Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir beraten heute die Einzelpläne 06, 33 und 36 in verbundener Debatte. Als einziger, der für meine Fraktion zu diesem Bereich spricht, werden Sie verstehen, daß ich neben dem einen Punkt, der mir der wichtigste in der gestrigen und heutigen Debatte zu sein scheint, noch ein paar Punkte behandle, obwohl sie bisher noch nicht angesprochen waren.Ich will mich zunächst mit einigen Problemen der Innenpolitik auseinandersetzen. Die Ausführungen, die einige Vertreter der Opposition, die Herren Kohl, von Weizsäcker und Barzel, gestern zu anstehenden innenpolitischen Fragen gemacht haben, geben mir Veranlassung zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen, dazu das, was 'der Herr Kollege Riedl eben gesagt hat. Ich möchte das hier nur ganz kurz abtun.Herr Kollege Riedl, es ist manchmal sehr schön und charmant und sehr witzig anzuhören, was Sie sagen, allerdings war es in weiten Bereichen ein Horrorgemälde, das Sie hier vom Bundesminister des Innern gemalt haben. Wir, die Freien Demokraten, verzeichnen mit Genugtuung, daß dieser Bundesinnenminister eine Phase der Konsolidierung und der Liberalisierung in seinem Bereich eingeleitet hat. Es ist nach unserer Auffassung einfach falsch, zu sagen, daß bei ihm die Bedeutung des Verfassungsschutzes klein geschrieben würde. Ich kann Ihnen eine ganze Reihe von Zitaten nennen, in denen der Bundesinnenminister gerade die schützende Funktion dieser Einrichtung für unseren Staat und für unsere Bürger immer wieder betont hat.
— Das ist noch gar nicht lange her.Meine Damen und Herren, nun aber doch zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen, wenn Sie gestatten, die noch ein bißchen auf das von gestern abzielen. Wenn das Wort „sensibel" in unserem politischen Vokabular nicht schon so abgegriffen wäre, würde ich die Formulierung wagen: Die Innenpolitik ist zu einem großen Teil ein ganz besonders sensibler Bereich. Meinungsverschiedenheiten in der Sache geraten hier mehr als andernorts leicht ins Grundsätzliche oder, wie ich sagen möchte,ins scheinbar Grundsätzliche.Nun ist in den gestrigen Reden sehr oft von den notwendigen Gemeinsamkeiten zwischen allen demokratischen Kräften gesprochen worden oder auch von dem Abbau derselben, wenn Sie so wollen. Meine Damen und Herren der Opposition, wenn dies wirklich ernst gemeint war ich will einmal davon ausgehen —, dann darf es nicht vorkommen, daß man eine aufgekommene Meinungsverschiedenheit, sie mag so schwer sein, wie sie will, vorschnell — und damit meine ich: leichtfertig — als einen Zusammenbruch der notwendigen gemeinsamen Grundlagen unser aller Verständnis von Staat und Verfassung bezeichnet, so wie gestern geschehen.
Bei einem solchen Verhalten bleibt nicht nur die notwendige Sachlichkeit einer parlamentarischen Debatte schon im Ansatz auf der Strecke, eine solche Strategie zeigt auf die Dauer auch Außenwirkungen beim Bürger, der unserer parlamentarischen Demokratie nicht gut bekommen können.Wir werden — gestatten Sie mir diesen Einschub noch — in diesem Jahr das 30jährige Bestehen des Grundgesetzes und dieser Republik begehen. Neben vielem, was aus diesem Anlaß hierzulande geredet und geschrieben wird, dürfen wir aber die Frage nicht übersehen, warum es nicht überall gelungen ist — ich will es ganz vorsichtig formulieren —, den offenen und freiheitlichen Charakter unserer Verfassung im Bewußtsein vieler auch jüngerer Bürger so deutlich zu machen, wie wir es wünschen. Ich sage dies ohne gezielten Vorwurf, weil ich meine, daß sich alle Parteien dieser Frage stellen müssen.Aber auch wir Alteren müssen uns einiges fragen lassen. Wir sind zwar mit Recht stolz auf ein fast 30 Jahre bewährtes Grundgesetz. Vergessen wir aber nicht, daß Demokratie in unserem Lande niemals vom Volke erkämpft worden ist. Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland war das Ergebnis eines selbst verschuldeten nationalen Zusammenbruchs, eine Demokratie, in die auch die heute ältere Generation erst in einem langsamen Prozeß hineinwachsen mußte. Selbstverständliche demokratische Gemeinsamkeiten sind also — und ich wage diese kritische Bemerkung — in unserem Lande noch im-
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10404 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Dr. Wendigmer eine sehr empfindliche Pflanze. Gerade wenn es um Fragen des Staats- und Demokratieverständnisses geht, sollte das Parlament selbst nicht den Eindruck erwecken, daß notwendige demokratische Gemeinsamkeiten permanent in Frage gestellt sind.Wie ist es — damit komme ich zu dem Ansatz, der gestern und eben auch wieder eine Rolle gespielt hat — mit der Bereitschaft der Opposition, mit der erforderlichen Sachlichkeit an das Problem „Gegner unserer Verfassung und öffentlicher Dienst" heranzugehen? Die Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der CDU/CSU und der Koalitionsparteien, die im vergangenen Jahr gestellt worden sind, werden im Februar an dieser Stelle debattiert werden. Ich möchte weder dieser Debatte vorgreifen noch einer Stellungnahme zu einigen Äußerungen ausweichen, die hier gefallen und die zurechtzurücken sind. Leider wird auch hier immer wieder am Kern der Sache stark vorbeidiskutiert. Dabei besteht bei niemandem — und ich betone das — in diesem Hause ein Zweifel: die rechtlichen Grundlagen, d. h. Grundgesetz und Beamtengesetze, liegen fest, und wir wollen sie nicht verändern. Dies bedeutet, daß in ein Beamtenverhältnis — man muß es einmal aussprechen; davon war gestern kaum die Rede — nur berufen werden kann, wer die Gewähr bietet, sich zu jeder Zeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzusetzen.
An dieser rechtlichen Grundlage orientiert sich für uns selbstverständlich dann auch die Frage, was in Zukunft zu geschehen hat oder aber auch zu unterlassen ist.Auch die Bundesregierung — ich möchte dies ausdrücklich hervorheben — hat keinen Zweifel daran gelassen, daß sie bei ihren Grundsätzen vom 19. Januar, also von der vergangenen Woche, uneingeschränkt von dieser Rechtslage ausgeht. Wir sehen also den gesetzlichen Auftrag, Gegner unserer verfassungsmäßigen Ordnung aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten.
Wir erkennen aber auch die politische Verpflichtung, in dem praktischen Verfahren Vorstellungen abzubauen, die junge Menschen zu einer Verweigerung gegenüber diesem Staat veranlassen können. Man macht es sich einfach zu leicht, zu einfach, wenn man meint, es ginge dann dabei nur darum, vermeintliche oder tatsächliche Kommunisten — angeblich oder nicht — abzuschrecken. Wer sich tiefer mit den Vorgängen befaßt, die die Einstellung junger Menschen zu unserem Staat beeinflussen, kann die Dinge nicht so leicht nehmen; es steht schon ein wenig mehr dahinter. Über den vorgesehenen Fortfall —und das ist ja der Casus belli, wenn Sie so wollen — der sogenannten Routineanfrage beim Verfassungsschutz werden wir uns im einzelnen am 8. Februar hier zu unterhalten haben. Wenn Sie aber so gewaltige Worte wie Bruch der Verfassung, Aufgabe der Rechtsstaatlichkeit und andere derartige Worte gebrauchen, sollten Sie wenigstens die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß es längst Bereiche im öffentlichen Dienst gibt, in denen die Routineanfrage — auch in CDU-geführten Ländern — nicht uneingeschränkt praktiziert wird. Ich will keine Beispiele nennen und will es gar nicht auf das Saarland beschränken, wo gerade in den letzten Tagen eine Äußerung durch die Presse lief.Es folgt dann, meine Damen und Herren von der Opposition, in Ihrer Argumentation ein höchst gefährliches Wort, nämlich die Unterstellung, wir hätten mit dem Fortfall der Routineanfrage beim Verfassungsschutz die Prinzipien einer wehrhaften Demokratie aufgegeben.
— Einer wehrhaften Demokratie! Hinge die Wehrhaftigkeit der Demokratie allein von dieser Frage ab, so — ich wage die Behauptung — wäre es um unser Verständnis einer freiheitlich-demokratischen Ordnung in unserem Land nicht gut bestellt. Sie' kommen zu dieser Folgerung, weil Sie etwas unterstellen, was weder dem Beschluß der Bundesregierung vom 19. Januar noch unseren politischen Vorstellungen zugrunde liegt. Sie unterstellen nämlich der Wahrheit zuwider, es sei unsere Absicht, Gegner unserer verfassungsmäßigen Ordnung, ob nun innerhalb oder außerhalb einer Partei, schrankenlos den Weg in den öffentlichen Dienst zu eröffnen. Diese Behauptung können Sie doch im Ernst nicht aufrechterhalten. Die Überschrift der „Süddeutschen Zeitung", die gestern und heute zitiert wurde, ist schlicht falsch; sie ist ja schließlich keine authentische Auslegung dessen, was hier beschlossen und gewollt ist.
Wir Freien Demokraten bejahen — das möchte ich ausdrücklich betonen — die Forderung nach einer wehrhaften Demokratie.
Wir verstehen sie aber zugleich praktisch eher in einem positiven Sinn, nämlich als eine an uns alle gerichtete politische Forderung. Ich will das begründen oder wenigsten zu begründen versuchen, wenn Sie das gestatten.
— Auch der Staat. —
Der Fortfall der sogenannten Routineanfrage schließt doch nicht unser aller Verpflichtung aus — auch nicht, Herr Spranger, die Verpflichtung der staatlichen Organe; das möchte ich betonen —, gegenüber allen Bürgern die Grenzen deutlich zu machen, die zur Verteidigung der Freiheit, die un-
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Dr. Wendig4 sere Verfassung garantiert, von niemandem überschritten werden dürfen.Unsere Position ist auch hier klar und eindeutig. Es kann nicht hingenommen werden, daß die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die in ihren Kernbestandteilen vom Bundesverfassungsgericht schon im Jahre 1952 klar definiert worden ist, als etwas hingestellt wird, was Gegenstand des Mißverständnisses oder gar des Spottes ist. Der Herr Bundespräsident hat in der vergangenen Woche in einer Rede aus Anlaß des 250. Geburtstages von Lessing, auf die gestern auch Herr von Weizsäcker Bezug genommen hat, sehr deutlich auf diesen Punkt hingewiesen. Das ist aber auch oder, so würde ich sagen, in erster Linie eine politische Aufgabe, die durch keine Anfrage an irgendeiner Stelle voll ersetzt werden kann. Wir alle müssen deutlich machen, daß die freiheitlich-demokratische Grundordnung eine klare Absage an jede totalitäre Weltanschauung bedeutet, und wir müssen unsere Mitbürger immer wieder davon überzeugen, daß der Einsatz für diese Grundordnung ein Bekenntnis zur Freiheit ist, nicht mehr und nicht weniger.
Das ist unsere Vorstellung von einer wehrhaften Demokratie; sie zeigt zugleich einen Teilaspekt der politischen Aufklärungsarbeit auf, die wir mit einer Reform der Überprüfungspraxis leisten wollen.Meine Damen und Herren, man mag dann gegen die Beschlüsse der Bundesregierung vom 19. Januar einwenden, dies oder jenes gehe in der Praxis nicht oder so nicht. Darüber werden wir am 8. Februar in aller Ausführlichkeit zu debattieren haben. Wir, die Freien Demokraten, verwahren uns aber ganz entschieden gegen die Unterstellung, wir hätten mit unseren Vorstellungen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Prinzipien einer wehrhaften Demokratie aus dem Spiel gebracht.
Genau das Gegenteil ist der Fall.Meine Damen und Herren, ich will damit diesen Bereich verlassen. Zum Problem der inneren Sicherheit, das von meinen beiden Vorrednern angesprochen worden ist, kann ich nur sagen — ich will da keinen Rückschlag machen —, daß auch dieses Thema in den vergangenen Jahren leider ein wenig zu stark mit Polemik behandelt worden ist, was der Sache nicht gedient hat. Aber ich begrüße es, daß im letzten Jahr — wo auch immer die Gründe dafür liegen mögen — eine Konsolidierung, eine ruhigere Betrachtungsweise Platz gegriffen hat. Diese Ruhe und Sachlichkeit hat nichts damit zu tun, daß in der letzten Zeit Aktionen des kriminellen Terrors ausgeblieben sind. Wir alle wissen, daß die Gefahr des Terrorismus gleichwohl nicht gebrochen ist. Wir wissen aber auch, daß nicht das Fehlen irgendwelcher Gesetze, sondern — das muß man ganz offen sagen — Schwachstellen im Komplex der polizeilichen Fahndung die wirklichen Ursachen für bestimmte Mißerfolge waren.Wir begrüßen, daß die Bundesregierung und der Innenminister auch auf der Grundlage des Höcherl-Berichts die dort dargelegten Fragen sehr kurzfristig und sehr energisch in Angriff genommen haben, und ich glaube — auf Einzelheiten will ich hier nicht eingehen —, daß das Ergebnis, das sich in den Besprechungen des Bundesinnenministers mit den Innenministern der Ländern bisher abzeichnet, für alle vorzeigbar ist: nämlich die in einem föderativen Staat sehr schwierige Symbiose aus der Forderung einer zentralen Lenkung beim länderübergreifenden Terrorismus und der Notwendigkeit, vor Ort mit der größeren Ortsnähe und Erfahrung auch berechtigt zu sein, notwendige Entscheidungen zu treffen, herzustellen. Ich möchte nur hoffen, daß dieser Prozeß der Konsolidierung nicht durch schrille Töne hier oder an anderer Stelle unterbrochen wird. Es mag sein, daß dann — wovon wir Freien Demokraten lange gesprochen haben — eine Novellierung des BKA-Gesetzes nicht oder nur in einem geringen Umfang notwendig ist. Ich halte aber nichts davon, wenn wir in diesem Prozeß, der noch nicht abgeschlossen ist, hier schon vorzeitig mit Stellungnahmen eingreifen. Wir sind der Überzeugung, daß die Dinge in der Hand des federführenden Bundesministers des Innern auf den richtigen Weg gebracht sind.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in einem vorletzten Punkt einiges zum Problem der zivilen Verteidigung sagen. Diese Frage hat in den Haushaltsdebatten der letzten Jahre schon mehrfach eine große Rolle gespielt, und sie ist auch für die Fraktion der Freien Demokraten von großem Gewicht. Die Vorstellung und die Besorgnis, ,daß hier — da gehe ich sehr weit zurück — zehn Jahre hindurch zu wenig geschehen ist, sind nämlich, glaube ich, allgemein. Schon vor zwei Jahren habe ich bei demselben Anlaß an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß das Schutzraumgesetz von 1965 in den Jahren der Rezession 1966/67 durch das damalige Finanzplanungsgesetz — übrigens gegen die Stimmen der FDP — revidiert worden ist. Aber lassen wir diesen Rückblick. Es gehört schon aus grundsätzlichen humanitären Gründen — und das ist unsere Position — zu den Aufgaben unseres Staates, einen Mindestschutz für den Bürger zu garantieren. Ein gut funktionierendes System der Zivilverteidigung ist überdies eine Voraussetzung dafür, daß die Bundeswehr in ihrem militärischen Auftrag glaubwürdig ist und bleibt.Was in diesem Haushalt und in einem Vierjahresplan von 1979 bis 1982 insbesondere im Schutzraumbau und bei der Kfz-Beschaffung geschehen ist,. hat mein Herr Vorredner schon gesagt. Ich kann hier nur hinzufügen, daß mit der Erhöhung um 11,5 % ein ganz entscheidender Einstieg in die Entwicklung in eine Richtung eingeleitet worden ist, die wir für notwendig halten. Aber für eine langfristig angelegte Gesamtkonzeption reicht das nicht aus. Auch wir, die Freien Demokraten, sind der Auffassung, daß sowohl bei der Wiederherstellung alter Schutzbauwerke als auch bei neuen öffentlichen Bauvorhaben die Möglichkeiten eines verbesserten Schutzes der Zivilbevölkerung erheblich verstärkt werden müssen. Wir begrüßen es daher, daß der
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Dr. WendigInnenausschuß in Kürze auf der Grundlage des Berichts des Bundesinnenministers die zentralen Fragen der Zivilverteidigung eingehend erörtern wird. Dabei müssen wir aber aUch prüfen, was heute und in Zukunft im Rahmen des Gesamthaushalts und der gesamtwirtschaftlichen Situation machbar ist. Wir würden nicht nur uns, sondern auch dem Bürger etwas vormachen, wenn wir gewissermaßen eine Totalsicherung in Aussicht stellten, die niemand in diesem Land garantieren kann.Die Opposition hat im vergangenen Jahr einen Antrag zur Gesamtverteidigung vorgelegt, der vieles — ich betone das — von dem enthält, was ich unterstützen könnte. Ehrlicherweise muß man auch eine Erörterung über diesen Antrag in dem gesamtwirtschaftlichen und haushaltswirtschaftlichen Rahmen sehen, den ich soeben angedeutet habe.Die zivile Verteidigung besitzt — ich betone es noch einmal — für uns Freie Demokraten einen hohen Stellenwert. Stellen wir uns gemeinsam auf den Boden der Realitäten, die ich bezeichnet habe, dann werden wir in den wichtigsten Teilbereichen der Zivilverteidigung das Mögliche bald verwirklichen können.Nun ein letzter Punkt. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz hat am 10. Januar 1979 seinen ersten Datenschutzbericht vorgelegt. Dieser Bericht wird zu gegebener Zeit noch im einzelnen diskutiert werden müssen. Wir, die Freien Demokraten, haben vom Beginn der Datenschutzdiskussion an keinen Zweifel daran gelassen, daß hier eines der wichtigsten innenpolitischen Probleme in einem modernen Industriestaat in Rede steht. Ich glaube, Sie alle empfinden das. Die Bürger erkennen in zunehmendem Maße die Bedeutung des Datenschutzes, und sie empfinden die Bedrohungen, die von Ihnen anonym erscheinenden Systemen ausgehen können.
Seit Erlaß des Datenschutzgesetzes ist dieses Bewußtsein mehr und mehr gewachsen. Wir nehmen diese Sorgen der Bürger ernst.Ernst nehmen wir auch, daß sich in Forschungsprogrammen, die natürlich alle außerhalb der Legislative ablaufen, Entwicklungen abzeichnen, die bisherige Erkenntnisse erneut in Frage stellen können. Mein Kollege Professor Laermann . wird anläßlich der Beratung eines anderen Haushalts zu dieser Frage Stellung nehmen. Natürlich ist für uns, Herr Kollege Gerster, um so wichtiger die Prüfung der Frage, wie sich das zur Zeit geltende Datenschutzgesetz in der Praxis auswirkt.Die FDP wird den Bericht den Datenschutzbeauftragten mit großer Sorgfalt erörtern und, wenn nötig, konkrete Novellierungsvorschläge erarbeiten. Ob eine Novellierung noch in dieser Legislaturperiode sinnvoll ist bzw. zustande kommen kann, ist bei der Kompliziertheit der Materie sicherlich zweifelhaft, Wir werden aber darauf dringen, daß zumindest noch in dieser Legislaturperiode die Grundzüge einer Verbesserung des Datenschutzes festgelegt werden können.Ich will einige Punkte nennen, die auch schon — Herr Kollege Gerster, insoweit sind wir uns einig — eine Rolle gespielt haben, als wir das Datenschutzgesetz verabschiedeten. Aber wir beide wissen auch genau, unter welchen zeitlichen Zwängen wir am Ende der vergangenen Legislaturperiode gestanden haben. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß Schwerpunkt einer Novellierung der bereichsspezifische Datenschutz • sein muß. Hierzu gehört insbesondere die Verstärkung des . Datenschutzes in der Sozialversicherung. Zu denken ist auch an eine Verbesserung der Stellung des Datenschutzbeauftragten im Hinblick auf seine Rechte auf Einblick in die Datenverarbeitung von Polizei und Verfassungsschutz.Bereits bei der abschließenden Beratung des Bundesdatenschutzgesetzes habe ich im übrigen darauf hingewiesen, daß bei der Fortentwicklung des Datenschutzrechts auch die Einführung eines verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruchs und die Kontrolle bei grenzüberschreitenden Datenflüssen erörtert werden müssen.
— Wir waren in unserer Debatte noch nicht so weit. Auch Sie konnten das damals nicht verantworten.
Gerade bei den wirtschaftlichen Verflechtungen der Bundesrepublik Deutschland ist schließlich zu fragen, ob ein nationales Datenschutzrecht wirklich hinreichenden Schutz bietet oder ob es nicht seine Fortsetzung in einem internationalen oder zumindest europäischen Datenschutzrecht finden muß.Meine Damen und Herren, dies sind einige markante Beispiele dafür, vor welch schwierigen Problemen wir heute im 30. Jahr des Grundgesetzes stehen. Die Brisanz der künftigen innen- und rechtspolitischen Fragen liegt in unserer Zeit wohl darin begründet, ob und wie es gelingt, moderne technische Entwicklungen in unser überkommenes Rechtssystem einzubinden oder das Recht entsprechend fortzuentwickeln. Vielleicht — ich wage hier einmal eine Prognose — sieht ein späterer Bürger angesichts solcher Entwicklungen die Sachverhalte, über die wir heute leidenschaftlich streiten, die wir heute leidenschaftlich erörtert haben, in einem ganz anderen Licht, zumindest dann, wenn dieser spätere Betrachter weiß, daß sich diese unsere Verfassung in jetzt 30 Jahren bewährt hat und daß diese staatliche Ordnung von der überwiegenden Zahl loyaler Bürger aus Überzeugung getragen wird. Die Innenpolitik der Bundesregierung und des Bundesministers des Innern findet die volle Unterstützung der Fraktion der Freien Demokratischen Partei.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Generaldebatte gestern wenden wir uns heute wieder konkreten
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10407
Dr. DreggerEinzelthemen zu. Ich möchte mich zu drei Fragen äußern: zur Freihaltung des öffentlichen Dienstes von Gegnern des demokratischen Staates, zur Ergänzung der militärischen durch eine zivile Verteidigung und zum Geburtendefizit der Deutschen. Diese Themen sind gewiß nicht populär. Keine der einflußreichen Gruppen unserer Gesellschaft kann sich von ihrer sachgemäßen' Behandlung einen Sondervorteil versprechen. Sie übersteigen den Horizont einer nur auf den Augenblick fixierten Wohlstandsgesellschaft. Für ihre sachgemäße Lösung einzutreten, widerspricht zudem mächtigen Tendenzen in den Regierungsparteien. Die Regierung möchte sich ihnen daher am liebsten entziehen.
Der Bundeskanzler hat sich zu ihnen entweder gar nicht oder nur administrierend, jedenfalls nicht politisch führend geäußert.
Sein einziger Versuch zum Extremistenthema auf dem Hamburger Parteitag der SPD endete mit einer eklatanten Niederlage.
Eine politische Führungsrolle beansprucht der Kanzler eigentlich nur noch im Bereich der Wirtschaftspolitik, obwohl er auch hier zwischen eigenen Einsichten und mächtigen Strömungen in seiner Partei lavieren muß. Kollege Biedenkopf hat das vorgestern in einer brillanten Analyse dargelegt.
Diese Spezialisierung des Kanzlers auf einen sehr engen Ausschnitt seiner Regierungsverantwortung führt aber dazu — deshalb sage ich es heute zu Beginn meiner Ausführungen —, daß andere Fragen zunehmend in den Hintergrund gedrängt und vernachlässigt werden. Im Bereich des Innenressorts gilt es für die drei Themen, die ich eingangs genannt habe.Das erste Thema ist das Geburtendefizit. Herausgefordert von der substantiierten Kritik des Oppositionsführers hat sich der Bundeskanzler hierzu gestern zwar eingelassen; das geschah aber derart losgelöst von Tatsachen, von erkennbaren Tendenzen, daß schon diese Einlassung ein zusätzlicher Anlaß ist, dieses Thema heute morgen noch einmal aufzugreifen. Die Bundesrepublik Deutschland hat, wie wir alle wissen, inzwischen die niedrigste Geburtenrate aller Länder der Welt. Der Bundesminister des Innern, der zuständigkeitshalber auf diese Tatsache und die Bewertung ihrer Folgen in der Kabinettssitzung vom 15. November 1978 aufmerksam gemacht hat, wurde aufgefordert, diesen Tatbestand politisch niedriger zu hängen. Seitdem schweigt er. Dabei geht es um dramatische Entwicklungen. Nach Vorausschätzungen des Statistischen Bundesamtes vom Dezember 1975 wird die Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland von damals 58 Millionen auf 39 Millionen im Jahre 2030 zurückgehen. Meine Damen und Herren, dasist nicht mehr als die Aussage über einen Trend, der sich verändern kann. Aber es spricht nichts dafür, daß er sich verändern wird, wenn der Staat dazu nicht seinen Beitrag leistet.
Ein Rückgang von 58 Millionen auf 39 Millionen Einwohner bedeutet einen Rückgang um fast ein Drittel. Welches wären die Folgen? Sie wären gewiß dramatisch. Um nur eine :herauszugreifen: Der Generationenvertrag zwischen der noch nicht arbeitenden, der arbeitenden und der nicht mehr arbeitenden Generation verlöre seine Grundlage. Der Zeitpunkt wäre absehbar, zu dem die aktiv arbeitende Generation nicht mehr in der Lage wäre, Renten und Pensionen in bisheriger Höhe für ein Volk von Greisen zu erarbeiten. Rechenkunststükke, die davon ausgehen, daß der Mehraufwand an Renten und Pensionen durch den Minderaufwand für eine weiterhin zahlenmäßig sich vermindernde junge Generation ausgeglichen würde, sind zu makaber, als daß man sie sich zu eigen machen möchte.
Der Bundesminister des Innern hat in dem Bericht, der Grundlage der Kabinettssitzung vom 15. November war, eine ressortübergreifende Konzeption zur Bevölkerungsentwicklung verlangt — mit Recht, wie wir meinen —, wie wir sie seit langem, wenn auch leider vergeblich, fordern.Ohne ideelle und gesellschaftliche Aufwertung der Familie nicht nur, aber auch in der schulischen Erziehung wird eine Umkehr dieses Trends nicht möglich sein. Was hier marxistische Gesellschaftsingenieure an Schaden angerichtet haben, kann nur als katastrophal bezeichnet werden.
— Ey (CDU/
CSU) : Sie wollen die Familie auflösen!)Hinzu kommen muß eine grundlegende Besserstellung der Mehrkinderfamilie auch in materieller Hinsicht. Zum Geburtenrückgang hat gewiß eine Politik beigetragen, die Kinderlosigkeit belohnt und Kinderreichtum bestraft.
Nahezu die Hälfte der Vierkinderfamilien verfügt über ein Einkommen, das unter den Richtsätzen der Sozialhilfe liegt.
Materiell ist Kinderreichtum heute nicht mehr der Reichtum der Eltern, sondern der Reichtum der anderen, der Kinderlosen. Kinderlose Ehepaare können ein doppeltes Arbeitseinkommen und mit ihm auch ein doppeltes Renteneinkommen erwerben. Ihre Renten und Pensionen werden dann später aus den Beiträgen und Steuern finanziert, die die Kinder der anderen, der Kinderreichen, erarbeiten.
Deren Eltern aber müssen sich wegen der Sorge um ihre Kinder in der Regel mit einem Arbeitseinkommen und damit auch einem Renteneinkommen begnügen. Meine Damen und Herren, dieses Ergebnis ist absurd, eine schreiende soziale Unge-
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Dr. Dreggerreditigkeit, und es gefährdet zudem die Zukunft unseres Volkes.
All das hat meine Fraktion veranlaßt, die Familienpolitik und in ihrem Rahmen auch die Wiederherstellung der sozialen Gleichberechtigung von Kinderreichen und Kinderlosen zu einem Schwerpunkt ihrer Politik zu machen. Dazu gehört mehr Kindergeld für die Mehrkinderfamilie. Die erst durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 ausgelöste Erhöhung des Kindergeldes vom dritten Kind an um 50 DM ist weit hinter dem Bedarf zurückgeblieben, der nach dem Urteil einer Expertenkommission schon damals — nach dem Stande von 1977 — bei 120 DM und nicht bei 50 DM lag.Unser Antrag, steuerliche Kinderfreibeträge wieder einzuführen, wurde von der SPD mit geradezu klassenkämpferischen Argumenten bekämpft.
Dabei kann doch eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit das Vorhandensein von Kindern nicht ignorieren — es sei denn, man ist der Auffassung, daß Kinder ein privater Luxus sind, den man bei der Bemessung der Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigen soll.
Das gleiche Unverständnis gegenüber kinderreichen Familien zeigt sich auch beim Ausschluß nicht berufstätiger Mütter vom Mutterschaftsgeld,
obwohl es doch vielfach die Sorge für ihre Kinderist, die sie darauf verzichten läßt, einen anderenBeruf als den der Mutter und Hausfrau auszuüben.
Im Rahmen der Debatte zum Haushalt des Bundesinnenministers kann es nicht darum gehen, die Einzelheiten dieser Fragen zu diskutieren. Dafür sind unsere Steuerexperten, unsere Sozialexperten zuständig. Aber es gehört zur Verantwortung des Innenressorts, darauf hinzuweisen, daß die Gefährdung der Familie und die materielle Benachteiligung der Mehrkinderfamilien nicht nur eine soziale Ungerechtigkeit sind, sondern auch den Generationenvertrag und die Zukunft unseres Volkes gefährden.
Im Rahmen einer Haushaltsdebatte kann nicht verschwiegen werden, daß die soziale Gleichstellung der Kinderreichen Geld kostet. Auch wir wissen, daß Aufstockungen des Sozialhaushaltes nicht unbegrenzt möglich sind. Es bleiben dann nur eine Neubewertung der Prioritäten
und eine Umschichtung, wie wir das in unserer Mannheimer Erklärung zur neuen sozialen Frage näher erläutert haben.
Das ist gewiß nicht leicht. Aber die Regierung ist nicht dazu da, daß sie es leicht hat. Deswegen fordern wir Sie auf, zu regieren, d. h., ein ressortübergreifendes Konzept vorzulegen, wie es der Innenminister in seiner Vorlage gefordert hat. Wir sind bereit, an diesem Konzept und seiner Verwirklichung mit Nachdruck mitzuarbeiten.
Zweites Thema : Ziviler Bevölkerungsschutz, zivile Verteidigung, Gesamtverteidigung. In den Plenardebatten vom 21. Januar 1977 und vom 22. Juni 1977 haben wir diese Themen, die lange vernachlässigt worden sind, mit Nachdruck wieder in die Diskussion gebracht. Wir sind damals von seiten der Regierung ohne Antwort geblieben. Weder der Kanzler noch der Innenminister haben sich damals dazu geäußert. Sie schwiegen. Aber ein Tabu war durchbrochen.Herr Pawelczyk, der große Militärstratege der SPD-Fraktion, schämte sich damals nicht, die Forderung nach Schutz für die Zivilbevölkerung als den Übergang von der Kriegsverhütungs- zur Kriegsführungsstrategie zu diffamieren.
Sein Fraktionsvorsitzender Wehner merkte damals, daß diese Argumentation doch wohl allzu unglaubwürdig sei, und er gab grünes Licht zwar nicht zur Lösung des Problems und auch nicht zur Erarbeitung einer Konzeption zur Lösung des Problems — daß es nur schrittweise gelöst werden kann, ist ohnehin klar —, aber doch zur Aufstockung des Etatsentgegen der ursprünglich beabsichtigten Verminderung — um 67 Millionen DM in diesem Jahre, die der Fahrzeugbeschaffung beim Katastrophenschutz dienen soll.Das reicht in gar keiner Weise aus, um den Katastrophenschutz von der Bundeswehr unabhängig zu machen, die ja im Verteidigungsfall für diese Aufgabe nicht, so wie jetzt in Schleswig-Holstein, zur Verfügung stehen kann. Diese geringfügige Haushaltsaufstockung ersetzt schon gar nicht die Beantwortung der Fragen, die wir in unserem Antrag zur Gesamtverteidigung vom 16. November 1978 aufgeworfen haben und wozu Herr Kollege Wendig eben einen freundlichen Kommentar gegeben hat.Um was geht es? Zur militärischen Verteidigung, die Sache der NATO ist, leisten wir in Gestalt der Bundeswehr einen respektablen Beitrag. Ein etwaiger Angriff auf unser Land träfe aber nicht nur die Streitkräfte, sondern in gleicher Weise auch die Zivilbevölkerung, die Wirtschaft, die öffentlichen Dienste, alles, was zum Leben und Überleben notwendig ist. Die Zivilbevölkerung zu schützen und das Leben im zivilen Bereich aufrechtzuerhalten, ist nicht Sache der NATO; es ist unsere eigene Sache. Die Vorbereitungen dafür zu treffen, ist Sache der Bundesregierung.
Sie hat damit nicht das Bundesverteidigungsministerium beauftragt — was denkbar wäre, wofür vielleicht vieles spräche und was der Praxis ande-
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Dr. Dreggerrer Länder Rechnung tragen würde. Bei uns sind die Zuständigkeiten geteilt: militärische Verteidigung beim Bundesverteidigungsministerium, zivile Verteidigung beim Bundesinnenministerium.Beide Ministerien aufeinander abzustimmen, ein sachliches und finanzielles Gleichgewicht zwischen beiden Bereichen herzustellen, kann dieser organisatorischen Gliederung nur Aufgabe des Kabinetts und vor allem des Kanzlers sein. Aber der Kanzler kümmert sich nicht darum. Der Herr Bundeskanzler schweigt zu diesem Thema nicht nur in Bundestagsdebatten.Hinweise, Herr Wendig, auf Versäumnisse früherer Regierungen reichen nicht aus. Die Regierung Adenauer konnte beide Aufgaben — die militärische und die zivile Verteidigung — nicht gleichzeitig anpacken.
Dafür waren die Widerstände insbesondere in den Reihen der SPD gegen beide Formen der Verteidigung zu groß.
Inzwischen ist die zivile Verteidigung notwendiger geworden, als sie zu Adenauers Zeiten war. Damals sicherten die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrem Nuklearmonopol den Frieden. Seit die nukleare Parität hergestellt ist, hat sich die NATO-Strategie verändert — schon vor vielen Jahren — : aus der Strategie der massiven Abschreckung wurde die Strategie der flexiblen Abschreckung. Das heißt aber doch, daß die offizielle NATO-Doktrin den konventionellen Krieg auch in Europa als Möglichkeit — als eine natürlich zu vermeidende, aber leider nicht auszuschließende Möglichkeit — in ihr Konzept eingeplant hat.Dafür gibt es aber, obwohl diese Strategie der flexiblen Abschreckung schon als Uralt-Strategie zu bezeichnen ist, in unserem Land praktisch keine nennenswerten Vorbereitungen. Es gibt so gut wie keine Schutzräume für die Bevölkerung. Es gibt keine ausreichende Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Es gibt keine nennenswerten Nahrungsmittelreserven. Außerhalb des militärischen Bereichs gibt es so gut wie nichts.Es gibt auch keine Abgrenzung zwischen der Verantwortung des Staates und der des einzelnen. Dem Bürger wird nicht gesagt, auf welche Hilfe er rechnen kann und wofür er selbst sorgen muß. Es ist doch geradezu peinlich, wenn nicht wenige Bürger sagen: Kanzleramt und Ministerien sorgen für eigene Schutzräume; für den Schutz der Bevölkerung scheinen sie sich nicht zu interessieren.
Das sagen die. Welche Antwort wollen Sie geben?Wenn sich die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion so verhielten — was sie nicht tun —, könnte man das noch verstehen. Diese beiden Großmächte werden kaum Schauplatz eineskonventionellen Krieges sein, und vor dem nuklearen schützt sie mit hoher Wahrscheinlichkeit das Gleichgewicht ihrer nuklearen Drohkapazität. Für ein Land jedoch, das nach der Offensivstrategie des Ostens wie nach der Defensivstrategie des Westens bei Ausbruch eines Krieges — den Gott und kluge Politik verhindern mögen — Hauptkriegsschauplatz werden würde, ist ein derartiger Mangel an Vorsorge geradezu abenteuerlich.
Dieser Mangel entwertet auch weitgehend die militärische Verteidigung — das hat Herr Wendig ebenfalls zu Recht gesagt —, da es in einem von einem Krieg unmittelbar betroffenen Land ohne zivile Verteidigung keine militärische geben kann. Das ginge allenfalls mit einer Söldnerarmee, mit einer Fremdenlegion, der das Schicksal der Zivilbevölkerung gleichgültig ist, aber es geht nicht mit einer Wehrpflichtarmee.Um es auf eine einfache Formel zu bringen: eine Bundeswehr, die sich nicht auf eine funktionierende Zivilverteidigung stützen kann, kann nicht kämpfen. Eine Bundeswehr, die nicht kämpfen kann, kann auch nicht abschrecken. Eine Bundeswehr, die nicht abschrecken kann, kann auch nicht den von ihr erwarteten Beitrag zur Friedenssicherung leisten.
Ich greife auf, was ich zu Beginn sagte: sich der Pflicht zur Zivilverteidigung zu unterziehen, ist nicht gerade populär. Alles, was hierüber gesprochen und hierzu getan wird, wird von denen, die diesen Staat zerstören oder ihn der Hegemonie der Sowjetunion unterstellen wollen, mißdeutet. Die Stichworte dazu werden ja leider auch aus den Reihen des Bundestages geliefert.
Diese Pflicht zu erfüllen, steht nicht in der Macht der Opposition. Auch die Regierung allein wird es nicht können. Aber Regierung und Opposition gemeinsam werden es können. Wir sind bereit, im Interesse des Friedens und der Freiheit unseres Volkes der Regierung bei der Erfüllung dieser schwierigen Aufgabe zu helfen. Wenn doch die damalige Regierung, als Sie in der Opposition waren, eine solche Unterstützung von der Opposition angeboten erhalten hätte!
Ich kann Ihnen daher nur die Bitte vortragen, meine Damen und Herren von der Regierung und der Koalition, die Chancen zu nutzen, die Ihnen die Opposition mit ihrem Antrag vom 16. November 1978 geboten hat, den wir ja demnächst im Plenum debattieren werden.Das letzte und dritte Thema betrifft die demokratische Zuverlässigkeit unseres öffentlichen Dienstes. Zwei Große Anfragen — der Opposition und der Koalition — bieten in Kürze Gelegenheit, diesen Fragenbereich in allen Einzelheiten zu erörtern. Im Rahmen dieser Haushaltsdebatte möchte ich nur
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Dr. Dreggerzwei Aspekte herausgreifen und daran eine allgemeine politische Bewertung knüpfen.Vorwegschicken möchte ist, daß jede staatliche Praxis immer verbesserungsbedürftig ist, daß sie in Bereichen wie diesen nicht nur unter rechtlichen Aspekten zu werten ist, sondern vielmehr auch politisch-psychologische Gesichtspunkte beachten muß. Das ist hier deshalb so bedeutsam, weil es nicht nur — wie in anderen Bereichen — darum geht, bekannte Fehler abzustellen, das Verfahren zu verbessern und nach Möglichkeit zu liberalisieren. Hier geht es ja auch darum, eine massive Kampagne abzuwehren, die — von antidemokratischen und im Ausland teilweise auch antideutschen Kräften genährt — gegen unseren demokratischen Staat anbrandet.
Herr Kollege Ahlers hat vor kurzem kritisiert — mit Recht —, daß die staatliche Öffentlichkeitsarbeit hier versagt habe. Hinzufügen muß man, daß sehr frühzeitig Teile der SPD und der FDP sich diese Kampagne zu eigen gemacht haben.
Das nicht die Schuld der Jungsozialisten und der Jungdemokraten. Verantwortlich sind die älteren, die die geistige Auseinandersetzung in ihrer Partei nicht geführt haben.
Wie weit die Entwicklung gediehen ist, zeigt die opportunistische Kehrtwendung des Hamburger Bürgermeisters Klose, der sich so grundlegend von seinem großen Vorgänger Professor Weichmann unterscheidet.
Das war gestern Gegenstand der Debatte. Ich will heute nur zwei Zitate hinzufügen, die kennzeichnend für die Lage sind.Der derzeitige Juso-Vorsitzende hat — ich zitiere wörtlich — „keimen Zweifel an der demokratischen Legitimität von DKP und SDAJ". Er geht sogar davon aus, daß — ich zitiere weiter — „jedes Mitglied von SDAJ und DKP auf dem Boden der Verfassung steht".
Ende des Zitats. In der SDAJ sieht er nicht einen Gegner, sondern — ich zitiere wieder — „eine konkurrierende sozialistische Organisation" . Alles zitiert nach der „Frankfurter Rundschau" vom 2. Mai 1978.Wer wie der Juso-Vorsitzende in einem Kommunisten einen geistesverwandten Vetter und in Christdemokraten und Konservativen den Hauptgegner sieht,
für den kann es natürlich keine Gemeinsamkeit der Demokraten und keinen Ausschluß von Kommunisten aus dem Staatsdienst geben.
Nicht anders äußert sich die frühere Juso-Vorsitzende und jetzige Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Frau Wieczorek-Zeul. In der Märzausgabe 1978 von „Das da" erklärt sie — ich zitiere —, sie halte „absolut nichts davon, so zu tun, als gäbe es für Sozialdemokraten auf europäischer Ebene keine Zusammenarbeit mit Kommunisten".
Nun, Herr Wehner, wenn schon auf europäischer Ebene, warum dann nicht auch auf deutscher Ebene? Wenn schon Volksfront zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten,
warum dann nicht auf allen Ebenen? (Wehner [SPD]: Es gibt keine!)
— Unterhalten Sie sich mit Frau Wieczorek-Zeul! Wenn schon Kommunisten in den Staatsdienst, warum dann überhaupt noch ein gegen sie eingesetzter Verfassungsschutz?
Das ist auch die Meinung der Jungdemokraten. Das ist ja eben vom Kollegen Riedl zitiert worden. Warum kehrt dann in jedem Verfassungsbericht der Bundesregierung die Feststellung wieder, die DKP verfolge verfassungsfeindliche Ziele?Nun zum Erlaß der Bundesregierung! Die sogenannte Regelanfrage der Einstellungsbehörden bei den Verfassungsschutzbehörden, ein rein verwaltungsinterner Vorgang, soll in Zukunft entfallen. Warum? „Frage werd man doch wohl derfe", lautet eine sprichwörtliche Volksweisheit. Warum das in Zukunft zwischen den Behörden desselben Staates nicht mehr gelten soll, ist einfach nicht zu erklären. Hier wird doch das Verfassungsgebot der Amtshilfe ersetzt durch das Verbot von Amtshilfe — eine absurde Entscheidung!
Zur Begründung wird gesagt, der Staat dürfe nicht mißtrauisch sein.
War er es denn bisher?
Hat er jeden politisch überprüft? Hat er von jedem ein politisches Führungszeugnis verlangt, wie er selbstverständlich etwa ein polizeiliches- Führungszeugnis, ein Gesundheitszeugnis, ein Zeugnis über ein Abschlußexamen verlangt?
Das war doch alles nicht der Fall. Die Einstellungsbehörde hat doch nur dann nachgeprüft, wenn die dafür geschaffene Verfassungsschutzbehörde
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10411
Dr. Dreggermitteilte, daß nach ihrer Erkenntnis Anlaß zu einer Überprüfung besteht.Abgeschafft wird nach dem Erlaß der Bundesregierung also nicht eine allgemeine Überprüfungspraxis — die es überhaupt nie gegeben hat; es ist doch wichtig, das zu sagen —,
verfügt wird von der Bundesregierung die Ausschaltung einer Behörde, die zur Sammlung von Nachrichten errichtet wurde, die keinerlei Exekutivbefugnisse hat, die an der Entscheidung über die Einstellung nicht mitzuwirken hat und die daher alles andere als eine politische Polizei ist, wie wir sie in faschistischen und sozialistischen Ländern kennen.Die Bundesregierung verweist auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Wie kann es als unverhältnismäßiger Eingriff in die Rechtssphäre eines Bewerbers bewertet werden, wenn die Verwaltung ihr Wissen nicht verdrängt, wenn sie es gegebenenfalls zum Anlaß von Prüfungen nimmt und nicht in einer anderen Schublade liegen läßt!
Der Kanzler meinte gestern, die Regelanfrage sei kein Verfassungsgebot und es gebe sie erst seit Anfang der 70er Jahre. Beides ist richtig und gleichzeitig falsch, weil der Zusammenhang verschwiegen wird. Wie war die Entwicklung?Nach dem Kriege mußte jeder Bewerber schriftlich erklären, daß er die von der Bundesregierung in einer Liste bekanntgemachten verfassungsfeindlichen Organisationen nicht unterstütze. Dann wurden die rechtsradikale Partei, die SRP, und die linksradikale Partei, die KPD, verboten. Das demokratische System war damals unbestritten, das Problem verlor seine praktische Bedeutung. 1968 wurde die DKP gegründet, trotz des Verbots der KPD und aller ihrer Ersatz- und Nachfolgeorganisationen — übrigens nicht ohne Hilfe unseres Kollegen Ehmke, der damals Staatssekretär beim Justizminister war.
Seitdem, Herr Kollege Ehmke, existiert dieses Problem wieder. Es gewinnt von Jahr zu Jahr eine größere Dimension, was bei einem Blick auf den Zustand unserer Universitäten auch gar nicht zweifelhaft sein kann.
Um dem zu begegnen, kam es im Januar 1972 zu dem sogenannten Extremistenbeschluß des Bundeskanzlers Brandt und der Ministerpräsidenten. Seitdem gibt es eine bundesweite Regelanfrage, die in Hamburg erfunden wurde und dort bereits seit 1956praktiziert wird — das zur geschichtlichen Entwicklung, meine Damen und Herren.
Sie sagen, Teile der jungen Generation würden verunsichert.
Ursache ist aber doch nicht die Einstellungspraxis. Verunsichert wurden sie durch die lügenhafte Berufsverbotskampagne der Kommunisten,
durch den Verzicht auf energische geistige Abwehr innerhalb der Regierungsparteien.
Vollends verunsichert werden sie jetzt durch die Parteitagsbeschlüsse von SPD und FDP und die Beschlüsse Schlüsse der Bundesregierung, die dieser Kampagne der Kommunisten nachgeben und sie dadurch nachträglich zu rechtfertigen scheinen. Das ist doch die Lage.
Im übrigen: Die Einstellungsbehörden sind nach Recht und Gesetz verpflichtet, nur solche Bewerber einzustellen, die die Gewähr dafür bieten — das ist heute schon mehrfach betont worden —, aktiv die Verfassung zu verteidigen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Prüfungspflicht jeder Einstellungsbehörde festgestellt. Die Bundesregierung kann von diesen Rechtsvorschriften durch Erlaß nicht entbinden.
Was sie den Einstellungsbehörden und ihren Beamten zumutet, ist doch im Grunde, sich durch Verzicht auf Amtshilfe der Verfassungsschutzbehörden dumm zu machen, und sie setzt damit die Beamten der Gefahr einer Rechtsverletzung aus.
Meine Damen und Herren, wer die Beamtenpflicht zur aktiven Verfassungstreue abschaffen will, muß das Beamtenrecht ändern.
Das hat unser Kollege Rainer Barzel gestern überzeugend dargelegt. Wer das Staatsoberhaupt durch eine Volksabstimmung wählen lassen will, muß die Verfassung ändern. Das hat der Oppositionsführer Helmut Kohl gestern überzeugend dargelegt.
Aber Rechtsvorschriften auszuhöhlen durch Erlasse oder Pseudoplebiszite, ist ein Verfahren, gegen das wir uns mit aller Energie zur Wehr setzen.
Nicht weniger absurd als der Verzicht auf die Regelanfrage ist die Verharmlosung der Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindliche Ziele verfolgenden Partei. Es gehört zu rechtsstaatlichen Grundsätzen, Entscheidungen möglichst auf objektive, nachweisbare Tatbestände abzustellen, nicht
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10412 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Dr. Dreggeraber auf die Beurteilung von Meinungen und Gesinnungen.
Ich habe schon mehrfach hier im Hause gesagt: Gesinnungen sind frei und müssen frei bleiben. Erst wenn sie in Handlungen umgesetzt werden, sind sie der Beurteilung zugänglich.
Bei der Mitgliedschaft in einer solchen Partei handelt es sich um einen objektiven, nachweisbaren Tatbestand.
Wer Gesinnungsschnüffelei vermeiden will — und wir lehnen sie entschieden ab —, kann einen solchen objektiven Tatbestand nicht ignorieren.
Die Parteimitgliedschaft macht im übrigen eine Einzelfallbeurteilung nicht überflüssig; so hat es das Bundesverfassungsgericht entschieden. Aber wenn sich z. B. ein Mitglied der DKP um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewirbt, dann muß ihm die Frage gestellt werden, wie er seine Beamtenpflicht zur aktiven Verteidigung der Demokratie glaubt mit seiner Parteipflicht vereinbaren zu können, diese Demokratie zu zerstören und durch einen kommunistischen Staat zu ersetzen.
Meine Damen und Herren, wenn er diese Frage nicht überzeugend beantworten kann — und das wird sehr schwer sein —, wenn nicht feststeht, daß er jederzeit bereit ist, aktiv für die Demokratie einzutreten, dann ist er nach geltendem Recht ungeeignet und muß abgelehnt werden.
Lassen Sie mich diesen letzten Komplex abschließen. Der Verzicht auf die Regelanfrage und die weitgehende Verharmlosung der Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei bedeuten im Ergebnis den Verzicht auf die Freihaltung des öffentlichen Dienstes von Gegnern des demokratischen Staates. Das verändert die Qualität der Bundesrepublik Deutschland:
Aus der streitbaren wird eine permissive, aus der rechtsstaatlichen eine sich dem Druck von Antidemokraten beugende Demokratie. Wir fordern die Mitglieder der Bundesregierung und der Koalition auf, sich das noch einmal zu überlegen.Wir sind nicht die einzigen, die Sie davor warnen. Es gibt angesehene und zudem erfahrene Sozialdemokraten, die das gleiche sagen wie wir. Hoegner wurde von meinem Kollegen Riedl schon genannt. Ich könnte weiter Professor Weichmann in Hamburg, Käte Strobel, Franz Barsig und Carlo Schmid nennen. Wenn Sie uns schon nicht folgen, dann folgen Sie doch wenigstens diesen Ihren allgemein angesehenen Parteifreunden! Die schrittweise Kapitulation der ersten deutschen Republik vor ihren Feinden war in ihren Folgen zu schrecklich, als daß wir eine Wiederholung zulassen könnten.
Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, sollten diesen Hinweis nicht einfach vom Tisch wischen, indem Sie auf die Haltung der SPD bei der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes im Deutschen Reichstag 1933 hinweisen. Diese Haltung der damaligen Reichstagsabgeordneten der SPD verdient heute unser aller Respekt.
Aber geschichtliche Verdienste bewahren nicht vor Versagen in der Gegenwart.
Damals war der rechte, heute ist der linke Extremismus besonders gefährlich. Ist es nicht so, daß heute die linken Demokraten Gefahr laufen, den Linksextremismus ebenso zu unterschätzen, wie damals die rechten Demokraten den Rechtsextremismus unterschätzt haben?
Bitte, meine Damen und Herren von der SPD und FDP, überprüfen Sie noch einmal Ihren Schritt, den wir für verhängnisvoll halten. Lassen Sie uns gemeinsame Positionen zurückgewinnen, ohne die wir diese Republik nicht verteidigen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dregger, so wie Sie es soeben gemacht haben, werden Sie die Freiheit in unserem Lande nicht verteidigen können.
Mit diesen Unterstellungen gefährden Sie das Vertrauen, insbesondere junger Bürger, in unseren Staat
und die Gemeinsamkeit der Demokraten hier in diesem Hause.
Ich werde auf Ihre Vorwürfe im einzelnen noch ausführlich zurückkommen, möchte aber zunächst etwas zu den anderen Themen sagen, die Sie angesprochen haben.
Herr Dregger, Sie haben zwar die Themen ausgewählt, die wichtig sind — das gestehe ich Ihnen zu —,
aber es ist für Sie nicht untypisch, wie Sie dieseThemen behandelt haben. Sie haben sie nämlich
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10413
Bundesminister Baumals Angstthemen behandelt: Kommunistenfurcht, Angst vor dem Osten, Angst vor dem Untergang der Bevölkerung dieses Landes durch Geburtendefizite. Sie sind Ihrer alten Masche, Herr Dregger, dem Volke Angst zu machen und die Ängstlichen um sich zu scharen, treu geblieben.
Wer die Wirklichkeit, Herr Dregger, so verzerrt sieht,
der hat kein richtiges Verhältnis zu den wahren Zukunftsperspektiven dieser Gesellschaft, von denen der Oppositionsführer gestern nur gesprochen hat. Er hat sie aber nicht aufgewiesen. Der Bundeskanzler, den Sie angreifen, hat die Zukunftsperspektiven dieses Landes und auch diese Themen behandelt. Er hat nicht geschwiegen.
— Meine Damen und Herren, ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das unangenehm ist. Ich kann es g Ihnen nicht ersparen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe.
Meine Damen und Herren, ich bin Herrn Kollegen Walther und auch dem Bundeskanzler sehr dankbar,
daß ein Thema in die Debatte eingeführt worden ist, das ich wenigstens kurz streifen will, weil es viele Menschen in unserem Lande berührt und zu der Zukunftsperspektive gehört, die wir meinen. Ich spreche vom Umweltschutz, vom Natur- und Landschaftsschutz, vom Schutz unserer Lebensgrundlagen als allgemeinen Gestaltungsprinzipien einer zukunftsorientierte Politik.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Hassel?
Ich möchte den Gedankengang zu Ende führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, der Herr Bundesminister hat die Frage nicht gestattet.
Gut, bitte, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entschuldigung, das war ein Mißverständnis. — Herr von Hassel, bitte schön.
Gestatten Sie die Zwischenfrage, Herr Bundesminister: Sie unterstellen der Darstellung des Abgeordneten Dregger, daß wir Angst machen. Darf ich Sie fragen: Machen die Regierungsparteien, wenn sie etwa eine Regierungsübernahme durch die Christlich Demokratische/ Christlich-Soziale Union immer mit den Zukunftsaspekten begleiten, daß dann die Demokratie in Deutschland gefährdet sei, daß Deutschland dann isoliert würde, dem Bürger nicht dadurch auch Angst, daß sie in dieser Form reden?
Herr von Hassel, diese Perspektive ist von mir nie aufgewiesen worden, Sie können sie mir nicht vorwerfen.
Meine Damen und Herren, ich möchte vom Umweltschutz, vom Natur- und Landschaftsschutz sprechen, und ich möchte mit Nachdruck sagen, daß Umweltpolitik Überlebensstrategie für unsere Industriegesellschaft ist und daß es um mehr geht als nur um technischen Umweltschutz. Es geht um Umweltpolitik als integrierende Leitlinie der Wirtschaftspolitik, der Städtebaupolitik und der Sozialpolitik. Für die Zukunft kommt es darauf an, Wirkungsforschung und funktionelle Zusammenhänge wie Nahrungsketten, Energie- und Stoffumsetzung zu integrieren in eine Umweltpolitik, die insgesamt die Sicherung unserer Lebensgrundlagen umfaßt. Allein dieser Anspruch gewährleistet die Sicherung unserer Zukunft.
Wir werden uns bei dieser Überlebensstrategie durch nichts beirren lassen. Unsere Vorhaben zum Immissionsschutz, zum Chemiekomplex und zur Lärmbekämpfung sprechen eine deutliche Sprache.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte noch einmal um Ruhe. Ich bitte dem Redner zuzuhören.
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10414 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Herr Kollege Wohlrabe, Sie müssen die Geduld aufbringen, auch Gegenargumente zu hören.
Ich kann sie Ihnen beim besten Willen nicht ersparen, zumal mir der Vorredner Fragen gestellt hat, die ich jetzt beantworten möchte.
Meine Damen und Herren, ich komme
zu dem zivilen Bevölkerungsschutz, den Herr Dregger hier in die Debatte eingeführt hat. Herr Dregger, damit kein Mißverständnis entsteht: Ich begrüße es, daß wir dieses Thema behandeln, und bin der Meinung, daß es hier noch eine ganze Reihe offener Fragen gibt, die wir besprechen müssen. Eines können Sie uns aber nicht vorwerfen: daß nämlich diese Regierung geschwiegen und kein Konzept vorgelegt hätte. Sie hat eines vorgelegt, das wissen Sie ganz genau, über das wir jetzt diskutieren müssen. Es geht auch nicht an, Herr Dregger, daß man in diesem Saale große Forderungen aufstellt, im Haushaltsausschuß aber dazu schweigt, keine Anträge stellt und keine Deckungsvorschläge macht.
Ich bin mit Ihnen, Herr Dregger, voll der Meinung: Ohne Zivilschutz kann die militärische Verteidigung nicht voll wirksam sein. Wir beide wissen, daß ein Vollschutz nicht möglich ist, daß wir Prioritäten setzen müssen. Wir werden bei der Behandlung der Großen Anfrage Gelegenheit haben, darüber eingehend zu sprechen.
Wir sind auch der Meinung, daß es nicht bedeuten kann, nur mit gesetzlichen Maßnahmen vorzubeugen, sondern daß der einzelne Bürger seiner Verpflichtung nicht enthoben ist,
selbst Vorsorge zu treffen.
— Herr Kollege Haase, Ihre Zwischenrufe sind bekannt, aber sie sind nicht gut, sie sind wirklich nicht gut.
Ich möchte mal wissen, was Sie zu diesem Thema bisher in diesem Hause beigetragen haben. Gar nichts, auch nicht zum nächsten Thema.
Herr Kollege Dregger, Sie haben mit Recht das Thema der Bevölkerungspolitik angesprochen.
Dieses Thema ist von der Bundesregierung aufgegriffen worden; sie hat es als erste aufgegriffen. Der Bundeskanzler hat gestern dazu Ausführungen gemacht. Diese Ausführungen decken sich mit meinen Vorstellungen.
Er hat vor allen Dingen ausgeführt, daß mit materiellen Anreizen allein nichts getan ist. Die Bundesregierung hat zwei Arbeitsgruppen eingesetzt, die die Arbeiten fortsetzen, die wir begonnen haben. Sie wissen, Herr Kollege Dregger, es gibt hier keine Patentrezepte. Es gibt nicht einmal eine verbindliche Erklärung für die Ursachen des veränderten generativen Verhaltens unserer Bevölkerung. Wie will man dieses Verhalten zuverlässig beeinflussen, wenn man sich noch nicht einmal darüber klar ist, wo die Ursachen liegen.
Wir müssen uns gemeinsam darum bemühen, die Ursachen offenzulegen.
Es geht darum, eine sozial und sozialökonomisch vernünftige und verkraftbare Altersschichtung zu finden.
Herr Kollege Dregger, es geht nicht darum — ich habe es schon gesagt —, hier neue Ängste zu wecken oder gar bei den Rentnern erneut Unruhe zu schaffen. Dafür besteht überhaupt kein Anlaß. Es besteht auch kein Anlaß, die Familienpolitik der Bundesregierung zu kritisieren.
Herr Kollege Dregger, es besteht höchstens Anlaß, die Forderung der Opposition nach Kinderfreibeträgen zu kritisieren, weil eben davon nicht die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten profitieren, sondern die anderen.
Es kann nicht darum gehen, meine Damen und Herren, ich sage das mit allem Nachdruck,
daß die Freiheit und Entscheidungsfreiheit der Familien hier in irgendeiner Weise eingeengt wird. Es kann auch nicht in Frage kommen, Herr Kollege Dregger, daß die Emanzipationsbestrebungen un-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10415
Bundesminister Baumserer Frauen hier durch irgendeinen staatlichen Zwang eingeengt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, wir haben die Haushaltsdebatte bisher in großer Ruhe abwickeln können.
Ich möchte Sie bitten, dem Herrn Bundesminister des Innern in Ruhe zuzuhören.
Zur Zukunftssicherung gehört die Wahrung der inneren Sicherheit. Unser freiheitlicher Rechtsstaat hat sich bisher allen Angriffen gegenüber als stabil und abwehrfähig erwiesen. Er wird dies auch in Zukunft sein. Die Beamten unserer Sicherheitsbehörden, von Polizei und Verfassungsschutz, haben Hervorragendes geleistet, und dafür gebührt ihnen unser Dank.
Diese Arbeit geschieht nicht im kritikfreien Raum. Wo Fehler passieren, kann es nicht darum gehen, sie zu vertuschen. Verunsichernd wirkt nicht das Eingeständnis von Fehlern; verunsichernd wirken die Wechselbäder von höchstem Lob hier und vernichtender Kritik dort.Die terroristische Bedrohung hält an. Mit ihr fertig zu werden ist nicht nur eine polizeiliche, sondern auch eine politische, letztlich eine gesellschaftliche Aufgabe. An unserer Entschlossenheit, dem Terrorismus entgegenzutreten, besteht überhaupt kein Zweifel. Wir tun das durch intensive Fahndungsmaßnahmen. Wir tun das durch den verstärkten Versuch, die Terroristen von ausländischer Unterstützung zu isolieren. Wir sollten auch keinen Zweifel daran lassen, daß es einen Weg zur Umkehr für diejenigen gibt, die in den Terrorismus verstrickt waren; nicht für diesen Kern der Leute, die nichts anderes im Sinn haben, als zu morden. Aber wir müssen uns überlegen, wie die Gesellschaft denjenigen gegenübertritt, die sich lösen wollen.
Keine Amnestie oder rechtspolitisch bedenkliche Verzichtserklärungen, aber die Bereitschaft, dem: jenigen, der sich einem rechtsstaatlichen Verfahren stellt, die Chance zur Resozialisierung zu geben. Wir müssen stärker als bisher alles tun, um das geltende Recht auszuschöpfen, um denjenigen, die sich im terroristischen Feld befunden haben, den Rückweg zu erleichtern. Dazu, meine Damen und Herren, gehört auch eine Politik, die es ermöglicht, daß wir Menschen, die auf dem Sprung sind, in denUntergrund zu gehen, vor diesem Schritt zurückhalten und bewahren.
Sicherheit in klaren rechtlichen Grenzen, das ist die Forderung des Rechtsstaates, das ist auch die Voraussetzung für Effektivität. Die Prüfaufträge, die ich nach meinem Amtsantritt im Bereich der in- neren Sicherheit, des Datenschutzes und des Melderechts erteilt habe, dienen der Erreichung dieses Ziels. Sie sollen auch Verunsicherungen der Beamten, die durch eine zu große Fülle von nicht klar gegeneinander abgegrenzten Weisungs- und Sammlungssystemen entstehen konnten, beseitigen. Über die Zwischenergebnisse habe ich dem Innenausschuß berichtet.Meine Damen und Herren, zu den Zukunftsthemen gehört auch der Datenschutz, zu dem Herr Kollege Wendig dankenswerterweise Ausführungen gemacht hat,
ebenso wie 'der allgemeine Schutz des Bürgers vor der Anonymität der Verwaltungen. Es gibt ein Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber der Verwaltung, 'das wir ernst nehmen, ernst nehmen im übrigen gerade auch dann, wenn wir über den sogenannten Radikalenerlaß und die Routineanfrage reden.Zu diesem Ziel gehört auch, das Mißtrauen abzubauen, das gegenüber dem Verfassungsschutz besteht. Das Grundgesetz hat sich klar für einen Verfassungsschutz ausgesprochen, um' Freiheit und Toleranz dadurch zu ermöglichen, daß Bestrebungen, die gegen Freiheit und Toleranz gerichtet sind, beobachtet werden. Bei der Erfüllung dieser für den freiheitlichen Rechtsstaat wichtigen Aufgabe hat der Verfassungsschutz Anspruch auf das Vertrauen von uns allen, auf das Vertrauen der Bürger. Wir brauchen ihn, und wir müssen ihn vor ungerechtfertigten Angriffen schützen, auch — das möchte ich hier mit Klarheit sagen — wenn sie aus dem Umfeld der eigenen Parteien kommen.
Eines aber, Herr Kollege Riedl, hat nicht stattgefunden, hat überhaupt nicht, hat an keiner Stelle stattgefunden: daß wir in den letzten Monaten die Sicherheit in diesem Lande abgebaut hätten, daß wir ein Sicherheitsdefizit hätten einreißen lassen.
Es gibt nach wie vor die Kontrolle an den Grenzen, die Sie hier in Zweifel gezogen haben. Das, was Sie gesagt haben, war falsch. Wir denken nicht daran, die Sicherheit unseres Landes in Frage zu stellen. Wir haben nur nach den Rechtsgrundlagen gefragt.
Herr Kollege Riedl, ich möchte auch mit Nachdruck meinen Amtsvorgänger vor den ungerechtfertigten Angriffen in Schutz nehmen, die Sie im Zusammenhang mit der Verlegung der Abteilung
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10416 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Bundesminister BaumTE und in anderen Punkten gegen ihn gerichtet haben.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu Ihrem unglaublichen Angriff auf die Freiheit von Kunst und Kultur in unserem Lande sagen. Ich stimme nicht mit dem überein, was Herr Herzog und Herr Fassbinder sagen, aber ich bin nicht der Zensor für Kunst, die eine unabhängige Jury zu beurteilen hat.
Im übrigen wird — um auch das noch zu sagen, Herr Kollege Riedl — die Reform des Dienstrechts nicht aufgegeben. Das Dienstrecht wird in all den Punkten, die Sie erwähnt haben, kontinuierlich fortentwickelt. Aber wir wollen keine unerfüllbaren Erwartungen wecken und hegen, und deshalb diese deutlichen Worte von mir auf der Jahrestagung des Deutschen Beamtenbundes.Letztlich ist der Verzicht auf die Routineanfrage als ein bürokratisches Überbleibsel des sogenannten Radikalenerlasses auch ein Schritt, um den Verfassungsschutz aus der Zone ungerechtfertigten Mißtrauens, in die er seit 1972 zunehmend hineingekommen ist,
herauszuholen.Meine Damen und Herren, die neuen Grundsätze der Bundesregierung zur Prüfung der Verfassungstreue, die hier so heftige Erregung auslösen, sind ein Stück Politik der Zukunftsorientierung für mehr Vertrauen in die Liberalität dieses Staates.
Die Bundesregierung bejaht uneingeschränkt das verfassungsrechtliche Gebot der Verfassungstreue von Beamten. Sie will — ich sage das mit Nachdruck, und sie hat nie einen Zweifel daran gelassen, ebensowenig wie die Fraktionen in diesem Hause, die sie tragen — keine Extremisten im Staatsdienst.
An dieser Zielvorstellung hat sie keinen Zweifel gelassen, und der Deutsche Beamtenbund — doch gewiß ein unverdächtiger Beurteiler der Szene — hat dies in seiner jüngsten Stellungnahme zustimmend hervorgehoben. Die neuen Regelungen haben nicht zum Ziel, aber auch nicht zur Folge, daß Extremisten der Weg in den Staatsdienst geöffnet wird.
Wir sind der Meinung, daß wir die kämpferische Auseinandersetzung mit allen brauchen, die unsere Freiheit bedrohen und gefährden. Wir stellen in jedem Verfassungsschutzbericht, Herr Kollege Spranger, ungeschminkt die Bestrebungen dar, die gegen unsere Verfassung gerichtet sind. Wir -sind nicht einäugig wie manche in Ihren Reihen.
Auch und gerade das Bundesverfassungsgericht hat vor einer Entwicklung gewarnt, die uns gleichgültige, unkritische und unmündige Bürger beschert. Es hat wörtlich ausgeführt:An einer unkritischen Beamtenschaft können Staat und Gesellschaft kein Interesse haben.Meine Damen und Herren, wir haben kein Interesse an einer unkritischen Beamtenschaft. Anpassung und Desinteresse, meine Damen und Herren von der Opposition, waren aber im Verlauf unserer jüngsten Geschichte wesentliche Ursachen für das Unheil, nicht die Rebellion, sondern die Anpassung und das Hinnehmen, das Desinteresse und die Resignation.
Dies ist die Kernfrage: Kann es bei einem Verfahren bleiben, das unsere demokratische Substanz eher geschwächt als gestärkt hat?Was hat sich seit 1972 geändert?, hat Herr Kohl hier gestern gefragt. Meine Antwort: Das Bundesverfassungsgericht hat 1975 einen Beschluß gefaßt. Dieser Beschluß hat den Ministerpräsidentenbeschluß von 1972 im wesentlichen erledigt, indem er allen Regelvermutungen und Automatismen zugunsten strikter Einzelfallprüfung eine Absage erteilt hat. Wer diesen Automatismen nachtrauert, Herr Schräder, und sie weiterhin praktiziert — wie einige CDU/CSU-geführte Landesregierungen —, der mißachtet das höchste deutsche Gericht, nicht wir, meine Damen und Herren.
So wird der Beschluß des höchsten deutschen Gerichts mißachtet.
Nicht derjenige, der die konsequente Einzelfallprüfung unter strikter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit fordert, gefährdet diese Demokratie oder verletzt diese Verfassung, sondern der andere. Meine Damen und Herren, in diesen CDU/ CSU-geführten Ländern — es sind nicht alle — sitzen die erschlafften Demokraten, von denen Herr Barzel gesprochen hat, nicht auf der Regierungsbank.
Niemand anders als das Bundesverfassungsgericht hat die Feststellung für notwendig gehalten, daß Ermittlungen der Staatsschutzbehörden nicht anhängig sind, die die Ausbildungs- oder Studienzeit eines Menschen betreffen, die die politische Atmosphäre vergiften, die die Betroffenen in ihrem Vertrauen in die Demokratie irritieren, die den frei-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10417
Bundesminister Baumheitlichen Staat diskreditieren und damit außer Verhältnis zum Erfolg stehen. Niemand anders als das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß die von den Staatsschutzbehörden vorgenommenen Ermittlungen und die Speicherung der Ergebnisse für Zwecke der Einstellungsbehörden schwerlich mit dem Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu vereinbaren sind. Herr Kollege Dregger, das Bundesverfassungsgericht hat dies festgestellt.Niemand anders als der Präsident des Bundesverfassungsgerichtssenats, der den grundlegenden Beschluß von 1975 gefaßt hat, hat im Oktober 1978 — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten — öffentlich festgestellt:Wenn bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst unterschiedslos und automatisch Akten oder Erkenntnisse des Verfassungsschutzes angefordert werden, so ist das dasselbe, wie wenn dort Aufzeichnungen für Zwecke der Einstellungsbehörden gespeichert und ihnen systematisch zugetragen werden, was das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich erklärt hat.Herr Kriele, der hier so oft zitiert wird, meine Damen und Herren, ist lesenswert.
Sie sollten ihn wirklich ganz lesen, bevor Sie ihn hier in die Debatte hineinziehen. — Immerhin, Herr Kollege Haase, hat Herr Kohl ihn hier zitiert. Ich hoffe, daß er nicht die Löwenthal-Sendung gesehen, sondern sich die Zeit genommen hat, Herrn Kriele auch zu lesen.
Herr Kriele begründet, warum der Verzicht auf die Routineanfrage bis 1972, also vor dem Ministerpräsidentenbeschluß, verfassungsmäßig war, danach aber nicht mehr, obwohl sich weder die Verfassung noch das Beamtenrecht geändert haben. Er schreibt — ich zitiere —:Erstens hatte der Verzicht auf die Anfrage weder den Zweck noch die Wirkung, die Einstellung von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst zu ermöglichen.Ich wiederhole: Der Verzicht auf die Anfrage hatte also weder den Zweck noch die Wirkung, die Einstellung von Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst zu ermöglichen. Das sagt er für die Praxis, die bis 1972 gegolten hat. Das ist schon einmal etwas wert; denn dies heißt, daß es auch nach Ansicht von Herrn Kriele ohne Routineanfrage durchaus geht.Nun macht er allerdings eine Einschränkung.
Er schreibt, daß die Zahl der Extremisten damals erheblich kleiner gewesen sei. Angesichts der jetzigen höheren Zahlen sei der Verzicht auf die Routineanfrage jetzt verfassungswidrig. Ich frage mich, wie er zu diesem Ergebnis kommt. Die Stimmanteile extremistischer Parteien, wie DKP und NPD, liegen heute bei je 0,4 %, sie waren 1965 für die NPD mehr als viermal so hoch und für den Linksbereich mehr als dreimal so hoch.
Diese Zahlen sprechen für sich. Weder Bundeskanzler Erhard noch irgendeine Landesregierung haben trotz dieser größeren Zahl von Extremisten damals die Routineanfrage für notwendig gehalten. Der Bundeskanzler hat hierauf gestern schon hingewiesen.Herr Kollege Barzel und Herr Riedl haben heute auf eine Schlagzeile in der „Süddeutschen Zeitung" hingewiesen. Herr Riedl, Sie hätten vollkommen recht, wenn diese Überschrift dem Inhalt des Artikels entspräche. Dies tut sie aber gar nicht, und der Autor des Berichts hat dies auch erklärt. Aber Sie haben nur die Schlagzeile gelesen. Sie haben den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nicht gelesen, nach dem sich die Prüfung der Verfassungstreue nach der Rechtsprechung nicht auf die Feststellung einer DKP-Mitgliedschaft beschränken darf. Dies geht nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nicht. Das sagt nicht einmal Ihre eigene Partei,
die wenigstens von dem Bedürfnis, vom Anerkenntnis der Einzelfallprüfung ausgeht.
Lesen Sie bitte die Ausführungen des Verfassungsgerichts nach, wonach der Schwerpunkt für die Gewinnung des Urteils über die Verfassungstreue eines Bewerbers im Vorbereitungsdienst und in der Probezeit liegen soll, wo sich die Verwaltung ein unmittelbares Bild von einem Bewerber machen kann und wo sich auch sonst die Eignung eines Bewerbers erweist. Wenn Ihnen das nicht paßt, meine Damen und Herren von der Opposition, dann sagen Sie offen, daß Ihnen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkte nicht paßt; denn das Bundesverfassungsgericht geht von dieser Feststellung aus. Aber schelten Sie nicht die Bundesregierung, daß sie sich strikt an den Spruch des Bundesverfassungsgerichts hält!
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl?
Ich möchte diese Passage jetzt ungestört zu Ende führen.
Sie stellen die Frage also zurück.
Wer Anlaß zu Mißtrauen gibt, gibt Anlaß zu weiterer Nachprü-
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10418 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Bundesminister Baumfung auch beim Verfassungsschutz. Wer aber keinen Anlaß zu Mißtrauen gibt, meine Damen und Herren von der Opposition — das sind über 99 Prozent aller Bewerber —,
wird nicht Gegenstand einer Anfrage beim Verfassungsschutz. Ob das liberal ist oder nicht liberal ist, können Sie beurteilen, wie Sie wollen, für mich ist es liberal und selbstverständlich.
Die neuen Grundsätze der Bundesregierung führen also nicht zur Willkür. Es ist nicht Willkür, wenn die Einstellungsbehörde im Vorbereitungsdienst und in der Probezeit die Überzeugung von der Verfassungstreue eines Bewerbers gewinnt und deshalb auf Anfragen beim Verfassungsschutz verzichtet, daß sie nur dann anfragt, wenn sie diese Überzeugung nicht gewonnen hat und tatsächliche Anhaltspunkte eine weitere Nachprüfung erfordern. Der Gleichheitssatz, den Herr Dr. Barzel hier in die Diskussion eingeführt hat, bedeutet, daß Gleiches gleich behandelt, aber auch, daß Ungleiches ungleich behandelt wird,
und dies war bis 1972 selbstverständlich.„Der Mensch als Hoheitsträger" war einmal der Titel eines bemerkenswerten Aufsatzes des Dr. jur. Rainer Candidus Barzel, eines Aufsatzes, der viele junge Studenten beeindruckt hat. Diesem Autor stünde es gut an, zu würdigen, daß eine solche Haltung einem Grundgesetz entspricht, das die Würde und die Freiheit des einzelnen an die Spitze stellt. Ich räume Ihnen ja gerne ein, meine Damen und Herren, daß es Irrtümer geben wird bei diesem Verfahren, das den Personalreferenten wieder den Spielraum gibt, den sie bis 1972 gehabt haben; das den Personalreferenten aber auch kein bürokratisches Vorschriftenkorsett gibt.
Herr Bundesminister, möchten Sie noch eine Zwischenfrage gestatten?
Herr Präsident, ich wollte diesen Gedanken jetzt zu Ende führen.
— Sie können diese Frage am Ende gerne stellen.
Glauben Sie wirklich, meine Damen und Herren von der Opposition, daß der Verfassungsschutz einen Bürger besser kennt als ein verantwortlicherPersonalreferent oder Ausbildungsleiter, der ihn jahrelang kennt und der auch sonst dafür verantwortlich ist, zu entscheiden, ob der Bewerber die Eignung für den öffentlichen Dienst hat? Woher kommen denn die Extremisten im Staatsdienst, die trotz der Routineanfrage offiziell in den jährlichen Verfassungsschutzberichten ausgewiesen werden?„Der Mensch als Hoheitsträger" möchte ich Herrn Dr. Barzel entgegenhalten, das ist doch ein Menschenbild des Grundgesetzes, dem es entspricht, auf jegliche Automatik und jegliche Routine zu verzichten, wenn sich Menschen ein Bild von anderen Menschen mit weitreichenden Folgen für deren Lebensweg machen müssen.Von Herrn Kriele stammt auch das Argument — Herr Kohl hat es gestern aufgegriffen —, der Staat dürfe sich nicht künstlich dumm halten. Wer so redet, meine Damen und Herren, offenbart nur, daß er ein grundverschiedenes Staatsverständnis hat. Der Grundsatz der Einheit der Staatsverwaltung begründet eben keine Pflicht, Herr Kollege Kohl, zum routinemäßigen Datenaustausch zwischen Verfassungsschutz und Einstellungsbehörden.
