer mir sagen, daß eine Jungfernrede gehalten wird, das selbstverständlich mit großer Freude tun werde. Also herzlichen Glückwunsch!
Herr Präsident, ein bißchen haben Sie mir dadurch den Auftritt verdorben, weil ich trotz der inhaltlichen Kritik, die ich an der Rede meiner Kollegin anzubringen hätte, ihr doch zu ihrer ersten Rede hier einen herzlichen Glückwunsch aussprechen möchte.
Man muß dabei bedenken, daß es nicht um das Bundesausbildungsförderungsgesetz generell geht, das j a ein außerordentlich interessanter Stoff ist, sondern daß es sich hier um eine etwas diffizile, schwierige und, ich würde auch sagen, verzwickte Materie handelt. Nur, Frau Kollegin, müßte man, wie ich meine, auch bei einer ersten Rede in der Wortwahl gelegentlich etwas vorsichtiger sein. Es fragt sich, ob da von einem „Chaos" die Rede sein muß. Oder lassen Sie mich auf Ihre letzten Bemerkungen Bezug nehmen: Wenn davon die Rede ist, daß Schiller und Studenten Anspruch haben zu wissen, was die Politiker wollen, dann frage ich Sie, ob denn die Schüler und Studenten nach Ihrer Rede wissen, was Sie wollen. Das scheint mir bisher nämlich nicht sehr deutlich geworden zu sein.
— Entschuldigen Sie!
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Vogelsang— Ich glaube, da befinde ich mich aber in guter Gemeinschaft. Herr Franke, ich werde Sie gleich fragen, ob Sie mir denn sagen können, was die CDU in diesem Punkt will.Ich meine, wir sollten hier nicht solche Ablenkungsmanöver machen und nicht sagen: Wir wissen nicht recht, was wir in dieser schwierigen Situation tun wollen; aber die Bundesregierung ist schuld an allem.
— Das ist sehr vereinfacht; nötig ist das nicht. Natürlich muß die Regierung in Trab gehalten werden, dann aber sachlich begründet.
Ich meine, wir müssen uns dazu bekennen, daß das — ich darf das als Parlamentarier sagen — unser Gesetz ist. Soweit ich es übersehen kann, sind alle Novellen zu diesem Gesetz im Deutschen Bundestag einstimmig beschlossen worden. Das gilt auch für die Einführung des Darlehensanteils. Dazu müssen wir auch heute stehen.Natürlich haben wir jetzt einige Jahre Erfahrungen mit der Verwaltung des Darlehensanteils und müssen uns überlegen, welche Schlußfolgerungen wir aus den Erfahrungen ziehen. Wir sollten das, was wir an Unterlagen haben — sowohl den Bericht des Präsidenten des Bundesrechnungshofes und eine Ergänzung dazu als auch den Bericht der Bundesregierung und eine Ergänzung dazu —, als Material ansehen, aus dem wir, Sie als Opposition und wir als Koalition, Schlüsse zu ziehen haben.Ich will nicht verkennen, daß sich beim Lesen beider Berichte eine Reihe von Fragen ergeben. Es gibt die Frage: Was kann man in diesem Punkt an Rationalisierung erreichen? Es handelt sich ja um Massentätigkeit; Sie haben von der beeindruckenden Zahl gesprochen. Es geht also darum, was man an Rationalisierungsmomenten einführen kann und welche technischen Hilfsmittel es gibt, um die Verwaltung besser, zügiger und effizienter zu machen. Es ist zu fragen: Welche Aufgaben könnten diese technischen Hilfsmittel übernehmen?Ich darf dazu noch eines sagen. Es wirkt eines Tages unglaubwürdig, wenn wir fortwährend als Politiker die Bürokratisierung beklagen, aber im nächsten Augenblick, wenn es uns in den Kram paßt, beklagen, daß diese Verwaltung nicht ausreichend mit Personal ausgestattet ist.
Es gibt eine Reihe weiterer Fragen, z. B. die Frage: Wie entwickelt sich die reale Rückflußgröße? Sie ist von den verschiedensten Faktoren abhängig. An uns Politiker, an uns als Gesetzgeber wird die Frage gerichtet: Welche Gesetzesänderungen über die bereits verabschiedeten hinaus können vorgenommen werden, um alles verwaltungsfreundlicher zu machen? Was kann der Verordnungsgeber tun?Meine Damen und Herren, ich will hier nicht den schwerwiegenden Satz aus dem Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofs unterschlagen,der heißt: Bei finanzwirtschaftlicher Betrachtungsweise könnte die Förderung mittels Darlehen nicht empfohlen werden; unter kapitalwirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre sie nicht zu vertreten.Ich meine, das ist auch eine Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen. Da können wir nicht einfach das Ablenkungsmanöver machen: Die Regierung ist schuld. Das ist nämlich ein Satz, der uns beschäftigen muß, auf den wir als Politiker eine Antwort zu finden haben. Das werden wir glaubhaft zu vertreten haben.
— Ich spreche von uns als den Parlamentariern, Herr Pfeifer. Wir beraten heute morgen in erster Lesung einen Bericht, aus dem sich für mich Fragen ergeben, die wir nicht prüfen wollen, sondern auf die wir Antworten finden müssen, auch wir als Parlamentarier.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Lieber Herr Vogelsang, ganz im Ernst: Meinen Sie, daß es die Aufgabe eines Parlaments ist, sich damit zu befassen, wie lange die Bearbeitung einer Akte in einem Bundesamt dauert!
Diese Frage ist so mit Ja oder Nein zu beantworten wie die Frage: „Schlagen Sie Ihre Frau immer noch?".
— Natürlich, Herr Daweke. Sie haben sie also nur vorher geschlagen. Das ist nicht so schlimm; vergeben.Herr Daweke, Sie wissen wie ich, daß der Verwaltungsaufwand mit durch die gesetzlichen Formulierungen bestimmt wird. Insoweit wäre es zu einfach, wenn wir sagten, die Durchführung der Verwaltung sei Sache der einen, die Gesetzemacherei sei Sache der anderen. In diesem Sinne, so meine ich, kann man diese Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten. Es gibt hier unmittelbare Zusammenhänge über gesetzliche Darlegungen und Auflagen. Daraus entwickeln sich Konsequenzen für die Abwicklung innerhalb einer Verwaltung. Ich meine, das können Sie nicht leugnen.
Ich darf Ihnen sagen: Wir als Sozialdemokraten stehen nach wie vor zu diesem Gesetz. Wir stehen insgesamt zum Bundesausbildungsförderungsgesetz.Frau Kollegin, ich möchte auch gern noch einmal den Satz zitieren, der durch die Koalition in den Bericht hineingekommen ist — das war nicht Ihre Formulierung —, nämlich daß es gerecht erscheine, wenn ein Teil der durch die Ausbildungsförderung verursachten steuerlichen Belastungen der Allge-
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Vogelsangmeinheit von denen übernommen werde, die in besonderem Maße von diesen Leistungen der Gesellschaft Nutzen zögen.
Ich will dem aber auch den eben von mir zitierten und, wie ich meine, schwerwiegenden Satz in dem Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofs entgegenhalten.
— Herr Pfeifer, ich will eine Antwort auf diese Frage. Aber Sie überfordern mich, wenn vor der Beratung des Berichts hier aus der Hand heraus diese Frage beantwortet werden soll. Das halte ich für unseriös.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeifer?
Bitte.
Herr Kollege Vogelsang, über die Frage der Darlehensregelung wird seit Jahren diskutiert. Deswegen möchte ich Sie fragen: Ist Ihre Fraktion für die Beibehaltung dieser Darlehensregelung oder nicht? Ich meine, darum sollten Sie nicht herumreden.
Herr Pfeifer, aus der gegenwärtigen Situation heraus ist meine Fraktion nach wie vor für die Beibehaltung des Darlehens.
Ob sich aus der Prüfung und Überlegung der von mir aufgeworfenen Fragen und den Antworten auf diese Fragen heraus eine andere Situation ergibt, vermag ich heute nicht zu sagen. Das ist nämlich der Punkt, wo ich meine, daß man keine voreiligen Antworten geben darf. Darum möchte ich Sie auch bitten, keine voreiligen Antworten zu geben.
Ich würde mich freuen, wenn diese Unterlagen dazu führten, daß wir zu einer sachlichen Auseinandersetzung innerhalb des Ausschusses kommen. Ich kann Ihnen versichern: Wir als Sozialdemokraten werden uns vor keiner Antwort auf alle diese Fragen drücken.
Das Wort hat Frau Abgeordnete von Braun-Stützer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Antrag der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion debattieren wir heute zu folgendem Thema — das muß man sich ganz genüßlich auf der Zunge zergehen lassen —: „Bericht der Bundesregierung zum Bericht des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über die Entwicklung des Verwaltungsaufwandes im Zusammenhang mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz unter besonderer Berücksichtigung der Darlehen."Die FDP-Bundestagsfraktion folgt dem Antrag auf Debatte mit außerordentlichem Vergnügen. Das Gutachten des Bundesrechnungshofes bestätigt genau das, was die FDP auf allen Ebenen der Partei und der Bundestagsfraktion schon seit langem vertreten hat, nämlich unsere Ansicht, daß der Darlehensanteil beim BAföG unsozial, bildungspolitisch konterkarierend, finanzpolitisch und verwaltungstechnisch nicht zu vertreten sei.
Das Gutachten des Bundesrechnungshofes ist seit April 1979 bekannt, die Bedenken gegen den Darlehensanteil sind ebenfalls bekannt. Nun könnte man annehmen, daß die CDU/CSU erst zum Ende der vergangenen Legislaturperiode auf den möglichen Einfall gekommen wäre, eine Grundsatzdebatte über die Ziele und die tatsächlichen Ergebnisse des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu führen, was sich inzwischen mehr als lohnen würde. Was jedoch von der CDU/CSU vorgelegt wurde, ist eine Anfrage — das muß man sich wieder auf der Zunge zergehen lassen — zum Nichtvollzug der Einziehung von Darlehen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz durch das Bundesverwaltungsamt, was zwar berechtigt ist, aber, gelinde gesagt, unserer Ansicht nach Einfühlungsvermögen für die tatsächliche Problematik vermissen läßt.
Im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft wurde uns gestern bedeutet, daß das Thema Bundesausbildungsförderungsgesetz und der Darlehensanteil gewissermaßen generell und im übergreifenden Zusammenhang diskutiert werden sollte. Wir wollen das gern aufgreifen und überlassen der Öffentlichkeit die Würdigung dieser Bemühungen.
In der Tat kann es nicht Aufgabe dieser Debatte und erst recht nicht dieses Hohen Hauses sein, den Deutschen Bundestag als eine Art zweiten Bundesrechnungshof darzustellen und hier einen Wettbewerb in Finanz- und Verwaltungstechnik zu veranstalten.
Es muß hier vielmehr darum gehen, die Plausibilität und die Risiken der Prognosen abzuschätzen und politisch zu würdigen, dies noch dazu im Rahmen einer eingeschränkten Kurzdebatte.Zunächst zur verwaltungs- und finanztechnischen Würdigung, die für die FDP-Bundestagsfraktion zwar nicht vorrangige Priorität hat, aber naturgemäß prioritärer Bestandteil des Gutachtens des Bundesrechnungshofes ist. Der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hat in seinem umfangreichen gutachtlichen Bericht im einzelnen dargelegt, daß nach Abzug der Ausfallquote, des Verwaltungsaufwandes und unter Berücksichtigung der Geldwertminderung allenfalls ein Rest von
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Frau von Braun-Stützer20 bis 30% der ausgezahlten Darlehenssumme real zurückfließt. Er kommt zum Ergebnis, daß bei finanzwirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Förderung mittels Darlehen nicht empfohlen und bei kapitalwirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht vertreten werden könne. Man beachte die Prioritätenfolge.Demgegenüber hält die Bundesregierung an ihrer Auffassung fest, daß — jedenfalls im Durchschnitt aller Rückzahlungsfälle — ein realer Rückfluß von 30 bis 40 % der ausgezahlten Darlehen „mit relativer Sicherheit erwartet werden" kann und daß die grundsätzlichen Darlegungen des Bundesrechnungshofes kein Anlaß seien, eine Änderung der gesetzlichen Darlehensregelung vorzuschlagen.Nun weist allerdings selbst der Bundesrechnungshof darauf hin, daß die Gewährung von Darlehen „auch am gesellschaftlichen und politischen Nutzen der Ausbildungsförderung zu messen sei", wobei ich durchaus kritisch anmerken möchte, daß mir diese politische Abwägung im Bericht der Bundesregierung zu kurz gekommen zu sein scheint. Nachdem der Bundesrechnungshof den drei Fraktionen des Hauses den, wie ich finde, einigermaßen beschämenden Hinweis gegeben hat, daß über die Zweckmäßigkeit des Darlehens politisch entschieden werden müsse, und nachdem belegt wurde, daß die finanz- und verwaltungsökonomischen Darlegungen gegen eine Beibehaltung des Darlehensanteils sprechen, müssen gesellschafts- und bildungspolitische Überlegungen bei dieser Entscheidung im Vordergrund stehen.Dabei ist die FDP-Bundestagsfraktion — wie auch alle Gremien der Partei — der Ansicht, daß das Grunddarlehen trotz der differenzierten Rückzahlungsmodalitäten einen ganz erheblichen Abschrekkungseffekt gerade auf jene Studienbewerber hat, die durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz am Recht auf Bildung partizipieren sollen. Gerade das Argument, der Darlehnsanteil sei pädagogisch sinnvoll, weil er das Kostenbewußtsein für die öffentlichen Ausbildungsleistungen stärke, ist nicht stichhaltig. Im Gegenteil, es ist widersprüchlich. Die Erkenntnis, daß sich Investitionen für die Ausbildung langfristig lohnen und im Laufe eines Erwerbslebens mehrfach wieder hereinkommen, ist die Erkenntnis und das Wissen des Bildungsbürgertums; das muß man hier einmal ganz offen aussprechen. Deshalb spielt die Argumentation für und gegen den Darlehnsanteil im Bildungsbürgertum nicht die gleiche Rolle wie in eben jenen Bevölkerungsteilen, die vielleicht in erster Generation ein Studium absolvieren und für die der Gedanke nur schwer zu ertragen ist, mit einem relativ hohen Schuldenberg ins Erwerbsleben treten zu müssen. Also: Gerade das Bewußtsein hinsichtlich der Kosten und der Schulden auf Grund dieser Ausbildung verhindert möglicherweise den Eintritt in das Studium, also in eine qualifizierte Ausbildung, die wir bildungspolitisch j a alle erreichen wollen. Wir müssen uns also auch aus sozial- und bildungspolitischen Gründen fragen, ob wir dies wirklich wollen können. Schließlich und endlich, so meine ich, kann es sich eine Industriegesellschaft Bundesrepublik Deutschland mit ihrem immer weiter steigenden Bedarf an qualifiziertem Personal auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nicht leisten, auf Begabungsreserven zu verzichten.
— Dann ziehen Sie auch die Schlußfolgerungen daraus.Die FDP-Bundestagsfraktion ist daher der Ansicht, daß sich der Darlehensanteil beim Bundesausbildungsförderungsgesetz in jeder Hinsicht und unter Abwägung aller politischen Prioritäten als nachteilig erwiesen hat. Sie wird sich deshalb weiterhin dafür einsetzen, den Darlehensanteil endgültig abzuschaffen.
— Ich habe gesagt: Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen. Es würde auch Ihnen vielleicht nicht schaden, wenn Sie das eine oder andere Argument gelegentlich bis zum Ende anhören würden.
— Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Wir sollten erst einmal die Anhörung und die aus ihr zu gewinnenden Erkenntnisse abwarten. Denn es hat sich ja auch anhand der Praxis des bisherigen Gesetzes, das j a auch von Ihnen getragen wird, gezeigt, daß der Teufel im Detail steckt. Ich meine daher, daß wir uns mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes sehr viel Mühe und sehr viel Sorgfalt geben sollten.
— Wir werden dies tun.Die FDP-Bundestagsfraktion ist darüber hinaus der Ansicht, daß im Rahmen der nächsten Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auch einmal grundsätzlich über die Ziele und die tatsächlichen Ergebnisse des Instrumentes Bundesausbildungsförderungsgesetz diskutiert werden muß. Ich frage z. B., ob der Geruch der Sozialbedürftigkeit, der der BAföG-Berechtigung völlig ungerechtfertigterweise anhaftet, bildungspolitisch nicht manches Ziel ins Gegenteil verkehrt hat. Wir müssen uns auch fragen, wie lange wir es eigentlich noch hinnehmen wollen, daß immer weniger Jugendliche überhaupt über das BAföG gefördert werden können, weil immer mehr Familien über die Berechtigungshöchstgrenze hinausgekommen sind. Vor allen Dingen aber müssen wir uns fragen, wie lange wir noch die öffentliche Unruhe mit ansehen wollen, die über die Berechtigungssystematik des BAföG in der Öffentlichkeit entstanden ist. Wir alle — jeder von uns — kennen das sattsam bekannte Beispiel öffentlichen Ärgernisses — anders kann man es schon gar nicht mehr bezeichnen —, das jeder einzelne von uns auch in seinem privaten Umfeld kennt: den durchaus wohlhabenden Bürger und Nachbarn, dem es mit Verlustabschreibungen gelingt, sich vor dem Finanzamt und bei der BAföG-Berechtigungsprüfung als das Musterbeispiel für die Verelendungs-
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Frau von Braun-Stützertheorie hinzustellen, um für seine Kinder BAföG zu kassieren,
während sein Nachbar, selber Angehöriger des öffentlichen Dienstes, der mit seinem Einkommen genau 100 DM über der Höchstberechtigungsgrenze liegt, für die Ausbildung seiner Kinder keinen Pfennig bekommt, obwohl ihm diese Aufwendungen mit Sicherheit sehr viel schwerer fallen und die ganze Familie dafür mit Verzicht hinsichtlich des Lebensstandards bezahlen muß. Wen wundert also öffentliche Unruhe über diese ungerechte Systematik?Dies ist nur ein Beispiel aus einer ganzen Kette von Verzerrungen, die sich in die Berechtigungssystematik eingeschlichen haben und beginnen, das ganze Instrument in Frage zu stellen. Deshalb meinen wir, daß wir uns in die Details begeben müssen. Ich kann Ihnen daher nicht schon jetzt einen vollständig neuen Gesetzentwurf vorlegen. Nur, darüber, daß hier etwas passieren muß, sind wir uns doch wohl einig.Die FDP-Bundestagsfraktion hätte es deshalb für sinnvoller gehalten, das Bundesausbildungsförderungsgesetz mit dem Darlehensanteil im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang und nicht nur anläßlich der Vorlage dieses Berichts zu diskutieren. Wir regen deshalb an — dabei hoffen wir auch auf die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion —, dies im Rahmen der anstehenden Novellierung des Bundesausbildungförderungsgesetzes zu unternehmen. — Ich danke Ihnen.
Frau Abgeordnete von Braun-Stützer, ich beglückwünsche Sie herzlich zu der ersten Rede, die Sie vor dem Deutschen Bundestag gehalten haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke. Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Zeitungen kann man lesen, daß die Abgeordneten der Opposition seit der letzten Wahl hier sehr vergnüglich rumlaufen und daß die langen Gesichter bei der Regierung und bei den Regierungsparteien zu finden sind.
Daß diese Wahl der Rollen inzwischen so verdreht ist, daß Sie uns auch noch fragen, was Sie tun sollen, und das zudem hier vor der Öffentlichkeit, ist allerdings schon ein dickes Stück.
Herr Vogelsang, Sie haben gefragt, was die CDU wolle. Vielleicht darf ich noch einmal sagen: Wir haben in den 70er Jahren den Darlehensanteil nicht mitgetragen. Wir haben in der Tat geglaubt, er sei ein Rückschritt. Wir haben uns dann von Ihnen überzeugen lassen und tragen inzwischen die Meinung mit, daß der Darlehensanteil aus den genannten Gründen zu bejahen ist: unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortlichkeit und aus dem fiskalischen Argument: Bildung soll nicht ganz umsonst sein; wenn wir schon den sozialen Unterhalt mit fördern und die Universität von Gebühren freimachen, dann soll auch von Studenten ein eigener Beitrag geleistet werden. Wir tragen diese Argumentation inzwischen voll mit.
Wir befinden uns freilich mittlerweile in einer sehr merkwürdigen Rolle, nämlich der, daß wir da ein Gesetz verteidigen, das Sie mit dieser Verwaltungskonstruktion so geschaffen haben, während Sie sich hier bei verteilten Rollen hinstellen und es entweder, wie es Frau von Braun-Stützer getan hat, völlig ablehnen, oder überhaupt keine Auskunft geben, wie es von der SPD geschieht. Wir werden ja vielleicht gleich nochmals etwas von der Bundesregierung hören. Wir haben in der Antwort auf unsere Anfrage gehört, daß die Bundesregierung an dem Gesetzentwurf, so wie er jetzt ist, festhält. Wir werden der Bundesregierung gegen ihre eigene Partei helfen, den Gesetzentwurf weiter so durchzuhalten. Das können wir hier anbieten.
Übrigens: Wenn Sie uns fragen, wie Sie es anstellen können, einen größeren Teil der Darlehen zurückzubekommen, verweise ich Sie auf die Banken. Wie kommt es eigentlich, daß die Banken einem sozusagen bis ins letzte Bett nachkriechen, um ihre Kredite wiederzukriegen?
Es muß doch ein Verwaltungsverfahren geben, das auch Sie entwickeln können, wo etwas funktioniert.
— Eines in Bonn und eines zu Hause.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogelsang?
Bitte sehr.
Herr Daweke, darf ich Sie fragen: Teilen Sie die Meinung des Bundesrechnungshofs nicht, der gesagt hat, daß man diesen Weg nicht beschreiten sollte?
Wenn Sie uns fragen, was man alles machen kann, müßten Sie doch bei sich selber anfangen, weil Sie doch so eine schöne Mehrheit haben, nachzudenken, welche Möglichkeiten es gibt. Bei diesem Nachdenken kann Ihnen der Bundesrechnungshof helfen. Auch wir werden helfen. Nur, Sie müssen damit anfangen.Ich gehe noch weiter auf die Ausführungen von Frau von Braun-Stützer ein, weil die FDP in diesem ganzen Part eine besondere Rolle spielt. Wir hatten in den letzten Jahren das Vergnügen mit Frau Schuchardt. Sie hat genau das getan, was heute Frau von Braun-Stützer gemacht hat. Da gibt es sicher eine völlige Kongruenz der Gedanken. Sie stellen sich in den Bundestag und verkünden, Sie seien eigentlich
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Dawekedafür, daß man schnellstens ein Gesetz einbringt, und Sie behaupten, das ganze Verfahren sei viel zu bürokratisch. Aber wenn wir im Ausschuß mit Ihnen konkret werden wollen — das haben wir Ihnen ja schon in der vorigen Wahlperiode angeboten —, dann verweigern Sie sich und stimmen zum Schluß immer schön auf der Koalitionslinie.Im „Spiegel", Frau Schuchardt, konnte man nachlesen, Sie seien in die Koalitionsrunde gerufen worden, und Sie seien mit dem erklärten Ziel hineingegangen, das Darlehen ganz abzuschaffen. Der Herr Lambsdorff sei ins Kabinett mit dem erklärten Ziel gegangen, den Darlehensanteil wesentlich zu erhöhen. Beide fühlen sie sich, weil das so geblieben ist, als Sieger. Beide haben Sie Ihr eigenes Wahlprogramm natürlich nicht erfüllt. Auch darüber müssen Sie sich klar sein. Vielleicht glauben Sie, daß man auf diese Art und Weise den vielzitierten Vertrauensgewinn bei jungen Leuten erreichen kann. Ich glaube das nicht. Sie müssen konsequent bleiben. Dann werden wir sehen, ob wir nicht auch Ihnen helfen können. Darüber kann man gern reden. Aber Sie können nicht, wie Sie es jetzt immer an den Unis und draußen und auch zu Hause in Hamburg tun, ganz andere Dinge als die erzählen, die Sie im Ausschuß und im Plenum mitbeschließen.
