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    Plenarprotokoll 8/132 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 132. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 Inhalt: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) - Drucksachen 8/2150, 8/2317 - Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - Drucksachen 8/2406, 8/2470 - in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung - Drucksache 8/2424 - in Verbindung mit Einzelplan 36 Zivile Verteidigung - Drucksache 8/2426 - Dr. Riedl (München) CDU/CSU 10395 C Walther SPD . . . . . . . . . . 10399 D Dr. Wendig FDP 10403 B Dr. Dregger CDU/CSU 10406 D Baum, Bundesminister BMI 10412 D Liedtke SPD 10420 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 10424 D Dr. Gruhl fraktionslos . . . . . . . 10428 B Dr. Nöbel SPD . . . . . . . . . . 10429 D Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - Drucksache 8/2407 - Dr. Friedmann CDU/CSU 10432 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . . . 10435 B Kleinert FDP . . . . . . . . . . 10439 A Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . 10442 A Dr. Klein (Göttingen) CDU/CSU . . . 10445 D Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 8/2415 — Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein CDU/CSU 10448 C Schmidt (Kempten) FDP . . . . . . 10451 B II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 Glos CDU/CSU . . . . . . . . . 10451 C Ewen SPD 10455 B Eimer (Fürth) FDP 10458 D Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 10461 B Frau Geier CDU/CSU . . . . . . . 10470 C Hauck SPD 10474 D Frau Funcke FDP . . . . . . . . . 10478 A Frau Dr. Wex CDU/CSU . . . . . . 10481 C Frau Dr. Lepsius SPD . . . . . . . 10485 B Präsident Carstens . . . . . . . . 10467 A Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - Drucksachen 8/2411, 8/2470 - Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein CDU/CSU 10487 D Grobecker SPD . . . . . . . . . 10490 C Hölscher FDP 10493 C Müller (Remscheid) CDU/CSU . . . . 10495 B Lutz SPD 10499 B Kraus CDU/CSU . . . . . . . . . 10501 D Cronenberg FDP 10504 B Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 10506 B Vizepräsident Frau Funcke . . . . . 10499 B Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksachen 8/2421, 8/2470 — Dr. Dübber SPD 10509 D Dr. Stavenhagen CDU/CSU 10511 A Dr.-Ing. Laermann FDP 10513 D Dr. Hauff, Bundesminister BMFT . . . 10516 D Dr. Probst CDU/CSU 10519 B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksache 8/2422 — 10521 C Haushaltsgesetz 1979 — Drucksachen 8/2428, 8/2470, 8/2469 — Metz CDU/CSU 10521 D Löffler SPD 10522 D Beratung der Sammelübersicht 38 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. Dezember 1978 eingegangenen Petitionen — Drucksache 8/2473 — 10523 A Nächste Sitzung 10523 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 10525*A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10395 132. Sitzung Bonn, den 25. Januar 1979 Beginn: 9.00 Uhr Präsident. Carstens: Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Wir fahren mit Punkt I der Tagesordnung fort: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) — Drucksachen 8/2150, 8/2317 — Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) Ich rufe zunächst die folgenden Einzelpläne auf: Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — Drucksachen 8/2406, 8/2470 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl (München) Abgeordneter Löffler Abgeordneter Hoppe Einzelplan 33 Versorgung — Drucksache 8/2424 —Berichterstatter: Abgeordneter Metz Einzelplan 36 Zivile Verteidigung Drucksache 8/2426 — Berichterstatter: Abgeordneter Gerster (Mainz) Im Ältestenrat ist eine verbundene Debatte vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Riedl. Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der dritte Tag dieser Haushaltsberatungen beginnt mit der Diskussion über den Etat des Bundesinnenministeriums; Anlaß und Ort für das Parlament, präzise Fragen danach zu stellen, mit welchem Erfolg oder — wahrscheinlich — Mißerfolg der amtierende Bundesinnenminister seinen Verfassungsauftrag, vor allem auch als Verfassungsminister, erfüllt. Lassen Sie mich diese Untersuchung mit einer nüchternen Feststellung beginnen. Ich halte — und das Beispiel von Professor Werner Maihofer zeigt es — für äußerst problematisch, daß so wichtige Staatsamt des Bundesinnenministers mit dem Vertreter einer in sich zerrissenen und von rund 95 % unserer deutschen Wähler nicht gewählten Partei zu besetzen. Bundesinnenminister Baum steht vor dem gleichen Dilemma, an dem Professor Werner Maihofer gescheitert ist, nämlich vor der unüberbrückbaren Kluft zwischen linkem theoretischem Wunsch seiner Partei und amts- und verfassungsbedingter Wirklichkeit. Professor Maihofer, den wir bei den Haushaltsberatungen vor einem Jahr noch bewundern konnten, ist gescheitert, weil er als jemand, der sich Alternativprofessor genannt hat, die Erwartungen der Linken in seiner Partei enttäuschen mußte. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: So ist es!) Amt und Parteiideologie haben diesen ehrenwerten Professor zerrissen. Sein Nachfolger, Gerhard Baum, ist ganz offensichtlich dem gleichen innerparteilichen Druck unterworfen. Seine Verpflichtungen gegenüber den Linken in seiner Partei gehen aber offensichtlich noch weiter als die von Herrn Maihofer. (Glos [CDU/CSU] : Genauso ist es!) Der frühere Bundesinnenminister Hermann Höcherl, dessen Ratgeberkompetenz für die Regierung der Herr Bundeskanzler gestern hier gelobt hat, hat einmal gesagt: Der Bundesinnenminister ist am allerwenigsten dazu berufen, ein Publikumsliebling zu 10396 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 Dr. Riedl (München) werden. Nun, meine Damen und Herren, die Opposition verlangt nicht, daß der Bundesinnenminister. ein Publikumsliebling ist. Das hätten wir auch gar nicht so gern, wenn auf dieser Bank völlig unerwartet ein Publikumsliebling säße. Aber das Amt des Bundesinnenministers fordert von dem Amtsinhaber nicht nur ein hohes Maß an echten Führungsqualitäten, sondern auch — und darum geht es bei Ihnen, Herr Minister Baum — ein klares inneres und äußeres Bekenntnis zu den Prinzipien unseres Staates und damit insbesondere die unbeschränkte Einsicht in die Notwendigkeit unserer inneren Sicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bundesinnenminister muß der Verteidiger unserer Freiheit vor den Feinden der Verfassung und damit der Verteidiger unseres Staates nach innen sein. Der Bundesinnenminister muß der Verteidiger der Rechte des ganzen Volkes und nicht der Verteidiger elitärer Gruppen sein, die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als ein lästiges Hindernis auf ihrem Weg durch die Institutionen betrachten. (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er steht nicht hinter der Verfassung, er schleicht hinter ihr her! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Sie, Herr Minister Baum, haben weder in Ihrer Amtszeit als Parlamentarischer Staatssekretär noch als Bundesinnenminister bisher den Beweis erbracht, daß Sie für unser Land in diesem Sinne der richtige Verteidiger sind. Ich will dies an vier Beispielen aufzeigen. Beispiel Nr. 1: Kaum waren Sie im Amt, haben Sie mit der langsamen, aber sicheren Entmachtung unseres Verfassungsschutzes begonnen. Als erstes — das war eine Ihrer ersten Amtshandlungen — untersagten Sie die bewährte und notwendige Amtshilfe des Bundesgrenzschutzes für das Bundesamt für Verfassungsschutz, indem Sie die dem Bundesgrenzschutz und sonst niemand anderem zugänglichen Informationen über Reisebewegungen, vor allen Dingen aus der DDR in die Bundesrepublik, unterbunden haben. Sie erleichterten damit die ohnehin schon kaum begrenzte Einreise von Agenten aus der DDR, aber auch die Reisen von Terroristen und Extremisten und der Leute aus der dazugehörigen Grenzzone, die oft noch weit gefährlicher sind. Das ist nicht nur unglaublich fahrlässig, sondern, weil Sie es vorsätzlich getan haben, Herr Bundesinnenminister, eines deutschen Innenministers unwürdig. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn dieser Bundesinnenminister öffentlich wiederholt sagt, die Arbeit des Bundesverfassungsschutzes sollte durchsichtiger gemacht werden, um das Mißtrauen gegen diese Behörde abzubauen, dann hat dieser Bundesminister entweder keine Ahnung, was Verfassungsschutz ist, oder er arbeitet bewußt am sukzessiven, aber sicheren Abbau unseres Sicherheitsorgans Bundesamt für Verfassungsschutz. (Beifall bei der CDU/CSU) Mißtrauen gegen den Verfassungsschutz hat doch nicht die überwiegende Mehrheit unseres Volkes, die diesen Staat will, die diesen Staat bejaht, die für diesen Staat arbeitet und für diesen Staat lebt. Mißtrauen hat, wer gegen diesen Staat ist und an seine Stelle ein anderes System setzen möchte. Wie wollen Sie, Herr Minister, die Beamten, Ihre Verfassungsschutzbeamten noch motivieren, wenn Sie sich als oberster Dienstherr bei jeder Gelegenheit vom Verfassungsschutz distanzieren, ihn nicht verteidigen, seine Befugnisse Stück für Stück abbauen und durch konkludente Handlungen seine Isolierung betreiben? Dem Kollegen Dr. Dollinger verdanke ich einen außerordentlich interessanten Artikel aus der „Nürnberger Zeitung" vom 15. Januar 1979, also von der vorigen Woche. Dieser Artikel über eine Landesdelegiertenversammlung der Jungdemokraten ist überschreiben: „Kritische Diskussionen bei der Landesdelegiertenversammlung der Jungdemokraten." Es heißt hier: „Verfassungsschutz überflüssig" ; Professor Uwe Wesel — das ist der vom Russell-Tribunal —: (Zurufe von der CDU/CSU) „Dieses Amt muß abgeschafft werden" ; Christoph Strässer, Bundesvorsitzender der Judos: „Beste Verfassungsschützer sind die aktiven Bürger." Dann heißt es: „MdB Engelhard" - das ist Ihr FDP-Mitglied in der Parlamentarischen Kontrollkommission für die Geheimdienste — „hielt sich zurück. — Es gab reichen Beifall." Nicht für Herrn Engelhard, sondern für den Spruch: Verfassungsschutz überflüssig — er muß abgeschafft werden. Herr Bundesinnenminister, Sie bekommen das gleich nach meiner Rede. Außerdem gebe ich Ihnen eine zwei Tage später in dieser Zeitung veröffentlichte Leserzuschrift des in Mittelfranken und in Bayern sehr bekannten Oberstaatsanwalts Alfred Einhorn unter der Überschrift: „Seltsames Demokratieverständnis". Ich kann aus zeitlichen Gründen hieraus nicht zitieren, aber ich möchte Sie bitten, zu diesen beiden Artikeln heute und hier in dieser Debatte des Deutschen Bundestages klar Stellung zu nehmen. Beispiel Nr. 2 ist die Haltung dieses Bundesinnenministers zu dem Problem der Einstellung von Radikalen im öffentlichen Dienst. Auf dieses Problem sind gestern unser Fraktionsvorsitzender und Herr Dr. Barzel eingegangen, und dazu wird heute mein Kollege Dr. Dregger im Laufe dieser Debatte noch gründlich sprechen. Aus meinem Munde nur dies in Kürze: Die von ihnen erfundene — Sie sind der Erfinder der Abschaffung der Regelanfrage — und durchgesetzte Abkehr der Bundesregierung vom Extremistenbeschluß ist die Preisgabe eines wesentlichen Selbstverteidigungsrechtes unseres Staates. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Abschaffung der Regelanfrage von Einstellungsbehörden beim Bundesamt für Verfassungsschutz bedeutet grünes Licht und freie Fahrt für Radikale, für Kommunisten. Die „Süddeutsche Zeitung" hat völlig recht, wenn sie auf der ersten Seite schreibt: „Künftig auch DKP-Mitglieder und Kommunisten im öf- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10397 Dr. Riedl (München) fentlichen Dienst". Eine Schande für diesen Staat, meine Damen und Herren, wenn wir unter einem Bundesinnenminister, der den Amtseid auf diese Verfassung geschworen hat, so etwas über 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichen! (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der FDP) Meine Damen und Herren, jetzt können sie zufrieden sein und sich die Hände reiben, die Eurokommunisten, die Eurosozialisten, die Deutschlandhasser, die Mitterrands, die Berlinguers, die Marchais und wie sie alle heißen haben jetzt ein wesentliches Ziel in der Verteufelung dieses neuen, dieses freien Deutschland erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) Ich bin seit 1952 im öffentlichen Dienst, meine Damen und Herren. Als ob es bei uns je eine Hexenjagd bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst gegeben hätte! Als ob es Gesinnungsschnüffelei wäre, Regelanfragen durch den Verfassungsschutz beantworten zu lassen! Als ob es bei uns je Berufsverbote gegeben hätte! Bei uns gibt es klare Voraussetzungen für die Einstellung in den öffentlichen Dienst. Die wichtigste Voraussetzung ist die, kein Verfassungsfeind zu sein; und die muß erfüllt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei weisen die vorhandenen Zahlen diesen Unsinn ganz klar nach. Sie haben meist Ihren elektronischen Taschenrechner dabei. Nehmen Sie ihn einmal aus der Tasche und rechnen Sie nach. Ich nehme jetzt ein Beispiel aus dem Freistaat Bayern, dem ja gerne von Ihnen nachgesagt wird, daß er besonders schnüffelfreudig sei. Im Freistaat Bayern sind in den Jahren 1973 bis 1977 von rund 130 000 überprüften Bewerbern rund 90 — in Ziffern: neun null — nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt worden. Jetzt muß der Computer rechnen. Das sind 99,9 %. (Zurufe von der SPD) Das ist der gleiche Prozentsatz wie auf Bundesebene. Und dann reden Sie davon, daß die Jugend in unserem Lande durch die Regelanfragen verunsichert werde. (Zurufe von der CDU/CSU und von der SPD) Sie sind mir schöne Mathematiker. (Heiterkeit) Im übrigen werden wir sehr genau darauf achten — hier deutet sich ein neuer Konflikt an —, ob der Bundesdisziplinaranwalt wie bisher — rechtlich völlig einwandfrei — Ermittlungen gegen solche Beamte auch künftig veranlaßt, die durch Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen gegen ihre Dienstpflichten verstoßen. Wir werden es, Herr Innenminister Baum, nicht hinnehmen, wenn Sie versuchen sollten, diese Aufgaben des Bundesdisziplinaranwalts zu beschränken oder ihm eine Rechtsauffassung aufzunötigen, die dem geltenden Recht nicht hundertprozentig entspricht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiteres Beispiel, das die Linkslastigkeit eines Bundesinnenministers namens Gerhard Baum beweisen soll. Das ist Ihr Nachgeben gegenüber dem linken Druck im Bereich der Kulturpolitik. Ich meine hier die Filmförderung. Da erhält aus Steuermitteln des Bundes der Regisseur Werner Herzog 1,135 Millionen DM innerhalb von sechs Jahren, der bei der Uraufführung seines Filmes „Nosferatu" wörtlich folgendes gesagt hat — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —: In Deutschland, wo die terroristische Tätigkeit die Polizei nur um so allgegenwärtiger und sichtbarer gemacht hat, leben wir alle unter ständiger Bewachung und sind uns dieses Umstandes auch wohl bewußt. Die Angst ist unser tägliches Brot. (Lachen bei der CDU/CSU) Persönlich habe ich keine Angst; aber ich finde, daß unsere Gesellschaft immer unterdrückender und repressiver wird. Dieses Klima der Unterdrückung spiegelt sich notwendig in der Literatur und im Film. Wir sind Zeuge der Geburt einer Gegenkultur als Reaktion auf eine überintellektuelle, allzu rationalistische und hypermechanisierte Gesellschaft. Meine Damen und Herren, da kassiert ein Werner Fassbinder vom Bund in den letzten Jahren 3,4 Millionen DM, davon allein 1,2 Millionen DM aus Filmförderungsmitteln des Bundesinnenministeriums, und beschimpft dafür im US-Magazin „Newsweek" die Bundesrepublik Deutschland als das Land mit der miesesten Filmförderung. Natürlich stagniert die Filmförderung des Bundes. Aber statt daß die vorhandenen bescheidenen Mittel dafür verwendet werden, filmische Beiträge zur Weiterentwicklung unserer pluralistischen Kultur zu fördern, kommen diese Steuermillionen zu einem beträchtlichen Teil jenen zugute, die diesen freiheitlichen Pluralismus mit filmischen Mitteln total kaputtzumachen versuchen, und das geht nicht. (Beifall und Zurufe von der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch ein viertes Beispiel nennen, das den ganzen Zwiespalt dieses Ministers aufzeigt. (Zuruf von der CDU/CSU: Liberale Staatsräson) Mit dem Herzen und — Herr Minister Baum, wenn Sie ganz ehrlich sind — dem Verstand sind Sie auf der Seite der Kalkar-Gegner gewesen, als Bundesinnenminister aber sind Sie Teil jenes Rücktrittskartells gewesen, das Ihr Parteivorsitzender Genscher zur Überwindung eben jener Kalkar-Gegner und zur Disziplinierung der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag in einer dramatischen Drohgebärde zur Geltung gebracht hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Es muß doch jedem aufrichtigen und liberal denkenden Menschen in unserem Land den Magen um- 10398 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 Dr. Riedl (München) drehen, wenn er diese Drohungen des Parteivorsitzenden gegenüber seinen Parteimitgliedern — und Sie waren eines der Hauptdrehwerkzeuge in dieser Angelegenheit — zum Kern einer innerparteilichen und parlamentarischen Auseinandersetzung macht. In Abwandlung eines viel zitierten, auch von Herrn Wehner gestern wieder gebrachten und einem früheren sächsischen König zugeschriebenen Zitats muß ich sagen: Ihr seid mir schöne Liberale. Da geht es bei uns in der CSU weitaus liberaler zu; das kann ich Ihnen sagen. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD]) — Herr Ehmke, was meinen Sie, wie ich mich freuen würde, wenn Sie einmal zu mir auf eine CSU-Versammlung nach München kämen. Das könnten Sie gar nicht aushalten. Kommen Sie doch einmal! (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD] : Das werde ich tun! — Löffler [SPD] : Zum Skatspielen?!) Unsere Kritik an Ihnen, Herr Bundesinnenminister, betrifft nicht nur Ihre Handlungsunfähigkeit gegenüber den Linken. Die CDU/CSU hat Ihnen auch eine Reihe schwerwiegender Konzeptionslosigkeiten vorzuhalten. Ich darf aus zeitlichen Gründen nur einige wenige Beispiele nennen und als erstes die seit 1969 angekündigte und inzwischen kläglich gescheiterte Reform des öffentlichen Dienstes herausgreifen. Seit Antritt der SPD/FDP-Koalition 1969 in den Regierungserklärungen immer wieder groß dargestellt, hat der deutsche Steuerzahler dafür mehr als 10 Millionen DM aufwenden müssen. Noch zum Haushalt 1978 hat die Bundesregierung ein neues Aktionsprogramm, dessen Inhalt zugegebenerweise sehr verschwommen war, angekündigt, und der Kollege Liedtke mußte im Auftrag seiner Fraktion die künftigen Punkte einer Reform des öffentlichen Dienstrechts ganz detailliert vorbeten. Ich habe damals in der Haushaltsdebatte vor einem Jahr gesagt: Man braucht kein Prophet zu sein, um das unrühmliche Ende auch dieser Bemühungen vorherzusehen. Darauf haben Sie auf der linken Seite alle gelacht. Vor kurzem hat es auf der beamtenpolitischen Tagung des Deutschen Beamtenbundes in Bad Kissingen eine große Beerdigung gegeben, und der Zeremonienmeister war der Herr Bundesinnenminister. Er hat wörtlich gesagt: Ich werde das Wort Dienstrechtsreform in Zukunft vermeiden. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Dazu möchte ich etwas salopp sagen: Heiße Luft und Kuchenkrümel sind das Ergebnis jahrelanger Bemühungen, die den deutschen Steuerzahlern über 10 Millionen DM gekostet haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Erneut und eindringlich muß ich darauf hinweisen, daß eine Reform des öffentlichen Dienstrechtes in der Tat aber notwendig ist. Anstatt die Steuergelder für utopische Vorstellungen über die radikale Umgestaltung des öffentlichen Dienstrechtes zu verschwenden, wäre es besser gewesen, dieser Bundesinnenminister und sein Vorgänger hätten sich mit den tatsächlichen Problemen unserer Beamtenschaft befaßt. Aus der Vielzahl der unerledigten Probleme darf ich Ihnen nur einige ins Gedächtnis zurückrufen. Vielleicht sind sie für Sie Anlaß, im nächsten Jahr, wenn Sie noch im Amt sein sollten, Herr Innenminister, eine Antwort dazu zu geben. Wie steht es mit der Verwirklichung des Grundsatzes der funktionsgerechten Besoldung? Wie steht es mit der Entwicklung von praktikablen Systemen zur Dienstposten- und Leistungsbewertung? Wie steht es mit der Vereinheitlichung der Besoldungsstruktur, insbesondere der vergleichbaren Funktionen? Wie steht es mit der vollen finanziellen Gleichstellung der kinderreichen Beamten mit Beamten mit weniger Kindern? Aber statt sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, konzentrieren Sie sich mit Ihrer ganzen Arbeitskraft darauf, wie Sie aus der geringen Zahl Ihrer FDP-Mitglieder die hohen Positionen in Ihrem Amte besetzen können. Das ist offensichtlich Ihre Reform des öffentlichen Dienstrechtes. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe dem Kollegen Wehner im letzten Jahr schon gesagt, er soll sich einmal das Gliederungsschaublatt des Innenministeriums nehmen und mit den gängigen Farben, die für die Bundestagsparteien verwendet werden, anmalen? FDP gelb, CDU/ CSU natürlich schwarz, und SPD rot. Da werden Sie, Herr Wehner, ein gelbes Gemälde finden. Ein einziger Roter ist dabei — der beschummelt Sie nämlich auch —, (Heiterkeit) und zwei, drei Schwarze. (Beifall bei CDU/CSU — Anhaltende Heiterkeit) Er weiß es. O, der Herr Wehner kennt die Personalpolitik des Bundes ganz genau. Aber er sagt sich: Laßt doch den Innenminister machen, was er will; die übrigen Ministerien haben wir, und da setzen wir unsere Genossen schon rein; da braucht sich der Riedl keine Sorgen zu machen. — Ich weiß schon, wie Sie das machen. (Anhaltende Heiterkeit bei der CDU/CSU — Wittmann [Straubing] [SPD] : Von Ihnen gelernt!) — Ach, das können Sie von uns gar nicht gelernt haben, weil wir das in Bayern ganz anders machen, Herr Wittmann. (Heiterkeit) Ein weiteres Beispiel für Ihre Konzeptionslosigkeit ist das Thema „Deutsche Nationalstiftung", ein außerordentlich ernstes und für jeden Deutschen betrübliches Kapitel. Vom Bundeskanzler Helmut Schmidt immer groß angekündigt, zerbarst dieses Projekt im vergangenen Jahr leider Gottes wie eine Seifenblase. Natürlich wissen wir — ich will das hier ganz offen ansprechen —, daß die Sowjetunion ihren bekannten Widerstand gegen die Deutsche Nationalstiftung geltend machen würde, so wie sie gegen alles ist, was in Berlin neu entsteht. Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10399 Dr. Riedl (München) Aber es fehlte doch bisher, ganz unabhängig von den sowjetischen Drohungen, ein klares Konzept dieser Bundesregierung und des dafür verantwortlichen Bundesministers, und es fehlte der klare Durchsetzungswille dieser Regierung für diese Stiftung. Jahr für Jahr stehen in diesem Haushalt 12,5 Millionen DM, und Sie trauen sich nicht einmal, als Zweckbestimmung zu schreiben: „Deutsche Nationalstiftung Berlin" . (Zuruf des Abg. Haase [Kassel] [CDU/CSU]) Aus diesem Grund wiederholen wir unseren Antrag auch in dieser Debatte und stellen ihn zur Abstimmung. Die Deutsche Nationalstiftung muß geschaffen werden, und sie gehört nach Berlin. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich muß mich leider sehr kurz fassen, weil die Zeit drängt. Ich will nur ganz knapp noch das vierte Beispiel für Konzeptionslosigkeit anschneiden. Das betrifft die Standortfrage der Abteilung Terrorismusbekämpfung des Bundeskriminalamts. (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Ein Trauerspiel!) — Das ist ein Trauerspiel, Kollege Haase. (Zuruf des Abg. Gerster [Mainz] [CDU/ CSU]) Wir haben sowohl im Innenausschuß als auch im Haushaltsausschuß vor Jahren immer gesagt: Die Terrorismusbekämpfung gehört abteilungsmäßig zum Bundeskriminalamt nach Wiesbaden. Nur die Eierköpfe in der Regierung haben sich gedacht: Jetzt kommen die großen Erfolge in der Terrorismusbekämpfung; sozusagen Mogadischu in Fortsetzung. Da wollen wir die Erfolge möglichst regierungsnah hier in Bonn haben, (Zuruf des Abg. Haase [Kassel] [CDU/ CSU]) Und was haben Sie gemacht? Sie haben die Abteilung TE -- Terrorismusbekämpfung — nach Bad Godesberg gelegt. Dann hat der Herr Maihofer gemerkt: Na, so arg ist das auch nicht mit der Terrorismusbekämpfung; da gibt es ja Fehlschläge; da gibt es ja Mißerfolge. (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Durch Glatteis!) Das wollen wir von der Regierung lieber wegnehmen, damit die Fehler dem Herrn Bundeskanzler und mir nicht allzu sehr angelastet werden. — Schwupp! Man hat die Beamten ins Auto gesetzt und die ganze Abteilung mit vielen, vielen Millionen Kosten — der Steuerzahler bezahlt ja — wieder nach Wiesbaden versetzt. In einem hochmodernisierten, industrialisierten Staat, von dem man erwarten muß, daß er die Verbrechensbekämpfung bis aufs I-Tüpfelchen beherrscht, weiß man nicht einmal, wo man die Abteilung Terrorismusbekämpfung hinsetzt. Ihr seid mir schöne Terroristenbekämpfer, wenn ihr nicht einmal wißt, wohin diese Abteilung lokalmäßig in einem so überschaubaren Land wie der Bundesrepublik Deutschland hingehört! (Bravo-Rufe und Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin am Ende. (Heiterkeit) — Ja, ja. Das ist der berühmte Satz, den die Parlamentarier immer machen, damit Sie etwas zum Lachen haben. Ich weiß das schon. Aus diesem Grund habe ich ihn auch gesagt. Vor einem halben Jahr gab es an der Bundeswehrhochsdiule in München eine Diskussion über das Problem der Radikalen im öffentlichen Dienst. Da war auch ein Mann dabei, der in München und in Bayern bei allen politischen Kräften höchstes Ansehen genießt: der frühere bayerische Ministerpräsident Dr. Wilhelm Hoegner. Dr. Wilhelm Hoegner ist in der Diskussion nach seiner Meinung über die Radikalen im öffentlichen Dienst befragt worden. Er hat ganz schlicht und einfach gesagt: Meine größte Befürchtung ist es, daß der heutige demokratische Staat zu wenig von seinen Machtmitteln Gebrauch macht, um Verfassungsfeinde vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Herr Bundesinnenminister Baum, die Telefonnummer von Herrn Wilhelm Hoegner können Sie in jedem Münchener Telefonbuch lesen. Rufen Sie ihn doch einmal an und fragen ihn, was er von Ihrer Politik im allgemeinen und Ihrer jüngsten Entscheidung über die Abschaffung der Regelanfrage im besonderen hält. Wir fordern diesen Bundesinnenminister auf: Erfüllen Sie Ihren Verfassungsauftrag, sorgen Sie für die Erhaltung unseres Rechtsstaates, und halten Sie uns die Kommunisten aus dem Staatsdienst fern! (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie dies tun, haben Sie uns auf Ihrer Seite. Da Sie dies aber nicht können, lehnen wir Ihre Politik ab und damit folgerichtig auch Ihren Haushaltsplan. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walther. Walther (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben wieder einmal eine Neuauflage des Schauspiels erlebt, das da heißt „Wer kann besser polemisieren, die CSU oder die CDU?" Da nach Herrn Riedl der nach seiner Wahlniederlage in Hessen nur noch als „Zampanio" zu bezeichnende Herr Dregger kommen wird, mußte er natürlich zeigen, daß er es besser kann, so wie Herr Biedenkopf ja Herrn Kohl gesagt hat, wer es besser können sollte. (Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Ritz [CDU/CSU): Das war ein toller Einstieg!) Ich werde auf die einzelnen Punkte, die Herr Kollege Riedl angesprochen hat, noch zurückkommen. Nur, Herr Kollege Riedl: eine Haushaltsrede war 10400 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 Walther das nun wirklich nicht, die Sie heute morgen hier geboten haben. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU) — Ja, die hören wir jetzt. Ich rede nämlich jetzt über die tatsächlichen Probleme, die in diesem Haushalt stecken. Ich stimme in der Beurteilung des Bundesinnenministers Gerhart Baum mit Ihnen überhaupt nicht überein. Ganz im Gegenteil. Ich sage: dieser Minister hat alle die Lügen gestraft, die ihm vor nicht allzulanger Zeit, als er in seinem Amt begonnen hat, mit Reserve gegenübergestanden haben. Manche haben es ihm nicht zugetraut. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung hat Herr Baum sein Amt hervorragend ausgefüllt und in der relativ kurzen Zeit seiner Amtstätigkeit bewiesen, daß man den zugegebenermaßen schwierigen Pfad zwischen Sicherheit und Freiheit gehen kann, ohne daß das eine dem anderen geopfert werden muß. (Beifall bei der SPD und der FDP) Wir danken Ihnen, Herr Minister, dafür, daß Sie in diesem Amt sozialliberale Positionen wieder deutlich gemacht haben. Das gilt auch — ich komme darauf zurück — für jenen Extremistenerlaß, über den wir uns gestern unterhalten haben und über den wir heute reden werden - Herr Zimmermann wird es wahrscheinlich morgen auch noch tun. Das wird ja sicherlich noch eine ganze Zeit ein Dauerlutscher sein. Wir werden das ertragen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das muß Sie doch nachdenklich stimmen!) — Ich komme noch darauf. Haben Sie doch mal Geduld, junger Mann, Sie sind doch noch nicht dran. Ich wiederhole: das gilt auch für den Extremistenerlaß, den berühmt-berüchtigten, über den wir ja schon lange reden. (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Das ist überhaupt kein Erlaß!) — Ob das nun ein Erlaß ist oder nicht, Herr Vogel, das ist doch wurscht. Wir wissen doch, über was wir reden. Wir danken Ihnen dafür, daß Sie mit geholfen haben, den sogenannten Extremistenerlaß so zu modifizieren, daß junge Menschen, die keine notorischen Verfassungsfeinde sind, sich auch dann mit unserem demokratischen Staat identifizieren können, wenn sie kritische Vorbehalte haben. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Dafür werden die Gegner eingestellt!) — Entschuldigen Sie, Herr Gerster, Herr Kollege Riedl hat doch genau das Argument gebracht, warum das Ganze Unsinn ist. Er hat gesagt, 130 000 seien überprüft worden und 90 seien hängengeblieben. Davon waren ja leider auch eine ganze Menge Sozialdemokraten, Herr Riedl; das haben Sie verschwiegen. Weshalb dann dieser große Aufwand 130 000 junge Menschen zu überprüfen, sie zu verunsichern, damit man 90 herauskriegt, Herr Kollege Riedl? Das macht den ganzen Unsinn Ihrer Praxis deutlich. (Zuruf von der CDU/CSU: Weil die 90 Schaden anrichten können! — Dr. Miltner [CDU/CSU] : Sie wissen gar nicht, wie das geht!) — Natürlich, Herr Miltner, ich war zwar nicht beim Verfassungsschutz wie Sie, aber ich weiß es trotzdem. Wir begrüßen auch ausdrücklich, Herr Minister, daß Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit aus den Fahndungspannen beim Bundeskriminalamt — die werden ja nicht geleugnet, die können nicht geleugnet werden — die notwendigen innerorganisatorischen Konsequenzen gezogen haben. Herr Riedl, bei dieser Umorganisation war eben nicht die Farbe gelb, sondern die Farbe schwarz mit im Spiel. Das hätten Sie fairerweise auch hier zugeben und den Minister dafür loben müssen. Wir bedanken uns auch dafür, daß Sie aus dem Höcherl-Bericht die Konsequenzen gezogen und diese schnell in die Tat umgesetzt haben. Bei alle dem, was uns natürlich bei den Fahndungspannen bedrückt, sollten wir aber auch nicht vergessen, daß es einige bemerkenswerte Erfolge gegeben hat, die ganz offenbar die Logistik der Terroristen angeschlagen haben. Es ist aber weiterhin größte Wachsamkeit geboten. Der Minister sagt das ja auch jeden Tag, an dem er zu diesem Thema gefragt wird. Denn die Internationale des Terrorismus — davon gehe ich aus — hat noch lange nicht aufgegeben. Die Zeit der scheinbaren Ruhe sollte genutzt werden, Herr Minister, auch in unserem Bereich, um die Erfahrungen der Vergangenheit aufzuarbeiten und die Schlagkraft der Polizei von Bund und Ländern noch zu verbessern. Jener Spionagefall, der sich jetzt in Karlsruhe ereignet hat, macht deutlich, was ich damit meine. Ich habe gelesen, daß dort ein Beamter, der schon 14 Stunden im Dienst war, allein geschickt wurde, um den Spion zu fassen und einzusperren. Da gibt es also offenbar auch Führungsschwierigkeiten auf der mittleren Ebene. (Schwarz [CDU/CSU] : Oben nicht, da sind alle gut! Nur unten, der kleine Mann!) Ich möchte in diesem Zusammenhang die Landesregierungen, die es angeht — es sind ja eine ganze Menge CDU-regierter Länder dabei wie in Kiel, Mainz oder Hannover —, auffordern, nun endlich dafür zu sorgen, daß sie die Polizeidichte von 1 : 400 erreichen, ehe sie mit Fingern auf andere zeigen. Denn die Sollstärke ist in vielen Ländern noch nicht erreicht, obwohl — Herr Kollege Friedmann, das wissen Sie aus dem Haushaltsausschuß, das wissen aber viele andere nicht, und deshalb sage ich es hier — der Bund ja die Ausrüstung der Bereitschaftspolizeien voll bezahlt und damit die Länderhaushalte erheblich entlastet. Man sollte sich nicht darauf verlassen, daß der Bundesgrenzschutz als Eingreifreserve immer zur Verfügung steht. Jeder, der die Lage im Grenzschutz kennt — und die Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10401 Walther Kollegen aus dem Innenausschuß wissen Bescheid —, der weiß, daß dieser wahrend der schwierigen Phase seiner Umstellung auf das neue Ausbildungskonzept nicht noch weiter belastet werden kann, dies um so mehr, als wir auf Grund der von uns nur schweren Herzens geschluckten Verwaltungsvereinbarungen mit dem Land Niedersachsen erhebliche Polizeikräfte des Grenzschutzes nach Gorleben abstellen müssen. Um so mehr — ich denke, da spreche ich für alle hier im Hause — haben wir den Angehörigen der Sicherheitskräfte im Bund und Ländern zu danken für ihren schweren und aufopferungsvollen Einsatz. Ein paar Bemerkungen zu den vom Haushaltsausschuß beschlossenen Kürzungen der Planstellen im Bereich der inneren Sicherheit. Ich will hier deutlich machen, daß diese Kürzungen deshalb erfolgt sind, weil für diese Stellen im kommenden Jahr keine geeigneten Bewerber zur Verfügung stehen werden. Aber ich gebe hier im Deutschen Bundestag öffentlich zu Protokoll, daß wir bereit sind, die Stellen, die benötigt werden, um die zukünftigen Bewerber einstellen zu können, auch bereitzustellen, und daß wir das Sicherheitsprogramm der Bundesregierung voll mittragen, auch den personellen Teil. (Beifall bei der SPD) Vielleicht sollte ich noch darauf hinweisen, daß wir gleichwohl in diesem Jahr 500 neue Stellen im Sicherheitsbereich bewilligen wollen, die mit qualifizierten Bewerbern besetzt werden können. Damit kann ein zusätzliches Stück innerer Sicherheit auf organisatorischem und operativem Gebiet gewonnen werden. Herr Kollege Riedl —,— Ist er weg? — Ach, da ist er ja! Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie sich nach links abgesetzt haben, Herr Kollege Riedl; das entspricht gar nicht Ihrer Art. Sie haben etwas über die angebliche Entmachtung des Verfassungsschutzes gesagt. Wer so argumentiert wie Sie, Herr Kollege Riedl, dem fehlt die notwendige Sensibilität für das Verhältnis zwischen der Demokratie und der Macht geheimer Dienste. (Spranger [CDU/CSU]: Was ist denn das?) Der Bundesinnenminister hat nicht den Verfassungsschutz entmachtet, sondern ihn auf seine eigentliche Aufgabe zurückgeführt. Dafür danken wir ihm. Der Kollege Hugo Brandt hat bei anderer Gelegenheit einmal hier im Deutschen Bundestag gesagt: Der Verfassungsschutz hat seine Aufgabe — Hüter der Verfassung ist er nicht! Hüter der Verfassung, finde ich, sind alle Deutschen, insbesondere auch wir hier in diesem Parlament. Ich möchte nun einen Schwerpunkt ansprechen, der in diesem -Haushalt deutlich gesetzt wird, den aber der Kollege Riedl — er weiß, warum — übersehen hat. Diesen deutlichen Schwerpunkt setzen wir beim Umweltschutz. Hier steigen die Aufwendungen um 52 % auf über 560 Millionen DM. Zusammen mit dem, was in anderen Haushalten und im ERP-Wirtschaftsprogramm steht, sind das mehr als eineinhalb Milliarden DM. Wenn Sie noch hinzurechnen, was Länder, Gemeinden und Private in diesem Bereich investieren, dann wird deutlich, daß dies eine finanzielle Anstrengung besonderer Art ist. Das führt die von manchen in die Diskussion gebrachte These, Umweltschutz führe zur Vernichtung von Arbeitsplätzen, ad absurdum. Von diesen Mitteln gehen vielmehr bedeutende wachstums- und arbeitsplatzwirksame Impulse aus. Die helfen mit, Arbeitsplätze zu sichern, nicht, Arbeitsplätze zu vernichten, wie es mancher aus dem Lobby-Bereich sagt. (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich füge hinzu, daß das Programm für Zukunftsinvestitionen, zwar von der Opposition mitgetragen, aber mit sehr viel kritischen Anmerkungen versehen, wie wir alle noch in Erinnerung haben, in diesem Bereich ganz hervorragend läuft und auch mit dazu beigetragen hat, daß die Bauwirtschaft wieder zu einer Wachstumsbranche geworden ist. Wenn dieses Programm abgeschlossen sein wird, werden wir mit Sicherheit noch nicht. am Ende sein; das ist klar. Aber dann wird die Wasserqualität von Rhein und Main sowie anderer Flüsse deutlich verbessert sein. Das macht deutlich, daß wir auf diesem Wege fortschreiten müssen. Wir begrüßen, daß in diesem Etat 65 Millionen DM eingesetzt worden sind, um Demonstrationsvorhaben für die Luftreinhaltung bei Altanlagen als Pilotprojekte zu fördern. Meine Damen und Herren, das ist ungeheuer wichtig. Sie wissen, daß die Bundesregierung dabei ist, das Bundesimmissionsschutzgesetz zu novellieren. Wir müssen wissen, was bei Altanlagen zumutbar ist. Deshalb ist es notwendig, daß diese Mittel dafür eingesetzt werden. Wir begrüßen dies. Im Zusammenhang mit der geplanten Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes warne ich alle, die die bisherige Regelung verwässern wollen. Wir werden eher ein Scheitern der Novellierung hinnehmen als eine Verschlechterung der bisherigen Anforderungen. Ich hoffe sehr, Herr Minister Baum, daß der von der Bundesregierung im Prinzip gebilligte Entwurf eines Umweltchemikaliengesetzes, den ich begrüße, möglichst schnell auf den Weg gebracht wird. Hier tickt eine Zeitbombe, von der ich behaupte, daß sie noch erheblich gefährlicher ist als die von der Kernenergie ausgehenden Gefahren. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß der Stand der Medizin immer höher wird, der Zustand der Volksgesundheit sich aber verschlechtert. Wir wissen schon eine ganze Menge auf diesem Gebiet. Die Wirkungen chemischer Substanzen in der Umwelt, die wir kennen, sind schon gefährlich genug. Wir wissen beispielsweise, daß 15 % aller Krebserkrankungen bei Männern und 5 % aller Krebserkrankungen bei Frauen auf beruflich bedingte Einwirkungen zurückzuführen sind, oder besser gesagt: 1,2 Millionen Menschen der heutigen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland werden einmal an Krebs erkranken, der auf Umweltchemikalien zurückzuführen ist. (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Die rauchen zuviel!) 10402 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 Walther — Das Rauchen ist noch viel schlimmer, ich weiß, Herr Kollege Haase. Aber ich rede im Moment gerade von den Umweltchemikalien. Ich bitte um Verständnis, daß in diesem Zusammenhang keine Zeit bleibt, um auch noch über das Rauchen zu reden. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Wir wissen, daß beispielsweise noch immer das hochgiftige Pentachlorphenol in Holzschutzmitteln wie Xylamon verwendet wird, obwohl durch die Wirkung von Xylamon bereits schon eine Reihe von Krebserkrankungen entstanden sind. Wir wissen, daß im Ruhrgebiet der Lungenkrebs 1,6mal öfter auftritt als in weniger belasteten Gebieten. Die Aufzählung dessen, was wir wissen, könnte ich hier noch eine Weile fortsetzen. Trotzdem wissen wir noch viel zuwenig; denn rund 63 000 Substanzen gelangen schon jetzt in die Umwelt; jährlich kommen 500 neue hinzu. Von diesen 63 000 haben wir gerade 6 000 auf ihre Cancerogenität geprüft. Tausend haben sich dabei als krebserregend herausgestellt. Meine Damen und Herren, ohne durchgreifende gesetzliche Regelungen und zusätzliche Anstrengungen in der chemischen Forschung werden wir dieser Lage nicht Herr werden. Wir müssen die Wirkungen prüfen, bevor solche gefährlichen Substanzen in den Umlauf kommen. (Broll [CDU/CSU]: Bier zum Beispiel!) Die letzte Gaswolke in Oberbayern hat deutlich gemacht, daß auch eine Störfallverordnung für die chemische Industrie dringend notwendig ist. Ich wäre dankbar, wenn Ihr Haus, Herr Minister, das zur Kenntnis nähme. Ich bin Herrn Staatssekretär Hartkopf dankbar, daß er als einer der wenigen im öffentlichen Bereich auf diese Gefahren aufmerksam gemacht hat. Seine öffentlich ausgesprochene Warnung vor den Wirkungen der Fluorkohlenwasserstoffe beispielsweise sollte dazu führen, Herr Staatssekreträr und Herr Minister, daß derartige Stoffe möglichst schnell in der Bundesrepublik Deutschland verboten werden. Dieser Schwerpunkt, nämlich Chemikalienbereich und Umweltschutz, sollte gleichwohl nicht dazu führen, die Gefahren der Kernenergie zu verharmlosen. Wir sollten uns beispielsweise überlegen, ob wir das Verschweigen, Vertuschen, Verheimlichen von Störfällen in Kernkraftwerken nicht unter hohe Strafe stellen, wie das beispielsweise in Amerika der Fall ist. Wir sollten uns überlegen — ich habe gehört, Sie wollen das —, ob wir jetzt nicht schnell die Konsequenzen aus den Vorfällen in Brunsbüttel ziehen und die Richtlinien für die Anforderungen, die an die Betreiber von Kernkraftwerken und an das Schichtpersonal gestellt werden, hoch ansetzen, um menschliches Versagen, das noch immer das größte Risikopotential darstellt, so weit wie möglich auszuschalten. Meine Damen und Herren, zu einem anderen Thema; ich möchte hier an dieser Stelle die Aufforderung wiederholen, die wir schon im Haushaltsausschuß an die Adresse der Bundesregierung ausgesprochen haben —, zu der Ankündigung des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung, Fragen der inneren Pressefreiheit gesetzlich regeln zu wollen, wenn sich die Tarifpartner selbst nicht einigen. Herr Minister, ich weiß, daß Sie dieses Thema mit Vorbehalt angehen; Sie haben sich öffentlich dazu geäußert. Trotzdem sage ich: Je größer die Zahl der Regionen wird, in denen Zeitungsmonopole bestehen — Herr Kollege Dregger weiß ja, wie das in Fulda ist; (Dr. Dregger [CDU/CSU]: In Kassel!) deswegen kommt er da immer so gut weg —, um so wichtiger ist eine Regelung, die sicherstellt, daß Pressefreiheit nicht nur das Recht einiger weniger Verleger ist, ihre eigene Meinung durch von ihnen abhängige Journalisten verbreiten zu lassen. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Siehe „Vorwärts"!) Ich wollte, meine Damen und Herren, heute morgen gern das vorgetragen haben, was der Bund auf dem Gebiet der Kunst- und Kulturförderung tut. Es ist auch im Interesse der engagierten Beamten, die auf diesem Gebiet arbeiten, wirklich notwendig, daß wir darüber hier im Plenum einmal diskutieren. Ich rege an, daß wir bei Gelegenheit einmal eine solche Debatte führen. Nur, Herr Kollege Dr. Riedl, wenn Sie beklagen, daß die Deutsche Nationalstiftung noch immer nicht gegründet worden ist, dann beklage ich das mit Ihnen. (Spranger [CDU/CSU] : Sie haben die Mehrheit, Sie müssen das ändern!) — Aber entschuldigen Sie, Herr Spranger, Sie sind doch nicht so dumm, wie Ihr Zwischenruf glauben machen könnte. (Spranger [CDU/CSU] : Sie haben eine charmante Art! Diese Rückschlüsse sind besser auf Sie anzuwenden!) Herr Kollege Spranger, Sie wissen doch, welche Hindernisse dem entgegenstehen. Der Standort ist nur ein Punkt unter vielen. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Die Frage des Standorts könnte doch längst gelöst sein, wenn eine Erklärung der Regierung da wäre!) — Entschuldigen Sie, Herr Miltner, Sie wissen ganz genau, daß es da nicht nur die Frage des Standorts, sondern daß es da auch noch eine ganze Menge föderalistischer Querelen gibt, die immer noch nicht überwunden sind. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Fordern Sie die Regierung auf, den Standort festzulegen!) Die Frage des Standorts ist für mich zweitrangig, wenn es darum geht, daß wir die Förderung lebender Künstler vorantreiben; die haben es doch verdammt nötig, meine Damen und Herren. Noch ein Wort zur Sportförderung. Meine Damen und Herren, wir gehen von dem Grundsatz aus, daß die Sportförderung, in ihrer ganzen Vielfalt eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden ist. Dieses Prinzip hat sich bewährt. Es muß weiter gefestigt und ausgebaut werden. Mit den im Bundeshaushalt 1979 zur Verfügung stehenden Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Januar 1979 10403 Walther Mitteln kann die Bundesregierung einen erheblichen Beitrag dazu leisten, daß das insgesamt hohe und international anerkannte Sportförderungsniveau in der Bundesrepublik stabilisiert und weiterentwickelt werden kann. Nur, Weltrekorde — Herr Riedl, da sind wir uns sicherlich einig — im Austragen von Welt- und Europameisterschaften sollten wir nicht jedes Jahr wieder neu anstreben wollen. Wegen der wenigen mir noch verbleibenden Zeit kann ich zur Zivilverteidigung nur ein paar Worte sagen, obwohl ich weiß, daß das ein Lieblingsthema meines — soll ich sagen: neuhessischen? — Landsmannes Dregger ist. Die vom Haushaltsausschuß beschlossene Steigerungsrate von 11,5 % ist respektabel. Sie setzt neue Zeichen und hilft mit, insbesondere den Katastrophenschutz — gerade bei den Katastrophenschutzorganisationen bis hin zur Feuerwehr — und den öffentlichen Schutzraumbau exemplarisch zu verbessern. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind mit dem Ergebnis der Haushaltsberatungen über die Einzelpläne des Bundesinnenministers zufrieden. Von ihnen gehen, so meinen wir, erhebliche Impulse für eine gestalterische Form der deutschen Innenpolitik aus. Wir Sozialdemokraten sagen deshalb aus vollen Herzen ja zu diesem Haushalt. (Beifall bei der SPD und der FDP)
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 26. 1. Dr. van Aerssen * 26. 1. Dr. Aigner * 26. 1. Dr. Bayerl * 26. 1. Brandt 26. 1. Flämig * 26. 1. Haase (Fürth) * 26. 1. Haberl 25. 1. Hoffmann (Saarbrücken) * 26. 1. Frau Hürland 26. 1. Ibrügger * 26. 1. Dr. Klepsch * 26. 1. Klinker 26. 1. Koblitz 26. 1. Lange * 25. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lemp * 26. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 26. 1., Luster * 26. 1. Müller (Bayreuth) 26. 1. Müller (Berlin) 26. 1. Müller (Mülheim) * 26. 1. Müller (Wadern) * 26. 1. Schmidt (München) * 26. 1. Dr. Schmitt-Vockenhausen 26. 1. Schreiber * 26. 1. Dr. Schröder (Düsseldorf) 26. 1. Frau Dr. Walz * 26. 1. Wawrzik * 25. 1. Dr. von Weizsäcker 25. 1. Würtz * 26. 1. Ziegler 26. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Johannes Gerster


