Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Für den verstorbenen Abgeordneten Schwabe hat die Fraktion der SPD den Abgeordneten Ibrügger als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Ibrügger als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament gewählt.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 16. Februar 1978 mitgeteilt, daß der Ausschuß von den nachstehenden EG-Vorlagen Kenntnis genommen hat:
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Regelung der Lizenzerteilung zur Kontrolle der Fischereitätigkeit von Drittländern in den der Hoheitsgewalt oder Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten unterstellten Gewässern, für die die gemeinschaftliche Regelung für die Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände gilt (Drucksache 8/548)
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Festlegung bestimmter Maßnahmen zur Überwachung der Tätigkeit von Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft (Drucksache 8/1110)
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Festlegung von Maßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände durch Aufstellung von Fangquoten für das Jahr 1978 (Drucksache 8/1131)
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Festlegung technischer Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände (Drucksache 8/1133)
Vorschlag einer Richtlinie des Rates über bestimmte Sofortmaßnahmen zur Anpassung der Kapazitäten in der Fischwirtschaft
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat
mit Schreiben vom 24. Januar 1978 mitgeteilt, daß sich zum
Vorschlag für einen Beschluß des Rates der EWG zur Änderung des Beschlusses des Rates vom 22. Juli 1975 zur Festlegung von gemeinsamen Forschungsprogrammen und Programmen zur Koordinierung der Forschung in den Bereichen Tierleukosen, Tierzuchtabfälle, Rindfleischerzeugung und Erzeugung von pflanzlichem Eiweiß
eine Ausschußberatung erübrige, da die Kommission der Europäischen Gemeinschaft die Zurückziehung des Vorschlags bekanntgegeben habe.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat mir mitgeteilt, daß zwischen den Fraktionen eine Vereinbarung dahin gehend erzielt worden sei, daß die Plenarsitzung heute um 19 Uhr beendet werden soll. Wird dagegen Widerspruch erhoben? — Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 18 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen mit Statistik über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 14. Dezember 1976 bis 31. Dezember 1977 eingegangenen Petitionen
— Drucksache 8/1450 —
b) Beratung der Sammelübersicht 19 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 8/1505 —
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das .Wort hat der Herr Abgeordnete Scheu.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, heute bei diesem Bericht das Bild des Petitionsausschusses an einem bestimmen Punkt ein wenig zurechtzurücken. In der Öffentlichkeit —ich glaube, auch in diesem Hause—ist die Meinung verbreitet, der Petitionsausschuß habe ausschließlich die Aufgabe, dem Bürger in seinen Nöten und Schwierigkeiten, die er persönlich mit dem Gesetzgeber, den Behörden, der Verwaltung usw. hat, zu helfen, quasi die Brücke zwischen Bürgerschaft, Regierung und Parlament zu bilden. Dies ist zweifellos ein Schwerpunkt der Aufgabe des Petitionsausschusses. Aber es gibt in zunehmendem Maße einen zweiten Schwerpunkt, über den ich heute speziell bei der Übergabe dieser Sammelberichte sprechen möchte. Das sind die Petitionen, die, wenn wir helfen können, wenn wir Rat wissen, wenn wir einen neuen Weg aufzeigen, nicht einem, sondern unter Umständen vielen Tausenden Bürgern helfen, das Leben in dieser Bundesrepublik noch etwas schöner zu machen und noch etwas zu erleichtern. Wir helfen also mit Einzelentscheidungen indirekt manchmal vielen Tausenden, unter Umständen sogar Hunderttausenden von Mitbürgern. Ich werde Beispiele dafür bringen. Ich möchte deshalb heute vor allem über diese Petitionen berichten.
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5890 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
ScheuSo waren beispielsweise mehrere Petitionen inden letzten Monaten oder im letzten halben Jahr Anlaß, mit dem Auswärtigen Amt die Betreuung deutscher Touristen zu erörtern, die im Ausland in eine Notlage geraten, sei es durch einen Verkehrsunfall, sei es durch einen Überfall, und Unterstützung brauchen. Aus mehreren Eingaben haben wir den Eindruck gewonnen, daß die bisherige Betreuung durch die deutschen Auslandsbehörden nicht immer ausreicht.Besonders sorgfältig haben wir uns des Falles eines Urlauberpaares angenommen, das im vergangenen Sommer in Italien in den Tagen um die Kappler-Befreiung herum auf einem Parkplatz überfallen worden war. Dabei waren die Frau von drei Schüssen in den Kopf sowie zwei Schüssen in den Rücken und der Mann von drei Schüssen an anderen Stellen des Körpers getroffen worden. Die Tätigkeit der deutschen Botschaft in Rom hatte sich darauf beschränkt, ein Telefonat mit dem verletzten Mann zu führen, obwohl u. a. für die Rückführung der Frau gesorgt werden mußte. Die Auskünfte des Auswärtigen Amts, die der Ausschuß bekam, waren zunächst sehr dünn und unvollständig, so daß wir den zuständigen Staatssekretär im Auswärtigen Amt vor den Ausschuß laden mußten. Inzwischen hat das Auswärtige Amt auf unseren Wunsch hin zugesagt, bei der Betreuung deutscher Auslandsreisender einiges zu verbessern, z. B. durch Verstärkung des Bereitschaftsdienstes oder durch Ausgabe einer Touristenfibel, die über Hilfsmöglichkeiten besser als bisher informieren soll.Bei den Beratungen dieser Petitionen kamen wir im übrigen zu dem Ergebnis, daß eine Entschädigungsregelung für deutsche Opfer von Gewalttaten im Ausland von Parlament und Regierung sehr ernsthaft erwogen werden sollte. Im Jahr 1976 ist für das Gebiet der Bundesrepublik hier eine Regelung gefunden worden. Wir haben deshalb vom Ausschuß aus beantragt, diese Eingaben der Bundesregierung zur Erwägung sowie den Fraktionen mit der Empfehlung zu überweisen, eine Gesetzesvorlage zu schaffen.Eingehend haben wir uns in mehreren Sitzungen mit einem schwierigen Problem der Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger parteipolitischer Werbung bei der Bundeswehr beschäftigt. Wegen der Bedeutung dieses Themas haben wir dazu u. a. den Innen- und den Verteidigungsminister angehört. Es ging um die Frage, ob es zivilen Bundeswehrbediensteten ebenso wie Soldaten verboten werden darf, durch Autoaufkleber im Kasernengelände für eine bestimmte politische Partei zu werben. In einem Erlaß des Generalinspekteurs zur letzten Bundestagswahl wurden die Zivilbediensteten aufgefordert, entweder die Aufkleber zu entfernen oder ihre Wagen außerhalb des Dienststellengeländes abzustellen. Die Petenten halten dadurch ihr. Grundrecht auf freie Meinungsäußerung für verletzt.Wir kamen nach eingehenden Beratungen zu dem Ergebnis, daß die Anordnung wegen der überragenden Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht zu rechtfertigen sei und zudem nicht auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage be-stehe. Der Ausschuß hat es sich bei der Abwägung nicht leichtgemacht, ob hier der Meinungsfreiheit oder der Wahrung des Betriebsfriedens innerhalb der Bundeswehr das größere Gewicht zukommt. Anders als das Soldatengesetz verbietet das Beamtengesetz keinesfalls jegliche parteipolitische Betätigung, sondern verpflichtet nur zu einer gewissen Zurückhaltung. Die fehlende gesetzliche Grundlage für das Verbot politischer Meinungsäußerungen kann auch nicht durch den Hinweis auf den notwendigen Betriebsfrieden ersetzt werden. Wir beantragen daher, diese Petitionen der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, also mit der Aufforderung, das Aufklebeverbot für die zivilen Bediensteten aufzuheben.
Ein anderer Problemkreis ist das medizinische Gutachterwesen bei der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung. Hier hat sich der Ausschuß wiederholt und nicht selten mit Erfolg für eine bessere Verfahrenspraxis im Einzelfall eingesetzt. Darüber hinaus hat er sich in Gesprächen mit Vertretern der Bundesregierung, der Aufsichtsbehörden und der Versicherungsträger um eine grundsätzliche Abhilfe bemüht, z. B. durch Gespräche bei der BfA in Berlin — anläßlich von Ausschußsitzungen, die wir in Berlin abgehalten haben —, bei der Bundesknappschaft in Bochum und beim Eschweiler Bergwerksverein in Alsdorf unter Beteiligung der Knappschaft. Die BfA hat zugesagt, alles daranzusetzen, die Zahl der Mehrfachbegutachtungen, die natürlicherweise immer eine besonders lange Zeit in Anspruch nehmen,
bei Anträgen wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit -auf höchstens 10 % bis 15 %aller Fälle zu senken. Das wären immerhin etwa 10 % weniger als bisher. Im Augenblick sind es noch 20 % bis 25 % aller derartigen Fälle, die durch ein doppeltes, manchmal durch ein dreifaches Gutachten verzögert werden.
Das ist natürlich nicht der Sinn der Versicherungsorganisationen. Zwar will man ganz gründlich prüfen, doch wird hier nach unserer Meinung des Guten zuviel getan.
Wir legen Wert darauf, daß nicht unbedingt notwendige Zusatzgutachten vermieden werden und mehr als bisher von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, über den Rentenantrag bereits auf Grund der Angaben des behandelnden Arztes sowie der Unterlagen aus Krankenhäusern — das muß doch auch ein Gewicht haben — und anderer Versicherungsträger usw. zu entscheiden.
Ein besonderes Problem stellt in diesem Zusammenhang der nahtlose Übergang von Arbeitslosengeld auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit dar.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5891
ScheuEs muß vermieden werden, daß der Versicherungsträger den Versicherten als noch nicht berufsunfähig ansieht, das Arbeitsamt ihn aber für nicht mehr vermittlungsfähig hält, so daß er weder Rente noch Arbeitslosengeld erhält.
Sie sehen daraus, daß es trotz aller gesetzlichen Vorschriften, trotz aller Überlegungen, wie wir solche Notfälle vermeiden können, Zwischenpositionen gibt, bei denen der Mensch allein gelassen ist, und zwar immer in einer Situation, in der er in besonderer Not steht.
[CDU/CSU] : Sehr richtig!)
Der Grund für diese Schwierigkeiten liegt wohl nicht nur in den gelegentlich voneinander abweichenden medizinischen Aussagen, sondern auch in den unterschiedlichen Rechtsbegriffen und Zielsetzungen der einzelnen Zweige der sozialen Sicherung.
Eine gewisse Hilfe hat hier schon die Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Frage des Teilzeitarbeitsmarktes vom 10. Dezember 1976 gebracht. Im übrigen ermöglicht § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes, an dessen Entstehung der Petitionsausschuß nicht unmaßgeblich beteiligt war, den nahtlosen Übergang weitgehend dadurch, daß bis zur Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu erbringen sind. Diese Regelung scheint bei den Betroffenen allerdings nicht immer bekannt zu sein und von der Arbeitsverwaltung auch nicht immer in dem möglichen und erforderlichen weiten Rahmen angewandt zu werden.
Ein erneuter klärender und deutlicher Hinweis des Arbeits- und Sozialministers gegenüber der Arbeitsverwaltung wäre nach unseren Erfahrungen sehr hilfreich.
Lassen Sie mich eine weitere Petition dieser Art erwähnen, deren Erledigung nach unseren Feststellungen für wahrscheinlich mehr als 500 000 Bürger in diesem Staat eine wesentliche Erleichterung des Papierkriegs mit sich bringt. Ich glaube, das ist ein Anliegen, das wir politisch gar nicht hoch genug einschätzen können. Die Behörden verlangen heute von unseren Bürgern einfach zuviel, sie verlangen bis ins kleinste hineingehende Auskünfte. Es geht hier darum, daß die Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld bisher normalerweise alle sechs Jahre, bei ledigen, geschiedenen und getrennt lebenden Elternteilen aber in jedem Jahr überprüft wurden. Nach langen Auseinandersetzungen mit den zuständigen Stellen konnten wir schließlich erreichen, daß auch bei dieser zweiten Gruppe, bei den Ledigen usw., zu der eine halbe Million Mitbürger gehören, die Überprüfung nur alle sechs Jahre stattfindet.
Dies ist für sie nicht zuletzt deshalb eine große Erleichterung, weil immer auch Angaben über den anderen Elternteil verlangt werden, von dem der Betroffene aber oft überhaupt nicht mehr die genauenVerhältnisse kennt. Wir sind froh, daß wir die Beseitigung dieser oft als diskriminierend empfundenen Regelung erreichen konnten, zumal gerade dieser Personenkreis mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Ein letztes Problem: Wie Sie wissen, sind die Strafen wegen Rauschgiftschmuggels in der Türkei weitaus höher und der Strafvollzug wesentlich härter als in anderen europäischen Länder. Es ist in der Türkei geradezu lebensgefährlich, ein solches „Handwerk" auszuüben. Betroffen sind davon vorwiegend junge, unerfahrene Mitbürger. Junge Deutsche lassen sich aus Gutgläubigkeit oder aus Leichtfertigkeit von fremden Personen verführen, in die Türkei zu gehen, um rasch Geld zu verdienen, ohne daß sie die Folgen übersehen können. Die Medien sollten deutlichere Warnungen aussprechen, daß sich unsere jungen Menschen gerade in der Türkei von der Berührung von Rauschgift fernhalten sollten.Schließlich möchte ich einmal wieder einiges über die Arbeit des Petitionsausschusses im allgemeinen sagen. Er hat in den Vorstellungen des ganzen Hohen Hauses einen hohen Stellenwert — meist aber mehr in verbaler Hinsicht. Manchmal haben wir den Eindruck, es dürfte noch ein wenig mehr Wirklichkeit hinter den Beteuerungen stehen; denn dieser Ausschuß hat eine Sonderaufgabe.Darüber noch ein paar Worte: Es ist keine Ausruhposition, im Petitionsausschuß mitzuarbeiten, wenn man als Mitglied des Petitionsausschusses auch nicht viele politische Lorbeeren in der Öffentlichkeit sammeln kann.Er trifft sich zu seinen Sitzungen jedesmal sogar schon um 8 Uhr. Ich halte das für eine fast unsittliche Zeit; aber das ist so üblich.
— Bitte, das ist mein persönlicher Geschmack, Herr Kollege Wolfram. Um 8 Uhr bin ich normalerweise noch nicht so ganz da. Aber wir sind regelmäßig um 8 Uhr zu unseren Sitzungen zusammen.Die Berichterstatter haben bei gründlicher Bearbeitung der Vorgänge eine Unmenge Lesarbeit neben dem anderen Kram, den wir Abgeordneten jeden Tag zu lesen haben. Sie müssen jede Woche viele stille Feierabendstunden mit Überlegungen verbringen, wie man im Einzelfall den Bürgern bei Anliegen und Beschwernissen helfen kann.
Darüber hinaus ist es mehr als früher Sache des Ausschusses, die Mißstände zu prüfen, an denen eine größere Zahl von Bürgern leidet. Es ist viel Mühe im einzelnen. Diese Arbeit macht aber — das möchte ich ausdrücklich betonen —, wenn man das richtig versteht, für einen Abgeordneten des Bundestages auch viel Freude, ich möchte sagen: die meiste Freude; denn man kann für die Bürger das geradebiegen, was durch unsere Gesetze, deren Unvollkommenheit und die Bürokratie nicht immer gut und vollkommen geregelt werden kann. Das ist auch gar nicht vorstellbar.
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5892 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
ScheuEs spricht für den Geist der Zusammenarbeit über die Fraktionen hinweg in diesem Ausschuß, daß hier im Plenum stets nur ein Mitglied des Ausschusses einen mündlichen Bericht erstattet. Andere Ausschußberichte würden in einem solchen Fall die übliche Runde erfordern, also dreimal 15 Minuten. Warum eigentlich bei uns nicht? Wir haben es einfach nicht nötig. Wir haben bei den wesentlichen Entscheidungen keine parteipolitischen Differenzen. Meine Damen und Herren, das ist eine ganz bedeuttende Sache. Ich glaube, manch einer und mancher Ausschuß könnte sich davon noch ein Stückchen abschneiden. Ich glaube deshalb, es ist gar keine so ganz besondere Gnade des Ältestenrats, wenn er dem Petitionsausschuß alle paar Monate zur Berichterstattung jeweils 15 bis 20 Minuten — wenigstens für einen Redner — zubilligt.Meine Damen und Herren, ehe ich Sie nunmehr bitte, den Sammelübersichten 18 und 19 Ihre Zustimmung zu geben, gestatten Sie mir einen kurzen Hinweis auf die in der Ubersicht 18 enthaltene Statistik.Obwohl die Zahl der Eingaben im vergangenen Jahr deutlich unter dem durch Fernsehsendungen bewirkten Rekordergebnis von 1976 liegt, erreichen uns immer noch rund 50 % mehr Eingaben als in früheren Jahren. Darüber freuen wir uns im Grunde. Vor allem aber ist für den Ausschuß und sein Büro eine erhebliche Mehrarbeit durch die Ausnutzung der erweiterten Befugnisse infolge der Änderung des Grundgesetzes entstanden, worüber ich vorhin einiges angedeutet habe.Der Petitionsausschuß legt daher großen Wert darauf, daß das Ausschußbüro zumindest in seinem jetzigen Bestand erhalten bleibt, zumal es ohnehin schwierig ist, alle Petitionen in angemessener Zeit zu erledigen. Letztlich ist der Petitionsausschuß der verlängerte Arm des Bürgers oder, wie ich vorhin sagte, die Brücke zwischen Volk und Parlament, zwischen Volk und Regierung. Da wäre Sparsamkeit wirklich fehl am Platze. Wer hier Zweifel hegt — ich denke vor allem an die verehrten Mitglieder des Haushaltsausschusses —, komme und sehe. Wir wollen ihm gern einmal zeigen, was in diesem Ausschuß und seinem Büro im Tulpenfeld zu tun ist und was an Arbeit anfällt. Hier wäre Sparsamkeit wirklich nicht am Platze.Ich bitte also um Ihre Zustimmung zu den vorliegenden Sammelübersichten und danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Scheu für seinen Bericht. Er hat beklagt, daß dem Petitionsausschuß in der Regel keine Lorbeerkränze geflochten werden. Ich meine aber, er hat heute einige Lorbeerblätter gepflückt und sie in den Korb des Petitionsausschusses gelegt.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 8/1450 und 1505, die in den Sammelübersichten 18 und 19 enthaltenen
Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den
bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlungen einstimmig angenommen worden sind.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Jahresgutachtens 1977/1978 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
— Drucksache 8/1221
Überweisungsvorschlag des Ältestenrats:
Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß
b) Beratung des' Jahreswirtschaftsberichts 1978 der Bundesregierung
— Drucksache 8/1471 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrats: Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß
Das Wort zur Einbringung hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Dem Auftrag des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes folgend hat die Bundesregierung Ende Januar den Jahreswirtschaftsbericht 1978 verabschiedet und dem Parlament zugeleitet. Sie erörtert darin wie auch in den Vorjahren erstens die für das laufende Jahr von ihr angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele, zweitens die aus ihrer Sicht dafür erforderliche Wirtschafts- und Finanzpolitik, und drittens nimmt die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht ausführlich zum Jahresgutachten 1977/78 des Sachverständigenrats Stellung, für das ich — ich hoffe, meine Damen und Herren, auch in Ihrem Namen — an dieser Stelle dem Rat nochmals danken möchte.
Zur öffentlichen Diskussion über den Sachverständigenrat ein kurzes Wort: Auseinandersetzungen in der Sache sind notwendig und erwünscht. Dabei sollten aber weder die Institution des Rates selbst noch die Unabhängigkeit des Urteils seiner Mitglieder in Frage gestellt werden.
Der gesetzliche Auftrag des Rates ist es, die Diskussion und die Auseinandersetzung in der. Sacheherauszufordern, ob das nun bequem ist oder nicht.Gemäß der Ankündigung in der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 geht die Bundesregierung — hierin weicht der heute diskutierte Jahreswirtschaftsbericht von seinen Vorgängern ab — ausführlich auf die Probleme im Zusammenhang mit den in den letzten Jahren eingetretenen strukturellen Veränderungen und den daraus resultierenden, notwendigen strukturellen Anpassungen in unserer Wirtschaft ein.In einer besonderen Anlage wird außerdem über den gegenwärtigen Stand der Abwicklung des Pro-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5893
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffgramms für Zukunftsinvestitionen berichtet, das sowohl nach dem bereits festgelegten Investitionsvolumen als auch nach den schon erfolgten Auftragsvergaben besser und schneller angelaufen ist, als dies vermutet wurde.
— Die Zahlen weisen dies eindeutig aus. Sie können kritisieren, daß wir uns in der zweiten Hälfte des Jahres 1977 so skeptisch gegenüber der Entwicklung verhalten haben. Aber daß es heute besser ist als die skeptischen Annahmen, ist angesichts der Zahlen wohl völlig unbestreitbar.
Der Jahreswirtschaftsbericht liegt Ihnen als Drucksache vor. Ich nehme daher auf ihn Bezug und konzentriere mich in meinen Ausführungen auf einige wirtschaftspolitische Kernprobleme. Das positive Echo, das der Jahreswirtschaftsbericht in der Wirtschaft, in den Verbänden und in der Presse gefunden hat, bestätigt im wesentlichen die Bundesregierung in der Richtigkeit ihrer wirtschaftspolitischen Grundaussagen. Dies hat sich auch bei den bilateralen Gesprächen deutlich gezeigt, die ich in der vergangenen Woche im Rahmen der Konzertierten Aktion mit den Gewerkschaften, den Wirtschaftsverbänden, dem Sachverständigenrat und der Bundesbank geführt habe. „Angemessen" hinsichtlich der Zielprojektion und in bezug auf die Wirtschaftspolitik, so lautet deren Urteil. Graduelle Unterschiede in den Urteilen ergeben sich naturgemäß aus den unterschiedlichen Interessenlagen der betroffenen Gruppen, ändern jedoch nichts an der vorwiegend zustimmenden Haltung.Wenn von der Opposition gesagt wird, daß wir mit den Zielen des Jahreswirtschaftsberichts zu ehrgeizig seien, und sie außerdem auf die zu hohe öffentliche Verschuldung hinweist, so ist dem entgegenzuhalten, daß es insbesondere vom Ausland Kritik an uns gibt, die Bundesregierung sei nicht genügend ehrgeizig mit ihren Wachstumszielen und könne ein noch höheres öffentliches Defizit gut vertragen.Der Jahreswirtschaftsbericht beschreibt das ökonomisch Machbare und das politisch Notwendige. Die vorgelegten Eckwerte stellen, so meinen wir, ein realistisches Tableau der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dar. Mit einem Wachstum des Bruttosozialprodukts von real rund 31/2% im Jahresdurchschnitt liegt die Projektion der Bundesregierung innerhalb der Spanne von 3 bis 31/2%, in der die Wachstumsraten gegenwärtig von den internationalen Organisationen und den nationalen Wirtschaftsforschungsinstituten prognostiziert werden. Erst gestern haben wir in einem Gespräch mit dem Generalsekretär der OECD hierüber Einvernehmen feststellen können.Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein Wort zu den Möglichkeiten und Grenzen konjunkturpolitischer Prognosen und wirtschaftspolitischer Zielprojektionen. Zu Recht hat das Ifo-Institut darauf hingewiesen, daß Prognostiker nicht mit Propheten verwechselt werden dürfen, daß ihre Prognosen nur so gut sind, wie die ihnen zugrunde liegenden Datensein können — ich erinnere in diesem Zusammenhang an unsere eigenen leidvollen Erfahrungen mit der amtlichen Statistik während des vergangenen Jahres —, und daß Prognosen immer nur unter dem Vorbehalt „wenn — dann" erstellt werden können, d. h. an bestimmte Bedingungen hinsichtlich des Verhaltens der Wirtschaftssubjekte einschließlich der öffentlichen Hände, der Stabilität der Wirtschaftspolitik und der außenwirtschaftlichen Entwicklung geknüpft sind.Wir sollten uns deshalb davor hüten, Prognosen eine Scheingenauigkeit zu unterstellen, die sie nicht haben können. Das sollten wir auch bei der Beurteilung der Jahresprojektionen der Bundesregie- rung beachten. Diese stellen im Gegensatz zur Prognose bekanntlich die erwünschte und unter den von ihr aufgezeigten Bedingungen für realisierbar gehaltene wirtschaftliche Entwicklung dar.Niemand bestreitet — so steht es auch in dem heute hier zu behandelnden Jahreswirtschaftsbericht —, daß das Wirtschaftswachstum 1977 deutlich niedriger ausgefallen ist, als wir es angestrebt und die meisten Institute seinerzeit auch prognostiziert haben.Wir müssen aber auch die Gründe dafür zur Kenntnis nehmen: Das deutlich schwächere Wachstum des Welthandels — 4 bis 5 % statt der auch von internationalen Organisationen erwarteten 7 bis 8 % —; die unerwartet hohen Steuereingänge bei Bund und Ländern, die den privaten Haushalten und den Unternehmen mehr Kaufkraft entzogen haben, als zu Beginn des Jahres geschätzt und als es konjunkturell erwünscht war; der beträchtliche Investitionsstau; die Zurückhaltung bei Investitionen von Ländern und Gemeinden — 1977 plus minus Null.Die Bundesregierung, so meinen wir, hat angemessen reagiert, als sich die schwächere Wirtschaftsentwicklung abzuzeichnen begann. Die Steuerentlastungen von netto rund 11,5 Milliarden DM, die im Laufe des vergangenen Jahres nach einer Debatte, die man sich kürzer hätte wünschen können, beschlossen wurden, und die expansive Ausrichtung des Bundeshaushalts, der vor 14 Tagen hier im Bundestag verabschiedet wurde, zeigen dies sehr deutlich. Andererseits konnten bei der Preisentwicklung, wie von der Bundesregierung 1977 angestrebt, beachtliche Stabilisierungsfortschritte erzielt werden. Auch der Außenbeitrag hielt sich in den zu Beginn des Jahres abgesteckten Grenzen.In diesem Jahr 1978 strebt die Bundesregierung ein Wachstum von real 31/2% im Jahresdurchschnitt an. Dies bedeutet wegen des geringen Produktionsüberhangs zum Jahresbeginn eine Steigerung der Produktion in der Gesamtwirtschaft von gut 41/2%zwischen dem vierten Quartal 1977 und dem vierten Quartal 1978. Bei einer solchen Entwicklung dürfte die Arbeitslosenzahl im Verlaufe des Jahres leicht zurückgehen, wenn auch die durchschnittliche Arbeitslosenquote noch bei rund 41/20/o liegen könnte.Wir sind für dieses Jahr von einem Rückgang des Verbraucherpreisanstiegs auf 31/20/o im Jahresdurchschnitt ausgegangen. Die Entwicklung in den letzten
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5894 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffWochen, aber auch die Wirkung der Wechselkursentwicklung auf die Importpreise macht sogar einen noch stärkeren Rückgang möglich. Ich schließe daher nicht aus, daß wir in diesem Jahr auch wieder Monate sehen werden, in denen eine Zwei vor dem Komma stehen wird.Unser Wachstumsziel ist ehrgeizig, aber nicht unrealistisch. Die konjunkturellen Auftriebskräfte haben in den letzten Monaten wieder Oberhand gewonnen. Die Auftragseingänge zeigen nach einer rückläufigen Entwicklung im ersten Halbjahr 1977 seit Mitte vergangenen Jahres wieder deutlich steigende Tendenz. Dies gilt nicht zuletzt für die Inlandsbestellungen und hier wiederum für die Nachfrage nach Investitionsgütern, wie die heute morgen verbreitete Meldung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung erneut bestätigt. Die Produktion ist nach der Stagnation im Sommerhalbjahr wieder gestiegen. Das reale Bruttosozialprodukt hat sich nach Berechnung der Bundesbank saisonbereinigt im vierten Quartal gegenüber dem Vorquartal um anderthalb Prozent, d. h. mit einer Jahresrate von 6 % — diese Rechnung mit der gebotenen Vorsicht — erhöht.Die wirtschaftspolitischen Wachstumsanstöße, die von ,der Bundesregierung im vergangenen Jahr beschlossen wurden, nahmen Wirschaft und Konsumenten positiv auf. Auch die Deutsche Bundesbank unterstreicht in ihrem letzten Monatsbericht die sich wieder stärker durchsetzenden Wachstumskräfte. Wenn diese Klimaverbesserung anhält, können wir ein Wachstum von 31/2 % im Jahresdurchschnitt 1978 erreichen.Wir ,dürfen allerdings auch die noch beträchtlichen Wachstumsrisiken nicht unterschätzen, auf die wir im Jahreswirtschaftsbericht sehr nachdrücklich hingewiesen haben. Unser Ziel, ein sich selbst verstärkender wirtschaftlicher Wachstumsprozeß, ist nur dann erreichbar, wenn gravierende gesamtwirtschaftliche Störungen in der Weltwirtschaft und im Inland ausbleiben. Bei einem Anteil des Exports und des Imports am Bruttosozialprodukt von jeweils zwischen 25 und 30 % bleibt die Bundesrepublik in einem besonderen Maße von der Entwicklung der Weltwirtschaft und insbesondere in Westeuropa abhängig. Bei einem Exportanteil von über 50 °/o in einigen Branchen ist es selbstverständlich, daß Investitionsentscheidungen der Unternehmer nicht ohne Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung bei unseren wichtigsten Handelspartnern erfolgen.Wir können nicht ausschließen, daß auch in den nächsten Monaten Unruhe von den Devisenmärkten ausgeht und die dadurch ausgelöste Unsicherheit eine weitere Erholung der Weltwirtschaft verzögert und erschwert. Die seit Ende des Vorjahres anhaltende Schwäche des US-Dollar kann in ihrer Bedeutung nicht allein am Maßstab der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA gemessen werden. Der Anteil der USA am deutschen Export ist mit 6,7 % relativ gering. Entscheidend ist jedoch die weltwirtschaftliche Bedeutung des Dollars. Zahlreiche Länder haben ihre Währungen unmittelbar an den Dollar ge-bunden. Der Welthandel wird zum großen Teil aufDollar-Basis abgewickelt. Dies gilt insbesondereauch für die Öllieferungen aus den OPEC-Ländern.Mit Sorge sehe ich auch den Rückgang des Kurses des französischen Franken. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland haben sich in den letzten Jahren erfreulicherweise immer enger entwickelt. Der Anteil der deutschen Exporte nach Frankreich an den Gesamtexporten ist mit 12,3 % fast doppelt so hoch wie derjenige in die Vereinigten Staaten. Die Bundesrepublik übernimmt fast ein Viertel des französischen Exports. Die Stabilität der französischen Wirtschaft und der französischen Währung ist daher für unser Land von großer Bedeutung.Selbst wenn sich die Entwicklung des Dollars oder des französischen Franken für den deutschen Export nicht in einem unmittelbar gedrosselten Exportvolumen niederschlagen wird, sondern Mengeneffekte normalerweise erst nach einer gewissen Zeit eintreten, so wird sich doch der verstärkte Wettbewerb auf den in- und ausländischen Märkten — insbesondere auf Drittmärkten gegenüber US-Waren — auf die Erlöse vieler deutscher Wirtschaftszweige auswirken. Und dabei können wir nicht ausschließen, daß einzelne, besonders exportabhängige Unternehmen in ihrer Existenz bedroht werden. Andererseits sollten wir auch nicht die positiven Effekte der Aufwertung für die Preisentwicklung und damit für die Realeinkommen und die Kostenentwicklung im Rohstoffbereich übersehen.Unruhe auf den Devisenmärkten kann weitreichende Folgen für das weltwirtschaftliche Wachstum haben. Erratische Kursbewegungen um einen sinkenden Trend verunsichern die Investoren, nicht zuletzt auch die kleinen und mittleren Unternehmen. Die Unsicherheit der Wettbewerbsaussichten veranlassen nicht nur die 'deutschen Investoren zur Zurückhaltung.Ein wichtiger Grund für die Schwäche des Dollars — aus unserer Sicht sogar der entscheidende Grund — ist in dem anhaltenden Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten zu sehen. Nicht nur aus weltenergiepolitischen Sorgen hoffen wir, daß das von Präsident Carter vorgeschlagene Energieeinsparprogramm, das langfristig die Energieimporte verringern soll, vom Kongreß angenommen wird. Gleichwohl sehen wir, daß wir Ergebnisse nicht von heute auf morgen erwarten können. Gravierend sind nach unserer Auffassung insbesondere die psychologischen Wirkungen, die von einem schwachen Dollar auf die Weltwirtschaft ausgehen und den weltwirtschaftlichen Erholungsprozeß gefährden.
Deshalb werden wir die konzertierten Bemühungen der Regierungen und Zentralbanken bei der Bewältigung währungspolitischer Unsicherheiten fortsetzen.Aber, meine Damen und Herren, es gibt leider noch weitere weltwirtschaftliche Unsicherheiten. Noch nicht gebannt ist die Gefahr — mir scheint
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5895
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffdies eine fast zu zurückhaltende Formulierung zu sein —, daß die protektionistischen Tendenzen weiteren Auftrieb bekommen.
Auch wir müssen uns davor hüten, den Wünschen unserer Industrie nach mehr außenwirtschaftlichem Schutz nachzugeben. Die Tendenz zum Protektionismus wächst erfahrungsgemäß immer dann, wenn die Weltwirtschaft eine Schwächeperiode durchläuft. Wir wissen aber, daß Protektionismus langfristig weder Wachstum noch Arbeitsplätze sichert. Im Gegenteil, Protektionismus gefährdet Wachstum und Arbeitsplätze, weil er den weltwirtschaftlichen Erholungsprozeß hemmt.
Es gibt genügend Beispiele für den Schneeballeffekt protektionistischer Maßnahmen. Wenn Einfuhrbeschränkungen häufig mit der Sicherung von Arbeitsplätzen gerechtfertigt werden, sollte sofort die Gegenrechnung aufgemacht werden, wie viele Arbeitsplätze in der Exportwirtschaft durch den Verzicht auf Einfuhrbeschränkungen gerettet werden. Zunehmender Protektionismus kann den in der ganzen Welt weit verbreiteten Pessimismus hinsichtlich der künftigen Wirtschaftsentwicklung nur verstärken. Dem müssen die Regierungen der Industrieländer energisch entgegenwirken; deshalb ist der Erfolg der derzeitigen GATT-Verhandlungen so wichtig.