Eine ganz besondere Rolle spielt dabei übrigens Herr Baum. Es tut mir sehr leid, daß der Innenminister nicht hier ist. Der einzige Minister, der hier ist, hat bei dem, was er tut, unsere volle Unterstützung. Der Bundesinnenminister macht nämlich im Vollzug des BAföG etwas, was er sehr gern tut: Wenn er eine politische Linie nicht durchhalten kann, bemüht er entweder die Presse oder verweigert sich — in diesem Fall, ein Gesetz zu exekutieren.Herr von Schoeler, Sie haben unserem Herrn Pfeifer als Arbeitsgruppenvorsitzendem zunächst einmal mitgeteilt, daß Sie sich in der Beantwortung der Kleinen Anfrage geirrt haben. Das soll Ihr gutes Recht sein. Sie haben drei Monate gebraucht, um den Irrtum aufzuklären. Daß dort etwas nicht richtig war, mußten wir herausarbeiten. Zweitens sagen Sie in Ihrem Brief selber, daß sich der Bundesbildungsminister inzwischen weigert, die gemeinsam geführte Aufsicht — in diesem Fall die Fachaufsicht — über diese Tätigkeit auszuüben. Er sagt sozusagen: Ich klinke mich aus der Verantwortung aus, weil ich das so nicht verantworten kann. Das nehmen wir Herrn Schmude ab.Sie verweisen dann aber auf den Haushaltsausschuß und sagen: Leider sind mir die Stellen nicht bewilligt worden. Sie sagen aber nicht — und das ist eigentlich das Schlimme an der Sache —, daß Sie ja gar keine Bemühungen unternommen haben, diese Stellen im Haushalt 1981 überhaupt zu schaffen. Das bedeutet im Grunde genommen doch, daß Sie sich tatsächlich verweigern, dieses Gesetz zu exekutieren. Sie wollen es nicht. Man muß fragen: können Sie nicht oder wollen Sie nicht? Vielleicht ist es so, daß Sie das, was Sie wollen, nicht dürfen und das, was Sie können, nicht wollen.Der Bundeskanzler hat ja von diesem Platz aus gesagt, geistige Führung sei gar nicht Sache der Regierung. Dann hat Helmut Kohl hier gesagt: Der Bundeskanzler regiert nicht, er verwaltet. Ich sage Ihnen: Sie können j a nicht mal verwalten. Gucken Sie sich doch einmal Ihre Verwaltung an! Bei 7 000 000 nicht erledigten Fällen müssen Sie als Dienstherr doch Konsequenzen ziehen. Erkundigen Sie sich bitte einmal bei den zahlreichen Landräten, die hier sitzen, wie man eine Behörde führt! Wir würden Ihnen auch auf diesem Sektor gern helfen.Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen. An der heutigen Debatte ist insofern ein Mangel, als wir normalerweise zu Beginn einer Periode — und dann immer in Abständen von zwei Jahren — gewöhnt sind, zwar über das BAföG zu reden, aber nicht über den Verwaltungsvollzug, sondern über die Freibeträge usw., d. h. über die materiellen Inhalte des BAföG. Ich möchte doch für die CDU/CSU-Fraktion anmahnen, daß wir nun schon seit Monaten auf den Bericht nach § 35 BAföG warten: Wie wollen Sie in diesem Jahr die Freibeträge erhöhen? Wie wollen Sie möglicherweise den Darlehensanteil gestalten? Was werden Sie mit dem Förderungsbetrag machen?Wir möchten die Bundesregierung sehr nachhaltig daran erinnern, daß wir es ihr nicht durchgehen lassen werden, wenn Sie in den Koalitionsverhandlungen festschreiben: 2,4 Milliarden DM Bundesanteil, sich dann durch Nichterstattung eines Berichts — das ist übrigens auch Verweigern eines Gesetzesvollzugs — über das Jahr mogeln und dann irgendwie etwas nachbessern, um sich dann hier als die großen intellektuellen Studentenfreunde zu verkaufen. So wird das nicht gehen. Wir sagen dann lieber: Bitte, reden Sie mit uns über die Fragen des BAföG und auch der summenmäßigen Ausgestaltung. Dann muß man ehrlicherweise auch sagen, daß Sie Ihre leeren Kassen inzwischen durch diejenigen sanieren, die nun wirklich die Bedürftigsten bei uns sind.Und eine allerletzte Bemerkung: Frau von Braun, ich weiß nicht, wie das hier im Bonner Raum ist und wo Sie gelegentlich mal mit jüngeren Leuten zusammenkommen, möglicherweise auch mal mit Arbeitern. Würden Sie mir bitte erklären, wie Sie denen klarmachen können, warum Sie sie zur Zeit pressen wie eine Zitrone — Verweigerung Kilometerpauschale, keine gerechten Lohnsteuertarife usw. —, sich aber gleichzeitig hier hinstellen und sagen: Hier passiert etwas ganz Schlimmes, nämlich daß wir den Darlehensanteil in der Zwischenzeit noch nicht gestrichen haben. — Glauben Sie wirklich, daß das draußen verstanden wird: daß Sie das hier zugleich mit den anderen Maßnahmen ankündigen, aber im Grunde genommen nicht bereit sind, die Konsequenzen zu ziehen. Ich glaube, das, was Sie uns heute hier vorgeführt haben, ist sehr unglaubwürdig. Wir bedauern das sehr, sind aber, wie gesagt, auf diesem Gebiet zu jeder Kooperation bereit.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß ich nicht die Kreise der Bildungspolitiker störe, wenn ich aus nüchterner Finanzsicht einiges zu diesem Problem sage.Verehrte Kollegin, Sie haben vorhin die Schwierigkeit deutlich gemacht, daß ein Parlamentarier, wenn er zwei Empfehlungen mit unterschiedlichen Voten, vom Präsidenten des Bundesrechnungshofs und vom Bundesfinanzminister, bekommt, nicht wisse, woran er sei. In dem Gutachten steht in der Anlage 13, was der reale Rückzahlungswert ist:100jtT/D q-n-q-m/q-j-l = Rr
Wenn man dies liest, so stimme ich Ihnen in der Frage zu: Wem soll man glauben?
Nun komme ich zur Sache. Politisch ist in diesem Deutschen Bundestag — ich glaube einvernehmlich — entschieden, daß der Darlehensanteil im BAföG ein Tatbestand ist. Darüber darf man hier nicht dauernd trippeln. Wenn über Darlehen gefördert ist, bedeutet das, daß Geld zurückgezahlt werden muß
— „Sehr richtig" sagt sich sehr einfach. Ich habe gehört, daß von den elf Bundesländern, die gefragt worden sind, neun diesem Bericht zustimmen und den Darlehensanteil bejahen. Deshalb verstehe ich nicht, warum wir hier so verzweifelt im Grundsätzlichen diskutieren.Hierzu ist also für die Zukunft politisch folgendes festzustellen. Das Bundesamt, das mit der Rückzahlung betraut ist, muß personell verstärkt werden. Ich stimme dem vollkommen zu: Wenn der Bundestag keine neuen Stellen bereitstellen will, muß das zuständige Ministerium, notfalls die Bundesregierung, aus ihrer Personalreserve Stellen abgeben.
Herr Staatssekretär von Schoeler, Sie hören ja aufmerksam zu. Ich verkünde Ihnen: Wir haben die Stellen gefunden, die auf Jahre nicht besetzt sind. Wir werden sie bei der Beratung des Haushalts aufzeigen, wegnehmen und sie zum Bundesamt überführen.
Das wird funktionieren. Nur müssen wir in Köln das Personal finden, das die Arbeit macht. Das ist bei dem Engpaß gerade an dieser Stelle eine weitere Schwierigkeit. Das gleiche gilt für die Bundeskasse, die den Einzug vornimmt.Ich möchte meine Rede mit einem Appell an diejenigen, die Darlehen erhalten, beenden, denn ich sehe bei Ihnen auch eine Lösung. Wenn die politische Entscheidung hier so gefallen ist, daß die jungen Menschen, die BAföG-Leistungen bekommen, Darlehen erhalten, dann muß doch wohl in den Köpfen derjenigen, die hier auf Kosten der Allgemeinheit studieren — das sollen sie, das ist politisch so gewollt —, klar sein, daß sie als Schuldner das Geld zurückzuzahlen haben. Ich halte es für unerträglich, daß eine Behörde wie das Bundesamt nach Akademikern fahnden muß — wie Herr Daweke sagt, bis ins letzte Bett —, damit sie ihren Verbindlichkeiten
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Kühbachergegenüber dieser Gesellschaft nachkommen. Das ist für mich unerklärlich.
Man sollte sich überlegen, ob es nicht vernünftig ist, zu sagen: es gibt eine aufgelaufene Darlehenssumme in einer bestimmten Höhe, die drei oder von mir aus fünf Jahre nach Ende der Ausbildung fällig wird. Man sollte nicht im Gesetz mit Raten arbeiten. Derjenige, der einen bestimmten Betrag schuldet, sollte dann zu einer Bank gehen und dem Staat in einer Summe zurückgeben, was der Staat von ihm zu verlangen hat. Er muß selbst sehen, wie er das finanziert, z. B. mit einem Kleinkredit. Ich bin sicher, das Bundesverwaltungsamt käme auf diese Weise sehr schnell und sehr zügig mit sehr wenig Personal zu dem Geld. — Herr Staatssekretär Engholm, Sie nikken. Das muß ins Gesetz. So einfach ist das! Ich denke, man kann da Übereinstimmung bekommen.Noch einmal zu den jungen Leuten, die hier so viel beschworen worden sind. Wenn Politikverdrossenheit, Staatsverdrossenheit aufkommt, dann muß ich als Parlamentarier auch im Interesse der von Herrn Daweke beschworenen Arbeiter verlangen, daß Akademiker, die beim Staat Schulden haben, die Schulden von sich aus zurückzahlen und nicht erst warten, bis sie dazu aufgefordert werden.
Diese Moral muß wieder einkehren. Ich will keine Berufsgruppe herausnehmen. Mir läuft es aber kalt über den Rücken, wenn ich mir vorstelle, daß dieses Bundesamt Raten von 80 DM bei einem Arzt oder Apotheker Monat für Monat mit Bescheiden einfordern muß. Das ist mir unverständlich. Dieses sollte in einer Summe eingefordert werden. Wir werden die in Lohn und Brot befindlichen Akademiker, Selbständigen, Freiberufler und Ingenieure dadurch wahrscheinlich nicht vor unlösbare Lebensaufgaben stellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den moralischen Appell von Herrn Kollegen Kühbacher am Ende seiner Rede würde ich gerne unterstützen. Nur sollten wir uns nicht alle ein falsches Feindbild aufbauen und sagen, daß BAföG-Anteile nur von dem gut verdienenden Arzt oder ähnlichen Leuten zurückgezahlt werden müssen. Man muß da auch vorsichtig sein.Das Problem ist doch folgendes: Das Gesetz ist perfektionistisch bis zum letzten und erfordert daher diese ganz perfektionistische Durchführung, bei der für alle die Raten gleich festgelegt werden. Ob es der eine oder andere früher oder später zurückzahlen könnte, liegt nicht im Freiraum des Gesetzes. Das Gesetz müßte deshalb geändert werden. Dann muß man sich auch fragen, ob es unbedingt - deshalb mein Hinweis, Herr Kollege Kühbacher —, im hoheitlichen Bereich des Staates verwaltet werden muß. Mir scheint durchaus die Chance gegeben zusein, mit individuellen Vereinbarungen zu arbeiten, die nicht unbedingt den Stempel einer hoheitlichen Behörde tragen müssen. Wir sollten uns der Möglichkeit einer Änderung dieses Gesetzes nicht von vornherein verschließen.Mich haben der erste Diskussionsbeitrag und der von Herrn Daweke ein bißchen irritiert. Wir haben unlängst eine Haushaltsberatung gehabt. Da gab es von seiten der Union einige Anträge, wenn ich mich richtig erinnere. Aber es gab keinen Antrag, der darauf hinauslief, beim Bundesverwaltungsamt eine Summe von x neuen Stellen vorzusehen. Die Erkenntnisse, die es darüber gab, haben genau zu dem dargestellten Ergebnis des Bundesrechnungshofs geführt. Die Logik des Verfahrens hätte einen Antrag von seiten der Union auslösen müssen, hier eine bestimmte Anzahl von Stellen vorzusehen. Den gab es nicht.
— Was heißt „Umsetzungen"? Das haben Sie auch nicht beantragt. Das Problem liegt doch ganz einfach darin: Wenn man über Bürokratie diskutiert — und Antibürokratiediskussion ehrlich mein —, dann muß man das Verfahren überprüfen und kontrollieren, ob das, was im Gesetz steht, noch sinnvoll ist. Man kann nicht auf die Art und Weise, wie Sie das tun, herkommen und sagen: Ihr seid immer für die Bürokratie verantwortlich, weil Ihr eine große Zahl von Stellen im Haushalt vorgesehen habt.
Wer so ein Verfahren akzeptiert, wie Sie das gemacht haben, der provoziert Bürokratie — das ist nun einmal so —, und der darf sich jetzt nicht die Ausschußarbeit präjudizieren, sondern der muß versuchen, im Laufe der Beratung zwischen beiden Seiten einen vernünftigen Kompromiß über das Verfahren zustande zu bringen. Ich finde, es ist j eden-falls auch nicht sehr hilfreich, wenn man von Ihrer Seite gelegentlich den Bundesrechnungshof als „gutes Gewissen" der Bundesregierung oder des. Parlamentes apostrophiert und dann, wenn er einmal einen Vorschlag gemacht hat, der darauf hinausläuft, daß die finanz- und kapitalwirtschaftliche Seite des Darlehenanteils etwas unsinnig ist, sagt: Da hat der Rechnungshof ausnahmsweise einmal unrecht. Man kann es sich nicht so leicht machen und sagen, daß ein Teil der Parlaments in dieser Frage den Vorschlägen des Rechnungshofes eher zuneigt als der andere Teil.Ich meine ohnehin, daß sich der kritische Punkt der Diskussion in den nächsten Jahren auch auf andere Fragen erstrecken wird, Herr Kollege Daweke. Wenn die Plafondierung einer Ausgabenzuwachsbremse auch beim BAföG vorgenommen wird, dann wird notwendigerweise die Struktur des gesamten BAföG von uns aus zu überprüfen sein. Ich finde, wir sollten alle vorurteilsfrei an diese Aufgabe herangehen.
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Gärtner— Wenn Sie jetzt gelesen haben, dann können Sie eine Zwischenfrage stellen, wenn der Präsident das zuläßt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Daweke?
Herr Kollege Gärtner, darf ich vielleicht in Ihre Erinnerung zurückrufen, was die CDU in der 7. Periode beantragt hat? Ich lese vor:
Aus den genannten Gründen
— nämlich Verwaltungsverfahren etc. —
sprach sich die CDU/CSU dafür aus, einen anderen Weg der Darlehensförderung zu gehen: Nur in den beiden letzten Semestern der Förderungshöchstdauer solle auch mit Darlehen gefördert werden. Die Studenten, die ihr Studium vorher abschließen, brauchten dann kein Darlehen in Anspruch zu nehmen.
Das wäre ein Vorschlag gewesen. Diesen Vorschlag haben Sie aber abgelehnt.
Ich könnte es mir sehr einfach machen und sagen: Die 7. Legislaturperiode ist schon lange her; da war ich noch nicht hier und konnte diesen Vorschlag persönlich nicht ablehnen. Aber ich bewahre mir immerhin noch die Fähigkeit, auch ein bißchen klüger zu werden. Wenn das bei Ihnen genauso ist, dann hoffe ich, daß wir fruchtbare Ausschußberatungen haben werden. Vielleicht ist der eine oder andere Hinweis auch von unserer Seite bei Ihnen auf guten Boden gefallen. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich veranlaßt eigentlich nur die Leichtfertigkeit des Kollegen Daweke, hier einige ganz wenige Sätze zu sagen. Herr Daweke, es ist schon verblüffend, wie Sie an allen Fakten vorbeireden, um immer wieder zu einem Ziel zu kommen, nämlich den Bundesinnenminister oder die Bundesregierung insgesamt anzugreifen. Allerdings müssen Sie sich dann gefallen lassen, an einige Dinge erinnert zu werden.
Der Bundesminister des Innern hat bei den Haushaltsberatungen, als es um die Beratung über zusätzliche Stellen beim Bundesverwaltungsamt zur Durchführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ging, alle Fraktionen eindringlich darauf hingewiesen, daß nach eingehender Prüfung, nach Ausnutzung aller Möglichkeiten der Verwaltungsvereinfachung, der Büroorganisation und des Einsatzes moderner technischer Mittel im Bundesverwaltungsamt selbst nach dem Einsatz weiterer etwa 110 Stellen im Bundesverwaltungsamt über das Stellensoll hinaus ohne zusätzliches Personal die Aufgaben nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dort nicht zu bewältigen seien. Darauf ist der Haushaltsausschuß — auch die Mitglieder Ihrer Fraktion — hingewiesen worden. Es hat sich dann dort keine Debatte, ausgelöst von den Mitgliedern Ihrer Fraktion, angeschlossen, wie denn das Problem zu lösen sei, sondern Sie haben die Augen zugemacht. Sie haben auch dann die Augen zugemacht, als der Bundesminister des Innern auf diese Fragestellung im Plenum des Deutschen Bundestages hingewiesen hat.
Nun würde ich das alles nicht erwähnen, wenn Ihre Fraktion nicht wenige Wochen danach in der Öffentlichkeit im Zeitpunkt des Bundestagswahlkampfes heftige politische Attacken gegen den Bundesinnenminister wegen Tatbeständen erhoben hätte, die Ihnen vorher lange bekannt waren und zu deren Lösung Sie im Haushaltsausschuß aus Gründen, die ich nicht zu bewerten habe, jedenfalls keinen Beitrag leisten wollen. Diese Doppelzüngigkeit — zur Lösung des Problems nichts beizutragen, aber politische Angriffe zu starten — muß ich zurückweisen. Ich fände es gut, wenn diese Debatte dazu beitragen könnte, daß über sachliche Möglichkeiten, das Problem zu lösen, geredet würde. Dazu habe ich von Ihnen nichts gehört. Kollege Kühbacher hat dazu einige Bemerkungen gemacht.
Ich möchte dem federführenden Ressort nicht vorgreifen. Ich bin aber sicher, daß die Bundesregierung jede Überlegung, wie das Problem gelöst werden kann, die aus den Reihen des Parlamentes kommt, aufgreifen und prüfen sowie versuchen wird, zu einer Lösung zu kommen. Das, was wir als Bundesinnenministerium zur Lösung dieses Problems beitragen konnten, haben wir getan. Wir haben zu den 113 Stellen, die wir dort haben, ständig weitere — insgesamt 110 — hinzugenommen. Wir haben auch andere Bereiche im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, in denen es, wie Sie wissen, personalmäßig hohe Anforderungen gibt. Ich erinnere hier nur an das Bundesamt in Zirndorf. Wir haben die Büroorganisation verbessert. Wir haben alles eingesetzt, was wir an technichen Mitteln haben. Ich meine, daß es auch im Blick auf die Beamten, die dort arbeiten und die für die Durchführung dieses Gesetzes, das hier beschlossen worden ist, verantwortlich sind, absolut unverantwortlich erscheint, mit der Leichtfertigkeit, mit der Flapsigkeit, mit der Sie dieses Thema behandelt haben, zu reden. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, den Beamten, die die Aufgabe haben, dieses Gesetz auszuführen, für den Arbeitseinsatz, den sie zu leisten bereit waren und bereit sind, sehr herzlich zu danken.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Engholm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Daweke kann die nicht losgewordene Frage in den nächsten zehn oder fünfzehn Minuten vielleicht mir stellen.
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Parl. Staatssekretär EngholmTrotz aller vernichtenden Kritik, die hier von der von mir sehr geschätzten neuen CSU-Kollegin Geiger und vom Kollegen Daweke gegen das BAföG vorgebracht worden ist, möchte ich für die Bundesregierung doch noch einmal festhalten, daß es weder derzeit noch in der Zukunft ein anderes und besseres Instrument der sozialen Absicherung von Ausbildungschancen als das BAföG geben wird.
Ich warne ganz nachdrücklich davor, mit der manchmal belustigenden Flapsigkeit, die wir j a auch schon aus der Ausschußarbeit kennen, über ein solches Gesetz an einem solchen Minipunkt wie diesem herzuziehen, das Gesetz damit in der Öffentlichkeit madig und denen den Mund wässerig zu machen, die nur darauf warten, die Mittel zu kürzen und abzubauen. Davor warne ich nachdrücklich.
Neugierige haben in der Vergangenheit erlebt, was das in finanziell schwierigen Zeiten auch im eigenen Hause an Folgerungen nach sich ziehen kann.Nun wissen wir alle, meine Damen und Herren, daß dieses Instrument auch schon deshalb überzeugt, weil im letzten Jahr über 830 000 junge Menschen — Schüler und Studenten — nach diesem Gesetz mit insgesamt über 3,7 Milliarden DM gefördert worden sind. Dies ist, wie ich meine, trotz aller Kritik, die man vorbringen kann — ob sie nun in Richtung auf die Abschaffung des Darlehens geht oder ob, wie dies sogar einige in Ihrer Fraktion tun, gefordert wird, das Darlehen zu erhöhen und auch zu verzinsen —, eine beachtliche Gemeinschaftsleistung von Bund und Ländern. Dies sollte man auch in der Öffentlichkeit immer wieder deutlich machen. Was hier aus Steuergeldern gezahlt wird, ist kein Pappenstiel.
Nun wissen wir alle, daß ein Teil dessen, was wir an die BAföG-Empfänger zahlen, ein zinsfreies Darlehen ist, das zurückgezahlt werden muß. Ich werde dazu im Verlauf meiner kurzen Ausführungen noch ein paar Worte sagen. Hinsichtlich der Frage, wie hoch der reale Rückfluß dieser Darlehen eines Tages sein wird, ist ein Streit aufgekommen, der hier schon erwähnt worden ist. Der eine sagt, am Ende der Rückzahlung gebe es einen Rückfluß von 20 bis 30 %. Die Bundesregierung sagt, es würden voraussichtlich — ich glaube, wir haben besser gerechnet — 30 bis 40 % sein. Es sieht so aus, als gebe es hier einen heillosen Zwist zwischen diesen beiden Zahlenwerken. Der Kollege Vogelsang hat aber schon darauf hingewiesen, daß, wenn man die ökonomisch bestimmenden Faktoren, wie etwa die unabschätzbare Geldwertminderung in den nächsten zehn oder fünfzehn Jahren, zu Rate zieht, diese Werte bei den Schwankungsbreiten, die man einkalkulieren muß, gar nicht so weit auseinanderliegen mögen.Ich will in diesem Zusammenhang auch zwei ganz kurze Bemerkungen zum Darlehenseinzug machen. Ich behaupte immer wieder — das sage ich auch meiner Kollegin Geiger, die jetzt hinter mir sitzt; ich nehme an, daß sie das Bundesverwaltungsamt, das sie hier sehr scharf kritisiert hat, noch nicht besuchthat —, daß die Vollzugsprobleme nicht mit den sehr komplizierten Gesetzen zusammenhängen. Es ist wohl richtig, daß die Verteilung von BAföG, die Vergabe von BAföG in der Tat auf der Grundlage eines komplizierten Gesetzes- und Verordnungswerks erfolgt. Die Einziehung und Verwaltung der Darlehen ist im Grundsatz aber nicht schwerer als die Verwaltung von privaten Krediten auf deutschen Banken. Insofern stellt sich hier, wie ich meine, nicht die Frage nach neuen oder veränderten Vorschriften. Es geht vielmehr allein um eine hinreichende personelle Ausstattung des Amtes, damit es seiner Aufgabe nachkommen kann.
— Nun kommt der Kollege Daweke doch noch zu seinem Recht.
Verzeihen Sie, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Abgeordneten Daweke?
Herr Staatssekretär, das war genau der Punkt, auf den ich vorhin eigentlich Ihren Kollegen aus dem Innenministerium ansprechen wollte: Wenn die personelle Ausstattung das eigentliche Problem ist, weshalb hat dann die Bundesregierung für 1981, nachdem sie durch die Mehrheitsfraktionen 1980 nicht gestützt worden ist, für 1981 nicht die zusätzlichen Stellen im Haushalt angefordert?
Ich komme auf den Punkt, wenn Sie gestatten, etwas später zurück. Damit es nicht allzulange dauert, fahre ich mal kurz fort.
Das heißt also: Vollzugsprobleme sind es nicht. Es ist nach meiner Auffassung — und Sie scheinen es durch Ihre Frage zu bestätigen — eher eine Frage der hinreichenden personellen Ausstattung, über die wir noch reden müssen.
'Zum zweiten muß ich folgendes sagen. Es handelt sich beim Einziehen des BAföG-Darlehens um ein ausgesprochenes Massengeschäft, das auch bei einer großen staatlichen Verwaltung nicht immer an der Tagesordnung ist. Wir haben es zur Zeit mit der Verwaltung und der Einziehung von 900 000 Rückzahlfällen mit einem steigenden Volumen von derzeit 3 Milliarden DM zu tun. Das ist eine Aufgabe, die auch eine gut ausgestattete und qualifizierte staatliche Verwaltung nicht mit links regeln kann. Auch große Bankfilialen — das hat uns jemand entgegengehalten — kann man da nicht vergleichen. Sie müssen lange suchen, um Bankfilialen zu finden, die so viele personenbezogene Kredite auf einmal mit der gleichen Anzahl von Mitarbeitern zu bewältigen haben.
Von daher sollten wir es uns, Herr Kollege Kühbacher, auch nicht allzu leicht machen. Hinter dem Einziehen der Darlehen stecken sehr unterschiedliche soziale Tatbestände, nicht nur Wohnwechsel, sondern auch sehr unterschiedliche Anfangsein-
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Parl. Staatssekretär Engholm
kommen. Ich sage aus meiner elfjährigen Tätigkeit als Bildungspolitiker hier im Hause, daß es nicht immer sehr sozialdemokratisch ist zu sagen, alle Akademiker in diesem Land, besonders die jungen, seien so ausgestattet, daß man ihnen alles auferlegen könne. Ich meine, wir sollten die soziale Differenzierung, die im Gesetz enthalten ist, auch beim Einziehen der Darlehen weiterhin berücksichtigen. Das schließt nicht aus, daß wir Ihre sehr mutigen Anregungen berücksichtigen werden.
