Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Auf der Diplomatentribüne hat Herr Moshe Meron, Vizepräsident der Knesset des Staates Israel und Vorsitzender der Israelisch-Deutschen Parlamentariergruppe, Platz genommen. Ich begrüße ihn herzlich.
Ich darf hinzufügen, daß mir und den Mitgliedern der Delegation, die vor kurzem in Israel waren, die außerordentlich freundliche Aufnahme und Gastfreundschaft, die uns dort zuteil geworden ist, in in bester Erinnerung sind. Ich wünsche dem Herrn Vizepräsidenten der Knesset einen angenehmen Aufenthalt in Deutschland.
Amtliche Mitteilung ohne Verlesung
Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 13. Juni 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Lenz , Dr. Eyrich, Dr. Marx, Dr. Schröder (Düsseldorf), Josten, Dr. Jobst und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Beziehungen auf dem Gebiete des Rechts mit Japan — Drucksache 8/1838 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/1919 verteilt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung über die von Bundesminister a. D. Rechtsanwalt Hermann Höcherl erarbeitete Untersuchung
— Drucksache 8/1881 —Uberweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorschlägen in Teil II der von Bundesminister a. D. Hermann Höcherl erarbeiteten Untersuchung
— Drucksache 8/1923 —
Ich rufe ferner die Tagesordnungspunkte 13 und 14 auf:
13. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Verbesserung der Arbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes
— Drucksache 8/1852 -
14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Maßnahmen zur Erhöhung der inneren Sicherheit
— Drucksachen 8/1046, 8/1864 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Pensky Abgeordneter Dr. Miltner
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Im Ältestenrat ist verbundene Debatte beantragt worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlaß der heutigen Debatte ist in erster Linie der Bericht, den Bundesminister a. D. Hermann Höcherl im Auftrage der Bundesregierung und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen erstellt hat. Ich wiederhole die Feststellungen, die mein Amtsvorgänger, Herr Professor Maihofer, am 16. März dieses Jahres in diesem Hause getroffen hat. Er hat gesagt:Wir sind es Hanns Martin Schleyer schuldig, wie ich meine, alle Bemühungen darauf zu richten, die Geschehensabläufe klarzulegen, die zu diesem Ergebnis geführt haben, die Fehlerursachen aufzuspüren und dafür zu sorgen, daß die sich daraus ergebenden Lehren gezogen werden. Die Bundesregierung ist ebenso wie die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen fest entschlossen und bereit, diesen Weg zu beschreiten.Sie hat deshalb gemeinsam mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen Hermann Höcherl um den jetzt vorliegenden Bericht gebeten.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, gewandt an meinen Amtsvorgänger, ein Wort sagen:
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7734 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Bundesminister BaumDie Entscheidung, die Professor Maihofer nach Vorlage des Berichts für sich getroffen hat, meine ich, hat den Respekt der Bürger unseres Landes gefunden. Ich möchte ihm an dieser Stelle für seine aufopfernde Tätigkeit in den letzten Jahren danken.
Werner Maihofer hat sich wie kein Innenminister vor ihm der Herausforderung durch den Terrorismus stellen müssen. Die unbestreitbaren Erfolge bei der Bekämpfung des Terrorismus bis hin zu den Festnahmen der letzten Zeit sind ganz wesentlich auf seine Politik des stetigen Ausbaus der Sicherheitsorgane des Bundes und des Einsatzes modernster Mittel der Verbrechensbekämpfung, der Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und vor allem der Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit zurückzuführen, der er ganz entscheidende Impulse gegeben hat.Seit Oktober 1977 sind immerhin insgesamt 35 Personen wegen des Verdachts terroristischer Gewalttaten festgenommen worden, darunter — ich rufe es in Ihre Erinnerung — vier mutmaßliche Beteiligte an der Ermordung Hanns Martin Schleyers und seiner Begleiter. Diese Fahndungserfolge sind auf die beim Bundeskriminalamt konzentrierte Zielfahndung zurückzuführen, die gemeinsam von Bund und Ländern getragen wird. Hinzu kommen neuartige Auswertungstechniken, die eine wirkungsvolle Fahndungsarbeit auch und gerade im Ausland möglich machen.Ich möchte an dieser Stelle den ausländischen Staaten, mit denen wir auf diesem Feld aufs engste zusammenarbeiten, für die vorbildliche Kooperationsbereitschaft danken, ohne die diese Erfolge nicht möglich gewesen wären.
Zu der Frage, aus welchen Gründen dem Hinweis auf die Wohnung in Erftstadt nicht rechtzeitig bzw. nicht ausreichend nachgegangen wurde, hat Hermann Höcherl in dem ersten Teil seines Berichts Untersuchungen angestellt und Feststellungen getroffen. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, dazu im einzelnen Stellung zu nehmen oder die politische Verantwortlichkeit zu bewerten. Ich mache mir jedoch im Namen der Bundesregierung die Feststellung ausdrücklich zu eigen, die Hermann Höcherl trifft — ich zitiere —: „daß sich die damals eingesetzten Bediensteten des Bundes und der Länder auf allen Ebenen mit hervorragendem Engagement, Pflichtbewußtsein und großer persönlicher Opferbereitschaft in vorbildlicher Weise eingesetzt haben".
Ich möchte hierin den Präsidenten des Bundeskriminalamts ausdrücklich einschließen
— Herr Spranger, ich möchte ihn ausdrücklich einschließen —, der wesentlich dazu beigetragen hat, in diesem Land eine Fahndungsorganisation aufzubauen, die sich auf eine Informationssammlung und-auswertung stützt, Herr Spranger, die in Europa und darüber hinaus ihresgleichen sucht.
Im Mittelpunkt meiner Ausführungen stehen die Vorschläge, die Hermann Höcherl zum besseren Einsatz der staatlichen Mittel bei der Bekämpfung des Terrorismus im Teil II seines Berichts gemacht hat. Ich verweise dazu auf die Stellungnahme, die Ihnen die Bundesregierung heute vorgelegt hat.Ich betone nachdrücklich: Es ist keineswegs so, als würden erst jetzt Folgerungen aus den Erfahrungen der letzten Monate gezogen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Absprachen sind nur in Übereinstimmung aller möglich; in der Innenministerkonferenz gilt das Einstimmigkeitsprinzip.Die Bundesregierung stellt mit Genugtuung fest, daß die Überlegungen und Feststellungen des Berichts von Herrn Höcherl im wesentlichen von den gleichen Grundvorstellungen ausgehen. Der Bericht enthält eine Reihe von Überlegungen und Vorschlägen, die sich mit Absichten des Bundesministers des Innern decken und zum Teil schon kurz vor ihrer Verwirklichung stehen.Ich möchte aber hinzufügen, meine Damen und Herren: Dies kann kein Abschluß sein; es wird nie möglich sein, einen Abschluß zu finden. Die Entwicklung der terroristischen Gewaltkriminalität wird immer wieder Anlaß geben, die vorhandene Strategie weiterzuentwickeln. Auch die Vorschläge, die heute auf dem Tisch liegen und zur Debatte stehen, können also keinen endgültigen Schlußpunkt bilden.Es handelt sich hier um den wohl schwierigsten Bereich des Zusammenwirkens von Bund und Ländern und damit — das sage ich ausdrücklich — um einen Prüfstein für die Funktionsfähigkeit unseres föderativen Systems. Die Bundesregierung unterstreicht die Feststellung des Berichts, daß die Bekämpfung des Terrorismus gemeinsame Aufgabe aller Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder ist. Bund und Länder sind hier — und so will es unsere Verfassung — zur Zusammenarbeit verpflichtet. Die jeweiligen Zuständigkeiten stehen nicht isoliert nebeneinander; ihre Wahrnehmung ist vielmehr auf das gemeinsame Ziel der inneren Sicherheit unseres Staates und unserer Bürger ausgerichtet.Für das Sicherheitssystem unseres Landes bedeutet dies: Bund und Länder tragen auf diesem Felde eine besonders hohe Gesamtverantwortung. Erfolge sind das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen. Und ich füge hinzu: Mißerfolge müssen auch gemeinsam getragen, ihre Ursachen in gemeinsamem Bemühen beseitigt werden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7735
Bundesminister Baum— Herr Kohl, man hat manchmal den Eindruck, daß Sie diese Gemeinsamkeit gar nicht sehen,
die Gemeinsamkeit zwischen Bund und Ländern, denn Sie stellen ja eine ganze Reihe von Innenministern.
Ich kann nur sagen, diese Innenminister wirken genauso mit wie die Innenminister, die einer anderen Partei angehören.
Ich werde mich dementsprechend dafür einsetzen, daß die Innenministerkonferenz noch vor dem Ende der parlamentarischen Sommerpause zu weiteren Entscheidungen kommt. Die Innenministerkonferenz wird sich am 22. Juni in einer von ihren Gremien schon in den letzten Tagen vorbereiteten ersten grundsätzlichen Aussprache mit dem Bericht beschäftigen. Es ist vorgesehen, daß sie politische Leitlinien für die Fortentwicklung des von den Innenministern von Bund und Ländern gemeinsam beschlossenen Programms für die innere Sicherheit festlegt.Der Bundesminister des Innern wird sich dafür einsetzen, daß die Innenministerkonferenz über dieses Gesamtprojekt nach gründlicher Vorbereitung auf der Arbeitsebene unter Beiziehung von Polizeivollzugsbeamten des Außendienstes entscheidet. Entsprechend der Anregung des Berichts wird der Bundesminister des Innern der Bundesregierung unverzüglich danach Vorschläge über gesetzgeberische Konsequenzen unterbreiten.Meine Damen und Herren, ich möchte aber in diesem Zusammenhang betonen, daß der Schwerpunkt der Maßnahmen — und das war immer die Meinung der sozialliberalen Koalition — auf dem organisatorischen Felde liegt,
daß es also nicht, wie die Opposition immer meint, darum geht, durch eine Vielzahl von gesetzgeberischen Maßnahmen mit dem Phänomen des Terrorismus fertig zu werden.
— Man hat nur manchmal bei Ihnen den Eindruck, als würden Sie, Herr Hartmann, meinen, durch Gesetze allein und durch viele Gesetze und durch die Freiheit einschränkende Gesetze könnten Sie den Terrorismus bekämpfen.
— Ich verstehe Ihre Unruhe überhaupt nicht, meine Damen und Herren. Man kann über Vorschläge ja sehr geteilter Meinung sein.
Ich sage Ihnen, daß wir Ihre Vorschläge immer geprüft haben. Wir wollen Ihnen gar nicht unterstellen, daß Sie die Freiheit bewußt einschränken wollen, Herr Kohl. Nur sind wir der Meinung,daß man nicht so weit zu gehen braucht.
Die Bundesregierung geht bei ihrer Stellungnahme, die Ihnen heute zum Teil II des Berichts von Herrn Höcherl vorgelegt hat, von folgenden Grundgedanken aus.
Die Bundesregierung erstrebt keine Veränderung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern.
Sie beabsichtigt eine Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit im Rahmen des Grundgesetzes. Damit sind Organisationsmodelle, die unter dem Schlagwort „deutsches FBI" diskutiert werden, also Modelle, die die Errichtung etwa von Außenstellen des Bundeskriminalamts im Bundesgebiet zum Inhalt hätten, nicht Gegenstand der Planung.Das Ziel aller bisherigen Absprachen zwischen Bund und Ländern, die sich in der Praxis, wie ich betonen möchte, bewährt haben, ist nicht Zentralisierung um jeden Preis, sondern sind das Ineinandergreifen zentraler und dezentraler Organisation und damit die Nutzung beider Organisationsformen.Von dieser Grundlage ausgehend, bejahe ich die grundsätzliche Forderung, daß die Ermittlungen am Ort im Regelfall bei den ortsnahen und ortsvertrauten Beamten der zuständigen Polizeibehörden der Länder zu liegen haben. Die wesentliche Funktion des Bundeskriminalamts lag immer und liegt nach wie vor darin, daß es durch hochspezialisierten Sachverstand und Ausstattung mit modernster Technik die vor Ort ermittelnden Polizeibehörden nach besten Kräften unterstützt. Bei dieser Unterstützung hat der von meinen Amtsvorgängern mit außerordentlicher Energie vorangetriebene Aufbau des auf die elektronische Datenverarbeitung gestützten
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7736 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Bundesminister Baumpolizeilichen Informations- und Kommunikationssystems eine ständig wachsende Bedeutung gewonnen.Deshalb hat unter den praktischen Maßnahmen zur Verbesserung der Möglichkeiten der Verbrechensbekämpfung auch im Bereich des Terrorismus die Entwicklung des polizeilichen Informationssystems Inpol besonderen Rang. Der Bundesminister des Innern hat dabei der Forderung, die Nutzung dieser Möglichkeiten der elektronischen Datensysteme möglichst weit in den Bereich der ermittelnden Polizei nach vorn zu verlagern, besonderes Gewicht beigemessen.Der Bundesminister des Innern hat der Innenministerkonferenz ein Konzept zur Fortentwicklung des polizeilichen Informations- und Kommunikationssystems zugeleitet, das durch Vereinheitlichung in Technik und Organisation die berechtigten Forderungen der Polizeien an ein solches System voll erfüllen wird.Die Vorschläge des Berichts von Hermann Höcherl zu diesem Bereich decken sich in allen Punkten mit dieser Neukonzeption. Ihre Verwirklichung wird sicherstellen, daß bei Abfragen von jedem InpolDatenendgerät mit gleichem Verfahren das gleiche Ergebnis in gleicher Form erhalten wird, daß von jedem Datenendgerät, soweit notwendig, alle Bestände des Systems erreicht werden können und daß eine sofortige Information aller beteiligten Polizeibehörden möglich ist.Die Bundesregierung hat die notwendigen zusätzlichen Mittel für die Verwirklichung dieser Neukonzeption in Höhe von 55,3 Millionen DM in den Jahren 1979 bis 1982 vorgesehen. Die Neukonzeption wird derzeit in den Gremien der Innenministerkonferenz beraten. Die Ergebnisse sollen am 1. August vorliegen.
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Der Vorschlag, für Großfälle ein bundesweit ausgelegtes arbeitsteiliges System der Vorselektion, Vorabklärung, Erfassung und Bewertung von Hinweisen und Spuren einzurichten, sollte beschleunigt geprüft und, wenn er sich als zweckmäßig erweist, durch geeignete Absprachen zwischen Bund und Ländern unverzüglich realisiert werden.Die Bundesregierung hat die Absicht, gemeinsam mit den Ländern die Steuerungsfunktion des Bundeskriminalamtes in Großfällen länderübergreifender Schwerkriminalität, auch wenn die polizeilichen Aufgaben der Strafverfolgung von einer Landesbehörde wahrgenommen werden, auszubauen und die ihm obliegende Entwicklung einer großräumigen, auch internationale Zusammenhänge berücksichtigenden Gesamtstrategie für die Ermittlungsführung auf der Grundlage der bisherigen Beschlüsse der Innenministerkonferenz fortzuführen.Die Bundesregierung hält die Feststellung des Berichts von Hermann Höcherl für zutreffend, daß die Stärke des Bundeskriminalamtes in der personellen und technischen Kapazität für spezielle Dienstleistungen für die polizeiliche Ermittlung liegt. Der hohe Stand dieser Kapazität — das muß an dieser Stelle auch wieder in Erinnerung gerufen werden — beruht auf dem von der Bundesregierung seit 1969 mit Nachdruck betriebenen konsequenten Ausbau des Bundeskriminalamts.
Die Bundesregierung hat mit ihrer am 31. August 1977 beschlossenen weiteren Ausbauplanung für das Bundeskriminalamt die Erhöhung der Zahl der Planstellen von 2 545 um 1 320 auf 3 865 vorgesehen. Für denselben Zeitraum hat sie zusätzliche Mittel in Höhe von 310 Millionen DM in die Finanzplanung eingestellt. Dadurch ist die kontinuierliche Weiterentwicklung gerade in diesen von mir genannten Schwerpunktbereichen gewährleistet.Wir gehen allerdings auch davon aus, daß die Länder ihrerseits die erforderlichen Ermittlungskapazitäten in ihrem Bereich bereitstellen und daß Absprachen getroffen werden, die sicherstellen, daß die Länder die geeigneten Unterstützungskräfte des Bundeskriminalamtes in Anspruch nehmen.An dieser Stelle ein klärendes Wort darüber, was mit dem im Bericht von Herrn Höcherl und in unserer Stellungnahme mehrfach gebrauchten Wort der Steuerfunktion des Bundeskriminalamtes gemeint ist. Es geht schlicht gesagt darum, daß zwischen Bund und Ländern grundsätzliches Einverständnis darüber besteht, daß das Bundeskriminalamt durch Hinweise für die Sachbehandlung und durch qualifizierte Informationen unabhängig von der oft überbetonten Frage von Weisungsrechten Einfluß auf die Ermittlungstätigkeit vor Ort nehmen kann. Damit soll einer großräumigen, auch internationale Zusammenhänge berücksichtigenden Gesamtstrategie Rechnung getragen werden.Zu den Überlegungen über eine sachgerechte Aufgabenverteilung zwischen Bundeskriminalamt und den Polizeien der Länder gehört auch die schwierige Frage, die schon viele Jahre diskutiert wird, ob das Bundeskriminalamt von seinen derzeitigen gesetzlichen Zuständigkeiten für die Verfolgung bestimmter Gruppen strafbarer Handlungen, z. B. beim international organisierten Waffen- und Rauschgifthandel und bei der Falschgeldverbreitung, entlastet werden soll. Zweifellos gibt es Gründe, die dafür sprechen könnten, diese gesetzlichen Zuständigkeiten durch eine reine Auftragszuständigkeit zu ersetzen. Eine solche Regelung, bei der das Bundeskriminalamt ausschließlich durch Einzelaufträge für die Strafverfolgung in konkreten Fällen mit Aufgaben der polizeilichen Strafverfolgung betraut würde, würde. eine der jeweiligen Kriminalitätsentwicklung angepaßte flexible Verwendung des BKA als Ermittlungsinstrument ermöglichen.Andererseits handelt es sich bei den gesetzlich festgelegten Ermittlungszuständigkeiten wegen der internationalen Ermittlungsnotwendigkeiten weitgehend um solche, die der Natur der Sache nach
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 3733
Bundesminister Baumzweckmäßigerweise von einer darauf vorbereiteten und mit Spezialisten ausgestatteten Polizeibehörde wahrgenommen werden sollten.Es bedarf also in dieser schwierigen Frage — die Bundesregierung hat sich da keineswegs schon festgelegt — einer Abwägung, die wir in den nächsten Wochen, auch mit den Ländern, treffen werden.Auch besteht ein gewisser Sachzusammenhang zwischen gesetzlich festgelegten Ermittlungszuständigkeiten des Bundeskriminalamts und der Forderung, dem Bundeskriminalamt auch im Bereich der präventiven, der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung Mitwirkungsbefugnisse einzuräumen. Auch diese Frage werden wir eingehend zu prüfen haben.Zur Frage der Einrichtung von Führungsstäben hebe ich hervor: Im Grundsatz ist es unbestritten, daß die Aufgaben polizeilicher Führungsstellen und. politischer Beratergremien voneinander zu trennen sind. Die Erfahrungen in den Fällen Lorenz, Stockholm, Schleyer und Mogadischu haben aber gezeigt, daß in besonderen Situationen ein Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen und besonders die Einberufung politischer Beratungsgremien zwingend erforderlich ist. Wer die Entscheidungsprozesse in diesen kritischen Stunden erlebt hat, die ein präzises Aufeinanderabstimmen politischer Grundsatzentscheidungen und polizeitaktischer Erwägungen notwendig gemacht hat, wird sich vor vorschneller Kritik in diesem Punkte hüten.
Ich werde besonderes Gewicht darauf legen, daß das Zusammenspiel der Einsatz- und Führungsstäbe, vor allem auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, so wirksam wie möglich gemacht wird. Dazu gehören aufeinander abgestimmte Organisationsformen ebenso wie Rahmenübungen. Noch wichtiger ist jedoch das Aufeinandereinspielen in der täglichen Praxis, das sich ständig vollzieht. Das Lagezentrum im Bundesministerium des Innern wird in Übereinstimmung mit den Vorschlägen des Berichts durch weiteren Ausbau in die Lage versetzt, allen Aufgaben einer Führungszentrale gerecht zu werden.Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß der Bericht von Hermann Höcherl uns bei der Lösung der anstehenden, sehr schwierigen Probleme helfen wird. Die Bundesregierung — und das sage ich hier mit Nachdruck — dankt Hermann Höcherl für die gründliche und faire Untersuchung und für die von ihm unterbreiteten Vorschläge.
Mit seinem Bericht hat er das von ihm selbst genannte Ziel erreicht, „unsachlicher und ungerechtfertigter Kritik" — so drückt er es aus — „an den Sicherheitsorganen entgegenzuwirken, das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizeibehörden des Bundes und der Länder zu stärken und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit dieser Behörden untereinander zu fördern".Ich habe die wesentlichen Punkte dargestellt, die die Überlegungen der Bundesregierung bestimmen. Damit habe ich schon Stellung genommen zu den Vorschlägen der CDU/CSU im Antrag zur Verbesserung der Arbeiten der Sicherheitsbehörden des Bundes. Dieser Antrag der Opposition erweckt den Eindruck — schon durch seine Bezeichnung —, als gebe er umfassende Lösungen. Er greift jedoch in Wahrheit nur zwei Punkte auf, die für die Terrorismusbekämpfung zwar wichtig sind und die auch im Bericht sowie in der Stellungnahme der Bundesregierung angesprochen werden — insoweit stimmen wir überein —; aber es handelt sich nicht um alle und nicht um die wichtigsten Fragen. Ich meine, mit der Beschränkung des Themas auf diese wenigen Fragen wird der Antrag der Opposition der schwierigen Materie, vor der wir hier stehen, nicht gerecht.Lassen Sie mich noch ein Wort zur geistigen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Terrorismus sagen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß Polizei und Verfassungsschutz mit dem Phänomen des Terrorismus allein nicht fertig werden können. Unsere gesamte Gesellschaft muß sich engagieren. Der geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus gebührt daher ein hoher gesellschaftspolitischer Stellenwert.Mit der Innenministerkonferenz ist der Bundesminister des Innern der Auffassung, daß die Bevölkerung — und das hat ja schon begonnen — über Ziele, Methoden und Aktionen terroristischer Gruppen, über ihr Umfeld und ihren Hintergrund sowie über die von ihnen ausgehenden Gefahren umfassend informiert werden muß. Zu diesem Zweck ist eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die inzwischen eine Konzeption über Ziele, Adressaten, Grundsätze und mögliche Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit entwickelt hat. Hierzu gehört auch ein Gesamtprojekt zur umfassenden Erforschung der Ursachen, Bedingungen und begünstigenden Faktoren des Terrorismus unter Beteiligung namhafter Wissenschaftler.Die Bundesregierung wird sich von dem Weg der nüchternen Krisenbewältigung, den sie seit 1969 auf dem schwierigen Feld der inneren Sicherheit beschritten hat, nicht abbringen lassen. Es ging heute nicht darum, grundsätzliche Ausführungen zur Frage der inneren Sicherheit zu machen, sondern darum, zu sehr klaren, konkreten und nüchternen Vorschlägen Stellung zu nehmen, die die Organisation der Zusammenarbeit der Polizeien im Bund und in den Ländern betreffen.Lassen Sie mich aber zum Schluß ein grundsätzliches Wort sagen. Es ist, so meine ich, die oberste Pflicht eines demokratischen Staates, Sicherheit und Freiheit seiner Bürger zu garantieren. Es ist sogar mehr als seine Pflicht, meine Damen und Herren, es ist sein eigentlicher Zweck. Wie soll der Bürger sein Leben freiheitlich gestalten können, wenn er dieser Freiheit nicht sicher sein kann? Ich glaube, es gibt keine politische Entscheidung, deren letzter Sinn es nicht wäre, die für eine demokratische Gesellschaft lebensnotwendige Balance von Freiheit und Sicherheit zu garantieren.
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7738 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Bundesminister BaumDie Balance zu halten, das rechte Maß zu wahren, das ist auf dem empfindlichen Feld der inneren Sicherheit vielleicht noch schwerer als anderswo. Das Vertrauen in den demokratischen Staat wird nirgendwo leichter erschüttert als hier. Wenn der Bürger das Gefühl hat, daß der Staat seine Familie, sein Leben, seine Gesundheit und sein Eigenturn nicht schützen kann, dann wird er diesen Staat nicht bejahen. Wenn der Bürger auf der anderen Seite den Eindruck gewinnt, daß seine Freiheit zur Disposition der Obrigkeit steht, meine Damen und Herren, dann wird er diesen Staat auch nicht bejahen wollen.
Es kommt also darauf an, bei jeder Einzelentscheidung im Sicherheitsbereich, Herr Kohl, deutlich zumachen, daß es um die Sicherheit der Freiheit geht.
Der freiheitliche Staat muß sich selber treu bleiben, meine Damen und Herren, auch dann, wenn er sich gegen Gegner verteidigen muß, die ihn beseitigen wollen.
Ich möchte mit einem Zitat aus der Ansprache schließen, mit der sich mein Amtsvorgänger, Werner Maihofer, in der vorigen Woche von seinem Hause, dem Bundesinnenministerium, verabschiedet hat.
Er hat dort gesagt:Ein Staat der Unfreiheit hat es leicht, mit den Gegnern der Unfreiheit fertig zu werden. Ein Staat der Freiheit dagegen tut sich schwer, sich gegen die Feinde der Freiheit zu verteidigen, kann er doch nach seinem eigenen Selbstverständnis die staatliche Macht in einem freiheitlichen Staat nur als ein äußerstes Mittel einsetzen, um die unbedingt notwendige Sicherheit der Bürger zu schaffen, ohne ihre größte mögliche Freiheit einzuschränken. Diese hier ständig neu sich stellende Frage der richtigen Mitte zwischen Freiheit und Sicherheit bei Rechtsfindung und Machtgebrauch stellt auch und gerade den Liberalen vor eine äußerste Herausforderung.Ich, meine Damen und Herren, werde mich bemühen, dieser Herausforderung nicht auszuweichen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Eyrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben soeben die Jungfernrede eines Ministers gehört. Herr Minister, ich habe mich daran erinnert: Mit Worten läßt sichoffenbar trefflich streiten. Angesichts dessen, daß Sie am Schluß ein so gutes Plädoyer für die Freiheit des Bürgers und seine Sicherheit gemacht haben, frage ich mich: Wann kam die Erkenntnis, und sind es nicht auch hier wieder nur Worte?Wissen Sie, wir können nicht immer wieder die Frage stellen, was Freiheit und was Rechtsstaat ist, ohne auf den letzten Satz, den Sie ausgeführt haben, einmal einzugehen. Was ist denn die Herausforderung? Von der sprechen Sie, von der sprach Ihr Vorgänger, von der sprach der Herr Bundeskanzler, von der sprach der Herr Bundesaußenminister, von der spricht jeder hier. Aber wenn auch nur das Geringste an Gesetz hier auf den Tisch gelegt wird, an Gesetzt, das auch im Bericht eines Herrn Höcherl erscheint, dann schreien Sie und haben Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit von uns vorgeschlagener Maßnahmen.Ich glaube, Sie werden durch allerlei gestört —und ich komme nachher noch darauf zurück —, das zu tun, was man von Ihnen verlangt.Herr Kollege Baum, nun kommen Sie und sagen, Sie wollten Gemeinsamkeit mit uns. Ich bin auch der Meinung, wir sollten mehr Gemeinsamkeit üben. Aber die Gemeinsamkeit kann doch dann nicht darin bestehen, daß man sagt: Ihr von der CDU habt im Grunde genommen nicht anderes vor, als die Freiheit des Bürgers zu beschränken.
Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß Sie, wenn Sie hier in diesem Hause einer Opposition vorwerfen, daß sie zuviel an Gesetzen, daß sie zuviel an Einschränkungen der Freiheit des Bürgers vornehme
— Sie haben recht, Herr Möllemann:- Sehr wahr; ich bin nur froh, daß Sie es bestätigen, damit man es draußen auch hört, wie es wirklich bei Ihnen aussieht —, den untauglichen Versuch machen, uns auf einen Boden zu stellen, der nicht mehr der des Grundgesetzes ist. Dagegen verwahren wir uns ganz energisch.
Da hilft dann auch nicht die immer wieder gehörte Forderung, daß Verbesserungen im Bereich des Bundeskriminalamtes von Ihrem Vorgänger geschaffen worden seien. Ich bin Manns genug zu sagen: Das hat er getan. Ich bin Manns genug, zù sagen — auch alle Kollegen der CDU/CSU-Fraktion sind es —: Natürlich hat er auf diesem Gebiet einiges getan. Aber damit, meine Damen und Herren, kann man doch nicht eine Stellungnahme zu einem HöcherlBericht abschließen. Das ist doch nicht die einzige Antwort auf etwas wie den Teil I in dem Bericht des Herrn Höcherl.Ich habe natürlich Verständnis für Ihr Vorgehen, Herr Kollege Baum. Warum sollte ich es nicht haben? Wenn ich an Ihrer Stelle säße, würde ich es wahrscheinlich auch versuchen. Aber man würde es auch bei mir sicher nicht durchgehen lassen, wenn ich hier im Plenum nur den Teil II des Höcherl-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7739
Dr. EyrichBerichts behandelte. Der Teil I ist peinlicher. Er ist etwas kritischer.
Wer den Teil I nicht kennt, der wird über den Teil II nicht urteilen können. Wer den Teil I des Berichts nicht als Lehre und als Herausforderung nimmt, von der Sie am Ende gesprochen haben, der wird dann natürlich auch den Teil II nicht richtig würdigen können.Lassen Sie mich eines sagen, meine Damen und Herren, damit hier ja kein Irrtum entsteht: Sie haben den Beamten gedankt, die in jenen Tagen das Äußerste getan haben. Herr Höcherl hat dasselbe gemacht. Wir stehen zu diesem Urteil über die Beamten und über die Sicherheitsbehörden. Es geht nicht darum — und da hat Herr Höcherl recht —, unsachliche Kritik an Sicherheitsbehörden zu üben.Ich habe manchmal den Eindruck, daß wir, wenn die Sicherheitsbehörden das hätten tun können, was sie auf Grund ihrer Weisheit und Einstellung hätten tun wollen, und sie nicht manche, die im Besitz dieser Weisheit zu sein glaubten, daran gehindert hätten, bei der Fahndung ein Stück weitergekommen wären.
Meine Damen und Herren, wir sind auch nicht bereit — und ich sage das gleich vorweg —, uns der Art und Weise der Vergangenheitsbewältigung anzuschließen, wie sie die Bundesregierung offenbar bei der Suche nach den Schleyer-Attentätern und den fatalen Versäumnissen und Fehlern, die dabei gemacht worden sind, betreibt. Die Bundesregierung ist offenbar auch heute nicht bereit — ich habe es nicht gehört, Herr Kollege Baum —, aus diesem Bericht die notwendigen Konsequenzen und Einsichten zu ziehen.
Sosehr wir — auch das sei gesagt — die Haltung des zurückgetretenen Innenministers Maihofer respektieren, der bereit war — und das ist ganz wichtig —, aus seinem Teil der Verantwortung die Konsequenzen zu ziehen: wir sind nicht bereit, Herr Kollege Baum, ihn als den Sündenbock zu akzeptieren, nach dessen Opferung über das Versagen aller anderen Beteiligten der Mantel des Schweigens gedeckt wird.
Was immer die FPD diesem zum Sündenbock gestempelten Minister an Schuld für die Absage der Wähler an ihre auf Machtbeteiligung bedachte Partei aufgeladen hat — und wahrscheinlich im Laufe der Zeit noch aufladen wird —, das mögen Sie unter sich ausmachen, aber über die verschiedenen Teilhaber an der Verantwortung für das Schicksal Schleyers müssen wir hier reden. Herr Höcherl hat schon recht — Sie haben diesen Satz auch zitiert —, wenn er sagt, sein Auftrag sei es nicht gewesen, politische Verantwortlichkeit zu bewerten.
Ich meine, das hätte auch nicht dem Willen seinerAuftraggeber entsprochen. Aber dieser Aufgabemuß sich doch der Deutsche Bundestag unterziehen; wer denn sonst?
Darüber ist nichts gesagt worden. Der Deutsche Bundestag wird es in dem Sinne tun müssen, wie der Kollege Maihofer es sich für den Kanzler gewünscht hat, als er ihm seine Rücktrittserklärung schrieb. Darin hat er geschrieben, sein Rücktritt möge helfen, die unbefangene Würdigung des Höcherl-Berichts zu erleichtern. Wir wollen über Mitverantwortung nicht so sehr deshalb reden, damit keiner, der es verdient, ungeschoren davonkommt. Wir wollen darüber reden, weil viele Fehler, die gemacht worden sind, doch eigentlich nur Symptome für Übel sind, mit denen wir es heute um nichts weniger zu tun haben als damals, Übel, die in ihrem Kern angegangen werden müssen, wenn der eine oder andere organisatorische Schritt oder selbst ein Amtsverzicht noch eine wirkliche Besserung bringen und einen Sinn haben sollte.Der Höcherl-Bericht — Sie haben das nicht zitiert; ich habe Verständnis dafür — drückt mit knappen und zurückhaltend formulierten Worten ein vernichtendes Gesamturteil über die Terrorismusbekämpfung durch die Bundesregierung und die Koalition aus.
Das ist der Obersatz, das ist der wichtigste Satz, der in diesem Bericht zum Ausdruck kommt, und diesen wollen Sie verwischen. Wenn ein Bericht aber so deutlich ist, können Sie sich drehen und wenden, wie immer Sie wollen. Der Vorwurf ist so deutlich erhoben worden, wie er nur deutlich sein kann. Wie soll man sonst den Satz verstehen, der alle Erkenntnisse zusammenfaßt? Herr Höcherl sagt:Die Auswertung der Erfahrungen aus den terroristischen Anschlägen des Vorjahres und ihre Umsetzung in Gesetzesvorschläge, organisatorische Entscheidungen und Handlungsanweisungen scheint mir bei allem Verständnis für überlegtes Vorgehen nicht in allen Bereichen mit dem notwendigen Nachdruck und Umfang geschehen zu sein.Meine Damen und Herren, das ist doch die Quintessenz: nicht mit dem nötigen Nachdruck und nicht in dem nötigen Umfang. Wissen Sie eigentlich, was das heißt? Ist in diesem Satz nicht der Zweifel, der viele bewegt, ausgedrückt, ob alles getan worden ist? Weder mit Nachdruck noch in dem erforderlichen Umfang haben Sie — die Bundesregierung nämlich — gehandelt. Sollen Wir — ich muß das tun, insbesondere deswegen, weil Sie dieses Thema wieder einmal angeschnitten haben — nochmals die Frage stellen: Was verstehen Sie eigentlich unter Verteidigung unseres Rechtsstaates? Warum haben Sie die notwendigen Dinge nicht getan? Haben Sie, Herr Kollege Wehner, sich das auch in Ihrer Fraktion einmal ehrlich überlegt? Ist es so, wie wir es Ihnen seit Jahren vorhalten zu müssen glauben? Ich habe manchmal den Eindruck — Sie werden natürlich sagen, wir äußerten immer dasselbe; man muß es halt immer wieder sagen, weil es so ist und weil dieser Eindruck nicht verlorengeht —, daß
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7740 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Dr. EyrichSie unter dem Einfluß einer Minderheit, die Sie sicherlich selbst beklagen, nicht mehr die Kraft haben, das Notwendige zu tun.
Sie können sich aus diesem Kreise nicht lösen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Werter Herr Kollege, darf ich erwarten, daß Sie nach dieser direkten Anrede auch darlegen werden, was „das Notwendige" ist?
Herr Kollege Wehner, ich glaube, Sie haben ein Anrecht darauf, von mir nicht nur zu hören, daß ich Ihnen vorwerfe, Sie hätten das Notwendige unterlassen, sondern auch zu erfahren, was wir für das Notwendige halten. Ich glaube, niemand anderem kann ich mehr als Ihnen in diesem Fall folgendes entgegenhalten. Sie waren immer hier, als wir die Debatten geführt haben, in denen wir von dem Notwendigen gesprochen haben. Herr Kollege Wehner, Sie waren auch hier, als der Herr Bundeskanzler hier von diesem Platz aus gesagt hat: Wir wollen bis an die Grenzen des Rechtsstaats gehen. Sie haben auch erlebt, daß wir jahrelang die Einführung der Verteidigerüberwachung, die diese Ministerbank hier bejaht hatte, dem Bundestag vorgeschlagen haben. Sie waren doch auch hier — ich komme nachher noch darauf zurück —, als wir miteinander über die Frage der Sicherungsverwahrung diskutiert haben. Jetzt hat der Richterbund dem recht gegeben, was wir an gesetzlichen Maßnahmen vorgeschlagen haben und was Sie oder Ihre Fraktion, Herr Kollege Wehner, unter Hinweis auf rechtsstaatliche Bedenken ganz einfach weggewischt haben. Dies, so meinen wir, ist unter anderem etwas gewesen, was notwendig gewesen wäre. Ich komme nachher noch darauf zurück, daß in diesem Bericht steht, es sei um großangelegte Durchsuchungsmaßnahmen gegangen, die der Koordinierungsstab durchzuführen gehabt hätte. Plötzlich hat man dies aber nicht mehr tun können, weil man mit Schrecken entdeckt hat: Dafür gibt es ja gar keine gesetzlichen Grundlagen. Als wir dann — ich werde es Ihnen nicht ersparen können, das nachher noch einmal zu sagen — gesagt haben: Laßt uns diese Grundlagen doch miteinander schaffen!, sind hier vier aufgestanden, die gemeint haben — entschuldigen Sie, wenn ich es einmal so hart sage —, bei Einfamilienhäusern könne man zu einer Durchsuchung noch ja sagen, aber dort, wo die Gesuchten tatsächlich zu vermuten sind, dort, wo sie sich, wie wir wissen, immer versteckt halten, nämlich in den großen Wohnblöcken, könne man es unter keinen Umständen tun.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Pensky?