Manche unserer Partner in den westlichen Industrieländern erwarten derzeit von uns einen stärkeren Beitrag zum Wachstum der Weltwirtschaft. Die Bundesrepublik als wirtschaftlich relativ gesundes Land soll die Wachstumslokomotive stärker unter Dampf setzen, als wir es bisher getan haben, und damit den anderen Ländern helfen, ihre wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten zu bewältigen.Dieser Punkt hat, wie Sie wissen, eine große Rolle während meines Besuchs in den USA sowie beim Besuch des amerikanischen Finanzministers Blumenthal in Bonn gespielt, und Sie kennen die entsprechenden Stellungnahmen in der amerikanischen Presse. EG und OECD haben inzwischen die ursprünglich vertretene Lokomotiv-These erfreulicherweise modifiziert und differenziert.Die Position der Bundesregierung in dieser Frage ist klar: Wir verkennen nicht unsere internationalen Verpflichtungen sowie die Notwendigkeit zu weltweitem solidarischen Handeln. Wir sind bereit, die daraus erwachsende Verantwortung zu tragen.Es ist unstrittig, daß währungsstarke Länder sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um ein nachhaltiges Wachstum bemühen müssen. Die Bundesrepublik kann jedoch angesichts ihres begrenztes Gewichts und ihrer eigenen starken Abhängigkeit von der Wirtschaftsentwicklung in den westeuropäischen Ländern nicht allein die Wachstumsperspektiven in Westeuropa entscheidend verändern.Wir sind seit je für ein konzertiertes Vorgehen und ein solidarisches Verhalten, wie es neuerdingsauch von der EG und der OECD gefordert wird. Dabei muß jedes Land seine eigenen Wachstumskräfte mobilisieren.Wir können allerdings weder unserem Land noch einem anderen Land die notwendige ständige Anpassung der Wirtschaftsstruktur an die Entwicklung der Weltwirtschaft ersparen. Wir können keinem Land die unerläßliche Bekämpfung der Inflation abnehmen. Wir können in keinem anderen Land den notwendigen Konsens zwischen Staat und Sozialpartnern herbeiführen.Wir fragen uns und unsere Partner, ob die derzeitige öffentliche Diskussion über neue wachstumspolitische Initiativen nicht kontraproduktiv ist, weil sie Attentismus in der Wirtschaft auslösen kann. Was die Wirtschaft braucht, ist Klarheit und Sicherheit.Die Bundesregierung ist in ihren konjunkturpolitischen Anstrengungen bis an die Grenzen des politisch und ökonomisch Vertretbaren gegangen.Wir werden diese binnenwirtschaftlichen Maßnahmen gemeinsam mit der amerikanischen Regierung, mit Japan und mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft international absichern müssen: mit substantiellen Fortschritten bei den GATT-Verhandlungen, mit gemeinsamen Anstrengungen beim Abbau des Protektionismus, mit finanziellen und monetären Hilfen für schwächere Defizitländer und nicht zuletzt mit gemeinsamen währungspolitischen Anstrengungen. Nur so und nicht mit unrealistischen Wachstumszielen werden wir die Weltwirtschaft auf höhere Touren bringen.Und deshalb werden alle diese Themen auch wieder auf der Tagesordnung des Gipfeltreffens stehen, zu dem der Bundeskanzler die Staats- und Regierungschefs der westlichen Industrieländer für Juli nach Bonn eingeladen hat.Aus der Sicht der Bundesregierung verdient ein weiterer Punkt hervorgehoben zu werden: die Steigerung der deutschen Kapitalexporte. Deutsche Firmen erhöhten allein 1977 ihre Direktinvestitionen im Ausland um 61/2 Milliarden DM. Das sind 31/2 Milliarden DM mehr, als Ausländer bei uns für Beteiligungen im Inland ausgegeben haben.Die damit einhergehenden positiven Impulse auf die Investitionsnachfrage und den Arbeitsmarkt in den Empfängerländern, aber auch für den Export von Ausrüstungsgütern aus der Bundesrepublik, sind beträchtlich. Kapitalexport kann auch nicht einfach mit dem Export von Arbeitsplätzen gleichgesetzt werden. Er ist im Gegenteil oft auch eine notwendige Voraussetzung für die Erhaltung der Arbeitsplätze im Inland.Wir müssen uns allerdings fragen, was dazu geführt hat, daß wir von Kapitalimport- nunmehr zum Kapitalexportland geworden sind.Einmal handelt es sich, so scheint mir, um einen ganz normalen Prozeß. Je höher der wirtschaftliche und technologische Entwicklungsstand, desto größer werden üblicherweise auch das Auslandsengagement und die internationale Arbeitsteilung. Ich sehe in solchen zunehmenden internationalen Kapi-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorfftalverflechtungen einen wichtigen Garanten für die Aufrechterhaltung unserer freien Weltwirtschaft. Dabei ist nicht zu übersehen, daß zwei Gründe diese Entwicklung beschleunigt haben: die Aufwertung der D-Mark und das im Vergleich zu allen anderen Ländern hohe Lohnkostenniveau und seine Struktur in der Bundesrepublik.Neben den außenwirtschaftlichen Risiken dürfen wir aber auch nicht die binnenwirtschaftlichen Unsicherheiten übersehen. Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht erneut darauf hingewiesen, daß die Hauptrolle im Wachstums- und Beschäftigungsprozeß den privaten Investitionen zufällt. Von ihnen müssen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite entscheidende Wachstums-und Beschäftigungsimpulse ausgehen. Die Investitionen sind für Struktur und Niveau des Wachstums der übrigen Nachfrageaggregate wichtig. Wie Sie wissen, unterscheiden die Volkswirte hier üblicherweise zwischen Nachfrage-, Einkommens- und Kapazitätseffekten.Bei den seit dem Spätsommer 1977 deutlich zunehmenden inländischen Aufträgen an die Investitionsgüterindustrie dürfte es sich einmal um eine erfreulich rasche Reaktion auf die steuerlichen Stimulierungsmaßnahmen handeln, zum anderen scheinen sie durch den hohen Ersatz- und Rationalisierungsbedarf bedingt zu sein. Das genügt jedoch noch nicht. Der Anteil der Erweiterungsinvestitionen muß wieder deutlich zunehmen.Welches sind die Gründe dafür, daß die private Investitionstätigkeit nicht so vorangekommen ist, wie das gesamtwirtschaftlich notwendig gewesen wäre? Ein Grund ist sicherlich in dem in den letzten Jahren überraschenderweise eingetretenen Investitionsstau zu sehen. Die entstandene Politisierung, Bürokratisierung und durch große individualrechtliche Einspruchmöglichkeiten eingetretene Erschwerung der öffentlichen Planungs- und Genehmigungsprozesse behindern die Investitionstätigkeit. Besonders gravierend wirkte sich das im Verkehrs- und Energiebereich aus.Die Bundesregierung bemüht sich gegenwärtig, Investitionshindernisse abzubauen. Das heißt nicht, notwendigen Umweltschutz und gesetzlich verankerte Einspruchsrechte abzubauen. Es muß aber auf der anderen Seite Rechtssicherheit und vor allem die Möglichkeit zur klaren Entscheidung in einem überschaubaren Zeitraum geben.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugunsten einer Freigabe des Kraftwerkbaus in Voerde hat die Bundesregierung deshalb mit Erleichterung aufgenommen.Die gedämpfte Grundstimmung in der Wirtschaft und die noch immer zögernde Investitionstätigkeit sind ohne Zweifel nicht zuletzt durch eine ungünstige Kosten- und Ertragslage und durch unbefriedigende Ertragsaussichten verursacht. Die Bundesregierung hat mit ihren umfangreichen finanzpolitischen Maßnahmen im vergangenen Jahr das Notwendige und Mögliche getan, um die Nachfrage zu stimulieren und die Ertragsentwicklung der Unter-nehmen zu verbessern. Deshalb betone ich hier nochmals, vor allem an die Adresse der Unternehmen: Neue Konjunkturprogramme stehen für die Bundesregierung nicht zur Diskussion.Die Bundesregierung wird sich jedoch auch in Zukunft um eine qualitative Verbesserung der Wachstumsbedingungen bemühen: Sie wird die Rahmenbedingungen für den Mittelstand verbessern, insbesondere im Bereich von Forschung und Innovation. Sie wird in ihrer Energiepolitik auf der in der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms aufgezeigten Linie fortfahren. Sie wird weiterhin konsequent an einer nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen orientierten Strukturpolitik festhalten. Und sie wird die Konsolidierung des Bundeshaushalts, wenn auch auf einen längeren Zeitraum verteilt, fortsetzen. Aber auch dann ist zur Sicherung einer ausreichenden Gesamtnachfrage ein höheres öffentliches Defizit gesamtwirtschaftlich nötig und vertretbar als in früheren Zeiten und als die Opposition immer noch wahrhaben will. Jetzt, meine Damen und Herren, kommt es darauf an, daß die einkommenspolitischen Entscheidungen der autonomen Tarifpartner genügend Raum für eine nachhaltige Besserung der Investitionen, Produktion und Beschäftigung lassen. Dabei ist der Spielraum für Preiserhöhungen äußerst eng, zumal wegen der Wechselkursentwicklung der Wettbewerbsdruck ausländischer Anbieter auf dem inländischen Markt zunehmen wird.Den geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den erhöhten außenwirtschaftlichen Risiken muß auch bei den Tarifabschlüssen Rechnung getragen werden. Zwar gilt es, gesamtwirtschaftlich stets zwischen der Kosten- und der Nachfragewirkung von Lohnerhöhungen abzuwägen. Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht aber klipp und klar festgestellt: In der gegenwärtigen Situation sind die Risiken zu starker Lohnanhebungen tendenziell höher als die Risiken zu niedriger Lohnerhöhungen zu veranschlagen.Dafür spricht nicht nur, daß 1977 die Löhne und Gehälter nahezu zweieinhalbmal stärker gestiegen sind als Unternehmenserträge — bei allen Vorbehalten gegenüber der Statistik, die wir kennen —; dies wird vor allem durch die internationale Wettbewerbssituation und den internationalen Vergleich deutlich unterstrichen.Die Lohnkosten sind bei uns in den letzten Jahren zwar wesentlich geringer gestiegen als in fast allen anderen Ländern. Entscheidend für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind aber leider nicht die in nationalen Währungen gerechneten Lohnstückkosten, sondern ihre Umrechnung über die Wechselkurse, d. h. unter Berücksichtigung der erheblichen Aufwertungseffekte.Dazu zwei Zahlen: Von 1972 bis 1977 sind die Lohnstückkosten, über den Wechselkurs gerechnet, in der Bundesrepublik um über 25 % stärker gestiegen als in den USA. Im gewogenen Durchschnitt gegenüber unseren acht wichtigsten Handelspartnerländern, mit denen wir über 50 % unseres Außenhandels abwickeln, sind die Lohnstückkosten insge-
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Bundesminister Dr. Graf LambsdorffI samt um 6 % stärker gestiegen. Darunter sind auch Länder wie z. B. Belgien, die Niederlande und Japan, gegenüber denen wir einen Vorteil bei der entsprechenden Lohnstückkostenentwicklung haben.Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht im Rahmen ihrer Projektion, so wie sie es stets getan hat, einen Durchschnittssatz für die Steigerung der Bruttolohn- und -gehaltssumme je Beschäftigten genannt, der mit der angestrebten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vereinbar ist. Diese durchschnittliche Steigerungsrate beläuft sich 1978 auf 5,5 %, wie im Jahreswirtschaftsbericht zu lesen.Sie darf jedoch nicht mit dem Durchschnitt der Tarifabschlüsse verwechselt werden, da nicht nur der Tarifüberhang aus dem Vorjahr zu berücksichtigen ist, sondern auch die unterschiedliche Entwicklung von Effektiv- und Tariflöhnen, die z. B. auch von einer Verringerung der Kurzarbeit oder von Überstunden beeinflußt wird.Ich darf außerdem hinzufügen, daß der in der Projektion angenommenen durchschnittlichen Steigerung der Bruttolohn- und -gehaltssumme je Beschäftigten wegen der steuerlichen Entlastungsmaßnahmen netto ein Anstieg um rund 6,5 % entspricht. Real, d. h. unter Berücksichtigung des Anstiegs der Verbraucherpreise, würde dies einer Einkommensverbesserung je beschäftigten Arbeitnehmer um rund 3 °/o entsprechen, wobei immer noch der Vorbehalt bleibt, daß die angestrebte Verbraucherpreisrate möglicherweise noch unterschritten und damit die reale Einkommensverbesserung höher wird. Das wäre in einer Zeit, in der in vielen Ländern die Realeinkommen sinken, ein sehr beachtliches Ergebnis.
Meine Damen und Herren, gerade auch im Interesse einer nachhaltigen Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt kommt den diesjährigen Tarifverhandlungen größte Bedeutung zu. Der Zusammenhang von Arbeitsplätzen und Arbeitskosten ist zu offensichtlich, als daß er ernsthaft bestritten werden könnte. An dieser Stelle möchte ich noch einmal wiederholen, was ich schon in der Haushaltsdebatte gesagt habe: Wir können und wollen die Tarifpartner nicht aus ihrer Mitverantwortung für die Beschäftigungsentwicklung entlassen. Tarifautonomie und Mitverantwortung für den Beschäftigungsstand sind zwei Seiten einer Medaille. Der Staat allein kann in unserer Wirtschaftsordnung nicht für Vollbeschäftigung sorgen.In Westeuropa gibt es kein Land, das eine so weitgehende. Tarifautonomie hat wie die Bundesrepublik. Sie ist nach Auffassung der Bundesregierung essentiell für unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die Bundesregierung vertraut darauf, daß, trotz aller harten Auseinandersetzungen die Tarifpartner sich dieser Mitverantwortung für die Beschäftigung im Rahmen unserer Tarifautonomie weiter bewußt sind.Meine Damen und Herren, ich habe mich vor ein paar Tagen kritisch zur Tarifsituation geäußert.Mir ist daraufhin vorgeworfen worden, ich mischte mich in Tarifverhandlungen ein. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Ich habe zu keinem Zeitpunkt zu laufenden Tarifverhandlungen oder zu einzelnen Lohnforderungen Stellung genommen; ich werde dies auch nicht tun_ Ebenso wird die Bundesregierung keine Lohnleitlinien festlegen. Weiterhin werde ich jedoch — und hierzu bin ich nicht nur berechtigt, sondern durch mein Amt sogar auch verpflichtet — auf Entwicklungen aufmerksam machen, die das Erreichen der gesamtwirtschaftlichen Ziele zu gefährden drohen.
Schlagzeilen gingen im letzten Jahr von der Konzertierten Aktion aus, weil die DGB-Gewerkschaften der gemeinsamen Gesprächsrunde ferngeblieben sind. Seitdem ist viel — leider auch viel Unrichtiges — über dieses Thema geredet und geschrieben worden. So wurde u. a. der Bundesregierung vorgeworfen, sie täte nicht genug, um die Konzertierte Aktion, wie es hieß, zu retten.Hierzu ist festzustellen: Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie die Nichtteilnahme der DGB-Gewerkschaften bedauert und sich für eine Fortsetzung gemeinsamer Gespräche in der Konzertierten Aktion und insbesondere für die Wiederteilnahme der DGB-Gewerkschaften einsetzen wird.Auch wenn dieses gemeinsame Gespräch derzeit nicht möglich war, ist die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gemäß § 3 des Stabilitätsgesetzes nachgekommen und hat den gesellschaftlichen Gruppen Orientierungsdaten vorgelegt. In den letzten Tagen hat die Bundesregierung intensive Gespräche mit den Gewerkschaften, dem Gemeinschaftsausschuß der gewerblichen Wirtschaft, dem Sachverständigenrat und der Bundesbank geführt. Dabei wurden nicht nur die Orientierungsdaten erläutert, sondern auch die Annahme der Bundesregierung bezüglich des Verhaltens der nichtstaatlichen Entscheidungsträger dargelegt. Insbesondere hat die Bundesregierung auch auf die Schlüsselrolle der einkommenspolitischen Entscheidungen der Tarifpartner für die Entwicklung einer eigendynamischen Investitionskonjunktur hingewiesen.Selbstverständlich haben wir auch über die künftige Gestaltung der Konzertierten Aktion gesprochen. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, und wir fühlen uns auch nicht unter Zeitdruck. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Institution „Konzertierte Aktion", um die wir von vielen im Ausland beneidet werden und die andere Länder von uns „importieren" wollen, erhalten bleibt, und zwar im Interesse der Aufrechterhaltung des sozialen Konsenses.
Bei meinen Gesprächen ergab sich auch Übereinstimmung darin, daß im Hinblick auf einen intensiveren Dialog die Zahl der Teilnehmer an der Konzertierten Aktion verringert werden soll, ohne daß dabei aber eine Änderung hinsichtlich der beteiligten Organisa-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorfftionen erfolgen müßte. Von allen Gesprächspartnern, so glaube ich, wurden die Gespräche als nützlich empfunden.Über die Energiepolitik werden wir in einer der nächsten Wochen im Rahmen der Beratung der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung sowie des Antrages der CDU/CSU zu einem „Energiepolitischen Programm" ausführlich debattieren. Deshalb heute nur soviel: Nachdem der Bundesrat am vergangenen Freitag zur Zweiten Fortschreibung Stellung genommen hat, stellt die Bundesregierung mit Befriedigung fest, daß in den entscheidenden energiepolitischen Aussagen und Absichten nunmehr weitgehend Übereinstimmung zwiBund und Ländern besteht. Auf die nur geringen Unterschiede zwischen der Energiepolitik der Bundesregierung und dem Antrag der Opposition habe ich von dieser Stelle aus bereits vor ein paar Wochen hingewiesen. Damit hat sich eine Politik durchgesetzt, die dem Ziel sicherer und kostengünstiger Energieversorgung Rechnung trägt.Über die Notwendigkeit nachhaltiger Einsparbemühungen im Energiebereich besteht unter allen politischen Kräften Einigkeit. Im Bereich der Gebäudeheizung liegt ein besonders hohes Einsparpotential. Mit der Erweiterung des Wohnungsmodernisierungsgesetzes um den Komplex „Energieeinsparung" kommt die Bundesregierung dem Wunsch mehrerer Bundesländer nach, das Energiesparprogramm im Rahmen einer gesetzlichen Regelung zu realisieren. Die Bundesregierung appelliert nunmehr an den Bundestag, insbesondere aber auch an die Länder, bei einer schnellen Verabschiedung des Programms mitzuwirken.
Ein neuerlicher Attentismus der Investoren würde den konjunkturpolitischen Erfordernissen zuwiderlaufen. Das Energiesparprogramm bringt insbesondere dem mittelständischen Ausbaugewerbe, aber auch der Industrie zusätzliche Aufträge. Auch würde — dies halte ich für einen wesentlichen Gesichtspunkt — unsere internationale Glaubwürdigkeit, insbesondere unsere Position gegenüber den USA, tangiert, wenn in diesem Bereich keine schnellen und wirksamen Entscheidungen und Einsparaktionen erfolgen. Die Bundesregierung übersieht nicht, daß in einigen Regionen das Ausbaugewerbe schon heute gut ausgelastet ist. Mit dem Einsparprogramm zielt sie aber über die Sicherung schon vorhandener Arbeitsplätze auch auf die Schaffung neuer Dauerarbeitsplätze in diesem Bereich, und sie glaubt, daß diese Arbeitsplätze auch besetzt werden können. Deshalb hat sie das Einsparprogramm bewußt längerfristig angelegt.Bedauerlicherweise hat sich der Bundesrat gegeneine Erhöhung der Heizölsteuer ausgesprochen. Auch wenn diese Gesetzesänderung nicht an die Zustimmung des Bundesrates geknüpft ist, wird sich die Bundesregierung weiterhin bemühen, die Länder von der energiepolitischen Notwendigkeit dieser Entscheidung zu überzeugen. Einmal sollte mit der damit für den Verbraucher verbundenen Verteuerung der Energie — diese ist zwar keine automatische Folge, von ihr kann aber wegen der mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden Überwälzbarkeit ausgegangen werden — ein weiteres Signal gesetzt werden, mit Energie sparsamer umzugehen. Damit soll den sich langfristig abzeichnenden Knappheitsverhältnissen Rechnung getragen werden. Die Bundesregierung befindet sich damit im Einklang mit einer gleichgerichteten Politik in allen anderen großen Verbraucherländern.Entgegen der Behauptung der Opposition glauben wir, mit der geplanten Verteuerung des Heizöls den OPEC-Ländern keinen Vorwand für eigene Preiserhöhungen zu geben. Im Gegenteil, mit der Verteuerung zum Zwecke der Einsparung entspricht die Bundesregierung gerade der Aufforderung der OPEC-Länder zur sparsameren Verwendung des Erdöls.
— Wenn Sie einmal nachrechnen, was die Dollaraufwertung bzw. aus der Sicht der OPEC-Länder die Dollarabwertung an Einnahmeverlusten bringt, werden Sie feststellen, daß es, wenn das nicht zu einer Preiserhöhung anregt, auch 1 Pfennig zusätzliche Steuer pro Liter leichtes Heizöl in der Bundesrepublik nicht bewirken wird. Dies sind überhaupt völlig unvergleichliche Dimensionen.
Angesichts des mit 11 %nur geringen Anteils der Industrie am Heizölverbrauch erscheinen die konjunkturpolitischen Bedenken der Opposition nicht stichhaltig. Eine generelle Anhebung des gesamten Energiepreisniveaus durch steuerliche Maßnahmen war in der gegenwärtigen gesamtwirtschaftlichen Situation sicher — ich nehme an, darin stimmen wir überein — nicht vertretbar. Daß die Erhöhung der Heizölsteuer im Prinzip richtig ist, hat uns das Land Niedersachsen mit seinem, von der Mehrheit des Bundesrates allerdings abgelehnten Antrag bestätigt. Ich sage: "im Prinzip richtig ist".Die Bundesregierung verschweigt auch nicht fiskalischen Aspekt der Heizölsteuererhöhung. Die erwarteten Mehreinnahmen in Höhe von rund 500 Millionen DM sollen zu den erheblich gestiegenen Aufwendungen des Bundes zur Energieeinsparung, insbesondere zur Förderung von Investitionen zur Verbesserung der Wärmeisolierung in Altbauten und zur Sicherung der Energieversorgung beitragen.Neben der Energiepolitik wird sich der Bundestag in diesem Jahr — wahrscheinlich im Laufe des Sommers — mit der Wettbewerbspolitik befassen. Wie Sie wissen, sind die Arbeiten an der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gut vorangekommen. Mit diesem Gesetzentwurf dokumentiert die Bundesregierung ein weiteres Mal die große Bedeutung, die sie der Erhaltung funktionsfähiger Märkte und der Förderung der Marktchancen kleiner und mittlerer Unternehmen beimißt. Die Erhaltung und Verbesserung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen ist und bleibt ein Gebot wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Vernunft.
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Bundesminister Dr. Graf LambsdorffDie Mittelstandspolitik ist deshalb als integraler Bestandteil fest in der Ordnungs- und Strukturpolitik dieser Regierung verankert.Aus diesem Grund wird sich die Bundesregierung in einer der nächsten Kabinettssitzungen mit dem Gesamtkomplex der Mittelstandsförderung befassen. Dabei wird sie ein „forschungs- und technologiepolitisches Gesamtkonzept für kleine und mittlere Unternehmen" verabschieden — ich freue mich über die positive Stellungnahme der Opposition am heutigen Tag hierzu — und damit zu einer weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Mittelstand beitragen. •Ein Schwerpunkt der Mittelstandspolitik der Bundesregierung liegt bei der Förderung von Existenzgründungen. Ebenso wie der Sachverständigenrat ist die Bundesregierung der Auffassung, daß zur Bewältigung des Strukturwandels günstige Bedingungen für die Neugründung von Unternehmen wichtig sind. Hierzu gehört vor allem, daß denjenigen, die sich selbständig machen wollen, die Beschaffung der notwendigen finanziellen Mittel erleichtert wird. Diesem Zweck dient insbesondere das ERP-Existenzgründungsprogramm, aus dem allein in den letzten drei Jahren fast 12 000 Nachwuchskräfte der gewerblichen Wirtschaft langfristige Darlehen in Höhe von insgesamt 520 Millionen DM zum Aufbau eines eigenen Unternehmens erhalten haben.Die steigende Nachfrage nach diesen Darlehen läßt erkennen, daß die Bereitschaft, sich selbständig zu machen — entgegen manchen pessimistischen Äußerungen —, nach wie vor vorhanden ist und sogar zunimmt. Die Bundesregierung hat deshalb den Ansatz für das ERP-Existenzgründungsprogramm von 265 Millionen DM im Jahr 1977 auf 500 Millionen DM im Jahr 1978, d. h. um fast 90 % aufgestockt.
Zum Schluß noch einige Worte zur Strukturpolitik. Die Ausführungen dazu nehmen, wie schon gesagt, nicht nur in diesem Jahreswirtschaftsbericht einen größeren Raum ein, sondern wir werden uns damit auch bald eingehender im Zusammenhang mit der Großen Anfrage der Opposition zur Strukturpolitik zu befassen haben. Die Bundesregierung begrüßt diese Anfrage. Schwierige Fragen werden in offener Diskussion leichter gelöst, als wenn man darüber nicht miteinander spricht.
Das Phänomen Strukturwandel hat in den letzten Jahren deutlich an Gewicht gewonnen — genauer gesagt: es ist uns bewußter geworden — und findet auch in der breiten Öffentlichkeit immer größere Beachtung. In der Diskussion bekommt dieser an sich neutrale Begriff zunehmend einen negativen Akzent, da er mit unbequemen und schmerzhaften Anpassungsprozessen assoziiert wird. Teile der Wirtschaft und der Arbeitnehmer scheinen die auftretenden Belastungen nicht mehr alleine tragen zu können — oder tragen zu wollen? — und rufen immer lauter nach staatlichen Interventionen zugunsten einzelner Branchen oder nach Eingriffen am Arbeitsmarkt. Ich weiß sehr wohl, was Strukturwandel für den einzelnen Arbeitnehmer bedeuten kann und ich nehme diese Probleme nicht leicht.Beim Ruf nach staatlichen Eingriffen wird aber übersehen, daß der Strukturwandel grundsätzlich gesamtwirtschaftliche Vorteile und Chancen bietet und — unter der Voraussetzung, daß abrupte Veränderungen in den Rahmenbedingungen ausbleiben — der geeignetste Weg in einer freien und weltoffenen Wirtschaft ist, den Wohlstand der Bürger zu erhalten und zu mehren.Ein Rückblick auf die wirtschaftliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt, daß die Bundesrepublik einen maßgeblichen Teil ihres Wohlstandes gerade einem erfolgreichen Strukturwandel verdankt,
der auf Grund der ausgeprägten Anpassungsfähigkeit und Risikobereitschaft der Unternehmen und dank der großen regionalen wie sektoralen Mobilität der Arbeitnehmer ohne unerträgliche Friktionen möglich war. — Herr Kollege Müller-Hermann, das war nicht, sondern das i s t die Soziale Marktwirtschaft. —
Außer der erfolgreichen Umstellung von der Kriegszur Friedenswirtschaft gelang innerhalb nur weniger Jahre die Eingliederung von Millionen Flüchtlingen, gelang die Integration in die freie Weltwirtschaft.In den vergangenen Jahren ist es jedoch der Wirtschaft nicht mehr so reibungslos gelungen, sich auf die sich oft sehr rasch ändernden Bedingungen einzustellen. Dies wurde nicht zuletzt dadurch erschwert daß die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht so vorankam, wie wir alle uns dies erhofft hatten. Andererseits hemmten aber auch unvollkommene Anpassungsfähigkeit und Anpassungsbereitschaft den notwendigen Erholungsprozeß.Ein Grund für diese Entwicklung liegt sicherlich auch in der Kumulation der Veränderungen, die außerdem abrupter — ich nenne das Stichwort „Ölpreiskrise" —, massiver — ich denke beispielsweise an die Entwicklung des Außenwertes der Deutschen Mark — und schneller — wie z. B. eine Reihe technologischer Neuerungen — als in früheren Jahren auftraten. Unsere gegenwärtigen Probleme resultieren nicht aus einem Zuviel an Strukturwandel. Wir haben im Gegenteil einen Mangel an Strukturwandel. Eine ausreichende Anpassung an die geänderte welt- und binnenwirtschaftliche Konstellation ist in vielen Bereichen noch nicht gelungen. Den Strukturwandel zu bewältigen ist und bleibt in unserer Wirtschaftsordnung in erster Linie Aufgabe der Unternehmen. Er stellt erhöhte Anforderungen an die sektorale und regionale Mobilität der Arbeitnehmer. Der Staat kann den Anpassungsprozeß nur flankieren. Massive staatliche Eingriffe zugunsten einzelner Branchen müßten zwangsläufig eine Kettenreaktion von Eingriffen in anderen Bereichen auslösen. Sie enthielten den Keim der Auflösung unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, die auf dezentralen Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte aufgebaut ist, und sie führten — dies zeigen schon die
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffmehr oder minder verdeckten staatlichen Interventionen in vielen westlichen Industrieländern — am Ende keineswegs zu besseren Resultaten, als wir sie trotz aller Unvollkommenheiten bisher erreicht haben.
— Herr Kollege Müller-Hermann, ich werde die nächste öffentliche Gelegenheit benutzen, um dieser Aufforderung zu entsprechen. Ich darf darauf hinweisen, daß ich dies aus eigener Einsicht heraus tun werde. Aber Ihre Unterstützung und Anregung sind selbstverständlich wertvoll.
Verstärkte staatliche Eingriffe in den Arbeitsmarkt würden im Widerspruch zur Tarifautonomie stehen und liefen der Freiheit in der Berufswahl und der Freiheit in der Wahl des Arbeitsplatzes zuwider — ein Lösungsansatz, der deshalb von keiner Seite ernsthaft erwogen werden kann.Was der Staat aber kann und muß, ist, dazu beizutragen, erstens durch einen zukunftsorientierten und umweltfreundlichen Ausbau der Infrastruktur die Voraussetzungen für mehr arbeitsplatzschaffende Investitionen zu verbessern;
zweitens in der Wirtschaft die Entwicklung und Anwendung marktorientierter Neuerungen zu erleichtern; drittens die Mobilität von Arbeit und Kapital zu verbessern und — soweit notwendig und gesamtwirtschaftlich vertretbar — Anpassungsprozesse durch flankierende Maßnahmen zu unterstützen; viertens dafür die mögliche Transparenz der Strukturprozesse zu verbessern. Entscheidend bleiben aber die eigenen Anstrengungen der unmittelbar Betroffenen.Mit der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung allen am Wirtschaftsprozeß Beteiligten einen Weg aufgezeigt, auf dem Fortschritte in Richtung auf einen sich selbst tragenden Wachstumsprozeß sowie gleichzeitig — unter Berücksichtigung der Interdependenz — auch Fortschritte bei der Bewältigung des strukturellen Anpassungsprozesses möglich sind. 1978 ist sicher auch — wieder — ein Jahr der wirtschaftlichen Herausforderung. Vergleicht man die Situation unseres Landes mit der in anderen Ländern und blickt man auf die bisherigen Leistungen der deutschen Wirtschaft, dann bin ich guten Mutes, daß wir dieser Herausforderung gerecht werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dollinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn der Debatte um das Jahresgutachten 1977/78 und den Jahreswirtschaftsbericht 1978 danke ich dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Namen der Unionsfraktionen für sein Jahresgutachten 1977/78.
Schon der Titel des Gutachtens „Mehr Wachstum — mehr Beschäftigung" zeigt das Problem auf, das zu lösen, seit langem überfällig ist: die Beseitigung der bereits im vierten Jahr unvermindert anhaltenden hohen Arbeitslosigkeit.Besonderer Dank gebührt dem Rat, daß er neben den Fehlentwicklungen und, den künftigen Risiken durch Aufzeigen seiner Alternativen deutlich gemacht hat, daß der sicherste Weg zur Vollbeschäftigung nur über weniger Staat und mehr Soziale Marktwirtschaft führen kann.
Gutachten von Sachverständigen sind nicht danach zu beurteilen, ob sie einem bequem oder unbequem sind. Es ist deshalb sehr zu bedauern, in welch ungebührlicher Weise man die Sachverständigen zum Teil deshalb kritisiert hat, weil sie sowohl für die Tarifpartner als auch für die Regierung und die Koalitionsfraktionen diesmal unangenehme Aussagen gemacht haben.
Ich freue mich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister dazu klar — und ich stimme ihm völlig zu — gesprochen hat. Zum richtigen Demokratieverständnis gehört es eben, auch andere Meinungen gelten zu lassen.
Gestatten Sie mir, zunächst einige Bemerkungen zu den Fehlprognosen im Jahreswirtschaftsbericht für 1977 zu machen. Gestimmt hat eigentlich nur die Prognose der Entwicklung bei den Preisen. Die halben Rationen, auf die wir in der Realität gesetzt wurden, dürften sattsam bekannt sein.
Unter den maßgeblichen Faktoren für die Tatsache, daß nur die Hälfte von dem Wachstum eintrat, das man versprochen hatte, führt die Bundesregierung — Ziffer 2 — an erster Stelle die verminderte Auslandsnachfrage an. Die Tatsachen aber, daß wir bei unserem Außenhandel bei steigender Ein- und Ausfuhr einen Überschuß von rund 38 Milliarden DM .erreichen konnten — wobei sicherlich unsere Exportwirtschaft Preiseinbußen hinnehmen mußte — und unsere Ausfuhr mit einem Wachstum von nur 6 % anstatt der prognostizierten 11 °/o eine stärkere Zuwachseinbuße erfuhr als der Welthandel mit einer Zunahme um rund 5 % an Stelle von 7 bis 8 %, zeigen recht deutlich, daß hier auch binnenwirtschaftliche Faktoren, insbesondere im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit eine Rolle gespielt haben.
Ich sage dies insbesondere deshalb, weil von der Bundesregierung immer wieder der Versuch gemacht wird, die binnenwirtschaftlichen Fehlentwicklungen hinter außenwirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Hintergrund treten zu lassen. Darauf gilt
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Dr. Dollingeres ganz besonders hinzuweisen, da wir auf das Jahr 1977 zurückschauen.
Dabei verkenne ich keineswegs die Schwierigkeiten heute, die in zunehmendem Maße durch den Verfall des Dollar und durch die Labilität des französischen Franc auf uns zukommen. Die internationale Entwicklung fordert sogar verstärkt eine Stabilisierung der Kosten und eine Steigerung der Produktivität unserer Wirtschaft, fordert also, den Blick aufs Inland und auf heimische Fehlentwicklungen zu richten.
Wir sehen — wie der Herr Bundeswirtschaftsminister — die Gefahren eines zunehmenden Protektionismus, und wir sehen auch die markthemmenden Bestrebungen. Daß dabei die Fragen zwischen den Industrienationen und den Rohstoffländern, d. h. der Nord-Süd-Dialog, zusätzliche Schwierigkeiten bereiten, wissen wir. Auf diese Probleme werden wir im Laufe der Debatte noch weiter eingehen.Als zweite Ursache führt die Bundesregierung an, daß den Unternehmen und den privaten Haushalten durch unerwartet hohe Steuereingänge mehr an Kaufkraft entzogen wurde, als geschätzt worden war. Meine Damen und Herren, hier muß man doch fragen: Wer hat sich denn immer wieder gegen unsere Steuersenkungspläne gesträubt,
insbesondere bei den Steuern, die sich als investitionshemmend, leistungs- und arbeitsplatzfeindlich erwiesen haben?
Als trotz acht Konjunkturprogrammen mit einem Volumen von rund 30 Milliarden DM im vergangenen Sommer keine entscheidende Konjunkturbelebung in Sicht war, hatten wir, die CDU/CSU, vorgeschlagen, doch vom Stabilitätsgesetz Gebrauch zu machen und die Lohn- und Einkommensteuer um 10 °/o zu senken und daran anschließend die dringend notwendige Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs durchzuführen. Das hätte die Bundesregierung nach unserer Überzeugung auf den richtigen Weg gebracht.
Dies hätte zudem den Verbrauchern und Investoren deutlich gezeigt, daß Schluß mit den ständigen heimlichen Steuererhöhungen ist und daß sich künftig Leistung und Investieren wieder lohnen.
Nachdem die Koalition und die Bundesregierung unsere ordnungspolitischen, ja, ich möchte sagen: die gesetzlichen Vorschläge abgelehnt haben, dürfen sie heute nicht beklagen, daß Unternehmen und privaten Haushalten zuviel an Kaufkraft entzogen wurde.Auch die Klage der Bundesregierung, daß die öffentlichen Ausgaben im Jahresverlauf zunächst hinter den Planungen zurückgeblieben sind, ist fehlam Platze; denn die Tatsache, daß der Staatsapparat schwerfälliger ist als die private Wirtschaft, ist kein neues Phänomen. So ist im Jahreswirtschaftsbericht nachzulesen — ich darf Ziffer 27 zitieren —:Wie die Erfahrungen zeigen, führt eine zunehmende Politik staatlicher Interventionen meist zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten, Effizienzverlusten und Friktionen.Aus gutem Grund ziehen wir deshalb unsere freiheitliche Marktordnung einer staatlichen Verwaltungswirtschaft vor.Schließlich führt die Bundesregierung, um den Fehlschlag ihrer Politik zu kaschieren, den unerwarteten außerökonomisch bedingten Investitionsstau im Energiesektor als wesentlichen Faktor an. In diesem Zusammenhang erinnere ich nicht nur an die Debatten im Deutschen Bundestag, sondern vor allem an das fortwährende Hinauszögern dringend notwendiger Entscheidungen, für die die SPD schließlich einen gesonderten Parteitag bemühen mußte. Es trifft wohl zu, daß der Investitionsstau außerökonomisch bedingt ist, dafür aber um so mehr politisch. Hierfür hat die Bundesregierung, weil sie nicht entschieden hat, und haben SPD und FDP die volle Verantwortung zu tragen.
Sie haben es versäumt, auf die Folgen von Investitionsverzögerungen und auf die Unabdingbarkeit von alternativen Energieträgern frühzeitig deutlich genug hinzuweisen.Meine Damen und Herren, mit ihrer Jahresprojektion für 1978 stellt die Bundesregierung ein mit vielen Unsicherheitsfaktoren behaftetes Zahlengerüst zwischen Hoffen und Bangen vor. Es ist deprimierend und kommt einer Kapitulation gleich, daß die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr nennenswert abzubauen. Wir haben wohl ein viertes Jahr mit einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 1 Million Menschen zu rechnen.
Dabei ist es zuwenig, daß sich die Bundesregierung nur auf Grund einer aussichtslosen Lage auf dem Arbeitsmarkt veranlaßt sah, der Auffassung der Sachverständigen — Ziffer 292 — zuzustimmen, daß nämlich „die These, um die Beschäftigung auch über die Massenkaufkraft zu erhöhen, sollten die Löhne nicht zu zaghaft angehoben werden ... falsch" ist. Das gilt auch, wenn man sieht, daß die Bundesregierung an einigen . Stellen darauf hinweist, daß die Gefahr zu starker Lohnerhöhungen größer ist als die Gefahr zu niedriger Lohnerhöhungen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat das heute noch einmal unterstrichen.Ich begrüße — das sollte in diesem Zusammenhang festgehalten werden —, daß der Bundeswirtschaftsminister der Vollbeschäftigungsgarantie des ehemaligen Bundeskanzlers Brandt in der jüngsten Haushaltsdebatte und nochmals in seinem Interview
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5902 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Dollinger) im Handelsblatt vom 11./12. Februar dieses Jahres die längst überfällige Absage erteilt hat.
Dort heißt es:Ich habe im Bundestag anläßlich der Etatdebatte unter dem Beifall aller Fraktionen, also auch der SPD-Fraktion erklärt, daß es nicht angehe, wenn die Tarifpartner zwar autonom die Tarifbedingungen regeln, die Lösung der daraus resultierenden Arbeitsmarktprobleme aber der Bundesregierung überlassen wollen. Ein solches Verhalten könne nicht akzeptiert werden, da es auch die Tarifautonomie gefährde.Gleichfalls halte ich es für richtig und notwendig, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister die Erhöhung der Bruttolohn- und -gehaltssumme im Klartext anspricht. Ich hätte es aber auch begrüßt, wenn klipp und klar gesagt worden wäre, was eine Erhöhung der Bruttolohn- und -gehaltssumme von 5,5 °/o je Arbeitnehmer für die Tarifabschlüsse bedeutet. Klarheit und Wahrheit tun in unserer Situation not.Für eine klare und vertrauenschaffende Wirtschaftspolitik ist es notwendig, nicht nur sachpolitische Ziele eindeutig zu formulieren, sondern auch gute institutionelle Rahmen zu nutzen bzw. auf die Wiederbelebung mit aller Macht hinzuwirken, wie es das Gemeinwohl erfordert. Um so mehr bedauere ich es, daß es dem Herrn Bundeswirtschaftsminister bisher nicht gelungen ist, die Konzertierte Aktion, die das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 vorsieht und die seitdem in der bisher gewohnten Weise praktiziert wurde, wieder zusammenzubringen. Wir haben aus den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers gehört, daß im Augenblick eine halbierte oder geviertelte Konzertierte Aktion stattfindet. Ich glaube aber, das reicht nicht aus.Mir ist auch unverständlich, wie in der jetzigen Situation, in der der Lohnpolitik eine zentrale Bedeutung zukommt und der soziale Frieden ernstlich gefährdet erscheint — wie seit langem nicht mehr —, der Herr Bundeswirtschaftsminister meinen kann, daß „dies kein Thema ist, das einen aktuellen Entscheidungsbedarf hat, sondern das weiter sorgfältig und mit Zurückhaltung behandelt" werden muß.