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die mir begrenzt zustehende Redezeit erlaubt es mir leider nicht, auf den Kollegen Liedtke im einzelnen einzugehen. Ich möchte nur eine Bemerkung machen: Herr Liedtke, Sie sollten einmal die Ausführungen des Prinzen August Wilhelm von Hohenzollern vom Beginn der 30er Jahre nachlesen, Ausführungen, die er zunächst mündlich gemacht und dann schriftlich niedergelegt hat, und zwar Ausführungen über die damals jungen Nationalsozialisten. Sie werden feststellen, daß die Formulierungen von damals in weiten Teilbereichen sogar sprachlich mit dem identisch sind, was Sie heute über Radikale, vor allem



    Gerster (Mainz)

    über Linksradikale, sagen. Vielleicht hilft Ihnen dieser Vergleich etwas beim Nachdenken darüber, ob es nicht in der Weimarer Zeit eine Tatsache war, daß wegen der nachlassenden Wachsamkeit der Demokraten zunehmend Feinde der Demokratie, Nationalsozialisten, in den öffentlichen Dienst kamen. Ich behaupte, das Ermächtigungsgesetz Adolf Hitlers konnte ab 1933 nur deshalb funktionieren, weil der Boden durch Nationalsozialisten in den Verwaltungen bereits vorbereitet war.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Weil wir Derartiges heute nicht wollen, sagen wir, wir müssen eine große Wachsamkeit gegenüber den Feinden unserer heutigen Demokratie an den Tag legen.
    Herr Minister Baum, ich muß schon feststellen, die Rede meines Kollegen Dr. Dregger muß ganz hervorragend gewesen sein.