Ich will noch einmal mit aller Deutlichkeit wiederholen, auch weil die Union danach gefragt hat, daß wir mit dem Darlehen insgesamt zwei Gesichtspunkte verbinden. Zum einen — das muß ganz deutlich angesichts der obwaltenden finanzpolitischen Verhältnisse gesagt werden — verbinden wir damit die Hoffnung, über eine angemessene Refinanzierungsquote den Einsatz staatlicher Mittel in vertretbaren Grenzen zu halten. Ich habe Ihnen die Größenordnungen genannt, die j a nicht beliebig und auf Dauer ausgeweitet werden können.
Zum zweiten hat übrigens auch der Gesetzgeber — nicht nur die Bundesregierung — mit dem Darlehen die Hoffnung in Verbindung gebracht, daß durch eine finanzielle Eigenverantwortung junge Menschen beim Lernen etwas zügiger vorankommen. Wenn man sich die Struktur der BAföG-Abschlüsse anguckt, stellt man fest: nach BAföG Geförderte lernen in der Regel in der Tat etwas zügiger. Sie machen dabei keineswegs schlechtere Abschlüsse, d. h. selbst angesichts des Druckes, dem sie finanziell ausgesetzt sind, schaffen sie gute Leistungen. Sie unterbrechen ihre Ausbildung seltener als andere. Das heißt, die Lernerfolge sprechen dafür, dieses Instrument nicht ohne weiteres in den Orkus zu schmeißen.
Deswegen möchte ich bei allem Verständnis für die Kritik derer, die mit einem Darlehen belastet sind — es ist in der Tat für manchen Jugendlichen aus sozial schwächeren Haushalten nicht wenig, was er an Schulden auf sich zukommen läßt —, sagen: Angesichts der derzeitigen Situation ist das Beibehalten des jetzigen Darlehens mit sozial gestaffelten Rückzahlungsbedingungen eine vertretbare Lösung. Deshalb kann man auch nicht absolut sagen, Darlehen sei gleich soziale Abschreckung für sozial Schwächere. Diese Formulierung wäre zu pauschal, auch in Gewichtung der Größenordnung von Schulden, die über ein zehnsemestriges Studium anwachsen können.
Ich plädiere also für die Bundesregierung noch einmal dafür, Zurückhaltung zu üben gegenüber Versprechungen, das Darlehen endgültig aufzuheben, weil ich glaube, daß wir damit ganz andere Diskussionsbewegungen in Gang setzen würden. Wenn wir heute auf der einen Seite denjenigen Mut machen, die sagen, wir müssen das Darlehen abschaffen, dann werden wir die Front derjenigen stärken, die sagen, wir müssen das Darlehen erhöhen, wir müssen es verzinsen und wir müssen die Rückzahlungsbedingungen verschärfen. Ich meine, dann erst, wenn wir den Weg der Verschärfung der Darlehensbedingungen gingen, kämen wir in die Gefahr, einen sozialen Numerus clausus mit all den finanziellen und emotionalen Sperren, die damit verbunden sind, aufzubauen. Von daher bitte ich auch meine Kollegen aus dem Bereich der FDP, diese Frage sehr nüchtern zu sehen und auch öffentlich keine Versprechungen zu machen, die vielleicht bei den Studierenden und bei den Schülern falsche Hoffnungen erwecken können.
Ich darf vielleicht in drei kurzen Schlußfolgerungen zusammenfassen. Erstens. Angesichts der in der Diskussion befindlichen Extrempositionen „Abschaffung des Darlehens" oder „Verschärfung der Darlehensbedingungen" plädiert die Bundesregierung für Nüchternheit und für die Beibehaltung des Darlehens einschließlich sozialgestalteter Rückzahlungsbedingungen.
Zweitens. Die Bundesregierung hat sich bereits bemüht, den Darlehenseinzug effizienter zu machen. Wir haben — und ich will jetzt gar nicht die ganzen Details nennen — von monatlicher auf vierteljährliche Tilgung umgestellt. Wir sind dabei, alles auf Mikrofilm zu nehmen, was die Bearbeitungsschnelligkeit wesentlich erhöhen wird. Wir haben Lastschrifteinzüge und ähnliches eingeführt. Wir werden auf diesem Gebiet weiter — wie man so schön auf bildungschinesisch sagt — innovieren.
Drittens. Eine weitere wesentliche Erhöhung der Effizienz beim Darlehenseinzug ist nur dann zu erreichen, wenn wir eine bessere personelle Ausstattung der damit betrauten Verwaltung bekommen. Von daher ist die Bundesregierung dem Kollegen Kühbacher ausgesprochen dankbar dafür, daß er als jemand, der mit Haushalt und Finanzen zu tun hat, hier ein deutliches Wort zugunsten unserer Wünsche gesagt hat. Wir werden uns bei den Haushaltsberatungen gemeinsam daran erinnern.
Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten trotz aller Kontroversen, die wir über das BAföG noch führen werden, nicht vergessen, daß in den vergangenen Jahren, seit es BAföG gibt, eine stetig wachsende Zahl von jungen Menschen aus wirtschaftlich schwächeren Familien den Weg weiterführender Bildungsgänge deshalb hat gehen können, weil es eine wirtschaftliche Absicherung dieser Bildungsgänge gegeben hat. Ich denke, wir sollten alle Mühe daransetzen, dieses sozial wirksame Gesetz auch in Zeiten größerer wirtschaftlicher und finanzieller Anstrengungen zu erhalten. Ich hoffe, daß Sie alle, alle drei Fraktionen, die Bundesregierung bei diesem gewiß nicht leichten Bemühen unterstützen werden. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär von Schoeler, ich denke, Sie haben sich hier kräftig übernommen, indem Sie gemeint haben, Kollegen der „Flapsigkeit" und „Leichtfertigkeit" bezichtigen zu müssen. Sie sind doch irgendwo auch noch Parlamentarier und sollten Verständnis für eine klare, farbige und auch draußen verständliche Ausdrucksweise, wie die Kol-
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Rühelegen Kühbacher und Daweke sie hier verwandt haben, haben. Ein verklausuliertes, diplomatisches voll abgesichertes Gespräch, wie Sie es in Ihren Heiligen Hallen im Ministerium vielleicht überwiegend führen, ist doch kein Vorbild für das Parlament!
Ich meine also: Lassen Sie solche Kritik!
Im übrigen haben Sie sich vor Ihre Beamten gestellt und haben ihnen gedankt. Da stellen Sie sich vor Leute, die wir gar nicht kritisiert haben. Das ist auch ein ganz billiger Trick. Wir haben doch nicht die Beamten der Faulheit und der Unfähigkeit bezichtigt. Dessen haben wir Sie bezichtigt! Wir haben gesagt, daß Sie nicht Ihre Pflicht getan haben.
Es ist doch ein ganz billiger Trick, wenn Sie sich nun vor Ihre Beamten stellen. Denken Sie lieber darüber nach, wie Sie besser Ihrer Pflicht nachkommen können, geltende Gesetze so zu vollziehen, daß die Mittel auch wieder so, wie das vorgesehen ist, hereinkommen. Es ist eben Ihre Aufgabe, das zu organisieren und die Beamten so einzusetzen, daß sie dieser Aufgabe auch gerecht werden können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Sehr gerne.
Herr Kollege Rühe, kann ich davon ausgehen, daß bei den Haushalts- und Stellenplanberatungen des Jahres 1981 Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages im Sinne des Angebots, nicht besetzte Stellen in der Bundesverwaltung in Richtung Bundesverwaltungsamt umzuschichten, mitziehen werden?
Ich finde, daß Sie zu diesem Punkt den besten Vorschlag von allen Fraktionen gemacht haben, und ich werde mich dafür einsetzen, daß unsere Kollegen Sie bei diesem Anliegen unterstützen, damit keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden.
Oberhaupt finde ich — um das einmal zu sagen — Ihre Rede sehr erfrischend und auch sehr, sehr notwendig, denn ich hatte hier in den vergangenen Jahren nicht selten das Gefühl, daß die Sozialdemokratische Partei nicht mehr begreift, was die große Mehrheit der Arbeitnehmer dieses Landes zu ihrer Bildungspolitik meint, sondern daß hier einseitig akademikerfreundliche Positionen vertreten wurden. Deswegen war es sehr erfrischend, daß Sie diesen Teil der Bevölkerung darauf hingewiesen haben, daß er seine Verpflichtungen gegenüber dem Staat hier genauso wie alle Arbeitnehmer zu tragen hat. Wenn Sie sich da durchsetzen können, dann gibt mir das ein bißchen Hoffnung für die Sozialdemokratische Partei.
Herr Abgeordneter, gestatten I Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?
Herr Rühe, ich hoffe, Sie übersehen dabei nicht, daß es in erster Linie die Kinder von Arbeitern und Angestellten sind, die Hilfen und Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bekommen.
Entschuldigen Sie, die Leute müssen die Darlehen doch erst zurückzahlen, wenn sie in Lohn und Brot sind. Da gibt es genug soziale Klauseln. Wenn ein Kind eines Arbeiters oder Angestellten ein Studium absolviert und einen Arbeitsplatz bekommen hat oder Rechtsanwalt oder Arzt oder was auch immer ist, dann kann es selbstverständlich zurückzahlen.
Herr Vogelsang, diese Rückzahlung sollte geschehen, damit die Kinder von Arbeitern und Angestellten auch in Zukunft die Mittel für das Studium bekommen.
Was ist denn eigentlich unsozialer? Da muß ich einmal Frau von Braun-Stützer ansprechen. Die Alternative ist doch, daß Kinder für ihr Studium überhaupt keine BAföG-Mittel bekommen. Es geht ja darum, daß Mittel eingefroren werden sollen. Dann werden es weniger Mittel sein. Ist das nicht die unsozialste Politik? Man kann aber doch durch den Rückfluß der Darlehen von denjenigen, die in Lohn und Brot sind und genug verdienen, dafür sorgen, daß die Kinder von Arbeitern und Angestellten auch in Zukunft studieren können, indem sie eine Unterstützung bekommen.
Das wäre eine soziale Politik.
In diesem Punkt kann ich nur das unterstützen, was der Vertreter der Bundesregierung, in diesem Fall Herr Staatssekretär Engholm, gesagt hat. Aber das Schlimme ist, daß Sie innerhalb der Koalition, sogar innerhalb einer Partei völlig uneinig sind. Frau von Braun-Stützer spricht von einer sozialen Abschreckung, von einer ganz schlimmen Sache. Herr Lambsdorff sagt, es müßte im Grunde noch mehr Darlehen geben. Die SPD ist — durch Herrn Vogelsang — noch für das Darlehen. Ihr Staatssekretär verteidigt die Politik und fordert zu Nüchternheit auf. Woran soll sich eigentlich ein junger Mensch in diesem Land angesichts der Vielfalt der Meinungen halten?Wir müssen in der jungen Generation das Bewußtsein durchsetzen, daß sie nicht alles zum Nulltarif kriegen kann, daß sie für das Privileg, was es ja immer noch ist, auch eine Gegenleistung zu erbringen hat. Denn es handelt sich um beträchtliche Steuergelder, aufgebracht von sehr vielen Arbeitnehmern in diesem Land, um die Universitäten zu finanzieren. Um einen einzigen Studienplatz normal zu finanzieren, braucht man die Lohnsteuer von neun Arbeitnehmern. Das mögen Sie nie vergessen! Wie
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Rühewollen Sie in der jungen Generation das Bewußtsein schaffen, daß man auch aus eigener Verantwortung zu dem Förderungssystem etwas beitragen muß, daß man der Gesellschaft etwas zurückgeben muß, die einen in die Lage versetzt hat, eine solche Ausbildung zu bekommen? Wie wollen Sie das, was so dringend notwendig wäre, schaffen, wenn Sie in dieser Frage eine so zerstrittene Position haben?!Deswegen kann ich nur sagen: Einigen Sie sich endlich auf eine Position! Wir wollen Ihnen dabei helfen. Vertreten Sie diese Position geschlossen nach außen! Dann erreichen wir auch in der Zukunft eine vernünftige Finanzierung der Ausbildungsförderung an den Universitäten, damit auch in Zukunft kein sozialer Numerus clausus für die Kinder von Arbeitern und Angestellten eintreten muß.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage der Bundesregierung Drucksache 8/4187 zu überweisen an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft — federführend — sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie den Haushaltsausschuß. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Schlußberichts der Bundesregierung über die Verwendung der den Ländern für die Errichtung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten im Rahmen des Stufenplans zu Schwerpunkten der beruflichen Bildung zur Verfügung gestellten Mittel
— Drucksache 9/1 —
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Nelle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag einen Schlußbericht vorgelegt über die Verwendung der Mittel, die sie den Ländern für die Errichtung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten im Rahmen des Stufenplans zu Schwerpunkten der beruflichen Bildung zu Verfügung gestellt hat. Das Hohe Haus hat bereits im Jahre 1977 von der Bundesregierung einen ersten Zwischenbericht erhalten. Nach diesem Zwischenbericht sollten Baumaßnahmen auf folgende Ziele konzentriert werden: 1. Erweiterung des Teilzeitberufsschulunterrichts; 2. Ausbau des schulischen Berufsgrundbildungsjahrs — ich komme darauf zurück —; 3. berufsbefähigende Maßnahmen, insbesondere für Jugendliche ohne hinreichenden schulischen Abschluß und ohne Ausbildungsvertrag.Hier das Ergebnis des uns vorliegenden Schlußberichts: Mit den insgesamt 400 Millionen DM wurden 515 Vorhaben mit rund 61 000 Werkstatt- und Laborplätzen sowie rund 74 000 sonstige Unterrichtsplätze errichtet bzw. funktionsgerecht gemacht.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, für die CDU/CSU-Fraktion einige kritische Anmerkungen zu diesem 400-Millionen-Programm machen. Im Interesse der geburtenstarken Jahrgänge war das 400-Millionen-Programm sicherlich — das soll nicht verschwiegen werden — für die Länder und besonders für die Träger der berufsbildenden Schulen, also insbesondere für die Landkreise und die kreisfreien Städte, eine Art Initialzündung für den weiteren Ausbau der berufsbildenden Schulen und ebenso eine Hilfe bei der Konsolidierung der damaligen konjunkturellen Lage, insbesondere der Bauwirtschaft.
Die Frage allerdings, ob die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien mit diesem Programm der notwendigen Sicherung und vor allen Dingen der Ausweitung des Ausbildungsplatzangebots einerseits und der geforderten konzeptionellen Weiterentwicklung der Berufsbildung andererseits gerecht geworden sind, muß eindeutig mit Nein beantwortet werden.In den beiden letzten Legislaturperioden — soweit konnte ich es als Neuling durch entsprechende Aufzeichnungen und Protokolle zurückverfolgen — hat die CDU/CSU-Fraktion eine Kurskorrektur in der Bildungspolitik verlangt, damit endlich der unheilvolle bildungspolitische Weg der Bundesregierung und der SPD/FDP-Koalition, der seinen Ausgangspunkt im Bildungsbericht 1970 hatte, verlassen wird. Aber alle Initiativen der CDU/CSU-Fraktion — ich darf daran erinnern: 1975 ein Antrag mit dem Thema „Reform der beruflichen Bildung"; 1976 eine Große Anfrage mit dem Thema „Zukunftschancen der jungen Generation in der Bildung und im Beruf"; 1977 Programm zur Sicherung und Weiterentwicklung der Ausbildungsplätze; 1978 ein Antrag „Zukunftschancen der jungen Generation" mit der Debatte in 1979 — hat die Koalition von SPD und FDP mit ihrer Mehrheit in diesem Hause vom Tisch gefegt.SPD und FDP haben in den Debatten immer wieder deutlich gemacht, daß sie an ihrer Politik der Überbewertung der theoretischen und akademischen Bildungsgänge festhalten wollen, anstatt den Ausbau der beruflichen Bildungsgänge energisch voranzutreiben. Sie blieben geradezu blind vor der Tatsache, daß Beschäftigungssystem und Ausbildungssystem — als Schere betrachtet — immer weiter auseinandergehen.Eduard Pestel, der niedersächsische Wissenschaftsminister, hat in seinem Buch „Das Deutschland-Modell" hochgerechnet, daß im letzten Viertel dieses Jahrhunderts die Zahl der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluß sich verdreifachen wird, daß sich die Zahl der Erwerbstätigen mit Fachhochschulabschluß mehr als verdoppelt, daß sich die Zahl der Erwerbstätigen mit Abitur oder mit einem äquivalenten Abschluß fast verdoppelt, daß sich die Zahl der Erwerbstätigen mit Fachschul- oder Realschulabschluß um 50 % erhöhen wird und daß die Zahl der
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NelleErwerbstätigen — man höre und staune — mit Hauptschulabschluß oder weniger um 40% abnimmt.Es ist mir klar, daß es schwer ist, die zukünftigen Anforderungen von Wirtschaft und Staat an die Beschäftigten mit einiger Genauigkeit zu beschreiben. Nur eines, meine Damen und Herren, steht fest: Wir werden eine große Nachfrage nach qualifizierten Facharbeitern in den nächsten Jahren haben und weniger nach akademisch Ausgebildeten mit einem Diplom. Wir müssen endlich von der Wahnvorstellung weg, der Mensch im Betrieb beginne erst mit dem Akademiker.
Wir müssen vor allen Dingen auch attraktive Berufsbildungsgänge in der Wirtschaft für Abiturienten unter der Devise „Alternative zum Studium" schaffen. Ich darf etwa an die Berufsakademie in Baden-Württemberg erinnern. Vielleicht darf ich auch an einen Artikel in der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" unter der Überschrift „Immer mehr Abiturienten streben nach Lehrstellen" erinnern. Dort geht man davon aus, daß bereits 1980 28% aller Abiturienten eine Ausbildungsstelle gesucht und kein Studium aufgenommen haben. Darum heißt die Anforderung an unser Bildungssystem: Im Interesse des einzelnen, der Unternehmen und unter gesellschaftlichen Aspekten muß der Übergang vom Bildungs- ins Beschäftigungssystem möglichst reibungslos sein.Lassen Sie mich eine weitere kritische Anmerkung zu diesem 400-Millionen-Programm machen. Auch hier haben wir es wie bei vielen Finanzierungsobjekten des Bundes mit einer Mischfinanzierung zu tun. Wir kennen alle die Probleme, die damit verbunden sind, besonders die sehr hohen Kosten, die auf den verschiedensten Ebenen — Bund, Land, Landkreise, Bezirke, Gemeinden — durch bürokratische Abwicklung entstehen. Mir fiel ein Artikel in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" vom 29. Dezember 1980 mit der Überschrift „Verwaltungsaufwand frißt die Städte auf" in die Hand. Hier steht zu lesen, daß allein 2 000 Beamte in den Rathäusern Nordrhein-Westfalens für zweckgebundene Zuweisungen benötigt werden.Wir bringen mit dieser Mischfinanzierung nicht nur die Länder, ohne deren Beteiligung bekanntlich nichts läuft, in Zugzwang, sondern haben, wenn wir ehrlich sind, durch die Mischfinanzierung in unseren Kommunen geradezu die Unmäßigkeit in investiven Bereichen herausgefordert, Bereiche, die sonst möglicherweise einen niedrigeren Stellenwert gehabt hätten. Wir machen außerdem Kommunen und Landkreise blind für das bitter Notwendige und vor allen Dingen blind für die Folgekosten.Ich habe mir gerade in den letzten Monaten ein solches neues Berufsbildungszentrum angesehen. Ich denke an den großen Maschinenpark, der einen Großteil der investiven Mittel des Landkreises verschlingt. Ich denke daran vor dem Hintergrund des rasanten Fortschritts der Technologie. Ich erinnere an Elektronik, Mikroprozessorentechnik, EDV. Ich weiß nicht, ob unsere Landkreise als Träger in Zukunft das Geld haben werden, um ständig bei den Maschinen Schritt zu halten, was bisher immer im betrieblichen Bereich möglich war.Auch über die Laufzeit des Programms und die gerechte Verteilung der Mittel muß hier gesprochen werden. Viele Träger — kreisfreie Städte und Landkreise — die bei dieser Ad-hoc-Entscheidung der Bundesregierung sogenannte Schubladenobjekte vorrätig hatten, sind im Windhundverfahren bedacht worden. Die Devise „Wer zuerst in der Mühle ist, mahlt zuerst" hätte hier nicht gelten dürfen. Außerdem führt die einmalige Hilfe zu großen Schwierigkeiten, wenn Träger von Berufsbildungseinrichtungen bei ihren Finanzierungsplanungen heute von Zuschüssen ausgehen, die auf Grund der Tatsache, daß das 400-Millionen-Objekt abgeschlossen ist, nicht mehr gegeben werden können. Diese Träger sind unter Umständen nicht nur schlechter gestellt als die Nachbarkreise, sondern müßten sogar ihre notwendigen Baumaßnahmen beschränken oder gar aufgeben. Der eigentliche Leidtragende ist der junge Mensch dieser Region, der wesentlich schlechtere Bedingungen in seiner schulischen Ausbildung antrifft als der Nachbar.Lassen Sie mich einige weitere kritische Anmerkungen machen. Grundsätzlich liegt die Verantwortung der Bundesregierung, wie sie in dem uns vorliegenden Bericht selbst feststellt, schwerpunktmäßig im betrieblichen und überbetrieblichen, also im nichtschulischen Bereich. Dennoch hat sie mit diesem 400-Millionen-Programm fast ausschließlich den schulischen Bereich unterstützt und nicht die Ausbildungsbetriebe.
Meine Fraktion hat immer gefordert, vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund der geburtenstarken Jahrgänge, Unternehmen mit einem vermehrten Angebot an Arbeitsplätzen möglicherweise durch eine Steuerentlastung zu unterstützen. Interessant ist es auch, daß die Bundesregierung laut Zwischenbericht nur den Ausbau des schulischen Berufsgrundbildungsjahres fördern will; die Ausbildungsbetriebe statt dessen wurden während der Laufzeit genau dieses Programms durch die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien permanent verunsichert, nicht zuletzt durch das Ausbildungsplatzförderungsgesetz und die darin enthaltene Berufsbildungsabgabe, ein Gesetz, das hier kurz vor der Wahl 1976 gegen den erbitterten Widerstand der CDU/CSU-Fraktion durchgeboxt wurde, das aber am 10. Dezember 1980, wie wir alle wissen, durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben wurde. Dennoch, meine Damen und Herren, haben Wirtschaft und Betriebe auf die steigende Nachfrage nach Berufsausbildungsplätzen in den letzten Jahren sehr elastisch und ausbildungsbereit reagiert, viel stärker jedenfalls, marktgerechter und wirkungsvoller — auch und gerade im Interesse der Lebenschancen der jungen Menschen —, als die Koalition von SPD und FDP und die Bundesregierung vermutet und vorausgesagt haben.Dem Berufsbildungsbericht 1980 entnehmen wir, wie viele neue Ausbildungsplätze eingetragen wor-
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Nelleden sind. 1976 waren es noch 499 000, 1979 — ich mache einen Sprung — waren es bereits 640 000. 1980 — heute in der „FAZ" zu lesen — kamen wir — bei einer Nachfrage von 669 350 Stellen — auf ein Angebot von 697 348 Stellen. Das ergibt also einen Überhang von 27 998 Ausbildungsstellen.Hierbei ist erwähnenswert, daß gerade die betriebliche Ausbildung die öffentlichen Haushalte entlastet. Die Aufwendungen, die die Betriebe allein für die Ausbildung ausgeben, betragen im Augenblick schätzungsweise 20 Milliarden DM. Selbst Gegner unseres bewährten dualen Systems, also der Ausbildung in Schule und Betrieb, müssen doch zugeben, daß die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe — im Augenblick sind es ca. 30 000 Ausbildungsbetriebe, Betriebe des Handwerks, der Industrie, des Handels, der Verwaltung und anderer Bereiche; im übrigen sei hier angemerkt: Der Mittelstand stellt allein 60 % aller deutschen Ausbildungsplätze — in den letzten Jahren immer wirkungsvoller zugenommen hat und deshalb, meine Damen und Herren, unser aller Dank und Anerkennung verdient.