Es ist erstaunlich, wie man hier eine Seite der Tarifpartner mit Glacéhandschuhen anfaßt und die andere Seite immer noch prügelt, indem man ihre Verfassungsbeschwerde zur Mitbestimmung als „unnütz und überflüssig" abwertet und deshalb Verständnis für das Fernbleiben zeigt.
Eine klare Stellungnahme der Bundesregierung und eine nachhaltige Aufforderung, an der Konzertierten Aktion teilzunehmen, ist meines Erachtens um so notwendiger, als einer der Tarifpartner durch Boykottieren dieser Institution versucht, sich gesamtwirtschaftlicher Veranwortung zu entziehen.
Noch ein Wort zur ordnungspolitischen Klarheit. Ich bin wie Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, der Meinung — ich zitiere —, „wenn die Tarifautonomie garantiert bleiben soll, dann sollten Ministerpräsidenten oder aktive Minister auf das Amt des Schlichtens verzichten". Denn es ist bereits, wie Sie sagten, wenn ich an die beiden jetzt abgeschlossenen Tarifverträge denke, in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, daß der Staat für diese Abschlüsse die Verantwortung übernommen hat, sie gleichsam sanktioniert hat. Auch eine solche Einstellung birgt die Gefahr, daß die Tarifautonomie längerfristig als Teil unserer Ordnung nicht Bestand hat.
— Ich verstehe die Unruhe, es kommt noch etwas dazu. — Es ist nicht wahr, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien SPD und FDP hier eine vertrauenerweckende Politik betreiben. Ich beweise das. So hat der stellvertretende SPD-Vorsitzende, der Bremer Regierungschef, Herr Koschnick, auf dem SPD-Unterbezirksparteitag in Hannover am Wochenende den Arbeitgebern vorgeworfen, sie führten in der aktuellen Lohnauseinandersetzung einen — Zitat — „nackten, brutalen Klassenkampf von oben",
und Tarifangebote von 3,5 0/o seien nicht ernst zu nehmen. Dabei stellt die Bundesregierung — ich habe es schon gesagt — Lohnabschlüsse mit einer vier vor dem Komma in ihrer Projektion ein, und der Sachverständigenrat spricht sich für Lohnerhöhungen um 3,5 % aus. Hier kann nicht glaubwürdig der Regierungschef eines Landes ein Angebot der Arbeitgeber von 3,5% im gleichen Zeitpunkt als „nackten, brutalen Klassenkampf von oben" bezeichnen, wenn die Sachverständigen und die Regierung im Grunde genommen auf einer ähnlichen Linie liegen.
Wenn wir Vertrauen schaffen .wollen, und dazu wird es höchste Zeit, dann ist es auch notwendig, daß der Herr Bundeskanzler nicht nur immer seinen Wirtschaftsminister vorschickt, sondern selbst den Mut findet, ein klares und für alle verständliches Wort zu sagen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang halte ich die Ausführungen des Sachverständigenrates wie auch der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht 1978 zum Problem der Einkommensverteilung für ganz wesentlich. So sagen die
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Dr. DollingerSachverständigen neben der bereits angeführten Ablehnung der Kaufkrafttheorie, daß ein sich selbst verstärkender Wachstumsprozeß zunehmend von der privaten Investitionstätigkeit getragen werden muß. Die Bundesregierung erklärt in ihrem Jahreswirtschaftsbericht in Ziffer 11:Eine wichtige Vorbedingung hierfür ist, daß die Erträge der Unternehmen, deren Entwicklung im Vorjahr hinter der Zunahme der Lohneinkommen zurückgeblieben war,— Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit plus 7 %, aus Unternehmertätigkeiten plus 2,5 %1978 wieder stärker steigen. Es heißt dann weiter:in der gegenwärtigen Situation sind die Risiken zu starker Lohnanhebungen tendenziell höher zu veranschlagen als die Risiken zu niedriger Lohnanhebungen.Auch dies sind notwendige, heute auszusprechende Wahrheiten.Im Verlaufe ihrer weiteren Ausführungen hat, so scheint mir, die Bundesregierung allerdings dann den Mut etwas verloren. In bezug auf den vom Rat vorgeschlagenen außerordentlichen Kurswechsel in der Lohnpolitik erklärt sie abschwächend, „daß die Lohnpolitik für die künftige Wachtums- und Beschäftigungsentwicklung eine wesentliche, wenn auch nicht die allein entscheidende Rolle spielt".Meine Damen und Herren, nun sieht die Bundesregierung ein besonderes Risiko im zeitlichen Abstand zwischen der erhofften Wirkung von niedrigen Lohnzuwächsen im ersten Schritt und einer Beschäftigungsmehrung im zweiten Schritt; es heißt, daß es durch den Zeitabstand zu Enttäuschungen und Fehlreaktionen kommen könnte. Ohne die Gefahren eines solchen möglichen Zeitabstandes zu bagatellisieren, halte ich eine solche Befürchtung für unbegründet, denn diese Risiken bestehen erst recht bei höheren Lohnabschlüssen, als sie von der Bundesregierung prognostiziert wurden. Nach Auffassung der Sachverständigen würde dann die Zeit bis zur Rückgewinnung der Vollbeschäftigung noch länger dauern.In der augenblicklichen Situation; in der der Preisanstieg im Begriff ist, etwas abzunehmen, und trotzdem gleichzeitig unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland infolge des Dollarverfalls und der Labilität des französischen Francs abnimmt, sollten Vorschläge, die auf einen Kostenabbau und damit auf eine zunehmende Beschäftigung abzielen, unsere Zustimmung finden. Wir können nicht jede Lohnzurückhaltung fälschlicherweise als unzulässige Gewinnerhöhung, die ich in der Tat für notwendig halte, ansehen. So schreibt der Sachverständigenrat nach meiner Meinung richtig und deutlich in Ziffer 303:Erst der Wettbewerb ... entscheidet darüber, was den Unternehmen letzten Endes verbleibt. Erweist sich dennoch der Wettbewerb als zu schwach für Preissenkungen, so daß höhere Gewinne erzielt werden, als für Investitionen, die zur Vollbeschäftigung passen, nötig sind, kannsich die Lohnpolitik vorsichtig zurückholen, was sie zuviel zugestanden hat. Nur auf diese Weise kann das Lohnniveau herausgefunden werden, das Vollbeschäftigung möglich macht.Lassen Sie mich einen kleinen Exkurs machen. Mit Verwunderung muß ich den von Minister Karry gestern geforderten Lohnstopp zur Kenntnis nehmen. Es ist eines, für niedrige Lohnabschlüsse zu plädieren; es ist ein anderes und ordnungspolitisch sehr gefährlich, einen verordneten Lohnstopp in Interviews zu fordern.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, anknüpfend an das oben Gesagte, den Begriff „Gewinne" klarstellen, der korrekt mit „Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen" bezeichnet wird.
— Nein, das tue ich nicht; aber ich beschäftige mich mit dem, was im Jahreswirtschaftsbericht steht, und ich nehme nicht an, daß das eine Arbeit für die Unternehmerschaft ist.
Ich glaube — vielleicht können Sie in diesem Punkt sogar Hilfestellung leisten —, über den Inhalt dieser Größe bestehen vielfach falsche Vorstellungen und damit auch über die von der Bundesregierung projektierte Zunahme zwischen 9 und 10% die der Sachverständigenrat allerdings nur mit 8 % veranschlagt. Er handelt sich hier um eine Mischgröße der amtlichen Statistik. Neben den Unternehmensgewinnen — das ist nur ein kleiner Teil — werden hier die Zins- und vor allem die Mieteinkommen aller privaten Haushalte und des Staates erfaßt. Die wesentlichen Posten daneben sind die Arbeitseinkommen der Selbständigen, die Einkommen der öffentlichen Unternehmen sowie der Land- und Forstwirtschaft. Ich bedaure es sehr, daß es nicht möglich ist, beim Statistischen Bundesamt zu erfahren, wie sich hier insgesamt die Beträge für die einzelnen Bereiche aufschlüsseln. Ich glaube, es ist dringend notwendig, daß hier absolute Klarheit in bezug auf eine Aufteilung geschaffen wird.
Vom Statistischen Bundesamt wurde, als ich diesen Größen gründlicher nachgehen wollte, erklärt, es dürfte noch ein bis zwei Jahre dauern, bis hier eine getrennte Zahl angegeben werden könne.
Die Vergangenheit hat nur allzu deutlich gezeigt, daß die Unternehmensgewinne unter' permanentem Druck standen. Zudem lag die Rendite für Fremdkapital über einen längeren Zeitraum höher als die Rendite für Eigenkapital. Dies kennzeichnet eine wirtschaftliche Fehlentwicklung. Aus diesen Gründen ist die Investitionsneigung ganz erheblich gedämpft worden. Vergleicht man die Entwicklung der Nettoinvestitionen mit der der Unternehmensgewinne, so
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5904 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Dollingerkann man feststellen, daß in den Jahren, in denen Gewinne anfielen, auch investiert wurde und umgekehrt.Heute ist jede wirtschaftliche Erholung schwer vorbelastet. Ehe ein selbsttragender Aufschwung möglich ist, müssen die Erträge nachhaltig verbessert werden.
Nur so schaffen wir die Voraussetzung, um die Investitionslücke, die entstanden ist, auszufüllen, die zunehmende Überalterung des Produktionsapparates zu stoppen, die exzessive Zahl von Firmenzusammenbrüchen zurückzuschrauben, das Produktionspotential schließlich wieder voll auszulasten und auf den Pfad eines stetigen Wachstums bei Vollbeschäftigung zurückzukehren.Bei ihrer für 1978 geplanten Wirtschafts- und Finanzpolitik geht die Bundesregiernug davon aus, daß sie mit ihren Konjunkturprogrammen das Ihre getan hat. Dies mag jetzt für die finanzielle Größenordnung zutreffen. Trotzdem fehlt heute die Eigendynamik, die wir beispielsweise noch 1967 und 1968 hatten und die in den Jahren seit 1969 mit Reformeuphorie, dem Schüren einer Anspruchsinflation, mit der Verharmlosung von Inflation, mit dem Testen der Belastbarkeit der Wirtschaft, mit Aktionen wie „Gelber Punkt", mit dem Schüren von Neidkomplexen,
einer leistungsfeindlichen Steuergesetzgebung und den bekannten Nivellierungsbestrebungen verlorengegangen ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Katalog ist gar nicht vollständig.
Neid und Klassenkampf sind Schrittmacher der Nivellierung, der Gleichmacherei.
Ich hoffe — ich muß schon fast sagen: ich hoffte —, daß sich die Bundesregierung und die Fraktionen von SPD und FDP heute darüber im klaren sind, wie zerstörend diese Politik der letzten Jahre gewirkt hat.
Sie haben die Eigendynamik unserer Wirtschaft über Jahre gelähmt.
— Es ist schwierig, wenn man nicht zuhören kann. Das ist klar. Aber die Wahrheiten sind oft schwer zu ertragen.Deshalb sollten Sie sich, meine Herren von der Regierungskoalition, auch an den Satz aus demSachverständigengutachten erinnern lassen, der unter der Rubrik „Worauf es ankommt" als Ziffer 336 steht:Obwohl die Aufgabe einer Initialzündung gegeben ist, kommt es doch weiterhin in erster Linie darauf an, die Anstrengungen zu verstärken, die sich auf eine Beseitigung der Ursachen für den Mangel an Eigendynamik richten.Hier sind im Grund genommen alle jene klar herausgefordert, die die Soziale Marktwirtschaft vertreten und die es mit einer gesunden Entwicklung der Wirtschaft und damit auch mit der Arbeitnehmerschaft gut meinen.
Lassen Sie mich noch einmal fragen: Warum dieser Mangel an Eigendynamik? Die Ausuferung der staatlichen Zuständigkeiten — darüber hat ja auch der Herr Bundeswirtschaftsminister einiges gesagt — führte zu permanent steigenden Staatsausgaben, zur Ausweitung der Verwaltung und schließlich zu dem, was wir Bürokratie nennen. Die steigenden Konjunkturprogramme haben zu einer ineffizienten Aufblähung der Verwaltung geführt, die weder die Produktion nachhaltig anregte und damit- Arbeitsplätze hätte schaffen können, noch zur Produktivitätssteigerung beitrug. Statt einer Konjunkturstimulierung und einer Verstetigung des Wachstums blieben Konjunkturschwankungen und Arbeitslosigkeit.
Hätte man die Finanzmassen statt zur Ausgabenexpansion rechtzeitig zum Abbau der Überbesteuerung eingesetzt, dann wären der Wirtschaft das Leistungsprinzip und die Investitionsfähigkeit erhalten geblieben
und die Lohn- und Kostensteigerungen maßvoller ausgefallen. Dies hätte zu einer günstigeren Wettbewerbssituation geführt, und damit hätte es sicher keine Millionenarbeitslosigkeit über eine Spanne von vier Jahren gegeben.Machen wir uns einmal klar: Die Regierungskoalition hatte mit dém Steueränderungsgesetz 1977 und dem Gesetz zur Steuerentlastung und Investitionsförderung eingestanden, daß sie mit ihrer Abgabenpolitik die Belastbarkeit der Wirtschaft in konjunktur- und beschäftigungspolitisch unverantwortlicher und sträflicher Weise getestet hat. Deshalb dürfen die durchgeführten Steuerentlastungen nur ein erster Schritt zum Abbau der Überbesteuerung sein. Gerade in der Steuerpolitik müssen Bürger und Wirtschaft für ihre langfristigen Dispositionen und Investitionen verläßliche Rahmenbedingungen haben, damit sie wissen, wohin die Reise geht.
Wir müssen uns, wenn wir die Lethargie in der Wirtschaft durchbrechen wollen, neben dem Bereich der Einkommensteuer mittelfristig und im Schwer-
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Dr. Dollingergewicht mit dem Komplex der ertragsunabhängigen Steuern unter Berücksichtigung der Finanzkraft der Gemeinden und mit den Abschreibungen beschäftigen. Hierzu wird mein Kollege Zeitel gegebenenfalls weitere Ausführungen machen.Wesentlich zur Beseitigung der Investitionslethargie der Wirtschaft ist der Abbau von Investitionshemmnissen, die mit dem zunehmenden Gesetzes- und Verordnungswesen zusammenhängen und in zunehmendem Maß zu einer Verbürokratisierung und Reglementierung unserer Wirtschaft geführt haben. Der Bundeskanzler hat das in seiner Rede in Bad Godesberg am 27. Oktober 1977 noch gelinde ausgedrückt, als er sagte:Wir haben uns ein sehr hohes Maß an Schwerfälligkeit eingehandelt, und in vielen Fällen hat der Gesetzgebungs-, Verordnungs- und Erlaßperfektionismus uns in Deutschland in Käfige eingesperrt.Ich nehme an, daß jetzt keine Kritik von der linken Seite kommt. — Danke schön.
Diese Einsicht kommt einem Politiker, der seit Jahren eine hohe Verantwortung in verschiedenen Positionen trägt, reichlich spät. Es mußte erst zu dem ungeheuren Investitionsstau — auch davon hat der Herr Bundeswirtschaftsminister gesprochen — in Höhe von 25 bis 30 Milliarden DM kommen, etwa ein gleich hoher Betrag, wie er für die Konjunkturanregungsmaßnahmen ausgegeben worden ist, und das nicht nur auf dem Kraftwerkssektor, sondern ebenso im Verkehrsbereich und anderen öffentlichen wie privaten Bereichen mit der Folge entsprechender Arbeitsplatzverluste.Ich sage ausdrücklich: auch im privaten Bereich. Denn welcher Handwerksmeister oder kleine oder mittlere Unternehmer kennt sich heute noch in dem Gesetzes- und Verordnungsdschungel aus?
Hier gehen verständlicherweise Dynamik und Mut zum Risiko verloren.
Ein weiterer Bereich für die künftigen Rahmenbedingungen, der für die unternehmerische Politik, der für die Unterstützung der Eigendynamik unserer Wirtschaft wichtig ist, ist die Strukturpolitik. Wie ich Ihrem Bericht, Herr Bundeswirtschaftsminister, entnehme, halten Sie erfreulicherweise auch nichts von Branchenprognosen. Bei Ihrem Koalitionspartner SPD ist das ja anders. Je weiter man bei diesem nach links schaut, desto detaillierter werden Prognosen und Interventionen gefordert. Ich erinnere nur an den Mitte vorigen Jahres von der SPD verabschiedeten mittelfristigen Orientierungsrahmen 1985, der mit seinen vorgesehenen Strukturräten und Investitionsmeldestellen ja auch die Bundesbank mit der sogenannten Aktivreserve mit in eine künftige Investitionslenkung einbeziehen will. Da ich der festen Überzeugung bin, daß die Herren von der SPD nicht mehr Gelegenheit haben werden, diese Pläne zu verwirklichen, sage ich nur: Wir brauchen keine neuen Lenkungsinstrumente, sondern wenigerSteuerung, damit sich die Steuerungsfehler, an denen wir heute schon zu leiden haben, nicht weiter vergrößern. Es gibt gar keinen Zweifel, daß wir strukturelle Wandlungen dann werden leichter verkraften können, wenn wir eine Wirtschaft mit Wachstum, und zwar mit einem kräftigen Wachstum, haben als eine Wirtschaft ohne Wachstum.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Bitte schön.
Herr Kollege Dollinger, abgesehen von der Bewertung zusätzlicher Beratungsgremien: Wie können Sie sich gegen solche zusätzlichen Beratungsgremien wie Strukturräte wenden, wenn ein Antrag auf Einrichtung eines Wirtschafts-und Sozialrates, der dem Bundestag vor ein paar Jahren vorgelegen hat, Ihre eigene Unterschrift trägt?
Niemand ist gehindert, sich in bezug auf seine Meinungen zu verbessern.
— Ob das schwach ist oder nicht — ich glaube, Selbsterkenntnis steht auch Demokraten gut an.Ich stimme dem Herrn Bundeswirtschaftsminister zu, daß die Bewältigung des Strukturwandels in erster Linie Aufgabe der Unternehmer ist und hierzu Initiative, Flexibilität und ein hohes Maß an Risikobereitschaft erforderlich sind, aber auch — das steht in Ziffer 33 des Jahreswirtschaftsberichts — ein geeigneter Rahmen, um das Risiko tragen zu können. Gerade an letzterem — darauf habe ich wiederholt aufmerksam gemacht — fehlt es.Im Kapitel über Förderung von Forschung und Entwicklung wird angeführt — Ziffer 14 —, daß die Investitionszulagen beträchtlich erhöht werden sollen. So weit, so gut. Aber wissen Sie auch, welche bürokratischen Hürden sich vor einem Antragsteller auftürmen, wenn er Gelder des Bundesforschungsministeriums beantragt?
Wie jüngst in einem Artikel der „FAZ" vom 20. Februar 1978 zu lesen war, haben viele Großunternehmer für die langwierigen Bewilligungsverfahren bereits Spezialabteilungen eingerichtet. Wie sollen kleinere und mittlere Firmen damit fertig werden?
Abgesehen von den Kosten und der Zeit, die hier allein für die Bewältigung des Papierkriegs aufgewendet wenden müssen, ließe sich eine sachgerechte Forschungspolitik mit steuerlichen Entlastungen anstelle von Subventionen zweckmäßig gestalten. Damit würde die Bereitschaft zu einer intensiven Forschung und die Übernahme von mehr Risiko eher erreicht werden. Aber damit würde zu-
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Dr. Dollingergleich der frühere Herr Bundesforschungsminister und jetzige Herr Bundesfinanzminister eines Investitionslenkungsinstrumentes beraubt. Ich glaube, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie werden zustimmen, wenn ich sage, daß eine Umkehr in der finanziellen Förderung im Sinne besserer Rahmenbedingungen notwendig ist.Meine Damen und Herren, mehr Wachstum, mehr Beschäftigung — lassen Sie mich dazu zusammenfassen:Erstens. Es gilt, die Grenzen der unternehmerischen Belastung zu erkennen und einzuhalten. Unternehmen sind auf Leistung angelegt. Unternehmungen ohne Gewinne sind auf die Dauer nicht existenzfähig. Der Gewinn spielt eine entscheidende Rolle zur Erhaltung der Unternehmen und für deren Wettbewerbsfähigkeit. Gesunde Unternehmen sind die beste Garantie für unsere Arbeitsplätze. Gewinne sind Voraussetzung für gute Löhne, gesetzliche und freiwillige soziale Leistungen und für Investitionen. Unternehmungen können nicht immer wieder für die soziale Sicherheit zur Kasse gebeten werden, wenn die staatlichen sozialen Einrichtungen durch falsche Politik versagen.Zweitens. Die Unternehmen müssen rationell produzieren und wirtschaften. Bei ihnen konzentrieren sich die Risiken. Wenn wir Wohlstand und Fortschritt für alle erhalten wollen, müssen wir ihnen die Voraussetzung für die Lösung ihrer Probleme schaffen. Die Politik der Bundesregierung hat hier zentrale Bedeutung. Gerade deshalb müssen wir auf ihre Verantwortung hinweisen und Klarheit verlangen.Drittens. Heute müssen wir feststellen, daß die Bundesregierung immer noch dem Irrglauben an die Machbarkeit aller konjunkturellen Entwicklungen verfallen ist. Dies mußte zwangsläufig zu einer sträflichen Vernachlässigung der wirtschaftlichen Ordnungsgrundsätze führen. Die mitregierenden Flügel in den Parteien der Koalition operieren dementsprechend widersprüchlich. Die Menge der konjunkturpolitischen Vorschläge erhöht sich ständig.Viertens. Das führt schließlich bei Fortsetzung zu einem Interventionsstaat, zur Erwartung staatlicher Allzuständigkeit. Für privatwirtschaftliche notwendige Initiativen fehlen dagegen nach wie vor die Grundlagen. Damit wird deutlich, daß die Bundesregierung .die Konjunkturpolitik überfordert, ihr zumutet, was sie nicht leisten kann.Fünftens. Daher gilt es, die yolks- und betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich ein entsprechendes Wachstum, wie es für die Vollbeschäftigung erforderlich ist, entfalten kann. Hier ist die Relation zwischen Eigen- und Fremdkapital von Bedeutung. Der Zins ist zur Zeit für die Aufnahme von Fremdkapital günstig. Wenn sich trotzdem die Frage nach den fehlenden Investitionen immer wieder stellt und der Herr Bundeskanzler die Unternehmer in diskriminierender Weise zum Teil als „Unterlasser" bezeichnet, so übersieht der Herr Bundeskanzler offenbar die mangelnde Auslastung vieler Kapazitäten der Wirtschaft unddie negative Beurteilung der weiteren Entwicklung. Es wäre verantwortungslos, neue Kapazitäten zu schaffen oder Fremdkapital aufzunehmen, wenn nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, daß diese Investitionen sich rentieren, d. h., daß die Produkte abgesetzt werden können und Zins und Tilgung verdient werden.
Sechstens. Schließlich sind auch politische und psychologische Voraussetzungen zu schaffen. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben Verbraucher und Unternehmer verunsichert und kritisch gestimmt. Ich erinnere an die vielen falschen Prognosen über den wirtschaftlichen Aufschwung. Ich erwähne die Widersprüchlichkeiten in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie sie beispielsweise in dem „stop and go" zum Ausdruck kamen. Ich erwähne die Diskussion um die Wirtschaftsordnung, von der innerhalb der SPD immer zu hören ist, sie sei nicht in der Lage, mit den Problemen fertig zu werden. Die Zahl der Konkurse, Liquidationen und Fusionen und der Konzentrationsprozeß haben bei vielen Zweifel und Angst vor der Zukunft, ja Resignation aufkommen lassen.Siebentens. Gerade im mittelständischen Bereich hat sich dies stark ausgewirkt. Ich erinnere nur daran, daß rund 900 000 selbständige Existenzen — das sind rund 14 % — in der Ära der sozialliberalen Koalition verlorengingen. Soziale Marktwirtschaft verlangt nicht nur staatliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, sondern auch verantwortungsbewußte Persönlichkeiten, die bereit sind, Risiko auf sich zu nehmen.
Diese verantwortungsbewußten unternehmerischen Persönlichkeiten gehören unabdingbar zur Sozialen Marktwirtschaft.Achtens, Mehr Wachstum und mehr Beschäftigung als Ziel der Politik bedeuten also im Endergebnis mehr Soziale Marktwirtschaft. Für den Staat heißt dies, daß er Rahmenbedingungen setzen muß, die für alle verständlich und glaubwürdig sind. Der Wirtschaft muß der Freiheitsspielraum eröffnet werden, in dem sie sich gemäß ihrer Gesetzlichkeit entfalten kann.Neuntens. Was wir heute brauchen, ist eine Umkehr, eine Rückbesinnung auf unsere Ordnungsprinzipien.
Erst dann gewinnen wir wieder den Rahmen einer realistischen Politik und schaffen das notwendige Vertrauen in die Dynamik der Sozialen Marktwirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dollinger hat hier eine Rede gehalten, wie wir sie jährlich von der Seite
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Junghansder Opposition hören. Sie ist nicht aktualisiert worden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, aktuell ist die Meldung, die gestern auf den Tisch kam:Wachstumspause in der Bundesrepublik beendet. Die Wachstumspause in der Bundesrepublik ist nach der Stagnation im Sommer des vergangenen Jahres beendet, stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in seinem jüngsten Wochenbericht fest.
Träger dieser Entwicklung sind die Anlageinvestitionen; wahrscheinlich ist aber auch die Lagerbildung wieder verstärkt worden. Vom privaten Verbrauch seien dagegen auch zu Beginn des Jahres keine zusätzlichen Impulse ausgegangen.Das ist die Lage dieser Woche, nicht das, was Sie, Herr Dollinger, geschildert haben.
Herr Dollinger, auf der einen Seite haben Sie die Bundesregierung für die gesamte Wirtschaft verantwortlich gemacht; andererseits haben Sie hier für die Freiheit der Unternehmer plädiert. Im übrigen habe ich nicht mit einem einzigen Wort etwas gehört, was ich sehr vermisse: Von der Freiheit der Arbeitnehmer haben Sie gar nichts gesagt;
Sie sprechen nur von der Freiheit der Unternehmer.
Zur Wirtschaft gehören auch die Arbeitnehmer, Herr Dr. Dollinger!
Sie wollen hier immer den Eindruck erwecken, als stünde die Bundesregierung als oberste Planungsbehörde einer zentral geleiteten Wirtschaft vor. Das ist Ihr gutes Recht, aber Sie dürfen hier nicht mit gespaltener Zunge reden. Sie versuchen damit immer wieder, den Anschein zu erwecken, als wäre die Bundesregierung Planungsvollzugsbehörde, als könnte sie willkürlich über das Sozialprodukt des Großunternehmens Bundesrepublik Deutschland verfügen.
Andererseits wollen Sie sich hier — das haben Sie eben wieder vorgeführt — als Wächter marktwirtschaftlicher Reinheit aufspielen.Es scheint daher notwendig zu sein, auch einmal an den Gesetzgeber zu erinnern, der vor zehn Jahren das Gesetz über Stabilität und Wachstum verabschiedet hat.Die Bundesregierung ist nach dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft verpflichtet, dem Bundestag und dem Bundesrat im Januar jeden Jahres einen Jahreswirtschaftsbericht vorzulegen. Unser verehrter ehemaliger Kollege Professor Alex Möller hat dazu gesagt, der Jahreswirtschaftsbericht habe vorwiegend die Aufgabe, die gesetzgebenden Körperschaften und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, mit welchen konjunkturellen Entwicklungen die Bundesregierung im laufenden Jahr rechne, welche Zielkomponenten gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sie als gefährdet ansehe und mit welchen Maßnahmen der Globalsteuerung das .gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht erhalten werden solle. So sagt Alex Möller in seinem bekannten Kommentar.§ 1 des Stabilitätsgesetzes definiert eindeutig die Grundsatzentscheidung, daß sich die Maßnahmen zur Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung bewegen müssen. Marktwirtschaftliche Ordnung bedeutet nun einmal dezentrale Entscheidungsstrukturen. Wenn Sie die Verbraucher mit einbeziehen, sind das millionenfache Einzelentscheidungen. Hinzu kommt, daß wesentliche Rahmenbedingungen durch Verwerfungen im weltwirtschaftlichen Prozeß gesetzt werden, die noch schwerer vorausgeschätzt werden können. Das ist auch die eigentliche Ursache, meine ich, der Krise, der Prognoseschwäche unserer Wirtschaftswissenschaften.Es stellt sich die Frage, welchen Informationswert ein Jahreswirtschaftsbericht für die Öffentlichkeit hat. Wir wissen genau, daß ein Übereinstimmen von Soll- und Ist-Größen auf die Stellen nach dem Komma genau ein purer Zufall wäre. Die Frage ist, ob die Daten der Zielprojektion eine Orientierungshilfe sein können. Herr Dr. Dollinger, Sie haben auch über die Scheingenauigkeit geklagt. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die letzten fünf Jahre hinsichtlich der Aussagefähigkeit der wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten zu überprüfen. Besonders schwer waren dabei die Abweichungen bei den Anlageinvestitionen und beim Export. Besonders augenfällig war es, daß manchmal noch nicht einmal das Vorzeichen zutraf. Bei einem Vergleich der mittleren Quoten weist aber die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht mit größtem Abstand die größte Treffsicherheit aus. Das Sachverständigengutachten liegt in diesen fünf Jahren leider nur auf einem sehr schlechten vierten Platz.Der Jahreswirtschaftsbericht erweist sich somit bei angebrachter Skepsis gegenüber der Genauigkeit von Prognosen als tragfähige Grundlage für die Planung von Verwaltung und Wirtschaft. Wir halten die Zielwerte des Jahreswirtschaftsberichts für das Jahr 1978 für realistisch.Im übrigen, Herr Dr. Dollinger, möchte ich Ihnen noch einen Punkt zur Statistik sagen. Sie haben beklagt — wir beklagen das auch -, daß der Restposten: Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ein Mischwert ist. Aber, Herr Dr. Dollinger, Sie erinnern sich ganz genau, wer 1969 dafür gesorgt hat, daß ein Gesetz, das der Verbesserung der Grundlagen der Statistik dienen sollte, nicht zustande kam!
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JunghansDas kam hier nicht zustande, Herr Dr. Dollinger. Ich kenne den Leidensweg dieser Statistik. Es ist manchmal auch zu fragen, wer eigentlich ein Interesse daran hat, daß dieser Mischposten, der auch als Verschleierungsposten dienen könnte, so in dieser Statistik bleibt. Wir als Gesetzgeber sind dafür verantwortlich.
— Sehr gut, Herr Dr. Dollinger, da nehme ich Sie beim Wort.Lassen Sie mich noch folgendes anfügen. Sie haben vorhin von der Steuerpolitik, vom Aufblähen der Verwaltung, von leistungsfeindlicher Steuergesetzgebung usw. gesprochen. Herr Dr. Dollinger, Sie wissen ganz genau, daß der Bund überhaupt keine Kompetenz hat, sondern daß all diese Gesetze vom Bundesrat mit beschlossen werden müssen. So ist es gewesen. Der Bund hat keine Kompetenz.
— Sicher: So einfach ist es nicht, das wissen wir auch.
— Sicher ist es nicht einfach, mit Ihnen über Steuergesetze zu sprechen. Das wissen wir doch ganz genau.
— Herr Dr. Kohl, ich war doch lange genug im Vermittlungsausschuß. Wir wissen doch, wie das dann marschiert.
Wir begrüßen die prognostizierte Preissteigerungsrate von 3,5 %. Wir nehmen an, sie wird noch darunter liegen. Wir halten auch die Abnahme des Exportüberschusses auf 2 % des Bruttosozialproduktes für wahrscheinlich. Im übrigen ist das erwartete Wachstum von 31/2 % ehrgeiziger, als es auf den ersten Blick erscheint; denn in der zweiten Jahreshälfte 1977 ist die Wachstumskurve abgeflacht, so daß das Ausgangsniveau relativ niedrig ist. Von Januar bis Dezember 1978 erwartet die Bundesregierung daher eine Zunahme des Bruttosozialproduktes von 4 bis 5 %.Ich will nicht verhehlen, daß mit diesem Wachstum leider nur eine geringfügige Abnahme der Arbeitslosigkeit verbunden ist. Ganz ohne Zweifel — darin stimmen wir wohl alle überein — handelt es sich bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit um das zentrale wirtschaftspolitische Problem der vor uns liegenden Jahre. Ich möchte Sie hier auffordern, sich mit diesem Thema sachlich und der Vielschichtigkeit des Problems angemessen zu beschäftigen. Es reicht nicht aus, Herr Dr. Dollinger, sichauf die Suche nach einem Sündenbock zu begeben. Der erste Sündenbock für die Opposition — wir haben das ja gehört — ist verständlicherweise die Bundesregierung, die mit ihren angeblichen ungeheuerlichen sozialen und gleichmacherischen Experimenten die bundesdeutschen Unternehmer in tiefe Verunsicherung und Verzweiflung gestürzt hat.Herr Kollege Dr. Dollinger, Sie bringen hier — ich habe das auch von Herrn Biedenkopf gehört — immer wieder die Klagen an, daß es nicht mehr den Mut zur Selbständigkeit gebe und daß sich angeblich die Zahl der in den Handwerksbetrieben Beschäftigten automatisch dezimiere. Hier sind ja auch Zahlen genannt worden. Es wurde gesagt, 800 000 Arbeitsplätze stünden "auf dem Spiel.Mir fiel kürzlich der letzte Vierteljahresbericht meiner zuständigen Handwerkskammer Braunschweig in die Hände. Ich habe den Bericht mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen. Darin stand, warum Handwerksmeister ihre Betriebe aufgeben. Dort stand zu lesen, daß sich im Berichtszeitraum 78 Handwerksbetriebe abgemeldet haben. Gleichzeitig — aber das mag Zufall sein — wurden genau 78 Betriebe neu gegründet. Diese Seite ist es aber, die Sie meistens zu erwähnen vergessen.Herr Dollinger hat hier auch die Motive erklärt, warum Leute ihre Geschäfte aufgeben. Ich habe das auch verfolgt; denn in diesen Statistiken werden auch die Gründe angegeben, warum sie aufgegeben haben. Von 78 Abmeldungen gingen 44 auf Krankheit, Alter oder Tod zurück. Nur drei wollen unselbständig weiterarbeiten. Aber kein einziger dieser Handwerker im Zonenrandgebiet Braunschweig resignierte wegen Auftragsmangels oder behördlicher Maßnahmen. Das Ergebnis: Von einer Abwürgung mittelständischer Betriebe kann überhaupt nicht die Rede sein. Das ist angesichts der vielfältigen Leistungen der sozialliberalen Koalition für den Mittelstand auch nicht verwunderlich.Sie haben weiter behauptet, daß der einzige Grund für Sparen Angst sei. Tatsache ist, daß die Rentner mehr sparen als bisher. Ich habe mir auch einmal die Sparmotive angesehen. Im wesentlichen sparen die Leute, um sich etwas anzuschaffen. Es ist nicht Angst, sondern im wesentlichen — in den einzelnen Berufsgruppen ist es jeweils etwas anders — sind die Motive ganz andere.Lassen Sie mich auf das ständige Gerede über die Löhne zu sprechen kommen. Sie sind zwar hoch, aber die Lohnkosten in der Bundesrepublik sind nicht zu hoch. Den Arbeitnehmern einreden zu wollen, sie müßten auf Löhne verzichten, stößt bereits an die Grenzen der Tarifautonomie. Im übrigen gehören zu jedem Tarifvertrag zwei Unterschriften.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung zu den Tarifverhandlungen und zu der Frage machen, ob die Konzertierte Aktion wieder zusammentritt oder nicht: Dazu gehört auch das soziale Klima, in dem diese Verhandlungen stattfinden.
Wenn jedoch der Konfrontation und der Angstmacherei — auch hier in diesem Hause — das Wort
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5909
Junghansgeredet wird, dann trägt das nicht dazu bei, das soziale Klima zu verbessern.
Zur Konzertierten Aktion gehört der freie Wille derjenigen, die daran teilnehmen. Sie können die Teilnehmer nicht zwingen, auch die Bundesregierung kann das nicht. Aber die Bundesregierung hat dazu beigetragen, daß das soziale Klima verbessert wird. Ich will sie ermuntern, dies auch fortzuführen.
Im übrigen wissen Sie ganz genau, daß die Mitbestimmungsklage wohl eine törichte Angelegenheit gewesen ist.