Nein.Das sind die Fragen, die uns bewegen. Das ist es, von dem wir glauben, daß Herr Höcherl es gemeint hat, als er davon sprach, daß wir auch den Umfang der Gesetzgebung der Terrorismusbekämpfung mit in das Urteil einbeziehen müssen.Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußenminister und auch Herr Bundesjustizminister, als Sie davon sprachen — ich habe es gerade in meiner Antwort auf Herrn Wehner gesagt —, bis an die Grenze des Rechtsstaat gehen zu wollen, haben Sie — Herr Kollege Wehner, ich glaube, das muß man doch einmal aufgreifen — dabei auch daran gedacht, daß Ihre Regierung im Namen des Rechtsstaats der Familie Schleyer das Opfer des Mannes und Vaters zumutete? Kann das denn rechtsstaatlich gedacht sein, daß wir zwar — und wir sind dazu gestanden, wir haben Ihnen ja daraus keinen Vorwurf gemacht — das Leben eines Mitbürgers opfern, der Bevölkerung aber, Herr Kollege Wehner, nicht zumuten dürfen, um nur ein Beispiel zu zitieren, einen Ausweis mit sich zu tragen und ihn im schlimmsten Falle dem Hotelportier zu präsentieren?
Sie werden mir möglicherweise entgegenhalten, das sei unfair, und Sie werden mir möglicherweise auch sagen: Das ist gar nicht effektiv.
— Lieber Herr Pensky, wir haben uns darüber des öfteren unterhalten. Ich kann Ihnen nur sagen: Kennen Sie eine einzige Maßnahme, die zu 100 % effektiv ist? Warum nehmen Sie nicht auch eine Maßnahme, die zu 40 % oder 50 % effektiver ist, als wenn man überhaupt nichts tut? Darum geht doch die Frage.
Kontrollen durch den Bundesgrenzschutz, so hörten wir in den letzten Wochen — mal sind die Fragen gestellt, mal nicht gestellt worden, dann sind sie doch gestellt worden —, deren Ergebnisse den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden, sollen des Teufels sein, wenn ich es so sagen darf. Wenn aber ähnliche Kontrollen, meine Damen und Herren, in Nachbarländern zur Ergreifung gesuchter deutscher Terroristen führen, wird uns das als Erfolg dieser Regierung hier angedient. Entweder das eine oder aber das andere!
Ich meine, man müßte die Maßstäbe des Rechtsstaats wieder in die rechte Gewichtung bringen.Da werden neue Anschläge nicht nur für möglich gehalten, sondern deren Bevorstehen wird über ein Jahr lang immer wieder angekündigt. Aber das wenigste, was man in einer solchen Situation verlangen könnte, wird dann trotz allem unterlassen: die Einrichtung eines qualifizierten Einsatzstabes im Bundesministerium des Innern. Das ist Ihre Aufgabe, Herr Kollege Baum. Intensive und alle Sicherheitskräfte umfassende Übungen und Planspiele durften bisher nicht geschehen.
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Dr. EyrichNoch einmal: Warum ist es nicht geschehen? Fehlt der Mut? Wo, Herr Bundeskanzler, ist Ihre Stärke? Oder geht die Machterhaltung auf Kosten der Sicherheit der Bürger?
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren: Die Selbstgerechtigkeit in weiten Kreisen der SPD macht es Ihnen so schwer, Einsicht in die Notwendigkeiten zu gewinnen. Selbstgerechtigkeit deswegen, weil immer noch — da könnte es sicher noch zwei solcher Berichte geben — die Behauptung aufgestellt wird, genügend getan zu haben; Selbstgerechtigkeit, meine Damen und Herren von der SPD, auch deswegen, weil Sie nicht mehr bereit sind, und das zeigt sich wieder, unbefangen das Thema der Verteidigung des Rechtsstaats zu diskutieren, sondern Sie versteigen sich dazu, selbst bestimmen zu wollen, wo die Grenzen des Rechtsstaats liegen, ohne zu sehen — Herr Kollege Baum, Sie haben es auch angeschnitten —, daß Freiheit ohne Sicherheit nicht denkbar ist.
— Herr Kollege Wehner, ich werde gleich auf diesen Einwand eingehen.Selbstgerechtigkeit auch deswegen, weil Sie auch durch das neuerliche Votum des Deutschen Richterbunds bezüglich der Sicherungsverwahrung ganz bestimmt nicht zu einer Umkehr bewogen werden.Herr Kollege Wehner, wenn es darum ginge, daß wir beide miteinander rechten müßten, ob es Freiheit ohne Sicherheit gibt oder Sicherheit ohne Freiheit, dann gebe ich Ihnen recht: Sicherheit ohne Freiheit ist nicht das, was wir wollen, aber Freiheit ist nun eben etwas, was Sicherheit mit einschließt. Deswegen kann niemand wirklich frei sein, kann niemand frei sein auch von Angst, wenn er dieses Gefühl der Sicherheit nicht hat. Allein darauf kommt es an.
Herr Bundeskanzler, es ist Ihre Regierung, die sich von einem selbstgewählten Untersuchungsführer das Verdikt gefallen lassen muß, die mögliche und notwendige Vorsorge gegen den Terrorismus wenigstens teilweise versäumt zu haben.
Wollen Sie sich, Herr Bundeskanzler, eigentlich ernstlich mit dem Opfer Ihres Innenministers aus der Affäre ziehen und im übrigen noch Dank für Ihre Tatkraft erwarten? Haben Sie sich auch einmal überlegt — nehmen Sie das bitte nicht als eine unziemliche Bemerkung —, daß Mogadischu möglicherweise in jener Zeit nicht notwendig gewesen wäre, wenn einem Hinweis nachgegangen worden wäre, dem man nicht nachgegangen ist, weil die politisch Verantwortlichen das Nachgehen verhindert haben?
— Lieber Herr Kollege Penner, ich meine, wenn es überhaupt eine Rechtfertigung in diesem Bericht gibt, dann nur die — ich komme nachher noch darauf zurück —: Es ist doch durch diesen Bericht nachgewiesen — auch schon vor diesem Bericht war es für jeden klar —, daß das, was versäumt worden ist, das, was an Kompetenzwirrwarr geschaffen worden ist, der Ursprung dafür war, daß man dem einzig tatbezogenen Hinweis nicht in dem erforderlichen Maße nachgegangen ist.
Man kann darüber diskutieren wie immer man will: dieser Hinweis auf die Wohnung in ErftstadtLiblar ist bei den Behörden angekommen, aber ihm, ist nicht nachgegangen worden. Dieser Hinweis ist buchstäblich im selbstgeschaffenen Chaos — anders kann man es ja gar nicht mehr nennen — untergegangen. Dieser Zustand — auch das muß gesagt werden — wäre bei rechtzeitiger Vorsorge auf den Tag X vermeidbar gewesen. Die überstürzte, nicht durchdachte und polizeitaktisch völlig falsche Bildung eines Koordinierungsstabes — kein Wort davon haben wir heute früh bei dem Eingehen auf den Bericht des Herrn Höcherl gehört — ist doch eines der erschreckendsten Beipiele für die Konzeptionslosigkeit, aber zugleich auch für die durch ständiges Hineinregieren in die polizeiliche Arbeit verursachte Verwirrung und die damit übernommene unmittelbare Verantwortung der Regierenden. Es ist nun in der Tat lesenswert, was in diesem Bericht des Herrn Höcherl steht. Nirgends kommt die Hilflosigkeit dieser Regierung deutlicher zum Ausdruck.Man muß es sich doch einmal vor Augen halten, man muß es hier vor den Leuten noch einmal miteinander besprechen, was sich dort abgespielt hat. Da wird am 6. September 1977 der Gedanke großangelegter Durchsuchungsmaßnahmen erörtert; ich habe es vorhin schon einmal gesagt. Am 7. September erteilt der Herr Bundesminister des Innern, Maihofer, zusammen mit dem Herrn Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, dem es ganz sicherlich auch gut getan hätte, wenn er die eine oder andere Überlegung hier in diesem Hause mit angehört hätte,
einen entsprechenden Vorbereitungsauftrag. Zur Durchführung dieses Vorbereitungsauftrages „großangelegter Durchsuchungsmaßnahmen" — wie es damals hieß — stellte man 100 Beamte bereit. Aber kaum angeordnet, werden gegen diese geplanten Durchsuchungsmaßnahmen rechtliche, politische und kriminaltaktische Bedenken geltend gemacht. Deshalb wurde die Arbeit des Krisenstabes, der am 9. September, 12 Uhr zusammentrat, am 11. September praktisch schon wieder in seiner Arbeit eingeschränkt, am 13. September eingestellt, und am 14. September wurde sang- und klanglos ein Instrument mit 100 Beamten aufgelöst, das fünf Tage lang praktisch umsonst gearbeitet hatte, weil man angeblich die rechtlichen und politischen Voraussetzungen für den Auftrag nicht richtig durchdacht hatte? Ich meine, hier müßte man sagen: Hätte man sich auch nur ein bißchen auf diesen Tag vorbereitet, hätte man sich überlegt, was man tun kann und
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Dr. Eyrichwas noch im Rahmen des Möglichen liegt, dann wäre das bei Gott nicht möglich und notwendig gewesen. Da drängt sich doch die Frage auf — ich habe es vorhin schon gesagt; ich möchte es hier abkürzen —: Sie planen große Durchsuchungsaktionen, und hinterher stellen Sie fest: es geht nicht. Wir schlagen Gesetze vor,
in denen wir Ihnen anbieten: Nun schafft doch einmal die Voraussetzung für diese großangelegten Durchsuchungsaktionen, die Sie und Ihr Vorgänger, Herr Kollege Baum, für notwendig und erforderlich gehalten haben, um, wie es im Bericht heißt, im schlimmsten Fall eingreifen und vielleicht doch noch das Leben Hanns Martin Schleyers retten zu können. Nein, nachher wird all das beiseite geschoben. Da will man nichts mehr davon wissen, da will man nichts mehr davon hören — aus welchen Gründen auch immer; ich möchte es nicht noch einmal wiederholen. Man schiebt es beiseite.Was das Schlimmste ist — die zweite Überlegung in dem Zusammenhang —, bei der begrenzten Aufgabe dieses Koordinierungsstabes bringt es der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen fertig, mit dem Regierungspräsidenten in Köln zusammen die Nachricht an eine Sonderkommission in Köln zu geben: Die sind zuständig. Die fühlen sich kaum zuständig, sind sie schon nicht mehr zuständig, weil der, der sich noch nicht zuständig fühlt, schon zuständig ist, obwohl er nicht weiß, daß er schon zuständig ist und es auch gar nicht wissen kann.
Entschuldigen Sie bitte: Kaum sind zehn Stunden vergangen, sind auch die zweiten, nämlich die in Bad Godesberg, nicht mehr zuständig. Da wird dann der Koordinierungsstab zuständig. Der hat keine Aktenordnung, der hat keine Dienstanweisung. Der weiß nicht, was er tun und machen soll, bis daß er dann erfährt, daß das, was er eigentlich machen soll, gar nicht möglich ist. So ist der Kompetenzwirrwarr, so sind die Nachrichten geleitet worden, von denen der Herr Höcherl sagt: „Wären sie richtig geleitet worden ..." Er sagt auch noch, die Soko 77 Köln, die Sonderkommission, habe nachher ein Fernschreiben noch einmal anfordern müssen, damit sie überhaupt wußte, was in dem Fernschreiben stand, ausgerechnet das Fernschreiben, in dem es um die Wohnung ging.Nehmen Sie mir das ab, meine Damen und Herren, auch wir wissen, was menschliche Unzulänglichkeit bedeutet, und auch wir wissen, daß sie möglich ist. Wenn aber menschliche Unzulänglichkeit in einem solchen Maße gefördert wird, ja, fast heraufbeschworen wird, braucht man sich doch nicht zu wundern, wenn solche Pannen passieren.
In der mangelnden Vorsorge und der selbst geschaffenen Unsicherheit liegt das Verschulden der Verantwortlichen.Herr Hirsch hat bisher keinen Anlaß gesehen, irgendeine Konsequenz zu ziehen, obwohl — ich habe es dargetan — er sich nicht mehr, allerdingsauch nicht weniger verantwortlich fühlen müßte. Man müßte auch ihn fragen wie auch Sie, Herr Bundeskanzler, ob Sie sich nicht auch dafür verantwortlich fühlen, wenn Sie sich schon nicht auf politische — so steht es im Bericht — Grundsatzentscheidungen beschränkt haben, sondern auch auf polizeitaktische Einzelentscheidungen der zentralen Einsatzleitung eingewirkt haben. Warum dann diese Zurückhaltung bei der Übernahme der Verantwortung, Herr Bundeskanzler?Herr Kollege Dregger hat es einmal gesagt — ich glaube, es war am 16. März in diesem Hause —: Verantwortung ist nicht teilbar, je nachdem, ob' es um Mogadischu oder um die Bildung eines Koordinierungsstabes geht. Dabei bleibt es: Mindestens fünf Tage lang sind sage und schreibe 100 Polizeibeamte für ein Unternehmen abgeordnet worden, das nachher abgeblasen werden mußte.Wir haben die Verantwortlichen vor unseren Augen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben es zugelassen, wenn nicht gar gefördert, daß polizeitaktische Maßnahmen von Politikern geschaffen und beschlossen worden sind. Dem gewesenen Bundesinnenminister muß man den Vorwurf machen, einem nachgeordneten Landesbeamten einen unüberlegten, alsbald in vielfacher Hinsicht unzweckmäßig oder undurchführbar erscheinenden Auftrag erteilt zu haben, und schließlich dem Herrn Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen den Vorwurf, diesen ganz undurchdachten Auftrag ausdrücklich mitgetragen zu haben, ohne auch nur im geringsten daran zu denken, eine Aktenordnung oder eine präzise Dienstanweisung zu geben. Das muß man sich auch einmal vom fachlichen Standpunkt her überlegen, meine Damen und Herren, was da geschehen ist. Die Leute wußten überhaupt nicht, was eigentlich ihre Aufgabe war. Sie hatten keine Aktenordnung, nichts. Nichts konnte verwertet werden. Fünf Tage lang konnte all das, was dort gesammelt worden ist, nicht verwertet werden, weil es ganz einfach nicht mehr zugänglich war.Ich meine, Herr Kollege Baum, dies ist schon ein Hinweis darauf: Ein kleines bißchen sollten wir doch noch tun. Der Herr Hirsch weist ja im Augenblick jede Verantwortung dafür zurück, daß dieses — —
-- Auf den komme ich noch, Herr Vorsitzender.Wir sollten sehen, daß der Herr Hirsch, der entscheidend dafür verantwortlich ist, daß man nichts mehr findet, sich just auf .diesen Zustand jetzt beruft und sich just mit diesem Zustand entschuldigt. Das ist ein venire contra factum proprium; das ist ein Musterfall widersprüchlichen Verhaltens. Da muß man die Frage stellen: Wo bleiben hier die Verantwortlichkeit und das Gefühl für Verantwortlichkeit?Aber daß es der Herr Hirsch dann noch fertiggebracht hat — — Wir wollen jetzt mal von der Sache in Süddeutschland absehen, wo die Terroristen deswegen entstehen, weil sie dort an den Segnungen sozialliberaler Bildungspolitik vorbeigeeilt sind oder damit nicht bedacht worden sind. Das
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Dr. Eyrichhat er getan. Das ist so ungeheuerlich, daß ich es, als ich es zum erstenmal hörte, eigentlich gar nicht glauben wollte.
— Ja. Es ist halt, Herr Dr. Kohl, wahrscheinlich immer so, daß man es, wenn man es von sich her sieht, immer anders sieht, als man es bei anderen zu sehen bereit ist.
Der Herr Hirsch hat es in der Tat fertiggebracht, den Vorsitzenden seiner Düsseldorfer Landtagsfraktion
zu dem Ruf nach dem Rücktritt — lieber Herr Kollege Penner — Maihofers zu ermuntern, dem Rücktritt jenes Mannes, mit dem zusammen er — das wissen wir doch — die Maßnahmen getroffen hatte, die nachher nicht funktionierten.Lassen Sie mich noch auf ein paar Dinge eingehen. Im November des vergangenen Jahres habe ich schon die in der Nacht nach dem Schleyer-Attentat in hektischer Improvisation eingerichtete Zentrale Einsatzleitung kritisiert, längst ehe wir ahnten, welche schlimmen Folgen eine solche Improvisation haben würde. Herr Kollege Dregger hat die Kritik in der Debatte verdichtet und Ihnen gesagt, daß das kein taugliches Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus sei. Uns haben Sie es damals nicht geglaubt. Ich kann mich noch erinnern, wie der Herr Bundesinnenminister damals gesagt hat, das sei ja nun doch verfassungsrechtlich außerordentlich bedenklich. Der Herr Höcherl hat es in seinem Bericht so bestätigt, wie wir es damals in der Debatte dargetan haben.Sie rufen immer nach den Alternativen. Jetzt, wo Sie sie haben, wollen Sie es nicht wahrhaben, daß sie von uns sind und daß Sie ihnen folgen müssen; denn sie sind Ihnen unangenehm, und Sie können sie politisch fast nicht verkraften.Wir sollten uns klar darüber sein: Wenn wir im Bundesinnenministerium nicht einen Zentralen Einsatzstab bekommen, der die Verantwortlichkeit klarstellt, ,den Weg richtig weist und die Einübung von Einsätzen und zu erwartenden Fahndungen vornehmen kann, können wir über Terrorismusbekämpfung reden, solange wir wollen. Wenn wir den Sicherheitsbehörden — die wir nicht kritisieren, sondern unterstützen wollen — nicht das Handwerkszeug geben, wenn wir ihnen nicht eine klare Anweisung geben, wenn wir nicht garantieren, daß Bund und Land in einem vernünftigen — —
— Lieber Herr Schäfer, Sie wissen es doch besser. Sie waren doch mal Polizeidirektor von Freiburg.
— Sie sagen: „Da müssen die Länder mitmachen." Schauen Sie, der Herr Baum hat ja auch die Leistungsbilanz in Sachen öffentliche Sicherheit zitiert, die sein Vorgänger kürzlich noch herausgegeben hatte. Er hat auch von den Verhaftungen gesprochen. Nur von etwas spricht keiner. Herr Schäfer, da sollten doch auch Sie wissen, daß in dieser schriftlichen Leistungsbilanz des Herrn Bundesministers steht — es ist nie gesagt worden; kein Mensch hat das draußen gesagt; denn es paßt nicht ins Konzept —: Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern hat diese Erfolge sichergestellt. Und nun frage ich mich immer: Wenn's drin steht, warum streiten wir uns eigentlich noch darüber? Versuchen Sie doch nicht, die Zuständigkeitsregelung zwischen Bund und Ländern zu verwischen und sie dafür verantwortlich zu machen, wenn etwas nicht klappt. Nein; nicht das ist es. Sondern die unsinnige und in ihrer Wirkung eigentlich undurchdachte Einrichtung von Stäben ist es, was wir brauchen und was wir, so meine ich, - -
— Nicht brauchen! Entschuldigung.
— Eben; es macht nichts aus. Herr Kollege Wehner, das haben Sie recht. Sie haben so aufmerksam zugehört, daß auch Ihnen nicht entgangen ist, daß ich das sagen wollte. Ich glaube, Herr Kollege Wehner, es ist ganz gut, daß wir hier dieses Maß an Übereinstimmung verzeichnen können. Ich sage das allen Ernstes; wir sollten tatsächlich ein bißchen besser zuhören, nicht nur auf der einen, sondern — ich gebe es zu — mitunter auch auf der anderen Seite.Als damals der Kollege Dregger den Vorschlag machte, eine Zentrale Einsatzleitung im Ministerium zu errichten, hatte Herr Maihofer verfassungsrechtliche Bedenken. Aber was für verfassungsrechtliche Bedenken hatte denn der Minister, der einmal — wie er immer selbst bekannt hat — gegen die Notstandsgesetze demonstriert hat? Er hat keine Bedenken dagegen gehabt, dem Bundeskriminalamt nicht nur den Bundesgrenzschutz, sondern auch das Bundesamt für Verfassungsschutz zu unterstellen. Ich hätte einmal sehen wollen, was ein Innenminister von unserer Seite — wie immer er geheißen hätte; ich wage nicht daran zu denken, daß er gar noch aus Hessen gekommen wäre — hätte erleben müssen, wenn er diese Art der Zuständigkeitsverteilung begründet hätte. Man hätte ihm gesagt: Das sind Zeiten wie früher.
Mit uns hätte man es natürlich eher verbunden als mit jedem anderen.Es dient auch der Verhinderung — und auch das sollten wir nicht vergessen —, daß Verantwortlichkeiten verwischt und nach unten abgeschoben werden. Dort im Ministerium ist das anzusiedeln, was man als den Kopf dessen bezeichnet, was zur Bekämpfung des Terrorismus bei der Fahndung beachtet werden muß.Nun gut, man hat unseren Vorschlag abgelehnt. Wir werden nicht müde werden, diesen Vorschlag im Ausschuß mit aller Vehemenz zu vertreten. Wir
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7744 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Dr. Eyrichhaben einen Bundesgenossen bekommen, den Bundesgenossen Höcherl. Und, Herr Kollege Baum, darf ich glauben — ich hoffe es jedenfalls —, daß wir in Ihnen dank Ihrer Einsicht, die Sie uns hier vorhin mitgeteilt haben, einen Bundesgenossen zu erwarten haben? Sie hatten die Einsicht, daß es in der Tat so ist, daß etwas geschehen muß. Setzen Sie sich doch über manche Hemmnisse, die Sie haben zu müssen glauben, hinweg; Sie müssen nicht meinen, das sei die wirkliche Bekämpfung des Terrorismus.Zum Ende — aber ich meine, es muß gesagt sein —: Sagen Sie vielleicht auch einmal Ihrem Parteifreund und Kollegen Hirsch in Nordrhein-Westfalen folgendes, und sagen Sie es, wenn Sie dann schon dabei sind, vielleicht auch gleich noch ein Stück weiter nach Berlin. Sagen Sie vielleicht den beiden Kollegen: Wir können nicht einfach zusehen, wenn die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, schwindet, wenn eine Position, die von einem Justizsenator eingenommen wird, dazu führt, daß Sicherheitseinrichtungen sträflich vernachlässigt werden und daß wegen dieser sträflichen Vernachlässigung Terroristen entführt werden können — mit all den schrecklichen Folgen, die wir alle kennen —, wenn das auf Grund einer Einstellung geschieht, die tief verwurzelt ist, auf Grund einer Einstellung, die immer wieder dieses Zaudern mit sich bringt, dieses Zaudern im Umgang mit der Frage nach Freiheit und Sicherheit — in völliger Verkennung der Tatsache, daß ich doch den Maßstab anzulegen habe, wie ich am besten den unbescholtenen Bürger draußen schützen kann, nicht aber den Maßstab, wie ich möglicherweise am ehesten dem gerecht werden kann, der im Gefängnis sitzt.
Meine Damen und Herren, ich habe nun wirklich alles Verständnis, und dies nicht immer zur Freude meiner Kollegen in der Fraktion. Ich habe — das darf ich hier auch einmal sagen— an der Reform des Strafvollzugsgesetzes mitgearbeitet, und manch einer ist gekommen und hat gefragt: Gehen wir hier nicht zu weit? Der Herr Kollege von Schoeler weiß noch, wie wir da zusammengesessen haben. Ich bekenne mich dazu, und man hat mir oft genug so ein bißchen den Vorwurf gemacht, vielleicht auf jenem Gebiet zu weit gegangen zu sein.Aber dann, wenn ich weiß, daß eine Situation gemeistert werden muß, und wenn ich weiß, daß sie nicht anders gemeistert werden kann als dadurch, daß ich jemandem, der im Gefängnis sitzt, eben eine Auflage, die ihm nicht angenehm sein kann, mache, wiegt das doch ungleich weniger schwer, als wenn ich in Kauf nehmen muß, daß der, dem ich die Auflage nicht mache, möglicherweise dazu beiträgt, daß noch ein Mensch getötet wird.
Das ist die Dimension.
Wenn wir dann noch von Liberalität sprechen, dann, so meine ich, meine Damen und Herren der Koalition, sollten wir wirklich daran denken, daß Liberalität in gut verstandenem Sinne auch ist, ein Gefühl für Verantwortung und Verantwortlichkeit zu haben. Wer den Bericht von Höcherl liest, sichdiesem Bericht stellt, muß dann auch die Liberalität und den Mut haben, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Brandt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein sehr persönliches Wort, Herr Kollege Dr. Eyrich. Wir haben lange genug zusammengearbeitet und kennen uns lange genug, und ich weiß, daß Sie in vielen Dingen verständiger sind, als Ihre Parteizugehörigkeit erhoffen läßt,
und zwar auch in diesem Punkt, über den wir gesprochen haben. Deshalb bitte ich Sie sehr darum, über das böse Wort nachzudenken, das in dieser Rede enthalten war: hier ginge es um die Machterhaltung auf Kosten der Sicherheit der Bürger.
— Nein.Aber um es, sehr verehrter Herr Fraktionsvorsteher, nicht im Getümmel untergehen zu lassen, sagen wir es gleich vorweg: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dankt dem Bundesminister a. D. Hermann Höcherl für die Mühe, der er sich unterzogen hat, und für den Bericht, den er vorgelegt hat. Dieser Bericht ist durchaus eine hilfreiche Arbeit. Insofern sind wir völlig einig. Es war richtig, daß die Bundesregierung und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen diesen Auftrag gegeben haben, um so weit wie eben möglich Klarheit über diesen tragischen Vorgang zu gewinnen und zugleich Möglichkeiten zu weiteren Einsichten darüber zu erhalten, welche organisatorischen bzw. gesetzgeberischen Maßnahmen auf Grund der gewonnen Erkenntnisse anzuraten sind.Der Bericht verstellt nach unserer Auffassung die Ausflucht in bequeme Lösungen. Es gibt hier auch nicht einen Fehler, eine Handlung oder eine Unterlassung, die einer bestimmten Person zugerechnet und in Schuld umgemünzt werden könnte. So einfach ist das nicht.
Der Innenminister Professor Werner Maihofer hat politische Verantwortung übernommen, besser: auf sich genommen und sein Amt aufgegeben. Ein solcher Vorgang wird in parlamentarischen Demokratien als normal bezeichnet. Vielleicht ist er es auch. Aber mitunter haben solche Vorgänge natürlich auch das rituelle Gehabe, mit dem ein Sündenbock ausgewählt und beladen mit der Bürde der Schuld vieler in die Wüste geschickt wird. Die Lektüre des
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7745
Brandt
Berichts lehrt, daß ein Gefüge unterschiedlicher Ursachen den Mißerfolg begünstigt haben. Der Bericht zeigt aber auch, daß sich keine Erfolgsgarantie daraus ableiten läßt, wenn alles ganz anders gewesen wäre.Hier wird gesagt, in dem Bericht — Sie haben es angeführt, Herr Kollege Dr. Eyrich — sei ein vernichtendes Urteil über die Terrorismusbekämpfung gefällt worden, weil nicht in allen Fällen mit Nachdruck und mit dem entsprechenden Umfang an die Terrorismusbekämpfung herangegangen worden sei. So darf ich das ungefähr zusammenfassen. Das ist durchaus möglich und in vielen Teilen sicherlich auch richtig. Nur, dann müssen wir aber auch sehen, was in dem Gesamtkomplex der Bekämpfung des Terrorismus gemeinsame Aufgabe von allen ist und wie wir gemeinsam an diese Aufgabe herangehen können. Ich werde noch einige Worte dazu zu sagen haben, daß das auch im Streit miteinander geschehen kann und in vielen Fällen sicherlich auch geschehen muß. Dann sollten. wir die Gegensätze untereinander austragen und sie nicht, wie wir das auch in diesem Hause oft tun, schön eingepackt aneinander vorbeitragen. Vielleicht lernen wir das noch etwas besser.Mit der Formulierung dés Berichtes sehen auch wir es als unsere Aufgabe an, unsachlicher und ungerechtfertigter Kritik an den Sicherheitsorganen entgegenzuwirken, das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizeibehörden des Bundes und der Länder zu stärken und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit dieser Behörden untereinander zu fördern. Wir teilen auch die Feststellung des Berichts, daß sich die damals eingesetzten Bediensteten des Bundes und der Länder auf allen Ebenen mit hervorragendem Engagement, Pflichtbewußtsein und großer Opferbereitschaft in vorbildlicher Weise eingesetzt haben. Wir danken Herrn Höcherl für diese Feststellung und bestätigen sie nachdrücklich aus eigener Erkenntnis.In diesen Zusammenhang gehört auch die Feststellung, daß sich bestimmte im Zusammenhang mit diesem Fall in der Öffentlichkeit aufgestellte Behauptungen über die Fehlbehandlung weiterer Hinweise als unbegründet erwiesen haben. Mit einer solch nüchternen Feststellung wird einer gezielten Legendenbildung entgegengewirkt. Das festzustellen ist nicht nur notwendig um der Polizei willen, die sicherlich zu den leistungsfähigsten in der Welt gehört, sondern vor allem um der Bevölkerung willen; denn jeder muß die Gewißheit haben, daß sein Hinweis ernst genommen wird, und nicht nur ernst genommen, sondern daß dem auch nachgegangen wird. Anders wäre eine der wichtigsten Grundlagen polizeilichen Erfolgs in der Fahndung, die Aufmerksamkeit und die Mitwirkungsbereitschaft der Bürger, nicht zu erhalten. Das, was wir Öffentlichkeitsfahndung nennen, die sich eben an den Bürger mit der Bitte um Mithilfe wendet, ginge dann in die Leere der Gleichgültigkeit.Schließlich eine weitere Bemerkung: Die Qualität der Fahndung hängt u. a. natürlich auch ab von der Qualität der Organisation der Sicherheitsbehörden, deren reibungslose Zusammenarbeit und deren fürjeden Polizeibeamten durchsichtiger Führungsaufbau notwendig ist. Dieses Ziel zu erreichen ist nach unserer Verfassung eine gemeinsame Aufgabe von Bund und allen Ländern. Dieser gemeinsamen Aufgabe entspricht auch die gemeinsame Verantwortung, aus der sich niemand davonstehlen darf.Der erste Teil des Berichts faßt zusammen und bestätigt, was in den wesentlichen Grundzügen seit den Beratungen des Innenausschusses zu diesem Thema bekannt war. Es gibt da keine entscheidend neue Erkenntnis. Dieser Bericht ist die nüchterne Darstellung der Entstehung und des Schicksals jenes Sammelfernschreibens Nr. 827 der Oberkreisdirektion Bergheim an den sogenannten Koordinierungsstab. Ich erinnere mich an eine Vielzahl von Gesprächen, die wir hier miteinander, draußen mit anderen geführt haben, in denen immer wieder zum Ausdruck kam: Es ist doch eigentlich unbegreiflich, es ist doch eigentlich unvorstellbar, daß, nachdem seine vier Begleiter ermordet worden waren, der mitten aus einer Großstadt Entführte spurlos verschwunden und nichts mehr aufzufinden sein sollte, was auch nur der Schatten einer Spur hätte sein können. Wir wissen heute, daß der Entführte in der Tat nicht spurlos verschwunden war. Aber der Hinweis, der Spur hätte sein können, ist nicht als Spur identifiziert worden. Es ist zweifelhaft, ob dieser Hinweis, der ein Hinweis unter tausenden, der auch in dem Fernschreiben ein Hinweis unter mehreren war, als heiße Spur erkannt worden wäre, wenn alles ganz anders gelaufen wäre. Denn das Objekt war, wie es auch in dem Bericht heißt, den damaligen Bearbeitern nicht als unmittelbar tatbezogen und besonders verdächtig erschienen.Aber es bleibt die Beklemmung des „Was wäre gewesen, wenn?" Niemand weiß das. Die Tatsache, daß der Hinweis auf die Wohnung Renngraben 8 rückblickend eine schwerwiegende Bedeutung bekommen hat, sagt noch nichts darüber, ob seine Bedeutung erkannt worden wäre, wenn man alle späteren Erkenntnisse abzieht. Wir bewegen uns — freilich mit unterschiedlicher Verwegenheit — im Bereich der Vermutungen und Spekulationen, die nur wenig Sinn ergeben, solange der Versuch gemacht wird, all das noch einmal hervorzuholen, was Geschichte geworden ist, weil man nicht noch einmal von vorn beginnen kann; und eine Geschichte mit „wenn" und „hätte", gibt es nicht.Es geht jetzt, weil man dies nicht mehr heilen kann, um die Frage der Konsequenzen. Die Analyse des Geschehensablaufs deckt möglicherweise — Herr Dr. Eyrich, auch da bin ich mir nicht ganz so sicher wie Sie — verhängnisvolle Strukturdefekte auf. Hier ist nicht die Rede von den nie auszuschließenden Fehlern, die irgendwo, irgendwann von irgendwelchen Beamten gemacht werden können, die auch in diesem Fall gemacht worden sein können — dies kann nie ausgeschlossen werden —, sondern von Mängeln in der Organisation, die den Mißerfolg begünstigt haben können. Aber alle kreisen um diesen einen Punkt: Warum ist die elektronische Datenverarbeitungsanlage, die einen Hinweis hätte geben können, nicht gefragt worden, die ihrerseits möglicherweise, vielleicht sogar wahrschein-
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Brandt
lieh weitere Überprüfungen ausgelöst hätte? Zunächst hätte die untere Polizeibehörde die Fälle ihres Bereichs über das eigene Abfragegerät abfragen können, wenn sie eines gehabt hätte.Wenn Verbrechensbekämpfung — und darin sind wir uns ja völlig einig — heutzutage in hohem Maße eine Frage des Informationsflusses und der Schnelligkeit dieses Informationsflusses ist, dann müssen die Informationen vor Ort kommen und, wenn man so will, an die polizeiliche Front. Nur so kann auch vermieden werden, daß Einsatzzentralen mit Hinweisen zugeschüttet werden. Aber genau hier liegt doch wieder eine jener gemeinsamen Aufgaben, die einer allein überhaupt nicht lösen kann, weder der Bund noch irgendein Land. Dies ist die Aufgabe des Bundes und aller Länder. Und dies muß schnell gemacht werden. Auch da gab es Widerstände. Muß ich darauf verweisen, wie lange schon vom Bundesminister des Innern, vom Bundeskriminalamt und auch von uns darauf hingewiesen wird, wie wichtig es ist, alles miteinander kompatibel zu machen, damit sich das, was sich verständigen soll, auch miteinander verständigen kann?
Diesen Punkt haben wir doch noch gar nicht erreicht. Das ist eine gemeinsame Aufgabe, und es ist eine der wichtigsten Aufgaben der nahen Zukunft.Im übrigen sind wir der Meinung, daß die Arbeit der Innenministerkonferenz schnell vollzogen werden muß. Denn hier geht nichts, was nicht übereinstimmend gewollt wird. Zutage getretene Strukturdefekte müssen gemeinsam beseitigt werden. Da gibt es Nachholbedarf zwischen Bund und Ländern.Aber wir sollten in diesem Zusammenhang auch über eine andere Konsequenz nachdenken, die hier eine Rolle gespielt hat, eine Konsequenz, die wir schon oft genug vorgetragen haben, über die wir im Streit miteinander lagen angesichts ,der vielen Gesetze, mit denen Sie glaubten Verbrechensbekämpfung und speziell die Bekämpfung des terroristischen Verbrechens vorantreiben zu können. Vorerst zuletzt am vergangenen Donnerstag haben wir uns über diese Frage auseinandergesetzt. Wir fühlen uns in der These bestätigt, daß das Schwergewicht dieser Verbrechensbekämpfung im polizeilich-organisatorischen Bereich und nicht in erster Linie in der Gesetzgebung zu finden ist.
Daß darüber hinaus das, was unter innerer Sicherheit zu verstehen ist, keineswegs ein Begriff ist, der nur in einer, wie ich meine, verengten Sicht im polizeilichen Bereich Bedeutung hat, erwähne ich am Rande. Das ist eine Aufgabe der gesamten Politik und nicht zuletzt der Art und Weise, wie wir uns politisch begegnen, u. a. auch hier.Der Idealzustand für die innere Sicherheit ist doch dann erreicht, meine Damen und Herren, wenn sich Menschen in einem Gemeinwesen gut aufgehoben und geborgen wissen, wenn Regeln des Zusammenlebens fest verankert sind und Menschen nicht inRatlosigkeit oder sogar in Furcht leben müssen. Entscheidend sind dabei diejenigen Regeln des Umgangs miteinander, die sich nicht in Gesetzen niederzuschlagen brauchen. Eine lebendige Demokratie, für die wir eintreten, lebt nicht in erster Linie von Gesetzen, die sie erläßt, sondern von denen, auf die sie verzichten kann.
Der Gesetzgebung wird im Bereich der inneren Sicherheit oft eine Bedeutung zugemessen, die sie nicht hat. Das gilt für viele Vorschläge — wir können uns da sicherlich noch eine ganze Zeitling streiten — der CDU/CSU. Statt dessen aber hat sie eine Bedeutung, die sie sicherlich offiziell gar nicht haben darf. Ich will damit sagen, daß Gesetzgebung zur psychologischen Entlastung eingesetzt wird, ohne daß den Gesetzen selber Wirksamkeit zugemessen werden dürfte, andererseits aber die Ablehnung eines hochgelobten oder nutzlosen Gesetzesvorhabens zur weiteren politischen Emotionalisierung benutzt wird.
Diese Art der Auseinandersetzung wird selber zu einer Quelle innerer Unsicherheit. Einige von Ihnen, meine Damen und Herren in der CDU/CSU, sind möglicherweise sogar von der Notwendigkeit überzeugt, daß das alles so sein muß. Ich frage mich nur, ob die Überzeugungen notwendig sind.
Gleichviel: Auf dem Feld, auf dem wir uns heute bewegen, haben Gesetzesänderungen Nachrang. Wir teilen die Auffassung des Berichts, daß Änderungen der verfassungsmäßigen Zuständigkeitsverteilung nicht diskutiert werden sollen. Die Bemerkung Höcherls wird jedoch in ihrem zweiten Teil etwas problematischer, weil der zu Mißverständnissen Anlaß geben könnte — ich meine jetzt nicht den zweiten Teil des Berichts, sondern den zweiten Teil dieser Aussage, dieses Satzes —, wenn er sagt, er hielte es nicht für sinnvoll, Maßnahmen vorzuschlagen, die mit dem Bund-Länder-Verhältnis zusammenhingen und aus politischen Gründen nicht durchsetzbar erschienen. Mit ist dieser allgemeine Hinweis auf die politischen Gründe etwas zu unscharf. Ich kann mir schon vorstellen, was er sich gedacht haben könnte. Aber eines wollen wir nicht hinnehmen: Wir wollen es nicht hinnehmen, daß sich hinter politischen Gründen — was er sicherlich nicht gemeint hat — etwa Bundes- oder Länderegoismen verstecken können, die zweckmäßige Lösungen blokkieren.