Dies widerspräche auch dem im Grundgesetz zum Ausdruck gelangten liberalen Staatsverständnis von den Grenzen der Wirksamkeit des Staates, Herr Kollege Kohl.
Mit diesem Prinzip ist es nicht vereinbar — ich sage das mit allem Nachdruck —, ohne weiteres die bei den verschiedenen staatlichen Stellen vorhandenen personenbezogenen Daten zu einem umfassenden Persönlichkeitsbild des Bürgers zusammenzuführen. Herr Kollege Kohl, das wäre in der Tat „1984", und wir sollen „1984" nicht. Deshalb betreiben wir einen wirksamen Datenschutz, und deshalb beschränken wir auch den Datenaustausch zwischen den Behörden.
Das gilt insbesondere, möchte in hinzufügen, für Daten, die mit Hilfe nachrichtendienstlicher Mittel gewonnen worden sind.
— Nein, ich gestehe Ihnen zu, Herr Kohl, daß Sie es nicht wollen, aber Sie können es mit Ihrer Politik durchaus herbeiführen.
—Nein, Herr Kriele hat nur ein einziges Argument,daß nämlich der verfassungswidrig handelt, der das
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Bundesminister BaumZiel hat, Extremisten den Weg in den Staatsdienst zu öffnen, und da hat er auch recht. Daß wir die Öffnung des Staatsdienstes für Extremisten wollen, hat er uns zunächst unterstellt, aber er hat es später nicht mehr aufrechterhalten.Sagen Sie uns doch klipp und klar, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ob Sie anerkennen wollen, daß es in dieser Sache eine Gemeinsamkeit in der Überzeugung gibt, daß Extremisten nicht in den Staatsdienst gehören! Dann könnten wir hier sachlich diskutieren, Herr Kollege Kohl, welches Verfahren das zweckmäßigste ist. Aber, bitte, unterstellen Sie uns nicht, daß wir Extremisten im Staatsdienst haben wollen, Herr Kollege Kohl!
Der Bundespräsident hat in einer bemerkenswerten Rede alle Parteien dieses Landes aufgefordert, die gegenseitigen Unterstellungen auf diesem Felde so rasch wie möglich abzustellen.
Herr Kollege Barzel und Herr Kohl haben gestern etwas zum Verhältnis der Regierungsmitglieder zu ihren Parteien, Parteitagen und Parteitagsbeschlüssen gesagt. Sie haben den Vorwurf gemacht, die Bundesregierung sei von den Parteitagen getrieben worden. Diese Ausführungen, meine Damen und Herren, sind mir völlig unverständlich.
Die Bundesregierung hat mit der Neufassung der Grundsätze die Ankündigung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung 1976 verwirklicht. Lesen Sie die bitte genau nach! Der Bundeskanzler hat den Weg vorgezeichnet, den wir jetzt mit der Neufassung der Grundsätze verwirklichen. Das ist nichts Neues, das ist nur die konsequente Zuendeführung eines Gedankens.
Genau das ist jetzt also geschehen unter aktiver Mitwirkung der Regierungsmitglieder, des Bundeskanzlers, des Vizekanzlers auf den Parteitagen, ganz zu schweigen von der Rolle, die der Beschluß des Bundeskabinetts vom 8. November 1978 gespielt hat, mit dem die Bundesregierung den rechtlichen Handlungsspielraum abgesteckt und dann zusammen mit den sie tragenden Parteien einen Konsens herbeigeführt hat.
Warum — frage ich mich —, Herr Kollege Kohl, wird von Ihnen gebetsmühlenartig von der Abkehrvon einer gemeinsamen Haltung gegenüber den Extremisten gesprochen, einer gemeinsamen Haltung, die es — und das ist die eigentliche Tragik — nur bis zum sogenannten Radikalenerlaß im Jahre 1972 gegeben hat, aber nicht mehr danach? Ich bedaure es sehr, daß unser Land jetzt in Gebiete mit einer unterschiedlichen Praxis zerfällt.
Ich bedaure das sehr.
Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, Herr Kollege Kohl: Es gibt nicht einmal eine Einheitlichkeit bei den CDU/CSU-regierten Ländern.
Fragen Sie doch einmal Herrn Albrecht, für welche Beamtengruppe er die Routineanfrage praktiziert! Fragen Sie ihn einmal! Es gibt Gruppen, wo er sie eben nicht praktiziert — aus guten Grunde. Fragen Sie, Herr Kollege Kohl, einmal Herrn Rommel und andere Bürgermeister in wichtigen Großstädten Baden-Württembergs, ob sie die Routineanfrage praktizieren! Sie tun es aus guten Gründen nicht. Und fragen Sie selbst Herrn Zimmermann oder Herrn Spranger, was bis jetzt in Bayern geschehen ist! Herr Spranger, in Bayern gab es keine Routineanfrage. Die haben Sie jetzt erst im Zuge dieser Diskussion eingeführt. Bei' Ihnen waren bis vor kurzem ganze Beamtenkategorien von der Routineanfrage ausgenommen. Es gab also gar keine Einheitlichkeit.
— Die Wahrheit tut weh, Herr Kollege Wittmann. Das verstehe ich. Aber es gab in Bayern keine Routineanfrage.
Ich sage mit Nachdruck, — —
Herr Bundesminister, einen Augenblick.Meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich bitten, daß die Zwischenrufe, die durchaus parlamentarisch sind
— oder sein können —,
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Vizepräsident Stücklenwenigstens so hintereinander erfolgen, daß der Redner eventuell darauf eingehen kann.
Auf der anderen Seite empfehle ich natürlich sehr, daß der Redner entweder Zwischenfragen zuläßt oder nein sagt — das ist sein gutes Recht —, damit keine Unsicherheit entsteht und die Zwischenfragen nicht durch Zwischenrufe ersetzt werden. Das ist meine Bitte.Herr Minister, fahren Sie bitte fort.
Herr Präsident, ich glaubte, die Unsicherheit dadurch ausgeräumt zu haben, daß ich Ihrem Vorgänger in der Präsidentschaft eine Erklärung zu Zwischenfragen gegeben habe.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß; Sie können sich beruhigen und die Emotionen jetzt zurückstellen.
— Herr Kollege Riedl, bitte; jetzt kommt die Zwischenfrage, die ich Herrn Kollegen Riedl vorhin zugestanden hatte.
Herr Dr. Riedl.
Herr Bundesminister, vielen Dank, daß Sie mir die Möglichkeit zu der Zwischenfrage geben.
Wie bringen Sie die Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung", die Sie angesprochen haben und die offensichtlich nicht Ihrer Auffassung entspricht, mit der Tatsache in Einklang, daß im Bereich der Deutschen Bundespost im hessischen Raum vor kurzem ein Kommunist als Briefträger zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden ist und gegen diesen Beamten nichts unternommen wird? Im Bereich der Post ist also doch — zumindest in diesem einen Fall — bereits ein Kommunist zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden, so daß der Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" doch richtig ist.
Herr Kollege Riedl, ich bin nicht in der Lage und auch nicht willens — weil das meinem Verfassungsverständnis widerspricht —, Einzelfälle, die einzelne Bürger — in diesem speziellen Fall in Hessen — betreffen, in diesem Parlament zu behandeln. Die Einzelfallprüfung wird von der zuständigen Behörde und nicht von uns in diesem Hause vorgenommen, Herr Kollege Riedl.
Zu Ihrem Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" möchte ich Ihnen sagen, daß es eben nicht genügt, die Überschrift zu lesen, die in diesem Fall den Inhalt des Artikels nicht wiedergegeben hat, sondern daß Sie sich die Mühe machen müssen, den ganzen Artikel zu lesen.
Ich komme zum Schluß. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, noch auf einen wichtigen Aspekt hingewiesen, der auch in anderer Beziehung Bedeutung hat. Ich bitte Sie, sich einmal die Reaktion des Auslands, die Pressestimmen und Kommentare anzusehen, die nach unserer Entscheidung in voriger Woche erschienen sind. Meine Damen und Herren von der Opposition, lesen Sie bitte nur
die konservative Presse! Sie sind total isoliert. Niemand stimmt mit Ihnen überein.
Damit begeben Sie sich erneut auf ein Gebiet, Herr Kollege Kohl, wo Sie möglicherweise innerstaatlich einigen Zuspruch haben werden, aber nicht bei den Leuten, denen es um die Liberalität dieses Rechtsstaats geht. Sie begeben sich — wie auch auf Gebieten der Außenpolitik — auf dem europäischen Feld in eine Isolierung. Sie werden das auch in dieser Frage spüren, wenn Sie im Europaparlament sitzen.
Es geht nicht um eine Politik der Nachgiebigkeit, von der Sie gesprochen haben, Herr Kollege Kohl,
sondern es geht um eine Politik der strikten Rechtsstaatlichkeit und damit um eine Politik der Vertrauenswerbung für diese Demokratie.
Wir wollen keine Extremisten im Staatsdienst. Wir wollen dies aber mit strikt rechtsstaatlichen Mitteln erreichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler angekündigt, die Überprüfungspraxis in diesem Lande liberaler und demokratischer auszufüllen.
Diese Vorschläge liegen dem Hause vor. Sie werden nicht nur von den beiden Koalitionsfraktionen getragen, sondern auch von den beiden großen demokratischen Parteien SPD und FDP. Das ist eine
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LiedtkeLeistung einer eindrucksvollen Geschlossenheit, die sich wohltuend von Ihnen anhebt.
Ihnen, Herr Dregger, darf ich als erste Antwort geben: Der Bundeskanzler ministriert nicht, sondern er regiert.
— Das geht schon ein bißchen in den Bereich der katholischen Kirche hinein. Klingt auch recht gut.Ich möchte zu einer zweiten Antwort auf Sie, Herr Dregger, Ihren Parteifreund Kohl benutzen. Ich zitiere ihn aus dem Protokoll über die gestrige Sitzung. Wörtlich:Der Bundeskanzler müßte einmal aufstehen und sagen, daß diese erbärmliche Schnüffelei im Leben der einzelnen hier immer unerträglicher wird. Ich habe diese letzten Monate wirklich mit wachem Bewußtsein erlebt. Ich habe erlebt, was hier vonstatten ging, wie diese erbärmliche Schnüffelei in der Vorgeschichte,
— ich zitiere Herrn Kohl wörtlich aus dem Plenarprotokoll; den werden Sie sich doch wohl noch anhören können! —in der Jugendzeit einzelner Politiker, in diesem Falle aus der Union, stattfand.Redliche Worte, die ich unterstreiche.Blättern Sie das Protokoll ein paar Seiten weiter und lesen Sie nach, was Herr Dreggger auch heute hier verkündet hat: daß jeder junge Bewerber — das sind alles junge Leute — für den öffentlichen Dienst, der keine oder kaum eine Vergangenheit mitbringt, aber Anspruch auf viel Zukunft hat, routinemäßig mit der Regelanfrage in den Geheimfächern des Verfassungsschutzes überprüft werden soll.
— Herr Miltner, machen Sie nicht noch Zwischenrufe! Ich rege mich schon genug auf, wenn ich so etwas hier vorlese. Hier wird mit gespaltener Zunge ein gespaltenes Demokratieverständnis im Deutschen Bundestag — jetzt bleibe ich in der Ecke von vorhin: — zelebriert, möchte ich da schon sagen.
Herr Dregger und auch Herr Kohl haben das Argument ausgebreitet, das ja wohl von Herrn Kriele zuerst aufgeschrieben wurde, der Staat dürfe sichnicht künstlich dumm halten und müsse auf dem Wege der Amtshilfe das in seinem Bereich vorhandene Wissen nutzen. Das ist eine schlimme Auffassung, muß ich Ihnen sagen. Sie klingt zwar auf den ersten Blick plausibel. Aber Herr Baum hat nicht übertrieben. Da wird sehr schnell Orwells „1984" an die Wand gemalt, wenn man sich einen Staat vorstellte, der in einem Zentralcomputer das gesamte. Wissen seiner Bürger vereinigen dürfte.
— Wenn ich diesen Gedanken fertig habe, ja? Vielleicht erübrigt sie sich dann.Wir haben heute Gesetze in nicht zu kleiner Zahl, die bestimmte Daten und Informationen, die sich der Staat für seine staatlichen Aufgaben beschaffen darf, an den jeweiligen Zweck binden. Ich darf daran erinnern, daß wir in dem Bereich Steuergeheimnis, Sozialgeheimnis, Telefongeheimnis usw. ganze Datenbänke haben, die auch innerhalb des Staates nicht weitergegeben werden dürfen. Im Bundeszentralregistergesetz sind Fristen gesetzt, nach denen das vorhandene Wissen, wenn die Frist abgelaufen ist, nicht mehr verfügbar gemacht werden darf. Das wissen Sie alles genausogut wie ich, daß Kenntnis- und Verwertungsverbote Gott sei Dank in großer Zahl vorhanden sind. Dahin zielt ja letztlich auch das Datenschutzgesetz, daß wir das Gesamtwissen des Staates detailliert auseinanderhalten und die Gewaltenteilung in unserem Lande auch im Bereich der Information und der Daten Wirklichkeit bleiben lassen. — Bitte schön, wenn es hier hineinpaßt.
Herr Kollege Liedtke, ist Ihnen bekannt, daß das Wort vom künstlichen Dummhalten des Staates von dem Verfassungsrechtler Kriele geprägt wurde, der Ihrer Partei angehört und der sich mit der jetzt von der Bundesregierung geübten und vorgesehenen Praxis eben nicht einverstanden erklärt hat?
Darauf will ich mit einer Gegenfrage antworten: Ist Ihnen bekannt, daß ich das vorhin so gesagt habe, daß es von Herrn Kriele kommt?
Ich hatte gesagt: Nicht so schnell aus der Hüfte mit den Fragen!Jetzt bitte ich, daß Sie wirklich mal einen Augenblick zuhören. Das ist keine Polemik, nichts drin. Es ist ein grundsätzlicher Standpunkt von uns. Das Bundesverfassungsgericht hat über die Klage eines Beamten, der, in ein Disziplinarverfahren genommen, davon erfuhr, daß die Behörde von dem zuständigen Landgericht seine Scheidungsakten angefordert hatte, folgende Stellungnahme bezogen:Mit der Aufforderung und Herausgabe der Ehescheidungsakte ist gegen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und gegen das Recht des Schutzes des privaten Lebensbereichs verstoßen worden.
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LiedtkeDas war Satz eins. Das Bundesverfassungsgericht führt dann deutlich aus, daß sich staatliche Stellen nicht einfach Informationen von anderen staatlichen Stellen beschaffen dürfen.
— Auch sehr gut, Herr Dregger. Vielleicht sind wir am Ende näher beieinander, wenn Sie dann noch einiges zurücknehmen. — Vielmehr — jetzt kommt es -- sei hier eine Abwägung zwischen dem Recht des einzelnen auf Schutz seiner Individualsphäre und dem berechtigten Interesse des Staates an Aufklärung des Sachverhaltes vorzunehmen. Voraussetzung einer solchen Abwägung ist dabei, daß bereits konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers zur Aufklärung verhilft. Hier haben Sie ganz exakt den Standpunkt der Koalition und der Regierung. Wenn konkretes Handeln vorliegt, soll auch nach unserer Meinung beim Verfassungsschutz angefragt werden. Das können Sie wörtlich übertragen auf diese Situation.
— Das ist allgemein. Der Sachverhalt des Urteils war der Ausgangspunkt. Allgemein heißt es: Erst wenn konkrete Tatsachen vorliegen, dann darf .. .
— Ich möchte hin und wieder auch mal reden, Herr Miltner. Ich mache bei Ihnen ja auch keine Zwischenrufe als Dauerdiskussionsbeitrag. Ich weiß, wie leidenschaftlich und wie gern Sie diskutieren, aber mir läuft hier die Zeit weg.Nun gebe ich Ihnen als kleinen Einschub mal ein Bild davon, was Sozialdemokraten unter „Kontinuität" verstehen — ein Wort, das der Bundeskanzler gestern hier als Bestandteil seiner Regierungserklärung wieder einmal aufführte. Am 10. Oktober 1950 schreibt die Zeitung „Die Neue Zeit" unter der Überschrift „Schumacher nennt Freiheit und Sozialismus Hauptabwehr gegen Kommunismus" :Zur Bekämpfung kommunistischer Wühlarbeit führte Dr. Schumacher aus, man dürfe nicht den Fehler machen, auf Grund einer formalen Organisationszugehörigkeit eine Gesinnungsschnüffelei zu betreiben. Man darf keine Gesinnung verfolgen, man muß gegen Taten antreten.
Das gleiche hätte Kurt Schumacher auf dem Kölner Parteitag der SPD in gleicher Deutlichkeit, ohne jeden Abstrich, formulieren können. —
Kontinuität einer alten demokratischen Partei.
Lassen Sie mich diese Regel- und Routinegeschichten einmal von einer anderen Seite angehen!Ich spreche jetzt einmal Väter und Mütter an, die erwachsene Kinder haben. Sie werden festgestellt haben, daß bei dem Jugendlichen, der zum Erwachsenen, zum Selbständigwerden heranwächst, eine Phase eintritt, die man als „antiautoritär" bezeichnen kann: Das Spannungsverhältnis zu den Eltern wird spürbarer als in früheren Jahren oder auch danach. Sie haben zwei Kinder, Herr Dregger, ich habe zwei Kinder. Die Eltern sind die nächste Autorität, die bei diesen Heranwachsenden eine gewisse Konformität im Verhalten verlangt; der Staat kommt danach. Sie sollten dem einmal nachgehen.Ich zitiere Ihnen dazu aus vielen Zuschriften einmal eine Zeile von Prof. Eckensberger aus Saarbrücken.Er ist Psychologe. Er schreibt:Interessant ist nun jedoch, daß es einige ernstzunehmende empirische Befunde aus der Forschung gibt, die darauf hinweisen, daß die Entwicklung von normativen Bezugssystemen nicht nur nicht mit ca. 20 Jahren abgeschlossen ist, sondern darüber hinaus nicht beliebig ist, sondern einer bestimmten Logik folgt. Konkret, es zeigt sich, daß es eine notwendige Voraussetzung für das Erreichen reiferer, ausgewogener, ethischer Strukturen ist, daß man vorher ausgeprägte Antiphasen ... durchläuft, .. .Eine Erklärung, die viele Eltern aus eigenem Erleben mit ihren Kindern bestätigen können.Die Berücksichtigung nicht nur der Entwicklungsmöglichkeit, sondern dieser Entwicklungslogik hätte nun erheblich weitergehendere Konsequenzen für die Anwendung des Radikalenerlasses als das bloße Akzeptieren eines „jugendlichen Ausrutschers": Man würde nämlich unter Umständen genau diejenigen aussortieren, die in ihren Grundüberzeugungen gewissermaßen auf dem richtigen Wege sind, diesen aber noch nicht weit genug gegangen sind. Die Beobachtungen, daß es nicht die dümmsten Studenten sind, die an den Hochschulen „extrem links" sind, wird so erklärlich.Ich unterstreiche das, was er geschrieben hat, und sehe durchaus die Gefahr, sobald irgend etwas in Routine ausartet.Etwas, was mir sehr unter die Haut gegangen ist — das sind auch nur wenige Zeilen in dem gleichen Brief —, will ich Ihnen ebenfalls nicht vorenthalten, weil Sie hier so energisch bestreiten, daß es so etwas wie Unbehagen bei den Erwachsenen und ängstliches Verhalten — um Gottes willen nicht die eigenen Berufsaussichten beeinträchtigen! — besonders bei der Hochschuljugend gibt. Der Herr schreibt mir:
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Kehrseite der Medaille, die ich für mich persönlich ernst nehme. Es gibt nicht nur diese Seite der Medaille, aber wer die andere überzieht, macht die Rückseite blind und gefährlich.Meine Damen und Herren, hier wird immer so die Legende aufgebracht und verfestigt, wir von der Koalition wären von den Gemeinsamkeiten abgegangen. Wie war das denn nun wirklich? 1972 sind der Kanzler und die Ministerpräsidenten zusammengekommen und haben festgestellt: Die Praxis der Überprüfung ist in diesem Lande sehr uneinheitlich; wir vereinheitlichen sie. Dann kam es zu dem — das hat schon ein eigenes Wort — Radikalenerlaß oder Ministerpräsidentenerlaß bereits im Herbst 1973, nach gut einem Jahr, fand wiederum eine Zusammenkunft zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten statt. Dort stellte man fest: Die Vereinheitlichung, die wir uns vorgestellt haben, funktioniert nicht: das beste Mittel zur Vereinheitlichung ist ein Gesetz; machen wir ein Gesetz.
— Das ging sehr durcheinander.
— Ich weiß es nicht, helfen Sie mir.
— Muß ja ein A-Land gewesen sein. Das spielt aber keine Rolle. Das war, wie mir geschildert worden ist, in der ganzen Bundesrepublik uneinheitlich.Es gab also die neue Übereinkunft: Wir machen ein Gesetz. Die Bundesregierung hat dann einen Gesetzentwurf eingebracht, der Bundestag hat ihn beschlossen, und die Opposition hat ihn dann im Bundesrat abgelehnt. Dieser Gesetzentwurf wurde also nie Gesetz. Ich schließe hier meine Schilderung.Aber daraus die einseitige Folgerung zu ziehen, die Bundesregierung und die A-Länder seien aus der Gemeinsamkeit ausgetreten, setzt mir eine zu abenteuerliche Logik voraus.
Für Sie ist nun ganz wichtig, daß die formale Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei d a s Merkmal ist. Herr Kohl hat in seinem Halbjahresbericht dann noch hinten angefügt, ob wir die Lehren der Weimarer Zeit vergessen hätten, und sie gewissermaßen historisch-visionär heraufbeschworen.Ich stimme Herrn Dregger zu, der die These vertreten hat, die Weimarer Republik sei zwischen NSDAP und KPD zerrieben worden, die sich an Brutalität, Radikalität und Verfassungsfeindlichkeit in nichts nachstanden. Das klassifiziere ich also nicht als falsch, aber es erscheint mir zu vereinfacht und damit historisch nicht richtig in der Wiedergabe. Man kann jetzt nicht im rückwärtigen nachdiskutieren, was in der Weimarer Zeit geschehen wäre, wenn etwas so oder so gewesen wäre.Aber müßte nicht ein weiterer Punkt mit hinein, nämlich der, daß dieses Gewicht, das die links- und rechtsextremistischen Kräfte in der Weimarer Zeit bekommen konnten, nicht zuletzt auch dadurch entstehen konnte, daß zu wenig engagierte — dazu gehört auch: kritische — Demokraten in der Mitte standen und sie von dem Angriff auf die Verfassung und den Staat wegdrückten?
Daß dieses Defizit an zu wenig Engagierten sehr wohl auch in der Verwaltung des Staates in der Weimarer Zeit vorhanden war, daß Richter und andere Verwaltungsbeamte nicht nur Ebert, sondern der ganzen Weimarer Republik außerordentlich kritisch gegenüberstanden, ist eine Binsenwahrheit. Lehren aus Weimar ziehen heißt also auch, aufzupassen, daß es immer genügend engagierte, kritische Demokraten — besonders bei der Jugend — in diesem Lande geben wird. Sonst kann diese Zangenbewegung, die Sie hinsichtlich Weimar geschildert haben, sehr wohl wieder eintreten.Eine weitere Lehre aus dieser Zeit — ich mache es einmal ganz persönlich —: Als ich 1945 in den Schuldienst kam, war ich in meinem Kollegium der Jüngste. Um mich herum waren ältere Kollegen; ich sage dazu: prima Kerle. Aber: Alle waren — wie es damals ein Lehrer, um zu überleben, gewesen sein mußte — ehemalige Mitglieder der NSDAP über mehr als ein Jahrzehnt. Wenn die formale Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei in der Form, wie Sie es heute definieren, auf die Nichtverwendbarkeit eines Bewerbers damals zwingend durchgeschlagen hätte, dann hätten wir 1945 nicht einen einzigen vorhandenen Beamten übernehmen dürfen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte den Gedanken eben zu Ende führen. — Wir haben diesen Staat mit aufgebaut. Die meisten sind gute Demokraten geworden, einige haben nichts dazu gelernt — wie es das überall so gibt.
Herr Abgeordneter, gestatten sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Liedtke, sind Sie nicht doch der Meinung, daß ein Unterschied zwischen dem Beitritt in eine totalitäre Partei in einem diktatorischen Staat und dem freiwilligen Beitritt in eine radikale Partei in einem demokratischen Staat besteht?
Ich billige Ihnen zu, daß es da einen graduellen Unterschied gibt. Sie billigen mir zu — ich schilderte das Erlebnis mit erwachsenen, älteren Menschen —, daß es einen Unterschied zwischen jungen und älteren, reiferen Menschen gibt, damit wir hier kein Einweg-Verfahren haben. Im übrigen: Wir sprechen bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst von jungen Menschen, die am Anfang ihres Lebens stehen.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch ein letztes Wort zu dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Wirklichkeit sagen — das hat die Regierung in Punkt 1 ja auch herausgestellt —, durch das jedes ehrliche Verfahren auch gekennzeichnet sein muß. Die Bundesregierung hat uns berichtet, daß in eineinhalb Jahren — nach Abfrage bei den Ländern —, und zwar vom 1. Januar 1973 bis zum 30. Juni 1975 — aus dieser Zeit haben wir die Zahlen —, 455 000 Anfragen zu verzeichnen waren. Rückläufe: 1,2 %; Nichteinstellungen davon: 0,007 %, Siebentausendstel Prozent, meine Damen und Herren. Dafür handeln wir uns aber das Negativum ein — Herr Baum hat es vorhin schon angedeutet —, daß der Verfassungsschutz, dessen wichtige und notwendige Aufgabe es ist, Spionageabwehr zu betreiben — ich erinnere daran, daß das gerade jetzt wieder in den Zeitungen behandelt wird —, Gefahren und Tendenzen zu beobachten, die diesem Staat Schaden zufügen könnten, und der sehr intensiv daran zu arbeiten hat, in der öffentlichen Meinung denaturiert wird. Qualitätsmerkmale von Menschen werden nicht gesammelt: die rutschen da nur zufällig mit hinein.
Ich habe meinem Freund Hans Koschnick einmal gesagt: Du hast doch so ein kleines, überschaubares Land. Ihr wißt ungefähr, wieviel Kommunisten, wieviel NPD-Mitglieder ihr habt. Stellt einmal in eurem Computer fest, wieviel Menschen — denn die werden ja nicht bewußt und gezielt beobachtet — da so drin sind. Seine Antwort: „Knapp 5 %." Das heißt, jede Anfrage, ob jemand zu irgendeiner jener Parteien gehört, ist ein Zufallstreffer, wie im Lotto. Da habe ich auch noch nicht gewonnen. Es heißt, das sei gerechter und Gleichbehandlung für alle. Das ist es aber genau nicht. Hirsch von NRW hat mir gesagt: „Wir haben vielleicht 6 % der Mitglieder dieser Organisationen und Parteien im Computer." Das ist die Wirklichkeit. Dafür aber den Verfassungsschutz in den Augen vieler in unserem Lande zu denaturieren, als sammle er Qualitätsmerkmale von Menschen, besonders von jungen Menschen, ist natürlich schlimm.
Ein Weiteres ist auch schlimm: In den Verfassungsschutzämtern sitzen auch Menschen, und die
könnten auf folgende Idee kommen. Wenn da dauernd Anfragen kommen und sie immer nein sagen müssen, mißfällt ihnen das auf die Dauer. Sie möchten auch mal antworten können, und dann fangen sie plötzlich zu sammeln an, denn daß über Jahre und Jahre immer nur nein gesagt wird, habe ich bisher eigentlich nur bei der Opposition festgestellt.
— Das schmeckt Ihnen nicht.
— Doch. Das schmeckt Ihnen nicht. Wir haben ja noch einige Tage zu reden. Da können Sie einmal etwas nach vorne Weisendes hier ins Mikrophon und damit übersetzt in den Saal bringen.
Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Wir haben rund 4 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Das Verfassungsschutzamt registriert nach seinem Bericht rund 2 500, die karteimäßig in einer links- oder rechtsextremen Partei oder Organisation angesiedelt sind. Das ergibt als Prozentsatz eine Zahl weit hinter dem Komma, nicht vor dem Komma. Seit 1966 sind Sozialdemokraten in der Regierung, seit 1969 sind Sie in der Opposition. Greifen Sie sich einen Verfassungsschutzbericht aus Ihrer Zeit, und Sie werden sehen: Da ist nichts besser, da ist nichts schlechter. Der öffentliche Dienst war zu Ihrer Zeit und ist zu unserer Zeit gleich gesund. Es gibt auch nicht andeutungsweise die Notwendigkeit, hier heraufzubeschwören, das könne ab morgen alles anders werden. Ich glaube, das mußte man dem öffentlichen Dienst auch noch einmal sagen, weil es ihm gut zu Gesicht steht und weil es die Wahrheit ist.
Wir werden auch in Zukunft keinen Gegner dieser Verfassung in den öffentlichen Dienst hineinlassen, aber wir werden das Verfahren der Würde des Menschen gemäßer und der Demokratie besser zu Gesicht stehend durchführen und damit einen Grauschleier, der sich über dieses Land gelegt hat, wegwischen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die mir begrenzt zustehende Redezeit erlaubt es mir leider nicht, auf den Kollegen Liedtke im einzelnen einzugehen. Ich möchte nur eine Bemerkung machen: Herr Liedtke, Sie sollten einmal die Ausführungen des Prinzen August Wilhelm von Hohenzollern vom Beginn der 30er Jahre nachlesen, Ausführungen, die er zunächst mündlich gemacht und dann schriftlich niedergelegt hat, und zwar Ausführungen über die damals jungen Nationalsozialisten. Sie werden feststellen, daß die Formulierungen von damals in weiten Teilbereichen sogar sprachlich mit dem identisch sind, was Sie heute über Radikale, vor allem
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Gerster
über Linksradikale, sagen. Vielleicht hilft Ihnen dieser Vergleich etwas beim Nachdenken darüber, ob es nicht in der Weimarer Zeit eine Tatsache war, daß wegen der nachlassenden Wachsamkeit der Demokraten zunehmend Feinde der Demokratie, Nationalsozialisten, in den öffentlichen Dienst kamen. Ich behaupte, das Ermächtigungsgesetz Adolf Hitlers konnte ab 1933 nur deshalb funktionieren, weil der Boden durch Nationalsozialisten in den Verwaltungen bereits vorbereitet war.
Weil wir Derartiges heute nicht wollen, sagen wir, wir müssen eine große Wachsamkeit gegenüber den Feinden unserer heutigen Demokratie an den Tag legen.Herr Minister Baum, ich muß schon feststellen, die Rede meines Kollegen Dr. Dregger muß ganz hervorragend gewesen sein.
Offenbar habe nicht nur ich das so empfunden, sondern auch Sie. Offenbar hat diese Rede die Schwachstellen der Regierung und speziell eine Schwachstelle dieser Regierung, nämlich den Bundesinnenminister, sehr betroffen.
Anders, Herr Minister, kann ich Ihre Vorstellung, vor allem zu Beginn Ihrer Ausführungen hier, nicht verstehen. Mein .Kollege Dr. Dregger hat in seinen Ausführungen drei zentrale Fragen angesprochen. Er hat die Sicherung unseres Bevölkerungsstandes, die Bevölkerungsentwicklung angesprochen. Er hat den Schutz der Zivilbevölkerung angesprochen, und er hat die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ih diesem Lande angesprochen. Sie haben auf diese drei zentralen Fragen im wesentlichen nichts anderes zu sagen gehabt, als zu behaupten, Herr Dr. Dregger habe hier Angstparolen verbreitet.
Herr Minister Baum, die Ausführungen von Dr. Dregger betrafen zentrale Existenzfragen unseres Volkes.
Deren Lösung oder das Ausbleiben einer Lösung entscheidet unsere Zukunft. Dies waren keine Angstparolen, ,dies waren Tatsachen, dies war die Wahrheit. Sie, Herr Minister, haben- Angst vor dieser Wahrheit.
Sie haben keinerlei Konzeption zu einer wirklichen Lösung dieser Fragen angeboten. Sie wurschtelten auch in Ihrer Rede hier kopf- und richtungslos weiter. Sie sind offenbar ratlos. Fast könnte man sagen: typisch FDP, außer Posten und Spesen nichts gewesen. Aber ich sage das natürlich nicht, weil ich hier nicht unhöflich werden will.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich zu drei Punkten ganz kurz Stellung nehmen. Wer leugnet, wie es Herr Minister Baum gerade wieder versucht hat, daß Fehlentwicklungen in der Familienpolitik, in der Steuerpolitik, in der Wohnungsbaupolitik u. a. ursächlich für den Rückgang der Geburtenziffern sind, der wird dieses Problem nicht lösen können. Er versündigt sich an den nächsten Generationen bereits in der Zeit um das Jahr 2000, wenn bei. dieser Bevölkerungsentwicklung ein Arbeitnehmer einen Rentner wird finanzieren müssen. Herr Minister, wenn diese Entwicklung so weitergeht, wird spätestens dann das Netz der sozialen Sicherheit gerissen sein.Eine zweite Bemerkung. Zu Ihren Ausführungen zur Radikalenfrage. Herr Bundesminister, Ihre Einlassung macht deutlich, daß Sie — offenbar wie Herr Klose in Hamburg — mehr Sorgen um die Freiheit eines einzelnen Kommunisten empfinden als um die Freihaltung des öffentlichen Dienstes von Feinden der Verfassung. Sie geben damit der verlogenen kommunistischen Propaganda über Berufsverbote nach. Sie weichen zurück — und das sind dieselben Ansätze, die ich soeben zu Beginn darzustellen versuchte —, wie die Demokraten vor 1933 gegenüber der braunen Gefahr zurückgewichen sind. Herr Minister, wer die Freiheit nicht aktiv gegenüber deren Feinden verteidigt, wird mit dieser Freiheit untergehen.
Dritte Bemerkung. Es ist direkt ein Vergnügen, hier zu hören, wie der Minister und die Vertreter der Koalitionsparteien Sorgen über den Datenschutz äußern, wie sie hier einen mangelhaften Datenschutz aufzeigen und damit offenbar ihre Unzufriedenheit mit dem neuen Bundesdatenschutzgesetz zum Ausdruck bringen, das ja erst zweieinhalb Jahre alt ist. Es ist richtig, der Schutz der Privatsphäre des Bürgers muß gerade in unserer modernen Gesellschaft absolute Priorität haben. Nur, meine Damen und Herren von der Koalition, warum funktioniert das Bundesdatenschutzgesetz denn nicht? Weil es mangelhaft und unpraktikabel ist! Wer aber hat dieses Gesetz gemacht, meine Damen und Herren von der Koalition? Doch Sie 1976 gegen die Stimmen der CDU/CSU in diesem Hause!
Wer hat denn vor diesem Gesetz gewarnt? Das sind doch wir gewesen. Wir haben doch gesagt, daß dieses Gesetz so nicht funktionieren kann.Wer hat denn zu diesem Gesetz bessere Alternativen gehabt? Wer, Herr Dr. Wendig, hat denn in diesem Hause z. B. die Einführung eines Schadenersatzanspruchs beantragt? Das waren doch wir! Und wer hat das abgelehnt? Das sind doch Sie gewesen. Da können Sie sich doch heute hier nicht hinstellen und bedauern, daß ein Schadenersatzanspruch in den Datenschutzregelungen bisher nicht enthalten ist.Ich empfehle Ihnen, die Protokolle des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1976 zur Problematik des Bundesdatenschutzgesetzes nachzulesen. Sie werden sehr viel finden, was heute nach wie vor aktuell ist und dringend verwirklicht werden sollte. Aber wir sind es ja gewohnt, daß linke Sozialisten, die in der Regel mehr in die Vergangenheit schauen,
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Gerster
etwas länger brauchen, um die Probleme der Zukunft zu erkennen.Lassen Sie mich nun zu dem Thema kommen, das ich mir an sich vorgenommen hatte, zur Frage der zivilen Verteidigung. Herr Dr. Dregger hat hier bereits auf die Notwendigkeit einer Verbindung von militärischer und ziviler Verteidigung hingewiesen. Er hat vor allen Dingen deutlich gemacht, daß ein effektiverer Zivilschutz dringend geboten ist.Die zivile Verteidigung führte in den letzten Jahren — das müssen wir auch uns selbst vorhalten — auch in diesem Hause ein Schattendasein. Experten wissen, daß sich die Einsatzbereitschaft im zivilen Katastrophenschutz von Jahr zu Jahr verschlechtert hat. Notwendige Investitionen konnten nicht getätigt werden. Ein zunehmender Anteil der Gerätschaften und Fahrzeuge veraltete und stand, wie Sie selbst wissen, teilweise nur auf dem Papier. Dies ist die Lage. Heute ähnelt die zivile Verteidigung einer Ruine ohne Dach, stehend auf morschen Pfeilern. Bereits eine leichte Katastrophe könnte dieses Gebäude zum Einsturz bringen.Wir haben nun erfreulicherweise für das Jahr 1979 nach langen Jahren der Stagnation oder — wenn man die jeweiligen Inflationsraten berücksichtigt — sogar des Rückgangs erstmals wieder eine Aufbesserung der Haushaltsmittel um rund 12 % gegenüber dem Ansatz von 1978 und sogar um 18 % gegenüber den vorläufigen Ist-Zahlen von" 1978.
Das ist in der Tat eine positive Entwicklung.
Nur arbeitet die Regierung natürlich auch hier mit doppeltem Boden. Herr Bundesinnenminister, wenn Sie sich draußen damit brüsten, daß Sie 1979 mehr für die Zivilverteidigung tun wollen, fügen Sie doch bitte freundlicherweise hinzu, daß Sie als Bundesinnenminister am allerwenigsten mit dieser Erhöhung zu tun haben. Denn es war doch die Bundesregierung gewesen, die vorgeschlagen hatte, für 1979 eine Kürzung vorzunehmen, und es waren doch die Kollegen des Haushaltsausschusses, denen man nachsagt, daß sie einen besonderen Sparwillen haben und eine aktive Spartätigkeit ausüben, die etwas getan haben, wozu die Regierung nicht in der Lage war:
nämlich eine klare Priorität zu setzen, eine klare Priorität zugunsten dieser Zivilverteidigung und zugunsten dieser notwendigen Zukunftsaufgaben, die uns alle bedrängen. Herr Bundesinnenminister, Sie sind am allerwenigsten berechtigt, sich damit zu brüsten, daß Sie mehr für die Zivilverteidigung getan hätten.Nun muß man in diesem Zusammenhang auch die Frage ansprechen, was denn mit diesen um insgesamt rund 80 Millionen DM erhöhten Haushaltsmitteln getan werden kann. Um es klar vorauszuschicken. Diese Mittelverstärkung wird die Probleme der Zivilverteidigung nicht im geringsten lösen können. Damit können in der Vergangenheit unterbliebene Beschaffungsmaßnahmen nachgeholt werden, und damit kann einer weiteren Schwächung des Zivil- und Katastrophenschutzes, allerdings nur in Teilbereichen, entgegengewirkt werden. Es handelt sich um nicht mehr als eine Notmaßnahme.So stehen — gestatten Sie mir, daß ich einmal auf eine Einzelheit eingehe, um die Situation darzustellen — derzeit für den Zivil- und Katastrophenschutz nach einer Berechnung des Bundesinnenministeriums 12 100 Einsatzfahrzeuge zur Verfügung, und zwar, wie gesagt, für den gesamten Zivil- und Katastrophenschutz, soweit der Bund ihn zu verantworten hat.Meine Damen, meine Herren, ab 1979 müssen nach Angaben des gleichen Innenministeriums von diesen etwas über 12 000 Fahrzeugen rund 8 700, d. h. etwa drei Viertel, ausgesondert werden, weil sie älter als 15 Jahre sind und nicht mehr benutzt werden können. Mit den 75 Millionen DM Mehrbetrag in den Haushaltsansätzen für 1979 können wir gerade rund 650 neue Fahrzeuge und 20 Anhänger beschaffen. Das zeigt, daß es eine kleine Hilfe, eine kleine Erleichterung ist; mehr ist es nicht.Die zweite Erhöhung betrifft die Neuschaffung von Hilfskrankenhäusern. Hier konnten wir die bescheidene Summe von 8,3 Millionen DM — Sie haben richtig gehört: für Hilfskrankenhäuser standen ganze 8,3 Millionen DM bereit; dafür kann man gerade ein paar Krankenzimmer bauen auf 9,8 Millionen DM erhöhen. Das ist eine ganz leichte Aufbesserung, die, wie Sie wissen, auch hier das Problem nicht löst, ebenso wie wir im dritten Bereich für das THW zwar eine leichte Mittelverbesserung aufnehmen konnten, aber auch hier keinesfalls zu einem echten Durchbruch kommen werden.Deswegen, meine Damen, meine Herren von der Koalition, empfehle ich Ihnen — das gilt auch für Sie, Herr Minister Baum, von der Bundesregierung —, den Mund nicht zu voll zu' nehmen. Es sind kleine, notwendige Schritte. Mehr wird in diesem Bereich auch im nächsten Jahr nicht geschehen.Wie hilflos die Bundesregierung im Zivilschutz ist, beweist ein sehr deutliches Beispiel, nämlich die Weiterentwicklung des Schutzraumbaus. Diese Bundesregierung redet seit Jahren davon, es müsse mehr für den Schutzraumbau getan werden. Im Haushaltsausschuß war Bereitschaft, hierfür mehr Mittel bereit zu stellen. Die Antwort der Bundesregierung war, sie habe für 1979 überhaupt keine Pläne, sie könne auch nicht rechtzeitig Baupläne beschaffen,es könne also überhaupt nicht mehr Geld ausgegeben werden.
— Das ist heiße Luft, Herr Kollege Riedl, mehr nicht. Heiße Luft, große Worte, aber nicht einmal interne Vorbereitungen, um dieses Problem zu lösen!Bezüglich der Lebensmittelbevorratung haben wir im Haushaltsausschuß , versucht, zu erfahren, wie lange. die Lebensmittel in einer Katastrophe, in einem Notfall denn für die gesamte Bevölkerung ausreichten. Die Antwort konnte nicht gegeben wer-
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Gerster
den. Es sind uns Tonnen- und Zentnerangaben über irgendwelche Lebensmittel gemacht worden, aber es war keine Antwort auf die Frage möglich, wie lange diese Nahrungsmittel überhaupt reichen werden.Lassen Sie mich hier, meine Damen, meine Herren, an zwei Beispielen die Hauptprobleme der Zivilverteidigung ansprechen.In der zivilen Verteidigung, im Katastrophenschutz, im Zivilschutz arbeiten Bund und Länder wirksam zusammen. Das sieht in der Praxis so aus, daß die Länder und Gemeinden für den friedensmäßigen Katastrophenschutz rund 400 000 Helfer zur Verfügung zu stellen haben, Helfer, die aber auch in einem V-Fall, in einem Kriegsfall eingesetzt werden könnten. Der Bund hat seinerseits 200 000 Helfer zur Verfügung zu stellen, die für den Ernstfall ausgebildet und ausgestattet sind, aber auch bei schweren Katastrophen im Friedensfall eingesetzt werden können.Die wirkliche Relation zwischen Bund und Ländern muß man sich einmal genauer ansehen. Im Jahre 1977 haben Länder und Gemeinden für den zivilen Katastrophenschutz insgesamt 1,8 Milliarden DM ausgegeben. Die Aufwendungen des Bundes erreichen nicht einmal 10 % der Aufwendungen von Ländern und Gemeinden. Länder und Gemeinden sind ihrer Pflicht nachgekommen. Sie haben die 400 000 freiwilligen Helfer aufstellen können. Sie stehen für den friedensmäßigen Katastrophenschutz zur Verfügung. Sie stehen als Hilfskräfte zur Sicherung für einen Ernstfall zur Verfügung.Nicht so ist es beim Bund. Der Bund hat von seiner Sollzahl von 200 000 Helfern überhaupt nur 135 000 erreicht. Das sind 67,5 %. Selbst diese sind nicht einmal angemessen ausgestattet. Meine Damen, meine Herren, diese Lücken gerade bei den Einheiten des Bundes werden sich nicht nur im Verteidigungsfall bemerkbar machen, sie sind bereitsbei Naturkatastrophen in der jüngsten Vergangenheit, also im Frieden, spürbar geworden.Ich frage Sie, Herr Bundesinnenminister: Wie wollen Sie eigentlich Leistungen der Länder fordern, wenn Sie selbst nicht in der Lage sind, Ihre eigenen Pflichtaufgaben zu erfüllen?
Ich frage Sie weiter: Mit welchem guten Gewissen können Sie eigentlich das von Herrn Dr. Dregger bereits angesprochene Defizit im Bereich des Schutzraumbaus ansehen? Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß in der Bundesrepublik Deutschland fast 60 Millionen Menschen leben. Für diese fast 60 Millionen Menschen stehen insgesamt nur 1,818 Millionen Schutzraumplätze zur Verfügung. Das sind Schutzräume für genau 3 % der Bevölkerung. Herr Bundesinnenminister, ist Ihnen bekannt, daß in anderen westlichen Staaten, die nicht in dieser militärstrategisch zentralen Lage liegen, bis zu 80 % der Bevölkerung in Schutzräumen untergebracht werden können. Welche Chancen wurden hier in der Vergangenheit versäumt! Wo wurden die Möglichkeiten beim U-Bahn-Bau, bei öffentlichen Parkhäusern und beiPrivathäusern genutzt? Warum sind diese unwiederbringlichen Chancen vorbeigegangen?
Ich frage Sie, Herr Minister: Sollen Schutzräume eigentlich nur für besonders Privilegierte, etwa für die Bonzen, zur Verfügung stehen, oder ist es dem Zufall überlassen, wer im Ernstfall einen Schutzraumplatz bekommen wird?Dies sind nur zwei Beispiele, die deutlich machen, daß es im Bereich der Zivilverteidigung vieles zu beanstanden gibt, daß wir von einem gigantischen Unternehmen zwar von Zeit zu Zeit von der Bundesregierung hören, daß die Praxis aber ganz anders aussieht.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hierzu noch drei Bemerkungen anschließen. Die Westeuropäische Union hat bereits im Jahre 1962 gefordert, daß das Verhältnis zwischen ziviler und militärischer Verteidigung 1:20 betragen sollte. In dem gleichen Jahr 1962 war die Relation in der Bundesrepublik Deutschland 1:19. In der Zwischenzeit ist diese Relation etwa auf 1:65 angestiegen. Das heißt, im Bereich der militärischen Verteidigung sind die Investitionen, natürlich auf Grund der, Verpflichtungen innerhalb der NATO, fortgeschrieben worden, und im Bereich der zivilen Verteidigung, die innerhalb der NATO nicht vertraglich angebunden ist, sind die entsprechenden Anstrengungen unter die Räder gekommen. Es wird notwendig sein, daß wir auf Dauer eine Konzeption entwickeln, wie die zivile Verteidigung den Entwicklungen im Bereich der militärischen Verteidigung angepaßt werden kann.Es wurde bereits angesprochen, daß hier die Christlich Demokratische Union eine Gesamtkonzeption vorgelegt hat, die unsere Kollegen aus dem Bereich der Innenpolitik unter der Leitung des Kollegen Paul Gerlach sehr sorgfältig erarbeitet haben. Herr Minister, da Sie bisher jegliche Antwort auf diese Konzeption schuldig geblieben sind, fordere ich Sie auf, zu diesen zwölf konkreten Vorstellungen baldmöglichst Stellung zu nehmen, Antwort zu geben und Rede und Antwort zu stehen. Ich hätte erwartet, daß Sie heute die Gelegenheit genutzt hätten, zu diesen Fragen, die Ihnen seit Monaten bekannt sind, und zu diesen Vorstellungen konkret Stellung zu nehmen und nicht darum herumzureden.Die CDU/CSU erwartet glaubwürdige Antworten auf diese zwölf brennenden Fragen. Diese Fragen sind deshalb so brennend — lassen Sie mich das als vorletzten Gedanken äußern —, weil das Problem der zivilen Verteidigung für uns eines der drängendsten Probleme überhaupt ist. Ohne Schutz der Zivilbevölkerung ist bei der geographischen und machtpolitischen Lage der Bundesrepublik Deutschland eine auf Friedenssicherung gerichtete militärische Abschreckung unglaubwürdig. Wie können wir einem Gegner deutlich machen, daß wir bereit und in der Lage sind, unser Land zu verteidigen, und daß sich daher ein Angriff auf dieses Land nicht lohnt, wenn der Gegner weiß, daß unsere Zivilbevölkerung einem Angriff nahezu schutzlos aus-
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Gerster
geliefert wäre? Wie können wir einem Gegner klarmachen, daß wir einem bewaffneten Angriff standhalten würden, wenn er weiß, daß die Versorgung im Lande nicht sichergestellt ist?
Und wie können wir von der Jugend dieses Landes den Willen zur militärischen Verteidigung fordern, wenn sie an der Front damit rechnen müßte, daß ihre liebsten Verwandten im Hinterland dabei draufgingen?Herr Bundesminister, angesichts des derzeitigen Zustandes der Zivilverteidigung frage ich mich: Wie können Sie eigentlich ruhig schlafen? Sie dürften dies eigentlich nicht; denn die zivile Bevölkerung ist heute für einen Ernstfall, den wir alle nicht erhoffen, der aber dennoch kommen kann, nicht ausreichend geschützt.Meine Damen, meine Herren, zivile Verteidigung ist Vorsorge für den Ernstfall und damit eine zentrale Frage für die Existenzsicherung unseres Volkes. Während Länder und Gemeinden ihren Aufgaben im Rahmen des Katastrophenschutzes nachkommen, hat der Bund seine Pflichten im Rahmen der zivilen Verteidigung nicht erfüllt.
— Herr Walther, ich spreche so laut, damit auch Sie es noch verstehen können, gerade Sie, die Sie in diesen Fragen nun einmal schwerhörig sind.Trotz der Erhöhung der Haushaltsmittel in diesem Jahr wird auch in diesem Jahr keine entscheidende Verbesserung eintreten. Die CDU/CSU lehnt daher den Einzelplan 36 und damit die Politik der Bundesregierung und speziell die Politik des Innenministers in diesem Bereich ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Woche ist sehr oft das Wort „Zukunft" von allen Seiten gefallen. Die Zukunft hat etwas mit unserer zukünftigen Umwelt zu tun. Wir erinnern uns an den Sommer des letzten Jahres. Da gab es sehr viel Getöse, möchte ich sagen, und sehr viele Anzeigen für viele Millionen DM, wo verschiedene Parteien präsentierten, wie umweltbewußt sie sind und welch gute Umweltpolitik sie treiben. Einige der Kandidaten z. B. bei den bayerischen Landtagswahlen waren plötzlich noch grüner als grün.
Gegen diese Kampagne, z. B. im „Spiegel", hat erfreulicherweise Horst Stern einige deutliche Worte gesagt.Welchen Stellenwert die Umweltpolitik auch in diesem Parlament wirklich einnimmt, hat die Haushaltsdebatte gezeigt. Nicht einmal der Bundesinnenminister, der in gewissem Sinne der Umweltschutzminister ist, hat viele Sätze auf diese Angelegenheit verwendet, vom Bundeskanzler ganz zu schweigen;vom Oppositionsführer hatte ich es ohnehin nicht erwartet.
Nun zu einigen von den Umweltschutzgesetzen, die diesem Hause vorliegen. Da ist das Lärmschutzgesetz, zu dem .wir früher der Ansicht waren, daß diese Materie besser durch Verordnungen der Bundesregierung geregelt wird. Inzwischen sind nahezu fünf Jahre vergangen. Es kamen keine Verordnungen; aber es kam inzwischen die neue Idee, man solle das doch nicht durch Verordnungen regeln, sondern durch ein neues Gesetz. Dieses neue Gesetz — darüber sind sich sogar viele in diesem Hause einig — ist so miserabel, daß seine Annahme wahrscheinlich gar nicht lohnt.Weiter ist in diesem Zusammenhang durch eine Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes vorgesehen, daß die Technische Anleitung Luft in das Gesetz übergeführt wird, was wir früher auch als falsch erachtet haben. Aber wenn man auch dies umstellt, gewinnt man wieder einige Jahre Zeit. Inzwischen haben Wissenschaftler herausbekommen, daß der Mensch sehr widerstandsfähig ist. Wo die Luft so vergiftet ist, daß Pflanzen und Tiere dahinsiechen und aussterben, da leben die Menschen immer noch. Daraus haben diese Wissenschaftler der Schluß gezogen und der Bundesregierung empfohlen, da die Menschen höher belastbar seien als andere Lebewesen, könne man doch in den Ballungsgebieten noch mehr Ansiedlungen erlauben und die Werte heraufsetzen. Man solle sich daher darauf beschränken, die Natur auf dem Lande dort, wo sie noch in Ordnung sei, zu schützen, damit wenigstens künftige Generationen dort noch etwas davon hätten. Aber selbst diese nun wirklich nicht anspruchsvolle Lösung lehnt der Bundesrat ab. Man muß daraus schließen, daß der Bundesrat offenbar noch stärker von Interessenverbänden beeinflußt wird, als es bei der Bundesregierung ohnehin der Fall ist.Das Umweltchemikaliengesetz wird uns seit Jahren angekündigt. Innerhalb der Regierung wird sogar seit 13 Jahren daran gearbeitet. Seitdem sind schon einige Tausend, wenn nicht einige Zehntausend neue Chemikalien auf den Markt gekommen. Aber das Gesetz liegt dem Bundestag auch heute noch nicht vor. Die Bundesregierung hat den Entwurf noch nicht fertiggestellt, was wohl nichts anderes heißt, als daß das Gesetz auch in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet wird.Aus den angeführten Tatsachen wie auch aus einigen anderen unbedeutenderen Vorgängen, die ich jetzt aus Zeitgründen nicht erwähne, kann man schon heute die Schlußfolgerung ziehen, daß in dieser Legislaturperiode, in der praktisch nur noch ein Jahr zur Verfügung steht, auf dem Umweltgebiet so gut wie überhaupt nichts mehr passieren wird. Daher kann man sich heute schon die Feststellung erlauben, daß von den drei Legislaturperioden seit 1969 die jetzige diejenige sein wird, in der auf dem Gebiet der Umweltgesetzgebung das Allergeringste getan sein wird.Damit komme ich zu einem Problem von viel gewaltigeren Dimensionen. Der Kollege Dregger hat
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Dr. Gruhlheute die schon gestern diskutierte Frage wieder aufgeworfen, wie es denn mit dem Rückgang der Bevölkerung stehe. Die spezielle Frage lautete dann — von anderen Sprechern auch schon gestellt —, wie denn die Bevölkerung im Kriegsfall zu schützen sei. Herr Dregger sagte wörtlich: Der Mangel an Vorsorge ist abenteuerlich. Er ging davon aus, daß unser Land immerhin Schauplatz eines konventionellen Krieges werden kann. In diesem Fall ist aber das Atomprogramm der Opposition und der Bundesregierung ebenso abenteuerlich. Das muß doch festgestellt werden, wenn wir schon von Zivilschutz reden wollen. Der nordrhein-westfälische Minister Farthmann hat vor ungefähr zwei Jahren gesagt, er zweifle daran, daß die Bundesrepublik Deutschland im Kriegsfalle überhaupt verteidigt werden könne — eben wegen der zahlreichen Bestückung mit Atomkraftwerken —; trotzdem hat er keine Hemmungen, weitere Atomkraftwerke zu genehmigen.
Ich spreche von einem konventionellen Krieg, in dem solche Werke mit konventionellen Waffen durchaus zerstört werden können. Wie will man denn dann die Zivilbevölkerung schützen, wenn in unserem Land 50, 100 oder im nächsten Jahrhundert noch mehr als 100 Werke stehen, wie ja von vielen Seiten immer noch angenommen und geplant wird? Wenn man von Zukunftsperspektiven spricht, sollten auch diese Probleme berücksichtigt und überlegt werden. Das ist Zukunftspolitik. Das sollte die Opposition dann ebenso tun wie die Bundesregierung.
Herr Dregger hat vorhin beklagt, daß die bundesdeutsche Bevölkerung im Jahre 2030 auf 39 Millionen Menschen gesunken sein könnte. Wenn aber das wirtschaftliche Wachstumsprogramm — und das Atomprogramm ist ein Bestandteil des wirtschaftlichen Wachstumsprogramms, das ja alle Parteien befürworten — durchgeführt wird und es zu einer Totalindustrialisierung bis zum Jahr 2030 — also nach 52 Jahren — kommt, dann würde das bedeuten, daß wir im Jahr 2030 eine achtmal höhere Jahresproduktion als zur Zeit hätten. 4 % wirtschaftliches Wachstum sind für 1979 angekündigt. 4 % jährliche Steigerung bedeuten eine Verdoppelung in 171/2 Jahren. Wir hätten also im Jahr 2030 achtmal soviel Industrie wie heute 'mit all den damit verbundenen Umweltschäden.Wissenschaftler haben festgestellt, daß auch die bebaute Fläche eines Landes — Wohnungen, Straßen, öffentliche Gebäude, Industriebetriebe, alles, was dazugehört —, ich sage kurz: die betonierte Fläche eines Landes, dann mindestens im halben Tempo zunehmen müßte. Das würde für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten, daß die derzeit ca. 10 % bebaute Fläche unseres Landes auf 40 % bebaute Fläche steigen müßte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege Vohrer.
Herr Kollege Gruhl, wenn Sie die Modellrechnung mit den 4 % wirtschaftlichen Wachstums hier vorrechnen, können Sie sich dann auch vorstellen, daß wir in der Lage sind und daß die Bundesregierung hier auch Anstrengungen macht, daß wir 4 % wirtschaftliches Wachstum ohne proportionale Steigerung von Energieverbrauch und Rohstoffen bewerkstelligen können?
Einiges kann ich mir auf diesem Gebiet vorstellen, Herr Vohrer. Aber es wird so nicht praktiziert. Denn wenn es in Ihrer Richtung so praktiziert würde, dann wäre dieses genannte Atomenergieprogramm, das ja einen gleichmäßig steigenden Energieverbrauch voraussetzt, nicht nötig.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. Abschließend möchte ich sagen, daß vielleicht ein Teil des Geburtenrückgangs heute etwas mit den Ängsten zu tun hat, die viele Menschen vor der Zukunft haben — z. B. vor der Zukunft einer total industrialisierten Landschaft und der anderen Probleme —, und daß sie vielleicht darum auf Kinder verzichten. Denn woher würde dann ein Volk von 40 Millionen in der Bundesrepublik Deutschland seine Nahrung beziehen? Ich glaube, aus der übrigen Welt kaum. Wenn diese inzwischen 8 Milliarden oder 10 Milliarden Menschen haben würde, können wir nicht damit rechnen, von anderen Völkern, die heute schon hungern, unter diesen Umständen versorgt zu werden.
Darum kann ich in so knapper Zeit, wie sie mir hier zur Verfügung steht, nur sagen, daß diese ganze Komplexität von Bevölkerung, Wirtschaftsentwicklung, Energieentwicklung, Atomprogramm, Weltbevölkerung, Nahrungsversorgung in diesen Gesamtzusammenhänge auf längerfristige Zeiten leider in diesem Hohen Haus viel zuwenig beachtet wird. Ich appelliere, hier nicht ständig nur einen Aspekt herauszugreifen — vielleicht mit dem Ruf: „Die Bayern sterben aus" ; es müsse jetzt etwas für die Geburtenentwicklung getan werden —, sondern auch die anderen Aspekte aufzugreifen, die z. B. eine Reduzierung der deutschen Bevölkerung sehr wohl für angebracht erscheinen lassen könnten.
Ich bin der Meinung, eine Reduzierung würde dem ökologischen Gleichgewicht dieses dicht besiedelten Landes besser tun als eine Politik der Bevölkerungsvermehrung. Erst recht von Übel ist eine Politik der ständigen weiteren Industrialisierung unseres Landes.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöbel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Klarstellungen zu den flotten Bemerkungen der Oppositionsvertreter zum Einzelplan 36, zivile Verteidigung. Nur auf diesen Punkt möchte ich zurückkommen.
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10430 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Dr. NöbelEs ist schon äußerst merkwürdig, daß der Herr Kollege Gerster als zuständiger Berichterstatter im Haushaltsausschuß keinen einzigen Änderungsantrag gestellt hat. Das hätten Sie in Konsequenz eigentlich machen müssen, wenn Sie hier heute diesen Einzelplan ablehnen. Im Innenausschuß sind Sie nie dabei gewesen, auch nicht in der Arbeitsgruppe „Zivilschutz" des Innenausschusses. Auch Herrn Dr. Dregger habe ich noch bei keiner konkreten Fachberatung in diesen Gremien gesehen.
Deshalb ist festzustellen, daß der große Bogen, der hier gespannt wurde, nämlich die Gesamtverteidigung, keine Erfindung der heutigen Opposition ist. Vielmehr haben Sie 1963, als Sie führende Regierungspartei waren, den bis dahin gemeinsamen Weg verlassen. Tatsache ist, daß nur durch das jahrelange Drängen der SPD-Fraktion — der damaligen Opposition — es möglich wurde, daß 1965 endlich Gesetze verabschiedet werden konnten, so z. B. das Schutzraumgesetz, so das Selbstschutzgesetz. Aber 1966 trat nichts in Kraft, weil die von Herrn Erhard geführte Regierung das Geld nicht besaß, das sie im Wahlkampf als vorhanden angegeben hatte. Mit dem damaligen Haushaltssicherungs- und Finanzänderungsgesetz wurden die Mittel für die zivile Verteidigung von der CDU/CSU um mehr als 400 Millionen DM gekürzt. Wer heute meint, dies sei ja nun 13 Jahre her, der muß wissen, was diese Katastrophe von 1966 für den Katastrophenschutz bedeutet. Alte Versäumnisse seit der Wiederaufbauphase der Bundesrepublik sind nicht ohne weiteres wettzumachen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage — —
Nein, ich habe nur eine kurze Redezeit.
Ich gehe nur auf diese historischen Dinge ein, weil sie hier fälschlich dargestellt werden. Schon 1966 war es für Schutzbaumaßnahmen ganz großen Stils, wie Sie sie heute fordern, zu spät. Ich möchte Ihnen einmal einen Satz zitieren:Wir sollten uns aber auch in Zukunft hüten,auf dem Gebiete des zivilen Bevölkerungsschutzes Fehlinvestitionen vorzunehmen ... Wir sollten uns im wohlvèrstandenen gemeinsamen Interesse darüber unterhalten, ob wir den Luftschutzbau dadurch unmöglich machen wollen, daß -wir dem Staat die volle Last aufbürden, eine Last, die er in diesem Umfang jedenfalls kurzfristig nicht tragen kann.Ende des Zitats. Wissen Sie, wer das gesagt hat?Wir führen ja heute hier eine Haushaltsdebatte. Dashat am 15. April 1964 der heutige Vorsitzende desHaushaltsausschusses von dieser Stelle aus vorgetragen.
Was haben wir gemacht? Die Steigerungsrate, die schon angesprochen worden ist, von 11,5 %, die also 3,7 % über der Steigerung des Gesamthaushaltes liegt und eine erfreuliche Entwicklung darstellt, ist auf unsere Initiative, auf die Initiative der SPD-Fraktion, zurückzuführen, deren Finanzsonderprogramm ist im Innen- und im Haushaltsausschuß einhellig gebilligt worden. Das ist die Wahrheit.
Dies bedeutet konkret die zusätzliche Mittelbewilligung von 75 Millionen DM für die Anschaffung von Kraftfahrzeugen. Insgesamt stehen also 123,5 Millionen in 1979 zur Verfügung, dazu Verpflichtungsermächtigungen für 1980 in Höhe von weiteren 95 Millionen DM.Herr Kollege Gerster, in einem Punkt wollten Sie nun ins Detail gehen. Sie bezogen sich auf eine Zusammenstellung des Innenministeriums: Bestand an Fahrzeugen rund 12 100. Davon, so sagten Sie, 1979 wegen Überalterung — —
— Das haben Sie nicht gesagt.
— Gut, ich bin bereit, dies zu korrigieren, wenn es ein Mißverständnis sein sollte. Aber gerade unser Programm orientiert sich an den Realitäten. Wir werden 1979 in der Lage sein, ausreichende Ersatzbeschaffungen vorzunehmen.Des weiteren hat die Bundesregierung nach Abschluß der Arbeiten des Staatssekretärsausschusses rund 20 Millionen DM zusätzlich für den Schutzraumbau eingesetzt, zur Hälfte für Altbunkersanierung und zur Hälfte für die Einrichtung neuer. Schutzräume. Hinzu kommen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 15 Millionen DM für 1980, bis 1982 insgesamt 86 Millionen DM. Ferner sind die Mittel für Hilfskrankenhäuser um 1,5 -Millionen DM aufgestockt worden. Öffentlicher Schutzraumbau und die Schaffung von Hilfskrankenhäusern erhalten dadurch entscheidende neue Impulse. Da wir bereits auf Grund unserer Initiative im letzten Jahr eine Aufstockung um 28,9 Millionen DM erzielen konnten, rückt die Steigerungsrate von 11,5 % gegenüber dem Haushaltsansatz des letzten Jahres natürlich in ein noch besseres Licht.Zweitens stelle ich fest: Die Opposition hat diesem Programm zugestimmt. Sie war trotz ihrer Kritik draußen und hier im Plenum bisher nicht in der Lage, konkrete Alternativen dort einzubringen, wo sie hingehören, nämlich im Innenausschuß.
— Konkrete Alternativen haben Sie nicht vorgelegt. Bei ihrer schließlichen Zustimmung zu unserem Programm — warum haben Sie denn zugestimmt, wenn alles das zutrifft, was Sie hier behaupten? — brachte die Opposition nur einen Zusatzantrag — das ist die Wahrheit — zur Aufstockung der Mittel für die
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Dr. NöbelNahrungsmittelreserve um 10 Millionen DM ein. Dabei hat sie wahrscheinlich übersehen, daß wir hier bereits von 4,5 Millionen DM auf 13 Millionen DM aufgestockt haben.Ich kann Ihnen sagen, wie die Notversorgung, die Lebensmittelbevorratung, aussieht. Auf Grund der EG-Bestände, die Sie nie einkalkulieren, ist die Notversorgung für 22 Tage gesichert. Das ist der neueste Stand. Es geht hier also zunächst nicht um Mittelerhöhung, sondern um Prüfung der Effizienz. Wir können uns nicht dazu hergeben, Mittel auf die hohe Kante zu legen, die dann nicht zweckentsprechend ausgegeben werden können.
Dies gilt auch für die Ersatzbeschaffung von Spezialfahrzeugen, und zwar wegen der vorgegebenen Kapazitätsbegrenzung der Herstellerfirmen. Herr Gerlach, Sie wissen wie ich: Wegen der Kapazitätsbegrenzung der Spezialfirmen, der Herstellerfirmen, ist es einfach nicht möglich, noch mehr Mittel für die Ersatzbeschaffung von Kraftfahrzeugen in den Etat dieses Jahres einzusetzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerlach?
Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß wir auch einen Antrag gestellt haben, die Mittel für den Schutzraumbau um 50 Millionen DM zu erhöhen? Sie haben vorhin davon gesprochen und ihn zu Ihrem Antrag umgemünzt. Würden Sie mir gleichzeitig zustimmen, daß die EG-Vorräte, die sich auf den Butterberg und auf Milchpulver beziehen, in keiner Weise ausreichen, um das darzustellen, was unter einem Katastrophen- und Notvorrat zu verstehen ist?
Herr Kollege Gerlach, es gibt eine Zusammenstellung des Ernährungsministeriums, die ich Ihnen zur Verfügung stellen kann. Aus ihr werden Sie ersehen können, daß das, was ich hier behaupte, stimmt.Zu der Aufstockung der Mittel für den Schutzraumbau: Das ist zunächst unser Antrag gewesen, und wir haben uns nachher darauf geeinigt. Da beim Schutzraumbau die Planungen und Forschungsergebnisse noch aufeinander abzustimmen sind und die Arbeiten auch mit mehr Mitteln in diesem Jahr nicht fortgeführt werden können, haben wir uns auf Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 15 Millionen DM für das Jahr 1980 geeinigt. Sie haben da mitgezogen. Unser Programm liegt mir hier vor, da steht es drin. Im übrigen sollten wir uns freuen, wenn wir bei dieser schwierigen Materie gemeinsam etwas zustande bringen.Im Schutzraumbau kann nicht mehr geschehen, als die Planungen vorsehen. Es kann aber die Sanierung von Altbunkern weiter forciert werden. Nebenbei bemerkt: Diese Maßnahme ist auch unter städtebaulichen Gesichtspunkten interessant — und zudem noch billiger als Neubauten.Drittens. Daß dieser unter wesentlicher Mithilfe der SPD-Fraktion im Bundestag eingeschlagene Weg der Regierung der richtige ist, behaupten nicht. nur wir allein. Unter anderem hat der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes mitgeteilt — ich darf zitieren —:An der Wende des Jahres stellt das Deutsche Rote Kreuz mit Befriedigung fest, daß nach einer langen Zeit, in der die Entwicklung des erweiterten Katastrophenschutzes stagnierte, durch das vom Bundestag beschlossene Sonderprogramm ein wesentlicher Schritt für den weiteren Ausbau dieses wichtigen Bereiches getan worden ist. Das Deutsche Rote Kreuz würdigt dieses Sonderprogramm in Kenntnis der Tatsache, daß die öffentlichen Haushalte überlastet sind.Bedankt haben sich auch der Generalsekretär des Malteser-Hilfsdienstes, der Arbeiter-Samariter-Bund und auch der Deutsche Feuerwehrverband als Repräsentant der — das möchte ich hier einmal sagen —besten Feuerwehren in der ganzen Welt.
Wer bei aller berechtigten Kritik, die wir teilen — gerade deshalb engagieren wir uns so stark —, sozusagen ein Chaos auf diesem wichtigen Sektor herbeireden will, trifft nicht zuletzt die 1,2 Millionen freiwilligen Helfer in diesen Organisationen.
Ihre Forderung, die im Januar durch die Presse gegeistert ist, nach einem Zivilschutzkorps — und das auch noch mit dem Hinweis auf die Leistungsgrenzen unserer freiwilligen Organisationen — geht an deren Grundsubstanz. Entsprechend versteht man dort Ihren Vorschlag, Herr Kollege Gerster.
Wer die sozialliberale Regierung treffen will, muß sich sagen lassen, daß der Grundstein für die heutigen Probleme Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre gelegt wurde.
— Herr Schwarz, ich verfalle dabei nicht in den Fehler, nicht zuzugeben, daß auch die sozialliberale Regierung mehr hätte durchsetzen können. Aber bedenken Sie, daß das Gesetz über den erweiterten Katastrophenschutz erst 1968 verabschiedet wurde. Der friedensmäßige Katastrophenschutz ist Sache der Länder. Bis zum heutigen Tage haben erst sieben Bundesländer — und dies erst in den letzten Jahren — entsprechende Landeskatastrophenschutzgesetze verabschiedet. Auch das sollten Sie bedenken.
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10432 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Dr. NöbelIch kann nicht auf die Leistungen in der Katastrophenmedizin, auf die Leistungen der hervorragenden Wissenschaftler in der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, auf die beispielhaften Erfolge unserer Rettungshubschrauber — sie dürfen nicht vergessen werden —, die erfolgreichen Bemühungen des Innenministers in Zusammenarbeit mit den Ländern um eine Vereinfachung der Verwaltungsvorschriften eingehen. Wir werden in Kürze hier die Diskussion darüber zu führen haben — aber bitte nicht über schöne Modelle, sondern über praktikable, realisierbare Vorschläge.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den Abstimmungen im Zusammenhang mit dem Einzelplan 06.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2485 unter I. auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2499 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06 in der Ihnen vorliegenden Fassung. Wer diesem Einzelplan die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Der Einzelplan 06 ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 33. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 33 ist einstimmig angenommen.
Ich komme zum Einzelplan 36. Wer dem Einzelplan 36 in der vorliegenden Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
— Drucksache 8/2407 —
Berichterstatter: Abgeordneter Westphal
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
— Herr Löffler, das, was ich hier vorzutragen habe, ist nicht so hochwissenschaftlich, als daß ich es mir aufschreiben müßte. Ich nehme an, daß Sie um so leichter folgen können.
Der Einzelplan 07, um den es jetzt geht, ist vom Volumen her kein allzu großer. Es geht um 325 Millionen DM. Bezogen auf einen Haushalt von etwa 205 Milliarden DM sind das rund eineinhalb Prozent. Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik — das alles kann man mit diesem Haushalt nicht betreiben. Da aber Rechtspolitik letztlich dem geistigen Bereich zuzuordnen ist, kann man mit einigen hundert Millionen DM allerdings viel Gutes oder weniger Gutes verrichten. Genau darüber haben wir im Augenblick zu sprechen.
Herr Justizminister, Sie haben in diesen Tagen eine rechtspolitische Bilanz des letzten Jahres vorgelegt. Wir von der CDU/CSU-Opposition halten von dieser Bilanz nicht allzuviel. Sie ist in unseren Augen etwas mager ausgefallen. Da ist z. B. vom Reisevertragsgesetz die Rede. Darin sind Dinge festgeschrieben, die bis dahin rechtlich auch schon geregelt waren. Es ist ein Gesetz, das nichts Neues enthält und zu einem Teil sogar die Rechtsposition unserer Bürger verschlechtert. Ähnlich scheint es auch mit dem Gesetz über Wohnungseigentum zu verlaufen.Beide Gesetze sind für mich Anlaß, einmal darauf hinzuweisen, daß wir — im Grunde genommen in allen Parlamenten — zu viele Gesetze verabschieden. Durch unser Land geht landauf, landab ein Unmut über zuviel Bürokratie.
Die Bürger empfinden, daß wir in einem Staat leben, der versucht, zu vieles gesetzlich zu regeln.
Zunächst richtet sich dieser Unmut gegen die Beamtenschaft, die ja die Bürokratie zu vertreten hat. Diese aber wiederum und auch kritische Bürger weisen mit Recht darauf hin, daß es ja die Parlamentarier sind, die Gesetze verabschieden, die von den Beamten angewendet werden müssen. Insoweit geht der Unmut über die Bürokratie an die Adresse aller Parlamentarier und nicht nur — das muß ich einräumen, Herr Bundesjustizminister — an Ihre Adresse.
— Schönen Dank, der Hinweis ist richtig. — Ich beziehe hier in meine Kritik allerdings auch die Länderparlamente ein, und dort gibt es ja Regierungen verschiedener Couleur.Herr Bundesjustizminister, Sie haben die Rechtsförmlichkeit der Gesetze zu prüfen; insoweit haben
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10433
Dr. FriedmannSie sich eben mit allen Gesetzen zu befassen. Ich möchte Ihnen nachdrücklich ans Herz legen, bei Ihrer Prüfung darauf zu achten, ob die Materie, um die es jeweils geht, auch wirklich gesetzlich geregelt werden muß.
Ich habe mir, Herr Westphal, heute morgen einmal die Zahlen darüber zusammenstellen lassen, wie es, was die Anzahl der verabschiedeten Gesetze angeht, in den Legislaturperioden dieses Parlaments bisher ausgesehen hat. In den zurückliegenden Legislaturperioden wurden in den jeweils zwei ersten Jahren im Schnitt 200 Gesetze von diesem Parlament verabschiedet. Diesmal sind es sogar nur 120. Der Umfang des Bundesgesetzblattes, in dem diese Gesetze und die Rechtsverordnungen verkündet werden, hat sich in den jeweils ersten zwei Jahren einer Legislaturperiode von 2 000 Seiten in der ersten Legislaturperiode auf 9 000 Seiten in der letzten Legislaturperiode und auf 8 500 Seiten in dieser Legislaturperiode erhöht. Was heißt dies? Es ist offensichtlich nicht sosehr die Zahl der Gesetze, die diese Bürokratie bewirkt, als vielmehr der Umfang dieser Gesetze. In diesen Gesetzen kommt eine deutsche Neigung zum Ausdruck, allzuviel perfektionistisch mit Akribie regeln zu wollen.
Hier muß angesetzt werden. Wir müssen von diesen umfangreichen Verwaltungsvorschriften herunterkommen und zu einfachen Gesetzen zurückkehren. Ich möchte mir hier den Hinweis auf das Land Baden-Württemberg erlauben; dort ist unter dem neuen Ministerpräsidenten
ganz offensichtlich eine erfolgreiche Welle in Gang gekommen mit weniger Gesetzen auszukommen.
Herr Bundesjustizminister, Ihr Kollege vom Innenressort hat heute morgen darauf hingewiesen, daß die Gefahren des Terrorismus nicht behoben seien. Wir teilen diese Beurteilung. Sie allerdings sind der Meinung, daß die Gesetzgebung in Verbindung mit dem Terrorismus abgeschlossen sei. Hier liegen wir nicht beisammen. Wir von der CDU/CSU-Opposition sind der Meinung, daß die gesetzlichen Regelungen sowohl über die Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs wie auch über die Sicherungsverwahrung nach wie vor nicht vollständig genug sind.
— Auf diesen Einwand mit den neuen Gesetzen habe ich gewartet, Herr Westphal. Ich habe vorhin gesagt, wir müssen uns auf wesentliche Dinge konzentrieren. Darum geht es im Augenblick. Ich habe deutlich herausgestellt, daß die Bürokratie vor allemdurch Rechtsverordnungen und durch Verwaltungsvorschriften aufgebläht wird.