Ein besonders schönes Beispiel haben Sie mit Ihrer neuen Studie zum Thema Lohnnivellierung abgegeben. Hier greifen Sie die sozial Schwächsten an und unterstellen, eine überproportionale Erhöhung der unteren Einkommen habe negative Beschäftigungseffekte zur Folge.
— Da Sie sich aufregen: Das ist wörtlich zitiert!
Sie haben dabei auch den Versuch gemacht, meine Damen und Herren — Herr Geißler hat das gemacht, Sie nicht, Sie verstehen wahrscheinlich zuviel davon —, in dieser Dokumentation zu unterstellen, daß das Sich-Schließen der Schere zwischen Frauenlöhnen und Männerlöhnen ein Grund dafür sei, daß wir so viele weibliche Arbeitslose hätten. So steht das in Ihrer Dokumentation. Motto also: Arbeitslose Frauen sind selber schuld!
Warum sind sie nicht mit weniger Lohn für die gleiche Arbeit, wie sie von ihren männlichen Kollegen geleistet wird, zufrieden!
Lassen Sie mich dieses Machwerk ebenso wie die Rede von Herrn Dollinger einmal bewerten: Ich bin der Auffassung, daß diese Dokumentation der CDU/CSU die Grenzen der Tarifautonomie bereits überschritten hat.
Ich weiß natürlich, daß Löhne auch Kosten sind.
— Natürlich! Warum regen Sie sich denn auf!
— Ich lese gar nicht weiter, Sie irren. —
Meine Damen und Herren, ich weiß natürlich, daßLöhne auch Kosten sind. Aber es ist eine Illusion— um das Fazit aus Ihrer Rede zu ziehen —, anzunehmen, daß sich das Angebot selbst die Nachfrage schafft, wenn es nicht Nachfrage in Form von Löhnen gibt.
— Ja, es sind die beiden Seiten. Das haben Sie, Herr Dr. Dollinger, in Ihrer einseitigen Betrachtung vergessen.
— Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, daß die Arbeitslosigkeit etwa in Indien geringer und dessen wirtschaftliche Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten größer ist.
— Meine Damen und Herren, Sie können doch einmal ruhig zuhören!
Eine Aufstellung der Bundesbank hat ergeben, daß die Lohnstückkosten in der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu anderen Ländern im vergangenen Jahr gesunken sind und daß dieses Bild nur
— entschuldigen Sie! — wegen der Dollarabwertung verfälscht wird. Das sind doch die Tatsachen!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zeitel?
Ja.
Herr Kollege Junghans, können Sie uns eigentlich erklären, warum der Herr Bundeswirtschaftsminister auf die Darstellung des Anstiegs der Lohnstückkosten vor dem Hintergrund der Wechselkursänderungen so großes Gewicht gelegt hat, und das mit dem vergleichen, was Sie eben ausgeführt haben?
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5910 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Sehr geehrter Herr Professor, ich darf Ihnen hierzu sagen: Ich habe festgestellt, daß die Lohnstückkosten in der Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr gesunken sind und daß das Bild gegenüber den Vereinigten Staaten nur dadurch verfälscht worden ist, daß der Dollar in einem Maße wie nie zuvor abgewertet wurde. Durch die Abwertung des Dollar — das gilt aber für alle Kosten, verehrter Herr Dr. Zeitel, nicht nur für die Lohnkosten — ist natürlich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie gefährdet, gar kein Zweifel.
Aber Entschuldigung, das gilt doch für alle Kosten, meine Damen und Herren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Zeitel?
Ja.
Herr Junghans, darf ich daraus entnehmen, daß Sie die Sorge bezüglich des Anstiegs der Lohnstückkosten, die in den Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers zum Ausdruck kommt, nicht teilen und daß Sie ernsthaft der Ansicht sind, daß man dieses Problem mit Einjahreszahlen angehen könnte?
Wissen Sie, so kann man nicht miteinander umgehen und diskutieren. Ich habe gesagt: Dazu sind die Tarifverhandlungen da, und deswegen können wir das gar nicht machen. Sie möchten aber von mir bzw. von der Bundesregierung Lohnleitlinien haben. Dazu wollen Sie mich verführen.
— Ja sicher, Sie wollen von mir eine Äußerung dazu haben. Die kriegen Sie nicht, weil ich genau weiß, daß von Branche zu Branche und Gebiet zu Gebiet die Dinge, was die Lohnkosten einerseits und die Ertragskraft der Unternehmen bzw. den Zuwachs an
- Produktivität andererseits angeht, unterschiedlich liegen. Es kann Ihnen hier niemand genau sagen, wo der Grad liegt. Die ist Sache der Verhandlungen.
Das ist immer eine Gratwanderung. Wenn Sie doch endlich begreifen würden, daß ich mich dagegen wende, was Sie vorgetragen haben, was Herr Dr. Dollinger vorgetragen hat,
was aus Ihren Zurufen hervorgegangen ist, was im Jahresgutachten der Sachverständigen steht! Ich wende mich gegen diese schon beinahe peinliche Einseitigkeit der Betrachtung der Löhne nur als Kosten, ohne daß berücksichtigt wird, daß zu jedem
Angebot später auch einmal die Nachfrage gehört. Das ist alles.
Herr Kollege Junghans, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Ich glaube, es geht nicht mehr, Frau Präsidentin.
Das steht Ihnen frei. Junghans : Gut, bitte schön.
Herr Kollege Junghans, können Sie mir sagen, wo in der Welt die Lohnstückkosten höher sind als in dem Konzern, in dem Sie sich am besten auskennen?
Verehrter Herr Pieroth, ich weiß gar nicht, was die Frage soll.
Ich möchte Ihnen folgendes sagen, Herr Pieroth: Ich habe die Absicht, hier ernsthaft über wirtschaftspolitische Tatbestände zu reden und nicht über Karnevalsscherze.
Meine Damen und Herren, die rote Lampe ist hier aufgeleuchtet. Ich muß schließen.
Wir begrüßen die Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts. Wir sind der Auffassung: Der Jahreswirtschaftsbericht ist eine gute Ausgangsposition. Wir glauben, daß die Ziele erreichbar sein werden und damit auch ein Beitrag zur sozialen Sicherung in diesem Lande im Jahre 1978, einem sehr schwierigen Jahr, durch die Wirtschaft der Bundesrepublik geleistet werden kann.
Aber nochmals: Wir meinen, zur Wirtschaft gehören nicht nur Unternehmer, sondern auch die Arbeitnehmer.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Haussmann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Nüchtern hat der Parlamentarier nach Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts die Regierung zu fragen: Wie verbindlich sind die hier genannten Wachstumsraten? Welche Wahrscheinlichkeiten beinhalten sie?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5911
Dr. Haussmann) Hat die Regierung und damit auch die sie tragenden Koalitionsparteien alles getan, um ein möglichst beschäftigungswirksames Wachstum zu erreichen?Es kann — darum muß der parlamentarische Streit gehen — nicht darum gehen, sich hier eine Zahlenschlacht zu liefern. Ich glaube, der Minister Graf Lambsdorff hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es bei den großen Prognoseproblemen, die solchen Schätzungen zugrunde liegen, ein fragwürdiger Wettstreit wäre. Nein, die entscheidende Frage muß heute sein — ich glaube, es lohnt sich auch, sich darum parlamentarisch zu streiten —: Wird alles getan, um diese Zahlen zu erreichen, oder gibt es Möglichkeiten, diese Ergebnisse zu verbessern? Ja, noch genauer: Haben wir in diesem Zeitpunkt, also im ersten Viertel des Jahres 1978, die richtigen wirtschafts- und finanzpolitischen Grundsatzentscheidungen getroffen? Sind die Weichen richtig gestellt, um mittelfristig einen Anstieg unseres Beschäftigungsstands zu erreichen?Meine Damen und Herren, auch von der Opposition, ich glaube, niemand ist zu diesem Zeitpunkt in der Lage, ein Programm, ein Rezept vorzulegen, das kurzfristig den leider zu niedrigen Beschäftigungsstand entscheidend verbessern könnte. Es kann nur darum gehen, zu untersuchen, ob zu Beginn dieses Jahres die Rahmenbedingungen für den entscheidenden Strukturwandel so gestellt sind, daß sich tatsächlich die Hoffnung erfüllt, daß etwa zum Ende des Jahres 1978 und noch stärker im Jahre 1979 eine Besserung des Beschäftigungsstandes eintritt. Ein geschätztes reales Wachstum von 3,5 % im Durchschnitt des Jahres 1978 beinhaltet ja — dies halte ich für wichtig — einen Anstieg zum Jahresende hin auf 4,5, ja, 5 °/o. Entscheidend ist, daß, wenn wir diese hohe Wachstumslinie von 5 % in das Jahr 1979 hinübernehmen können, nach allen Berechnungen 1979 eine leichte Verbesserung des Beschäftigungsstandes erreicht werden könnte.Ohne Zweifel bleibt es — hier gebe ich der Opposition recht — gerade für die Wirtschaftspolitik einer sozialliberalen Regierung die größte Herausforderung, eine Verbesserung des zu niedrigen Beschäftigungsstandes mittelfristig zu erreichen.
Denn die sich nunmehr seit über drei Jahren verfestigende Arbeitslosigkeit führt zu immer mehr menschlichen Schicksalen, zu einer immer härteren Auslese in unserem Beschäftigungssystem. Ja, sie führt dazu, daß es ein großes Problem dadurch gibt, daß die einen innerhalb dieses Beschäftigungssystems sind, sich wohlfühlen und es ihnen gut geht, während die anderen draußen stehen und immer länger auf ihre Chance warten müssen, eine Beschäftigung zu bekommen. Die Gruppen mit den geringeren Chancen, nämlich die schlechter ausgebildeten Jugendlichen, die älteren Angestellten, die Teilzeitarbeit suchenden Frauen, die den gleichen Anspruch auf einen Teilzeitarbeitsplatz wie alle anderen genannten Arbeitsuchenden haben, sind unser gesellschaftspolitisches Problem. Sie haben nur dann eine Chance, in das Beschäftigungssystem zurückzukehren, wenn sich insgesamt ein sich selbst tragendesWachstum, wie es im Jahreswirtschaftsbericht festgestellt wird, einstellt.Daher ist es so wichtig - dies hat der Minister betont —, daß der Jahreswirtschaftsbericht, wenn auch fast etwas zu spät, in diesem Jahr sehr deutlich den Schwerpunkt auf den Strukturwandel unseres Wirtschaftssystems gelegt hat. Denn, meine Damen und Herren, es ist unsere Auffassung, daß unsere Beschäftigungslage nicht so sehr an einem Zuviel an Strukturwandel, sondern an einem Mangel an vollzogenem Strukturwandel leidet.Daher gilt es, im folgenden die Rahmenbedingungen zu untersuchen, die geschaffen wurden, um den Unternehmen eine bessere Chance zu geben und damit den, Arbeitnehmern mehr Beschäftigungschancen einzuräumen.Ich möchte daher fragen: Wie steht es um die Investitionsbedingungen, wie steht es um das Investitionsklima in der Bundesrepublik Deutschland? Denn ich halte nichts von dem längst überholten Methodenstreit, der eben wieder angeklungen ist, ausschließlich die Kostenbedingtheit oder ausschließlich die Nachfragebedingtheit als Erklärungsursachen für unsere Beschäftigungsprobleme verantwortlich zu machen. Ich glaube, ein modernes liberales Wirtschaftskonzept besteht aus einer optimalen Mischung von angebots- und nachfrageorientierten wirtschaftspolitischen Maßnahmen.Prüft man nun die Angebotsseite unserer Ökonomie, so haben der Sachverständigenrat und auch der Jahreswirtschaftsbericht zu Recht festgestellt, daß die Bundesregierung ihre Möglichkeiten, die investiven Rahmenbedingungen zu verbessern, ausgeschöpft hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zeitel?
Herr Kollege Haussmann, daß beide Seiten berücksichtigt werden müssen, darüber geht doch nicht der Streit. Wären Sie bereit, in der Auseinandersetzung, auf die der Sachverständigenrat mit großer Breite und Gründlichkeit in den Detailfragen eingegangen ist, eine etwas differenziertere Haltung in bezug auf die Schnittpunkte einzunehmen?
Herr Professor Zeitel, ich wäre dann bereit, eine differenzierte Aussage zu machen, wenn Sie akzeptieren, daß das Minderheitengutachten von Professor Scherhorn mit berücksichtigt wird. Ich werde Ihnen im folgenden sehr klar meine Auffassung von einer optimalen Mischung zwischen Kosten, also Angebotsbedingtheit und Nachfragebedingtheit unseres Konzeptes darlegen.
Herr Kollege, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Herrn. Abgeordneten Pieroth?
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5912 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Sehr gern, Herr Pieroth.
Herr Kollege Haussmann, wenn Sie sagen, der Sachverständigenrat habe der Bundesregierung bestätigt, daß die Mischung zwischen angebotsorientierten und nachfrageorientierten Maßnahmen richtig sei, wie stehen Sie dann zu der Ziffer 437 des Sachverständigengutachtens, in dem der Rat ausdrücklich feststellt, daß im letzten Steuerpaket die Angebotspolitik im Vergleich zur Nachfragepolitik nicht stark genug dosiert ist?
Ich glaube, Herr Pieroth, Sie sollten dann gerechterweise auch sagen, daß wir bei einer wirtschaftspolitischen Debatte im Moment einführen sollten, daß von der Außenwirtschaftsseite zusätzliche Risiken eingetreten sind. Ich glaube, daß der Sachverständigenrat heute die Bedingtheit von Kostenursachen und von Nachfrageursachen anders sehen würde. Herr Junghans hat darauf hingewiesen — ich glaube, das war richtig —, daß die Lohnkosten eine sehr wichtige Komponente sind, aber auch nur eine wichtige Komponente, und daß wir gleichzeitig die Nachfrageseite, aber auch die Rohstoffseite in den Kalkulationsbedingungen unserer Wirtschaft sehen müssen.
Ich glaube daher, daß man feststellen kann, daß die investiven Rahmenbedingungen — Stichworte: Steuererleichterungen, Infrastrukturprogramm und expansiver Haushalt — eindeutig zeigen, daß die Regierung im Bereich der quantitativen Rahmenbedingungen bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten gegangen ist. Es ist die Auffassung der gesamten FDP-Fraktion, die ihr Haushaltssprecher Hoppe in der Haushaltsdebatte betont hat: wir sind hier bis an die Grenzen des Möglichen gegangen. Die Erwartung, die auch jenseits des Atlantiks gehegt wird, mehr Wachstum über mehr Ausgabenprogramme machen zu können, ist daher finanzpolitisch einfach nicht erfüllbar. Sie wäre stabilitätspolitisch auch nicht wünschenswert.Auch die Opposition — das habe ich den Worten von Herrn Dollinger entnommen — hat hier keine echte Alternative aufzuzeigen. Denn sie müßte sich mit ihrer Forderung, daß der Bund sich weniger verschulden dürfe, in Widerspruch zu ihrer Forderung nach niedrigeren Unternehmens- und Verbrauchsteuern, die weniger Einnahmen für den Bund bedeuten würde, begeben. Nein, die Opposition kann nur eines in dieser Situation tun: sie kann auf einzelne Landesregierungen wie vor allem die in Baden-Württemberg einwirken, daß vernünftige Bundesprogramme von den Landesregierungen im Interesse der betroffenen Wirtschaft nun endlich mitgetragen werden.
Daß diese verbesserten Rahmenbedingungen im investiven Bereich sinnvoll sind, zeigt deutlich der Monatsbericht der sicher unverdächtigen Deutschen Bundesbank für den Februar 1978. Dort steht, daß die Inlandsbestellungen beim verarbeitenden Gewerbe im vierten Quartal 1977 saisonbereinigtden Stand des vergangenen Jahres bereits um 7 % übertroffen haben, daß das Baugewerbe z. B. einen wesentlich höheren Auftragseingang registriert. Insgesamt zeigt auch die Meldung des Ifo-Instituts von heute, daß bei den Unternehmen ein deutliches Anzeichen einer wachsenden Investitionsbereitschaft besteht. Es wäre gut, wenn auch die Opposition dies akzeptieren und damit eine Verstärkung dièses positiveren Investitionsklimas mit herbeiführen würde.
Wir sind aber andererseits — lassen Sie mich auch dies deutlich sagen — sehr enttäuscht darüber, daß gerade in jüngster Zeit wieder eine Diskussion bei einzelnen Wirtschaftsinstituten der deutschen Wirtschaft beginnt, die auf höhere, auf expansivere staatliche Ausgabenprogramme spekuliert. Wer heute bereits wieder neue Programme fordert, setzt sich deutlich in Widerspruch zu der wichtigen Forderung nach mittelfristig verbindlichen Rahmendaten. Es gilt, die Auswirkung unserer vielfältigen Maßnahmen — und davon war auch die Rede, daß sie fast unübersichtlich geworden sind — abzuwarten und sorgfältig zu prüfen. Der Respekt vor einer dezentralen Wirtschaftsordnung gebietet, daß man den autonomen Unternehmern und den autonomen Verbrauchern Zeit läßt, sich auf diese neuen und verbesserten Rahmenbedingungen einzustellen. Jede Diskussion von neuen Programmen führt zu weiterem Attentismus, ja, sie unterbricht die gerade jetzt wichtige psychologische Phase, in der wir uns im Moment befinden.
Sie unterbricht diese wichtige Phase, die dabei ist, eventuell in eine Wachstumsphase zu münden, die sich trägt und die sich dann auch mittelfristig selbst verstärken könnte.Wenn aber diese Rahmenbedingungen für stärkeres .Wachstum quantitativ ausgeschöpft sind, so schließt dies nicht aus — dies hat auch der Wirtschaftsminister dieser Regierung betont —, daß wir im Bereich der qualitativen Rahmenbedingungen noch Verbesserungen einbringen könnten. Ich halte es z. B. für denkbar, daß den Unternehmen bei der Gründung und bei der Bewährung im Strukturwandel noch präzisere Hilfen an die Seite gestellt werden könnten wie z. B. im Bereich der Exportbedingungen durch Rückbürgschaften, wie z. B. eine gezieltere Unternehmensberatung, die gerade die unternehmensindividuellen Chancen im strukturellen Wandel besser untersucht. Für sehr wichtig halte ich es ebenfalls, die Bemühungen der kleinen und mittleren Betriebe im Bereich von Forschung, Entwicklung und Innovation zu fördern und dies eventuell auch durch eine Förderung von Forschungspersonalkosten zu tun.Wichtig ist es in diesem Bereich auch, darauf hinzuweisen, daß die Kartellnovelle weitere Verbesserungen der Wettbewerbschancen und der Kooperationsmöglichkeiten für mittlere und kleinere Unternehmen bringt. Ich halte es deshalb ordnungspolitisch nicht für in Ordnung, wenn es bereits wieder einzelne Stimmen gibt, die die ange-
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Dr. Haussmannkündigte Novellierung des Kartellrechts als ein weiteres Investitionshemmnis bezeichnen. — Meines Erachtens ist dies ordnungspolitisch nicht in Ordnung.
Das schlüssige Konzept unserer Fraktion für eine offensive Mittelstandsförderung wird im Anschluß mein Kollege Richard Wurbs in der Debatte noch vertiefen.Wenn nun aber in jüngster Zeit und auch in den Stimmen der Opposition immer wieder die Rede ist von einem Investitionsstau, von investitionshemmenden Maßnahmen, so ist es nach unserer Auffassung unredlich, wenn nicht klar unterschieden wird zwischen einerseits politisch gewollten, z. B. umweltpolitisch notwendigen Auflagen, die ja auch mittelfristig in den Herstellungsbetrieben im Bereiche des Umweltschutzes wieder zu mehr Arbeitsplätzen führen, und andererseits unbegründbaren bürokratischen investitionshemmenden Maßnahmen. Meine Damen und Herren, diese Unterscheidung ist wichtig, denn wir tun sonst unserem Rechtsstaat, der bewußt auf das wachsende Bewußtsein seiner Bürger und die stärkere Beteiligung bei wirtschaftlichen Entscheidungen setzt, einen schlechten Dienst.Trotz diesen unbestreitbaren positiven binnenwirtschaftlichen Wachstumsbedingungen bleiben hohe Wachstumsrisiken zu diesem Zeitpunkt übrig, nach denen wir Parlamentarier den Jahreswirtschaftsbericht zu beurteilen haben, Wachstumsrisiken, die nach unserer Auffassung vor allem im Außenbereich liegen, und zwar mit der doppelten Gefahr sich ständig verschlechternder Währungsbedingungen für unsere Exportwirtschaft und eines immer stärker werdenden Protektionismus. Es wäre ordnungspolitisch wichtig, zuzugeben, daß nach dem Jahreswirtschaftsbericht die größeren Wachstumsrisiken im Moment nicht so sehr in der direkten Verantwortlichkeit der Wirtschaftspolitik des Bundes liegen, sondern daß wir nur sehr indirekte Möglichkeiten haben, auf den außenwirtschaftlichen Bereich einzuwirken.Ein weiteres Risiko für das angestrebte Wachstum, für die Beschäftigungssituation und damit auch -— dies hat heute erstaunlicherweise noch keine Rolle gespielt — für die Solidität unseres sozialen Systems liegt — so der Sachverständigenrat in seiner Mehrheit und auch der Jahreswirtschaftsbericht — bei den Tarifpartnern und ihrer Lohnpolitik. Nun gilt es natürlich — dies hat der Minister auch sehr deutlich betont —, ökonomisch ehrlich zu bleiben und gesamtwirtschaftlich zwischen den Kosten- und Nachfragewirkungen von Lohnerhöhungen abzuwägen.Diese Abwägung kann in Zeiten eines bereits bestehenden hohen Lohnniveaus und anderer, vor allem währungsbedingter Kostenrisiken tendenziell dazu führen, daß die Risiken der Kostenwirkung in einer solchen Situation höher eingeschätzt werden als die Nachfragewirkungen. Ich glaube auch, daß die Tarifpartner — nicht zuletzt auf Grund ihrer besseren Einblicke durch die Mitbestimmung in innerbetriebliche Entscheidungsprozesse — dieseVerantwortung inzwischen immer stärker erkennen. Ich glaube ferner, daß die Tarifpartner die überaus erfolgreiche Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung bei ihren Abschlüssen nicht völlig außer acht lassen werden. Tarifpolitik, Tarifautonomie vor allem bedeuten eben auch gesamtwirtschaftliche Mitverantwortung bei dem wichtigen Beschäftigungsziel. Aber es wäre ökonomisch nicht ausgewogen, die alleinige Verantwortung für die Beschäftigungspolitik ausschließlich der Lohnpolitik anzulasten. Es gilt auch hier zu beachten, daß wir auf Grund der erfolgreichen Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung im Rohstoffbereich und in anderen Bereichen Kostenvorteile gegenüber dem Ausland erreicht haben, und es gilt auch zu bewerten, daß die Entwicklung unseres international zugegeben hohen Lohnniveaus andererseits mit einer sehr starken Entwicklung unserer Arbeitsproduktivität und der Erbringung einer sehr hohen effektiven Arbeitszeitleistung durch unsere Arbeitnehmer einhergeht.
Gerade weil die Lohnpolitik für die weitere Entwicklung des Beschäftigungszieles so wichtig ist, müssen die Regierung und die sie tragenden Fraktionen alles tun, um eine wichtige Institution wieder in Gang zu bringen; ich meine die Konzertierte Aktion. Sie gehört zu den wichtigsten Rahmenbedingungen in unserem Lande. Viele unserer europäischen Nachbarländer zeigen drastisch, wohin es führt, wenn zum einen die mächtigen Interessen nicht ausgewogen miteinander konfrontiert werden und wenn zum anderen diese mächtigen Interessen nicht immer wieder auf die übergeordnete gesamtwirtschaftliche Verantwortung ausgerichtet werden. Denn die Folge davon ist, daß kleine und nicht so mächtige Minderheiteninteressen ebenso auf der Strecke bleiben wie die Verantwortung für die Gemeinschaft. Zu diesem Konsens hat die Konzertierte Aktion in der Vergangenheit maßgeblich beigetragen. Es kann daher nach meiner Auffassung auch keine Lösung sein, sie ersatzlos abzuschaffen. Es kann aber auf Dauer keine Lösung sein, daß die Regierung nur einzeln mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern spricht; denn so wichtige Stimmen wie die der Verbraucher oder beispielsweise auch der Sparer, aber auch die Stimmen unabhängiger Wissenschaftler dürfen nicht vor den Toren dieses Forums bleiben.Sicher läßt sich am Verfahren des sozialen Dialogs vieles verbessern. Dies muß in Angriff genommen werden. Ohne Zweifel würde eine Verkleinerung des Kreises diesen Dialog wirksamer machen. Aber ich betone nochmals: unabhängige Stimmen und gesamtwirtschaftliche Verantwortung müssen dabeisein.Wenn nun aber alle diese Möglichkeiten sowohl auf der Angebots- als auch auf der Ausgabenseite unserer Wirtschaft ausgeschöpft sind, fordert ein ausgewogenes ökonomisches Konzept auch die Durchleuchtung der Nachfrageseite, wie es Professor Scherhorn in seinem Minderheitsgutachten zum Ausdruck gebracht hat. Das bedeutet — und das kommt hier immer etwas zu kurz —: Wir müssen
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5914 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Haussmannuntersuchen, ob optimale Nachfragebedingungen herrschen, ob damit mögliche Kaufkraft zu den Anbietern gelangen kann, ob z. B. unsere Verbraucherpolitik effektiv genug ist, die Transparenz unseres Angebots darzustellen, ob es genügend attraktive neue innovative Angebote gibt, um die nach wie vor hohen Sparquoten bei einzelnen wichtigen Einkommensgruppen eventuell in Nachfrage und damit mittelfristig in Arbeitsplätze umzusetzen. Es muß auch die persönliche Frage erlaubt sein, ob wir ausreichende und flexible Einkaufszeiten zur Verfügung stellen, damit der König Kunde in Ruhe disponieren kann.Wenn all diese Rahmenbedingungen auf der Angebots- und der Nachfrageseite untersucht sind, ist wohl festzustellen — und das halte ich für entscheidend—, daß die Bundesrepublik besser als viele andere Länder gerüstet ist, mit den großen strukturellen Problemen fertig zu werden,
die sich ergeben durch die technologische Herausforderung, durch die geburtenstarken Jahrgänge, durch den Drang und die Notwendigkeit einer immer stärkeren weltweiten Arbeitsteilung, durch Rohstoffpreiserhöhung, durch Energieverteuerung.Aber die Rollenverteilung in der Bewältigung des strukturellen Wandels unserer Wirtschaft zeigt, daß mit der Zurverfügungstellung allgemeiner Rahmenbedingungen der Staat ordnungspolitisch seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Es verbleibt die zentrale Aufgabe, daß die autonomen Partner, nämlich die Verbraucher und die Investoren, sich ihrer Verantwortung bewußt werden, da der Strukturwandel nur bewältigt werden kann, wenn sie selbst ein hohes Maß an Mut, neuen Ideen, Initiative und Risikobereitschaft aufbringen. Der Staat kann Anpassungsprozesse nur generell erleichtern. Er kann nicht dem einzelnen Unternehmen das Risiko seiner Strukturanpassungsentscheidung abnehmen.Die FDP-Fraktion ist zuversichtlich, daß die deutschen Unternehmen dieser großen Herausforderung gerecht werden können.
Das Wort hat Herr Bundesminister Matthöfer.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Drei, vier Bemerkungen, wie das in diesem Haus üblich ist, zuerst zu Ihren Ausführungen, Herr Dr. Dollinger.
Erste Bemerkung: Sie vermissen eine klare Stellungnahme zur Mitbestimmung. Ich kann Ihnen versichern: Der Bundeskanzler und ich und die Bundesregierung sind dafür. Der Bundeskanzler und ich sind der Meinung, daß die Klage nicht geeignet ist, das soziale Klima in diesem Land zu verbessern.
Die zweite Bemerkung. Sie verlangten bessere Statistiken. Wir sind alle der Meinung, daß wir bessere Frühindikatoren brauchen und daß eine ganze Reihe von Statistiken verbessert werden muß. Die Kommission für den wirtschaftlichen und sozialen
Wandel hat eine Reihe vernünftiger Vorschläge gemacht. Immer ist dabei in Betracht zu ziehen, ob die Erkenntnisse, die man durch eine bessere Aufnahme und Gliederung von Statistiken gewinnt, in einem vernünftigen Verhältnis zu den dadurch anfallenden zusätzlichen Kosten stehen. Im großen und ganzen sind wir wohl alle der Meinung, daß die Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahren und einige unserer Fehlvorhersagen gezeigt haben, daß wir das besser machen müssen und daß wir da z. B. eine ganze Menge von den Amerikanern lernen können.
Die nächste Bemerkung. Sie haben wieder, wie üblich, den Abbau von Steuern gefordert. Ich habe mich in den letzten Tagen immer wieder auch mit der Forderung konfrontiert gesehen, nicht so viele Kredite aufzunehmen. All das führt natürlich notwendiger- und logischerweise zu einem beachtlichen Abbau von Ausgaben. Wenn wir hier solide diskutieren wollen — und ich möchte das mit Ihnen gern tun —, dann müssen Sie mir bitte aber auch sagen, wo ich die großen Ausgabenblöcke streichen soll. Anders geht das nicht.
— Bitte schön.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir zu, daß man abwägen muß,. ob man durch vorübergehenden Steuerverzicht, der zu weiteren Investitionen, zur Belebung der Wirtschaft und zu einer Verstärkung der Nachfrage führt, nicht später um so mehr Steuern einnehmen kann, so daß es sich praktisch nur um eine zeitliche Verschiebung handelt?
Selbstverständlich, Herr Dollinger. Diese Abwägung stellen wir doch laufend an. Aber Sie werden mir doch zugeben, daß diese sich gegenseitig kompensierenden Effekte nicht notwendigerweise im gleichen Haushaltsjahr auftreten. Ich bin jedoch verpflichtet, für einen jährlichen Haushaltsausgleich zu sorgen. Da müssen Sie mir dann schon helfen und sagen, was gestrichen werden soll.
Ähnlich verhält es sich ja mit der Diskussion, die sich immer wieder abspielt: Der eine bezeichnet den Lohn als Kostenfaktor und der andere als Nachfragefaktor. Wir wissen beide, daß der Lohn diese Doppelnatur hat. Wir sollten das einfach einmal voraussetzen und auf dieser Grundlage dann anfangen zu diskutieren. Vielleicht kommen wir dann ein' Stück weiter.Sie haben mich in meiner Eigenschaft als ehemaliger Forschungsminister angesprochen. Ich muß ehrlich sagen: Es hat mir große Mühe gemacht, die schwere Erbschaft abzutragen, die ich vor allen Dingen von den CDU/CSU-Atom- und Forschungsministern übernommen habe.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5915
Bundesminister Matthöfer— Herr Kollege, Sie können doch nicht etwas als lächerlich bezeichnen, was an Hand der Haushaltszahlen abzulesen und Teil der Geschichte der Bundesrepublik ist.
Wenn Sie sich bitte einmal ansehen, wie das gelaufen ist: Zuerst kam das Atomministerium — das war doch nicht mit kleinen Unternehmen zu machen —, dann kam der Weltraum dazu — auch nicht mit kleinen Unternehmen zu machen dann kam die Datenverarbeitung dazu.
— Wir sind noch lange nicht bei Herrn Stoltenberg.— Das alles war und ist nur mit Großunternehmen zu machen. Dafür stehen die großen Blöcke noch heute im Haushalt. Ich werde Ihnen heute nachmittag in meiner Einbringungsrede zur Änderung des Investitionszulagengesetzes ausführlich darstellen können — Gott sei Dank —, was unter meiner Führung des Ministeriums in den letzten Jahren geschehen und vorbereitet worden ist, um den kleinen und mittleren Unternehmen gerade auch auf diesem Gebiet zu einer besseren Startchance zu verhelfen. In der Sache, in der Bejahung der Notwendigkeit dieser Investitionen liegen wir gar nicht auseinander.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zeitel?
Bitte schön.
Herr Minister, halten Sie denn eine Vorlage, die Prämien gewährt und bei der regierungsamtlich darauf verwiesen wird, daß die Deckung aus den Mehreingängen resultiert, für unsolide?
Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Herr Kollege Zeitel. Die Vorlage, die ich heute nachmittag mit Blick auf die kleinen und mittleren Unternehmen begründen werde, ist durch den BMFT-Haushalt gedeckt.
— Sie hätten das ruhig in Form einer Frage vorbringen können.
Aber die Sache, über die Herr Dollinger und ich gerade gesprochen haben, nämlich die Hilfe für die kleinen und mittleren Unternehmen — das entsprechende Gesetz werde ich heute nachmittag einbringen —, ist durch den Haushalt des Forschungsministers gedeckt. Das ist gar keine Frage.
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung ist voll auf Belebung von Nachfrage, Investitionsneigung, Wachstum gerichtet. Die Investitionsprogramme werden zügig abgewickelt, viel besser, als einige von uns gedacht haben. Die öffentlichen Haushalte sind im Rahmen des Möglichen expansiv gestaltet. Zur Jahreswende sind steuerliche Maßnahmen in Kraft getreten, die Investitionen erleichtern und die Ausgabemöglichkeiten der Verbraucher erhöhen, weil sich ihr Einkommen erhöht. Die Finanzminister von Bund und Ländern werden infolge dieser Politik allerdings mit höheren Defiziten rechnen müssen als im Vorjahr. Die Bundesregierung hat also alles in die Wege geleitet, was sinnvollerweise getan werden kann, um die Konjunktur in unserem Lande nachhaltig zu beleben.
Herr Kollege Dollinger, wenn Sie sagen — ich hoffe, ich habe das noch richtig im Ohr —, die Bundesregierung neige noch immer zu dem Irrglauben an die Machbarkeit der Konjunkturpolitik, so sage ich Ihnen: Natürlich machen wir Konjunkturpolitik. Aber wenn Sie die internationale Diskussion der letzten Wochen zwischen uns und unseren Freunden verfolgt haben, dann muß Ihnen doch aufgegangen sein, daß wir gerade versuchen, nach außen hin klarzumachen, daß es hier Grenzen der Machbarkeit gibt und daß man in diesem Jahr nicht von 3,5 % auf 5 bis 6 0/o reales Wachstum umschalten kann, wie es von uns verlangt wurde.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dollinger?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, daß wir im Grunde genommen vielleicht zu spät zu der richtigen Erkenntnis gekommen sind, was konjunkturelle Schwankung und was strukturelle Wandlung ist? Und würden Sie mir zustimmen, daß letzten Endes — das sagt der Bericht aus — die steuerlichen Entlastungsmaßnahmen zu spät gekommen sind?
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Vielleicht könnte ich Ihnen zustimmen, wenn wir beide uns darüber einigen könnten, wer mit „wir" gemeint ist. Wenn Sie meinen, die CDU/CSU-Fraktion ist spät zu Erkenntnissen gekommen, bin ich gern bereit zuzustimmen; sonst muß ich leider widersprechen.