Hier sind alle in die Pflicht, in die gemeinsame Verpflichtung genommen.Der Bundesminister des Innern hat unsere uneingeschränkte Unterstützung, mit seinen Kollegen aus den Ländern die organisatorischen Folgerungen ganz schnell in die Tat umzusetzen. Wir wissen, daß sich vieles, was in dem Höcherl-Bericht zu lesen ist, mit den Vorstellungen und den Vorarbeiten trifft, die im Bundesministerium des Innern entwickelt wor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7747
Brandt
den sind bzw. dort vorliegen. Aber auch hier gilt das, was schon gesagt worden ist: es geht eben nicht nur um das Bundesministerium des Innern. Deshalb fordern wir den Bundesminister des Innern nachdrücklich auf, gemeinsam mit seinen Kollegen aus den Ländern noch im Laufe des Monats Juli zu festen Absprachen zu kommen und uns alsbald, sobald dies möglich ist, darüber zu berichten, was vereinbart werden konnte, gegebenenfalls auch darüber, was nicht. Wir werden das jedenfalls mit sehr großer Aufmerksamkeit verfolgen. Ich meine überhaupt, daß uns das, was in der Innenministerkonferenz vor sich geht, in der der Bundesminister ja noch nicht einmal eine Stimme hat, interessieren muß, weil dies im Zusammenhang mit Verbrechensbekämpfung steht. Wir sollten auch das, was an Absprachen so etwas in der Grauzone stattfindet, hier öffentlich miteinander diskutieren.Nur eines muß auch klar sein: Selbst das beste ausgehandelte Organisationsschema wird nicht gewährleisten können, daß keine Fehler gemacht werden. Wir sollten nicht so tun, als könnten wir durch perfekte Organisation auch alle Fehler wegorganisieren. Ich habe eh den Eindruck, daß wir Deutsche uns schlecht fühlen, wenn wir nicht die Besten sind; das gilt nicht nur für den Fußball. Es wäre gut, wenn wir die Grenzen unseres Handelns nicht wegdiskutierten.
Eines aber ist wahr — ich kann das nur noch einmal betonen; der Bundesminister des Innern hat es schon gesagt; auch Sie, Herr Dr. Eyrich, haben es gesagt, und Sie wissen das genau —: Wir brauchen ein hohes Maß an Gemeinsamkeit. Es bedrückt mich, von dieser oder jener Seite zu hören, es gebe keine Gemeinsamkeiten mehr. Mitunter haben solche Äußerungen Ähnlichkeit mit Kriegserklärungen. Man kann sich dann einmal in der Pose des edlen Ritters fühlen, der den Fehdehandschuh hinwirft. Nur, die Rüstung, die er trägt, ist die Rüstung der Dummheit.
Ich muß mich wundern: Hängt denn die Gemeinsamkeit davon ab, daß da eine Seite vorschlägt und die andere akzeptiert? Ist der Ort der Gemeinsamkeit wirklich nicht gesicherter? Hängt die Qualität der Gemeinsamkeit nicht gerade davon ab, daß wir — wenn auch noch so heftig — uns noch streiten können über den tauglichen Weg zur Erreichung eines Ziels, das erreichen zu wollen keiner dem anderen bestreitet und das hier Bekämpfung des Terrorismus heißt? Wir brauchen diesen eisernen Bestand an Gemeinsamkeit um der Demokratie willen. Wir brauchen ihn, weil sich die demokratischen Parteien nicht selbst der Handlungsfähigkeit berauben dürfen. Niemand würde Verständnis dafür haben, wenn wirksame Maßnahmen, z. B. jetzt vor allem im Fahndungsbereich, an engstirnigen Interessen oder an unserer eigenen Borniertheit scheiterte.Von dieser Debatte kann eine neue Gemeinsamkeit ausgehen, bei aller deutlichen Herausarbeitung dessen, was uns sonst unterscheidet. Aber über dieUnterschiede in wichtigen Einzelfragen muß offen geredet werden, hier im Bundestag, im Bundesrat, sicherlich auch in der Innenministerkonferenz, aber vor allem hier. Die Regierungen des Bundes und der Länder müssen über vieles reden. Das zeigt der Bericht, bei dem wir als Gesetzgeber überhaupt nicht gefordert sind, weil es der Gesetzgebung nicht bedarf, wie wir überhaupt der Meinung sind, daß viel zuviel — ich habe das schon gesagt — von der Gesetzgebung erwartet wird. Ich bin der Ansicht, daß dieses Haus zwar überhaupt nichts an seiner Gesetzgebungskraft eingebüßt hat — sie scheint ungebrochen zu sein — ,wohl aber — dies zu sagen sei mir erlaubt — an seiner politischen Gestaltungskraft. Gerade darum geht es aber.
Wenn sich nach der notwendigen Verständigung zwischen Bund und Ländern herausstellen sollte, daß bestimmte Organisationsstrukturen, die zweckmäßig erscheinen, auch noch der gesetzlichen Absicherung bedürfen, weil sie der jetzigen Gesetzeslage nicht entsprechen, dann werden wir die entsprechenden Gesetze — es kommen hier vor allen Dingen das BKA-Gesetz und das Bundesgrenzschutzgesetz in Frage — eben ändern. Jedenfalls werden wir in der Gesetzgebung alles tun, was nützlich, notwendig und rechtsstaatlich einwandfrei ist. Das sind Markierungen, an denen wir Gesetze messen.Wir haben von Anfang an immer wieder betont — und an dieser Einstellung hat sich nichts geändert —: Wichtig ist die Qualität der Fahndung, wichtig ist der Fahndungserfolg, wichtig ist, daß sich der Verbrecher nicht eine gute Chance ausrechnen kann, davonzukommen. Abschreckend wirkt vor allem der Fahndungserfolg. Da geht nichts ohne engste und reibungslose Zusammenarbeit der Behörden.
Das gilt übrigens, wie wir alle wissen, nicht nur für die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern und der Länder untereinander, sondern auch für die Zusammenarbeit der Staaten in Europa und der Welt. Wir alle wissen und haben es erfahren, daß gerade die Terroristen, aber nicht nur sie, die Grenzen in ihr Kalkül einbauen. Mittlerweile wissen sie, daß dieses Kalkül nicht mehr aufgeht; denn gerade in jüngster Zeit sind mit Festnahmen in Frankreich und Jugoslawien beachtliche Erfolge erzielt worden, die zu wesentlichen Teilen dem Bundeskriminalamt zu verdanken sind. Auch dies verdient bemerkt zu werden.
Jedenfalls halten wir fest: In der Fahndung nach Terroristen geht nichts ohne die engste Zusammenarbeit. Und dies gilt auch für einige wichtige Konsequenzen aus dem Höcherl-Bericht. Darauf wird mein Kollege Heinz Pensky später noch eingehen. Es ist nicht meine Aufgabe, hier jeden Vorschlag zu kommentieren.Aber einige Markierungspunkte müssen hier hervorgehoben werden. Auch wir teilen die Meinung, daß es für einen polizeilichen Großeinsatz einen
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7748 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
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klaren, fest eingeübten Führungsaufbau geben muß. Das Ad-hoc-Installieren neuer Teilstrukturen verändert nicht nur den Gesamtaufbau, es verwirrt ihn auch. Deshalb liegt ein Schwerpunkt auf dem schon von dem Arbeitskreis II des Bundesrates gemachten Vorschlag, zur schnellen Prüfung und Umsetzung einen Führungsstab beim Innenministerium einzurichten. Das beim Innenministerium schon bestehende Lagezentrum bietet sich dafür an. Das Bundeskriminalamt kann von dieser Aufgabe, die es nicht bewältigen kann, entlastet werden.Wir machen aber ausdrücklich darauf aufmerksam, daß ein solches Führungsinstrument nur funktionieren kann, Verwirrung also nur vermieden werden kann — was wohl auch Zweck der Übung ist —, wenn die Länder, in welcher Form auch immer, fest eingebunden sind. Hier wird sich erweisen müssen, was kooperativer Föderalismus — wie das genannt wird — bedeutet.Es besteht auch Einigkeit darüber, daß es zwischen polizeilicher Führung und politischen Krisenstäben eine Konkurrenz nicht geben darf, auch nicht zu geben braucht. Dies ist aber kein Votum gegen den auf höchster politischer Ebene angesiedelten politischen Krisenstab, wie er genannt wird. Er ist schlechterdings in bestimmten Situationen unverzichtbar; denn es gibt eben Fälle, in denen uns oder den dafür Verantwortlichen neben den polizeilichen Entscheidungen auch weitere Entscheidungen von höchster Tragweite abgefordert werden, die die polizeiliche Führung überhaupt nicht treffen kann. Dabei geht es um Entscheidungen, die nicht treffen zu müssen der Wunsch von vielen unter uns ist. Mit den Stichworten Lorenz, Stockholm, Mogadischu und auch Schleyer ist schon darauf hingewiesen worden, daß dies Beispiele dafür sind. Es liegt auf der Hand, daß in diesen Fällen getroffene Grundentscheidungen dann auch für polizeilich-taktische Entscheidungen von erheblicher Bedeutung sind. In all diesen Fällen war höchste politische Verantwortung gefordert. Wir danken dem Bundeskanzler, den Ministern, den Fraktionsvorsitzenden und allen, die daran beteiligt waren, dafür, daß sie diese drückende Last der Verantwortung gemeinsam getragen haben.
Es besteht auch Einigkeit darüber, daß das Bundeskriminalamt nicht überfrachtet werden darf. Es ist nicht zu verantworten, dieses in den vergangenen zehn Jahren so hervorragend ausgebaute Instrument im Wust der Aufträge zu ersticken. Deshalb sind auch wir der Meinung, daß das Verhältnis von örtlicher Zuständigkeit der Landespolizeien und der überörtlichen Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes einer Neuregelung bedarf. Hier gilt aber, was mehrfach betont worden ist: Auch dies geht nicht ohne das engste Zusammenwirken von Bund und allen Ländern. Am Geld hat es ja nie gelegen, jedenfalls nicht von unserer Seite hier im Bundestag. Der Ausbau des Bundeskriminalamtes wird weitergehen. Meine Damen und Herren, es liegt mir daran, zu betonen, daß der seither erreichte hohe Standard des Bundeskriminalamtes untrennbar mit dem aufopferungsvollen Wirken seines PräsidentenHerold verbunden ist. Die SPD-Bundestagsfraktion weiß dies zu schätzen und anzuerkennen.
Schließlich sei von dieser Stelle an die Adresse des Bundesministers des Innern dies noch gesagt. Er hat nicht nur unsere volle Unterstützung, sondern wir richten — ich sage es noch einmal — darüber hinaus die dringende Aufforderung an ihn, die längst begonnene Durchforstung der Organisation der Verbrechens- und besonders der Terrorismusbekämpfung gemeinsam mit den Ländern schnell zu einem Ergebnis zu bringen. Die Bundesregierung hat die Zeit bis zur Vorlage des Höcherl-Berichts, wie ich weiß, bereits genutzt, um die Vorbereitungen voranzutreiben, damit bald in der Innenministerkonferenz entschieden werden kann. Nun, nachdem der Bericht vorliegt, ist es unser aller Interesse, daß das zügig in die Tat umgesetzt wird, was über den erreichten Standard hinaus noch tauglich erscheint. Der angestrebte Zweck ist, dem terroristischen Verbrechen keine Chance zu lassen.Meine Damen und Herren, die Aufgabe, die wir gemeinsam erfüllen müssen, ist wichtig, wichtig für unser Land, für die Bürger und für die Entwicklung des demokratischen Staates. Wir haben die Anschläge der Terroristen bei all ihrer Brutalität und Gefährlichkeit nie für eine Bedrohung unseres Staates gehalten. Die Bedrohung des Staates wäre allenfalls — so paradox dies klingen mag — vom Staat selber gekommen, nämlich dann, wenn er sich dazu hätte verleiten lassen, im Übermaß zu reagieren, oder wenn wir uns dazu hätten verleiten lassen, uns heillos zu zerstreiten.
In vielen Reden der Vergangenheit war von der Würde des Staates die Rede. Zu seiner Würde gehört, daß er angemessen handelt und sich nicht zu einem Handeln verleiten läßt, das Terroristen gerade hervorrufen wollen.
Deshalb sollten wir zwar nicht bedächtig vorgehen, aber es empfiehlt sich immer, bedachtsam vorzugehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist heute das dritte Mal innerhalb von drei Wochen, daß wir hier im Parlament über Probleme der inneren Sicherheit diskutieren, und zwar im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus. Vor zwei Wochen geschah dies — und zwar von der Opposition veranlaßt — gewissermaßen außerhalb der Reihe aus einem Anlaß, der vielleicht ein wenig vordergründig auf einen bestimmten bevorstehenden Termin abge-
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Dr. Wendigstellt war. Ich will darüber aber nicht rechten. In der vergangenen Woche ging es darum, notwendige Beschlüsse im Bereich der Gesetzgebung zu fassen. Herr Kollege Eyrich, all das, was Sie hier an wesentlicher Kritik vorgetragen haben, hätte und hat in die Diskussion der vergangenen Woche gehört. Es gehört jedenfalls, nicht zu dem Komplex, der hier heute ansteht. Für meine Person kann ich mich beinahe des Eindrucks nicht erwehren, daß Ihnen zum Bericht selber, außer der allgemeinen Feststellung, daß er Ihre Meinung bestätigt — was nicht stimmt —, nichts eingefallen ist.
Das Schwergewicht scheint mir auf der heutigen Diskussion zu liegen, weil es nach Auffassung meiner Fraktion um den wirklich zentralen Punkt bei der Bekämpfung des Terrorismus geht, nämlich um die Frage, wie auf dem wichtigsten Gebiet, im Bereich der polizeilichen Fahndung und Ermittlung vor allem organisatorisch ein Höchstmaß an Sicherheit erreicht werden kann. Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich, daß uns als Grundlage für diese Debatte ein in der Sache ausgewogener Bericht unseres früheren Kollegen Höcherl, dem wir ausdrücklich für seine Arbeit danken, zur Verfügung steht. Es wäre im Interesse der gemeinsamen Sache zu wünschen, daß diese Debatte von dem gleichen Geist der Sachlichkeit getragen wird, die den Höcherl-Bericht auszeichnet.Ich halte es, meine Damen und Herren, schlicht für gefährlich, daß die innere Sicherheit bei aller möglicherweise notwendigen Meinungsverschiedenheit von der Opposition weiter so behandelt wird, wie wir dies seit Jahr und Tag und auch heute wieder erleben müssen; gefährlich nicht für diejenigen, die eine abweichende Meinung vertreten, wohl aber abträglich für den Eindruck, der bei einem solchen Verfahren in der Öffentlichkeit von der Lage unserer inneren Sicherheit zwangsläufig eintreten muß.Lassen Sie mich dies in einigen kurzen Sätzen begründen. Niemand ist sich über den Ernst der Lage im Zweifel. Wir wissen insbesondere auch seit den letzten Wochen in Berlin, zu welcher Eskalation der Terrorismus in unserem Lande fähig ist. Wir sollten ehrlicherweise aber auch zugeben, daß dem Phänomen des Terrorismus in seinen nationalen und internationalen Erscheinungsformen und Verflechtungen nur in einem äußerst mühsamen und auch im Ergebnis langwierigen Prozeß beizukommen sein wird.
Er widerspricht so sehr allen Erfahrungssätzen der herkömmlichen Kriminalität, daß es außerhalb streng totalitärer Staaten in keinem Teil der Welt schnell wirksame Lösungen gibt. Dies bedeutet weder — meine Damen und Herren, werden Sie bitte nicht ungeduldig —, daß man diesem Phänomen hilflos gegenüberstehen muß, noch daß man diejenigen Maßnahmen unterlassen darf, die zur Bekämpfung notwendig sind.Indem ich aber — wie die Union — diese generellen Schwierigkeiten ständig außer Betracht lasse oder herunterspiele, erwecke ich den Eindruck, esbedürfe nur einiger weniger Gesetze oder anderer Maßnahmen, und die Probleme wären bei gutem Willen aller ganz schnell gelöst. Tatsächlich vorhandene Fahndungserfolge, wie sie gerade in den letzten Wochen deutlich geworden sind, werden dann von der Öffentlichkeit nicht als solche erkannt und gewürdigt. Dies, meine Damen und Herren — ich sage dies nicht, weil es uns belasten würde —, bestärkt in verhängnisvoller Weise den falschen Eindruck, daß es den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern an wirksamen Instrumenten zur Bekämpfung des Terrorismus fehlt. An einem solchen Eindruck sollte eigentlich niemandem in diesem Hause gelegen sein.Zweite Vorbemerkung: Niemand kann und wird der Opposition das Recht streitig machen, auf Mängel hinzuweisen, die nach ihrer Auffassung vorhanden sind. Die Auseinandersetzung über diese Frage muß aber jeden falschen Eindruck vermeiden. Unser Staat steht nicht ohne wirksame Gegenwaffen dem Terrorismus gegenüber. Alle politisch verantwortlichen Kräfte, auch das muß deutlich sein, verfolgen in der Bekämpfung des Terrorismus in unserem Lande ohne Einschränkung die gleichen Ziele. Das gilt es immer wieder deutlich zu machen.Dritte Vorbemerkung: Der Geist, in dem die Auseinandersetzung über die Fragen unserer inneren Sicherheit geführt werden sollte, ergibt sich eigentlich aus der einleitenden Vorbemerkung des Berichts von Herrn Höcherl. Herr Höcherl erblickt das Ziel seines Auftrags darin, einer unsachlichen und ungerechtfertigten Kritik an den Sicherheitsorganen entgegenzuwirken und das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizeibehörden des Bundes und der Länder zu bestärken. Zugegebenermaßen ist dies natürlich auf den konkreten Rahmen seines Auftrags bezogen. Als allgemeinen Grundsatz sollten wir dies aber auch für die Art und Weise anerkennen, in der wir hier über Fragen der inneren Sicherheit debattieren und miteinander umgehen.In der Debatte am 16. März habe ich an dieser Stelle für meine Fraktion mit Nachdruck gefordert, daß wir uneingeschränkt auf einer rückhaltlosen Aufklärung der zutage getretenen Fehlleistungen in der Fahndung bestehen und daß wir entschlossen sind, die sich hieraus ergebenden Folgerungen, soweit notwendig, zu ziehen. Diese Feststellung wiederhole ich heute mit der gleichen Entschiedenheit. Wir halten aber nichts davon, wenn man an eine Auseinandersetzung über den Höcherl-Bericht in der Weise herangeht, daß jeder für sich nur diejenigen Punkte herausgreift, von denen er meint, daß sie die bisher vertretene Auffassung am ehesten bestätigen.
In einem Kommentar im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" vom 11. Juni dieses Jahres ist der Höcherl-Bericht sehr zu Recht als eine Arbeit qualifiziert, die geeignet ist „als brauchbarer Leitfaden für Bonner Politiker, die weniger an parteipolitischen Abreibungen, sondern vielmehr an einer vernünftigen und funktionierenden Mechanik bei der
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Dr. WendigTerrorismusbekämpfung interessiert sind". Ich habe dem im Grunde nichts hinzuzufügen.Meine Damen und Herren, nun zum Höcherl-Bericht selbst. Wir begrüßen die Feststellung des Berichterstatters, daß die Bediensteten des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen sich in vorbildlicher Weise eingesetzt haben. Dies verpflichtet uns alle zu aufrichtigem Dank, dem ich mich an dieser Stelle für meine Fraktion ausdrücklich anschließen möchte.
Der Fahndungsablauf ist in Teil I des Berichts ausdrücklich geschildert. Leider konnten auch hier Gang und Verbleib des entscheidenden Fernschreibens 827 mit der sogenannten heißen Spur nicht restlos aufgeklärt werden. Zu fragen bleibt deswegen auch für die kommende Behandlung in den Ausschüssen für uns sicher, warum nicht schon vor Ort auf die heiße Spur näher eingegangen worden ist und warum bei Weitergabe der Meldung nicht konkretere Hinweise beigefügt werden konnten, die sowohl beim Koordinierungsstab als auch bei Soko 77 unübersehbar gewesen wären. Warum wurde trotz alledem bei Soko 77 nicht anders verfahren? Die bedrückende Frage, die man nur stellen, die keiner für sich im einzelnen beantworten kann, die aber lebendig in uns bleibt, ist die: Was wäre geschehen, wenn ...?Ich möchte dem Höcherl-Bericht auch darin folgen, daß Organisationsstrukturen der Beteiligten nicht durchsichtig genug gewesen sind, was ein mehrfacher Wechsel bei den Meldewegen ganz ohne jeden Zweifel verstärkt hat. Ich glaube aber, dieser Teil des Berichts kann in der heutigen Debatte — ich habe hier nur einige mir wichtig erscheinende Fragen angesprochen — nicht endgültig vertieft werden. Entscheidend sind die Fragen, die die gegenwärtige und zukünftige Organisations- und Befehlsstruktur angehen und die in Teil II des Berichts näher erläutert sind.Ehe ich darauf in einigen Punkten eingehe, noch eine allgemeine Bemerkung vorher. Es ist dies, meine Damen und Herren, die schlichte Erkenntnis, daß ein föderativ strukturiertes Staatssystem, ein Staatssystem, das wir bejahen, seiner Natur nach besondere Voraussetzungen setzt, die gerade in unserem Bereich länderübergreifende Operationen bis hin in die internationale Szene notwendig machen, schwer auflösbare Schwierigkeiten zur Folge haben müssen. Das muß man doch sehen. Man muß deswegen nicht etwa schon eine zentrale Bundespolizei fordern wollen, was 'ganz gewiß nicht unser Petitum ist. Ob es aber um die Frage einer Ausweitung der Kompetenzen des Bundeskriminalamts auf gesetzlicher Grundlage, ob es um eine Verstärkung und Verbesserung der Vereinbarungen geht, die zwischen Bund und Ländern getroffen werden und die verbessert werden müssen, die Einfügung beider Ebenen unseres Staates — Bund und Land — in ein reibungslos funktionierendes Organisationsschema bleibt stets ein Problem, das — das müssen wir ganz offen so sagen — immer sehr schwer in den Griff zu bekommen ist. Wir sollten daher ehrlicherweise anerkennen, wenn wir über diese Vorgänge diskutieren und wenn wir verbesserte Organisationsstrukturen ins Auge fassen, daß letzten Endes hier ganz ohne jeden Zweifel der zentrale Punkt unserer Bemühungen liegen muß. Dieses Problem ist unter keiner Voraussetzung des Gesetzes oder verbesserter Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern hundertprozentig zu lösen. Das sollten wir ehrlicherweise — wie ich schon sagte — auch in einer solchen Debatte zugeben.
Nun zum ehemaligen Bundesminister des Innern. Auch dazu will ich ein paar kurze Sätze sagen. Ich meine, völlig zu Unrecht ist dem Bundesinnenminister in der Öffentlichkeit, aber auch von der Opposition ein Maß politischer Verantwortung unterstellt worden, das er bei der gegenwärtigen Rechtslage — ich komme gleich noch im einzelnen darauf — so gar nicht haben konnte. Wenn Innenminister Maihofer für die tragische Verkettung von Ursachen bei den bekannten Fehlleistungen in der Fahndung im Entführungsfall Schleyer für seinen Zuständigkeitsbereich die politische Verantwortung übernommen hat, verdient er unseren ungeteilten Respekt. Das möchte ich ausdrücklich betonen. Ich möchte aber hinzufügen — das gilt für alle Ebenen, ebenso für den Bund wie auch für die Länder, obwohl wir hier heute nicht die Debatte des Landtags von Nordrhein-Westfalen führen —, daß der Höcherl-Bericht personelle Konsequenzen weder ausdrücklich fordert — das wissen wir — noch in seinem Sachzusammenhang zwingend nahelegt.
Ich will hier nicht auf weitere Einzelheiten eingehen, nur auf einen Gedanken, den ich nachher noch einmal aufgreifen werde. Ich muß nämlich an dieser Stelle die Überlegung in die Debatte einführen, ob der Gesetzgeber — da sollten wir uns alle angesprochen fühlen — nicht vielleicht doch durch klarere Regelung in der Verteilung der Zuständigkeiten früher manches hätte erleichtern können, was sowohl für die Exekutivorgane des Bundes als auch für die der Länder gilt. Alles nur dem Bereich der Bund-Länder-Abkommen zu überlassen, verkennt — und auch das sollten wir dabei nicht übersehen — auch für den zuständigen Landesinnenminister die Grenzen, die ihm durch seine politische Verantwortlichkeit vor dem Landesparlament gesetzt sind.In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, begrüßen die Freien Demokraten den Vorschlag des Höcherl-Berichts, dem Bundeskriminalamt auch Zuständigkeiten für die vorbeugende Terrorismusbekämpfung zu übertragen. Dies ist eine alte Forderung der FDP-Bundestagsfraktion, auf die ich auch in der Debatte am 16. März dieses Jahres zum wiederholten Male hingewiesen habe. Manche Vorschläge für eine wirksamere Führungsstruktur, die wir im Prinzip befürworten — ich komme noch darauf zurück —, erhalten vielleicht erst durch eine solche erweiterte Kompetenz des BKA ihre erfolgversprechende Wirkung. Dabei geben wir Herrn Höcherl durchaus Recht, wenn er jetzt davor warnt, durch eine ständige Erörterung über mögliche gesetzliche Veränderungen im Zuständigkeitsbereich der Sicherheitsbehörden deren Effektivität zu be-
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Dr. Wendigeinträchtigen. Deshalb sind auch wir der Meinung, daß zunächst einmal die Leitlinien des Bundesministers des Innern und der Innenminister der Länder, die in Vorbereitung sind, abgewartet werden sollen.In diesen Zusammenhang gehört dann aber auch der Vorschlag, entgegen der bisherigen gesetzlichen Regelung für das Bundeskriminalamt in Aufgabe des bisherigen Aufgabenkatalogs das BKA generell nur noch kraft Auftrages durch den Bundesminister des Innern zuständig werden zu lassen. Ich erblicke darin — ich sage es offen, meine Damen und Herren — zunächst einmal nach einer ersten Prüfung des Berichts einen gewissen Widerspruch zu der allgemeinen Forderung nach einer Zuständigkeit des Bundeskriminalamts bei der vorbeugenden Terrorismusbekämpfung. Auf der Grundlage der Einzelvorschläge des Höcherl-Berichts werden wir sehr sorgfältig zu prüfen haben, welchem Weg der Vorzug zu geben ist. Für den Augenblick kann ich mir für meine Person eine wirksame vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch das Bundeskriminalamt allerdings nur vorstellen, wenn der Aufgabenkatalog um diese originäre Zuständigkeit erweitert wird. Darüber wird aber noch im einzelnen zu reden sein.
Ganz gleich aber, wie wir diesen Gegensatz im Ergebnis auflösen, in jedem Fall bleibt die Forderung nach einer optimalen Zusammenführung von Bundes- und Länderebene als Kernproblem bestehen. Dabei steht für uns außer Zweifel, daß die Funktionen der zuständigen Polizeibehörden vor Ort durch keine Zuständigkeit des Bundeskriminalamts eingeengt werden dürfen. Niemand will das.Auf der Grundlage der derzeit gültigen Bestimmungen des BKA-Gesetzes haben Bundesminister des Innern und Innenministerkonferenz, wie wir wissen, am 30. Mai dieses Jahres eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit der beiden Ebenen getroffen. Sie sieht in diesem Bereich vor, daß die zuständigen Polizeidienststellen des Landes vor Ort bis zur Übernahme der Ermittlungen durch das Bundeskriminalamt alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben. Eine Sonderkommission des BKA soll dann die Leitung der Aufgaben in der Strafverfolgung nach Eintreffen am Tatort übernehmen.Hier will der Höcherl-Bericht die Zuständigkeit bei den Länderpolizeien bestehen lassen und das BKA nur auf Unterstützungsgruppen beschränken. Dieser abweichende Vorschlag wird sicher zu bedenken sein. Vielleicht ist er wirklich die bessere Lösung. Diesem Punkt sollte der Bundesinnenminister bei seinen bevorstehenden Besprechungen in der Innenministerkonferenz seine besondere Aufmerksamkeit widmen.Aber auch ein anderer Gesichtspunkt könnte hier Gewicht bekommen. Das Bundeskriminalamt hat unter anderem im konkreten Fall Aufgaben, die über den einzelnen Tatort und über die Grenzen eines Bundeslandes hinausgreifen. Nimmt man notwendig werdende Fahndungsmaßnahmen über die Grenzen des Bundesgebietes hinaus an, können auch gewichtige Gründe dafür sprechen, es bei der Regelung zu belassen, die die Vereinbarung vom 30. Mai mit der federführenden Zuständigkeit des BKA gegebenenfalls auch vor Ort vorgesehen hat. Entscheidend ist aber, daß gerade über diese Frage der künftigen Gestaltung sehr bald Klarheit gewonnen wird. Ich sage dies besonders im Hinblick auf die in den Sicherheitsorganen tätigen Beamten, die schließlich wissen müssen, wohin die Entwicklung geht.Zwei weitere Vorschläge des Höcherl-Berichts im Teil II kann ich für meine Fraktion nur kurz voll unterstreichen. Dies ist erstens die Forderung, die Arbeitsweise der bei Großeinsätzen beteiligten Organisationseinheiten des Bundes und der Länder vorzuplanen und einzuüben, und zweitens, die Aufgabe von politischen Krisenstäben auf der einen und der polizeilichen Fahndung auf der anderen Seite klar voneinander abzugrenzen. Hier möchte ich mich nur mit dem Hinweis begnügen, daß der Bundesinnenminister hierfür inzwischen entscheidende Voraussetzungen geschaffen hat.Was den Komplex der Vorplanung und Einübung angeht, muß für die Vergangenheit betont werden — hier knüpfe ich an etwas an, was ich vorhin schon gesagt habe —, daß dem Bund bisher in der vorbereitenden Phase nur unzureichende Sachkompetenzen zugestanden haben, die nach der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer auch durch freiwillige Bund-Länder-Vereinbarungen nicht hinreichend aufgefüllt gewesen sind, vielleicht auch so schnell nicht aufgefüllt werden konnten. Bevor aber jemand den Vorwurf erhebt, die eingeleiteten Maßnahmen hätten schon vorher getroffen werden können — eine Frage, die wir uns selbst immer wieder stellen —, muß er sich auch die selbstkritische Frage stellen, inwieweit der Gesetzgeber in diesem Bereich nicht schon vorher bessere Voraussetzungen hätte schaffen müssen. Dabei erinnere ich an die Auseinandersetzungen, die im Innenausschuß bei der Novellierung des BKA-Gesetzes 1973 stattgefunden haben.Die Übertragung des Personenschutzes auf den Bundesgrenzschutz, die im Höcherl-Bericht vorgeschlagen ist, entspricht den Vorschlägen, die meine Fraktion schon in den ersten Beratungen einer Novellierung des BGS-Gesetzes vertreten hat. Mit dem Höcherl-Bericht sind wir der Auffassung, daß das Bundeskriminalamt von dieser personalintensiven Tätigkeit entlastet werden sollte.Der, letzte Schwerpunkt des Berichts liegt in der Forderung nach einer ständigen Führungszentrale, die über die Fälle der Terrorismusbekämpfung hinaus auch für Aufgaben des Katastrophenschutzes und andere Bereiche im Bundesministerium des Innern gebildet werden sollte. Dieser Vorschlag wird nach unserer Auffassung ganz grundsätzlich zu bedenken sein. Ich lasse hierbei die Frage dahingestellt, inwieweit das gegenwärtige Lagezentrum im Ministerium schon diesen Vorschlägen in der Praxis weitgehend entspricht. Daß hier weitergehende Entscheidungen anfallen können als die einer umfassenden polizeilichen Fahndung in einem begrenzten Bereich, steht außer Zweifel.
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7752 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Dr. WendigDabei möchte ich allerdings in diesem Zusammenhang noch auf einen anderen Aspekt hinweisen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß hier der demokratische Rechtsstaat auf dem sicher mehr als ernst zu nehmenden Gebiet der Bedrohung durch den Terrorismus sozusagen mit einer totalen inneren Mobilmachung reagiert. Ich bin allerdings nach dem Höcherl-Gutachten der Meinung, daß dies dort so nicht gedacht ist.Bei der Führungszentrale des Bundes muß die Verzahnung mit den zentralen Stellen der Länder in geeigneter Weise sichergestellt sein. Das ist in der Tat eine Bewährungsprobe für das Funktionieren beider Ebenen, für das Funktionieren des Föderalismus hier in unserem Lande. In diese Zentrale gehören daher nach unserer Auffassung auch fachkundige Landesbeamte, die mit ausreichenden Weisungsbefugnissen gegenüber den zuständigen Landesbehörden ausgestattet sind.Die Trennung dieser Führungszentrale gilt im übrigen nicht nur gegenüber der polizeilichen Einsatzleitung, sondern auch degenüber politischen Krisenstäben, die in bestimmten Ausnahmesituationen leider auch in künftigen Fällen notwendig werden können.Wegen der außerordentlichen politischen Tragweite möglicher Entscheidungen ist es richtig und notwendig, daß in solchen politischen Krisenstäben Vertreter aller politisch verantwortlichen Kräfte des Parlaments vertreten sind. Dies hat sich in den schweren Wochen des September/Oktober 1977 ohne Zweifel bewährt. Ich glaube, meine Damen und Herren der Opposition, hier nicht besonders hervorheben zu müssen, daß dies die politische Verantwortung der Exekutive und der in ihr tätigen Personen in keiner Weise einschränkt oder ausschließt.
Allen diesen Fragen messen wir eine sehr große Bedeutung bei. Dies gilt um so mehr — das unterstreiche ich noch einmal — als die Fraktion der Freien Demokraten von Anfang an bei der Bekämpfung des Terrorismus ihren Schwerpunkt darin erblickt hat, die polizeiliche Ermittlung und Fahndung nach den Tätern so wirkungsvoll wie möglich zu gestalten.Sicher werden auf einige Fragen des HöcherlBerichts heute — „heute", sage ich — noch keine letzten Antworten gegeben werden können. Allerdings müssen wir alle — und das ist auch die Bitte, die wir an die Bundesregierung richten — diese Fragen schnell und zügig prüfen und dafür sorgen, daß die notwendigen Entscheidungen sehr bald getroffen werden.Wesentliche Vorarbeiten sind bereits geleistet. Bundesinnenminister Baum kann daher auf vorhandenen Grundlagen aufbauen. Wir werden ihn bei dieser verantwortungsvollen und schwierigen Aufgabe mit all unseren Kräften unterstützen.
Dies sind dem äußeren Eindruck nach Erwägungen und Maßnahmen, die sich ausschließlich imtechnischen und organisatorischen Bereich zu bewegen scheinen. Wir alle sind uns bewußt, daß es dann im konkreten Fall um Leben und Schicksal von Menschen gehen kann und wird. Das verlieren wir zu keinem Zeitpunkt aus dem Auge. Wir sollten deshalb in diesem Zusammenhang den Respekt denen nicht versagen, die in solchen schwierigen Situationen ein Übermaß an politischer und menschlicher Verantwortung zu tragen haben.
Wenn ich abschließend noch eine Feststellung des Höcherl-Berichts herausgreifen darf, so ist es die eigentlich selbstverständliche Tatsache, daß die Bekämpfung des Terrorismus gemeinsame Aufgabe des Bundes und der Länder ist. Davon war ja schon mehrfach die Rede. Sie ist aber auch die gemeinsame Aufgabe aller politischen Kräfte in diesem Haus.Bei der Bekämpfung des Terrorismus ist ein alsbaldiger Erfolg leider — das wissen wir alle — nicht zu erwarten. Auch verbesserte Organisationsstrukturen bei den Sicherheitsbehörden sind für sich noch kein Patentrezept. Hier liegt also noch ein langer und schwerer Weg vor uns, der sehr viel Geduld und sehr viel Ausdauer erfordert.
— Und Tatkraft; ohne Zweifel, Herr Kollege Lenz.Unserem Lande wäre aber gedient, wenn die auf diesem Gebiet notwendigen Auseinandersetzungen anders geführt würden, als dies die Opposition leider in der Vergangenheit immer wieder getan hat und auch heute tut. Sie müßten geführt werden in dem Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung von uns allen,
und diese gemeinsame Verantwortung bedeutet — so hat der Kollege Brandt gesagt — nicht, daß wir in jedem einzelnen Punkt übereinstimmen, bedeutet aber, daß nach draußen deutlich wird, daß alle hier in diesem Hause diese gemeinsame Verantwortung tragen, und daß nach außen daran auch in keinem Punkt ein Zweifel besteht.
Das, meine Damen und Herren, ist notwendig, und ehe dieses Bewußtsein nicht nach draußen gebracht wird, sind alle anderen Bemühungen nur ein halber Erfolg.Wir, die Fraktion der Freien Demokraten, sind — und damit möchte ich schließen, meine Damen und Herren — jederzeit dazu bereit, unseren Teil dieser von mir beschriebenen Verantwortung zu tragen.
Wir
fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Debatte vom
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7753
Spranger16. März dieses Jahres über schwerwiegende Fehler bei der Fahndung nach den Mördern und Entführern des Arbeitgeberpräsidenten Dr. Schleyer haben Redner aller Parteien schonungslose Klärung und Konsequenzen verlangtNunmehr liegt der Höcherl-Bericht vor. Er läßt zwei Feststellungen zu. Einmal bestätigt er in vollem Umfange die Kritik, die die CDU/CSU damals auf Grund der in den Innenausschüssen des Bundestages und des nordrhein-westfälischen Landtages gewonnenen Erkenntnisse vorgetragen hat,
und zum anderen bestätigt er im wesentlichen die jahrelang leider vergeblich erhobenen sicherheitspolitischen und sicherheitsorganisatorischen Forderungen der CDU/CSU.Der Bericht ist allerdings — es tut mir leid, das sagen zu müssen — nicht identisch mit dem, was Herr Brandt heute als Konsequenz aus diesem Bericht meint ableiten zu können.
Es liegt nun an der Bundesregierung und an der nordrhein-westfälischen Landesregierung, es liegt nun an den Koalitionsparteien, nicht nur, wie wir es eben gehört haben, von Konsequenzen zu reden, sondern endlich auch Konsequenzen zu ziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit gebetsmühlenartigen Ritualfloskeln in der Verkleidung markiger Worte — wie: man werde dem Terrorismus keine Chance geben, dieser Staat werde sich von einigen wenigen nicht in die Knie zwingen lassen, man werde alle Mittel des Rechtsstaates ausschöpfen — lassen sich unsere Bürger nicht mehr abspeisen.