Man kann im Augenblick nur hoffen, daß es nicht bald wieder zu Terroranschlägen kommt und daß sich die Schwäche, die die Gesetzgebung betreffend die Terrorismusbekämpfung nach unserer Ansicht auch jetzt noch hat, bei solchen Anschlägen nicht zum Nachteil unserer Bevölkerung auswirkt.
Herr Justizminister, Sie haben in den letzten Monaten eine Diskussion darüber angefangen, daß es Ihrer Meinung nach angebracht sei, Freiheitsstrafen, die auf Lebenszeit verhängt sind, nach 15 Jahren auszusetzen. Wir haben da unsere Bedenken, und zwar aus ganz gewichtigen Gründen. Zum einen machen Sie dann kaum mehr einen Unterschied zwischen einer zeitlich unbefristeten und einer zeitlich befristeten Freiheitsstrafe.
Sie weisen zwar in den Fachzeitschriften auf gewisse feine Unterschiede hin, z. B. darauf, daß es zunächst darauf ankomme, die Strafe entsprechend der Schwere des Deliktes zu verhängen. Wie dann diese Strafe hinterher gehandhabt werde, sei eine cura posterior. Dieser Unterschied ist zwar fein, aber für den normalen Bürger in unserem Lande nicht verständlich. Kritisch wird es vor allen Dingen, wenn Sie einerseits sagen, die lebenslange Freiheitsstrafe solle nach 15 Jahren ausgesetzt werden, andererseits aber sagen, Mord sei ein so schweres Delikt, daß es niemals verjähren könne. Auf der einen Seite verlangen Sie also die Aussetzung der Strafe, die z. B. bei Mord auf Lebenszeit verhängt wurde, nach 15 Jahren, auf der anderen Seite beurteilen Sie dieses Delikt aber als so schwer, daß es niemals verjähren dürfe. Hier wird trotz aller Begründungen, die Sie bisher in der Öffentlichkeit gegeben haben, ein Unterschied gemacht, der jedenfalls für den normalen Bürger nicht verständlich ist.
In Verbindung mit all dem ist nun die Diskussion über die Verjährung von Mord aufgekommen. Das ist zwar im Augenblick nicht der Gegenstand meiner Ausführungen, ich darf aber trotzdem darauf hinweisen: Wenn es in dieser Legislaturperiode eine Frage gibt, bei der das Gewissen eine entscheidende Rolle spielt, dann wird es diese sein.
Die Meinungsunterschiede gehen quer durch die Fraktionen.
— Herr Gerster, ich kann nur darauf vertrauen, daß am Schluß keine Fraktion versucht, hier einen Fraktionszwang auszuüben, und daß es wirklich dem Gewissen des einzelnen Abgeordneten überlassen bleibt, wie er sich verhält.
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10434 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Dr. FriedmannHerr Justizminister, zu Ihrem Bereich als Fachminister gehört auch das elterliche Sorgerecht. Was sich hier abzeichnet, macht uns in der Opposition nicht nur sehr, sehr nachdenklich, sondern schreckt uns geradezu zurück. Zwar ist der erste Gesetzentwurf, der in der letzten Legislaturperiode eingebracht worden war, nicht mehr verabschiedet worden, aber es liegt ein neuer vor. Die Worte von damals — von der Gewaltbesessenheit der Eltern, von der Fremdbestimmung des Kindes — reichen natürlich von der damaligen Situation in die jetzige hinein. Daran führt eben kein Weg vorbei. Dies begründet bei uns den Verdacht, daß es um mehr geht als nur darum, den Mißbrauch des Erziehungsrechts der Eltern zu begrenzen, daß es hier um eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Einstellung auf Ihrer Seite geht.Auf der einen Seite haben Sie als Kabinettsmitglied und als Angehöriger Ihrer Fraktion mitgestimmt, als hier im Hause Steuerbeschlüsse gefaßt wurden, die auf eine steuerliche Entlastung der Eltern in Form des Kinderbetreuungsbetrages hinauslaufen und vor allem zu einer Erhöhung des Kindergeldes führen. Mit anderen Worten, auf der einen Seite sind Sie ganz offensichtlich bereit, den Eltern für ihre Kindererziehung mehr Geld zuzugestehen. Auf der anderen Seite aber entmündigen Sie diese Eltern, indem Sie nicht nur bei Einzelfällen, sondern fast generell dazu übergehen, das Erziehungsrecht der Eltern auszuhöhlen Und zu begrenzen.
Wir beklagen in diesem Hause des öfteren, daß zu wenige Kinder auf die Welt kommen, daß wir geradezu ein sterbendes Volk geworden sind. Wir brauchen uns aber nicht darüber zu wundern, wenn angesichts dieser rechtlichen Entwicklung verantwortungsbewußte Eltern davor zurückscheuen, sich dann und wann noch ein zusätzliches Kind zu leisten.
Die Diskussion über das Gesetz zur Neuordnung des elterlichen Sorgerechts ist ein zentraler Punkt in der Diskussion über unsere Gesellschaftspolitik. Deshalb gehört es in diesen Rahmen hinein.Wir haben des öfteren hier über die Radikalen gesprochen. Ich möchte an die Diskussion darüber, weil das ja auch an Ihre Adresse geht — Sie sind ja auch der Verfassungsminister — zwei Bemerkungen anknüpfen. Wo leben wir denn eigentlich, wenn Erkenntnisse, die beim Staat, z. B. beim Verfassungsschutz, vorliegen, von einer anderen Stelle beim Staat, nämlich den Einstellungsbehörden, nicht benutzt werden dürfen? Wir erwarten doch von jedem Arbeitnehmer, daß er die Interessen seines Arbeitgebers engagiert vertritt. Wenn jemand gar zum Staat geht, also Staatsbediensteter werden will und damit einen noch viel sichereren Arbeitsplatz als in der Privatwirtschaft bekommt, kann man doch um so mehr erwarten, daß er die Interessen seines Arbeitgebers, nämlich des Staates, wahrnimmt, indem er sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung konstruktiv bekennt. Ihr Parteifreund, der heute morgen des öfteren zitiert worden ist, Herr Kriele, hat gerade in diesen Tagen in der „Neuen Juristischen Wochenschrift" darauf hingewiesen, daß dies erwartet werden muß.Dieser Hinweis auf die Radikalenfrage, Herr Justizminister, soll nicht nur rhetorisch gemeint sein. Ich habe gestern und heute mehrere Anrufe von Behördenchefs bekommen, die mir sagten, der Kabinettsbeschluß von der letzten Woche laufe praktisch darauf hinaus, daß geltendes Recht nicht mehr angewendet werden dürfe. So wird es jedenfalls von den Praktikern empfunden: Ich überlasse es Ihrer Erinnerung, wann wir einmal eine ähnliche Situation in Deutschland hatten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Nein, Herr Präsident, ich bin knapp mit meiner Zeit.
Nein, Sie brauchen sich diese Zeit nicht anrechnen zu lassen.
Ich habe nein gesagt, Herr Conradi. Gestatten Sie mir noch einen kurzen Hinweis, Herr Bundesjustizminister, auf Ihren Umgang mit dem Bundesverfassungsgericht und Ihre Kritik an diesem Gericht. Zweifellos ist niemand in unserem Staat von der Kritik ausgenommen. Der Kanzler hat mit Recht darauf hingewiesen,
daß wir alle uns an mehr Kritik gewöhnen sollten, auch das Verfassungsgericht. Das ist richtig.Herr Justizminister, wenn Sie den Bundesverfassungsrichtern vorwerfen, daß sie das Grundgesetz allzusehr nach ihrer persönlichen Wertüberzeugung auslegten, so geht dies einfach zu weit. Natürlich sind die Richter Menschen wie alle anderen auch und haben eine persönliche Einstellung. Aber sie legen mit Sicherheit das Grundgesetz nach den Wertvorstellungen des Gesetzgebers aus. Im übrigen garantiert das Wahlverfahren, daß im Bundesverfassungsgericht eine konstruktive Zusammenarbeit stattfindet, die Ausgeglichenheit gewährleistet.Ich halte es auch für bedenklich, daß Sie anläßlich der Mitbestimmungsklage meinten, das Bundesverfassungsgericht belehren zu müssen. Nachdenklich hat mich vor allem gestimmt, daß Minister Farthmann vor Gericht erklärt hat: Wenn das Bundesverfassungsgericht hier zu einer nachteiligen Auslegung bei der Mitbestimmung käme, wäre dies für unsere Gesellschaft nachteiliger als mehrere Tausend Terroristen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10435
Dr. FriedmannIch hätte eigentlich erwartet, Herr Justizminister, daß Sie sich von einer solchen Äußerung zumindest distanzieren.
Ich darf Ihnen abschließend einräumen, daß die Zusammenarbeit in Detailpunkten Ihres Einzelplans konstruktiv und korrekt war. Die Grundzüge Ihrer Rechtspolitik jedoch entsprechen nicht unseren Vorstellungen. Mit meinen Bitten bezüglich der Punkte, bei denen Sie noch korrigierend eingreifen können und auf Grund Ihrer Verantwortung als Kabinettsmitglied auch eingreifen müßten, verbinden wir unsere generelle Kritik an Ihrer Rechtspolitik.
Dies ist der Grund dafür, daß wir auch diesmal Ihrem Einzelplan nicht zustimmen können.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratungen über den Einzelplan 07. Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzurig wird um 14 Uhr fortgesetzt.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir fahren in der Aussprache über den Einzelplan 07 fort. — Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir im Zusammenhang mit dem Einzelplan 07 über Rechtspolitik allgemein reden, lassen Sie mich dazu vorweg einige Bemerkungen machen.Unsere Beiträge in den entsprechenden Debatten der letzten Jahre waren schwerpunktmäßig von der Betonung unserer rechtspolitischen Vorhaben geprägt. Das war notwendig und richtig.Die Liste der durch unsere sozialdemokratischen Justizminister — angefangen von Gustav Heinemann bis zu Hans-Jochen Vogel — eingeleiteten und durch uns hier im Bundestag — mal mehr, mal weniger gemeinsam — in Kraft gesetzten Reformvorhaben ist ebenso lang wie eindrucksvoll. Sie greift wesentliche Punkte nahezu aller Rechtsgebiete auf. Ihre inhaltliche Richtschnur, nämlich der im Grundgesetz niedergelegte Auftrag zur Sicherung der Freiheitsrechte des einzelnen, von Gerechtigkeit und Solidarität unter den heutigen Bedingungen, ist im 30.. Jahr der Geltung unseres Grundgesetzes aktueller denn je.Mit diesem Auftrag im Rücken werden wir diejenigen Vorhaben zügig weiter vorantreiben, die wir uns für die kommenden Jahre vorgenommen haben. Das gilt für die Verbesserung des Zugangs der Bürger zu den Gerichten, also der Beratungs- und derProzeßkostenhilfe, das gilt für Verbraucherschutz und Staatshaftung, und das gilt u. a. für die Sanktionierung weiterer sozialschädlicher Verhaltensweisen durch neue Bestimmungen auf den Gebieten des Wirtschafts- und des Umweltstrafrechts.Neben diesen Vorhaben tritt jedoch jetzt immer gewichtiger ein neues Prinzip in den Vordergrund, nämlich das der Konsolidierung. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß Bürger, Richter und Anwälte Zeit brauchen, um die in Kraft gesetzten Veränderungen zu verarbeiten, sie umzusetzen, sich zurechtzufinden und auch Anfangsschwierigkeiten zu lösen. Wir können diese Zeit nutzen, indem wir die gesammelten Erfahrungen auswerten und hier und da, wo wir gesetzgeberisches Neuland betreten haben, gegebenenfalls Detailkorrekturen anbringen. An dieser Feststellung ist überhaupt nichts Ehrenrühriges. Denn nur wer nichts macht, macht nichts falsch. Das gilt auch für unser Gebiet.Ist diese Umsetzungs-, diese Konsolidierungsphase als wichtig und positiv zu bewerten, so ist dies eine andere Art von Konsolidierung nicht, Herr Friedmann. Ich meine die Konsolidierung der Argumente, ja, der Vorurteile, die aus weiten Bereichen der Opposition immer wieder, zu Unrecht, drinnen und draußen — heute morgen von Ihnen ganz besonders — gegen große Teile der Rechtspolitik der Regierung vorgetragen werden.
— Doch, Herr Dr. Riedl, ganz zu Unrecht.Bevor ich aber auf einige Punkte eingehe, die Herr Friedmann hier heute morgen angeführt hat, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Einzelplan 07 selbst machen.Wir bedauern, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dem Justizhaushalt auch diesmal nicht zustimmen. Wir halten das nicht für gerechtfertigt. Dieser Haushalt wurde und wird gut verwaltet. Die Mittel werden sparsam und effektiv verwendet. Seine Schwerpunkte sind im Rahmen der Möglichkeiten vernünftig gesetzt.Lassen Sie mich zwei Dinge herausgreifen. Mit dem schon von Minister Jahn eingeleiteten Projekt Juris geht es erfreulich aufwärts. Es wird mehr Rechtsprechung einbezogen. Die verarbeiteten Daten stehen der Praxis in besserer Art und Weise zur Verfügung. Die Ergebnisse sind mittlerweile so gut, daß wir daran denken sollten, diese Daten auch für unsere Arbeit im Bundestag und im Rechtsausschuß nutzbar zu machen. Ich plädiere deshalb dafür, daß wir im Bundestag bald eine entsprechende Datenabrufstation bekommen.Das zweite Beispiel. Die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums, ein Diskussionspunkt der letztjährigen Debatte, ist auf dem richtigen Weg. Wir alle wissen, wie schwierig es ist, gerade Informationen über komplexe rechtliche Sachverhalte nach draußen so zu vermitteln, wie sie und wo sie gebraucht werden: nämlich zu dem in der Regel rechtsunkundigen Bürger, und das in gut verständlicher Aufbe-
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10436 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Frau Dr. Däubler-Gmelinreitung. Das gelingt dem Justizministerium, wie ich meine, in zunehmendem Maße.Wir sagen dem Justizminister und seinen Mitarbeitern herzlichen Dank und stimmen dem Haushalt zu.
Nun komme ich zu einigen Punkten, die Sie heute morgen angesprochen haben, Herr Friedmann. Sie haben zwar ans Ende, aber ins ideologische Zentrum Ihrer Ausführungen die Kritik an rechtlichen Bestimmungen gestellt, die mit familienrechtlichen Beziehungen im Zusammenhang stehen. Das ist Mode; auch Sie haben das in den vergangenen Jahren schon gemacht: 1977 haben Sie in bezug auf das Ehe- und Familiengesetz, das damals am 1. Juli in Kraft trat, gesagt, es handele sich dabei um einen Angriff auf unsere Familien. Sie haben das wohlgemerkt auf die Fassung bezogen, der die Mehrheit der CDU/CSU-Kollegen zugestimmt hat. Heute haben Sie diesen Absatz wahrscheinlich deshalb weggelassen, weil sich von Monat zu Monat deutlicher zeigt, daß die Anfangsschwierigkeiten langsam überwunden werden, daß Unsicherheit, Anfangsprobleme und Verzögerung zurücktreten.
— Das meine nicht nur ich, sondern Sie können das in sämtlichen Erfahrungsberichten der Familiengerichte feststellen. Gehen Sie einmal hier nach Bonn zum Familiengericht! Das gilt übrigens auch für Baden-Württemberg.
— Daß sie nicht mehr heiraten — ich habe mich über Ihre Netto-Reproduktionsrate in der Pause erkundigt, die auch nicht höher als meine ist —, Herr Friedmann, hat sicherlich andere Gründe.
— Danke, Herr Glos; ich beantworte Ihnen das nachher sehr gerne, und wenn Sie meine persönliche meinen, dann gucken Sie doch bitte ins Handbuch!Hinter diesen Anlaufschwierigkeiten, die in den letzten Monaten natürlich ein bißchen das Bild verdunkelten, die Vorstellungen, die Ziele dieses Reformwerks verdrängten, kommen jetzt die wahren Vorteile heraus, die ich hier noch einmal ausdrücklich nennen möchte. Das ist einmal die Anpassung der Rechtsvorschriften an die in .der Wirklichkeit weitgehend eingetretene partnerschaftliche Ehe- und Familienstruktur, zweitens die Abkehr vom Verschuldensprinzip und seinem Zwang zum Schmutzige-Wäsche-Waschen vor Gericht bei der Scheidung und zum dritten — das ist mir ganz besonders wichtig — die Abkehr von der einseitigen mangelhaften sozialen Sicherung gerade der Frauen im Falle der Scheidung, gerade nach langdauernder Ehe.
Herr Friedmann, Sie haben in den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen heute früh in diesem Bereich dasRecht der elterlichen Sorge gestellt. Auch das ist nicht neu, auch das haben Sie schon früher gemacht. Schon 1976, als sie hier neu waren und den Justizhaushalt zum erstenmal vertreten haben, haben Sie auch schon von „Fremdbestimmung" und von „Gewaltbesessenheit" gesprochen. Damals hatten Ihre Ausführungen noch für sich, daß Sie subjektiv in diesem Mißverständnis, von .dem Sie auch heute wieder ausgingen, befangen sein konnten. Heute können Sie das nicht mehr, weil an diesem Ort und an zahlreichen anderen Orten mit diesem Mißverständnis wirklich mehr als x-mal aufgeräumt wurde.
Aber es geht noch weiter, und Herr Strauß geht an den Kern der Dinge
— gleich, Herr Stark —, wenn er hier so unterschwellig klarmachen will, es ginge den Sozialisten, wie er es nennt, natürlich als Schimpfwort, in diesem Bereich nur darum, die Familien kaputtzumachen.Bitte, Herr Stark.
Das ist der kleine Dienstweg.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, geben Sie mir zu, daß in dem jetzigen Fraktionen-Entwurf der SPD/FDP, der auf den Entwurf der Bundesregierung aus dem Jahre 1974 Bezug nimmt, in der Begründung vollinhaltlich wieder dieselben Begriffe verwendet werden?
Lieber Herr Stark, wenn Sie noch zwei Minuten warten, werden Sie sehen, daß ich noch sehr detailliert auf die Bestimmungen, die wir jetzt im Zusammenhang mit der elterlichen Sorge beraten, eingehen werde.Lassen Sie mich aber noch eines sagen. Auch Herr Kohl hat sich zu diesem Thema geäußert. Wir werden das wohl noch bis zu den nächsten Wahlen hören; denn das ist so ein schönes Reizthema. Auf Ihrem letzten rechtspolitischen Kongreß hat er erklärt, jetzt gelte es für die Opposition die „Schlacht um die Eltern-Kind-Beziehungen zu schlagen" und dann zu gewinnen. Nachdem ich in der letzten Woche in der „Zeit" gelesen habe, Herr Friedmann, daß Sie ihm eine Kutscher-Peitsche zur Verfügung gestellt haben, glaube ich ihm die Ernsthaftigkeit dieser Idee sogar beinahe.
— Aber man knallt, wie man heute morgen bei Ihnen sehen konnte. Vielleicht hatten Sie sie sich wieder ausgeliehen.Ich bin der Auffassung, wir sollten hier ganz klar festhalten — um wieder ernst zu werden —, daß
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Frau Dr. Däubler-Gmelinwir nicht einmal diese martialische Sprache im Zusammenhang — mit den Eltern-Kind-Beziehungen, im Zusammenhang mit Familienbeziehungen für angebracht halten.
Worum geht es im elterlichen Sorgerecht? Es geht um die Hilfe für Kinder, es geht um die Unterstützung der Rechte von Kindern, und es geht um die Entfaltung der Chancengleichheit für Kinder in Familien, die nicht heil sind, da eben, wo keine funktionierenden Eltern-Kind-Beziehungen bestehen. Herr Kollege Erhard, Sie wissen doch, daß es die gibt. Für die brauchen doch wir nicht zu sorgen. Dafür sorgen ganz andere Faktoren. Herr Kollege Ehmke hat gestern einige interessante Punkte angeführt, über die man weiter nachdenken müßte. Auch in Ihren Reihen gibt es wirklich interessanteAnsatzpunkte hierfür.Darüber hinaus will das elterliche Sorgerecht noch etwas anderes. Es soll nämlich den Auftrag des Grundgesetzes erfüllen. Danach bedeutet Schutz der Familie durch den Staat nicht nur die Anerkennung des Elternrechts, das auch wir voll anerkennen, sondern das bedeutet auch, daß der Staat sein Wächteramt dort auszuüben hat, dort wirksam ausfüllen muß, wo Eltern mit ihrem Elternrecht nicht fertig werden, wo sie dies auf Kosten der Kinder vernachlässigen, sei das schuldhaft oder nicht. Daß das mit den geltenden Bestimmungen, Herr Erhard, nicht geht, das sagen die Praktiker doch nicht nur uns.
Das sagen die Praktiker, die Vormundschaftsrichter, die Jugendämter, die Wohlfahrtsverbände doch auch Ihnen.Jetzt noch einen Punkt, jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Stark. Sie wissen ganz genau, daß die verschiedenen Vorschriften dieser Rechtsmaterie seit Jahren penibel und sorgfältig beraten werden. Sie sind ja bei diesen Beratungen dabei. Sie werden doch auch nicht sagen können — gerade Sie und Herr Klein nicht —, daß in diese Beratungen und auch in unsere Überlegungen nicht Ihre Anregungen und Vorschläge bis zu diesem Punkt eingehen, wo sie für den Sinn des Gesetzes, nämlich Hilfe für Kinder in nicht heilen Familien zu bringen, noch eben vertretbar sind.
— Wir beraten ja noch, natürlich.Eines ist doch auch festzuhalten, daß wir die Anregungen beider Kirchen und der gesellschaftlichen Verbände, die sich in dankenswerter Weise mit dieser schwierigen Materie befaßt haben, aufnehmen. Das steht auch außer Zweifel.Jetzt lassen Sie mich noch auf ein Weiteres kommen, Herr Friedmann; es reizt mich eben. Sie haben heute morgen gerügt, daß sich auch einige von uns kritisch mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen. Sie rügen Tatsache, Inhalt und Stil eines solchen Vorgehens. Ich spreche jetzt nicht für das, was Sie zum Justizminister gesagt haben, sondern zu dem, was in bezug auf unsere Kollegen gesagt wurde. Lassen Sie mich dazu dreierlei feststellen:Erstens. Ich bin der Auffassung, daß auch wir uns Gedanken machen müssen und können, wie notwendige Abgrenzungen zwischen obersten Verfassungsorganen auszusehen haben und ob die notwendige Zurückhaltung allseits beobachtet wurde.Zweitens bin ich der Auffassung, daß auch Kritik an ergangenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts legitim und erforderlich ist. Warum sollte man nicht die Methode eines ergangenen Urteils oder die dort gewählte Sprache kritisieren dürfen, wenn ein solches Urteil z. B. schon in der Sprache die gebotene Gelassenheit verläßt? Ich kann nicht einsehen, warum ich es kritiklos hinnehmen soll, wenn ich lesen muß, ein Beamter habe sich in „seinem" Staate „jederzeit" zu Hause zu fühlen. Ich bin der Meinung, hier wäre mehr Gelassenheit in der Sprache gefordert.
Auch Ihr großes Vorbild Adenauer war da gar nicht pingelig. Ich darf Sie nur an seinen Ausspruch erinnern: „Das Bundesverfassungsgericht ist in erschütternder Weise vom Wege des Rechtes abgewichen." Also, was soll's!
Drittens. Herabwürdigende Kritik ist unzulässig, Einmischungsversuche in schwebende Verfahren um so mehr — —
— Ja, gut. Wenn das Dehler gewesen sein sollte, werden Sie es vielleicht besser wissen. Ich kenne das als Zitat von Herrn Adenauer. Sei's drum, Herr Klein!
— Danke schön, Herr Hartmann.Aber lassen Sie mich auf meine dritte Bemerkung zurückkommen. Ich bin der Meinung, daß herabsetzende Kritik ebenso wie Einmischungsversuche unmöglich sind. Unter vernünftigen Menschen ist das auch nicht zweifelhaft. Nur bleibt wohl eines festzuhalten. Eine Feststellung, die Ihnen inhaltlich nicht paßt oder die vielleicht auch mir inhaltlich nicht passen mag, gehört nicht allein schon deswegen in diese dritte Kategorie. Herr Friedmann, Sie haben einen weiteren Punkt à la mode aufgegriffen, er hat den Gedanken von Herrn Barzel gestern „Wider die Hydra von Paragraphen" auf das Gebiet der Rechtspolitik transponiert, auch ein Thema, das wir wohl bis zu den nächsten Wahlen ständig hören werden. Auch dazu zwei Bemerkungen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Frau Dr. Däubler-GmelinWenn man unbedingt die Zahl der Gesetze und Verordnungen, die Seiten des Bundesgesetzblattes als gültiges Kriterium für Gesetzes- oder Verordnungsflut nehmen will, dann stehen wir in den letzten Jahren gar nicht schlecht da. Zur Erinnerung: von 391 Gesetzen und Verordnungen im Jahr 1976 fielen wir auf 272 im Jahr 1978; nach der Seitenzahl berechnet, wenn Sie es genau wissen wollen: von 3 884 im Jahr 1976 auf 2 100 im Jahr 1978. Aber wer zwingt uns eigentlich, diese doch nicht ganz glückliche Scheinargumentation auch dann zu benutzen, wenn es — wie hier — um Sachauseinandersetzungen geht? Daß sie draußen als Polemik für Sie vielleicht ganz brauchbar ist, mag ja sein.
Diese Zahlen bieten doch überhaupt keine Kriterien für die Beurteilung der Frage, ob Gesetze, ob Rechtsverordnungen überflüssig sind, geschweige denn welche.Sie können das ganz leicht erkennen, wenn Sie das Bundesgesetzblatt anschauen. Dann werden Sie feststellen, daß die dicksten Paragraphenkonvolute in aller Regel Folge der internationalen Verflechtungen sind, die den binnenländischen Otto Normalbürger überhaupt nicht betreffen können. Ich bin der Auffassung — jetzt darf ich wieder zitieren —, „daß neue Tatsachen neue Gesetze erfordern können" und daß „es mit dem Aufschrei gegen immer neue Gesetze nicht getan sein kann". Sie merken es vielleicht noch nicht, aber ich darf es Ihnen sagen: Ich zitiere den Kollegen Lenz im Juni des letzten Jahres. Ich stimme ihm in der Sache zu, allerdings nicht in bezug auf das Rechtsgebiet, das er damals ansprach.Er sprach davon, daß man neue Gesetze auf dem Gebiet des Strafrechts zur Bekämpfung des Terrorismus brauche. In dieser Frage bin ich nicht seiner Meinung, sondern der des Justizministers, der deutlich erklärt hat, daß die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Bekämpfung des Terrorismus abgeschlossen sei, was den Zuständigkeitsbereich des Bundesministers der Justiz betreffe.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hartmann?
Aber gern, Herr Hartmann.
Frau Kollegin, da Sie sagen, die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Terrorismus sei abgeschlossen, bitte ich Sie, mir die Frage zu beantworten: Beabsichtigt Ihre Fraktion, die neu geschaffenen §§ 88 a und 130 a StGB, also Befürwortung von Gewalt und Anleitung zu bestimmten Straftaten, wieder rückgängig zu machen und das Kontaktsperregesetz in die Richtung der Stellung eines Pflichtverteidigers zu novellieren, wie es die FDP laut „Süddeutsche Zeitung" von heute vor- hat?
Herr Hartmann, ich habe das natürlich auch gelesen. Wenn es nach mir geht — aber ich bin nur ein Mitglied meiner Fraktion —, werden wir damit genau das machen, was wir mit allen Entwürfen tun, die im Bundestag eingebracht werden: Wir werden das beraten, und dann sehen wir weiter.Lassen Sie mich zu dem zurückkommen, was ich sagen wollte. Bei der Bekämpfung der Gesetzesflut kommt ja eines hinzu: Wir arbeiten sehr viel mit Verordnungsermächtigungen. Diese Verordnungsermächtigungen werden durch die Exekutive ausgefüllt. Wir werden beobachten • müssen, ob der Schwerpunkt unserer gesetzgeberischen Arbeit dadurch vom Parlament weg verlagert wird. Wenn und wo das der Fall ist, werden wir uns Mittel ausdenken müssen
— gleich, Herr Erhard —, die sinnvoll sind und weniger Nachteile mit sich bringen, als sie zunächst Vorteile zu haben scheinen. Was Sie zu § 6 des Straßenverkehrsgesetzes ins Gespräch gebracht haben, war ja nur ein Vorschlag, der nach unserer übereinstimmenden Meinung nicht generell anwendbar ist. Da werden wir weiter nachdenken müssen.Ein letzter Punkt, Herr Friedmann: Sie haben den Gesetzentwurf zur Aussetzung eines Strafrestes der lebenslangen Freiheitsstrafe kritisiert. Lassen Sie mich dazu folgendes festhalten, weil das — entschuldigen Sie — etwas diffus war.Erstens. Bei dem Gesetzentwurf handelt es sich um die Ausführung eines Auftrages des Bundesverfassungsgerichtes. Das müßten Sie eigentlich wissen. Zweitens. Wenn Sie sich jetzt auf unseren ehemaligen Kollegen und jetzt baden-württembergischen Justizminister Dr. Eyrich beziehen, so hätten Sie eigentlich schon der Haushaltsdebatte zur Rechtspolitik von vor zwei Jahren entnehmen können,
daß er sich keineswegs gegen diese Regelung ausgesprochen hat. Was er damals angeregt hat, war vielmehr, zu vermeiden, in ein solches Gesetz eine Entlastungsautomatik einzubauen.Ein Blick in den vorliegenden Gesetzentwurf zeigt Ihnen, daß dem Rechnung getragen worden ist. Die Kritikpunkte, die er jetzt vorgetragen hat, Herr Friedmann, beziehen sich doch nicht auf den Grundsatz bzw. auf das Verfahren, sondern er ist der Meinung, daß die Prüfung nicht nach 15, sondern nach 18 Jahren erfolgen solle.
— Das, was ich von ihm zuletzt gehört habe — in einem Rundfunkinterview —, waren 18 Jahre.Jetzt eine wirklich letzte ,Bemerkung: Eines hat mir an Ihren Ausführungen heute morgen überhaupt nicht gefallen. Daher will ich hier feststellen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10439
Frau Dr. Däubler-Gmelindaß die Aufhebung der Verjährung bei Mord ein Problem ist, das man nicht so aus der „la main" losen wollen sollte. Dieses Problem wird uns in den nächsten Monaten auch in diesem Haus sehr eindringlich zu beschäftigen haben, und zwar unter den verschiedensten Gesichtspunkten: rechtspolitischen, verfassungspolitischen, moralischen und ethischen. Ich weigere mich, jetzt hier darauf einzugehen, und ich weigere mich noch viel mehr, Herr Friedmann, einen Zusammenhang zwischen der Ausführung des Auftrags des Bundesverfassungsgerichts und dem Vorhaben vieler Kollegen aus den verschiedensten Fraktionen herzustellen. Gestatten Sie mir deswegen, daß ich dazu jetzt nichts sage.
: Gern! — Beifall bei der SPD und der FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In diesem Bereicht hat die CDU/CSU nun zum wiederholten Mal den Brauch gepflogen, daß der zuständige Herr aus dem Haushaltsausschuß auch hier zu dem von ihm zu vertretenden Gebiet etwas sagt. Ich halte es ausdrücklich für eine sehr vernünftige Geschichte, daß man sich nicht immer nur mit dem Zahlenwerk befaßt, sondern sich auch mit dem, was dahintersteht, auseinandersetzt und seine Ansicht dazu bei dieser Gelegenheit hier im Haus vorträgt.
Das geht weniger ins Detail. Aber es ist dann um so eher verständlich, wo die großen Unterschiede liegen können, und die Debatte mehr auf das zurückgeführt, was man von der CDU/CSU draußen im Lande sonst zu rechtspolitischen Fragen hört, und es wird nicht, wie es bei Ausführungen von Kollegen aus dem Rechtsausschuß bei solchen Gelegenheiten der Fall ist, alles so sehr detailliert dargestellt, daß diese groben Gegensätze, auch Unterstellungen, nicht deutlich werden.'Sie haben einige Bemerkungen ganz generell gemacht. Frau Däubler-Gmelin ist bereits darauf eingegangen. Tatsächlich sind wir mit Ihnen der Meinung, daß man die Gesetzgebungsflut eindämmen soll. Freilich bin ich mit Frau Däubler-Gmelin darin einig, daß die Seitenzahl im Bundesgesetzblatt allenfalls ein Indikator, aber nur ein recht grober ist und daß man in genauere Analysen eintreten muß, wodurch der mal größere, mal kleinere Umfang des Bundesgesetzblatts verursacht wird.Wir glauben, feststellen zu können, daß bei den Zahlen, die heute für das letzte Jahr genannt worden sind, der Bundesminister der Justiz neben Lob für seine Tätigkeit im allgemeinen auch auf dem von Ihnen erwähnten Spezialgebiet Lob verdient, weil die Welle der Gesetzgebungsflut sich ganz deutlich verlangsamt hat und weil sehr gründlich überlegt wird, ob dieses und jenes Gesetz überhaupt und in welchem Umfang es erforderlich ist.Der von Ihnen wiederholt herangezogene Reiseveranstaltervertrag war ursprünglich in einem Entwurf vorhanden, der sich im Laufe der Beratung mit tatkräftiger Hilfe des Bundesjustizministers ganz erheblich verkürzt hat. Sie scheinen nur den letzten Teil der Beratungen mitbekommen zu haben, nämlich zu dem Zeitpunkt, als Ihre Fraktion durch Ihren Sprecher diesem Gesetz widersprochen und schließlich gemeint hat, es sei überhaupt nicht notwendig gewesen. Das war die letzte Stellungnahme der CDU/CSU — zu einem Zeitpunkt, als ohnehin nichts mehr zu verändern war. Bei früherer Gelegenheit — das habe ich hier bei der Beratung des Gesetzentwurfs schon gesagt — ist es von Ihnen durchaus gefordert und begrüßt worden, daß ein solches Gesetz gemacht wird.So ist es ja leider in vielen Fällen. Mit der verbalen Bekundung, daß die Gesetzesflut eingedämmt werden soll, ist es überhaupt nicht getan, wenn Sie gleichzeitig für dieses und jenes und noch etwas eine besondere Regelung verlangen, und dies meist nicht zu sehr aus dem Kreis des Rechtsausschusses, sondern aus der Fülle von Fachausschüssen, die meinen, in ihrem Bereich einen neuen regelungsbedürftigen Tatbestand entdeckt zu haben, der hinterher vom Rechtsausschuß allenfalls mitberaten wird und den auch der Bundesjustizminister meist nur beratend beeinflussen kann.Dennoch, so meine ich, haben wir eine Beruhigung der Diskussion, trotz Ihrer anhaltenden verbalen Übungen zur Verschärfung des Strafrechts, an die Sie wohl doch nicht mehr so sehr glauben, wie Sie das in früheren Jahren dargetan haben, weil deutlich geworden ist, daß die Praxis entscheidender ist. Wir haben das ja heute beim Haushalt des Innern wieder einmal diskutiert. Abgesehen davon haben Sie Ihre Vorwürfe da erheblich zurückgeschraubt. Wir werden auch dabei bleiben, daß hier zusätzliche Gesetze nicht erforderlich sind. Vielmehr müssen die Einwirkungen auf den Gebieten liegen, die heute bei der Beratung des Haushalts des Innern dargestellt worden sind.In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß die „Süddeutsche Zeitung" heute — und darauf hat offenbar der Kollege Hartmann Bezug genommen — einen Beschluß unseres Bundesvorstandes auf Grund einer Mitteilung unserer Pressestelle beim Bundesvorstand abgedruckt hat, nach dem eine Kommission in der FDP eingesetzt worden ist, die überprüfen soll — und nichts weiter als überprüfen; das steht auch völlig korrekt darin —, wie sich die von Herrn Hartmann vorhin genannten Bestimmungen in der Praxis auswirken, ob sie in dem Umfang, in dem sie seinerzeit beschlossen worden sind, aufrechterhalten werden müssen oder nicht, ob sie sich bewährt haben, ob sie etwa verändert werden sollen. Es handelt sich, wie ich meine, um eine sehr nützliche Tätigkeit, sich Gesetze auch dann noch einmal anzuschauen, wenn man sie mit beschlossen hat, und zu prüfen, was daraus geworden ist und ob sie den Zweck erfüllen, den man bei der Verabschiedung im Auge gehabt hat. Deshalb ist diese Kommission eingesetzt worden.
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10440 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
KleinertDer Bundesinnenminister hat mir vorhin mitgeteilt, daß er es ausdrücklich ablehnen würde, den Vorsitz in einer solchen Kommission zu übernehmen. Vielmehr wolle er sich, wie die anderen dort genannten Mitglieder, die irgendeine besondere Sachkunde einzubringen haben, auf die Mitberatung beschränken. Er glaubt nicht, daß der Vorsitz in einer solchen Kommission, die etwa auch kritische Anmerkungen zu seinem eigenen Amtsbereich zu machen haben würde, sich mit seinem Amt verträgt. Insofern ist diese Meldung also etwas zu korrigieren, was ich hiermit gerne tue.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hartmann?
Unter Verzicht auf den kurzen Dienstweg, jawohl, Herr Präsident.
Vielen Dank, Herr Kollege Kleinert. — Herr Kollege Kleinert, halten Sie es für möglich und für seriös, nach so kurzer Zeit nach dem Beschluß über neue Strafrechtsvorschriften diese auf ihre praktische Wirksamkeit zu überprüfen und möglicherweise nach einem Jahr oder nach zwei Jahren ein Urteil darüber zu fällen? Oder sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß da nach der Methode gehandelt wird: 'rin in die Kartoffeln, 'raus aus die Kartoffeln? Das ist doch keine seriöse Gesetzgebung, die Sie hier praktizieren wollen.
Herr Hartmann, ob irgend jemand in irgendeinem der dort nur beispielsweise zitierten Punkte aus Kartoffeln wieder heraus will, das soll ja gerade eine solche Beratung erst ergeben. Da würde ich mit Prognosen vorsichtig sein.Zweitens hat das Bundesverfassungsgericht gelegentlich einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Kontaktsperregesetzes dem Bundestag ausdrücklich, und zwar unmittelbar nach Verabschiedung dieses Gesetzes, zu bedenken gegeben, ob wir nicht in der Frage des Zugangs eines Verteidigers zu demjenigen, der unter das Kontaktsperregesetz fällt, andere Regelungen oder überhaupt irgendwelche Regelungen treffen sollten. Diesem Anliegen des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen, dient unter anderem die Einsetzung dieser Kommission. Das halte ich nun für das Gegenteil von unseriös. Ich halte es ausgesprochen für ein gutes Beispiel, wie wir uns auf das einstellen, was das Bundesverfassungsgericht hierzu gemeint hat.Darüber hinaus gibt es im Bereich des § 88 a inzwischen eine ganze Anzahl von Verfahren. Es existiert darüber eine Liste. Es gibt inzwischen drei oder vier Urteile und eine große Zahl von Ermittlungsverfahren, die zu einem erheblichen Teil bereits eingestellt worden sind. Es handelt sich, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, um etwa 60 Verfahren. Sich einmal anzuschauen, wie diese 60 Verfahren in Gang gekommen und warum sie eingestellt worden sind, sich anzuschauen, wie es in den Fällen gewesen ist, in denen es zu einem Urteil kam, kann ich nun überhaupt nicht für unseriös halten, sondern sehe ich als zeitnahe Kontrolle von Erfolg und Ergebnis dessen an, was wir hier gesetzlich machen. Da muß ich Ihnen also schon widersprechen und Ihnen sagen: Was wir hier tun, ist eine sehr verantwortungsbewußte Verfolgung der Rechtspolitik auch dann, wenn ein Gesetz dieses Haus verlassen hat.
Wir erleben ja im übrigen auf einem anderen Gebiet, wie Sie es von der ersten Minute an zulassen, daß ein Gesetz, das Sie mitbeschlossen haben, nämlich das neugeschaffene Ehegesetz, von vielen Menschen, besonders aus Ihrer Partei, in der Öffentlichkeit schärfstens angegriffen wird, bevor überhaupt die geringste Möglichkeit bestand, praktische Auswirkungen abzuwarten. Es wird heftigste Kritik geäußert. Dabei stellt sich nun nach Verlauf von einigen Jahren heraus, daß besonders kritisierte Punkte sich in der Praxis interessanterweise eingeschliffen haben und die Rechtsanwender und die Betroffenen damit einigermaßen oder sogar sehr gut zurechtkommen, während andere, zunächst nicht als kritisch erkannte Punkte zu erheblichen Bedenken Anlaß geben. Diese verkennen wir überhaupt nicht. Sie konnten unserer Ansicht nach bei einer so grundsätzlichen Änderung des hier anstehenden Rechtes auch nicht vermieden werden. Wir werden sie aber, wenn Erfahrungen vorliegen, entsprechend ändern müssen.Der Verlauf dieser Diskussion über das Ehegesetz ist kennzeichnend dafür, wie man nun tatsächlich die Kontrolle nicht machen sollte, indem man nämlich in breitesten Bevölkerungskreisen Emotionen anspricht und das ganze Gesetz irgendwie schlecht macht, ohne sich sachlich dem Thema zu nähern. Wir sind bereit, die Fehler, die hier gar nicht vermieden werden konnten, bei Gelegenheit zu korrigieren. Wie in dem anderen Bereich werden wir dies aber erst dann tun, wenn wir auch wirklich wissen, wie es sich in der Praxis auswirkt. Die Kontakte, insbesondere mit den Familienrichtern, die wir in eigens dazu geführten Gesprächen überall im Lande haben, gehabt haben und noch haben werden, sind für uns sehr wesentlich für das, was wir weiterhin tun müssen. Man kann aber nicht hergehen und sagen: Hättet ihr mal alles beim alten gelassen und hättet ihr bloß nicht in der „Reformitis" die bewährten Bestimmungen, die die CDU 1961 hier in einer Nacht-undNebel-Aktion zum Nachteil einer ganzen Menge von Betroffenen in das Scheidungsrecht eingebracht hat, wieder geändert! Das Problem war da und ist in einer großen Anstrengung angegangen und im wesentlichen unter Berücksichtigung der neuen Einschätzung des partnerschaftlichen Verhältnisses in der Ehe vernünftig gelöst worden. Die Mängel, die dabei insbesondere im Bereich des Folgenrechtes verblieben sind, werden nach und nach deutlich. Ich habe einige Dinge gehört, auf die bestimmt niemand im Rechtsausschuß gekommen ist, die sich in der Praxis ergeben haben. Diese muß man dann abstellen. Man darf aber nicht das Ganze schlecht machen und dazu noch falsche Punkte auswählen.Ich wäre dankbar, Herr Friedmann, wenn Ihre Fraktion den Worten Taten folgen ließe und wenn Sie z. B. auch einmal mithelfen würden, statt so pauschal die Dicke des Bundesgesetzblatts zu beklagen,
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KleinertI in der Bevölkerung draußen für die Arbeit des ganzen Hauses im Bereich der Gesetzgebung etwas mehr Verständnis zu wecken. Wir hören z. B. immer, wir seien „der Gesetzgeber". Dagegen ist verfassungsrechtlich mit Sicherheit nichts einzuwenden. Wir unternehmen aber alle zusammen viel zu wenig den Versuch, denjenigen, die sagen: da hat der Gesetzgeber euch aber wieder einmal etwas Schönes eingebrockt, entgegenzutreten und zu erklären, wie so ein Gesetz zustande kommt.Die Mehrzahl der Gesetzentwürfe stammt nicht aus der Mitte des Hauses, sondern wird nach jahrelanger Vorarbeit in den Ministerien entwickelt, wird mit den Interessenten besprochen, häufig, bevor wir überhaupt Kenntnis von den Vorentwürfen haben, und erreicht uns dann zum erstenmal in einem verhältnismäßig späten Stadium. Das hat zur Folge, daß diejenigen, die so einen Gesetzentwurf ursprünglich entwickelt haben, dann mit Zähnen und Klauen jedes einzelne Wort und jedes einzelne Komma in unseren Ausschüssen gegen Änderungswünsche verteidigen. Deshalb ist es sehr problematisch, von d e m Gesetzgeber zu sprechen.
Da gibt es aber auch noch andere Beispiele. Nehmen Sie bloß den segensreichen Entwurf eines Gesetzes über den Vertrieb von Anteilen an Vermögensanlagen. Zunächst gibt es da eine Menge durchaus seriöser, zum Teil aber auch sehr unseriöser Geschäftsleute, die Investmentzertifikate, irgendwelche Abschreibungsbeteiligungen an unterschiedlichsten Objekten verkaufen und in der Öffentlichkeit verschiedentlich, teils zu Recht, teils zu Unrecht, wegen ihrer Praktiken angegriffen worden sind. Deshalb kommen die seriöseren unter ihnen auf den Gedanken: Wir sollten uns darum bemühen, die Ausübung unserer Tätigkeit durch ein Gesetz geregelt zu bekommen, dann würden wir diesen öffentlichen Angriffen besser entgegentreten können. Leute, deren Tätigkeit gesetzlich geregelt ist, sind von Hause aus seriöser als Leute, die einfach nur so tätig sind. Das ist die Meinung nicht nur bei diesen, aber auch bei diesen. Sie bemühen sich dann also darum, ein solches Gesetz zu bekommen. Sie stecken sich dazu zunächst in aller Regel nicht hinter Abgeordnete, sondern hinter Ministerialbeamte. Dann nimmt das Unglück seinen Lauf.Dann kommt die andere Seite, z. B. die Geschäftsbanken, und sagt: Diese unerfreuliche Konkurrenz sollte vielmehr kontrolliert werden. Dazu ist ein solches Gesetz gerade gut. Deshalb stecken die sich auch hinter diejenigen, die das Gesetz entwerfen, um ihnen zu sagen: Das und das müßt ihr verschärfen, das könnt ihr noch ein bißchen umständlicher machen, damit die mehr mit Verwaltung zu tun haben als mit dem Geschäft; das ist für uns dann gar nicht so schlecht; schränkt deren Möglichkeiten bei der Gelegenheit ein wenig ein!Daraufhin sagen die Herren aus dem Bundesfinanzministerium: Das ist eine unheimlich günstige Gelegenheit, das, was uns mit unseren diversen Novellierungen des diesbezüglichen Steuerrechts nicht gelungen ist, nämlich das Auftun immer neuer Abschreibungsmöglichkeiten zu verhindern, bei dieser Gelegenheit dadurch zu erreichen, daß man das Ganze so kompliziert, daß sie wenigstens seltener genutzt werden. Das wird auch da mit hineingebracht.Nun sagen sich die Menschen: Es kann nicht schaden, wenn das alles gut geprüft wird, und es wird auch die Wirtschaftsprüfer sehr freuen, wenn in das Gesetz hineingeschrieben wird: Die Vorschläge für eine solche Vermögensanlage sind von einem Wirtschaftsprüfer zu prüfen. Der macht dann sein Siegel darunter. Das dient natürlich der Werbewirksamkeit eines solchen Angebots im höchsten Maße. Es bringt aber den Gesetzgeber in die fatale Lage, daß er sich mitschuldig daran macht, daß in dem Interessenten die Idee geweckt wird, hier sei etwas geprüft worden und es könne ihm nichts passieren. Wie soll denn der arme Wirtschaftsprüfer wissen, ob da in Kanada Uran und in Arabien bei dieser Abschreibungsunternehmung schließlich Öl gefunden wird oder ob sich die Natur diesen Bemühungen versagt, ohne daß betrügerische Absichten im Spiele sind?Wenn wir ein solches Gesetz verabschiedeten, trügen wir also so zur Täuschung des Bürgers bei — und das bei dem Versuch, ihn zu schützen.
Nun muß man sich auch noch klarmachen, wer hier eigentlich geschützt werden soll. Das sind in erster Linie Rechtsanwälte und Notare, Zahnärzte und Ärzte
— solche wie ich auch —, die den verständlichen Wunsch haben, bei dieser Gelegenheit völlig legal Steuern zu sparen. Diejenigen sollen nun vor sich selbst und vor dem Risiko dessen, was sie versuchen, geschützt werden.Deshalb machen wir dann ein Gesetz, als dessen Folge dann schließlich noch einige Stellen bei der Bankenaufsicht in Berlin zu dem hochinteressanten Zweck geschaffen werden müssen, daß die so geprüften Prospekte dort angemeldet und hinterlegt, aber keineswegs etwa geprüft werden können. Das findet nicht statt — denn das würde ja Verantwortung begründen —, sondern es soll lediglich die Hinterlegung und Katalogisierung erfolgen, und dafür braucht man dann Planstellen.Wenn Sie sich das alles zusammen angucken, insbesondere die Entstehung eines solchen Vorgangs, wenn Sie versuchen, der Bevölkerung das klarzumachen — das können Sie an jedem anderen Beispiel auch darlegen, ich habe nur einmal dieses gewählt —, und wenn Sie dann mit uns hergehen, dieses so gewonnene Verständnis in die Praxis umzusetzen und wirklich weniger Gesetze zu machen, z. B. bei diesem Gesetz, dann haben Sie einen wichtigen Beitrag zu einer seriösen Rechtspolitik geleistet, einer seriösen Rechtspolitik, die vom Bundesminister der Justiz und seinen Beamten in den letzten Jahren in einer vorbildlichen Weise getrieben worden ist.Mit der Verwirklichung einer Reihe von Forderungen, die Sie erst heute aufstellen, ist da schon viel
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Kleinertfrüher begonnen worden. Dafür möchten wir allen Beteiligten, besonders aber dem Bundesminister der Justiz, bei dieser Gelegenheit herzlich danken und Sie bitten, nach sachlicher Betrachtung eines solchen Haushalts in Zukunft, so wie wir das tun werden, aus Ihrem Herzen keine Mördergrube zu machen, sondern diesem Haushalt aus sachlichen Gründen zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte meinen Beitrag mit einem Wort des Dankes beginnen. Dank gilt dem Haushaltsausschuß, insbesondere den beiden Berichterstattern, den Herren Kollegen Westphal und Dr. Friedmann, für die immer kritische, aber wohlwollende Behandlung des Etats meines Ressorts. Gleichzeitig möchte ich wiederum — wie im letzten Jahr — dem Rechtsausschuß danken. Auch in der Zeit seit der Verabschiedung des letzten Haushalts hat es eine faire und sachliche Zusammenarbeit zwischen dem Ausschuß und meinem Ressort gegeben. Auch ist im Rechtsausschuß ein ganz erhebliches Arbeitspensum bewältigt worden.
Ihr heutiger Beitrag, Herr Kollege Friedmann, entsprach durchaus diesem sachbezogenen Stil — das habe ich anzuerkennen —, allerdings haben Sie sich auf die Punkte beschränkt, die Sie für kritikwürdig halten. Ich meinerseits habe zu diesen Punkten folgendes zu erwidern.
Erstens. Zum Stichwort „Elterliche Sorge": Wenn man Ihnen zuhört, dann gewinnt man den Eindruck, dieser Entwurf sei vorgelegt worden, werde beraten und verändert um die Familie auszuhöhlen und zu zerstören. Herr Kollege Friedmann, ich vermag nicht einzusehen und zu verstehen, wie man dieses Schreckensbild mit der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzentwurfs in Einklang bringen kann. Sie und die anderen Damen und Herren der Opposition wissen doch genauso wie die Mitglieder der Koalitionsfraktionen, daß der erste Anstoß zur Erneuerung dieses Rechts, eben weil das geltende Recht dem Wohl des Kindes und dem heutigen Grundrechtsverständnis nicht mehr Genüge tut, vom Bundesrat ausging, der das bereits im Jahre 1967 einstimmig verlangt hat.
Ich wäre dankbar, Herr Kollege Friedmann und meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, wenn Sie hinsichtlich der Entstehungsgeschichte doch immer wieder auch das zur Hand nehmen wollten, was der Deutsche Caritasverband in seiner Stellungnahme zu dem Projekt ausgeführt hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, wobei ich mir allerdings —quasi in Fußnote — immer die Frage vorlege, an
welcher Stelle unserer Geschäftsordnung dieses Verfahren vorgesehen ist.
Herr Bundesminister, darf ich Sie unterbrechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr, Herr Präsident.
Es wird kaum möglich sein, daß Bundesminister den Plenarsitzungen immer beiwohnen. Daher darf ich noch einmal sagen: In einer der Plenarsitzungen habe ich bereits mitgeteilt, daß die Zustimmung des Präsidenten für ein Zitat nicht erforderlich ist, weil in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedanke mich sehr herzlich, Herr Präsident. Ich sehe das für meine Person als eine Generalerlaubnis an; ich werde daher die Genehmigung nicht mehr erbitten und dadurch im Laufe der kommenden Jahre vier bis fünf Stunden Zeit ersparen.
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
— Sehr liebenswürdig; im Protokoll über diese Sitzung kann es künftig nachgelesen werden.Aber nun zu dem genehmigungsfreien Zitat. Die Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes lautet:Es besteht allgemeine Übereinstimmung darüber, daß die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die elterliche Gewalt geändert werden müssen, um gemäß dem heutigen Verfassungsrecht sowohl den Eltern als auch dem Kinde Schutz, Förderung und Hilfe zu sichern, wie sie ihnen in einem sozialen Rechtsstaat zukommen.Meine sehr herzliche Bitte ist, daß Sie unter diesen Aspekten mitwirken, zu einem vernünftigen Ausgleich zwischen den verschiedenen hier zitierten Gesichtspunkten zu kommen.
Wie der Zufall spielt, meine Damen und Herren: Im Zuge der Debatte ist es mehr und mehr Übung geworden, auflagestarke Zeitungen mit gutem Namen zu zitieren. Ich habe hier nicht die „Neue Zürcher Zeitung", aber immerhin „Die Zeit" anzuführen. Herr Kollege Friedmann, in der „Zeit" steht heute zu diesem Thema ein lesenswerter Artikel, in dem sich zum Schluß folgendes Resümee findet: — —
— Lieber Herr Kollege, wollen wir die Debatte vongestern wieder aufgreifen, um die Frage zu ent-
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Bundesminister Dr. Vogelscheiden, wer auf dem Rückzug ist, die Koalition oder Sie? Ich glaube, wir sollten es nicht.
Zum Recht der elterlichen Sorge heißt es hier, was ich auch für sehr bedenkenswert halte:Als Instrument der Zerstörung der Familie läßt sich das Gesetz kaum mehr deklarieren, es sei denn, man wäre ohne Rücksicht auf den Gesetzestext entschlossen, es zum Anlaß einer ideologisch-politischen Kampagne zu benutzen.Dies will ich Ihnen nicht unterstellen. Deswegen wiederhole ich meine Bitte und meine Einladung zur Zusammenarbeit, um diese Dinge zu einem guten Ende zu bringen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne.
Herr Minister Vogel, nachdem Sie eben den Deutschen Caritasverband zitiert haben, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß beide Kirchen schwerwiegende Bedenken gegen den jetzigen Gesetzentwurf öffentlich erhoben haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Friedmann, mir ist bekannt, daß intensive Gespräche mit beiden Kirchen stattgefunden haben, die ihren Niederschlag im Gang der Beratungen gefunden haben. Mir ist nicht bekannt, daß von der evangelischen Seite schwerwiegende Bedenken geäußert werden. Von der katholischen Seite ist mir nur bekannt, daß in ungewöhnlich intensiven Verhandlungen und Gesprächen die Dinge im Meinungsaustausch diskutiert worden sind. Daß allerdings allmählich im katholischen Bereich das Resonanz findet, was sich als ideologisch-politische Kampagne und als ununterbrochene Darstellung eines Schrekkensgemäldes abspielt, befürchte ich, und dafür mag es erste Anzeichen geben.
Zweiter Punkt: Die Frage nach dem Strafrecht, in doppelter Richtung gestellt. Einmal geht es um die Prüfung schon erlassener Gesetze. Ich glaube, es kann für einen Justizminister, gleich welcher Couleur, demgegenüber überhaupt nur eine Haltung geben: Selbstverständlich sind Erfolgskontrollen notwendig. Selbstverständlich muß auch Verabschiedetes vernünftig und sorgfältig geprüft werden. Ich darf den Kollegen Hartmann an unser gemeinsames Heimatland erinnern, wo die Gebietsreform, die Gemeindereform, überhaupt noch nicht richtig abgeschlossen ist, aber nichtsdestoweniger schon wieder überprüft wird, weil es weitere Gesichtspunkte und Erkenntnisse gibt, übrigens aus dem gar nicht unanständigen Grunde, daß sich die davon Betroffenen rühren und dagegen Bedenken haben. Das ist ein völlig normaler Vorgang.
— Lieber Kollege Hartmann, bei meinem Beispiel der Gebietsreform ist es doch nicht der Zeitablauf, sondern der Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten, der zu der neuen Überprüfung führt. Das ist doch der Ausgangspunkt. Ich kritisiere das gar nicht. Nur kann man das nicht an einer Stelle so machen und es in anderem Zusammenhang als eine schlimme Sache darstellen.
— Ich glaube, da würden wir uns großen Haß der Kolleginnen und Kollegen zuziehen.
Und Widerspruch beim Präsidium!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich kann mich nur im Konjunktiv dazu äußern: Die Erörterung bayerischer Probleme würde dieser Präsident sicher mit Wohlwollen begleiten und nicht mit Widerspruch.Ich komme zur Frage der lebenslangen Freiheitsstrafe. Herr Kollege, auch da wird der Anschein von tiefen Gegensätzen und Streitigkeiten erweckt, die jedoch im Grunde auf die Frage zusammenschrumpfen: Soll diese unerläßliche, vom Verfassungsgericht zu Recht vorgeschriebene Prüfung nach 15, 16, 18 oder 20 Jahren stattfinden? Dies läßt sich doch nicht hochputschen zur Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe! Dies ist ein Disput, den wir im Ausschuß führen werden.Sie sagten, Sie könnten nicht verstehen, wieso man gegen die Verjährung von Mord und für diese Vorlage ist. Da muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Friedmann, dies ist doch nicht nur eine feine Nuance, sondern zweierlei: die Frage, ob der Staat jemanden wegen des dringenden Verdachts einer schweren Straftat noch zur Verantwortung ziehen kann, und die weitere Frage, welche Konsequenzen in diesem konkreten Fall hinsichtlich der Dauer des Strafvollzuges am Platze sind. Dies ist doch auch sonst in der Kriminalität ein ganz normaler Vorgang. Wir haben doch gemeinsam mit Ihrer Hilfe die Möglichkeit der Aussetzung selbst von Freiheitsstrafen von einem und zwei Jahren geschaffen. Der Täter wird zur Verantwortung gezogen, er wird verurteilt; aber weil besondere Umstände vorliegen, wird die Strafe überhaupt nicht oder nur zur Hälfte oder zu zwei Dritteln vollzogen.Dritter Punkt: die Gesetzesflut. Da darf ich mich auf das berufen, was schon Frau Kollegin Däubler-Gmelin und Herr Kollege Kleinert ausgeführt haben, wobei ich Herrn Kollegen Kleinert dafür danke, daß er nicht nur die Gesetzesflut beklagt, sondern — ob man ihm folgen kann, ist eine weitere Frage — gleich einen konkreten Vorschlag gemacht hat, wo ein Gesetz zu stoppen ist. Ich muß sagen: wenn ein Rechtsanwalt hier sagt, ein Gesetz, das in erster
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Bundesminister Dr. VogelLinie Rechtsanwälte und ähnliche Personen schütze, sei entbehrlich und überflüssig, dann sollten auch wir und Sie das ernst nehmen. Vielleicht gibt es als Frucht dieser Haushaltsdiskussion eine ganz große Koalition, die ein Gesetz miteinander anhält. Warum eigentlich nicht?
— Gut, ich möchte ja, daß dies weiterträgt.Im übrigen, meine Damen und Herren, ich will mich nicht wiederholen, aber es gibt objektive Hindernisse für die Einschränkung der Zahl der Paragraphen; das wissen wir alle. Ein Rechtsstaat braucht eben mehr als ein Staat, der kein Rechtsstaat ist. Eine Agrargesellschaft braucht weniger als eine entwickelte Industriegesellschaft. Lassen Sie uns sehen, was wir hier tun können. Mein Haus —„Juris" ist schon erwähnt — hat mit der Erfassung all der Unterlagen, die wir dafür brauchen, begonnen.Mir ist vorgehalten worden, Herr Kollege Friedmann, daß ich mit dem Verfassungsgericht einen unziemlichen Umgang pflege. Sie haben das, glaube ich, auf einen Artikel bezogen, den ich in einer Fachzeitschrit geschrieben haben. Herr Kollege, dazu gibt es eine, wie ich meine, ganz interessante Äußerung aus berufenem Munde. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts hat gerade in bezug auf diesen Artikel folgendes erklärt. Ich hätte es nicht vorgelesen, wenn Sie mich nicht dazu gedrängt hätten. Er hat zur Frage, wie man ein Gericht kritisieren soll und wie man mit dem Verfassungsgericht umgehen soll, gesagt:Im Septemberheft der „Deutschen öffentlichen Verwaltung" hat Jochen Vogel, seines Zeichens Justizminister in Bonn, vorgemacht, wie man so etwas wissenschaftlich niveauvoll und zugleich elegant anbringen kann.Mehr kann man sich nicht wünschen.
Ich hätte dieses Selbstlob nicht vorgetragen, Herr Kollege Friedmann, wenn Sie nicht das Stichwort gegeben hätten. Sie waren hier päpstlicher als der Papst, Herr Friedmann.Meine sehr verehrten Damen und Herren, jede Justizdebatte ist der Versuch einer rechtspolitischen Bilanz. Ihre Bilanz, Herr Friedmann, war — ich wiederhole das — sachlich, aber unvollständig und etwas einseitig; denn zur Bilanz gehören doch wohl auch die positiven Fakten, und die gibt es ja, weiß Gott. Da gibt es die unverdrossene Arbeit der über 4 000 Männer und Frauen, deren Dienstbezüge in dem Einzelplan veranschlagt sind, den Sie jetzt entscheiden. Diese Männer und Frauen bei den Gerichten des Bundes, die zu meinem Ressort zählen, beim Patentamt, bei meinem eigenen Ressort, verdienen nicht nur Erwähnung, sie verdienen ein Wort des Dankes bei dieser Gelegenheit, ganz gleich, welche Funktion sie wahrnehmen.
Unser Recht wäre weniger wirksam, unsere Sicherheit weniger gut geschützt, wenn diese Männer und Frauen nicht ihre Pflicht täten.Da gibt es weiter die günstigen Auswirkungen von Gesetzen, die der Bundestag in der letzten Legislaturperiode verabschiedet hat und deren Erfolg sich jetzt allmählich beurteilen läßt. Natürlich ist kein Gesetz vollkommen, aber die Praktiker bestätigen es uns doch: Das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat die Stellung des Verbrauchers verbessert, die ZPO-Novelle hat die Zivilprozesse beschleunigt — ein so kritischer Mann wie der Oberlandesgerichtspräsident Franzki aus Celle bestätigt es uns —, das Gesetz gegen Wirtschaftskriminalität hat die Verhütung und die Verfolgung neuartiger sozialschädlicher Praktiken erleichtert, und selbst das Eherecht — ich muß das Thema noch einmal aufgreifen — wird mehr und mehr so eingeschätzt, wie es ein Praktiker, der Fachreferent des Deutschen Richterbundes für Fragen des Familienrechts, der Kollege Leonhardy, im März 1978 getan hat. Schon damals begrüßte er die Prinzipen des neuen Scheidungsrechts und gab als Eindruck der Richterschaft — er ist selbst Richter im Saarland, ein Kollege von Herrn Thürk — die Auffassung wieder, die mit einem so umfassenden neuen Recht notwendigerweise zusammenhängenden Schwierigkeiten seien zu überwinden. Ähnlich hat Herr Professor Dr. Bosch, ein eher kritischer Altmeister des Familienrechts, auf dem ersten deutschen Familiengerichtstag das Gesetz als echten Fortschritt gewertet und als Ergänzung nur einige — wie er sich ausdrückte — Randkorrekturen angeregt. Die Liste der Beispiele ließe sich leicht verlängern. Meine Damen und Herren von der Opposition, warum übergehen Sie das alles? Darin steckt doch auch Ihre Arbeit.Da gibt es schließlich die Vorhaben, an denen die Mitglieder des Rechtsausschusses derzeit auf Grund von Vorlagen der Bundesregierung gemeinsam arbeiten. Ich nenne das Staatshaftungsgesetz, die Novelle zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, die Novelle zum GmbH-Gesetz und das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, dem ja doch auch der Kollege Hartmann, der sich allen Vorschlägen dieser Regierung eher unter betont kritischen Aspekten nähert, diskutable und verfolgenswerte Punkte abgewonnen hat. Sie weichen wohl im Detail ab, aber Sie stimmen doch in der Zielsetzung mit uns überein. Warum wollen Sie dann heute ablehnen?Zu den positiven Faktoren gehört weiter die Verstärkung unseres europäischen und unseres internationalen rechtspolitischen Engagements. Unter unserer Präsidentschaft hat der EG-Justizministerrat wichtige Beschlüsse gefaßt und ein Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstrekkung von Zivilurteilen im gesamten EG-Bereich einschließlich der neuen Mitglieder verabschiedet. Im Europarat wurde — mit auf unser Drängen — eine Resolution unterzeichnet und verabschiedet, die auf die weitere Zurückdrängung und schließliche Abschaffung der Todesstrafe abzielt.
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Bundesminister Dr. VogelEs gab unmittelbare Kontakte mit den Justizministern Ägyptens, Frankreichs, Israels, Norwegens, Osterreichs, der Schweiz und der Sowjetunion. Soll auch das Gegenstand der Ablehnung sein, die Sie angekündigt haben?Zu einer rechtspolitischen Bilanz im Rahmen einer Justizdebatte gehört noch eine letzte Feststellung, die Feststellung nämlich, daß sich im politischen Bereich neben der Auseinandersetzung über Einzelprobleme mehr und mehr auch eine Diskussion über Grundsatzfragen der Rechtspolitik entwickelt, eine Diskussion über das Wesen des Rechts, über das Verhältnis des Rechts zu den Grundwerten und Grundfreiheiten, über die Geltungsgründe des Rechts und über die Möglichkeiten und Grenzen seiner Wirkung in unserer Gesellschaft, eine Diskussion, die ebenso wie die Grundwertediskussion Gemeinsamkeiten keineswegs zu zerstören braucht, sondern sie klären und, wo nötig, neu zu definieren hilft, die dabei jedenfalls mehr hilft als ein Beiseitelassen, ein Schweigen, ein Übergehen.Sichtbar ist dies beim Ringen um Antworten auf die Herausforderung des Terrorismus. Die mitunter auf allen Seiten eher aufgeregte und vordergründige Diskussion über einzelne Änderungen der Strafprozeßordnung und des Strafgesetzbuches hat, nachdem das Notwendige in besonnener Weise geschehen ist, einer kontroversen, aber ernsthaften Suche nach den Ursachen Platz gemacht, aus denen sich zumeist junge Menschen mit schweren und schwersten Gewalttaten über das geltende Recht hinwegsetzen, ja die Geltung unserer Rechtsordnung überhaupt in Frage stellen. Mein Ressort wird dazu in den nächsten Wochen durch Vorlage einer wissenschaftlichen Untersuchung über den Stellenwert der Ideologie im Terrorismus einen Beitrag leisten.
Auch bei der Debatte über Eherecht und elterliches Sorgerecht stehen nicht mehr rechtstechnische Details, sondern Fragen danach im Vordergrund des Interesses, wie die Institutionen der Ehe und der Familie unter den veränderten Gegebenheiten der Gegenwart als lebendige Lebensformen erhalten und ihre Entfaltungs- und Realisierungsmöglichkeiten im Rahmen unserer Verfassung gewährleistet werden können; wie die Autonomie beider Institutionen nicht auf dem Papier des Gesetzblatts, das allzuoft mit der Wirklichkeit verwechselt wird, sondern in der Lebenswirklichkeit zu schützen und mit dem Wächteramt in Einklang zu bringen ist, das unsere Verfassung in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes in bezug auf die Pflege und die Erziehung der Kinder ausdrücklich und wörtlich dem Staat übertragen hat.Auch bei der Transplantation, meine Damen und Herren, geht es doch im Grunde nicht primär um Details. Es geht um die gerechte Abwägung zwischen der Hilfsbedürftigkeit des einen, dessen Leiden gelindert oder dessen Leben gerettet werden könnte, und dem Interesse des anderen, der seine körperliche Integrität auch nach dem Tod erhalten wissen will. Kann, darf hier das Recht dem einen die Minderung eines Rechtsgutes zumuten, um ein Rechtsgut eines anderen zu erhalten? Welches Rechtsgut hat den höheren Rang?Meine Damen und Herren, das sind doch Fragen, um die es sich zu streiten lohnt. Es sind aber auch Fragen, die ihres Ernstes wegen keinen Mißbrauch unter vordergründigen taktischen Aspekten vertragen.
Es gibt noch ein letztes, sehr überzeugendes Beispiel für meine Feststellung. Das ist die von Ihnen, Herr Kollege Friedmann, bereits angesprochene Frage, ob die Verjährung von Mordtaten fortbestehen oder aufgehoben werden soll. Auch hier diskutieren wir über Grundfragen des Rechts, nämlich über den Sinn und die Rechtfertigung des Strafens, über die Erfordernisse der Rechtssicherheit, über das, was die Wahrung des Rechtsfriedens auf dem Hintergrund jener grauenhaften Geschehnisse gebietet, die uns gerade in diesen Tagen Abend für Abend in so eindringlicher Weise von neuem, auch der jungen Generation, vor Augen geführt werden.Diese Debatte, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist aber auch ein Beispiel dafür, wie wir miteinander umgehen können, nein, ich meine, miteinander umgehen sollten, nämlich mit Respekt vor den Argumenten des anderen, mit Achtung vor seinem Gewissen, durchaus in kontroversen, ja, leidenschaftlichen Gesprächen, aber ohne Verdächtigung der Motive
und ohne vorschnelle Formierung der Meinungen, entlang von Partei- oder Fraktionsgrenzen, noch bevor sich die wichtigen Aspekte für die Meinungsbildung sämtlich und voll entfalten konnten.Gewiß, dieses Modell wird sich nicht in jedem Fall praktizieren lassen. Aber wir sollten ihm immer wieder als einem selbstgesetzten Maßstab gerecht zu werden versuchen. Ich bin so optimistisch, zuversichtlich — manche werden sagen: naiv —, zu glauben, daß sich auch die Beratung über einen Justizetat an diesem Modell orientieren könnte, daß sie Argumente sammelt, daß sie wägt, auch unter dem Eindruck von Rede und Gegenrede, und dann eine Summe zieht.Natürlich kann sich eine solche Debatte auch an den generellen Richtlinien orientieren, überall und in jedem Fall nein zu sagen. Das eine ist einfach, das andere ist schwierig. Das ist dann allerdings Ihr Prüfstein, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition. Ich bin ziemlich sicher, daß Sie den einfachen Weg gehen und ablehnen werden. Ich bin aber ebenso sicher: Das Ressort, für das ich verantwortlich bin, und alle, die ihm angehören oder zugeordnet sind, werden sich auch dadurch in ihrer Arbeit für unsere Gesellschaft, in ihrer Arbeit für das Recht und in der Arbeit für unseren gemeinsamen Staat nicht beirren lassen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Dr. Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Justiz hat mit einem Dank an
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Dr. Klein
den Rechtsausschuß für seine Kooperationsbereitschaft begonnen. Ich bin sicher, mich zum Sprecher aller Kollegen im Rechtsausschuß machen zu dürfen, wenn ich diesen Dank zurückgebe. Das Bundesministerium der Justiz und der Herr Minister selbst haben sich gegenüber dem Ausschuß immer in der gleichen Weise verhalten.
Dieser korrekte Umgang miteinander ist die eine und nicht immer eine selbstverständliche Angelegenheit, die andere ist die Tatsache und die Notwendigkeit -der sachlichen Kontroverse. Lassen Sie mich zu diesem Punkte noch einige ergänzende Bemerkungen zu einigen der angesprochenen rechtspolitischen Probleme machen.Hier ist — ich habe das wohl registriert — Unterschiedliches zu der Frage der Bewährung des Ehe- und Familienrechts gesagt worden. Frau Kollegin Däubler-Gmelin und, kaum weniger verhalten, auch der Herr Bundesminister der Justiz haben diesem Gesetz bescheinigt, daß es sich bewährt habe. Die Einlassungen des Kollegen Kleinert, der auf diesem Gebiet über einschlägige praktische Erfahrungen verfügt, waren wohlweislich zurückhaltender und vorsichtiger.
Daß sich auf diesem Gebiet eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit infolge der neuen Gesetzgebung ergeben hat, dafür ist Beleg der Hinweis, der bei dem kürzlichen Besuch der Herren Bundesverfassungsrichter aus Karlsruhe hier in Bonn zu erhalten war, daß dem Bundesverfassungsgericht inzwischen nämlich 90 Vorlagebeschlüsse zu diesem Gesetz vorliegen.Eine zweite Bemerkung gilt dem, was hier von verschiedenen Seiten zum Recht der elterlichen Sorge gesagt worden ist. Herr Bundesminister, wir verkennen nicht die Tatsache, daß sich auf Ihrer Seite im Verlauf der parlamentarischen Beratungen, im Verlauf der Ausschußberatungen — um konkret zu sein — auf diesem Felde einiges bewegt hat.
- Das ist nicht nichts, Herr Kollege Wehner, aber man muß fragen, wieviel es bedeutet. Denn auf der einen Seite ist zwar hier ein gewisses Entgegenkommen — man kann auch sagen: ein gewisses Zurückweichen; in dem von Ihnen zitierten Artikel in der „Zeit" ist davon die Rede — zu verzeichnen, auf der anderen Seite gibt es aber den nicht minder bedenklichen, ja den noch bedenklicheren neuen Vorschlag der Bundesregierung zum Bereich des Jugendhilferechts.Wir sind mit Ihnen uneingeschränkt der Auffassung, daß der Gesetzgeber das Notwendige zu tun hat, um — ich formuliere es wie der Herr Bundesminister der Justiz — Kindern und Familien den notwendigen Schutz, die gebotene Förderung und Hilfe angedeihen zu lassen. Wir sind mit Ihnen bereit, wie es die Verfassung gebietet, dem Mißbrauch des elterlichen Sorgerechts dort entgegenzutreten, wo er tatsächlich festgestellt wird. Aber was wir nicht mitzumachen bereit sind, gleichgültig, ob sichdieser Versuch in Gestalt der ursprünglichen Vorlage zum elterlichen Sorgerecht oder ob er sich in der Vorlage zum Jugendhilferecht widerspiegelt, ist eine wie immer motivierte Veränderung des Familienbildes, des Leitbildes der Familie in unserer Gesellschaft.
Dafür gibt es hinreichende Anzeichen, und die Tatsache, daß Sie im gleichen Augenblick, in dem Sie im Bereich des elterlichen Sorgerechts den Rückzug antreten, das Jugendhilferecht in dieser Fassung vorlegen, beweist, daß der Rückzug wohl nur taktisch und nicht ernst gemeint ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön.
Verehrter Herr Kollege, würden Sie es nicht auch für überlegenswert halten, daß das von Ihnen zuletzt genannte Gesetzesvorlagenwerk nun erst der parlamentarischen Behandlung bedarf und durch sie gehen wird? Man kann doch nicht etwas, was sich schon in der parlamentarischen Behandlung befindet und vor dem Abschluß steht, einfach mit dem gleichstellen, was überhaupt erst eingebracht wird. Bin ich da völlig unparlamentarisch, obwohl ich dem Parlament lange angehöre?
Herr Kollege Wehner, wir diskutieren hier die Politik der Bundesregierung und nicht die Arbeit des Parlaments.
Die Verantwortung für die Vorlage dieses Gesetzentwurfes trägt die Bundesregierung und nicht das Parlament.
Ich habe deshalb nicht Ihnen einen Vorwurf gemacht, sondern ich erhebe in diesem Zusammenhang einen Vorwurf gegen die Bundesregierung und damit natürlich auch gegen den Bundesjustizminister, selbst wenn er in diesem Falle nicht federführend ist; denn der sachliche Zusammenhang zwischen diesem Gesetzentwurf und dem Recht der elterlichen Sorge liegt auf der Hand.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stark?
Herr Kollege Klein, können Sie auf diese Frage den Kollegen Wehner auch darüber unterrichten, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10447
Dr. Stark
bereits eine Hochglanzbroschüre über diesen Entwurf veröffentlicht hat?
Herr Abgeordneter Professor Klein, das ist eine typische Dreiecksfrage. Sie brauchen also nicht im Namen von Herrn Dr. Stark zu antworten, sondern können Ihre eigene Stellungnahme abgeben.
Ich danke Ihnen für den Hinweis, Herr Präsident. Nichtsdestotrotz möchte ich mich natürlich bei dem Kollegen Dr. Stark dafür bedanken, daß er mir die Unterrichtung des Kollegen Wehner abgenommen hat.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Verzeihung, ich meine, es führt zu weit, wenn ich nun in eine ständige Zwiesprache mit den Kollegen des Hauses eintrete. Beim nächsten Punkt meiner Ausführungen, Herr Kollege Emmerlich, sollen Sie gern zu Wort kommen können, wenn Sie sich erneut zu einer Zwischenfrage melden.Ich möchte kurz auf die Positivbilanz des Bundesministers der Justiz eingehen, die er uns hier vorgetragen hat. Herr Bundesminister, es wäre ja schlimm, wenn es im Bereich Ihres Ressorts nichts gäbe, was positiv zu verbuchen wäre. Aber der Gegenstand dieser kritischen Auseinandersetzung der Opposition mit Ihrer Politik sind naturgemäß diejenigen Themenbereiche, in denen wir Ihrer Politik nicht beipflichten können.