— Nein, wir haben aber immer die richtige Politik verfolgt. Wir haben nicht immer ausreichend über die Zahlen und Statistiken verfügt — darüber haben wir uns ja unterhalten —, die es uns erlaubt hätten,
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5916 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Bundesminister Matthöferrechtzeitig und in ausreichendem Umfang einzugreifen. Darüber besteht doch kein Zweifel. Lassen Sie uns einmal gemeinsam darüber reden, wie wir ein Bündel von Frühindikatoren bekommen, die es uns erlauben, rechtzeitig zu erkennen, was in der Wirtschaft vorgeht. Vielleicht kann man auch auf dem Gebiet der Einkommensstatistik für größere Klarheit sorgen. Das ist ein ganz altes Anliegen der sozialdemokratischen Fraktion.Es wird nicht nur von unseren Bemühungen abhängen, wie es mit der Wirtschaft vorangeht. Unsere wirtschaftliche Verflechtung mit dem Ausland, d. h. unsere Abhängigkeit, ist beachtlich groß. Unsere Ausfuhr erreicht einen Anteil von 27,6 % des Bruttosozialprodukts. Wir müssen deshalb die Entwicklung auf den Devisenmärkten, insbesondere die Entwicklung des Dollarkurses, mit ganz besonderer Sorge verfolgen. Unzweifelhaft ist ja der Dollar nach wie vor die wichtigste Währung auf den Devisenmärkten. In den letzten viereinhalb Monaten ist leider der Wert der D-Mark gegenüber dem Dollar um 12 % gestiegen, in den letzten zwei Jahren um 25 %.Was dies für unsere Ausfuhr und für das Erstarken der wirtschaftlichen Auftriebskräfte in unserem Lande bedeutet, hat mein Kollege Graf Lambsdorff Ihnen ja dargelegt. Es geht dabei um die unmittelbaren Auswirkungen auf die Exportwirtschaft. Es stellt sich die Frage nach den zukünftigen Entwicklungschancen und nach der Kontinuität unseres wirtschaftlichen Austauschs mit den Vereinigten Staaten. Es stellen sich Fragen nach der weiteren Entwicklung der internationalen Währungsbeziehungen, insbesondere der Stabilität und der Funktionsfähigkeit der Devisenmärkte, der internationalen Kapitalbewegungen und des weltweiten Handels.Zunächst möchte ich einmal eines feststellen: Die amerikanische Wirtschaft ist gesund. Sie ist stark genug, zeitweise Schwierigkeiten zu überwinden. Schwächen sind vor allem durch die hohe Energieabhängigkeit nach der Ölpreiserhöhung aufgetreten. Sie können überwunden werden. Das von Präsident Carter eingebrachte Energieprogramm ist eine der notwendigen Initiativen. Wir können davon ausgehen, daß das große amerikanische Wirtschaftspotential seine Anziehungskraft auf deutsche Produkte weiterhin ausüben wird.Der Fall des Dollars in den letzten Monaten ist allerdings nicht allein Ausdruck rationaler ökonomischer Relationen. Allerdings sind in der gegenwärtigen Lage, in der eine niemals dagewesene internationale Liquidität Kursstürze schnell verstärken könnte, solche Entwicklungen besonders gefährlich. Mehr denn je kommt es darauf an, Vertrauen in die Stärke insbesondere der Währungen zu erhalten, auf denen der internationale Zahlungsverkehr und damit letzten Endes die Stabilität der Weltwirtschaft beruht.Dieses Vertrauen zu erhalten und zu verstärken ist natürlich in allererster Linie Aufgabe der nationalen Regierungen und der Zentralbanken. Ich bin sicher, daß die amerikanische Regierung sich dieserVerantwortung bewußt ist und sich ihr nicht entziehen wird. Sie ist sich dabei der Unterstützung aller westlichen Partner gewiß, einer Unterstützung, die in unserem eigenen wohlverstandenen Interesse liegt und die nicht nur an den Kosten, die sie kurzfristig für uns mit sich bringt, gemessen werden darf.Die starke Auseinanderentwicklung des Außenwerts von Dollar und D-Mark ist im übrigen nicht nur — vielleicht nicht einmal in erster Linie — Ausdruck einer tatsächlichen, einer realen Dollarschwäche. Sie ist allerdings Ausdruck einer immer noch wachsenden Stärke der Deutschen Mark, was wiederum die internationale Einschätzung der deutschen Wirtschaftskraft, der Stabilität der deutschen Wirtschaft und nicht zuletzt auch das internationale Vertrauen in die deutsche Wirtschafts- und Währungspolitik widerspiegelt.Betrachten wir einmal die Situation aus amerikanischer Sicht, so ist festzustellen: Von einer allgemeinen Tendenz zur Dollarabwertung kann nur ganz bedingt gesprochen werden. Zwar fand eine Abwertung gegenüber einer Anzahl von Ländern — die größte gegenüber der Bundesrepublik — statt, aber gegenüber anderen wichtigen Handelspartnern der USA ist die US-Währung seit 1972 sogar aufgewertet worden. Erst seit Mitte des letzten Jahres ist eine allgemeine Abwärtsbewegung des Dollars festzustellen. Seit einigen Monaten weist der Dollar eine Sonderentwicklung aus, die mit den aktuellen amerikanischen Zahlungsbilanzproblemen zusammenhängt.Kurzfristige Sonderentwicklungen waren nun schon immer ein Feld der Spekulation. Sie sollten aber nicht den Blick für die wesentlichen und fortwirkenden Zusammenhänge — wie z. B. die weitgehende Parallelität und die Übereinstimmung im wirtschaftspolitischen Kurs der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland — verstellen. Beide Länder haben ihre Politik auf die Förderung des Wachstums ausgerichtet. Die Zusammenarbeit ist gut. Sie wird durch häufige Konsultationen bestärkt und bekräftigt. Die Interventionen und die enge Zusammenarbeit der Zentralbanken haben bisher beruhigend und glättend gewirkt; sie werden auf die Dauer auch die Umkehr von Kapital- und Devisenbewegungen erzwingen, die nicht durch grundlegende ökonomische Tatsachen und Entwicklungen verursacht sind. Gegen derartige Entwicklungen zu intervenieren liegt selbstverständlich nicht in der Macht von Zentralbanken.Die Erfahrungen der letzten Wochen sind auch eine erneute Bestätigung dafür, daß die europäische Währungsschlange grundsätzlich ein funktionsfähiges und stabilisierendes Instrument ist. Die Schlange hat eine besonders enge Abstimmung der Mitgliedsländer und eine flexible Überwindung kurzfristiger Spannungen ermöglicht. Ich hoffe, daß diese positiven Erfahrungen dazu beitragen werden, der Zusammenarbeit Westeuropas auf dem Gebiet der Währungspolitik neue Impulse zu geben und sie auszubauen. Wir sind dazu entschlossen.Die Währungsentwicklung der letzten Wochen hat überdeutlich gemacht, daß Europa noch stärker als bisher sein' Gewicht zur Geltung bringen muß,
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Bundesminister Matthöferum gemeinsam mit den USA die notwendige Stabilität in den internationalen Währungsbeziehungen wiederherstellen zu können. Zur Stabilisierung der Wechselkurserwartungen wird auch das derzeit ungewöhnlich hohe Zinsgefälle zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA beitragen, wobei die amerikanische Zinspolitik auch eine Maßnahme ist, mit der die amerikanische Währungspolitik praktisch unter Beweis stellt, daß es ihr nicht um die Aufrechterhaltung von auf Dauer unrealistischen Kursrelationen geht.In der Weltwirtschaft sind die Voraussetzungen für ein gesundes Wachstum günstiger als noch vor einem Jahr. Wenn auch die Bemühungen um Preisstabilität bei unseren Partnerländern nicht so erfolgreich waren wie bei uns, sind die Preissteigerungsraten doch auch dort erheblich geringer geworden. Leistungsbilanzen und Währungsreserven in wichtigen europäischen Partnerländern haben sich erheblich verbessert. Die Leistungsbilanzen einiger EG-Partner, die noch letztes Jahr tief im Defizit waren, weisen jetzt Überschüsse oder wenigstens weit geringere Defizite auf, und es gibt gute Gründe, mit weiteren Verbesserungen zu rechnen. Die USA erwarten erneut ein hohes Wachstum; Japan hat ebenso wie wir vor kurzem ein Wirtschaftsprogramm eingeleitet, das eine noch höhere Wachstumsrate gewährleisten soll, als wir sie für unsere Wirtschaft erwarten können.In diese international gleichgerichtete Politik fügt sich die Bundesrepublik mit ihren Maßnahmen ein. Wir haben durch Steuererleichterungen, öffentliche Ausgaben und •konjunkturgerechte Geldmengenpolitik getan, was zur Zeit möglich ist, um die konjunkturellen Antriebskräfte zu beleben. Die Bundesregierung wird immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, daß im Inland die Opposition die ungewöhnlich hohe Schuldenaufnahme der öffentlichen Hände kritisiert und wir uns gleichzeitig international ständig rechtfertigen müssen, nicht größere Schulden zur Nachfragebelebung gemacht zu haben. Vielleicht wäre da ein bißchen nationale Solidarität gegenüber internationalen Anträgen angebracht. Ich bitte das dann allerdings auch bei der inländischen Argumentation zu beachten, meine Herren Kollegen von der Opposition.Was uns jetzt nottut, ist nicht Hektik und der Ruf nach neuen Maßnahmen und Aktionen; die Wirtschaft muß sich auf den eingeschlagenen Kurs einstellen und verlassen können. Darum plädiere ich auch an dieser Stelle dafür, z. B. nicht in eine ständige Steuerreformdiskussion zu verfallen, sondern jetzt Ruhe und Verläßlichkeit einkehren zu lassen. Wir können mit Zuversicht auf die Auswirkungen der von uns eingeleiteten Maßnahmen vertrauen. Wir können Vertrauen in die Kooperationsbereitschaft, in den Gleichklang der wirtschaftspolitischen Zielsetzung unserer Partnerländer haben. So wird es möglich sein, den weltweiten Wirtschaftsrücklauf zu überwinden und eine neue Phase weltwirtschaftlichen Wachstums in Gang zu bringen und dauerhaft zu sichern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pieroth.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf die „Jungfernrede" des neuen Finanzministers im Laufe meines Beitrages verschiedentlich zurückkommen. Als wichtigstes Ergebnis möchte ich zweierlei festhalten.Erstens. Sie haben klar zum Ausdruck gebracht, daß es mit den Vereinigten Staaten und Japan zwei Länder mit hohen Wachstumsraten gibt. Ich will es verdeutlichen: Die Vereinigten Staaten hatten in den letzten drei Jahren ein doppelt so großes Wachstum wie wir in der Bundesrepublik; das Wachstum in Japan war dreimal so groß. Beide Länder zusammen erwirtschaften 58 %des Sozialprodukts der westlichen Welt. Dann kann es nicht stimmen, wenn der Bundeskanzler immer wieder erklärt, uns gehe es besser als den anderen.
Zweitens. Sie haben, wenn auch ein bißchen verklausuliert, klargestellt, daß der reale Wechselkurs der D-Mark in den ersten drei Quartalen des letzten Jahres unverändert geblieben war. Auch damit haben Sie den Bundeskanzler korrigiert, der in seiner Januar-Rede zum Ausdruck brachte, die. Wechselkurse seien daran schuld gewesen, daß die Unternehmensrendite in der Bundesrepublik im letzten Jahr gesunken sei. Das ist nicht der Fall, weil nur im letzten Quartal eine leichte Verschlechterung des realen Wechselkurses der D-Mark festzustellen war.Ich habe noch ein Wort an den Kollegen Junghans zu richten, auch wenn er jetzt offensichtlich an der Debatte nicht mehr teilnehmen kann.
— Danke schön. Kollege Junghans hat gemeint, mein Fraktionskollege Dollinger habe ausschließlich von der Freiheit der Unternehmer und nicht von der Freiheit der Arbeitnehmer gesprochen. Kollege Dollinger hat aufgezeigt, wie durch mehr Selbständigkeit und weniger Bürokratie eine Million Arbeitslose wieder zu Arbeit kommen können und damit mehr Freiheit und mehr Erfolgserlebnisse haben werden.
Dann hat Herr Kollege Junghans — vielleicht sagen Sie ihm das auch weiter — die alte Kaufkrafttheorie des Lohnes wieder aufgewärmt. Es war nicht ganz verständlich, wie er es gebracht hat; ich will es deshalb verdeutlichen. Eine Lohnerhöhung von 100 DM führt zu zusätzlichen Lohnnebenkosten in Höhe von 60 DM, so daß die Kosten 160 DM betragen. Der Arbeitnehmer bekommt nicht nur nicht die 160 DM, auch nicht die 100 DM, sondern davon wird eine durchschnittliche Grenzbelastung von rund 50 DM abgezogen, so daß 50 DM verbleiben. Davon werden im Durchschnitt 13 % gespart. Wenn Sie dann noch die Importquote abziehen, die auf die
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Pieroth) von ihm zu kaufenden Produkte fällt, so bleiben von 160 DM Kosten ganze 35 DM als zusätzliche Kaufkraft übrig. Dies wird im Jahreswirtschaftsbericht ja auch zum Ausdruck gebracht, wenn gesagt wird, daß die Risiken der Lohnerhöhung eher bei zu hohen als bei zu niedrigen Abschlüssen zu sehen seien. Dies hätte im Jahreswirtschaftsbericht allerdings etwas deutlicher zum Ausdruck gebracht werden können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haussmann?
Bitte schön.
Herr Pieroth, wären Sie bereit, zuzugeben, daß die Lohnnebenkosten nicht ausschließlich dazu dienen, die Bürokratie aufzublähen, sondern daß mit Lohnnebenkosten über mehr staatliche Nachfrage im investiven Bereich auch Kaufkraft und damit Arbeitsplätze geschaffen werden können?
In der ersten Phase sind es aber Kosten, die die Unternehmen aufzubringen haben.
Im Jahreswirtschaftsbericht hätte das noch etwas deutlicher stehen können. Doch der Jahreswirtschaftsbericht und ganz besonders die heutige, von Koalitionskompromissen freiere Re de des Bundeswirtschaftsministers zeigen ja wachsende Einsicht in die wahren Ursachen der Wirtschaftskrise. Während wir jetzt hören, daß Inflation und rascher Anstieg der Lohnkosten Gründe für die gegenwärtige Misere sind, hieß es früher: „Panikmache der Opposition". Heute lesen wir: Die Wiederherstellung eines tragfähigen Vertrauens in die Zukunft wird gefordert. Früher war das „Oppositionsgeschwätz". Früher war von „Scheinproblemen" die Rede. Jetzt wird die sinkende Zahl von Unternehmensneugründungen bedauert; bürokratische Investitionshemmnisse werden beklagt. Früher hieß es: „Geschenke für die Unternehmer" . Kollege Brandt sprach von der „Arroganz der dicken Brieftaschen". Jetzt lesen wir: Die Unternehmen sollen wieder mittelfristig nachhaltig erzielbare Gewinne erwarten können. Früher wurde Erhards „Partnerschaft statt Klassenkampf" belächelt. Jetzt wären Sie doch froh, wenn Sie noch einen sozialen Grundkonsens wie bei Ludwig Erhard hätten.
Welch eine Erleuchtung! Diese Erleuchtung hat nur einen Fehler: Sie hätte bei Ihnen, viel, viel früher kommen müssen.
Meine Damen und Herren, es kommt aber noch besser. In Ziffer 37 des Jahreswirtschaftsberichtes steht der bemerkenswerte Satz, daß die Bundesregierung eine Lösung der Strukturprobleme allein über eine kurzfristige globale Nachfrageförderungnicht für erreichbar hält. Wenn man hinter die Kompromißsprache schaut, heißt das im Klartext: Der Abschied vom Postkeynesianismus wird eingeläutet. Ihre Politik ist gescheitert. Nach großen volkswirtschaftlichen Opfern kommt die Regierung zu der Politik, die wir als Opposition seit langem gefordert haben.Deshalb begrüßen wir es auch, daß die Bundesregierung in der jüngsten Kontroverse mit Washington ein neues Konjunkturprogramm abgelehnt hat. Ein solche neues Konjunkturprogramm zur Nachfrageförderung und zur Stützung des Konsums wäre ein weiterer Schritt in die falsche Richtung gewesen.Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie persönlich wissen es ja, und Sie haben es schon im April letzten Jahres vor den ABD-Securities in New York gesagt — ich zitiere —: Unsere Situation läßt sich mit der Keynesschen Fiskalpolitik nicht bereinigen. — Deshalb müssen Sie sich jetzt aber auch sagen lassen: Das Nichtforcieren einer falschen Politik macht noch keine richtige Politik.
Wer zu Recht ein kurzfristiges Konjunkturprogramm ablehnt, macht deshalb noch keine richtige langfristige Wachtumspolitik.Sie widersprechen auch Ihrer eigenen Erkenntnis — zumindest der, die Sie in New 'York geäußert haben —, wenn Sie, wie in der letzten Haushaltsdebatte, die hohe Neuverschuldung zu rechtfertigen suchen. Sie sagen — ich zitiere —, daß die öffentlichen Defizite gesamtwirtschaftlich deshalb erforderlich seien, weil die wachsende Ersparnisbildung der Privaten absorbiert werden müsse. Ein gesamtwirtschaftliches Defizit sei nötig, weil die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes durch den privaten Sektor geringer werde. — Herr Bundeswirtschaftsminister, das ist doch eine Verdrehung von Ursache und Wirkung. Wenn der Staat ein hohes deficit spending betreibt, muß er das finanzieren. Er braucht das Geld des privaten Anlegers. Er bekommt es nur, wenn er attraktive Zinsen bietet, wenn Staatsanleihen rentabler als private Investitionen sind. Damit bewirkt er aber, daß die Privaten Geldvermögen bilden, anstatt zu investieren. Damit führt er genau den Zustand herbei, den er nachher zur eigenen Rechtfertigung braucht. Diese Schuldenpolitik des Staates ist wesentliche Ursache dafür, daß seit 1971 — außer im Jahre 1976 — die Fremdkapital- über der Eigenkapitalrendite liegt. Bei höherem deficit spending besteht die Gefahr, daß sich diese Fehlentwicklung fortsetzt.Die Konsequenz daraus: Wir haben nicht deshalb zuwenig Arbeitsplätze, weil zuviel gespart, sondern weil zuwenig Risikokapital gebildet wird. Das wird so lange bleiben, wie das risikolose Geldsparen durch Ihre Politik immer noch mehr bringt als die Sachinvestition.
Hinzu kommt: Mit diesem Zinseffekt machen Sie Deutschland auch für den ausländischen Geldanleger attraktiv. Damit treiben Sie auch den Wechsel-
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Pierothkurs hoch. Mit Vertrauen allein, Herr Minister Matthöfer, hat das nur bedingt zu tun. Deshalb sollten Sie nicht so tun, als wäre das alles unentrinnbares Schicksal: die Wechselkursentwicklung, die hohe Sparquote, der Investitionsstau. Das ist, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, gerade kein weltökonomisches Schicksal, sondern das ist in hohem Maße nationalökonomische Schuld.
— Treiben Sie den Geldzins nicht so hoch, Herr Kollege Reuschenbach, dann wird auch nicht so viel ausländisches Geld in Frankfurt angelegt, dann steigt der DM-Wechselkurs eben nicht so hoch, wie er gestiegen ist.
Herr Kollege Pieroth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?
Bitte schön!
Herr Pieroth, können Sie mir bitte Auskunft darüber geben, wie hoch der Diskontsatz ist und wann er je niedriger war?
Er ist unter Abrechnung der Geldentwertungsrate bei uns immer noch höher als in den Vereinigten Staaten. Das macht es interessant. Herr Bundeswirtschaftsminister, vor einem Jahr haben Sie in Ihrer großen Rede anläßlich der Aussprache zur Regierungserklärung — wenn auch ohne jeglichen Beifall bei der SPD — glasklar gesagt: „Es wäre illusorisch zu glauben, daß die öffentliche Hand die Investitionen der Privaten ersetzen könnte." Das ist die eine Schwäche des konsumorientierten deficit spending. Die Schulden des Staates, die an die Stelle der Investitionen der Unternehmen treten, repräsentieren keine Maschinen und keine Fabrikgebäude.Die andere Schwäche des deficit spending ist, daß es keine dauerhaften Investitionen ankurbelt, sondern immer nur Strohfeuer entfacht, wenn die übrigen Grunddaten der Wirtschaft nicht in Ordnung sind. Und die sind nicht in Ordnung. Die hohen Schulden ändern nichts daran, daß die Lohnkosten höher gestiegen sind als die Arbeitsproduktivität. Sie ändern nichts daran, daß die Lohnnebenkosten die Arbeitskosten hochtreiben. Sie führen dazu, daß sich der Staat immer mehr Leistungen des Steuerzahlers leistet, ohne selbst mehr dafür zu leisten. Das einzig Sichere am deficit spending ist, daß es auf die Dauer mit Sicherheit zu Steuererhöhungen führt. Das schafft Unsicherheit.
Das steht genau im Gegensatz zu Ihrer Aussage in der Rede von heute vormittag, in der Sie zu Recht sagten: Was die Wirtschaft braucht, sind Klarheit und Sicherheit.Wenn die Grunddaten nicht in Ordnung sind, wenn bei welkenden Blumen der Dünger fehlt, dann hilft auch noch so viel Gießen nichts. Wenn die Blumen Dünger bekommen sollen, wenn die Wirtschaftspolitik die Ursachen der Krise beseitigen will, dann heißt das: Es müssen die Bedingungen verbessert werden, unter denen die Wirtschaft arbeitet und unter denen produziert wird. Nicht die volkswirtschaftliche Nachfrage ist zu steuern, wie Sie das so gerne möchten, sondern ihr Angebot ist zu fördern.Die CDU/CSU-Fraktion schlägt deshalb seit Jahren -die Grundrichtung einer angebotsorientierten, einer investitions- und wachstumsfreundlichen Politik vor. Dabei befinden wir uns in voller Übereinstimmung mit dem Sachverständigenrat.Was muß geschehen? Erstens. Es genügt nicht, der vom Sachverständigenrat geforderten mittelfristigen Konsolidierung der Haushalte bloß verbal zuzustimmen.Zweitens. Wir brauchen ein Programm zur Kostendämpfung in der Wirtschaft. Die Steuer- und Abgabenlast darf nicht weiter steigen. Kostenwirksame Gesetze und Auflagen müssen überprüft werden. Wir würden es deshalb begrüßen, wenn Sie dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur zukünftigen Behandlung aller Gesetze, die Kosten für die Privatwirtschaft aufweisen, folgten und diesen Antrag nicht abblockten.Drittens. Die Investitionsrisiken in der Wirtschaft müssen durch eine Verlagerung der Steuerstruktur weg von den investitionshemmenden hin zu den investitionsfreundlicheren Steuern gesenkt werden. Eine für den Staat billige Lösung wäre — wie es die Sachverständigen raten — eine weitere Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für kleinere Unternehmen. Kleinere Unternehmen haben weniger Möglichkeiten des horizontalen und zeitlichen Risikoausgleichs als die großen. Es ist unverständlich, wieso Sie im Jahreswirtschaftsbericht diesen Vorschlag aus angeblich steuersystematischen Gründen ablehnen.Viertens. Die Fähigkeit der Unternehmen, Risiko zu tragen, muß erhöht werden. Deshalb hat der Staat die betriebliche Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zur Verbesserung der Eigenkapitalstruktur der Wirtschaft und zur breiteren Streuung des Produktionskapitals energisch zu fördern.Hier haben Sie es jetzt leicht. Hier können Sie sich jetzt nicht mehr auf fehlende Alternativen der Opposition berufen. Seit Montag liegt uns der Gesetzentwurf vor. Graf Lambsdorff, machen Sie jetzt Ihre wiederholten Ankündigungen — auch in diesem Jahreswirtschaftsbericht — wahr und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zur Arbeitnehmerbeteiligung zu!
Fünftens. Die Zahl der Selbständigen und der Unternehmensneugründungen muß wieder steigen. Die Wirtschaftspolitik darf nicht hinnehmen, daß in den letzten acht Jahren 400 000 selbständige Existenzen verlorengingen, wie Kollege Dollinger dargelegt hat.
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PierothDer Sachverständigenrat hat zu Recht — im Gegensatz zu Ihrer heutigen Aussage, Graf Lambsdorff — festgestellt, daß der Wille zur Selbständigkeit gesunken ist. Zinssubventionen genügen hier nicht.Die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU arbeitet deshalb an einem Programm zur Förderung von mehr Selbständigkeit mit folgenden drei Schwerpunkten:Erstens. Es muß eine breitere Bewegung für mehr Selbständigkeit in Politik, Kultur und Gesellschaft entstehen — und das schon an den Schulen. Klassenkampf und Konfliktpädagogik
müssen aus unseren Schulbüchern wieder raus, Kollege Reuschenbach. Statt dessen sollen unsere jungen Menschen auch wieder etwas von der sozialen, freiheitsbewahrenden und machtverteilenden Aufgabe selbständiger Unternehmer erfahren.
Zweitens. Die Beratung für potentielle Selbständige und die Hilfe bei der Bewältigung des Bürokratieproblems in der Pionierphase eines jungen Unternehmens müssen verstärkt werden. Gerade die jungen Unternehmer und ihre Mitarbeiter sollen wieder mehr Zeit bekommen, über Verbesserungen, Innovationen und Erfindungen nachzudenken und damit über neue Produkte für neue Märkte.Drittens. Wir brauchen eine Förderung von Kapitalbeteiligungsgesellschaften für die mittelständische Wirtschaft. Das Geld dafür ist da. Es geht nicht an, den Verlust von 2,3 Milliarden DM allein bei der Hessischen Landesbank als unabänderlich hinzunehmen, wenn damit 46 000 neuen Selbständigen ein Startkapital von je 50 000 DM hätte zur Verfügung gestellt werden können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt?
Ja. Ich hoffe aber, daß ich für die Zwischenfragen zwei Freiminuten bekomme.
Bitte schön.
Herr Kollege Pieroth, betrachten Sie Ihren Hinweis auf die Werte des Unternehmertums als eine Art Religionsersatz oder als eine Art Ersatz für die Werte, die in der Gesellschaft maßgeblich zu sein haben?
Herr Kollege Sieglerschmidt, ohne selbständige Unternehmer wäre die Macht in diesem Staate noch mehr zentralisiert, als das durch Dezentralisation von Macht durch Unternehmer heute der Fall ist.
Meine Damen und Herren, unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit hängt schließlich entscheidend davon ab, Herr Kollege Matthöfer, wie die Weichen
in der Forschungs- und Innovationspolitik gestellt werden. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sollten dem Nachfolger Ihres Nachbarn zur Linken kräftig unter die Arme greifen, damit er schleunigst aus dem dunklen Schatten seines Vorgängers hervortritt.
Sie haben Besserung gelobt, Herr Kollege Matthöfer, indem Sie sich auf eine schwere Erbschaft berufen, die Sie im Finanzministerium übernommen hätten. Wenn Sie immer wieder erklären, Sie wollten Investitionen lenken — Sie haben es vorhin wieder hervorgehoben —, dann können Sie sich doch nicht auf Franz Josef Strauß und Gerhard Stoltenberg berufen, die diese Politik eingeleitet hätten. Nur die privaten Unternehmen, nicht der Staat können herausfinden, was zukunftsträchtig ist und was nicht. Denn private Unternehmen neigen eben weniger zu unrentablen Prestigeobjekten.
Deshalb brauchen wir weniger direkte und mehr indirekte Forschungs- und Entwicklungsförderung.
Wenn Herr Matthöfer in den letzten Jahren das Verhältnis von indirekter Forschungsförderung zu direkter Forschungslenkung von 1 : 2 auf 1 : 20 gebracht hat, dann heißt das auch 20 : 1 für globale Fehlentscheidungen, für die im Kollektiv dann keiner haften will.
Hier schließt sich der Kreis. Wenn der Staat sein deficit spending abbaut und sich aus dem Schuldenstrudel befreit, dann setzt er positive Signale für die Tarifpartner. Das verbessert die Kostenstruktur, die Investitionsneigung, damit die Beschäftigungslage und die internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Graf Lambsdorff, Sie sagten am Schluß Ihrer letzten Rede zur Opposition — ich darf zitieren —: Wenn Sie uns unterstützen, ist Ihre Unterstützung willkommen; wenn Sie sich querlegen, werden wir entweder um Sie herum oder über Sie hinweggehen. — Ich sage Ihnen: Wenn Sie den Weg der Marktwirtschaft gehen, werden wir gemeinsam diejenigen übergehen, die sich uns querlegen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jens.
Frau Präsidentin! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Ich habe mich eben bei der Rede des Kollegen Pieroth gefragt: Für wen spricht er eigentlich?
— Genau den Eindruck hatte auch ich. Hier redet der Unternehmer Pieroth Weinbau und Weinhandel und vertritt ganz eklatant nur Interessen der deutschen Unternehmer. Auch die sind sicherlich legitim. Aber so einseitig, Herr Kohl, sollte gerade Ihre Fraktion das nicht darstellen.
Natürlich ist der Unternehmer Pieroth gegen weitere Lohnerhöhungen für die deutschen Arbeitneh-
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Dr. Jensmer. Das ist verständlich, allzu verständlich, aber falsch.
Pieroth lobt die Regierungspolitik, was ich sehr schön finde, aber vorher kritisierte Dollinger die Regierungspolitik sehr scharf. Was gilt denn nun eigentlich in Ihrer Fraktion, Herr Kohl? Das, was Sie gleich wahrscheinlich sagen werden, nicht wahr?
Pieroth ist gegen Nachfragesteuerung. Vorher hörte man aus Ihren Reihen, wir sollten doch endlich einmal das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz anwenden,
das ausschließlich die Nachfragebelebung auf Grund des Keynesschen Instrumentariums vorsieht. — Was sagten Sie, Herr Zeitel?
— Die Folge der Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes ist die Nachfragebelebung, die Herr Pieroth eben ganz deutlich abgelehnt hat. Darüber müssen Sie sich einmal in Ihren eigenen Reihen unterhalten.
Wie nicht anders zu erwarten, lobt Herr Pieroth natürlich die betriebliche Vermögensbildung und den Gesetzentwurf, den Ihre Fraktion gerade eingebracht hat, obwohl Sie alle sehr genau wissen, daß dieser Gesetzentwurf überhaupt keine Lösung für die sehr schwierige Bewertungsfrage vorsieht.
— Wir wollen erst zu der Lösung kommen und dann einen Gesetzentwurf einbringen.
Aber es ist das Vorrecht der Opposition, Schaum zu schlagen und irgend etwas vorzuschlagen, was überhaupt nicht geht, in der Hoffnung, die Regierung würde hinterher eine Lösung ausarbeiten.
So geht das nicht, meine Herren.
Herr Kollege Jens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dollinger?
Herr Kollege, Sie sind doch im allgemeinen der Meinung, daß bei den Unternehmungen die Kapitalien sich gut rentieren. Warum wollen Sie dann eigentlich den breiten
Schichten der Arbeitnehmerschaft diese guten Renditen vorenthalten?
In der Tat, Herr Dollinger, gibt es sehr viele Unternehmen, die ganz anständige Gewinne machen, die gerne etwas abgeben könnten. Es gibt aber auch Unternehmen, denen es ein bißchen schlechter geht, ganz besonders zur Zeit,
und weil es so unterschiedlich in unserer deutschen Wirtschaft aussieht, ist Ihre Initiative in dieser Sache zu dieser Zeit völlig fehl am Platze.
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Dollinger?
Wollen Sie damit der Meinung Ausdruck geben, daß der Zeitpunkt, wo es bei Unternehmungen nur Lichtseiten gibt, einmal möglich sein wird, oder stimmen Sie mir zu, daß das Risiko immer so liegen wird, daß es gut verdienende und schlecht verdienende Unternehmen geben wird? Kommen Sie dann überhaupt jemals zu dem Problem der Vermögensbildung?
'Herr Dollinger, Sie wissen ganz genau, daß wir Konjunkturen und Krisen haben, daß es auch bessere Zeiten gibt als augenblicklich.
In einer Zeit, in der die Wirtschaft gut läuft, wäre eine solche Initiative doch angebracht. Aber da legen Sie so etwas nicht vor. Mit dieser Initiative verunsichern Sie doch nur die Wirtschaft, tun also das, was Sie uns vorwerfen.
— Ich habe den Anfang Ihrer Bemerkung nicht verstanden und fahre deshalb in meinen Ausführungen fort. — Frau Präsidentin, ich habe ja nur eine Viertelstunde.
Gestatten Sie noch eine Frage?
Herr Kollege, da Sie so sehr auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten gerade in diesem Zusammenhang hinweisen, möchte ich Sie fragen: Haben Sie den Gesetzentwurf auch insoweit gelesen, als er eine Insolvenzsicherungsklausel beinhaltet?
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5922 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Ich habe auf alle Fälle in dem Gesetzentwurf sehr deutlich gelesen, daß das schwierige Problem der Bewertungsfrage durch den Entwurf überhaupt nicht gelöst wird, und fahre deshalb in meiner Rede jetzt fort.
Auch wir danken dem Sachverständigenrat für das Gutachten. Aber wir erkennen dem Sachverständigenrat natürlich auch sofort das Recht auf Irrtum zu. Er hat sich in verschiedenen Fragen in diesem Jahr nun einmal — nach meiner Meinung — geirrt. Die Schlußfolgerung in der lohnpolitischen Diskussion, die der Rat uns auf den Tisch legt, kann ich leider nicht teilen.
Aber zunächst darf ich noch eine Bemerkung zu dem üblichen Geschimpfe seitens der Opposition über die falschen Prognosen und Projektionen der Regierung machen.
Die „Bild-Zeitung" meinte, bei der letzten Vorhersage der Professoren — sprich: Aussage des Sachverständigenrats — seien von 29 Prognosen 28 falsch gewesen. Spätestens — so Herr Mundorf im „Handelsblatt" — seit 1977 „wissen wir, daß auch Professoren der Wirtschaftswissenschaft nur mit Wasser kochen". Der Kredit der Sachverständigen in einer deutschen Wirtschaft ist mit dem Gutachten, das wir jetzt auf den Tisch gelegt bekommen haben, weitgehend verspielt worden. Die Projektionen der Regierung können natürlich immer nur so gut oder so schlecht sein wie die Prognosen der Wirtschaftswissenschaftler. Und die waren in diesem Jahr relativ schlecht. Dennoch muß man fairerweise gleich hinzufügen: Jede rationale Entscheidung über die Zukunft, jede Entscheidung mit Zukunftscharakter, setzt selbstverständlich eine bestimmte Vorausschätzung voraus. Jeder Mensch, der sich über zukünftige Probleme zu unterhalten hat, muß eine Prognose über die zukünftige Entwicklung abgeben. Man hüte sich nur davor, mit Lautstärke und mit viel Nachdruck hier etwas vorzutragen, was im Grunde mit sehr vielen Fragezeichen zu versehen ist — wie es seitens der Opposition leider immer wieder gemacht wird.
— Wir irren nur deshalb, weil uns vorher die Oberweisen, die Sachverständigen, etwas gesagt haben, was falsch war. Deshalb haben auch Sie sich so häufig geirrt. Ihre Projektion und Prognosen waren nämlich genauso falsch, weil auch die auf den Voraussetzungen der Sachverständigen basierten.
Es war von Herrn Pieroth mit Recht die Frage aufgeworfen worden, warum denn die privaten Investitionen jetzt nicht laufen. Das ist eine ernste Frage. In der Tat sind für das augenblickliche Problem in unserer Wirtschaft, für die augenblicklichen Schwierigkeiten in Sachen Arbeitslosigkeit die privaten Investitionen der deutschen Unternehmen vor allem verantwortlich. Diese Investitionen sind etwa 1973 in den Keller gegangen und seitdem nicht mehr herausgekommen. Woran liegt es nun aber wirklich? Die Opposition redet dauernd sehr lautstark von dem mangelnden Vertrauen der deutschen Unternehmen in diese Regierung. Hat dieses Gerede möglicherweise schon Früchte getragen, so daß die Unternehmen auf Grund Ihres Geredes nicht mehr investieren? Unmöglich scheint mir das nicht zu sein.
Ich weise das aber zurück, denn die deutschen Unternehmer sind nicht so primitiv, daß sie Ihrem Gerede auf den Leim gehen würden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Die einzige Zwischenfrage, die ich noch gestatte, Frau Präsidentin.
Herr Kollege, Sie sprechen davon, daß die Investitionen 1973, wie Sie sagen, in den Keller gegangen und nicht mehr herausgekommen sind. Können Sie sich erinnern, wie lange noch Investitionsteuer verlangt wurde und ab wann eine Investitionszulage kam? Wenn man erkannt hat, wie Sie sagen, daß 1973 die Investitionen in den Keller gegangen sind, frage ich mich, warum man damals noch Investitionsteuer zahlen mußte.
1974 sind durch Maßnahmen der Bundesregierung die Investitionen wieder angeregt worden, und zwar meines Erachtens auf eine Art und Weise, die höchst fraglich war. Es wurden in der Tat Investitionen auf Grund dieser anregenden Maßnahmen getätigt. Es wurden aber vor allem Rationalisierungsinvestitionen getätigt, was zur Folge hatte, daß weitere Arbeitsplätze verlorengingen, was wir gar nicht wünschen konnten.
Stimmen Sie mir aber trotzdem zu, daß die Investitionen nicht aus dem Keller herausgekommen sind, weil man sie vorher abrupt abgewürgt hat?
Die Investitionen sind nicht durch Regierungsmaßnahmen abgewürgt worden. Da irren Sie sich ganz gewaltig. Sie sind vor allem auch deshalb abgewürgt worden, weil wir uns Strukturveränderungen auf Grund des langen Festhaltens an zu starren Wechselkursen erlauben mußten. Wir haben die Schwierigkeiten durch das weltwirtschaftliche
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5923
Dr. JensUngleichgewicht bekommen und haben jetzt noch damit zu kämpfen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth? — Bitte.
Herr Kollege Jens, was sagen Sie dazu, daß die ausländischen Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren niedriger denn je waren und daß die Investitionen der Deutschen im Ausland doppelt so hoch sind wie vor 1969?
Darüber bin ich sehr froh. Vorher war es nämlich genau umgekehrt. Diese Tatsache ist doch ganz einfach zu erklären, Herr Pieroth; ich weiß gar nicht, warum Sie diese Frage stellen. Das hängt mit dem Wechselkurs zusammen. Die Tatsache; daß wir die Aufwertung gegenüber dem Dollar zu verkraften hatten, hat dazu geführt, daß unsere Investitionen im Ausland wesentlich billiger wurden und daß amerikanische Investitionen bei uns teurer wurden. Daher ist das gekommen. Das sollten Sie aber eigentlich wissen, nachdem Sie hier eine so große Rede gehalten haben.
Was das Vertrauen anlangt — Sie geben mir das Stichwort —, dessen Fehlen Sie immer so kritisieren, muß ich Ihnen ehrlich sagen — da haben Sie mir früher zugestimmt —: Es gibt Unternehmen, denen geht es recht gut; es gibt aber auch Unternehmen, denen geht es nicht so gut. Es gibt Wirtschaftszweige, denen geht es gut; es gibt Wirtschaftszweige, denen geht es sehr schlecht. Aber haben etwa die einen Vertrauen in diese Regierung und die anderen nicht? Das ist doch völliger Quatsch. Lassen Sie also gefälligst dieses Gerede vom mangelnden Vertrauen. Damit verlängern Sie im Grunde nur die Arbeitslosigkeit, was, wie ich vermute, Sie auch wollen.
Erweiterungsinvestitionen werden augenblicklich nicht getätigt, da es an Nachfrage fehlt. Was hat es denn für ein Unternehmen für einen Zweck, sich eine neue Maschine anzuschaffen, wenn die alte Maschine noch nicht einmal ausgelastet ist? Erst wenn die alte Maschine voll ausgelastet wird, wird der Unternehmer bereit sein, Erweiterungsinvestitionen zu tätigen. Das ist die einzige Ursache für mangelnde Investitionen: die fehlende Nachfrage in unserer Wirtschaft.
Im übrigen laufen natürlich auch Rationalisierungsinvestitionen.