Unsere Bürger verlangen zu Recht Entscheidungen und Taten der Regierenden, die für den im HöcherlBericht beschriebenen Unsicherheitszustand verantwortlich sind. Meinen Vorrednern von SPD und FDP möchte ich empfehlen, statt der Verwendung schön klingender Worte wie „gemeinsame Verantwortung" und „Solidarität" dafür zu sorgen, daß die Konsequenzen und die Taten folgen, die sich hier in Gemeinsamkeit in Aussicht gestellt haben. An der CDU/CSU hat es in der Vergangenheit nicht gelegen und wird es auch künftig nicht liegen.Der Höcherl-Bericht trägt eine Vielzahl von Mängeln zusammen, die für schwere Pannen bei der Fahndung nach den Schleyer-Entführern verantwortlich sind. Sie sind zum Teil schon genannt worden: grundsätzliche Führungsfehler in der Spitze, völlig unzureichende Vorbereitung der Sicherheitskräfte auf terroristische Anschläge, keine Vorplanung, in Nacht- und Nebel-Aktionen nachträglich geschaffene Führungs- und Einsatzstäbe mit unklaren Kompetenzen, Meldewege und Führungsstrukturen, die nicht eingeübt waren, fehlende, unzureichende oder unklare Informationssysteme und Arbeitsanweisungen.Herr Wendig meinte nun vorhin, es sei alles nicht so schlimm gewesen. Herr Wendig, ich glaube, daß diese Fakten, diese Fehler auch von Ihnen glaubwürdig nicht abgestritten werden können. Wir müssen eben sagen, daß dieses sicherheitspolitische und sicherheitsorganisatorische Chaos möglicherweise Hanns Martin Schleyer das Leben kostete und den Terroristen die Vorbereitung und die Durchführung von Verbrechen erleichterte und erleichtert.
Verantwortlich dafür sind die Bundesregierung, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und die sie tragenden Parteien. Versuche der Weißwäscherei, wie sie vorhin unternommen worden sind, sind untauglich. Verantwortlich sind hingegen nicht die Polizeibeamten vor Ort. Auch insofern bestätigt der Bericht unsere schon in der Debatte vom 16. März 1978 geäußerte Überzeugung, daß die Polizei- und Sicherheitsbeamten in Bund und Ländern mit Engagement, Pflicht- und Opferbereitschaft gearbeitet haben und deswegen nach wie vor unseren Dank verdienen.
Hauptverantwortlich hingegen ist der Bundeskanzler, der sich nur zu gern als Sieger von Mogadischu feiern ließ, der vor dem Bundestag angesichts dessen die Verantwortung für die in der Schleyer-Entführung zu treffenden Entscheidungen übernahm und der natürlich dann auch heute für schwere Fahndungspannen Verantwortung trägt. Denn — das ist schon gesagt worden — politische Verantwortung ist nicht teilbar nach Erfolg oder Mißerfolg, nach Sieg oder Niederlage.
Der Bundeskanzler trägt schließlich auch die Verantwortung für die schweren sicherheitspolitischen Mängel, in die die Linksradikalen in SPD und FDP und außerhalb diesen Staat systematisch getrieben haben. Denn der Bundeskanzler hat mit Rücksicht auf diese Kräfte und zum Zwecke reiner Machterhaltung — ich wiederhole, was Kollege Eyrich schon gesagt hat — aus diesen Gründen alle vernünftigen Angebote der CDU/CSU zu der so oft beschworenen Solidarität der Demokraten abgelehnt.Heute hat Herr Brandt die Solidarität der Demokraten erneut beschworen. Aber es ist doch nicht die CDU/CSU gewesen, die diese Solidarität ablehnt. Es sind die Linksradikalen in der Koalition gewesen, 'die diese Solidarität ablehnen und eventuell den Bundeskanzler davon abhalten, zu einer solchen Solidarität zu kommen.
Der zweite Hauptverantwortliche, Herr Maihofer, hat inzwischen die notwendigen Konsequenzen gezogen. Ob sein Nachfolger die schweren sicherheitspolitischen und organisatorischen Mängel beseitigen kann, ist heute, insbesondere auch nach seiner Jungfernrede als Minister, mehr als fraglich. Denn dazu braucht man Realismus, Nüchternheit und die Fähigkeit, Tatsachen richtig zu bewerten. Das sind entscheidende Voraussetzungen für dieses Amt.
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7754 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
SprangerInwieweit diese Eigenschaften den neuen Herrn Bundesinnenminister auszeichnen, zeigt z. B. ein Interview vom 9. Juni im Deutschlandfunk. Dort antwortete er auf die Behauptung, Herr Maihofer sei wegen seines Kurses im Amt gescheitert, folgendermaßen — ich zitiere mit Erlaubnis —:Ich bin nicht der Meinung, daß Herr Maihofer gescheitert ist. Ich bin der Meinung, Herr Maihofer hat sich außerordentliche Verdienste erworben um dieses Amt. Er hat dem Amt viele neue Impulse gegeben, und er ist auch der Herausforderung gerecht geworden, die sich durch den Terrorismus gestellt hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das stimmte, was hier gesagt wurde, dann müßte man doch schlichtweg fragen: Warum ist Herr Maihofer dann eigentlich zurückgetreten?
Oder man muß dann eben die Frage stellen: Ist er vielleicht deswegen zurückgetreten oder mußte er zurücktreten, weil man ihn als Hauptschuldigen zum alleinigen Sündenbock stempelte, damit sich andere, Hauptschuldige, weißwaschen können?
Der neue Herr Bundesinnenminister hat in dem gleichen Interview auf die Frage nach der Kritik des Höcherl-Berichts an Herrn Herold behauptet — diese Behauptung hat er heute im Grunde wiederholt —: „Herr Herold wird in diesem Bericht gelobt; ich möchte sagen, Herr Herold hat mein volles Vertrauen.„ — Meine Damen und Herren, in Wahrheit beinhaltet dieser Bericht außer einer einzigen positiven Anmerkung über Herrn Herold als Computerspezialisten — diese ist auch von uns nie bestritten worden — ein vernichtendes Sündenregister für den Chef des Bundeskriminalamts. Aber trotzdem: volles Vertrauen.
Schließlich stellt der neue Herr Bundesinnenminister die Behauptung auf, die Vorschläge von Herrn Höcherl entsprächen in weiten Teilen seinen Vorstellungen. Wend auch dies zuträfe, müßten sich blitzartig und über Nacht wesentliche Vorstellungen der Bundesregierung geändert haben.
Wenn zuträfe, was hier gesagt wird, dann ist zu fragen: Warum wurden diese Vorstellungen denn nicht längst realisiert? Man muß fragen: Wer stellt denn diese Regierung, die für Unterlassungen und Versäumnisse verantwortlich ist, die Herr Höcherl serienweise beanstandet?Ich muß sagen: Es ist auch schlichtweg ein Armutszeugnis sondergleichen, daß eine Bundesregierung, mit einem Riesenapparat im Bundesinnenministerium und mit der politischen Verantwortung auf diesem Gebiet versehen, einen ehemaligen, wenn auch verdienstvollen Bundesinnenminister — zusammen mit einem Beamten und einigen Sekretärinnen — beauftragen muß, daß zu tun, was an sich selbstverständliche Pflicht dieser Bundesregierung wäre, wozu sie aber offensichtlich nicht in der Lage ist, nämlich ein funktionsfähiges sicherheitspolitisches und sicherheitsorganisatorisches Konzept vorzulegen und in die Tat umzusetzen.
Man wird den neuen Herrn Bundesinnenminister auch daran messen, wann und was er vom HöcherlBericht verwirklicht. Wir jedenfalls sind zu jeder Unterstützung rechtsstaatlich gebotener Maßnahmen bereit.Der Rücktritt von Herrn Maihofer hindert nicht, auch Herrn Hirsch bei seinen eigenen Worten zu nehmen, die er am 16. März 1978 hier im Plenum sprach. Da sagte er:Ich habe an anderer Stelle erklärt, daß selbstverständlich jeder Minister die politische Verantwortung für seinen Bereich zu tragen hat.Wir fordern ihn auf, das nun zu tun, wie es Herr Maihofer getan hat, wie es Herr Baumann in Berlin längst hätte tun müssen.Herr Hirsch muß sich fragen lassen, ob ihn nicht schon der zweifelsohne erweckte Eindruck zum Rücktritt veranlassen müßte, nur Machterhaltung, Zynismus und Empfindungslosigkeit gegenüber den Opfern des Attentats von Köln hielten ihn ab, das aus menschlichem Abstand und politischer Moral Gebotene zu tun.
Jeder Tag, den Herr Hirsch noch im Amt verbringt, wirft schwere Schatten auf diejenigen, die ihn politisch tragen.
Im Höcherl-Bericht werden zahlreiche Forderungen der CDU/CSU, die wir aufrechterhalten, geteilt: Planspiele und Rahmenübungen aller beteiligten Organisationseinheiten, Einrichtung planmäßig vorbereiteter und eingespielter Führungsstäbe. All das wurde von uns schon in der Debatte am 16. März 1978 begründet.In unserem Antrag auf Drucksache 8/1771 vom 27. April 1978 forderten wir — alles wiederum in Übereinstimmung mit dem Höcherl-Bericht — vorbereitete, eingeübte, nicht ad hoc improvisierte Organisationskräfte, ein schnell zu realisierendes Konzept für den polizeilichen Datenverbund, die Rückführung der Ermittlungszuständigkeit des BKA auf Auftragszuständigkeit. Ich halte es für keinen guten Stil — das dient mit Sicherheit nicht der wirksamen Bekämpfung des Terrorismus —, wenn der neue Bundesinnenminister all diese Anträge und Vorschläge abwertet, statt seinerseits konkret zu werden und zu sagen, was er zu tun gedenkt.Soweit im Höcherl-Bericht die Begründung einer BKA-Kompetenz für die vorbeugende Terrorbekämpfung, der Verzicht auf örtliche BKA-Sonderkommandos zugunsten der Länder gefordert werden,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7755
Sprangerhaben wir dazu ebenfalls schon Stellung genommen. Wir sind zu Entscheidungen darüber sofort bereit.Entscheidend ist für uns aber auch, daß das allgemeine und ständige Gerede von mehr Kompetenzen für das BKA und für ein bundesdeutsches FBI, daß der Föderalismus und die Engstirnigkeit der Länder an der Unwirksamkeit der Terrorbekämpfung schuld seien, nun unhaltbar geworden sind.
Im Gegenteil: Der Bericht bestätigt unsere Auffassung, daß die ständige Erörterung solcher Änderungen der gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse für die Sicherheitsbehörden schädlich ist, daß Ruhe, Stabilität und Kontinuität Voraussetzung polizeilicher Erfolge sind.Um so unbegreiflicher ist für uns der Überraschungscoup, mit dem Ende April 1978 die Verlegung der Abteilung TE des BKA beschlossen und leider vom neuen Bundesinnenminister bestätigt wurde. Wir haben erleben müssen, wie es der BKA-Präsident Herold mit seiner erschreckenden Unfähigkeit zur Menschenführung fertigbrachte, daß nur 60 von 272 Beamten echt umzugsbereit sind, die die Abteilung TE bisher zu einer äußerst engagierten und im Dauereinsatz sich zerreibenden Abteilung machten. Angesichts dessen halte ich es für makaber, Herrn Herold nun mit solchen Lobeshymnen zu bedenken, wie das vorhin der Fall war.Angesichts der im Höcherl-Bericht immer wieder betonten Notwendigkeit der Verlagerung der Bekämpfung des Terrorismus von oben nach unten ist es unverständlich, wie die Koalitionsparteien unsere weiteren Anträge als erledigt erklären können.Die umfassende Unterrichtung der Bevölkerung über Merkmale des Terrorismus ist eine permanente Aufgabe. Man kann nicht immer nur nach Terroranschlägen in hektischen Aktionismus — wie bei der Schleyer-Entführung — verfallen, um sich anschließend wieder einem politischen Dauerschlaf hinzugeben. Terrorismus ist eine ständige Herausforderung, und seine Bekämpfung bedarf eben der ständigen Mitwirkung einer informierten Bevölkerung.Wenn unser Antrag eine umfassende Ausrüstung, Information und Anleitung der Polizei fordert, dann ist auch dies etwas, was im Höcherl-Bericht bestätigt wird.Gleichzeitig verurteilt der Höcherl-Bericht die Geheimniskrämerei, mit der insbesondere BKA-Präsident Herold die Terroristenbekämpfung betreibt. Jüngstes Beispiel ist die Geheimhaltung der Festnahme von Terroristen in Zagreb — ein Mitte Mai stattgefundenes Ereignis, das man erst wenige Tage vor den Wahlen in Hamburg und Niedersachsen und nach der skandalösen Entweichung des Terroristen Till Meyer aus der Haftanstalt in Moabit der schockierten Bevölkerung als Beruhigungspille verpaßte.Bessere Information der polizeilichen Front motiviert jeden Schutzpolizeibeamten, dessen Aufmerksamkeit, Engagement und Entschlossenheit ganz unentbehrliche Voraussetzungen für Erfolge gegen die Terroristen sind.Umgekehrt müssen natürlich auch die Länder ernsthafte Hinweise ernst nehmen. Die Art und Weise, wie der Justizsenator in Berlin, Herr Baumann, die Warnungen vor bevorstehenden Anschlägen auf Haftanstalten in den Wind geschlagen hat, ist verantwortungslos in höchstem Grade.
Parteiamtliche Vertrauenskundgebungen für Herrn Baumann müssen denen wie Hohn erscheinen, deren Verwandte, Freunde und Kameraden den Terroristen zum Opfer fielen.Die Bundesregierung und die Regierung von Nordrhein-Westfalen haben Bundesinnenminister a. D. Höcherl mit der Untersuchung der Frage beauftragt, aus welchen Gründen dem Hinweis auf die Wohnung in Erftstadt/Liblar nicht rechtzeitig bzw. nicht ausreichend nachgegangen wurde. Wir haben schon am 16. März ohne Widerspruch seitens der SPD und der FDP in der Debatte erklärt, daß damit die demokratisch-parlamentarischen Rechte und Pflichten zur Bekämpfung des Terrorismus nicht außer Kraft gesetzt sind. Der Höcherl-Bericht stellt vieles klar, er kann uns jedoch nicht die Verantwortung und Pflicht in bezug auf die wirksame Bekämpfung des Terrorismus abnehmen.Meine Damen und Herren, wenn schon das im Innenausschuß und in der Öffentlichkeit immer wieder gezeichnete Bild einer heilen sicherheitspolitischen Welt ganz und gar nicht stimmt, wie der Höcherl-Bericht ausweist, dann ist es um so unverständlicher, warum die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien viele sachdienliche Verbesserungsvorschläge der CDU/CSU seit Jahren ablehnen. Erst in der vergangenen Woche mußten wir dies wieder erleben. Dabei handelte es sich um Vorschläge, die nicht im entferntesten so weit gingen, wie der Bundeskanzler wiederholt gehen wollte, aber der Linksradikalen wegen nicht gehen durfte, nämlich bis zu den Grenzen des Rechtsstaates. Abgelehnt hat man die Straferhöhung für schwerste, gegen Leib und Leben gerichtete Straftaten, die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung, die Verbesserung des Melderechts. Ich kann im übrigen auf die erst in der letzten Woche geführte Debatte verweisen.Wir können jedenfalls feststellen: Keiner unserer Anträge bedurfte irgendeiner Verfassungsänderung. Kein Antrag näherte sich den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit. Vielmehr diente jeder Antrag dieser Rechtsstaatlichkeit.
Nicht mit Argumenten, sondern allenfalls wiederum mit Ritualfloskeln begründete die Koalition die Ablehnung der Vorschläge der CDU/CSU. Ich hätte die herzliche Bitte, daß diese Floskeln in den anstehenden Beratungen nun nicht wieder verwendet werden; sie sind haltlos. Ich möchte mich mit ihnen kurz auseinandersetzen.So sagte man — und das hat man auch heute wieder gehört —, jede Gesetzesverschärfung würde das bringen, was die Terroristen wollten, nämlich eine Diskreditierung des Rechtsstaats, ein rechtsstaats-
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7756 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Sprangerwidriges Übermaß — so sagte ja auch sinngemäß Herr Brandt. Meine Damen und Herren, ich möchte einmal wissen, woher diejenigen, die so reden, eigentlich so genau wissen, was Terroristen wollen. Ist es nicht im Gegenteil so, daß die Terroristen auf Einschüchterung, Erpressung, chaotische Verwirrung zielen und die Lähmung der Funktionen des Gemeinwesens und seiner Organe und Institutionen betreiben, wie mir Herr Wehner sicher zustimmen würde — denn das sind seine Aussagen in der Debatte vom 29. September 1977 bei seinem vergeblichen Versuch, die Herren „Coppiks" mit rationalen Gründen auf die Kontaktsperregesetze einzustimmen —, und daß gerade der schwache Staat ihnen den Handlungsspielraum ermöglicht, den sie für ihren Terror brauchen? Mit demselben Recht müßte man dann dem Opfer eines Mordanschlages raten, sich seiner Haut nicht zu wehren, um seine eigene Ermordung wenigstens im nachhinein noch zu rechtfertigen.
Man fordert, der Terrorismus dürfe uns nicht das, Handeln vorschreiben. Als ob auf dieser Welt, meine Damen und Herren, nicht jeder Staat wie Bürger, wenn er angegriffen wird, reagieren müßte!Man behauptet — auch heute wieder —, es gebe keinen absoluten Schutz vor Terroristen. Das ist doch eine schlichte Platitüde; das weiß doch jeder.
Deswegen nichts zu tun — Herr Lambinus, wenn Sie in den zuständigen Ausschüssen gewesen wären, würden Sie dem zustimmen —, das ist die Logik dessen, der sein Haus gleich mitverbrennen läßt, wenn die Scheune in Flammen steht.
Es geht doch nicht um einen absoluten Schutz, sondern es geht um den rechtsstaatlich möglichen und notwendigen.
Man behauptet, Verschärfungen von Gesetzen seien kein Allheilmittel. Das hat niemand jemals behauptet. Hier baut man einen Pappkameraden auf und bekämpft den, statt wirksam Terroristen zu bekämpfen.
Man fordert: Wir wollen keinen Polizeistaat. Als ob das irgend jemand wollte! Nicht von der Polizei, sondern von Terroristen und dem zu zaghaften Umgang mit ihnen geht Gefahr für unseren Staat aus. Das sollten alle politisch Verantwortlichen endlich begreifen.
Man fordert: Wir wollen keine Überreaktion oder Hysterie. Auch das ist eine die gegnerische Position verzerrende Kampfformel. Wer will denn Überreaktionen und Hysterie? Es wird Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, endlich zu einer von Hinterhältigkeiten freien Sprache zurückzukehren,die der CDU/CSU nicht Motive und Ziele unterstellt, die sie nicht hatte und deretwegen man unsere Vorschläge auch nicht ablehnen kann.Immer wieder hört man den Vorwurf, die Vorschläge der CDU/CSU stünden im Widerspruch mit rechtsstaatlichen Prinzipien; man müsse sie des Rechtsstaates wegen ablehnen.
So muß man einmal fragen — diese Frage müssen wir immer wieder stellen, und wir werden sie immer wieder stellen —: Was verstehen die, die so reden, eigentlich unter Rechtsstaat? Ist es Kennzeichen eines Rechtsstaates, wenn Strafprozesse gegen Terroristen zu jahrelanger Verhöhnung des Staates umfunktioniert werden können und sich Verteidiger als Komplizen von Terroristen unüberwacht betätigen dürfen?
Ist es Kennzeichen eines Rechtsstaats, wenn die Opfer von Terroranschlägen umsonst sterben, das Leiden vieler durch Straftaten Geschädigter mißachtet wird, weil der Gesetzgeber nicht die notwendigen Konsequenzen zieht? Ist es Kennzeichen eines Rechtsstaats, wenn die Regierenden den Geiseln von Terroristen unerbittlich und hart das Opfer ihres eigenen Lebens abverlangen, die Terroristen jedoch mit Samthandschuhen behandeln?
Ist es Kennzeichen eines Rechtsstaats, wenn Mitglieder deutscher Universitäten Terror und Morde preisen und Universitätspräsidenten, 'Minister und Parteiführer diese Lobredner des Mordes fast weinerlich bitten, doch vorsichtiger zu formulieren, statt diese Herren sofort ihrer Ämter zu entheben?
Ist es Kennzeichen eines Rechtsstaats, wenn nicht der Ermordete, der diesem „verderbten kapitalistischen Ausbeutersystem" zugehört, das bemitleidenswerte Opfer des Verbrechens ist, sondern der Mörder, der als Rebell gegen dieses „repressive System" unserer Sympathie würdig und unserer Hilfe bedürftig sei? Ist es Kennzeichen eines Rechtsstaats, wenn schließlich die Sicherheitsbehörden — wie zuletzt der BGS — seit Jahren diffamiert und diskreditiert werden können, ohne daß die Bundesregierung dem entschlossen entgegentritt?Meine Damen und Herren, ist es rechtsstaatlich, wenn die überwältigende Meinung unseres Volkes über eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus und der legitime Anspruch dieses Volkes auf einen wehrhaften, funktionstüchtigen Staat in propagandistischer Diffamierung, bezogen auf eine unselige Vergangenheit, als gesundes Volksempfinden von einer radikalen, elitären Minderheit in den Regierungsparteien und von ihren pseudointellektuellen Sympathisanten für unmaßgeblich erklärt werden?
Die Mißachtung der Mehrheitsmeinung unseres Volkes zur Terroristenbekämpfung stellt eine undemokratische Unterdrückung seines Rechtsempfindens
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Sprangerdar. Ich frage mich: Woher nehmen die, die angesichts der Entwicklung des Terrorismus das Rechtsempfinden eines ganzen Volkes noch heute mißachten, die Arroganz, zu behaupten, sie wüßten alles besser?Die Linksradikalen und ihre pseudointellektuellen Sympathisanten haben den Begriff des Rechtsstaats total verzerrt. Man kann sicherlich lange darüber diskutieren, welche Verfassungsnormen und Gesetze Grundlagen für einen Rechtsstaat sind, was der Rechtsstaat gebietet, was er verbietet. Eines gehört jedenfalls substantiell zum Rechtsstaat: daß er im Rahmen der Verfassung berechtigt und verpflichtet ist, die Rechtsgemeinschaft vor Rechtsbrechern zu schützen, dem Mißbrauch der Freiheit wirksam entgegenzutreten und das Recht durchzusetzen.
Denn der Mensch ist der Mittelpunkt, ist Sinn und Zweck dieses Staates. Alles staatliche Bemühen muß darauf gerichtet sein, die Selbstverwirklichung des Menschen, Achtung und Schutz seiner Person zu gewährleisten.Wirksame Verbrechensbekämpfung dient nicht der Verherrlichung des Staates, bedeutet nicht Obrigkeitsstaat, Polizeistaat, Unrechtsstaat, sondern Schutz und Freiheit der gesetzestreuen Menschen, die den Staat konstituieren, die sich zu ihm bekennen und die zu Recht den Schutz und die Freiheit von Terrorismus verlangen.Wer den freiheitlichen Rechtsstaat will, muß ihm diejenigen Mittel zu seiner Verteidigung geben, die gegenüber der existierenden Bedrohung erforderlich sind. Auch der Rechtsstaat ist, wie der Name sagt, Staat, muß also dessen Wesensmerkmale aufweisen. Dazu gehört eine wirksame demokratisch bestimmte Staatsgewalt. Seine Unbeugsamkeit gegenüber seinen und seines Volkes Feinden stellt nicht seine Liberalität in Frage, sondern legitimiert ihn und bringt ihm das Vertrauen seiner Bürger.
Wenn der wehrhafte Rechtsstaat zu einem herrschaftsschwachen Rechtsmittelstaat denaturiert, wenn das leuchtende Wort Rechtsstaat als ideologische Phrase zur Beschönigung der Destruktion und Handlungsunfähigkeit mißbraucht wird, wird es höchste Zeit, daß der Rechtsstaat wieder auf seinen ursprünglichen Sinn zurückgeführt wird.
Die derzeitige Bundesregierung, der derzeitige Bundeskanzler und die sie tragenden politischen Kräfte werden vor dem deutschen Volk nicht aus der moralischen und politischen Verantwortung dafür entlassen werden, daß durch ihr pflichtwidriges Zurückweichen vor Ideologie und Praxis der gewalttätigen Gesellschaftsveränderung der Terrorismus schrittweise entfesselt und der Rechtsstaat seiner Aufgabe und seiner Funktion zunehmend entkleidet wurde.
Das Wort
hat der Herr Abgeordnete Pensky.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war sicherlich nicht anders zu erwarten, Herr Kollege Spranger, als daß Sie wieder einmal Ihre alte Leier hier herunterrasseln würden. Sie haben von all dem geredet, mit dem dieser Höcherl-Bericht und der Rechtsstaat — —
— Ich weiß nicht, welchen „Rechtsstaat" Sie meinen, Herr Kollege Spranger.Sie haben hier jedenfalls von Dingen geredet, die weiß Gott wenig mit dem zu tun haben, worüber wir hier heute sprechen sollten.
— Nein, Herr Kollege Spranger. Sie sind weiterhin giftig und gallig und greifen beispielsweise Personen persönlich in der gemeinsten Art und Weise an. Das tun Sie z. B. ständig mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes. Diese Kritik ist unberechtigt, und die weisen wir zurück.
Herr Kollege Spranger, ich muß mich immer wieder wundern,
daß man sich nach den Ergebnissen dieses Berichts sogar erdreistet, in die Kategorie der Schuldigen auch noch den Herrn Bundeskanzler einzureihen.
Herr Kollege Spranger, Sie haben in keiner Weise deutlich gemacht, wo seine verfassungsmäßige Zuständigkeit liegt, auf diesem Gebiete eine besondere Verantwortung zu tragen. Wir weisen diese Kritik schärfstens zurück.
Hier wird von Kompetenzwirrwarr, von Schwierigkeiten gesprochen. Aber keiner spricht davon, wer mit dazu beigetragen hat, daß es überhaupt Schwierigkeiten gibt.
Haben Sie denn das alles vergessen, was früher — —
— Herr Kohl, ich komme auf Sie, gerade auf die Vertreter Ihres Landes gleich zurück.
— Ich kann Ihnen das Protokoll vorlegen, aus dem hervorgeht, daß der Vertreter des Landes Rheinland-Pfalz — es war damals der Staatssekretär
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7758 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
PenskySchreiner, glaube ich — bei der Beratung des BKA-Gesetzes im Jahre 1973 zur Koordinierungsbefugnis des BKA ausgeführt hat — das habe ich mir einmal aufgeschrieben; das können Sie auch in der Drucksache nachlesen —:Die Möglichkeiten des BKA reichen in dieser Hinsicht vom bloßen Hinweis bis zu einer gesteigerten Bitte.Nur so wollte er beispielsweise die Koordinierungskompetenz des Bundeskriminalamtes definiert haben.
— Natürlich hat das etwas damit zu tun; denn Sie wollen dem Bundeskriminalamt eine Last zuschreiben, die zu tragen es überhaupt nicht befugt ist. Das haben Sie verhindert, während wir ganz andere Regelungen im Auge hatten.
Das muß man doch wohl sagen dürfen.Meine Damen und Herren, man müßte sich auch einmal mit den Alternativen der Opposition auseinandersetzen, von denen hier gesprochen worden ist. Das hat der Herr Kollege Eyrich schon so dahingesagt und Herr Kollege Spranger genauso. Aber keiner hat gesagt, welcher Ihrer hier vorgelegten und von uns abgelehnten Vorschläge denn geeignet gewesen wäre, diese Panne, die ja passiert ist, zu verhindern.
— Nein, ich habe sehr gut zugehört. Ich bin seit 9 Uhr hier in diesem Raum und habe sehr gut zugehört. Keiner dieser Vorschläge, die wir hier abgelehnt haben, wäre geeignet gewesen, diese Panne zu verhindern.
Ich will mich deshalb auch einmal ein wenig mit den sogenannten Alternativen der Opposition auseinandersetzen. Diese Alternativen sehen Sie, Herr Kollege Spranger, offenbar in Ihren Anträgen auf den Drucksachen 8/1771 und 8/1046. Ich glaube, wer sich diese Anträge vom Inhalt her ansieht, wird feststellen, wie in sich widersprüchlich sie sind und daß sie uns so überhaupt nicht weiterhelfen.
— Ich komme ja darauf zurück, Herr Kollege Spranger. Sie greifen auch nur Teilaspekte notwendiger oder vermeintlicher Verbesserungen der Arbeit der Sicherheitsbehörden auf. Sie ignorieren das, was bisher schon erfolgreich geregelt ist, ebenso wie das, was sich an Neuregelungen in Vorbereitung befindet. Herr Kollege Spranger, ich komme Ihnen entgegen.
Ich sage sogar: Mir liegt es fern, Ihnen den ernsthaften Willen zu bestreiten, an einer Verbesserung der inneren Sicherheit mitzuwirken.
Ich sage das, damit wir uns richtig verstehen. Ich spreche Ihnen diesen ernsthaften Willen gar nicht ab. Dennoch kann ich mich angesichts mancher Ihrer Vorlagen und Debattenbeiträge — auch vom heutigen Tage — des Eindrucks nicht erwehren, daß Ihnen mehr noch daran gelegen ist, in diesem sensiblen Bereich der inneren Sicherheit Wirbel und Spektakel zu veranstalten, der der Sache selbst überhaupt nicht dienlich ist.
In diese Kategorie „Wirbel und Spektakel veranstalten" fällt z. B. auch Ihre heute wiederholte Polemik um die Verlegung der Abteilung Terrorismus des BKA von Bonn-Bad Godesberg nach Wiesbaden. Weder in den verschiedenen Diskussionen im Innenausschuß noch in den zahlreichen polemischen Presseverlautbarungen, in denen Sie, Herr Kollege Spranger, sich ja besonders hervorgetan haben, und auch heute nicht ist jemals die sachliche Notwendigkeit dieser Maßnahme bestritten worden. Niemals ist sie bestritten worden. Auch heute haben Sie sie nicht bestritten. Es ging Ihnen ja doch auch gar nicht darum, eine als notwendig erkannte Maßnahme zu fördern und zu unterstützen. Nein, es ging Ihnen einzig und allein bisher immer darum, die Welle des Unmutes, die bei einem Teil der Bediensteten aufgekommen war — ich füge hinzu: sogar aus verständlichen Gründen aufgekommen war —, zu nutzen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Ich kann Ihnen aus eigener Berufserfahrung sagen — ich war früher, wie Sie wissen, selbst einmal Kriminalbeamter, der von ähnlichen Situationen auch betroffen war —, daß es immer ärgerlich ist, wenn — ob dienstlich notwendig oder nicht— eine Dienststelle aufgelöst oder verlegt werden muß und der eine oder andere Beamte einen ihm liebgewordenen Arbeitsplatz wechseln muß. Wenn aber die dienstliche Notwendigkeit dies — wie in diesem Fall — zwingend gebietet, müßte man, Herr Kollege Spranger, von den politisch Verantwortlichen zumindest erwarten dürfen, daß sie solche Maßnahmen unterstützen und sich äußerstenfalls dafür einsetzen, daß soziale Härten vermieden werden. So haben jedenfalls wir Sozialdemokraten, wir Innenpolitiker der sozialdemokratischen Fraktion gemeinsam mit unseren Freunden von der FDP die Dinge gesehen und haben auch erreicht, daß Erschwernisse so gut wie möglich verhindert oder gemindert werden. Wir sind jedenfalls dem Innenminister dankbar
— dem alten und dem neuen —, daß er zugesichert hat, daß kein Beamter, der nicht freiwillig einen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7759
PenskyWechsel des Dienstortes in Kauf nehmen will, hierzu gezwungen wird.
Der Personalbedarf der in Bad Godesberg verbleibenden Dienststellen bietet ohnehin die Möglichkeit zur Verwendung dieser Beamten.Meine Damen und Herren, ist es bei dieser Kritik nicht erstaunlich, daß andere, nämlich die, die dazu berufen sind, einsichtiger waren — das muß hier besonders gewürdigt werden —, nämlich die zuständigen Personalräte, die gewählt sind und für solche Dinge eine Zuständigkeit besitzen? Sowohl der örtliche Personalrat als auch der Hauptpersonalrat haben der Verlegung der Abteilung TE zugestimmt.
Alles andere, was hier behauptet wird, ist unzutreffend.
Herr Kollege Spranger, bei Ihrem politischen Nebelschießen sind die Schüsse inzwischen wohl auch nach hinten losgegangen.
Auch dies ist z. B. im „Wiesbadener Kurier" vom 10. Mai 1938 nachzulesen, nämlich mit der Überschrift „CDU-Arbeitskreis BKA korrigiert CSU; Darstellung Sprangers in wesentlichen Teilen unzutreffend".
Es heißt in diesem Artikel, der Arbeitskreis sei seit Jahren bemüht, eine Konsolidierung der Verhältnisse im Bundeskriminalamt zu fördern. Dazu gehöre nach seiner oft und offen bekundeten Auffassung auch die Ansiedlung der Abteilung TE in Wiesbaden.Eine polemische Behandlung der Probleme, so heißt es in der Erklärung des CDU-Arbeitskreises abschließend, kann den Interessen der Bediensteten und der Funktion dieses Amtes nicht dienen.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Herr
Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spranger?
Aber selbstverständlich.
Herr Pensky, da Sie hoffentlich für Wahrheit und Klarheit eintreten: Sind Sie bereit, auch die Stellungnahmen der hiesigen Gewerkschaftsvertretung zu diesem Problem und auch die Stellungnahmen des Personalrats von hier zu verlesen, die sich nämlich in meinem Sinne und im Gegensatz zu einigen Personalräten, die das Heft in die Hand genommen haben, vor dem CDU-Arbeitskreis geäußert haben?
Herr Kollege Spranger, ich habe Ihnen gesagt, daß ich sogar Verständnis für die Beamten habe, die hier in Bad Godesberg tätig sind.
— Nein, das ist die Auffassung eines Gewerkschafters, der immer bestrebt war, gegen unsoziale Eingriffe und Härten ganz energisch tätig zu werden. Herr Kollege Spranger, hier kommt es doch darauf an, welche Stelle zuständig ist, und das ist der Hauptpersonalrat; nur der kann darüber befinden. Daß einige Kollegen des BKA, die in Bad Godesberg sitzen, Unmut darüber äußern, ist völlig verständlich. Aber das ist doch nicht die Problematik. Irgendwo muß doch die Entscheidungsebene sein. Die Entscheidungsebene ist der Hauptpersonalrat, der dafür gewählt ist und auch entsprechende Befugnisse hat.
Noch einige Anmerkungen zu den von Ihnen vorgelegten Anträgen, die Sie als Alternativen bezeichnet haben. Wieso, frage ich, greifen Sie z. B. mit dem Antrag auf Drucksache 8/1771 nur einige Punkte heraus, die sich auf eine Änderung des BKA-Gesetzes beziehen? Ist das etwa Ihr Gesamtkonzept? Das wäre wohl etwas dürftig. Deshalb wundert es mich, daß Sie sich heute in dem Sinne äußern, als fühlten Sie sich in Ihrer Konzeption durch den Höcherl-Bericht bestätigt.
Sie wissen doch genauso gut wie wir — —
— Besserwisser sind Sie immer; das weiß ich ja.
Sie wissen doch genauso gut wie wir, inwieweit eine Änderung des BKA-Gesetzes beabsichtigt ist. Die Papiere, die auch Ihnen dazu ausgehändigt worden sind, sind ja auch in Expertenkreisen aller Bundestagsfraktionen, also auch der Opposition, mit dem damaligen Innenminister bereits zweimal erörtert worden. Hierzu hat es zumindest Tendenzbeschlüsse oder Tendenzen in der Meinung gegeben, die festgehalten worden sind.Sie wissen auch, daß nach einer Abstimmung des Referentenentwurfs mit den Ländern, die wohl auch für sie eine notwendige Maßnahme ist, die Innenministerkonferenz am 28. April dieses Jahres eingehend hierüber beraten hat.Ihnen ist ebenfalls bekannt — das ist Ihnen ja gesagt worden —, daß die endgültige Fassung des Gesetzentwurfs auch die Ergebnisse des HöcherlBerichts berücksichtigen sollte. Es ist wohl auch vernünftig, daß das so geschieht. Das ist deshalb auch nicht zu kritisieren.Wir sind also bereit — wir sehen viel Deckungsgleichheit zwischen den Vorschlägen, die auf dem Tisch gelegen haben und noch liegen, und dem, was
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7760 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
PenskyHerr Höcherl anregt —, darüber eingehend zu beraten.Dennoch lassen Sie mich auch noch einige Anmerkungen zu anderen Vorschlägen in der Drucksache machen. Was soll eigentlich Ihr ebenso verwaschener wie widersprüchlicher Vorschlag bezüglich der Ermittlungszuständigkeiten? Zunächst stellen Sie fest, daß sich die Ermittlungszuständigkeiten alles in allem bewährt haben — so schreiben Sie ja —, und sagen im gleichen Atemzug, mittelfristig sei ein Abbau dieser Zuständigkeiten anzustreben.Daneben gibt es auch noch ein CDU/CSU-Papier, das sich großspurig „Offensivkonzept zur Bekämpfung des anarchistischen Terrorismus und seiner Grundlage" nennt. Hierin wird wiederum festgestellt: „Das geltende BKA-Gesetz ist eine taugliche Grundlage für die Wahrnehmung der dem Bundeskriminalamt obliegenden Aufgaben. Seine Möglichkeiten sind auszuschöpfen."Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie wissen offenbar nicht mehr, was Sie in dieser Beziehung in Ihrem zur Schau getragenen Aktivismus alles produziert haben. Ich kann nur sagen: kurios, wirklich kurios.Wir sind der Meinung — ich unterstreiche das —, daß wir klarere Zuständigkeiten brauchen.
— Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, für die hier zu reden ich die Ehre habe.