Das schließt nicht aus, daß es anderes gibt, wo wir Ihnen durchaus beipflichten und auch Ihre Verdienste anerkennen.Das Thema „überflüssige Gesetze" ist angesprochen worden. Wir haben es in den vergangenen Wochen erst mehrfach erörtert. Sie haben mindestens indirekt darauf hingewiesen, indem Sie sich Ihrer Verdienste auf dem Gebiete des Verbraucherschutzes gerühmt haben. Ich meine konkret das Gesetz über den Reiseveranstaltungsvertrag. Er ist ein Musterbeispiel für ein überflüssiges Gesetz. Aber das Gesetz verdient in unserem Zusammenhang nicht nur deshalb Erwähnung, weil man es sich auch hätte ersparen können, sondern auch, weil der öffentliche Umgang mit diesem Gesetz für die Art und Weise typisch ist, wie Sie selbst ein überflüssiges Gesetz der Öffentlichkeit darzustellen verstehen. Da konnte man in der Zeitung lesen, nach Erlaß dieses Gesetzes habe nunmehr der Reisende gegen den Reiseveranstalter bei schuldhaft mißlungener Reise einen Ersatzanspruch. Als ob das etwas Neues wäre! Neu in diesem Gesetz, meine Damen und Herren, ist imGegenteil eine Bestimmung, die den Reisenden imVergleich zum bisher geltenden Recht benachteiligt,
die Tatsache nämlich, daß Haftungsobergrenzen zugunsten der Reiseveranstalter eingeführt worden sind.
Herr Bundesminister, Sie haben die unverdrossene Arbeit der Bediensteten Ihres Ressorts erwähnt. Diese arbeiten unverdrossen. Die Frage aber, die wir an Sie richten müssen, ist, ob diese unverdrossene Tätigkeit auch sinnvoll eingesetzt wird.
Dafür haben wir ebenfalls gerade in allerjüngster Zeit ein Musterbeispiel gehabt. Das hat Ihnen der Kollege Helmrich in der letzten Sitzungswoche vorgehalten. Es handelt sich um den in Ihrem Hause produzierten zweiten Entwurf zur Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes. Hier hätte man sich Arbeit sparen und die Unverdrossenheit und den Fleiß Ihrer Bediensteten für bessere Aufgaben vorbehalten können.
Letztlich hat der Herr Bundesminister der Justiz Grundfragen des Rechts angesprochen und einen Appell zu sachlicher Auseinandersetzung in rechtspolitischen Fragen ausgesprochen, die solche Grundfragen des Rechts berühren. Diesen Appell nehme ich auf. Was ich dabei nicht verstanden habe, ist, daß es offenbar demonstrativ gemeinten Beifall auf der rechten und der linken Seite des Hauses gegeben hat; denn ich bin mir nicht bewußt, daß wir in irgendeinem Punkte, soweit es sich um die von Ihnen erwähnten Grundfragen der Rechtspolitik handelt, zu solcher Ermahnung Anlaß gegeben hätten. Das gilt insbesondere zu der ja noch vor uns liegenden Auseinandersetzung über die Verjährungsfrage.Was aber, Herr Bundesminister, im Zusammenhang mit der Erörterung von Grundfragen des Rechts einer Erwähnung bedarf, ist die Tatsache nicht so sehr Ihres Umgangs mit dem Bundesverfassungsgericht, aber Ihres Verständnisses als einer derjenigen Minister, als eines derjenigen Mitglieder der Bundesregierung, die in erster Linie Verantwortung für die Verfassung tragen. Zu den Grundfragen des Verfassungsstaates, in dem wir leben, gehört das Verhältnis von Gesetz und Verfassung. Da können wir, wenn wir vor der Frage stehen, ob Ihrer Politik zuzustimmen ist, nicht übersehen, daß in jedes Ihrer Amtsjahre ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts fällt, das in einer schwerwiegenden, gravierenden politischen Frage diese Regierung der Verfassungsverletzung zeiht. Ich beschränke mich auf Beispiele, die, was die Initiative und die Durchführung der parlamentarischen Beratung angeht, in Ihre Amtszeit fallen: Fristenlösung, Wehrpflichtnovelle, Wahlwerbung zur Bundestagswahl 1976, aber auch die Auseinandersetzungen um das Recht der elterlichen Sorge, die ja untergründig auch verfassungsrechtlicher Natur sind, und vor allen Dingen natürlich das heute und gestern mehrfach
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10448 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Dr. Klein
angesprochene Problem der Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst.Herr Bundesminister, ich habe wenig Verständnis dafür, daß Sie in dieser Frage — was im Prinzip natürlich jedermann unbenommen bleibt — eine außerordentliche Lernfähigkeit an den Tag legen, die sich darin dokumentiert, daß Sie von Tag zu Tag, von Woche zu Woche dazu neigen, ihre verfassungsrechtlichen Einsichten zu revidieren.
Wenn wir den von der Bundesregierung am 17. Januar 1979 — ja offenkundig nicht gegen Ihren Widerspruch — gefaßten Beschluß einmal an dem messen, was ein von Ihnen mitverantwortetes Gutachten aus dem vergangenen Herbst zu dieser Frage enthält, dann stellen wir fest, daß Sie von Positionen, die Sie damals gemeinsam mit dem Herrn Bundesminister des Innern eingenommen haben, offenbar abgerückt sind, wobei schon das damalige Gutachten in der „Frankfurter Rundschau" überschrieben worden war: „Kurven, um Karlsruher Hürden zu überwinden." Die Kurven, Herr Bundesjustizminister, sind inzwischen noch wesentlich weiter geworden. In dieser Frage wird es ja auch noch eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen geben.Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat eines früheren, von mir außerordentlich geschätzten Mitglieds Ihrer Fraktion, des inzwischen verstorbenen Kollegen Adolf Arndt. Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Verjährungsfrage in der Mitte der 60er Jahre — wir beschäftigen uns ja alle zur Zeit mehr oder weniger intensiv auch mit den damaligen Vorgängen und mit dieser Problematik — hat er einmal im Deutschen Bundestag erklärt:Der Übermut schließlich, was man sich um das Recht scheren sollte, wenn es im Streit ist — dann habe man doch freie Hand zu „politischen" Entscheidungen —, zeugt von einer Rechtsfremdheit, die den tödlichen Keim der Rechtlosigkeit in sich trägt.Herr Bundesminister, wir können uns gelegentlich der Befürchtung nicht erwehren, daß Sie der Opportunität der Politik Ihre rechtliche, verfassungsrechtliche Überzeugung opfern.
Auch deshalb müssen wir Ihrem Etat unsere Zustimmung versagen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2484 Ziffer 3 vor. Wer diesem Änderungsantrag die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Stimmenthaltungen? — Keine. Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07. Wer dem Einzelplan 07 in der Ausschußfassung die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine. Der Einzelplan 07 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 15 auf: Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/2415 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Abgeordneter Dr. Rose
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte über den Einzelplan 15 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — möchte ich als erster Redner meiner Fraktion zunächst einige Anmerkungen zum Bereich der Gesundheitspolitik machen.Meine erste Feststellung. In der Terminologie der Frau Bundesminister, die dieses Jahr als das Jahr des Kindes propagiert hat, würde ich die Gesundheitspolitik als ein Stiefkind der Regierungsarbeit bezeichnen.
Denn Kostendämpfung im Gesundheitswesen, so wichtig sie ist, kann Gesundheitspolitik nicht ersetzen. Darüber sind sich, glaube ich, alle Fachleute einig.Aber wo sind denn die Perspektiven in der Gesundheitspolitik dieser Bundesregierung? Wo sind denn in der Zweijahresbilanz 1976 bis 1978 Schwerpunkte erkennbar? Man kann doch vielmehr feststellen, daß nahezu alle Initiativen aus dem Parlament oder den Fraktionen hervorgegangen sind: ob es die Psychiatrie-Enquete ist, die zunächst von dem Kollegen Picard, dann von der CDU/CSU-Fraktion eingebracht und vom ganzen Haus aufgenommen worden ist und, mit einem Auftrag an die Regierung versehen, nun vom Ministerium bearbeitet wird; oder ob wir uns die Große Anfrage von SPD und FDP zur Krebsforschung und den Auftrag, den das Parlament in einem Antrag der Regierung gegeben hat, in Erinnerung zurückrufen; oder wenn wir an die interfraktionelle Initiative gegen eine der kostspieligsten Krankheit unserer Tage, nämlich Rheumakrankheiten, denken, woraufhin das Bundesgesundheitsamt nun eine erste Analyse auf den Tisch gelegt hat. Dazu kommen zahlreiche gesund-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10449
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinheitspolitische Initiativen aus meiner Fraktion: das Logopädengesetz, das Hebammengesetz, Gesetze zur Änderung der Bundesärzteordnung und der Approbationsordnung, zur Verbesserung der Sicherheit medizinisch-technischer Geräte und zur Verbesserung der Situation in der Jugendpsychiatrie.Was aber — so sollte man doch fragen — kommt aus dem Ministerium für Gesundheit? Allenfalls das Programm der Bundesregierung zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dienst der Gesundheit.
Nur, was in diesem Programm steht und was als Forschungsziel ausgegeben worden ist, sollte eigentlich ehrlicherweise aus der Parteikasse der SPD bezahlt werden, aber nicht mit Mitteln des Steuerzahlers.
Denn wenn ich eine ganze Reihe von Forschungsprojekten untersuche und dabei feststelle, daß in den Bereichen Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitseinrichtungen, Organisation und Funktionserfüllung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Planung der Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen für diese Projekte 58mal das Bundesarbeitsministerium zuständig ist, 29mal das Bundeswirtschaftsministerium, 15mal das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, 10mal das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, dann können Sie doch an dieser einseitigen Ausrichtung aufzeigen, was der Bundesminister für Familie, Jugend und vor allem Gesundheit in diesem Bereich an Kompetenz anzumelden hat.Was meine etwas kritische und sarkastische Feststellung anlangt, ehrlicherweise sollte eigentlich die SPD-Parteikasse einen Teil des Programmes bezahlen, so stammt dieser Ausspruch nicht einmal von mir, sondern von einem prominenten Sozialdemokraten. Das will ich hier noch dazu sagen, um mich nicht mit fremden Federn zu schmücken.
Dieses Programm ist aber auch ein Beweis für die Wissenschaftsgläubigkeit des Ministeriums und für die Hoffnung, daß Technik in der Medizin sowie sozialpolitische Zweckforschung eine Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung schon bewirken. Meines Erachtens sind hier Forschungsziele vorgesehen, die eigentlich mehr der Karriere von Politikern und allenfalls dem Wettbewerb der Parteien dienen. Denn wir wissen doch in der Gesundheitspolitik, daß nicht alles machbar ist, daß nicht alles Heil von der Technik und den Apparaten kommt.
Ärztliche, pflegerische, menschliche Zuwendung in einer gut organisierten medizinischen gesundheitlichen Versorgung sind sehr viel wichtiger. Wenn ich mir dieses Programm ansehe und es analysiere, denke ich an ein Arbeitsprogramm beim Bundesminister für Arbeit, Frau Bundesminister, der dieses Programm „Humanisierung der Arbeitswelt" genannt hat. Sie sollten eigentlich mal über ein Programm „Humanisierung der Medizin" nachdenken.
Wenn ich nun untersuche, warum wohl aus diesem Hause so wenig gesundheitspolitische Perspektiven und Initiativen kommen, so glaube ich, daß dafür zwei Gründe festzustellen sind. Der erste ist, daß die Gesundheitsprogramme von SPD und FDP sich nahezu in allen Punkten völlig widersprechen. Der Kollege Schmidt hat einmal auf eine Frage im Tagesdienst seiner Partei folgendes festgestellt. Er wurde gefragt:Die FDP sieht also keine Möglichkeit, daß sich die Koalition auf der Grundlage der SPD-Leitsätze auf weitere gesundheitspolitische Initiativen verständigt?Darauf antwortete der Kollege Schmidt:So ist es, und dies wird auch von der SPD so eingeschätzt.
Wir sehen also, es gibt keinen gemeinsamen Nenner für die beiden Koalitionsparteien.
Ich bedaure sehr, daß die Leitsätze zur Gesundheitspolitik in Hamburg zu mitternächtlichen Stunde ohne Diskussion verabschiedet worden sind. Hätte es eine Aussprache gegeben, wäre das Ergebnis anders ausgefallen.Das zeigt, daß in der Fraktion und beim Obmann der SPD-Fraktion für Gesundheitspolitik schon erhebliche Vorbehalte gegenüber der Gesundheitspolitik der Partei vorhanden sind.Er sagte in Loccum ebenfalls: „Die SPD fordert ein medizinisch integriertes System" , während er, so Fiebig, diesem System keine Chance einräumt.Und er sagte schließlich:Die gesundheitspolitischen Vorstellungen von Friedel Läpple und Hans Georg Wolters, dem Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, können getrost zu den Akten gelegt werden.So der Obmann der SPD für gesundheitspolitische Fragen in der Fraktion.
Dann braucht man sich natürlich nicht zu wundern, wenn sich die Frau Bundesminister bedeckt hält und hier gar nicht erst versucht, in diesen Streitigkeiten unter Umständen ihrer eigenen Karriere zu schaden. Was aber diese unterschiedlichen Auffassungen anbetrifft, so ist das alles kein Grund dafür, daß das Ministerium nicht zumindest die
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinAufträge erfüllt, die dieses Hohe Haus ihm gegeben hat.Wie war denn das in der Psychiatrie-Enquete?
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Herr Kollege SaynWittgenstein, nachdem Sie mich 'eben angesprochen haben, erlaube ich mir die Frage, wo denn das Konzept der CDU/CSU zu diesen Fragen ist, ob es das Beske-Papier ist, das im Vorstand in die Schublade wanderte und auf keinem Parteitag kommt, oder was sonst?
Sie scheinen nicht ganz genau informiert zu sein, denn das gesundheitspolitische Programm, nicht nur von Herrn Beske — ich habe immerhin auch daran mitgearbeitet — ist einstimmig vom Parteipräsidium verabschiedet worden. Bei uns genießt das Parteipräsidium das Vertrauen aller Delegierten des nächsten Bundesparteitages.
— Herr Schmidt, ich würde Ihnen gerne antworten, aber ich habe eine Redezeit von 15 Minuten. Mir wird Ihre Frage angerechnet, und dann kann ich nicht das ausführen, was ich hier noch sagen möchte.Ich hatte festgestellt, daß selbst bei dieser Untersuchung, warum so wenig Initiativen aus dem Ministerium kommen, das Ministerium zumindest gehalten sein sollte, den Auftrag des Parlaments zu erfüllen. Wir haben die Ergebnisse der PsychiatrieEnquete an das Ministerium weitergegeben in der Erwartung, daß in absehbarer Zeit eine Stellungnahme erfolgt. Nur ist dies bereits 1975 der Fall gewesen. Wir schreiben nunmehr das Jahr 1979, und immer noch liegt diese Stellungnahme der Bundesregierung nicht vor. Das empfinde ich als einen Skandal. Wenn Sie dann noch feststellen, es fehle in der deutschen Psychiatrie an der Seele, frage ich Sie: Wo ist denn Ihr Engagement, wo ist denn Ihre Initiative, damit endlich die Psychiatrie-Enquete einmal in diesem Hause diskutiert wird, so daß wir die Schwerpunkte in diesen Bereichen erkennen können?
— Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege, ich werde einfach mit der Redezeit sonst nicht auskommen. Ich bitte Sie um Verständnis und darf vorschlagen, daß sich Ihr Redner nachher hierzu äußert.Wenn Sie sich, Frau Bundesminister, vor wenigen Tagen in einem Interview besorgt darüber äußern, daß Kinder sich das Leben nehmen, dann darf ich Sie fragen: Warum kommen denn nicht Initiativen, etwa zur Verbesserung der Situation in der Jugendpsychiatrie? Hier liegen doch die Gründedafür, daß verhaltensgestörte Kinder nicht die notwendige Fürsorge und den erforderlichen Fürspruch im zuständigen Ministerium erhalten.Ein anderer Bereich — auch davon hatte ich schon gesprochen — ist die Krebsforschung. Auch hier lag ein ganz klarer, fest umschriebener Auftrag des Bundestages in dem Entschließungsantrag vor, den wir zu diesem Bereich gestellt haben. Der Bericht der Bundesregierung hierzu, obwohl terminiert auf den 31. Dezember 1978, liegt ebenfalls nicht vor. Die Regierung hat — das will ich der Vollständigkeit halber erwähnen — um Fristverlängerung gebeten. Aber warum liegt der Bericht noch nicht vor? — Weil die Regierung es eben nicht vermocht hat, sich über die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Kompetenzschwierigkeiten hinwegzusetzen.Ich darf in Erinnerung rufen, was ein Kollege bei einer Debatte vor wenigen Jahren hier gesagt hat:Aber sollte nicht die Not der Menschen, die an Krebs leiden und sterben, und derjenigen, die in Krebsangst leben, die Phantasie beflügeln und Hindernisse und Grenzen überspringen helfen? Wenn heute täglich nahezu 400 Menschen in der Bundesrepublik an Krebs sterben, dann kann man kein Verständnis für Kompetenzgerangel, Rivalitäten oder Eifersüchteleien aufbringen.
Diese bemerkenswerten Sätze hat übrigens unser SPD-Kollege Kern bei der letzten Debatte gesagt. Ich verstehe nicht, warum der zuständige Minister solche Aussagen nicht beherzigt. Bei Besuchen in Kliniken aber wird dann gesagt: Wir sind zur Zeit dabei — das war schon vor einem Jahr —, die Voraussetzungen für die Koordinierungsstelle zur Krebsbekämpfung zu schaffen, um den Einsatz der Mittel sinnvoll zu lenken.Längst hat die Deutsche Krebshilfe durch die Aktivitäten von Frau Scheel und anderer mit Hilfe von Spenden der Bürger ein Vielfaches von dem aufgebracht, was Sie in Ihrem Hause dafür bereitstellen können.
Sie denkt gar nicht mehr daran, sich noch von Ihnen vorschreiben zu lassen, wie hier koordiniert werden soll.
Dieser Zeitpunkt ist unter Umständen schon verpaßt, und zwar durch Schuld Ihres Hauses.
Meine Damen und Herren, wenn schon keine Vorschläge, keine Perspektiven kommen, dann sollte man zumindest erwarten, daß in Ihrem Hause vernünftig verwaltet wird. Aber auch- das ist nicht der Fall. Zum dritten- oder viertenmal hat das Bundesgesundheitsamt, entgegen Ihren Aussagen, Ankündigungen und Versprechen, ein Verbot von Arzneimitteln, die gesundheitsschädlich oder für die menschliche Gesundheit zumindest bedenklich sind, zunächst den Massenmedien bekanntgegeben
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinund nicht den betroffenen Apothekern, Ärzten usw., so daß die diese Informationen aus der Presse empfangen mußten. Ich glaube, so notwendig es auch ist, der Allgemeinheit diese Tatbestände über Massenmedien nahezubringen, so unerläßlich und wichtig ist es, daß zunächst diese Informationen dort ankommen, wo die Arzneimittel abgegeben werden, in den Apotheken, und dort, wo sie verordnet werden, bei den Ärzten. Dort müssen zunächst die Informationen ankommen, die im Interesse der Volksgesundheit unerläßlich sind.
Frau Minister, ich darf Sie zum Schluß meiner Ausführungen auffordern: Bitte, folgen Sie jetzt endlich den Appellen, den Aufträgen des Parlaments, die an Sie in diesen Bereichen gerichtet wurden. Verschanzen Sie sich nicht hinter Zuständigkeitsfragen und anderen Schwierigkeiten, die gewiß vorhanden sind. Sollten Sie in der Lethargie und dem Desinteresse verharren, wie Sie es zur Zeit in dem Bereich der Gesundheitspolitik zeigen, dann sollten Sie so ehrlich sein — und ich weiß, daß Sie sich in der Ehrlichkeit von niemandem übertreffen lassen , auch auf die Bezeichnung „Bundesminister für Gesundheit" zu verzichten. Ihre bisherigen Leistungen und Aktivitäten in diesem Bereich rechtfertigen jedenfalls eine solche Bezeichnung nicht.Deswegen lehnen wir den Einzelplan 15 ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haushaltsdebatten verleiten immer dazu, in die Parteiprogrammatik abzugleiten. So hat sich auch der Kollege SaynWittgenstein auf dieses Glatteis begeben. Es scheint mir daher notwendig, einige Richtigstellungen zu treffen.
Erstens. Es ist richtig, Herr Kollege SaynWittgenstein, daß ich namens der Freien Demokraten zu den Leitlinien der SPD zur Gesundheitspolitik gesagt habe: Dies ist mit uns nicht zu verwirklichen, ist aber auch kein Programm dieser Legislaturperiode.
Zweitens. Es ist richtig — und hier ziehe ich meine Frage von vorhin etwas zurück —, daß es das Präsidium der CDU war — nicht der Vorstand —,
das das Beske-Papier, das sogenannte Gesundheitsprogramm der CDU, beerdigte, weil es nicht in der Lage war, dieses Papier in der Partei diskutieren zu lassen,
Es gibt von Herrn Pirkl über Herrn Geißler bis zu Herrn Beske in der Gesundheitspolitik der CDU/ CSU eine so große Spannweite, daß man nie genau weiß, wo nun einer steht.
Dritte Bemerkung — und deshalb habe ich mich eigentlich gemeldet —: Die einzige Partei dieses Hauses, die nach langjähriger Diskussion in der Partei auf einem Parteitag ein offizielles Gesundheitsprogramm mit wenigen Gegenstimmen verabschiedet hat, sind wir Freien Demokraten. Darauf sind wir stolz und werden wir weiter stolz sein. Ein bißchen hat es sich schon im Rahmen der Gesetzgebung der letzten Jahre ausgewirkt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 1. Januar dieses Jahres hat das von der UNO proklamierte Jahr des Kindes begonnen. Viele Organisationen, Verbände usw. beteiligen sich an der Ausgestaltung. Auch der Bund hat dafür — mit Unterstützung aller Fraktionen — Mittel in seinen Haushalt eingestellt. Das Jahr des Kindes muß uns Anlaß sein, über die Lage und Probleme der Kinder und vor allen Dingen über die Einstellung der Gesellschaft zum Kind nachzudenken.
Es war sehr erfreulich, daß der Herr Bundespräsident das Jahr des Kindes zum Anlaß genommen hat, in seiner Neujahrsansprache Zweifel anzumelden, ob unsere Bundesrepublik noch ein kinderfreundliches Land ist. Ich freue mich — ich bitte, das zu übermitteln —, daß auch der Herr Bundestagspräsident in seiner Weihnachtsansprache auf dieses Thema eingegangen ist. Nur der Herr Bundeskanzler, der leider nicht im Saal ist, hat in seiner Neujahrsansprache dafür kein Wort übrig gehabt. Dies ist die logische Konsequenz seiner Politik, einer Politik, die „heute schon das Holz verfeuert, an dem sich morgen die Kinder wärmen sollen", wie Herr Kollege Haase hier am Dienstag sehr richtig bemerkt hat.
Nun hat der Herr Bundeskanzler gestern an dieser Stelle dies von ihm sehr vernachlässigte Thema endlich aufgegriffen. Er hat anscheinend inzwischen erkannt, daß dieses Thema draußen bei den Leuten ankommt, daß es die Leute bewegt! Deswegen hat er es gestern endlich aufgegriffen. Er hat in gewohnter Manier erst einmal die Verhältnisse in der ganzen Welt behandelt, hat gesagt, daß zu befürchten sei, daß im Jahr 2000 sechs Millionen Menschen auf der Welt leben würden.
— Entschuldigung, sechs Milliarden. Ich kenne eineAussage, die über Ihren ehemaligen Bundeskanzler
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10452 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Glosgemacht worden ist. Der kannte sich mit den Millionen und Milliarden nicht so richtig aus,
aber wir im Haushaltsausschuß üben das ständig.
Sie dürfen mir glauben, daß es bei mir nur ein Versprecher war.
— Laut Helmut Schmidt wußte er es nicht.
Ich bedanke mich, Herr Kollege Franke, daß Sie das hier fürs Protokoll sagen. Aber lassen Sie uns auf das zurückkommen, was der Herr Bundeskanzler hier über dieses Thema gesagt hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Aber bitte sehr, Herr Minister.
Herr Kollege, darf ich Sie angesichts dieses Versprechers an die alte Weisheit erinnern, daß Nullen sehr weit rechts stehen müssen, um etwas zu gelten?
Herr Bundesminister, es kommt immer darauf an, wo das Komma steht.
Ich darf aber an dieser Stelle einmal ausführen, wie der Herr Bundeskanzler dieses Thema gesehen hat. Er hat gesagt, er sei nicht der Meinung, daß das deutsche Volk wachsen müsse. Er hat weiter gesagt: Die eigentliche Besorgnis liegt für mich in der zukünftigen Struktur der Altersschichtung insgesamt; da liegt das eigentliche Problem. Darin stimmen wir ihm voll zu. Auch wir sind der Meinung, daß hier ein großes Problem liegt. Wenn man aber gleichzeitig sagt, der Geburtenrückgang sei kein Problem, muß ich hier die Frage stellen — meine Phantasie reicht nicht so weit —, wie man dann das Problem der Altersschichtung überhaupt lösen will, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich will hier keine Andeutungen machen.
In unserem Land, meine Lieben Kolleginnen und Kollegen, ist deutlich die Tendenz zu einem AntiKind-Klima sichtbar geworden, dessen beredtes Zeichen der Geburtenrückgang ist. Die Bundesrepublik
hält sogar seit Jahren den traurigen Rekord, das Land mit der niedrigsten Geburtenrate in der ganzen Welt zu sein. Sehr verehrte Frau Minister Huber, wie fühlen Sie sich als verantwortlicher Fachminister dieses Landes in Ihrer Haut? Eines Landes, in dem sich das Problem nur noch verschärft hat, seitdem Sie Fachministerin sind? Welche Maßnahmen haben Sie dagegen eingeleitet? Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nachher dazu Stellung nehmen würden.
Nach einem Forschungsergebnis des Instituts für Demoskopie in Allensbach hatten 1970 nur 70 Prozent der Bevölkerung Kenntnis vom zunehmenden Geburtenrückgang. 1978 waren es schon 90 Prozent. Ich glaube, wir, die CDU/CSU, haben am Anstieg dieses Problembewußtseins in der Bevölkerung einen hohen Anteil. Wir haben frühzeitig auf die Gefahren hingewiesen, die daraus entstehen. Ich erinnere mich sehr wohl, daß ich dieses Thema im letzten Jahr von dieser Stelle aus behandelt habe mit der Folge, daß von dieser Seite des Hauses Zurufe kamen, die nur den Ratschlag zu geben wußten: Nun zeugen Sie kräftig! So ernst haben Sie das Thema genommen!
— Sie können es ja im Protokoll nachlesen. Herr Kollege Wehner, lesen Sie es doch bitte im Protokoll nach. Das kam nicht von dieser Seite des Hauses, sondern von der linken Seite.
— Herr Kollege Wehner, ich meine, hier geht es mehr um meine Wirkung auf die Damenwelt als um die Wirkung auf die Männerwelt, und jene soll die Lust am Kinderkriegen haben — nicht Sie.
Herr Abgeordneter, einen Augenblick, bitte. Wollen wir doch bei diesem Thema nicht zu sehr ins Detail gehen. Bitte schön!
Herr Präsident, es war nicht meine Absicht, hier ins Detail zu gehen, aber der Kollege Wehner hat dies durch seine Ausführungen in die Diskussion eingebracht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Schlagzeilen wie etwa „Sterben die Deutschen aus?", „Kinder unerwünscht" — „Die Zeit" vom 5. Januar 1979 — belegen die wachsende Besorgnis auf diesem für unsere Zukunft so entscheidenden Gebiet, und ich möchte doch bitten, daß wir die Debatte darüber auch so führen, wie es die Bevölkerung sieht, nämlich mit großem Ernst angesichts der Entwicklung, die sich auftut.
Die Wochenzeitung „Die Zeit" ging unlängst sogar so weit, die Frage aufzuwerfen: Geht es den Deutschen wie etwa den Dinosauriern, die gegen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10453
GlosEnde der Kreidezeit aus noch unerfindlichen Gründen ausgestorben sind?Wie alarmierend die Situation ist, zeigt die Entwicklung der Geburtenzahlen. Aus 100 Ehen, die zwischen 1962 und 1966 geschlossen wurden, gingen damals noch 175 Kinder hervor. Für den Zeitraum 1967 bis 1971 waren es nur noch 165 Kinder, und inzwischen sind wir bei 130 Geburten pro 100 Ehen angelangt. Dabei wären laut Berechnungen des Statistischen Bundesamts 220 Kinder pro 100 Ehen nötig, um die gegenwärtige Bevölkerungszahl zu halten. Eine darüber im Auftrage des Bundesinnenministers angefertigte Statistik — es ist heute morgen davon gesprochen worden — kommt zu dem Ergebnis, daß die deutsche Bevölkerung im Jahre 2030 auf zirka 39 Millionen Einwohner geschrumpft sein wird.Das Bundeskabinett läßt sich von diesen Zahlen jedoch wenig beeindrucken. Es hält diese Prognosen für ungesichert. Kritische Stimmen aus unseren Reihen wurden als Panikmache bezeichnet. Ihr Parteiblatt „Vorwärts", Herr Wehner, das sich eigentlich genauso entwickelt wie die Zahl der Kinder im Lande — die Auflage schrumpft ständig, nur daß es hier berechtigt ist — widmet sich diesem ernsten Thema mit der, wie ich meine, satirisch gemeinten Überschrift: „Die Angst des Klapperstorchs vor dem Sozialismus — Panik bei der Union, Gelassenheit bei der Regierung".
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Prognosen sollen aber nicht unabänderliche Tatsachen darstellen. Prognosen sind hier als Warnung und Denkanstoß zu verstehen, möglichen Entwicklungen bereits frühzeitig mit entsprechenden politischen Maßnahmen entgegenzutreten. Genau das ist die Aufgabe einer verantwortlichen Bundesregierung. So denken nicht nur wir, sondern mit uns 90 Prozent der Bevölkerung.
Es wäre Zeit, endlich auf diesen erschreckenden Rückgang zu reagieren, der in seiner Langzeitauswirkung die Zukunft unserer Gesellschaft zutiefst beeinflussen wird. Maßnahmen, die auf das generative Verhalten abzielen, erfordern frühzeitig Einsatz, da ihre beabsichtigte Wirkung nicht sofort eintreten kann.Sehr bezeichnend ist in diesem Zusammenhang eine andere Zahl. Ich glaube, daß trotz aller Erschütterungen, die die „Institution Ehe" in den letzten Jahren hinnehmen mußte, immer noch ein Zusammenhang zwischen der Zahl der Eheschließungen und der Zahl der Kinder besteht. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, daß 1973 noch 6,4 Eheschließungen auf 1 000 Einwohner gekommen sind; 1975 waren es nur noch 5,8. Das ist in fünf Jahren ein Rückgang um 10 Prozent. Es läßt aber zusätzlich aufhorchen, daß der Rückgang in der Zeit von 1977 bis 1978 sprunghaft ansteigt: Um nochmals 10 Prozent. Dies ist nicht zuletzt eine Folge des neuen Scheidungsrechts. Herr Bundesjustizminister Vogel hat vorhin gesagt, die Praktiker würden darüber sehr positiv urteilen. Er hat mit den Praktikern die Richter gemeint, die das Gesetz handhaben müssen. Ich würde mit der Bezeichnung Praktiker noch einen Schritt weitergehen und würde die jungen Leute als Praktiker bezeichnen, wenn sie darüber urteilen müssen, ob sie in der gegenwärtigen Rechtslage noch bereit sind, eine Ehe abzuschließen oder nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Funcke?
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Kollege, da Sie sich offensichtlich so intensiv mit der Bevölkerungszahl und der Zahl der Ehen und Geburten befaßt haben, würden Sie dem Hause vielleicht auch sagen, um wieviel geringer die Elterngeneration heute ist gegenüber der von vor zehn Jahren?
Frau Kollegin, ich bin kein wanderndes „Statistisches Jahrbuch". Ich bitte Sie, dort nachzusehen.
Gnädige Frau, ich würde mich gern mit Ihnen anschließend darüber unterhalten; vielleicht könnten wir eine Tasse Kaffee miteinander trinken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind heute so weit, daß man mit Recht sagen kann: der Notar ist bei der Eheschließung wichtiger geworden als der Pfarrer. Die Zeiten wandeln sich. Früher ist vor der Ehe über die Mitgift verhandelt worden. Heute wird vor der Ehe bereits über die Abfindung verhandelt, weil nach dem neuen Scheidungsrecht alles ein unwägbares Risiko wird.
Es wird aber nicht nur weniger und später in unserem Lande geheiratet. Von den geschlossenen Ehen bleiben ca. 25 Prozentkinderlos.
Hinzu kommt der Trend zur Ein-Kind-Familie. Unter knapp 8,6 Millionen Familien in der Bundesrepublik gibt es rund 45 Prozent Ein-Kind-Familien. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, in diesem Zusammenhang ein paar ernste Tatsachen zu erwähnen. Die Schwangerschaftsabbrüche haben eine stark steigende Tendenz. In den ersten drei Quartalen 1978 betrug die Zahl der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche laut Statistischem Bundesamt 53 000. Nach Darstellung des Geschäftsführers von Pro familia, Berlin, der diese Zahlen als irreführend bezeichnet hat, waren es sogar 200 000. Meine sehr verehrten Damen und Herren, man schätzt, daß davon zwei Drittel auf sogenannten Notlageindikationen beruhten. Dies halte ich für eine Schande in ei-
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Glosnem der wohlhabendsten Länder der westlichen Welt.
Der Wunsch nach Kindern ist bei der überwiegenden Zahl der jungen Menschen durchaus vorhanden. Untersuchungen haben ergeben, daß die Kinderwünsche erst im Laufe der Ehe zurückgehen. Dies hat sicher auch damit zu tun, daß Beeinträchtigungen der Dispositionsmöglichkeiten durch Kinder gravierender sind, als man das vorher annimmt. Man merkt plötzlich, daß man sich in vieler Hinsicht nicht mehr so frei bewegen kann wie früher und wie man auch gern möchte. Eindeutig erwiesen ist aber auch, daß die materielle Belastung durch Kinder stark dazu beiträgt, die ursprünglich gewünschte Kinderzahl zu reduzieren. Ausschlaggebend sind hier sowohl die laufenden Kosten für den Unterhalt von Kindern, die oft mit dem Verlust des Erwerbseinkommens und damit der Rentensicherung eines Elternteils verbunden sind, als auch unzureichende Wohnverhältnisse. Gerade den jungen Familien mit Kindern muß hier besser geholfen werden. Zeitungsanzeigen wie z. B. „nur an kinderloses Ehepaar, möglichst Rentnerehepaar" — damit ja nichts passiert — „zu vermieten" ärgern mich immer wieder und sind ein schlimmer Ausdruck der Tendenz, die hier in unserer Gesellschaft vorherrscht.
Meine sehr verehrten Kollegen von der anderen Seite, gerade bei Wohnblocks der „Neuen Heimat" mit den Außenanlagen drumherum findet man oft das Schild „Betreten des Rasens für Kinder streng verboten". Kehren Sie doch mal vor Ihrer eigenen Tür.
Wir leben in einer Zeit, in der der Verzicht auf ein neues Auto, auf einen Farbfernseher oder auf Reisen zugunsten eines Kindes durchaus nicht mehr selbstverständlich ist.
Hier ist im Rahmen des allgemeinen, steigenden Wohlstandes ein Anspruchsdenken entstanden, das sich schwer zurückdrehen läßt.
Objektiv gesehen verhalten sich die Ehepaare ohne Kinder durchaus marktkonform und vernünftig. Heute kinderreich zu sein, ist ein soziales Abenteuer. Familien mit zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen rücken bereits an den Rand der Sozialhilfeschwelle. Ich freue mich, daß es unserer festen Haltung im Bundesrat gelungen ist, bei den Verhandlungen über das Zweit- und Drittkindergeld noch Verbesserungen zu erreichen. Wir haben im Haushaltsausschuß nachträglich dafür 600 Millionen DM eingefügt.
Diese Entscheidung wurde dankenswerterweise von allen Fraktionen des Hauses getragen. Aber den Rückgang des Wunsches nach einem Kind nur mitmateriellen Gesichtspunkten zu begründen, ist zu einseitig.Der Bundespräsident hat zutreffend auf einen weiteren wesentlichen Faktor hingewiesen: auf das Rollenverständnis der Frau. Ich weiß, daß ich mich dann, wenn ich dazu jetzt einiges sage, als Mann aufs Glatteis begebe.
Es ist klar, daß die sogenannte Emanzipationswelle, die allen Frauen suggeriert hat, Emanzipation und Berufstätigkeit seien dasselbe, und die die Hausfrau und Mutter zum sogenannten „Heimchen am Herd" degradiert hat, dazu beigetragen hat, diese Entwicklung einzuleiten.
Wie diese Bundesregierung die Frauen und Mütter sieht und behandelt, zeigt sie mit dem jüngst eingeleiteten Gesetzenwurf, der ein Familiengeld — oder wie immer man es nennen mag — nur für die berufstätige Frau vorsieht und die nicht berufstätige Mutter,
die ungeheure Leistungen für unsere Gesellschaft erbringt, degradiert und hier einfach außenvor sperrt.Dabei wird — das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden — die überwiegende Zahl der Kinder, vor allen Dingen der zweiten und der dritten Kinder, von den sogenannten nicht erwerbstätigen Müttern geboren. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es liegt mir fern, Berufstätige wieder in den heimischen Herd zurückzuschicken. Aber es muß doch einfach selbstverständlich sein, daß für die berufstätige und für die nicht berufstätige Mutter gleichwertige Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Der Stellenwert der Familie in unserer Gesellschaft und in unserem. Staat gibt Anlaß zu ernster Sorge. Die Familie als Lebensmittelpunkt des Kindes muß wieder den Stellenwert erhalten, den sie in unserer Gesellschaft verdient. Frau Huber, Sie als zuständige Fachministerin haben hier eine Aufgabe, der Sie sich nicht entziehen können, und ich fordere Sie auf, alles zu tun, um diesem Übelstand ein Ende zu bereiten.Bei der jetzigen Rechtslage — Frau Minister, dies ist ein dringendes Problem, das ich Ihnen noch einmal ans Herz legen möchte — ist es so, daß durch den — prinzipiell begrüßenswerten — Kinderbetreuungsfreibetrag in Höhe von 1 200 DM pro Kind die Mutter
zur „Buchhalterin der Nation" gemacht wird. Sie muß nämlich künftig Belege sammeln, statt Essen zu kochen, sie muß sich überlegen: Wie schaffe ich es, noch im Hintertürchen eine verwertbare Quittung zu bekommen?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10455
GlosVielleicht muß sie die Nachbarin bitten, etwas zu unterschreiben, um endlich in den Genuß des Geldes zu kommen. Es wäre doch viel einfacher — es kostet Sie einen Federstrich, und wir unterstützen Sie dabei —, diesen Freibetrag endlich in einen pauschalierten Freibetrag umzuwandeln, wie es eigentlich richtig wäre.
Am Schluß fordere ich Sie im Namen meiner Fraktion auf, das Problem — Geburtenrückgang, Familienpolitik und alles, was damit zusammenhängt — nicht länger zu verharmlosen. Der bevölkerungspolitische Aspekt ist ganz gewiß nur e i n Aspekt der Familienpolitik, ich würde aber meinen, der drängendste und aktuellste.Frau Minister, Sie hatten zehn Jahre Zeit — nicht Sie als Fachministerin, aber diese Regierung —, hier zu handeln und bessere Weichenstellungen vorzunehmen. Sie haben diese Weichenstellungen in zehn Jahren nicht eingeleitet. Wir sehen uns daher gezwungen, diesen Haushalt abzulehnen.
Nachdem ich als Berichterstatter diesen Haushalt letztmalig zu vertreten habe, möchte ich mich bei Ihnen und bei den beteiligten Beamten für die Zusammenarbeit
— nicht in der Politik, Herr Wehner, das habe ich ausdrücklich gesagt, sondern in der Sacharbeit — noch einmal herzlich bedanken. Ich hoffe, daß auch mit meinem Nachfolger eine ähnliche Zusammenarbeit möglich sein wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Jahren nimmt die CDU/CSU in der Haushaltsdebatte zum Etat des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit die Gelegenheit wahr, lautstark mehr Maßnahnem .zum Schutz und zur Förderung der Familie zu fordern.
Das geschieht, weil angeblich die Mehrkinderfamilie in Deutschland durch die familienfeindliche Politik der Bundesregierung an oder sogar unter die Schwelle der Sozialhilfe gestoßen wird.
Auch der CDU-Stratege Dregger hat zum Geburtenrückgang Stellung genommen und u. a. den marxistischen Gesellschaftsingenieuren die Schuld gegeben. Dies legt die Vermutung nahe, daß in dem CSUgeführten Bayern, das natürlich nie Marxisten eingestellt hat, die Geburtenzahl unverändert hoch sein müsse. Das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, nurdeshalb konnte Herr Glos hier so intensiv über diesen Zustand referieren.
Der Beitrag von Herrn Dregger entlarvt im Grunde den Versuch, durch diese Argumentation die SPD in eine kommunistenfreundliche und gleichzeitig familienfeindliche Ecke zu drängen und nach dem Staat zu rufen in einem Bereich, der mehr als alles andere zur Privatsphäre gerechnet werden muß. Dies ist eine nicht zutreffende Schwarzmalerei der Opposition.Noch nie wurden die Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Familie, insbesondere der kinderreichen Familie, so häufig, so gezielt und so wirkungsvoll verbessert wie in den Jahren der sozialliberalen Koalition. Hier denke ich in erster Linie an die Erhöhung des Kindergeldes. Der Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit erhöht sich in diesem Jahr um mehr als 13 %, während der Gesamthaushalt nur um 7,8 % steigt. Das ist der deutliche Beweis dafür, daß wir die Aufgabe erkannt haben.
Nachdem zum 1. Januar 1975 die unsozialen Kinderfreibeträge abgeschafft werden konnten, war es eine konsequente Weiterentwicklung dieser Politik zugunsten der kinderreichen Familien mit kleinen und mittleren Einkommen, daß am 1. Januar 1978 das Kindergeld für das zweite Kind von 70 auf 80 DM und für das dritte und jedes weitere Kind von 120 auf 150 DM erhöht wurde. An diese Entscheidung anschließend konnte zum 1. Januar 1979 das Kindergeld für das dritte und jedes weitere Kind erneut und spürbar, nämlich von 150 auf 200 DM, erhöht werden. Die Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind auf 100 DM ist bereits beschlossen und wird zum 1. Januar 1980 verwirklicht.Das bedeutet eine Erhöhnug der Leistungen des Bundes in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um 21/4 Milliarden DM auf eine Gesamtleistung von rund 171/2 Milliarden DM für diesen Bereich. Diese Erhöhung kommt 2,8 Millionen Familien mit zwei Kindern und 1,9 Millionen Familien mit drei und mehr Kindern zugute. Ich glaube, auch diese Zahlen muß man der sehr trüben Darstellung der Geburtenentwicklung entgegensetzen.Diese familienfreundlichen Maßnahmen haben nicht den ungeteilten Beifall der Opposition gefunden. Sie setzte sich statt dessen für die Wiedereinführung der Steuerfreibeträge ein.
Diese Forderung konnte von uns nicht unterstützt werden; denn Steuerfreibeträge sind 1979 natürlich genauso unsozial wie bei ihrer Abschaffung 1975 und begünstigen einseitig die Familien mit höheren Einkommen.
Sie benachteiligen diejenigen, die der Oppositionangeblich besonders am Herzen liegen, weil sie aufGrund ihrer Kinderzahl an die Schwelle der Sozial-
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10456 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Ewenhilfe stoßen, nämlich die Empfänger kleinerer und mittlerer Einkommen, die wenig oder gar keine Steuerfreibeträge geltend machen können. Hier wird also auf falsche Weise argumentiert, um so zu tun, als ob man sich um diese Familien in besonderer Weise kümmern wolle; denn ein Kinderfreibetrag kann von solchen Familien gar nicht genutzt werden. .
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Herr Kollege Ewen, vielleicht können Sie hier einmal darlegen, wo in der Auswirkung der Unterschied ist zwischen der Gewährung pauschalierter Freibeträge und von solchen Freibeträgen, die gegen Nachweis abgerechnet werden. Beides wirkt sich nämlich in der Einkommensteuerberechnung gleichermaßen aus. Nur müssen vorher Belege gesammelt werden. Können Sie mir das bestätigen?
Dies kann ich selbstverständlich bestätigen. Nur ist ein Unterschied ja wohl da: je nachdem, ob man allen, auch denen, die gar keine Hilfe in Anspruch nehmen, Pauschbeträge gibt oder ob man denjenigen gezielt hilft, die Hilfe in Anspruch nehmen wollen und müssen, wird der Staat unterschiedlich belastet. Ich würde in den nächsten Haushalten lieber mehr Geld für eine weitere gezielte Erhöhung des Kindergeldes freischaufeln.
— Das ist so wohl nicht zu sehen, Herr Kollege Franke. Ich glaube, Sie werden mir recht geben, wenn ich Ihnen ein Beispiel nenne, wozu Sie mich direkt veranlassen. Nach der von der Opposition beabsichtigten Regelung hätte eine Familie mit drei Kindern und einem Monatsbruttolohn von 2 000 DM eine jährliche Steuerentlastung von 2 350 DM in Anspruch nehmen können, während eine Familie mit drei Kindern, aber einem Monatseinkommen von 8 000 DM jährlich um 8 600 DM entlastet worden wäre. Ich sehe nicht, wie dies gerecht sein soll; denn ich glaube, die Kinder sollten dem Staat — darum geht es — gleich wert und gleich teuer sein.
Die jetzt getroffene Regelung kommt allen Familien, unabhängig von den finanziellen Verhältnissen, in denen sie leben, zugute, und auch die Rentner als Bezieher kleiner Einkommen wurden in die neue Kindergeldregelung einbezogen, indem der an sie zu zahlende Kinderzuschuß dem Kindergeld angepaßt wurde. Hierfür haben wir 365 Millionen DM vorgesehen.Ich will nicht verhehlen, daß diese Maßnahmen, die ich dargestellt habe, allein nicht ausreichen, um ein familien- und kinderfreundliches Klima in unserem Lande zu schaffen und den jungen Familien die bewußte Entscheidung zum Kind zu erleichtern. DerBevölkerungsrückgang, der in den letzten Jahren in der Bundesrepublik zu verzeichnen ist und der voraussichtlich auch noch anhalten wird, hat vielschichtige Ursachen, Herr Kollege Glos, und dies weisen mehrere Untersuchungen, insbesondere auch die des bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, nach. Als eine dieser Ursachen ist die durchaus erfreuliche Tatsache zu nennen, daß viele Männer nach einer Erstausbildung eine höher qualifizierende Zweitausbildung auf sich nehmen und daß immer mehr Frauen eine qualifizierte Berufsausbildung erhalten. Die Folge dieser Entwicklung ist völlig selbstverständlich, daß immer mehr Frauen den Wunsch verspüren, den erlernten Beruf auch mehrere Jahre auszuüben, und sich erst dann mit ihrer ganzen Kraft der Familie und der Kindererziehung widmen wollen. Dies bedingt, daß das Alter derjenigen Ehepaare, die zum Kind ja sagen, anstieg. Es ist nicht mehr selbstverständlich, daß man mit 20 Jahren das erste Kind und dann natürlich bis zum 30. Lebensjahr unter Umständen vier oder fünf Kinder hat, sondern das erste Kind wird heute normalerweise in einem Alter der Eltern von 25 bis 27 Jahren geboren, und dann gibt es bis zum 30. Lebensjahr naturgemäß auch etwas weniger Kinder. Ich glaube, da muß man den Zusammenhang sehen, und ich sehe da überhaupt nicht schwarz und halte die jetzige Entwicklung noch nicht für verhängnisvoll.Die Entwicklung ist vielmehr ein Indiz dafür, daß die Entscheidung zum Kind in Freiheit und Selbstbestimmung getroffen wird, und eine solche frei getroffene Entscheidung bietet die beste Garantie dafür, daß Kinder nicht als lästige Beeinträchtigung des Lebensstandards betrachtet werden, sondern in der Liebe und Obhut ihrer Familie aufwachsen können. Dafür sorgen wir Sozialdemokraten.
Dieses Recht der Familie und insbesondere das Recht der Frau, frei zu bestimmen, wann und wie viele Kinder sie haben möchte, und damit natürlich auch das Recht, sich — aus welchen Gründen auch immer — gegen Kinder zu entscheiden, muß vom Staat auf jeden Fall respektiert werden.
Das heißt, der Bund und auch die Länder und Gemeinden, die von ihrer Finanzkraft her oft mehr als bisher für die Familien tun könnten, sind aufgefordert, soweit ihnen das möglich ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß keine Familie gezwungen ist, wegen finanzieller oder anderer äußerer Schwierigkeiten auf das gewünschte Kind zu verzichten. Einige Maßnahmen der Bundesregierung dienen diesem Ziel, z. B. die Erhöhung des Wohngeldes, die Verbesserung der Mieterschutzbestimmungen, die Anhebung der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, die Aufnahme von Schulkindern in die gesetzliche Unfallhilfe und nicht zuletzt die Einführung des um vier Monate verlängerten Mutterschaftsurlaubs für berufstätige Mütter. Darauf wird im weiteren Verlauf der Debatte noch eingegangen werden.
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EwenIch bin der Meinung — darin unterscheide ich mich fundamental von Herrn Glos, und ich darf das sicherlich für die gesamte Koalition sagen —, der Staat sollte sich hüten, Belohnungen oder Prämien für das Kinderkriegen auszusetzen und dadurch Familien zu mehr Kindern zu verleiten, als eigentlich von ihnen gewollt war.
Wir lehnen es ab, mit solchen geburtenfördernden Maßnahmen zu versuchen, die freie Entscheidung der Familie zu manipulieren und das Schreckgespenst vom aussterbenden deutschen Volk, von Entvölkerung, Überfremdung oder Selbstmord auf Raten an die Wand zu malen.
Um aber all den Eltern, die sich eine Mehrkinderfamilie wünschen, die optimalen Voraussetzungen für die Erfüllung dieses Wunsches zu schaffen, gilt nach wie vor, daß neben allen Maßnahmen des Staates die Einstellung der gesamten Bevölkerung zu Kindern positiver werden muß. Hier soll das Jahr des Kindes Impulse setzen, deren Wirkungen hoffentlich dieses Jahr überdauern und zu einer langfristigen Besserung der Stellung der Kinder und der kinderreichen Familien in der Gesellschaft führen werden.Wir haben bereits im Godesberger Programm festgeschrieben, daß nach unserer Ansicht der Staat und die Gemeinschaft die Aufgabe haben, die Erziehung durch die Familie in den Bereichen zu ergänzen, die sie nicht selbst ausfüllen kann. Nur durch dieses Zusammenspiel der Erziehung in der Familie und der Impulse von außen wird die Jugend befähigt, ihr Leben zu meistern und die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft zu tragen.Einen wesentlichen Teil dieser Aufgaben übernehmen die Jugendverbände und Vereine, die aus den Mitteln des Bundesjugendplanes in Höhe von ca. 270 Millionen DM gefördert werden. Auf diesen Bereich sind Sie, Herr Kollege Glos, überhaupt nicht eingegangen. Sie haben diese ergänzenden Maßnahmen, die ja wohl ebenfalls zu einem kinder- und jugendfreundlichen Klima gehören, nicht erwähnt. Ich bedaure das außerordentlich; denn die Mittel des Bundesjugendplanes werden nach zahlreichen Gesichtspunkten, z. B. politische, kulturelle und soziale Bildung, Jugend und Sport, internationale Jugendarbeit aufgeteilt und dadurch in einer Fülle verschiedener Gruppierungen verwendet.
— Ja, die Weltjugendfestspiele sind Ihnen ein Dorn im Auge. Ich weiß das. Sie hätten lieber, daß unsere Jugendlichen ins Mauseloch zurückkriechen und die offensive Auseinandersetzung mit den Kommunisten scheuen.
Dies ist nicht notwendig ; denn wir haben etwas Gutes zu verteidigen, nämlich die Freiheit der Demokratie. Das können wir überall in der Welt, auch bei Kommunisten durchaus glaubwürdig darstellen.
Die Mittel, die an zentrale Jugendverbände gegeben werden, u. a. auch, damit man reisen kann, werden an die Jugendverbände zur eigenverantwortlichen Verwendung weitergegeben. Ich möchte an dieser Stelle den Dank der Koalition an die vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Verbänden und Vereinen aussprechen, die es durch ihre Arbeit möglich machen, daß sich unsere Jugend frei entfalten kann, sich selbst bestimmen kann und den Weg ins Erwachsenenleben findet.
Etwas mehr Toleranz und Gelassenheit, als die Opposition in dieser Frage eben durch den Zwischenruf „Weltjugendfestspiele" an den Tag gelegt hat, ist nach unserer Meinung gegenüber den Jugendverbänden durchaus angebracht. Mit Gängelei und Knebelung hat noch kein Staat die Jugend hinter sich gebracht.
Uns ist daher eine kritische Auseinandersetzung mit dem Staat und den eigenen Problemen lieber als eine haltlose und gleichgültige Jugend ohne jedes Staatsverständnis, die sich in Drogen und Alkohol flüchtet.Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich noch auf einige Punkte eingehen, die bei den bisherigen Debatten zum Etat des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit recht stiefmütterlich behandelt wurden und auch heute weder in der Rede von Herrn zu Sayn-Wittgenstein noch in Ihrer Rede, Herr Glos, eine Rolle gespielt haben. Ich denke hierbei an das Bundesgesundheitsamt in Berlin sowie an andere Forschungsbehörden und wissenschaftliche Einrichtungen.Es ist erstaunlich, daß eine so große Behörde wie das Bundesgesundheitsamt mit einem Etat von rund 125 Millionen DM mit sieben Instituten und fast 1 500 Mitarbeitern so wenig Interesse findet. Daran, daß die Aufgaben dieser Behörde zu unbedeutend wären, kann es jedenfalls nicht liegen. Aufgaben wie die Verbesserung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes, die Verminderung gesundheitlicher Risiken aus der Umwelt, die Früherkennung von Krankheiten und die Verbesserung der Arzneimittelsicherheit stehen mehr denn je im Blickpunkt der Öffentlichkeit und gewinnen für uns alle ständig an Bedeutung.Fast bekannter als das Bundesgesundheitsamt selbst sind seine Forschungsinstitute, wie z. B. das Robert-Koch-Institut, das sich mit der Tuberkulose- und Blutgruppenforschung befaßt, oder das Institut für Veterinärmedizin, das u. a. für die Lebensmittelhygiene zuständig ist, und das Institut für Strahlenhygiene, das sich u. a. um den Bevölkerungsschutz bei kerntechnischen Anlagen bemüht. Sie alle genießen einen hervorragenden Ruf in der Fachwelt und helfen uns, daß wir genügend Erkenntnisse erhalten, wie wir unsere Bevölkerung vor Gefahren schützen. Für die Institute gemeinsam stellen wir rund 15 Millionen DM an Baumitteln zur Verfügung und erfüllen damit den von diesem Hause erteilten
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10458 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
EwenAuftrag, das Bundesgesundheitsamt in Berlin ordnungsgemäß weiterzuentwickeln.Hier sollte auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erwähnt werden. Durch interne Veränderungen ist mittlerweile sichergestellt — wir haben das in der Vergangenheit kritisiert gehabt —, daß die Öffentlichkeitsarbeit gestrafft wird und auf Multiplikatoren ausgerichtete Fortbildungsprogramme angeboten werden. Der Bürger kann sich über gesundheitliche Probleme bestens informieren. Die Schriften haben mittlerweile einen hohen Informationswert und sollten von Gruppen und Vereinigungen, aber auch von Einzelpersonen angefordert werden.Nun lassen Sie mich zum Schluß noch ein kurzes Wort zum Arbeitsstab Frauenpolitik sagen, dessen Stellen Sie mit Ihrem Antrag auf Drucksache 8/2491 ablehnen wollen. Gegen die Stimmen der Opposition hat der Haushaltsausschuß für diesen Arbeitsstab acht Planstellen bewilligt. Der Ausschuß ging und geht dabei natürlich von der Annahme aus, daß dieser Arbeitsstab bei der Schließung rechtlicher Lücken zur Erlangung der vollen Gleichbereichtigung der Frau und bei der Beseitigung praktischer Benachteiligungen wertvolle und wirkungsvolle Arbeit leisten kann. Der Ausschuß hat deshalb die Stellen zunächst gesperrt, bis ein Konzept über die .Tätigkeit des Arbeitsstabes vorgelegt werden kann. Wir erwarten, daß dieser Arbeitsstab zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in die Beratung von Gesetzesvorhaben einbezogen wird; denn nur so ist sichergestellt, daß dieser Arbeitsstab effektiv arbeiten kann und daß die Kritik der Opposition nicht zutreffen wird, es handele sich bei der Einrichtung dieser Stellen lediglich um eine unnötige und überflüssige Personalaufblähung.Herr Kollege Glos, es hat mich doch schockiert, als Sie den Eindruck zu erwecken versuchten, daß junge Leute die Eheschließung davon abhängig machen, wie denn der Abfindungsvertrag bei einer möglichen Scheidung aussieht. Da ich selbst ein paar Kinder mehr habe — auch im heiratsfähigen Alter — als Sie — das hängt aber mit unserem Altersunterschied zusammen; ich gebe zu, Sie haben neulich gesagt, Sie seien noch im Manöver; das soll auch so bleiben —, glaube ich nicht, daß diese Fragen überhaupt eine Rolle spielen. In vielen, vielen Gesprächen mit jungen Leuten habe ich gehört, daß andere Probleme einen höheren Stellenwert haben. Ich habe die Hoffnung und das Vertrauen zu den jungen Menschen in unserem Lande, daß sie auch in Zukunft nicht den Notar zum Standesbeamten oder zum Pfarrer mitnehmen, sondern davon ausgehen, daß eine Ehe ein Bund für das Leben ist, ein Schritt, den man sich vorher genau überlegt, ihn dann aber, wenn man ihn bejaht, auch unabhängig von den finanziellen Folgen einer möglichen späteren Scheidung geht.
Wer heiratet, der will doch zusammen bleiben, der denkt doch in dem Augenblick gar nicht an Scheidung. Das ist doch eine völlige Verdrehung der Tatsachen.Wenn Sie dann sagen, es würde ein Anti-KindKlima geschaffen — ich stamme nun weiß Gott aus einem Landstrich, der bis vor wenigen Jahren als sehr geburtenfreudig bekannt war und heute immer noch als kinderfreundlich gilt; dennoch ist auch bei uns die Zahl der Geburten zurückgegangen —, dann kann ich nur erwidern, Herr Glos — ich glaube, wenn die Bayern Ihre Rede gehört haben, werden sie ein bißchen erschrocken gewesen sein —: Die gesellschaftlichen Auswirkungen einer völlig veränderten Wirtschaftswelt mit ihren Umwälzungen tragen dazu bei, daß die Leute ein bißchen mehr nachdenken und auch mehr Zeit in Aus- und Fortbildung investieren und daher später eine Ehe schließen. Diese Gründe sind viel durchschlagender als all das andere, was Sie von sich gegeben haben.Ich habe noch zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/2484 unter Ziffer 9 zu sprechen. Danach wollen Sie die allgemeinen Bewilligungen mit einer globalen Minderausgabe von 400 000 DM belegen. Dieser Antrag widerspricht geradezu dem, was gefordert worden ist, nämlich dafür zu sorgen, daß die Öffentlichkeit über gesundheitspolitische Maßnahmen noch besser als in der Vergangenheit aufgeklärt wird. Ich bitte, diesen Antrag ebenso wie den der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/2491 abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dickste Brocken im Einzelplan 15 ist mit 17,4 Milliarden DM von insgesamt 17,6 Milliarden DM das Kindergeld. Das macht ungefähr 98,8 % des Etats aus, d. h. nur 1,2 % des Etats ist für übrige Ansätze vorgesehen. Ich glaube, das zeigt sehr deutlich, welchen großen Wert das Kindergeld in diesem Etat hat.
Wenn wir uns die vorgesehenen Steigerungen der Haushalte 1979, 1980, 1981 und 1982 mit 8,6 %, 6,0 %, 5,0 % und 4,5 % anschauen und die vorgesehenen Veränderungen des Einzelplans 15 um plus 9,1 %, plus 4,3 %, minus 2,3 % und minus 2,2 % dagegenhalten, so zeigt sich: Unser Haushalt steigt heuer überdurchschnittlich. Ich glaube, das zeigt die Gewichtung, auch wenn wir an das Kindergeld denken.Aber für mich stellt sich auch die Frage, warum der Haushalt in den Jahren 1980, 1981 und 1982 nur unterdurchschnittlich steigt und sogar teilweise abnimmt. Uns wurde vom Ministerium mitgeteilt, das sei eine Folge des Geburtenrückgangs.Ich stelle die Frage an das Ministerium: Welches Konzept ist für die langfristige Entwicklung des Kindergelds vorgesehen? Ist in diesen Ansätzen an irgendeiner Stelle eine Anhebung des Erst-, Zweitoder Drittkindergelds vorgesehen?
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Eimer
Ich stelle diese Frage aber auch an die Opposition, weil zu diesem Thema von der Opposition nur unklare Aussagen vorliegen und die Aussagen, die vorliegen, nicht mit dem übereinstimmen, was wir über das Kindergeld denken.
— Das werde ich gleich ausführen, Herr Kollege.
Zunächst möchte ich Ihnen sagen: Ich halte nichts davon, wieder Freibeträge einzuführen. Ich meine— und damit stehe ich in der Fraktion nicht allein —, daß der Unterschied zwischen dem Erst-, dem Zweit- und dem Drittkindergeld allmählich zu groß geworden ist. Ich nenne die Zahlen: 50 DM, 100 DM, 200 DM. Hier verdoppelt sich das Kindergeld jeweils.
— Das ist die Meinung unserer Fraktion. Wir glauben, daß wir in Zukunft bei Erhöhungen des Kindergelds vor allem an das Erstkindergeld denken müssen. Das steht wohl im Gegensatz zu dem, was von Ihrer Fraktion als Maßnahme gefordert wird. Seit 1974 wurde das Erstkindergeld nicht mehr erhöht. Wir glauben also, wir sollten bei allen zukünftigen Maßnahmen das Erstkindergeld erhöhen.Damit sind wir im Grunde genommen schon bei dem Problem, das mein Kollege Glos angesprochen hat, nämlich bei dem Problem des Geburtendefizits. Ich stelle für unsere Fraktion fest, daß wir überdurchschnittlich dazu beigetragen haben, daß die Deutschen nicht aussterben. Sie brauchen sich nur mal die Geburtenzahlen in der Fraktion anzuschauen.Ich glaube, von uns wird immer wieder der Fehler gemacht, beim Thema Geburtenentwicklung zu vergessen, daß im Grunde genommen nicht Erstkinderfamilien fehlen, sondern vor allem Zweit-, Dritt- und Mehrkinderfamilien.
— Nein. Wenn Sie etwas Geduld haben, werde ich den scheinbaren Widerspruch auflösen. Ich glaube, daß Sie hier nicht richtig denken.
Wir müssen feststellen, daß das erste Kind normalerweise sehr viel Geld kostet und daß bei jungen Familien dann, wenn das erste Kind zur Welt kommt, normalerweise ein Einkommen wegfällt. Das bedeutet: Es nützt nichts, die Mehrkinderfamilien zu fördern, wenn die Eltern schon bei der Geburt des ersten Kindes feststellen, daß ihnen ein großes Loch ins Portemonnaie gerissen worden ist, und wenn sie nach bereits dem ersten Kind — ich sage es einmal salopp — die Schnauze voll haben.Wenn wir Mehrkinderfamilien haben wollen, müssen wir bei künftigen Maßnahmen vor alleman das Erstkindergeld denken. Wissenschaftlersprechen von dem sogenannten Erstkindschock.Den wollen wir mit diesen Maßnahmen abbauen.Mir ist natürlich klar, daß die Erhöhung des Erstkindergeldes sehr viel Geld kostet. Berechnungen besagen, daß die Erhöhung des Erstkindergelds um 10 DM eine Milliarde DM kostet. Wir wissen auch, daß diese Erhöhung des Erstkindergelds im Moment nicht finanzierbar ist.Aber ich glaube, es gibt hier Vorschläge, wie man gerade den Erstkinderfamilien und damit allen Familien helfen kann. Wenn wir z. B. für die ersten drei Jahre einen Zuschlag geben, so reicht eine Milliarde DM nicht für 10 Mark Erhöhung, sondern bereits für 50 Mark Erhöhung des Kindergeldes. Damit, meine ich, können wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, die Geburtenrate in unserem Land wieder etwas günstiger zu gestalten.Wir sollten dies nicht deswegen tun — wie Kollege Glos vorhin gesagt hat —, weil wir Angst haben sollten, daß die Deutschen aussterben. Ich meine, Deutschland ist dicht genug besiedelt. Was uns aber Sorge machen muß und was uns auch Sorge macht, ist die Entwicklung der Bevölkerungspyramide. Sie könnte sich wirklich etwas gleichmäßiger entwickeln.Aber es gibt noch eine Reihe anderer Maßnahmen, das Geburtendefizit abzubauen und die Bevölkerungsentwicklung zu verbessern. Ich denke an notwendige Bemühungen, die Säuglingssterblichkeit in unserem Lande herabzusetzen. Wir haben im Verhältnis zu vergleichbaren Ländern — das wurde bereits vom Bundeskanzler angesprochen — eine verhältnismäßig hohe Säuglingssterblichkeit. Dazu mein Vorschlag: Könnten wir nicht Beihilfen für die Geburt mit der Pflicht zur Vorsorgeuntersuchung koppeln? Wir wissen, daß ein Großteil der Frauen — ich glaube, zwei Drittel der Frauen — nicht zur Vorsorgeuntersuchung geht. Auf diese Weise könnten wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, diese Entwicklung etwas zu verbessern.Eine wichtige Ursache für diese Entwicklung — da gebe ich meinem Kollegen Glos recht — ist die Kinderfeindlichkeit in unserer Gesellschaft. Aber, das muß man sagen, diese Kinderfeindlichkeit stammt ja nicht von dieser Koalition. Sie ist von vorhergehenden Regierungen übernommen worden. Wir müssen feststellen, daß dieses Land seit langem kinderfeindlich ist. Wenn wir uns einig sind, daß wir dagegen etwas tun müssen, so stelle ich folgende Frage. Vielleicht ist es möglich, den Art. 3 des Grundgesetzes zu ändern, in dessen Satz 3 es heißt: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache ... bevorzugt oder benachteiligt werden. Vielleicht können wir hier einfügen „seines Alters" : Niemand darf wegen ... seines Alters bevorzugt oder benachteiligt werden. Dann sind solche Urteile, wie sie Herr Glos vorhin angesprochen hat, nicht mehr möglich. Ich will das' nur zu bedenken geben.
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Eimer
Ich glaube aber, daß ein wichtiger Grund für die Kinderfeindlichkeit in der Grundeinstellung der Erwachsenengeneration zu Kindern liegt. Vielleicht liegt es auch umgekehrt an der Grundeinstellung unserer Kinder zu ihren Eltern und zur Gesellschaft, wenn daraus Konflikte entstehen, die insgesamt auf der anderen Seite wieder zu Kinderfeindlichkeit führen. Ich meine, daß die Argumentation, die wir bisher geführt haben, im großen und ganzen zu materialistisch geführt worden ist.
Die Grundeinstellung zum Kind kann man nicht mit Geld erkaufen. Man kann sie nicht per Gesetz verordnen. Sie zu verbessern kann und darf auch nicht eine Aufgabe der Regierung sein.
Es ist unsere Aufgabe als Eltern, es ist die Aufgabe der Kirchen, der Verbände, der Parteien, diese Anforderung zu erfüllen. Ich habe den Eindruck, daß wir alle diese Aufgabe nicht so erfüllen, wie wir sie erfüllen sollten. Das Verhältnis der jungen Generation zu der äteren Generation zeigt das sehr deutlich.Aber auch das Wahlverhalten der jungen Generation ist für mich ein Anlaß, etwas nachdenklich zu werden. Gerade in der jungen Generation gibt es einen großen Anteil von Leuten, die nicht zur Wahl gehen. Ich glaube, das Wahlverhalten der jungen Generation sollte gerade der Opposition zu denken geben.Zusammenfassend möchte ich zu diesem Komplex folgendes sagen. Schieben Sie diese Aufgaben nicht dem Staat zu, die er nicht erfüllen kann und die er nicht erfüllen darf! Bei anderer Gelegenheit werfen Sie der Regierung gerade vor, daß sie sich zu sehr in private Dinge einmischt. Der Abbau der Kinderfeindlichkeit aus Gedankenlosigkeit, aus Egoismus, aus Unverständnis und aus Vorurteilen muß ein Beitrag sein, die Zukunftschancen unserer jungen Generation zu verbessern.Diese Regierung und diese Koalition bringen eine Reihe von Beiträgen, die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern. Ich muß feststellen, daß nicht alle diese Beiträge von der Opposition abgelehnt werden. Ich denke hier z. B. an die Unterhaltsvorschußkassen, über die nach anfänglichem Zögern der Länderfinanzminister und des Bundesfinanzministers jetzt doch, glaube ich, zügig beraten wird. Eine Ankündigung in der Regierungserklärung wird damit verwirklicht; die FDP kann einen Punkt ihres Wahlprogramms abhaken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Herr Kollege Eimer, Sie sagen nach anfänglichem Zögern der Länder würden diese Unterhaltsvorschußkassen nunmehr bejaht. Wäre es nicht der Sache angemessen gewesen, dem Hohen Hause mitzuteilen, daß es in einem
Land, nämlich in Rheinland-Pfalz, solche Unterhaltsvorschußkassen schon gibt?
Herr Kollege, ich darf Sie verbessern: Es gibt nicht nur in Rheinland-Pfalz solche Unterhaltsvorschußkassen, sondern auch in Hamburg. Ich habe bewußt gesagt: „ ... der Länderfinanzminister und des Bundesfinanzministers". Wir sind glücklicherweise so weit, daß diese Unterhaltsvorschußkassen zügig beraten und eingeführt werden können.Der Ausschuß für Familie, Jugend und Gesundheit zeigt aber auch auf anderen Gebieten Einigkeit, z. B. in den Fragen der Gesundheitspolitik — im Gegensatz zu dem, was mein Kollege vorhin ausgeführt hat —, etwa im Apothekenrecht oder bezüglich der Ärzteausbildung. Bei der Betrachtung der einzelnen Sachgebiete fällt mir aber auf, daß die Unterschiede im Ausschuß so groß, wie sie hier dargestellt werden, nicht sind, daß diese Unterschiede aber im Plenum ins Groteske verzerrt werden. Da sagt dann die Opposition: Die Richtung stimmt nicht, hier ist ein falscher Weg eingeschlagen worden. Ich glaube, die Öffentlichkeit denkt anders.Auch die Kirchen z. B. denken anders. Ich darf ein Zitat der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen bringen. Da heißt es:Die bisher erfolgten und noch zu erwartenden Reformen des Ehe- und Kindschaftsrechts entsprechen in ihren Grundprinzipien durchaus den Vorstellungen der EAF. Sie sind geeignet, Ehe und Familie in zeitgemäßer Weise zu stärken.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe den Eindruck, daß Sie in der Öffentlichkeit für Wahlkämpfe ein Alibi brauchen, um sagen zu können, warum Ihnen die ganze Richtung nicht paßt. Ich denke da z. B. an das Recht der elterlichen Sorge, über das wir uns im Ausschuß doch — das müssen Sie, wenn Sie ehrlich sind, zugeben — ziemlich einig waren.
Ich bin auch heute noch der Meinung, daß da eine Einigung möglich wäre, wenn Sie nur etwas guten Willen hätten.
Ich habe den Verdacht, daß Sie nach außen eben dieses Alibi brauchen, um sich von der Politik dieser Regierung abzusetzen. Auch habe ich den Eindruck, das liegt daran, daß Strauß in den ersten öffentlichen Erklärungen das Recht der elterlichen Sorge mit dem Jugendhilfegesetz verwechselt hat.
Ich meine, wir sollten Gegensätze und Unterschiede nicht künstlich herbeireden und aufbauschen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10461
Eimer
— Ich habe doch jetzt eine ganze Reihe von Fragen aufgezählt, in denen wir uns einig sind, und da haben Sie nicht widersprochen.
Es ist kein guter Stil, wenn von der Opposition z. B. im Wahlkampf in Hessen von Herrn Dregger von einem „totalitären Anspruch linker Ideologen" gesprochen wird und wenn Herr Dregger wörtlich sagt — ich darf zitieren —:Gemessen an dem Netz vorgesehener Eingriffsmöglichkeiten, sind die von Nationalsozialisten praktizierten öffentlichen Erziehungsmodelle geradezu stümperhaft gewesen.
Das möchte ich als Demagogie bezeichnen.
Ich meine, Kritik kann auch anders ausfallen.
— Ich sehe, daß die Zeit abgelaufen ist. Ich will mich deshalb kurz fassen.Ich glaube, dieses Ministerium hat im Verhältnis zu den Aufgaben, die auf uns zukommen, zuwenig Kompetenzen. Wir alle sollten die Jugendpolitiker unterstützen, damit dieses Ministerium und damit auch unser Ausschuß mehr Kompetenzen bekommt — in allen Fragen,. die die Jugendlichen betreffen. Zum Beispiel wäre es gut, wenn das Jugendhilfegesetz ein eigenständiges Gesetz wäre und nicht an das Sozialgesetzbuch angehängt würde.
Auch wir sind der Meinung, daß sich die Politik dieser Regierung, dieser Koalition sehen lassen kann. Deshalb werden wir diesem Haushalt zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entgegen allen Unkenrufen vom vorigen Jahr hat der Einzelplan 15 in diesem Jahr eine überdurchschnittliche Steigerungsrate erfahren —12,9 % —, die weit über der Steigerungsrate des gesamten Haushalts liegt. Hierbei spielt das Kindergeld eine große Rolle. Deshalb will ich redlicherweise und auch dankend vermerken: Meine Damen und Herren von der Opposition, mit fünf Mark waren Sie dabei.
Wie erwartet, hat sich die Diskussion während der ganzen Woche schon auf vier Punkte konzentriert: auf Familie und Jugend, Gesundheit und auf den speziellen Punkt einer Stabsstelle für Frauenfragen, die wir gerne einrichten möchten.
Die Opposition hat in dieser Woche natürlich keine Gelegenheit ausgelassen, den Vorwurf von dem angeblich gestörten Verhältnis dieser Koalition zur Familie zu wiederholen. Herr von Weizsäcker hat gestern etwas milde gesagt, daß törichte alte Texte nun in den Hintergrund getreten seien, aber doch fortwirkten.
Dann hat er erklärt, die Erziehung der Kinder sei bei uns von Geburt an praktisch verstaatlicht und sozialisiert. Dies wiederum ist so töricht, daß es einer Gegenerklärung gar nicht bedarf; denn das können die Bürger in unserem Lande selber prüfen. So etwas kann doch niemand im Ernst glauben.
Das brauchten die Familien in unserer Demokratie auch gar nicht mitzumachen; denn notfalls könnten die Familien, d. h. die erwachsenen Bürger, alle noch CDU wählen. Aber sie haben letztes Mal mit Mehrheit dieser Koalition ihre Stimme gegeben.
Also haben sie wohl zur Kenntnis genommen, daß dieser törichte Vorwurf von der Fremdbestimmung von den Regierungserklärungen seit 1969 eindeutig widerlegt worden ist.
— Dieses, was Sie da sagen, ist doch überhaupt nicht wahr.
— Daß die Erziehung der Kinder verstaatlicht, sozialisiert und fremdbestimmt wird, werden Sie in 'keinem Papier nachweisen können. Das wissen die Bürger sehr genau.
Ich fand es auch sehr merkwürdig, daß sich Herr von Weizsäcker gestern nicht gescheut hat, meine Kollegin, Frau Reichel, bloß deshalb als Senatorin gegen die Familie zu bezeichnen, weil sie in Berlin dafür gesorgt hat, daß genügend Krippenplätze angeboten werden.
Diese Krippenplätze sind doch nachgefragt worden. Sie werden den Bürgern doch nicht aufgedrängt. Aber wir werden den Mütterurlaub doch nicht einführen, damit wir — wie hier unterstellt — die Eltern von ihren Kindern trennen und die Elternschaft auf eine biologische Funktion reduzieren können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Egert?
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10462 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Aber gern.
Frau Kollegin Huber, können Sie sich vorstellen, daß Herr von Weizsäcker deshalb nicht so informiert war, weil er als Reisender zwischen Bonn und Berlin kaum Zeit hat, sich sachkundig zu machen?
Ich sage dazu nur: Er ist auch heute nicht da.Bei den sozialen Reformen der letzten zehn Jahre sind den Familien wie in keiner vorangegangenen Periode Hilfen gegeben worden.