Mit dem einmaligen und, wie ich schon an anderer Stelle ausführte, nur über einen kurzen Zeitraum laufenden 400-Millionen-Programm, dem berüchtigten Schluck aus der Flasche, ist es nicht getan. Wir sind aufgerufen, meine Damen und Herren, auch in Zukunft beide Lernorte in der dualen Ausbildung, Betrieb und Schule, im Sinne unserer jungen Generation zu unterstützen. Die 80er und die 90er Jahre werden für die Berufsbildung Herausforderungen bringen, denen man im Interesse der betroffenen jungen Menschen und im Interesse der Erhaltung einer leistungsfähigen Wirtschaft rechtzeitig begegnen muß.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf zwei aktuelle Probleme eingehen. Als erstes möchte ich hier die Berufsausbildung von ausländischen Jugendlichen ansprechen. Wir haben zum 30. September 1979 in der Bundesrepublik Deutschland 151 200 ausländische Jugendliche im berufsschulpflichtigen Alter gehabt. Ende der 80er Jahre werden — ohne weitere Zuwanderung — 260 000 ausländische Jugendliche im berufsschulpflichtigen Alter sein. Die Unkenntnis der Möglichkeiten der deutschen Berufsausbildung und auch die Unkenntnis der Fülle der Ausbildungsberufe — im Augenblick sind es ca. 450 — ist bei den ausländischen Arbeitnehmern weit verbreitet. Darum muß eine verstärkte Berufswahlvorbereitung durch die Arbeitsämter erfolgen. Da mehr als die Hälfte der ausländischen Jugendlichen den Hauptschulabschluß derzeit noch nicht erreicht bzw. erst nach Beendigung der heimatlichen Schulpflicht in die Bundesrepublik einreist — man spricht dann von sogenannten Seiteneinsteigern —, muß eine große Anzahl von ausländischen Jugendlichen erst noch zur Ausbildungsreife geführt werden. Dazu sind — mehr noch als bisher — berufsvorbereitende Maßnahmen durchzuführen, die der berufsbezogenen, fachpraktischen und sprachlichen Schulung sowie der sozialpädagogischen Betreuung dienen. Wenn uns die Lösung des Problems nicht gelingt, dann ist der Ausspruch einesbekannten Berufspädagogen aus diesen Tagen sicher richtig: Die Situation ist alarmierend; hier tickt bereits eine soziale Zeitbombe.Ich spreche noch ein Problem an, nicht zuletzt wegen des Jahres der Behinderten.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich bitte um Entschuldigung. Ich will das wenigstens erwähnt haben.
Ich komme zum Schluß. Die Bundesregierung hat selber in dem Schlußbericht auf die notwendige enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern verwiesen, wenn Berufsausbildung sinnvoll gestaltet sein soll. Wir schließen uns dieser Meinung gern an und fordern alle an der Berufsausbildung Beteiligten zur gemeinsamen Anstrengung auf: Auszubildende, Lehrer, Kammern, Ausbilder, Vertreter der Arbeitnehmer und Vertreter der Arbeitgeber. Sie alle werden von uns ermutigt, ihre Verantwortung für die bestmögliche Berufsausbildung der jungen Bürger wahrzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Thüsing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Nelle, bei dem, was Sie zum Schluß zur Frage der ausländischen Jugendlichen und der Behinderten erwähnt haben, können wir uns sicher treffen. Von dem, was Sie sonst gesagt haben, will ich Ihnen nicht alles zurechnen, da Sie jemand sind, der im Parlament erst anfängt.
Ich betone nur drei Punkte. Ihre Fraktion hat sich in der vorigen Wahlperiode und vorher darauf beschränkt, jährlich umgeschriebene Anträge erneut einzubringen, aber als es konkret wurde und als im Bundestag ein Berufsbildungsgesetz verabschiedet werden sollte, dagegengestimmt und damit dafür gesorgt, daß der Bundesrat dieses zukunftsweisende Gesetz kaputtgestimmt hat.
Sie haben zum Thema der Aussprache die Bürokratie beklagt. Ich muß Ihnen sagen: Es hat bei der Bund-Länder-Finanzierung selten ein so unbürokratisches Verfahren gegeben. Auf einem einzigen DINA-4-Blatt konnten die Anträge gestellt werden. In kurzer Zeit waren die Bewilligungen heraus. Von übertriebener Bürokratie kann in diesem Fall keine Rede sein.Und wenn Sie beklagen, daß nur schulische Ausbildungsplätze mit dem Gesetz gefördert wurden, muß ich Ihnen sagen: Genau das war die Absicht dieses Programms, nichts anderes. Wir durften nichts anderes fördern. Andere Dinge in der Berufsbildung haben wir mit anderen Vorhaben gefördert.Ich mache einige Bemerkungen aus unserer Sicht zu dem Programm. Die Unterrichtung durch die
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ThüsingBundesregierung hat deutlich gemacht, daß sich die Erwartungen erfüllt haben, die wir an das 400-Millionen-Programm für den Ausbau des beruflichen Schulwesens im Rahmen des Stufenplans zu Schwerpunkten der beruflichen Bildung geknüpft hatten. Es ging bei dem Programm um den Ausbau der Berufsschulen, den Ausbau des Berufsgrundschuljahrs, den Ausbau von Berufsfachschulen und schließlich um die Förderung schulisch organisierter berufsbefähigender Maßnahmen insbesondere für Jugendliche ohne hinreichenden schulischen Abschluß und ohne Ausbildungsvertrag. Konkret wurde die Förderung von insgesamt 515 Vorhaben mit rund 61 000 Werkstatt- und Laborplätzen sowie rund 74 000 sonstigen Unterrichtsplätzen erreicht. Rechnet man den Bundesmitteln die Mittel der Länder und Kommunen hinzu, so konnte durch das Programm insgesamt über 1 Milliarde DM für das berufliche Schulwesen mobilisiert werden.Ausgangspunkt der Überlegungen war die Erkenntnis, daß das berufliche Schulwesen innerhalb des dualen Systems in Gefahr stand, hinter den sonstigen Entwicklungen zurückzubleiben, insbesondere im Vergleich mit den mit einem Programm von rund 1,2 Milliarden DM allein aus Mitteln des Bundeshaushalts geförderten überbetrieblichen Ausbildungsstätten, die wesentlich der Unterstützung der betrieblichen Ausbildung dienen. Wer das duale System, also die Ausbildung im Betrieb und Schule, ernst nimmt, mußte daher auch für die Entwicklung des beruflichen Schulwesens ein Ausbau- und Entwicklungsprogramm vorlegen, um den Ansprüchen insbesondere der starken Jahrgänge gerecht zu werden.Das Programm, über das von der Bundesregierung berichtet wurde und das heute diskutiert wird, ist ein Musterbeispiel gelungener Kooperation zwischen Bund und Ländern auch dort, wo der Bund keine unmittelbaren Kompetenzen hat, sondern nur Angebote machen und Anreize schaffen kann. Das Programm hat Impulse gesetzt und konkrete gute Ergebnisse gehabt. Wir sollten diese Erfahrungen auch für die Zukunft nutzen.In diesem Zusammenhang sollten möglichst schnell die Hindernisse beseitigt werden, die dem vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft vorgesehenen Anschlußprogramm von insgesamt 250 Millionen DM im Rahmen des Programms für Zukunftsinvestitionen entgegenstehen.
Hier, Herr Nelle, hätten Sie sich engagieren können, wie ich finde. Wir dürfen nicht die Bereitschaft, das Engagement und den Idealismus derer enttäuschen, die vor allem auch in den Schulen selbst durch das 400-Millionen-DM-Programm ermutigt und gestützt worden sind. Es geht auch darum, die Qualität der beruflichen Bildung weiter zu verbessern.Sicherlich, das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen ist in den letzten Jahren — darauf wurde hingewiesen — um ein gutes Drittel auf inzwischen ca. 700 000 Plätze gestiegen. Die Plätze in den Berufsschulen aller Art konnten durch das hier diskutierte Programm erweitert werden. Natürlichverdient zum Beispiel der Handwerksmeister, der zum Teil unter großen Anstrengungen mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt hat, unser Lob und unsere Anerkennung. Ohne die zusätzlichen Anstrengungen von Handwerk, Industrie, Handel und schließlich auch der öffentlichen Unternehmen — diese dürfen die Ausbildungsangebote auch in Zukunft aus fiskalischen Gründen nicht einschränken —
hätten wir die Ausbildungsansprüche der jungen Generation nicht erfüllen können. Doch das anzuerkennen, darf uns nicht blind machen für die Tatsache, daß wir es nach wie vor mit gravierenden Mängeln, insbesondere Qualifikationsmängeln, zu tun haben. So ist doch nicht zu übersehen, daß gerade in den Branchen die Ausbildungsplatzangebote besonders stark gestiegen sind, wo wir insgesamt ein Absinken oder eine Stagnation der Beschäftigtenzahlen feststellen. Nicht in allen Orten und Regionen reicht das Angebot an Ausbildungsplätzen aus. Oft gibt es kaum Wahlmöglichkeiten, insbesondere für Mädchen und junge Frauen. Die meisten ausländischen Jugendlichen gehen auch heute noch ohne Ausbildung in das Berufsleben.Wir haben es mit jährlich 100 000 bis 150 000 Jugendlichen zu tun, die ohne Qualifizierung einen Arbeitsplatz suchen. Viele dieser Jugendlichen rutschen dann in den sogenannten Sockel der Arbeitslosigkeit ab, sind also auf Dauer Problemfälle auf dem Arbeitsmarkt. Ich will mit diesen wenigen Hinweisen nur deutlich machen: Wir brauchen weitere Anstrengungen, insbesondere im Qualifizierungsbereich, mehr Investitionen in die sogenannte Humankapitalbildung statt übertriebene öffentliche Unterstützung der Sachkapitalinvestitionen. Eine Verbesserung der Qualifizierung ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre auch die beste beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitische Investition. Denn haben wir es nicht mit einer steigenden Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Mangel an Facharbeitern zu tun? Also brauchen wir eine Qualifizierungsstrategie, noch mehr Investitionen in Ausbildung und Fortbildung! Das 400-Millionen-DM-Programm war ein wichtiger Baustein. Wir müssen auf diesem Weg weitergehen.Deshalb verstehe ich die in der letzten Zeit deutlich wachsende Besorgnis aus Kreisen der Wirtschaft nicht recht, die das Übergewicht der Berufsschule im dualen System befürchten, die Anrechnung von Fachschulausbildung verweigern — wie z. B. in Hamburg — und in den wenigen Fällen, wo dies geschieht, gegen vollschulische Ausbildung sind, beispielsweise an so alten und bewährten Schulen wie in Iserlohn. Die Wirtschaft sollte sich freuen, wenn die Schule ihre Aufgaben zunehmend besser erfüllen kann und auch in gewollt bescheidenem Rahmen voll ausgebildete Kräfte entläßt, insbesondere in wirtschaftlich schwachen Regionen. Dort, wo das Ausbildungsangebot der Wirtschaft nicht ausreicht, müssen auch vollzeitliche schulische Angebote gemacht werden. Dazu verpflichtet uns der Ausbildungsanspruch der jungen Generation.
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ThüsingDas Schicksal der jungen Menschen und die Qualifizierungsdefizite in der Wirtschaft insgesamt, nicht nur im Ausbildungsbereich, sollten uns Anlaß und Ansporn sein, auf dem als richtig erkannten Weg weiterzugehen. Dazu reicht guter Wille nicht aus, wir müssen überzeugen und konkret bleiben. Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Nelle, ich freue mich, daß wir beide als niedersächsische Neulinge zu dieser Mittagsstunde zu denen gehören, für die die berufliche Bildung ein besonderes Anliegen ist. Ich hatte beabsichtigt, meine Ausführungen damit zu beginnen, daß ich es als ein gutes Omen bezeichne, daß die erste Drucksache des 9. Deutschen Bundestages der beruflichen Bildung gewidmet ist. Trotz des Schicksalsumstandes dieser Mittagsstunde bleibe ich dabei.Unabhängig davon, wie man solche Zufälligkeiten bewertet, ist für die Freien Demokraten folgendes sicher. Zur Sicherung und Verbesserung der Berufschancen der jungen Generation muß die berufliche Bildung wie in der 8. so auch in der 9. Legislaturperiode ein Schwerpunkt unserer gemeinsamen Bemühungen sein. Die von der Bundesregierung schon vor Jahren eingeleitete Politik zur Schwerpunktverlagerung zugunsten der beruflichen Bildung muß fortgesetzt werden, wobei dies allerdings nicht bedeuten darf, daß man gleichzeitig andere Bildungsbereiche oder den Hochschulbereich benachteiligen dürfe.Das sogenannte 400-Millionen-Programm — das läßt sich besser als der umständliche Titel des Berichts aussprechen — ist nur eine von zahlreichen Maßnahmen der Berufsbildungspolitik der Bundesregierung in dieser Zeit gewesen. Es ist zugleich ein Beispiel für ein zunächst durchaus sehr zähes und schwieriges, dann aber doch, wie ich finde, sehr erfolgreiches Zusammenwirken von Bund und Ländern. Es ist auch ein Beispiel für die Notwendigkeit einer gesamtstaatlich verantworteten Bildungspolitik und Bildungsplanung; denn die Grundlage für dieses Programm waren der Bildungsgesamtplan von 1973 und der Stufenplan zu Schwerpunkten der beruflichen Bildung, der von Bund und Ländern verabschiedet wurde.Die Finanzhilfen des Bundes auf der Grundlage des Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes haben in den Jahren 1976 bis 1979 zusätzliche Initiativen zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten im Bereich der beruflichen Bildung möglich gemacht. Die geförderten Vorhaben, deren Zahl hier schon einige Male angeführt worden ist und die ich deswegen nicht wiederholen will, haben entscheidend dazu beigetragen, daß die Länder Defizite im Bereich des beruflichen Schulwesens abbauen oder jedenfalls schneller beseitigen konnten, als dies sonst möglich gewesen wäre. Daß dieses 400-MillionenProgramm auch wirtschaftspolitisch, konjunkturellin die Landschaft gepaßt hat, sei nur am Rande angemerkt.Ich finde, daß die Konzentration der Mittel auf erstens die Erweiterung des Teilzeitberufsschulunterrichts, zweitens den Ausbau des schulischen Berufsgrundbildungsjahres und drittens der berufsbefähigenden Maßnahmen, insbesondere für Jugendliche ohne hinreichenden Abschluß, vernünftig gewesen sind, vor allem weil der Bund für die in seiner eigenen Zuständigkeit liegenden Bereiche bereits erhebliche Aufwendungen erbracht hat und erbringt. Ich erinnere an das seit 1974 laufende Schwerpunktprogramm zur Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstätten, für das von 1974 bis 1982 rund 1,2 Milliarden DM vorgesehen sind.Meine Damen und Herren, das Besondere am 400Millionen-Programm ist die Tatsache — sie wurde bereits mehrfach erwähnt —, daß hier der Bund Investitionshilfen für einen Bereich der beruflichen Bildung gegeben hat, der nach der Verfassung eindeutig in die Zuständigkeit und Verantwortung der Länder gehört. Derartige Mischfinanzierungen sind ja — das wurde auch erwähnt — verfassungspolitisch durchaus nicht unproblematisch. Sie können und dürfen nicht zur Regel werden, nicht nur wegen der möglichen Gefahr einer Beeinträchtigung der parlamentarischen Kontrolle durch die Landtage und den Bundestag, sondern auch, weil der Bürger einen Anspruch darauf hat, erkennen zu können, wer in unserem so komplizierten parlamentarischen und föderativen System für bestimmte Entscheidungen — oder auch nicht getroffene Entscheidungen — die Verantwortung trägt.Wie schwierig diese Transparenz für den Bürger ist, erfahren Sie spätestens, wenn Sie den Versuch machen — den Herr Nelle auch gemacht hat —, sich vor Ort an einem der ausgewiesenen Standorte zu erkundigen, welchen Anteil und welches Verhältnis der Mittel der einzelnen Förderungsträger nun letzten Endes zu dieser oder jener Maßnahme geführt haben. Da braucht man eine größere Durchsichtigkeit.Aber trotz dieser allgemeinen und auch verfassungspolitischen Bedenken können wir auf die Kooperation zwischen Bund und Ländern bei der Lösung zentraler gesellschaftlicher Probleme nicht verzichten. Auch das hier im Mittelpunkt stehende Problem ist ein solches zentrales gesellschaftspolitisches Problem.Das Programm, über das wir heute sprechen, ist ein Beispiel für die Initiativwirkung solcher Kooperationsformen. Es hat dazu beigetragen, daß die im staatlichen Bereich der dualen Bildung vorhandenen Defizite abgebaut wurden. Es hat die politischen Appelle, die wir immer an die Wirtschaft richten, in ihrem Bereich der beruflichen Bildung aktiv zu werden, ein Stück glaubwürdiger gemacht, als sie es ohne dieses Programm gewesen wären.
Meine Damen und Herren, die Debatte gibt Gelegenheit, auch einige kurze Anmerkungen zur Berufsbildungspolitik insgesamt zu machen, in deren Rahmen das behandelte Programm gelöst wurde.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981 467
NeuhausenDie Berufsbildungspolitik der vergangenen Jahre muß — auch dies ist gesagt worden —, wenn auch mit leicht veränderten Akzenten, entschieden fortgesetzt werden. Trotz aller noch bestehenden Probleme ist sie insgesamt erfolgreich gewesen.Durch gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern, Arbeitgebern und Gewerkschaften ist es gelungen, die den geburtenstarken Jahrgängen drohende Ausbildungslücke durch Nutzung aller Ausbildungskapazitäten in Schulen, Betrieben und Hochschulen zu schließen. Dies wäre durch den Ausbau des allgemeinbildenden Schulwesens und der Hochschulen allein nicht möglich gewesen. Um so wichtiger war es, daß bei allen an der beruflichen Bildung. Beteiligten, vor allem in der Industrie, im Handwerk, im Einzelhandel und bei den Selbständigen, die gemeinsame gesellschaftspolitische Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen erkannt und akzeptiert wurde. Die daraus erwachsenden außerordentlichen Anstrengungen müssen auch an dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit ausdrücklich gewürdigt werden.
Ich würde es für verhängnisvoll halten, wenn man wegen eines natürlichen Spannungsverhältnisses der Interessen einen Keil in diese Gemeinsamkeit, die sich bewährt hat und bewährt, treiben wollte. Nur durch diese gemeinsamen Anstrengungen und vor allem auch durch Initiativen und Aktionen der für die betriebliche Ausbildung Verantwortlichen ist es gelungen, die Zahl der jährlich neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um ein Drittel von 499 000 im Jahre 1976 auf 652 000 im Jahre 1980 zu steigern. Heute gibt es mehr Auszubildende in Betrieben als jemals zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Ebenso beachtlich ist die Zahl der Schüler in beruflichen Schulen.Das heute zur Beratung stehende Programm hat meines Erachtens wesentlich dazu beigetragen, die Erhöhung der Ausbildungsplatzzahl in den Betrieben durch zusätzliche Kapazitäten in den Berufsschulen zu ergänzen bzw. diese Anstrengungen zu unterstützen. Wer das Ergebnis dieser gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten vor einem halben Jahrzehnt vorauszusagen gewagt hätte, wäre vor allem angesichts der konjunkturellen Probleme der Wirtschaft als unglaubwürdig angesehen worden.Aber, meine Damen und Herren, zu diesem Erfolg im Interesse der jungen Menschen, aber auch im Interesse der ausbildenden Wirtschaft selbst hat sicher auch — im Gegensatz zu der soeben hier geäußerten Ansicht — das Ausbildungsplatzförderungsgesetz von 1976 beigetragen.
Auch wenn die Finanzierungsregelung nie angewandt wurde, hat das Gesetz mit seinen Vorschriften über Planung und Organisation die Zusammenarbeit von Bund und Ländern, Arbeitgebern und Gewerkschaften entscheidend verbessert und zu zahlreichen Initiativen der qualitativen und quantitativen Weiterentwicklung in der beruflichen Bildung beigetragen.Es ist der bayerischen Staatsregierung vor kurzem durch ihren Normenkontrollantrag gelungen, dieses für die Sicherung der Bildungs- und Berufschancen der geburtenstarken Jahrgänge sehr wirksame Gesetz zu Fall zu bringen. Selbstverständlich respektieren wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts; gleichwohl stellt es uns berufsbildungspolitisch vor große Probleme. Ein neues Gesetz ist in Vorbereitung, denn — das muß man auch von dieser Stelle wiederholen — das Bundesverfassungsgericht hat die politische Substanz dieses Gesetzes nicht in Frage gestellt.
Dies sollte auch bei dem neuen Gesetz berücksichtigt werden.
Dem Vernehmen nach beabsichtigt die Bundesregierung, auf die Wiedereinbringung der Finanzierungsregelung zu verzichten. Ich meine, wir sollten gründlich die Möglichkeiten prüfen, das Gesetz, so wie es war, unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wieder zu verabschieden.
Vor allen Dingen kann sich die sozialliberale Koalition nicht darauf verlassen, daß das neue Gesetz die Zustimmung des Bundesrates findet, denn seitens der CSU, wie einer Pressemitteilung vom 11. Dezember 1980 zu entnehmen war, wird — ganz abgesehen von der Frage der Finanzierungsregelung — nicht einmal das Bundesinstitut für Berufsbildung in der derzeitigen Ausgestaltung akzeptiert. Es wäre meines Erachtens nicht geraten, keinen Gebrauch von der verfassungsrechtlichen Möglichkeit zu machen, ein Gesetz vorzulegen, das notfalls auch ohne Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden kann.
Meine Damen und Herren, auch in den kommenden Jahren müssen die gemeinsamen Anstrengungen zur Sicherung und Verbesserung des Ausbildungsplatzangebotes fortgesetzt werden, um mehr Berufsmöglichkeiten für den einzelnen zu schaffen und den Fachkräftennachwuchs zu sichern. Erst ab 1982/83 ist mit geburtenschwächeren Jahrgängen zu rechnen, aber auch dann muß das Ausbildungsplatzangebot nicht nur in der Übergangszeit, sondern auch auf die Dauer auf einem hohen Niveau bleiben. Die Anstrengungen, zu denen das 400-MillionenDM-Programm ein Beitrag war und dies durch die mit seiner Hilfe investierten Maßnahmen auch bleibt, werden weiterhin notwendig sein. Anstrengungen — sie sind hier von verschiedenen Vorsprechern schon genannt worden —, insbesondere für die Ausbildung junger Frauen im gewerblich-technischen Bereich, für junge Ausländer und für die Ausbildung von Jugendlichen mit Lerndefiziten und für Behinderte, müssen dabei eine ganz besondere Bedeutung haben. Denn trotz der Erfolge der vergangenen Jahre bleibt viel zu tun, um allen jungen Menschen eine ihren Möglichkeiten entsprechende Berufsausbildung zu ermöglichen.
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NeuhausenVor kurzem ist durch die OECD festgestellt worden, daß sich die Politik zur Qualifizierung aller Jugendlichen durch die Zusammenarbeit aller für die Berufsausbildung Verantwortlichen in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich bewährt hat und daß die relativ niedrige — ich füge für mich in Klammern hinzu: aber absolut zu hohe — Arbeitslosigkeit der deutschen Jugendlichen im wesentlichen auf das gut ausgebaute Bildungs- und Ausbildungssystem zurückzuführen ist.
Im Bericht der OECD wird darauf verwiesen, daß vor allem ein zu früher direkter Einstieg in den Arbeitsmarkt vermieden wird und daß das duale System der beruflichen Bildung sehr viel mehr Jugendlichen als in anderen Ländern die Möglichkeit gibt, einen reibungslosen Übergang ins Erwerbsleben durch eine praktische Ausbildung zu erhalten. Allerdings haben die OECD-Prüfer auch deutlich gemacht, wo noch mehr geleistet werden sollte. Das gilt vor allem für die Einführung der Arbeitslehre und die Möglichkeiten von Betriebserkundungen und Praktika an allen Schulen, natürlich auch an Gymnasien. Das gilt vor allem auch für die Integration und Ausbildung der Kinder ausländischer Arbeitnehmer. Wir stimmen dieser Analyse im wesentlichen zu.Ebenso wie bis 1982/83 das Problem der geburtenstarken Jahrgänge führt anschließend auch der Rückgang der Jahrgangsstärken zu einer Herausforderung für die berufliche Bildung, der sie nur durch weitere Verbesserung der Ausbildungsqualität und durch den Ausbau der Weiterbildungsmöglichkeiten begegnen kann. Verbesserung der Ausbildungsqualität, Verbesserung der Berufschancen für die Ausgebildeten liegen auch im ureigensten Interesse der Wirtschaft und der wirtschaftlichen Entwicklung.Ab Mitte der 80er Jahre — das wurde schon angesprochen — wird es auch eine verstärkte Konkurrenz der verschiedenen Ausbildungswege geben. Kurzschlüssige, aber bereits diskutierte Rezepte wie das, zugunsten des dualen Systems der beruflichen Bildung z. B. den Hochschulzugang administrativ zu drosseln, sind meines Erachtens weder bildungspolitisch vertretbar noch verfassungsrechtlich haltbar. Der Wettstreit der Ausbildungswege wird zwar neue Probleme mit sich bringen; in einer freien Gesellschaft kann er aber nicht als ein Unglück betrachtet werden.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Das heute zur Beratung stehende Programm hat den Weg durch die Vielzahl und die Vielfalt der vergangenen und gegenwärtigen Probleme wesentlich erleichtert. Neue Probleme werden neue Anstrengungen auf der Suche nach neuen Wegen und neuen Lösungsmöglichkeiten erfordern. Wesentlich wird aber die Gemeinsamkeit
aller Verantwortlichen und Beteiligten in dieser wichtigen Frage der Berufspolitik bleiben.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch den Kollegen Nelle und Neuhausen für ihre ersten Beiträge hier im Bundestag, die sie mit ihren heutigen Reden geleistet haben, Glückwünsche aussprechen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind — wie immer bei bildungspolitischen Debatten — in einer sehr kleinen, gleichwohl illustren Runde. Das nimmt dann manchem, was man eigentlich gern sagen wollte, ein bißchen die Schärfe. Das werden unsere „Zwillingsjungfern" aus Niedersachsen bei den kommenden Debatten noch lernen. Sie haben als Neuling die Gelegenheit benutzt hier eine bildungspolitische Tour d'horizon zu machen. Das hätte ich wahrscheinlich auch gemacht, obwohl dies dem Tagesordnungspunkt gar nicht angemessen ist. Herr Kollege Nelle, Sie haben die Gelegenheit genutzt, wieder einmal so richtig ins Volle der Bildungskritik der Union zu greifen. Ich möchte gern drei oder vier kurze Bemerkungen dazu machen.Sie haben sich darüber beklagt, daß wir — „wir" sind die Sozialliberalen — unsere Jugendlichen in den Bildungseinrichtungen immer und immer wieder mit Theorie überfüttert hätten. Ich wage aus langjähriger Kenntnis der Bildungsinstitutionen sehr zu bezweifeln, ob das den Kern trifft. Unsere Schule leidet nicht darunter, daß zuviel Theorie geboten wird. Unsere Schule leidet darunter, daß die Kinder mit Stoff überfüttert werden. Man stopft zuviel oben hinein und fragt zuviel unten ab.