Ich sage noch einmal: Wir brauchen eine klarere Zuständigkeitsregelung. Ich sage auch deutlich: Diese Gedanken gehen nicht etwa in die Richtung nach mehr Alleinzuständigkeit für das Bundeskriminalamt, sondern sie müssen auf eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zielen. Das müssen wir eben besser umschreiben, das müssen wir besser festschreiben. Das können wir beispielsweise nicht in die Worte kleiden, daß diese Möglichkeiten vorn bloßen Hinweis bis zu einer gesteigerten Form der Bitte reichen. Nein, hier brauchen wir klarere Regelungen, die dann die Voraussetzungen dafür bieten, daß man auf der Grundlage dieser klaren Regelungen auch Übungen durchführen kann. Nur mußte das Bundeskriminalamt, wenn es solche Übungen veranstalten wollte, ja wissen, von welcher Grundlage es denn ausgehen durfte.Meine Damen und Herren, es ist zwar sehr rühmlich, daß sich die Innenministerkonferenz von Fall zu Fall ad hoc bemüht hat, zu einer Einigung zu kommen und das im Wege einer gemeinsamen Regelung festzuschreiben. Ich meine, dann sollte man sich auch dazu durchringen, hier ganz klare gesetzliche Regelungen zu schaffen, die auch eine sichere Grundlage sind.Nun zu dem, was Sie zu den Auswertungstätigkeiten sagen. Lesen Sie sich das noch einmal durch! Das ist nicht nur völlig unausgegoren, sondern es geht ganz und gar an der neu eingeleiteten und vernünftigen Konzeption vorbei, die erst durch die moderne elektronische Datenverarbeitung ermöglicht worden ist, für die die Bundesregierung ganz erhebliche Aufwendungen gemacht hat. Ziel dieser Konzeption ist es eben nicht, wie Sie meinen, möglichst viel Papier nach einem bereits 1923 eingeführten polizeilichen Meldesystem nach Wiesbaden zu schaffen, um es dort personalaufwendig auswerten zu lassen, und zwar von einem qualifizierten Personal, das wir dringend für operative Aufgaben benötigen. Nein, das angestrebte Ziel ist völlig richtig, nämlich so schnell wie möglich alle nützlichen Informationen für die polizeiliche Front nutzbar zu machen. Das geht nur, wenn wir den Papierkrieg abbauen; das geht nur, wenn wir uns bei der Informationserfassung auch darauf besinnen, daß diese schon auf Länderebene in die elektronische Datenverarbeitung eingegeben werden kann. Nur das ist vernünftig. Aber Ihr Vorschlag läuft genau in die entgegengesetzte Richtung.Was Sie zum Personenschutz sagen — Sie haben es ja soeben wiederum angesprochen —, der auch nach unserer Meinung grundsätzlich in der Zuständigkeit des BKA verbleiben sollte, ist völlig unverständlich. Dieser Auffassung — Herr Kollege Spranger, Sie fühlten sich ja immer durch Herrn Höcherl bestätigt — ist wohl auch Herr Höcherl, wie sein Bericht ausweist.Da beschließen Sie von der Opposition — wenn damals auch zögernd — gemeinsam mit uns eine Neukonzeption des Bundesgrenzschutzes, die klar darauf ausgerichtet ist, den BGS unmißverständlich polizeilich auszugestalten, um ihn zu befähigen, zusätzliche Polizeiaufgaben im Innern des Landes wahrzunehmen. Nun wollen Sie verhindern, daß der Bundesgrenzschutz für solche polizeitypischen Verstärkungsaufgaben wie auch für den Personenschutz herangezogen wird, das alles mit dem Argument, daß dies nicht mit dem Charakter der Verbandspolizei zu vereinbaren sei.Wir Sozialdemokraten unterstützen ausdrücklich das, was hierzu die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1748 erwidert hat, nämlich daß solche zum Teil einzelpolizeilichen Einsätze mit dem Verbandscharakter des BGS durchaus vereinbar, aber derzeit auch unverzichtbar sind. Und wer wollte es auch verantworten, meine Damen und Herren, daß ausgebildete Polizeibeamte in Unterkünften zurückgehalten werden, während dringende Schutz- und Sicherungsaufgaben zugunsten gefährdeter Bürger und Einrichtungen polizeiliche Einsätze zwingend erfordern? Eine Ungereimtheit nach der anderen, über die sicher im Innenausschuß noch einiges mehr zu sagen sein wird. Wir werden ja Gelegenheit haben, diesen Antrag im Zusammenhang mit dem HöcherlBericht zu erörtern.Daneben beklagen Sie sich darüber, daß wir beispielsweise Ihren Antrag auf Drucksache 8/1046, den Sie überschrieben haben „Maßnahmen zur Erhöhung der inneren Sicherheit", für erledigt erklärt haben. Wissen Sie denn nicht, daß dieser Antrag — er trägt im übrigen das Datum, an dem Harms
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PenskyMartin Schleyer ermordet aufgefunden worden war — von vornherein ins Leere geht? Soweit sich Ihr Antrag auf die Öffentlichkeitsfahndung bezieht, wußte doch jeder, daß bewußt davon Abstand genommen worden ist, solange noch keine Klarheit über das Schicksal von Hanns Martin Schleyer bestand; denn dies muß noch einmal in Erinnerung gerufen werden: Es war ja eine der Forderungen der Terroristen, die polizeiliche Fahndung zu unterlassen, die mit der Drohung verbunden war, daß der Entführte ansonsten liquidiert werde. Hierüber waren zumindest die Innenausschußmitglieder, auch die der Opposition, durch die zahlreichen Berichte des Bundesministers des Innern und des Chefs des Bundeskriminalamtes im Innenausschuß unterrichtet. Die Unterrichtung umfaßte auch, daß alle Maßnahmen zur Öffentlichkeitsfahndung vorbereitet waren, die dann ja auch am 19. Oktober 1977 auf Knopfdruck ausgelöst worden sind. Man kann hier wohl nicht den Vorwurf gegen die Bundesregierung erheben, in dieser Hinsicht etwas unterlassen zu haben. Schließlich sind 3 Millionen Flugblätter, 6,5 Millionen Fahndungsplakate, zahlreiche ganzseitige Zeitungsanzeigen mit einer Gesamtauflage von 25 Millionen Stück verbreitet worden. Überdies lief eine ganze Reihe von Fahndungsfilmen zu günstigen Sendezeiten in den Programmen des ZDF und der ARD. Diese Maßnahmen zielten darauf ab, alle Bürger um sachdienliche Mithilfe zu bitten. Sie waren verbunden mit einem Gesamtauslobungsbetrag von 2,8 Millionen DM.
Wir sind den zahlreichen Bürgern dankbar für die vielen nützlichen Hinweise, denn wir wissen, daß die Polizei nur mit der Unterstützung der Bürger erfolgreich tätig sein kann. Deshalb bitten wir auch unsere Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande weiterhin um diese Mithilfe.Ihre Aufforderung in den Antragsziffern 2 und 3, die sich auf die Ausbildung und Ausrüstung der Polizei sowie auf die Einrichtung eines Kontaktbeamten beziehen, ist doch wohl von vornherein an die falsche Adresse gerichtet. Mich wundert es, daß gerade die Opposition von der Bundesregierung fordert, sich gegenüber den Ländern als Vormund aufzuspielen, obwohl doch die Opposition sonst immer so sensibel darüber wacht, daß die Polizeihoheit der Länder nicht angetastet wird. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition nur empfehlen — natürlich bin ich auch bereit, das den Kollegen meiner Fraktion zu empfehlen —, bei Ihren Landesregierungen in Erinnerung zu rufen, daß es schließlich ein Programm für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland gibt, das die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder im Jahre 1974 beschlossen hat. Dieses Programm enthält nämlich Absprachen über die Ausbildung, Ausrüstung und ständige Fortbildung der Polizeibeamten. Es enthält auch Hinweise über die Organisation, beispielsweise den sehr sinnvollen Satz: „Zu einer wirkungsvollen Zusammenarbeit der Polizei ist eine in den Grundzügen einheitliche Organisation notwendig." Alles das, was im Sicherheitsprogramm über andere Notwendigkeiten geschrieben steht, hat nur dann einen Sinn, wenn es in den Ländern entsprechend umgesetzt wird. Auch daran müssen wir denken. Wir müssen auch daran erinnern, daß insoweit in dem einen oder dem anderen Land sicher manches noch nachzuholen ist.Die durch das Grundgesetz festgeschriebene geteilte Zuständigkeit auf dem Gebiet der inneren Sicherheit erfordert auch, daß jeder in seinem Bereich im Rahmen des gemeinsam erarbeiteten Programms eigenverantwortlich das tut, was notwendig ist. Es gibt gute Gründe für die geteilte Zuständigkeit, die wir im Prinzip überhaupt nie in Frage gestellt haben und nicht in Frage stellen. Deshalb weiß ich nicht, was das Gemunkel und Gerede vom FBI soll.
Ich weiß nicht, wer Sie veranlaßt, so etwas immer wieder aufs Tapet zu bringen.
Gerade deshalb können wir nicht zulassen, daß immer dann, wenn die Opposition aus durchsichtigen Gründen dies tun zu sollen glaubt, dem Bund Verantwortungen zugeschrieben werden, die zu tragen er gar nicht befugt ist.Die Aufforderung an die Bundesregierung unter Ziffer 4 Ihres Antrags, das Konzept zur Fortentwicklung der polizeilichen Datenverarbeitung vorzulegen, ist, wie Sie wissen, ebenfalls überholt. Auch die Opposition weiß, daß an diesem Konzept lange gearbeitet wurde. Auch die Opposition weiß, daß dieses Konzept längst der Innenministerkonferenz vorgelegt worden ist und daß sich dieser Komplex zur Zeit in der notwendigen Abstimmung mit den Ländern befindet. Uns freut es jedenfalls, daß auch Herr Höcherl in seinem Bericht dieses Konzept lobt und . es als eine brauchbare Lösungsgrundlage bezeichnet. Wir begrüßen es auch, daß die Bundesregierung die notwendigen zusätzlichen Mittel für die Verwirklichung dieser neuen Konzeption in einer Höhe von immerhin 55,3 Millionen DM in den Jahren 1979 bis 1982 bereitgestellt hat. Die Länder werden durch diese notwendige Maßnahme also nicht belastet.Wir sind zuversichtlich, daß in Kooperation zwischen Bund und Ländern kurzfristig eine Einigung zustande kommt, da mit diesem verbesserten Kommunikationssystem eine ganz wesentliche Schwachstelle in der polizeilichen Zusammenarbeit ein für allemal ausgemerzt wird.Das wird ein ganz erheblicher Fortschritt sein. Wir wissen auch, daß damit noch nicht alles, was notwendigerweise geschehen muß, getan ist. Ich unterstreiche gern zwei Sätze, die der damalige Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder in der Vorlage des überarbeiteten Programms für die innere Sicherheit geschrieben hat. Es war im übrigen der damalige rheinland-pfälzische Innenminister und jetzige Bundestagskollege Heinz Schwarz. Ich unterstreiche, was er schrieb:
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7762 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
PenskySicherheitsprobleme sind keine statischen, einfür allemal festgeschriebenen Größen. Bei der inneren Sicherheit ergeben sich ständig Schwerpunktverlagerungen und neue Probleme.Die sich ständig wandelnden Sicherheitsprobleme können aber nicht, wie die Opposition in diesem Haus immer wieder versucht, durch Polemiken und Beschimpfungen, die zudem meist an die falsche Adressé gerichtet sind, gelöst werden. Sie können nur durch ständige zähe gemeinsame Arbeit gelöst werden.Wir alle sind zu dieser gemeinsamen Verantwortung aufgerufen. Wir alle müssen uns vielleicht noch mehr als bisher zur Kooperation Bereitfinden. Wir Sozialdemokraten haben dazu einen klaren Standpunkt. Wir haben ihn unter anderem noch einmal in einer Entschließung unseres letzten Bundesparteitags in Hamburg verdeutlicht. Nur diesen Satz möchte ich zitieren:Unser Volk erwartet auf diesem Feld nicht den Sieg der Koalition über die Opposition oder den Sieg der Opposition über die Koalition, sondern den Sieg des demokratischen Rechtsstaats über den Terrorismus.
Dazu stehen wir. Entsprechend werden wir uns bei den Beratungen unter Zugrundelegung auch des Höcherl-Berichts verhalten.
Das Wort
hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Spranger, Sie haben hier zu einem sehr gewaltigen personalpolitischen Rundumschlag ausgeholt; ich möchte dazu einige Anmerkungen machen.Herr Kollege Spranger, ich meine, es hätte auch der Opposition gut angestanden, einem Innenminister, der vier Jahre hier unter stärkster persönlicher Belastung Verantwortung getragen und Leistungen erbracht hat, die ja auch von Ihrer Seite in den Debatten über die innere Sicherheit mehrfach bestätigt worden sind, auch ein Wort des Dankes zu sagen.
Ich meine, daß dies zumindest zu einer gewissen formalen Gemeinsamkeit dieses Hauses gehören sollte. Dann, wenn wir hier viel von Gemeinsamkeit reden und sie von diesem. Pult aus immer wieder beschwören, sollte sie wenigstens in solchen Positionen auch in einer umgeschriebenen, formalen Weise vielleicht doch vorhanden sein können.Ich darf jedenfalls für meine Fraktion, für die Fraktion der Freien Demokraten, Werner Maihofer unseren Dank aussprechen, unseren Dank für die geleistete vierjährige Arbeit, unseren Dank dafür, daßer diese persönliche Belastung unter schwierigsten Umständen getragen hat,
unseren Dank auch dafür, daß er in persönlicher Entscheidung politische Verantwortung auf sich genommen hat.
Wir Liberalen werden den Innenminister Baum unterstützen und ihm jede Hilfe geben,
die wir bei der Bekämpfung des Terrorismus und bei der Durchsetzung dieser Positionen brauchen, Hilfe, die dieses Amt und Gerhart Baum in intensiver Art und in einem besonderen Maße erwartet.Lassen Sie mich nun auf die letzte Position Ihres Rundumschlages kommen, die Sie, Herr Kollege Spranger, ja durch keinerlei Fakten untermauert haben. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Erklärung des Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalens, Hans Koch, zu Burkhard Hirsch zitieren:Aus allen diesen Feststellungen des Berichts von Hermann Höcherl ergibt sich zweifelsfrei, daß trotz des unglücklichen Endes der Entführung Hanns Martin Schleyers der nordrhein-westfälische Innenminister vorwerfbare Fehler in seinem Zuständigkeitsbereich nicht zu verantworten hat.
: Na und? Was bedeutet das? — Weiterer Zuruf von der CDU/
CSU: Der Mann ist doch keine Autorität!)Meine Damen und Herren, das Problem, mit dem wir uns hier zu beschäftigen haben und mit dem wir uns wiederholt in diesem Plenum beschäftigt haben, ist auch ein Problem der praktischen, der tatsächlichen Organisation. Dieses Problem ist — Sie werden gleich feststellen, warum ich darauf eingehe — nicht sehr neu. Es ist hier im Bundestag nicht neu, es ist aber auch im Deutschen Reichstag nicht sehr neu gewesen. Bisher hat niemand den Stein der Weisen in der Frage gefunden, ob nun große zentrale Einheiten mit einer durchgängigen Zuständigkeit oder kleine flexible Einheiten mit entsprechenden föderalistischen Komponenten gebildet werden sollten. Die Probleme der Nahtstellen, die Hermann Höcherl in seinem Bericht aufzeigt und die ja, wie er in einer Position anmerkt, auch im zentralen Bereich vorhanden sind, haben bereits bei der Beratung in der 253. Sitzung des Deutschen Reichstages am 17. Juli 1922, nämlich bei der Beratung des Gesetzes über die Errichtung eines Reichspolizeiamtes und von Landeskriminalpolizeibehörden, eine wichtige Rolle gespielt. Ich möchte mir hier nicht anmaßen, den Kollegen einen Rat zu geben, darf aber vielleicht all denjenigen, die sich mit diesem Problem beschäftigen, einmal empfehlen, diese Debatte in den Protokollen nachzulesen. Sie hat leider eine fatale Ähnlichkeit mit unserem Problem und zeigt auf, daß Probleme, die von den beteiligten Behörden
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Wolfgramm
und Politikern im Jahre 1912 bereits als solche erkannt waren, auch im Jahre 1922 noch nicht gelöst waren.
— Herr Kollege Kohl, ich werde mir erlauben, trotz Ihres Einwandes nachher auch einen Deutschen Demokraten zu zitieren. Denn diese Debatte ist damals, Herr Kollege Kohl, durch die Ermordung von Walther Rathenau ausgelöst worden. Insofern gibt es eine sehr traurige und tragische Parallele zu der heutigen Debatte im Zusammenhang mit der Ermordung von Martin Schleyer.Herr Kollege Spranger, wenn Sie sich der Mühe unterziehen, diese Protokolle zu lesen, dann werden Sie sehen, daß es auch damals keine optimale Lösung gab. Auch danach hat es keine optimale Lösung dafür gegeben, wie sich hier Zuständigkeiten in jedem Fall, bei jeder Belastung und bei jeder Problematik zur Abwehr von Terrorismus klar und eindeutig für jede Position abgrenzen ließen. Es hat auch damals schon die Problematik gegeben, daß die Länder Schwierigkeiten sahen, auf einem ihrer wesentlichsten Hoheitsgebiete, der Polizeihoheit, Zuständigkeiten abzugeben oder zu koordinieren.Ich darf jetzt mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was der Abgeordnete Koch der Deutschen Demokraten aus Niedersachsen in dieser Debatte gesagt hat:Ich bedaure, wenn hier das alte Erbübel der Deutschen wieder einsetzt, sich bei jeder Gelegenheit über die Zuständigkeit zu zanken, ein Erbübel, das unserer tausendjährigen Geschichte anhaftet, das die Eifersucht zwischen Ländern und Fürsten durch tausend Jahre mit sich gebracht hat und das heute bei der deutschen Bürokratie des Reiches und der verschiedenen Länder noch in derselben Güte steht wie früher. Wenn ein Mangel erkannt ist, wie es hier der Fall ist, dann kann man nicht fragen: was verliere ich an Zuständigkeit?, sondern man kann nur sagen: wie komme ich diesem Mangel am besten bei?Nach meiner Meinung ist der Bericht des früheren Kollegen Höcherl ein abgewogener. Bericht. Er ist auch in der sprachlichen Formulierung — wenn ich das hier einmal anmerken darf — sehr erfreulich zu lesen. Es sollte uns alle gemeinsam engagieren, wie wir hier in der Zukunft verfahren können, in einer Zukunft, von der ich meine, daß wir in diesem Hause möglicherweise doch hin und wieder noch über die Abwehr terroristischer Gefahren reden müssen und bei der wir uns sicher nicht darauf beschränken können, hier und da zu rufen, daß der eine recht und der andere unrecht hat.Ich will jetzt nicht im einzelnen auf die tatsächlichen Vorschläge des Teiles II des Berichts eingehen; das haben meine Vorredner Dr. Wendig und Pensky sehr ausführlich getan. Ich möchte hier anmerken: Das Problem, die Zuständigkeiten für den politischen und den Polizeibereich klar abzugrenzen, wird auch in Zukunft nicht zu lösen sein. Wir werden den politischen Bereich bei Krisensituationen und deren Bewältigung brauchen, bei denen auch bisher die Spitzen der Opposition mitgewirkt und Verantwortung getragen haben. Wir werden hier also polizeiliche und politische Positionen sicher nicht absolut klar abgrenzen können. Wir werden da von Fall zu Fall entscheiden müssen.Aber neben der Effizienz dieser Bereiche muß das Vertrauen in die Polizei und ihre Mitglieder gestärkt werden. Ich meine, die Darlegungen des Kollegen Spranger haben nicht dazu beigetragen, der Polizei das Gefühl zu vermitteln, daß sie trotz allem und trotz des einen oder anderen Mißerfolgs hier das Äußerstmögliche gegeben hat. Ich kann mich nur dem Bericht von Herrn Höcherl anschließen und den Dank an die Polizeien mit seinem Zitat unterstreichen: Aus überzeugender Motivation über die Pflicht hinaus haben beide Polizeien ihr Bestes gegeben. Wenn wir erfolgreiche Bekämpfung vor Ort erwarten, so wird diese Erwartung nur erfüllt, wenn das Vertrauen in die Polizei gestärkt wird.Herr Kollege Spranger, Sie haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, wieweit der Rechtsstaat Überreaktion betreibt. Ich meine, es geht dabei auch noch um mehr. Nach liberaler Ansicht geht es darum, auch in diesem Bereich das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen Parteien zu stärken, Herr Kollege Spranger, und immer wieder den schmalen Grat zwischen rechtsstaatlicher Abwehr durch legislative Aktionen oder Reaktionen und polizeilichen Handlungen gegenüber Terroristen deutlich zu markieren sowie einer aus verständlichen Gründen immer wieder drohenden Überschreitung und auch Überreaktion klar und eindeutig zu begegnen.
— Herr Kollege Spranger, Sie haben darüber sehr lange Ausführungen gemacht, und ich erlaube mir, darauf einzugehen.Ich sage Ihnen: Wir werden in dieser Position mit Sicherheit weder Ihre Vorschläge der mündlichen Verteidigerüberwachung noch des Kronzeugen in Erwägung ziehen können, weil sie für uns eben eine Überreaktion darstellen und weil sie sich eben nicht mehr auf dem schmalen Grat der Position bewegen, den wir im Hinblick auf eine entsprechende Aktion des Staates für notwendig halten. Wenn ich lese, Herr Kollege Spranger, daß für Ihren CSU-Parteitag Anträge vorliegen, die Todesstrafe wieder einzuführen, kann ich Ihnen nur sagen: Würde diese Forderung von der CSU übernommen werden, würden Sie auf unseren erbittertsten Widerstand stoßen, egal wie weit Sie das Rechtsempfinden des Volkes zugrunde legen und interpretieren, um eine solche Position zu rechtfertigen.
Überhaupt meine ich, daß der Vergleich zwischen Schober und Hof in diesem Zusammenhang nicht
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7764 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Wolfgramm
sehr glücklich ist. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Eyrich, ist auch Ihr Wort, Machterhaltung um jeden Preis zu demonstrieren, in der Diskussion um das Vertrauen des Bürgers — ich will es sehr freundlich formulieren — sicher nicht sehr hilfreich gewesen; denn dieses Vertrauen des Bürgers brauchen wir alle, Herr Kollege Eyrich, damit es uns nicht so geht, wie es in Italien der Fall ist, wo sich die Terroristen immerhin in einem sehr viel breiteren Sympathisantenfeld bewegen und wo sie in weiten Bereichen nicht nur der Bevölkerung auf Unterstützung hoffen können, sondern leider auch des Staates selber. Wir sollten uns davor hüten, aus polemischen oder parteitaktischen Gründen Munition für weiteren Vertrauensschwund zu liefern.Die Freien Demokraten nehmen den Bericht des ehemaligen Kollegen Höcherl sehr ernst und werden alles daransetzen, seine Erkenntnisse umzusetzen. Die Kollegen Dr. Wendig und Pensky haben dazu bereits eingehende Ausführungen gemacht. Ich meine aber, auch danach wird ein hohes Maß an Bereitschaft zwischen Bundes- und Länderorganisationen der Polizei vorhanden sein müssen, bei nicht vorhersehbaren Entwicklungen in gemeinsamer Kooperation zu handeln. Der Hinweis auf die Reichstagsdebatte vom Jahr 1922 hat gezeigt, daß das Problem der Abgrenzung der Zuständigkeiten und der Verantwortung im polizeilichen Bereich — Bund, Reich, Länder, wenn Sie so wollen — nicht neu ist. Auch die heutige Debatte und alle Bereitschaft unsererseits werden dieses Problem nicht lösen. Wir bleiben nach wie vor auf die Gemeinsamkeit und Motivation aller Beteiligten angewiesen: der Polizei, der Politiker und auch der Bürger. Diese Gemeinsamkeit sollten wir anerkennen.
Meine
Damen und Herren, das Wort hat der Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige wenige Bemerkungen zu den Vorwürfen, die hier an die Adresse der Regierung und der Koalition gemacht worden sind.Herr Kollege Eyrich, ich bedaure, daß Sie sich nicht an die nüchterne Darstellung und Betrachtungsweise gehalten haben, die den Bericht von Herrn Höcherl kennzeichnen. Denn ich bin der Meinung, daß uns nur eine solch nüchterne Betrachtungsweise weiterhilft. Ich gestehe Ihnen zu, Herr Eyrich, daß es Ihr gutes Recht als Opposition ist, zu kritisieren und auch nach Verantwortlichkeiten zu suchen.
Das ist überhaupt keine Frage.
— Das kann man doch sagen, auch wenn es selbstverständlich ist. Aber ich möchte hinzufügen, meineDamen und Herren von der Opposition — ich sage es jetzt, ich habe es vorhin nicht gesagt —, daß die Untersuchung von Hermann Höcherl für personelle Schuldvorwürfe wenig hergibt. Das ist so.
— Herr Kohl, ich habe von der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern gesprochen, undich habe genau gewußt, was ich damit gesagt habe.Herr Eyrich, Sie haben einige Tatbestände aufgeführt, etwa die Funktion der Zentralen Einsatzleitung, die Funktion des Koordinierungsstabes. Ich will darauf jetzt im einzelnen nicht eingehen. Aber mit den Feststellungen, die Sie hier getroffen haben, die die Ursachenkette — Fehler, Pannen — betreffen sollten, stehen Sie im Widerspruch zu Hermann Höcherl.
Überhaupt hat die Opposition bei der Diskussion in den letzten Wochen und Monaten Ursachen nach vorne gezogen, die im Bericht von Hermann Höcherl jedenfalls nicht als Ursachen erkannt worden sind.Es ist auch nicht so, Herr Eyrich, daß man nichts unternommen hätte, weil man nicht das rechte Maß zwischen Sicherheit und Freiheit gefunden hätte. Ich möchte diesen Vorwurf zurückweisen.
Denn es bestand in einer ganz wichtigen Phase die ernst zu nehmende Drohung der Gewalttäter, bei bestimmten Fahndungsmaßnahmen Hanns Martin Schleyer zu töten.Ich möchte noch eine weitere Bemerkung zum Bund-Länder-Verhältnis machen. Die Mechanismen des Umgangs zwischen Bund und Ländern und der gemeinsamen Organisation beruhen auf gemeinsamer Abstimmung. Ich habe das schon gesagt. Das gilt auch für die Fälle, in denen nur ein weiteres Bundesland betroffen ist — hier Nordrhein-Westfalen. Die Mechanismen, die dem Miteinander zugrunde liegen, betreffen alle Länder, sind von allen Ländern besprochen und in der Innenministerkonferenz festgelegt worden. In dieser Innenministerkonferenz aber, Herr Eyrich, sitzen sechs Innenminister der CDU/CSU, die sich aus der Verantwortung nicht herausstehlen können.
Ich kritisiere die Innenminister nicht. Ich stimme dem zu, was Sie gesagt haben. Sie haben eine Feststellung von Herrn Maihofer — ich möchte das bestätigen — zitiert, Herr Eyrich. Damit haben Sie aber auch die Verantwortung aller bestätigt. Sie können nicht so tun, als seinen hier nur einige wenige, die ins politische Konzept passen, verantwortlich.Ich möchte noch einmal nachdrücklich sagen, ohne die Tätigkeit der ausländischen Sicherheitsstellen zu schmälern: Die Fahndungserfolge im Ausland wären ohne unsere Mitwirkung nicht möglich gewesen.
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Bundesminister BaumDas müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen. In den Zielfahndungsgruppen aber ist nicht nur das Bundeskriminalamt tätig, sondern sind die Länder ebenso tätig wie der Bund.
Ich habe mit großem Erstaunen Ihr Wort gehört, Herr Eyrich — ich weiß nicht, ob Sie sich das so genau überlegt haben —, daß die politisch Verantwortlichen verhindert hätten, daß einem Hinweis nachgegangen wurde. Ich muß sagen, für diese Behauptung haben Sie nicht den Funken einer Rechtfertigung.
Diese Behauptung ist unzutreffend.
Wir sollten so redlich sein, meine Damen und Herren — das ist hier auch schon gesagt worden —, zuzugeben, daß wir nicht ganz genau wissen, ob nicht auch bei einer anderen Organisation, bei einem anderen Ablauf, bei einer anderen Form der Zusammenarbeit
Fehler gemacht worden wären, ob also der Tod Martin Schleyers bei einer anderen Organisation der Abläufe verhindert worden wäre. Herr Eyrich, ich habe hier ohne Scheu dargelegt, welche Vorschläge die Bundesregierung verwirklichen will. Ich habe — das entspricht den Tatsachen — darauf hingewiesen, daß wir diese Vorschläge jetzt nicht erfunden haben, sondern daß sie in der Diskussion der letzten Monate und auch Jahre gewachsen sind. Ich habe bedauert, daß Sie zu dieser Seite des Falles, zu der Zukunftsbewältigung sehr wenig beigetragen haben. Sie haben die Kritik an der Vergangenheit in den Vordergrund gestellt, so daß ich leider jetzt sehr wenig darüber weiß, wie Ihre Fraktion in den wichtigen Punkten der Zukunftsbewältigung denkt. Ich kenne zwar Ihre Anträge, aber Ihre Anträge betreffen nur einen Teil der Problematik. Wir, die Innenminister des Bundes und der Länder, müssen in den nächsten Wochen zu Entscheidungen kommen. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie uns hier die Meinung Ihrer Fraktion mit auf den Weg gegeben hätten.
Ich nehme das Wort von der Gemeinsamkeit, das Sie, Herr Eyrich, gebraucht haben, bzw. die Haltung, die Sie. damit zum Ausdruck gebracht haben, bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen und auch bei der Unterschiedlichkeit der Verantwortung sehr ernst. Die Verantwortlichkeiten sollten nicht verwischt werden, aber ich nehme Ihr Wort, wie gesagt, sehr ernst. Das Ziel, das wir gemeinsam anstreben, und die Einsicht in die Schwere der Verantwortung verbinden uns in diesem Hause sicher alle.Herr Spranger, es ist schwierig, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
Ich möchte deutlicher werden: Es lohnt nicht. Die Kritik, die Sie hier so vehement geäußert haben, paßt vielleicht in Ihr vorgefaßtes Konzept, aber sie entspricht in keiner Weise dem Höcherl-Bericht, in keiner Weise!
Herr Spranger, diese Schwarzweißmalerei der Oppositionspolitik — das ist ja nicht nur auf diesem Gebiet so —, der Versuch, etwas in den düstersten Farben darzustellen, nur deshalb, damit Sie Ihre Kritik rechtfertigen können, ist hier gefährlich.. Denn die Schwarzweißmalerei, diese übertriebene Kritik an der Sicherheitspolitik unseres Landes, Herr Spranger, trifft die Menschen, die sich draußen mit ihrem Leben für die Sicherheit einsetzen.
Auch wenn Sie x-mal sagen, Sie nähmen die aus: Mit Ihrer Kritik treffen Sie die Menschen, die gerade in den Fällen des letzten Jahres in unser aller Interesse wirklich rund um die Uhr aufopfernd tätig gewesen sind.
— Die Verantwortung der Regierung soll gar nicht verwischt werden; das werden wir nicht tun.Man tritt Herrn Höcherl sicher nicht zu nahe, wenn man feststellt, Herr Spranger — das sagt er ja im übrigen selbst, und das war auch sehr verdienstvoll —, daß er viele Gespräche geführt hat, daß er mit den Polizeien, mit den Verwaltungen auf allen Ebenen gesprochen hat, bevor er zu seinen Erkenntnissen gekommen ist. Die sind doch nicht einfach aus dem Boden gewachsen, sondern sie haben sich aus diesen Gesprächen ergeben, auch aus Gesprächen mit dem Bundesministerium des Innern und seinem großen Apparat. Sie können doch nicht so tun, als habe Herr Höcherl das alles erfunden, während das Bundesinnenministerium jahrelang untätig daneben gestanden und die Chancen verpaßt habe.
Ich muß diesen Vorwurf zurückweisen.
Ich möchte eine letzte Bemerkung machen. Hier war mehrfach die Rede davon, daß der Herr Bundeskanzler gesagt habe, wir müßten bis an die Grenze des Rechtsstaates gehen. Damit war der Vorwurf verbunden, wir hätten das nicht getan. Meine Damen und Herren von der Opposition, dieser Vorwurf ist falsch. Sie wissen ganz genau, daß wir in der Exekutive in jenen kritischen Stunden und Tagen alle Mittel ausgeschöpft, daß wir mit § 34 StGB gearbeitet, daß wir in diesem Hause — auch gegen Bedenken mancher hier in diesem Hause — ein
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7766 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Bundesminister BaumKontaktsperregesetz verabschiedet haben, das vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist. Wir haben — bis hart an die Grenze des Rechtsstaates gehend, so wie der Bundeskanzler es gesagt hat — im Rahmen unserer Verfassung alles getan.
Wir lassen uns nicht vorwerfen, daß wir unsere Pflicht nicht getan haben. Meine Damen und Herren von der Opposition — ich wiederhole das —: Ich unterstelle nicht, daß Sie den Rechtsstaat abbauen wollen, Herr Kohl. Das möchte ich noch einmal deutlich sagen.
— Ich sage es hier, ich sage es auch draußen. Wo habe ich es denn nicht gesagt? — Aber wir wollen keine Gesetzgebung, die zur Bekämpfung des Terrorismus nach unserer Meinung nichts beiträgt und Freiheit einschränkt. Das ist doch der Punkt!
Meine Damen und Herren von der Opposition, die Debatte hat gezeigt, daß wir uns der Schwere der Verantwortung bewußt sind. Ich möchte Ihnen versichern: Die Regierung wird auf dem schwierigen Feld der inneren Sicherheit weiterhin ihre Pflicht tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich am Abschluß einer Debatte, in der auch viele Einzelheiten behandelt worden sind, noch einige wenige Bemerkungen für meine Fraktion mache, wobei ich mich ausdrücklich auf das beziehe, was meine Kollegen Eyrich und Spranger bereits vorgetragen haben.
Diese Diskussion über den Höcherl-Bericht findet drei Monate nach der ersten Debatte statt, in der wir uns mit dem Entführungsfall Schleyer beschäftigt haben. Das war am 16. März.Herr Höcherl hat versucht, in einer subtilen Arbeit Licht in die Vorgänge vor Ort zu bringen. Aber er hat auch auf die schweren Führungsfehler in der Spitze hingewiesen.Im Hinblick darauf hat dieser Bericht nichts Neues ergeben. Herr Höcherl hat alles das bestätigt, was ich im Namen meiner Fraktion bereits am 16. März in dieser Hinsicht, sowohl was die Analyse wie auch was die Schlußfolgerungen angeht, vorgetragen habe.Der Sinn des Höcherl-Berichts war es sicherlich nicht, Licht in geheime Führungsfehler zu bringen; denn die lagen damals schon offen zutage. Ich habe den Sinn mehr darin gesehen, sie auch denen vonIhnen einsichtig zu machen, die sie nicht sehen wollen und die sich gegen jede Veränderung sperren. Wenn das durch den Höcherl-Bericht gelingen würde, dann hätte er sicherlich einen wichtigen Zweck erfüllt.Ich möchte Herrn Kollegen Höcherl, unbeschadet dessen und unabhängig davon, herzlich für diese ganz ausgezeichnete Arbeit danken, die er für uns alle geleistet hat.
Meine Damen und Herren, ich habe am 16. März zur Eile gemahnt, was das Handeln angeht. Ein gütiges Geschick hat uns bis heute davor bewahrt, daß sich Ähnliches wiederholt, aber es kann noch heute geschehen. Deswegen meine ich, auch heute wieder sagen zu sollen: Tun Sie das Mögliche, damit die Bundesregierung nicht wieder so unvorbereitet wie damals in eine ähnliche Katastrophe hineintaumelt.Im Grunde ist es doch schlimm, daß drei Monate nach dem 16. März nichts anderes abschließend geklärt ist als der Rücktritt eines der Verantwortlichen.
Der andere Verantwortliche in Düsseldorf ist noch im Amt.
Der Herr Bundeskanzler war heute zwar zugegen, aber er hat geschwiegen. Herr Bundeskanzler, ich habe Sie am 16. März gefragt, ob Sie es für überzeugend hielten, sich für Mogadischu feiern zu lassen und die Verantwortung für Erftstadt nicht zu übernehmen. Sie haben das damals despektierlich gefunden und mit Ihnen alle diejenigen, die Sie von einem Regierungschef, der sich der parlamentarischen Kritik zu stellen hat, in ein Denkmal, das man zu verehren hat, verwandeln möchten.Sie haben aber damals dankenswerterweise geantwortet, ein Sich-aus-der-Verantwortung-Stehlen werde es nicht geben. Dann bitte ich Sie darum: Stehen Sie heute für Ihre Verantwortung ein und bekennen Sie sich zu Ihrer Verantwortung.Aus dem Höcherl-Bericht ergibt sich doch ganz eindeutig das, was ich bereits am 16. März vorgetragen habe.Erstens. Für die Vermischung politischer und polizeilicher Kompetenzen, für das Hineinregieren nichtkompetenter Politiker in die Führungsentscheidungen der Polizei sind Sie als Gründer und Vorsitzender des großen Krisenstabes verantwortlich.Zweitens. Für die Vorbereitung des im Bericht so genannten großen Exekutivschlags, der dann wieder aufgegeben wurde, der aber zu dem verhängnisvollen Koordinierungsstab geführt hat, den der nordrhein-westfälische Innenminister gründete, und der zur Verwirrung der Kompetenzen zwischen dem Koordinierungsstab und der Sonderkommission beigetragen hat, sind Sie verantwortlich.Drittens. Für die Doppelbelastung des Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Herrn Herold, einmals als
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7767
Dr. DreggerMitglied des großen Krisenstabes, zum anderen als Chef der Einsatzleitung, die nicht nur für das BKA verantwortlich war, sondern auch für Verfassungsschutz, für Grenzschutz und alle Sicherheitsdienste des Bundes und der Länder, die hier eingesetzt waren, für die Doppelbelastung, die Herrn Herold ganz offensichtlich überforderte — wie Herr Höcherl festgestellt hat —, sind Sie verantwortlich.Viertens. Dafür, daß trotz der Anschläge des vergangenen Jahres und trotz der umfassenden Kompetenzen des Bundes für die Terrorismusbekämpfung — sie ist nahezu total, so daß das überhaupt kein Föderalismusproblem ist — diese Vorbereitungen nicht getroffen worden sind — und das ist von Herrn Höcherl gerügt worden —, sind zumindest auch Sie verantwortlich und nicht nur der Bundesinnenminister. Bei der Terrorismusbekämpfung geht es doch um eines der grundlegenden Probleme unseres Staates, und dafür ist auch der Regierungschef verantwortlich.