Aber vielleicht, meine Damen und Herren von der CDU, stimmt Ihr Leitbild von der Familie, von den Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern mit der heutigen Wirklichkeit nicht mehr so ganz überein. Deshalb kann man mit Ihren Parolen auch nicht die Probleme lösen, die Eltern im Verhältnis zueinander, zu ihren Kindern und zur familiären Umwelt haben.Ich kann dem Herrn Kollegen Biedenkopf nur recht geben, der in seinem Memorandum gesagt hat, daß ein neuer Ansatz zur Familienpolitik in der Union noch nicht entwickelt und daß die Haltung innerhalb der Union in dieser Frage widersprüchlich sei. Vielleicht forschen Sie einmal nach, wie es diesbezüglich bei Ihnen denn nun sein soll. Ob Sie dabei, Herr Glos, bis zu den Dinosauriern zurückgehen müssen, wird sicherlich auch in Ihrer Fraktion umstritten sein.
— Da sehen Sie einmal Ihren Zeitbegriff. — Die Koalition jedenfalls weiß sich in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz, wenn sie bei der Reform des Ehe- und Familienrechts das Ziel verfolgt, innerhalb der Familie mehr Eigenverantwortung und weniger Bevormundung zu erreichen und das Prinzip der Partnerschaft zu verwirklichen, in der sich gleiche Rechte und gleiche Verantwortung entsprechen.Ich habe in der „Zeit" gelesen, daß die augenblickliche Familiendiskussion — provoziert durch die Union — die Koalition hindere, jetzt noch über Emanzipation und mündige Bürger zu reden. Ich will dies hier widerlegen: Wir reden davon! Weil wir für die Familie sind und immer dafür gewesen sind, können wir auch über Emanzipation reden.
Wenn die CDU von Familie spricht — und dies ist nun ein sehr ernster Punkt —, dann läuft das immer auf drei Schwerpunkte zu: erstens auf die Privatheit der Familie, zweitens auf die Werte und drittens auf das Erziehungsgeld.
— Ja, ich bin lernfähig; sehen Sie einmal an.
Hier gibt es nun eine ganz merkwürdige Diskussion. Denn wie man in einem Dreieck in gerader Linie nicht zwei Endpunkte zugleich erreichen kann, so wenig ist es auch hier: Wer über Privatheit und Werte redet und solche Tugenden aufzählt, wie wir sie, vorige Woche in dem Antrag über die Entwicklungschancen der jungen Generation lesen konnten, nämlich Selbstlosigkeit, Treue, Opferbereitschaft und Solidarität, der muß andere Gedanken als nur die ewig wiederholte Forderung nach Geld — sprich: Erziehungsgeld —, nach einem undifferenzierten Zuschuß für alle Familien ins Spiel und in die Diskussion bringen.
Nach all den Diskussionen, die wir im Vorfeld der ja noch anstehenden Jugendhilfedebatte schon gehabt haben, war ich sehr überrascht über Ihre Reaktion, als der Bundeskanzler gestern davon sprach, daß die private Entscheidung der Eheleute über das Kinder-haben-Wollen respektiert werden müsse und nicht angetastet werden dürfe.
Einige, so habe ich bemerkt, haben an dieser Stelle sogar gelacht. In Ihrem Antrag über Zukunftschancen, meine Damen und Herren, aus der vorigen Woche haben Sie an zwei Stellen in anklagender Form vom Mangel an wertorientierter Familienpolitik und von Unterbewertung freiheitlicher, selbstverantwortlicher Familienpolitik geredet — Mängel, die Sie natürlich uns anlasten wollen.
Wir sind für eine freiheitliche, selbstverantwortliche Familienpolitik. Deshalb sind wir auch für eine Familienpolitik, die nicht Bevölkerungspolitik alten Stils ist,
in der die Entscheidungen der Eltern sich daran orientieren sollen, welches Interesse der Staat — oder was einige Leute dafür halten — wohl hat. Wir sind auch für eine verstärkte Diskussion über Werte, die dem entgegenwirkt, was z. B. die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in den letzten Tagen in ihrem Artikel über Wunschkinder geschrieben hat, daß nämlich in unserer Gesellschaft nicht Kinder, sondern materielle Güter darüber entscheiden, welche gesellschaftliche Anerkennung man hat. Ich stimme dem Kollegen durchaus zu, der hier die Zeitungsannoncen bemängelt, die auch ich gesehen habe; da sind wir durchaus einer Meinung. Die Bundesregierung — das gebe ich zu - sieht diese Entwicklung mit großer Sorge; denn dies ist ein Grund — ein wichtiger Grund — für den Geburtenrück-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10463
Bundesminister Frau Hubergang, der ja ein internationales Problem ist. Aber alle die Begriffe, die Sie in Ihrem Jugend-Antrag unter den Tugenden zusammengefaßt haben und zu denen wir wieder zurückfinden sollen, müssen ja mit Inhalt gefüllt werden. Man muß wissen, warum man opferbereit, treu, bescheiden, selbstlos und fleißig sein soll. Was haben Sie der jungen Generation an Inhalt für diese Begriffe geboten: etwa die zaghafte Friedenspolitik der vorigen Periode oder etwa die manchmal nicht gerade soziale Steuerpolitik oder die immer noch konservativ-elitäre Bildungspolitik, von der wir so oft aus Ihren Ländern hören?
Werte sind nur mit Zielen zu realisieren.Herr Wissmann hat hier vorige Woche eingeräumt, daß die Zukunftschancen der jungen Generation nicht nur unter materiellen Aspekten betrachtet werden dürfen. Meine Damen und Herren, mit dieser Feststellung räumt man aber auch ein, daß Familien- und Jugendpolitik nicht ausschließlich und vielleicht nicht einmal in erster Linie ein Haushaltsproblem ist. Von Ihnen wird hier aber kein Beitrag zum Nichtmateriellen geliefert. Statt dessen erheben Sie nun wieder die Forderung nach einem Erziehungsgeld, die Sie schon einmal vorgebracht und dann wieder zurückgezogen haben. Die einen glauben, daß damit ein stärkerer Kinderwunsch erzeugt wird; andere Kollegen von Ihnen reden aber gleichzeitig ganz ungeniert von der Oktroyierung sozialistischen Anspruchsdenkens, wie es der Herr Kollege Klein hier am 18. Januar getan hat. Er wirft uns vor, wir kämen vom sozialen Rechtsstaat zum sozialistischen Fürsorgestaat.Ich verstehe ja, daß es durchaus noch offene Wünsche gibt, berechtigte Wünsche, wie ich sage. Wir befinden uns ja auf einem Weg und nicht auf einem Punkt. Wenn Sie aber schon so viel vom Geld reden, dann sollten Sie nicht so widersprüchliche Parolen in die Debatte einbringen, sondern gezielt jenen helfen, die Benachteiligungen haben, statt mit der Gießkanne über das Land zu gehen.
Die Bundesregierung will die Familie nicht pachten. Sie hatte dieses niemals vor. Sie will im Gegenteil die Familie fördern. Die Familie war nie freier als heute, Familienpolitik nie freiheitlicher orientiert, aber die Familie ist doch keine Puppenstube aus dem Kaufhaus der Träume.
Da schmeckt es doch nicht bloß nach Sonntag und nach Weihnachten und nach Kindergeburtstag.
Zugegeben, dieses Wir-Gefühl unter der Lampe an einem Winterabend z. B. ist schön, aber es gibt doch auch Ratlosigkeit und Not, Spannungen, Trauer und Verzweiflung.
Die Freiheit, die den Familien neue Entfaltungsmöglichkeiten geschaffen hat, setzt in einer komplizierter gewordenen Welt mehr Rat und Hilfsmöglichkeiten voraus, die von der Gesellschaft erwartet und auch vom Staate angeboten werden müssen.
— Das ist nicht der Bericht der Regierung.Es müssen aber eben gezielte Hilfen sein, sozial begründet und erzieherisch geboten. Es ist ein grotesker Widerspruch, wean von der Opposition einerseits eine Welt voller düsterer Probleme gemalt wird — die Zukunft grau und ungewiß, woran natürlich die Bundesregierung schuld ist —,
andererseits aber, wenn sich die Bundesregierung bemüht, Hilfsangebote zu machen, ein großes Gezeter anhebt, sie regiere in die intakte Familie hinein und mache die Familie zur Sozialisationsagentur des Staates — so Herr Strauß in seiner Jungfernrede vor dem Bundesrat, und so hat es Herr Klein hier im Bundestag wiederholt.
Ich erinnere mich gut an diese Bundesratsdebatte, denn da hat uns der Herr Ministerpräsident Späth aus Baden-Württemberg tatsächlich den Einsatz der Groß- und Schwiegermutter in der Jugendhilfe empfohlen. Ich bitte Sie, das nachzulesen, weil es so „hilfreich" ist.
Die Familie ist keine Sozialisationsagentur, aber sie ist auch kein Sanatorium.
— Wo man alles heilen kann, meine ich.
Wenn Frau Karwatzki und Herr Kroll-Schlüter im Blick auf das Jugendhilfegesetz, von dem ich gerade sprach, gesagt haben, dabei handle es sich um ein totales Erziehungsgesetz, so ist das eine Behauptung — und jetzt mache ich eine kleine Pause —, die nur dem Bemühen entspringen kann, die Koalitionsparteien wieder einmal des Strebens nach Zerstörung von Ehe und Familie zu bezichtigen. Diese Behauptung ist durch nichts zu belegen.
— Das lese ich deswegen so sorgfältig ab, weil es nicht meine Worte sind.
Sie stammen vielmehr von dem Vorsitzenden der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, Herrn Neumann, der das dieser Tage in einem Kommentar niedergeschrieben hat. Ich wollte Ihnen das nicht vorenthalten.Weil Sie heute hier die „Zeit" zitiert haben — in einem anderen Sinne und vielleicht aus einer ande-
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10464 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Bundesminister Frau Huberren Ausgabe, einer älteren Ausgabe —, will ich Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten drei Sätze aus der allerneuesten — —
— Sehr schön, das ist nicht aufregend. Ich freue mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Erlaubnis ist generell erteilt, aber es schadet ja nichts, wenn der Redner noch darauf zurückkommt.
Ich zitiere also mit der Generalerlaubnis:
Man mag und man muß die Familie stützen. Aber in Erinnerung an das Schicksal der Emanzipationsbewegung ist auch die Warnung angebracht, daß von den festen Lebensformen die Lösung aller Probleme nicht zu erwarten ist. Wo der Rückzug in die Institution der Familie als neue Heilslehre verkündet wird — und einige der Christlichen Demokraten tun es —, werden deren Schwächen tabuisiert. Die Verständigungsschwierigkeit in der Familie, die bis zur Sprachlosigkeit reicht, die zwischen Verzweiflung, Anpassung und Desinteresse schwankende Stimmungslage der jungen Generation, dies alles hat tiefere Ursachen; die moderne anonyme Gesellschaft wurde ja wahrlich nicht von der Koalition erfunden . .. Wer in der Familie unvergängliche Werte abholbereit zu finden hofft, wird gewiß enttäuscht werden; wer Familie nur als Schutzburg vor der Politik begreift, wird bald erfahren, daß die Mauern brüchig sind.
Der Rückzug in die Familie ist nicht der Weg in die heile Welt.
— Dies ist ein Zitat aus der „Zeit", und ich glaube, es ist nachdenkenswert.
Herr Glos hat vorgestern eine abfällige Bemerkung über unseren Beitrag zum Internationalen Jahr des Kindes gemacht. Dabei hat er jene 1,8 Millionen DM gemeint, die 1978 und 1979 für UNICEF, für zentrale Veranstaltungen, für einen Modellspielplatz, die Aktion Gemeinsinn u. a. bereitgestellt worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Frau Bundesminister, würden Sie mir bitte ausdrücklich bestätigen, daß ich im Zusammenhang mit dem „Jahr des Kindes" von der Verschuldungspolitik dieser Bundesregierung gesprochen und dabei ausgeführt habe, daß auf jedes neugeborene Kind in unserem Lande 100 000 DM neue Schulden zukommen, und daß ich in keiner Weise
über die in diesem Haushaltsplan eingesetzten Mittel gesprochen habe?
Herr Glos, ich habe selbst hier gesessen und zugehört. Sie haben ganz hämisch gesagt: Und das ist nun Ihr Beitrag zum Jahr des Kindes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch eine Frage, Frau Bundesminister?
Frau Bundesminister, würden Sie bitte meinem ausdrücklichen Wunsch entsprechen und im Protokoll nachlesen?
Das tue ich gern. Aber ich habe zugehört.
— Doch, ich denke schon. Sie haben doch jene 1,8 Millionen DM gemeint, die für diese Veranstaltungen bereitgestellt waren. Wenn Sie das nicht so gemeint haben, muß ich mich verhört haben; aber ich habe es so aufgefaßt. Trotzdem will ich etwas dazu sagen.
— Ich will zu der Summe etwas sagen.
— Ich werde das nachlesen. Vielen Dank.
Diese 1,8 Millionen DM sind nur der Beitrag zur Bewußtseinsbildung und sollen natürlich entscheidende Impulse bringen. Dazu ist das Jahr des Kindes da. Aber unser eigentlicher Beitrag zum Jahr des Kindes ist( das Kindergeld, das mit über 2 Milliarden DM angehoben worden ist. Das können Sie in unserem Haushalt finden. Durch die Kindergeldverbesserungen von 1978 und 1979 werden zum Erwerbseinkommen einer Familie mit vier Kindern seit dem 1. Januar dieses Jahres nun monatlich 530 DM zugezahlt, ab Juli 550 DM. Dazu kommen die einkommensteuerlichen Verbesserungen. Der Familienlastenausgleich, wie er sich heute darstellt, geht weit über das hinaus, was die Minister Wuermeling und Heck je angestrebt oder erträumt hätten. Wir, glaube ich, schaffen jetzt die erforderli-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10465
Bundesminister Frau Huberchen Rahmenbedingungen, damit die Familien so leben können, wie Sie das wünschen.
Unter der sozialliberalen Regierung geht es den Familien jedenfalls materiell immer besser.
Die Kindergelderhöhungen haben dazu geführt, daß bei Arbeitnehmerfamilien das verfügbare Einkommen — dies ist Nettoarbeitsverdienst plus Kindergeld —
seit der Reform von 1975 deutlich stärker angestiegen ist als das Einkommen der Ehepaare ohne Kinder. Dies sage ich Ihnen, weil Herr Dregger hier gesagt hat, Kinderlosigkeit werde in diesem Staate belohnt. Dies ist einfach nicht wahr.
Die Bundesregierung hat im Benehmen mit den Familienverbänden und den freien Trägern von Bildungs- und Beratungseinrichtungen unter Einsatz erheblicher Haushaltsmittel des Bundes Forschung und Entwicklung in Gang gesetzt und Modelle erprobt, um das Angebot zur Stärkung der Erziehungskraft der Familie zu erweitern und so zu qualifizieren, daß auch Familien, die in wenig günstigen sozialen Verhältnissen leben, die Angebote in Anspruch nehmen können.Bei den Worten „wenig günstigen sozialen Verhältnissen" fällt mir ein, daß in einem Beitrag gerade eben auch der § 218 angesprochen worden ist. Zu den Zahlen möchte ich Ihnen gerne korrigierend sagen, daß Sie dabei berücksichtigen müssen, daß wir jetzt Meldungen haben, nach denen — glücklicherweise — die Zahl der Abbrüche deutscher Frauen in Holland um 15 % zurückgegangen ist.
Ich will Ihnen aber auch sagen, daß nach unseren Informationen die sogenannte Notlagenindikation niemals allein auf einer finanziellen Problematik beruht, sondern immer eine Mehrfachbelastung ist. Oft hat das mit Geld überhaupt nichts zu tun.
Ich möchte nun aber noch weitere entscheidende Beiträge zum Jahr des Kindes nennen, den Mütterurlaub, den Kinderbetreuungsfreibetrag und den im Parlament eingebrachten Entwurf betreffend Unterhaltskassen, die den allein erziehenden Elternteilen helfen sollen. Ein Beitrag dazu ist auch die Erhöhung der Mittel des nun 30 Jahre alten Bundesjugendplans insbesondere für die kompensatorische Jugendarbeit. Das heißt, wir haben z. B. 15 Modelle, in denen Verbände der Jugendarbeit mit arbeitslosen Jugendlichen arbeiten und sich um sie kümmern. Ein weiterer Beitrag ist sicher auch die Aufstockung der Mittel für die Forschung, um den Bereich kindlicher Entwicklungsstörungen, die Mütter- und Säuglingssterblichkeit besser zu untersuchen oder bessere Voraussetzungen für Elternbildung zu schaffen.Diese Debatte darf unserer Bevölkerung kein falsches Bild unserer Familie und unserer Jugend vermitteln. Zunächst sollte die Lage auch nicht dramatisiert werden. Es ist wichtig, sich um die 87 000 Jugendlichen zu kümmern, die wir Anfang dieses Jahres als arbeitslos gemeldet hatten. Aber es ist auch wichtig, die mehr als 2 Millionen Jugendlichen zu sehen, die täglich ihrem Beruf nachgehen, die im Schnitt besser und länger ausgebildet sind als jemals zuvor und die die gestiegenen Ansprüche vieler qualifizierter Berufe erfüllen. Die Chance, eine bessere Allgemeinbildung zu erhalten, wird von vielen jungen Menschen genutzt.Die jungen Menschen ziehen sich auch nicht so, wie Sie das behaupten, aus dem sozialen und dem politischen Engagement zurück, sondern praktizieren jene Tugenden, von denen hier schon die Rede war. Die Zahl der Teilnehmer am freiwilligen sozialen Jahr steigt ständig. 10 000 junge Menschen nehmen jährlich an sozialen Diensten aktiv teil. Viele sind in der Entwicklungshilfe tätig, Tausende kommen zu den Kirchentagen. Die internationalen Begegnungen und die Zusammenarbeit erfahren eine stetige Ausweitung; das Engagement der Jugend steht voll dahinter. Allein das Deutsch-Französische Jugendwerk, das aus unserem Hause finanziert wird, hat seit seinem Bestehen bei über 70 000 Veranstaltungen mehr als 4 Millionen Menschen aus beiden Ländern zusammengeführt. Jährlich nehmen 55 000 junge Menschen an den Veranstaltungen im Rahmen des Bundesjugendplans teil. Hinzu kommen die Millionen von Mitgliedern der Jugendverbände, in denen sich junge Menschen zusammenschließen, ihre Interessen verfolgen, sich gesellschaftlich engagieren. Dazu gehört auch die Sportjugend mit ihren 5 Millionen jungen Mitgliedern. An den Bundesjugendspielen nehmen 4,5 Millionen junge Menschen jährlich teil.Das sind nur ein paar Zahlen und Fakten aus den verschiedensten Bereichen, die deutlich machen, daß die Situation unserer Jugend nicht so sehr von Resignation und Pessimismus gekennzeichnet ist, sondern von sehr viel Normalität des Lebens, das durch die Entwicklung der letzten Jahre nicht ärmer, sondern reicher geworden ist.Es gibt auch Positives bei den Eltern zu vermelden. Ich will hier sagen, daß es mich freut, daß die Adoptionszahlen ständig steigen. In vier Jahren hat sich die Zahl der Adoptionswilligen weit mehr als verdoppelt. Dies muß hinsichtlich des Bildes der bundesdeutschen Gesellschaft auch einmal gesagt werden.
Dies feststellen heißt, nicht an den Problemen der Jugend vorbeisehen, auch nicht an Arbeitslosigkeit, Mangel an Perspektiven und Fehlen von Begeisterung, was es ja gibt. Die Signale, die wir sehen und sehen müssen, zeigen Benachteiligung und Unge-
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10466 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Bundesminister Frau Huberrechtigkeit, aber auch Wohlstandsüberdruß an — und auf all das muß man deutlich achten.Es wäre gut, wenn wir in einer solchen Debatte einmal von gemeinsamen Bemühungen der Bundesregierung, der Koalition und der Opposition reden könnten. Herr Häfele sollte es auch nicht übelnehmen, wenn Kinder bei der Eröffnung des Internationalen Jahres einmal etwas fordern. Sie tun es ja sonst nicht; andere tun es immer. Die Kinder haben auch gefordert, daß die Eltern mehr mit ihnen spielen sollten und daß die Schule wieder Spaß machen sollte. Ich finde, dies kann man ruhig einmal anhören.
Über den Stellenwert der Familie brauchen wir hier nicht wie in einer Philosophenschule zu streiten. Die freiheitliche selbstverantwortliche Familie braucht aber Hilfen und keine Ideologie. Ganz besondere Hilfen brauchen wir für kinderreiche, für unvollständige Familien, für Familien mit behinderten Kindern, Familien in sozialen Brennpunkten, für Spätaussiedler, für die Gastarbeiterfamilien mit ihren 850 000 Kindern und für Familien, wo z. B. junge Menschen arbeitslos sind. Hier geht es um ganz konkrete Hilfen. Aber Sie werden ja bald bei der Beratung des Jugendhilfegesetzes Gelegenheit haben zu zeigen, ob Sie für solche Hilfsangebote sind oder ob Sie fortfahren wollen, sich mit Ihren pauschalen und haltlosen Vorwürfen der echten Diskussion zu entziehen.
Hier will ich nur anmerken, daß auch die freien und öffentlichen Träger der Jugendhilfe die Bewältigung des Mangels an Ausbildungsplätzen und der Jugendarbeitslosigkeit zu einer zentralen Aufgabe gemacht haben und dabei unsere wirksame Unterstützung erfahren. Dabei wissen wir, daß die Probleme nicht von heute auf morgen mit einem jugendpolitischen Geniestreich vom Tisch kommen.Dié Situation wird vom Zusammentreffen besonders von vier Faktoren bestimmt: 1. der weltweiten konjunkturellen Rezession der letzten Jahre, 2. der Einführung neuer Rationalisierungstechniken wie z. B. der Mikroprozessoren, 3. der besonders geburtenstarken Jahrgänge und 4. auch einer veränderten Rangordnung von Werten.Wer jugendpolitisch verantwortlich handeln will, darf die Probleme, die wir haben, nicht herunterspielen oder verleugnen. Genausowenig darf er aber auch eine unangebrachte jugendpolitische Panikmache betreiben. Es kommt darauf an, die Probleme in ihrer tatsächlichen Dimension zu sehen und sie anzugehen.Es ist z. B. falsch, ganz allgemein von einem Bruch zwischen den Generationen zu reden. Die empirische Sozialwissenschaft, z. B. die jüngste Untersuchung „Jugend in Europa — Ihre Eingliederung in die Welt der Erwachsenen", die vom Jugendwerk der „Deutschen Shell" herausgegeben wurde, kommt zu dem Schluß, daß es einen Normen- und Wertkonflikt zwischen den Generationen im wesentlichen nicht gibt.Es gibt keinen generellen Bruch zwischen den Jungen und der Erwachsenengeneration in der Bundesrepublik. Genausowenig gibt es einen empirischen Beleg für die so oft beschworene allgemeine Staatsverdrossenheit. Die Studie „Jugend in Europa" vergleicht die Jugend der Bundesrepublik, Englands und Frankreichs und kommt in dieser vergleichenden Analyse zu den beiden folgenden Sätzen:Wir fanden selbst Übereinstimmung im politisch-ideellen Denken, und die Parallelität der Vorstellungen zu Wertproblemen war geradezu überraschend. Nirgendwo chauvinistische Einstellung, sondern überall eher Besonnenheit, ein nur begrenzt ausgedrückter Nationalstolz stand einer breit zum Ausdruck gebrachten Gleichgültigkeit entgegen; das kann man auch als Offenheit für die europäische Entwicklung interpretieren.All Ihren familienpolitischen Unkenrufen zum Trotz stellt sich der Lebensbezug der deutschen Jugend zum Elternhaus hier im Vergleich zur französischen und britischen Jugend am größten und unverändert stabil dar. Dies wird auch genauso in der Zusammenfassung aller demoskopischen Studien des letzten Jahres belegt, die ja vom „Spiegel" veröffentlicht worden sind. Auch dies entlarvt Ihre Vorwürfe, meine Damen und Herren von der Opposition, die Bundesregierung treibe eine familienfeindliche Politik.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos?
Ja, aber jetzt bitte die letzte.
Frau Minister, wären Sie im Interesse der Wahrheit bereit, das Protokoll vom Dienstag zur Kenntnis zu nehmen, nachdem Sie meine Äußerung von dort zitiert haben? Ich habe hier das amtliche Protokoll vorliegen, in dem steht:
Es geht hier — das möchte ich noch einmal ansprechen — um die langfristigen Folgen Ihrer Finanzpolitik, besser gesagt: Verschuldenspolitik. Es ist doch unbestritten, daß die Leidtragenden dieser Politik die künftigen Generationen sein werden.
Im Jahre 1979 werden nach Schätzungen voraussichtlich 500 000 Bundesbürger das Licht der Welt erblicken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie müssen Ihre Frage kurz fassen.
Bei einem Schuldenzuwachs des Staates . .. von 50 Milliarden DM — —
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10467
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid, Herr Abgeordneter; sie müssen Ihre Frage kurz fassen.
. .. legen Sie jedem neugeborenen Kind 100 000 DM neue Schulden in die Wiege. Dies ist Ihr Beitrag zum Jahr des Kindes, Herr Finanzminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Wehner, ich rufe Sie wegen des Zwischenrufs „Lümmel" zur Ordnung.
Frau Bundesminister, bitte fahren Sie in Ihrer Rede fort.
Herr Glos, nur einen Satz: Sie können einen hervorragenden Beitrag für die Kinder der Zukunft leisten, wenn Sie zum Beispiel heute meinem Haushalt zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Traupe?
Frau Bundesminister, würden Sie bei den sehr törichten Ausführungen des Herren Kollegen Glos
vielleicht entgegenhalten, daß wir immerhin in einem Staat leben, in dem die Lebenserwartung und die Chancen für einen jungen Menschen in völlig anderem Maße zu sehen sind, und daß der Herr Abgeordnete Glos dies als Mitglied des Haushaltsausschusses vielleicht doch einmal gegenrechnen sollte?
Schönen Dank, Frau Kollegin.Ich wollte gerade zu einem Vorwurf kommen, den uns der Herr Generalsekretär Stoiber jüngst gemacht hat. Er sagt, wir hätten das Verhältnis von Eltern und Kindern problematisiert. Wir haben vieles getan z. B. durch die Elternbriefe, durch Familienberatung usw. Ausweislich dieser internationalen Studie, die ich angeführt habe, kann man feststellen, daß die deutschen Eltern zur Zeit jedenfalls am wenigsten prügeln. Gerade darin hat sich in der Bundesrepublik in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen. Während die 17- bis 22jährigen noch zu 20 % davon sprachen, daß ihre Eltern sie verprügelt haben, ist das bei den jüngeren Jahrgängen nur noch bei 9 % der Fall. Ich finde, solche internationalen Feststellungen zeigen doch, daß die Familie in unserem Lande sich wandelt in einem Prozeß, den wir durch unsere Maßnahmen unterstützen. Die sozialliberale Politik hat sich hier sicherlich nicht negativ niedergeschlagen.
Unsere Politik ist jedenfalls auf den Kampf für mehr Entfaltungsrechte und Entfaltungsmöglichkeiten junger Menschen, auf besseren Schutz der Kinder vor Schädigungen ihrer Entwicklung und gegen den ökonomischen Mißbrauch ausgerichtet. Es ist daher eine Unverfrorenheit, finde ich, wenn beispielsweise Frau Wex im „Deutschland-Dienst" der Union am 11. Januar behauptet, daß die Bundesregierung und die SPD-regierten Länder eine permanente Aushöhlung der Lebensrechte unserer Kinder betreiben.
Dafür führt sie den Gesetzentwurf zur elterlichen Sorge und ein völlig anderes Gesetz, nämlich die Jugendhilfe, an. Das Gesetz über die elterliche Sorge ist eine ernste Diskussion wert. Aber es gibt ja leider Fälle, meine Damen und Herren, in denen Kinder auch vor den Eltern geschützt werden müssen. Also gibt es die Sorge um die Lebens- und Entfaltungsrechte dieser Kinder, die uns zwingt, über Lösungen nachzudenken.
— Beklagen Sie hier nicht an diesem Pult die Kindesmißhandlungen und alle diese Dinge, wenn Sie auf der anderen Seite sagen, das bisherige Recht reiche völlig aus!
Der jetzt vorgelegte Entwurf des Jugendhilferechts weist gerade — das betone ich, obwohl heute hier noch nicht die Diskussion darüber stattfindet — Hilfen für die Familie als zentralen Schwerpunkt aus. Ich finde die zwanghafte Wiederholung des Vorwurfs der Familienfeindlichkeit ziemlich einfallslos.
Die Bundesregierung handelt jedenfalls in der Erkenntnis, daß die Familie im Laufe der Geschichte zwar neue Aufgaben bekommen, aber keine Funktionsentleerung erfahren hat, sondern nur einen Funktionswandel. Auch die heutige Familie leistet die grundliegende Erziehung der Kinder, entscheidet über Bildungsweg und Erziehungsziele, gibt Hilfe und Unterstützung und trägt die Gesamtverantwortung für die persönliche und soziale Entwicklung des Kindes, das in die Gesellschaft hineinwächst.
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10468 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Bundesminister Frau Huber— Zitieren Sie doch nicht das, wozu ich schon oftmals Stellung genommen habe. Sie hätten das lesen können.
Wir bemühen uns, den Familien zu helfen. Wir nehmen im übrigen auch die Verantwortung wahr — das sage ich deutlich —, zu der wir nach Art. 6 des Grundgesetzes auch verpflichtet sind.
— Nach dem, was ich bis jetzt hier gehört habe über .die „Sozialisationsagentur des Staates", möchte ich sagen: Sie meinen ja, die Regierung solle sich überhaupt nicht um die Kinder kümmern. Aber ich kümmere mich! Ob sie das „Herz" nennen oder anders, ist mir völlig gleich.
Herz zeigt sich nämlich nicht in leeren Floskeln; Herz zeigt sich, indem man kontinuierlich Maßnahmen durchführt. Wir können eine ganze Menge echte Maßnahmen vorweisen, die dieses Jahr wirksam werden.
Es hat mich nicht gewundert — jetzt komme ich zu einer anderen Frage —, daß die CDU/CSU hier einen Antrag eingebracht hat auf Ablehnung der von uns beantragten Frauenstabsstelle, die vom Haushaltsausschuß zwar beschlossen, aber noch mit einer Sperre versehen ist. Was mich gewundert hat, ist bloß, daß die Frauen von der Opposition dieses mitgemacht haben.
Herr Haase aus Kassel hat ja neulich gesagt, der Kanzler wolle offensichtlich Show mit einer „Oberfrau" machen. Meine Damen und Herren, es hat in der Geschichte der letzten Jahrhunderte schon soviel Obermänner gegeben, daß ich Ihnen diesen Vorwurf mit der Oberfrau schenke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger?
Frau Ministerin, Sie haben die Frauen der Opposition im Haushaltsausschuß im Zusammenhang mit' dem von Ihnen erstrebten Frauenstab erwähnt. Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in dieser Sitzung des Haushaltsausschusses nach Ihrer dort vorgetragenen Begründung für diese Stellen allen Anlaß hatte, die Bundesregierung und insbesondere den Herrn Bundeskanzler vor Ihnen in Schutz zu nehmen? Denn er hatte in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht, welche Bedeutung er diesen Themen beizumessen wünschte. Ich hatte auch Herrn Staatssekretär Bölling in Schutz zu nehmen, der--
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, Sie können keine Ausführungen machen, sondern Sie müssen eine Frage stellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. — Frau Ministerin, sind Sie bereit, sich daran zu erinnern, daß Herr Staatssekretär Bölling ein besonderes Referat für die Veröffentlichung von Frauenproblemen eingerichtet hat, daß die Frau Präsidentin Renger seit Jahren nach ihrem Klagefall sucht und daß dieses Haus eine Enquetekommission Frau und Gesellschaft eingerichtet hat und daß dies die Gründe waren, daß wir Ihrer Konzeption, die leider keine ist, widersprochen haben?
Frau Kollegin Berger, hier ist die Frage, ob Sie den Antrag der CDU/CSU gegen die Stabsstelle unterschrieben haben oder nicht, und das haben Sie offenbar; den tragen Sie voll mit. Aber den Kanzler brauchen Sie nicht — beziehungsweise, Sie brauchen mich nicht vor dem Kanzler in Schutz zu nehmen.
— Wie auch immer, wir kommen schon miteinander klar.
— Da wird er sich besonders freuen.Diese Woche stand in einer Ruhrgebietszeitung, daß zum Beispiel 27 Laborantinnen einen Prozeß wegen Unterbezahlung anstrengen und auch, daß ein gerichtliches Urteil ergangen ist, wonach einem Mädchen die Arbeit als Zimmermann am Bau künftig nicht mehr untersagt werden darf. Dies sind Symptome einer erst langsam sich abbauenden faktischen Benachteiligung der Frau.Wer die Stabsstelle ablehnt, meine Damen und Herren, der muß sich vor denen verantworten, die heute arbeitslos sind unter den Frauen, und das ist die Mehrheit aller Arbeitslosen; der muß sich vor denen verantworten, die schon wegen der heutigen Bewerbungsmodalitäten wenig Chancen haben, und vor jenen Mädchen, die schlecht Ausbildungsplätze kriegen und vor den unterbezahlten Frauen auch. Denn die Arbeiterinnen verdienen ja im Schnitt immer noch ein Drittel weniger als die Männer, und bei den Angestellten sind das sogar 37 %, und das kann ja bei immer besserer Ausbildung nicht in Ordnung sein. Aber verantworten Sie sich vor denen, die da betroffen sind.
Wir Frauen wollen keine Angebeteten sein, aber auch keine Angeschmierten.
Es geht hier nicht um holde Weiblichkeit, sondernum schlichte Menschlichkeit. Wir Frauen wollen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10469
Bundesminister Frau Hubernicht zum Heimchen am Herde abgemeiert und in der Rezession abgefeiert werden. Wir wollen auch nicht als Emanze oder Suffragette verschrien werden, wenn es um die Erzielung ganz normaler Bedingungen geht, die für Männer seit Jahrhunderten selbstverständlich sind.
Aber es ist ja so bequem mit den Frauen,
wenn Familienpolitik als Heimkehr zur Idylle, als Patentrezept für die Rezession angeboten wird, bis der nächste Boom die Frauen wieder in die Fabriken holt und ihnen empfiehlt, doch lieber nur am Feierabend die „himmlischen Rosen ins irdische Leben zu weben".
Gedichte hat man uns schon viele gemacht, die praktischen Fortschritte mußten wir Frauen meistens selbst erkämpfen.Im Moment wollen wir hier und heute nicht von Poesie reden, sondern die Entwicklung kritisch verfolgen, damit das Verfassungsgebot der Gleichbehandlung sich nicht nur in Recht umsetzt, sondern auch in die Praxis. Dazu soll diese Frauenstabsstelle beitragen. Das wird sehr mühsam sein.
— Stabsstelle!. Ein Zeichen dafür, wie schwierig das) ist, sehe ich darin, daß, wenn man über solche Punkte redet, immer Lachen in den Gremien herrscht.
Aber die Stabsstelle, die darüber wacht, wird mehr sein als Resignation und leere Reden. Hier geht es — meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben ja vorige Woche einen Antrag zu diesem Thema eingebracht — um die Zukunftschancen der einen Hälfte der jungen Generation.
Die Politik für Frauen ist bitte ganz ernst zu nehmen. Vor 30 Jahren haben wir den Artikel 3 in das Grundgesetz eingefügt. Die rechtliche Gleichstellung hat seitdem große Fortschritte gemacht. Aber in 30 Jahren haben wir auch erfahren, daß es mit der praktischen Gleichstellung sehr schwierig ist.
— Wir haben während unserer Regierungszeit ja Fortschritte zu verzeichnen. Aber denken Sie einmal an die ersten 20 Jahre der Bundesrepublik. Wie war es denn da?
Die Bundesrepublik will den Frauen nicht eine bestimmte Lebensplanung vorschreiben. Sie will vielmehr den Frauen helfen, ihr Leben so einzurichten, wie sie es sich vorstellen. Männer und Frauen sollen selbst bestimmen können, wie sie die Aufgaben untereinander aufteilen. Die Bundesregierung bemüht sich, Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß für beide Geschlechter Wahlmöglichkeiten bestehen. Männer und Frauen sollen ohne jede Diskriminierung Familienaufgaben wahrnehmen, erwerbstätig sein oder beides miteinander verbinden können. Wir müssen neue Wege finden, jungen Eltern die wichtige Aufgabe der Kindererziehung zu ermöglichen, zu erleichtern und auch junge Väter mehr an der Erziehung der Kinder zu beteiligen. Das ist nach unserer Meinung für die Bevölkerungsentwicklung wichtiger als der Versuch, alte Leitbilder aufzupolieren, die dann doch nicht wirken.Nun muß ich noch ein paar Worte zu den Ausführungen des Kollegen Wittgenstein zur Gesundheitspolitik machen.
— Der Übergang zur Gesundheitspolitik fällt ja nicht schwer; denn die Gesundheitspolitik ist etwas für die Familie ganz außerordentlich Wichtiges.Kollege Wittgenstein, die Aktivitäten im Bereich der Gesundheitspolitik sind, auch was unser Haus betrifft, niemals so groß gewesen wie in den letzten beiden Jahren. Wir haben mehr Anstrengungen unternommen im Bereich der Forschung, der Gesundheitsaufklärung. Sie haben das ja selbst mitbeschlossen; Sie sind in den Instituten gewesen. Niemals sind gleichzeitig so viele Bemühungen angestellt worden — bei all den Schwierigkeiten, die das macht —, neue Regelungen für Heilberufe zu finden. Das Gesetz über die gefährlichen Stoffe steht vor der Vollendung. Das Betäubungsmittelgesetz ist in Arbeit. Nach der Vorlage unseres psychosozialen Anschlußprogramms sind 34 Anlaufstellen errichtet worden, sonst wären die Zahlen sicher noch viel höher. Und auch die Krebs- und Rheumaforschung ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit.Nun zu Ihren konkreten Vorwürfen. Wenn es z. B. um die Länder geht, sind Sie ja durchaus für den Pluralismus im Gesundheitswesen. Wieso bemängeln Sie daher, daß wir uns die Forschung teilen? Immerhin schälen sich die Forschungsbereiche Arzneimittelsicherheit, Psychiatrie und Krankheitsursachen sehr deutlich heraus. Und zum erstenmal ist in einem Forschungsprogramm auch von der Gesundheit und nicht nur immer von der Krankheit die Rede. Das finde ich doch sehr beachtlich.
Die Stellungnahme der Regierung zur PsychiatrieEnquete ist dem Kabinett zugestellt worden und wird demnächst behandelt;
— Die Stellungnahme ist abgeschickt und im Kanzleramt schon eingegangen.
— Aber schauen Sie einmal, es war der ausdrückliche Auftrag des Bundestages — das können Sie
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10470 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Bundesminister Frau Hubernachlesen —, daß wir unsere Stellungnahme erst nach den Voten der Länder und Verbände abgeben sollten. Wissen Sie, wann die letzten Voten eingegangen sind? Die letzten Voten sind im Sommer 1978 eingegangen. Die Voten all dieser Verbände und der Länder mußten wir ja auswerten. Sie können uns nicht gleichzeitig solche Auflagen machen, eine sorgfältige Auswertung verlangen und dann, wenn der Bericht nicht früher vorgelegt wird, diese Tatsache bemängeln.Über den Krebsbericht ist im Ausschuß in aller Auführlichkeit berichtet worden. Im Fachausschuß wurde Verständnis für unser Begehren nach Verlängerung der Frist gezeigt und von niemandem Kritik geübt, die Sie hier vorgetragen haben.Was die Krebsforschung betrifft, so ist sie ja nicht nur in meinem Haus angesiedelt, sondern hauptsächlich beim Forschungsminister. Ich freue mich sehr über die Bemühungen der Frau Scheel im Zusammenhang mit der Krebshilfe. Aber ich will auch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung für Krebsforschung insgesamt 85 Millionen DM gegenüber den 9 Millionen DM der „Krebshilfe" ausgibt.
Wir werden uns dieser Forschung weiterhin mit Fleiß widmen.Das Verbot der Arzneimittel, von dem Sie gesprochen haben, ist der Arzneimittelkommission der Ärzte acht Tage vor dem Zeitpunkt bekannt gewesen, als es der Presse mitgeteilt wurde. Sie müssen doch zugeben, daß wir vernünftig handeln, wenn wir die Ärzte und die Betroffenen gleichzeitig informieren; denn das ist doch wirklich ein drängendes Problem.
— Wir haben gleichzeitig informiert. Wenn wir hinter dem Berg halten und die Öffentlichkeit nicht informieren, beschimpfen sie uns. Mehr, als dies gleichzeitig tun, können wir wirklich nicht.Am wenigsten Sorgen brauchen Sie sich um die Diskussion über die Gesundheitspolitik in der SPD zu machen. Denn die Diskussion, die Sie hier angeschnitten haben, ist von gestern. Die Diskussion ist längst weitergegangen. Aus unseren — nicht immer einheitlichen Stellungnahmen — ergeben sich sicher Fortschritt und ein neues Programm.Zum Schluß möchte ich feststellen: Ich kann mir vorstellen und wir alle können uns vorstellen, daß wir manches, darunter die Leistungen für Kinder, noch verbessern. Aber wer dies alles will und mehr fordert, darf doch das Erreichte nicht ablehnen. Sie haben noch eine Chance. Ich bitte Sie noch einmal, dem Engagement zu entsprechen, das Sie immer von dieser Bühne aus darstellen, und diesem Haushalt zuzustimmen.Gleichzeitig danke ich den Berichterstattern, dem Fachausschuß und dem Haushaltsausschuß für die zügige Beratung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Geier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Minister, was Sie uns heute hier geboten haben, war wieder einmal mehr eine typische Rede zur Gesundbeterei eines Zustands, den Sie mit vielen Worten überspielen wollen.
Sie versuchen hier, ein tatsächliches Problem, nämlich das geistige Problem unserer Zeit, in dem die Familien stehen, ganz einfach hinwegzureden, indem Sie so tun, als gehe es uns allen viel besser, seit Sie regieren, und als werde vor allem, wenn wir Ihren familienpolitischen Gesetzen zustimmen, die Welt bei uns paradiesisch und heil. So einfach ist das für Sie. Nur, Frau Minister: Der Bürger draußen, der langfristiger als die Regierung vor allem an die Zukunft denkt, weiß sehr gut, daß der von Ihnen immer wieder zitierte Wohlstand auf Kosten der Vernachlässigung der Lebensansprüche der kommenden Generation geht.
Sehen Sie: Das ist die permanente Aushöhlung der künftigen Lebenschancen der Kinder. Wie will denn die derzeitige Bundesregierung den Nachkommen gegenüber rechtfertigen, was sie ihnen an Schuldenbergen und vor allem an entleerten Lebensinhalten hinterläßt, mit denen doch schon die heutige Jugend-Generation zu kämpfen hat?
Sie sagen, wir würden immer düstere Prognosen an die Wand malen. Setzen Sie sich doch bitte einmal hier am Rednerpult mit den wahren Gründen auseinander, die unsere Familien in so große Bedrängnis bringen, aus der wir und, wie es scheint, auch Sie die Familien herausholen wollen. Nur wollen wir, glaube ich, ganz verschiedene Wege gehen.Ich habe mich ganz besonders daran gestört, daß Sie bei Ihren Ausführungen die Familie mit dem Begriff „Sanatorium" zusammengebracht haben. So etwas würde uns von unserer ordnungspolitischen Vorstellung her überhaupt nicht einfallen.
Sehen Sie: Die Union versucht schon jahrelang, auf die schwierigen Probleme hinzuweisen, die sich langfristig aus der demographischen Entwicklung der 70er Jahre ergibt. Ich will mit Ihnen heute nicht wegen diesem oder jenem 100-Mark-Schein in ihrem Haushalt rechten, sondern ich will ein paar grundsätzliche Fragen an an Sie stellen und hoffe, darauf eine Antwort zu bekommen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10471
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Huber?
Bitte schön.
Frau Geier, nachdem hier so oft auf Protokolle und deren genauen Text Wert gelegt wird, darf ich Sie fragen: sind Sie bereit, im Protokoll nachher nachzulesen, daß ich „kein Sanatorium" gesagt habe?
Doch, Sie haben gesagt — aber ich lese es gerne nach —: die Familien sind schließlich kein Sanatorium. Ich spreche nur von den beiden Begriffen, die Sie zusammenbringen.
Die Bundesregierung, Frau Minister, läßt es z. B. seit Jahren untätig zu, daß die ideelle Abwertung der Familie bei uns permanent fortschreitet.
In aller Stille vollzieht sich die Auflösung der Einheit der Familie sowohl auf dem ideologischen als auch auf dem bürokratischen Weg. Vater, Mutter und Kind werden in Teilbereiche zerlegt. Deshalb sprechen Sie auch nicht vom Familienproblem, sondern Sie sprechen in Ihrer offiziellen Sprache immer von der „Situation der Frau", von der „Situation des Mannes" und von der „Situation des Kindes". Hierfür bieten Sie dann Einzellösungen an, die angeblich im Umfeld der Familie besser gelöst werden können, weil — und so Ihre Regierungspropaganda — die Familien selber dazu nicht mehr in der Lage sind. Wir von der Union nennen das ganz einfach „mangelndes Vertrauen" der Regierung in die immerhin noch nahezu 80 % intakten Familien.
Weil die Bundesregierung, Frau Minister, nichts gegen die Angriffe auf die Institution Familie unternommen und jahrelang schweigend zugesehen hat, wie der gesellschaftspolitische Wert der Familie verringert wurde, mußte es zwangsläufig dazu kommen, daß so viele junge Menschen ganz einfach keine erstrebenswerten Inhalte mehr in Ehe und Familie entdecken können. Dafür spricht doch die Bilanz der rapid zurückgehenden Eheschließungen, obwohl wir es jetzt mit den heiratsfähigen geburtenstarken Jahrgängen der Nachkriegszeit zu tun haben. Daneben steht dann noch die ständig steigende Zahl der Ehescheidungen.
Frau Minister, warum nennen Sie denn eigentlich nicht die geistigen Ursachen, die hierzu führen?
Seit Jahren gibt es Ideologen, die den Weg der Motivation der Bevölkerung sehr gut auf verschiedenen Feldern vorbereitet haben. Da war zunächst die sogenannte „kritische Bewegung", die überhaupt alle Werte in Frage stellte. Dazu kam dann die sogenannte Liberalisierung der Gesetze und aller Lebensbereiche, dann die Reformeuphorie der Bildungsbewegung und nicht zuletzt die Emanzipationsideologie der Frau. Ganz ohne Zweifel gab es auf all diesen Gebieten Defizite. Aber den Urhebern der Bewegungen ging es doch überhaupt nicht um den Defizitausgleich, denen ging es doch darum, die Einleitung einer totalen Veränderung unserer Gesellschaft zu starten.
Vorhin haben Sie Herrn von Weizsäcker angegriffen. Das sind die Sorgen, die Herr von Weizsäcker ausgesprochen hat. Sie haben das nur nicht verstanden. Ich frage Sie: was haben Sie eigentlich dagegen unternommen?
— Jawohl, nichts, weil Ihre Partei im Trend der Zeit mitschwimmen muß und weil Sie den Widerstand aus den eigenen Reihen fürchten, und nichts nicht zuletzt auch deshalb, weil mancher in Ihrer Partei endlich die sozialistischen Ziele, die einst Marx und Engels konzipiert haben, näherrücken sieht.
Frau Minister, ich rechne Sie absolut nicht zu den Radikalen in Ihrer Partei;
doch warum wehrten Sie und andere gestandene Sozialdemokraten sich nicht gleich am Anfang der 70er Jahre dagegen, daß die Marxistin Monika Seifert den Weg aufzeigen konnte, wie man mit der Familie umgehen muß? Sie war es doch, die uns in den Jahren 1970/71 gepredigt hat, die normale Familie sei der ungeeignetste Ort, Kindern die Zuwendung zu garantieren, die sie brauchen.
Gerhard Folger hat dann im gleichen Jahr in einem Erziehungsbuch veröffentlicht: „Die Familie ist ein pädagogisches Nichts." Er verlagte, das Elternrecht abzuschaffen und allein das Kindesrecht zu konzipieren.Die Frankfurter Schule — Adorno, Marcuse, Horkheimer und auch unser so negativ bekanntgewordener ehemaliger hessischer Minister Friedeburg — war es doch, die dazu aufforderte, diese Gesellschaft von Grund auf zu ändern und damit in zwei Bereichen zu beginnen. Sie nannten hier „die Schule" und „die Familie". Warum hat man denn zu jener Zeit, als diese Bewegung eingeleitet worden ist, aus Ihren Reihen dagegen kein Wort des Widerstandes gehört?Seither geht die Regierung konsequent den Weg, den diese Ideologen haben wollten. Familie und Ehe wurden kritisch hinterfragt und diffamiert. Wann haben Sie dagegen Stellung bezogen? In der Schule wurde das Familienleben immer nur negativ dargestellt. Was haben Sie dagegengesetzt? Die Familie als Ort der Erziehung wurde als „kinderemanzipationshemmend" dargestellt.
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10472 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Frau GeierSo wurde die Abwendung vieler aus der jüngeren Generation von Ehe und Familie bewirkt: Nur weil man sie lehrte, sich an einem falschen, ideologisch gezüchteten Feindbild der Familie zu orientieren. Da hätten wir von Ihnen hören wollen, daß dem nicht so ist, daß die Familie eine hohe Wertstellung hat und daß es ohne Familie nicht geht. Heute sagen Sie das zwar bei Sonntagsreden in der Öffentlichkeit. Hätten Sie sich am Anfang der Anti-Familienwelle gewehrt, dann bräuchten wir uns heute nicht so sehr mit den Familien- und Jugendproblemen herumzuschlagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Diederich?
Frau Abgeordnete, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Angelegenheiten der Schule, die Sie eben zitiert haben, Angelegenheiten der Länder sind und nicht Angelegenheiten der Bundesregierung?
Jawohl. Ich war lange genug Landtagsabgeordnete, um zu wissen, daß die Schulpolitik in den Ländern gemacht wird.
Ich sehe es aber als Aufgabe einer Familienministerin an, Strömungen entgegenzuwirken, die andere hervorrufen und die nicht geeignet sind, die Familie wirklich das sein zu lassen, was sie für unsere Gesellschaft sein muß. Bei solchen Aufgaben muß die Familienministerin aufstehen und sagen: dies wollen wir nicht, und vor allen Dingen: so darf die Familie nicht diskriminiert werden.
Frau Minister, heute, nach 6 Jahren, sagen Sie, der Familienbericht sei kein Bericht der Regierung.
Das stimmt zwar, aber er wurde im Auftrag der Regierung geschrieben. Er wurde von Ihrer Vorgängerin im Amt gelobt, weil er die zukunftsweisende Richtung für die Familienpolitik der 80er Jahre sei.
In diesem Bericht finden wir eine vernichtende Kritik an der Familie und auch die Wegweiser, wie man den Rest der intakten Familie auch noch kaputtmachen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spitzmüller?
Frau Kollegin Geier, darf ich Sie fragen, warum Sie das hier wieder so einführen, nachdem in der vergangenen Woche sowohl Frau Minister Huber als auch ich klargelegt haben, daß der Familienbericht eben in zwei Teile zerfällt, in
den Bericht der Regierung und in den Bericht der unabhängigen Sachverständigenkommission, auf die die Regierung keinen Einfluß nehmen kann.
Genau, Herr Spitzmüller. Aber Sie haben weder in der vorigen Woche noch davor jemals gesagt, von welchen Texten dieses Berichts Sie sich distanzieren. Sie haben immer nur global gesagt, es stehe manches darin, was die Regierung auch nicht wolle. Wir wollen wissen, was Sie da meinen. Erst dann nehmen wir Sie ernst. Solange Sie uns da nicht Roß und Reiter nennen, ist Ihr ganzes Gerede — das sage ich Ihnen — „scheinheiliges Machwerk" und sonst nichts.
Frau Minister, es ist nicht Ihre Schuld — Sie waren damals noch nicht Minister, aber Sie haben in der Fraktion gesessen und hätten deshalb etwas dazu sagen können. Ich sage: dieser Familienbericht ist ein Schandwerk, das von der Regierung geduldet wurde. Sie haben Schützenhilfe geleistet, indem Sie nichts zu der Diffamierung der Familie in dem Bericht gesagt haben, indem Sie ihn haben verbreiten lassen und somit das familienfeindliche Umfeld in unserer Gemeinschaft noch vergrößert haben.
Frau Minister, ich bin sogar überzeugt, daß Sie im Herzen genauso denken wie ich. Ihnen fehlt nur der Mut dazu, das öffentlich auszusprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke?
Wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zusätzliche Redezeit kann Ihnen nicht gewährt werden.
Dann lasse ich keine weiteren Zwischenfragen mehr zu.Frau Minister, genausowenig Courage zeigen Sie, wenn es um einen Protest gegen die widernatürlich laufende Frauenemanzipation geht. Ich meine nicht die auch von uns angestrebte Gleichberechtigung. Wo bleiben denn hier Ihre Aufklärungsschriften, von denen Sie sonst so viele über das Land verteilen?
Frau Minister, wo war und ist Ihre öffentliche Warnung gegen die heute praktizierte ich-zentrische Erziehung unserer Jugend? Die Mädchen lesen und hören doch gar nichts anderes mehr, als daß Kinder eine Belastung sind und die persönliche Entfaltung der modernen Frau behindern.
Dann wundern Sie sich, warum die Ablehnungshaltung in bezug auf Kinder so stark geworden ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10473
Frau GeierAuch in diesem Zusammenhang sprechen die demographischen Zahlen eine drastische Sprache. Wenn die Zahl der Geburten um 50 % zurückgegangen ist, dann hat das nicht nur materielle, sondern auch ideelle Gründe.Gestatten Sie mir, daß ich in diesem Zusammenhang ganz kurz auf das eingehe, was Herr Baum heute morgen auf die Rede von Herrn Dr. Dregger zur Bevölkerungspolitik gesagt hat. Er war anscheinend von dem Thema Bevölkerungspolitik so überrascht, daß er sinngemäß meinte — ich habe es nicht mitgeschrieben —: Man kenne doch noch gar nicht den Grund des generativen Verhaltens; so sei man doch auch nicht in der Lage, eine Lösung zu finden.— Ich kann da nur eines sagen: Wer heute in unserer Gesellschaft die Gründe für dieses generative Verhalten nicht kennt, der schläft oder lebt in Utopia.
Die Presse schreibt darüber, es werden Kongresse dazu abgehalten, die Ärzte warnen. Auch Sie haben das in der Beantwortung unserer Anfrage ja auch aufgegriffen. Geben Sie Ihrem Ministerkollegen doch da einmal etwas Nachhilfeunterricht!
Frau Minister, besonders erschütternd ist die ständig steigende Zahl der Abtreibungen. Der größte Teil derer, die im vergangenen Jahr legal in der Bundesrepublik Abtreibungen vornehmen ließen — ich spreche nicht von der Dunkelziffer und nicht von den 60 000 Abtreibungen, die im Ausland vorgenommen wurden —, waren verheiratete Frauen. An irgendeinem Punkt müssen doch auch Sie sich einmal fragen, warum es möglich ist, daß die Aussagen der hysterischen Feministinnen, die behaupten, Mutterschaft sei eine Zumutung, auf so fruchtbaren Boden gefallen sind. Frau Minister, statt nun wenigstens jetzt den Versuch zu unternehmen, diese völlig verkehrt laufende Emanzipation wieder zurechtzurücken, untermauern Sie als Familienminister noch diese Irrlehre, indem Sie öffentlich vom Recht der Frau auf Abtreibung sprechen und für die Abtreibungswilligen ein Angebot in jeder Klinik, direkt vor der Haustür, verlangen.Der Bundeskanzler — schade, er ist nicht mehr da — hat bei den katholischen Würdenträgern — aber ich füge gleich hinzu: nur dort und sonst nirgends — gesagt: Da irrt die Frau Minister, ein Recht auf Abtreibung gibt es nicht. — Doch auch er sieht seelenruhig und tatenlos zu, wie die Zahlen — jetzt spreche ich aus, was ich persönlich denke — des Mordes an ungeborenen Kindern ständig steigen.
— Herr Kollege, ich spreche aus, was ich darüber denke.Frau Minister, tun Sie endlich etwas dagegen! Finanzieren Sie endlich die von Ihnen bzw. Ihrer Regierung versprochenen flankierenden Maßnahmen zur Verhütung von Abtreibungen!
Es ist doch ein Skandal für Ihr Ministerium, es ist eine Schande für unsere ganze Gesellschaft, daß von den Abtreibungen 57,3 0/o auf Grund sozialer Indikationen vorgenommen worden sind.
Ebenso widerstandslos — von der Regierung und von Ihnen, Frau Minister, unwidersprochen — rollt die Emanzipationshysterie über unsere Kinder und Jugendlichen hinweg. Die Konfliktstrategie ist die Grundlage; dazu hinzu wird dann der Ausbeutungs-und Neidkomplex geweckt! Und — ich wage es anzusprechen —: Das skrupellose Sexualleben Heranwachsender ist bedenklich.
— Oh, da bestehe ich jeden Streit mit Ihnen; ich habe nicht gesagt: aller Jugendlichen, sondern ich habe gesagt: eines Teils der Jugendlichen.
Sie feiern dann diese bedauerliche Tatsache noch als sexuelle Befreiung der Jugend.
Merken Sie nicht, welche Sinnentleerung hier Liebe und Verantwortung füreinander bekommen? Sie aber, Frau Minister, unternehmen gar nichts dagegen!Es kann Ihnen doch nicht verborgen bleiben, Frau Minister, daß uns nach der revoltierenden Jugend jetzt eine Jugendgeneration ins Haus wächst, die inaktiv ist, wie es noch nie eine Jugendgeneration zuvor war. Vor wenigen Tagen wurde im Fernsehen ein Film über einen Dialog mit einer Schulklasse aus Hamburg gezeigt. Es war erschütternd, daß fast alle Schüler von sich selbst gesagt haben: Wir sind inaktiv, wir sind lustlos; denn wir können ja alles haben, wir dürfen ja alles tun, und das ist langweilig. — Hier haben wir die Erfolge der zurückliegenden, falsch gelaufenen Emanzipationspraktiken!Meine nächste Frage an Sie, Frau Minister: Wie halten Sie es mit der „Kontrollierbarkeit der Familie", die im Familienbericht empfohlen wird? Haben Sie nicht selbst mitgeholfen, Gesetze zu konzipieren, die den von Marxisten,
von Ideologen vorgezeichneten Weg konsequent gehen? Zur Zeit nehmen Sie zwei Gesetzesänderungen in Angriff, das elterliche Sorgerecht und das Jugendhilferecht.
— Auf Ihre Broschüre komme ich noch, keine Angst. —
Genau daran erkennen wir die wahren Ziele der Familienpolitik Ihrer Regierung. Das Schlimmste ist, daß Sie diese Gesetze so verkaufen, als seien sie Hilfen für die Jugend.
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10474 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Frau GeierIch darf hier noch folgendes einflechten: Meine Generation — und wir sind ja fast gleich alt, Frau Minister — hat doch eine Zeit erlebt, in der man uns gesagt hat: Wir machen alles nur zum Schutz der Jugend. Das Ergebnis war, daß sehr viele Beziehungen zwischen Eltern und Kindern vergiftet worden sind. Was wir brauchen, Frau Minister, sind doch nicht Gesetze, die neue Konflikte schaffen, indem sie unmündigen Kindern Antragsrechte zusichern, die nicht dem Erziehungswillen der Eltern entsprechen. Vielmehr brauchen wir eine Rechtsordnung, die es ermöglicht, daß das Zusammenleben in den Familien in den verschiedensten Erscheinungsformen vollzogen werden kann. Dazu brauchen wir die Stärkung der Autonomie der Familie und nicht das Unterlaufen des im Grundgesetz garantierten Erziehungsrechts.
Mit dem neuen Jugendhilferecht soll nun ein gewaltiger Apparat finanziert werden, der Institutionen um die Familie herumlagert, die in irgendeiner Form dann beratend, beeinflussend oder durch gesetzliche Drohungen die Familien mitdirigieren. In der Öffentlichkeit reden Sie und Ihre Mitstreiter davon, daß beim JHG alles nur auf freiwilliger Basis geregelt werden soll. Wenn Sie dann aber das neu konzipierte Elternrecht dazunehmen, so finden Sie im § 1666 die Eingriffsmöglichkeit gegen die Eltern, wenn diese nach Meinung des Sozialberaters laut JHG ihrem Kind eine falsche Erziehung geben. Frau Minister, ich glaube, Sie sollten über dieses Gesetzeswerk noch einmal ganz ernst nachdenken.Nun komme ich zu dieser Broschüre. Frau Minister, Sie gehen wohl davon aus, daß das Gesetz schon beschlossene Sache ist, bevor es überhaupt in den parlamentarischen Beratungsgang hineinkommt. Ich bin entsetzt darüber, daß Sie es wagen, heute schon, bevor die erste Lesung stattgefunden hat, teure vom Steuerzahler bezahlte Broschüren mit Glanzleineneinband in das Land zu schicken.
Hier wollen Sie Unsicherheit schaffen, um so die Zustimmung der Bevölkerung zu erreichen.
Was ich jetzt sage, ist hart, aber ich spreche, es trotzdem aus: Frau Minister, solche Praktiken hätte ich mir in einem freiheitlich-demokratischen Staat mit dem Parlament, wie wir es haben, niemals gewünscht,
solche Praktiken erinnern mich an totalitäre Regierungen mit Pseudoparlamenten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, Ihre Rede zu beenden.
Ich möchte gerade noch das letzte Kapitel anschneiden.
Frau Minister, wenn Ihr eigener Satz, in der Öffentlichkeit ausgesprochen: „Familie ist alles, und ohne sie läuft nichts", tatsächlich ernst zu nehmen ist, dann seien Sie so gut und sorgen dafür, daß wir ein Familienprogramm bekommen, in dem es keine Klassenunterschiede zwischen berufstätigen und nichtberufstätigen Müttern gibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich muß Sie noch einmal bitten, Ihre Ausführungen zu beenden. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Darf ich das gerade noch zu Ende führen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, es tut mir leid, Frau Abgeordnete. Sie können Ihre Rede nur noch mit zwei Sätzen beenden.
Ich kann Ihnen keine weitere Verlängerung Ihrer Redezeit geben.
Frau Minister, Sie sagen in der Öffentlichkeit, es gebe nichts Wichtigeres für ein Kind als die Geborgenheit der Familie. Wo bleibt denn diese Geborgenheit eines Kindes, wenn Sie durch das neue Mutterschutzgesetz die Frauen nach dem halben Jahr wieder an den Arbeitsplatz zurücktreiben? Frau Minister, es ist uns unbegreiflich — lassen Sie mich das noch sagen —, wie Sie, die Sie sonst so viel von der Gleichberechtigung der Frauen sprechen, den erziehungsbewußten Müttern, die bei ihren Kindern bleiben, nur einen zweiten Rang in dieser Gesellschaft einräumen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, bitte zwingen Sie mich nicht, Ihnen das Wort zu entziehen. Sie müssen Ihre Rede beenden.
Ich möchte damit zum Ende kommen und möchte Sie, Frau Minister bitten, Ihre gesamte Familienpolitik einmal unter den Aspekten, die ich aufgeführt habe, zu überdenken und sie zu ändern. Dazu finden Sie in uns den besten Partner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach diesem für meine Fraktion und, wie ich glaube, auch für viele aufrechte Bürger in diesem Lande unerträglichen Beitrag der Frau Kollegin Geier
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10475
Hauckwill ich versuchen, diese Debatte in sachlicher Form fortzusetzen.Es besteht kein Zweifel, Jugend- und Familienpolitik werden immer mehr zu einem Schwerpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung. Die Probleme in diesem Bereich sind überall sichtbar, zeigen sich in vielfältiger Form in fast jedem Haushalt, und wir alle werden täglich damit konfrontiert.
Deshalb wird dieses Thema auch in jeder geeigneten und ungeeigneten Form politisch umgesetzt und in fast allen Aussagen der großen Politik mit einbezogen. Das haben wir bei allen Reden am gestrigen Tag gehört. Die Familien und die junge Generation hören aufmerksam zu, hoffen auf greifbare Ergebnisse dieser Diskussion, vollziehen vorgeschlagene Lösungsvorschläge nach und sind immer wieder darüber enttäuscht, daß im Parteienstreit — die Jugendlichen, die die erste Debatte mitgehört haben, haben von Parteiengezänk gesprochen, als wir sie draußen interviewt haben — aus oft sehr durchsichtigen wahltaktischen Gründen notwendige Fortentwicklungen behindert und dringend notwendige Reformen gebremst werden. Daß sich Regierung und Koalition davon nicht beeindrucken lassen, zeigen die von meinen Vorrednern und der Frau Minister dargestellten Leistungen der sozialliberalen Koalition.Trotzdem bleibt aber die Frage, warum es in diesem Parlament nicht möglich ist, einen Grundkonsens über die Familienförderung und die Bewältigung der von uns allen erkannten Kinder- und Jugendprobleme zu finden.
Ich spreche nur von einem Grundkonsens, weil ich weiß, daß über Lösungsmöglichkeiten in unserer parlamentarisch-demokratischen Grundordnung immer wieder diskutiert und gerungen werden muß. Grundkonsens heißt für mich, daß man endlich damit aufhört, den politischen Gegner zu verdächtigen, er wolle die Familie aushöhlen,
Kinder und Jugendliche von den Eltern trennen und eine Vergesellschaftung dieser für den Erhalt unserer Gemeinschaft wichtigsten und im Grundgesetz besonders geschützten Institution einleiten.
Vor fast genau einem Jahr habe ich am gleichen Pult diese Unterstellungen und Verdächtigungen zurückgewiesen und tue dies auch heute; denn die Beiträge von Frau Geier und Herrn Glos sind für uns — ich sagte es schon — fast unerträglich.
Ich habe damals viele Briefe der Zustimmung bekommen. Deshalb sage ich Ihnen auch heute wieder, daß wir in den Reihen der Koalition genauso viele engagierte Frauen und Männer haben wie Sie, die in den Kirchen, in Wohlfahrtsverbänden, Familien- und Jugendverbänden sowie anderen Organisationen zum Wohle unserer Kinder und Familien mitarbeiten. Deshalb sollten wir unqualifizierte Verdächtigungen unterlassen und uns um mehr Gemeinsamkeit bemühen. Wir wissen doch alle, daß es noch viele, viele Probleme zu meistern gilt und daß wir uns gewaltig anstrengen müssen, wenn wir eine kinderfreundliche Umwelt in unserem Lande gestalten.Wenn ich die Vielzahl meiner Erlebnisse und Erfahrungen von den unterschiedlichsten Standorten aus betrachte, komme ich zu der Schlußfolgerung, daß wir, insgesamt gesehen, in einer familienunfreundlichen Umwelt leben. Ich sage: familien- und kinderunfreundlich. Ich bin zurückhaltender geworden mit dem Etikett „kinderfeindlich", das auch ich sehr oft gebraucht habe. Der Grund für diese meine Abschwächung ist u. a. die Tatsache, daß es eine große Zahl — die Mehrzahl — von engagierten Eltern, Kindergärtnerinnen, Erziehern, Sozialarbeitern, Frauen und Männern aller Bevölkrungsgruppen sowie aufgeschlossene Verbände und Vereinigungen gibt, die man vor den Kopf stoßen würde, wenn man ihre Bemühungen und auch ihre Erfolge einfach abqualifizierte.
— Ich habe nur meine Position dargestellt.Ich bedaure in diesem Zusammenhang sehr, daß Veränderungen und Neuorientierungen im Bereich der Ehe und Familie, der Erziehung und Bildung sowie des Kindschaftsrechts immer mehr in die weltanschaulich-ideologische Auseinandersetzung einbezogen werden. Ich bin immer wieder darüber erschrocken, wie man Teilaspekte, z. B. schulische Rahmenrichtlinien, neue Versuche in der Vorschulerziehung oder Gesellungsformen in Freizeitheimen, für Entwicklungen und Erscheinungen verantwortlich macht, die doch im Grunde auf tiefgreifende gesellschaftliche, ökonomische und soziologische Ursachen zurückzuführen und in der ganzen Welt in fast allen Kulturen und Gesellschaftssystemen feststellbar sind.Es stimmt, daß uns die Resignation junger Menschen beunruhigt, die Resignation, die wir an der Flucht in die Alkohol-, Drogen- und Rauschgiftszene, an der Hinwendung zu destruktiven Jugendsekten, an dem Ansteigen der Kinder- und Jugendkriminalität sowie an der Selbstmordquote bei Kindern ablesen können. Wir als Politiker sollten aber auch aufmerksam registrieren, daß sich Parteien- und Staatsverdrossenheit gerade auch in der jungen Generation ausbreitet und daß man vielfach auf Existenzverunsicherung, ja sogar auf Existenzangst stößt, weil Zukunftschancen für viele junge Menschen nicht sichtbar sind.
Wenn man aber diesem Unbehagen nachgeht, stellt man eine Menge von Faktoren unterschiedlichster Wertigkeit und Qualität fest. Ich nenne Stichwortartig: Angst vor Schulversagen, Leistungsdruck, Pubertätsschwierigkeiten, Differenzen im Elternhaus, Unverstandensein, Ausbildungs- und Arbeitsproble-
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10476 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Hauckme, Mangel an Freizeitmöglichkeiten, innere Leere, Kommunikationsschwierigkeiten, Fehlen von Orientierung, politische Enttäuschungen vielfältigster Art. Dies ist eine Fülle von individuellem politischen Unbehagen, welches uns alle — Regierung, Parteien, Politiker — zu Antworten zwingt.Wir Sozialdemokraten, die Koalition und die Regierung versuchen seit 1969, den Anliegen der jungen Generation verstärkt Rechnung zu tragen und diese in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Dies wurde honoriert. Eingeleitete Reformvorhaben wurden kritisch begleitet. Ich denke an Ausbildungsförderung, Jugendarbeitsschutz, berufliche Bildung. Die Friedens- und Entspannungspolitik wurde von der Jugend aktiv unterstützt, Herabsetzung des Wahlalters und der Volljährigkeitsgrenze wurde begrüßt.Die Veränderungen der Finanzlage durch die weltwirtschaftlichen Vorgänge 1973 und 1974 haben dann in der Reformpolitik zu Einbrüchen geführt, die beispielsweise in der Nichtverwirklichung der Jugendhilferechtsreform darstellbar sind. So stehen wir nun in diesem Jahr vor der großen Aufgabe, mit der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge und der Reform des Jugendhilferechts zwei Reformvorhaben zu verwirklichen, die für die Jugendförderung und die Fortentwicklung des Rechts der Kinder von entscheidender Bedeutung sind. Daß gerade auf diesem Gebiet eine harte Konfrontation stattfindet, überrascht die Fachöffentlichkeit und wird draußen im Lande oft nicht verstanden.Ich habe hier schon mehrfach erklärt, daß 1968/69 der Bundesrat die Änderung des umstrittenen § 1666 BGB im Rahmen der Reform des Nichtehelichenrechts forderte, weil dieses Reformanliegen — gemeint ist der Wegfall des Verschuldensprinzips bei Sorgerechtsentziehungen — seit längerer Zeit von Rechtsprechung und Rechtslehre vertreten werde und daher von aktueller Bedeutung sei; so der Bundesrat vor elf Jahren.
Heute befürchtet die Opposition immer noch — und sie dramatisiert es —, daß damit eine Verrechtlichung des Eltern-Kind-Verhältnisses eintritt und das Eindringen des Staates in den Familienbereich ermöglicht wird.Ich möchte noch einmal erklären, daß die Mehrheit der in der praktischen Arbeit Stehenden eine solche Neuregelung fordert. Dies hat auch die Anhörung im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ergeben. Daher verstehe ich nicht, daß die Opposition sich sperrt und befürchtet, hier würde ein Einfallstor geschaffen, um die 80% Normalfamilien zu reglementieren. Wir wollen mit der Änderung des § 1666 einem Kind, das durch Versagen der Eltern in seiner Entwicklung beeinträchtigt wird, die Chance für seine Persönlichkeitsentwicklung nicht verbauen, sondern sie ihm eröffnen.
Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung des Ersten Senats vom 29. Juli 1968 bestätigt. Ich wundere mich darüber, daß diese Verfassungsgerichtsentscheidung in unserer Diskussion kaum eine Rolle gespielt hat, und erlaube mir daher, nachdem die Generalgenehmigung erteilt worden ist, einige Passagen aus dieser Entscheidung zu zitieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie zuvor eine Frage des Herrn Abgeordneten Hasinger?
Ich hätte das sonst gern gemacht; aber nachdem hier Zwischenfragen dazu benutzt worden sind, schon gehaltene Reden zu zitieren, möchte ich diesmal darauf verzichten.In dieser Entscheidung des Verfassungsgerichts heißt es:Die Eltern haben das Recht, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen frei zu gestalten, und genießen insoweit vorbehaltlich des Art. 7 GG Vorrang vor anderen Erziehungsträgern.Das ist unbestritten. Weiter:Dieser Grundrechtsschutz darf aber nur für ein Handeln in Anspruch genommen werden, das bei weitester Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit der Eltern noch als Pflege und Erziehung gewertet werden kann, nicht aber für das Gegenteil: die Vernachlässigung des Kindes. Die Verfassung macht dies durch die Verknüpfung des Rechts zur Pflege und Erziehung mit der Pflicht zu dieser Tätigkeit deutlich. Diese Pflichtbindung unterscheidet das Elternrecht von allen anderen Grundrechten; sie ist auch anderer Art als die Sozialgebundenheit' des Eigentums.In Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Recht und Pflicht von vornherein unlöslich miteinander verbunden; die Pflicht ist nicht eine das Recht begrenzende Schranke, sondern ein wesensbestimmender Bestandteil dieses „Elternrechts", das insoweit treffender als „Elternverantwortung" bezeichnet werden kann.
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG schützt danach die freie Entscheidung der Eltern darüber, wie sie dieser natürlichen Verantwortung gerecht werden wollen. Er schützt nicht diejenigen Eltern, die sich dieser Verantwortung entziehen.
— Ich habe gesagt: Ich zitiere. Man kann doch Ausführungen des Verfassungsgerichts nicht als Dichterlesung oder Märchenerzählung bezeichnen.
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Hauck— Sie hören dieses Urteil wahrscheinlich nicht so gern. — Ich zitiere weiter:Wenn Eltern in dieser Weise versagen, greift das Wächteramt des Staates nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG ein; der Staat ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen. Diese Verpflichtung ... ergibt sich in erster Linie daraus, daß das Kind als Grundrechtsträger selbst Anspruch auf den Schutz des Staates hat. Das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Eine Verfassung, welche die Würde des Menschen in den Mittelpunkt ihres Wertsystems stellt, kann bei der Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen grundsätzlich niemandem Rechte an der Person eines anderen einräumen, die nicht zugleich pflichtgebunden sind und die Menschenwürde des anderen respektieren.In diesem Sinne bildet das Wohl des Kindes den Richtpunkt für den Auftrag des Staates gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG.Entschuldigen Sie bitte das lange Zitat. Aber da es bei den Anhörungen nicht eingeführt worden ist, sollte man es hier einmal bringen.Diese Festlegung des höchsten deutschen Gerichts ist auch die Position der Bunderegierung und der Koalitionsfraktionen bei der Gestaltung der so umstrittenen Neuregelung der elterlichen Sorge und ,der Reform des Jugendhilferechts.
Wir wollen die Eigenverantwortlichkeit der Eltern nicht antasten. Wir wollen im Gegenteil durch vielfältige Hilfen, Erziehungsangebote und familienergänzende Einrichtungen die Erziehungskraft der Familie stärken und dadurch den Eltern helfen, soweit sie dies wollen — denn im Jugendhilferecht ist die Freiwilligkeit geboten —, ihrer Elternverantwortung gerecht zu werden.Wir wissen aber auch, daß es Situationen gibt, die es notwendig machen, dem Kind zu seinem Recht zu verhelfen. Hier muß noch viel geleistet werden. Daher werden wir trotz aller Widerstände und Unkenrufe der Unionsparteien alles versuchen, das Jugendhilferecht noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Was ist das für ein schizophrenes Denken, wenn man der Bundesregierung jahrelang Versagen vorwirft, weil kein Regierungsentwurf vorgelegt wird, aber dann, wenn man die Chance bekommt, im Parlament über eine Regierungsvorlage zu 'diskutieren, der gleichen Regierung vorwirft, sie wolle, von der linken Basis bedrängt, eine Reform um jeden Preis erzwingen!Was auf uns zukommen würde, Herr KrollSchlüter, wußten wir doch alle. Ich verstehe die Kleinmütigkeit der Jugendpolitiker der Union nichtmehr, die schon im Vorfeld behaupten, der Regierungsentwurf werde einer parlamentarischen Beratung nicht standhalten. Lassen Sie uns einmal anfangen, und kneifen Sie nicht vor einer Aufgabe, nach deren Lösung Sie sich jahrelang gedrängt haben!
Ich plädiere dafür, daß dieses Parlament im Jahr des Kindes einen Versuch unternehmen sollte, durch gesetzliche Normierungen neue Akzente in der Jugendhilfe zu setzen. Sie wissen doch selbst, welche Probleme in unserem Lande noch gemeistert werden müssen.