    (Zurufe von der SPD)

    Offenbar habe nicht nur ich das so empfunden, sondern auch Sie. Offenbar hat diese Rede die Schwachstellen der Regierung und speziell eine Schwachstelle dieser Regierung, nämlich den Bundesinnenminister, sehr betroffen.

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Es hat ihm die Sprache verschlagen!)

    Anders, Herr Minister, kann ich Ihre Vorstellung, vor allem zu Beginn Ihrer Ausführungen hier, nicht verstehen. Mein .Kollege Dr. Dregger hat in seinen Ausführungen drei zentrale Fragen angesprochen. Er hat die Sicherung unseres Bevölkerungsstandes, die Bevölkerungsentwicklung angesprochen. Er hat den Schutz der Zivilbevölkerung angesprochen, und er hat die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ih diesem Lande angesprochen. Sie haben auf diese drei zentralen Fragen im wesentlichen nichts anderes zu sagen gehabt, als zu behaupten, Herr Dr. Dregger habe hier Angstparolen verbreitet.

    (Zuruf von der SPD: Hat er auch!)

    Herr Minister Baum, die Ausführungen von Dr. Dregger betrafen zentrale Existenzfragen unseres Volkes.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deren Lösung oder das Ausbleiben einer Lösung entscheidet unsere Zukunft. Dies waren keine Angstparolen, ,dies waren Tatsachen, dies war die Wahrheit. Sie, Herr Minister, haben- Angst vor dieser Wahrheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben keinerlei Konzeption zu einer wirklichen Lösung dieser Fragen angeboten. Sie wurschtelten auch in Ihrer Rede hier kopf- und richtungslos weiter. Sie sind offenbar ratlos. Fast könnte man sagen: typisch FDP, außer Posten und Spesen nichts gewesen. Aber ich sage das natürlich nicht, weil ich hier nicht unhöflich werden will.

    (Heiterkeit)

    Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich zu drei Punkten ganz kurz Stellung nehmen. Wer leugnet, wie es Herr Minister Baum gerade wieder versucht hat, daß Fehlentwicklungen in der Familienpolitik, in der Steuerpolitik, in der Wohnungsbaupolitik u. a. ursächlich für den Rückgang der Geburtenziffern sind, der wird dieses Problem nicht lösen können. Er versündigt sich an den nächsten Generationen bereits in der Zeit um das Jahr 2000, wenn bei. dieser Bevölkerungsentwicklung ein Arbeitnehmer einen Rentner wird finanzieren müssen. Herr Minister, wenn diese Entwicklung so weitergeht, wird spätestens dann das Netz der sozialen Sicherheit gerissen sein.
    Eine zweite Bemerkung. Zu Ihren Ausführungen zur Radikalenfrage. Herr Bundesminister, Ihre Einlassung macht deutlich, daß Sie — offenbar wie Herr Klose in Hamburg — mehr Sorgen um die Freiheit eines einzelnen Kommunisten empfinden als um die Freihaltung des öffentlichen Dienstes von Feinden der Verfassung. Sie geben damit der verlogenen kommunistischen Propaganda über Berufsverbote nach. Sie weichen zurück — und das sind dieselben Ansätze, die ich soeben zu Beginn darzustellen versuchte —, wie die Demokraten vor 1933 gegenüber der braunen Gefahr zurückgewichen sind. Herr Minister, wer die Freiheit nicht aktiv gegenüber deren Feinden verteidigt, wird mit dieser Freiheit untergehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dritte Bemerkung. Es ist direkt ein Vergnügen, hier zu hören, wie der Minister und die Vertreter der Koalitionsparteien Sorgen über den Datenschutz äußern, wie sie hier einen mangelhaften Datenschutz aufzeigen und damit offenbar ihre Unzufriedenheit mit dem neuen Bundesdatenschutzgesetz zum Ausdruck bringen, das ja erst zweieinhalb Jahre alt ist. Es ist richtig, der Schutz der Privatsphäre des Bürgers muß gerade in unserer modernen Gesellschaft absolute Priorität haben. Nur, meine Damen und Herren von der Koalition, warum funktioniert das Bundesdatenschutzgesetz denn nicht? Weil es mangelhaft und unpraktikabel ist! Wer aber hat dieses Gesetz gemacht, meine Damen und Herren von der Koalition? Doch Sie 1976 gegen die Stimmen der CDU/CSU in diesem Hause!

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wer hat denn vor diesem Gesetz gewarnt? Das sind doch wir gewesen. Wir haben doch gesagt, daß dieses Gesetz so nicht funktionieren kann.
    Wer hat denn zu diesem Gesetz bessere Alternativen gehabt? Wer, Herr Dr. Wendig, hat denn in diesem Hause z. B. die Einführung eines Schadenersatzanspruchs beantragt? Das waren doch wir! Und wer hat das abgelehnt? Das sind doch Sie gewesen. Da können Sie sich doch heute hier nicht hinstellen und bedauern, daß ein Schadenersatzanspruch in den Datenschutzregelungen bisher nicht enthalten ist.
    Ich empfehle Ihnen, die Protokolle des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1976 zur Problematik des Bundesdatenschutzgesetzes nachzulesen. Sie werden sehr viel finden, was heute nach wie vor aktuell ist und dringend verwirklicht werden sollte. Aber wir sind es ja gewohnt, daß linke Sozialisten, die in der Regel mehr in die Vergangenheit schauen,



    Gerster (Mainz)

    etwas länger brauchen, um die Probleme der Zukunft zu erkennen.
    Lassen Sie mich nun zu dem Thema kommen, das ich mir an sich vorgenommen hatte, zur Frage der zivilen Verteidigung. Herr Dr. Dregger hat hier bereits auf die Notwendigkeit einer Verbindung von militärischer und ziviler Verteidigung hingewiesen. Er hat vor allen Dingen deutlich gemacht, daß ein effektiverer Zivilschutz dringend geboten ist.
    Die zivile Verteidigung führte in den letzten Jahren — das müssen wir auch uns selbst vorhalten — auch in diesem Hause ein Schattendasein. Experten wissen, daß sich die Einsatzbereitschaft im zivilen Katastrophenschutz von Jahr zu Jahr verschlechtert hat. Notwendige Investitionen konnten nicht getätigt werden. Ein zunehmender Anteil der Gerätschaften und Fahrzeuge veraltete und stand, wie Sie selbst wissen, teilweise nur auf dem Papier. Dies ist die Lage. Heute ähnelt die zivile Verteidigung einer Ruine ohne Dach, stehend auf morschen Pfeilern. Bereits eine leichte Katastrophe könnte dieses Gebäude zum Einsturz bringen.
    Wir haben nun erfreulicherweise für das Jahr 1979 nach langen Jahren der Stagnation oder — wenn man die jeweiligen Inflationsraten berücksichtigt — sogar des Rückgangs erstmals wieder eine Aufbesserung der Haushaltsmittel um rund 12 % gegenüber dem Ansatz von 1978 und sogar um 18 % gegenüber den vorläufigen Ist-Zahlen von" 1978.

    (Zuruf von der SPD: Hervorragend!) Das ist in der Tat eine positive Entwicklung.