Unsere Schule leidet darunter, daß die Kinder nicht genügend kreative Freiräume in der Schule haben, aber nicht daran, daß den Kindern zuviel Theorie geboten wird.Ich will dies jetzt einmal auf das duale System, auf die berufliche Ausbildung übertragen. In Ihren Reihen gibt es immer noch den unheilvollen Denkansatz, Theorie sei etwas für die ganz Gebildeten; Praxis sei dagegen etwas für die Kinder der großen Mehrheiten unseres Volkes. Auch in Teilen des Handwerks gibt es heute noch die Vorstellung: zuschauen und nachmachen — daraus machen wir einen guten Handwerker! Wenn Sie aber nicht auch bei der beruflichen Bildung das theoretisch unterfüttern, was der einzelne praktisch lernen muß, wird der einzelne mit seiner beruflichen Qualifikation den Wirrungen und Irrungen der Wirtschaft sein Leben lang eben nicht standhalten können.
Sie können dies auch auf die Universität übertragen. Auch dort wird Ihnen jeder sagen: Das Problem
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Parl. Staatssekretär Engholmder deutschen Universitäten ist nicht das Zuviel an Theorie. Es sind vielmehr der ungegliederte, unübersichtliche Durchgang und die Stoffülle. Mit jedem Lehrstuhl wird mehr in die Studentenhirne hineingestopft. Was wir brauchen, ist nicht etwa ein Abbau an Theorie, sondern eine nüchterne, praxisorientierte Studienreform. Wir werden über die Punkte, die Sie angesprochen haben, im Ausschuß reden.Unter einem zweiten Stichwort haben Sie vorweg gesagt, wir hätten völlig aus dem Auge verloren, daß Bildungssystem und Beschäftigungssystem sehr eng miteinander in Verbindung stehen müßten. Die Befürchtung, daß dahinter die Auffassung steht, daß sich das Bildungssystem weitestgehend oder ausschließlich nach den Notwendigkeiten der Beschäftigung, der Wirtschaft zu richten habe, liegt eigentlich sehr nahe. Wir haben die Diskussion mit Ihren Kollegen über Jahre geführt. Manch einer hat uns in der Vergangenheit mehr oder minder deutlich zu verstehen gegeben, daß das Bildungssystem nicht mehr sei als der Wurmfortsatz des Beschäftigungssystems.
Aber ich sage Ihnen: Bildung ist eben nicht der Blinddarm der Wirtschaft. Wir werden die jungen Leute nicht dazu ausbilden, nur für einen Betrieb einsetzbar zu sein, sondern dazu, für das eigene Leben etwas zu lernen und damit auch wirklich über Jahrzehnte den Anforderungen standhalten zu können.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rühe?
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben behauptet, einige von uns hätten in den Debatten der Vergangenheit gesagt, das Bildungssystem sei der Wurmfortsatz der Wirtschaft. Ich möchte Sie auffordern, hier Namen zu nennen oder diese Behauptung zurückzunehmen.Engholm, Parl. Staatssekretär: Gut, ich nenne den Namen des Kollegen Nelle, der hier eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, daß die Verkettung von Bildung und Beschäftigung viel enger sein müsse, als sie heute sei. Ich nenne den Namen — —
— Verzeihen Sie, ich darf aber doch meine eigene Vokabel für Sachverhalte, die Sie ansprechen, prägen — oder nicht? — Ich nenne den Namen des Kollegen Rühe und den Namen des Kollegen Pfeifer, die bei Ausschußberatungen immer deutlich gesagt haben, daß das, was wir machten, ein viel zu weites Auseinanderklaffen der beiden Bereiche bedeute und daß wir beides sehr eng zusammenfügen müßten.
Dabei sage ich Ihnen aber ganz deutlich: das, was Sie wollen, ist eine Ausbildung auf eine kürzerfristige Verwertung von Qualifikationen; was wir wollen, ist, daß junge Menschen etwas lernen, eine Grundlage bekommen, die sie auch über mehr als ein Jahrzehnt trägt. Das ist, wenn Sie so wollen, das Lernen nicht für den Ausbildungsbetrieb, sondern das Lernen fürs Leben. Das ist der Unterschied in der Perspektive..
Da gebe ich zu, daß man sehr unterschiedlicher Auffassung sein kann. Nur müssen Sie mir zubilligen, daß ich meine Auffassung genauso deutlich zum Ausdruck bringe, wie Sie es hier vorweg getan haben.
Dasselbe gilt für die Frage, ob wir denn wirklich zu viele Hochschüler und zu viele Hochschulen im weitesten Sinne haben. Helmut Rohde sitzt da, der die Öffnung der Hochschulen mitbetrieben hat — was ein sehr schwieriges Geschäft war. Ich frage Sie jetzt — ohne Verweisung auf die Quoten an Hochschulen in Japan oder in den USA —: was wäre mit dem heute schon überlasteten dualen System passiert, wenn die Öffnung der Hochschulen nicht rechtzeitig zustande gekommen wäre?
Wo wären die Schwächeren geblieben, die hier von meinem Vorredner genannt worden sind: die Ausländerkinder, denen es immer noch schlecht geht, die benachteiligten Jugendlichen ohne Abschluß, die Behinderten? Wäre die Öffnung des Hochschulsystems nicht zustande gekommen, wäre das duale System, das betriebliche System der Ausbildung bei uns kollabiert. Das sagt Ihnen jeder, der die Zahlenströme kennt. Auch von der Seite hat es gar keine andere Alternative als die gegeben, zu sagen: wir öffnen unsere Hochschulen weit mehr als in der Vergangenheit.Nun habe ich mich etwas länger bei den Vorbemerkungen aufgehalten. Ich bitte dafür um Nachsicht. Ich will mich mit vier kuzen Bemerkungen zu dem Programm, dessen Schlußbericht heute vorliegt, abschließend äußern.Erstens glaube ich, daß dieses Programm in zahlenmäßiger Hinsicht, in quantitativer Hinsicht wirklich eine Menge gebracht hat. Hier sind, wie schon mehrfach ausgeführt, 135 000 Plätze neu geschaffen oder modernisiert worden — und dies im schulischen Bereich, von dem wir wissen, daß er nach wie vor einen großen Nachholbedarf auch an Plätzen hat, weil die geburtenstarken Jahrgänge noch etliche Zeit durch die Berufsschulen hindurchgehen werden.Zweitens. In qualitativer Hinsicht hat das Programm dazu beigetragen, die Berufsschulen, die einen erheblichen Ausstattungsmangel haben — wie erst kürzlich der Bundesverband der Lehrer an beruflichen Schulen wieder gesagt hat —, in den Stand zu versetzen, den Bedürfnissen der Jugendlichen aus den geburtenstarken Jahrgängen besser entge-
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Parl. Staatssekretär Engholmgenzukommen, als wir alle das zunächst befürchtet haben.Drittens. Ganz deutlich und ohne jede Einschränkung will ich hervorheben, daß dieses Programm ein hervorragendes und gelungenes Beispiel für Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist. Da gibt es die eine oder andere Detailkritik. Aber angesichts der sich ausbreitenden, sehr einseitigen Kritik an der Mischfinanzierung, will ich sagen: dies ist ein Beispiel für Mischfinanzierung gewesen, das sich sehen lassen kann, — unbürokratisch, flexibel und kooperativ.
Man sollte solche Beispiele auch einmal hochhalten, wenn sie gelungen sind.Viertens. Dieses Programm hat — das darf nicht vergessen werden — in einer bestimmten Phase auch zur Konsolidierung der Wirtschaftskraft in unserem Lande, besonders zur Stärkung der Bauwirtschaft, beigetragen.Ich habe meine Ausführungen in vier kurze Bemerkungen mit positiver Tendenz zusammengefaßt, weil Erfolgsmeldungen in der Bildungspolitik, wie auch unsere Debatten zeigen, sehr selten vorkommen. In diesem Sinne macht das 400-Millionen-Programm in jeder Hinsicht eine rühmliche Ausnahme. — Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Schlußbericht der Bundesregierung auf Drucksache 9/1 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Tagesordnung des Vormittags. Ich unterbreche die Sitzung bis 13 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 9/97 — .
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post-und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Becker zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Hinsken auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß der vor kurzem allgemein geschaffene 20-km-Radius für Telefonnahbereiche ungerecht ist, und wann ist die Bundesregierung bereit, diesen Radius auf 25 oder 30 km in
dünnbesiedelten Räumen auszudehnen und dabei nicht nur die Fläche, sondern auch die Bevölkerungsdichte zu berücksichtigen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, wenn der Herr Abgeordnete einverstanden ist, würde ich wegen des Sachzusammenhangs die Fragen 42 und 43 gern zusammen beantworten.
Ja, bitte.
Dann rufe ich auch die Frage 43 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Grund der Neueinteilung im Fernsprechnahbereich in dünnbesiedelten Räumen nur wenige tausend, in Ballungsgebieten dagegen teilweise über 1 Million Fernsprechteilnehmer zum. Nahbereichstarif telefonieren können, und wie will sie ihrem Auftrag, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen, auf diesem Gebiet nachkommen?
Becker, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt nicht die Ansicht, daß das zur Zeit in der Einführung befindliche Nandienstkonzept mit einem Radius von 20 km ungerecht ist. Mit dem Nandienst wurden die aus der kommunalen Neuordnung resultierenden tariflichen Ungereimtheiten abgebaut. Dabei spielten die Besiedlungsdichte und die sonstige Lage des jeweiligen Ortsnetzes keine Rolle, weil die Gesprächsverteilung der Fernsprechteilnehmer, bezogen auf die Entfernung zu den Gesprächspartnern, in etwa gleich ist.
Die Frage einer grundsätzlichen Weiterentwicklung des neuen Tarifsystems hängt von den Erkenntnissen ab, die nach der Einführung des Nahdienstes, deren Abschluß bis Ende 1982 vorgesehen ist, gesammelt werden. Erste Auswertungen lassen bereits erkennen, daß für den einzelnen Teilnehmer in den eingerichteten Nandienstbereichen die prognostizierte Verbilligung der Gesprächsgebühren von 8 % bis 10 % auch tatsächlich eingetreten ist.
Die Deutsche Bundespost führt das neue Fernsprechtarifsystem mit dem Ziel ein, die flächenmäßig unterschiedliche Ausdehnung der Ortsnetze und den damit verbundenen unterschiedlich großen Anteil der Ortsgespräche am Gesamtgesprächsaufkommen durch die Schaffung einheitlicher Nahbereiche anzugleichen. Außerdem soll sichergestellt werden, daß jeder Bürger mit seiner Gemeindeverwaltung zur niedrigsten Gesprächsgebühr telefonieren kann. Beide Zielvorstellungen werden durch die Einführung des Nandienstes erfüllt, so daß damit insbesondere für die Bewohner in den ländlichen Bereichen ein angemessener und gerechter Ausgleich zu den günstigsten Gesprächsmöglichkeiten geschaffen wird, die die städtische Bevölkerung schon jetzt hat. Herr Kollege, lassen Sie mich noch hinzufügen: 99 % aller Bürger in den Nahbereichen erreichen heute ein oder ihr Mittelzentrum direkt im Zuge dieses Nahbereichsystems.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte.
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß es doch nach wie vor mehr oder weniger eine Ungerechtigkeit ist, wenn die Bewohner des flachen Landes nicht ihren wirt-
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Hinskenschaftlichen, kulturellen und verkehrsmäßigen Mittelpunkt, die jeweilige Kreisstadt, zum Nahgesprächstarif erreichen können? Ich möchte nach wie vor den Prozentsatz von 99 %, den Sie eben genannt haben, in Frage stellen.Becker, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf Ihnen dazu folgendes antworten: Wollte die Bundespost die Nahbereiche z. B. nach wirtschaftsgeographischen, siedlungsstrukturellen oder verwaltungstechnischen Gegebenheiten gestalten, so hätte dies sehr weitgehende Folgen, weil diese Gegebenheiten und Beziehungen zunächst einmal ermittelt und definiert werden müßten. Dabei steht von vornherein fest, daß die Interessen der verschiedenen Gruppen stark voneinander abweichen und der Streit um die Gestaltungskriterien hier schon beginnen würde.Unter diesen Bedingungen wird es kaum möglich sein, allgemein verbindliche Kriterien für die Bildung von Nahbereichen zu finden. Ein bundesweit einheitliches Tarifsystem muß auch einer richterlichen Prüfung standhalten. Die Kriterien des Systems müssen für jedermann überschaubar sein. Während es bei raumordnerischen oder infrastrukturellen Planungen möglich sein kann, die eine oder andere Besonderheit zu berücksichtigen, ist das Nandienstkonzept Randbedingungen unterworfen, die eine flexible und eine lokal und regional bezogene Gestaltung der Nahbereiche nicht zulassen.Ich möchte noch eine Anmerkung hinzufügen. Die Deutsche Bundespost erprobt dieses System, nachdem alle Kriterien in ihrer Ausführung festgelegt worden sind, bis zum Jahre 1982. Diese Kriterien sind zunächst einmal auch auf Grund der parlamentarischen Auseinandersetzungen, Anregungen und Festlegungen aufgestellt worden. Sie können dann zweifellos neu betrachtet werden. Dann können sicherlich auch einige der von Ihnen angeführten Gesichtspunkte in die Debatte einbezogen werden.Zunächst einmal wollen wir aber bis 1982 überall die Nahbereiche einführen.
Herr Kollege, Sie haben trotz der erschöpfenden Auskunft, die wir eben erhalten haben, noch weitere Fragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ganz kurz noch eine weitere Frage: Herr Staatssekretär, ist bereits errechnet, wie es sich finanziell auswirken würde, wenn in dünnbesiedelten Räumen der Radius auf 25 km oder 30 km ausgedehnt würde?
Becker, Parl. Staatssekretär: Das ist bereits errechnet worden. Ich kann Ihnen die Zahlen aber hier nicht nennen. Wenn Sie es wünschen, gebe ich Ihnen gern die Zahlen schriftlich.
Ich bitte darum!
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf:
Welche Anstrengungen unternimmt die Bundespost, um das unnötige Aufreißen von Straßen im Stadtgebiet zu vermeiden und ihre Vorhaben mit den Vorhaben anderer Versorgungsunternehmen zu koordinieren?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Becker, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stockleben, für eine Koordinierung der Bauvorhaben in öffentlichen Straßen sind die Träger der Straßenbaulast, z. B. Gemeinden, zuständig, die auf Grund der kommunalen Koordinierungsrichtlinien und Ausführungsanweisungen mit den einzelnen Versorgungsträgern zusammenarbeiten sollen. Diese Richtlinien und die Ausführungsanweisungen, an denen die Deutsche Bundespost ebenfalls mitgearbeitet hat, sind verbindlich für den Geschäftsbereich der Deutschen Bundespost eingeführt worden.
In allen Stadien der Planung und Bauvorbereitung und Baudurchführung wird deshalb von den örtlichen Dienststellen der Deutschen Bundespost mit den Trägern der Straßenbaulast eng zusammengearbeitet, um das unnötige Aufreißen von Straßen zu vermeiden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockleben, bitte.
Herr Staatssekretär, wenngleich die örtlichen Bauträger für die Planung zuständig sind, so verbleiben die Kosten hier doch dem Bund. Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung ein größeres Kontrollrecht haben müßte, um auch hier sagen zu können, um welche zusätzlichen Kosten es sich tatsächlich handelt, die durch das immer wieder zu beobachtende nachträgliche Aufreißen von Straßen entstehen. Können Sie sagen, wie hoch diese Kosten im Haushaltsjahr 1979 oder 1980 gewesen sind?
Becker, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Stockleben. Diese Zahlen sind sicherlich nicht parat und werden sich auch nur schwer ermitteln lassen. Trotzdem würde ich versuchen Ihnen auf Ihre Frage eine Antwort zu geben.
Ich möchte Sie aber noch darauf hinweisen, daß die Koordinierung von Arbeiten an öffentlichen Straßen 1967 kommunalen Koordinierungsrichtlinien unterworfen worden ist, an denen alle verantwortlichen Träger mitgewirkt haben und die gemeinsam beschlossen worden sind.
Ich darf noch hinzufügen, daß diese Koordinierung in einer übergroßen Zahl von Fällen in den letzten Jahren auch vorzüglich geklappt hat, daß man Straßen also nicht zwei- oder dreimal unnötigerweise hintereinander aufgerissen hat, um die für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen zu installieren. Gleichwohl muß ich zugeben, daß in einer Reihe von Fällen, insbesondere in der Zusammenarbeit der sonstigen Träger mit einzelnen Gemeinden, noch Schwierigkeiten aufgetreten sind. Zur Zeit wird daran gearbeitet, die dabei gewonnenen Erkenntnisse für die Zukunft nutzbringend anzuwenden.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, darf ich, wenn also die Hauptverantwortung hier bei den Gemeinden liegt; davon ausgehen, daß auch das Postministerium disziplinarisch vorgehen kann, wenn es
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Stocklebenimmer wieder zu Mehraufwendungen kommt, und darf ich ferner davon ausgehen, daß diese Mehraufwendungen, diese zusätzlichen Arbeiten dem Postministerium tatsächlich bekannt gemacht werden?Becker, Parl. Staatssekretär: Zu der ersten Frage müßte ich Ihnen sagen: Das wird sicherlich nicht möglich sein. Denn nach den bisherigen Feststellungen ist nicht etwa ein Fehlverhalten von Beamten erkennbar, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben, sondern es waren objektive Tatbestände — fehlende Kabel oder fehlende maschinelle Einrichtungen —, die dazu geführt haben, daß manches nicht so koordiniert werden konnte, wie man sich das gewünscht hätte.Zu der zweiten Frage meine ich: Dies könnte man noch einmal einer näheren Betrachtung unterziehen. Ich nehme die Anregung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, dankbar auf; ich werde dem nachgehen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf:
Was hat die Deutsche Bundespost bisher unternommen, um die öffentlichen Münzfernsprecher für Hörgeschädigte behindertengerecht, d. h. benutzbar zu machen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Becker, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, wenn der Herr Kollege Hoffie einverstanden ist, würde ich gern beide Fragen zusammen beantworten.
Ja. Ich rufe also auch die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf:
Liegen der Deutschen Bundespost Erkenntnisse darüber vor, durch welche Maßnahmen die öffentlichen Fernsprechzellen hörbehindertenfreundlich ausgestattet werden können, und ist die Bundespost gegebenenfalls bereit, hierüber einen Forschungsauftrag zu vergeben, um schnellstmöglich geeignete Umrüstungen durchführen zu können?
Becker, Parl. Staatssekretär: Die Deutsche Bundespost hat Anfang 1980 Handapparate mit Magnetfelderzeugern in ihr Angebot aufgenommen, die Hörbehinderten, die ein Hörgerät benutzen, das Telefonieren wesentlich erleichtern. Die Verwendung dieser Handapparate bei Münzfernsprechern ist allerdings bei der derzeitigen technischen Konzeption der Münzfernsprecher nicht möglich. Deshalb hat die Deutsche Bundespost bereits vor Jahren technische Vorschriften für die Herstellung akustisch ankoppelbarer Magnetfelderzeuger erlassen, damit die Hörbehinderten — als Ergänzung zum Hörgerät — mit einem akustisch ankoppelbaren Magnetfelderzeuger ausgestattet werden können und ihnen das Telefonieren damit wesentlich erleichtert wird. Die Hörbehinderten können dann auch bei jedem anderen Telefonapparat, der über keinen Magnetfelderzeuger verfügt, ihr Hörgerät benutzen. Leider sind von der Hörgeräteindustrie bisher aber noch keine entsprechenden privaten Zusatzeinrichtungen auf den Markt gebracht worden.
Die Deutsche Bundespost hat im vorigen Jahr damit begonnen, bei den Postämtern jeweils eine öffentliche Sprechstelle mit einem Handapparat mit
Magnetfelderzeuger auszustatten und die betreffende Telefonzelle durch ein — in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Schwerhörigenbund e. V. entwickeltes — Piktogramm für die Benutzung von Hörbehinderten mit Hörgerät besonders zu kennzeichnen. Diese Maßnahme ist von den Hörbehinderten lebhaft begrüßt worden. Sie wird deshalb von der Deutschen Bundespost forciert werden. Außerdem ist vorgesehen, bei der Entwicklung einer neuen Münzfernsprechergeneration auch die Frage des Einbaus eines Magnetfelderzeugers aufzugreifen. Sie dürfen versichert sein, Herr Kollege Hoffie, daß gerade im Jahr der Behinderten die Deutsche Bundespost alle Anstrengungen unternehmen wird, dieses Programm so rasch und zügig wie möglich abzuwickeln.
Zusatzfrage? Herr Abgeordneter Hoffie, bitte.
Herr Staatssekretär, wann ist mit der neuen Münzfernsprechergeneration zu rechnen?
Becker, Parl. Staatssekretär: Die Vorbereitungen für die Erstellung neuer Münzfernsprecher werden sicher noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Ich kann hier nicht verbindlich sagen, ob wir schon im Jahr 1982 oder erst im Jahr 1983 die ersten Geräte dieser Art auf dem Markt haben werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie Dank für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Trifft es zu, daß Angehörigen der deutschen Botschaft in Warschau der Kontakt zur polnischen Bevölkerung untersagt ist, und von wem wurde diese Anordnung gegebenenfalls erlassen?
Würden Sie freundlicherweise ans Saalmikrophon treten, Herr Kollege, damit wir sehen, daß Sie im Raum sind.
Zur Beantwortung hat die Frau Staatsminister das Wort.
Frau Präsident, für mich beginnen die Fragen bei Frage 62. Aber ich habe auch die Antwort auf die Frage 85. Die Frage 62 wurde uns offensichtlich vom Bundesminister des Innern überwiesen. Die kommt wohl später.
Die Frage 62 kommt zuletzt.Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Gut. Entschuldigen Sie, Frau Präsident.Herr Kollege Müller, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Es trifft nicht zu, daß den Bediensteten an der Deutschen Botschaft in Warschau oder an ande-
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Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherren vergleichbaren Vertretungen der Kontakt zur Bevölkerung des Gastlandes untersagt ist. Die Bediensteten haben vielmehr private Kontakte auf Grund einer internen Regelung des Auswärtigen Amtes mitzuteilen, soweit sie über flüchtige Zufallsbegegnungen hinausgehen. Die Verpflichtung zur Mitteilung des Kontakts dient dazu, die Bediensteten auf mögliche nachrichtendienstliche Gefährdungen aufmerksam zu machen und auf die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit hinzuweisen.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Wenn ja, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, diesen Zustand zu ändern?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Antwort auf diese Frage erübrigt sich durch die Antwort auf die Frage 85.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß das in Frage 85 Erwähnte in einer Fernsehsendung von einem Botschaftsangehörigen behauptet wurde?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, es hat sich wohl nach einer intensiven Aufklärung und Gesprächen mit den beiden Bediensteten herausgestellt, daß es sich hier um Mißverständnisse handelt. Man hat die Verpflichtung, Kontakte mitzuteilen, mit der Frage, ob Kontakte erlaubt oder nicht erlaubt sind, verwechselt. Das ist geklärt.