Das Programm der nationalen Kommission für die Vorbereitung und Durchführung des Internationalen Jahrs des Kindes zeigt eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, wie der Bund, die Länder, die Gemeinden, die Kirchen, Verbände, Gewerkschaften, Wirtschaft und jeder einzelne von uns an der Gestaltung einer kinder-, jugend- und familienfreundlichen Gesellschaft mitwirken können. Dieses Programm ist kein sozialistisches oder sozialdemokratisches Machwerk, sondern es wurde in vielen Diskussionen von Frauen und Männern aller gesellschaftlichen Gruppierungen und aller im Bundestag vertretenen Parteien gemeinsam erarbeitet und der Öffentlichkeit vorgelegt. Ich möchte den Kommissionsmitgliedern für diese Arbeit, für diese gemeinsame Leistung den ausdrücklichen Dank meiner Fraktion aussprechen.
Sie von der Opposition möchte ich fragen, ob es nicht möglich ist, daß auch wir uns einmal zu mehr Gemeinsamkeit durchringen; gemeinsames Handeln hilft den Familien und Kindern mehr als dauerndes Beschimpfen und Verdächtigen.
Wir haben mit unserer Jugend Probleme, aber auch die junge Generation blickt oft verärgert und enttäuscht auf die Erwachsenenwelt. Schwarzmalerei und Verdächtigungen nutzen hier wenig. Wenn Sie einmal genauer hinsehen, werden Sie feststellen, daß diese Jugend unser Vertrauen verdient. Nach einer EMNID-Umfrage, die die Frau Minister schon angeführt hat, gehören 62 % der jungen Menschen gemeinschaftsfördernden Vereinen, Gruppen und Organisationen an, und 82% haben Vertrauenspersonen vorwiegend im Elternhaus und in der Verwandtschaft. Dies spricht für eine verstärkte Jugend- und Familienförderung und zeigt, wie notwendig partnerschaftliches Zusammenwirken zwischen den Generationen geworden ist. Der soviel beschworene Generationenvertrag darf sich nicht nur auf Rentenbezüge beziehen. Mehr Verständnis für die Jugend einerseits und mehr Selbstbewußtsein der Jugend andererseits sind notwendig. Vom Staat und den gesellschaftlichen Gruppen wird mehr Offenheit, Gradlinigkeit, Sauberkeit und Fairneß erwartet. Die Erwachsenen müssen erkennen, daß ihr Verhalten
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10478 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Hauckund ihr Beispiel auf die junge Generation reflektiert.Lassen Sie mich meine Ausführungen mit einem Zitat von Klaus Mehnert schließen. In seinem Buch „Jugend im Zeitbruch" sagt er:Wir alle haben Neuland betreten. Zum Teil nützen uns die' Karten und Regeln von gestern nur wenig. Um in diesem Neuland einen Weg zu finden, bedarf es, im Weltmaßstab gesehen und nicht nur für die Deutschen, der ordnenden Erfahrung der Alten ebenso, wie des tabubrechenden Wagemuts der Jungen, ihres Ahnens und Drängens.Ich füge noch hinzu: Unsere Gesellschaft hat eine Chance, wenn wir der jungen Generation eine Chance geben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.Frau Funcke: : Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Es war in der Tat zu befürchten, daß es im Jahr des Kindes bei uns in der öffentlichen Diskussion nicht vorrangig um die Qualität eines Kinderlebens, sondern um die Quantität der Geburten gehen würde. Daß es aber so schlimm kommen würde, wie wir das vorgestern, gestern und heute hier erlebt haben, hatten wir allerdings nicht gedacht.
Ihre Reden, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, haben mit aller Deutlichkeit gezeigt, wer diese Mißinterpretation des Jahrs des Kindes so aktiv betreibt. Werden Kinder bei Ihnen so vorrangig, ja fast so ausschließlich, als künftige Rentenzahler bewertet, daß die Frage nach der Geburtenzahl so viel wichtiger und gewichtiger
als etwa die Frage erscheint, unter welchen Bedingungen, in welchem Umfeld und mit welchen Chancen die vorhandenen Kinder aufwachsen
und mit welchem Verständnis ihnen in Elternhaus, Schule und Gesellschaft begegnet wird?Uns, die FDP-Fraktion, beschäftigt die Qualität des Kinderlebens unabhängig davon, wie hoch die Geburtenrate ist oder, anders ausgedrückt, ob — um das schreckliche Wort zu benutzen — die „Reproduktionsquote" temporär oder tendenziell einmal steigt oder fällt. Uns geht es darum, den kleinen Menschen einmal in den Mittelpunkt des Interesses und der Aufmerksamkeit zu rücken und danach zu fragen, welche Nöte, welche Defizite in seinem Leben bestehen und wie ihnen zu begegnen ist. Dies ist nicht nur eine Frage des Geldes, vielleicht sogar gar nicht einmal vorrangig. Aber da Sie die Frage nach der Geburtenrate hier nun einmal so intensiv eingeführt haben, möchte ich nicht versäumen, meine Zwischenfrage von eben auch zu belegen.Meine Damen und Herren, zunächst einmal ist die Trendwende in der Geburtenzahl, wie Sie alle wissen, die Sie sich damit beschäftigt haben, 1967/68 eingeleitet worden. Wenn man berücksichtigt, daß die Entscheidung zum Kind neun Monate vorher liegt,
heißt das, daß die Frage, wieviel Kinder man in der Familie haben möchte, ab 1967 negativ beantwortet worden ist. Meine Damen und Herren, Sie mögen einmal im Geschichtsbuch nachsehen, wer zu jener Zeit Bundeskanzler war.
Wenn Sie also meinen, meine Damen und Herren, in einer so vordergründigen Weise Geburtenzahlen mit Regierungschefs oder -koalitionen in Zusammenhang bringen zu sollen — ich tue das nicht —, dann müßten Sie einmal nachfragen, wer bei dieser Trendwende die Verantwortung für die Politik in der Bundesrepublik Deutschland hatte. Aber, meine Damen und Herren, ich habe nicht vor, Bundeskanzler Kiesinger dafür verantwortlich zu machen.
Ich tue das deswegen nicht — das besagte ja meine Frage vorhin —, weil ich mich nicht nur mit den zufälligen Jahreszahlen, sondern mit der demoskopischen Entwicklung beschäftigt habe.Sie können doch nicht übersehen, sondern können es leicht nachlesen, daß die heutige deutsche Elterngeneration um 25 % bis 30 % geringer ist als die Elterngeneration vor zehn Jahren.
Das muß man doch einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Man kann bei einem so ungewöhnlichen demoskopischen Aufbau der Bevölkerungsstruktur, wie wir sie nun einmal haben, Geburten nicht einfach pauschal auf 1 000 lebende Menschen umrechnen. Sie müssen sie auf die Zahl der möglichen Eltern umrechnen. Und in deren Generation gibt es eben einen erheblichen Einbruch, den jeder sehen kann, der auch nur die ersten Seiten des Statistischen Jahrbuchs aufschlägt.Sie sagen, die Bundesrepublik Deutschland habe die niedrigste Geburtenrate der Welt, bis vor kurzem auch die DDR. Das hat etwas mit dem zu tun, was ich ausgeführt habe. Ich kann Ihnen aber versichern, daß es diesen demoskopischen Aufbau und seine Folgen auch in einigen östlichen Ländern gibt. Das schreckliche Geschehen eine Generation zurück können Sie nicht außer acht lassen und aus den Tatsächlichkeiten, die dort ihre Ursache haben, hier eine einfache und billige Polemik anfangen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10479
Frau FunckeIch meine, wir sind es unseren Familien, unseren jungen Eltern schuldig, daß wir mit mehr Sorgfalt an eine solche globale Interpretation — um es ganz vorsichtig zu sagen —, herangehen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster?
Ja.
Frau Kollegin, würden Sie in Ihre Berechnungen dann bitte auch aufnehmen, daß die durchschnittliche Kinderzahl in den bestehenden Familien bedeutend zurückgegangen ist und daß unter Berücksichtigung dieser Fakten die Rechnung, die Sie eben aufgestellt haben, zumindest angezweifelt werden kann?
Herr Gerster, zum Letzteren: nein. Denn es kann nicht angezweifelt werden, daß die Bevölkerungsstruktur die Komponente ist, weswegen wir den höchsten Geburtenrückgang haben. Die andere Komponente haben Sie mit Recht genannt, nämlich daß die Vielkinderfamilie zahlenmäßig zurückgeht. Das ist eine Erscheinung, die Sie in allen Nachbarländern in entsprechender Weise feststellen können. Ich wende mich nur dagegen, daß immer wieder gesagt wird, wir hätten den höchsten Geburtenschwund. Der liegt eben darin begründet, daß wir im Verhältnis zu anderen Ländern, die nicht so unter Kriegseinwirkungen und -folgen gestanden haben, den höchsten Einbruch bei unserer Elterngeneration haben. Ich fände es im Interesse aller gut, wenn insoweit die Argumentation draußen etwas versachlicht würde.Nun aber zur Frage: Was braucht denn ein Kind, um zu einem vollwertigen Menschen heute in unserer Gesellschaft heranzureifen? Kinder gehören in die Familie. Dies ist wohl, so hoffe ich, bei uns allen unbestritten. Das kann auch nicht durch eine Polemik gegen den Familienbericht ausgewogen werden. Herr Hauck hat schon dazu gesprochen. Meine Damen und Herren, wenn man gemeinsam mit den Stimmen aller Parteien eine neutrale Institution beauftragt, einen eigenständigen Bericht zu verfassen, so kann man doch unmöglich nach der Methode verfahren: Wir fordern sie zwar auf, weil wir etwas von Wissenschaftlern haben wollen, aber wir erwarten von der Regierung, daß sie wie ein Oberlehrer nachträglich jeden Satz begutachtet, mit roten Strichen anstreicht, wo sie anderer Meinung ist. Sie können lange suchen, bis Sie ein zweites Sachverständigengremium bekommen, wenn so verfahren wird.Deswegen, Frau Kollegin Geier, müssen Sie nun schon einmal das grundlegende Bekenntnis der Bundesregierung zur Familie als gültig ansehen. Es besagt eindeutig, daß die Familie gefördert und ihr sonstige Hilfen angedeihen lassen werden sollen, daß man sie aber nicht bevormunden will und daß man ihr den Stellenwert einräumen möchte, den mit gutem Grund das Grundgesetz der Familie mit denvorrangigen Rechten und Pflichten der Eltern einräumt.
Meine Damen und Herren, allerdings muß man sich schon ein paar Gedanken über die Familie in ihrer heutigen Vorfindlichkeit machen. Wenn Sie Familie einseitig nur in der traditionellen Form verstehen, daß der Vater ordentlich arbeiten geht und abends nach Hause kommt, die Mutter ordentlich den ganzen Tag zu Hause ist und damit das Kind in der allerbesten Umwelt aufwächst, dann müssen wir dagegenhalten, was die junge Generation von Eltern heute mit gutem Erfolg praktiziert, in der Erkenntnis, daß der Vater das gleiche Recht und die gleiche Verpflichtung auch dem kleinen Kind gegenüber hat wie die Mutter; denn schließlich hat die Schöpfungsordnung ja Mann und Frau als Eltern bestellt, und nicht nur die Mutter.
Deswegen kann eine Familie, in der die Arbeit anders als nach herkömmlichen Lesebuchgeschichten aufgeteilt wird, nicht als Ergebnis einer „fehlgelaufenen Emanzipation" verstanden werden. So aber klang es aus den Äußerungen von Frau Geier eben heraus. Wir wenden uns dagegen.Wir wissen auch — das sollten wir auch einmal thematisieren —, daß das, was in früheren Zeiten Familie mit ihrer Vielfalt von menschlichen Bezügen, Begegnungen, Generationen und Bekanntschaften war, heute vielfach in den Kleinstrukturen unserer anonymen Städte und in unserer Wohnstruktur nicht mehr vorhanden ist. Ob das Kind auch bei den besten, liebevollsten und mitspielenden Eltern allein alles das bekommt, was es zum Hineinwachsen in die Gesellschaft, in die Aufgaben der Zukunft braucht, auch diese Frage muß doch mit Fug und Recht gestellt werden. Es gibt doch eine ganze Menge Gründe, warum sich die Eltern heute trotz vieler von uns allen begrüßten Hilfen in Beratungen, Erziehungsunterstützung, in Kursen und ähnlichem in ihrer Erziehungsaufgabe überfordert fühlen: weil eben das Kind in einer unnatürlichen Umwelt aufwächst. Ich meine jetzt nicht die vier Wände der Familie. Aber was jenseits der Etagentür ist, ist eine für einen jungen Menschen gegenüber früheren Generationen völlig unnatürliche Umgebung. Über das viel zu kleine Kinderzimmer haben wir uns schon unterhalten. Aber wie ist es außerhalb der Wohnung? Weithin haben die Gemeindevertretungen in der Vergangenheit vorrangig für Parkplätze und weniger vorrangig für Kinderspielplätze gesorgt. Wir haben eine kinderfeindliche Umwelt oder, sagen wir es vorsichtig: eine kinderfremde Umwelt, und Nachbarschaft, in der Kinder als störend empfunden werden, in der die Kommunikation der Kinder untereinander begrenzt ist auf allenfalls die Vormittagsschule. Vielfach besteht keine hinreichende Möglichkeit, nachmittags Kinderfreundschaften fortzusetzen, weil die Schulwege weiter geworden sind.
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10480 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Frau Funcke— Wer hat denn alles Mittelpunktschulen eingeführt?
Ich komme gleich noch auf die Schulfragen zurück; dann können wir uns darüber unterhalten.
Jenseits der Etagentür ist eine Welt, von der Frau Geier mit Recht vielerlei Einflüsse guter und schlechter Art auf ein Kind vermutet. Sie hat überwiegend die schlechten Einflüsse gesehen. Nun hat sie offensichtlich die Vorstellung, es sei die Aufgabe, das Kind möglichst weit vor dieser bösen Welt da draußen durch eine intensive Familienerziehung zu bewahren.
Wir sind demgegenüber der Auffassung, daß es. besser ist, durch das Mitwirken von Frauen in allen Bereichen des beruflichen, politischen und gesellschaftlichen Lebens mitzuhelfen, daß die Kinder jenseits der Etagentür eine ähnliche Atmosphäre vorfinden wie zu Hause; denn was hilft es, wenn wir es zu Hause noch so gut meinen und draußen alles anders ist?Frau Geier, Sie haben Frau Minister Huber vorgeworfen, sie habe nicht auf jede kommunistische oder sonstige Schrift über Erziehung gleich eine Gegenschrift verfaßt. Meine Damen und Herren, wir leben in einer pluralen Welt.
Die Vorstellung, daß wir noch im geistig einheitlichen christlichen Abendland leben mit einer Einheitskirche, mit für alle gültigen Denk- und Verhaltensnormen ist nicht realistisch.
Es hilft nichts, ihr nachzuweinen, sondern es hilft doch nur, die Kinder auf diese Auseinandersetzung vorzubereiten, und zwar aus einer grundlegenden Lebensauffassung der Familie heraus, die den Kindern vorgelebt werden muß. Das kann man nicht von anderen erwarten. Auf der Grundlage einer solchen Lebensauffassung sind Kinder frühzeitig und nicht zu spät in Beurteilungssituationen hineinzustellen, und es ist mit ihnen gemeinsam nach einem Urteil zu suchen. Man sollte nicht sagen „So und so ist es!", sondern man sollte die Probleme mit ihnen zusammen durchsprechen und sie auf das Leben in der Pluralität vorbereiten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köster?
Frau Kollegin, sind Sie der Meinung, daß eine normale Familie heutzutage nicht mehr in der Lage ist, ihre Kinder zu tüchtigen Mitbürgern in einer pluralen Welt zu erziehen?
Doch. Aber eben hat Frau Geier genau das Umgekehrte gesagt. Deswegen müssen Sie sich vielleicht einmal mit Frau Geier unterhalten. Sie hat fragwürdige Äußerungen von draußen gleich als eine Gefahr für die Familienerziehung angesehen. Darin, daß irgendwo ein Pädagoge oder ein Professor oder eine Zeitung irgend etwas geschrieben hat, sieht sie die Gefahr, daß die Familie in ihrer Erziehungsfunktion auf das tiefste geschädigt wird. Ich bin da allerdings anderer Meinung. Ich halte die Eltern nicht für so labil.
— Ich habe sehr gut zugehört. Das hat mich ungemein interessiert, gerade deshalb, weil mir so viel daran liegt, an dieser Stelle sichtbar zu machen, daß „Erziehung" heute bedeutet: Vorbereiten auf die Pluralität, auf die Verschiedenartigkeit der Meinungen und Wertungen.
Das bedeutet ein intensives Gespräch im Elternhaus — dafür bin ich sehr —, das bedeutet aber auch — das darf ich vorwegnehmen; meine Zeit wird knapp —, eine Schule, in der schon früh eingeübt wird in Diskussionen, in Beurteilungen, in Entscheidungen, in Verantwortung, in alles dies, was der Mensch später braucht.
Nur ist unsere Schule auf alle diese Dinge nicht eingerichtet.Lassen Sie mich ein Wort zur Hausfrau sagen. Ich bin sehr der Meinung, daß die Hausfrau der berufstätigen Frau in allen Rechten gleichstehen sollte. Aber, meine Damen und Herren, wir haben bereits vor über zehn Jahren Vorschläge zur eigenständigen Hausfrauenversicherung gemacht und uns erhebliche Widerstände aus Ihrer Fraktion eingehandelt.
Wir haben uns für das Babyjahr eingesetzt; das haben Sie mit der Mehrheit verhindert. Was helfen da Ihre Sonntagsreden, wenn Sie, sobald es praktisch wird, sich in allen diesen Punkten versagen?
— Das Babyjahr ist mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt worden, als Sie 1972 zufällig an einem Tag eine Stimme mehr hatten.Die sozialliberale Koalition hat eine Fülle von Verbesserungen für die Familie und für die Kinder durchgesetzt oder auf den Weg gebracht: Umstellung des Kindergeldes und gleichmäßige Zahlung an alle Eltern. Von 1975 bis 1979 sind die Ausgaben dafür ständig verbessert worden; eine Anhebung um ein Drittel in vier Jahren,
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Frau Funckeund zwar für die Zweikinderfamilie eine Verbesserung um 25 %, für die Dreikinderfamilie um 45 %, für die Vierkinderfamilie um 53 % und bei fünf Kindern um 56 %. Meine Damen und Herren, das kann man doch nicht einfach abtun. Wir haben den Elternurlaub bei Krankheit eines Kindes eingeführt, sowie die Hauspflege auf Kosten der Krankenkassen, die Einbeziehung des Umwegs zum Kindergarten in die Berufsunfallversicherung, die Öffnung der Rentenversicherung auch für die Hausfrau, die laufende Fortentwicklung des Wohngeldes, die Verbesserung der Krankheitsvorsorge für Frauen und Kinder, die Ausweitung des Staatsangehörigkeitsrechts für die Frau und für die Kinder deutscher Mütter, die Reform des Adoptionsrechts, die automatische Anpassung von Unterhaltsansprüchen, die steuerliche Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten, die Reform des Eherechts mit dem Versorgungsausgleich als ersten Einstieg in die gleichwertige Alterssicherung der Hausfrau, die Reform des Rechts der elterlichen Sorge, die Einführung der Unterhaltsvorschußkassen und der verlängerte Mutterschutzurlaub. Meine Damen und Herren, wer angesichts dieser Aufzählung sagt, die jetzige Regierung und Koalition tue nichts für die Familie, der muß entweder — wie gestern mit anderer Formulierung gesagt worden ist — blind und taub zugleich sein oder wider besseres Wissen argumentieren.
Daß Sie damit der Familie helfen, meine Damen und Herren, wage ich zu bezweifeln.Und nun lassen Sie mich ein Wort zur Schule sagen. Da hat es wenig Zweck, hier parteilich gegeneinander zu argumentieren. Was das Kind in der Schule bedrückt, sind überfüllte Klassen, Kollegstufe, Numerus clausus,
das Auswahlsystem nach Zeugnisnoten, ein ständig sich ändernder Lehrplan; und was vielfach von Erwachsenen kritisiert wird, Mittelpunktschulen oder kooperative Gesamtschulen und ähnliches, eignet sich nicht für ein parteipolitisches Gegeneinander. Denn was hier genannt worden ist, gibt es in A-Ländern und in B-Ländern gleichermaßen. Mir erscheint wichtiger, daß wir uns endlich einmal darüber unterhalten — leider ist die Zeit zu knapp —, was denn eigentlich in unseren Schulen erziehungsorientiert geschieht, als immer mit ihren Schulformen zu operieren. Wo werden denn die Emotionalität, die schöpferischen Kräfte, die künstlerischen Fähigkeiten und Impulse wirklich angemessen gefördert? Wo erlebt man unbefangenes Miteinander in den Schulen? Wo wird etwas getan, Übungsfelder für Verantwortung zu schaffen? Bei uns wird Schulbildung weit überwiegend intellektuell verstanden. Es geht um abfragbare Kenntnisse und bestenfalls Erkenntnisse. Aber zum Bekenntnis, zum Engagement wird nicht erzogen. Zur Entscheidung wird erst — dann allerdings plötzlich und von einem Tag zum andern — aufgerufen, wenn man von der 11. in die 12. Klasse kommt. Vorher gibt es den festen Stundenplan. Auf einmal muß der junge Mensch von heute auf morgen völlig freischwebend entscheiden.Ich sehe, Frau Präsident, meine Zeit ist abgelaufen.
Ich möchte mit dem Wunsch abschließen, daß wir unseren Familien und unseren Kindern nicht das Leben in unserer Gesellschaft dadurch noch schwerer machen, daß wir uns über sie so zerstreiten, wie das schon zu Beginn dieses Jahres den Anschein hat. Wir sollten über das Kind und sein Wohl sprechen, aber nicht über das Kind streiten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Wex.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich es recht sehe, spielte die Frage nach den Motiven der einzelnen Fraktionen hier bei der Bewertung ihrer Einstellung zur Familie eine große Rolle, vor allen Dingen Ihr Selbstmitleid, in das alle eingestimmt haben: „Wir werden doch so mißverstanden, wir wollen doch den Zusammenhalt der Familie." Meine Damen und Herren, wie können Sie es der CDU/CSU verdenken, daß sie hier ihr Mißtrauen anmeldet, wenn wir etwa die Aussprüche des Bundestagsabgeordneten Hansen bei der Tagung der Bischöflichen Akademie in Aachen gegen die elterliche Erziehung lesen?Es ist eine Hybris, — so steht da —wenn Eltern behaupten, sie könnten Kinderbesser erziehen als ausgebildete Pädagogen.
Und in einer SPD-Erklärung steht zu lesen:Die Gesellschaft ist total. Es gibt keinen Bereich, in den sich der einzelne zurückziehen kann. Auch die Familie ist kein solches Refugium, sie ist vielmehr ein Konfliktfeld. Die Familie ist ein krankheitsbildendes System.
Meine Damen und Herren, hören wir auf mit der Heuchelei, hier etwas anderes zu sagen als das, was man draußen vertritt!
Für junge Menschen ist es nämlich vielleicht das Schlimmste, wenn sie nicht mehr das Vertrauen haben, daß Menschen, die über ihre Zukunft entscheiden, dann, wenn sie von der Zukunft der Kinder reden, nicht mit der gleichen Sprache sprechen.Wir beraten heute den Haushalt eines Ministeriums, das den Namen „Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit" trägt. Abgekürzt wird dieses Ministerium zumeist „Familienministerium" genannt. Es dürfte schwerlich eine Abkürzung geben, die zu größeren Mißverständnissen Anlaß gibt. Sollte nämlich doch jemand auf die Idee kommen, aus diesem Namen auf eine von dem Ministerium betriebene verantwortungsvolle, lang-
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10482 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Frau Dr. Wexfristig angelegte Familienpolitik zu schließen, so erläge er einem verhängnisvollen Irrtum. Wenn das noch eines Beweises bedurft hätte, hätte ihn Ihre Rede, Frau Huber, geliefert. Ich möchte diese Rede hier nicht qualifizieren. Die Sache ist einfach zu ernst, als daß man hier wie Sie nur etwas zu beteuern brauchte, wenn man keine Beweise erbringen kann.Sie sagen, uns gehe es in der Familienpolitik nur um das Geld. Ich frage Sie: Warum haben Sie woanders unsere Vorstellung, daß die zeitliche Zuwendung zu den Kindern das Entscheidende ist — das haben wir auch bei der Beratung über das Erziehungsgeld dargestellt — unterstützt, wenn Sie uns hier vorwerfen, wir gingen nur von Geld aus? Diese Art von Heuchelei ist eine Form der Vergiftung.
Frau Huber sagte: „Familie war nie so frei wie heute!" Man muß doch fast denken, Sie hätten überhaupt keine Ahnung von dem, was in den Familien passiert. Die Familie ist doch fast Freiwild geworden. Ihre Politik führt zu einer Klimaverschlechterung in der Familie und für die Familie, die eine entscheidende Ursache für die katastrophale Bevölkerungsentwicklung ist.Frau Funcke, es ist doch ein Trauerspiel, wenn Sie uns hier vorwerfen, wir sähen die Zahl der jungen Menschen vielleicht nur unter dem Gesichtspunkt der Alterssicherung der vorangegangenen Generation. Kinder zu haben, heißt auch, Optimismus zu haben.
Darum geht es in unserer Auseinandersetzung.
Der Bundeskanzler hat hier gesagt, er wolle noch etwas darüber nachdenken. Natürlich ist es immer gut, in der Politik nachzudenken. Aber irgendwann muß doch einmal klarwerden, in welcher Richtung man nachdenkt, wenn man das Vorhandensein dieses Phänomens doch nicht leugnen kann.
Wie anders ist es sonst zu erklären, daß viele Ehepaare nach dem ersten Kind von ihren ursprünglichen Kinderwünschen Abstand nehmen? Niemand wird doch ernsthaft behaupten wollen, daß diese Ehepartner kinderfeindlich seien? Der Grund ist doch vielmehr, daß ihr sozialer Status und auch ihr Ansehen in der Öffentlichkeit dann, wenn sie mehr als zwei Kinder haben, an die Grenze von Sozialhilfeempfängern gerückt wird. Hiervor scheuen doch die jungen Paare verständlicherweise zurück.Es gibt keine familienfreundliche, zukunftweisende Familienpolitik. Beispiele:Erstens. Nach wie vor propagiert die Bundesregierung ihr Leitbild von der berufstätigen Frau. Nur eine Frau im Beruf könne sich — nach vielen Äußerungen von Ihnen — emanzipieren. Die erzieherische Aufgabe der Hausfrau und Mutter stellt für die Bundesregierung keinen gleichen, unersetzlichen Wert dar. Meine Damen und Herren, man kann zwar dieser Überzeugung sein, aber man muß es dann auch sagen. Dann erst können wir uns richtig auseinandersetzen.
Andernfalls haben wir immer verschiedene Felder vor uns und kommen bei der ernsthaften Behandlung auch der Schwierigkeiten junger Frauen und Ehepaare nicht weiter.Herr Fiebig hat in der Erklärung zur Familien- politik am 30. März 1978 ausgeführt — das zitiere ich in bezug auf die Doppelzüngigkeit der Äußerungen, mit denen wir es hier zu tun haben —:Große Reserven für verstärkte Erwerbstätigkeit sind vor allem bei den Frauen vorhanden. Sie werden bei einem Rückgang der Kinderzahlen automatisch erhöht, weil eine Wechselwirkung zwischen Geburtenzahl und Arbeitskräftepotential besteht.
Diese Aussage über die Rolle der Frau als Arbeitskraftreserve läßt an Deutlichkeit doch nichts zu wünschen übrig. Darüber müssen wir hier diskutieren.
Ihr Gerede von der Wahlfreiheit ist nur eine Schutzbehauptung; denn das, was Sie mit dem, was Sie vorlegen, wollen, ist nicht die Wahlfreiheit der Frau, sondern vor allem die Festlegung auf die berufstätige Frau, die nachher doch gezwungenermaßen ihre Kinder in außerhäusliche Erziehungseinrichtungen schicken muß. Sie brauchen sich dann doch nicht zu wundern, wenn unsere Familien die Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt scheuen und auf Kinder verzichten.Für uns, die CDU/CSU, ist dagegen die Erziehungsarbeit volle Berufstätigkeit und muß deshalb als solche anerkannt werden.
Wir brauchen eine ganz neue Qualität der Familienpolitik, die dazu führt — und das ist der Kernpunkt —, daß dem Kleinkind die volle personelle Zuwendung seitens der Eltern zuteil werden kann.
Zweitens. Die bildungspolitischen Verirrungen der SPD-regierten Länder haben zu einer nervenaufreibenden Belastung unserer Familien geführt. Herr Hauck hat hier gesagt, das stehe nicht zur Debatte. Meine Damen und Herren, Sie in der Bundesregierung bestimmen doch das ganze Klima der Politik mit. Dazu gehören auch die Schulen und das, was darin gemacht wird.
Unsere Kinder müssen Schwerarbeit leisten. Es wird die ganze Zeit gesagt, es handle sich um Leistungsdruck. Aber es handelt sich darum, daß falsche Leistungen von ihnen verlangt werden.
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Frau Dr. Wexweil die quantitative Stoffülle kindgerechte Entwicklungen behindert. Es geht Ihnen jedoch nicht — und das sollte man zugeben, damit man über einen besseren Weg diskutieren kann — um die beste Erziehung der Kinder für's Leben. Es geht Ihnen um die Umerziehung der Gesellschaft — und das ist ein ganz anderer Ansatzpunkt.
Herr Hauck, ich habe es sehr estimiert, daß Sie hier versucht haben, einen Teil der Realitätsbezogenheit in Ihre Ansätze wieder hineinzubekommen. Aber wenn wir hier darüber sprechen, muß auch folgendes gesagt werden: Das Ziel der. Erziehung — und das hat etwas mit Familie zu tun; keiner wird es doch bestreiten — kann nicht die Erziehung zur Kritik an allem und jedem sein. Die Erziehung muß vielmehr von Wertmaßstäben ausgehen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen,
— Herr Hauck, ich habe Ihnen ganz ruhig zugehört — auch seine Bedingtheiten hinsichtlich Schuldanfälligkeit, um deren Überwindung sie sich bemühen muß. Wer schon in der Schule junge Menschen zu früh zum Urteil verurteilt, ohne ihnen vorher Wertmaßstäbe an die Hand gegeben zu haben, der betrügt sie um das Wichtigste ihres jungen Lebens, nämlich sich zunächst einmal einer Aufgabe hinzugeben und dann selber auszuwählen. Im Angebot von Wertungsmaßstäben, von Verantwortung und Gleichgewicht von Rechten und Pflichten besteht Autorität. Sie ist überholbar und ablösbar, vom Kind bis zum Erwachsenen. Aber Autorität in jungen Jahren zu verweigern und nur durch Einstimmen in Wünsche und Kritik zu ersetzen, ist ein Versagen vor dem natürlichen Anspruch der Kinder auf Leitung. Das macht sie für Extreme von rechts und von links, für Sekten, Drogen und Kriminalität anfällig.
Das muß man doch ganz deutlich sagen.Ich habe vorgestern in der Zeitung gelesen, daß sich Frau Huber — das finde ich natürlich wichtig — mit den bestürzend hohen Zahlen junger Selbstmörder beschäftigt hat. Sie sagt, stets gingen der Verzweiflungstat eines Kindes Fehler in der Erziehung voraus. Sie spricht vor allem die Eltern an und ruft sie auf, den Kindern ein gesundes Selbstwertgefühl zu vermitteln. In allem Ernst: Wie sollen Eltern Kindern ein Selbstwertgefühl vermitteln, wenn schon ihr eigenes Selbstwertgefühl durch Kritik an ihnen in der Familie, in der Schule, in Rahmenrichtlinien ständig in Frage gestellt wird?
— Ich verstehe Sie überhaupt nicht. Die Ernsthaftigkeit dieser Frage sollte uns doch alle gemeinsam beschäftigen.
— Aber das ist doch schlicht eine Zustandsbeschreibung. Gehen Sie doch einmal in die Schulen!
Sie haben doch auch Pädagogen, die Ihnen diese Dinge erklären.Außerdem: Wie kommt die Hausfrau, die geschmähte Nur-Hausfrau dazu, das auszugleichen, was z. B. in den Schulen nicht gemacht werden kann?
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Nur, wenn die dafür erforderliche Zeit nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Wir können sie leider nicht gutschreiben.
Ah, so. Dann möchte ich jetzt fortfahren. Ich tue dies auch deshalb, weil Sie in verschiedenen Gremien immer mit verschiedener Zunge reden. Daher bin ich froh, daß Sie heute einmal alle hier sind und wir unterschiedliche Auffassungen ausdiskutieren können.
— Sie sollten das doch ernst nehmen, was ich hier sage.Die Erhöhung des Kindergeldes und der Familienlastenausgleich reichen natürlich nicht aus; das wissen wir. Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt, daß die von uns gemachten Vorschläge zum Familienlastenausgleich Geld kosteten. Ja, darum geht es ja gerade: Heute leben viele unserer Bürger auf Kosten der Familien mit Kindern, die damit in vielfältiger Weise die Zukunft sichern.Über eine dritten Punkt, den Familienbericht, möchte ich jetzt nicht reden. Es ist im übrigen ein Familienbericht, von dessen Inhalt Sie sich noch nie distanziert haben.Herr Vogel, der Bundesjustizminister, hat heute — eingehend auf die Vorstellungen der CDU — gesagt, hinsichtlich des elterlichen Sorgerechts gebe es keinen Grund für uns, mißtrauisch zu sein. Er hat das damit begründet, daß an diesem Entwurf viele Verbände mitgearbeitet und ihre Stellungnahmen dazu abgegeben hätten. Meine Damen und Herren, das zeigt doch lediglich, daß sich alle wirklich ernsthaft um diese Fragen bemühen. Bis jetzt sehen wir nur, daß es — trotz aller Bemühungen — nicht möglich ist, den Geist, den falschen Ansatzpunkt, aus diesem Gesetz wieder herauszubekommen. Darum geht es doch, darüber müßten wir sprechen.
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10484 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Frau Dr. Wex— Sie Ihrerseits sollten auch — um der Sache willen — die politischen Gegner ernst nehmen.
— Nein, das tun Sie nicht, Sie machen nur ganz unqualifizierte Zwischenrufe.
Die Familie ist als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der erste und wichtigste Ort individueller Geborgenheit und Sinnvermittlung und nicht ein Gefängnis, aus dem man erlöst werden muß. Dies ist aber nicht der Inhalt Ihrer Familienpolitik. Ich zitiere nur einmal die FAZ vom 17. Januar:Das erste Übel— damit komme ich auf das Jahr des Kindes —liegt darin, daß man hier überhaupt die Kinder insgesamt als eine gesellschaftliche Gruppe ansieht und anredet, daß man sie eben dadurch zu einer solchen stempelt, und zwar unvermeidlich zu einer benachteiligten wie sonst etwa die Frauen, die Alten, die Behinderten, die Arbeitslosen. So nun also die Kinder ...... hier bei uns haben wir es mit einem weiteren Schritt auf der Bahn der Fraktionierung der Gesellschaft zu tun, gerade indem Solidarisierung erstrebt wird.Die von der Bundesregierung und der SPD/FDP betriebene Fraktionierung der Familie leitet einen gefährlichen Prozeß ein, an dessen Ende die Zerstörung der Familie stehen muß. Meine Damen und Herren, erst nehmen Sie sich die Frauen vor und versprechen Ihnen Freiheit; dann nehmen Sie sich die Kinder vor, die auch zu den Unterdrückten gehören: der Zusammenhalt der Familie ist das Entscheidende, von dem wir ausgehen müssen.
Darum ist auch die Frage der Eingriffsmöglichkeiten ernst zu nehmen. Der nordrhein-westfälische Kultusminister Girgensohn hat von der Gesamthochschule Essen eine Untersuchung über die Erziehungseffizienz von Elternhaus und Schule erstellen lassen.
Darin heißt es:
Wir haben in der Euphorie der 60er Jahre die Wirkungsmöglichkeiten der Institution Schule, Vorklasse und Kindergarten überschätzt.
Es muß nach diesem Untersuchungsergebnis eine Umkehr erfolgen. Für die Kinder ist es das Wichtigste, daß die Eltern Zeit haben zur Erziehung.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU fühlt sich durch die Ergebnisse dieser Untersuchung in ihrer Einstellung zur Familie bestätigt, daß es unsere Aufgabe ist, die Erziehungs- und Bildungskraft der Familie zu stärken, anstatt sie immer neuen Belastungen auszusetzen. Diese Bestätigung aber ist für uns kein Anlaß zur Genugtuung. Doch kann denjenigen, für die diese Feststellung zutrifft, ein schwerer Vorwurf nicht erspart bleiben, denn niemand gibt den Kindern, die die Förderung der familiären Erziehung nicht in dem möglichen und wünschenswerten Maße erfahren haben, die dadurch verlorenen Chancen zurück.
Darum handelt es sich: daß wir lernen, auch aus Erfahrung.Materielle Hilfen sind nur ein Teil. Ich halte es für eine schlimme Unterstellung, daß wir uns dagegen überhaupt wehren müssen. Das Entscheidende bei dem, was Familie und Kinder brauchen, ist Zeit. Was nützt es, wenn wir alles haben, nur keine Zeit?
Zeit, um sich dem Menschen zuwenden zu können, das ist die wertvollste Münze unserer Welt. — Da haben Sie aber einen Zwischenruf gemacht! Wir werden uns hier wohl nicht über die 35-StundenWoche unterhalten wollen. Eines steht aber fest, Herr Kollege, daß ein großer Teil gerade der jungen Familenväter mehr Wert darauf gelegt hat, einen längeren Urlaub zu haben und eine Erleichterung für Schwerarbeit als nur die Verkürzung der Wochenarbeitszeit, um das hier einmal ganz klar zu sagen.
Das zu erkennen, könnte der Sinn des Jahres des Kindes sein, daß Zeit entscheidend ist für unsere Kinder, nicht Festivals und Rummel, wo diejenigen die größte Rolle spielen, die sowieso schon immer vorne sind, und wo die, die weniger laut sind, die schwächer sind, noch stiller und schwächer werden, sondern die Bereitstellung von innerlichen und äußerlichen Freiräumen für die Kinder. Die Chancen dieses Jahres sollten genutzt werden. Das Kinderprogramm der CDU/CSU mit der Aktion „Kinderfreundliche Gemeinde" ist ein Beitrag dazu.
— Ich will Ihnen etwas sagen zu Ihrer Abwertung aller Traditionen, zu „Märchen" und all dem, was wir heute schon an Negativem gehört haben — mit welchen Anführungsstrichen z. B. Frau Huber von Tugenden gesprochen hat —: wenn wir nicht mehr auf Tugenden rekurrieren können, können wir überhaupt einpacken!
Zum Schluß nur noch eins: Die Regierung kümmert sich nicht nur nicht um die Familie als Ganzes, sondern sie läßt auch die Frauen im Stich. Noch niemals hat es so viel arbeitslose Frauen gegeben wie heute.
Noch niemals wurden die Frauen durch falsche Versprechungen so verunsichert wie heute. Meine Da-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10485
Frau Dr. Wexmen und Herren, das Entscheidende ist doch, daß auch ein großer Teil junger Frauen Verweigerungseffekte zeigt. Heute entscheiden Frauen darüber mit, ob es Kinder gibt oder nicht. Aber Verunsicherung ist eben kein guter Ratgeber dafür, daß man auch Zukunft für sich in Anspruch nimmt. 38 % der Frauen fühlen sich heute nicht mehr in den Parteien vertreten. Der Vorschlag Frau Hubers, zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Stelle — Arbeitsstab — einzurichten, hat doch nur etwas damit zu tun, daß man den Fehler in Nordrhein-Westfalen wiederholen würde. Wir brauchen keine neue Bürokratie, sondern wir brauchen die Beteiligung der Frauenbelange da, wo die Entscheidungen fallen.
Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten, wie wir ein Wirtschafts- und Finanzkabinett gebildet haben, ein Familien- und Frauenkabinett schaffen, Frau Huber, worin Sie dann endlich mal den Einfluß haben, den Sie für die Frauen ausüben sollten. Heute ist nämlich klar geworden, daß auch andere Ressortchefs in Fragen der Familie die Priorität für sich in Anspruch genommen haben. Es ist eine Frage der Phantasie, des Einflusses und der Ideen, wie man sich für die Frauen durchsetzt. Dazu braucht man keine zusätzlichen Stäbe und kein zusätzliches Geld.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lepsius.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu den Stichworten, die von der Frau Kollegin Wex heute hier gebracht worden sind, ein paar Vormerkungen machen. Es war erstaunlich, daß im Grunde genommen in Vergessenheit geraten ist, daß dieses Parlament gemeinsam das Ehe- und Familienrecht — mit der Partnerschaft von Mann und Frau — verabschiedet hat. Das eigentliche Interessante ist, daß Familienpolitik in dem Verständnis von Frau Wex isoliert dargestellt und uns immer unterstellt wird, daß wir mit unserer Familien- und Sozialpolitik die Familie zerstören.
Sie konstruieren hier einen Gegensatz zwischen Familie und Berufsordnung, genauso wie Sie einen Gegensatz zwischen den Hausfrauen und den erwerbstätigen Müttern konstruieren und uns unterstellen, wir würden lediglich die erwerbstätigen Mütter unterstützen.
Gerade damit verkennen Sie eine der größten Aufgaben, vor denen wir stehen, d. h. das Strukturproblem, das Problem der Ordnung unseres Zusammenlebens. Sie belasten mit diesen übergeordneten Problemen die Menschen, besonders die Frauen. Es handelt sich nämlich darum, daß wir die Bedingungen, unter denen Familien und damit Menschen leben, mit der Berufswelt verknüpfen müssen, damit Familien, Eltern und Kinder glücklich sein können.Das bedeutet, daß wir sozialpolitische Regelungen finden müssen, die familiensolidarisiered sind.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den sehr komplexen Hintergrund, vor dem alle Äußerungen — auch im übrigen — zur Familienpolitik heute stehen, nämlich auf die Perspektive der Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung bis 1984, wo alle diese Fragen eine Rolle spielen.Ich denke daran, daß wir Sozialdemokraten auf dem Hamburger Parteitag vor etwas über einem Jahr unser familienpolitisches Programm verabschiedet und darin die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubes auf ein halbes Jahr gefordert haben. Ich glaube, daß kaum einer an eine so rasche Realisierung dieser sehr kostspieligen und zentralen familienpolitischen Aufgabe gedacht hat.
Ich bin froh darüber, daß jetzt trotz all der wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Barrieren, die da bestehen, dieser Gesetzentwurf dem Bundesrat vorliegt.In der Familienpolitik ist dies insgesamt ein Signal von prinzipieller Bedeutung. Damit haben wir ganz wichtige Grundsatzentscheidungen gefällt, die in die Zukunft weisen: erstens eine familienpolitische Entscheidung für die frühkindliche Erziehung, der wir Priorität einräumen. Zweitens eröffnen wir der Mutter Wahlfreiheit zwischen Kinderbetreuung und Berufstätigkeit. Drittens geben wir der Mutter, die ihr Baby versorgt, eine Arbeitsplatzgarantie. Viertens sichern wir zum erstenmal die Beiträge zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung, die aus Bundesmitteln gezahlt werden.
— Nein, ich komme auf diese Frage zurück. Denken Sie doch nur an Niedersachsen, an das Modell „Erziehungsgeld für Mütter". Ihr Anknüpfungspunkt ist genau derselbe: Die berufstätige Mutter muß aus dem Beruf herausgehen, um das Erziehungsgeld zu bekommen. Hier wird ja den Leuten auch wieder Wind um die Ohren geblasen.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß unser Mutterschaftsurlaub ja nicht nur von den politischen Eltern, nämlich dem Bundesarbeitsminister und der Bundesfamilienministerin, begrüßt wird, sondern auch alle Kirchen, aller Verbände — Familienverbände, Frauenverbände — und natürlich vor allen Dingen die Frauen selber hierauf voller Freude reagiert haben.
— Ja, ich weiß, Sie sind Mutter von vielen Kindern.Aber hören Sie einmal auf Professor Nitsch vomKinderschutzbund. Der hat gesagt: Mir ist beinahe
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10486 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Frau Dr. Lepsiusdie Luft weggeblieben; ich kann für mich persönlich nur sagen, ich freue mich. — Eigentlich sollten Sie sich mit darüber freuen, daß wir diesen gewaltigen, wichtigen Schritt nach vorn tun.
Ich habe aber den Eindruck, daß sich die Union überhaupt noch nicht im klaren darüber ist, welche sozialpolitische wie familienpolitische Weichenstellung wir hier längerfristig vornehmen. Denn damit haben wir eine Entscheidung für die frühkindliche Erziehung gefällt, und wir wollen langfristig natürlich auch die Väter einbeziehen. Die Väter zu beteiligen wäre ja einmal ein Gedanke, obwohl männliche Politiker das nicht gerne hören!
Vor allem streben wir für alle Mütter die grundsätzliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht an. Dies ist das zweite, was bedeutsam ist. Hier bleiben wir Sozialdemokraten unseren alten Zielen treu, denn das Stichwort „Babyjahr" haben wir natürlich nicht vergessen. Das war ja nicht vom Tisch bzw. kommt jetzt wieder auf den Tisch. Sie können sicher sein, daß wir diese Frage im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht von uns geforderten Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung bis 1984 lösen werden.
— Nein, natürlich nicht, sondern wir müssen hier umfassend denken. Überhaupt besteht ja ein Defizit daran, den Bedingungszusammenhang von Sozialpolitik, Familienpolitik, Finanzpolitik, Steuerpolitik usw. insgesamt zu sehen sowie plural zu denken und die Probleme anzugehen.
— Dies ist falsch, aber wir können uns darüber ja im Ausschuß noch einmal unterhalten.
Dies ist unsere Perspektive. Wir sind uns ziemlich genau darüber klar, wohin die Entwicklung geht. Ich will dies deswegen ganz deutlich sagen, weil ich natürlich Verständnis dafür habe, daß die CDU jetzt das Erziehungsgeld, diese alte Forderung der Opposition, die ja einmal in der Versenkung gelandet war, wieder hervorholt. Nur bitte ich Sie, sich davor zu hüten, daß Sie hier Forderungen in die Luft blasen. Es müssen konkrete Forderungen sein — sonst ist es ja immer nur geistige Auseinandersetzung, ideologische Auseinandersetzung —; es geht hier immer um konkrete Dinge, um Gesetzesvorhaben, weil nur diese individuelle Rechte schaffen.Nun, Sie sprachen von Geld. Richtig, es handelt sich auch um Geld, und ich finde es großartig, daßunser Bundesfinanzminister für dieses Programm über 2 Milliarden DM locker gemacht hat.
Meine Damen und Herren, für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion will ich ganz unmißverständlich deutlich machen, daß wir den Mütterurlaub so, wie wir ihn geplant haben, durchsetzen werden. Damit setzen wir uns für jene große Gruppe erwerbstätiger junger Mütter ein, die heute nach der Geburt ihres Babys und nach Ablauf der Mutterschutzfrist wieder in die Fabrik oder ins Büro zurück müssen. Wir wünschen, daß sich diese Mütter mehr ihren Babys widmen können, und wir wünschen, daß die Entscheidung zu einem Kind hierdurch erleichtert wird und durch die Sicherung des Arbeitsplatzes im übrigen auch der Raum der Freiheitsentscheidung erweitert wird. Jede Arbeiterin, jede Angestellte ist dafür auch dankbar.Zu dem Erziehungsgeld der CDU, auf das Frau Wex hier abgestellt hat, muß man folgendes sagen. In Niedersachsen läuft dazu ein Modell. Hierbei dürfen die erwerbstätige Frau und die Mutter, die Nur-Hausfrau ist — Sie sprechen ja immer von der Nur-Hausfrau —, nicht auseinanderdividiert werden. Sie müssen anders anknüpfen. Sie haben denselben Anknüpfungspunkt wie wir. Wenn Sie das doch endlich aufnähmen!
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wex?
Frau Wex, ich kann keine Zwischenfrage zulassen. Ich bin in derselben Schwierigkeit wie Sie.
Ich habe zwar Verständnis, aber doch nicht dafür, daß Sie bei Ihrem Erziehungsgeld, wie Sie es gefordert haben, bereit wären, unsere Konzeption des Mütterurlaubs finanziell dadurch zu entwerten, daß Sie sozusagen eine Art Volksbeglückung für alle Mütter wollen und im Grunde genommen das Geld auf 200 DM reduzieren wollen, wodurch es schließlich zu einer Geburtenprämie wird, die keinen strukturellen Schritt in die Zukunft bringt.
In dem familienpolitischen Grundsatzprogramm haben Sie inzwischen auch die rentensteigernde Berücksichtigung von Erziehungsjahren gefordert. Sie tun heute so, als ob das Ihre Erfindung und als ob es etwas Neues wäre. Darüber wundere ich mich natürlich. Denn 1972 war ja ein solcher Zeitpunkt. Wir hätten das Babyjahr längst haben können. Hieran darf und muß man erinnern. Ich bin natürlich dankbar, wenn hier erkennbar gemeinsame Wege sind, und ich freue mich, wenn die Opposition die Richtung einschlägt, die wir bereits 1972 aufgezeigt haben. Ich sage das deswegen, Frau Wex, weil Sie uns in der Familienpolitik immer Konzeptionslosigkeit unterstellen wollten. Wir haben ja schon 1972 an diese Dinge gedacht, die wir jetzt machen und spätestens 1984 gemacht haben
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10487
Frau Dr. Lepsiusmüssen. Das ist sozialdemokratische Familienpolitik.Verwunderlicher ist es allerdings schon, wenn Sie sich in der Opposition im Zusammenhang mit der Familienpolitik schwerpunktmäßig nunmehr auf das veränderte generative Verhalten in unserer Gesellschaft berufen. Es ist sehr lustig, daß bei den Rednern der Opposition der Begriff „generatives Verhalten" ausrutschte in „demographisches Verhalten", in „demagogisches Verhalten" und schließlich — bei Frau Geier — in „demoskopisches Verhalten".
Das mag ja alles zufällig sein. Aber Sie klammern sich hier an diese Frage, und sie ist ja auch wichtig. Das ist eine wichtige Frage, und man muß sich als Sozialpolitiker, als Familienpolitiker natürlich über demographische Daten und Prognosen Kenntnis verschaffen. Das ist klar. Aber in einem grandiosen Umkehrschluß kommen Sie dann von der Altersrente zu der Geburtenförderung und Geburtenprämie, und dies ist natürlich eine Richtung, die uns weder schmeckt noch die wir mitmachen können.
Hier gehen die Wege auseinander; das muß man in aller Deutlichkeit sagen.Ich will noch eine zweite ganz dezidierte Bemerkung zu dieser Gesamtproblematik machen. Wir Sozialdemokraten gehen keinen Schritt hinter die partnerschaftlichen Regelungen zurück, die wir beim Ehe- und Familienrecht beschlossen haben.
Wir gehen da nicht zurück, sondern wir wollen die Gleichberechtigung vorwärts bringen, und Gleichberechtigung von Mann und Frau heißt auch, daß Männer und Frauen die Größe ihrer Familien bewußt planen und sich aus Verantwortung für Kinder zu kleineren Familien entscheiden, als das früher der Fall war. Diese Veränderungen des generativen Verhaltens hängen im übrigen mit der Industrialisierung zusammen, und wir alle wissen, daß dies ein sensibler Bereich ist.Als Politiker können wir den individuellen Freiheitsraum immer nur konkret durch lebensnahe Gesetze erweitern und damit die Entscheidung für Kinder in den Familien erleichtern. Lebensnahe Gesetze lassen sich nicht durch Ideologie ersetzen.
Dies gilt nach wie vor.
Ich fasse zusammen: Nach der Wertordnung unseres Grundgesetzes haben wir in den vergangenen zehn Jahren sozialdemokratische Familienpolitik durchgesetzt. Wir wissen, wie es weitergeht, und wir werden mit unseren Leistungen vor den Bürgern bestehen.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag auf Drucksache 8/2491 auf. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2484 Ziffer 9 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 8/2411, 8/2470 — Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Interfraktionell sind für diese Aussprache zwei Stunden verabredet worden. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird den Einzelplan 11 auch in diesem Jahr ablehnen.
Das wird wohl alle diejenigen zumindest nicht überraschen, die sich wie wir dieses grandiosen Täuschungsmanövers nach wie vor sehr deutlich erinnern, welches die Bundesregierung in der Verschleierung der Situation in der Rentenversicherung vor, während und nach den Wahlen vorgenommen hat.
Man denkt auch nach der Regierungserklärung - das 21. Rentenanpassungsgesetz war ja ein gutes Beispiel — daran, diese Täuschung der Öffentlichkeit weiter fortzusetzen.
Selbst der Bundesarbeitsminister sagte bei einemKongreß der Gewerkschaft Textil und Bekleidung inHannover vor den Mitgliedern dieser Gewerkschaft:Es ist in konservativen Kreisen Mode geworden,über die Grenzen des Sozialstaats zu philosophieren und unter dem Stichwort „Reform dei
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10488 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinReformen" die teilweise Zurücknahme des seit 1969 Erreichten zu fordern. Gewerkschaften und Sozialdemokraten müssen diese Herausforderung annehmen und das Erreichte offensiv verteidigen.Was war denn das Handeln mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz? Wer hat denn Reformen zurückgenommen, und zwar eine der größten Reformen der Nachkriegszeit gerade im Bereich der Sozialpolitik?
Es war die Regierung der sozialliberalen Koalition.Gestern hat Herr Mischnick hier gewissermaßen entschuldigend für das Rentenpapier der FDP erklärt,
wir müßten doch Verständnis dafür haben, daß über so etwas gesprochen und nachgedacht werden könne; alles gelte natürlich erst für die Zeit nach 1980. Ich muß Ihnen, Herr Mischnick, sagen: Wir sind sensibilisiert für all das, was den Wahrheitsgehalt Ihrer Aussagen hinsichtlich der Rentenversicherung in den letzten Jahren betrifft.
Wie sollen wir es denn verstehen, daß jetzt schon bei der SPD von Besteuerungsplänen die Rede ist, zwar erst nach 1981 oder 1982? Aber wie sollen wir denn auch die Finanzplanung des Bundes verstehen, die für die Jahre 1980 und 1981 im Gegensatz zu all den Vorjahren keine Steigerungsraten im Sozialbereich ausweist?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, weil es mir auf die Redezeit angerechnet wird, kann ich das leider nicht machen.1978 steht der Finanzplan Sozialausgaben in Höhe von 67,2 Milliarden DM vor, 1979, also für dieses Jahr, 72 Milliarden DM — eine Steigerung von 5 Milliarden DM —, 1980 eine Ausgabe von 78 Milliarden DM, eine Steigerung von 6 Milliarden DM; und dann, oh Wunder, für die Jahre 1981 und 1982 keine Steigerung mehr im Bereich der Sozialausgaben.Ich wäre dem Herrn Arbeitsminister sehr dankbar, wenn er uns erklären könnte, was sich hinter diesem Wunder verbirgt.
Meine Damen und Herren, die Ablehnung des Einzelplans 11 ist aber auch Ausdruck unserer Mißbilligung der Art und Weise, wie der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit den Mitarbeitern des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung umgeht. Sie bedeutet Mißbilligung der Art und Weise, wie der Minister mit Gruppen und berufsständischen Organisationen in diesem Landeverfährt, wenn sie versuchen, den Freiraum zu nutzen, der ihnen nach dem Willen des Gesetzgebers zusteht.Ich meine mit meinem ersten Hinweis die Angelegenheit mit dem sogenannten Unzumutbarkeitserlaß der Bundesanstalt für Arbeit. Hier, wo die politische Verantwortlichkeit doch ganz klar ist, hat der Bundesminister in einem Zurückweichen vor linken Kritikern in der SPD-Fraktion einen Ministerialdirektor seines Hauses und seinen Unterabteilungsleiter über die Klinge springen lassen.
Was inhaltlich in diesem Erlaß steht, wurde von einer ganzen Reihe von Landesarbeitsämtern durchgeführt. Das steht, wenn ich es richtig gelesen habe, auch in etwa in der fünften Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz. Herr Ehrenberg war allenfalls geschickter als der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der seine Abteilungsleiter ausgerechnet zwei Tage vor der Haushaltsdebatte ausgewechselt hat.Ein interessanter Akzent in dieser ganzen Affäre ist noch, daß der Abteilungsleiter nach seiner Entlassung zu einem Essen in den doch sehr exklusiven Ambassador Club im Steigenberger Hotel eingeladen wurde. Das scheint für höhere Ministerialbeamte die Form des großen Zapfenstreichs zu sein, mit dem der Verteidigungsminister scheidende Generalinspekteure üblicherweise verabschiedet.
Ich habe gesagt, die Art und Weise, wie man in diesem Ministerium auch mit Organisationen und Gruppen unserer Gesellschaft umgeht, wird von uns mißbilligt. Die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Verbänden der Angestellten- und Ersatzkassen vereinbarte lineare Erhöhung der Ersatzkassenhonorare um 4 % mit Wirkung vom 1. Januar 1979 hat eine heftige Kontroverse ausgelöst, in die sich inzwischen auch Gewerkschafter und Politiker eingeschaltet haben. Dabei drängt sich der Eindruck auf, daß einige Beteiligte an der Konzertierten Aktion für das Gesundheitswesen den Rest an Selbstverwaltungsspielraum und Vertragsautonomie, der im Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz noch erhalten geblieben ist, zu beseitigen und durch Honorardiktat zu ersetzen wünschen. Wenn die Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Frau Anke Fuchs, hierin einen Angriff auf Inhalt und Wortlaut des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes sieht, so zeigt eine solche Erklärung einmal mehr, wie das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Vertragsfreiheit der Ärzte und der Krankenkassen durch ein Diktat des Ministeriums zu ersetzen gedenkt. Eine solche Auslegung des von uns geforderten Instrumentes der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen werden wir nicht zulassen, Herr Minister.Wir begrüßen ausdrücklich die Vereinbarungen zwischen Ersatzkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10489
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinWir wissen auch, Herr Bundesminister, daß dieser Vorgang zu einer Kontroverse mit Ihrem Koalitionspartner geführt hat. Alle sehr lauten Erklärungen des Ministeriums — strenge juristische Prüfung, bewußter Angriff usw. — wurden dann ja auch immer leiser, insbesondere nachdem sich Ihr Koalitionspartner in unserem Sinne geäußert hatte.Die Gegensätze zwischen FDP und SPD sind auch bei der Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz erkennbar. Offensichtlich ist das auch ein Grund, daß die Beratungen des Gesetzes eine solche Verzögerung im Ausschuß erfahren.Lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt eingehen. In der vorigen Woche habe ich dem Ministerium in der Fragestunde zwei Fragen gestellt. In der ersten Frage hatte ich um Auskunft über die Gesamtausgaben für den Bereich Krankenhaus in der gesundheitlichen Versorgung gebeten. Meine zweite Frage an den Minister lautete — ich darf das wörtlich zitieren —:Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse darüber, um wieviel sich der Personalkostenanteil an den Gesamtausgaben für den Bereich Krankenhaus erhöhen würde, wenn für alle im Krankenhaus Beschäftigten die 35-StundenWoche durch Tarifvertrag vereinbart würde?Soweit meine Frage.Die Antwort ist geradezu erstaunlich. Sie sagt nämlich: Die Auswirkungen einer solchen Arbeitszeitverkürzung könnten kaum berechnet werden; dem Ausmaß von möglichen Rationalisierungsmöglichkeiten und der möglichen zusätzlichen Belastung des vorhandenen Personals sei zu entnehmen, daß dies aufgefangen werden kann.Dazu stelle ich fest: Die Gesundheitsministerkonferenz hat noch vor wenigen Wochen gesagt, daß die durch einen Abbau des sogenannten Bettenbergs dann zur Verfügung stehenden zusätzlichen Arbeitskräfte im Krankenhausbereich durch die Entwicklung nicht nur absorbiert werden würden, sondern daß sogar weitere Kräfte eingestellt werden müßten. Ausgerechnet der Arbeitsminister, der mit seiner Partei die 35-Stunden-Woche unter anderem deswegen fordert, weil sie zusätzliche Arbeitsplätze schaffen solle, empfiehlt den Krankenhäusern, diese Schwierigkeiten durch Rationalisierung auf Kosten und zu Lasten der Patienten aufzufangen.
Noch etwas Bemerkenswertes. Der Bundesregierung, sagt der Arbeitsminister, liegen verwertbare Erkenntnisse zu diesem Fragenkomplex nicht vor. Auch dazu muß ich sagen: Ausgerechnet in einem Ministerium, in dem ein eigenes Referat für Gesundheitsökonomik und Gesundheitsplanung vorhanden ist und dessen verantwortlicher Minister auch für die Kostendämpfung im Gesundheitswesen verantwortlich ist, macht man sich keine Gedanken, was die 35-Stunden-Woche in einem so personalintensiven Bereich wie dem Krankenhaus kostenmäßig ausmacht. Ich muß sagen: Es ist leichtfertig, wenn man nicht zumindest für den Bereich,für den man selber Verantwortung und Ubersicht hat, ausrechnet, was an zusätzlichen Kosten entstehen kann.
Abschließend noch wenige Bemerkungen zum Haushalt. Bei einem Gesamtvolumen von 47 Milliarden DM — dies ist immerhin der größte Einzelhaushalt —, davon mehr als 42 Milliarden festgelegten Ausgaben, haben wir im Haushaltsausschuß über 700 Millionen DM einvernehmlich gestrichen und dadurch eingespart, davon 176 Millionen im Bereich des Zivildienstes.Der Bericht der Kollegen Löffler, Hoppe und Carstens sagt:Nachdem eine neue gesetzliche Konzeption für Kriegsdienstverweigerer auf Grund des Karlsruher Urteils für 1979 nicht zu erwarten ist, konnten die Zahlen auf 30 000 Dienstpflichtige für 1979 zurückgeführt werden.Meine Herren Berichterstatter, ich muß sagen: Das ist falsch. Zu dieser Einsparung ist es nämlich nicht auf Grund des Karlsruher Urteils gekommen, sondern weil der zuständige Minister, also der Arbeitsminister, in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsminister nicht in der Lage ist, ein vernünftiges Konzept für den Zivildienst vorzulegen.
Im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit haben wir 550 Millionen DM gestrichen. Wir haben von den verschiedensten Seiten in der Öffentlichkeit hören müssen, das sei ein Angriff auf die Selbstverwaltung. Ich möchte ausdrücklich klarmachen: Dies ist nicht der Fall. Wenn in der Zweckbestimmung dieses Zuschusses für die Bundesanstalt für Arbeit plötzlich durch andere Planungen eine Änderung herbeigeführt wird, muß aus Gründen der Haushaltswahrheit und -klarheit der Haushaltsausschuß dies zur Kenntnis nehmen und entsprechende Konsequenzen ziehen.Der Haushaltsausschuß, dem so viel am Zeug geflickt wird, hat überdies dem Bundesarbeitsgericht die Stellen für den siebenten Senat beschafft. Der Arbeitsminister, dessen Pflicht es gewesen wäre, beim Finanzminister durchzusetzen, daß der rechtsuchende Bürger die Möglichkeit erhält, sein Recht auch zu finden, hat dies nicht vermocht.
Wir haben die Stellen für den siebenten Senat einvernehmlich beschlossen. Sie sehen daran — ich komme zum Ende, Frau Präsident —, daß wir Entscheidungen treffen, die die allgemein verbreitete Meinung widerlegen, der Haushaltsausschuß sei nur mit spitzem Stift tätig.Ich darf im Anschluß an die mir eingeräumte Redezeit, Frau Präsidentin, gleichzeitig den Entschließungsantrag auf Drucksache 8/2490 begründen. In diesem Entschließungsantrag fordern wir, die Aufwandsentschädigung für den Beauftragten der Bundesregierung für die Integration ausländischer Ar-
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10490 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu streichen.
Mit diesem Antrag werden wir durchaus dem Wunsch gerecht, die Probleme der Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer, insbesondere ihrer Familien, als vordringlich anzusehen. Allein die Tatsache, daß zwei Drittel der Ausländerkinder ohne Schulabschluß bleiben, muß allen Verantwortlichen zu denken geben. Aber eine eigene Unterabteilung im Arbeitsministerium, eine Bund-Länder-Gruppe und viele Organisationen, die sich um diesen Bereich kümmern, werden durch einen noch so aktiven Bundesbeauftragten nicht nur nicht ersetzt, sondern allenfalls in ihrer Arbeit gestört.
Was soll dieser arme Bundesbeauftragte eigentlich in den anderthalb Jahren machen?
Denn Mitglieder der SPD, der FDP und der CDU — nicht alle, aber die Mehrheit — haben doch beschlossen, daß diese Stelle 1980 wieder kw gestellt wird. Das heißt, sie wird nur für anderthalb Jahre eingerichtet. Was will denn Herr Kühn in dieser Zeit bewegen?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie einen Hinweis. Wir rechnen diese Zeit Ihren Kollegen ab. Denn wir haben die zwei Stunden aufgeteilt. Ich kann es leider nicht anders machen. Ich darf Sie nur darauf aufmerksam machen.
Ich höre jetzt auf und will nur noch zwei Sätze sagen.
Ausgerechnet einem Mann, der erkennbar den Zenit seiner Gestaltungskraft überschritten hat — —
— Würde ich auch sagen. Denn dieser Ausspruch stammt nicht von mir, sondern von dem Unterbezirksvorsitzenden der SPD, dem Landtagsabgeordneten Herrn Bäumer.
Einem Mann, einem verdienten Mann, der auch hier in diesem Bundestag sich verdient gemacht hat, dessen Ausscheiden aus dem Amt des Ministerpräsidenten von seinen eigenen Genossen als längst überfällig gefordert worden war, einem solchen Mann tun Sie keinen Gefallen, wenn Sie ihm diese Aufgabe anvertrauen, für die ein anderer, nämlich das Ministerium, nicht nur zuständig ist, sondern in den letzten Jahren bereits die Verantwortung getragen hat und dieser Verantwortung leider nicht gerecht wurde.
Das Wort hat der Abgeordnete Grobecker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Wittgenstein, Heinz Kühn takeln Sie nicht so ab, wie Sie das mit Ihrem Kohl hier machen. Das bilden Sie sich mal nicht ein. Mit solchen Mätzchen geht das nun nicht.
Entweder Sie haben sachlich etwas einzuwenden gegen die Einrichtung eines solchen Beauftragten — und sachlich ist nichts einzuwenden, das haben wir ja eben gehört —, oder aber Sie lassen die Finger von Heinz Kühn. Was dieser Mann geleistet hat, das müssen Sie erst einmal nachmachen.
Sie müßten eigentlich wissen, daß die Kompetenzen des Bundes gegenüber den Schwierigkeiten und Problemen für ausländische Arbeitnehmer außerordentlich eingeschränkt sind. Sie wissen so gut wie ich, daß man da eigentlich nur etwas tun kann, indem man sozusagen mit jeder einzelnen Länderregierung und Kommune Gespräche führt, daß man da nicht einfach von der Bundesregierung aus sagen kann: so und so wird das nun gemacht. Vielmehr braucht man jemanden, eben so einen Mann wie Heinz Kühn, der überall bekannt ist, der Vertrauen hat, der auch versuchen kann zu koordinieren. Die Stelle ist ja nicht irgendsowas, sondern es ist eine Koordinationsfunktion. Deshalb haben wir geglaubt, wir müßten da mitmachen.Wogegen wir uns gewandt haben — das haben Sie nicht gesagt, das überlassen Sie mir —: wir wollten keine neue Stellen schaffen, wir wollten natürlich eine Aufwandsentschädigung geben — das ist klar — für den Fall, daß Aufwand entsteht, und wir wollten einen Beauftragten haben. Aber wir wollten keinen neuen Apparat haben. Dagegen haben wir uns gewandt. Da haben Sie recht. Jetzt wollen wir das mal ausprobieren, wie das funktioniert. Lassen Sie das mal anderthalb Jahre, zwei Jahre laufen. Dann wollen wir gucken, ob das erfolgreich ist.Das gleiche gilt ja für das Arbeitsgericht. Herr Wittgenstein, ich finde es gut, daß Sie ausdrücklich sagen, wir hätten das einvernehmlich gemacht. Aber ich hätte Sie mal sehen mögen, wenn der Arbeitsminister gekommen wäre, wo wir doch ganz deutlich rechtzeitig signalisiert haben, restriktiv mit den Personalausgaben zu sein.
— Na sicher, der Finanzminister hat das gemacht. Wir haben das im vorigen Jahr gemacht. Wir haben gesagt: Kommt uns ja nicht mit neuen Beamtenstellen. Wenn der Arbeitsminister mit derart kostspieligen Stellen gekommen wäre, wie die Richter dort in Kassel haben müssen! Deshalb haben wir gesagt, daß wir das nur einvernehmlich über das Parlament machen können, damit die Dinge in Kassel schneller laufen, damit unsere Kollegen, die Arbeitnehmer, nicht zwei, drei Jahre lang auf ihre Urteile warten müssen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10491
GrobeckerWenn das der Minister gemacht hätte! Sie wollen ihm die Verantwortung zuschieben. Das ist nicht richtig. Das kann nur einvernehmlich, auch mit dem Finanzminister, gemacht werden.
Im übrigen will ich Ihnen einmal etwas sagen, Herr Wittgenstein. Was immer Sie hier zur Kostendämpfung gesagt haben — auch für den Fall, daß es einmal Fingerhakeleien untereinander gibt —: Sie kriegen mit solchen Mätzchen die Koalition nicht auseinander. Im Gegenteil. Wir beweisen damit, daß es bei uns lange Diskussionen, langfristige Meinungsbildungsprozesse gibt. Wenn wir dann zuschlagen, dann machen wir auch anständige Gesetze. Das hat ja das Kostendämpfungsgesetz gezeigt. Wir haben ja Erfolg. Das paßt Ihnen nicht.
— Natürlich haben wir Erfolg damit. Es paßt Ihnen nicht, daß wir inzwischen wesentlich weniger Geld ausgeben. Nun fangen Sie hier an zu schüren. Die Freien Demokraten sind keine Sozialdemokraten, und wir sind auch keine Freien Demokraten. Das ist der Punkt. Wir reden darüber, was wir machen können und was wir nicht machen können. Sie werden sehen, daß läuft wie geflutscht, und zwar über 1980 hinaus. Darauf können Sie sich verlassen.
— Sehen Sie, wie das jetzt wieder geht?
Im Zusammenhang mit dem sogenannten Wirtschaftsgipfel — ich mag das Wort auch nicht so gern —, der im Sommer stattgefunden hat, konnten wir alle miteinander feststellen — wir haben das ja inzwischen, jedenfalls teilweise, vollzogen —, daß die Sozialpolitik eben nicht am Ende ist, sondern daß wir sozusagen integriert mit Wirtschafts- und Finanzpolitik auch die Sozialpolitik als ein wichtiges konjunkturförderndes Instrument einsetzen. Es ist nicht so, daß man erst neue Sachen hat erfinden müssen, sondern sie waren fertig. Es sind ja alte, uralte Forderungen der Sozialdemokratie, z. B. die Forderung, bei den Schwerbehinderten die flexible Altersgrenze herunterzusetzen. Dies ist der Zeitpunkt gewesen. Ich sage das deshalb, weil natürlich Herr Wittgenstein als echter Konservativer auch zu denen gehört, die sagen: In der Rezession ist die Sozialpolitik am Ende. Es gibt keine Sozialpolitik mehr. — Das stimmt nicht. Wir haben Ihnen dies bewiesen. Erstens: Die flexible Altersgrenze für Schwerbehinderte ist seit dem 1. Januar schon jetzt um ein Jahr heruntergesetzt, und sie wird im nächsten Jahr noch einmal úm ein Jahr heruntergesetzt. Zweitens wird der viermonatige Mutterschutzurlaub im nächsten Jahr in Kraft gesetzt. Wir haben den Gesetzentwurf vorliegen. Wir werden ihn hier behandeln. Das sind zwei wesentliche Punkte. Das gleiche gilt auch für das Gesetz über die kostenlose Beförderung von Schwerbehinderten. Das sind drei wesentliche Gesetze, die jetzt — in rezessiven Zeiten — behandelt und verabschiedet werden, weil sie dazu beitragen, Konjunkturtiefen zu überwinden. Das bedeutet nicht, daß wir an Stelle von Konjunkturpolitik jetzt Sozialpolitik machten; aber umgekehrt gilt eben auch nicht, daß in der Rezession etwa die Sozialpolitik am Ende sei.
Meine Damen und Herren, ich will noch ein paar Takte zu dem sagen, was am Arbeitsmarkt los ist. Sie haben die Beschlüsse des Haushaltsausschusses ja eben noch einmal unterstrichen. Es ist eine Tatsache, daß wir 1978 weniger Arbeitslose haben und daß wir mit der ganz vorsichtigen Prognose, mit der wir jedenfalls, die Haushaltspolitiker, versuchen, 1979 einzuschätzen, immerhin in der Lage waren, den Bundeszuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit um 550 Millionen DM gegenüber dem Entwurf zu senken. Das ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Konsolidierung der Bundesfinanzen, sondern es zeigt deutlich und ist der Beweis dafür, daß die Konjunktur angezogen hat, daß es ein zartes Pflänzchen ist, aber daß wir eben nicht mehr so viel Geld nach Nürnberg überweisen müssen, weil wir weniger Arbeitslose haben.
In diesem Augenblick haben Sie Anträge gestellt, noch einmal tüchtig hinzulangen. Sie wollten noch einmal 200 oder 300 Millionen DM mehr haben. Sie wollten ursprünglich i Milliarde DM weniger Zuschüsse nach Nürnberg überweisen. Ich meine jetzt auch die Gewerkschafter unter Ihnen. Hier beim Einzelplan 11 treten sie ja immer auf. Sonst sind sie in Ihrer Fraktion nirgends zu sehen.
Ich sage das ohne Häme; im Gegenteil. Herr Wehner hat gesagt, er bemitleidet Kohl. Bei mir ist das immer so: Ich bekomme Mitleidsgefühle, wenn ich einen anständigen Gewerkschafter in den Reihen der CDU sehe. Das ist schon ein schweres Leben für Sie, das sehe ich ein.
— Ich meine ja die richtigen Gewerkschafter, die imDGB. Sie meine ich ja nicht. So ist das nicht gemeint.Ich wollte nur sagen, daß wir mit diesem Einzelplan 11 das, was bei der Arbeitsmarktpolitik notwendig ist, für 1979 beschließen werden. Wir glauben, daß man davon ausgehen kann, daß die Bundesanstalt mit dem Zuschuß von 2,2 Milliarden DM auskommt.Es ist richtig, Herr Wittgenstein, dies muß auch noch einmal geklärt werden: Wenn wir Zuschüsse überweisen, darf uns das Selbstverwaltungsorgan bei der Bundesanstalt in Nürnberg, der Verwaltungsrat, nicht vorwerfen, daß wir im Haushaltsausschuß unser Budgetrecht in Anspruch nehmen. Das muß klar und möglichst einvernehmlich klar sein. Der Rechnungshof hat uns ein Gutachten vorgelegt, das wir im Haushaltsausschuß, Her Windelen, noch einmal behandeln werden. Aus diesem Gutachten
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Grobeckergeht hervor, daß in dem Augenblick, da wir Zuschüsse leisten, diese Zuschüsse nicht in Nürnberg festgelegt werden, sondern bei uns. Dann wird darüber geredet, wie die Bundesanstalt ihren Haushalt mit unseren Zuschüssen zu gestalten hat. Es geht nicht, daß das Budgetrecht des Parlaments mißachtet wird.Herr Wittgenstein, ich sehe ja ein, daß die Situation Sie furchtbar ärgert. Deshalb haben Sie ja auch noch einmal versucht, das mit .der Rentenversicherung hochzuziehen, und zwar so, als sei da etwas nicht in Ordnung.
Im Gegenteil — das wissen Sie so gut wie ich —: Inzwischen gibt es bei den Rentenversicherungsanstalten wieder Überschüsse von 2,5 Milliarden DM, die 1978 entstanden sind. Das kann man jetzt abschätzen; es kann etwas mehr, es kann etwas weniger werden. Das Konsolidierungsprogramm hat gegriffen. Das ist so!Eines der besten Beispiele für die Substanzlosigkeit Ihrer Fraktion ist die Tatsache, daß Sie sich aus den Beratungen sozusagen zurückgezogen haben, weil Sie keine finanziell machbare Alternative zu unserem Konsolidierungsprogramm gehabt haben.