— Diese Rationalisierungsinvestitionen will ich keineswegs verketzern, Herr Kittelmann.
— Nein.
Neue Maschinen schaffen neue Arbeitsplätze, sie schaffen unter Umständen auch sichere Arbeitsplätze. Aber Rationalisierungsinvestitionen hat es schon immer gegeben. Nur, früher haben wir die Rationalisierung in der Wirtschaft dazu benutzt, die Arbeitszeit zu verkürzen. Das haben wir in der letzten Zeit versäumt.
In dem Maße, wie Rationalisierungen vorangetrieben werden, sind wir in der Lage, die Arbeitszeit weiter zu verkürzen, und dazu sind, meine ich, Regierung und Gewerkschaften aufgerufen.
Was soll der Hinweis von Herrn Pieroth auf — wenn wir bei Investitionen sind — den hohen Zins? Er hat übersehen, daß wir augenblicklich in der Tat den niedrigsten Zins für die Aufnahme von Krediten haben, den wir je gehabt haben.
In zwei Jahren ist der Zins um mehr als drei Prozentpunkte gesenkt worden.
Man könnte den Zins sogar noch um weitere Prozente senken; auch dann würden die Unternehmen, weil sie unausgenutzte Kapazitäten haben, nicht investieren. Das ist die Situation.
Was wir brauchen, ist Nachfrage in der Wirtschaft, damit endlich investiert wird.
Ich komme zum Gutachten des Sachverständigenrates zurück, in dem vor allem im lohnpolitischen Bereich das eine oder andere gesagt wird, was ich persönlich nicht teilen kann. Es würde mich freuen, wenn das auch einmal von Ihnen kritisiert würde. Sie wollen ja schließlich auch aus der Arbeitnehmerschaft Stimmen bekommen.
Die Sachverständigen haben quasi für alle etwas vorgelegt. Jeder Sachverständige konnte seine Theorie unterbringen; ob sie richtig oder falsch ist, war ganz egal. Auf alle Fälle ist die Kernaussage der Sachverständigen in diesem Gutachten: Die Löhne und Gehälter dürfen im Grunde nicht mehr
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5924 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Jenssteigen, maximal im gleichen Ausmaß wie der Produktivitätsfortschritt, was bedeutet, daß die Löhne der deutschen Arbeitnehmer real gesenkt werden sollen.
— Nun lassen Sie mich mal ausreden! Es tut mir leid; Sie haben schon eine Zwischenfrage gestellt. Eine reicht j a wohl.
Das ist der entscheidende Vorschlag des Gutachtens: die Senkung der realen Löhne und Gehälter der arbeitenden Menschen. Die arbeitenden Menschen in diesem Lande können nach dem, was Herr Pieroth hier vorgetragen hat, nur darüber froh sein, wenn die Opposition niemals an die Regierung kommt, denn dann würde dieser Vorschlag noch stärkere Unterstützung erfahren.
Die Lohnkosten — so wird immer wieder gesagt — seien bei uns zu hoch, und sie sind in der Tat auch gestiegen. Aber die Steigerung der Lohnkosten ist auch wiederum eine Folge der Aufwertung der D-Mark im internationalen Vergleich. Da das so ist, kann man diese Lohnkostensteigerung nicht etwa den Gewerkschaften anlasten. Das wäre völlig verfehlt. Da die Lohnkostensteigerung vor allem aus dem Ausland zu uns hereinkommt, kann man gegenwärtig auch nicht von einem Lohnstopp reden. Wir leben ja nicht nur vom Export, sondern nur 25 % der Güter, die wir produzieren, werden exportiert.
Entscheidend sind im übrigen die Lohnstückkosten,
weil die Produktivität der Wirtschaft ebenfalls berücksichtigt werden muß. Wenn Sie das tun und das einmal im Sachverständigengutachten nachlesen, was Sie wahrscheinlich alle nicht getan haben,
dann stellen Sie fest, daß im internationalen Vergleich die Lohnstückkosten bei uns eben nicht so stark gestiegen sind wie in anderen Industrienationen, sondern sie sind bei uns verhältnismäßig wenig gestiegen.
Ich finde, das gehässige Gerede über zu hohe Löhne klingt einfach verlogen, vor allem wenn man berücksichtigt, daß sich die Reallohnposition der deutschen Arbeitnehmer seit 1975 nicht verbessert hat.
Weil das so ist, halte ich z. B. den Abschluß in der Stahlindustrie für sehr vernünftig. Er zeigt einmal mehr, daß die deutschen Gewerkschaften sehr verantwortungsbewußt handeln. Dem Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen, Friedhelm Farthmann, ist für seine Leistung unbedingt zu danken.
Wir brauchen keine wesentlich niedrigeren Löhne; denn Löhne sind gleichzeitig auch Kaufkraft. Wir brauchen vor allem eine Stützung der Nachfrage. Eine Brüningsche Politik, wie Sie sie offensichtlich fordern, wird von uns wenigstens nicht betrieben.
— Sie haben doch die Senkung der Löhne gefordert!
— Das ist doch hier wieder deutlich gesagt worden! Die reale Senkung der Löhne! Und das können wir nicht akzeptieren.
Herr Kollege, Sie sind zwar oft unterbrochen worden; aber Sie müßten doch allmählich zum Schluß kommen. Wir haben schon etwas zugegeben.
Weil wir vor allem Nachfrage brauchen, halte ich die augenblickliche Finanzpolitik der Bundesregierung für sehr richtig. Das wird auch von den Sachverständigen deutlich betont. Die Kreditaufnahme in dieser Höhe ist angebracht. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt sogar, daß im Grund noch mehr Kredite hätten aufgenommen werden müssen.In dem Maß, wie die Privaten sparen, muß der Staat das Geld aufnehmen, wenn andere Unternehmen es nicht aufnehmen. Sonst würde der Strudel der Nachfrageentwicklung immer weiter nach unten gehen — wie wir es 1928/1929 in diesem Land schon einmal erlebt haben.Ich bin sehr froh darüber, daß gespart wird. Das liegt nicht am Mangel an Vertrauen. Vielmehr: Wenn jemand spart, hat er Vertrau en in diese Regierung. Deshalb wird gespart.
Der Sachverständigenrat hat im Bereich der Lohnpolitik „mit Erfolg" das Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitgeber ver-
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Dr. Jensschoben. Diesen massiven Eingriff in die Tarifautonomie müssen wir zurückweisen. Genauso müssen wir Herrn Biedenkopfs komische Idee von einem Verbändegesetz immer wieder energisch zurückweisen.
Dieses gehört nicht in eine liberale Wirtschaftsordnung.Durch all diese Maßnahmen ist natürlich das sozialpolitische Klima in unserem Land zur Zeit auf dem Nullpunkt angelangt.In diesem Kampf der Konservativen gegen sozialen Fortschritt stehen wir Sozialdemokraten nach wie vor auf der Seite der Gewerkschaften. Wir werden auch in Zukunft mit dafür streiten,
daß trotz aller weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten die materielle Situation der arbeitenden Menschen in diesem Land nicht verschlechtert, sondern verbessert wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wurbs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen der Kollegen Dollinger und Pieroth von der CDU/CSU zur Wirtschaftspolitik der Bundesregierung konnten nicht überraschen. Nur entsprechen sie nicht den Tatsachen und müssen entschieden zurückgewiesen werden.
Sie sagen immer wieder, die Wirtschaft müsse Vertrauen fassen. Aber Sie tragen mit Ihren Ausführungen nicht dazu bei, dieses Ziel zu erreichen. Im Gegenteil. Wenn Sie ernstlich bemüht wären, wieder Vertrauen herzustellen, müßten Sie fairerweise die Anstrengungen der Bundesregierung gerade für den mittelständischen Bereich
anerkennen und unterstützen.
Gerade die Aussteller auf Fachmessen der letzten Wochen haben eine spürbare wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung festgestellt. Ich verweise z. B. auf die optimistischen Aussagen der Aussteller der Constructa 78.Sowohl das Jahresgutachten als auch der Jahreswirtschaftsbericht weisen der Mittelstandspolitik eine herausragende Bedeutung für die Leistungsfähigkeit unseres marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems zu. Sie von der Opposition versuchen jedoch, der Bundesregierung in Vorwürfen klarzumachen, daß die Wirtschaftspolitik dieser Koalition
mittelstandsfeindlich sei. Dieser nie durch Argumente belegten Behauptung muß energisch widersprochen werden.
— Ich werde das noch im einzelnen ausführen. Nur mit der Ruhe! Sie bekommen schon Ihren Teil!Eine der Thesen zur Wirtschaftspolitik im sozialen Rechtsstaat, die die Freie Demokratische Partei auf ihrem Bundesparteitag Ende 1977 verabschiedet hat, ist speziell der wirtschaftlichen Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen gewidmet. Es heißt dort — ich darf zitieren —:Die Liberalen messen der Vielzahl von leistungsfähigen kleinen und mittleren Unternehmen für die Sicherung einer dezentralen Entscheidungsstruktur und der Flexibilität der Volkswirtschaft große Bedeutung bei.Liberale Wirtschaftspolitik ist daher bestrebt, die Gründung kleinerer und mittlerer Unternehmen und selbständiger Existenzen rechtlich und faktisch zu erleichtern.Ich darf an dieser Stelle einen Satz wiederholen, den der Bundeswirtschaftsminister heute morgen ausgeführt hat — ich zitiere —:Mittelstandspolitik ist deshalb als integraler Bestandteil fest in der Ordnungs- und Strukturpolitik dieser Regierung verankert.An dem hohen Stellenwert, den die Regierung der Mittelstandspolitik beimißt, dürften somit keine Zweifel bestehen.Etwa 95 % unserer Unternehmungen sind kleinere und mittlere Unternehmen. Sie erwirtschaften über die Hälfte des Bruttosozialproduktes, sie stellen über 60 % der Arbeits- und zirka 70 % der Ausbildungsplätze. Dank unserer stark mittelständisch strukturierten Wirtschaft und einer konsequenten marktwirtschaftlichen Wirtschaftspolitik hat es die Bundesrepublik bisher geschafft, besser als andere Länder mit den vor allem weltwirtschaftlich bedingten Störungen fertig zu werden. Ich nenne nur die Ölkrise.Erst Ende vergangenen Jahres hat die Bundesregierung eine Zwischenbilanz gezogen, in der sie Rechnung legt über die eingeleiteten Maßnahmen seit der Verabschiedung des neuen Aktionsprogramms zur Leistungssteigerung kleinerer und mittlerer Unternehmen vom Mai 1976. Diese Zwischenbilanz kann sich sehen lassen, wie an folgenden Punkten zu belegen ist. Es war kein Zufall, daß im Aktionsprogramm von 1976 die Maßnahmen an erster Stelle genannt wurden, die sich auf die Verbesserung der Wettbewerbsordnung beziehen. Da- mit wurde diesem Teil der Rahmenbedingungen bewußt Priorität eingeräumt; denn zentraler Punkt unserer wirtschaftlichen Ordnung ist die wettbewerbsfähige Marktwirtschaft mit ihrer Vielfalt von Betrieben unterschiedlicher Größe. Daher ist die vierte Kartellgesetznovelle, die die Bundesregierung zur Zeit erarbeitet, auch- für die mittelständische Wirtschaft von großer Bedeutung. Durch die Vorschläge zur Verschärfung der Fusionskontrolle
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Wurbsund zur Einengung der Ausnahmeregelung für Bagatellfälle sollen Konzentrationsbewegungen in der Wirtschaft abgebremst werden.Gerade der letzte Punkt ist für den Mittelstand von entscheidender Bedeutung. Es geht nicht an, daß auch leistungsstarke mittlere Unternehmen ihre Selbständigkeit aufgeben, in Großunternehmen aufgehen und somit aus dem Markt verschwinden. Die Wirtschaftspolitik kann eine solche Auszehrung der mittelständischen Wirtschaft ohne Schaden für die Marktwirtschaft nicht hinnehmen. Daher ist es zu begrüßen, daß die Bundesregierung eine Gesetzesformulierung vorlegen will, die rund 80 % der Aufkäufe kleinerer und mittlerer Unternehmen durch Großunternehmen in die Kontrollpflicht durch die Kartellbehörden einbezieht. Damit soll zu Recht erreicht werden, daß dieser Entwicklung entgegengesteuert wird.Meine Ausführungen zur Bedeutung der Wettbewerbspolitik für den Mittelstand möchte ich nicht abschließen, ohne das vor allem von der Opposition so oft herangezogene Thema der Konkurse und Insolvenzen behandelt zu haben. Auch Herr Kollege Dollinger ist heute wieder darauf eingegangen. Ich glaube, bei diesem Thema sollten wir zuerst einmal ehrlich sein. Man kann nicht einerseits Marktwirtschaft und möglichst freien und harten Wettbewerb fordern und andererseits beklagen, daß die Marktwirtschaft dem einzelnen Unternehmer keine persönliche Existenzgarantie biete.
Dieser Eindruck ist bei manchen kleineren und mittleren Unternehmen vielleicht durch die einseitige Darstellung des marktwirtschaftlichen Systems entstanden. Aber Faktum ist: Der Wettbewerb ist härter geworden, neue Unternehmen kommen, weniger leistungsfähige werden vom Markt verdrängt. Wer diesen Prozeß unterbinden will, der will in Wirklichkeit die Marktwirtschaft aufgeben. Tatsache ist, daß sich der Anteil z. B. der Einzelfirmen und Personengesellschaften an den Insolvenzen seit 1970 nur geringfügig verändert hat. Dagegen hat der Anteil der GmbHs von 1970 bis 1975 stark zugenommen. Das gleiche trifft für Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG zu.Bemerkenswert ist ferner, daß von den 1975 insolvent gewordenen rund 6 900 Einzelunternehmen mehr als 70 °/o noch keine acht Jahre alt waren. Eine Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung kommt zu dem Ergebnis, daß Insolvenzen zum Teil aus innerbetrieblichen Ursachen entstehen. Diese Tatsachen, meine Damen und Herren, widerlegen manche polemische Äußerung der letzten Zeit, die die Schuld an der gestiegenen Zahl der Insolvenzen einseitig der Politik der Bundesregierung anzulasten versucht.
Herr Kollege Dollinger, Sie haben heute morgen die Zahl von 400 000 Betrieben genannt, die aus dem Markt ausgeschieden sind. Darf ich hier anmerken, daß im gleichen Zeitraum die Zahl der Beschäftigten .in den Betrieben erheblich gestiegen ist. Das gleiche gilt auch für die Umsatzentwicklung. Sie wollen doch gerade eine Stärkung des mittelständischen Bereichs. Das ist eine ganz natürliche Entwicklung.
— Lassen Sie mich doch zumindest einmal ausreden. Es ist schlecht, wenn zwei zur gleichen Zeit reden. Das bringen selbst Sie nicht fertig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dollinger?
Bitte sehr, Herr Kollege Dollinger.
Herr Kollege Wurbs, würden Sie mir zustimmen, daß der Trend in der Statistik zwar, wie Sie richtig sagen, eine Abnahme der Zahl der Betriebe, eine Zunahme der Beschäftigten und Umsatzsteigerungen zum Ausdruck bringt, daß aber ein Anhalten dieses Trends im Grunde genommen der Konzentrationsprozeß ist, der einen Teil von mittelständischen Unternehmungen zum Erliegen bringt und letzten Endes — auf lange Sicht gesehen — den Wettbewerb gefährden würde?
Ich habe schon ausgeführt, daß wir Maßnahmen ergreifen — auch durch unsere Programme —, um den Mittelstand zu stärken. Wir können aber nicht generell jeden einzelnen Betrieb, der nicht mehr wettbewerbsfähig ist, am Leben erhalten.
— Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich setze mich mit dem Kollegen Dollinger ganz sachlich aus-ein ander.Das ist natürlich eine Strukturveränderung, die hier stattgefunden hat. Betriebe sind aus dem Markt ausgeschieden. Wir wollen diese Entwicklung selbstverständlich abstoppen. Auf lange Sicht können wir dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen; daher auch unsere Initiative im gesetzlichen Bereich.Ich meine dagegen, daß das Ergebnis vielmehr deutlich macht, daß die Bundesregierung bei ihren Förderungsmaßnahmen zu Recht besonderes Gewicht auf die Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse über betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und moderne Führungstechniken legt.Investitionsentscheidungen aller Unternehmen, auch der kleineren und mittleren, hängen wesentlich von der Ertragslage und den Ertragserwartungen ab. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben daher in den letzten Jahren, vor allem im Jahre 1977, einiges getan, um durch Steuersenkungen die Ertragslage der Unternehmen zu verbessern. Vor allem sind dabei die' steuerlichen Belastungen der kleinen und mittleren
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WurbsUnternehmen deutlich gesenkt worden. Der besondere mittelstandspolitische Charakter dieser Maßnahmen wird deutlich, wenn man sich das Steueränderungsgesetz vom August 1977 vor Augen hält. Es hat bei allen drei Komponenten der Gewerbesteuer gezielte Entlastungen für kleinere und mittlere Unternehmen durch die Einführung oder Erhöhung der Freibeträge gebracht. Außerdem sind die Vermögensteuersätze entsprechend reduziert worden.Ich will die Einzelmaßnahmen hier nicht alle darlegen, sondern mich auf ein paar wenige Punkte beschränken. Durch die Erhöhung des Freibetrags bei der Gewerbeertragsteuer werden nunmehr über die Hälfte aller Gewerbetreibenden von dieser Steuer praktisch freigestellt. Mit Wirkung vom 1. Januar 1977 ist die erhöhte Abschreibung nach § 7 des Einkommensteuergesetzes auf den Erwerb von Ein- und Zweifamilienhäusern sowie von Eigentumswohnungen ausgedehnt und der Verkauf unter bestimmten Bedingungen von der Grunderwerbsteuer befreit worden. Da mit einem Altbauerwerb häufig Modernisierungs- und Instandhaltungsinvestitionen verbunden sind, werden von diesen Vergünstigungen wichtige Impulse auf die überwiegend mittelständisch strukturierte Bauwirtschaft, insbesondere auf das Ausbaugewerbe, ausgehen.Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Bundesregierung stellen zu Recht fest, daß die Angebotsstruktur der deutschen Wirtschaft verbessert werden muß und daß dies nur über mehr Innovation und damit also über mehr Forschung und Entwicklung möglich ist. Sie weisen außerdem darauf hin — und dem möchte ich mich für die FDP-Bundestagsfraktion ausdrücklich anschließen —, daß es nicht richtig ist; sich innovatorische Anstöße ausschließlich von den großen Unternehmen der deutschen Wirtschaft zu erhoffen. Daher begrüßt die Fraktion der FDP ausdrücklich, daß von der Bundesregierung ein Gesamtkonzept zur Forschungs-und Technologiepolitik für kleine und mittlere Unternehmen erarbeitet wird.Ein Gesetzentwurf zur Änderung des Investitionszulagengesetzes wird heute in diesem Hause in erster Lesung beraten und dann den Ausschüssen zur ausführlichen Diskussion überwiesen. Ich hoffe sehr, daß dieser Entwurf bald verabschiedet werden kann; dann kann eine weitere wichtige Maßnahme zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen auf der Habenseite verbucht werden.Meine Damen und Herren, die Zwischenbilanz wäre unvollständig, wenn ich nicht auch die Maßnahmen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen erwähnen würde. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung in der Zeit von 1970 bis 1976 aus Haushaltsmitteln fast 1 Milliarde DM eingesetzt. Unter den Maßnahmen zur Verbesserung der betrieblichen Finanzierungsmöglichkeiten sind dabei vor allem die ERP-Darlehensprogramme zu nennen. In dem erwähnten Zeitraum wurden hierfür aus ERP-Mitteln rund 3,4 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Dazu kommen noch von der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Lastenausgleichsbank gewährte In- I vestitionsdarlehen für die mittelständische Wirtschaft, die allein im Jahre 1976 eine Größenordnung von fast 1,5 Milliarden DM erreichten.Besonders wichtig ist — darauf haben auch der Sachverständigenrat und die Bundesregierung erneut. hingewiesen — das Existenzgründungsprogramm. Es ist von der Bundesregierung in den letzten Jahren ständig überproportional aufgestockt worden. So haben in den letzten beiden Jahren mehr als 6 000 Nachwuchskräfte der gewerblichen Wirtschaft aus diesem Programm finanzielle Hilfen zum Aufbau eines eigenen Unternehmens erhalten. Auf Grund der Bedeutung dieses Programms für unsere wirtschaftliche Entwicklung und unsere Wirtschaftsstruktur hat die Bundesregierung den Ansatz für dieses Programm im Jahre 1978 im Vergleich zu 1977 um fast 90 %, nämlich von 265 Millionen auf 500 Millionen DM, aufgestockt.Sieht man alle diese Fakten, läßt sich daraus nur der eine Schluß ziehen: daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen eine wirkungsvolle, den ökonomischen Realitäten und Zielen Rechnung tragende Mittelstandspolitik betreiben, eine Mittelstandspolitik, die 'sich darüber hinaus flexibel den jeweiligen aktuellen Notwendigkeiten anpaßt.Daher sind wir auch der Meinung, daß man für eine solche erfolgreiche Mittelstandspolitik kein Bundesmittelstandsförderungsgesetz, wie es die Opposition vorgeschlagen hat, braucht. Sie, Herr Kollege Dollinger, haben ja heute in Ihrer Rede die Gesetzesflut beklagt. Ich glaube, wir brauchen kein derartiges Gesetz, vor allem dann nicht, wenn dieses Gesetz lediglich deklamatorischen Charakter hat und die vorgesehenen Förderungsmaßnahmen unter einen allgemeinen Haushaltsvorbehalt stellt. Es zwängt auf Grund seiner Anlage alle möglichen Förderungsmaßnahmen weniger flexibel und damit ineffizienter in einen starren Rahmen. Der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Strukturwandel kann auf diese Weise mittelstandspolitisch nicht so wirkungsvoll wie mit einem Aktionsprogramm, das relativ leicht angepaßt werden kann, Rechnung getragen werden. Somit läßt sich feststellen, daß der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion, auf einen kurzen Nenner gebracht,
eine Kodifizierung des Aktionsprogramms ist. Einen besseren Beweis für die Richtigkeit der Mittelstandspolitik der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen gibt es wohl nicht.Für die FDP-Bundestagsfraktion besteht eine wirksame Mittelstandspolitik darin, bei jeder Beratung und Verabschiedung eines wirtschafts-, wettbewerbsoder finanzpolitischen Gesetzes die Auswirkungen auf die kleinen und mittleren Unternehmen zu bedenken und zu berücksichtigen
und darüber hinaus, wie geschehen, ein wirkungsvolles Aktionsprogramm zu erstellen. Die FDP wird
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5928 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Wurbsdie Wirtschaftspolitik der Bundesregierung wie bisher nachhaltig unterstützen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Das Haus tritt um 14 Uhr wieder zusammen. Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/1526
Wir fahren mit der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern fort, zu deren Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Baum zur Verfügung steht.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Graf Huyn auf:
Besteht die Absicht, der DDR anläßlich der vor dem Abschluß stehenden Verhandlungen der gemischten Grenzkommission mehr zu geben als nur eine Abschlußdokumentation mit einer Grenzkarte und einer Grenzbeschreibung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, ein Abschluß der Arbeiten der Grenzkommission kommt nicht in Betracht, da die Aufgaben der Grenzkommission nach dem Grundlagenvertrag nicht befristet sind. Daher ist vorgesehen, die bisherigen Ergebnisse der Kommission in einer Gesamtdokumentation zusammenzufassen. Die Gesamtdokumentation wird auch die Grenzdokumentation umfassen, die die Arbeitsgruppe Grenzmarkierung der Grenzkommission bereits im April 1976 mit Grenzkarte und Grenzbeschreibung vorgelegt hat.
Unsere Seite ist ferner daran interessiert, daß entsprechend den vertraglichen Festlegungen für die Arbeit der Grenzkommission gleichermaßen die zahlreichen sonstigen mit dem Grenzverlauf in Zusammenhang stehenden Probleme, z. B. der Wasserwirtschaft, der Forstwirtschaft, der Energieversorgung und der Schadensbekämpfung, geregelt werden. Wesentlicher Inhalt der Gesamtdokumentation wird es daher sein müssen, die hierzu zusammen mit den in der Grenzkommission vertretenen Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern erarbeiteten Regelungen uneingeschränkt in Kraft treten zu lassen und für ihre Durchführung geeignete Vorkehrungen zu treffen. Im Zusammenhang hiermit sollten für die künftige Arbeit der Kommission möglichst präzise Bestimmungen getroffen werden.
Schließlich strebt die Bundesregierung, wie schon mehrfach dargelegt, in Übereinstimmung mit der niedersächsischen Landesregierung an, die Elbeproblematik insgesamt auszuklammern. Da die Gespräche mit der DDR noch andauern, möchte ich, Herr Kollege, wegen aller weiteren Einzelheiten auf
die Berichterstattung verweisen, die gerade vor einigen Tagen im zuständigen Ausschuß des Bundestages stattgefunden hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich danke für diese umfassende Unterrichtung und möchte die Zusatzfrage stellen, ob Ost-Berlin mit diesem Paket, das Sie gerade erwähnt haben, dem Ziel näherkommt, den Vereinbarungen die Form eines Grenzvertrages zu geben.
Baum, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Unsere Seite ist ganz und gar nicht der Meinung, daß ein Grenzvertrag geschlossen werden sollte. Das würde dem Auftrag der. Kommission nicht entsprechen, und das haben wir auch der Gegenseite deutlich gemacht.
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre. Äußerung, daß der Grenzkommission eine präzisere Beschreibung ihrer Aufgaben gegeben werden soll, das Abweichen von der bisherigen Grundlage im Protokoll, so daß sozusagen eine neue Rechts- und Arbeitsgrundlage für diese Grenzkommission geschaffen werden soll?
Baum, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das bedeutet dies nicht, es sei denn, Sie würden etwa die Vereinbarung über die Schadensbekämpfung als eine völlig neue Grundlage ansehen.
Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Liegen dem Bundesinnenministerium Anzeichen dafür vor, daß Jugendorganisationen politischer Parteien und anderer Organisationen der Bundesrepublik Deutschland von Agenten und planmäßig eingeschleusten kommunistischen Meinungsträgern unterwandert werden?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn der Herr Kollege damit einverstanden ist, möchte ich gern beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Da Herr Kollege Becher offensichtlich damit einverstanden ist, rufe ich auch seine Frage 39 auf:Wie ordnet der Sicherheitsbericht des Bundesinnenministeriums Jugendorganisationen ein, bei deren Kongressen in Gegenwart offizieller Vertreter kommunistischer Länder und Parteien, ferner in Gegenwart von Delegationen der FDJ und der PLO die „Radikalisierung des Reformismus als notwendiger Prozeß bei der Herausbildung des Klassenbewußtseins" gefordert und mit erhobenen Fäusten gemeinsam die Internationale gesungen wird?Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becher, ich kann nicht bestätigen, daß Jugendorganisationen demokratischer Parteien oder andere derartige Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland von Agenten oder planmäßig eingeschleusten kom-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5929
Parl. Staatssekretär Baummunistischen Meinungsträgern unterwandert werden. Im übrigen hält es die Bundesregierung, wie sie bereits früher, z. B. in ihren Antworten vom 18. August 1976 und vom 18. Juli 1977 auf Kleine Anfragen Ihrer Fraktion, erklärt hat, für verfassungsrechtlich geboten, daß die Organe des Staates die Freiheit und Eigenverantwortlichkeit demokratischer Gruppen respektieren. Die Bundesregierung beabsichtigt daher auch nicht, die Verhaltensweise von Mitgliedern demokratischer Jugendorganisationen, die nicht Gegenstand der Beobachtungen durch die zuständigen Sicherheitsbehörden sind, zum Gegenstand amtlicher Wertungen zu machen oder mit politischen Zensuren zu belegen. Zu der kommunistischen Bündnispolitik und der Verantwortung demokratischer Kräfte, die bereit sind, mit Kommunisten Aktionseinheiten oder Bündnisse einzugehen, hat die Bundesregierung wiederholt — so in den jährlich vorgelegten Verfassungsschutzberichten und in zahlreichen Antworten auf parlamentarische Anfragen — eingehend Stellung genommen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Einrichtungen der FDJ, also der Freien Deutschen Jugend oder anderer Stellen der SED bekannt, aus denen Agitatoren oder Meinungsbildner hervorgingen, die in der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen Jugendorganisationen — Pfadfinder, politische Parteien, Gewerkschaftsjugend — seit Jahren mit dem Ziel angesetzt werden, diese Jugendorganisationen im Sinne der kommunistischen Doktrin zu unterwandern und umzubilden?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist der Sinn Ihrer Frage durchaus klar. Ich habe Ihnen aber eindeutig erklärt, daß ich nicht bestätigen kann, daß die von Ihnen gemeinten Organisationen von Agenten oder planmäßig eingeschleusten kommunistischen Meinungsträgern unterwandert werden, was nicht ausschließt, daß hin und wieder Einzelpersonen dieser Art einen solchen Versuch machen könnten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Gleichklang in der klassenkämpferischen Begründung vieler Parolen und Forderungen, die zuletzt bei den Kongressen der Jusos und der Judos deutlich wurden, nicht etwa darauf zurückzuführen, daß solche Meinungsbildner oder Unterwanderer aus solchen Schulungszentren, die mit Taktik und Ideologie vertraut sind, seit Jahren in die Jusos und die Judos eingeschleust wurden und es auch jetzt noch werden? Dieser Gleichklang fällt ja schließlich auf.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Kausalität möchte ich zurückweisen. Ich möchte auch nicht Ihre Meinung teilen, daß hier ein Gleichklang besteht. Ich gehe jetzt etwas von meiner Antwort ab, in der ich davon Abstand genommen habe, die Verhaltensweisen von Mitgliedern dieser Organisationen zu beurteilen. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Ausgangsbasis der Politik dieser Jugendorganisationen eine ganz andere ist. Hier handelt es sich um demokratische Jugendorganisationen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß auf den jüngsten Kongressen dieser von Ihnen als demokratisch bezeichneten Jugendorganisationen — sicher sind sie auch solche — Vertreter kommunistischer Parteien und Vertreter kommunistischer Bewegungen anwesend waren, die gemeinsam Programme entwickeln, die jedenfalls dem Sinn und dem Inhalt unserer Verfassung widersprechen, und ist es nicht eine Aufgabe der Bundesregierung, zu verhindern, daß diese Entwicklung weiterläuft?
Baum, Parl. Staatssekretär: Die Anwesenheit von Vertretern kommunistischer Organisationen ändert nichts an der Unabhängigkeit der demokratischen Organisationen, um die es hier geht.
Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung angesichts des Umstandes, daß beim letzten Jusokongreß gemeinsam mit erhobenen Fäusten die Internationale gesungen wurde, nicht schon deshalb aufgefordert, hier nach dem Rechten zu schauen, weil sie aus dem Bereich der dort anwesenden Persönlichkeiten Mitglieder in die Staatsregierung berufen hat?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Becher, ich habe Ihnen klar gesagt — und das ist die Meinung der Bundesregierung —, daß es nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein kann, die Verhaltensweise von Mitgliedern demokratischer Jugendorganisationen zum Gegenstand amtlicher Wertungen zu machen. Ich möchte diesem Grundsatz auch treu bleiben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Langguth.
Herr Staatssekretär, wären Sie aber zumindest bereit, zuzuerkennen, daß in der Vergangenheit Agenten aus dem Bereich des Kommunismus planmäßig in die Jugendorganisationen demokratischer Parteien eingeschleust wurden und daß von daher der Schluß gerechtfertigt wäre, daß dieses auch heute noch geschieht?
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5930 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Feststellung vermag ich weder für die Gegenwart noch für die Vergangenheit zu teilen.
Herr Abgeordneter Voigt, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß der gegenseitige Delegationsaustausch, der gegenseitige Besuch von Kongressen und auch gegenseitige Vereinbarungen zur Intensivierung der beiderseitigen Beziehungen, wie sie z. B. jetzt zwischen dem Bundesjugendring und der FDJ beschlossen worden sind, voll im Vollzug und in der Konsequenz auch der Deutschlandpolitik der Bundesregierung liegen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich teile Ihre Meinung. Ich möchte hinzufügen, daß ich erste Kontakte, die zu einem solchen Austausch geführt haben, in meiner Eigenschaft als Bundesvorsitzender der Jungdemokraten in den 60er Jahren selbst geknüpft habe.
Jetzt haben der Herr Abgeordnete Jäger und der Herr Abgeordnete Sieglerschmidt noch zu je einer Zusatzfrage das Wort. Dann gehen wir zur nächsten Frage über.
Herr Staatssekretär, erweckt es nicht die Beunruhigung der Bundesregierung, wenn ein führendes Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herr Schwab, in letzter Zeit in der Öffentlichkeit in aufsehenerregender Weise eine kommunistische Unterwanderung der DGB-Jugend festgestellt hat?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage hat mit der vorliegenden Frage unmittelbar nichts zu tun. In ihr war von einer planmäßigen Unterwanderung durch Agenten und von planmäßig eingeschleusten kommunistischen Meinungsträgern die Rede. Das ist weder bei den genannten Jugendorganisationen noch beim DGB der Fall.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, da hier von eingeschleusten Agenten die Rede war, möchte ich Sie fragen: Habe ich es richtig in Erinnerung, daß in der Vergangenheit Agenten gelegentlich auch in die CDU eingeschleust worden sind?
Baum, Parl. Staatssekretär: Diese Feststellung bedarf keiner Kommentierung, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Trifft es zu, daß das Fluglärmgesetz von 1971 nur in seinem die Baubeschränkungen in den Lärmschutzzonen betreffenden Teilen funktioniert, während die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen nach § 9 vielleicht bei privaten Flugplatzhaltern, nicht aber bei Militärflugplätzen funktioniert, und wenn ja, kann die Bundesregierung dies angesichts der einschneidenden Baubeschränkungen in den Lärmschutzzonen I und II von Flughäfen verantworten?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß das Fluglärmgesetz hinsichtlich der Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen nicht funktioniert. Es liegt in der Natur der Sache, daß Baubeschränkungen unmittelbar mit dem Inkrafttreten der Verordnung über die Festsetzung des jeweiligen Lärmschutzbereiches wirksam werden, Erstattungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen hingegen erst später erfolgen können, da für sie die Durchführung von baulichen Maßnahmen sowie eine Antragstellung und die amtliche Festsetzung des Erstattungsbetrages erforderlich sind und dies gewisse Zeit erfordert.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Zahl der Anträge im Laufe dieses Jahres sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich erheblich zunehmen wird, nachdem im vergangenen Jahr die Erstattungshöchstbeträge von 100 DM auf 130 DM pro Quadratmeter Wohnfläche erhöht worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß man, um eine Wohnung lärmsicher zu machen, pro Quadratmeter Wohnfläche ungefähr 350 bis 400 DM aufwenden muß, so daß eine Erstattung von 130 DM kein Anreiz ist? Ich glaube deswegen nicht, daß die Zahlen in Zukunft wesentlich steigen werden.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das möchte ich nicht ausschließen. Aber die von Ihnen genannten Beträge sind für die gegenwärtige Preissituation sicherlich zu hoch. Ich habe Ihnen Durchschnittswerte genannt. Im Einzelfall können die Beträge höher oder niedriger sein.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Worauf führt es die Bundesregierung zurück, daß nunmehr sieben Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes bzw. drei Jahre nach dem Festsetzen des Lärmschutzbereichs noch immer kein einziger Mitbürger von Gütersloh Geld bekommen hat?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darauf würde ich gern in der Antwort auf Ihre zweite Frage eingehen. Denn ich weiß, daß Ihnen die Gütersloher Verhältnisse besonders am Herzen liegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Friedmann.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5931
Herr Staatssekretär, wie weit sind Ihre Überlegungen gediehen, die Entschädigungsregelungen der Schutzzone I sinngemäß auch auf die Schutzzone II auszudehnen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Wir sind dabei, einen Bericht über das bisherige Funktionieren des Fluglärmgesetzes fertigzustellen. Das hat gewisse Schwierigkeiten gemacht, weil die Materie sehr kompliziert ist. Aber wir gehen davon aus, daß dieser Bericht noch vor der Sommerpause dem Parlament vorgelegt werden wird. Dann werden wir auch über diese Frage eingehend sprechen können.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung den Unterschied, je nachdem ob § 12 Abs. 1 oder 2 des Fluglärmgesetzes zur Anwendung kommt, d. h., daß private Flugplatzhalter beträchtliche Entschädigungszahlungen leisten müssen, wie z. B. beim Flughafen Düsseldorf, während bei Militärflugplätzen der Staat so große bürokratische Hürden aufbaut, daß z. B. beim NATO-Flugplatz Gütersloh immer noch kein einziger Bürger eine Erstattung von Aufwendungen erhalten hat?
Die Beantwortung dieser Frage wird sicher auch die vorhin von Ihnen gestellte Zusatzfrage berücksichtigen. Bitte!
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß von den zuständigen Festsetzungsbehörden bei der Behandlung der Erstattungsanträge ein Unterschied zwischen den Haltern ziviler und militärischer Flugplätze gemacht wird. Nach § 10 des Fluglärmgesetzes entscheidet über Anträge auf Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen die „nach Landesrecht zuständige Behörde". Vor der Entscheidung sind Zahlungsempfänger und Zahlungspflichtiger anzuhören. Dabei unterscheidet das Gesetz nicht zwischen einem Zahlungspflichtigen nach § 12 Abs. 1 und nach § 12 Abs. 2 des Gesetzes. Es ist sonach für das Verfahren irrelevant, ob es sich um den Halter eines Verkehrsflughafens, eines militärischen Flugplatzes der Bundeswehr oder eines Flugplatzes der „auf Grund völkerrechtlicher Verträge der Bundesrepublik Deutschland stationierten Streitkräfte" handelt. Liegt ein Erstattungsantrag vor, hat die zuständige Behörde das Festsetzungsverfahren ohne Verzug durchzuführen.