Andererseits sind vor der Fernsehsendung Schnitte erfolgt, die die Aussagen vielleicht unerlaubt verkürzt und in dieser diffizilen Sache Mißverständnisse erzeugt haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, haben Sie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, zumindest das Fernsehen darüber aufzuklären, daß die Berichterstattung nicht ganz richtig war, damit sich solches nicht wiederholt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, Sie können sicher sein, daß diese Sendung Gegenstand sehr ernsthafter Erörterungen in den hierfür zuständigen Aufsichtsgremien gewesen ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 87 und 88 des Herrn Abgeordneten Dr. Corterier werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Wie viele Mitglieder von Menschenrechts-, Bürgerrechts- oder Helsinki-Gruppen in der Sowjetunion sind nach den Erkenntnissen der Bundesregierung seit dem Beginn des Madrider KSZE-Folgetreffens festgenommen, vor Gericht gestellt oder verurteilt worden, und wie beurteilt die Bundesregierung dieses Vorgehen der sowjetischen Behörden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, seit dem 9. September 1980, dem Beginn der Vorkonferenz für das KSZE-Folgetreffen in Madrid, sind der Bundesregierung 16 Fälle von Verurteilungen bzw. Festnahmen sowjetischer Bürgerrechtler bekannt geworden. Die Bundesregierung sieht in diesen Festnahmen und Verurteilungen Verstöße gegen die Schlußakte von Helsinki .
Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger .
Frau Staatsminister, haben Sie ebenso wie ich den Eindruck, daß die Verfolgungsmaßnahmen, die Sie beziffert haben, ausgerechnet in einen Zeitraum verlegt worden sind, in dem die Implementierungsdebatte in Madrid gerade zu Ende ging, so daß eine unmittelbare Rüge dort an Ort und Stelle nicht mehr erfolgen konnte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich teile diese Ansicht deshalb nicht, weil es sich bei der genannten Zahl von 16 Dissidenten überwiegend um Verurteilungen in diesem Zeitraum gehandelt hat; die Verhaftungen sind vor Beginn der Madrider Nachfolgekonferenz erfolgt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Staatsminister, ist insbesondere der Fall des aus der Verbannung heraus wieder vor Gericht gestellten Bürgerrechtlers Podrabinek — der j a auch in der Presse wiedergegeben worden ist —, der sich durch die Hinweise auf die Psychiatrie-Verbrechen einen besonderen Namen gemacht hat, natürlich auch beim KGB, nicht ein gewichtiger Hinweis, da dieser Mann, der ja eine Verbannung verbüßte, nun gerade in der Zeit der Unterbrechung der Gespräche beim Folgetreffen in Madrid verurteilt werden sollte?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: 'Herr Kollege Jäger, zu meinem Bedauern kann ich Ihnen jetzt zu einem Einzelfall keine Auskunft geben. Ich werde das aber gern schriftlich nachholen.
Danke.Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:In welcher Weise hat die Bundesregierung als Teilnehmerin am Madrider KSZE-Folgetreffen auf die Herausforderung der Konferenz durch die sowjetischen Maßnahmen gegen Felix Serebrow und andere Menschenrechts- und Bürgerrechtskämpfer in der Sowjetunion reagiert, und wird sie diese schwerwiegenden Verstöße der UdSSR gegen Buchstaben und Geist der Schlußakte von Helsinki gleich zu Beginn der nächsten Session des Folgetreffens zur Sprache bringen?Bitte sehr, Frau Staatsminister.Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Der Herr Bundesminister des Auswärtigen, Herr Kollege, hat in seiner Ihnen doch wohl bekannten Madrider Rede vom 13. November 1980 zu diesem von Ihnen beschriebenen Problembereich deutlich Stellung genommen. Die Delegation der Bundesrepublik Deutschland hat ihre Kritik an sowjetischen Menschenrechtsverletzungen zum wiederholten Male und in der gebotenen Eindringlichkeit sowohl im Plenum der Konferenz als auch in den Arbeitsorga-
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474 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brüchernen vorgetragen. Die Bundesregierung betrachtet auch die Verhaftung von Felix Serebrow, die anscheinend in erster Linie wegen seiner Kritik am Mißbrauch der Psychiatrie für politische Zwecke in der Sowjetunion erfolgt ist, als Verstoß gegen die Schlußakte. Sie wird den Fall Serebrow in Madrid in geeigneter Form weiterverfolgen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Frau Staatsminister, betrachtet die Bundesregierung die Art und Weise, wie die Sowjetunion — ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo man sich in Madrid in so klarer und deutlicher Weise, wie Sie das hier zum Ausdruck brachten, auch von seiten der Bundesregierung gegen die Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die Menschenrechte gewandt und diese kritisiert hat — gegen Menschenrechtskämpfer und Bürgerrechtler vorgeht, nicht als eine Herausforderung, wenn nicht gar als eine Verhöhnung dieser Bemühungen und Bestrebungen auch der Bundesregierung durch die Sowjetunion?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nur wiederholen, was ich vorher gesagt habe: Die Bundesregierung betrachtet das als einen Verstoß gegen die Schlußakte. Sie ist entschlossen, auch im weiteren Verlauf des Folgetreffens auf diesen Fall in geeigneter Form zurückzukommen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, wird die Bundesregierung diese Vorfälle zum Anlaß nehmen, in der letzten Phase des Folgetreffens von Madrid darauf hinzuwirken, daß eine Konvention, ein Protokoll oder ein anderes geeignetes Papier dort vorgelegt und verabschiedet wird, das in spezieller Weise den Schutz von Bürgern sicherstellt, die nichts anderes tun, als die Beschlüsse von Helsinki ernst zu nehmen, sich auf sie zu berufen und sie in der Öffentlichkeit zu verteidigen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann das bejahen. In geeigneter Form wird das geschehen, auch in der zweiten Phase der Madrider Konferenz. Es ist auch durchaus vorstellbar, daß anläßlich der Schlußerklärung noch einmal auf diese Vorgänge zurückgegriffen wird.
Danke schön. — Herr Kollege Hupka, noch eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsminister, den Vorschlag des Kollegen Jäger aufgreifend: Besteht die Möglichkeit, hier auch unter den westlichen Teilnehmern an dem Nachfolgetreffen einen Consensus zu erzielen, der dann in Übereinstimmung mit der Nordatlantischen Versammlung wäre, daß man besonders darauf achten sollte, daß nicht diejenigen, die sich unter Berufung auf Helsinki in der Öffentlichkeit äußern, verhaftet werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, selbstverständlich werden unsere Überlegungen im Rahmen und im Kreise der EPZ-Partner, aber auch im Rahmen der Konsultationen mit den Bündnispartnern abgestimmt werden, und nach Möglichkeit wird ein gemeinsames Vorgehen vereinbart werden.
Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß der ehemalige tschechoslowakische Außenminister.Hajek aus Anlaß des offiziellen Besuches des deutschen Bundesaußenministers — und dies während der KSZE-Folgekonferenz in Madrid — zwangsweise Prag verlassen mußte ?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung bedauert dies.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Was bedauert sie?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Sie bedauert das, was Sie in Ihrer Frage 91 gefragt haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ist es nicht ganz besonders bedauerlich, Frau Staatsminister, daß die Verbringung aus Anlaß des Besuchs des Bundesaußenministers gerade während des Verlaufs der Madrider Folgekonferenz stattfand?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann es noch einmal wiederholen: Die Bundesregierung bedauert das.
Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Beabsichtigt der .Bundesaußenminister, bei seinem für März angekündigten Besuch in Warschau mit der polnischen Regierung den starken Rückgang der Deutschen, die mit Papieren zur endgültigen Ausreise im zweiten Halbjahr 1980 in die Bundesrepublik Deutschland kommen durften, ernsthaft zu erörtern und darauf hinzuwirken, daß auch die Problematik von Familien sogenannter „Illegaler" möglichst eine Lösung im Sinne der Ausreisefreiheit findet?
Frau Staatsminister, Sie haben das Wort dazu.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, dem Bundesminister des Auswärtigen liegt eine Einladung des polnischen Außenministers vor. Der Zeitpunkt des Besuches wird, wie üblich, auf diplomatischem Wege abgestimmt. Bei einer Reise in die Volksrepublik Polen wird sich der Bundesminister des Auswärtigen selbstverständlich die Lage der in der Volksrepublik Polen lebenden Deutschen angelegen sein lassen. Dem Zweck der Reise wäre es allerdings nicht dienlich, bereits jetzt Einzelheiten der Gesprächsführung im Deutschen Bundestag zu erörtern, und ich bin sicher, daß Sie dafür Verständnis haben, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981 475
Frau Staatsminister, darf ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung den Rückgang der Zahl der Aussiedler mit Ausreisepapieren auf 17 600 im Jahre 1980 so gravierend findet, daß möglichst bald ernsthafte Vorstellungen erhoben werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, die Bundesregierung kann sich Ihrer Beurteilung der Aussiedlerzahlen als gravierend rückläufig nicht anschließen. Nach den uns vorliegenden neuesten statistischen Zahlen sind diese nach einem vorübergehenden Rückgang nach Erfüllung des Ausreiseprotokolls im Dezember fast wieder so hoch wie im Juli vorigen Jahres; sie liegen nämlich bei 1 116. Wir gehen davon aus, daß es auch in den nächsten Monaten bei diesen wieder gestiegenen Aussiedlerzahlen bleiben wird. Zu einer Dramatisierung sehen wir also keinen Anlaß, Herr Kollege.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Staatsminister, wenn Sie ein gewisses Ansteigen im Dezember verzeichnen, so widerspricht das nicht der Tatsache, daß die Gesamtzahl für 1980 17 600 beträgt und fast auf die Hälfte der Zahl des Jahres 1979 zurückgegangen ist. Auch die 1 100 Fälle im Dezember 1980 liegen weit unter dem Monatsdurchschnitt des Jahres 1979, der 3 000 Fälle betrug.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die obere Grenze der vereinbarten Zahlen, nämlich über 125 000, ist erreicht und überschritten. Es wird jetzt darauf ankommen, aufbauend auf der Offenhalteklausel und der „Information" der Regierung der Volksrepublik Polen aus dem Jahre 1970 das weitere Verfahren im Auge zu behalten und alles zu tun, damit Deutschstämmige auch weiter aussiedeln können, soweit sie dies wünschen.
Zusatzfrage, Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, Sie haben eben gesagt, die Zahl von 125 000 sei überschritten. Ich darf Sie fragen, woher Sie die Fakten dafür nehmen; denn die Zahl derer, die in Friedland registriert wird, ist nicht immer gleichbedeutend mit der Zahl der Menschen, die eine Aussiedlungserlaubnis erhalten, sondern sehr viele, 20 % und mehr, sind Besucher, die hiergeblieben sind.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, Sie wissen genau wie ich, daß die Zahl auf 120 000 bis 125 000 limitiert wurde, so daß man es schon als eine Erfüllung hätte ansehen können, wenn die Zahl die 120 000 überschritten hätte. Da sie aber eindeutig die 125 000 überschritten hat, gehen wir davon aus, daß diese Bedingungen fristgerecht innerhalb von vier Jahren erfüllt worden sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hennig.
Frau Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß sich die Dokumente von 1970 und 1975 ausdrücklich auf Ausreisegenehmigungen und nicht auf die Gesamtzahl hier Herüberkommender bezogen haben?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Das bestätige ich gerne. Darauf berufen wir uns auch bei der künftigen Abwicklung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Frau Staatsminister, hat die Bundesrepublik einen Überblick darüber, wie viele Anträge auf Aussiedlung noch im Bereich der Volksrepublik Polen vorliegen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben keinen genauen Überblick. Wir sind hier auf Schätzungen angewiesen. Es differieren die Angaben, die gewisse Verbände, das Rote Kreuz und unsere Botschaft machen. Aber wir werden uns natürlich immer wieder darum bemühen, daß wir hier möglichst genaue Zahlen erhalten können.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf die Europäische Gemeinschaft mit dem Ziel einzuwirken, die umfangreichen Lebensmittellieferungen an Polen mit dem Ersuchen zu verbinden, seitens der polnischen Regierung allen aussiedlungswilligen Deutschen aus dem polnischen Machtbereich die Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland zu gestatten?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Bei mir stammt die Frage 93 vom Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Die Frage 93 wurde von Herrn Abgeordneten Böhm .eingebracht. Dann geht es bei mir mit der Frage 94 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig weiter. Danach kommt die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Bei mir trägt die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja die Nr. 93 und die des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig die Nr. 94. Ich bitte, das zu entschuldigen.
Und eine Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Böhm haben Sie gar nicht?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Nein. — Ich bitte um Vergebung. Zur Frage 93 des Herrn Abgeordneten Böhm:Herr Kollege, die Bundesrepublik Deutschland ist an dem Meinungsbildungsprozeß der EG voll beteiligt. Die Bundesregierung bringt daher ihre Vorstellungen in bezug auf die Verhandlungen der zuständigen Gremien mit der Volksrepublik Polen in
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476 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brüchervollem Umfang in die Entscheidungsfindung der Gemeinschaft ein.Die EG-Hilfe ist dazu bestimmt, zu einem Klima des Vertrauens in Polen im Geiste nachbarschaftlicher Solidarität beizutragen, in dem auch andere Fragen ihre Lösung finden können.In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage der Ausreisen aus Polen, die sich, wie ich dies in der Fragestunde bereits gesagt habe, nach Ansicht der Bundesregierung weiterhin positiv entwickelt haben. Die Bundesregierung wird daher alle geeigneten Möglichkeiten berücksichtigen, die ihr zur Förderung der deutschen Interessen sachdienlich erscheinen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Frau Staatsminister, würden Sie es in diesem Zusammenhang begrüßen, wenn sich die polnischen Behörden entschließen könnten, den Aussiedlungswünschen der rund 150 000 Deutschen entgegenzukommen, vor allem da sich die polnischen Behörden in der Vergangenheit nie gescheut haben, die Ausreise Deutscher aus ihrem Machtbereich im Zusammenhang mit finanziellen Leistungen aus der Bundesrepublik Deutschland zu bringen — ich erinnere nur an die 2,3 Milliarden DM im Rahmen des letzten Vertrages —?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kol- lege, abgesehen davon, daß ich Ihre geschätzte Zahl hier nicht bestätigen kann — ich habe vorhin davon gesprochen —, verweise ich noch einmal auf die eben geäußerte Antwort auf die Frage Ihres Kollegen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Hat die Bundesregierung die Bestätigung des nicaraguanischen Außenministers, daß in El Salvador Soldaten aus Nicaragua im Einsatz sind , und die Nachricht über den Einsatz „internationalistischer Kämpfer" im Guerilla-Sender in El Salvador vom 8. Januar 1981 zur Kenntnis genommen, und wie vereinbart sie damit ihre Zustimmung zur von Kuba eingebrachten UN-Resolution 35/192, mit der sie sich in Gegensatz zu den USA, Japan, Großbritannien, Frankreich und Italien gesetzt hat?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Erstens. Herr Kollege, die Bundesregierung kennt die Erklärung des nicaraguanischen Außenministers d'Escoto, nach der dieser es nicht ausschließt, daß nicaraguanische Freiwillige auf seiten der salvadorianischen Guerilleros kämpfen. Beweise hierfür können aber auch anläßlich der Meldung über die Landung einer ausländischen Guerillaeinheit an der Ostküste von El Salvador nicht erbracht werden.
Zweitens. Die Resolution der Vereinten Nationen 35/192 wurde zwar u. a. von Kuba initiiert, aber auch von Panama und Ecuador mit eingebracht. Für die Resolution stimmten neben der Bundesrepublik 69 Länder bei 12 Gegenstimmen und 55 Enthaltungen. Die Zustimmung zu dieser Resolution entspricht der Politik der Bundesregierung, sich gegen Menschenrechtsverletzungen überall in der Welt zu wenden, wer immer die Urheber sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hennig.
Frau Staatsminister, ist der Bundesregierung, die über einen vorzüglichen Botschafter in Nicaragua verfügt, dennoch entgangen, daß dort in sehr großen Anzeigen um Freiwillige für den Einsatz in El Salvador geworben wird, und was, meint die Bundesregierung, geschieht mit diesen Freiwilligen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, hierzu liegen uns keine konkreten und nachprüfbaren Berichte vor.
Zweite Zusatzfrage, bitte sehr.
Darf ich Sie dann zusätzlich noch fragen, ob sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt ist, daß sie sich mit dieser Resolution, die von Kuba entworfen und in einem späteren Zeitpunkt von den beiden von Ihnen genannten Staaten mit unterzeichnet worden ist, doch in einen sehr deutlichen Widerspruch zu unserem wichtigsten Verbündeten setzt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe schon in einer schriftlichen Anfrage dargelegt, weshalb die Bundesregierung hier ihr Abstimmungsverhalten zwischen Ausschuß und Plenum geändert hatte. Wir wollten im Prinzip Menschenrechtsverletzungen, wo immer sie erfolgen, verurteilen. Uns war aber zunächst der Entwurf etwas zu einseitig hinsichtlich der Darlegung der Lage in El Salvador.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt .
Frau Staatsminister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß sie jede Form der Einmischung von außen und insbesondere natürlich jede Form der Intervention von außen in El Salvador wie auch in anderen Ländern Zentralamerikas ablehnt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: So ist es, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Frau Staatsminister, angesichts der im ersten Teil der Frage enthaltenen Unterstellung möchte ich Sie fragen, wie die Bundesregierung die Meldung der US-Menschenrechtskommission in El Salvador, die in diesen Tagen zu lesen und zu hören war, bewertet, wonach keine Soldaten aus Nicaragua an den Auseinandersetzungen in El Salvador teilnehmen.Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hansen, ich habe ja vorher schon gesagt, daß wir die in der Frage zitierte Meldung genau über-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981 477
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brücherprüft und keinen Anhaltspunkt gefunden haben, daß dieser Meldung Tatsachen zugrunde liegen.
Keine weiteren Wortmeldungen zu dieser Frage.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
In welcher Weise und mit welchem Erfolg war es dem Bundesaußenminister während seines Besuches in der Tschechoslowakei möglich, entsprechend dem Inhalt seines Interviews im „Deutschlandfunk" sich „für eine Verwirklichung der Rechte der Deutschen" einzusetzen, „die in der Tschechoslowakei noch leben, Rechte, die in der Gesetzgebung zugestanden sind, in der Praxis noch ausgebaut werden müssen"?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesminister des Auswärtigen hat die Frage der Rechte der Deutschen in der CSSR in der Form angesprochen, wie er dies bereits in dem von Ihnen erwähnten Interview mit dem „Deutschlandfunk" am 22. Dezember 1980 dargestellt hat: Er hat seinen tschechoslowakischen Gesprächspartner darauf hingewiesen, daß das tschechoslowakische Recht der deutschen Minderheit dort bestimmte Rechte einräumt. Es gehe nun darum, dies auch in der Praxis in wünschenswertem Umfang zu verwirklichen.
Zusatzfrage, Dr. Hupka.
Frau Staatsminister, nachdem der Herr Bundesaußenminister das Kommuniqué noch zusätzlich im „Bulletin" der Bundesregierung hat veröffentlichen lassen, frage ich Sie, in welcher Weise während dieser Gespräche dann auch die Aussiedlung der Deutschen einvernehmlich behandelt werden konnte.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Frau Präsidentin, ich habe die Frage akustisch nicht verstanden. Es ging ja hier um die Minderheitenrechte der in der Tschechoslowakei lebenden Deutschstämmigen und nicht um Aussiedlungsfragen.
Ich habe die Frage leider auch nicht verstanden. Vielleicht wiederholen Sie die Frage.
Ich habe auf das Kommuniqué Bezug genommen, das nach dieser Reise im „Bulletin" veröffentlicht worden ist. Da ist dieser Punkt, die Aussiedlung von Deutschen, aufgegriffen worden und gesagt worden, er sei einvernehmlich behandelt worden. Darum die Frage, inwieweit das bei der Behandlung der menschenrechtlichen Belange der Deutschen in Prag zum Ausdruck gekommen ist.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das kann ich Ihnen jetzt aus dem Handgelenk nicht sagen. Ich bitte Sie, einverstanden zu sein, daß ich Ihnen das schriftlich nachliefere.
Eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, weiß die Bundesregierung darüber Bescheid, daß den Deutschen in der Tschechoslowakei die Minderheitenrechte verweigert werden, auch die Rechte, die in der KSZE-Schlußakte enthalten sind?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, eben das war j a der Grund, weshalb der Bundesminister des Auswärtigen diese Frage auch auf Grund der tschechoslowakischen Verfassung angesprochen hat. Dieses Thema wird weiter Gegenstand der Gespräche mit den tschechoslowakischen Verantwortlichen sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Frau Staatsminister, da Herr Kollege Hupka auch nach dem Erfolg der Bemühungen des Herrn Bundesministers des Auswärtigen gefragt hat, möchte ich die Frage hinzufügen, welche konkreten Zusicherungen der Bundesminister bei diesen Gesprächen mit der tschechoslowakischen Regierung erhalten hat und ob es vielleicht gar schon praktische Erkenntnisse der Bundesregierung über die Verwirklichung solcher Zusagen gibt.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, dieser Punkt ist angesprochen worden und vom tschechoslowakischen Gesprächspartner sehr interessiert aufgenommen worden. Konkrete Ergebnisse sind in diesem Punkt anläßlich eines so kurzen Besuches aber verständlicherweise nicht erzielt worden. Es wird darauf ankommen, diese Frage weiter zu verfolgen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Frau Staatsminister, sind dem Herrn Bundesaußenminister von der tschechoslowakischen Regierung Zahlen, von denen die tschechoslowakische Regierung ausgeht, darüber genannt worden, wieviel Deutsche noch in der Tschechoslowakei leben, und können Sie diese Zahlen gegebenenfalls bestätigen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Nein, Herr Kollege, es sind keine Zahlen genannt worden. Es hat nur eine allgemeine Erörterung, wie ich sie vorher schon skizziert habe, gegeben.
Danke, Frau Staatsminister.Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Warum spricht das Bundesinnenministerium vom „Auslaufen des auf vier Jahre befristeten deutsch-polnischen Ausreiseprotokolls vom 9. Oktober 1975", obwohl nur der numerische Teil gemeint sein kann und auch nach wiederholten Erklärungen der Bundesregierung die Offenhalteklausel des Ausreiseprotokolls nach wie vor gilt?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die von Ihnen zitierte Erklärung des Bundesministeriums des Innern bezieht sich, wie Sie richtig vermuten, nur auf die numerische Erfüllung des Ausreiseprotokolls, das nach Auffassung der Bundesregierung abgewickelt ist.
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478 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Staatsminister Frau Dr. Hamm-BrücherDie sogenannte Offenhalteklausel im Ausreiseprotokoll bestätigt, daß für diejenigen Personen, die nach Abwicklung der im Protokoll festgelegten Zahl von Ausreisen in die Bundesrepublik ausreisen wollen, die sogenannte Information der Regierung der Volksrepublik Polen vom Dezember 1970 ihre Gültigkeit behält.Die Bundesregierung bringt diesen Rechtsstandpunkt, den sie auch schon im Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 16. Februar 1976 zu den sogenannten elf Punkten des Bundesrates eingenommen hat, bei jeder geeigneten Gelegenheit gegenüber der polnischen Regierung zum Ausdruck.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Frau Staatsminister, gilt dann auch weiterhin — ich frage dies, weil Sie das nicht zitiert haben — die klarere Fassung eines Briefes des Herrn Bundesaußenministers an seinen polnischen Kollegen, die besagt, daß die Ausreisegenehmigungen in allen Fällen nach den bisher bekannten Verfahren erteilt werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, diese Briefe, auf die Sie Bezug nehmen, sind, wie Sie wissen, ohne Gegenantwort geblieben. Das heißt, wir gehen davon aus, daß sie zustimmend zur Kenntnis genommen worden sind.
Eine zweite Zusatzfrage.
Wie erklärt sich dann aber die Bundesregierung, daß gleich vom 1. Juli vorigen Jahres an die Zahl der Ausreisegenehmigungen so frappant zurückgegangen ist?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich habe ja vorhin schon gesagt, daß wir im Dezember bereits fast wieder die Zahlen vom Juli erreicht haben und daß sie sich seit Oktober des vorigen Jahres schon fast wieder verdoppelt haben. Wir gehen nicht davon aus, daß wir hier ein schlechtes Ergebnis zu verzeichnen haben.
Vielen Dank, Frau Staatsminister. Damit sind die Fragen aus Ihrem Bereich beantwortet.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf.
Die Frage 48 ist von dem Herrn Abgeordneten Engelsberger eingebracht:
.Treffen Pressemeldungen zu, Bundesminister von Bülow habe sich dahin gehend geäußert, daß man spätestens dann, wenn die Bundesrepublik Deutschland ihre ausländischen Verpflichtungen nicht mehr voll bezahlen könne, prüfen müsse, „ob beispielsweise Beschränkungen der Auslandsreisen eingeführt werden" sollten, und wie ist gegebenenfalls eine solche Aussage in Übereinstimmung zu bringen mit den ablehnenden Stellungnahmen sowohl des Bundeswirtschaftsministers als auch des Bundesfinanzministers zu meinem Vorschlag vom Juli 1980, Urlaubsreisen im Inland steuerlich zu begünstigen?