    Nur arbeitet die Regierung natürlich auch hier mit doppeltem Boden. Herr Bundesinnenminister, wenn Sie sich draußen damit brüsten, daß Sie 1979 mehr für die Zivilverteidigung tun wollen, fügen Sie doch bitte freundlicherweise hinzu, daß Sie als Bundesinnenminister am allerwenigsten mit dieser Erhöhung zu tun haben. Denn es war doch die Bundesregierung gewesen, die vorgeschlagen hatte, für 1979 eine Kürzung vorzunehmen, und es waren doch die Kollegen des Haushaltsausschusses, denen man nachsagt, daß sie einen besonderen Sparwillen haben und eine aktive Spartätigkeit ausüben, die etwas getan haben, wozu die Regierung nicht in der Lage war:

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    nämlich eine klare Priorität zu setzen, eine klare Priorität zugunsten dieser Zivilverteidigung und zugunsten dieser notwendigen Zukunftsaufgaben, die uns alle bedrängen. Herr Bundesinnenminister, Sie sind am allerwenigsten berechtigt, sich damit zu brüsten, daß Sie mehr für die Zivilverteidigung getan hätten.
    Nun muß man in diesem Zusammenhang auch die Frage ansprechen, was denn mit diesen um insgesamt rund 80 Millionen DM erhöhten Haushaltsmitteln getan werden kann. Um es klar vorauszuschicken. Diese Mittelverstärkung wird die Probleme der Zivilverteidigung nicht im geringsten lösen können. Damit können in der Vergangenheit unterbliebene Beschaffungsmaßnahmen nachgeholt werden, und damit kann einer weiteren Schwächung des Zivil- und Katastrophenschutzes, allerdings nur in Teilbereichen, entgegengewirkt werden. Es handelt sich um nicht mehr als eine Notmaßnahme.
    So stehen — gestatten Sie mir, daß ich einmal auf eine Einzelheit eingehe, um die Situation darzustellen — derzeit für den Zivil- und Katastrophenschutz nach einer Berechnung des Bundesinnenministeriums 12 100 Einsatzfahrzeuge zur Verfügung, und zwar, wie gesagt, für den gesamten Zivil- und Katastrophenschutz, soweit der Bund ihn zu verantworten hat.
    Meine Damen, meine Herren, ab 1979 müssen nach Angaben des gleichen Innenministeriums von diesen etwas über 12 000 Fahrzeugen rund 8 700, d. h. etwa drei Viertel, ausgesondert werden, weil sie älter als 15 Jahre sind und nicht mehr benutzt werden können. Mit den 75 Millionen DM Mehrbetrag in den Haushaltsansätzen für 1979 können wir gerade rund 650 neue Fahrzeuge und 20 Anhänger beschaffen. Das zeigt, daß es eine kleine Hilfe, eine kleine Erleichterung ist; mehr ist es nicht.
    Die zweite Erhöhung betrifft die Neuschaffung von Hilfskrankenhäusern. Hier konnten wir die bescheidene Summe von 8,3 Millionen DM — Sie haben richtig gehört: für Hilfskrankenhäuser standen ganze 8,3 Millionen DM bereit; dafür kann man gerade ein paar Krankenzimmer bauen auf 9,8 Millionen DM erhöhen. Das ist eine ganz leichte Aufbesserung, die, wie Sie wissen, auch hier das Problem nicht löst, ebenso wie wir im dritten Bereich für das THW zwar eine leichte Mittelverbesserung aufnehmen konnten, aber auch hier keinesfalls zu einem echten Durchbruch kommen werden.
    Deswegen, meine Damen, meine Herren von der Koalition, empfehle ich Ihnen — das gilt auch für Sie, Herr Minister Baum, von der Bundesregierung —, den Mund nicht zu voll zu' nehmen. Es sind kleine, notwendige Schritte. Mehr wird in diesem Bereich auch im nächsten Jahr nicht geschehen.
    Wie hilflos die Bundesregierung im Zivilschutz ist, beweist ein sehr deutliches Beispiel, nämlich die Weiterentwicklung des Schutzraumbaus. Diese Bundesregierung redet seit Jahren davon, es müsse mehr für den Schutzraumbau getan werden. Im Haushaltsausschuß war Bereitschaft, hierfür mehr Mittel bereit zu stellen. Die Antwort der Bundesregierung war, sie habe für 1979 überhaupt keine Pläne, sie könne auch nicht rechtzeitig Baupläne beschaffen,
    es könne also überhaupt nicht mehr Geld ausgegeben werden.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Heiße Luft !)

    — Das ist heiße Luft, Herr Kollege Riedl, mehr nicht. Heiße Luft, große Worte, aber nicht einmal interne Vorbereitungen, um dieses Problem zu lösen!
    Bezüglich der Lebensmittelbevorratung haben wir im Haushaltsausschuß , versucht, zu erfahren, wie lange. die Lebensmittel in einer Katastrophe, in einem Notfall denn für die gesamte Bevölkerung ausreichten. Die Antwort konnte nicht gegeben wer-



    Gerster (Mainz)

    den. Es sind uns Tonnen- und Zentnerangaben über irgendwelche Lebensmittel gemacht worden, aber es war keine Antwort auf die Frage möglich, wie lange diese Nahrungsmittel überhaupt reichen werden.
    Lassen Sie mich hier, meine Damen, meine Herren, an zwei Beispielen die Hauptprobleme der Zivilverteidigung ansprechen.
    In der zivilen Verteidigung, im Katastrophenschutz, im Zivilschutz arbeiten Bund und Länder wirksam zusammen. Das sieht in der Praxis so aus, daß die Länder und Gemeinden für den friedensmäßigen Katastrophenschutz rund 400 000 Helfer zur Verfügung zu stellen haben, Helfer, die aber auch in einem V-Fall, in einem Kriegsfall eingesetzt werden könnten. Der Bund hat seinerseits 200 000 Helfer zur Verfügung zu stellen, die für den Ernstfall ausgebildet und ausgestattet sind, aber auch bei schweren Katastrophen im Friedensfall eingesetzt werden können.
    Die wirkliche Relation zwischen Bund und Ländern muß man sich einmal genauer ansehen. Im Jahre 1977 haben Länder und Gemeinden für den zivilen Katastrophenschutz insgesamt 1,8 Milliarden DM ausgegeben. Die Aufwendungen des Bundes erreichen nicht einmal 10 % der Aufwendungen von Ländern und Gemeinden. Länder und Gemeinden sind ihrer Pflicht nachgekommen. Sie haben die 400 000 freiwilligen Helfer aufstellen können. Sie stehen für den friedensmäßigen Katastrophenschutz zur Verfügung. Sie stehen als Hilfskräfte zur Sicherung für einen Ernstfall zur Verfügung.
    Nicht so ist es beim Bund. Der Bund hat von seiner Sollzahl von 200 000 Helfern überhaupt nur 135 000 erreicht. Das sind 67,5 %. Selbst diese sind nicht einmal angemessen ausgestattet. Meine Damen, meine Herren, diese Lücken gerade bei den Einheiten des Bundes werden sich nicht nur im Verteidigungsfall bemerkbar machen, sie sind bereits
    bei Naturkatastrophen in der jüngsten Vergangenheit, also im Frieden, spürbar geworden.
    Ich frage Sie, Herr Bundesinnenminister: Wie wollen Sie eigentlich Leistungen der Länder fordern, wenn Sie selbst nicht in der Lage sind, Ihre eigenen Pflichtaufgaben zu erfüllen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich frage Sie weiter: Mit welchem guten Gewissen können Sie eigentlich das von Herrn Dr. Dregger bereits angesprochene Defizit im Bereich des Schutzraumbaus ansehen? Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß in der Bundesrepublik Deutschland fast 60 Millionen Menschen leben. Für diese fast 60 Millionen Menschen stehen insgesamt nur 1,818 Millionen Schutzraumplätze zur Verfügung. Das sind Schutzräume für genau 3 % der Bevölkerung. Herr Bundesinnenminister, ist Ihnen bekannt, daß in anderen westlichen Staaten, die nicht in dieser militärstrategisch zentralen Lage liegen, bis zu 80 % der Bevölkerung in Schutzräumen untergebracht werden können. Welche Chancen wurden hier in der Vergangenheit versäumt! Wo wurden die Möglichkeiten beim U-Bahn-Bau, bei öffentlichen Parkhäusern und bei
    Privathäusern genutzt? Warum sind diese unwiederbringlichen Chancen vorbeigegangen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die sind verschlafen worden!)

    Ich frage Sie, Herr Minister: Sollen Schutzräume eigentlich nur für besonders Privilegierte, etwa für die Bonzen, zur Verfügung stehen, oder ist es dem Zufall überlassen, wer im Ernstfall einen Schutzraumplatz bekommen wird?
    Dies sind nur zwei Beispiele, die deutlich machen, daß es im Bereich der Zivilverteidigung vieles zu beanstanden gibt, daß wir von einem gigantischen Unternehmen zwar von Zeit zu Zeit von der Bundesregierung hören, daß die Praxis aber ganz anders aussieht.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hierzu noch drei Bemerkungen anschließen. Die Westeuropäische Union hat bereits im Jahre 1962 gefordert, daß das Verhältnis zwischen ziviler und militärischer Verteidigung 1:20 betragen sollte. In dem gleichen Jahr 1962 war die Relation in der Bundesrepublik Deutschland 1:19. In der Zwischenzeit ist diese Relation etwa auf 1:65 angestiegen. Das heißt, im Bereich der militärischen Verteidigung sind die Investitionen, natürlich auf Grund der, Verpflichtungen innerhalb der NATO, fortgeschrieben worden, und im Bereich der zivilen Verteidigung, die innerhalb der NATO nicht vertraglich angebunden ist, sind die entsprechenden Anstrengungen unter die Räder gekommen. Es wird notwendig sein, daß wir auf Dauer eine Konzeption entwickeln, wie die zivile Verteidigung den Entwicklungen im Bereich der militärischen Verteidigung angepaßt werden kann.
    Es wurde bereits angesprochen, daß hier die Christlich Demokratische Union eine Gesamtkonzeption vorgelegt hat, die unsere Kollegen aus dem Bereich der Innenpolitik unter der Leitung des Kollegen Paul Gerlach sehr sorgfältig erarbeitet haben. Herr Minister, da Sie bisher jegliche Antwort auf diese Konzeption schuldig geblieben sind, fordere ich Sie auf, zu diesen zwölf konkreten Vorstellungen baldmöglichst Stellung zu nehmen, Antwort zu geben und Rede und Antwort zu stehen. Ich hätte erwartet, daß Sie heute die Gelegenheit genutzt hätten, zu diesen Fragen, die Ihnen seit Monaten bekannt sind, und zu diesen Vorstellungen konkret Stellung zu nehmen und nicht darum herumzureden.
    Die CDU/CSU erwartet glaubwürdige Antworten auf diese zwölf brennenden Fragen. Diese Fragen sind deshalb so brennend — lassen Sie mich das als vorletzten Gedanken äußern —, weil das Problem der zivilen Verteidigung für uns eines der drängendsten Probleme überhaupt ist. Ohne Schutz der Zivilbevölkerung ist bei der geographischen und machtpolitischen Lage der Bundesrepublik Deutschland eine auf Friedenssicherung gerichtete militärische Abschreckung unglaubwürdig. Wie können wir einem Gegner deutlich machen, daß wir bereit und in der Lage sind, unser Land zu verteidigen, und daß sich daher ein Angriff auf dieses Land nicht lohnt, wenn der Gegner weiß, daß unsere Zivilbevölkerung einem Angriff nahezu schutzlos aus-



    Gerster (Mainz)

    geliefert wäre? Wie können wir einem Gegner klarmachen, daß wir einem bewaffneten Angriff standhalten würden, wenn er weiß, daß die Versorgung im Lande nicht sichergestellt ist?