Jetzt, da wir feststellen, daß das Konsolidierungsprogramm läuft, versuchen Sie, die Angelegenheit auf andere Weise aufzuzäumen.Was die Integration der ausländischen Arbeitnehmer angeht — abgesehen von der Einrichtung eines Beauftragten —, so sind die entsprechenden Mittel im Einzelplan 11 um 25 % aufgestockt worden. Diese Erhöhung ist hauptsächlich für Förderungs- und Betreuungsmaßnahmen ausländischer Jugendlicher vorgesehen. Von den gegenwärtig in der Bundesrepublik lebenden 4 Millionen Ausländern sind 950 000 Kinder unter 16 Jahren. Das ist eine neue Entwicklung, die man vor vier oder fünf Jahren so noch nicht hat absehen können.Ich will nicht die Debatte über den Einzelplan 15 wiederaufnehmen, wohl aber vorsichtig dies sagen: Kinder gibt es genug. Ich sage das mit der notwendigen Zurückhaltung und bitte das nicht mißzuverstehen. Daß man die Schwierigkeiten in bezug auf die nachziehenden Kinder unserer ausländischen Arbeitnehmer bewältigen muß, vor allen Dingen dort, wo der Knick zwischen dem Schulabgang und dem Eintritt in das Berufsleben ist — dort muß man entsprechende Kurse anbieten —, haben wir im Haushaltsausschuß eingesehen. Das beweist, daß wir eben nicht nur Fiskalisten sind, sondern daß wir Politik machen. Deshalb haben wir den Etat entsprechend aufgestockt. Wir hoffen, daß der Bundesminister für Arbeit und die freien Verbände, die in diesem Bereich tätig sind, diesbezüglich erfolgreich arbeiten können.Das gleiche gilt für das Kostendämpfungsgesetz. Wir haben vorhin schon einmal darüber geredet. Wir haben — Sie werden sich daran erinnern, Herr Wittgenstein — zwischen 1970 und 1975/76 im Gesundheitswesen jährliche Kostensteigerungen von 20 % gehabt. Dieses Gesetz ist mit der notwendigen Vorsicht zu betrachten, und es bedarf einer Ergänzung. Ich weiß, daß Sie sich sehr genau in dieser Materie auskennen. Tatsache ist aber, daß wir auf eine Steigerungsrate von 6 % heruntergekommen sind.
Wir haben von 20 % auf 6 % abgeflachte Steigerungsraten im Gesundheitsbereich. Das bedeutet, daß wir Geld freischaufeln für den Ausbau des Gesundheitsbereichs, aber nicht, weil irgend jemand das in die Tasche stecken will. Wir mußten einfach zu Einsparungen kommen. So ging das nicht weiter. Sonst hätten wir das nicht ausbauen können.
Dann können Sie sich hier nicht hinstellen — ich kenne Sie ja sonst doch anders — und kleinlich sagen: Das und jenes ist noch nicht so weit. Warten Sie doch mal ab! Bei dem Minister, der die Rentenkonsolidierung hingekriegt, der das Kostendämpfungsgesetz durchgesetzt hat, kommt auch noch der Rest,
und zwar in dieser Legislaturperiode; darauf können Sie sich verlassen.
Ein Wort zum Zivildienst. Herr Wittgenstein, da würde ich vorsichtig sein. Keiner wirft Ihnen vor, daß Sie nach Karlsruhe gegangen sind; das ist Ihr gutes Recht. Daß das Gesetz so nicht akzeptiert wurde, ist nun wieder das Bier des Gerichtes. Aber man sollte nicht die Konsequenz daraus ziehen, die Koalition oder die Bundesregierung sei verantwortlich dafür, daß die Zivilplätze nicht besetzt werden können, weil es einen Stau gibt. Wir haben — das wissen Sie doch besser, das können wir hier doch nicht einfach so vertuschen — die Planstellen aus dem Verteidigungsministerium herausgenommen und in die Zivilverwaltung gebracht, damit dort nach unserem Gesetzentwurf zukünftig die Betreuung erfolgen kann. Nun mußten wir das nach dem Urteil revidieren. Das heißt, wir haben die Stellen wieder zum Verteidigungsministerium gebracht. Nun können Sie doch nicht sagen, das müsse genauso flutschen wie vorher. Im Gegenteil! Diese üblen, zu Recht kritisierten Prüfungsverfahren
sind wieder aufgenommen • worden. Das bedeutet, daß versucht wird, diese albernen Gewissensprüfungen Stück für Stück durchzusetzen. Das gibt einen Stau. Deshalb wissen wir, daß nicht mehr als 30 000 Zivildienstleistende in diesem Jahr vermittelt werden können. Es gibt inzwischen wesentlich mehr Stellen, weil wir den Ansatz im letzten Jahr im letzten Haushalt um 50 Millionen DM aufgestockt haben. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Ich bin jedenfalls der Auffassung, daß wir — und
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GrobeckerSie sollten dazu beitragen — möglichst schnell ein gemeinsames, interfraktionelles Gesetz einbringen können.
— Aber ich bitte Sie, an wen richten Sie denn die Kritik? Dann bitte auch an Ihre Fraktion. Es ist die felsenfeste Absicht, weil es zu einem Gerichtsbeschluß gekommen ist, ein Gesetz zu erarbeiten, das einvernehmlich über die parlamentarischen Hürden gebracht werden kann. Nun können Sie doch nicht uns allein kritisieren. Wir sind doch längst so weit. Wir haben unsere Vorschläge doch auf den Tisch gelegt. Wir haben in der Verteidigungsdebatte gehört, daß es die ersten Gespräche gegeben hat. Es ist nicht fair, uns vorzuwerfen, wir oder das Ministerium hätten geschlurt.Ein letztes Wort zur Forschungsförderung. Dies ist ein relativ kleiner Posten in dem Rieseneinzelplan 11. Diese Forschungsförderung ist im Bereich der Humanisierung und der ergänzenden Maßnahmen dringend notwendig. Ich will, was diesen Punkt angeht, deutlich herausstellen, daß ich den Zielen dieser Forschung im Ressort — natürlich auch beim BMFT, aber in diesem Bereich besonders — und den Ausgaben, die dafür notwendig sind, große sozialpolitische Bedeutung zumesse. Es geht darum, Probleme zu lösen, die die technisierte Arbeitswelt und der technologische Fortschritt stellen, z. B. Fragen der Gestaltung der Arbeitsplätze, der Verminderung der Arbeitsbelastung, des Lärmschutzes, des Schutzes vor gefährlichen Arbeitsstoffen usw. Was ich bemängele, Herr Minister, und was wir im Haushaltsausschuß. aufgegriffen haben, ist, daß dieser Etat „Forschungsförderung" ein bißchen nach Bauchladen aussieht, daß reichlich viele kleine Sachen gemacht werden.
Es ist kein Etat, der für Wissenschaftler sozusagen die Arbeitslosigkeit vermeiden soll — so gut das für Sie als Arbeitsminister auch ist —, sondern es ist ein Etat, von dem wir Ergebnisse erwarten, die man in Tarifverträge, in Betriebsvereinbarungen umsetzen kann. Deshalb bitte ich Sie, darauf zu achten, daß diese — wie ich zugeben will — geringen Mittel gezielt eingesetzt werden, daß man über ein Jahr oder über zwei Jahre hin verfolgt, was für uns in den Betrieben notwendig ist — wenn ich das einmal als Gewerkschafter so sagen darf —, und daß man dies erforscht, damit man anschließend damit umgehen kann.Meine Damen und Herren, man kann in dieser kurzen Zeit nur auf einige wenige Fakten aus diesem Etat eingehen. Ich weiß, daß die erste Runde der Nur-Berichterstatter aus dem Haushaltsausschuß eigentlich auch nicht die sozialpolitische Runde ist; diese bestreiten die großen Sozialpolitiker.
— Das geht Herrn Wittgenstein so wie mir. Dennoch ging es darum, deutlich zu machen, daß in diesem Etat noch ein paar andere Dinge darinstecken als nur das jeweilige Tagesthema, das jetzt wahrscheinlich von Ihnen behandelt wird. Es stecken ein paar Dinge mehr darin. Wir jedenfalls sind der Auffassung, daß dieser Etat auch durch den Haushaltsausschuß so gestaltet und geknetet worden ist, daß er annehmbar ist. Ich wundere mich sehr, daß Sie als Gewerkschafter da nicht mitziehen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war eigentlich etwas traurig, als ich gehört habe, daß Sie für die Opposition sprechen, Prinz zu Sayn-Wittgenstein. Ich hatte mit Herrn Franke gerechnet. Ich war deshalb traurig, weil ich gedacht habe: Das ist ein so anständiger und mäßigender Mensch, das gibt nicht viel Ansatzpunkte. Ich bin aber angenehm überrascht. Sie haben genug Ansatzpunkte geboten.Mit zehn Minuten steht mir nicht viel Zeit zur Verfügung. Ich will deshalb nicht nur schnell reden, sondern mich auch möglichst komprimiert ausdrücken. Fangen wir mit dem Zivildienst an. Prinz zu Sayn-Wittgenstein, ich muß Ihnen dasselbe sagen, was wir gestern in der verteidigungspolitischen Debatte schon Herrn Wörner gesagt haben: Sie sollten einmal zur Kenntnis nehmen — vielleicht könnten die Pressedienste der FDP- und der SPD-Fraktion einmal ein Rundschreiben durch die CDU/CSU-Fraktion gehen lassen —, daß bereits seit dem vorigen Jahr in dieser interfraktionellen Kommission miteinander verhandelt wird, daß ein Vorschlag des BMA, eine Stellungnahme des BMA längst vorliegt. Machen Sie doch aber uns nicht zum Vorwurf, wenn das aus strukturellen und hierarchischen Gründen Ihrer Fraktion und auch auf Grund von Informationsmängeln nicht bis zu Ihnen durchdringt.
Ich halte das natürlich so langsam für peinlich, wenn sich die Vertreter Ihrer Fraktion, z. B. Frau Tübler und Herr Dr. Kraske, redlich in zähem Ringen mit uns bemühen, etwas Vernünftiges zu produzieren, wir im Einvernehmen sind, daß wir den Pressekrieg im Interesse der Sache einstellen wollen, damit hier nicht Positionen aufgebockt werden, von denen keiner mehr herunter kann, und Sie dann aber dasselbe tun wie Herr Dr. Wörner und hier plötzlich wild um sich schlagen. Ich bedaure die Kollegen Ihrer Fraktion, die mit uns zusammenarbeiten müssen, denn man muß langsam den Eindruck bekommen, sie sprächen gar nicht für die CDU/CSU-Fraktion, weil der Rest der Fraktion offensichtlich gar nicht weiß, daß sie mit uns im Gespräch sind.Ich muß auch eines zurückweisen: Selbstverständlich sind die Streichungen auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden. Wenn wir noch nicht einmal die offenen
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HölscherStellen, die bei den Trägern vorhanden sind, besetzen können, brauchen wir auch nicht mehr Mittel für zusätzliche Plätze. Hier liegt im Grunde genommen das Hauptproblem, daß wichtige soziale Funktionen bei einigen sozialen Einrichtungen gar nicht mehr erfüllt werden können, weil wir nicht zuviel Kriegsdienstverweigerer, sondern zuwenig Zivildienstpflichtige haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch etwas Inhaltliches sagen. Man kann auch in der Kommission darüber reden, aber Sie haben das Thema angesprochen. Für uns als Liberale ist es z. B. sehr wichtig, daß wir einen vernünftigen Verwaltungsunterbau bekommen.
Dies ist sicher nur unter Mitwirkung des Bundesrates möglich. Ich hoffe hier wirklich auf die konstruktive Mitarbeit der Vertreter der Opposition im Bundesrat, damit alles in eine Form kommt, die es möglich macht, daß sich Mängel aus der Vergangenheit nicht wiederholen. Wir sind allerdings als Koalitionsfraktion auch der Meinung — ich hoffe, Sie kennen unseren Vorschlag —, daß wir den Weg, den uns das Verfassungsgerichtsurteil auch anbietet, nämlich den Weg über die Ausgestaltung des Zivildienstes, gehen und weiterhin auf ein Prüfungsverfahren verzichten sollten, weil wir der Meinung sind, daß jede Gewissensüberprüfung, welcher Art auch immer, möglicherweise wieder dazu führt, daß eben Grundrechte nicht frei wahrgenommen werden können.Ein anderes Thema, das Sie ansprachen, Prinz zu Sayn-Wittgenstein, ist das des Bundesbeauftragten für ausländische Arbeitnehmer. Ich sage Ihnen in aller Offenheit, man kann wirklich geteilter Meinung sein, ob man einen Bundesbeauftragten dieser Art braucht, zumal wir Bundesbeauftragte haben, die uns nicht nur eitel Freude bereitet haben. Ein bißchen unfair finde ich aber, daß Sie einen verdienten Politiker, bevor er überhaupt eine Chance bekommen hat, zu zeigen, was er auf diesem Gebiet zu leisten vermag, von vornherein abqualifizieren. Dies hätte ich eigentlich gerade von Ihnen, Prinz zu SaynWittgenstein, nicht erwartet.Dann haben Sie das Thema der Renten angesprochen. Sie haben von einem Täuschungsmanöver geredet, von Verschleierung der Situation in der Rentenversicherung. Sie haben sogar behauptet, mein Fraktionsvorsitzender Mischnick habe sich gestern für unsere Thesen zur Neuordnung der Rentenversicherung entschuldigt. Er hat sich nicht entschuldigt, weiß Gott nicht. Ich glaube, Herr Mischnick war stolz darauf, und ich bin auch stolz darauf, daß ein Papier, das noch nicht einmal in meiner eigenen Partei bis zu Ende diskutiert, geschweige denn beschlossen worden ist, offensichtlich so viel Interesse findet, daß es sogar im Bundestag beraten wird.
Darüber kann eine Partei eigentlich nur sehr froh sein.
Herr Mischnik hat sich nicht entschuldigt, sondern hier deutlich gemacht, daß wir eine Partei sind, die es jedenfalls für unverantwortlich hielte, eine Rentenpolitik nur bis zum Tellerrand des Jahres 1980 oder 1982 zu machen, eine Partei, die gerade im Hinblick auf die Bundestagswahl 1980 den Wählern sagen will, wo es in der Rentenpolitik entlanggehen wird, wenn es nach der FDP ginge.
— Ich will nicht noch einmal auf die Ursachen, die zu den Finanzierungsproblemen geführt haben, zurückkommen. Darüber haben wir in diesem Hause schon sehr ausführlich diskutiert. Aber wir waren es nun wirklich, die bei der Bundestagswahl auf diese Ursachen, auf die Zusammenhänge ökonomischer Art — Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Stabilität — hingewiesen haben. Wir haben auch konkrete Lösungsvorschläge bei der Bundestagswahl und nicht erst nach der Bundestagswahl gemacht. Ich habe den Eindruck, Sie kritisieren die Tatsache, daß wir uns in der Partei überlegen, wie es denn nach 1982 weitergeht. Sie kritisieren etwas, was eigentlich selbstverständlich sein sollte und was die Wähler draußen nicht nur von uns, sondern von allen Parteien erwarten, nämlich daß ihnen die Parteien klipp und klar sagen: Was ist los, wie soll es weitergehen, wenn ihr Verantwortung tragt? Warum kritisieren Sie also, daß sich die FDP überlegt, wie eine Neuordnung unseres Rentensystems nach 1982 aussehen könnte? Wenn Sie uns bereits die Tatsache ankreiden, daß sich eine Partei redlich um ein neues Rentenrezept bemüht, schaden Sie sich letztlich selbst. Denn der Wähler wird dann merken, daß Sie im Grunde genommen nicht sagen wollen, wie es nach Ihrer Meinung weitergehen soll, sondern daß Sie Nebelwerfer aufstellen, rosaroten Dunst verbreiten und den Eindruck erwecken, aus diesem Dunst heraus würden Sie dem Rentner den blauen Himmel holen.
Ich glaube, das durchschaut der Wähler sehr schnell. Dabei haben Sie ja ein Konzept. Jetzt rechnen wir mal auf. Ich will versuchen, in den paar Minuten, die mir noch verbleiben, so ein bißchen den Dunst aufzulösen.Sie haben ein Konzept. Das stellen Sie natürlich nicht in der Tagespresse, sondern in Fachzeitschriften vor. Der Herr Kollege Franke war so offen, dies auch noch mal deutlich zu machen. Sie sagen einerseits, wenn es nach Ihnen ginge, würden die Renten wieder Jahr für Jahr brutto erhöht, so wie es bis zum vorigen Jahr der Fall war; das sagen Sie.
Im Kleingedruckten erscheint dann bei Ihnen etwas von einem Krankenversicherungsbeitrag, der im Grunde genommen überhaupt keiner ist; denn die Krankenversicherung bekommt hiervon nicht einen
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HölscherPfennig. Dies ist ein Rentenabschlag, allerdings ein willkürlich bestimmter Rentenabschlag,
der sich von unserem Rentenabschlag dadurch unterscheidet, daß er überhaupt keine Ankuppelung an die wirtschaftliche Entwicklung hat.
Jetzt habe ich mir das einmal schnell aufgeschrieben. Sie brauchen keinen Taschenrechner; das können Sie so nachvollziehen. FDP-Vorschlag: Rente 1 000 DM in diesem Jahr, Bruttoerhöhung für das nächste Jahr 50 DM, macht zusammen 1 050 DM; nach unserem Konzept 20 °/o Abschlag von den 50 DM Erhöhung, macht 10 DM; es verbleibt eine neue Rente 1 040 DM. Nun der CDU-Vorschlag — und darum geht es mir, einmal wirklich auszuliften, was dahintersteckt —; dies ist goldgeprägt — brutto 50 DM Zuschlag; das macht wie bei uns 1 050 DM. Jetzt kommt bei Ihnen das Kleingedruckte: davon 4 % — Ihr Vorschlag, 20. Rentenanpassungsgesetz —,
als Krankenversicherungsbeitrag, macht 42 DM; es verbleiben 1 008 DM. Nach unserem Konzept würde der Rentner netto 40 DM mehr kriegen, nach Ihrem Konzept — nachzulesen im 20. RAG — 8 DM.
— Nein, ich kann keine Zwischenfrage gestatten; sie wissen auch, aus welchen Gründen. Ich habe nur noch eine Minute, Herr Kollege Franke.
Deshalb würde ich sagen: Vergrößern Sie Ihr Kleingedrucktes;
blasen Sie den Nebel, den Sie hier verbreitet haben, einmal weg! Dann können wir uns sachlich auseinandersetzen.
Es wäre noch viel zu sagen. Abschließend will ich nur sagen: Selbstverständlich stimmen wir diesem Haushalt zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich das eigentliche Thema meiner Debattenrede angehe, möchte ich zu dem massiven Überwechseln führender sozialdemokratischer Gewerkschaftler ins Europäische Parlament folgendes klarstellen, weil das hier gestern eine Rolle gespielt hat.
Erstens. Niemand bestreitet den Herren Vetter, Loderer und Hauenschild das Recht, für ihre Partei
für ein deutsches oder ein europäisches Parlament zu kandidieren.
Zweitens. Es ist aber ein Unterschied, ob der Vorsitzende der deutschen Einheitsgewerkschaft, ob die Vorsitzenden zweier großer Gewerkschaften der deutschen Einheitsgewerkschaft oder andere Gewerkschaftsvertreter für das Europäische Parlament kandidieren.
Drittens. Heinz-Oskar Vetter ist der Vorsitzende des Europäischen Gewerkschaftsbundes und bringt in diesen für die europäische Politik wichtigen Verband das Gewicht der deutschen Einheitsgewerkschaft ein, in der Arbeitnehmer der verschiedenen Weltanschauungen und der unterschiedlichsten politischen Richtungen vereint sind. Sein Überwechseln in die sozialistische Fraktion des Europäischen Parlament schwächt die Position der deutschen Einheitsgewerkschaft.
Der Vorsitzende des Europäischen Gewerkschaftsbundes Vetter wäre mir ein sicherer Garant europäischer Arbeitnehmerpolitik als ein Mitglied einer sozialistischen Fraktion.
Mit einer solchen Kandidatur für die Sozialdemokratische Partei wird Vetter zum Wahlkampfgegner auch der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Auf diese Weise kann der DGB-Vorsitzende eine wichtige Klammerfunktion in der Einheitsgewerkschaft verlieren.
Dieser Preis ist mir zu hoch, als daß er den taktischen Überlegungen einer Partei geopfert werden dürfte.
Das, meine Herren, sind die Bedenken der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft, die wir in Briefen und Stellungnahmen deutlich gemacht haben. Wir bestreiten niemandem das Recht zur Kandidatur. Aber, meine Damen und Herren, nicht alles, was erlaubt ist, ist auch politisch klug.
Herr Kollege, ich muß nur darauf hinweisen, daß das eigentlich nichts mit dem Haushalt zu tun hat.
Aber da es sicherlich eine bedeutsame Mitteilung war, habe ich es ausnahmsweise erlaubt.
Frau Präsidentin, ich habe diese Problematik auf Grund der gestrigen Rede des Bundeskanzlers angesprochen; von mir aus hätte ich sie nicht angesprochen.
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Müller
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Diskussion des Haushaltsplans des Bundesministers für Arbeit gibt Gelegenheit, die Sozialpolitik der Regierung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Das scheint mir auch dringend notwendig zu sein, denn hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinander.
Diese Widersprüche gilt es deutlich zu machen.
— Sie brauchen sich nicht zu melden; ich lasse wegen der Zeit keine Zwischenfragen zu.SPD und FDP traten 1969 mit dem Anspruch an, eine Politik der Reformen zu betreiben; besonders für Arbeitnehmer sollte alles schöner und besser werden.
Meine Herren von SPD und FDP, nach zehnjähriger Regierungstätigkeit zeigt sich, daß die Ergebnisse Ihrer Politik anders aussehen als die Versprechungen.
Statt die in der freiheitlichen Verfassung und in der Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft angelegte Dynamik und Reformfähigkeit zu nutzen, wurden wichtige Teilbereiche, insbesondere der Wirtschafts- und der Sozialsektor, an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben. Hand in Hand mit einer ideologisch einseitigen Politik, die demokratischen Sozialismus und soziale Gerechtigkeit als Synonome ansieht, zeichnet sich eine Entwicklung ab, die zu mehr Staat, mehr Bürokratie, zu Risikoscheu, Investitionszurückhaltung, politischem Vertrauensverlust, zu abnehmender Bereitschaft, sich für das allgemeine Wohl, für die Gemeinschaft, für den Nächsten zu engagieren, führt.Im Grundsatzprogramm der CDU heißt es zu dieser Problematik:Obwohl die Menschen enger zusammenwohnen,nimmt die Einsamkeit vieler Mitbürger zu.Die Zahl der hilfsbedürftigen und isolierten, der kranken und älteren Menschen wächst, aber die Zahl der Helfer bleibt klein.
Die sozialen Aufwendungen steigen immer weiter an. Trotzdem entstehen neue Randgruppen und neue soziale Not.Der Wunsch vieler Menschen, vor allem Jugendlicher, nach einer Aufgabe jenseits der materiellen Bedürfnisse ist ungebrochen. Aber Chancen für ein sinnerfülltes Leben in der Zuwendung zum Nächsten bleiben allzuoft ungenutzt.Aus alledem muß man den Schluß ziehen, daß es den Menschen, der Gesellschaft, vor allem der Politik an verläßlichen wie motivierenden Orientierungen, an überzeugenden wie stimmigen Konzeptenund mobilisierenden wie realistischen Zielen zur Bewältigung der Spannungen und Krisenerscheinungen fehlt. Diesen fundamentalen und tiefgreifenden Problemen steht diese Regierung hilflos und konzeptionslos gegenüber. Man sieht die Probleme nicht, oder man will sie nicht sehen.
Sie, meine Herren von der Regierung, haben nicht einmal den Ansatz einer Antwort parat. Wie könnten Sie auch! Denn seit Jahren sind Sie ja dabei, im Sozialbereich die Folgen Ihrer eigenen Fehler zu mildern. Sie sind doch in den letzten Jahren von einer Rentenkrise in die nächste gestolpert. Natürlich konnten Sie neben diesem ständigen Krisenmanagement keinen Blick mehr für die tiefergreifenden Probleme und für langfristige Konzeptionen haben.Sehr bedauerlich — ich wiederhole das, weil die Bedeutung wahrscheinlich in der Wiederholung liegt —
und sozusagen unverzeihlich ist es nur, daß Sie bei diesem Krisenmanagement das Herzstück unserer sozialen Sicherung, die bruttolohnbezogene dynamische Rente, angetastet haben.
Sie sagen zwar, daß Sie 1982 wieder zum alten und bewährten Prinzip zurückkehren wollten. Aber selbst die Gewerkschaften nehmen Ihnen das nicht mehr ab. Die ständigen Zweifel, Herr Hölscher, die die FDP zu diesem Punkt äußert, machen die Regierung auch nicht glaubwürdiger.Wann macht der Herr Bundeskanzler endlich von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch und sagt unseren Bürgern, was denn nun für die Zukunft der Rentenversicherung gelten soll? Das Wort der FDP oder das der SPD?Man hört neuerdings auch von Rentenbesteuerungsabsichten. Das Spiel mit den Sorgen und Ängsten unserer älteren Mitbürger, die ein Alter ohne Not verdient haben, ist unverantwortlich.
Die Union hat unter Konrad Adenauer 1957 die bruttolohnbezogene dynamische Rente geschaffen.
Wir haben diese Prinzipien in unserem Grundsatzprogramm in Ludwigshafen nochmals ausdrücklich hervorgehoben und bestätigt.
Wir haben als erste Partei, lange vor allen anderen ein Modell zur partnerschaftlichen Gleichstellung von Mann und Frau im Rentenrecht vorgelegt. 1957 urteilte der Deutsche Gewerkschaftsbund bei der Rentenreform: Die soziale Großtat des 20. Jahrhunderts! Wir wollen zusammen mit den Gewerkschaften verhindern, daß Sie dieses größte sozial-
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politische Reformwerk in der Geschichte der Bundesrepublik weiter demontieren.
Sie, Herr Ehrenberg, haben sich bei der Rentensanierung wie ein Geisterfahrer verhalten. Sie kennen die Geisterfahrer, die in erschreckender Weise die falsche Autobahnrichtung wählen. Wenn man sie zur Rechenschaft ziehen will, kann es einem passieren, daß diese Falschfahrer behaupten, die entgegenkommenden Fahrer hätten die falsche Richtung gewählt. Genauso ist Ihr Verhalten, Herr Minister, in der Rentenfrage.
Aber neben der Rentenpolitik können Sie auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik traurige Rekorde für sich verbuchen. Auch hier liegen bei Ihnen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander.
Ich darf hier noch einmal das Flugblatt der SPD — des heutigen Bundeskanzlers — von 1972 zitieren:Deutschland hat sichere Arbeitsplätze. Daraufsind wir alle stolz. Das muß so bleiben. Vollbeschäftigung, seit Sozialdemokraten regieren!Natürlich wurde gleichzeitig die CDU/CSU massiv verleumdet. Sie sagen in diesem Flugblatt weiter:Jeder Deutsche sollte wissen, was es bedeuten würde: eine halbe Million Arbeitslose. Existenzangst, Radikalismus .. .Es wurde gesagt, dazu dürfe es nicht kommen. Dann kam natürlich der Aufruf an die Wähler, sie sollten dafür sorgen, daß Sozialdemokraten weiter regieren, weil dann die Arbeitsplätze sicher seien. Sie scheinen eine eigenartige Vorstellung von der Sicherheit der Arbeitsplätze zu haben, Herr Ehrenberg.Was sagen Sie heute zu dieser verleumderischen Propaganda und dieser leeren Versprechung? Unter Ihrer Verantwortung ist die Arbeitslosigkeit nicht nur doppelt, sondern dreimal so hoch wie in den letzten zehn Jahren unter unserer Regierungsverantwortung.Was sagen Sie heute einem arbeitslosen Familienvater, der Sie an Ihre Zusagen, an Ihre Versprechungen erinnert? Natürlich ist es äußerst peinlich, wenn man Sie heute an Ihren eigenen Worten mißt; aber, meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre eigenen Zusagen und Versprechungen müssen Sie schon als Maßstab gelten lassen. An diesem Ihrem eigenen Maßstab gemessen haben Sie schlicht und einfach versagt.
Seit über vier Jahren haben wir jetzt rund eine Million Arbeitslose. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, Herr Ehrenberg, mußte sovielGeld für die Bezahlung der Arbeitslosigkeit ausgegeben werden.
In den letzten vier Jahren waren es allein für Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld über 36 Milliarden DM. Das ist mehr als in 20 Jahren CDU/CSU-Regierungsverantwortung.Es ist direkt rührend, wie Sie die geringfügige Abnahme der Arbeitslosigkeit im letzten Jahr als großen Erfolg feiern. Noch nie hatten es einzelne Problemgruppen so schwer wie heute, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Zahl der längerfristigen Arbeitslosen steigt ständig,
über 200 000 sind bereits ein Jahr und länger arbeitslos, und noch nie wanderten so viele Arbeitslose von der offiziellen Arbeitsmarktstatistik in die stille Arbeitsmarktreserve ab und verschleierten so das Bild der wirklichen Arbeitslosigkeit. Selbst die von Ihnen, Herr Ehrenberg, veröffentlichte Infra-teststudie belegt, daß pro Monat durchschnittlich allein 12 000 Frauen in die stille Arbeitsmarktreserve abwandern.Die Zahl der älteren Arbeitslosen, die älter als 55 Jahre sind, ist auf rund 120 000 angestiegen. Sie wäre noch weit höher, wenn nicht viele ältere Arbeitnehmer mit Abfindungen und Ausgleichszahlungen geradezu in die Rente abgedrängt würden.Rappe [Hildesheim] [SPD] : Sie sind froh,daß sie gehen können!)Die Regierung und der hier besonders verantwortliche Minister sehen stillschweigend zu, wie Risiken der Beschäftigungspolitik auf die Solidargemeinschaft der Rentenversicherung abgewälzt werden, ohne daß bei den Bundeszuschüssen für die Rentenversicherung die finanziellen Konsequenzen gezogen würden. Auch diese Risikoverlagerung ist eine Beschönigung der Arbeitsmarktstatistik und geeignet, die wirklichen Probleme zu verschleiern.Die Union hat mit ihrem Vorschlag, die Altersgrenze für Schwerbehinderte herabzusetzen, den richtigen Weg eingeleitet. Sie haben das vor der Sommerpause 1978 nur abgelehnt, weil der Vorschlag von der Union kam,
um dann den Gesetzentwurf nach der Sommerpause selbst einzubringen. Hier drängt sich der Verdacht auf, daß es Ihnen weniger um die Sache, als vielmehr um den parteipolitischen Vorteil ging.
Auch wir wissen: Heute kann man nicht mehr allen alles geben. Deshalb sind gezielte Hilfen für besonders hart betroffene Gruppen notwendig und im Hinblick auf die Beseitigung der Arbeitslosigkeit auch sinnvoll.Über 55 % der Arbeitslosen haben keine Berufsausbildung. Hier rächen sich heute die Fehler des
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10498 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Müller
Haushaltsstrukturgesetzes bitter. Seinerzeit haben SPD und FDP gegen den Protest der Union die Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen erheblich eingeschränkt. Ich selbst habe Sie am 6. November 1975 von diesem Pult aus dringend vor den Folgen dieser Politik gewarnt. Leider habe ich mit meinen Warnungen recht behalten. Herr Minister, diese kurzsichtige Kürzungspolitik hat nicht zuletzt das heutige Fehlen von qualifizierten Arbeitskräften mit verursacht.Die Frauen sind von der Arbeitslosigkeit weit überdurchschnittlich betroffen. Die Frauenvereinigung der CDU hat im Januar 1978 einen breiten Katalog zur Überwindung der Frauenarbeitslosigkeit vorgelegt. Sie sollten diese Vorschläge aufgreifen!Einer der Lösungsvorschläge zur Beseitigung der Frauenarbeitslosigkeit ist eine stärkere Förderung der Teilzeitarbeit. Auch Sie haben das nach außen hin deutlich gemacht, Herr Minister, aber gleichzeitig fordern Sie in Ihrem Entwurf zur 5. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz, daß derjenige keine Arbeitslosenunterstützung mehr bekommt, der nicht bereit ist, volle Arbeitszeit zu leisten, und zwar selbst dann, wenn er vor der Arbeitslosmeldung Teilzeitarbeit verrichtet hat. Mir scheint, das ist frauenfeindlich.Propaganda und Wirklichkeit, laut tönen in der Öffentlichkeit und dann harte einschneidende Gesetze vorlegen ist ein Widerspruch, den wir bei der Fünften Novelle in aller Deutlichkeit noch einmal aufzeigen werden.Die Problemgruppen, die ich genannt habe, sind von der Arbeitslosigkeit besonders hart betroffen, weil es für sie wesentlich schwieriger ist, im Wettbewerb mit anderen einen Arbeitsplatz zu finden. Facharbeiter werden gesucht. Sie aber verringern die Chancen der Problemgruppen, einen dieser Arbeitsplätze zu bekommen, durch die von Ihnen zu verantwortende Verringerung der beruflichen Bildungsmaßnahmen.. Diese Menschen müssen für Ihr Versagen, für Ihre Fehler, meine Herren von der Regierung und Koalition, teuer bezahlen.Der letzte Versuch der Regierung, mit diesem gesellschaftspolitischen Problem Nummer eins fertig zu werden, ist die Fünfte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz. Am 19. Juli 1978 hatte der Arbeitsminister großspurig eine Vermittlungsoffensive gegen die Arbeitslosigkeit angekündigt. Als es jetzt beim Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit darum ging, die dafür notwendigen Stellen zu bewilligen, hat die Bundesregierung die im Sommer von Herrn Ehrenberg geforderte Vermittlungsoffensive selbst blockiert, weil sie eine erhebliche Anzahl der dazu erforderlichen Stellen nicht genehmigt hat. Soll man eine derartige Politik glaubwürdig nennen, Herr Bundesarbeitsminister?
Die jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes enthalten zwar einige begrüßenswerte Zielsetzungen; auch werden Fehler von 1975 teilweise zurückgenommen, was ich Ihnen ohne weiteres zugestehe. Aber, Herr Ehrenberg, ein neues Arbeitsförderungsgesetz ist diese Fünfte Novelle nicht, wie Sie irreführend in Ihren „Sozialpolitischen Mitteilungen" verkündet haben. Denn Sie stellen mit diesem Entwurf noch nicht einmal den Rechtszustand vor Inkrafttreten des Haushaltsstrukturgesetzes wieder her. Es ist nach wie vor ein unmöglicher Zustand, wenn Arbeitnehmer in Fortbildungsmaßnahmen finanziell schlechtergestellt sein können als Bezieher von Arbeitslosengeld.Im Kern bedeutet dieser Entwurf aber, daß die Bundesregierung die Anpassungslasten der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit wie schon beim Haushaltsstrukturgesetz und bei der Vierten Novelle zum AFG einseitig den Arbeitslosen zuschiebt. Meine Herren von der SPD, das sage nicht nur ich, das sagt auch der stellvertretende DGB-Vorsitzende Gerd Muhr, wie Sie in der „Welt der Arbeit" vom 14. Dezember 1978 nachlesen können. Was Sie hier tun, ist ein feiges Stehlen aus der Verantwortung.
Weil Sie Ihre Zusagen und Versprechen, an die ich Sie erinnert habe, nicht einhalten konnten, weil Sie hier versagt haben, wollen Sie den einzelnen Arbeitslosen jetzt zum Schuldigen machen.
Er soll für Ihre Fehler geradestehen.
Er soll sich von Stufe zu Stufe wie auf einer Rolltreppe herabgruppieren lassen. Ob eine Arbeit zumutbar ist oder nicht, läßt sich nicht bis in die letzten Einzelheiten in einem Katalog fixieren, sondern kann nur im Einzelfall entschieden werden.Nur so kann Politik für Menschen gemacht werden. Was Sie hier tun, ist die Abwälzung Ihrer Verantwortung auf die schwächsten Glieder der Gesellschaft. Statt sich selbst machen Sie die Arbeitslosen zum Schuldigen.Herr Wehner, so sehe ich die Schuldfrage, die Oswald von Nell-Breuning in einem Artikel vom 8. Dezember aufgeworfen hat und dessen Inhalt Sie sich in Ihrer gestrigen Rede zu eigen gemacht haben. Welch ein Widerspruch zwischen Ihnen und diesem Artikel und dem Versuch, in dieser Fünften Novelle die Arbeitslosen zu den eigentlichen Schuldigen zu machen! Der Vorwurf von Nell-Breuning trifft Sie, Herr Ehrenberg. Die Politik, die Sie betreiben, ist keine Politik für Arbeitnehmer.
Wo bleiben da die lautstarken Proteste aus der SPD-Fraktion, wenn ich einmal von der vorsichtigen Kritik von Egon Lutz absehe? Da tritt man jetzt bei der Fünften Novelle im Gegensatz zum Runderlaß 230 deshalb so leise, weil sich der Arbeitsminister diesmal nicht hinter der Vokabel „uninformiert" wird verstecken und einen anderen zum Sündenbock machen können.
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Müller
Was, sich der Arbeitsminister in diesem Zusammenhang mit seinem obersten Arbeitsmarktbeamten Manfred Baden erlaubt hat, ist geradezu unglaublich. Prinz Wittgenstein hat darauf hingewiesen. Um sich selbst aus der Schußlinie zu halten, machte er einfach einen loyalen und äußerst tüchtigen Beamten zum Sündenbock und feuerte ihn. Sachliche Gründe können es nicht gewesen sein; denn die vom Arbeitsminister vorgelegte Fünfte Novelle ist in einigen Punkten für die Arbeitslosen zweifelsfrei noch härter als der umstrittene Zumutbarkeitserlaß, was von Arbeitsmarktexperten bestätigt wird. Eigentlich müßte sich Minister Ehrenberg jetzt selbst feuern, müßten jetzt die Herren der SPD, die beim Runderlaß so laut getönt haben, diesen Rücktritt fordern. Aber wir wissen ja, die Baracke läßt keinen fallen.Leider nähert sich meine Redezeit dem Ende. Lassen Sie mich wenige Schlußsätze sagen. Auf entscheidenden Gebieten der Politik traut die Bevölkerung der Union inzwischen mehr zu als der Regierung.
Aus dem weiten Teilbereich der Gesellschafts- und Sozialpolitik, für die Sie, Herr Ehrenberg, die Verantwortung tragen, habe ich nur einen kleinen Ausschnitt herausgreifen können. Ich habe aufgezeigt, wo Fehler und Versäumnisse liegen.
Die Ablehnung des Einzelplans 11 gilt nicht der von uns mit grundgelegten Sozialpolitik, den sozialen Leistungen. Die Ablehnung gilt der politischen Leistung dieses verantwortlichen Ministers.
Herr Abgeordneter Wehner, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Einheitsgewerkschaft ist nicht gefährdet worden, als der hauptamtliche Gewerkschaftssekretär Müller in das Parlament einzog.
Es hätte der Einheitsgewerkschaft gut getan, wenn Müller und noch sehr viel mehr seiner Fraktionskollegen die Politik ihrer Fraktion mitbestimmen dürften, was leider nicht der Fall ist.
Für Europa wird es gut sein, wenn wir drei hervorragende Gewerkschaftsvorsitzende in das Parlament schicken. Sie können uns ja nacheifern. Suchen Sie welche; vielleicht haben Sie auch ein paar. Schicken Sie sie auch nach Europa, damit ein soziales Europa geschaffen wird, und kommen Sie
uns nicht mit hergelaufenen Adeligen; die bringen Europa nämlich nicht sehr viel weiter.
. Herr Kollege Müller , Sie hatten mir ein Lob ausgesprochen. Ich darf das gleich zurückgeben: Ein Arbeitsmarktpolitiker von Ihrem Format — das wollen Sie doch zweifelsohne sein — muß auf seinen Ruf achten. Auch ein Sozialpolitiker sollte diesen Ruf nicht beschädigen lassen. Sie müssen Ihrem Fraktionsvorsitzenden nicht nacheifern.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.Sie können argumentieren, aber bitte sachlich und korrekt. Lassen Sie jedoch die abgestandene Rentenarie nicht wieder vom Stapel laufen. Die zieht nicht mehr.
Die Rentner in diesem Lande wissen, was Sie an der sozialliberalen Koalition haben.
— O ja, sie wissen das.
Jahr für Jahr steigt ihre Rente; darauf können sie sich verlassen. Die Finanzen sind gesichert. Sie sind nicht mehr auf dem richtigen Dampfer, wenn Sie noch mit den alten Leiern von Anno 1977 zu operieren versuchen.Wenn Sie der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt Versäumnisse und Versagen vorwerfen
und sie allein für den hohen Stand der Arbeitslosenzahl verantwortlich machen, schädigen Sie Ihren Ruf als Arbeitsmarktexperte und gleiten einfach ab in das Standardrepertoire der Opposition.Es muß Ihnen halt immer wieder gesagt werden: Die Sicherheit unserer Arbeitsplätze hängt nun einmal in einem hohen Maße von den weltwirtschaftlichen Einflüssen ab.
Jeder vierte Arbeitsplatz — das können Sie doch nicht leugnen — ist mittelbar oder unmittelbar vom Export abhängig. Das sind Fakten, die Sie, Herr Müller, kennen. Dann leugen Sie sie auch nicht.Weil Sie das wissen, ist Ihnen natürlich auch bekannt, daß weltwirtschaftliche Verwerfungen — sei es nun die abrupte Erhöhung von Rohstoff- und Energiepreisen, sei es das Siechtum des Dollars, sei es die Überbewertung der D-Mark oder seien esLutzWettbewerbsverzerrungen über Dumpingpreise — unmittelbar auf unseren Markt durchschlagen.
— Die habe ich mir heute, nachdem ich den kenntnisreichen Beitrag meines Kollegen kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen durfte, überlegt. Man muß es Ihnen eben immer wieder sagen, weil Sie es leider nicht begreifen oder nicht begreifen wollen.Es kommt darauf an, aktive Beschäftigungspolitik dadurch zu betreiben, daß man in einem hohen Maß versucht, weltwirtschaftliche Verwerfungen zu glätten und die Zukunft berechenbarer zu machen. Genau das hat der Bundeskanzler versucht und, wie ich meine, mit Erfolg praktiziert: auf den diversen Gipfeln und in zahlreichen zwischenstaatlichen und multilateralen Abmachungen. Die außenwirtschaftliche Flanke ist abgesichert, soweit das menschenmöglich ist.
Wir alle haben Grund, Helmut Schmidt dafür zu danken.
Zweitens besteht aktive Beschäftigungspolitik in der Sicherung eines stabilen Preisniveaus. Auch auf diesem Gebiet hat der Bundeskanzler, wie ich meine, seine Hausaufgaben mit Bravour erledigt.Drittens besteht aktive Beschäftigungspolitik darin, die binnenwirtschaftliche Entwicklung zu kräftigen, die Nachfrage zu stabilisieren, das Wachstum zu beleben und branchenspezifische Strukturprobleme, soweit es geht, zu heilen. Auch Sie, Herr Kollege Müller , werden ja wohl nicht bestreiten wollen, daß die Bundesregierung auf diesem Feld Beachtliches, ja, wenn ich mich nicht täusche, Überragendes geleistet hat.Viertens wird die Beschäftigungssituation entscheidend von den richtig dosierten und zur rechten Zeit eingesetzten Interventionen des Zentralbankrats bestimmt. Darauf hat die Bundesregierung — das wissen Sie genau — keinen Einfluß. Sie kann nur argumentieren und hoffen und beten, damit die das richtig machen.Fünftens kommt es ja .wohl auf das Verhalten aller Beschäftigter — der privaten und der öffentlichen — an. Der Bund ist nur einer von vielen Arbeitgebern. Die andern kann er zu vernünftigem Handeln nur mahnen. Mehr ist nicht möglich.Sechstens ist in Zeiten heftiger struktureller Wandlungsprozesse vorausschauende und konsequente Strukturpolitik, wie ich meine, vonnöten. Ein Blick ins Grundgesetz zeigt uns, wie minimal hier im Grund die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes sind. Wir können nur Signale setzen, Geld geben und im übrigen hoffen, daß die Gebietskörperschaften weise und konsequent Strukturpolitik betreiben.Siebentens bestimmt in einer Marktwirtschaft wie der unseren die Addition vieler unbeeinflußbarer Einzelentscheidungen das Geschehen. DerBund spielt in diesem Geschäft die Rolle eines Hausarztes,
der ein Medikament nur verordnen, ja manchmal sogar nur vorschlagen kann. Ob es die vielen hunderttausend Patienten einnehmen, ist in deren Belieben gestellt.Achtens — aber erst an dieser Stelle, Herr Müller , und nur mit diesem Stellenwert — kann der Bund einen arbeitsmarktpolitischen Beitrag leisten, etwa indem er die flexible Altersgrenze für Schwerbeschädigte herabsetzt — das tut er — oder indem er einen Mutterschaftsurlaub von vier Monaten einführt — auch das tun wir — oder indem er mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen den Arbeitslosen wenigstens neue Chancen oder Teilchancen eröffnet — das geschieht — oder indem er vielfältige Qualifizierungshilfen zur Verfügung stellt in der Hoffnung, daß sie von den Betroffenen angenommen werden. Schließlich muß der Bund — und das tut er — über die Arbeitslosenunterstützung den Opfern unserer marktwirtschaftlichen Prozesse eine menschenwürdige Existenz garantieren.Ich gebe zu: Diese dem Staat möglichen Antworten müssen insgesamt zwangsläufig unbefriedigend bleiben. Aber sib sind systemimmanent; und das System werden Sie gewiß nicht in Frage stellen wollen.Eine Teilantwort auf die Probleme des strukturellen Wandels gibt nach unserer Ansicht das Arbeitsförderungsgesetz mit seiner fünften Novelle. Anders als mein Kollege Vorredner werde ich der Versuchung widerstehen, den Beratungen des AFG vorzugreifen.
Ich möchte statt dessen nur einige Eckpunkte markieren. Und da bin ich durchaus sehr mutig, wenn Sie so wollen.Wir danken nämlich erstens dem Arbeitsminister dafür, daß er die Instrumentarien der Fortbildung und Umschulung konsequent weiterentwickelt.
Zweitens halten wir es für einen beträchtlichen Fortschritt, daß nunmehr auch jene Arbeitnehmer bevorzugt gefördert werden, die sich aus einem bedrohten Beruf in einen zukunftsträchtigen umschulen lassen wollen. Dies ist, so scheint uns, die einzig denkbare Antwort der Arbeitsmarktpolitik auf strukturelle und technologisch bedingte Wandlungsprozesse.Drittens. Herr Müller, ich kann Ihr Lamento wegen der ausgebliebenen Anhebung der 58 %-Förderung auf 68 oder auf einen höheren Prozentsatz wahrlich nicht mehr verstehen. Der Arbeitslose, der von der Arbeitslosigkeit Bedrohte, der Nichtqualifizierte und der zu einer neuen beruflichen Existenz Gezwungene und schließlich auch noch der zur Mobilität sich fähig und bereit zeigende Arbeitnehmer werden bevorzugt gefördert und bekommen 80 %. Übrig bleiben die Berufsaufsteiger, die wir in der
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Lutzersten Arbeitsförderungsgesetzphase hatten. Aber auch die Berufsaufsteiger, um das mal ganz salopp zu formulieren, werden ja gefördert, wenn auch nur mit 58 % Unterhaltsgeld. Der Staat hilft also auch ihnen, aber er trägt nicht die Gesamtkosten ihrer Weiterbildungsbemühungen. Das scheint uns vertretbar bei den schmalen finanziellen Ressourcen, mit denen wir es zu tun haben.Ihre Partei, die den Leistungswillen, die Leistungsbereitschaft ansonsten so überpointiert und permanent vor der Gefahr des von staatlichen Wohltaten verhätschelten Bürgers warnt, müßte dem Arbeitsminister eigentlich zustimmen. Aber Sie tun es nicht, weil Sie es im Moment nicht für opportun halten.
— Ich komme noch darauf. — Dieses Gesetz hat sehr viele schöne Stellen. Es hat auch eine, über die wir noch reden müssen.Viertens. Wir unterstützen rückhaltlos das Bemühen des Arbeitsministers, die Selbstverwaltung zu stärken und ihr weitere Aufgaben vor Ort zuzuweisen. Ich hoffe nur, Herr Müller — das geht an Sie —, daß die Selbstverwaltung dieses Angebot aufgreift.Fünftens. Wir danken dem Minister dafür, daß er im zähen Kleinkrieg, auch mit dem Finanzminister, beachtliche personelle Verstärkungen im Vermittlungs- und Berufsberatungsbereich durchgesetzt hat: 1 600 im Jahre 1978, 1 200 noch einmal in diesem Jahr. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können, und das ist wirksamer als Worte.
Damit wir uns nicht mißverstehen: das soll kein Arbeitsbeschaffungsprogramm besonderer Art sein. Das soll dazu führen, daß vor Ort vermittelt wird und der Arbeitslose indirekt und direkt die Hilfen kriegt, die er braucht, um eine Chance im Beruf zu haben.Dann bleibt noch der Zumutbarkeitsparagraph übrig. Darüber müssen wir reden. Denn Sie haben ihn prompt mißverstanden. Sie haben nicht verinnerlicht, daß die persönliche, die berufliche, die familiäre Situation des Arbeitslosen zu berücksichtigen ist und sich danach die Zumutbarkeiten Bernessen. Aber Herr Kollege, wenn Sie schon nicht lesen können, dann müssen wir das umformulieren, damit Sie es verstehen und damit es der Herr Stingl versteht
und damit nicht Unzumutbarkeiten daraus erwachsen.Ich sage es Ihnen noch einmal ganz offen: wir wollen nicht die Arbeitslosen verhätscheln. Aber sie sind für uns keine Mitbürger zweiter Klasse. Wir werden zweifelsfrei feststellen, was zumutbar und was unzumutbar ist. Wir werden verhindern, daß durch die Addition von Zumutbarkeiten etwa eine unzumutbare Lage entstehen könnte.Der Arbeitsminister hat ein paar personelle Entscheidungen getroffen.
— Wir verstehen sie, wir fanden sie sehr notwendig. Er hat auch eine Entscheidung getroffen, die die Qualität der Selbstverwaltung auf der öffentlichen Bank sicher noch mehr stärkt. Ich bin sehr dankbar, daß die Frau Staatssekretärin jetzt direkt in die Selbstverwaltung, in die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit eingepaßt ist. Wir verstehen Ihre vorgetäuschte Empörung richtig einzuordnen. Wir wissen, daß wir schon im Interesse aller Betroffenen öffentlich nicht darüber diskutieren können. Wir danken dem Minister für seine Entscheidung. Wir meinen, daß Sie letztlich diese Tatsachen auch akzeptieren werden.Wir werden — um das zum Schluß zu sagen — in unserem Bemühen nicht nachlassen, die Voraussetzungen für die Wiedererringung der Vollbeschäftigung zu schaffen. Wir wissen um die Begrenztheit der Möglichkeiten, die der Staat zur Verfügung hat. Sollten Sie sich uns bei dem Bemühen anschließen können, den Arbeitslosen, den Menschen, zu helfen, wäre das schön. Wenn Sie es nicht tun, wird unser Geschäft etwas schwieriger. Dann müssen wir eben gegen Sie dieses große, ja, wie ich meine, überragende Ziel unserer Politik durchsetzen.
Wir haben — Herr Kollege, falls Sie das immer wieder gesagt bekommen wollen — dem Menschen zu dienen und Sie auch. Es stellt sich die Frage, ob Sie sich dieser Verpflichtung länger entziehen können. Der vorherige Beitrag zeigte uns nichts davon, daß Sie bereit sind, Mitverantwortung zu tragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kraus.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst auf das eingehen, was Herr Hölscher am Anfang dieser Debatte sagte, auf seine neue Rentenrechnung.. Herr Hölscher hat hier nicht nur, wie er nicht vergaß zu betonen, auf die Zuhilfenahme technischer Mittel verzichtet, sondern auch darauf, die Vorschläge der CDU/CSU einigermaßen genau zu prüfen. An dieser kurzen Rechnung ist nämlich mindestens dreierlei falsch. Erstens ist die Ausgangsbasis der Berechnung falsch. Wir haben andere Prozentsätze angegeben. Zweitens ist es falsch, daß wir 4 % Krankenversicherungsbeitrag gefordert hätten. Es waren 2 %. Der dritte und entscheidende Fehler aber ist der, daß er übersehen hat, daß wir den pauschalen Abschlag eben nicht wollen. Wir wollen vielmehr die soziale Komponente bei den Abschlägen, wenn sie notwendigerweise gemacht werden müssen, berücksichtigt haben.
Genau das Gegenteil, Herr Hölscher, schlagen Sie vor. Sie wollen mit der sozialistischen Heckenschere,
Kraus
die zwischenzeitlich offenbar auch bei Ihnen zum Instrumentarium gehört, über alles hinweggehen, um so die Rentenversicherung wieder in Ordnung zu bringen.
Herr Kollege, gestatten. Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Kraus, wann werden Sie uns in die Lage versetzen, die von Ihnen jetzt hier vorgetragene Komponente — es ist sicher die 22. oder 23. — der Öffentlichkeit einmal vorzustellen, und kann ich davon ausgehen, daß Bruttoerhöhung für Sie nicht bedeutet, daß Sie brutto, in absoluten Zahlen ausgedrückt, mehr auszahlen, sondern daß Sie zu einem Abschlag kommen? Wir kämen vielleicht schon ein Stück weiter, wenn Sie dies bestätigen könnten.
Herr Hölscher, es ist eine durchaus beachtliche Leistung, wenn man zwei Jahre lang über vorgelegte Vorschläge einfach so hinweggehen kann.
Selbst Ihnen dürften doch unsere Vorschläge nicht verborgen geblieben sein. Sollte das aber doch geschehen sein, so haben Sie sich das selber zuzuschreiben.Ich darf nun kurz zu dem kommen, was Herr Lutz hier zum Thema Selbstverwaltung bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg vorgetragen hat. Er hat betont, er wolle — wie auch seine Partei — diese Selbstverwaltung stärken. Meine Damen und Herren, genau das Gegenteil war doch der Fall! Der Runderlaß 230 war das Ergebnis von Beschlüssen von Selbstverwaltungsorganen. Und hier wurde diese Anstalt brutal unter Druck gesetzt, nicht nur durch die Zurücknahme des Herrn Bardens aus diesen Selbstverwaltungsorganen.
Hier wird nach der Methode vorgegangen, jemandem so lange unter die Arme zu greifen, bis man ihn richtig beim Hals hat. Diese Form der Unterstützung muß entlarvt werden.
Nun noch einiges zur Frage der Arbeitslosigkeit insgesamt. Natürlich, nach Auffassung des Herrn Lutz ist daran ausschließlich die weltwirtschaftliche Entwicklung schuld. Man kann Sie nur dazu beglückwünschen, dieses Argument gefunden zu haben. In Wahrheit ist es doch so, daß es zwar weltwirtschaftliche Einflüsse gab, die hier negativ gewirkt haben. Aber der Hauptgrund für unsere derzeitige Situation ist doch zweifelsohne die selbstgemachte, die hausgemachte Schwierigkeit. Darüber gibt es doch keine ernsthaften Zweifel.
Der Herr Arbeitsminister ist der Meinung — und er schreibt dies in seinem Jahresbericht —, die Hauptaufgabe sei eine Konzentration aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte auf die schrittweise Verbesserung der Beschäftigungslage. Ein großes Wort! Aber der Erfolg, der bisher eingetreten ist, ist ein minimaler. Er ist kaum sichtbar, ist ein Erfolg, der nur unter ganz großen Zugeständnissen in die Zukunft projiziert werden kann. Gemessen an dem Kräfteeinsatz, der angeblich erfolgt ist, ist der Erfolg ein sehr geringer. Man kann wirklich nicht sagen, daß eine Arbeitslosenzahl, die nur um 8 000 unter der Grenze von einer Million liegt, uns wirklich vorwärts gebracht hätte.Sie haben dieses bescheidene Ergebnis zudem nur erreichen können, weil Sie einen Weg eingeschlagen haben, der uns in das uferlose Schuldenmachen geführt hat. Daneben haben Sie alle Reserven, die vorhanden waren, die Reserven der Arbeitslosenversicherung, die Reserven unserer sonstigen sozialen Versicherungen, praktisch aufgezehrt. Hier wird Sozialpolitik auf Pump gemacht, Sozialpolitik durch Plünderung aller Reserven.Sie nehmen bewußt in Kauf, daß entweder die Arbeiter und Angestellten in den nächsten Jahren unverhältnismäßig stark belastet werden oder aber, daß der Gegenwert harter Arbeit in den nächsten Jahren mit entwertetem Geld zurückgezahlt wird. Das, meine Damen und Herren, ist natürlich der sicherste Weg, den Leistungswillen des einzelnen und damit die Leistungskraft unseres Sozialstaates empfindlich zu schwächen.
Das gesamte Ausmaß der Misere wird aber erst sichtbar, wenn man sich vor Augen führt, wie sich die stille Arbeitsmarktreserve — hier wurde von Herrn Müller schon eine Zahl genannt — entwickelt hat und wie der Arbeitsplatzbedarf in den nächsten Jahren anwachsen wird. Dazu einige Zahlen: Man rechnet fest damit, daß in den nächsten fünf bis sechs Jahren weitere 800 000 bis 1 Million neue Arbeitsplätze notwendig sein werden, um jedem jungen Menschen, der in das Arbeitsleben tritt, von vornherein eine ausreichende Existenzgrundlage zu sichern. Auch daran gemessen ist der bisher erzielte Erfolg wirklich sehr, sehr bescheiden. Wie wollen Sie, auf längere Sicht gesehen, mit diesen Problemen überhaupt fertig werden?Da gibt es nun dieses „Kölner Programm", das gestern dankenswerterweise vom Kollegen Bangemann angesprochen wurde. Zwar ist es zunächst einmal nicht für die Bundesrepublik gedacht, sondern für Europa; aber ich glaube, daß man so wohl nicht trennen kann. Man kann nicht davon ausgehen, daß die Sozialpolitik für Europa eine andere als für die Bundesrepublik sein könnte. Hier muß doch eine einheitliche Konzeption bestehen. In diesem Programm steht, daß man die Lösung des Arbeitsmarktproblems in erster Linie dadurch erreichen könne, daß man den herrschenden Mangel verteile, eine 35-Stunden-Woche einführe und die Rationalisierung einschränke, etwa über Investitionsmeldestellen — was zu Beschränkungen des Produktionsfortschritts führt.
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KrausKaum jemand wird gegen eine Arbeitszeitverkürzung sein. Aber das muß eine Arbeitszeitverkürzung sein, die man sich leisten kann. Eine Arbeitszeitverkürzung kann nach unserer Auffassung nur die Folge gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Fortschritts, niemals jedoch ein Mittel dazu sein. Herr Bangemann von der FDP hat diese Vorschläge gestern auch schon kurz und bündig als politischen Unsinn bezeichnet. Ich finde das eigentlich sehr interessant: Die Konzeption der tragenden Partei dieser Koalition wird von einem Vertreter des Koalitionspartners als politischer Unsinn qualifiziert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Aussage, der im Grunde genommen nicht viel hinzugefügt werden muß.
— Ich werde Ihnen gern den Gefallen tun, Herr Egert. Vielleicht interessiert in diesem Zusammenhang auch etwas, das den Widerspruch zeigt, der zwischen der Regierung und der Partei angeblich nicht besteht. Der Bundesarbeitsminister hat in einem Aufsatz vom 9. September vorigen Jahres ähnliche Thesen vertreten. Es ist ihm allerdings später nicht gelungen, derartige Sätze, wie sie im Kölner Programm stehen, zu verhindern. Er sagt in seinem Aufsatz — genau wie Herr Bangemann und auch wir —, er erblicke in der Lösung, die hier vorgeschlagen wurde, eine Resignationslösung — so nennt er das — und er glaube, daß das eine gefährliche Abschwächung des Produktivitätsfortschritts und der Nachfrageentwicklung bringen würde. Er bekenne offen, so schreibt er, daß ihm hierzu sowohl der Pessimismus als auch der Mut fehlten. Ich frage daher den Herrn Bundesarbeitsminister, wie er es überhaupt verantworten kann, daß er dann nicht — wider besseres Wissen und Gewissen — entschiedener, klarer, eindeutiger und auch wirksamer eintritt. Sollte diese ganze Rederei um die 35-Stunde-Woche etwa in erster Linie dazu inszeniert worden sein, um die Wähler für die Europawahl zu ködern? Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hielte. ich für besonders verantwortungslos. Wie verantwortungslos das ist, zeigen der Verlauf und die Ausuferung des Stahlarbeiterstreiks, den wir alle erlebt haben, sowie die Reaktion darauf. Hier sind Erwartungen geweckt worden, die letztlich nicht erfüllt werden konnten.
Auch das ist ein Ergebnis dieser Politik der SPD.Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Wahrheit ist es doch, glaube ich, so, daß es in unserem Land genügend zu tun gibt. Es ist nicht wahr, daß die Bedürfnisse hier wirklich gesättigt sind. Die deutsche Wirtschaft verzeichnet allein eine Investitionslücke von nahezu 200 Milliarden DM, die dringend geschlossen werden muß, wenn man weiterhin weltweit konkurrenzfähig sein will. Der Finanzbedarf für die Sanierung unserer Städte wird auf 600 Milliarden DM geschätzt; hier ist Arbeit für Generationen vorhanden. Die Energieversorgung, die Energieeinsparung erfordern in der unmittelbarenZukunft ebenfalls Aufwendungen in dieser Größenordnung. Nicht anders verhält es sich natürlich hinsichtlich der Bewahrung und Wiederherstellung einer intakten Umwelt. Bei den sozialen Einrichtungen besteht ein erheblicher Nachholbedarf. Auch im privaten Bereich gibt es selbstverständlich noch genügend ungedeckte Nachfrage. Wer also davon ausgeht, daß wegen des „gesättigten" Bedarfs keine Arbeit vorhanden sei, der hat sich so weit von der Realität entfernt, daß er eben nicht mehr in der Lage ist, die Dinge vernünftig zu beurteilen.Damit, Herr Bundesarbeitsminister, haben Sie — ich habe das vorhin schon kurz angeschnitten und möchte wegen der vorgerückten Stunde jetzt darauf verzichten, Sie nach ausführlich zu zitieren — selber bestätigt, daß letztlich nur eine Politik der Investitionsbelebung aus der Sackgasse herausführen kann. Dennoch — ich wiederhole mich — widersetzen Sie sich der Forderung nach Verteilung des Mangels nicht mit dem erforderlichen Nachdruck.Kürzere Arbeitszeit in Verbindung mit fortlaufenden Lohnerhöhungen, die unmittelbar bei oder über dem Produktivitätsfortschritt liegen, bedeutet höhere Preise und damit geringere Nachfrage. Diese Lösung kann uns nicht helfen. Sie ist bestenfalls geeignet — dafür wird sie auch kräftig benutzt —, die Probleme kurzfristig zu verschleiern. Arbeitszeitverkürzung dieser Art bedeutet auch eine massive Anheizung der Inflation über die Kosten. Und sie, die Inflation, haben in erster Linie die sozial schwächeren Schichten zu tragen. Das wollen wir uns gar keinesfalls antun.Kennzeichen unserer Lage — gerade im sozialen Bereich — ist schließlich nicht der Überfluß, sondern der Mangel. Es gibt genügend Bedürfnisse, berechtigte Bedürfnisse, die auch in diesem Haushalt nicht befriedigt werden können.
— Genau, Herr Löffler.
— Herr Löffler, wir wollen ja gerade, daß keine zusätzlichen Kosten entstehen, sondern wir wollen, daß in diesem Land mehr produziert wird, daß eben auch für den sozialen Bedarf mehr zur Verfügung steht. Wir wollen gerade das Gegenteil dessen, was Sie hier sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier entsteht eine Frage: Wo beginnt eine Forderung, die sozial gemeint ist, unsozial zu werden? Das darf hier ruhig einmal angesprochen werden.Was wir brauchen, ist Wachstum, um die Sozialkassen wieder aufzufüllen und damit deren Leistungsfähigkeit wiederherzustellen.
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10504 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
KrausWir von der Opposition haben es wahrlich nicht an Vorschlägen fehlen lassen, wie man die Arbeitslosigkeit — bei schrumpfendem Arbeitsplatzpotential — über eine gezielte Steuerpolitik, über Kredit- und Leistungsanreize und auch über den Ausbau von Vermögensbildung abbauen kann.Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein Wort zur Vermögensbildung. Mir scheint es ganz besonders wichtig zu sein, hierzu noch ein Wort zu sagen, weil auch hier wiederum eine politische Frage vorliegt, hinsichtlich der die Koalitionsparteien deshalb nicht zu Ergebnissen kommen können, weil sie sich aus ideologischen Gründen nicht einmal auf ein Minimalprogramm einigen können.
Es liegt an Ihnen, meine Damen und Herren, vor allem aber auch natürlich an der FDP, daß unsere Initiative auf diesem Sektor bisher auf Eis gelegt wurde, bewußt verzögert wurde und Fortschritte verhindert wurden. Dabei glauben wir, daß die Vermögensbildung eine Sache wäre, die gradezu als eine politische Allzweckwaffe eingesetzt werden könnte: um den Freiheitsspielraum des einzelnen zu erweitern; um für breite Bevölkerungsschichten auch sozial etwas zu tun, und zwar in dem Sinne, daß man Hilfe zur Selbsthilfe leistet und schließlich auch unserer Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen zu Hilfe kommt, indem breite Bevölkerungsschichten zur Aufbringung des immer höheren Kapitalbedarfs auch im produktiven Sektor mit herangezogen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß zum Ende kommen. Die Widersprüchlichkeit Ihrer Politik konnte in der Kürze der Zeit nur sehr unvollkommen aufgezeigt werden.
)
— Ich bedaure das auch, Herr Löffler; das haben wir gemeinsam. Die Widersprüchlichkeit Ihrer Politik, die Kurzatmigkeit der Entscheidungen rufen einen Abbau an Vertrauen in unsere Sozialeinrichtungen hervor. Unsere Hauptforderung muß deshalb sein, zu einer soliden, langfristig angelegten, zuverlässigen und vorausschauenden Sozialpolitik zurückzukehren, um das verlorene Vertrauen — auch wenn das nur sehr langfristig der Fall sein kann — wiederzugewinnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordneten Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einige Vorbemerkungen machen. Dabei möchte ich erstens auf den grundsätzlichen Vorwurf des Prinzen zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein eingehen, der wie andere Redner in dieser Debatte gesagt hat, dieser Koalition, dieser Regierung fehle es an Perspektiven. Dies sei einer der Hauptmängel, die man dieser Regierung vorzuwerfen habe. Ich erinnere mich, es ist noch nicht allzu lange her, daß hier gesagt worden ist: Außer Perspektiven nichts gewesen. Fassen wir daher den Vorwurf des Mangels an Perspektiven auch als Kompliment auf, als Kompliment, daß solide, gute Sacharbeit in den Bereichen geleistet worden ist, mit denen wir es hier zu tun haben.
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu dem gewerkschaftsinternen Streit, der zwischen den Kollegen Lutz und Müller hier ausgetragen worden ist, sagen. Ich möchte mich nicht zu den personellen Problemen, die in der Einheitsgewerkschaft ausgetragen werden, äußern. Aber ich möchte mich sehr wohl sehr deutlich zu den inhaltlichen Positionen von Köln äußern. Wir sind der Meinung, daß das, was dort programmatisch festgelegt worden ist, nicht mit unseren politischen Zielvorstellungen in allen Punkten übereinstimmt. Aber dies ist nicht Gegenstand der Politik dieser Regierung. Dies ist nicht Gegenstand der Diskussion in der Haushaltsdebatte. Deswegen werden wir an anderer Stelle diese programmatischen Auseinandersetzungen zu führen haben, und nicht hier.
Weiter, Herr Kollege Kraus, möchte ich kurz auf Ihre Anregung, noch weiter aktiv in der Vermögenspolitik zu sein, eingehen. Wir haben diese Frage in der Debatte über Vermögenspolitik kurz vor der Sommerpause diskutiert. Ich habe mit der amtierenden Präsidentin im Auftrage meiner Fraktion unsere Stellungnahme hier deutlich machen können. Wir haben ja zum Kern der Gesetzesvorlage gesagt, unser Ja deutlich gemacht, aber auch darauf hingewiesen, daß es viele Detailprobleme gibt, die es zu regeln gilt. Wir sind sicher, daß die aktiv in dieser Frage tätigen beiden Häuser uns vernünftige Lösungsvorschläge unterbreiten werden. Wir sind uns ja mit dem Kanzler einig, der in der Regierungserklärung sehr deutlich, gemacht hat, daß die Zielvorstellung „Erweiterung der Vermögensbildung" für uns nicht eine verbale, sondern eine konkret in Angriff zu nehmende Aufgabe ist.
Lassen Sie mich bitte hier in der Mitte der Legislaturperiode kurz Bilanz ziehen. Ich möchte um Verständnis dafür bitten, wenn dies wegen der Kürze der Zeit nur stichwortartig geschieht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Wenn es unbedingt notwendig ist, Herr Kollege Franke; aber ganz kurz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, können Sie mir sagen, wann hier von Ihnen ein Gesetzentwurf über die Beteiligung breiter Schichten unserer Bevölkerung am Produktivkapital vorgelegt werden wird?
Ich bin nicht zuständig für den Terminplan dieser Regierung,
Cronenbergaber Sie können sicher sein, daß wir keine Gelegenheit versäumen werden, die Regierung an diese ihre Pflicht zu erinnern. Ich hoffe, daß wir dabei entsprechende Unterstützung von allen Seiten des Hauses erfahren.
Lassen Sie mich hier in der Mitte der Legislaturperiode Bilanz ziehen. Wie war die Ausgangslage 1976? Wir hatten die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, Defizite in der Rentenversicherung, steigende Arbeitslosigkeit. Es sei auch in unsere gemeinsame Erinnerung zurückgerufen, daß damals der Vorwurf der Opposition lautete, wir — die Regierung, die Koalition — seien allein für diesen Zustand verantwortlich. Man hörte landauf, landab, der alsbaldige Zusammenbruch unseres Sozialstaates stehe vor der Tür. Herr Kollege Müller hat uns in seinem Debattenbeitrag als hilflos und konzeptionslos darzustellen versucht.
Schätzen wir nüchtern die heutige Situation ein. Wie stellen sich die Dinge heute dar? Der Anstieg der Kosten im Gesundheitswesen wurde wirksam gebremst, eine Beitragserhöhung konnte auch zu unserer Überraschung vermieden werden; Beitragssenkungen sind zu verzeichnen. Zugegeben: Ein wichtiger Teil der Kostendämpfung — das Krankenhausfinanzierungsgesetz — wurde noch nicht geregelt. Ich appelliere an Sie, bei den Ländern mit dafür zu werben, daß wir hier zu einer ähnlich effektvollen und ordnungspolitisch sauberen Lösung kommen, damit auch das letzte Kapitel im Bereich der Kostendämpfung in unserem gemeinsamen Interesse sauber abgeschlossen werden kann.Was die Rentenfinanzen anlangt, so ist zunächst festzustellen: Die Defizite sind praktisch ausgeglichen. Das Realeinkommen der Rentner — das wurde schon mehrmals wiederholt — steigt, und zwar gleichmäßig mit dem Einkommen der Aktiven. Man kann darüber denken, wie man will, aber letztendlich meine ich, daß Sie dies im Interesse der Rentner doch für eine nicht schlechte Leistung halten sollten.
Herr Kollege Müller, Herr Kollege Franke, nehmen Sie doch bitte freundlicherweise zur Kenntnis: Eines geht in dieser Diskussion sicher nicht, nämlich daß Sie Beitragsstabilität versprechen und gleichzeitig eine Leistungsausweitung fordern, wobei auch noch dafür gesorgt werden soll, daß die Kassen in Ordnung sind. Das ist eine Geschichte, die bei Gott einfach nicht geht.
Darum muß es legal und erlaubt sein, zu untersuchen, wie wir nach 1984 — dies dreimal unterstrichen — mit einer sauberen Regelung diese Dinge in Angriff nehmen können. Ich weiß, daß Sie als verantwortliche Politiker diesen Fragenkomplex in Ihrer Fraktion diskutieren und nach Lösungensuchen. Wir verfolgen mit großer Aufmerksamkeit die Beiträge des Kollegen Franke und anderer Leute aus Ihrer Fraktion. Wir sichern Ihnen zu, daß wir bereit sind, diese unvoreingenommen objektiv zu gewichten. Aber wir bitten Sie auch höflich, dies mit unseren Vorschlägen zu tun. Vielleicht wird dadurch diese Diskussion etwas versachlicht.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang folgendes deutlich sagen: Voraussetzung hierfür ist ein hoher Beschäftigungsstand. Ein hoher Beschäftigungsstand kann nur erreicht werden, wenn in diesem Lande eine sinnvolle und vernünftige Wirtschaftspolitik betrieben wird, wie sie in der Vergangenheit auch betrieben wurde.Zur Analyse unserer Situation gehört es auch, noch einmal stichwortartig die Ursachen der ganzen Angelegenheit aufzuzeichnen: Rohstoff- und Energiekrise, verspätete DM-Aufwertung, auch staatliche Interventionen, die Investitionen verhinderten. Hinzukommt — das kann nicht oft genug wiederholt werden —, daß die Lohnkosten mehr gestiegen sind als die Produktivität. Genau in den Jahren, in denen dies berücksichtigt wurde, als die Löhne im Gleichschritt mit der Produktivität stiegen, haben wir als Folge einer solchen vernünftigen Tarifpolitik die höchsten Steigerungen des Realeinkommens, die geringsten Probleme. Dies müssen die Tarifpartner immer wieder hören, damit sie sich so vernünftig verhalten, wie uns dies in den letzten Tagen vorexerziert worden ist.Eine vernünftige, wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik hat die Probleme mit lösen geholfen — eine Stabilitätspolitik, die Sie bitte nur an ihrem Erfolg messen wollen —, dazu eine Haushaltspolitik, die sinnvollerweise die Dinge investitionsfördern angefaßt hat, und eine Steuerpolitik, die in letzter Konsequenz Arbeitnehmern und Arbeitgebern Erleichterung verschafft hat. Das heißt, im Grunde genommen müßten Sie mindestens mit diesem Teil des Programms sehr einverstanden sein; denn es müßte Ihren verbalen Wünschen entsprochen haben. Da es Ihnen, genau wie uns, um das Wohl derjenigen geht, die an diesem Arbeitsmarkt tätig sind, müßte man eigentlich Zustimmung erwarten.Diese Politik muß sinnvollerweise durch arbeitsmarktpolitische flankierende Maßnahmen ergänzt werden. Deswegen möchte ich kurz noch einmal auf die Problematik des Arbeitsförderungsgesetzes eingehen.Was haben wir immer verlangt? Förderung der regionalen und beruflichen Mobilität, Verhinderung von Leistungsmißbrauch, und hierzu gehört auch — das sei offen angesprochen — die Konkretisierung des Zumutbarkeitsbegriffes. Ich erkläre klar und deutlich für meine Fraktion: Wir begrüßen die Vorschläge, die der Arbeitsminister uns vorgelegt hat. Ich möchte mich nicht, ohne die Fähigkeiten des betroffenen Herrn noch einmal zu würdigen — das hat mein Fraktionskollege Hansheinrich Schmidt getan —, mit den personellen Querelen auseinandersetzen, sondern ich möchte klar und deutlich sagen: Jawohl, wir halten diese Konkretisierung für notwendig, wir halten diese Vorschläge des Arbeits-
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Cronenbergministers für gut. Ich wäre Ihnen dankbar gewesen, Herr Kollege Müller, wenn Sie auch zu diesem Bereich eine klare Stellungnahme abgegeben hätten, nämlich ob Sie dafür oder dagegen sind. Vielleicht läßt sich das noch nachholen; das erleichtert die Beurteilung Ihrer Kritik in diesem Zusammenhang.Was wollen wir mit dieser Novelle? Der Arbeitslose muß — so haben wir gesagt — täglich erreichbar sein. Wir wollen, daß seine bisherige berufliche Tätigkeit berücksichtigt wird. Wir wollen, daß die Dauer seiner Arbeitslosigkeit ebenso berücksichtigt wird wie seine familiären Verhältnisse. Seine spezielle individuelle Situation muß berücksichtigt werden. Aber auch die Interessen der Beitragszahler, der Solidargemeinschaft, die letztendlich das Geld hierfür aufbringt, müssen berücksichtigt werden. Ich meine, daß hier ein durchaus sauberes, diskutables Konzept vorgelegt worden ist, was ich noch einmal ausdrücklich begrüße.Lassen Sie mich zum Schluß nicht versäumen, eine herzliche und sehr ernst gemeinte Bitte zu äußern. Wünschen Sie uns, der Regierung und der Koalition und damit auch sich selbst, daß wir mit diesem beschäftigungspolitischen Programm ebenso erfolgreich sind wie mit unserer Rentenpolitik und mit unseren Kostendämpfungsvorschlägen;
denn dann wird — wie auch immer die Situation in diesem Lande sein mag — denjenigen, denen auch Sie helfen wollen, dieser Bevölkerung, geholfen sein. Das ist Sinn und Zweck aller unserer Bemühungen. Sie haben — das wird Sie nicht erstaunen — sogar die Möglichkeit, diese Ihre guten Wünsche zu dokumentieren. Sie brauchen nur dem vorgelegten Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Soziales zuzustimmen.
Ich lade Sie herzlich hierzu ein.
Das Wort hat Herr Bundesminister Ehrenberg.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf des Einzelplans 11 ist das Ergebnis einer harmonischen und sich gegenseitig ergänzenden Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik.
Er ist auch in diesem Jahr mit runden 46 Milliarden wieder der mit Abstand größte Einzelplan des Bundeshaushalts und damit ein Dokument des Willens der Bundesregierung und des Parlaments, die zentralen Aufgaben der Sozialpolitik zu erfüllen.
Er weist gegenüber dem Haushaltssoll 1978 eine Steigerung von 8 °/o auf. Und wenn man die sozialpolitisch wichtigen Elemente aus den anderen Einzelplänen hinzuzieht, dann ergibt sich, daß ein volles Drittel des gesamten Bundeshaushalts mit sozialer Zielrichtung ausgegeben wird.