Bitte, schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Engelsberger, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Bundesminister von Bülow ist weder in seinem Interview am 3. Januar 1981 im Sender Freies Berlin noch bei einer anderen Gelegenheit für eine Beschränkung von Auslandsreisen zum jetzigen oder einem anderen Zeitpunkt eingetreten. Er hat vielmehr auf den wirtschaftlichen Zusammenhang hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland bei Öleinfuhren im Betrag von zuletzt 60 Milliarden DM im Jahr ebenso wie zahlreiche andere Länder gezwungen ist, nicht nur zum Ausgleich der Leistungsbilanz mehr zu exportieren, sondern auch verstärkte Anstrengungen zum Energiesparen zu unternehmen. Darüber hinaus müßten Importenergien durch heimische Kohle oder, womöglich, durch Kernenergie ersetzt werden.
Von daher ergibt sich kein Zusammenhang mit Ihrem Vorschlag vom Juli 1980 über die steuerliche Begünstigung von Urlaubsreisen im Inland.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie praktisch die Pressemeldungen über die Aussagen des Herrn Bundesministers von Bülow dementieren, möchte ich an Sie die Frage richten, ob es der Bundesregierung bekannt ist, daß wir ein Zahlungsbilanzdefizit von 60 Milliarden DM pro Jahr haben, und ebenfalls die Frage stellen, welches Konzept die Bundesregierung zum Abbau dieses Zahlungsbilanzdefizites hat. Denn allein mit Energiesparen werden wir dieses Problem mittelfristig nicht bewältigen können.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Engelsberger, wir haben gestern im Ausschuß für Forschung und Technologie die Frage erörtert — speziell Sie haben die Frage ja an den Herrn Bundesminister gestellt —, und ich glaube, er hat sehr ausführlich geantwortet: daß das, was Sie jetzt gesagt haben, uns bekannt ist. Ich glaube, daß man hier abwägend eine ganze Menge von Maßnahmen ergreifen muß, aber nicht eine derartige Maßnahme, wie Sie sie gefordert haben: Steuererleichterung für Urlaubsreisen im Inland.
Herr Kollege, ich möchte nur darauf hinweisen, daß natürlich eine so umfangreiche Frage, wie Sie sie gestellt haben, nicht kurz beantwortet werden kann, wie das von beiden Seiten gewünscht wird. Deswegen bitte ich doch, dies mit in Ihre Überlegungen einzubeziehen.
Bitte schön, Sie haben noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, nachdem wir pro Jahr zirka 30 Milliarden DM Zahlungsbilanzdefizit in der Bundesrepublik haben, würden innerhalb von zwei Jahren die Devisenreserven in der Bundesrepublik abgebaut werden. Ich glaube, Ihre eben vorgeschlagenen Maßnahmen können nicht so kurzfristig wirken, um unser Zahlungsbilanzdefizit abzubauen. Was würde die Bundesregierung konkret unternehmen, um dieses Zahlungsbilanzdefizit zu beseitigen?Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Engelsberger, ich glaube, daß Ihre Zusatzfrage nicht in den
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981 479
Parl. Staatssekretär StahlKompetenzbereich des Forschungsministers fällt. Ich empfehle Ihnen, einmal im bayerischen Landtag eine Frage oder einen Antrag einzubringen, damit der bayerische Ministerpräsident und die Landtagsfraktion der CSU mit diesem Thema befaßt werden; die Landtagsfraktion der CSU, die ja die Möglichkeit hat, Subventionen an den Fremdenverkehr in Bayern auszugeben, könnte im bayerischen Landtag eine derartige Regelung beschließen, wie Sie sie hier dem Deutschen Bundestag bzw. der Bundesregierung vorschlagen. Dies wäre vielleicht der Diskussion würdig.
Ich danke für die klärende Beantwortung dieser Frage.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Dr. Laermann auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen über die Ursache und das Ausmaß des Brandes in der französischen Wiederaufarbeitungsanlage Cap de la Hague vom 6. Januar 1981 vor, und ergeben sich daraus Konsequenzen sicherheitstechnischer Art für den Bau großtechnischer Wiederaufarbeitungsanlagen in der Bundesrepublik Deutschland?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, darf ich die Fragen 49 und 50 vielleicht mit Genehmigung des Herrn Kollegen Dr. Laermann zusammen beantworten?
Sie haben vier Zusatzfragen, Herr Kollege.
Dann rufe ich auch Frage 50 auf:
Sind durch den jüngsten Vorfall in Cap de la Hague Auswirkungen für die Sicherstellung der Entsorgung deutscher Kernkraftwerke zu befürchten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laermann, Ihre Fragen beantworte ich wie folgt.
Auf Grund der Unterrichtung der Bundesregierung durch französische Regierungsstellen stellt sich der Sachverhalt des Störfalls in La Hague wie folgt dar.
Am 6. Januar 1981 etwa gegen 13 Uhr ereignete sich in einem Abfallager der französischen Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague ein Schwelbrand. In diesem Abfallager waren Strukturteile, die bei der Wiederaufarbeitung von Gas-Graphit-ReaktorBrennelementen als feste Abfälle anfallen, gelagert. Der Schwelbrand konnte nach Fluten des Silos mit Stickstoff und anschließend Wasser beendet werden.
Während des Schwelbrandes entwickelte sich durch Cäsium kontaminierter Rauch, von dem ein Teil durch die Beschickungsöffnung des Bunkers in die darüber liegende Halle austrat und durch den Nordostwind in Richtung auf das Gelände der Wiederaufarbeitungsanlage getrieben wurde.
Bisher sind weder das schadensauslösende Ereignis noch die konkreten Schadensfolgen im Abfallager bekannt.
Bei 19 Personen konnten Spuren einer äußerlichen Kontamination festgestellt werden, bei 3 von ihnen ein leicht erhöhter Wert. Dieser Wert bewegte sich etwa bei 1/100 der gesetzlich maximal zulässigen Dosis.
Darüber hinaus war eine vierte Person einer Strahlendosis ausgesetzt, die mit 5,7 rem geringfügig oberhalb des gesetzlich zulässigen jährlichen Wertes von 5 rem liegt.
Nach den Informationen der staatlichen Strahlenschutzbehörde konnten ausschließlich Cäsiumkontaminationen und keine Spur signifikanter Aktivität anderer Radioisotope in der Umgebung festgestellt werden. In keinem Falle haben die Aktivitäten die gesetzlich zugelassenen Werte überschritten.
Wie mitgeteilt, wurde die 1,5 km entfernt liegende Wiederaufbereitungsanlage nicht betroffen und ihr Betrieb nicht beeinträchtigt. Die Aufarbeitungskampagne für Gas-Graphit-Reaktor-Brennelemente und Schnellbrut-Brennelemente wurde fortgeführt.
Da bei uns in der Bundesrepublik Deutschland keine Gas-Graphit-Reaktoren betrieben werden, könnte, unabhängig vom schadensauslösenden Ereignis, ein solcher Störfall weder bei der existierenden Wiederaufarbeitungs-Pilotanlage in Karlsruhe noch bei der geplanten Demonstrationsanlage auftreten. Eine trockene Lagerung von Hülsen- und Strukturteilen ist in der deutschen Anlage nicht vorgesehen.
Auf Grund des Vorfalls im Abfallager der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague sind Auswirkungen für die Sicherstellung der Entsorgung deutscher Kernkraftwerke nicht zu befürchten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Laermann.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß wenige Tage nach dem Schwelbrand am 6./7. Januar ein Behälter mit plutonium- und uranhaltiger Flüssigkeit übergelaufen ist, daß wenige Tage danach, etwa Mitte Januar, Leckagen am Rohrleitungssystem und darüber hinaus auch an einem Heizungssystem — allerdings mit Reinwasser — aufgetreten sind und daß daraufhin die Anlage stillgelegt worden ist? Ist von daher — im Blick auf alle dortigen Vorfälle — zu befürchten, daß es Auswirkungen auf die Entsorgungsverträge der deutschen EVUs geben könnte?Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laermann, was den letzten Teil Ihrer Frage betrifft, habe ich gesagt, daß dies auf den Betrieb der deutschen EVUs keinen Einfluß haben wird.Was den ersten Teil der Frage betrifft, ist zu sagen, daß nach offiziellen französischen Informationen am 11. Januar 1981 das Auslaufen einiger 10 Liter von schwach aktiver Lösung in einer der Spaltproduktabtrennung benachbarten Zelle festgestellt wurde. Die Undichtigkeit wurde während einer programmierten Stillstandszeit der Anlage von 21/2 Ta-
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480 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Parl. Staatssekretär Stahlgen behoben. Die Anlage war im übrigen bereits vor der Entdeckung des Lösungsmittelverlusts abgefahren worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Laermann.
Ist der Bundesregierung bekannt, was die sozialistische Gewerkschaft CFDT veranlaßt hat, im Zusammenhang mit den Vorfällen jetzt ihre Bedenken gegen diese internationalen Entsorgungsverträge der COGEMA zu äußern, Bedenken dagegen, 10 000 t ausländische Brennelemente in La Hague zu lagern?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Laermann, ich glaube nicht, daß es Aufgabe der Bundesregierung ist, Kommentierungen der kommunistischen
— oder sozialistischen Gewerkschaften in Frankreich in irgendeiner Form zu zensieren. Ich kann Ihnen nur das vortragen, was uns offiziell von französischer Seite über diesen Störfall mitgeteilt wurde.
Die dritte Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ich glaube nicht, daß Sie mich mißverstanden haben können. Ich habe nicht um Ihre kritische Bewertung gebeten, sondern gefragt — und ich wiederhole es —: Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, was die CFDT zu ihren Bedenken bezüglich der Verträge veranlaßt hat und ob über diese Bedenken hinaus Auswirkungen auf die Erfüllung der COGEMA-Verträge zu befürchten sein könnten?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laermann, ich habe am Schluß meiner Antwort auf Ihre beiden Fragen gesagt, daß für diesen Bereich keinerlei Auswirkungen zu erwarten sind.
Zu einer .Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wann und auf welchem Wege hat .die Bundesregierung von diesem Störfall zuerst Kenntnis erhalten, und betreibt die Bundesregierung außer dem, was sie von der französischen Regierung mitgeteilt bekommt, eigene Nachforschungen, um einen möglichst breiten Erkenntnisstand über diesen Störfall zu haben?
Damit sind zwei Fragen abgedeckt, Herr Staatssekretär.
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, zum ersten Teil Ihrer Frage möchte ich sagen, daß die staatliche Strahlenschutzbehörde am 7. Januar vormittags über den Störfall unterrichtet hatte. Am gleichen Tage gab es auch eine Unterrichtung über die Botschaft hier in Bonn. Ebenfalls wurde uns von der Botschaft ein Bericht der COGEMA zugeleitet. Darüber hinaus ist zu sagen, das uns zwei Tage später ein offizieller Bericht über die Auswirkungen auf die Umwelt übergeben wurde.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Laufs.
Herr Staatssekretär, da der Schwelbrand durch Entzündung von trockengelagerten Graphitstücken aus Gas-Graphit-Brennelementen entstanden ist, frage ich: Wird die Bundesregierung prüfen, ob sich aus diesem Störfall Folgerungen für die Entsorgung des deutschen graphitmoderierten Hochtemperaturreaktors ziehen lassen?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laufs, ich will Ihre Anregung gern überprüfen lassen. Aber Sie wissen, daß der graphitmoderierte Hochtemperaturreaktor, den Sie hier ansprechen, ein anderes System ist als der Reaktortyp in Frankreich. Ich glaube, daß man hier keinerlei Zusammenhänge für den Bereich der Wiederaufarbeitung sehen kann.
Aber ich will noch etwas zum Störfall selbst sagen, um hier einmal die Größenordnung zu verdeutlichen und die Sache damit auch dem Herrn Kollegen Hansen klarzulegen. Die Anlage in La Hague hat für alle Gase im Abfallager eine zulässige Abgabemenge von etwa 13 Millionen Curie im Jahr, davon 80 % für Krypton und etwa 20 % für die restlichen Gase. Bei diesem Störfall, so wurde uns mitgeteilt, sind maximal 1 bis 2 Curie freigesetzt worden. Damit will ich verdeutlichen, daß die gesetzlichen Höchstwerte nicht überschritten wurden und kein Anlaß besteht, an den offiziellen französischen Aussagen in irgendeiner Form zu zweifeln.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, läßt sich aus diesem Störfall die Folgerung ableiten, daß noch nicht vollständig aufgearbeitete Teile abgebrannter Brennelemente grundsätzlich im Sicherheitseinschluß gelagert werden sollten?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laufs, in La Hague werden seit 13 Jahren derartige Strukturteile dieses Reaktortyps gelagert. Ich bin davon überzeugt, daß die französische Regierung in diesem Bereich Überlegungen anstellen wird, wie man derartige Schwelbrände künftig verhindert. Aber ich glaube nicht, daß man dies auf die Technologie der Bundesrepublik Deutschland übertragen kann. Auf die Frage des Kollegen Laermann habe ich j a ausdrücklich ausgeführt, daß wir in diesem Bereich eine ganz andere Technologie betreiben und auch künftig bei einer eventuellen Wiederaufarbeitungsanlage von 350 t /a als Prototypanlage betreiben werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie noch einmal fragen: Betreibt die Bundesregierung
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Thüsingbei solchen Störfällen eigene Erkundigungen, gerade auch angesichts der schon erwähnten andersartigen Auskünfte der französischen Gewerkschaften?Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Thüsing, wir haben mit der französischen Regierung Zusammenarbeitsverträge, die seit vielen Jahren gut funktionieren. Ich glaube, wir können den Aussagen des französischen Partners vertrauen. Im übrigen hielte ich es für kaum denkbar, daß wir, wie Sie sich das vielleicht vorstellen, mit eigenen Untersuchungen oder woran Sie denken mögen, dort auf einem fremden Staatsterritorium aktiv würden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jansen.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung in Anbetracht der sich häufenden Vorfälle in La Hague Bedenken an der Funktionsfähigkeit dieser Anlage, und würden Sie ausschließen wollen, daß es bei sich weiter häufenden Vorfällen zu einer Situation bezüglich der Radioaktivität kommen kann, in der die gesundheitlich oder gesetzlich zulässigen Werte erheblich überschritten werden könnten?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, ich darf Ihnen sagen, daß die Verfügbarkeit der Anlage in La Hague etwa 60 % bis 65 % pro Jahr beträgt und daß bisher etwa 5 000 t Magnox-Brennelemente, etwa 2,5 t Brüterelemente und rund 250 bis 300 t Leichtwasserbrennelemente aufgearbeitet wurden.
Daraus können Sie ersehen, daß diese Anlage durchaus funktioniert. Aber das heißt natürlich nicht, daß es nicht möglich ist — aber das entzieht sich unserem Wirkungskreis —, daß dort das eine oder andere im technologischen Betrieb verbessert werden kann, um Störfälle weitestgehend auszuschließen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jansen.
Wenn Sie also durchaus technische Bedenken haben und Probleme mit der Funktionsfähigkeit der Anlage sehen: Kann das nicht bedeuten, daß damit die Versorgung deutscher Kernkraftwerke ganz plötzlich erheblich gefährdet werden kann?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jansen, ich habe nicht gesagt, daß ich technische Bedenken habe — das ist Ihre Auslegung —, sondern ich habe darzustellen versucht, daß die Technologie der Wiederaufarbeitung in dieser Anlage bei 65 % Verfügbarkeit in Ordnung ist. Aber ich habe hinzugefügt, daß es durchaus denkbar ist — und das ist bei jeder Technologie so, nicht nur bei der Kerntechnik —, Verbesserungen anzubringen, wenn man einen gewissen Erfahrungsstand hat.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger und die Fragen 52 und 53 des Herrn Abgeordneten Ueberhorst werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Becker zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Wann wird das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung wieder eine .Umfrage in Auftrag geben, wie es sie 1977 über Das Deutschlandbild aus der Sicht der Bevölkerung in acht ausgewählten Ländern" vorgelegt hat, die ergab, daß in allen acht Ländern eine große Mehrheit für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands eintrat, und die ihren eigentlichen Sinn erst durch eine regelmäßige Wiederholung einer solchen Befragungsaktion erhalten würde?
Bitte schön, Herr Staatssekretär Becker.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung beabsichtigt nicht, im Jahre 1981 eine Meinungsumfrage in Auftrag zu geben, die nach Umfang und Inhalt der Umfrage aus dem Jahre 1977 vergleichbar wäre. Für Überlegungen, die über diesen Zeitraum hinausgehen, besteht zur Zeit kein Anlaß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hennig.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß eine solche Momentaufnahme, wie sie 1977 gemacht wurde, nur dann einen Sinn hat, wenn sie über längere Zeit auch einmal wiederholt wird?
Becker, Staatssekretär: Das Presse- und Informationsamt unterrichtet sich im Rahmen seiner Auslandsarbeit ständig über das Deutschlandbild. Als Erkenntnisquellen dienen ihm dabei nicht nur umfassende Meinungsumfragen — wie die Untersuchung, die im Jahre 1977 angestellt worden ist —, sondern auch andere Umfragen, die von anderen angestellt werden, sowie Analysen, die in ausländischen Zeitungen veröffentlicht werden.
Die kontinuierliche Auswertung dieser Quellen seit dem Jahre 1977 hat ergeben, daß in der Beurteilung des Deutschlandbildes in den acht Ländern, in denen die Untersuchung angestellt wurde, keine Änderungen eingetreten sind, die eine Wiederholung dieser mit relativ hohen Kosten verbundenen Umfrage rechtfertigen könnten.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung seinerzeit bei der Aussprache über diese Umfrage im innerdeutschen Ausschuß zugesagt hat, kurzfristig in regelmäßigen Abständen Derartiges zu wiederholen?Becker, Staatssekretär: Es besteht die Absicht, es noch einmal zu wiederholen, ohne daß schon ein Termin angegeben werden könnte. Aber die bisherige Stabilität, die auch in anderen Umfragen bewiesen worden ist, hat zu dem Ergebnis geführt, daß dies
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Staatssekretär Beckerderzeit — auch wegen der hohen Kosten — nicht zu nennenswert neuen Ergebnissen führen könnte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer vorherigen Antwort an den Kollegen Hennig entnehmen, daß die Bundesregierung die Situation in den von der seinerzeitigen Umfrage erfaßten Ländern so beurteilt, daß die Einstellung der Bevölkerung dieser Länder gegenüber einer friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands unverändert positiv ist?
Becker, Staatssekretär: Ja.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Ich rufe dann die Fragen 18 und 19 auf, die von Herrn Staatssekretär Lahnstein beantwortet werden. Zuerst die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Hansen:
Welche „Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit" waren von der Bundesregierung zu besorgen, um das Gericht zu veranlassen, nach § 172 Nr. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes keinen Protokollführer zur Verhandlung über den Vergleich mit der Waffenhandelsfirma Merex AG hinzuziehen, damit die Gründe für die Zahlung von 5 Millionen DM aus Steuergeldern der Öffentlichkeit verborgen bleiben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Ich darf die Frage wie folgt beantworten. Das Oberlandesgericht Köln hatte die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit nicht erst zum eigentlichen Vergleichstermin, sondern bereits mehr als ein Jahr vorher, nämlich seit 29. März 1979, zu Beginn seiner Prozedur ausgeschlossen. Demgemäß ist dann auch der Vergleich in nichtöffentlicher Sitzung geschlossen worden. Wie bei allen Verhandlungen vor dem 7. Zivilsenat hat das Gericht also auch im Vergleichstermin keinen besonderen Protokollführer zugezogen. Darauf habe ich im Dezember bereits hingewiesen.
Anders, als Sie zugegebenermaßen aus meiner Antwort vom 18. Dezember entnehmen konnten, ist aber über den Vergleichsabschluß selbst ein Sitzungsprotokoll gefertigt worden, allerdings nicht von dem Protokollführer, der ja ausgeschlossen war, sondern vom Vorsitzenden Richter. Dieses Protokoll ist vom Oberlandesgericht Köln, also vom Gericht, als „Verschlußsache/Geheim" eingestuft worden.
Auf diesem Hintergrund will ich zu dem ersten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, sagen, daß aus der Sicht der Bundesregierung unter Gefährdung der Staatssicherheit sowohl Belange der inneren als auch der äußeren Sicherheit, aber auch Belange unserer auswärtigen Beziehungen zu subsumieren sind. Es gibt keine ein für allemal feststehende Definition. Das muß in jedem einzelnen Fall neu erörtert werden, auch mit dem Gericht neu erörtert werden; denn es muß j a vom Gericht akzeptiert werden. Es handelt sich also hier um eine Einzelfallbetrachtung.
Im vorliegenden Einzelfall, Herr Abgeordneter, wie ich bereits am 18. Dezember sagte, sind es insbesondere die Belange unserer auswärtigen Beziehungen gewesen, die wir zu wahren hatten. Sie wissen aus vorausgegangenen Fragestunden des Jahres 1975, daß ergänzend auch Belange unserer inneren Sicherheit zu berücksichtigen waren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, würden Sie sich wundern,
wenn ich meine, daß ein Argument der Gefährdung der Staatssicherheit von mir nach dem Verstreichen eines so langen Zeitraums nicht geglaubt wird und daß ich nicht verstehen kann, wieso diese Bundesregierung die Taktik des Vertuschens der damaligen Vorgänge fortsetzt, obwohl sie selbst doch dafür gar nicht verantwortlich war?
Herr Staatssekretär, ob Sie sich wundern, war die Frage.
Lahnstein, Staatssekretär: Ich kann mir Ihre Wortwahl nicht zu eigen machen und auch nicht Ihre Einschätzung, was die Position der Bundesregierung angeht. Sie ist ja Partner des Vergleichs.
Sie fragen, wie schon im Dezember, erneut nach der Zurückhaltung der Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß die eigentlichen Vorgänge schon so lange zurückliegen. Ich darf ergänzend zu dem, was ich im Dezember sagte, darauf hinweisen, daß wir sehr wohl auch nach längeren Zeiträumen noch die Gefährdung unserer auswärtigen Belange zu vermeiden haben. Wir haben dazu bereits in der ersten Instanz vor dem Landgericht Bonn im September 1977 bei unserer Stellungnahme zur Geheimhaltungsbedürftigkeit die notwendigen Ausführungen gemacht, die dann im übrigen das Oberlandesgericht Köln auch unverändert übernommen hat. Hier handelt es sich insbesondere um das Problem, daß sich nicht nur betroffene Personen, sondern auch für die äußeren Beziehungen der Bundesrepublik wichtige Sachverhalte über längere Zeiträume eben nicht so ändern, daß man davon ausgehen könnte, nun sei keine Geheimhaltungsbedürftigkeit mehr gegeben. Ich bitte sehr um Verständnis, verstehe aber, daß Sie sich wundern, Herr Abgeordneter.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, darf ich dem zweiten Teil Ihrer ersten Beantwortung meiner Anfrage, in dem Sie darauf hinweisen, daß das Oberlandesgericht die Vorstellung der Bundesregierung in bezug auf Geheimhaltung auch akzeptieren müßte, entnehmen, daß die Bundesregierung an das Oberlandesgericht herantreten wird, um diese Verschlußsache, dieses jetzt plötzlich aufgetauchte Protokoll etwas weniger verschlossen zu machen?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981 483
Lahnstein, Staatssekretär: Das muß ein akustisches Mißverständnis sein. Ich sagte nicht „müßte", sondern „mußte", Herr Abgeordneter.
Herr Abgeordneter Hennig, bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung etwa die in dem Vergleich an sich j a verabredete Vertraulichkeit absichtlich gebrochen, um dem Kollegen Hansen Gelegenheit zu diesen ebenso hilfreichen wie vorzüglichen Fragen zu geben?
Lahnstein, Staatssekretär: Die Antwort ist eindeutig Nein. Die Bundesregierung hat die Vertraulichkeit nicht gebrochen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatssekretär, kann man bei solchen Vorfällen zukünftig nicht für mehr Transparenz sorgen, damit hier nicht der Eindruck entsteht, es hätten sich Beschuldigte und Anstifter gegenseitig reingewaschen?
Den letzten Teil, glaube ich, sollten wir am besten aus dem Protokoll streichen, Herr Kollege. Das ist eine Unterstellung, die ja wohl nicht ganz in Ordnung ist.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Lahnstein, Staatssekretär: Ich weiß nicht, wie weit meine Möglichkeiten hier gehen. Aber ich würde mir diese Ihre Bewertung mit dem gleichen Zögern zu eigen machen, Herr Abgeordneter, wie die Bewertung, die in der vorangegangenen Frage gelegen hat. Sie wissen, daß die Bundesregierung — das ist permanente Übung der Bundesregierung — die Möglichkeit, insbesondere des Parlaments, von interessanten, insbesondere auch politisch nicht uninteressanten Sachverhalten Kenntnis zu nehmen, immer sehr mit an die Spitze ihrer Überlegungen gerückt hat. Wir sind davon überzeugt, daß entsprechend Art. 20 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes unsere parlamentarische Demokratie auch und in erster Linie davon lebt, daß das Parlament die Regierung zu kontrollieren hat. Auf der anderen Seite, Herr Abgeordneter, denke ich, daß Sie mit mir übereinstimmen, daß es einen Kernbereich geheimhaltungsbedürftiger Sachverhalte geben muß, über den hier nicht im nachhinein sozusagen die Öffentlichkeit hergestellt werden kann, die z. B. im vorliegenden Fall vom Gericht gerade ausgeschlossen worden ist. Seien Sie versichert, daß die Bundesregierung diesen Kernbereich auch in zukünftigen Fällen so restriktiv wie eben möglich definiert. Eine weitergehende Hoffnung kann ich Ihnen hier nicht machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise erfolgt die parlamentarische Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Vergleichszahlung in Höhe von 5 Millionen DM?