    (Zurufe von der SPD: Doch!)

    Und wie können wir von der Jugend dieses Landes den Willen zur militärischen Verteidigung fordern, wenn sie an der Front damit rechnen müßte, daß ihre liebsten Verwandten im Hinterland dabei draufgingen?
    Herr Bundesminister, angesichts des derzeitigen Zustandes der Zivilverteidigung frage ich mich: Wie können Sie eigentlich ruhig schlafen? Sie dürften dies eigentlich nicht; denn die zivile Bevölkerung ist heute für einen Ernstfall, den wir alle nicht erhoffen, der aber dennoch kommen kann, nicht ausreichend geschützt.
    Meine Damen, meine Herren, zivile Verteidigung ist Vorsorge für den Ernstfall und damit eine zentrale Frage für die Existenzsicherung unseres Volkes. Während Länder und Gemeinden ihren Aufgaben im Rahmen des Katastrophenschutzes nachkommen, hat der Bund seine Pflichten im Rahmen der zivilen Verteidigung nicht erfüllt.

    (Walther [SPD] : Lauter!)

    — Herr Walther, ich spreche so laut, damit auch Sie es noch verstehen können, gerade Sie, die Sie in diesen Fragen nun einmal schwerhörig sind.
    Trotz der Erhöhung der Haushaltsmittel in diesem Jahr wird auch in diesem Jahr keine entscheidende Verbesserung eintreten. Die CDU/CSU lehnt daher den Einzelplan 36 und damit die Politik der Bundesregierung und speziell die Politik des Innenministers in diesem Bereich ab.

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gruhl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herbert Gruhl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Woche ist sehr oft das Wort „Zukunft" von allen Seiten gefallen. Die Zukunft hat etwas mit unserer zukünftigen Umwelt zu tun. Wir erinnern uns an den Sommer des letzten Jahres. Da gab es sehr viel Getöse, möchte ich sagen, und sehr viele Anzeigen für viele Millionen DM, wo verschiedene Parteien präsentierten, wie umweltbewußt sie sind und welch gute Umweltpolitik sie treiben. Einige der Kandidaten z. B. bei den bayerischen Landtagswahlen waren plötzlich noch grüner als grün.

    (Zuruf von der SPD: Na so was!)

    Gegen diese Kampagne, z. B. im „Spiegel", hat erfreulicherweise Horst Stern einige deutliche Worte gesagt.
    Welchen Stellenwert die Umweltpolitik auch in diesem Parlament wirklich einnimmt, hat die Haushaltsdebatte gezeigt. Nicht einmal der Bundesinnenminister, der in gewissem Sinne der Umweltschutzminister ist, hat viele Sätze auf diese Angelegenheit verwendet, vom Bundeskanzler ganz zu schweigen;
    vom Oppositionsführer hatte ich es ohnehin nicht erwartet.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Nun zu einigen von den Umweltschutzgesetzen, die diesem Hause vorliegen. Da ist das Lärmschutzgesetz, zu dem .wir früher der Ansicht waren, daß diese Materie besser durch Verordnungen der Bundesregierung geregelt wird. Inzwischen sind nahezu fünf Jahre vergangen. Es kamen keine Verordnungen; aber es kam inzwischen die neue Idee, man solle das doch nicht durch Verordnungen regeln, sondern durch ein neues Gesetz. Dieses neue Gesetz — darüber sind sich sogar viele in diesem Hause einig — ist so miserabel, daß seine Annahme wahrscheinlich gar nicht lohnt.
    Weiter ist in diesem Zusammenhang durch eine Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes vorgesehen, daß die Technische Anleitung Luft in das Gesetz übergeführt wird, was wir früher auch als falsch erachtet haben. Aber wenn man auch dies umstellt, gewinnt man wieder einige Jahre Zeit. Inzwischen haben Wissenschaftler herausbekommen, daß der Mensch sehr widerstandsfähig ist. Wo die Luft so vergiftet ist, daß Pflanzen und Tiere dahinsiechen und aussterben, da leben die Menschen immer noch. Daraus haben diese Wissenschaftler der Schluß gezogen und der Bundesregierung empfohlen, da die Menschen höher belastbar seien als andere Lebewesen, könne man doch in den Ballungsgebieten noch mehr Ansiedlungen erlauben und die Werte heraufsetzen. Man solle sich daher darauf beschränken, die Natur auf dem Lande dort, wo sie noch in Ordnung sei, zu schützen, damit wenigstens künftige Generationen dort noch etwas davon hätten. Aber selbst diese nun wirklich nicht anspruchsvolle Lösung lehnt der Bundesrat ab. Man muß daraus schließen, daß der Bundesrat offenbar noch stärker von Interessenverbänden beeinflußt wird, als es bei der Bundesregierung ohnehin der Fall ist.
    Das Umweltchemikaliengesetz wird uns seit Jahren angekündigt. Innerhalb der Regierung wird sogar seit 13 Jahren daran gearbeitet. Seitdem sind schon einige Tausend, wenn nicht einige Zehntausend neue Chemikalien auf den Markt gekommen. Aber das Gesetz liegt dem Bundestag auch heute noch nicht vor. Die Bundesregierung hat den Entwurf noch nicht fertiggestellt, was wohl nichts anderes heißt, als daß das Gesetz auch in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet wird.
    Aus den angeführten Tatsachen wie auch aus einigen anderen unbedeutenderen Vorgängen, die ich jetzt aus Zeitgründen nicht erwähne, kann man schon heute die Schlußfolgerung ziehen, daß in dieser Legislaturperiode, in der praktisch nur noch ein Jahr zur Verfügung steht, auf dem Umweltgebiet so gut wie überhaupt nichts mehr passieren wird. Daher kann man sich heute schon die Feststellung erlauben, daß von den drei Legislaturperioden seit 1969 die jetzige diejenige sein wird, in der auf dem Gebiet der Umweltgesetzgebung das Allergeringste getan sein wird.
    Damit komme ich zu einem Problem von viel gewaltigeren Dimensionen. Der Kollege Dregger hat



    Dr. Gruhl
    heute die schon gestern diskutierte Frage wieder aufgeworfen, wie es denn mit dem Rückgang der Bevölkerung stehe. Die spezielle Frage lautete dann — von anderen Sprechern auch schon gestellt —, wie denn die Bevölkerung im Kriegsfall zu schützen sei. Herr Dregger sagte wörtlich: Der Mangel an Vorsorge ist abenteuerlich. Er ging davon aus, daß unser Land immerhin Schauplatz eines konventionellen Krieges werden kann. In diesem Fall ist aber das Atomprogramm der Opposition und der Bundesregierung ebenso abenteuerlich. Das muß doch festgestellt werden, wenn wir schon von Zivilschutz reden wollen. Der nordrhein-westfälische Minister Farthmann hat vor ungefähr zwei Jahren gesagt, er zweifle daran, daß die Bundesrepublik Deutschland im Kriegsfalle überhaupt verteidigt werden könne — eben wegen der zahlreichen Bestückung mit Atomkraftwerken —; trotzdem hat er keine Hemmungen, weitere Atomkraftwerke zu genehmigen.

    (Zuruf von CDU/CSU: Unerhört!)

    Ich spreche von einem konventionellen Krieg, in dem solche Werke mit konventionellen Waffen durchaus zerstört werden können. Wie will man denn dann die Zivilbevölkerung schützen, wenn in unserem Land 50, 100 oder im nächsten Jahrhundert noch mehr als 100 Werke stehen, wie ja von vielen Seiten immer noch angenommen und geplant wird? Wenn man von Zukunftsperspektiven spricht, sollten auch diese Probleme berücksichtigt und überlegt werden. Das ist Zukunftspolitik. Das sollte die Opposition dann ebenso tun wie die Bundesregierung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sind Sie denn nicht Opposition!)

    Herr Dregger hat vorhin beklagt, daß die bundesdeutsche Bevölkerung im Jahre 2030 auf 39 Millionen Menschen gesunken sein könnte. Wenn aber das wirtschaftliche Wachstumsprogramm — und das Atomprogramm ist ein Bestandteil des wirtschaftlichen Wachstumsprogramms, das ja alle Parteien befürworten — durchgeführt wird und es zu einer Totalindustrialisierung bis zum Jahr 2030 — also nach 52 Jahren — kommt, dann würde das bedeuten, daß wir im Jahr 2030 eine achtmal höhere Jahresproduktion als zur Zeit hätten. 4 % wirtschaftliches Wachstum sind für 1979 angekündigt. 4 % jährliche Steigerung bedeuten eine Verdoppelung in 171/2 Jahren. Wir hätten also im Jahr 2030 achtmal soviel Industrie wie heute 'mit all den damit verbundenen Umweltschäden.
    Wissenschaftler haben festgestellt, daß auch die bebaute Fläche eines Landes — Wohnungen, Straßen, öffentliche Gebäude, Industriebetriebe, alles, was dazugehört —, ich sage kurz: die betonierte Fläche eines Landes, dann mindestens im halben Tempo zunehmen müßte. Das würde für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten, daß die derzeit ca. 10 % bebaute Fläche unseres Landes auf 40 % bebaute Fläche steigen müßte.