Fünftens. Für das Fehlen einer Führungszentrale im Bundesinnenministerium bis heute, die ständig besetzt ist und die in der Lage ist, dann, wenn der Ernstfall kommt, alle Sicherheitsdienste des Bundes und der Länder einzusetzen, sind zumindest auch Sie verantwortlich.Sechstens. Daß erst nach der Entführung von Herrn Schleyer das Führungs- und Informationssystem erfunden und eingeführt wurde, das dann nachher praktiziert wurde, dafür sind auch Sie verantwortlich.Schließlich Siebtens: Daß die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder und das Funktionieren der Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsdienste trotz der Erfahrungen des vergangenen Jahres nicht eingeübt worden sind, dafür sind auch Sie verantwortlich.Der Vergangenheitsbewältiger Eppler hat im Hinblick auf den baden-württembergischen Ministerpräsidenten von dem notorisch guten Gewissen und dem pathologisch guten Gewissen gesprochen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben das in einer früheren Debatte aufgegriffen. Dabei haben sich Herr Eppler und dann auch Sie auf Vorgänge bezogen, die unserer heutigen Vorstellung so ferngerückt sind, daß selbst die Zeitgenossen von damals sie sich kaum noch vorstellen können. Für die damals Ungeborenen sind sie jedenfalls völlig unvorstellbar.Meine Damen und Herren, der Fall Schleyer ist nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart, und das Versagen in dieser Gegenwart ist für alle vorstellbar. Ich will in diesem Zusammenhang nicht von Gewissen reden. Ich meine, wir alle müssen uns jeden Tag fragen, ob wir unserem Gewissen entsprechend gehandelt haben.. Jeder, der das sorgfältig prüft, ist damit voll ausgelastet. Deswegen halte ich nichts davon, das Gewissen anderer Leute zu untersuchen, wie es Herr Eppler getan hat. Ich staune aber überdie Gelassenheit, die Sie bei dieser Debatte hier heute im Plenum gezeigt haben.
Meine Damen und Herren, ich kann nur eine Bitte daran anschließen: Handeln Sie jetzt endlich! Handeln Sie im Bereich der Organisation, der Exekutive, der Fahndung, wo alle gesetzlichen Ermächtigungen für den Bund seit langem da sind und es nur um die Frage geht, ob man fähig ist, den Ernstfall vorzubereiten, damit, wenn sich Pannen vor Ort ereignen — und sie werden sich immer ereignen —, daraus keine Katastrophe entsteht. Handeln Sie endlich auch in der Gesetzgebung.
Wenn Sie schon unsere Vorschläge nicht aufgreifen, dann greifen Sie doch wenigstens die Vorschläge des Deutschen Richterbundes auf, die jetzt gemacht worden sind. Das sind doch Vorschläge von Leuten, die damit befaßt sind.
Ich bitte Sie inständig: Folgen Sie wenigstens den Fachleuten, aber nicht dem Herrn Coppik,
gegen den ich nichts habe. Herr Coppik ist ein sympathischer Mensch, aber er darf nicht in eine Sperrminorität hier im Deutschen Bundestag gerückt werden, wie Sie, Herr Bundeskanzler, es getan haben,
als Sie in einem Interview sagten, Sie wollten keine Gesetze mehr, die nicht allein durch SDP und FDP eine Mehrheit in diesem Hause fänden. Das bewirkt doch die Herrschaft einer kleinen Minderheit über dié Mehrheit auf einem Felde, auf dem dies besonders unerträglich ist. Herr Bundeskanzler, stellen Sie die Staatsräson vor der Parteiräson, insbesondere vor die Räson dieser kleinen Gruppierung Coppik, Hansen und andere. Das sind alles sympathische Leute, aber Deutschland sollten sie nicht regieren; dafür sind sie völlig ungeeignet.Wir haben Ihnen unsere Stimmen angeboten. Wir wiederholen das: Wir sind bereit, jede Maßnahme zu unterstützen und die Stimme dafür abzugeben, die geeignet und rechtsstaatlich ist. Tun wir endlich alle das, was notwendig ist, damit wir alle in Frieden und in Sicherheit leben können, denn ohne Sicherheit und Frieden gibt es auch keine Freiheit.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt auf, daß in den von der Opposition mit relativ kurzen zeitlichen Abständen gewünschten Debatten über Fragen der inneren Sicherheit, die sicherlich nicht überflüssig sind, in denen aber von der Opposition stereotyp die gleichen Dinge, die gleichen Klagen, die gleichen Kritiken, die gleichen Vorschläge, die gleichen Redensarten vorgetragen werden, einige Personen, die auf die-
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Bundeskanzler Schmidtsem Gebiet fachkundiger als der Bildungspolitiker Dregger sind, das Wort nicht ergreifen.
Es fällt auf, daß eine Reihe von Personen, in der vordersten Bank der Opposition sitzend, die eine sehr viel unmittelbarere persönliche Berührung mit den Vorgängen hatten, über die her heute geredet wird, das Wort in diesen Debatten nicht ergreifen.
— Lieber Herr Spranger — —
— Sie waren es nicht? Sonst wollte ich hier geantwortet haben für den Fall, daß Sie noch weitere Zwischenrufe auf Lager haben sollten: Die Qualität Ihrer Argumentation habe ich bereits im „Bayernkurier" zur Kenntnis genommen; es reicht mir. Es ist nichts anderes von Ihnen zu erwarten, Herr Kollege Spranger.
Sie sind ein Scharfmacher vom Dienst. Solche muß es in Ihrer Fraktion geben. Es gibt auch Herrn Dregger. Es gibt mehrere davon.
Aber ich muß noch einmal die Frage aufwerfen, warum zu Fragen der inneren Sicherheit in letzter Zeit dauernd andere reden als die Herren Zimmermann und Kohl, die aus unmittelbarer eigener Berührung wissen — Herr Dregger kann es so genau nicht wissen, er war nicht dabei —, was vielleicht an der Behauptung oder an dem Vorwurf sein könnte, wie ihn Herr Eyrich vorgetragen hat, daß Politiker sich in polizeitaktische Maßnahmen eingemischt haben. Herr Eyrich hat sogar gesagt, wenn ich es recht erinnere, Herr Kollege Eyrich, daß Politiker polizeitaktische Maßnahmen verhindert hätten.
— Das haben Sie nicht gesagt; ich will es nicht verschärfen. Jedenfalls haben Sie davon gesprochen, Politiker hätten sich in polizeitaktische Maßnahmen eingemischt, oder so ähnlich.
— Sicher. Nun war Herr Höcherl ja auch nicht dabei.
— Ich habe das gelesen, was im Höcherl-Bericht steht. Ich werde mich mit Herrn Höcherl auch noch darüber unterhalten.
— Ich habe keine Gelegenheit gehabt, mit Herrn Höcherl darüber zu sprechen. Ich werde sie aber noch suchen, er ist darüber informiert, daß ich mit ihm darüber sprechen möchte.
— Deswegen ist es doch nicht der Weisheit letzterSchluß! Der Bericht ist eine Diskussionsgrundlageund kein Urteil, meine Herren von der Opposition.
Sie möchten das Urteil gern vorwegnehmen, aber ich appelliere nicht an die Fairneß; das könnte ich auch tun, aber das will ich gar nicht einmal; ich will nicht soweit gehen, jemandes Fairneß in Anspruch zu nehmen, die ich ihm durchaus unterstelle — sondern an die staatspolitische Erfahrung und Vernunft derjenigen, die in dem politischen Beratungsgremium, von dem hier die Rede ist, mitgewirkt haben.Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, daß ich auch in Zukunft in derartigen Fällen wie zur Zeit der Entführung des Kollegen Lorenz, wie zur Zeit des Verbrechens in Stockholm, wie zur Zeit des Schleyer-Verbrechens, wie zur Zeit des Verbrechens gegen Besatzung und Passagiere jener Lufthansa-Maschine, falls solche oder vergleichbare Fälle sich wieder ereignen sollten, den sehr ernsthaften Versuch machen werde, ein politisches Beratungsgremium, in dem auch die Opposition beteiligt sein muß, in dem jedenfalls schon aus rechtlichen Gründen die Länder nicht fehlen dürfen, wieder zustande zu bringen —, nicht um Verantwortungen zu vermischen oder zu verwischen. Ich wiederhole hier, was ich unmittelbar nach den bedrückenden Ereignissen im vorigen Herbst im Bundestag und was ich während der andauernden Entführung des Herrn Dr. Schleyer hier im Bundestag gesagt habe: Der Sinn eines solchen Gremiums kann nicht sein, gesetzliche Verantwortung auf fremde Schultern zu verlegen. Das darf auch in Zukunft nicht der Sinn sein.Ich spreche hier in Erinnerung an dieses politische Beratungsgremium auch nicht
— ich komme auf die Verteidigerüberwachung —, um nachträglich etwa Herrn Kohl oder Herrn Zimmermann, deren Mitwirkung im politischen Beratungsgremium für uns alle nützlich gewesen ist, für den Staat in Anspruch zu nehmen. Deren Entschluß, sich daran zu beteiligen, ist im Inland wie im Ausland hoch gewürdigt worden. Es gibt auch in vielen ausländischen Staaten schlimme Abfolgen terroristischer Gewalttaten. Daß hier in unserem Lande bei schärfsten innenpolitischen Auseinandersetzungen gleichwohl Kräfte der Regierung und der Regierungsparteien und Kräfte aus den Oppositionsparteien gemeinsam politisch beraten konnten, manchmal zweimal an einem Tage, dies ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Stärkung des Vertrauens unseres Volkes in die Konsistenz und die Führungsfähigkeit des Staates und seiner Organe.Die Parteien wirken nun einmal an der politischen Willensbildung mit. Deswegen würde ich das gleiche immer wieder suchen.Ich würde auch aus einem zweiten Grund eine solche Beratungsrunde immer wieder zustande zu bringen suchen, weil nämlich mehr Ratschläge und mehr Abwägungen eingehen, als wenn man es nur alleine zu machen hat.
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Bundeskanzler SchmidtWenn Sie — und ich will hier nicht polemisch sein — persönlich und unter vier Augen mit Herrn Zimmermann oder Herrn Kohl sprächen — es waren auch noch andere da; auch Herr Filbinger war in diesem Beratungsgremium —, dann würden Ihnen diese Herren wahrscheinlich Ähnliches sagen müssen, wie ich es jetzt sage.Es hat keine Einmischung in polizeitaktische Maßnahmen gegeben, es sei denn, daß dieses überaus schwierige — Sie könnten sagen: taktische — Verhältnis zu einer an einem unbekannten Ort sich aufhaltenden Gruppe von Verbrechern, die einen Menschen entführt und vorher vier Menschen getötet hatten, daß dieses ungemein schwierige psychologisch-taktische Verhältnis zu diesen Verbrechern es in der Tat erforderlich machte, denkbare polizeiliche Tätigkeiten — ebenso wie denkbare politische Exekutivtätigkeiten und ebenso wie denkbare Tätigkeiten der deutschen Medien, der Presse und des Fernsehens —, wenn irgend möglich, vorher unter dem wichtigen Aspekt zu besprechen: Was löst das auf seiten der Verbrecher aus? Was müssen wir verhindern, das dort ausgelöst werden könnte?Ich habe nicht die Absicht, die Vereinbarung zu brechen, die die Mitglieder der damaligen Besprechungsrunde miteinander getroffen haben, daß es darüber keine Protokolle geben soll und daß auch nicht nachträglich darüber geplaudert werden soll, was der eine oder was der andere gesagt hat. Ich will das auch heute hier nicht tun. Ich weiß, daß einige der Mitwirkenden an jenem Beratungsgremium schon gemeint haben, daß die Dokumentation über die Schleyer-Entführung oder die MogadischuEntführung ein bißchen zu weit in der Offenlegung gegangen sei. Ich will hier heute auch nicht mehr offenlegen, als daß ich nur für meinen eigenen Part sprechend sagen darf. Ich habe ja aber auch auf das zu antworten, was Herr Dregger gesagt hat. Ich antworte nicht für irgend jemand anders, auch nicht für Herrn Kohl und nicht für Herrn Zimmermann und nicht für Herrn Filbinger und wie all die übrigen Teilnehmer jener Runde hießen.Ich benutze ein einziges Beispiel, um Ihnen deutlich zu machen, was ich eben gemeint habe. Ich glaube, Herr Eyrich — oder war es Herr Spranger? — hat hier von einer vorbereiteten, groß angelegten polizeilichen Durchsuchungsaktion geredet. In der Tat, es gab polizeiliche Pläne solcher Art. Ich weiß mich im Augenblick nicht aus dem Handgelenk zu erinnern, ob diese Gedanken aus dem Länderbereich oder aus dem Bundesbereich kamen. Ich lasse das offen; es tut auch nichts zur Sache. Wahr ist, daß wir uns in dem politischen Beratungsgremium mit diesen Plänen beschäftigt haben. Wahr ist auch, daß wir sie aus diesem psychologisch-taktischen Verhältnis gegenüber der Verbrechergruppe, die Hanns Martin Schleyer an einem unbekannten Ort noch lebend gefangenhielt, heraus angehalten haben und daß wir Politiker gesagt haben: Für den Zeitraum, in dem wir davon ausgehen dürfen, daß Herr Schleyer lebt, und in dem wir davon ausgehen dürfen, daß wir ihn möglicherweise finden und dann herausschießen können, wollen wir eine solcheAktion nicht einleiten, denn sie kann dazu führen, daß die anderen ihn in einer Kurzschlußreaktion töten.
— Nun, ich bin doch ganz ohne Polemik, Herr Abgeordneter Jäger. Ich versuche, Verständnis für das Handeln derjenigen zu wecken, die für ihr Handeln die Verantwortung tragen. Darin hat Herr Dregger recht. Ich versuche, Verständnis zu wecken, und hoffe, auch bei denjenigen Kollegen, die damals nicht beteiligt sein konnten — man kann ja nicht ein politisches Beratungsgremium in einer solchen Lage aus dem ganzen Bundestage bilden, sondern es können immer nur einige daran beteiligt sein — den Effekt zu erzielen, daß Sie, die anderen, sich in unsere damalige Lage vetsetzen. In der Tat, aus dieser taktischen Überlegung im Umgang mit einer Verbrecherbande, von der wir nicht wußten, wo sie war, von der wir uns immer wieder neu versucht haben vorzustellen, in welchem psychologischen Zustand sie heute wohl im Gegensatz zu gestern oder vorgestern ist, wie man auf sie einwirken müßte und wie man nicht auf sie einwirken dürfte, um sie nicht zu Kurzschlußreaktionen zu verleiten, die das Leben Schleyers beendet hätten, aus dieser Überlegung hat damals diese von polizeilicher Seite gedanklich und theoretisch vorbereitete große Durchsuchungsaktion nicht stattgefunden. Das ist eines der Beispiele, wo ich Herrn Höcherl recht geben muß, wenn er sagt, es hätten auch von politischer Seite aus Eingriffe stattgefunden. Dieses Beispiel will ich aber sehr gerne verantworten, Herr Abgeordneter Dregger.Ich habe eben ein Wort gebraucht, das ich nun auch noch erläutern muß. Einige der Redner scheinen selbst zu glauben, wenn bei diesen vielen tausenden von Hinweisen, denen die 'deutsche Polizei in jenen Tagen nachgehen mußte, im Bereich Erftstadt-Liblar nicht jener Fehler passiert wäre, wenn dieser eine Hinweis richtig béwertet worden wäre und man ihm sorgfältig nachgegangen wäre, daß dies dann das Leben Schleyers gerettet hätte. Das kann so sein. Wir waren uns aber darüber klar, daß das ein ganz schwieriges Kunststück sein würde,
das nicht die Politiker zu vollbringen hatten, sondern die Menschen vor Ort, einzudringen, notfalls zu schießen und doch nicht diejenigen in einer solchen Situation ums Lebens kommen zu lassen, um deren Leben es uns gehen mußte.
Das sind sehr viel kompliziertere Erwägungen, als sie Herr Spranger angestellt hat.
Es sind Erwägungen, die ich mit dem Herrn Bundesminister außer Diensten Höcherl, dem hier von allen Seiten mit Recht für seine Mühe gedankt worden ist, noch besprechen will. Man sieht auch in dem Teil II
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Bundeskanzler Schmidtdes Berichts, in dem er seine Vorschläge macht: Auf diesem Felde macht er keine Vorschläge. Hier geht es um einen Teil des Berichts — das gilt vor allem für den ersten Teil —, von dem ich nicht glaube, daß Herr Höcherl mit der pauschalen Feststellung Zutreffendes geäußert hat. Dazu müßte er Gelegenheit nehmen, mit den Teilnehmern dieser politischen Beratungsrunde Erfahrungen auszutauschen. Es ist ihm sicherlich unbenommen, dies zu tun. Ich jedenfalls stehe ihm dafür gerne zur Verfügung. Ich stehe aber auch gerne Herrn Dregger zur Verfügung oder irgendeinem Gremium, das der Bundestag, wenn er wirklich will, dafür zur Verfügung hat, um die Diffizilität solchen Handelns anderen erlebbar und nachvollziehbar zu machen. Es ist wünschenswert, daß sich alle Beteiligten in solche Schuhe versetzen können. Niemand kann vorhersehen, ob nicht er selber in ähnliche Lagen kommen könnte. Es ist dann gut, wenigstens schon ein bißchen von den Erfahrungen zu besitzen, die andere vor einem selbst gemacht haben.Ich bin dem Bundesinnenminister Baum für das dankbar, was er hier dargelegt hat. Ich habe nun schon viele Male gehört, der Bundeskanzler habe bei zwei Gelegenheiten gesagt, er sei bereit, bis an die Grenzen — nicht über die Grenzen hinaus — des Rechtsstaates zu gehen, und er habe dem in Wirklichkeit nicht entsprochen. Wir haben dem durchaus entsprochen. Es wird abermals notfalls an das Gedächtnis der beteiligten politischen Personen zu appellieren sein, um in Erinnerung zu rufen, daß wir uns bei mancher Gelegenheit sehr sorgfältig gefragt haben und uns haben vortragen lassen: Dürfen wir dies, oder dürfen wir das nicht? Wir sind uns der Grenzen unseres Rechtsstaates für unser Handeln an vielen Tagen sehr bewußt gewesen. Ich bin davon überzeugt, daß wir die Grenzen nicht übertreten haben, jedenfalls nicht wissentlich und nicht willentlich und nicht bewußt. Wir waren vielmehr sehr skrupulös, wir haben bei jeder Handlung, die wir zu verantworten hatten, sehr sorgfältig zuvor geprüft und nachgedacht. Ich glaube, daß wir bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen sind. Der Hinweis auf die Inanspruchnahme des § 34 des Strafgesetzbuchs mag hier heute morgen ausreichen. Die Juristen unter Ihnen wissen, daß wir da bis an die Grenzen gegangen sind. Aber wir haben sie nicht übertreten.Wir haben sogar in der Gesetzgebung — wenn ich nun gegenüber dem exekutiven Handeln ein anderes Feld betreten darf — mit dem Kontaktsperregesetz ein rechtsstaatliches Risiko in Kauf genommen, das Gott sei Dank durch das Bundesverfasfungsgericht anschließend gerechtfertigt worden ist.
— Mit den Stimmen der Opposition. Ich werde das doch nicht verschweigen. Ich kann mich doch gut erinnern. Es wäre ja auch ganz unstaatsmännisch gewesen, Herr Abgeordneter, wenn sich die Opposition diesem Gesetz damals verweigert hätte.
Das bedarf keines besonderen Dankes. Ich spreche ja auch an die Adresse der übrigen Beteiligten keinen Dank aus. Ich halte es für Ihre selbstverständliche Pflicht, daß Sie sich damals so verhalten haben.
— Wir haben uns alle gemeinsam so verhalten.Nun wirft uns der Kollege Eyrich vor — und das ist ja auch bei Herrn Dregger wieder zu hören gewesen —, daß wir nicht außerdem noch viele weitere Gesetze gemacht haben. Dabei sind zwei hier besonders genannt worden. Das eine ist Ihr Vorschlag, schon im Fall der erstmaligen Verurteilung auf drei Jahre Sicherungsverwahrung anordnen zu können. Dazu darf ich den Kollegen Eyrich, der das hier als erster aufgebracht hat — Herr Dregger hat nur noch mal darauf angespielt —, bitten zu prüfen, ob ich nicht recht habe, wenn ich sage, daß ich zu jedem Zeitpunkt, wo in diesem Haus über Sicherungsverwahrung gesprochen worden ist, meine Bedenken immer wieder vorgetragen habe. Ich habe das zu keinem Zeitpunkt für vertretbar gehalten. Und wenn nun nachträglich der Deutsche Richterbund sich dafür ausspricht ich nehme an, es war keine Delegiertenversammlung, sondern es waren einige zum öffentlichen Sprechen befugte Personen —, dann bin ich auch durch das, was ich aus der Feder des Richterbundes oder aus dem Mund seiner Sprecher bisher gehört oder gelesen habe, noch nicht überzeugt.Ich habe auf diesem Feld große Skrupel. Das sage ich Ihnen ganz offen.
— Ich habe große Skrupel. Die Skrupel sind mir in einer Zeit gewachsen, die lange, mehr als 30 Jahre, hinter uns liegt.
Ich habe dasselbe in vielen Gesprächen, in den sogenannten Sicherheitsgesprächen im Bungalow, aber auch hier im Bundestag, immer wieder gesagt. Ich habe auch immer hinzugefügt, daß dies bei mir kein weltanschaulicher Granit ist, von dem ich nie herunter könnte, sondern ich habe offengelassen, überzeugt werden zu können. Allerdings, solange es sich um drei Jahre Haft bei erstmaliger Verurteilung handelt, ist das etwas völlig anderes als die Voraussetzungen, die bisher im deutschen Strafrecht für Sicherungsverwahrung gelten. Das wäre ein anderes Institut, was damit geschaffen würde. Das bedarf wirklich der Überlegung. Es hat aber nichts, überhaupt nichts, mit der Frage zu tun: Wie kann man die Fahndungsmethoden der deutschen Polizeien und Kriminalpolizeien verbessern?
Der andere Punkt, der hier immer wieder aufkommt, ist die Sache mit der Gesetzgebung zur Verteidigerüberwachung. Ich muß auch hier an das Gedächtnis oder gar an die Fairneß des Abgeordneten Eyrich appellieren. Ich habe zu denjenigen gehört, die dies vor drei Jahren — ich glaube, es ist
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Bundeskanzler Schmidtschon drei Jahre her — zunächst für ein richtiges Instrument gehalten haben und dafür auch öffentlich eingetreten sind. Ich habe unter dem Eindruck von Gesprächen mit hohen Richtern später meine Meinung geändert und habe vor dem Deutschen Bundestag auch öffentlich bekannt, daß ich meine Meinung geändert habe, und habe hier erläutert, warum ich sie geändert habe. Ich wiederhole es aber gern. Da Sie immer dieselbe Klage und Kritik wiederholen, müssen Sie sich auch anhören, daß ich meine Meinungsänderung erneut begründe.Mir war klargeworden, daß die Überwachung der Gespräche zwischen Verteidiger und dem terroristischer Gewalttaten Beschuldigten — ganz abgesehen von vielen Bedenken, die es sonst geben mag und die ich im Augenblick gar nicht berühren will — jedenfalls nicht effektiv wird, was die Verhinderung weiterer Verbrechen angeht. Dies ist mir aus Gesprächen mit vielen Richtern klargeworden: Diese Überwachung kann nicht effektiv werden. Sie könnte vielleicht dann effektiv werden, wenn die Gesprächsüberwachung von Kriminalbeamten vorgenommen werden könnte, die mit diesem Fall und mit diesem Metier auf das beste vertraut sind und die Sprache verstehen, die dort gesprochen wird. Dies fordern Sie nicht, mit Recht nicht; es würde in der Tat weit über die Grenzen des Rechtsstaates hinausgehen und müßte das Strafverfahren gefährden. Sie verlangen Überwachung durch den Richter, und da komme ich zu dem Ergebnis, daß das ineffektiv bleiben müßte.Viel effektiver wäre es allerdings, wenn man dafür sorgte, daß das Gespräch zwischen Anwalt und Beschuldigtem nicht zur Verbringung von Waffen oder Sprengstoff — oder was immer es ist — mißbraucht wird, was in mehreren Gefängnissen in unserem Lande — nicht nur in einem Bundesland, sondern in mehreren — geschehen ist. Und dazu braucht man keine Gesetzesänderung, dazu braucht mann eine minuziöse, peinliche und vielleicht für den jeweils Verantwortlichen lästige Befassung mit dem Detail vor Ort.
Sie brauchen dafür kein Gesetz.
Sie bräuchten nach meinem Eindruck nicht einmal ein Gesetz für die Einrichtung der Trennwände und der Trennscheiben. Das ist auch nach bisherigem Recht möglich.
Aber gut, die Zulässigkeit ist nun noch einmal zusätzlich unterstrichen worden. Das alles reicht aus, um zu verhindern, daß Verteidiger durch Verbrecher dazu genötigt werden können, sich zu Übermittlern von Nachrichten oder von Gegenständen zu machen. Das alles reicht aus; dazu brauche ich kein Gesetz.
Deswegen, Herr Abgeodneter Eyrich, müßten Sie eigentlich, wenn Sie fair wären, sagen: Ich teilezwar die Meinung dessen, der da jetzt spricht, nicht, aber ich muß einräumen, daß es eine in sich geschlossene, logische und auch dem Zweck, der gemeinsamen Zielsetzung durchaus angemessene Vorstellung ist, die er vertritt.Ich will diesen Teil der entsprechenden Passagen der Rede von Herrn Dregger abschließend damit beantworten, daß ich sage: Herr Dregger, es nützt der Ergreifung von Gewalttätern und der Verhütung von terroristischen Gewaltverbrechen nichts, wenn wir viele neue Gesetze und Paragraphen machen. Natürlich haben wir — und Sie sicher auch — die Gesetzesmacherei in anderen europäischen Ländern, die es ebenfalls mit Terrorismus zu tun haben, auf diesem Felde sehr interessiert beobachtet. Ich nenne das Vereinigte Königreich, Frankreich, Italien und die Türkei und könnte viele andere nennen; ich will niemandem zu nahe treten. Einige dieser Länder haben ihre Gesetze geändert, andere haben es nicht getan. Einige haben sie auf Grund der Erfahrungen mit dem Terrorismus, die sie in den allerletzten Jahren und Monaten gemacht haben, geändert.Eines der mit uns verbündeten und eng befreundeten westlichen Nachbarländer, eine unbezweifelbare rechtsstaatliche Demokratie, hat auf Grund solcher Anlässe Gesetze und gesetzesstellvertretende Verordnungen geschaffen, die ganz sicherlich über die in Deutschland gewachsenen Vorstellungen von rechtsstaatlicher Ordnung hinausgehen. Dann aber, wenn Sie in jenes Land Ihren Blick richten und sich fragen, ob diese Gesetze nun zu einer effektiveren Bekämpfung des Terrorismus in jenem Lande beitragen werden, kann man unseren Kollegen dort zu diesem Vorhaben nur sehr herzlich Glück wünschen. Es ist auch bei uns nicht so, daß alle möglichen neuen Gesetze die Effizienz der Zusammenarbeit zwischen den Polizeien der Länder und des Bundes verbessern, sondern diese kann nur verbessert werden, wenn alle Beteiligten die Erfahrungen, die sie miteinander gemacht haben, auch wirklich beherzigen.Es war, glaube ich, der Herr Kollege Eyrich, der das erstaunliche Wort vom „selbstgeschaffenen Chaos" gesprochen hat. Ich nehme an, daß Ihnen dabei nicht ganz bewußt war, daß es, was die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf diesem Felde angeht, wenn das Wort „Chaos" denn gerechtfertigt wäre — ich halte es für absolut ungerechtfertigt —, dann jedenfalls kein Wort ist, das Sie nur an eine Adresse richten könnten.
Es ist ja auch nicht so — der Herr Dregger hat großzügigerweise gelassen gesagt: Pannen vor Ort werden immer auftreten —, daß selbst bei bester Zusammenarbeit in Zukunft nicht wieder Pannen auftreten würden. Ich erinnere mich z. B. an einen Entführungsfall in einem südlichen Bundesland, der bis heute nicht aufgeklärt ist. 20 Millionen DM sind geflossen. Das Bundeskriminalamt wurde nicht eingeschaltet. Ich will damit nun nicht auf fremde geographische Gebiete ausweichen. Ich will nur sagen: Es gibt viele Fälle, in denen später jemand auf die Idee kommen könnte zu sagen: „Das war ein
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Bundeskanzler Schmidtpolizeilicher Fehler", oder in denen vielleicht niemand auf diese Idee kommt.
— Ich komme auf das Führungssystem gleich noch, Herr Dregger. Führung ist eine wichtige Sache im Leben; da gebe ich Ihnen sehr recht. Wenn Sie sie hätten, wären Sie froh, Herr Dregger.
Ich komme darauf gleich zu sprechen.Ich sage Ihnen: Nach meiner festen Überzeugung ist die Zusammenarbeit auf dem Felde der Bekämpfung des Terrorismus zwischen den Ländern und dem Bund im Laufe der letzten Jahre zwar immer besser geworden, aber noch nicht optimal. Das, was Herr Kollege Genscher heute vor achteinhalb Jahren auf diesem Feld vorgefunden hat, war rudimentär. Das, was Kollege Genscher vor achteinhalb Jahren im Bundeskriminalamt in Wiesbaden vorgefunden hat, war bestenfalls embryonal. Das, was inzwischen durch ihn und vier Jahre lang durch den Kollegen Maihofer zustande gebracht worden ist, ist immer noch nicht optimal.
— Seit es den Terrorismus gibt, hat es unendlicher Mühe bedurft, jene Versammlung von Landesinnenministern, in der der Bundesinnenminister noch nicht einmal eine Stimme hat, zu ausreichenden Vereinbarungen zu bringen.
Ich sage das nicht nur in Richtung auf B-Länder oder A-Länder oder C-Länder, sondern ich sage das generell. Ich sage es ohne Empörung und ohne Vorwurf. Denn solche Veränderungen fallen den Ländern schwer. Da hatte der FDP-Kollege vorhin recht, der aus Reichstagsverhandlungen über das deutsche Erbübel der Kompetenzstreitigkeiten zitiert hat. Ich weiß aus eigener Erfahrung — auch ich war einmal Innenminister eines Landes; lange ist es her; es war auch nur ein kleines Land —, daß es den Ländern schwerfällt, anderen Kompetenzregelungen zuzustimmen. Hier ist ja die Äußerung eines Staatssekretärs aus einem anderen Bundesland zitiert worden, wonach das Bundeskriminalamt bestenfalls das Recht haben sollte, nachdrücklich zu bitten. Es fällt den Ländern schwer, in bestimmten Fällen Aufgaben an jemand anderen abzugeben. Es geschieht praktisch immer noch nicht optimal. Meistens geschieht es dann auf dem Wege, daß sie bitten, dafür auf einem anderen Gebiet ihrerseits Aufgabenzuwachs zu bekommen.
— Dies war und ist der Fall, Herr Kollege.Es handelt sich um einen legitimen, wenn auch mich in keiner Weise beeindruckenden Versuch Ihrerseits, die Verantwortung für alles auf eine einzige Seite zu schieben. Wir weisen das zurück. Wir halten das für Unfug.Dem Staat und der öffentlichen Sicherheit würde aber gedient, wenn Sie wenigstens gleichzeitig, wo Sie hier solche Reden halten, in den Ländern, in denen Sie Einfluß besitzen, dafür sorgten, daß auch von der Landesseite aus ein Optimum an praktischer Kooperation angestrebt und verwirklicht wird.
Das muß durch Ihren Wunsch, hier immer wieder über innere Sicherheit zu streiten, ja nicht unbedingt ausgeschlossen werden.Herr Abgeordneter Dregger hat in einigen Zitierungen des Höcherl-Berichts dem Wortlaut und dem Sinn sicherlich eine ganze Menge Gewalt angetan. Ich will damit nicht im einzelnen rechten. Der Bundesinnenminister hat nach meiner Meinung zu den sachlichen Punkten das Wesentliche gesagt, was heute noch einmal gesagt werden mußte. Nur, wenn Sie, Herr Dregger, sagen, in Sachen Terrorismusbekämpfung habe der Bund eine „totale Kompetenz"— das war Ihre Ausdrucksweise —, dann ist das, sachlich gesehen, schlichter Unfug. Er sollte sie auch gar nicht haben!
Fragen Sie einmal die Innenminister der Länder, ob dieser Satz in deren Augen zutrifft. Das ist sachlicher Unfug, und es charakterisiert manche der Passagen, mit denen Sie Ihre Rede abgeschlossen haben.Ebenso ist Ihre Behauptung, es gebe im Bundesministerium des Innern keine Führungszentrale — oder wie es bei Ihnen hieß —, Unfug. Ich selber habe an Sitzungen jenes Lagezentrums in der Vergangenheit teilgenommen.
— Nein, Sie haben Vorstellungen aus Ihrer Rittmeisterzeit, die Sie auf die innere Sicherheit unseres Staates übertragen wollen.
Drittens ist es sachlich schlichter Unfug, wenn der Abgeordnete Dregger die Behauptung in die Welt setzt, das Informationssystem, von dem heute die Rede ist, sei erst nach dem Schleyer-Verbrechen erfunden worden. Fragen Sie irgendeinen der Landesinnenminister, wie lange man schon von Bundes wegen streitet, um dafür zu sorgen, daß ein kompatibles Informationssystem geschaffen wird, an dem alle Polizeien aller Länder teilnehmen können,
die sich ja zum Teil unter dem Einfluß von Kreisen, die ich nicht qualifizieren will, verschiedene Systeme zugelegt haben, die eben nicht aufeinander abgestimmt sind. Der Streit darüber wird doch schon sehr lange geführt; dan kann nicht ein Mitglied des Bundestages heute herkommen und sagen,
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Bundeskanzler Schmidtdas sei erst nach dem Schleyer-Verbrechen erfunden worden. Diese drei Bemerkungen charakterisieren die Gesamtqualität dessen, was der Abgeordnete Dregger vorgetragen hat.
Sie haben zum Schluß ein paar politische Bemerkungen gemacht, die nicht mehr zur Sache gehörten, auf die ich aber auch eingehen will, Herr Abgeordneter. Sie haben in diesem Hause zum zweiten Male die Behauptung aufgestellt, der Bundeskanzler habe sich nach Mogadischu — so war Ihr Wortlaut: — „feiern lassen". Ich habe dazu zweierlei zu sagen. Ich habe dazu beigetragen — ich war es nicht allein; es waren die Spitzenleute aller Bundestagsfraktionen, auch der Ihren —, daß die Grenzschutzbeamten, die ihre Aufgabe in Mogadischu vollbracht hatten, von uns gemeinsam gefeiert wurden; sie hatten eine große Arbeit geleistet. Was uns selbst angeht, bitte ich Sie, meine Rede unmittelbar nach Mogadischu im Deutschen Bundestage nachzulesen und sich des Wortlauts und des Tons der Bescheidenheit zu erinnern, in dem gesprochen wurde. Ich war nämlich tief betroffen und tief bedrückt von mehreren Ereignissen, die innerhalb von 24 Stunden damals unser Volk und die ganze Welt beschäftigt haben.
Wenn Sie dann zu vorletzt Ihr Erstaunen über meine Gelassenheit zum Ausdruck bringen, so will ich Ihnen dazu eines sagen: Ich wünschte mir, daß sich in Sachen der inneren Sicherheit — vielleicht auch auf anderen politischen Feldern — sachlich begründetes Urteil, Zielstrebigkeit und Energie mit mehr Gelassenheit verbinden würden. Ich halte Gelassenheit nicht für einen vorwerfbaren Tatbestand, sondern für eine Tugend, Herr Abgeordneter Dregger.
Zum Schluß haben Sie, Herr Abgeordneter Dregger, die Forderung aufgestellt, die Bundesregierung oder der Bundeskanzler — ich weiß nicht mehr recht — solle Staatsräson vor Parteiräson stellen. Ich bemühe mich, seit ich in öffentlichen Ämtern bin, das zu tun. Wenn Sie dieselbe Regel auch für sich aufstellen wollten, Herr Abgeordneter Dregger, so würden solche Debatten anders verlaufen, als Sie sie geführt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen eine miretwas unverständliche Formulierung gebraucht. Sie wiesen mit beinahe klagendem Unterton darauf hin, daß wir in so kurzen Abständen — das sei das Werk der Opposition — eine Debatte über das Thema der inneren Sicherheit hätten. Ich will hier nur Ihrem Gedächtnis nachhelfen: Die heutige Debatte ist veranlaßt durch die Vorlage des sogenannten HöcherlBerichts. Dieser Höcherl-Bericht aber ist in Auftrag gegeben worden von der Bundesregierung und der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Wir haben also ein gemeinsames Interesse daran, daß dieser Bericht heute debattiert wird. Was heißt das also, wenn Sie sagen: wir haben immer wieder Debatten?In der letzten Woche — auch das darf ich in Ihre Erinnerung zurückrufen, aus der es offensichtlich geschwunden ist — haben wir über Gesetze gesprochen.Und im übrigen — das ist das dritte zu diesem Thema —: Ich finde es ganz normal, daß sich in einem Augenblick, in dem sich viele Mitbürger angesichts des Ergebnisses des Berichts von Hermann Höcherl die Frage vorlegen — ich sage es ganz konkret —: Könnte Hanns Martin Schleyer noch leben?, das deutsche Parlament mit dieser Frage beschäftigt.
Herr Bundeskanzler, vieles von dem, was Sie hier sagten, hat mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun.
Und wenn Sie der Reihe nach die Kollegen, die hier für die CDU/CSU gesprochen haben, abkanzeln, so ist das für mich nur ein Beweis dafür, daß Sie zur eigentlichen Sache nichts sagen können, nichts sagen wollen. Darum aber geht es doch: um die eigentliche Sache.
Es geht doch nicht darum — dazu brauchen wir von Ihrer Seite ganz gewiß keine Belehrung —, daß wir hier in einer gesamtstaatlichen Verantwortung stehen. Herr Bundeskanzler, wir haben die Verantwortung im Großen Krisenstab mit übernommen, wir stehen zu dieser Verantwortung, und wir stehlen uns aus ihr auch nicht heraus. Aber es läßt sich doch nicht leugnen — um auch dieser Legende, die jetzt offensichtlich schon gestrickt wird, vorzubeugen —, daß der Große Krisenstab eine Sache war und der Vollzug polizeilicher Organisations- und Fahndungsmaßnahmen eine andere. Niemand wirft Ihnen doch vor, nicht in jedem Detail präsent zu sein. Wenn der Kollege Dregger sagt, Pannen kämen immer wieder vor, und Sie sich dann bemüßigt fühlen, auf einen Vorgang in München einzugehen, dann zeigt das nur, daß Sie gar nicht mehr in der Lage sind, sine ira et studio, gelassen zu reagieren und gelassen zu sagen: natürlich kommen Pannen überall vor.