Lahnstein, Staatssekretär: Die Rechtmäßigkeit ist zunächst durch das Oberlandesgericht Köln hergestellt, Herr Abgeordneter. Ich sehe also zunächst keine Kontrolle des Parlaments, was diesen vor dem Gericht beurkundeten Vergleich angeht.
Was die Position des Bundes im Vergleich angeht, so ergibt sich die erste Möglichkeit aus Art. 43 des Grundgesetzes. Darüber hinausgehende Möglichkeiten der Information ergeben sich in dem Gremium, das seit mehreren Jahren mit dem Problem befaßt ist, und das ist heute die parlamentarische Kontrollkommission.
Danke schön. — Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Welche auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland könnten aus welchen Gründen heute noch gefährdet werden, wenn die Vorgänge in den 60er Jahren, die zur Zahlung von 5 Millionen DM aus Steuergeldern für illegale Waffengeschäfte an die Firma Merex AG führten, demokratischen Grundprinzipien gemäß heute im einzelnen öffentlich aufgeklärt würden?
Lahnstein, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Frage hängt natürlich eng mit der vorangegangenen Frage zusammen. Ich bitte deshalb um Ihr Verständnis, daß die Bundesregierung die durch die bereits vorhin erwähnten Gerichtsbeschlüsse des Landgerichts Bonn und des Oberlandesgerichts Köln ausgeschlossene Öffentlichkeit nicht auf dem Weg über diese Fragestunde herstellen darf. Genau dies müßte ich tun, wenn ich Ihre Frage nach den konkreten Gründen für die Gefährdung der Staatssicherheit im Sinne von § 172 Nr. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes beantworten wollte.
Ich darf mir jedoch eine Richtigstellung erlauben. Es ist nicht, wie es in Ihrer Frage heißt, eine Zahlung aus Steuergeldern für illegale Waffengeschäfte an die Firma Merex erfolgt. Ich habe mich bereits am 18. Dezember 1980 bemüht, darauf hinzuweisen, daß die Klage der Merex AG vielmehr auf einen Anspruch aus § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 des Grundgesetzes gestützt war. Damit muß ich es leider bewenden lassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, würden Sie mit mir übereinstimmen, daß sich die politische Lage und auch die militärische Situation und Konfrontation in dem Gebiet, in das damals die illegalen Waffenlieferungen gingen, in dem letzten Jahrzehnt so entscheidend verändert haben, daß auch die auswärtigen Belange der Bundesrepublik zumindest der Annahme nach einer Veränderung unterlegen haben müssen, so daß hier eine Kontinuität des Schutzes auswärtiger Belange durch den Geheimnisschutz in bezug auf diesen eigenartigen Vergleich wohl gar nicht in Frage kommen kann?
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484 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Es tut mir leid, Herr Kollege. Die Art dieser Frage würde wiederum die Offenlegung bestimmter Dinge hier herausfordern, die hier nicht möglich ist.
— Verzeihen Sie!
— Verzeihen Sie! Wenn es dies ist, dann würde ich Ihnen ganz einfach antworten: Es besteht
kein unmittelbarer Zusammenhang mit der gestellten Frage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ich glaube, daß Ihre Antwort entsprechend ausfallen würde.
— Herr Kollege, wenn ich es streng auslege — —
— Pardon, Herr Kollege! Wenn ich es streng auslege,
ist Ihre Hinterfragung hier nicht
in diesem Sinn mit der Geschäftsordnung in Übereinstimmung. Dann kann ich Ihre Frage nicht zulassen.
Herr Staatssekretär, ich bitte, die Frage nicht zu beantworten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in bezug auf den zweiten Teil Ihrer Antwort, die Sie mir gegeben haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie leugnen können, daß ein Zusammenhang zwischen diesem Vergleich und der Tatsache, daß die illegalen Waffengeschäfte, d. h. die Ausfuhr von Waffen in Gebiete, wo sie friedenstörend wirken und gewirkt haben, nicht strafrechtlich geahndet worden sind, besteht.
Lahnstein, Staatssekretär: Sie unterstellen wie in Ihrer ersten Zusatzfrage, daß ich Ihnen hier über den geographischen Endverbleib der Transaktionen, die Gegenstand des Vergleichs waren, Auskünfte geben könnte. Dies kann ich leider auch beim besten Willen hier nicht tun. Deswegen sehe ich mich außerstande, diese Zusatzfrage so zu beantworten, wie Sie es erwarten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie in Anbetracht des Umstands, daß es sich hierbei nicht nur um die Merex AG, sondern auch um das Problem der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten handelt, danach fragen, ob die volle Information und Diskussion des Parlaments auch dann ausgeschlossen sein könnte, wenn Ergebnis der Vergleichverhandlungen die Zahlung nicht von 5 Millionen DM, sondern von 5 Milliarden DM gewesen wäre.
Lahnstein, Staatssekretär: Das ist natürlich eine hypothetische Frage. Aber bei im übrigen unveränderten rechtlichen Elementen wäre meine Antwort „Ja", Herr Abgeordneter.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Der Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Stiegler auf:
Unter welchen Voraussetzungen erteilt das Bundesamt für Verfassungsschutz Auskünfte über Einstellungsbewerber an die Privatwirtschaft, und werden die betroffenen Bewerber jeweils über die Tatsache, daß Auskünfte über sie gegeben wurden, und den Inhalt dieser Auskünfte informiert?
Bitte, sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, das Bundesamt für Verfassungsschutz erteilt Stellen der Privatwirtschaft keine Auskunft über Bewerber oder Beschäftigte. Dies gilt auch für die in § 3 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 des Verfassungsschutzgesetzes genannten Überprüfungen in der Wirtschaft.
Soll ein Beschäftigter in der Privatwirtschaft, z. B. in einem Rüstungsbetrieb, Zugang zu im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Informationen bekommen, wird er mit seinem Wissen vom Bundesminister für Wirtschaft sicherheitsmäßig überprüft. Bei dieser Sicherheitsüberprüfung wirkt das Bundesamt für Verfassungsschutz mit. Etwaige Erkenntnisse gibt das Bundesamt für Verfassungsschutz nur an den Bundesminister für Wirtschaft weiter. Dieser hört den Betroffenen zu den Erkenntnissen an und entscheidet, ob eine Ermächtigung zum Zugang zu Verschlußsachen erfolgen kann. Gegen diese Entscheidung kann der Betroffene die Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtsordnung einlegen. Dem Arbeitgeber wird vom Bundesminister für Wirtschaft nur mitgeteilt, ob der Betroffene ermächtigt werden kann.
Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf:Ist der Bundesregierung der prekäre Arbeitskräftemangel in der Gastronomie des Berchtesgadener Landes, der auf Grund des bestehenden Anwerbestopps für Gastarbeiter entstanden ist, bekannt, und kann das betroffene Fremdenverkehrsgewerbe damit rechnen, daß die Aussage von Bundesinnenminister Baum während seines Weihnachtsurlaubs im Berchtesgadener Land, die „Rücksicht auf Menschen und wirt-
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Vizepräsident Frau Rengerschaftliche Interessen" könne sich durchaus in einer „Ausnahmesituation niederschlagen", die Bundesregierung zu einer Änderung ihrer bisher kompromißlosen Haltung veranlassen wird?Bitte, Herr. Staatssekretär.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung ist bekannt, daß im Hotel- und Gaststättengewerbe ein regional unterschiedlicher Personalmangel herrscht. Die Bundesregierung kennt auch die besondere Situation im Berchtesgadener Land.Die von Ihnen in Bezug genommenen Äußerungen von Bundesinnenminister Baum betrafen die aufenthaltsrechtliche Lage der ohne rechtsgültige Aufenthaltserlaubnisse im Raum Berchtesgaden im Hotel- und Gaststättengewerbe beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer. Für Bundesminister Baum standen humanitäre Gründe für die Ausländer und deren Familien im Vordergrund. Es wäre eine besondere Härte gewesen, wenn die betroffenen Ausländer sehr kurzfristig das Bundesgebiet hätten verlassen müssen. Aus den genannten Gründen haben sich der bayerische Staatsminister des Innern und Bundesinnenminister Baum dahin verständigt, dem genannten Personenkreis eine Übergangsfrist bis Ostern dieses Jahres zuzugestehen.Bundesminister Baum hat im übrigen deutlich gemacht, daß eine Lösung der im Gaststättengewerbe zweifellos vorhandenen Probleme nur auf der Grundlage des Anwerbestopps denkbar ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort, daß die Bundesregierung den Anwerbestopp weiterhin aufrechterhalten will, und ist sie nicht bereit, eine zeitlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Arbeitskräfte nach dem Schweizer Modell in der Bundesrepublik Deutschland in derartigen Regionen wie Berchtesgaden, zu gestatten?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Engelsberger, die Bundesregierung hat niemals einen Zweifel daran gelassen, daß sie es für erforderlich hält, am Anwerbestopp festzuhalten, insbesondere um der Integration der hier lebenden Ausländer willen, um diese Integration durch eine Begrenzung der Zahl der Ausländer möglich zu machen. Die Bundesregierung hat das mehrfach erklärt. Auch darauf hat Bundesminister Baum hingewiesen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Herr Bundesminister Baum hat in Berchtesgaden festgestellt, daß es sich um eine Ausnahmesituation handelt, die sich auch mit Rücksicht auf Menschen und wirtschaftliche Interessen niederschlagen müsse. Heißt das, daß sich der Herr Bundesinnenminister im Kabinett gegen seinen Kollegen Ehrenberg mit einer Lockerung des Anwerbestopps nicht durchgesetzt hat? Und wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß trotz steigender Arbeitslosenzahlen die in der Gastronomie und Hotellerie
notwendigen Arbeitskräfte nicht vermittelt werden können?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Engelsberger, den zweiten Teil Ihrer Frage zu beantworten, liegt nicht im Rahmen meiner Ressortzuständigkeit. Dafür bitte ich Sie um Verständnis.
Was den ersten Teil Ihrer Frage betrifft, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß ich in keinem Fall die im Gaststättenbereich vorhandenen Probleme leugnen will. Nur kann die Lösung der Probleme nicht darin liegen, daß wir den Anwerbestopp aufheben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wäre es, da Sie soeben von Härte gegenüber den Familien der Angeworbenen gesprochen haben, nicht wiederum auch eine besondere Härte gegenüber den Unternehmern des Gaststättengewerbes im Berchtesgadener Land und gegenüber den Gästen, zu denen auch Bundesminister Baum gehört hat, wie man im Fernsehen gesehen hat, den Anwerbestopp nicht partiell wenigstens für bestimmte Wirtschaftszweige aufzuheben?
von Schoeler, Parl. Staatssektretär: Herr Kollge Broll, das ist eine sehr grundsätzliche Frage der Ausländerpolitik. Mit Sicherheit kann für den Personenkreis, für den aus humanitären Gründen hier eine Übergangsfrist bis Ostern dieses Jahres gewährt worden ist, diese grundsätzliche Frage nicht neu geregelt werden. Sie wissen, daß die Ausländerpolitik insgesamt eine Problematik ist, der die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode ihre besondere Aufmerksamkeit widmen will. Sicherlich werden dabei auch diese Fragen noch einmal diskutiert. Aber niemand hat bei dem betroffenen Personenkreis den Eindruck erweckt oder erwecken können — und das sollte auch niemand tun —, daß bis Ostern dieses Jahres hier irgendeine Änderung denkbar ist. Das muß in aller Deutlichkeit sowohl im Interesse der Gaststätteninhaber als auch der Gaststättenbesucher als auch der dort beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer klar sein.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:Welche Gründe sind der Bundesregierung dafür bekannt, daß am 11. Januar dieses Jahrs einer Gruppe von Rom-Zigeunern die Einreise aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland verweigert wurde?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Am 11. Januar dieses Jahres wurde eine größere Anzahl von Zigeunern bei dem Versuch der Einreise aus den Niederlanden zurückgewiesen, weil sie nicht im Besitze der nach den §§ 2 und 3 des Ausländergesetzes erforderlichen Pässe und Aufenthaltserlaubnisse waren.Ich benutze aber Ihre Frage über diese Beantwortung hinaus gern dazu, nochmals auf die Bemühungen der Bundesregierung hinzuweisen, die Lage der Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland
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486 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Parl. Staatssekretär von Schoelerzu verbessern. Die Bundesregierung tritt dafür ein, daß Sinti und Roma im Rahmen der geltenden Gesetze ihren Vorstellungen entsprechend ein eigenverantwortliches Leben frei von Benachteiligungen und Diskriminierungen führen können. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung z. B. im Rahmen ihrer begrenzten Zuständigkeit darauf hingewirkt, daß in Anbetracht der besonderen Verhältnisse der Betroffenen in der Einbürgerungspraxis entgegenkommend verfahren wird. Durch die von Bund und Ländern getroffenen Maßnahmen ist die Situation der Sinti und Roma im Staatsangehörigkeitsrecht in gleichem Maße wie bei anderen NSVerfolgten Gruppen verbessert worden. Bei der Ausstellung von Personalpapieren haben die deutschen Behörden Verwaltungshilfe zu leisten und sachdienliche Auskünfte und Anregungen zu erteilen. Dies gilt selbstverständlich nur für die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Personen und nicht für diejenigen, die versuchen, unberechtigt in das Bundesgebiet einzureisen, bei der Ihrer Frage zugrundeliegende Personenkreis. Daher haben sich die Grenzbeamten hier korrekt verhalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß es bei dem Problem, das Sie in Ihrer Antwort dankenswerterweise mit angesprochen haben, eine erhebliche Erleichterung wäre, wenn die Bundesrepublik endlich den Art. 27 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Staatenlosen ratifiziern würde, der als einziger Artikel des entsprechenden internationalen Übereinkommens nicht ratifiziert wurde?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach meiner Kenntnis — ich will das aber gern noch einmal nachprüfen — ist das Abkommen, das Sie angesprochen haben, ratifiziert worden. Ich werde Ihnen dann eine schriftliche Information geben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Was hat die Bundesregierung bewogen, im Gegensatz zur Teilnahme deutscher Sportler an der Olympiade in Moskau, bei der Teilnahme der deutschen Fußball-Nationalmannschaft an der Fußballweltmeisterschaft in Uruguay keine Bedenken zu äußern?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommenden Bedenken gegen die Teilnahme einer deutschen Mannschaft an einem internationalen Fußballturnier in Uruguay haben den zuständigen Sportausschuß des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung vom 11. Dezember 1980 beschäftigt. Der Vorsitzende und die Obleute der im Ausschuß vertretenen drei Fraktionen haben sich an den Präsidenten des Deutschen Fußballbundes gewandt und einmütig ihre Auffassung hinsichtlich einer Teilnahme einer deutschen Mannschaft zum Ausdruck gebracht. Die Bundesregierung identifiziert sich mit diesem Schritt und teilt voll und ganz die Auffassung des zuständigen Parlamentsausschusses. Die Bundesregierung hat im übrigen
zu der Teilnahme einer Mannschaft des Deutschen Fußballbundes an dem Turnier der ehemaligen Weltmeister in Uruguay weder einen finanziellen noch einen ideellen Beitrag geleistet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Thüsing.
Herr Staatssekretär, wirkt es angesichts des politisch-moralischen Engagements, das die Bundesregierung im letzten Jahr bei der Teilnahme deutscher Sportler an der Olympiade in Moskau gezeigt hat, nicht etwas unproportional, wenn Sie lediglich erklären, wir billigten eine Initiative des Sportausschusses des Parlaments, da die Bundesregierung im Vorjahr nachdrücklich und massiv direkt aktiv geworden ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Thüsing, ich möchte auf das hinweisen, was ich gesagt habe. Ich habe nicht nur gesagt, wie Sie mich soeben zitiert haben, die Bundesregierung billige die Entscheidung des Sportausschusses, sondern ich habe gesagt: Die Bundesregierung identifiziert sich mit der Empfehlung des Sportausschusses. Der konkrete Unterschied zu der Situation bei den Olympischen Spielen in Moskau liegt darin, daß die UdSSR als gastgebendes Land vor den Olympischen Spielen ein benachbartes Land besetzt hat und damit die Voraussetzungen für die Teilnahme von Sportlern aller Länder nicht mehr gegeben waren.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:Welche Position nimmt die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich bei der Atomhaftung ein, und auf welche Weise strebt die Bundesregierung im Falle der von Staatssekretär Dr. Hartkopf vorgeschlagenen Aufhebung der bisherigen Haftungsbegrenzung an, die Deckung möglicher Haftpflichtsansprüche sicherzustellen?Bitte, Herr Staatssekretär.von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung nimmt im internationalen Vergleich bei der Atomhaftung von den Staaten mit beschränkter Haftung zusammen mit den USA eine Spitzenstellung ein. Es gibt jedoch Staaten, so Japan und mit Einschränkung die DDR, mit summenmäßig unbeschränkter Gefährdungshaftung. Hierzu dürfte bald auch die Schweiz gehören, deren Reformgesetz sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens befindet.Die Bundesregierung hat die Frage der Aufhebung der Haftungsbegrenzung noch nicht entschieden. Sie prüft, im Falle der vom Bundesminister des Innern vorgeschlagenen Aufhebung der bisherigen Haftungsbegrenzung die Deckung möglicher Haftpflichtansprüche dadurch sicherzustellen, daß in Anwendung des Verursacherprinzips der Bereich der privaten Deckungsvorsorge erweitert wird. Außerdem prüft die Bundesregierung, ob darüber hinaus eine staatliche Restdeckung verwirklicht werden kann, um das bisherige Prinzip der Kongruenz von Haftung und Deckung beizubehalten.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981 487
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Laufs.
Herr Staatssekretär, da eine unbegrenzte Nuklearhaftung weder der Pariser Haftungskonvention noch dem Brüsseler Zusatzabkommen entsprechen würde, frage ich Sie: Wie bewertet die Bundesregierung das von Dr. Hartkopf vorgetragene Ansinnen aus der Sicht des Völkerrechts?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laufs, auch diese völkerrechtlichen Fragen sind Teile der Prüfung, die die Bundesregierung gegenwärtig anstellt. Sie wird in den nächsten Monaten abgeschlossen sein. Wir werden Sie dann auch über diese völkerrechtlichen Aspekte umfassend informieren.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. —
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir in den Wahlvorgang eintreten und Sie die dazu notwendigen Erläuterungen entgegennehmen können.
Ich rufe die Punkte 5 und 6 der Tagesordnung auf:
Wahl der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 9/45 —
Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes
— Drucksache 9/46 —
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Wahlmänner und die Mitglieder des Richterwahlausschusses in einem Wahlgang geheim gewählt werden. Das Haus ist damit einverstanden. — Es gibt keinen Widerspruch.
Ich bitte Sie, noch einige Erläuterungen entgegenzunehmen: Es sind zwölf Wahlmänner aus der Mitte des Hauses sowie elf Mitglieder des Richterwahlausschusses nach den Regeln der Verhältniswahl zu wählen.
Die für die beiden Wahlen allein gültigen Stimmzettel erhalten Sie nach Aufruf Ihres Namens von den Schriftführern vor Betreten der hier vorne rechts und links aufgestellten Wahlkabinen. Die Stimmzettel enthalten dieselben Namen wie die vor Ihnen liegenden Drucksachen 9/45 und 9/46. Für die Wahl der Wahlmänner werden gelbe, für die Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses blaue Stimmzettel ausgegeben.
Sie können Ihre Stimme jeweils nur für einen der zwei Wahlvorschläge auf den Stimmzetteln, nicht aber für einzelne Kandidaten abgeben. Den Wahlvorschlag, dem Sie zustimmen wollen, kreuzen Sie bitte in dem dafür vorgesehenen Kreis auf dem Stimmzettel an. Wer sich der Stimme enthalten will, mache keine Eintragung auf dem Stimmzettel. Ungültig sind Stimmen auf einem nichtamtlichen Stimmzettel sowie Stimmzettel, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
Meine Damen und Herren, Sie dürfen die Stimmzettel nur in der Wahlzelle ankreuzen. Es werden keine Wahlumschläge verwendet. Deshalb bitte ich Sie, die Stimmzettel noch in der Wahlzelle einmal so zu falten, daß die Kennzeichnung des jeweiligen Wahlvorschlages nach außen nicht zu erkennen ist.
Bevor Sie die Stimmzettel in die Wahlurne geben, bitte ich Sie, dem Schriftführer Ihren Namen zu nennen.
Die Kennzeichnung Ihres Namens in der Namensliste gilt als Nachweis für die Beteiligung an der Wahl. Soweit noch nicht geschehen, erübrigt sich damit eine Eintragung in die Anwesenheitsliste.
Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Die beiden Schriftführer neben mir werden die Namen der Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge aufrufen. Haben alle Schriftführer ihre Plätze eingenommen? — Das ist der Fall.
Ich eröffne die Wahl und bitte, mit dem Namensaufruf zu beginnen.
Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimme abgegeben? — Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung der Stimmen zu beginnen. Die Auszählung wird ca. 45 Minutern dauern.
Bevor ich die Sitzung unterbreche, muß ich dem Hause noch etwas mitteilen. Der Abgeordnete Hansen hat auf meinen Hinweis, daß seine Frage nicht zulässig sei, mir gegenüber gesagt, das sei Quatsch und das sei Unfug. Ich rufe ihn dafür zur Ordnung.
Ich unterbreche die Sitzung bis 16.15 Uhr.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses teile ich Ihnen mit, daß wegen Verpflichtung im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 30 Abgeordnete und wegen Krankheit und Dienstreise 10 Abgeordnete an der Abstimmung nicht teilnehmen konnten, für die im Einvernehmen mit den Fraktionen Pairing vereinbart worden ist.*)Zur Wahl der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht wurden 477 Stimmen abgegeben. Von den abgegebenen Stimmen waren 11 ungültig. Es wurden 466 gültige Stimmen abgegeben, davon 1 Enthaltung. Hiervon entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der*) Anlage 3 b
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488 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1981
Vizepräsident WurbsFraktionen der SPD und der FDP 251 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 214 Stimmen. Aus den Summen der für die Wahlvorschläge abgegebenen Stimmen ergibt sich nach dem vorgeschriebenen Höchstzahlverfahren d'Hondt, daß 7 Wahlmänner auf den gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der SPD und der FDP und 5 Wahlmänner auf den Vorschlag der Fraktion der CDU/ CSU entfallen.Von dem gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der FDP sind damit als Wahlmänner gewählt die Abgeordneten Dr. Emmerlich, Dr. Müller-Emmert, Kleinert, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Jahn , Dr. Ehmke und Engelhard. Als Ersatzmänner sind gewählt die Abegeordneten Schulte (Unna), Rappe (Hildesheim), Dr. Hirsch und Dr. Schwenk (Stade). Von dem Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU sind als Wahlmänner gewählt die Abgeordneten Vogel (Ennepetal), Dr. Zimmermann, Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Lenz (Bergstraße) und Dr. Klein (Göttingen). Als Ersatzmänner sind gewählt die Abgeordneten Dr. Mikat, Dr. Jenninger, Kunz (Berlin) und Bohl.Die Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes brachte folgendes Ergebnis. Es wurden 477 Stimmen abgegeben. Hiervon waren 10 ungültig. Es wurden somit 467 gültige Stimmen abgegeben, davon 1 Enthaltung. Hiervon entfielen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der FDP 250 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 216 Stimmen. Aus den Summen der fürdie Wahlvorschläge abgegebenen Stimmen ergibt sich nach dem vorgeschriebenen Höchstzahlverfahren d'Hondt, daß sechs Mitglieder auf den gemeinsamen Vorschlag der Fraktionen der SPD und der FDF und fünf Mitglieder auf den Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU entfallen.Damit sind alle Mitglieder des Richterwahlausschusses gewählt von dem gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der FDP Herr Dr. Claus Arndt , Herr Dürr (Altenhengstett) sowie die Abgeordneten Kleinert, Dr. Emmerlich, Schulte (Unna) und Gnädinger. Zu Stellvertretern sind gewählt die Abgeordneten Dr. Linde, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Engelhard, Lambinus, Fischer (Osthofen) und Dr. Schwenk (Stade).Von dem Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/ CSU sind als Mitglieder des Richterwahlausschusses gewählt die Abgeordneten Vogel , Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Wittmann, Kunz (Berlin), Dr. Klein (Göttingen). Zu Stellvertretern sind gewählt die Abgeordneten Müller (Remscheid), Bohl, Dr. Bötsch, Dr. Stark (Nürtingen), Wimmer (Neuss).Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.