Im übrigen stellt die Bundesregierung fest, daß sie in den vergangenen Jahren das Erforderliche getan hat, um den berechtigten Staatsbürgern den Aufwendungsersatz im Lärmschutzbereich Gütersloh zuteil werden zu lassen: Sie hat nach Erarbeitung der für alle über 40 Lärmschutzbereiche erforderlichen allgemeinen wissenschaftlichen Grundlagen den Lärmschutzbereich Gütersloh im Juni 1975 festgesetzt und gleichzeitig die für die Erstattung erforderlichen Haushaltsmittel bereitgestellt. Darüber hinaus hat sie nicht nur selbst an Ort und Stelle die örtlichen Behörden und die Bürger über Einzelheiten eingehend informiert, sondern auch wiederholt die für den Vollzug des Gesetzes zuständigen Landesbehörden darauf aufmerksam gemacht, daß auch sie die Bürger über ihr Antragsrecht informieren sollten.
Um jetzt noch auf Ihre Zusatzfrage einzugehen: Mir ist nicht bekannt, Herr Kollege, daß Anträge verzögerlich behandelt worden sind. Sollten Sie mir Beispiele für derartige Fälle nennen können, die von den Landesbehörden verzögerlich behandelt worden sind, werde ich dem gerne nachgehen.
Herr Kollege, Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage.
Zwei, wenn ich es richtig sehe.
Herr Kollege, die eine Frage gehörte zur Frage 43, die war bei der Frage 42 nicht zulässig.
Bitte, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Dann will ich mich auf die wichtigste Frage beschränken und Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob die Bundesregierung — da in meinen Augen Indizien für ein Funktionieren des Fluglärmgesetzes kaum zu finden sind — nicht besser gleich eine Novelle dieses Gesetzes ins Auge fassen sollte, die sehr viel einfacher in der Weise funktionieren könnte, daß man z. B. beim Einheitswert einen Abschlag machte, da der Schaden doch jedermann gleich trifft, egal, ob Lärmschutzmaßnahmen vorgenommen werden oder nicht?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir gehen davon aus, daß das Gesetz funktioniert. Ob im einzelnen noch Novellierungen notwendig sind, werden wir nach Vorlage des Fluglärmberichts wissen.
Daß die Sache im Bereich Gütersloh nicht so funktioniert, liegt daran — so bin ich informiert —, Herr Kollege, daß von den Bürgern nicht die erforderlichen Anträge gestellt worden sind. Ohne Anträge können auch keine Entschädigungen gezahlt werden.
Herr Kollege Nordlohne.
Ich kann nur hoffen, daß die heutige Fragestunde in den lokalen Zeitungen erwähnt wird und das dazu führt, daß die erforderlichen Anträge gestellt werden. — Bitte.
Herr Staatssekretär, da nun zum wiederholten Male in der Fragestunde des Deutschen Bundestages auch unter örtlicher Bezogenheit die Fragen der Anwendung des Fluglärmgesetzes eine Rolle spielten, darf ich Sie fragen, wieweit seitens der Bundesregierung die Bereitschaft besteht, die hier bisher zur Sprache gekommenen besonderen Projekte — ich selber habe auch einige genannt — einmal an Ort und Stelle hinsichtlich der Durchführung dieses Fluglärmgesetzes und der dazu ergangenen Verordnung zu untersuchen.Baum, Parl. Staatssekretär: Was den Fall Gütersloh angeht, Herr Kollege, über den wir hier sprechen, waren Beamte des Bundesinnenministeriums wiederholt an Ort und Stelle und haben sich über
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5932 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Parl. Staatssekretär Baumdie Verhältnisse — auch in Diskussionen mit den Bürgern — orientiert.
Meine
Damen und Herren, ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Langguth auf:
Trifft es nach dem Wissensstand der Bundesregierung zu, daß — wie in der Presse gemeldet — „Säuberungen" innerhalb der Deutschen Kommunistischen Partei vorgenommen wurden, und wenn ja, in welchem Umfang und wo fanden diese „Säuberungen" statt?
Herr Staatssekretär, eventuell könnten die beiden Fragen im Zusammenhang beantwortet werden? Sie wären einverstanden? —
— Ja, Sie haben vier Zusatzfragen.
Dann rufe ich auch die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Langguth auf:
Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse darüber, ob wegen angeblicher Sympathien der ausgeschlossenen Mitglieder der DKP mit den Thesen des sogenannten „Eurokommunismus" die Parteiführung der KPdSU Druck auf die DKP ausübte?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Langguth, eine in Pressemeldungen auch als „Säuberungswelle" bezeichnete größere Anzahl von Parteiausschlüssen kann ich nicht bestätigen. Zumindest bei einigen, die der DKP in der Bundesrepublik nahestehen, waren in jüngster Zeit Ansätze einer Diskussion, wie die Vorstellungen des sogenannten Eurokommunismus auch für die DKP nutzbar gemacht werden könnten, vereinzelt zu beobachten. Eurokommunistische Ideen wurden beispielsweise in den Zeitschriften „Beiträge zum Wissenschaftlichen Sozialismus" und „Das Argument" propagiert.
Jedoch ist sowohl ausdrücklichen Erklärungen der DKP-Parteiführung als auch dem gesamten Verhalten der Parteigliederung zu entnehmen, daß die DKP wohl in weitgehender Geschlossenheit eurokommunistischen Ideen nach wie vor äußerst ablehnend gegenübersteht.
Dementsprechend betont die DKP z. B. in ihrem erst Ende November letzten Jahres vorgelegten Programmentwurf in unmißverständlicher und nachdrücklicher Weise ihr Bekenntnis zum „Proletarischen Internationalismus" und zur „internationalistischen Solidarität" und, unter ausdrücklicher Anerkennung der führenden Rolle der KPdSU und der Sowjetunion, zur „Einheit und Geschlossenheit der , kommunistischen Weltbewegung". Der Programmentwurf enthält eine entscheidende Absage an alle „Angriffe auf die bewährten Grundsätze der internationalistischen Zusammenarbeit der Arbeiterklassen und ihre Parteien".
Vor dem Hintergrund dieser besonderen Ergebenheit der DKP gegenüber der KPdSU erscheint es unwahrscheinlich, Herr Kollege, daß es des Drucks seitens der KPdSU auf die DKP bedürfte, damit die DKP gegen Mitglieder vorgeht, die ideologische Unabhängigkeitsvorstellungen nach eurokommunistischem Muster verfolgen und damit eklatant von der offiziellen Parteilinie abweichen.
Bitte,
Herr Kollege, zur ersten Zusatzfrage.
Selbst wenn diese doch sehr detaillierten Zeitungsmeldungen von Ihnen nicht bestätigt werden können, stelle ich die generelle Frage, ob der Bundesregierung Fälle bekannt sind, daß innerhalb der DKP, aber auch der SEW, des MSB Spartakus, der SDAJ, der Jungen Pioniere oder der Berliner sogenannten „ADS"en Ausschlußverfahren gegen einzelne Mitglieder der DKP aus politischen Gründen eingeleitet wurden, z. B. im Falle der Ausbürgerung des Herrn Biermann?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte nicht ausschließen, daß .es Einzelfälle gibt. Aber eine Säuberungswelle mit einer größeren Anzahl von Parteiausschlüssen kann ich nicht bestätigen.
Die
nächste Zusatzfrage.
Gibt es denn, wenn Sie keine Säuberungswelle bestätigen können, zumindest eine Art Austrittswelle einzelner oder verschiedener Leute aus Protest gegen die Gesamtlinie der DKP?
Baum, Parl. Staatssekretär: Auch eine Austrittswelle, Herr Kollege, kann ich nicht bestätigen.
Eine
weitere Zusatzfrage.
Welche Vorkehrungen hat die DKP nach Kenntnisstand der Bundesregierung getroffen, um ihrer ideologischen Aufweichung bezüglich ihres dogmatisch-kommunistischen Kurses durch eurokommunistische Thesen zu begegnen, und welche speziellen Reaktionen waren innerhalb der DKP auf die Thesen eines Eurokommunismus festzustellen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, gerade das war der Inhalt meiner doch sehr ausführlichen Antwort, in der ich Ihnen dargelegt habe, welche programmatischen Vorkehrungen die DKP Ende des vergangenen Jahres gegen solche möglichen Tendenzen getroffen hat.
Eine letzte Zusatzfrage.
Gibt es spezielle Arbeitskreise oder Arbeitsgruppen innerhalb der DKP, in denen nicht nur über Thesen des Eurokommunismus diskutiert wurde, sondern in denen auch eine bestimmte Form der Sympathie für die Thesen des Eurokommunismus erkennbar war, z. B. im „Arbeitskreis westeuropäischer Arbeiterbewegungen"?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5933
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich nicht ausschließen. Das von Ihnen genannte Beispiel werde ich gern zum Anlaß nehmen, Ihnen eine noch-präzisere Antwort zu geben.
Die Fragen 47 und 48 des Abgeordneten Josten rufe ich gemeinsam auf, da sie, soweit ich es sehen kann, in einer gewissen Verbindung miteinander stehen:
In welcher Weise unterstützt die Bundesregierung die Öffentlichkeitsarbeit, die von der Deutschen Umwelt-Aktion geleistet wird?
Wieweit trägt die Bundesregierung dazu bei, daß die Jugend
im Bundesgebiet durch die Deutsche Umwelt-Aktion zu einem
größeren Verständnis unserer Umweltprobleme erzogen wird?
Baum, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung betrachtet die Aufklärungsarbeit der Deutschen Umwelt-Aktion im Bereich der Schulen und in der Erwachsenenbildung als wichtigen Beitrag zur Stärkung des Umweltbewußtseins. Deshalb unterstützt sie die Deutsche Umwelt-Aktion im Rahmen der Kompetenzen und der finanziellen Möglichkeiten des Bundes. So hat die Bundesregierung auch im vergangenen Jahr die Deutsche Umwelt-Aktion projektbezogen gefördert. Als Beispiele seien die Herausgabe eines Informationsdienstes für Pädagogen, die Beschaffung von Filmkopien, die Durchführung von Mitarbeiterseminaren und der Einsatz von Zivildienstleistenden im Umweltschutz genannt.
Die Bundesregierung beabsichtigt, diese Förderung fortzusetzen. Die Förderungsschwerpunkte werden dabei im weiteren Ausbau der Umweltaufklärung im Bereich der Erwachsenenbildung liegen.
Die Bundesregierung gewährt der Deutschen Umwelt-Aktion im wesentlichen Hilfen auf zwei Gebieten. Zum einen versorgt die Bundesregierung die Deutsche Umwelt-Aktion mit Unterrichts- und Aufklärungsmaterial. Zum anderen entsendet sie Referenten zu den Mitarbeiterseminaren der Aktion mit der Absicht, die umweltpolitischen Zielsetzungen zu verdeutlichen und fachliche Beiträge zur Verbesserung des Informations- und Wissenstandes der Mitarbeiter zu liefern.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Meinung, daß die finanzielle Unterstützung seitens des Bundes im Hinblick auf die sehr große Bedeutung der Deutschen Umwelt-Aktion ungenügend ist?
Baum, Parl. Staatssekretär: Das kann ich nicht bestätigen, Herr Kollege. Allerdings gibt es Grenzen der Unterstützung, die durch das Parlament hier festgelegt worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir schriftlich mitzuteilen, welche finanzielle und materielle Unterstützung die Deutsche
Umwelt-Aktion in den letzten fünf Jahren erhalten hat?
Baum, Parl. Staatssekretär: Dazu bin ich sehr gern bereit.
Noch
eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie erwähnten vorhin die Schulen. Ist Ihnen bekannt, daß durch Ministerialerlasse in den Ländern Filmvorträge und Diskussionen über Umweltschutz durch finanzielle Beiträge der Jugendlichen ermöglicht werden?
Baum, Parl. Staatssekretär: Das ist mir bekannt, Herr Kollege. Ein Schwerpunkt der Tätigkeit der Umwelt-Aktion liegt bekanntlich in den Schulen. Hier findet eine Mitfinanzierung durch diejenigen statt, die in den Genuß der Aufklärungsarbeit kommen.
Jetzt
noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Meinung, daß, um die Zahl derjenigen, die in den Genuß dieser Arbeit kommen, zu vergrößern, die finanzielle Unterstützung des Bundes bzw. auch der Länder erweitert werden könnte und daß die Bundesregierung in Verbindung mit den Ländern diese notwendige Aufklärungsarbeit noch breiter und größer anlegen müßte?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe immer Sympathie, wenn für eine Verstärkung der Aufklärung auf dem Gebiete des Umweltschutzes geworben wird. Aber dem sind ja bekanntlich Grenzen gesetzt. Ich empfehle Ihnen, den Bundeshaushalt und den Titel, der dafür zur Verfügung steht, mal genau zu studieren. Er könnte sicherlich noch etwas angehoben werden. Aber dazu ist es bisher nicht gekommen.
Ich rufedie nächste Frage — des Herrn Abgeordneten Hauser — auf. Herr Staatssekretär und Herr Fragesteller, die Fragen stehen wohl in einer gewissen Verbindung, oder wird gesonderte Beantwortung gewünscht?
— Gesonderte Beantwortung, bitte. Ich rufe die Frage 49 auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in zunehmender Zahl Angehörige aus dem öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder sowie der Kommunen gemeinsam mit der DKP in Solidaritätserklärungen das Fernhalten von Verfassungsfeinden vom öffentlichen Dienst als „Berufsverbotsmaßnahmen" diffamieren und diese mit Verfassung und Beamtengesetz übereinstimmende Einstellungspraxis für den öffentlichen Dienst als „Verfassungsbruch" qualifizieren?Bitte, Herr Staatssekretär.
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5934 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Baum, Parl. Staatssekretär: Für die von Ihnen behauptete Entwicklung, Herr Kollege, liegen der Bundesregierung keine Anhaltspunkte vor. Allerdings ist festzustellen, daß in letzter Zeit Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen Gegenstand heftiger öffentlicher Kritik gewesen sind, an der sich möglicherweise auch Angehörige des öffentlichen Dienstes beteiligt haben. Zu unterscheiden ist hierbei jedoch zwischen denen, die in der Tat im Sinne Ihrer Frage das Fernhalten von Verfassungsfeinden vom öffentlichen Dienst diffamieren, und denjenigen, die sich kritisch mit Einzelfallentscheidungen und den hierbei vorgenommenen Wertungen bestimmter Verwaltensweisen auseinandersetzen.Die öffentliche Erklärung eines Beamten zur Einstellungspraxis stellt grundsätzlich dann eine Verletzung seiner Pflichten dar, wenn aus ihr nicht nur Kritik, sondern eine Solidarisierung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen erkennbar ist. Ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen bei schuldhaftem Verhalten des Beamten in Betracht kommen, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden.Die Bundesregierung hat im übrigen schon wiederholt — insbesondere auch bei der Beantwortung mündlicher und schriftlicher Fragen hier in diesem Hause — ihre eindeutige Position zum Fragenkomplex der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst dargelegt, wie das im übrigen ja auch dieses Parlament in einer Entschließung getan hat.
Zusatzfrage.
Hauser (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung unbekannt geblieben, daß in einem im Januar dieses Jahres in hoher Auflage in Bonn verteilten Aufruf der „Bonner Bürgerinitiative gegen Berufsverbote", in der zu einer Solidaritätsveranstaltung am 27. Januar eingeladen wurde, von den etwas über 100 Unterzeichnern über ein Drittel nach den Berufsbezeichnungen Bedienstete des öffentlichen Dienstes sowohl des Bundes als auch der Länder waren?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin hier nicht auf Einzelaktionen des Protestes eingegangen. Ich habe von dieser Aktion gelesen. Aber ich kann sie nicht bewerten, da mir gegenwärtig diese Einzelaktion nicht genau vor Augen liegt. Ich möchte noch einmal sagen: es gibt diese Unterschiede, die zu machen sind. Es ist selbstverständlich Kritik erlaubt in diesem Lande — auch an Verwaltungsentscheidungen und Gerichtsentscheidungen —, eine Solidarisierung mit Verfassungsfeinden ist aber nicht erlaubt. Das habe ich klar und deutlich ausgeführt.
Sie ha-
ben eine weitere Zusatzfrage.
Hauser (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, würden Sie die in diesem Aufruf enthaltene Behauptung „6 Jahre Berufsverbote, das bedeutet 6 Jahre Verfassungsbruch", wenn sie von
Beamten des Bundes unterzeichnet ist, als Grund für eine disziplinarische Untersuchung ansehen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hier müßte man in die Einzelheiten des Disziplinarrechts einsteigen. Ich möchte Ihnen aber ganz klar und deutlich sagen, daß das Wort „Berufsverbot" in diesem Zusammenhang fehl am Platze ist. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht dargelegt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Herr Staatsminister, Sie haben eben schon gesagt, daß es das Recht von Bürgern ist, bestimmte Maßnahmen und auch Gerichtsentscheidungen zu kritisieren. Halten Sie es für ausgeschlossen, daß es — unabhängig davon, ob Sie sich diese Wertung zu eigen machen auch in bestimmten Fällen von demokratisch engagierten Gruppen und Einzelpersonen für ihre demokratische Pflicht gehalten wird, gegen bestimmte Auslegungen und Anwendungen der Vorschriften für die Fernhaltung von Radikalen im öffentlichen Dienst zu protestieren?
Baum, Parl. Staatssekretär: Das halte ich durchaus für möglich. Denn es gibt Fälle, die in der Öffentlichkeit, wie ich meine, zu Recht sehr umstritten sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, können Sie den jetzt schon mehrmals von Ihnen gebrauchten Ausdruck „Solidarisierung mit Verfassungsfeinden" etwas näher definieren? Was versteht die Bundesregierung darunter?
Baum, Parl. Staatssekretär: Ich habe diesen Begriff gebraucht, Herr Kollege, weil Herr Kollege Hauser ihn gebraucht hat. Ich bin damit auf seine Frage eingegangen. Ich habe hier klar und deutlich gesagt: Die öffentliche Erklärung eines Beamten zur Einstellungspraxis stellt grundsätzlich dann eine Verletzung seiner Pflichten dar, wenn aus ihr nicht nur Kritik, sondern eine Solidarisierung mit den verfassungsfeindlichen Bestrebungen erkennbar ist, d. h., wenn derjenige, der hier gemeint ist, eindeutig verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt oder billigt.
Eine
weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß der Gebrauch des von Ihnen selbst und auch vom Bundesverfassungsgericht ausreichend qualifizierten Begriffs des Berufsverbotes in einem solchen Zusammenhang bereits ein schwerwiegendes Indiz dafür darstellt, daß nicht sachliche Kritik, sondern eben Diffamierung beabsichtigt wird?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5935
Herr Kollege Jäger, wir sind jetzt an der Grenze der Frage. Ich will es aber Ihnen überlassen, Herr Staatssekretär, ob Sie antworten wollen.
Baum, Parl. Staatssekretär: Ich will nur sagen, Herr Kollege, es wird in vielen Fällen so sein, wie Sie sagen. Das ist aber sicher nicht in allen Fällen der Fall. Der Begriff hat sich leider eingebürgert und wird auch von denen benutzt, die nicht mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen identifiziert werden können.
Ich rufe
Frage 50 des Abgeordneten Hauser auf:
Ist die Bundesregierung angesichts dieser Entwicklung der Meinung, daß alle gebotenen Möglichkeiten genutzt worden sind, um den Bediensteten die verfassungs- und beamtenrechtlichen Voraussetzungen des öffentlichen Dienstes in zureichender Weise zu erläutern, und welche rechtlichen Schritte wird sie gegen die Bediensteten des Bundes einleiten, die die Nichteinstellung von Verfassungsfeinden in den öffentlichen Dienst öffentlich als „Verfassungsbruch" bezeichnen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hauser, die Bundesregierung hat keinen Anlaß, anzunehmen, daß die Angehörigen des öffentlichen Dienstes nicht in ausreichender Weise über die von ihnen geforderte Verfassungstreue unterrichtet werden. Ob und welche Schritte zu ergreifen sind, wenn Äußerungen der von Ihnen genannten Art gemacht werden, kann in der Regel nur von den im Einzelfall zuständigen Dienstvorgesetzten und nur auf Grund einer eingehenden Würdigung des Sachverhalts, der in jedem Einzelfall festzustellen wäre, entschieden werden. Gerade auf diese Einzelfallprüfung hat das Verfassungsgericht nachdrücklich hingewiesen.
Zusatz-
frage.
Hauser (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär da Sie offenbar über den von mir zur ersten Frage bereits zitierten Aufruf der Bonner Bürgerinitiative gegen Berufsverbote nicht hinreichend informiert sind, frage ich: Sind Sie bereit, wenn ich Ihnen dieses Material zuleite, mir das Ergebnis einer Prüfung der von Ihnen eben beschriebenen Art mitzuteilen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gerne bereit, Ihnen meine Meinung zu diesem Aufruf im einzelnen mitzuteilen. Das ändert aber nichts daran, daß ich der Meinung bin, daß in diesem Lande so eingehende Diskussionen über dieses Thema geführt worden sind, daß die Bundesregierung keinen Anlaß hat, weitere Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen. Im übrigen wird die Bundesregierung sich nicht über disziplinarrechtliche Konsequenzen in Einzelfällen äußern können. Das kann nur Gegenstand von Disziplinarverfahren sein. Die Zuständigkeit für Disziplinarverfahren ist klar geregelt.
Ich rufe
Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Bis wann ist mit einer Straffung des Asylgewährungsverfahrens angesichts der Tatsache zu rechnen, daß lediglich zwei bis fünf Prozent der Bewerber aus politischen Motiven Asyl begehren, während die restlichen 95 bis 98 Prozent erst nach einem langwierigen, durchschnittlich fünf bis sieben Jahre dauernden und Sozialhilfe verschlingenden Verfahrensweg abgewiesen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Friedmann, der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat sich am 18. Januar 1978 erneut mit dem Problem der Beschleunigung der Asylverfahren befaßt. Der Bitte des Innenausschusses entsprechend wird zur Zeit eine kommentierte Auflistung der denkbaren Möglichkeiten für eine Verfahrensbeschleunigung erstellt. Mit der Vorlage dieser Auflistung an den Innenausschuß wird sich die Bundesregierung auch zu der Frage äußern, welche gesetzlichen Maßnahmen sie für sachgerecht hält und wann mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs zu rechnen ist. Die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommende Besorgnis wird von der Bundesregierung geteilt.
Zusatz-
frage.
Herr Staatssekretär, darf ich im Zusammenhang mit der Verkürzung solcher Verfahren auch noch auf folgende Frage eingehen: Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, ob und inwieweit Asylsuchende von Rechtsberatern, die ihr eigenes Geschäft suchen, in den Instanzenweg geschleust werden, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung gegebenenfalls, solche Praktiken zu unterbinden?
Baum, Parl. Staatssekretär: Darüber liegen Informationen vor, Herr Kollege, insbesondere im Zusammenhang mit eingeschleusten pakistanischen Staatsbürgern. Hier sind zusammen mit dem Land Berlin bereits Schritte unternommen worden.
Sie ha-
ben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß das Land Baden-Württemberg mit einer Aufnahmequote von meines Wissens 16,9 % bei der Unterbringung von Asylsuchenden relativ stark herangezogen wird, und sehen Sie die Möglichkeit, hier stärker für einen Ausgleich zwischen den Ländern einzutreten?
Herr Kollege, ich muß Ihnen sagen, die Frage steht nicht in dem gebotenen unmittelbaren Zusammenhang mit der von Ihnen eingereichten Frage. Ich gebe Ihnen aber die Möglichkeit, eine andere Frage zu stellen.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, die Schärfe aus dem ganzen Verfahren dadurch herauszunehmen, daß für eine gleichmäßige Unterbringung gesorgt wird?
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5936 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Baum, Parl. Staatssekretär: Sie meinen eine gleichmäßige Unterbringung in den Bundesländern?
Herr Kollege, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß auch durch die Straffung Ihre Zusatzfrage nicht ganz in Einklang mit den betreffenden Bestimmungen über die Zusatzfragen zu bringen ist.
Ich gebe aber dem Herrn Kollegen Gerster noch eine Möglichkeit. Bitte!
Herr Staatssekretär, wären Sie so freundlich, genau und konkret zu sagen, welche Maßnahmen in der Frage der Asylgewährung für Pakistani ergriffen worden sind und welche Konsequenzen bzw. Wirkungen diese Maßnahmen gezeitigt haben?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich hatte schon vor einiger Zeit Gelegenheit, dies hier ausführlich darzulegen. Das ist auch im Innenausschuß geschehen. Die Bundesregierung hat verschiedene Alternativen vorgelegt, z. B. Verkürzung des Verwaltungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen, Verkürzung des Rechtsweges unter bestimmten Voraussetzungen. Diese Maßnahmen werden jetzt vom Innenausschuß diskutiert und, wie ich hoffe, möglichst bald ihren Niederschlag in einem Gesetz finden. Im übrigen haben wir auch an Ort und Stelle, also in Pakistan, Bemühungen eingeleitet, damit das Werben unter falschen Versprechungen eingestellt wird.
Herr Kollege, Sie wollen einen dritten Versuch, wie man beim Examen sagt, machen?
Herr Staatssekretär, sehen Sie die Möglichkeit, das Asylverfahren auch dadurch 'abzukürzen, daß die Zahl der Gerichte, die entscheiden, wesentlich erhöht wird?
Baum, Parl. Staatssekretär: Das ist eine der möglichen Alternativen, die diskutiert werden, Herr Kollege. Es hätte natürlich auch einen Nachteil, wenn jetzt plötzlich Gerichte mit einer Materie konfrontiert würden, die für sie fremd ist, was — zunächst jedenfalls — wiederum zu einer Verzögerung führen könnte. Wir sind dabei, das Für und Wider abzuwägen. Eine weitere Möglichkeit wäre, das zuständige Gericht mit zusätzlichem Personal auszustatten.
Herr
Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Der Herr Abgeordnete Milz hat hier zwei Fragen — die Fragen 95 und 96 — eingebracht, die auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der eingereichten Fragen steht Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brücher zur Verfügung.
Die Frage 46 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Hupka eingebracht worden:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, daß den Deutschen, die bei Eintreffen in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht aus der polnischen Staatsangehörigkeit entlassen worden sind, die Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit ermöglicht wird, nachdem das Deutsche Rote Kreuz in einer Verlautbarung bekanntgeben mußte, „Anträge auf Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit sind zeitaufwendig und wurden bisher in der Regel ablehnend beschieden"?
Frau Staatsminister.
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich betonen, daß sich die von Ihnen angeführte Aussage des Deutschen Roten Kreuzes, die offenbar einem Merkblatt zur Familienzusammenführung aus Polen entnommen ist, ausschließlich auf solche Personen bezieht, die aus polnischer Sicht „illegal" in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist sind. Die von Ihnen angeführte Passage des Deutschen Roten Kreuzes ist unvollständig wiedergegeben. Korrekt lautet sie vielmehr: „Anträge auf Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit" — dann kommt die Passage, die Sie ausgelassen haben, Herr Kollege — „zwecks nachträglicher Legalisierung der Ausreise — sind zeitaufwendig und wurden bisher in der Regel ablehnend beschieden."
Dieses Merkblatt des DRK bezweckt, Personen, die sich im Rahmen einer Besuchsreise in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, darüber zu informieren, welche Schwierigkeiten bei einem Verbleiben in der Bundesrepublik Deutschland ohne polnische Ausreisegenehmigung möglicherweise auftreten können. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten ist die Bundesregierung selbstverständlich darum bemüht, Schwierigkeiten, die sich solchen Personen, die also ohne polnische Genehmigung in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt sind, entgegenstellen, im konkreten Fall zu überwinden und zu mildern.
Außer diesem beschriebenen Personenkreis, Herr Kollege, gibt es noch einen weiteren, relativ kleinen Kreis von Personen, die im Rahmen des regulären Ausreiseverfahrens ohne Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln. Bei diesen Personen sind dem Auswärtigen Amt keine Klagen über grundsätzliche Schwierigkeiten beim Verfahren der Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit bekanntgeworden.
Zusatzfrage.
Zunächst eine Bemerkung. Offenbar haben wir, Frau Staatsminister — —
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
- 5937
Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich auf eine konkrete Zusatzfrage beschränkten.
Ich muß bei meiner Frage davon ausgehen, daß uns unterschiedliche Papiere vorliegen. Ich habe aus einem Papier des Deutschen Roten Kreuzes wörtlich so zitiert, wie es in der Frage steht.
Und nun die Frage. Sie sprachen von einer relativ geringen Zahl. Können Sie uns Auskunft darüber erteilen, wie groß die Zahl derer ist, die ohne eine Entlassung aus der polnischen Staatsangehörigkeit zu uns kommen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, um Ihnen hier keine unvollständige Antwort zu geben, reiche ich das vielleicht schriftlich nach. Uns ist nur bekannt, daß die Zahl der Aussiedler, die ohne Ausreisegenehmigung eingetroffen sind, sich im Jahresdurchschnitt zwischen etwa 4 500 und 4 800 bewegt. Ich habe das jetzt schnell nur subtrahiert.
Frau Staatsminister, ich schlage vor, daß Sie dem Herrn Abgeordneten gegebenenfalls die Zusatzfrage schriftlich ergänzend beantworten. Herr Abgeordneter, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, besteht für die Bundesregierung die Möglichkeit, auch angesichts der Erklärung des Deutschen Roten Kreuzes auf Grund Ihrer Erfahrungen in Verhandlungen mit der polnischen Regierung zu erreichen, daß zumindest alle in Friedland registrierten Aussiedler aus der polnischen Staatsangehörigkeit entlassen werden, damit die hier angedeuteten Schwierigkeiten nicht entstehen können?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, ich möchte wiederholen: Es gibt einen kleinen Teil von Aussiedlern — es sind, ich weiß es jetzt nicht genau, vielleicht nicht einmal 10 % —, die „legal" aussiedeln, aber noch nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen sind. Für sie ergeben sich nach unseren Informationen keine Schwierigkeiten. Schwierigkeiten gibt es bei den anderen, die etwa nach einem Besuch nicht zurückkehren. Auch um deren Entlassung aus der polnischen Staatsbürgerschaft bemüht sich unsere Botschaft. nachdrücklich. Aber in diesen Fällen steht die polnische Regierung auf dem Standpunkt, hier handle es sich um eine innerstaatliche polnische Angelegenheit, auf die ausländische Staaten keinen Einfluß nehmen könnten.
Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Wie ist der Stand der Verhandlungen in bezug auf Erleichterungen im Reiseverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der CSSR, insbesondere auch was das Einvernehmen über den Ausbau grenzüberschreitender Straßen bei Waidhaus und Schirnding sowie die dringend erwünschte Wiedereröffnung des Grenzübergangs bei W a 1 d s a s s e n anlangt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Kunz, der Reiseverkehr mit der CSSR zeigt eine zunehmende Tendenz in beiden Richtungen und verläuft insgesamt reibungslos. Die Bundesregierung bemüht sich, weitere Erleichterungen im gegenseitigen Reiseverkehr im Sinn der KSZE-Schlußakte zu erwirken. Sie verfolgt dieses Anliegen in laufenden Kontakten mit der CSSR-Seite, insbesondere im Rahmen der periodischen Konsultationen.
Zweitens. Der zunehmende Reise- und Güterverkehr auf der Straße erfordert nach unserer Auffassung den Ausbau bestehender und die Öffnung weiterer Grenzübergänge von der Bundesrepublik Deutschland in die CSSR. Wir haben ein besonderes Interesse daran — abgesehen von den fünf zur Zeit geöffneten Übergängen Schirnding, Waidhaus, Furth im Wald, Bayerisch Eisenstein und Philippsreut —, die Übergänge bei Schirnding und Waidhaus zu verbessern und vordringlich die Verbindung Waldsassen–Eger über Hundsbach zwischen TirschenreuthTachov über Bärnau neu zu eröffnen.
Zu formellen Verhandlungen über den Ausbau und die Eröffnung von Grenzübergängen hat die CSSR seit 1968 noch keine Bereitschaft gezeigt. Es wurden jedoch wiederholt Gespräche geführt, in denen wir der CSSR unsere Wünsche vorgetragen haben. Die tschechoslowakische Seite hat bislang lediglich ihre Bereitschaft erklärt, sich zu bemühen, die bestehenden Straßenübergänge weiter auszubauen, um die vorhandenen Durchsatzkapazitäten zu erhöhen.
Ich kann ergänzen, Herr Kollege Dr. Kunz, daß bei den Gesprächen, die gerade gestern und heute anläßlich des Besuchs des tschechoslowakischen Außenministers geführt wurden, die andere Seite mitgeteilt hat, daß die besonders stark belasteten Straßenverbindungen Cham–Pilsen über Furth im Wald durch Fertigstellung der Erweiterungsarbeiten auf tschechoslowakischer Seite verbessert wurden und daß entsprechende Arbeiten auf der Strecke Nürnberg–Pilsen beim Übergang Waidhaus im Gang sind. Zur Öffnung weiterer Straßenübergänge hat die CSSR, weil die zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen, noch keine Bereitschaft gezeigt. Die Bundesregierung wird aber ihre Bemühungen um den Ausbau der bestehenden und die Öffnung weiterer Grenzübergänge fortsetzen. Dieses Ziel entspricht sowohl dem beiderseitigen Interesse an einer Verbesserung des Reiseverkehrs als auch den Prinzipien der KSZE-Schlußakte.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, können Sie vielleicht noch Ergänzendes sagen über das Ergebnis der Bemühungen um eine Verbesserung in den Punkten Visagebühren, Mindestumtausch und Beantragung von Tagesvisen für die Tschechoslowakei?
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5938 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Kunz, diese Frage steht meiner Ansicht nach nicht im Zusammenhang mit der von Ihnen eingereichten Frage.
Mit „Erleichterungen im Reiseverkehr" hat das wohl nichts zu tun. Ich bitte Sie, mir die Frage nachzureichen. Dann werden Sie eine präzise Antwort erhalten.
Frau Staatsminister wird das schriftlich beantworten. — Bitte.
Frau Staatsminister, hat sich die Bundesregierung schon damit befaßt — bzw. ist sie bereit, das zu tun —, die Wiedereröffnung der Bahnstrecke Wiesau—WaldsassenEger zu erreichen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Kunz, auch darum werden wir uns bemühen. Da im Frühsommer wahrscheinlich der Besuch des tschechoslowakischen Staatspräsidenten bevorsteht, werden alle diese Wünsche in die Gesprächsliste aufgenommen werden.
Ich rufe nunmehr die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Luster auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung beabsichtigt, der Bel. grader Folgekonferenz zur KSZE vorzuschlagen, ein von allen europäischen Staaten getragenes Krebsforschungszentrum in Berlin einzurichten, und worauf stützt sich die Ansicht des Staatsministers Wischnewski, daß ein solcher Vorschlag gute Chancen habe?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, ich darf fragen, ob ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Luster zusammen beantworten kann.
Der Kollege ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Luster auf:
Handelt es sich bei dem von Staatsminister Wischnewski der Öffentlichkeit mitgeteilten Vorhaben um ein mit verbündeten oder anderen befreundeten Staaten bereits abgestimmtes Projekt oder lediglich um eine Absichtserklärung, die dann zwar geeignet wäre, verfrühte Hoffnungen hinsichtlich der Schaffung einer internationalen Forschungseinrichtung mit Sitz in Berlin zu wecken, über deren Verbindlichkeit für die Bundesregierung und deren Realisierungschance durch Unterstützung anderer Regierungen jedoch noch keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen?
Bitte, Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, zur ersten Frage: Herr Staatsminister Wischnewski hat auf dem Parteitag der SPD in Hamburg im November 1977 angeregt zu überlegen, wie der KSZE-Prozeß auch in Zukunft im Interesse aller Menschen in Europa genutzt werden könnte. Ich zitiere aus dem unkorrigierten Protokoll des Parteitags, was Staatsminister Wischnewski gesagt hat, weil das die Sache vielleicht erleichtert:
Ich möchte dem Parteitag vorschlagen, zu überlegen, wie wir in die KSZE-Verhandlungen Dinge einbringen, die für alle Menschen in Europa von großem Interesse sind. Es wäre z. B. ein positiver Vorschlag von seiten der Sozialdemokratie, daß die 35 europäischen Länder vereinbaren sollten, ein gemeinsames Krebsforschungszentrum für ganz Europa zu schaffen, das seinen Standort in Berlin haben könnte und das dort einen hervorragenden Dienst leisten könnte.
Staatsminister Wischnewski hat also, Herr Kollege, kein Vorhaben der Bundesregierung angekündigt. Eine entsprechende Anregung ist demgemäß auf dem KSZE-Folgetreffen in Belgrad, das sich ja nun in seiner Schlußphase befindet, nicht eingebracht worden.
Zur Frage 99: Da es sich, wie zur Frage 98 ausgeführt, um eine persönliche Anregung auf einem Parteitag und nicht um eine Absichtserklärung der Bundesregierung handelt, ist die Beantwortung dieser Frage gegenstandslos.