Meine Damen und Herren, das Jahr 1978 bringt viele gute Beispiele dafür, daß sozialer Fortschritt auch unter ökonomisch schwierigen Bedingungen möglich ist. Als Beispiele seien hier nur angeführt: die schrittweise Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Behinderte, die Einführung eines viermonatigen Mutterschaftsurlaubs. All das nennt Herr Kollege Müller Krisenmanagement. Ich nenne es sozialen Fortschritt, was wir da gemacht haben.
Zu diesem Mutterschaftsurlaub hat Frau Kollegin Geier hier ein paar Ausführungen gemacht, die mich fast verstört haben. Nachdem sie von der Geborgenheit in der Familie gesprochen hatte, hat sie hier gesagt, wir, die Bundesregierung, zwängen die Frauen mit dem neuen Mutterschaftsurlaubsgesetz, direkt an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Ihre Ausführungen, verehrte Frau Kollegin, wurden an Unsachlichkeit nur noch durch das, was der Fraktionsvorsitzende Kohl am zweiten Tag und Herr Kollege Müller zur Rentensituation gesagt haben, übertroffen.
Lesen Sie das nach, und Sie werden wissen, wie es
wirklich um die Rentenfinanzen steht. Vor einem
Jahr haben Sie sich noch ständig auf Herrn Kolb
bezogen. Heute tun Sie das nicht mehr, weil er heute nicht so schreibt, wie es Ihnen paßt.
Was hier von Ihrem Fraktionsvorsitzenden bis zu Ihren Sprechern heute über die Notwendigkeit der Neuordnung der Rentenversicherung auf Grund der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gesagt wurde, läßt mich mit wenig Vertrauen in die Zukunft und in Ihre Mitarbeit in dieser Kommission schauen, wenn das Ihre Meinung sein sollte. Ich hoffe sehr, daß der Eindruck aus diesen Reden täuscht und daß wir diese große Aufgabe gemeinsam miteinander bewältigen können. Die gegenwärtige Finanzsituation der Rentenversicherung gibt jedenfalls eine solide, tragfähige Grundlage dafür.
Arbeiten Sie mit! Sie haben Gelegenheit, das jetzt beim Muterschaftsurlaubsgesetz zu beweisen, bei der unentgeltlichen Beförderung, beim fünften Arbeitsförderungsgesetz, beim Krankenhausfinanzierungsgesetz. Dort können Sie zeigen, wie es um Ihr soziales Engagement und Ihre Mitarbeit bestellt ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte das jetzt nicht, die Zeit ist weit genug fortgeschritten.
— Es ist überhaupt nicht gefährlich; aber der Herr Sayn-Wittgenstein hat soviel Fragen gestellt, und ich würde ihm gern noch einige beantworten. Er hat mich ausdrücklich darum gebeten.Zum Beispiel hat Herr Sayn-Wittgenstein gefragt, warum wir keine Berechnungen über die Personalkostenauswirkungen der 35-Stunden-Woche in Krankenhäusern gemacht haben. Er war mit der Antwort, die der Parlamentarische Staatssekretär gegeben hat, nicht zufrieden.
Da Sie nur sehr teilweise zitiert haben, möchte ich sie Ihnen hier in Erinnerung rufen. Herr Buschfort hat auf diese Frage gesagt:Die Auswirkungen einer Arbeitszeitverkürzung im Krankenhaus auf den Personalkostenanteil würden vor allem von den Einzelheiten der tarifvertraglichen Regelungen abhängig sein, ferner von den Gegebenheiten in jedem einzelnen Krankenhaus, etwa dem Ausmaß von Rationalisierungsmöglichkeiten und der Auslastung des vorhandenen Personals.Das ist
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Bundesminister Dr. Ehrenbergeine sorgfältig überlegte Antwort, und jede andere Antwort, Herr Dregger, wäre das Vorspiegeln von exakten Rechnungen, wo sie nicht möglich sind. Oder wollen Sie im Ernst sagen, daß es für die Wirkung der 35-Stunden-Woche gleichgültig ist, ob ein Krankenhaus zu 80 %, zu 90 % oder zu 70 % belegt ist?
Wollen Sie das vor dem Hintergrund eines Bettenberges von 50 000 Betten im Ernst behaupten? Können Sie mit Recht, Herr Sayn-Wittgenstein, aus dieser vorsichtigen Formulierung, aus dem Hinweis auf auch in diesem Bereich sehr massiv vorkommende Rationalisierungsmaßnahmen
eine Empfehlung zu Rationalisierungen herauslesen, wie Sie es getan haben? Das ist dort nicht enthalten.Wenn Sie hier schon — das ist ja sehr oft geschehen — so oft mit der 35-Stunden-Woche operieren, dann muß ich Sie doch alle miteinander fragen: Wo ist die Kostenrechnung, die Herr Sayn-Wittgenstein von uns für die Krankenhäuser verlangt? Können Sie mir vielleicht gelegentlich jene Rechnung übermitteln, die doch im Anschluß an die Wahlkampfanzeige der CDU vom 22. August 1975 hätte erfolgen müssen? Sie haben damals wörtlich geschrieben:Bis zum Jahre 1975 wird der durchschnittliche Stundenlohn des Arbeiters auf 7,84 DM steigen, seine Arbeitszeit auf 35 Stunden in der Woche fallen.Ich frage Sie: Wo sind Ihre Rechnungen dazu, Herr Sayn-Wittgenstein?
— Ich weiß genau, daß Ludwig Erhard nie gerechnet hat. Das ist wahr. Meine Damen und Herren, wenn Sie es nicht glauben, lesen Sie die „Erhard-Saga" aus dem Jahre 1965 nach. Da ist das auf Seite 260 nachgewiesen.
Meine Damen und Herren, hier ist mit Recht viel Gewicht auf die Arbeitsmarktpolitik und die Situation des Arbeitsmarktes gelegt worden. Es bleibt nach wie vor neben der unbestreitbaren Besserung der Situation bei den Rentenfinanzen die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung das politische und moralische Ziel Nummer eins unserer Politik.
Wir sollten aber auch bei allen vorhandenen Problemen nicht übersehen, daß das Jahr 1978 hier unbestreitbare Erfolge gebracht hat. Die Trendwende in der Beschäftigung ist eingetreten, bei den Beschäftigten schon 1977, bei der Gesamtzahl der Erwerbstätigen 1978. Es ist auch — da sind hier noch sehr viele falsche Zahlen genannnt worden — gelungen, den harten Kern der Dauerarbeitslosigkeit zu verringern. Die Zahl derer, die länger als ein Jahr arbeitslos waren, ist vom Mai bis September 1978 um 27 000 zurückgegangen. Wir werden hier unermüdlich weiterarbeiten.Verehrter Kollege Müller , die Vermittlungsoffensive ist nicht in diesem Sommer gestartet worden, wie Sie meinen. Sie ist im Herbst 1977 auf dem Grundstock von 1 000 zusätzlichen Vermittlern und 600 Beraterstellen für den Haushalt 1978 — dem haben wir 1 200 für den Haushalt 1979 nachgeschoben — gestartet worden. Das ist eine ansehnliche und einsatzfähige Zahl. Die Bundesanstalt wird Mühe haben, in entsprechend kurzer Zeit genügend qualifizierte Kräfte einsetzen zu können.
Sie dürften auch zur Kenntnis nehmen, daß von den rund 22 Milliarden DM des Haushalts der Bundesanstalt gute 5 Milliarden DM für Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung, der beruflichen Umschulung und der Rehabilitation, der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, ausgegeben werden. Das ist ein großer und guter Betrag.Meine Damen und, Herren, zum fünften Arbeitsförderungsgesetz hat der Kollege Lutz schon vieles Richtige gesagt. Im Mittelpunkt dieses fünften Arbeitsförderungsgesetzes — —
— Es wird ein fünftes Arbeitsförderungsgesetz, verehrter Kollege Müller ; wenn Sie ein Jahr später die Erfolge sehen werden, werden Sie mir recht geben.
Dort steht im Mittelpunkt eine massive Verstärkung aller Maßnahmen zur beruflichen Weiterqualifizierung, zur Umschulung, zur Fortbildung, um der Tatsache Rechnung zu tragen, daß 56 % der Arbeitsuchenden ungelernte Arbeitnehmer sind. Hier wird das Schwergewicht der künftigen Arbeit liegen.Es wird auch eine Konkretisierung des Zumutbarkeitsbegriffs unter besonderer Berücksichtigung der familiären und individuellen Interessen des einzelnen Arbeitssuchenden erfolgen. Wir legen großen Wert auf die berufliche Mobilität der Arbeitssuchenden und müssen das auch, dürfen aber diese geforderte regionale Mobilität unter Berücksichtigung der familiären Verhältnisse nur sehr behutsam ansprechen. Deshalb steht auch in der Begründung als Ziel der Regional- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung ausdrücklich, die Maschinen zu
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Bundesminister Dr. Ehrenbergden Leuten zu bringen und nicht die Leute an die Maschinen zu bringen. Sie sollten das nachlesen, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Müller , Sie haben sich zu dem Runderlaß 230 und zu meiner Personalpolitik geäußert. Wir werden den Runderlaß 230, der gerade jene Besonderheiten nicht berücksichtigt hat, ändern. Und statt über meine Personalpolitik zu reden, sollten Sie dafür sorgen, daß Ihr Parteifreund Gölter dem im Vorstand der Bundesanstalt zustimmt. Dann können wir das schneller machen und schon vor Inkrafttreten dieser Änderung entsprechend verfahren.
Wir werden nicht nachlassen, in der Arbeitsmarktpolitik das zu tun, was nötig ist. Ihre Kritik wird uns daran nicht hindern. Wir testen den Sozialstaat nicht auf die Grenzen seiner Belastbarkeit. Wir drehen das Rad des sozialen Fortschritts nicht zurück
wie manche aus Ihren Reihen, die beispielsweise eine Reprivatisierung sozialer Risiken fordern. Wir sorgen dafür, daß die Belastung der Beitrags- und Steuerzahler tragbar und das System insgesamt gerecht, rational und durchschaubar bleibt.Lassen Sie mich zum Schluß ein Wort des Dankes für die Zusammenarbeit mit den Kollegen dieses Hauses aussprechen, vor allem den Kollegen aus dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. In dieser Stunde der Haushaltsberatung gilt der Dank aber selbstverständlich in erster Linie den Kollegen des Haushaltsausschusses, allen voran den Kollegen Berichterstattern Sayn-Wittgenstein und Grobecker. Herzlichen Dank für diese Zusammenarbeit, die auch die Mitarbeiter des Arbeitsministeriums einschließen muß.
Ich bitte Sie alle um Verständnis dafür, wenn ich — mit Genehmigung der Frau Präsidentin — diesem Dank an die Mitarbeiter und die Kollegen ein Wort der Trauer und der Betroffenheit anfügen muß. Während der heutigen Beratungen, am Nachmittag, ist der langjährige Leiter der Haushaltsabteilung des Bundesarbeitsministeriums, der Ministerialdirektor Dahlgrün, an den Folgen eines Herzinfarkts verstorben. Ich sah mich veranlaßt, Ihnen das zur Kenntnis zu geben. Ich möchte gerne zum Ausdruck bringen, daß dieser an der Gestaltung des Haushalts über lange Jahre maßgeblich beteiligte Mitarbeiter meinen Mitarbeitern und mir, aber, wie ich annehme, auch Ihnen bei unserer künftigen Arbeit sehr fehlen wird. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir haben drei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vorliegen.
Ich rufe zunächst den Änderungsantrag auf Drucksache 8/2484 unter Nr. 7 auf. Begründung und Aussprache werden wohl nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nun den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2490 auf. Auch dazu werden wohl keine Begründung und keine Debatte mehr gewünscht.
Wir stimmen über diesen Änderungsantrag ab. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2485 unter Nr. II. Auch hierzu werden keine Begründung und keine Debatte mehr gewünscht. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
— Drucksachen 8/2421, 8/2470 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Dübber
Wünscht der Berichterstatter das Wort? Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Dübber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu einem Projekt aus dem Bereich „Technische Kommunikation" eine kurze Bemerkung machen. Es handelt sich um das Kabelfernsehen, das einzuführen die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen haben, und zwar in vier sogenannten Pilotprojekten in Dortmund, in Mannheim/Ludwigshafen, in München und in Berlin. Dort soll mit jeweils 10 000 angeschlossenen Haushalten getestet werden, in welcher Weise die Bevölkerung dieses neue Medium akzeptiert.
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Dr. DübberEs handelt sich um einen sehr kostspieligen Vorgang. Ich schätze, daß es alles in allem mindestens eine halbe Milliarde DM kosten wird. Im bayerischen Landtag hat Ministerpräsident Goppel die Kosten für eines dieser Projekte auf 40 bis 120 Millionen DM beziffert.Woher dieses Geld kommen soll, ist bisher völlig unklar. In den Haushalten der betreffenden Bundesländer ist nichts angesetzt. Ich habe den Verdacht, daß die Länder ihren Blick auf den Bund als den Hauptfinancier für dieses Unternehmen richten. Anders ist die doch etwas unseriöse Art der finanziellen Vorbereitung nicht zu erklären.Der Landtag in Stuttgart wird in Kürze über das Kabelfernsehen debattieren. Ich hoffe, er wird es auch über die finanzielle Seite tun. Auch der Rundfunkrat des Süddeutschen Rundfunks hat sich mit dem Problem beschäftigt. Er hat eine kritische Stellungnahme abgegeben, insbesondere zu der Absicht, für das Unternehmen Mannheim/Ludwigshafen auch Rundfunkgebühren heranzuziehen.Dem Wunsch, den Bund hierfür in größerem Ausmaß 'zur Kasse zu bitten und ihn auch für die Programme, also für das, was man „software" nennt, in Anspruch zu nehmen, muß widersprochen werden. Der Rundfunk ist Länderangelegenheit und demzufolge auch von den Ländern zu finanzieren.Dies ist hier bisher die Politik der Bundesregierung und wird es weiter sein. Sie wird sich in diesem Haushalt, den wir jetzt beraten, mit relativ bescheidenen Beträgen an der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung und der Entwicklung der Endgeräte beteiligen. Dies hat sie dem Haushaltsausschuß dargelegt und damit dessen Zustimmung gefunden.
Vor allem hat der Haushaltsausschuß den Wunsch ausgedrückt, daß sich der Bund nur dann finanziell beteiligt, wenn abgeschlossene und sauber durchgerechnete Kalkulationen vorliegen. Hier werden technisch höchst anspruchsvolle Unternehmen vorbereitet. Wir möchten nicht später auf „elektronischen Investitionsruinen" sitzenbleiben.Andererseits können neue Medien die Lebensgewohnheiten völlig verändern. Deshalb müssen die Parlamente die Entwicklung beeinflussen können.Über die Akzeptanz dieser Vorhaben bei Publikum gibt es unterschiedliche Erkenntnisse. Vergleichbare Projekte in Amerika, Japan und Holland lassen erkennen, daß das Interesse der Bevölkerung in dem Augenblick rapide nachläßt, in dem sie selber dafür Gebühren zahlen soll. Dies wünschen wir im vornhinein bedacht.Es wäre vielleicht auch nützlich, wenn neben die Wissenschaftler, die sich bis jetzt mit der Vorbereitung der Begleitforschung beschäftigen, auch Praktiker träten, die z. B. die Einschaltquoten unserer beiden Fernsehsysteme errechnen. Was nämlich einmal mit hohen öffentlichen Investitionen in die Welt gesetzt und dann mit hohen Subventionen am Leben erhalten wird, ist auch ein paar Jahre später nicht wieder wegzukriegen, wenn die Subventionen fortfallen sollten. Das wird dann politisch schwer, wennsich etwa Kommunalpolitiker daran gewöhnt haben, daß Gemeinderatssitzungen im Kabelfernsehen übertragen werden, oder die Parteien regelmäßige Sendezeiten bekommen. Ich weiß, wovon ich rede; denn ich kriege eines dieser Projekte in den von mir betreuten Wahlbezirk.Das ZDF, um ein Beispiel für unseriöse Rundfunkgründungen zu nennen, ist seinerzeit von den Ministerpräsidenten völlig überhastet gegründet worden. Für ein verbleibendes Defizit entdeckte man die Werbung, und es folgten dann jahrelange Prozesse, ob die Werbeeinnahmen versteuert werden müßten oder nicht. Es ergab sich die delikate Situation, daß der jeweilige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz in seiner Eigenschaft als Verwaltungsratsvorsitzender des ZDF dem Etat zustimmte und sein Kabinettskollege, der Finanzminister des Landes, dem ZDF die Steuerbescheide schickte und gegen das ZDF prozessieren ließ.Der Haushaltsausschuß hat beschlossen, daß in den Pilotprojekten, soweit sich der Bund finanziell beteiligt, keine Werbung stattfinden soll. Es wäre völlig unfair, wenn das hochsubventionierte Kabelfernsehen in den örtlichen Anzeigenmarkt einbrechen und mit Privatunternehmen wie mit der Lokalpresse, mit Kinos und Anzeigenblättern um Werbeanteile kämpfen würde. Ich verstehe die Industrie, die auf einen baldigen Beginn drängt. Aber neben der Technik müssen auch die Programme konzipiert und überdacht werden, bevor der Startschuß fällt.Der Bundeskanzler hat vor einiger Zeit mit seinem Vorschlag eines fernsehfreien Tages einen Stein ins Wasser geworfen, der weite Ringe gezogen hat. Aber schon davor durfte gefragt werden, ob denn der Konsument überhaupt 30 Fernsehprogramme oder die Möglichkeit überhaupt haben wolle, sich die Theaterkarte elektronisch per Rückkanal in die Wohnstube transportieren zu lassen. Denn nach der Einführungsphase gibt es keine Subventionen mehr. Dann müssen sich die Anlagen selber finanzieren. Da wird vielleicht manchmal die Postkarte der billigere Weg sein.Mir haben begeisterte Ingenieure erzählt, daß man später, auch über Satellit, alle ARD-Regionalprogramme überall im Bundesgebiet werde sehen können, die bayerische Abendschau also in Flensburg und umgekehrt die Nordschau in Passau. Ich habe nun längere Zeit das Fernsehen im nördlichsten Bundesland geleitet und kann nur von einem minimalen Interesse des Publikums für solche Dinge berichten. Eine zusätzliche Gebühr wird dafür sicher kaum jemand zahlen.Abschließend: Kabelfernsehen wird es geben und soll es geben mit der Unterstützung des Bundes, wie dargelegt und wie im Haushaltsplan veranschlagt. Es wird es aber nur dann geben, wenn es die Länder wollen und wenn sie den finanziellen Hauptteil tragen.
Ich danke für die Berichterstattung.
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Vizepräsident Frau RengerDas Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Stavenhagen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dübber, nur eine Bemerkung zum Kabelfernsehen. Wir waren im Haushaltsausschuß der Meinung — und daran hat sich nichts geändert —, daß die Organisationsform, die Rechtsform von Pilotprojekten nicht von vornherein festgeschrieben werden sollte. Deswegen haben wir auch Ihrer Forderung widersprochen, von vornherein die Werbung auszuschließen. Denn wir meinen, hier sind auch andere Rechtsformen auszuprobieren, als wir heute in der Rundfunklandschaft haben.
Zum Einzelplan 30! Der Forschungsminister ist ohne Zweifel der große Absahner. beim Wirtschaftsgipfel vom vergangenen Jahr gewesen. Sein Haushalt stieg in Verfolg der Beschlüsse dieses Gipfels um 700 Millionen DM auf 5,6 Milliarden DM. Wir haben in den Beratungen darauf hingewiesen, daß dieser enorme Zuwachs nicht gerechtfertigt ist. Erstens braucht Forschungspolitik Kontinuität und keine Wechselbäder. Zweitens wurden ja auch beim Haushalt 1978 über 260 Millionen DM nicht verbraucht, weil die Projekte nicht vorbereitet, nicht da waren. Wenn das schon 1978 galt, muß das um so mehr beim Etat 1979 gelten.
Wir hielten bei dem Haushalt von 1979 eine Kürzung um 250 Millionen DM für sinnvoll und angebracht. Ich möchte betonen, daß bei dieser Kürzung kein einziges laufendes Projekt gefährdet worden wäre.
Daß unsere Vorschläge Hand und Fuß hatten, beweist die Tatsache, daß wir im Ausschuß gemeinsam um 150 Millionen DM gekürzt haben, allerdings mit dem erheblichen Schönheitsfehler, daß davon 80 Millionen DM als globale Minderausgabe gekürzt wurden, womit sich das Parlament der Möglichkeit begibt, zu sagen, wo gespart wird, und das Budgetrecht praktisch an die Regierung abtritt.
So reizvoll es wäre, hier eine umfangreiche Liste von fehlgeschlagenen Projekten auszubreiten, so muß ich mich doch auf einige wenige Beispiele beschränken. Das sind keine spektakulären Einzelfälle, wie der Forschungsminister meint, sondern diese Fälle stehen beispielhaft für eine Forschungspolitik, die mehr die eigene Wählerklientel im Auge hat als den volkswirtschaftlichen Nutzen.
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Es ist z. B. leicht zu erklären, daß von den Parteienstiftungen auf der Liste der Zuwendungsempfänger nur eine einzige auftaucht, und zwar die FriedrichEbert-Stiftung. Die anderen sind dort nicht vertreten.
Es war amüsant, in den letzten Jahren zu verfolgen, mit welchen Klimmzügen man die Sternwarte Bochum jahrelang gefördert hat.
Der Vorsitzende dort war Mitglied der SPD und hatte einflußreiche Freunde. Er ist jetzt nicht mehr und wird auch nicht mehr gefördert.
Herr Forschungsminister Hauff hat bei der IG Bergbau in Saarbrücken wider besseres Wissen den Eindruck erweckt, wir seien gegen die Humanisierung des Arbeitslebens im Steinkohlebergbau. Er hat damals, gerichtet an die CDU-Mitglieder der IG Bau Bergbau, gesagt: „Helft mit, daß dieses wichtige Forschungsprogramm nicht unnötig in Streit gerät!"
Meine Damen und Herren, der Forschungsminister kann am allermeisten dazu beitragen, daß dieses Programm nicht in Streit gerät, wenn er dafür sorgt, daß seriöse Projekte da sind und daß das nicht länger eine Spielwiese für Exoten und Spinner bleibt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Stavenhagen, trifft es zu, daß Sie im Haushaltsausschuß den Vorschlag gemacht haben, den Titelansatz für die Humanisierung der Arbeit um 25 Millionen DM zu kürzen? Wollen Sie das hier bestätigen?
Das trifft zu. Und die Koalition ist uns insoweit gefolgt, so daß wir gemeinsam den Titel um 10 Millionen DM gekürzt und 5 Millionen DM gesperrt haben, bis im Ausschuß dargestellt worden ist, daß die schwerwiegenden Mängel, die auch von der Koalition angesprochen wurden, beseitigt sind.Meine Damen und Herren, es gibt Wissenschaftler, die in diesem Programm „Humanisierung der Arbeitswelt" aus den Projekten eine Lebensaufgabe machen. Das sind bespielsweise diejenigen, die mit einer Voruntersuchung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Schreibdiensten der obersten Bundesbehörden beschäftigt waren. Sie haben auf 234 Seiten für knapp 800 000 DM die „Forschungskonzeption für die Hauptphase", wie sie es nannten, dargelegt. Diese Hauptphase soll dann weitere 900 000 DM kosten. Wie man in den Schreibdiensten Verbesserungen durchführen kann, wissen wir bis heute noch nicht. Dort hat sich inzwischen überhaupt nichts geändert.Der Schulterschluß zwischen DGB und SPD wird auch im Forschungsetat sichtbar. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut des DGB erhält 1,8 Millionen DM für ein Dokumentations- und Informationssystem.Das sind die Punkte, die wir bei dem Programm „Humanisierung der Arbeitswelt" kritisieren, nicht aber Projekte im Steinkohlebergbau.Sie, Herr Hauff, haben wiederholt von Scheingefechten zwischen direkter und indirekter Investitionslenkung gesprochen. Nun sagen nicht nur wir,
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Dr. Stavenhagensondern auch der Sachverständigenrat, die Kommission für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel und andere, daß die indirekte Forschungsförderung verstärkt werden muß. Diese Gremien stehen wohl kaum in dem Verdacht, Hilfstruppen der Union zu sein.Damit Sie uns nicht wieder mitverstehen können, Herr Hauff: wir meinen nicht ein Entweder-Oder, wir meinen aber auch nicht „indirekt" anstatt „direkt", sondern worauf es uns ankommt, ist eine Verschiebung der Gewichte, eine Beseitigung des gravierenden Ungleichgewichts zu Lasten der indirekten Förderung. Da sind wir uns mit den Fachleuten einig.
Sie bezeichnen die indirekte Förderung als Förderung nach dem Gießkannenprinzip, weil Sie natürlich die Möglichkeit, direkt in die Betriebe hineinzugehen, als hervorragendes Instrument, Produktionsprozesse, Investitionen und damit Wirtschaftsstrukturen zu lenken, erkannt haben. Wenn Sie mit der direkten Projektförderung nun zunehmend auch in die marktnahen Bereiche, die kleinen und kleinsten Projekte hineingehen, dann ist dies der Ausdruck der Tatsache, daß man versucht, mit Forschungsmitteln in die Wirtschaft hineinzuregieren — ein Anschlag auf unsere Wirtschaftsordnung; anders kann man das nicht nennen.
— Herr Steger, das Ergebnis wird sein, daß wir in der Zukunft zwei Arten von Industrien haben. Die einen sind ungeschützt im Wettbewerb, während die anderen gewissermaßen unter einer Glocke staatlicher Subsidien ihr Dasein fristen. Dies wäre in der Tat eine Veränderung unserer Wirtschaftsordnung.Sie, Herr Hauff, wollen bestimmen, welche Branchen wachsen sollen und welche nicht, Sie wollen „selektives Wachstum", wie das bei Ihnen einige nennen.
Ich bin allerdings der Meinung, meine Damen und Herren, daß auch die Unternehmer einmal über die Hygiene im Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft nachdenken sollten. Es ist kein Zufall, daß viele Unternehmer, die in den 60er Jahren staatliche Forschungsförderung weit von sich gewiesen haben, heute hier auf der Matte stehen.Wir sind der Meinung, daß es das zentrale Bemühen der Wirtschaft sein sollte, Erfolg am Markt zu haben, und nicht, daß man ein Schulterklopfen von Herrn Hauff erhält.
Geradezu lächerlich finde ich es, daß es jetzt einen Wettbewerb gibt, um das „Innovative mittelständische Unternehmen des Jahres" zu ermitteln. Dem Preisträger winkt ein Ehrenpreis des Forschungsministers. Herr Hauff, vergessen Sie den Ehrenpreis und sorgen Sie dafür, daß das Klima im Lande sowird, daß die Betriebe forschen können! Dann brauchten wir keine Ehrenpreise.
Tatsache ist, daß sich das Wachstum der Forschung der Wirtschaft in den letzten Jahren verlangsamt hat. Tatsache ist, daß die Gesamtzahl der in der Forschung der Wirtschaft beschäftigten Personen rückläufig war. Tatsache ist, daß der Anteil. der Forschung am Bruttosozialprodukt in den letzten Jahren rückläufig war. Tatsache ist ferner, daß unsere Betriebe eine weit schlechtere Eigenkapitalausstattung haben als die in den meisten westlichen Industrieländern — in der Tat eine schlechte Basis für ein Klima der Forschung und der Innovation.Was wir brauchen, ist eine Forschungspolitik frei von Investitionslenkung, die ein Klima schafft, in dem Forschung möglich wird. Dazu müssen die finanziellen Voraussetzungen im steuerlichen Bereich geschaffen werden.
— Die wird dadurch nicht falsch. Man muß das bei Ihnen doch immer wiederholen. Irgendwann bleibt vielleicht doch ein bißchen davon hängen.
Nur weil wir jahrelang das Thema indirekte Forschungsförderung aufgegriffen haben, sind Sie und der Forschungsminister wenigstens in einigen Dingen ein bißchen Voranmarschiert. Sie sehen also: Wenn man immer wieder auf den Nagel klopft, zeigt das irgendwann einmal ein bißchen Wirkung.
— Herr Kollege Wehner, wenn es richtig ist und wenn es bei Herrn Hauff eben so lange dauert, bis das klar ist, darf man das ruhig auch einmal wiederkäuen.Damit kein Mißverständnis aufkommt: Wir sind auch der Meinung, daß es neben einer verstärkten indirekten Förderung auch einer direkten Förderung wichtiger ausgewählter Schlüsselindustrien und Großprojekte mit hohem Risiko bedarf. Dies muß so sein, und dies wird so bleiben.Ferner ist wichtig, daß die Grundlagenforschung nicht weiter unter die Räder kommt. Das Mittelvolumen für Grundlagenforschung sinkt trotz einer enormen Ausweitung des Forschungsetats. Dies ist ausgesprochen schädlich. Ich mache heute schon darauf aufmerksam, daß eine der großen Institutionen der Grundlagenforschung, die Max-Planck-Gesellschaft, in den nächsten Jahren dann, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden will, eine erheblichen Personalbedarf haben wird. Wir sind bereit, dafür zu sorgen, daß er befriedigt wird. Wir sind auch der Meinung, daß dies im Forschungshaushalt finanzierbar ist, und würden uns freuen, wenn die Regierung hier mitzieht.
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Dr. StavenhagenWir halten dies für wichtiger als eine Reihe von forschungspolitischen Rohrkrepierern, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten. Ich nenne Europarakete, Großrechner, Weltraumlabor, Atomschiff „Otto Hahn" und den Schnellen Brüter in Kalkar, der ebenfalls zu einem Rohrkrepierer zu werden droht, nachdem dort bereits 2 Milliarden DM verbaut worden sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stockleben?
Ja, bitte.
Herr Kollege Stavenhagen, da Sie auf den Zwischenruf meines Kollegen Steger, diese Rede hätten Sie schon einmal gehalten, mit der Antwort reagiert haben, es könne nicht schaden, eine schon einmal gehaltene Rede noch einmal vorzutragen, und da Sie davon gesprochen haben, daß. Ihre Fachleute Ihnen bestätigt hätten, daß die indirekte Forschungsförderung verstärkt werden müsse, möchte ich Sie fragen: Würden Sie hier bestätigen, daß bei der Anhörung der Sachverständigen zu diesem Thema zwar die Industrie der Meinung war, daß durchaus mehr indirekte Forschungsförderung betrieben werden könnte, daß aber die Gewerkschaftsvertreter einmütig gesagt haben, man sei hier auf dem richtigen Weg, in vielen Bereichen werde nur die direkte Forschungsförderung den Effekt erzielen, den wir uns davon erhoffen, beispielsweise im Bereich der Humanisierung der Arbeit, beispielsweise im Bereich der Stahlindustrie und in vielen anderen Bereichen, und würden Sie hier bestätigen, daß Ihre Fachleute die Vertreter der Industrie waren?
Ich habe nicht gesagt, Herr Kollege Stockleben, daß es unsere Fachleute sind, sondern ich habe gesagt, daß es unabhängige Fachleute sind. Wenn Sie einmal nachlesen, wer das ist, dann stellen Sie fest, daß diese weniger bei uns zu suchen sind als in der neutralen Mitte.
Aber ich wollte noch etwas zum Brüter sagen. Der Streit bei Ihnen über den Schnellen Brüter besteht doch darin, ob man die Baustelle sofort dichtmacht oder ob man ihn noch fertigbaut und seinen Betrieb dann einstellt bzw. gar nicht erst aufnimmt. Das ist doch der Streit, um den es bei Ihnen geht.
Meine Damen und Herren, nun sind wir natürlich genauso wenig wie Sie heute schon in der Lage, zu beurteilen, ob die kommerzielle Nutzung des Brüters unter verschiedenen Aspekten möglich ist oder nicht. Nur, Herr Professor Ehmke: Wenn man sich entschlossen hat, eine Versuchsanlage zu bauen, dann ist es doch barer Unsinn, nun, nachdem Sie damit angefangen haben, zu sagen: Wir bauen sie nicht weiter, wir machen sie dicht.
— Wenn Sie es können, dann machen Sie sie dicht. — Es ist doch vernünftig und sinnvoll, die Versuchsanlage fertigzubauen und mit der Versuchsanlage die Versuche durchzuführen, die eine sachkundige Entscheidung darüber erlauben, ob die kommerzielle Nutzung des Brüters später möglich ist oder nicht.
Das ist richtig, das ist rational. Alles andere ist FDP-
Karneval, aber keine verantwortliche Energiepolitik.
Die vier, auf die es ankam oder manchmal noch ankommt, haben ja im Zusammenhang mit Kalkar die ganz schwere Keule herausholen müssen. Ich bin einmal gespannt, wie oft wir das in der Energiepolitik noch erleben werden.
Meine Damen und Herren, bei den Beratungen des Einzelplans 30 konnten wir zwar einen Teil unserer Vorstellungen durchsetzen, aber der Forschungsminister hat zu erkennen gegeben, daß er zu einer konstruktiven Erörterung unserer Vorschläge nicht bereit ist. Wer sich in der Forschungspolitik mit Polemik statt mit Argumenten über die Vorschläge der Opposition hinwegsetzt, muß die Verantwortung für den Einzelplan 30 allein tragen. Wir lehnen ihn ab.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laermann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Haushaltsdebatte des gestrigen Tages ist von der Opposition gegenüber der Bundesregierung wiederholt der Vorwurf erhoben worden, sie entwickle keine Zukunftskonzeption. Ich meine, gerade in der Forschungs- und Technologiepolitik wird dieser Vorwurf eindeutig widerlegt. Wenn Sie sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, einmal die parteipolitischen Programme der SPD und auch der FDP anschauen
und sie etwa mit dem jüngst erst verabschiedeten Grundsatzprogramm der CDU im Hinblick darauf vergleichen, was dort zur Forschungs- und Technologiepolitik gesagt ist, dann, so meine ich, sollten Sie den Vorwurf, daß es keine Zukunftskonzeption der Bundesregierung oder der Koalitionsparteien gebe, einmal überdenken und mit sich selbst zu Rate gehen, ob er zu Recht erhoben wird.
Nun spricht im übrigen der verehrte Kollege Dr. Stavenhagen davon, daß der Forschungsminister der große Absahner des Bonner Weltwirtschaftsgipfels
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Dr.-Ing. Laermanngewesen sei. Ich frage mich, wie Sie allein schon mit dem Widerspruch fertig werden wollen, Herr Kollege Stavenhagen, wenn Sie einerseits den Vorwurf erheben, hier würde keine Zukunftskonzeption entwickelt, hier würde der Forschungs- und Technologiepolitik nicht genügend Bedeutung beigemessen, und andererseits bei entsprechender Aufstockung der Haushaltsansätze vom großen Absahnen oder vom großen Absahner sprechen. Das reimt sich doch wohl schlecht zusammen.
— Das mit der Vernunft, Herr Kollege Lenzer, ist allemal eine Schwierigkeit, und Sie und ich wissen sehr wohl, daß wir gelegentlich auch selbst damit Probleme haben.
Ich denke, niemand in diesem Hause widerspricht den Zielen der Forschungs- und Technologiepolitik, die ich ganz kurz skizzieren möchte:1. Diese Politik muß zur Lösung der Probleme eingesetzt werden, die sich aus dem notwendigen Strukturwandel der Volkswirtschaft ergeben.2. Sie muß Motivationen und Innovationen für die Anpassung und Modernisierung der Produktionsprozesse liefern.3. Sie muß dazu beitragen, die Leistungs- und, Wettbewerbsfähigkeit vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen zu verbessern und zu erhalten.4. Sie ist mit globaler Zielrichtung anzusetzen, um die Weltbevölkerung zu befähigen, die schwierigen Zukunftsaufgaben zu bewältigen, als da sind: Erschließung und schonende Nutzung der Rohstoffund Energievorkommen, Ernährungsprobleme, Erhaltung einer intakten Umwelt, Kommunikationsprobleme.Es ist gewiß unvermeidbar, Forschungs- und Technologiepolitik vorwiegend auf die naturwissenschaftlich-technischen Bereiche und damit auf anwendungsorientierte, unmittelbar ökonomisch verwertbare Entwicklungen auszurichten. Den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften kommt aber eine ebenso große Bedeutung zu. Deren Bedeutung wird deutlich, wenn einzelne fachlich relativ eng begrenzte technologische Entwicklungsprojekte darauf untersucht werden, welche Auswirkungen sie auf die ökologischen und ökonomischen Systeme, auf das soziale Verhalten und die soziale Umwelt der Menschen haben. Den Folgewirkungen künstlicher Eingriffe auf die natürlichen Lebensabläufe, auf die historischen und kulturellen Gegebenheiten wird die Forschungspolitik künftig immer mehr Beachtung widmen müssen. Deswegen kommt auch der Friedens- und Konfliktforschung und entsprechenden Ansätzen im Haushalt große Bedeutung zu. Aus diesem Blickwinkel heraus muß man das Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens betrachten. Ob Ihnen, verehrter Kollege Hubrig, dasgefällt oder nicht gefällt, wir halten es für notwendig.Die Forschungs- und Technologiepolitik nimmt daher zu Recht einen hervorragenden Platz in dem vielfach ineinander verwobenen Netz von Rohstoff- und Energieversorgung, Umweltpolitik, Erhaltung von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sowie der allgemeinen gesellschaftspolitischen Zielsetzung im Hinblick auf eine langfristige Sicherung der Zukunft ein. Der Grundlagenforschung — hier stimme ich Herrn Kollegen Stavenhagen durchaus zu — kommt dabei große Bedeutung zu, denn die Ergebnisse der Grundlagenforschung von heute- sind Voraussetzung für angewandte Forschung und technologische Entwicklung von morgen, sind Voraussetzungen für das wirtschaftliche Potential und die soziale Situation von übermorgen.Nun wird beklagt, daß die Förderung der Grundlagenforschung nicht in gleichem Maße wie die Haushaltsansätze im Einzelplan 30 gestiegen sei, sondern prozentual zurückgehe. Dazu ist festzustellen, Herr Kollege Stavenhagen: Grundlagenforschung wird nicht allein im Bereich der MaxPlanck-Gesellschaft betrieben. Die Ansatzsteigerungen haben sich doch, wie wir alle wissen, aus durchaus verständlichen und begründbaren . konjunkturpolitischen Rücksichten wie Nachtragshaushalt — Kohle/Stahl —, Weltwirtschaftsgipfel und Zukunftsinvestitionsprogramm ergeben. Darüber hinaus gibt ein prozentualer Vergleich ein völlig falsches Bild. Hier müßten richtigerweise doch wohl die absoluten Beträge einander gegenübergestellt werden. Außerdem läßt sich der Anteil der Grundlagenforschung — ich möchte allerdings sehen, wie Sie dieses Kunststück fertigbringen — nur schwer eindeutig aus den einzelnen Haushaltstiteln herausziehen. Letztlich — dies sei eine grundsätzliche Bemerkung — ist der Bund nicht zuständig für die Grundlagenforschung, sondern allein über die Großforschungskompetenz besteht hier eine begrenzte Möglichkeit.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen?
Herr Kollege, halten Sie es für ausreichend, daß das reale Wachstum des Haushalts der Max-Planck-Gesellschaft in den letzten zehn Jahren 17 % betrug?
Herr Kollege Stavenhagen, hier müssen wir ja wohl auf die Personalsituation und den Ansatz der Personalkosten in diesen staatlichen Forschungseinrichtungen Obacht geben. Sie wissen sehr wohl, daß aus haushaltspolitischen Grundsätzen die Maßstäbe, die an die allgemeine Verwaltung angelegt wurden, auf Bundesanstalten und Großforschungseinrichtungen übertragen wurden. Ich stimme Ihnen zu, daß unter besonderer Berücksichtigung der besonderen Situation der Großforschungseinrichtungen bedacht werden müßte — aber auch dies ist in diesem Hause in der Vergangenheit schon einmal diskutiert wor-
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Dr.-Ing. Laermannden —, daß man möglicherweise abweichend von den üblichen personalpolitischen Entscheidungen — haushaltsmäßig bedingt — für Großforschungseinrichtungen gewissermaßen einen Bonus vorsehen könnte. Darüber könnte und müßte man reden.
— Ja, wenn das Reden nicht hilft, Herr Kollege Probst, dann möchte ich Sie allerdings fragen, warum wir uns in vielen Dingen und über viele Fragen unterhalten.Im übrigen meine ich, daß eine Förderung der Grundlagenforschung nur nach Art. 91 b, d. h. innerhalb der Rahmenvereinbarungen, möglich ist und daß wir uns mit der Problematik auseinandersetzen müssen, daß eine Einigung zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet meistens nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner möglich ist. Ich verkenne nicht, Herr Kollege Stavenhagen, daß sich das Parlament mit dieser Problematik unbedingt einmal befassen muß. Die Fraktion der Freien Demokraten wird beantragen, daß wir dies in Kürze auf die Tagesordnung des Ausschusses für Forschung und Technologie setzen. Aber wir sind ge- spannt auf die Reaktionen aus den einzelnen Bundesländern.Herr Dr. Stavenhagen hat nun seine generelle Kritik an der Forschungspolitik der Bundesregierung u. a. damit begründet, daß er Inhalt und Auswahl einiger weniger Projekte kritisiert. Er bezweifelt deren volkswirtschaftlichen Nutzen. Ich will hier nicht in die Diskussion um die Details, die von Herrn Stavenhagen vorgebracht worden sind, eintreten, sondern nur feststellen, daß ich ihm sogar zustimme, daß ich seinen Beispielen sogar einige weitere hinzufügen könnte. Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren, wer schon so vermessen sein will, aus der Vielzahl der Projekte, die der Förderungskatalog umfaßt, eine Ausfallquote von wenigen Prozent auszuschließen. Sie vielleicht, Herr Kollege Stavenhagen? Das kann weder ein bürokratisches und noch so perfektionistisches Kontrollsystem leisten — hier teile ich im übrigen Ihre Skepsis — noch die freie unternehmerische Entscheidungsmöglichkeit verhindern. Aber wo sind denn Ihre Alternativen? Oder möchten Sie hier nach dem Grundsatz argumentieren: Wer nichts tut, macht auch keine Fehler — außer womöglich den einzigen Kardinalfehler, eben nichts zu tun. Die Bundesregierung, unterstützt und gestützt von den Koalitionsfraktionen, aber handelt. Dies möchte ich in aller Deutlichkeit hier einmal feststellen.
Natürlich verkennen wir nicht, daß Wissenschaft und Forschung nicht mit den sonst üblichen administrativen Maßstäben beurteilt werden können; denn Wissenschaft und Forschung sind denkbar ungeeignete Objekte für staatliche Lenkung und bürokratische Planung.
Dies bedeutet aber — um es mit allem Nachdruck zu sagen —, daß wir — auch Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition — dem Wesen von Forschung entsprechend Fehlentwicklungen, Verfehlen von ursprünglich konzipierten Zielen hinnehmen müssen, auch hinnehmen müssen, daß das eine oder das andere Forschungsvorhaben oder -projekt abgebrochen wird, und darüber nicht jedesmal fürchterlich lamentieren
oder gar in Beschimpfungen der Bundesregierung ausbrechen.
Es kann sicher nicht unsere, der Parlamentarier Aufgabe sein, uns mit den einzelnen Projekten zu befassen.
Hingegen halte ich es für unerläßlich, daß wir uns intensiv mit den Forschungsprogrammen, mit deren allgemeiner politischer Bedeutung und mit ihren wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Auswirkungen, auseinandersetzen. Ich denke hier z. B. an das Informations- und Dokumentationsprogramm, an das Programm „Technische Kommunikation" oder ein Programm für EDV-Anwendungen. Die beängstigende Brisanz, die sich hinter dem Begriff „Telematik" verbirgt, die Gefahr, daß wir uns außerhalb der parlamentarischen Kontrolle und Einflußnahme den „großen Bruder" nach Orwells Vision „1984" sozusagen durch die Hintertür über Projekte wie z. B. das DVDIS ins Haus holen, das ist es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, worauf wir Obacht geben müssen, dem wir größte Aufmerksamkeit widmen müssen. Hier tun sich möglicherweise Gefahren auf, die wir mit keinem noch so perfekten Datenschutzgesetz abwehren können.Der Bundesminister Baum und der Kollege Wendig haben heute morgen schon auf Notwendigkeit und Problematik des Datenschutzes, des Schutzes des Bürgers vor Daten, hingewiesen. Ich bin daher der Meinung, daß wir — alle Fraktionen dieses Hauses — uns mit Nachdruck gemeinsam darum bemühen müssen, sicherzustellen, daß die Forschungs- und Entwicklungsprogramme wegen ihrer politischen Bedeutung, wegen des wachsenden, oftmals skeptisch-kritischen Interesses des Bürgers und wegen der zunehmenden Diskussionen um technischen Fortschritt sowie wegen des wachsenden Unbehagens gegenüber großtechnischen Entwicklungen wie Gesetzentwürfe öffentlich im Parlament beraten und behandelt werden. .
Dies muß im Zusammenhang mit unseren gemeinsamen Überlegungen zur Technologiebewertung und Technologiefolgenabschätzung und zur Stärkung der
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Dr.-Ing. LaermannPosition des Parlaments gegenüber der Exekutive diskutiert werden.
Denn meines Erachtens läßt sich dieses Problem nicht durch die Schaffung einer zusätzlichen Minibürokratie oder die Bereitstellung einiger zusätzlicher Finanzmittel für Gutachten lösen, wenn wir nicht nur auf bereits getroffene Entscheidungen oder offenbar werdende Entwicklungen bzw. Fehlentwicklungen reagieren wollen. Im Vorfeld der Entscheidungen der Exekutive müssen wir zu Möglichkeiten politischer Meinungsbildung, Beurteilung und Einflußnahme auf die Gestaltung der Programme kommen.Zur Frage des Verhältnisses von direkter und indirekter Forschungsförderung habe ich hier im Plenum wie auch an anderen Stellen schon wiederholt Stellung bezogen. Es sei mir gestattet, auf meine diesbezüglichen Ausführungen in der Haushaltsdebatte 1978 wie auch auf die Ausführungen meines Kollegen Dr. Haussmann am Dienstag . dieser Woche und im übrigen auf die Kieler Thesen der Freien Demokratischen Partei zu verweisen. Wir begrüßen ausdrücklich die jetzt gefundene Lösung, die Lohn- und Personalkosten im Forschungs- und Technologiebereich zu bezuschussen. Wir begrüßen die Maßnahmen zur Technologie- und Innovationsberatung, die eine wesentliche Verbesserung des Ergebnistransfers bewirken werden. Wir begrüßen die Förderung der Auftragsforschung, und wir begrüßen die Bemühungen des Forschungsministeriums, den bürokratischen Antrags- und Abrechnungsaufwand zu reduzieren.Lassen Sie mich nur zwei grundsätzliche Bemerkungen machen. Direkte und indirekte Forschungsförderung sind nicht substituierbare Alternativen. Die direkte Förderung ist in jenen Bereichen unstreitig und unverzichtbar, in denen Anreize des Marktes fehlen und Kosten, Risiken sowie Entwicklungsmöglichkeiten die Kapazitäten der Unternehmen übersteigen, wie auch in jenen Bereichen, in denen aus gesellschaftspolitischen Gründen Forschung und Technologie gefördert werden müssen, wo es sich um die Erfüllung unbestreitbar staatlicher Aufgaben handelt.
Die Vorteile der indirekten Forschungs- und Entwicklungsförderung liegen vorwiegend im marktnahen Entwicklungsbereich. Die Freien Demokraten haben schon immer den Standpunkt vertreten, daß die direkte staatliche Förderung im marktnahen Bereich kontinuierlich zurückzufahren ist und Wirtschaft und Industrie unter Wahrung marktwirtschaftlicher Prinzipien selbstverantwortlich einsteigen müssen. Markt- und Marktchancen sind die untrüglichen Bewertungs- und Entscheidungskriterien für Unternehmer.
Entscheidungen von Ministerialbeamten über Marktchancen halten wir für höchst problematisch. Nur eine Frage, Herr Kollege Stavenhagen. Ich frage mich, inwieweit der Forschungsminister denn nun für die Eigenkapitaldecke der Unternehmen verantwortlich ist.
Nun bemängelt die Opposition eine angebliche Diskontinuität in der Forschungsförderung. Der Kollege Stavenhagen spricht in einem Papier, das er vorgelegt hat, von „Modethemen". Soll nun etwa die Bundesregierung keine Prioritäten unter Berücksichtigung der vorrangigen Ziele von Forschung und Technologie setzen? Da wird der Vorwurf der Investitionslenkung erhoben; aber es kann doch nicht ernsthaft 'von Investitionslenkung gesprochen werden, wenn unseren elementaren Bedürfnissen entsprechend ein Großteil der Aufwendungen im Energie- und Rohstoffbereich getätigt werden und hierbei den Erfordernissen entsprechend Umschichtungen z. B. im Bereich nuklearer und nichtnuklearer Energieforschung vorgenommen werden, die mit den gesellschaftspolitischen Zielsetzungen übereinstimmen. Die stärkere Förderung des Bereichs nichtnuklearer Energieforschung im Verhältnis zu der absolut gesehen keinesfalls schrumpfenden Förderung im Nuklearbereich, wobei allerdings auch hier absolut wichtig und richtig als Schwerpunkt die Sicherheitsforschung langfristig in den Vordergrund rückt, wird von uns nachdrücklich begrüßt und unterstützt genauso wie die verstärkte Förderung von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen.Ich darf, da meine Zeit abgelaufen ist, um Verständnis und Entschuldigung bitten, Frau Präsidentin.
— Danke schön. Ja, man läßt zu so später Stunde nach, Herr Kollege Riesenhuber; aber Sie werden mir das bitte nach einem langen Haushaltsdebattentag nachsehen.Ich darf zum Schluß kommen und für die Fraktion der Freien Demokraten erklären, daß wir dem Haushaltseinzelplan 30 zustimmen werden.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesminister Hauff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Stavenhagen, schade, Sie haben eine Chance vertan, wirklich in das Gespräch über die Forschungspolitik zu kommen. Ich bedaure das.
Aber das Hervorheben von Einzelprojekten hilft nunwirklich grundsätzlich nicht weiter. Die Projekte,
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Bundesminister Dr. Hauffdie Sie angesprochen haben — Europa-Rakete, Großrechner und „Otto Hahn" — haben, ohne daß ich es mir zu einfach machen will, noch zusätzlich den Nachteil, daß es alles Projekte sind, die einmal von CDU-Forschungsministern begonnen wurden.
Das ist einfach eine Tatsache. Ich stelle es nur einmal fest. Wenn Sie der Meinung sind, es sei alles falsch gewesen, dann wäre ja damals Zeit gewesen, das laut und deutlich zu sagen.Ich halte von diesem Ansatz, Forschungspolitik zu diskutieren, überhaupt nichts. Es laufen derzeit 5 000 Projekte. Ich gestehe gerne zu, daß davon ein gewisser Prozentsatz schiefläuft. Ich halte es im übrigen auch für ein Merkmal, daß wir dem wesentlichen Kriterium der Forschungspolitik, nämlich wirklich nur dort einzusteigen, wo risikoreiche Entwicklungen im Gang sind, durchaus entsprechen. Insofern glaube ich, daß die damaligen CDU-Forschungsminister sich richtig entschieden haben. Denn wäre die „Otto Hahn" zu dem Ergebnis gekommen, daß unter den Sicherheitsbedingungen, unter denen wir heute arbeiten, der nukleare Schiffsantrieb eine interessante Sache sei, dann wäre das eine große industrielle Möglichkeit gerade zum jetzigen Zeitpunkt und in der Situation gewesen, in der der Schiffsbau ist.
— Spacelab ist ein gutes Projekt. Sie werden sehen, daß es zu sehr wirtschaftlichen Bedingungen Transportkapazitäten zur Verfügung stellt.Ich möchte gerne auf folgenden Punkt kommen.' Es gibt derzeit kein einziges westliches Industrieland, bei dem die technische Entwicklung nicht kooperativ zwischen Wirtschaft und Staat vorangetrieben würde. Das gilt für Japan. Das gilt für die Vereinigten Staaten von Amerika. Gerade in jüngster Zeit ist eine im Auftrag der amerikanischen Bundesregierung erstellte Studie veröffentlicht worden, Herr Kollege Stavenhagen, die besagt, daß in den 50er Jahren 60 % der gesamten Forschungsausgaben von IBM auf Regierungsaufträge entfielen. Darauf aufbauend hat sich dann eine ganze Industrie entwickelt. Dieses kooperative Verhältnis von Staat und Wirtschaft gilt für Frankreich, gilt für Großbritannien. Die Frage ist also nicht, ob der Staat und die Wirtschaft zusammenarbeiten, sondern ob wir diesen Prozeß so organisieren, daß dabei tatsächlich positive Wachstumsimpulse ausgehen.
Dies ist die Frage, um die es tatsächlich geht. Das wird noch schwieriger angesichts der Tatsache, daß wir unter sehr veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen zu arbeiten haben. Jedenfalls, so angenehm dieses plumpe Gegensatzpaar „Marktwirtschaft statt Dirigismus" auch der CDU sein mag — mindestens Ihnen, Herr Stavenhagen —, so wenig trifft diese Art von Ideologisierung die tatsächlichen Probleme, vor denen wir stehen,Wenn Sie sagen, dies alles wachse zu schnell, und wenn Sie dagegen polemisieren, was die Sozialdemokraten machen, was diese sozialliberale Regierung macht, daß die Unternehmen auch keinen Widerstand leisten, dann fehlt in der Aufzählung noch etwas, nämlich Ihre eigenen Parteifreunde. Wenn die in Nordrhein-Westfalen fordern, ein großes Programm aufzulegen mit einer wesentlichen Verstärkung der Forschung, dann müßten Sie auch die als ganz gefährliche Entwicklungsleute nennen, die da was in Gang setzen wollen. Dann müssen Sie auch die Regierungschefs der Küstenländer nennen, die in ihrer Zusammenkunft im November gefordert haben, daß sich der Bund verstärkt in Norddeutschland engagieren sollte. Es heißt wörtlich: „Behauptung und Verstärkung der sektoralen Strukturpolitik durch verstärkte Förderung der Meerestechnik, der Meeresforschung und Offshore-Technologie".Das alles sind Bereiche, die in diesem Haushalt wesentlich wachsen. Das ist richtig, und es wäre falsch, darauf zu verzichten. Wir brauchen diese neuen Impulse gerade deswegen, um neue zukunftsorientierte Industrien aufzubauen.Ich halte auch das Gegensatzpaar von sogenannter direkter und indirekter Forschungsförderung für falsch. Die Wahl der Instrumente ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, sonst gar nichts. Es sind Instrumente, mit denen man unterschiedliche Ziele verfolgen kann. Ich hielte es für viel wichtiger, miteinander darüber zu diskutieren, wo eigentlich das Kriterium berechtigt ist, im Hinblick auf die Marktverträglichkeit von Maßnahmen die Frage zu stellen, ob mit dem entsprechenden Förderinstrument die Freiheits- und Entscheidungsspielräume der Adressaten eingeengt oder erweitert werden. Wir sollten darüber einmal miteinander in aller Ruhe diskutieren, aber nicht in der Art, wie Sie es heute in der Form von Einzelprojekten getan haben.Unterschiedliche Probleme erfordern unterschiedliche Instrumente. Die direkte Förderung — richtiger gesagt: die programmorientierte Förderung — hat ihren Platz, und die indirekte Förderung hat ihren Platz. Deswegen haben wir auch die entsprechenden Bereiche ausgebaut, die Investitionszulage für Forschungsinvestitionen ermöglicht, die Personalzulage geschaffen, die — das hat der Kollege Laermann gesagt — Innovationsberatung ausgebaut, die Vertragsforschung erstmals betrieben.Ich sage Ihnen eines: Aus Schweden, aus Frankreich und aus Großbritannien sind mittlerweile die zuständigen Regierungsvertreter hierhergekommen, weil sie das technologiepolitische Gesamtkonzept für kleinere und mittlere Unternehmen für beispielhaft halten.
Es gibt in keinem dieser Länder einen so gedrängten Ansatz, diesen Unternehmen, die besonders unter dem weltwirtschaftlichen Strunkturwandel zu leiden haben, zu helfen.
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Bundesminister Dr. Hauff— Es hat sich so schnell herumgesprochen, Herr Kollege Hubrig. Sie waren in der Tat da. Wir haben natürlich in der Vorbereitung auch Kontakte mit ihnen gehabt. Wir haben versucht, von anderen Ländern auf diesem Gebiet zu lernen.
Worauf es tatsächlich ankommt, ist, daß wir angesichts der enormen Probleme, die vorhanden sind, nicht zusätzlich zu Subventionen kommen, sondern daß wir verstärkt Innovationen einleiten. Da ist man im Stahlbereich in der Situation, daß wir einen enormen Nachholbedarf haben, daß die Stahlforschung umsatzbezogen in Japan dreimal so hoch ist wie in der Bundesrepublik. Diesen Bereich wird man zunächst einmal verstärken, wenn man auf diesem Gebiet wirklich konkurrenzfähig sein will.,So gibt es auch auf vielen anderen Gebieten die Notwendigkeit, entsprechende Innovationen tatsächlich einzuleiten, mit minimalem bürokratischem Aufwand. Lassen Sie uns darüber weiter diskutieren; machen Sie doch Vorschläge, wo es da etwas abzubauen gibt. Ich bin für derartige Vorschläge sehr offen.Was die Humanisierung der Arbeit angeht und den Vorwurf, daß uns die Parteipolitik wichtiger sei als andere Dinge, lassen Sie mich folgendes sagen. Sie haben das Beispiel des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften gebracht. Es gibt ein drittelparitätisch besetztes Gremium bei der Durchführung des Programms „Humanisierung der Arbeit". Die haben für den ganzen Umsetzungsbereich dieses Gremiums Vorschläge gemacht, die wir befolgt haben. Nach diesen Grundsätzen haben sich einige Leute beworben, unter anderem das Wirtschaftswissenschaftliche Institut der Gewerkschaften. Es hat einen vernünftigen Antrag gestellt, den wir bewilligt haben, ebenso wie Anträge der Deutschen Vereinigung zur Förderung der Weiterbildung von Führungskräften e. V., des Wuppertaler Kreises, des Deutschen Verbands für Schweißtechnik und des Bildungswerks der niedersächsischen Wirtschaft, um einmal andere zu nennen. Diese- Organisationen haben im Gegensatz zu Ihnen erkannt, daß die Humanisierung der Arbeit eine der zentralen gesellschaftspolitischen Forderungen unseres Jahrhunderts ist.
Was die Friedrich-Ebert-Stiftung angeht: Es ist richtig, es gibt im Programm „Humanisierung der Arbeit" ein einziges Projekt, das wir zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung durchführen. Ich würde mich freuen, die Konrad-Adenauer-Stiftung würde sich dem Thema auch so konkret zuwenden, wie es die Friedrich-Ebert-Stiftung tut, um derartige Probleme so zu untersuchen.
— Es wäre ja ganz vernünftig, wenn es wirklich einen Wettstreit gäbe und nicht auf der einen Seite Sendepause,
sondern wenn wir wirklich miteinander darum ringen würden, was der beste Weg dafür ist.Ich sage Ihnen nur eins, wir haben für den Bereich Verbraucherforschung selbstverständlich alle Stiftungen der politischen Parteien angeschrieben und sie aufgefordert. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat übrigens nicht reagiert. Vielleicht kümmern Sie sich mal darum. Es wäre ganz gut, wenn die sähen, wie sie ihre Forschungskapazitäten einbringen können.Meine Damen und Herren, die Zeit ist fortgeschritten. Ich hätte gern noch ein Wort zu dem gesagt, was mich besonders geschmerzt hat, nämlich zu Ihren Ausführungen zu Kalkar, weil ich glaube, daß da ein grundlegendes Mißverständnis vorhanden ist und ich fest davon überzeugt bin, daß wir bei modernen Technologien überhaupt nur eine Zustimmung erreichen und verhindern können, daß es zu Angst kommt und daraus zu Aggressionen und Gewaltanwendungen auf verschiedenen Gebieten, wenn wir wirklich bereit sind, in Ruhe und öffentlich einen kontroversen Prozeß durchzumachen, wo man sucht, wo man bewertet, wo man Alternativen erarbeitet, um zum Schluß entscheiden zu können.
Wir brauchen dies auf den verschiedenen Gebieten der Technologieentwicklung.Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zur Grundlagenforschung sagen. Die Bundesregierung trägt mit dem Haushaltsplan 1978 und in der mittelfristigen Finanzplanung der Tatsache Rechnung, daß eine voll leistungsfähige und vitale Grundlagenforschung unabdingbar ist. Aber gerade dort gilt die Kontinuität. Bei fast 9 % Wachstum für den Grundlagenforschungsbereich in unserem Etat kann ich Ihnen nur sagen, ich wäre froh, wenn sicher wäre, daß wir diese 9 % kontinuierlich in den nächsten Jahren beibehalten könnten. Wir müssen uns bemühen, gerade die Grundlagenforschung nicht den Schwankungen auszusetzen, denen der Normalhaushalt ausgesetzt ist, sondern dort für Kontinuität zu sorgen. Fast 9 % ist eine respektable Zahl. Dies drückt sich auch darin aus, daß wir in den letzten Jahren erhebliche Mittel für die Grundlagenforschung aufgewendet haben. Die Tatsache, die Sie angesprochen haben, wird sich vielleicht etwas anders darstellen, wenn Sie mal bei der Max-PlanckGesellschaft nachfragen, woran das in der Vergangenheit eigentlich lag, ob da der Bund oder ob da die Länder gebremst haben, was die haushaltsmäßige Ausstattung der Max-Planck-Gesellschaft mit Finanzmitteln angeht.Die deutsche Forschung hat auf verschiedenen Gebieten in vielen Bereichen wieder Anschluß an die Weltspitze gefunden. Beispielhaft seien in dem Zusammenhang erwähnt die Arbeiten beim DESY in Hamburg, wo man über die Bausteine der Materie nachdenkt und wo einige wichtige Erkenntnisse gerade in jüngster Vergangenheit erarbeitet wurden. Erwähnt sei der Ende 1975 im Laboratorium der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt in Betrieb gegangene Schwerionenbe-
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Bundesminister Dr. Hauffschleuniger, der uns in die Lage versetzt, weltweit einmalige Experimente auf dem Gebiet der Physik, der Chemie und der Biologie durchführen zu können. Ich verweise in dem Zusammenhang auch auf den im Aufbau befindlichen Elektronenspeicherring in Berlin, den wir als Teil der Grundlagenforschung, aber zugleich auch als ein wichtiges Element zur Stärkung der Innovationskraft in Berlin ansehen, weil das möglicherweise die zukünftige Produktionstechnologie für die Mikroelektronik darstellt. In dem Zusammenhang möchte ich aber auch die hervorragenden Arbeiten erwähnen, die deutsche Wissenschaftler auf dem Gebiet der Extraterrestrik erarbeitet haben mit dem Forschungssatelliten in der Vergangenheit und in der Zukunft ganz sicherlich mit dem Weltraumlaboratorium.Wir werden auch in Zukunft unsere Anstrengungen für die Grundlagenforschung weiter erhöhen, und wir werden dies in engem Kontakt und vertrauensvollem Dialog mit der Wissenschaft und in vollem Respekt vor der Freiheit der Wissenschaft tun. Die Bundesregierung bekennt sich ausdrücklich und auch durch ihre Taten zur freien Entfaltung von Forschung und Wissenschaft als einen zentralen Grundwert unserer Gesellschaftsordnung. Die geistige und politische Freiheit in unserem Lande ist untrennbar mit der Freiheit der Wissenschaften verbunden. Die Bundesregierung wird dies bei ihren Entscheidungen auch bei dem schwierigen Ringen um die Schwerpunkte des Bundeshaushalts in Zukunft stets berücksichtigen; darauf können Sie sich verlassen.Lassen Sie mich zum Abschluß dieser Etatberatungen einen sehr herzlichen Dank sagen an den Haushaltsausschuß, an die beiden Berichterstatter, die Kollegen Stavenhagen und Dübber, für diesen Haushalt, aber auch an die Kollegen vom Fachausschuß, die sehr intensiv und eingehend an den Beratungen mitgewirkt haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Probst.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zeit ist sehr fortgeschritten, und ich will mich kurz fassen.
— Das wird wahrscheinlich der einzige Beifall sein, den ich von Ihrer Seite bekomme.
Der Herr Kollege aus dem Ausschuß für Forschung und Technologie, Professor Laermann, hat eine bemerkenswerte Rede gehalten.
— Der zweite Beifall; ich führe eine Strichliste. — Er hat eine Menge einzelner Probleme aufgeführt, die in der Forschungspolitik sicher wichtig sind.
Er hat dargestellt, wie wichtig die Friedens- und Konfliktforschung wie auch die Kommunikationstechnik ist. Ich kann verstehen, daß er die Friedens- und Konfliktforschung und auch die Kommunikationsforschung angesprochen hat. Das ist das, was seine Fraktion in der Frage der Kernenergie nötig hat.
Herr Laermann, kein einziges Wort haben Sie — und das ist bezeichnend — zu dem von der Gewichtigkeit der Ausgaben wichtigsten Sektor dieses Haushaltes, nämlich der Kernenergie gesagt.
Herr Bundesminister, Sie sprachen davon, daß die Bundesrepublik Deutschland, die deutsche Wissenschaft den Anschluß in der Welt wieder gefunden habe. Ich pflichte Ihnen bei: Die deutsche Wissenschaft, wo immer sie nur arbeiten darf, ist rasch in der Lage, den Anschluß in der Welt zu finden.
Die Breite der Felder haben Sie aufgezeigt. Es gibt ein einziges Feld, wo dieser Anschluß im wissenschaftlichen Bereich heute auch ökonomisch voll und ganz durchgeschlagen hat. Das ist das Feld der Kernenergie.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stockleben?
Herr Kollege Stockleben hat immer das Recht, eine Zwischenfrage zu stellen. Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Probst, ist Ihnen bekannt, daß sich das Land Bayern aus der Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung herausschleichen will, indem es sich finanziell nicht mehr beteiligen will, und somit die Frage von Herrn Laermann durchaus ihre Berechtigung hat, Sie das in Bayern aber wahrscheinlich noch nicht erfahren haben?
Doch, das ist mir schon bekannt. Bloß, es hat nichts mit dem zu tun, was ich zu den Ausführungen von Herrn Laermann zu diesem Thema sagte.
Das einzige Gebiet, wo nicht nur der wissenschaftliche Anschluß, sondern auch der technologische Standard der übrigen Welt erreicht ist, ist der gesamte Bereich der Kerntechnik. Wenn man noch einmal Revue passieren läßt, was zu diesem Thema jetzt in den beiden Parteien SPD und FDP geboren wird, kann einem angst und bange werden. Wir haben für etwa 20 Milliarden DM eine Technik, eine Industrie aufgebaut
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Dr. Probst— Herr Ehmke; ich weiß nicht, ob Sie das wissen —
— das glaube ich; Sie waren ja nur sehr kurz in dem Haus —, die heute einen weltweiten Ruf genießt und die nur einer einzigen Gefahr ausgesetzt ist, nämlich der Gefahr, die sich aus dem Inneren Ihrer Parteien ergibt.
— Herr Wehner, es ehrt mich außerordentlich, daß Sie mich mit einem Zwischenruf bedenken; denn dann haben Sie hingehört und wissen, wie wichtig das ist.
— Das kann ich nicht beurteilen.
Das entscheidende Problem ist die Frage der Gefahr, der unsere Industrie auf dem Gebiete der Kerntechnik ausgesetzt ist. Ich sprach davon, daß diese Gefahr aus dem Innern Ihrer beiden Parteien kommt.
Die Gefahr für diese Industrie und für ihre Weiterexistenz hat das Lachen nicht verdient. Denn sie ist unvergleichlich größer, als Sie glauben. Es sind über 100 000 Arbeitsplätze, die daranhängen. Und es ist jahrelange Arbeit und viel Kapital, was kaputtgeht,
wenn Teile Ihrer Partei sich damit durchsetzen, daß noch länger auf diesem Gebiet ein Moratorium besteht.
Herr Hauff, wenn Sie davon reden, daß wir zuerst diskutieren und sorgfältig aufklären müssen, um dann entscheiden zu können, muß ich Sie fragen: Haben Sie die Themen, die Sie hier vorantreiben, bisher nicht diskutiert? Haben Sie nicht gewußt, was Sie tun? Reden Sie sich jetzt nicht deswegen darauf hinaus, das alles tun zu müssen, weil Sie nicht in der Lage sind, zu entscheiden?Der Vorstand Ihrer SPD in Schleswig-Holstein hat beschlossen, daß die nunmehrige Politik in der Energiefrage sich daraufhin offenhalten muß, daß die Energiepolitik in Deutschland ohne Kernenergie möglich ist. Jeder weiß, daß das nicht der Fall ist. Es wird interessant sein, wie sich Ihr Bundeskanzler im Wahlkampf dort einlassen wird. Es ist eine Doppelzüngigkeit und Doppelbödigkeit allerersten Ranges, was in diesem Bereich geboten wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann?
Herr Laermann, jetzt dürfen Sie.
Herr Kollege Dr. Probst, stimmen Sie mir zu, daß die Forschungspolitik der Bundesregierung sich nicht auf die Kernenergieforschung beschränken kann, und stimmen Sie mir zu, daß wir uns in diesem Bereich des Einzelplans 30 nicht mit der Energiepolitik und nicht mit der kommerziellen Nutzung der Kernenergie auseinanderzusetzen haben, sondern nur mit den Forschungen auf dem Gebiet der Nukleartechnik?
Das ist natürlich eine Sophistik, die ich nicht zu verstehen vermag. Herr Kollege Laermann, es ist doch unbestritten, daß es nicht um die Frage geht: Nur Kernenergie und sonst keine?, sondern ausschließlich um die Frage: Welche Energieforschung ist überhaupt erfolgversprechend? Aber bei der Abschätzung der Größenordnungen wissen Sie genau wie ich — nur die Frau Schuchardt weiß es vielleicht nicht —,
daß die Frage sich ja gar nicht stellt und die einzige wichtige Größe
die Kernenergie in diesem Zusammenhang ist.
Zu diesem Thema nur noch einmal zum Abschluß:
Herr Bundesminister, Sie laufen Gefahr, in einerGesellschaft und in einer Gemeinschaft zu agieren,
wo die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß ein wichtiger Industriezweig der Bundesrepublik Deutschland, mit Milliarden finanziert, kaputtgemacht wird. Und dann sagen Sie, Forschungsförderung sei für Sie gleichbedeutend mit der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Ich möchte noch auf ein anderes Thema ganz kurz eingehen,
nämlich auf das Thema der Forschungspolitik der Bundesrepublik,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10521
Dr. Probstsoweit sie sich in der mittelständischen Wirtschaft fast ausschließlich auf direkte Forschungsförderung ausgerichtet hat. Meine Damen und Herren — das gilt auch für Sie, sehr verehrter Herr Wehner —, ich weiß nicht, ob Sie über das Beratungswesen des Bundesministers für Forschung und Technologie, das der verehrte Vorgänger von Herrn Minister Hauff, Herr Matthöfer, noch eingeleitet hat, wissen:
Neben den 500 Mitarbeitern des Ministeriums gibt es fünf Fachausschüsse mit 75 Beratern, 49 Sachverständigenkreise mit 436 Beratern, 21 Ad-hocAusschüsse mit 174 Beratern, 2 Projektkomitees mit 22 Beratern sowie 33 Gutachterausschüsse mit 312 Beratern, also weit über 1 000 Berater für 5 000 Einzelprojekte.
Und hier wagt es der Bundesminister, davon zu reden, daß er eine gezielte Forschungspolitik und nicht das Gießkannenprinzip anwenden möchte. Es ist völlig ausgeschlossen, dieses Vortäuschen von sachlichen Entscheidungen auch nur halbwegs politisch zu überschauen, Herr Minister.
Ich will Ihnen noch ein Beispiel
aus dem Bereich der Selbstbedienung dieser Gutachter erzählen.
Es ist im Bereich der Humanisierung der Arbeitswelt so, daß die dort tätigen Berater sich aus den insgesamt bewilligten Mitteln
mit nicht weniger als nahezu 50 Millionen DM selbst bedienen.
Wer will denn dann hier noch von einer objektiven, von einer sachgerechten Entscheidung in diesem Bereich reden? Sie werden uns Rede und Antwort stehen müssen in all den Bereichen. Es ist nicht damit abgetan, daß ein einziges oder zwei oder fünf Projekte schieflaufen. Hier ist der Ansatz schief. Hier braut sich auch in diesem Ministerium etwas zusammen, was in vollem Umfang und mit Wucht auf Sie zurückschlagen wird. Herr Minister, Sie täten gut daran, das rechtzeitig abzufangen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30. Hierzu liegt auf Drucksache 8/2484 unter Ziffer 12 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort wird dazu nicht mehr begehrt. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 30 in der Ausschußfassung. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe Einzelplan 31 auf: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 8/2422 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Stavenhagen
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. In der Debatte wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Zu Einzelplan 31 liegt auf Drucksache 8/2484 unter Ziffer 13 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort wird nicht begehrt. Wer diesem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 31 in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalition ist der Einzelplan 31 angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt I/28 der Tagesordnung auf:
Haushaltsgesetz 1979
— Drucksachen 8/2428, 8/2470, 8/2469 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Löffler
Abgeordneter Hoppe
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Metz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion möchte mit ihrem Änderungsantrag zum Haushaltsgesetz, der Ihnen auf Drucksache 8/2492 vor-
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10522 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979
Metzliegt, zunächst den § 5 ergänzen und zweitens einen neuen § 18 a einfügen.
Mit der Ergänzung des § 5 möchten wir erreichen, daß abweichend vom Regierungsentwurf Mehrausgaben bei Rechtsverpflichtungen nicht in jedem Fall, sondern nur im Falle einer durch Gesetz, Tarifvertrag oder zumindest einer durch den Haushaltsgesetzgeber zustande gekommenen Verpflichtung privilegiert werden. Wir möchten sicherstellen, daß Ausgaben auf Grund des natürlich unbestrittenen Notbewilligungsrechts des Finanzministers gegebenenfalls auch gegenüber dem Parlament vertreten werden müssen. Das entspricht im übrigen auch dem Vorschlag der Bundesregierung zur Neufassung des § 37 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung, wie Sie der Bundestagsdrucksache 8/1664 unschwer entnehmen können.Zugleich soll durch die vorgeschlagene Neufassung auch bei außer- bzw. überplanmäßigen Ausgaben auf Grund von Rechtsverpflichtungen eine Betragsgrenze festgesetzt werden, die allerdings durchaus weit gefaßt werden kann und über die man sich unterhalten kann.Wir möchten weiter feststellen, daß ein Mehrbedarf auch unterhalb von 10 Millionen DM in einen Nachtragshaushalt aufzunehmen ist, wenn dieser auf Grund anderer Sachverhalte vorgelegt werden muß, mit anderen Worten, wenn es sowieso einen Nachtragshaushalt gibt.Neben der Änderung des § 5 möchten wir nach § 18 des Haushaltsgesetzes einen neuen § 18 a einfügen, der den Auftrag an die Regierung enthält, im Haushaltsjahr 1979 900 Planstellen für Beamte bzw. Stellen für Angestellte einzusparen.
— Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal etwas sagen: Es. geht hier um 1 400 Stellen im Haushalt.
Meine Damen und Herren, ich bitte noch um wenige Minuten Ruhe! Wir werden doch noch die zwei Minuten aushalten können.
— Herr Kollege, ich bitte Sie herzlich! Ich kann es nicht ändern, ich muß die Wortmeldungen so annehmen, wie es nach der Geschäftsordnung vorgesehen ist. — Bitte, fahren Sie in Ihren Ausführungen fort!
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Neben der Änderung des § 5 möchten wir gern diesen neuen § 18 a einfügen, der den Auftrag an die Regierung enthält, im Haushaltsjahr 1979 900 Planstellen für Beamte bzw. Stellen für Angestellte einzusparen. Diese Vorschrift soll einen Ausgleich für die bewilligten zusätzlichen Stellen schaffen, soweit diese nicht für Zwecke der inneren Sicherheit vorgesehen sind. In den Jahren vor 1978 sind mit einer entsprechenden Regelung beachtliche Sparerfolge erzielt worden. Um das gewünschte Ziel zu erreichen, soll eine entsprechende Zahl freier oder im Haushaltsjahr 1979 freiwerdender Stellen nicht wieder besetzt werden.
Schließlich darf ich darauf hinweisen, daß nach unserem Änderungsantrag bei den vom Bund institutionell geförderten Zuwendungsempfängern weitere 500 Stellen für Angestellte eingespart werden sollen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, diesem Antrag zuzustimmen und so zu dokumentieren, daß die vielfältig geäußerten Bedenken bezüglich der Höhe der Neuverschuldung und über die beängstigend zunehmende Bürokratisierung nicht nur überall im Lande, sondern auch hier im Parlament so ernst behandelt werden, wie es das öffentliche Wohl erfordert.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löffler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte, die Anträge abzulehnen. Die Gründe sind im Ausschuß und zum Teil auch hier schon x-mal erörtert worden.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 6 bis 18 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die §§ 6 bis 18 sind mit Mehrheit angenommen.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2492 unter II auf. Es wird die Einfügung eines § 18 a beantragt. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
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Vizepräsident Frau RengerIch rufe die §§ 19 bis 32 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Haushaltsgesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Ich komme damit zu Punkt III der Tagesordnung:Beratung der Sammelübersicht 38 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. Dezember 1978 eingegangenen Petitionen— Drucksache 8/2473 —
— Herr Kollege, im Moment rede ich.Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. — Da ich keinen Widerspruch höre, stelle ich fest, daß der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zugestimmt wird.Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein für morgen, 9 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.