Aber das ist doch nicht das Problem. Das Thema unserer heutigen Diskussion ist doch, daß die Bundesregierung — niemand hat sie doch gedrängt, auch wir, die CDU/CSU-Fraktion, nicht — den früheren Bundesinnenminister Hermann Höcherl als
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7774 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Dr. Kohleinen sachkundigen Zeitgenossen beauftragt hat, die Vorgänge zu untersuchen. Man hat dieser Untersuchung — und der Name ist ja symbolisch — den Begriff „Pannenbericht" beigefügt. Dieser Bericht liegt heute vor. Er enthält viele Details, die für die Zukunft wirksam werden sollen, und selbstverständlich sind wir bereit, daran mitzuarbeiten. Der Bericht beschreibt aber auch Tatbestände, die zutiefst erschreckend sind. Herr Bundeskanzler, die Existenz des Großen Krisenstabes und unsere moralische Mitverantwortung befreien Sie doch nicht von Ihrer Verantwortung als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, daß Sie im vergangenen Jahr nichts an Vorsorge getroffen haben, bevor Hanns Martin Schleyer entführt und ermordet wurde.
Das Jahr 1977 sieht uns an vielen Gräbern. Und bei jedem Staatsbegräbnis und jedem Staatsakt haben die Vertreter der Bundesregierung erklärt: Jetzt muß endlich gehandelt werden. Es war doch bis zum September Zeit! Wenn jetzt der Bericht Hermann Höcherls deutlich macht, daß eben nichts an Vorsorge getroffen wurde, dann, Herr Bundeskanzler, trifft das Ihre Verantwortung und hat mit dem Tätigsein des Großen Krisenstabes überhaupt nichts zu tun.
Natürlich haben wir in diesem Großen Krisenstab Erfahrungen sammeln können. Natürlich bekennen wir uns — ich sage es noch einmal — auch zu der Verantwortung und zu den Schwierigkeiten dieser Tage. Aber das ist die eine Sache; die andere Sache ist die Regierungsverantwortung.Herr Bundeskanzler, da Sie aus diesem Krisenstab berichtet haben: Der Bundesinnenminister Werner Maihofer hat seinen Abschied genommen, in einer noblen Form, auch Ihnen gegenüber. Ich hoffe, daß Ihre Gefühle ihm gegenüber auch immer von der gleichen noblen Form getragen waren.
— Das ist das, was ich dazu zu sagen wünsche, Herr Abgeordneter Ehmke, sonst nichts. — Im übrigen, Herr Bundeskanzler, hat er natürlich die Verantwortung für seinen Bereich übernommen. Aber wer weiß, wie Sie zu regieren belieben, weiß auch, daß Sie zwar Ressortzuständigkeiten und Geschäftsordnung respektieren, diese aber auf Ihre Weise auslegen, was ich durchaus respektiere. Aber deswegen ist es doch nur richtig, Sie im Rahmen der Verantwortung hier mit anzusprechen.Was mich vor allem umtreibt, Herr Bundeskanzler, ist Ihre unterschiedliche Reaktion auf Pannen in jenen Wochen — verständlicherweise — und auf Pannen heute. Darüber bin ich doch sehr verwundert. Ich erinnere mich noch sehr gut an jene schlimme Nacht nach der Bekanntgabe der Ermordung von Hanns Martin Schleyer und nach dem Bekanntwerden der in höchstem Maße unerfreulichen Vorkommnisse in Stammheim. Herr Bundeskanzler, Sie waren damals schnell mit dem Wort;
der Herr Landesminister Hirsch war noch schneller. Was mir noch heute in der Erinnerung geblieben ist, ist, daß Sie damals mit einem ganz anderen Maßstab als heute gemessen haben.
Wenn damals die Untergrenze Ihrer Forderung mindestens der Rücktritt des Justizministers war, so finden Sie es heute als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht einmal der Mühe wert, den Namen des Justizsenators von Berlin in den Mund zu nehmen. Sie haben ihn umschrieben, so daß Sie uns später sagen können, Sie hätten ihn gemeint. Ich aber will es noch einmal deutlicher sagen: Es handelt sich um einen Mann, dessen völliges Versagen offenkundig ist
und der nur deswegen im Amt gehalten wird, weil Sie die Koalition in Berlin halten müssen und weil die FDP außerstande ist, ihn auszutauschen — aus vielerlei Gründen. Meine Damen und Herren, das ist doch ein Beweis dafür — genau das hat Alfred Dregger gesagt, und Sie erregen sich darüber —, daß die Parteiräson vor die Staatsräson gestellt wird — nicht mehr und nicht weniger.
Alles, was hier von den Kollegen der Koalition gesagt wurde, betraf nur den Teil II des HöcherlBerichts. Über den können wir lange reden, Wochen und Monate, vor allem dann, wenn wir eine gewisse Hoffnung hätten, Herr Bundesminister Baum, daß endlich etwas dabei herauskäme. Aber der Auftrag an Herrn Höcherl ging doch in zwei Richtungen, und zu dem Teil I haben wir von den Kollegen der Koalition fast nichts gehört.Herr Bundeskanzler, die Frage, die uns doch bewegen muß — gerade jene, die auch moralische Verantwortung auf sich genommen haben —, ist, wie wir, wir beide, die Frage eines Mitbürgers mit gutem Gewissen beantworten können: Könnte Hanns Martin Schleyer noch leben, wenn diese Pannen nicht passiert wären? Ich weiß so gut wie Sie, Herr Bundeskanzler, daß keiner von uns diese Frage — weder so noch so — mit letzter Überzeugung beantworten kann. Aber nach dem Bericht, den Ihr Beauftragter vorgelegt hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß diese Pannen zur Katastrophe entscheidend beigetragen haben.
Das, Herr Bundeskanzler, mußten Sie doch klaren Blickes erwarten, als Sie diesen Bericht in Auftrag gaben. Sie konnten doch auf Grund Ihres Informationsstandes, der in der Sache mit Sicherheit nicht geringer sein konnte als der meine, nicht erwarten — vorausgesetzt, der Bericht würde sorgfältig erarbeitet, und er ist sorgfältig erarbeitet —, daß sich etwas anderes herausstellte als das, was wir heute hier miteinander diskutieren.Das sind alles keine Erfindungen aus dem Lager der Opposition, sondern das ist die Diskussion von nüchternen, allerdings tief bedrückenden Tatbeständen. Was wären wir für Mitglieder des Deutschen Bundestages, wenn wir nicht wenigstens auf die Vor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7775
Dr. Kohllagen und Debatten der letzten zwei Jahre hinwiesen! Der geschätzte Kollege von der FDP ist bis in die frühen 20er Jahre zurückgegangen. Ich habe nichts dagegen; nur, die Probleme von damals, die Sie beschrieben haben, sind Probleme, die noch heute in allen föderalen Bereichen fortwirken. Verehrter Herr Kollege, wenn Sie das parteipolitisch gedacht haben, dann sollte ich Sie einladen, die ganze Weimarer Republik einmal unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Ich will bloß diese kurze Bemerkung dazu machen.Hier geht es heute darum, aus der Katastrophe, aus dem negativen Ergebnis vernünftige Konsequenzen zu ziehen. Hier geht es darum, politische Verantwortlichkeiten festzustellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben beliebt, in der Ihnen eigenen Weise den Kollegen Dregger im Blick auf das Feiern des „Helden von Mogadischu" — ich sage das so ganz direkt — anzunehmen. Ich weiß gar nicht, warum Sie das Herrn Dregger vorwerfen. Herr Dregger hat doch diese Inszenierung, dieses Scenario nicht in die Welt gesetzt. Das waren doch die Bediensteten Ihres Amtes. Wenn Sie das alles — bis an die Grenze der Geschmacklosigkeit gehend — einmal nachlesen, was das Bundespresseamt in diesem Zusammenhang betrieben und unternommen hat — Sie haben es doch nicht verboten; Sie haben es doch gerne gehört, sonst wäre es doch gar nicht gemacht worden —, dann dürfen Sie sich doch gar nicht wundern, wenn jetzt, da die Bilanz da ist, auch der Schatten deutlicher wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe Sie vor dieser Dokumentation gewarnt. Ich habe Ihnen damals am Telefon wie auch in einem persönlichen Gespräch gesagt: Die Lebenserfahrung und der Umgang mit der Geschichte zeigen, daß man etwas Distanz haben muß, bevor man ein Ereignis, das einen tief bewegt, einigermaßen abschließend beurteilen kann. Sie stehen jetzt vor der schlimmen Lebenserfahrung, die Sie persönlich doppelt zu verantworten haben. Sie haben auf der einen Seite den Heldenbericht, der nach Mogadischu vorgelegt wurde, und jetzt den Höcherl-Bericht; die sind eben nicht deckungsgleich.
Hier zeigt sich, daß man in einer so aufgeregten, so aufgewühlten Situation und Zeit unmittelbar nach dem Ablauf solcher Geschehnisse gar kein gewogenes, kluges Wort finden kann.
Das ist aber Ihre Sache. Sie können uns jetzt nicht vorwerfen, daß wir uns wenigstens noch diese Minifreiheit nehmen, innerhalb von Monaten zwei Berichte, die Sie jeweils in Auftrag gegeben haben, nebeneinanderzulegen und unsere normale Fähigkeit zur Kreativität zu nutzen, daraus unsere Schlüsse zu ziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Herr Maihofer ist gegangen,
obwohl er noch vorher — und auch das ist eine interessante Erfahrung dieses Bundestages — hier lebhaft gefeiert wurde.
Wenn heute die Kollegen der FDP ihre Danksagung ausbringen, muß das doch besorgniserregend für Sie sein, Herr Kollege Baum. Es ist ja ein Grundprinzip dieser Koalition in dieser Legislaturperiode: Wenn der Minister hier aufs lebhafteste gelobt wird, muß er sich eigentlich schon nach einem neuen Job umsehen; denn das Ende ist ganz nahe.
Die Intervalle zwischen dem Lob und dem Abgang,verehrter Herr Kollege, sind immer enger geworden.Ich habe hier nicht über die Ära Maihofer zu reden, obwohl es da aus den letzten Monaten noch vieles zu sagen gäbe. Aber, Herr Kollege Baum, lassen Sie mich zu Ihrer Jungfernrede sagen: Gerade an Ihrer Stelle hätte ich das alles so nicht formuliert. Sie sind neu im Amt. Sie müssen damit rechnen, daß Ihnen auf Grund von vielem von dem, was Sie bisher taten und sagten, eine ziemliche Skepsis — um es freundlich auszudrücken — entgegenschlägt. Aber wenn Sie glauben, daß Angriff die beste Verteidigung sei, hat man Sie schlecht beraten.Ich habe die Befürchtung — nicht wegen der FDP und wegen des Amtsinhabers, sondern wegen der Republik —, daß Ihre Amtszeit — ich sage es so, wie ich es schon in einem Zwischenruf sagte — so enden wird, wie Ihre Jungfernrede heute begonnen hat. Auch das muß ich Ihnen zu meinem Bedauern sagen.
Meine Damen und Herren, wir werden nicht am Ende der Gesamtdebatte sein, aber wir sind an einem wichtigen Einschnitt. Die Mehrheitsfraktionen des Hauses bestimmen das Gesicht der Regierung. Das ist hier so, das ist selbstverständlich auch in Düsseldorf und in Berlin so. Wenn die Autorität — —
— Das gilt in der Tat auch für Hannover. Das haben auch die Wähler dort bestätigt, meine Damen und Herren.
Was Sie für politische Konsequenzen aus diesem Bericht ziehen, werden wir sicherlich bei mancher Debatte in diesem Jahr noch erfahren. Was Sie an personellen Konsequenzen ziehen, wird die Entwicklung Ihnen abzwingen. Dessen bin ich sicher. Das wird die politische Meinung unseres Landes erzwingen.Meine Damen und Herren, damit sind wir aber nicht am Ende des Themas. Herr Bundeskanzler, Sie haben aus gutem Grund und mit einem Unterton, den ich jetzt gerade zum Schluß aufnehmen möchte, darauf hingewiesen, daß wir wieder etwas Zeit gewonnen haben. Ich kann für die CDU/CSU nur
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7776 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Dr. Kohlnoch einmal das Angebot machen und den Appell an die Kollegen von der SPD- und FDP-Fraktion sowie an die Bundesregierung richten: Betrachten Sie bitte die Fragen der inneren Sicherheit unseres Landes nicht als Fragen von Majoritäts-ProporzProblemen.
Betrachten Sie sie als Herausforderung, die Millionen Bürger in der Form definiert sehen, daß sie den demokratischen Staat nach seiner Kraft, nach seiner Autorität befragen.Der Herr Bundespräsident hat am 25. Oktober bei der Trauerfeier für Hanns Martin Schleyer in Stuttgart am Ende seiner Rede gesagt — ich möchte das Zitat hier aufnehmen —:Der Tod Hanns Martin Schleyers ist, so meine ich mit nachdenklichen Menschen in unserem Lande, ein Einschnitt in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, und wir müssen ihn als Einschnitt begreifen. Von dieser Stunde der Trauer und der Besinnung muß eine verwandelnde Kraft ausgehen. Wir dürfen nicht zulassen, daß sein Tod sinnlos wird.Herr Bundeskanzler, das ist ein Anruf an uns alle. Bei aller Heftigkeit der Auseinandersetzung ist dies das eigentliche Gebot, dem wir uns jetzt zu stellen haben. Ich biete Ihnen namens der Fraktion der CDU/CSU noch einmal an, zu einem Stück Gemeinsamkeit in der Bekämpfung brutaler terroristischer Gewalt zu kommen. Die Hand ist ausgestreckt. Es liegt an Ihnen, endlich auf dieses Angebot einzugehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist verständlich, daß im Zuge einer solchen Erörterung und Debatte noch einmal und noch einmal auf Dinge zurückgekommen wird, die uns zwar sicher noch oft beschäftigen werden, deren fortgesetztes Wiederholen uns aber nicht zu einer übereinstimmenden Meinung führen kann. Mich hat nur eines veranlaßt, hier um das Wort zu bitten. Es waren die Worte des Herrn Oppositionsführers, in denen ausgedrückt wurde, nichts an Vorsorge sei getroffen worden, nachdem er vorher die Fälle aufgezählt hatte, in denen Menschenleben die Opfer von Terroristen waren.Dazu sage ich, Herr Kollege Kohl: Eine solche „Feststellung", wie Sie sie nennen möchten, es sei „nichts an Vorsorge" getroffen worden, ist doch nicht ernsthaft zu behaupten. Sicherlich, wir haben Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit z. B. des Bundeskriminalamtes und anderer Maßnahmen. Aber es ist doch im Haushalt — und nicht nur im Haushalt — festzustellen, wie alle diese Maßnahmen — das wird j a auch von Ihnen nicht geleugnet werden können — in einer Reihe vor! Jahren entwickeltworden sind, nachdem es vorher nichts in dieser Richtung gab. Vorhin hat jemand den Zwischenruf gemacht: Weil es keinen Terror gegeben hat! Darüber könnte man noch manches sagen.
Hier wird nach zwei Richtungen etwas gesagt, das falsch verstanden werden muß. Es klingt so, als ob nichts zum Schutze Hanns Martin Schleyers geschehen sei.
— Nein, das haben Sie nicht gesagt. Sie haben gesagt — ich will es wiederholen —, „nichts an Vorsorge" sei getroffen worden. Daraus schlußfolgere ich: Das muß nach zwei Richtungen so falsch verstanden werden, daß es nicht ohne Widerspruch bleiben darf. Herr Kohl, Sie hätten, wenn Sie darauf angesprochen worden wären, natürlich nicht gesagt, daß der Entführte und dann Ermordete niemanden zum persönlichen Schutz bei sich gehabt habe. Die Begleiter sind ja sofort, nach einer Manier, nach einer Methode, die die Leute trainiert haben, getötet worden, ermordet worden. Das brauchen wir uns nicht alles noch einmal zu erzählen. Wenn Sie das Wort „Vorsorge" so aussprechen, dann muß das . falsch verstanden werden. Schutz war da, aber das müssen sich . alle sagen: Der reicht nicht, um das, was hier geschehen ist, zu verhindern.
Das, was ich zitiert habe, ist auch nach der anderen Seite falsch zu verstehen, nämlich so, als gäbe es eine „Vorsorge", die nahezu absolut das Scheitern solcher Verbrechen oder die Verhütung solcher Verbrechen gewährleistet. Die gibt es ja auch nicht.Herr Kollege Kohl, ich will die Echtheit Ihrer inneren Erregung über das, was wir erlebt haben, nicht in Zweifel ziehen. Aber die Feststellung, es sei nichts an „Vorsorge" getroffen worden, muß unter den Mitbürgerinnen und Mitbürgern eine völlig irrige und falsche Vorstellung von unserem Gemeinwesen und auch von dem hervorrufen, was wir noch prüfen und worüber wir wahrscheinlich auch noch Streit haben werden.Ich muß Ihnen sagen: Die Terroristen sind noch nicht zu unserer Vergangenheit zu rechnen. Sie sind aus dem Bereich unseres Gemeinwesens, soweit das ein Schauplatz für ihre Taten ist — da muß ich nicht Sie und niemand anderen belehren —, noch nicht verschwunden. Aber gerade aus diesem Grunde möchte ich nicht, daß wir uns nicht der Aufgabe widmen, die uns wohl noch eine Weile beschäftigen wird, mit der wir angefangen haben, als es um die Erörterung, um die Analyse des sogenannten Höcherl-Berichts ging. Ich hoffe, daß wir einiges finden werden, was etwas größere Möglichkeiten bietet, z. B. hinsichtlich der Fahndung.Ich habe bei Herrn Dregger herausgehört, als gäbe es gar keine oder als sei sie ganz dilettantisch. Herr Kollege Dregger, ich bin auch sehr unglück-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7777
Wehnerlich über die Fahndung und die großen Schwierigkeiten, die Leute dingfest zu machen.
Nur: Das darf man nicht so verallgemeinern; das hilft ja nicht. Ich will Ihnen ja nicht vorwerfen, Sie wollten sich den Terrorismus nutzbar machen, indem man denjenigen, die die Regierung bilden — aber hier ist ja auch schon gesagt worden, daß das nicht nur den Bund, sondern auch die Länder betrifft, und zwar auch Länder, die von anderen Mehrheiten regiert werden als im Bund —, etwas in die Schuhe steckt oder etwas zuschiebt.Nein, wenn es so ist — und ich fürchte, daß es so ist —, daß der Terrorismus und die Terroristen in unserem Gemeinwesen als dem Schauplatz ihres Handelns noch nicht zur Vergangenheit gehören, ist auf der Grundlage des Berichts, bei dessen Beurteilung es Pro und Contra geben mag — einverstanden! —, zu prüfen, zu welchen weiteren Schritten wir kommen können. Das ist die Mühe wert. Man sollte sich aber nicht der Tatsachen des Terrors und der schmerzlichen Opfer und auch der Versäumnisse so bedienen, daß uns das nicht nur wehrlos, sondern handlungsunfähig machen könnte. Da rede ich immer als Teil unseres Gemeinwesens.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat es in seiner breiten Antwort auf meinen Beitrag am Schluß für klug gehalten, einen Angriff gegen mich zu fahren in, wie ich schon sagen muß, ungewöhnlich ausfälliger Form.
Die Art dieser Reaktion, Herr Bundeskanzler, spricht nicht gerade von der Tugend der Gelassenheit, von der Sie sprachen
und die Sie sich, wie alle Tugenden, natürlich sofort zugeschrieben haben.
Ich möchte nur insoweit darauf antworten, als es um Tatsachenfeststellungen geht. Ich habe aus Ihrer Antwort den Eindruck gehabt, daß Sie nicht nur nicht mit dem von Ihnen beauftragten Bundesinnenminister a. D. Höcherl gesprochen, sondern daß Sie seinen Bericht auch gar nicht gelesen haben;
denn sonst kann man sich ja eigentlich nicht über Tatsachen streiten, die in diesem Bericht niedergelegt sind.
Sie haben im Zusammenhang mit den Punkten, die Sie aus meiner Rede aufgegriffen haben, von „totalem Unsinn" gesprochen. Dazu möchte ich Stellung nehmen.
Das bezog sich erstens auf die umfassende, wenn man so will: totale Zuständigkeit des Bundes im Fahndungsfall Schleyer. Diese Zuständigkeit war in dem Augenblick gegeben, in dem der Bundesinnenminister und der Generalbundesanwalt das Bundeskriminalamt mit der Fahndung beauftragten. Damit ging die Zuständigkeit von der Zentrale bis vor Ort auf das Bundeskriminalamt über. Die einzige Funktion der Länderpolizei bestand noch darin, dem Bundeskriminalamt zur Verfügung zu stehen. Das ist auch in vollem Umfange der Fall gewesen. Ihre breiten Ausführungen über die Schwierigkeit von Länder-Innenministern, Zuständigkeiten abzugeben, waren in diesem Fall völlig gegenstandslos.
Zum zweiten. Sie haben bestritten, daß meine Behauptung richtig sei, im Bundesinnenministerium gebe es bis heute keine Führungszentrale, die rund um die Uhr besetzt sei, für den Einsatz aller Sicherheitsdienste des Bundes und auf Zusammenarbeit angewiesener Länderpolizeien. Eben das steht im Höcherl-Bericht. In eben diesem Bericht wird vorgeschlagen, daß diese Zentrale nunmehr geschaffen werden solle.
Das habe ich bereits am 16. März in diesem Hause vorgeschlagen. Es ist also kein totaler Unsinn.
Das dritte, was Sie als totalen Unsinn bezeichnet haben, ist meine Tatsachenfeststellung, daß das Führungs- und Informationssystem, das in der Fahndung nach den Schleyer-Entführern angewendet wurde, erst nach der Entführung erfunden und eingeführt worden ist.
Auch das steht in dem Bericht. Es bestand nämlich erstens aus der zentralen Einsatzleitung, die durch Beschluß der Bundesregierung gebildet worden ist — an ihrer Spitze Herr Herold —, die nicht nur für das BKA, sondern für alle Sicherheitsdienste zuständig war, was es vorher nie gegeben hatte, zweitens aus dem Sonderkommando in Köln, das ad hoc eingerichtet wurde — das ist bei Sonderkommandos üblich —, und drittens aus dem Koordinierungsstab, den der nordrhein-westfälische Innenminister eingerichtet hat, was überflüssig, falsch und verhängnisvoll gewesen ist, wie sich auch aus dem Bericht ergibt. Dieses System war also vorher nicht da. Es war niemandem bekannt. Die Meldewege sind mehrfach geändert worden.
All das steht in dem Bericht. Man kann doch die Wahrheit nicht einfach dadurch aus der Welt schaffen, daß man sagt, die Wahrheit sei Unsinn, Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
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7778 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Vizepräsident StücklenWir kommen jetzt zur Abstimmung Tagesordnungspunkte 12 und 13. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen auf den Drucksachen 8/1881, 8/1923 und 8/1852 an den Innnenausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keine gegenteilige Meinung. Es ist so beschlossen.Zu Tagesordnungspunkt 14 empfiehlt der Innenausschuß auf Drucksache 8/1864, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Maßnahmen zur Erhöhung der inneren Sicherheit — Drucksache 8/1046 — für erledigt zu erklären. Zu dieser Beschlußempfehlung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1911 vor. Hierin wird die Annahme einer Entschließung beantragt.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1911 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 8/1895 —Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Wischnewski zur Verfügung.Frage 116 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:Wie ist die Antwort vom 31. Mai 1978 auf meine Anfrage vom 9. Mai 1978 zu verstehen, daß im Zusammenhang mit der Kritik an der Rede des DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter sich die Äußerungen des Bundeskanzlers gegen „gewisse Vorstellungen des Keynesianismus" richten, und warum lehnte es der Bundeskanzler, zumindest bis zum 9. Juni 1978 ab, mir den im Bundeskanzleramt vorliegenden Text seiner Rede vom 3. Mai 1978 zur Verfügung zu stellen, obwohl in der o. a. Antwort auf den Inhalt dieser Rede verwiesen wurde?Biite schön.
Herr Kollege Stutzer, lassen Sie mich den ersten Teil Ihrer Frage, betreffend die Kritik des Herrn Bundeskanzlers am Keynesianismus, zuerst beantworten.
Wie Sie wissen, hat der englische Nationalökonom John Maynard Keynes zu Beginn der 30er Jahre die wirtschaftspolitische Theorie entwickelt, daß der Staat in einer Rezession durch eine Vermehrung der Staatsausgaben die Vollbeschäftigung wiederherstellen kann. Dem Herrn Bundeskanzler kam es demgegenüber darauf an — und er hat dies, wie Sie wissen, auch bei früheren Gelegenheiten dargelegt —, darauf hinzuweisen, daß dieses wirtschaftspolitische Rezept der heutigen Zeit nicht mehr genügt, um die Gesundung der Wirtschaft und die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung zu erreichen. Die Ursachen dafür liegen einmal darin, daß wir es heute mit den Auswirkungen des weltwirtschaftlichen Strukturwandels zu tun haben, der auch unsere Wirtschaft vor schwierige strukturelle Anpassungsprobleme stellt. Diese Probleme können durch globale Staatsausgabenerhöhungen nicht beseitigt werden. Andererseits leuchtet es auch schon deshalb ein, daß der Staat nicht allein die Verantwortung für die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung tragen kann, weil in unserer Wirtschaftsordnung täglich eine Vielzahl autonomer Entscheidungen von Unternehmen, Verbrauchern, Verbänden usw. z. B. über Preise oder Investitionen getroffen wird. Dem Herrn Bundeskanzler geht es also darum, an die Verantwortung aller gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik für die Überwindung der Arbeitslosigkeit zu appellieren. Dies hat er mit seinem Beitrag getan.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage anbetrifft: Bei der Rede, die der Bundeskanzler gehalten hat, handelt es sich um eine parteiinterne Rede; sie ist deshalb nicht veröffentlicht worden. Die Teile, die offensichtlich Ihr besonderes Interesse finden, habe ich Ihnen in der Zwischenzeit zur Verfügung gestellt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, warum wird die Veröffentlichung dieser, wie es jetzt heißt, parteiinternen Rede durch den Herrn Bundeskanzler abgelehnt, obwohl Pressevertreter anwesend waren, in den Zeitungen ausführlich darüber berichtet worden ist und obwohl Sie selbst und auch Ihr Haus noch bis vor wenigen Tagen davon ausgingen, daß diese Rede veröffentlicht wird?
Wischnewski, Staatsminister: Ich kann mir durchaus vorstellen, daß der Bundeskanzler, wenn er Zeit und Gelegenheit gehabt hat, die Rede, wenn sie niedergeschrieben ist, durchzulesen, eine entsprechende Entscheidung fällt. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Die Frage, die Sie hier ansprachen, ist ein parteiinterner Vorgang gewesen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist der Herr Bundeskanzler bei seiner Rede am 3. Mai 1978 der Meinung gewesen, daß Heinz Oskar Vetter am 1. Mai 1978 den Staat alleine für die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung verantwortlich machen wollte, und hält der Herr Bundeskanzler das heute noch aufrecht?Wischnewski, Staatsminister: Ich glaube, es dürfte bekannt sein, daß zwischen dem Bundeskanzler und dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes im persönlichen Verhältnis oder in Sachfragen ein derartig ausgezeichneter Kontakt be-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7779
Staatsminister Wischnewskisteht, daß solche Mißverständnisse überhaupt nicht entstehen können. Natürlich weiß auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes sehr genau, daß nicht der Staat allein oder die Bundesregierung allein für eine derartige Entwicklung verantwortlich ist.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Haehser zur Verfügung.
Die Fragen 75 und 76 der Abgeordneten Frau Will-Feld werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich, beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 78 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Frage 82 des Abgeordneten Dr. Kunz wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 77 des Abgeordneten Gerstl auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 80 des Abgeordneten Dr. Langner:
Hält die Bundesregierung aus heutiger Sicht eine Rückführung der Zuwachsrate der Staatsausgaben bis zum Jahr 1981 auf einen Satz von 4 v. H. für angemessen, wie Prof. Neumann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6. Juni 1978 ?
Bitte schön.
Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, würde ich Ihre Fragen 80 und 81 gern zusammen beantworten.
Einverstanden. Ich rufe daher auch die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Dr. Langner auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß ein wirklich stabiles Preisniveau bis 1981 erreicht werden könnte, wenn die Wachstumsrate der Zentralbankgeldmenge bis dahin auf 4 v. H. zurückgeführt würde ?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich danke Ihnen sehr. — Herr Kollege, Sie werden mir sicher beipflichten, daß der Deutsche Bundestag kein finanzpolitisches Kolleg sein kann. Sie wissen, daß es in der theoretischen Diskussion zur Finanz- und Wirtschaftspolitik sehr viele, oft verwirrend viele Schulen gibt. Deren unterschiedliche Denkergebnisse sollten zunächst unter Fachkollegen diskutiert werden. In deren Kreis möchte ich auch die Erkenntnisse von Herrn Prof. Neumann zurückgeben.
Die angesprochene Zuwachsrate des Staatsausgaben ist ein Aggregat aus den Raten des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Soweit die Steigerungsraten des Bundeshaushalts berührt sind, wird das Bundeskabinett am 26. Juli 1978 dazu einen
Grundsatzbeschluß fassen. Dem kann und will ich heute nicht vorgreifen.
Im Rahmen dieses Verfahrens, das der Verfassung, der Bundeshaushaltsordnung und dem Haushaltsgrundsätzegesetz entspricht, wird die Bundesregierung ihre Vorstellungen über den Bundeshaushalt 1979 und den mehrjährigen Finanzplan des Bundes entsprechend entwickeln und im einzelnen darlegen.
Die bis 1981 erzielbaren Fortschritte der Verminderung der Geldentwertung hängen, wie Sie wissen, Herr Kollege Dr. Langner, nicht allein von der in diesem Zeitraum erreichten Zuwachsrate der Zentralbankgeldmenge ab. Daß der in Ihrer Frage unterstellte enge Zusammenhang nicht besteht, wird schon daraus deutlich, daß es bei höheren Zuwachsraten der Zentralbankgeldmenge in den letzten Jahren gelungen ist, die Geldentwertung erfreulicherweise erheblich zu verringern.
Aus heutiger Sicht läßt sich noch nicht vorhersagen, welche Zuwachsrate der Zentralbankgeldmenge im Jahr 1981 anzustreben ist. Bekanntlich legt die Deutsche Bundesbank ihre Geldmengenziele nur jeweils für das kommende Jahr fest. Die Politik einer öffentlichen Zielvorgabe befindet sich dabei noch im Experimentierstadium.
Eine Zuwachsrate von 40/0 erscheint, gemessen an den Zuwachsraten der Vergangenheit, sehr niedrig.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die meiner Fragestellung zugrunde liegenden Feststellungen wenigstens insoweit nicht finanztheoretischer, sondern sehr praktischer Art sind, als Staatsquote und Steuerquote weiterhin steigen müssen, wenn die öffentlichen Aufgaben schneller als das reale Sozialprodukt wachsen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann diese Ihre Auffassung nicht teilen. Sie ergibt sich auch nicht aus dem, was Herr Prof. Neumann geschrieben hat. Im übrigen haben Sie — wie Sie feststellen können, wenn Sie Ihre Fragen noch einmal lesen — anderes erfragt als das, was Sie jetzt nachgeschoben haben.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte.
Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang. Wie sollen denn Steuerentlastungsprogramme in der Wirtschaft Vertrauen, das Wachstumskräfte bewirken soll, wecken, wenn Bevölkerung und Wirtschaft gleichzeitig Ausgabenwachstum und steigende Staatsverschuldung registrieren müssen?Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Ich habe ja im Augenblick kein konkretes Steuerentlastungsprogramm zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt zwar tägliche Rederei darüber und auch tägliche Forderungen dazu. Aber es
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7780 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Parl. Staatssekretär Haehsergibt zur Zeit kein konkretes Steuerentlastungsprogramm. Ich sehe also keinen Zusammenhang mit den von Ihnen gestellten Fragen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine Frage zur Geldmenge. Muß das vorhandene monetäre Potential angesichts des derzeitigen Geldmengenwachstums nicht bei verbessertem Wirtschaftswachstum mit einem gewissen Automatismus inflationär wirken?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Nun, Sie haben in Ihrer Frage auf die Auffassung des Professors Neumann abgehoben, ein Geldmengenwachstum von 4 % sei anzustreben, um eben inflationäre Entwicklungen zu verhindern. Eine so niedrige Rate des Geldmengenzuwachses hatten wir eigentlich noch nicht; die bisher niedrigste Verlaufsrate war 5,3 % im Jahre 1966. Obwohl also die Geldmengensteigerung immer höher war als die von Herrn Neumann geforderten 4 %, liegen wir jetzt bei einer Preissteigerungsrate von nur 2,7 %. Mir ging es ja eben bei meiner Antwort darum, diesen Zusammenhang zwischen der Geldmenge und der Inflationsrate als nicht unabänderlich darzustellen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 83 des Herrn Abgeordneten Milz auf:
Sind im Verantwortungsbereich der Bundesregierung bei der Veräußerung von Baugrundstücken der öffentlichen Hand alle Kaufinteressenten in bezug auf den Kaufpreis gleichgestellt, und wenn nein, wird die Bundesregierung auf eine Gleichstellung hinwirken?
Bitte.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung verfährt bei der Veräußerung bundeseigener Grundstücke nach den Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung. Danach erfolgt die Veräußerung grundsätzlich zum Verkehrswert. Eine Ausnahme gilt nach Maßgabe des Gesetzes über die verbilligte Veräußerung, Vermietung und Verpachtung von bundeseigenen Grundstücken vom 16. Juli 1971. Nach diesem Gesetz können Grundstücke zur Erfüllung bestimmter Zwecke mit einem Nachlaß vom Verkehrswert bis zu 30 % veräußert werden. Für die Bemessung des Kaufpreises ist die Person des Kaufbewerbers in jedem Fall ohne Belang.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß auch Länder und Gemeinden gut beraten wären, wenn sie nach denselben Grundsätzen verfahren würden?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann dies bejahen, bin allerdings, wie Sie wissen, für Länder und Gemeinden nicht zuständig.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es dann, wenn ein Bürger den Eindruck hat, ,daß nach diesen Grundsätzen nicht verfahren worden ist, und dann die Frage stellt, ob irgendwo — und zwar zu Unrecht — Vorzugspreise eingeräumt worden sind, Ihrer Meinung nach richtig, wenn ein betroffener Politiker diesen so fragenden Bürger damit bedroht, entweder 12 000 DM an das Rote Kreuz zu zahlen oder aber einem Prozeß entgegenzusehen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Wissen Sie, es ist für mich ungeheuer schwer, auf diese Frage zu antworten, weil natürlich der Eindruck des Bürgers falsch sein kann, weil es vielleicht nicht den Bund, sondern ein Land oder eine Gemeinde berührt. Dann, wenn Sie mir den Fall konkret schildern und er — was ich aber gar nicht annehme — den Bund betrifft, würde ich mich selber darum kümmern. Sollte er Länder oder 'Gemeinden betreffen, würde ich mich im Sinne Ihrer Frage an die entsprechende Instanz wenden. Es wäre in der Tat nicht gut, wenn irgendein Bürger bedroht würde, weil bei ihm ein bestimmter Eindruck vorhanden ist; denn wegen Eindrücken bedroht man ja niemanden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 84 des Herrn Abgeordneten Milz auf:
Wird sich die Bundesregierung in ihrem Verantwortungsbereich dafür einsetzen, daß bei der Einräumung eines Vorzugspreises beim Kauf eines Grundstücks der öffentlichen Hand im Falle des Wiederverkaufs des betreffenden Grundstücks der Unterschiedsbetrag zwischen dem Vorzugspreis und dem ursprünglichen Verkehrswert beim Ersterwerb von demjenigen, der in den Genuß des Vorzugspreises gekommen ist, an die öffentliche Hand zurückgezahlt werden muß?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Milz, gemäß den Richtlinien zu dem eben erwähnten Grundstücksverbilligungsgesetz, die seinerzeit dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages vorgelegen haben, wird im Kaufvertrag vereinbart, daß der Erwerber des mit einem Preisnachlaß veräußerten bundeseigenen Grundstücks dieses während einer angemessenen Frist von grundsätzlich zehn Jahren für den geförderten Zweck zu verwenden hat. Für ,den Fall, daß er das Grundstück gleichwohl innerhalb dieser Frist weiterveräußert, wird durch entsprechende Vereinbarung sichergestellt, daß der Bund den gewährten Vorteil zurückerhält, und zwar durch Ausübung eines Wiederkaufsrechts bzw. durch Nachzahlung des gewährten Preisnachlasses nebst Zinsen oder — bei Verschulden — durch Zahlung einer Vertragsstrafe.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie dann, wenn ein Kommunalpolitiker oder Bürger in einem solchen Zusammenhang glaubt, daß Vorzugspreise eingeräumt worden sind und nachher eine Veräußerung des Grundstücks stattgefunden hat, das Nachfragen nach einem solchen Tatbestand für gerechtfertigt?Haehser, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie von Nachfragen sprechen, dann lassen Sie mich einmal
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7781
Parl. Staatssekretär Haehservon Fragen sprechen. Ich könnte Ihnen viel besser dienen, wenn Sie diese Fragestunde genutzt hätten, ganz konkret zu sagen, worum es geht. Sie fragen hier nach dem Grundstücksverbilligungsgesetz, haben aber offensichtlich einen ganz bestimmten Fall im Auge. Nennen Sie ihn doch bitte einmal!
Wir sind nicht dazu hier, Fälle zu klären, sondern nur dazu, Fragen zu stellen. Bitte, Herr Abgeordneter Milz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bemühte mich, Fragen zu stellen, insbesondere in Beachtung der Geschäftsordnung, die ja manches nicht zuläßt.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es unter keinen Umständen hingenommen werden kann, wenn der Staatsminister Wischnewski die Gattin eines so fragenden Bürgers — wie Herr Wischnewski dies sagt — zur Seite nimmt und charmant, aber bestimmt erklärt: „Wenn Ihr Mann dies nicht sein läßt, dann müssen Sie Ihren Lebensstandard einschränken; denn das wird 12 000 DM oder einen Prozeß kosten"?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kenne den Zusammenhang, auf den Sie abstellen, nicht, weiß aber, daß Herr Kollege Wischnewski ein sehr liebenswürdiger Mensch ist. Daher kann ich ihm das eigentlich gar nicht zutrauen.
Aber damit wir beide etwas von dem haben, was Sie hier in die Fragestunde eingeführt haben, darf ich Sie ermuntern, mit mir in einen Schriftwechsel einzutreten. Dann werden Sie Antworten bekommen, die Sie vielleicht befriedigen.
Zu einer Zusatzfrage Frau Berger.
Herr Kollege Haehser, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie von dem Vorgang, wie er sich aus der letzten Frage ergab, tatsächlich nichts wissen oder vor Beginn dieser Sitzung nichts gewußt haben?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Was ich weiß oder nicht weiß, verrate ich nicht jedem. Das ist meine erste Antwort.
Die zweite Antwort ist aber, daß ich Sie auf den Text der Frage 84 verweise. Vor diesem Hintergrund ist meine Antwort absolut sachgerecht gewesen. Da wird nicht nach einem bestimmten Vorgang, sondern nach Grundsätzen gefragt, wie der Bund Grundstücke verkauft, auf Grund welchen Gesetzes er sie verbilligt und was für den Fall geschieht, daß ein verbilligt erworbenes Grundstück nicht zu dem Zweck verwendet worden ist, für den es verbilligt wurde. Danach bin ich gefragt worden. Darauf habe ich korrekte und, wie ich finde, erschöpfende Auskünfte gegeben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht uns Frau Staatsminister HammBrücher zur Verfügung.
Ich kann Ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen, Frau Staatsminister: Die Fragen 85 bis einschließlich 94 sind für diese Fragestunde zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Thüsing auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung das bisher nicht ausgeschöpfte Kontingent für politische Gefangene aus Chile auf politisch inhaftierte Argentinier, die unter das Optionsrecht fallen, übertragen hat und somit Chilenen, falls sich die Situation in Chile wieder verschlechtern sollte, keine Möglichkeit mehr haben werden, in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme zu finden?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist an die Bundesländer mit der Bitte herangetreten, der Einbeziehung politisch verfolgter Personen aus Argentinien in die laufende Aufnahmeaktion zugunsten politisch verfolgter Personen aus Chile zuzustimmen. Ein Teil der Bundesländer hat die Zustimmung bereits erteilt.
Es handelt sich also, Herr Kollege, nicht um eine Übertragung des für Chilenen zur Verfügung stehenden Kontingents auf Argentinier, sondern um dessen Öffnung auch für Argentnier. Selbstverständlich stehen die Plätze weiterhin auch für Chilenen zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Meine Vermutung ist demnach richtig, daß es sich nicht um neue Plätze handelt, sondern nur um die Öffnung der bisher für Chilenen reservierten Plätze auch für argentinische Flüchtlinge?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, diese Vermutung trifft zu, da die von den Ländern zur Verfügung gestellten Plätze im Augenblick von Chilenen noch nicht in Anspruch genommen worden sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Thüsing auf:Trifft es zu, daß es sich dabei um etwa 400 Plätze handelt, und ist die Bundesregierung bereit, diese Zahl zu erhöhen und — gemäß der Forderung von amnesty international — 500 politische Gefangene aus Argentinien in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, die von Ihnen in diesem Zusammenhang genannte Zahl von etwa 400 Plätzen trifft zu. Sollte sich diese Zahl aus nicht ausreichend erweisen, wird sich die Bundesregierung um eine Erhöhung der Quote bemühen. Die Zuständigkeit für eine Erhöhung der Quote liegt jedoch ausschließlich bei den Bundesländern.
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7782 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Eine Zusatzfrage, bitte.
Sind unter „400 Plätzen" 400 politische Gefangene zuzüglich ihrer Familienangehörigen zu verstehen, oder sind die Familienangehörigen eingerechnet, so daß es sich insgesamt nur um etwa 80 bis 100 politische Gefangene handeln würde? Denn hier ist ausdrücklich von „400 Plätzen" und nicht von „400 politischen Gefangenen" die Rede.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, um nichts Falsches zu sagen, würde ich das gerne noch einmal nachprüfen. Ich gehe aber davon aus, daß es sich tatsächlich um 400 Plätze handelt. Ich werde Sie das aber alsbald wissen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Haben die von der CDU/CSU regierten Länder inzwischen auf die Frage der Bundesregierung geantwortet, wie viele Plätze sie zur Verfügung zu stellen bereit sind? Sie hatten dem Kollegen Simpfendörfer, so glaube ich, geantwortet, daß lediglich 144 Plätze in von SPD und FDP regierten Ländern zur Verfügung stehen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, soweit ich informiert bin, hat sich z. B. auch das Land Niedersachsen bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen. Die anderen Länder haben im übrigen keinesfalls abgelehnt, sondern überprüfen die Möglichkeit der weiteren Aufnahme von Flüchtlingen aus den genannten Ländern.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 97 und 98 des Abgeordneten Gansel und 106 des Abgeordneten Dr. Wittmann werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Dr. Jens auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung unter mittelstands-, verbraucher- und preisniveaupolitischen Aspekten die Ausgabe von Kreditkarten, wie z. B. American Express, Diners Club und Eurocard, durch die deutschen Sparkassen und Banken, und gedenkt sie, gegen unerwünschte Effekte etwas zu unternehmen?
Herr Kollege, die Verwendung von Kreditkarten ist zwar mit Kosten verbunden, die dem Verbraucher wie dem Handel bekannt sind. Andererseits wird dem Verbraucher das Einkaufen mit der Kreditkarte als universellem Geldersatz gerade im internationalen Reiseverkehr erleichtert, und im Handel fallen in der Regel zusätzliche Geschäfte an. Allerdings werden Kreditkarten bei uns im Gegensatz zu den USA nur von einem recht begrenzten und eher exklusiven Kreis in Anspruch genommen; es gibt etwa 200 000 Kreditkarteninhaber. Die Mehrzahl der Verbraucher gibt dem kostengünstigeren Eurocheque-System den Vorzug — es gibt etwa 11 Millionen Scheckkarteninhaber —, das zumindest auf dem deutschen Markt den gleichen Vorteil bietet.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß Käufer und Verkäufer selbst entscheiden sollten, welche Zahlungsmethoden sie bevorzugen. Mißstände, die möglicherweise zu mittelstands-, verbraucher- und preisniveaupolitisch nicht akzeptablen Ergebnissen führen könnten, sind der Bundesregierung bisher nicht bekanntgeworden. Insofern besteht kein Anlaß, gegen die Ausgabe von Kreditkarten oder deren Werbung einzuschreiten. Im übrigen vertraut die Bundesregierung darauf, daß der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Kreditkartensystemen dafür sorgt, daß die Kosten der Kreditkarten in einem vertretbaren Rahmen bleiben.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß von der Verbreitung der Kreditkarten zumindest preissteigernde Effekte einfach deshalb ausgehen können, weil die Rabatte der Händler, die diese zu gewähren haben, kaum zu Lasten der Gewinne, sondern eher in die Preise gehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Eine solche Aussage ist nicht möglich, Herr Kollege, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich die Rabatte, die die Händler gewähren, auf Grund des erhöhten Umsatzes nicht auch in einer entsprechenden Verbesserung des Ertrages niederschlagen. Aber Spekulationen darüber sind angesichts der geringen Verbreitung der Kreditkarten tatsächlich außerordentlich schwer anzustellen. Ich bin ziemlich sicher, daß die Rabatte, die die Handelsunternehmen und die Einzelhändler einräumen, von ihnen deshalb eingeräumt werden, weil sie auf Grund einer Umsatzausweitung auch mit einem entsprechend höheren Ertrag rechnen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann vielleicht bestätigen, daß es ökonomische Sachzwänge gibt, die dazu führen werden, daß sich diese Kreditkarten weiter ausbreiten werden, und zwar wegen der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Kartenausgebern, zwischen den Händlern und auch zwischen den Kartenbesitzern und den Nichtbesitzern?Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht an eine Ausweitung des Kreditkartensystems, wenn nicht Vorteile für den, ,der die Kreditkarte in Anspruch nimmt, das tatsächlich rechtfertigen. Angesichts der geschilderten geringen Verbreitung, vor allem aber auch im Blick darauf, daß innerhalb der Bundesrepublik Deutschland selbst ein wirtschaft-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7783
Parl. Staatssekretär Grünerlieh günstigeres System, nämlich die EurochequeKarte zur Verfügung steht, glaube ich nicht, daß ein solches System in Anspruch genommen würde, wenn sich der einzelne davon nicht eine Bequemlichkeit verspräche, die er zu honorieren bereit ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Rapp auf:
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß norditalienische Stahlhersteller bei Beton- und Stabstahl die Preisvorschriften der Kommission der EG hartnäckig unterlaufen, sich dadurch starke Wettbewerbsvorteile auf dem deutschen Markt verschaffen und so ihre Lieferungen nach Deutschland zu Lasten deutscher Produzenten laufend erhöhen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Bitte schön.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es trifft nach unseren Feststellungen zu, Herr Kollege, daß norditalienische Stahlhersteller bei Beton- und Stabstahl die obligatorischen Preisvorschriften der Kommission der Europäischen Gemeinschaft hartnäckig unterlaufen. Auf Grund der Preisunterbietungen haben sie ihre Lieferungen auf dem deutschen Markt trotz der schlechten Stahlkonjunktur beträchtlich ausgeweitet, während die deutschen Lieferungen stagnieren oder rückläufig sind. Die deutschen Stahlhersteller klagen bei Beton- und Stabstahl, insbesondere in diesem Jahr, in dem die Kommission ihre Mindestpreispolitik intensiviert hat, darüber, daß sie kaum noch Aufträge erhalten und ihre Beschäftigungslage entsprechend leidet. Zum Mindestpreisniveau ist auf Grund des Verhaltens der norditalienischen Hersteller anscheinend überhaupt kein Auftrag mehr zu erhalten.
Die Bundesregierung hat den obligatorischen Preisvorschriften mit Rücksicht auf das nachhaltige Drängen der meisten Mitgliedstaaten und der Kommission der EG zugestimmt, um den gemeinsamen Stahlmarkt nicht zu gefährden. Für ihr Zögern war auch maßgeblich, daß sie die praktischen Schwierigkeiten der Durchsetzung derartiger Marktregelungen erwartete. Sie ist der Ansicht, daß die Vorschriften der Kommission nur dann helfen können und für die loyalen Unternehmen zumutbar sind, wenn sie lückenlos durchgesetzt werden. Dies hat sie seit Einführung der Mindestpreisregelung im Mai 1977 für Betonstahl und im Dezember 1977 für Stabstahl gegenüber der Kommission und dem Rat immer wieder erklärt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gibt es, was die Wettbewerbsvorteile der norditalienischen Stahlhersteller anlangt, im Kostengefüge dieser Unternehmen Elemente, die von uns aus als diskriminatorisch und grob wettbewerbsverfälschend empfunden werden können oder müssen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Elemente kann ich in der gegenwärtigen Situation nur in der Nichteinhaltung der von der Kommission verfügten Mindestpreisvorschriften sehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe nicht nach der Einhaltung der Preisvorschriften, sondern nach dem Kostengefüge gefragt.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir haben vom Kostengefüge her keinen Anlaß, an der Wettbewerbsfähigkeit unserer Stahlindustrie in diesem Bereich zu zweifeln — mit einigen Variationen, auf die ich hier nicht eingehen möchte. Es gibt selbstverständlich Unterschiedlichkeiten. Aber das entscheidende Moment ist natürlich die Frage, ob bei reduzierter Nachfrage nach Stahl bei dem einen die Kapazitäten ausgelastet werden können, weil die Mindestpreisvorschriften nicht eingehalten werden, d. h. eine gewaltige Steigerung der Absatzmengen der Bresciani in unserem Raum zu verzeichnen ist, bei den deutschen Stahlunternehmen aber die Kapazitäten immer weniger ausgelastet werden, was natürlich automatisch entsprechende Kostennachteile mit sich bringt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffmann.
Herr Staatssekretär, da diese Frage des Billigstahls aus Italien nicht nur die Seite des Anbieters, sondern auch die des Nachfragers betrifft: Sehen Sie irgendwelche Möglichkeiten, auf deutscher Seite bei den Nachfragern nach diesem Billigstahl Kontrollen einzuführen, um das Geschäft von dieser Seite her zu unterbinden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir haben in diesem Bereich keinerlei nationale Möglichkeiten. Wir haben der Kommission detaillierte Vorschläge unterbreitet, was aus unserer Sicht getan werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, halten Sie es angesichts dieser Situation auf dem Stahlmarkt für richtig, daß jetzt weitere dirigistische Maßnahmen ergriffen werden, oder wäre es nicht viel besser, auf das Kartell überhaupt zu verzichten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung war dieser Auffassung. Sie hat sich damit aber innerhalb der Kommission und innerhalb des Rats nicht durchsetzen können, wie ich schon ausgeführt habe. Wir sehen die außerordentlich große Gefahr, daß die jetzige Politik der Festsetzung von Mindestpreisvorschriften, die nicht eingehalten werden, die die Kommission nicht durchsetzen kann, dazu führt, daß der Wettbewerb zu Lasten der Abnehmer verfälscht wird und weitere Industriegruppen in die Schwierigkeiten geraten, welche im Augenblick die Stahlindustrie blasten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
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7784 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Vizepräsident StücklenIch rufe die Frage 100 des Abgeordneten Rapp auf:Was hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zum Schutz der deutschen Stahlproduzenten unternommen, und was wird sie in dieser Angelegenheit weiterhin tun?Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat die EG-Kommission 1977 und insbesondere in diesem Jahr wiederholt aufgefordert, ihre obligatorischen Preisvorschriften gegenüber allen betroffenen Stahlproduzenten durchzusetzen. Sie wird dabei seit einiger Zeit von den Regierungen anderer Mitgliedstaaten nachhaltig unterstützt. Die bisherigen Versuche der Kommission, das Verhalten der norditalienischen Stahlproduzenten abzustellen, waren nicht erfolgreich. Bei der Ratssitzung am 6. Juni haben die Regierungen der meisten Mitgliedstaaten darauf hingewiesen, daß das gesamte Krisensystem der Kommission für den Stahlbereich durch das Verhalten der italienischen Werke auf das schwerste gefährdet wird und unverzüglich effektive Maßnahmen ergriffen werden müssen.Die Kommission hat daraufhin ein neues, kompliziertes Überwachungs- und Sanktionssystem angekündigt. Die Bundesregierung ist bereit, auch bei den nunmehr vorgesehenen Maßnahmen im Rahmen ihrer rechtlichen und technischen Möglichkeiten mitzuwirken.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffmann.
Trifft es zu, daß die Kommission Vorschläge gemacht hat, daß gerade die italienischen Stahlprodukte über ein gemeinsames Kontor verkauft werden sollen, so daß man darüber bessere Kontrollen durchführen kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Kommission wünscht, daß die nationalen Zollbehörden bei allen Betonstahlimporten, bei denen eine Unterbietung der Mindestpreise erkennbar ist, eine Kaution von 25 % des Wertes erheben, um die spätere Realisierung des Bußgeldanspruchs sicherzustellen. Importe, bei denen der Verdacht auf Unterbietung besteht, werden fünf Tage nicht abgefertigt, damit die Kornmission den Vorgang untersuchen und gegebenenfalls eine Kaution festsetzen kann. Außerdem will die Kommission die Bußgeldverfahren zeitlich erheblich verkürzen.
Die von der Kommission vorgesehene Regelung, die erst vor wenigen Tagen in groben Zügen bekannt wurde, wird von uns grundsätzlich unterstützt, jedoch muß ihre konkrete Ausgestaltung in einigen Punkten geändert werden, damit sie von den deutschen Behörden durchgeführt werden kann.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 101 des Abgeordneten Hoffmann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit einer Beeinflussung der Arbeitsplatzentwicklung in der saarländischen Stahlindustrie durch das luxemburgische Gesetz zur „Tripartite"
und die Pläne der belgischen Regierung, Anteile am ArbedKonzern zu erwerben, die damit entscheidenden Einfluß auf die
Rationalisierungstendenzen des Unternehmens nehmen wollen?
Bitte schön.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht bislang keine Anhaltspunkte dafür, daß die Arbeitsplatzentwicklung in der saarländischen Stahlindustrie durch das luxemburgische Tripartite-Gesetz und die belgischen Pläne zur Restrukturierung der Stahlindustrie beeinflußt wird. Sie beobachtet die Stahlpolitik der Nachbarstaaten seit längerem sehr genau, um sicherzustellen, daß die Pläne für die Saar nicht beeinträchtigt werden. Mit beiden Regierungen bestehen wegen dieser Fragen enge Kontakte.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in einer Vorlage der belgischen Regierung bereits Quotenzuteilungen für die Rohstahlproduktion genannt worden sind, die auch die Saar betreffen, und wie würden Sie das politische Faktum bewerten, daß von politischen Bindungen — kapitalmäßig, sozial oder allgemein politisch — des Kapitals von Stahlindustrien in Belgien und Luxemburg ein stärkerer Einfluß auf die Arbeitsplatzgestaltung ausstrahlen kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Informationen, die sie erwähnen, liegen mir nicht vor. Ich würde zu Ihrer Frage gerne schriftlich Stellung nehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 102 des Abgeordneten Hoffmann auf:
Welche weiteren Maßnahmen zur Sicherung der Arbeitsplätze in der saarländischen Stahlindustrie gedenkt die Bundesregierung — vor dem Hintergrund der staatlichen Einflußnahme auf den Arbed-Konzern in Luxemburg und Belgien — zu ergreifen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird die Restrukturierungspläne für die Saar fördern. In den abzuschließenden Verträgen mit den Saar-Unternehmen und der Arbed werden hinreichende Kontrollmöglichkeiten eingebaut, um die Durchführung der Saar-Konzeption überwachen zu können. Außerdem können jederzeit Gespräche mit. der belgischen und der luxemburgischen Regierung geführt werden, um Zweifelsfragen zu bereinigen.
Im übrigen ist daran zu erinnern, daß wir in den Saar-Stahlunternehmen die Mitbestimmung der Arbeitnehmer haben, die weder in Belgien noch in Luxemburg existiert.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß überbetriebliche Mitbestimmungsmöglichkeiten in Belgien und Luxemburg durch die Tripartite-Konferenzen gegeben sind, und würden Sie einen Vorschlag von belgischer und
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7785
Hoffmann
luxemburgischer Seite akzeptieren, daß man eine gemeinsame Dreier-Konferenz — Gewerkschaften, Unternehmer und öffentliche Hand — für den Bereich Belgien, Luxemburg und Saarland abhält?Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir glauben, daß die Restrukturierungsmaßnahmen nur im engen Zusammenwirken aller Beteiligten erfolgreich sein können, wie wir das ja auch tatsächlich praktiziert haben. Wir sind aber der Meinung, daß dabei nicht in das bestehende Mitbestimmungsrecht auf nationaler Ebene eingegriffen werden sollte.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 103 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Hanz, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Die Fragen 104 und 105 des Abgeordneten Oostergetelo sind zurückgezogen worden.
Die Frage 107 soll auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Glos, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Die Fragen 108 bis 115, also der gesamte Geschäftsbereich, sollen auf Wunsch der Fragesteller, der Abgeordneten Löffler, Frau Steinhauer, Immer , Enders und Kuhlwein, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Bülow zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 117 des Abgeordneten Damm auf:
Teilt die Bundesregierung meine Ansicht, daß die ,,Verteidigungskraft des Bündnisses und das Verteidigungsinteresse der Bundesrepublik Deutschland" die Erhaltung der in ihrer Größenordnung bescheidenen deutschen Rüstungsindustrie verlangen, nicht nur, um die Bundeswehr mit wichtigen Waffen und Geräten aus nationaler Produktion auszurüsten, sondern mehr noch, um die Bundesregierung und die militärische Führung der Bundeswehr in die Lage zu versetzen, über den neuesten Stand der Rüstungstechnologie informiert zu sein, und zieht die Bundesregierung bejahendenfalls daraus wie ich den Schluß, daß eine solche Erhaltung der deutschen Rüstungsindustrie mit ihren rund 150 000 meist hohe Qualität der Mitarbeiter erfordernden Arbeitsplätzen nur durch eine kontinuierliche Beschäftigung zu erreichen ist?
Herr Kollege Damm, die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß die Erhaltung von leistungsfähigen und angemessenen Rüstungskapazitäten in der deutschen Wirtschaft für die Verteidigungskraft des Bündnisses notwendig ist und im Verteidigungsinteresse der Bundesrepublik Deutschland liegt. Eigene Rüstungskapazitäten dienen nicht nur der Ausrüstung der Bundeswehr mit wichtigen Waffen und Gerät auf Grund eigener Konzeptionen und Entwicklungen, sie sind auch notwendig zur Erhaltung der eigenen Urteilsfähigkeit,
zur Wahrung der Partnerschaftsfähigkeit bei Rüstungskooperationen, zum Erwerb moderner Technologie aus den Bündnisländern sowie als nationaler Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung im Westen.
Es trifft auch zu, daß der Umfang der deutschen Rüstungskapazitäten im Vergleich zu denen anderer Länder relativ bescheiden ist. Die deutschen Kapazitäten sind auf den Bedarf der Bundeswehr und den möglichen Bedarf von Bündnispartnern ausgerichtet.
Die kontinuierliche Beschäftigung dieser hochwertigen Spezialkapazitäten liegt auch im Interesse der Bundeswehr.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie können sich denken, daß ich diese Antwort sehr begrüße. Nun frage ich Sie, wie die Bundesregierung die kontinuierliche Beschäftigung der in ihrer Größenordnung mit ca. 150 000 Arbeitsplätzen bescheidenen deutschen Rüstungsindustrie bewirken will, wenn sie selber dieser Industrie nicht genügend Aufträge erteilen kann, ihr aber die notwendigen Exportgenehmigungen verweigert.
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie kennen sicher die Problematik des deutschen_ Rüstungsexports. Ich wollte darauf im Zusammenhang mit der Antwort auf die Frage 118 noch eingehen.
Wir sehen die Problematik. Wir sehen aber z. B. in dem Fall des Gepard durchaus die Möglichkeit, daß er noch in weitere NATO-Länder exportiert werden kann, so daß diese Problematik in dem vorliegenden Fall nicht auftreten wird.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Auf den Gepard kommen wir nachher bei der nächsten Frage.Ich möchte hier, wo es um die Grundsätze geht, noch fragen: Sollte nicht die Bundesregierung bei allen konkreten Entscheidungen die Bedenken berücksichtigen, die Klaus von Dohnanyi in der Arbeitsgruppe Waffenexport der SPD-Fraktion erhoben hat, nämlich — ich zitiere — daß jeder Rüstungsexport, auf den die Bundesrepublik Deutschland verzichtet, umgehend von einem anderen Industriestaat getätigt werde und daß — wie es in dem Bericht weiter heißt —, wenn sich der Westen zurückhalte, ein Vakuum entstehe, das nur allzu gerne von der Gegenseite ausgefüllt werde, wie in Angola und Mozambique?Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: So richtig diese Äußerung ist, so zweifellos besteht die Politik der Bundesregierung im Bereich des Waffenexports darin, keine Rüstungsexportkapazitäten aufzubauen, um diesen Weltmarkt für Rüstungsgüter bedienen zu können.
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7786 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase.
Herr Staatssekretär, auch ich begrüße natürlich Ihre Antwort auf die Frage 117 aus naheliegenden Gründen. Aber da es für alle Kenner ersichtlich ist, daß sich die von Ihnen und von uns gewünschte kontinuierliche Beschäftigung der über 100 000 im Rüstungsbereich tätigen Arbeitnehmer ohne eine verstärkte Einschaltung des Exports nicht bewirken läßt, frage ich Sie: Welche Pläne hat die Bundesregierung dann, verehrter Herr Staatssekretär, um die Beschäftigungslücken und -einbrüche, die alleweil zu gewärtigen sind, auch in nächster Zukunft, nicht auftreten zu lassen?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Wir haben nicht die Absicht, diese Kapazitäten durch eine große Erweiterung des Rüstungsexports voll zu beschäftigen. Wir achten sehr darauf, daß die Firmen, die sich um Rüstungsaufträge bewerben, nach Möglichkeit ein diversifiziertes Produktionsprogramm haben, d. h. auf mehreren Beinen stehen, so daß sie nicht voll von der Ausrüstung der Bundeswehr bzw. von der Notwendigkeit, zu exportieren, abhängig sind. Aber die Angelegenheit muß von Fall zu Fall beurteilt werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hennig.
Herr Staatssekretär, muß nicht die Bundesregierung ihrer eigenen Überzeugung, daß es in der Welt auf regionale Gleichgewichte und außenpolitische Balancen ankomme, wie das Bundeskanzler und Außenminister jüngst öffentlich kundgetan haben, auch in ihrer außenpolitischen Praxis folgen und verantwortungsvollen Regierungen die Herstellung solcher Gleichgewichte ermöglichen?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Die Frage ist, ob dazu deutscher Rüstungsexport zwingend erforderlich ist. Die Bundesregierung ist nicht der Meinung, daß das unsere Aufgabe ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz .
Herr Staatssekretär, muß ,die Bundesrepublik Deutschland bei ihren Entscheidungen über Waffenexporte nicht ähnliche Grundüberlegungen anstellen, wie sie das für die Sicherung des Friedens für unser eigenes Land seit mehr als 20 Jahren mit Erfolg tut, daß nämlich in einer Welt wie der, in der wir leben, militärisches Gleichgewicht und militärische Abschreckung eher als regionale Ungleichgewichte und Wehrlosigkeit den Frieden erhalten?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Sie wird auch diesen Gesichtspunkt mit berücksichtigen müssen. Aber sie hat sich zum Prinzip gesetzt, daß sie
Rüstungsexporte z. B. in Spannungsgebiete nicht zulassen will. Das ist ,die Politik dieser Bundesregierung, und dabei gedenkt sie zu bleiben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Damm auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihre Entscheidung, keine Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz zur Ausfuhr des Flakpanzers Gepard z. B. in ein Land wie Ekuador zu erteilen, zu überdenken und dabei zu berücksichtigen, daß die an der Gepard-Produktion beteiligten rund 2 000 deutschen Firmen mit rund 12 000 Mitarbeitern allein durch diesen Auftrag zwei Jahre lang beschäftigt wären, was angesichts der Tatsache, daß die deutsche Gepard-Produktion für die Bundeswehr und alle denkbaren NATO-Partner spätestens 1982 ausläuft, eine Anschlußverwendung des qualifizierten Ingenieur-und Facharbeiterpersonals für einen neuen Flakpanzer aber erst Jahre später möglich ist, zur Erhaltung der „vorhandenen deutschen Industriekapazitäten auf dem Rüstungssektor" (Dr. von Bülow) von großer Bedeutung wäre?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei der genannten Entscheidung hatte die Bundesregierung verschiedene Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen, darunter auch den der beschäftigungspolitischen Bedeutung des Auftrags für die mit der Gepard-Produktion befaßten Firmen. Nach unseren Ermittlungen handelt es sich im übrigen um etwa 3 500, nicht um 12 000 Arbeitsplätze, die über zwei Jahre gesichert wären. Bei der Anwendung der restriktiven Rüstungsexportpolitik stellt sich für die Bundesregierung immer wieder das Problem, daß jede Versagung einer Ausfuhrgenehmigung auch den Verzicht auf einen wirtschafts- und beschäftigungspolitisch an sich begrüßenswerten Auslandsauftrag bedeutet.
Die Bundesregierung ist aber nach wie vor davon überzeugt, daß unsere restriktive Rüstungspolitik unseren außenpolitischen Interessen und denen unserer Sicherheit am besten entspricht und sich bewährt hat. Sie ist der Auffassung, daß diese Interessen den grundsätzlichen Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen verdienen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, um es uns noch einmal in Erinnerung zu rufen: Es geht jetzt um die Frage der möglichen Genehmigung der Ausfuhr von etwa 50 Flakpanzern an Ekuador, das auch nach Meinung der Bundesregierung kein Spannungsgebiet ist. Meine Frage lautet: Warum genehmigt die Bundesregierung, wie sie das getan hat, die Ausfuhr von U-Booten und Schnellbooten nach Ekuador, nicht aber die Ausfuhr von Flakpanzern?Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat bisher in keinem einzigen Fall den Export von modernen Kampfpanzern außerhalb von NATO-Ländern zugestanden. Deshalb ist dies auch in diesem Fall nicht geschehen. Es handelt sich hier um ein modernes Waffensystem.Bei der Frage des Exports von U-Booten und anderen Schiffen sind Ausnahmen gemacht worden, bei denen natürlich nicht ausschließlich, aber auch die beschäftigungspolitische Situation, die hier bei
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7787
Parl. Staatssekretär Dr. von Bülowder deutschen Werftindustrie völlig anders zu Buche schlägt, in Rechnung gestellt wurde.
Eine weitere Zusatzfrage? — Ich bitte, mir immer durch Handzeichen zu erkennen zu geben, ob Sie eine weitere Frage stellen möchten.
Herr Staatssekretär, müßten Sie nicht als jemand, der im Grunde für diese Fragen weniger zuständig ist als das Auswärtige Amt, aber doch im Verteidigungsbereich genau Bescheid weiß, deutlich machen, daß ein Flakpanzer nicht ein moderner Kampfpanzer ist, sondern ein Gerät, das man, wenn man überhaupt einen Unterschied machen will, als wirkliche Defensivwaffe bezeichnen muß, das ausschließlich zur Bekämpfung von Luftzielen geeignet ist?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Es ist außerordentlich problematisch, moderne Waffensysteme daraufhin zu untersuchen oder jeweils zuzuordnen, ob sie Defensiv- oder Offensivwaffen sind. Beim Gepard könnten Sie vielleicht davon ausgehen, daß es mehr ein Defensivwaffensystem ist. Einen normalen Kampfpanzer können Sie für die Defensivaufgabe ebenso wie für die Offensivaufgabe einsetzen. Insofern gibt es durchaus Unterscheidungsmöglichkeiten. Die Bundesregierung unterscheidet bei ihrer Waffenexportpolitik und bei der Frage der Genehmigung aber nicht nach Defensiv- und Offensivwaffen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, da Sie die Fragen des Kollegen Damm bisher eigentlich nicht schlüssig in dem Sinne beantwortet haben, daß man den Eindruck gewinnen konnte, es liege in der Logik der bisherigen Politik der Bundesregierung, eine Exportgenehmigung zu versagen, frage ich Sie: Sind Sie angesichts dieser Fragen bereit, die Entscheidung der Bundesregierung nochmals zu überprüfen?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist jederzeit bereit, einmal getroffene Entscheidungen erneut zu überprüfen. In diesem Fall ist der Gesichtspunkt der Auslastung der Industrie über das Jahr 1980 hinaus gegen das Prinzip der Bundesregierung abgewogen worden, bisher Exporte von Waffen, vor allen Dingen moderner Waffensysteme, außerhalb des NATO-Bereiches äußerst zurückhaltend zu handhaben. Beides ist gegeneinander gewogen worden. Die Entscheidung ist so gefällt worden, wie sie sich hier in den Fragen und Antworten niedergeschlagen hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase.
Herr Staatssekretär, Ihrer Antwort an Herrn Abgeordneten Damm muß ich entnehmen, daß Sie besondere Hemmungen bei dem Export von Kettenfahrzeugen kultivieren, weil sie sich vielleicht mehr zum Einsatz gegen innenpolitische Gegner eignen, wie ich einmal unterstellen möchte. Ist sich die Bundesregierung aber denn darüber im klaren und darüber unterrichtet, daß Ekuador mehrere Hundert der im Gepard verwandten 35-mm-Kanonen als Einzelgeschütze direkt aus der Schweiz erhält, und ist die Bundesregierung sich weiter darüber im klaren, daß solche Einzelgeschütze, noch mehr aber Maschinengewehre und andere Handfeuerwaffen zur Abwehr von Demonstranten wesentlich wirksamer und billiger eingesetzt werden können als der lediglich zur Flugabwehr gedachte Flakpanzer Gepard, der, wie wir beide wissen, pro Stück 7 Millionen DM kostet?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn ich schon für die Fragen, die hier erörtert werden, letztlich nicht zuständig bin, weil die Fragen der Waffenexportpolitik in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes gehören, so bin ich für die Waffenexportpolitik der Schweiz um so weniger zuständig.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung leiden würde, wenn sie bereit wäre, ihr Prinzip etwa durch die Umschreibung möglichst vieler Waffen als Defensivwaffen aufzugeben?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß es zwar in einigen wenigen Fällen möglicherweise ein hilfreiches Prinzip zur Unterscheidung im Rahmen der Waffenexportpolitik sein könnte, daß es aber bei den meisten Waffensystemen nicht sinnvoll zum Tragen gebracht werden könnte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biehle.
Herr Staatssekretär, will die Bundesregierung keine Konsequenzen aus der Tatsache ziehen, daß der Einbruch in das deutsche Flakpanzer-Know-how und in die entsprechenden Arbeitsplätze bereits für 1981/82 vorprogrammiert ist, wenn die entsprechenden Anschlußaufträge nicht schon in diesem Jahre gesichert werden?Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Biehle, ich gehe nicht davon aus, daß dies der Fall sein muß. Es gibt noch eine ganze Reihe von NATO-Partnern — ich denke hier nur an die Kanadier —, die sich durchaus für das Waffensystem „Gepard" interessieren. Wir können nicht jedesmal unter dem Gesichtspunkt des drohenden Kapazitätsverlustes in eine schrankenlose Exportpolitik einwilligen. Das würde sich sehr schnell aus solchen Argumentationen ergeben. Die Bundesregierung will bei ihrer sehr restriktiven Waffenexportpolitik bleiben.
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7788 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Dr. Corterier auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Engholm zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Weißkirchen auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, in welchen Branchen es derzeit unbesetzte Lehrstellen gibt, und wie groß ist deren Zahl?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Dübber, Hinweise über vorhandene unbesetzte Ausbildungsstellen werden periodisch von den Berufs-
und Zentralverbänden bestimmter Branchen veröffentlicht. In diesem Zusammenhang genannte Zahlen können von der Bundesregierung nur insoweit nachgeprüft werden, als diese Ausbildungsstellen auch den zuständigen Arbeitsämtern gemeldet werden. Nur wenn dies geschieht, ist gesichert, daß vorhandene Ausbildungsplätze auch für die Berufs- und Ausbildungsberatung und damit für die Entscheidung des einzelnen Ausbildungsplatzsuchenden genutzt werden. Globale Branchenzahlen können für den jungen Menschen allenfalls eine Orientierungshilfe sein.
Die Zahl der bei der Bundesanstalt für Arbeit gemeldeten Ausbildungsstellen hat im April 1978 bei 321 060 und damit um 16,9 % höher als im entsprechenden Monat des Vorjahres gelegen. Die gemeldeten Ausbildungsstellen werden von der Bundesanstalt für Arbeit nicht nach Branchen, sondern nach Berufen bzw. Berufsgruppen aufgegliedert. Die im April 1978 gemeldeten offenen 321 060 Ausbildungsplätze verteilen sich prozentual u. a. — ich darf eine Auswahl treffen — auf folgende Berufe: Metallberufe 21,5 %, Waren- und Dienstleistungskaufleute 21 %, Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufe 14,8 %, Bau- und Baunebenberufe einschließlich Tischler 10,9 %, Elektriker 7,1 %, Ernährungsberufe 4,5 %. Abschließend noch eine kleinere Zahl: Verkehrsberufe 1,1 %.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß sich diese Nachfrage auf einige wenige Berufe konzentriert, und wenn ja, können Sie diese Berufe nennen?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Es trifft zu, Herr Kollege Dr. Dübber, daß sich ein großer Teil der
Ausbildungsplatznachfrage auf relativ wenige Berufe konzentriert. Ich darf davon einige nennen. So nimmt etwa der Ausbildungsberuf Verkäuferin bzw. Verkäufer — erste Ausbildungsstufe — allein 7,6 % der neu abgeschlossenen Ausbildungsplätze in Anspruch. Der Beruf Kraftfahrzeugmechaniker folgt mit 5,5 %, Friseur mit 4,7 %, Industriekaufmann mit 4 % und Bürokaufmann mit 3,9 %. Das heißt, eine kleine Zahl von Berufen hat einen Löwenanteil an den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gibt es Berufe oder Branchen, in denen die zum Teil in größerem Umfang angebotenen Ausbildungsplätze schort über längere Zeit hinweg nicht besetzt werden können?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Es gibt darüber Informationen, die der Bundesregierung und dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft überwiegend aus Branchenveröffentlichungen oder aus der Presse bekannt sind. Wir können sie im Detail nicht überprüfen. Aber wir glauben, daß es zutrifft, daß in einigen Branchen eine ganze Reihe von Ausbildungsplätzen über längere Zeit hinweg nur schwer besetzbar gewesen sind und auch heute noch sind. Die Hauptbereiche, die davon betroffen sind: Bauhauptgewerbe, ledererzeugende Industrie, Sägewerke und holzverarbeitende Industrie, Gießerei-und Fleischereiindustrie, Nahrungsmittelhandwerk und auch das Bauausbauhandwerk.
Ich muß hier hinzufügen, daß die Vorliebe der jungen Menschen, sich auf bestimmte Ausbildungsberufe zu konzentrieren und andere als unattraktiv zu bezeichnen, nicht immer einen wirklich sachlich nachprüfbaren Hintergrund hat. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal mit Nachdruck darauf hinweisen, daß etwa in den Bereichen des Baugewerbes, in allen Bauberufen, seit geraumer Zeit neugeordnete Ausbildungsordnungen vorliegen, die eine hohe Qualität und damit auch eine künftige Flexibilität versprechen. .Dies scheint noch nicht allen jungen Ausbildungsplatzbewerbern hinreichend bekannt zu sein.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, welche Vorsorge ist auf Grund des von Ihnen vorgetragenen Tatbestandes von der Arbeitsverwaltung getroffen worden, um dafür zu sorgen, daß angesichts der Tatsache, daß es ja auch umgekehrt noch eine große Zahl von Nachfragern nach Lehrstellen gibt, die Nachfrager auf diese Möglichkeiten hingewiesen werden?Engholm, Parl. Staatssekretär: Diese Frage fällt nicht direkt in unseren Kompetenzbereich, aber ich denke, daß ich sie beantworten darf. Die Bundesanstalt für Arbeit hat sich im vergangenen Jahr und in diesem Jahr sehr intensiv darum bemüht, nicht
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 98. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Juni 1978 7789
Parl. Staatssekretär Engholmnur die Zahl der Ausbildungsberater zu erhöhen, sondern durch ständige Weiter- und Fortbildung auch die Qualität der Ausbildungsberater zu erhöhen. In allen örtlichen Arbeitsamtsbereichen wird deutlich darauf hingewiesen, in welchen Branchen bzw. in welchen Berufsgruppen dauerhaft unbesetzte Ausbildungsplätze vorhanden sind. Das heißt, die Information den Jugendlichen gegenüber scheint mir heute auszureichen.Ich darf noch einmal mit Nachdruck darum bitten, daß die örtlichen Betriebe — das betrifft auch die Arbeit der Abgeordneten vor Ort — darauf hingewiesen werden, daß, je höher die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze bei der Arbeitsverwaltung ist, sich desto leichter Transparenz für die Jugendlichen im Ausbildungsmarkt einstellt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage 38 wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 39. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde und am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung für Mittwoch, den 21. Juni 1978, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.