Erste Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, will die Bundesregierung erklären, daß der Artikel in der Berliner Zeitung „Der Abend" unter der Überschrift „Milliardenprojekt für die Forschung — -Europas Krebszentrum soll nach West-Berlin" und mit den fettgedruckten Eingangsworten „Bei der Suche nach neuen Aufgaben für Berlin plant die Bundesregierung jetzt den Ausbau eines europäischen Krebsforschungszentrums an der Spree" — ich beschränke mich auf dieses Zitat — unrichtig war, und hat die Bundesregierung angesichts der Wichtigkeit dieser Mitteilung und des Umstandes, daß sie die Richtigkeit dieser Mitteilung offenbar nicht bestätigen kann, Schritte eingeleitet, um eine Berichtigung dieser Nachricht in der angegebenen Zeitung vornehmen zu lassen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, Sie werden mit mir übereinstimmen, daß wir für Presseüberschriften nicht verantwortlich zeichnen. Ich habe vorgelesen, um was es Herrn Kollegen Wischnewski gegangen ist. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob dieser Zeitungsbericht in irgendeiner Weise dementiert oder richtiggestellt wurde.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Luster.
Muß damit, Frau Staatsminister, auch davon ausgegangen werden, daß der Herr Sprecher des Senats von Berlin, der Senatsdirektor Sötje, als er am 19. November 1977 vor der Berliner Presse erklärte, daß erstens die Initiative bereits zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt besprochen werde, daß es sich zweitens um ein internationales Milliardenobjekt handele, eine Fehlmeldung verbreitete?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5939
Herr Kollege Luster, ich glaube, wir können die Bundesregierung nicht nach Erklärungen des Berliner Senats befragen. Ich lasse eine weitere Zusatzfrage zu. Bitte.
Wird, Frau Staatsminister und Herr Präsident, eingeräumt, daß die Enttäuschung und der politische Schaden um so größer sind, je höher zuvor Erwartungen geschraubt waren, wie das z. B. bei der Odyssee im Verfahren der Einrichtung der Deutschen Nationalstiftung praktiziert wurde?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann hier nur für die Bundesregierung antworten. Hier ist der Sachverhalt so wie in meiner Antwort geschildert, nämlich daß es sich um eine Anregung eines Kollegen auf dem Parteitag in Hamburg gehandelt hat, aber nicht um einen offiziellen Vorschlag der Bundesregierung, der irgendwie Eingang in die Belgrader Verhandlungen gefunden hätte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, da ich Ihren Antworten entnehmen muß, daß der Anregung des Herrn Staatsministers Wischnewski — aus welchen Gründen auch immer — nicht Folge geleistet wurde, darf ich Sie abschließend fragen, ob die Gründe dafür genannt werden können.
Herr Kollege, Sie haben soeben zwei Zusatzfragen gestellt. Damit ist der Ausgleich für die Nichtzulassung Ihrer zweiten Zusatzfrage geschaffen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen darüber keine Auskunft geben. Fest steht nur, daß zu keiner Zeit dieser Vorschlag offiziell von der Bundesregierung aufgenommen wurde, sondern wir gehen davon aus, daß es sich um eine Anregung auf dem Parteitag der SPD gehandelt hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Frau Staatsminister, wären Sie bereit, zu veranlassen, daß eine Richtigstellung durch den Pressesprecher des Auswärtigen Amts an den „Abend" gesandt wird, damit die Berliner erfahren, daß es sich offensichtlich um eine Falschmeldung handelt, die auch keine Realisierung erfahren wird?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe jetzt hier die Frage ausführlich beantwortet und gehe davon aus, daß meine Antwort von der Presse entsprechend aufgegriffen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Langguth.
Ich stelle die Zusatzfrage, ob es einer gängigen Praxis der Bundesregierung entspricht, daß einzelne Angehörige der Bundesregierung oder Staatsminister auf Parteitagen Ankündigungen vorbringen, die dann später nicht in die politische Praxis — zu deutsch: in die Belgrader Verhandlungen - mit eingebracht werden?
Einen
Augenblick. Frau Staatsminister, die Frage ist eine Grenzfrage. Ich muß es Ihnen überlassen, ob Sie sie beantworten. Sonst gehe ich zur nächsten Zusatzfrage über.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich glaube, daß jeder Politiker, jeder Abgeordnete und Kollege nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, auf den Parteitagen seiner Partei entsprechende Anregungen zu geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt.
Frau Staatsminister, schließen Sie es aus, daß diese Anregung von Herrn Staatsminister Wischnewski, die offensichtlich gemacht wurde, um die Lebensfähigkeit Berlins zu stärken — was jetzt in der Diskussion etwas untergegangen ist —,
in Zukunft noch eine Willenserklärung und Absichtserklärung der Bundesregierung werden könnte?
Herr Kollege Wohlrabe, ich bitte um Verständnis: Sie wissen, wie akustisch schwierig es ist, von der Regierungsbank her die Fragen zu verstehen, wenn Zwischenrufe kommen. Ich bitte doch, der Frau Staatsminister das Hören der Frage zu erleichtern.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich bin sicher, daß die Intentionen des Herrn Staatsministers Wischnewski genau die gewesen sind, die Sie eben genannt haben, Herr Kollege. Ich glaube aber nicht, da die Belgrader Nachfolgekonferenz in diesen Tagen zu Ende geht und man sich gerade um ein Schlußdokument bemüht, daß die Anregung noch in irgendeiner Form Eingang finden kann.
Jetzt eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster, dann die letzte des Herrn Abgeordneten Kunz, und danach gehen wir zur nächsten Frage über. Bitte.
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5940 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Frau Staatsminister, würden Sie dann diesem Hohen Hause mitteilen, was der Parteitagsredner Wischnewski konkret getan hat, um in seiner Funktion als Staatsminister dieser Bundesregierung diese Anregung zum Gegenstand einer regierungsamtlichen Tat werden zu lassen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Das Auswärtige Amt ist nicht in der Lage, nachzuprüfen, was der Herr Staatsminister im Bundeskanzleramt in dieser Frage angeregt hat.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz .
Frau Staatsminister, kann ich Ihre Antwort an den Kollegen Wohlrabe so interpretieren, daß Sie die Presse ermuntern möchten, ausführlich darüber zu berichten, daß die Ausführungen des Herrn Staatsministers ohne jeden tatsächlichen Hintergrund sind, und daß Sie die Presse gleichfalls ermuntern wollen, künftig bei Ausführungen von Herrn Wischnewski besonders vorsichtig zu sein?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben gottlob eine freie Presse, die weder der Ermunterung noch der Bremsung bedarf.
Ich rufe
Frage 100 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf:
Welche rechtlichen Möglichkeiten besitzt die Bundesregierung, Waffenlieferungen in das Spannungsgebiet Naher Osten, die nach Zeitungsberichten von der Firma MBB über die französische Firma Aerospatiale erfolgt seien, zu verhindern?
Frau Staatsminister.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Präsident, die Frage des Herrn Abgeordneten Dübber beantworte ich wie folgt: Über Lieferungen von Panzerabwehrraketen aus Frankreich entscheidet allein und souverän die französische Regierung nach eigenem Ermessen und in eigener Verantwortung. Aus der Bundesrepublik Deutschland sind keine Kriegswaffen in Länder des Nahen Ostens geliefert worden.
Eine Zusatzfrage.
Können Sie sagen, Frau Staatsminister, in welcher Weise das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft mitwirkt, wenn vorgefertigte Einzelteile nach Frankreich geliefert werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, damit ist das Auswärtige Amt nicht befaßt. Wir sind nur mit der Grundsatzfrage befaßt, wie es sich bei Kooperationsprojekten im Bereich der Rüstung verhält. Ich kann Ihnen das vielleicht schriftlich nachreichen. Aber die Frage, ob das Bundesamt hier beteiligt war oder nicht, vermag ich im Augenblick nicht zu beantworten.
Frau Staatsminister, da ich meine Frage an die Bundesregierung und nicht ans Auswärtige Amt gerichtet habe: Würden Sie dafür Sorge tragen, daß dann das zuständige Ressort hier Auskunft gibt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Das will ich sehr gerne tun, Herr Kollege.
Bitte,
Herr Kollege Sieglerschmidt.
Frau Staatsminister, empfindet die Bundesregierung den Zustand, der sich somit ergibt, als befriedigend, insbesondere im Hinblick darauf, daß ja die Menschen in den betroffenen Ländern, in diesem Falle etwa in Israel, natürlich nicht in der Lage sind und auch gar nicht willens sein können, diese feinen Unterschiede zu machen, die wir hier bei einer Koproduktion machen, und was gedenkt sie dieserhalb zu tun?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nur wiederholen, was ich in Beantwortung der Frage gesagt habe: Die Vereinbarungen über die Koproduktion legen eindeutig fest, daß das Exportland über den Export von Waffen entscheidet. Vielleicht sollte der Gegenstand, der hier zur Debatte steht, einmal in einer vertraulichen Sitzung behandelt werden.
Eine letzte Zusatzfrage des Kollegen Jahn .
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen ihrer Bemühungen um eine einheitliche politische Haltung der Mitgliedstaaten der EG in der Nahostfrage darauf hinzuwirken, daß Absprachen über die Frage von Waffenlieferungen in den Nahen Osten versucht werden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Jahn, die Bundesregierung ist dazu sicherlich bereit und bemüht sich bisher schon um solche Gespräche.
Ich rufeFrage 101 des Abgeordneten Gärtner auf. — Der Herr Abgeordnete ist offensichtlich nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5941
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenFrage 102 ist vom Herrn Abgeordneten Dr. Czajagestellt:Trifft es zu, daß der Bundeskanzler in Warschau „besondere deutsche Überlegungen" gegenüber der NATO angekündigt hat, die aus dem Gegensatz zwischen dem Grundsatz der Kollektivität der Obergrenzen und der vom Ostblock gestellten Forderung nach einem von ihm mitbestimmten Umfang der nationalen, also auch deutschen, Höchststärken in der NATO herausführen würden, und trifft es zu, daß er in diesem Zusammenhang den besonderen Wert des Rapacki-Plans hervorgehoben hat?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kol-. lege Dr. Czaja, Ihre Frage beantworte ich zum ersten Teil wie folgt: Der Herr Bundeskanzler hat in einem Vortrag am 22. November 1977 vor dem polnischen Institut für internationale Beziehungen wörtlich erklärt:Die Bundesregierung setzt sich im Kreise ihrer Verbündeten für Überlegungen ein, die die Wiener Verhandlungen voranbringen sollen.Diese Überlegungen setzen den Grundsatz der Kollektivität bei der Festsetzung der übereinstimmenden gemeinsamen Höchststärken voraus. Wie das Prinzip der Kollektivität werden auch die Kernelemente der Parität und der Selektivität bei den Waffen gewahrt. Zur Parität und Kollektivität hatte der Bundeskanzler im zitierten Vortrag kurz vorher erklärt — ich zitiere noch einmal —, „daß eine Einigung auf der Grundlage der Parität der erfaßten Truppenstärken im Reduzierungsgebiet sowie der Kollektivität der Obergrenzen für beide Seiten gefunden werden muß". Die zuständigen Ausschüsse des Bundestages sind über die im Bündnis angestellten Überlegungen eingehend unterrichtet worden. Da diese Überlegungen noch nicht in die MBFR-Gespräche eingeführt worden sind, möchte ich mich auf diese Ausführungen beschränken.Was Ihre zweite Frage nach dem Rapacki-Plan betrifft, so sind die mit dem Namen Rapacki verbundenen Pläne seinerzeit vom Bündnis abgelehnt worden. Der Herr Bundeskanzler wollte mit der Erwähnung dieses Namens vor allem wohl einer im polnischen Bewußtsein lebendigen historischen Gestalt seine Reverenz erweisen. Nur in diesem Zusammenhang hat er auf der nicht mehr aktuellen Plan hingewiesen, den der verstorbene polnische Außenminister seinerzeit vorgelegt hatte.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, Ihre Feststellung zum ersten Teil bezog sich darauf, daß in dem im „Europa-Archiv" abgedruckten Schlußsatz, der zwei Absätze umfaßt, die Daten, die Paritätsfrage und die Kollektivität der Obergrenzen sowie die nationalen Höchststärken behandelt werden. Folgenden Satz haben Sie nicht zitiert: „In diesem Zusammenhang setzt sich die Bundesregierung für besondere Überlegungen ein, die die Verhandlungen vorantreiben sollen." Bezieht sich dieser Satz nur auf die Daten?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, im gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Datendiskussion in Wien Vorrang, und Sie werden mit mir übereinstimmen, daß wir hoffen, daß es bald zu dem erforderlichen Datenaustausch kommen wird und daß erst dann die neuen westlichen Überlegungen zum Zuge kommen können.
Sie haben eine letzte Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, können Sie, nachdem der Bundeskanzler der polnischen Öffentlichkeit, so wörtlich in meiner Frage, besondere Überlegungen der Bundesrepublik zu Abrüstungsfragen ankündigte und dies mit dem Parteisekretär Gierek nach dem Kommuniqué eingehend erörtert hat, auch dem Parlament in drei Stichworten sagen, worauf die besonderen Überlegungen zielen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, wie ich vorhin in meiner Antwort sagte, kann ich das im Augenblick deshalb nicht, weil die Beratungen im Bündnis noch nicht abgeschlossen sind und zunächst die Datendiskussion weitergeführt werden soll.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt. Dann rufe ich Ihre nächste Frage auf, Herr Dr. Czaja.
Frau Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Klärungsprozeß bei den MBFR-Gesprächen in Wien auch auf Grund der Fortschritte in der Datendiskussion so weit fortgeschritten ist, daß ein Einvernehmen darüber möglich ist, daß MBFR einen Prozeß von mehreren Folgeabkommen sein muß und daß dieser Konsens sowie die Anerkennung der Prinzipien Parität und Kollektivität, die auch Sie soeben noch einmal erwähnt haben, die vertragliche Absicherung vertrauensbildender Maßnahmen und ein erster kleiner Reduzierungsschritt aller beteiligten Staaten in Phasen Gegenstand eines ersten Abkommens werden könnten?
Herr Kollege Voigt, ich muß bewundern, wie Sie die außenpolitischen Probleme hier in einer so knappen Form zusammenfassen konnten; aber ich habe das Gefühl, daß der Rahmen der eingereichten Frage damit überschritten ist. Ich überlasse es daher der Frau Staatsminister, ob sie darauf hier in der Fragestunde eingehen will.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Voigt, die Aufzählung der verschiedenen Schritte in diesem Prozeß wird einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen. Aber selbstverständlich bemüht sich die Bundesregierung in einer Folge von Schritten, diesen Weg zu gehen.
Ich rufe die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
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5942 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenHat die Bundesregierung gegenüber der Volksrepublik Polen politische oder diplomatische Schritte unternommen, um das Verhalten des polnischen Sicherheitsdienstes in dem Verratsfall Helge Berger zu verurteilen, oder hat man zu diesem den Warschauer Vertrag insgesamt aufs schwerste belastenden Vorgang geschwiegen?Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, das Oberlandesgericht Düsseldorf hat Frau Helge Berger am 2. November 1977 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin verurteilt, nicht aber zugunsten des polnischen Nachrichtendienstes.Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitiere ich die Antwort, die Staatsminister von Dohnanyi auf Ihre Frage vom 10. November 1977 gegeben hat:Nach Auffassung der Bundesregierung hat die Verratstätigkeit der Frau Helge Berger zwar die Gefahr schwerer Nachteile für die Bundesrepublik mit sich gebracht, die Ergebnisse der Verhandlungen zum Warschauer Vertrag jedoch nicht beeinflußt.Die Bundesregierung hat daher auch keinen Anlaß zu politischen oder diplomatischen Schritten gegenüber der polnischen Regierung.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatsminister, nachdem der Herr Staatsminister von Dohnanyi zu der frühzeitigen Ausforschung des ganzen Verhandlungsauftrags der deutschen Delegation in jedem Teil, die die Bundesanwaltschaft nach der FAZ vom 29. Oktober zum Gegenstand der Anklage gemacht hat, hier in der Fragestunde auf eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Hupka selbst erklärt hat, daß dies der Normalisierung nicht dienlich ist, frage ich Sie: Wurde das, was Herr von Dohnanyi hier gesagt hat, nämlich daß dies der Normalisierung der Beziehungen nicht dienlich ist, Polen gegenüber offiziell zur Geltung gebracht?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, ich kann Ihnen keine Antwort darauf geben, ob eine Antwort des Herrn Kollegen von Dohnanyi hier im Bundestag der polnischen Regierung offiziell zur Kenntnis gegeben wurde.
Eine
weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Hätte nicht, um schwere Nachteile von Deutschland zu wenden, eine angemessene Wiedergutmachung für das völkerrechtswidrige Auskundschaften von geheimen Tatsachen und Erkenntnissen im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen gegenüber Polen geltend gemacht werden müssen, und wollen Sie diese Frage nach Erhalt des Urteils noch einmal genau prüfen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, das werden wir selbstverständlich tun.
In der Sache kann ich nur noch einmal das wiederholen, was ich auch dem Herrn Kollegen Dr. Wittmann in der schriftlichen Beantwortung seiner Anfrage vom 27. Januar gesagt habe und hier heute noch einmal kurz zusammengefaßt habe. Die Überprüfung nach Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung sagen wir Ihnen aber gerne zu.
Der Herr Abgeordnete Rühe hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 104 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf.
Welches waren die Gründe dafür, daß der Schulbeauftragte, der bisher auf Grund der Vielzahl der Schulen in Buenos Aires seinen Sitz hatte, nunmehr in Montevideo arbeiten soll, obwohl es dort nur eine deutsche Schule gibt?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Grundsätzlich muß gesagt werden, daß die drei entsandten Schulberater im Auslandsschuldienst keinen festen Dienstsitz haben, sondern daß sie jeweils entsprechend dem Umfang der Förderung und/oder den besonderen schulischen Problemen vorübergehend an einem geeigneten Ort für eine festgelegte Region ihre Tätigkeit ausüben.
Der bisherige Schulberater in Buenos Aires hatte nicht nur in Argentinien, sondern auch in Südbrasilien und Paraguay Aufgaben wahrzunehmen. Die Aufgaben in Südbrasilien müssen künftig verstärkt wahrgenommen werden. Außerdem soll Chile in den Tätigkeitsbereich des Schulberaters einbezogen werden.
Aus diesen Gründen war vorübergehend erwogen worden, den Dienstsitz des Beraters von Buenos Aires nach Montevideo zu verlegen. Inzwischen hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, daß er weiter in Buenos Aires stationiert sein soll.
Damit ist die Frage erledigt.Ich rufe die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die demokratischen Parteien und Parteiallianzen, die sich in SWA/Namibia seit der Verabschiedung der Resolution 385 des UN-Sicherheitsrats am 30. Januar 1976 konstituiert haben, bei den Gesprächen über die Zukunft SWA/Namibias Gleichbehandlung mit der SWAPO beanspruchen können, und was unternimmt die Bundesregierung, um diese Gleichbehandlung international zu erwirken?Ich weiß nicht, Frau Staatsminister und Herr Fragesteller, ob die Fragen 106 und 107 gemeinsam beantwortet werden können. — Der Herr Fragesteller wünscht eine gesonderte Beantwortung der beiden Fragen.Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Wohlrabe, Ihre erste Frage beantworte ich wie folgt. Die politischen Parteien und Gruppierungen, die sich in Namibia seit der Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution 385 gebildet haben, werden durch ihre Nichtteilnahme an den Kontaktgesprächen der fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder mit der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5943
Staatsminister Frau Dr. Hamm-Brüchersüdafrikanischen Regierung und der Befreiungsorganisation SWAPO nicht diskriminiert, und zwar aus folgenden Gründen.Die Kontaktgespräche der Fünf befassen sich nicht mit den politischen Verhältnissen in einem zukünftigen unabhängigen Namibia, sondern wollen nur dessen Status vorher international absichern. Nur eine international akzeptable Lösung der Namibia-Frage kann einen friedlichen Übergang des Territoriums in die Unabhängigkeit und eine langfristig stabile Entwicklung sicherstellen.Um der Bevölkerung Namibias und allen ihren politisch relevanten Gruppierungen die Möglichkeit zu verschaffen, in freien Wahlen über die Zusammensetzung der zukünftigen namibischen Regierung zu entscheiden, mußte daher zunächst die Mitwirkung der Kräfte sichergestellt werden, die die Voraussetzungen für eine solche international akzeptable Lösung gewährleisten können. Dies war einmal die südafrikanische Regierung, von der die Erfüllung der Bestimmungen der Sicherheitsratsresolution 385 abhängt, und zum anderen die SWAPO, die in den einschlägigen internationalen Gremien als authentische Vertreterin des namibischen Volkes angesehen wird. Die westlichen Mitglieder des Sicherheitsrates mußten sich bei ihrer Initiative an diese beiden Gesprächspartner halten, die im internationalen Zusammenhang relevant sind.
Zusatz-
frage.
Frau Staatsminister, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die SWAPO auch heute noch zu Recht jene Stellung beansprucht, die ihr die UNO in der Resolution 385 zugewiesen hat, daß sie nämlich die legitime Vertreterin des namibianischen Volkes sei, und — wenn dies so sein sollte — stimmt die von Ihnen soeben gemachte Aussage, es gehe in den Verhandlungen nur um ein Organisationsmodell für Namibia und nicht auch um die Klärung der inneren Situation?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Wohlrabe, ich glaube, wir müssen hier zwei Dinge unterscheiden: Das eine ist die Frage der international zu regelnden Voraussetzungen für freie Wahlen in Namibia. Hier ist seitens der Vereinten Nationen die SWAPO als die einzig legitimierte Vertretung anerkannt worden, übrigens nicht von der Bundesrepublik. Die Bundesrepublik hat dieser Anerkennung als „einzige Vertretung" nicht zugestimmt. Wir müssen aber immerhin davon ausgehen, daß auf Grund dieser Feststellung der Vereinten Nationen die SWAPO bei internationalen Verhandlungen mitbeteiligt werden muß.
Im übrigen laufen — außer den Vorbereitungen im Rahmen der Vereinten Nationen — selbstverständlich Kontakte mit den anderen politisch relevanten Kräften in Namibia.
Herr Kollege Wohlrabe, aber nur eine Zusatzfrage, bitte!
Wenn es nicht zutrifft, daß die Bundesregierung der Tatsache zugestimmt hat, daß die SWAPO die einzige legitime Vertreterin des Volkes von Namibia sei, wie Sie soeben gesagt haben, dann würde ich gern wissen, welche Bemühungen die Bundesregierung jetzt unternimmt, um z. B. die größte Parteigruppierung Namibias, nämlich die Demokratische Turnhallen-Allianz, als gleichberechtigten Partner in die .Vereinten Nationen einzuführen.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege, das ist im Augenblick wohl eine Frage der Zeit. Da man sich darum bemüht, daß noch in diesem Jahr die ersten kontrollierten, von den Vereinten Nationen kontrollierten freien Wahlen stattfinden, ist es doch völlig aussichtslos, jetzt noch neue Verfahren innerhalb der Vereinten Nationen ablaufen zu lassen. Vielmehr müssen wir uns jetzt — das ist doch der Beitrag der Bundesregierung als Mitglied des Sicherheitsrates — mehr denn je um eine friedliche Übergangslösung bemühen. Die bisherigen Bemühungen haben zweifellos noch nicht zu einem Durchbruch, aber doch zu substantiell bedeutsamen Fortschritte, und zwar gerade auch auf seiten der SWAPO, geführt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka. Danach werde ich noch eine Zusatzfrage zulassen, und dann kommen wir zur nächsten Frage.
Frau Staatsminister, wäre es nicht schon auf Grund unseres eigenen Demokratieverständnisses notwendig, daß wir nicht von dem Alleinvertretungsanspruch der SWAPO ausgehen, sondern andere demokratische Kräfte — gerade bei der Erörterung des künftigen Status von Namibia — in die Erwägungen und politischen Überlegungen mit einbeziehen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Hupka, es geht im Augenblick noch nicht um die verfassungsmäßige Festlegung eines künftigen Status, sondern nur um die Voraussetzungen für den Weg in die Unabhängigkeit. Hierfür sind die Vereinten Nationen die zuständige Instanz. Es bedeutet doch gar keine Abwertung oder Diskriminierung anderer politischer Kräfte, insbesondere der Turnhallen-Allianz, — —
Ich bitte doch, der Frau Staatsminister die Möglichkeit zu geben, die Frage zu beantworten.Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich fände es gar nicht gut, Herr Kollege Wohlrabe, wenn wir hier einen Gegensatz konstruierten, und dies um so weniger, als wir auf den verschiedensten Ebenen — ich weiß, auch Sie waren in Namibia — diese Kontakte pflegen.
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5944 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Staatsminister Frau Dr. Hamm-BrücherWir bemühen uns darum, mit den wichtigen ethnischen Gruppen und der Turnhallen-Allianz im Gespräch zu bleiben. Das geschieht neben den anderen Bemühungen auf der Ebene der Vereinten Nationen.
Frau Abgeordnete Erler, Sie haben noch eine Zusatzfrage. Danach rufe ich die nächste Frage auf.
Hält es die Bundesregierung nicht für absurd, bevor freie Wahlen in Namibia unter UNO-Aufsicht stattgefunden haben, von einer Partei, die auch noch von der bisherigen Besatzungsmacht unterstützt wird, als von der eindeutig stärksten Partei zu reden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Es läßt sich heute noch gar nicht sagen, welches einmal die stärkste Partei in Namibia sein wird. Dies läßt sich erst nach den Wahlen feststellen, Frau Kollegin.
Ich rufe die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse darüber, aus welchen Gründen zu den SWA/Namibia-Gesprächen auf Ministerebene am 11./12. Februar in New York keine Vertreter der vielrassischen Demokratischen Turnhallen-Allianz — der größten Parteigruppierung im Lande — eingeladen wurden?
Ich bitte um Verständnis, daß ich dann noch versuchen werde, einige Fragen aus einem anderen Geschäftsbereich aufzurufen. — Bitte.
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Die Frage des Herrn Kollegen Wohlrabe beantworte ich wie folgt: Vertreter der Demokratischen Turnhallen-A1lianz wurden, ebenso wie Vertreter anderer politischer Gruppierungen aus Namibia, während der Ministergespräche in New York am 11. und 12. Februar von Vertretern der Fünf empfangen. Sie wurden über den Fortgang der Gespräche informiert und hatten Gelegenheit, sich zum westlichen Verhandlungsvorschlag zu äußern und ihre Ansichten zur Lösung der Namibia-Frage vorzutragen.
Zusatzfrage.
Wie erklären Sie es sich, daß der deutsche Außenminister bereit war, mit Vertretern der SWAPO Auge in Auge zu sprechen, aber alle anderen Gesprächspartner, seien es nun die Vertreter der Demokratischen Turnhallen-Allianz oder sonstige Gruppierungen, von Beamten der unteren Ebene empfangen wurden?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kollege Wohlrabe, es handelte sich um die Beratungen der fünf westlichen Mitglieder des Sicherheitsrates. Für den Bundesminister des Auswärtigen war in dieser Situation der Verhandlungen nur der Vertreter der SWAPO Gesprächspartner.
Ich glaube, daß das Verfahren, wie es gewählt wurde, auch den Vertretern der anderen politischen Gruppierungen in Namibia ausreichende Möglichkeiten gegeben hat.
Sie haben eine letzte Zusatzfrage.
Ist der deutsche Außenminister bereit, die Führer anderer Gruppierungen wie der Demokratischen Turnhallen-Allianz, vielleicht der SWANU oder anderer Gruppen, sei es im Rahmen internationaler Gespräche oder bei ihren Besuchen in der Bundesrepublik Deutschland, persönlich zu empfangen und sie als gleichberechtigte legitime Vertreter des namibianischen Volkes anzuerkennen?
Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Ich bin sicher, daß der Bundesaußenminister zum Empfang einer solchen Delegation bereit ist. Ob die Frage der Anerkennung bei dieser Gelegenheit geklärt sein muß, möchte ich einmal dahingestellt lassen. Aber ganz sicher wird die Möglichkeit eines Empfanges gegeben sein.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen beantwortet. Frau Staatsminister, ich danke Ihnen.
Ich muß noch hinzufügen, daß der Herr Abgeordnete Pfennig um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 108 gebeten hat. Dem wird entsprochen. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haehser zur Verfügung.
Frau Abgeordnete Will-Feld und Herr Abgeordneter Dr. Wittmann haben um schriftliche Beantwortung der von ihnen eingebrachten Fragen 52 bzw. 53 gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Peiter auf:
Darf ein Bundesvermögensamt wegen Änderung des Planungskonzepts bei der Rückübereignung eines vor zehn Jahren enteigneten Grundstücks an den früheren Eigentümer heute den doppelten Preis verlangen, und wenn nein, welche Maßnahmen kann die Bundesregierung ergreifen?
Herr Kollege, Ihre Frage bezieht sich auf ein Grundstück, das der Bund 1967 für die Bundeswehr erworben hat. Der Kaufvertrag wurde freihändig geschlossen, diente allerdings der Abwendung des bereits eingeleiteten Enteignungsverfahrens nach dem Landbeschaffungsgesetz vom 23. Februar 1957. Der Kaufpreis entsprach dem damaligen Verkehrswert. Der Verkäufer hat dafür Ersatzland erworben. Die Vertragsnebenkosten gingen zu Lasten des Bundes. Trotz der Ersatzlandgestellung hat der Bund nach Wegfall des Verteidigungsbedarfs in entsprechender Anwendung des § 57
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5945
Parl. Staatssekretär Haehserdes Landbeschaffungsgesetzes angeboten, das Grundstück zum heutigen Verkehrswert zurückzuübereignen. Die Wertermittlung wird zur Zeit überprüft. Schon jetzt kann gesagt werden, daß der Rückkaufpreis zwar den Ankaufspreis überschreiten, jedoch den doppelten Ankaufspreis nicht erreichen wird.
Frau Kollegin Dr. Hartenstein, im Hinblick auf die Gefahr des Zeitablaufs schlage ich vor, daß die Beantwortung der beiden von Ihnen eingereichten Fragen gemeinsam erfolgt. — Die Fragestellerin ist. einverstanden. Daher rufe ich jetzt die Fragen 55 und 56 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß die Finanzämter unter Berufung auf den § 52 der neuen Abgabenordnung zahlreichen Vereinigungen und Bürgerinitiativen, die sich für Belange des Umweltschutzes einsetzen, den Status der Gemeinnützigkeit entziehen, und dies zum Teil rückwirkend bis 1970?
Ist die Bundesregierung bereit, durch entsprechende Richtlinien oder gegebenenfalls eine Änderung des Textes sicherzustellen, daß die Abgabenordnung nicht als Waffe gegen politisch eventuell mißliebige Bürgerinitiativen gebraucht werden kann und daß dem § 52 Abs. 2, der „die Förderung des Umwelt-, Landschafts- und Denkmalschutzes sowie des Heimatgedankens" insbesondere anzuerkennen empfiehlt, von seiten der Finanzämter tatsächlich Rechnung getragen wird?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Hartenstein, wir haben hierüber schon einmal außerhalb der Fragestunde miteinander gesprochen, so daß ich meine Antwort jetzt kurzfassen kann.
Sie unterstellen in Ihrer Frage, daß zahlreichen Vereinigungen zur Förderung des Umweltschutzes der Status der Gemeinnützigkeit entzogen worden sei. Dies trifft nach Kenntnis der Bundesregierung nicht zu. Die Förderung des Umweltschutzes wird vom Gesetz ausdrücklich als gemeinnütziger Zweck genannt. Vereine, die sich für den Umweltschutz einsetzen, sind also grundsätzlich gemeinnützig. Die Auslegung und Handhabung der geltenden Steuergesetze sind nach Auffassung der Bundesregierung kein geeignetes Mittel, politische Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Die Finanzbehörden haben ausschließlich nach dem Gesetz zu beurteilen, ob die Ziele der betreffenden Vereinigungen im Interesse der Allgemeinheit liegen. Hierbei handelt es sich nicht um politische, sondern um gerichtlich nachprüfbare, rechtliche Entscheidungen der jeweils zuständigen Landesfinanzbehörde.
Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, die angesprochene Frage über den Gesetzeswortlaut hinaus durch Richtlinien zu regeln; denn der Gesetzeswortlaut ist eindeutig.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, nach welchen Kriterien und zu welchem Zeitpunkt ist jene Liste von Vereinigungen und Bürgerinitiativen zusammengestellt worden, die nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums als förderungswürdig betrachtet werden?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen gesagt, Frau Kollegin, daß die Handhabung der Dinge,
um die es hier geht, ausschließlich Sache der zuständigen Landesfinanzbehörde ist. Die Liste, von der Sie sprechen, liegt mir nicht vor, so daß ich sie nicht beurteilen kann. Ich gehe der Sache aber gern nach.
Ich möchte Ihnen, weil ich vom Gesetzeswortlaut gesprochen habe, den § 52 vorlesen, nach dem Sie ja auch gefragt haben, und zwar in einer verkürzten Fassung:
Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwekke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.
In Abs. 2 heißt es:
Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 sind als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen insbesondere ... die Förderung des Umwelt ... gedankens .. .
Eine Zusatzfrage.
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß der Text gerade des Paragraphen aus der Abgabenordnung, den Sie in verkürzter Form verlesen haben, offenbar nicht eindeutig genug gefaßt ist, um solche fragwürdigen Interpretationen zu verhindern, wie sie tatsächlich vorgekommen sind? Ich bin gern bereit, Ihnen die entsprechenden Belege nachzuliefern.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie dazu bereit sind, Frau Kollegin. Aber die Auffassung, daß der Paragraph etwa nicht präzise formuliert sei, teilt die Bundesregierung nicht. Er ist von uns vorgeschlagen und vom Deutschen Bundestag beschlossen worden. Ich hatte mir vorhin erlaubt, zu sagen: Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig.
Ich schlage vor, daß auch die beiden nun folgenden Fragen
58 und 59 des Abgeordneten Collet miteinander verbunden werden, wobei ich dem Fragesteller dankbar wäre, wenn er bei seinen Zusatzfragen Rücksicht auf die angegriffene Stimme des Herrn Staatssekretärs nähme. — Ich rufe also die Fragen 58 und
59 auf:
Teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß die deutschen zivilen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften der NATO-Verbündeten im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses in gleicher Weise eine Tätigkeit im deutschen öffentlichen Interesse ausüben wie ihre Kollegen bei der Bundeswehr, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus für ihr Verhalten?
Anerkennt die Bundesregierung eine Fürsorgepflicht des Bundes für die Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften, und wenn ja, sieht sie Unterschiede zwischen dieser Fürsorgepflicht einerseits und ihrer Fürsorgepflicht für die Zivilbeschäftigten bei der Bundeswehr andererseits?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich danke Ihnen, Herr Präsident; es handelt sich um eine Erkältung.
Manspürt es.
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5946 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Collet, die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß dieTätigkeit der deutschen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften dazu beiträgt, die Verteidigungsbereitschaft im Rahmen der NATO zu stärken und daß die Beschäftigung bei den ausländischen Streitkräften insoweit von ähnlicher Bedeutung ist wie die Tätigkeit der zivilen Arbeitskräfte bei der Bundeswehr.Nach Art. 56 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut gelten für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften grundsätzlich die für die zivilen Bediensteten bei der Bundeswehr maßgeblichen Vorschriften des deutschen Arbeitsrechts.Ausdrücklich ausgeschlossen sind für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften jedoch die Anwendung der für die Arbeitnehmer bei der Bundeswehr geltenden Dienstordnungen und Dienstvereinbarungen sowie die tariflichen Bestimmungen. Diese in Art. 56 enthaltene Vorschrift ist in der Tatsache begründet, daß die Arbeitgeberfunktionen und die Arbeitgeberstellung für die Arbeitnehmer bei den Behörden der ausländischen Streitkräfte und nicht bei der Bundesrepublik liegen.Hieraus folgt, daß die Fürsorgepflicht im arbeitsrechtlichen Sinne den Behörden der Stationierungsstreitkräfte und nicht der Bundesregierung obliegt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß sich die Bundesrepublik vertraglich bereit erklärt hat, für die Streitkräfte Tarifverträge abzuschließen. Dies geschieht gewissermaßen in einer Treuhandfunktion für die Arbeitnehmer bei den alliierten Streitkräften.
Herr Kollege.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär. Können Sie mir sagen, ob die gleichen Regelungen für die zivilen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften innerhalb der NATO beispielsweise für die Beschäftigten der US-Streitkräfte in Großbritannien, Belgien, den Niederlanden oder wo auch immer innerhalb des Bündnisses gelten oder, wenn Sie die Frage jetzt nicht beantworten können, wären Sie bereit, mir die Unterlagen darüber zur Verfügung zu stellen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Collet, wenn die Tatsache von dem abweicht, was ich jetzt als Vermutung sage, dann würde ich Ihnen noch einen Brief schreiben. Meine Vermutung ist, daß die deutschen Arbeitnehmer bei den alliierten Streitkräften bessergestellt sind als Arbeitnehmer etwa in Großbritannien bei den dortigen Stationierungsstrerikräften
Herr Kollege, eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß die Bundesregierung mit den Stationierungsstreitkräften Vereinbarungen mit dem Ziel trifft, im Interesse der Arbeitnehmer langfristig im
voraus Mitteilung darüber zu erhalten, wenn Verlegungen oder Reduzierungen geplant sind?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Dies, Herr Kollege Collet, ist in der Tat auch ein Bemühen der Bundesregierung. Denn es ist unbefriedigend, daß es manchmal der Bundesregierung nicht anders ergeht als Ihnen, daß wir Absichten aus der Zeitung erfahren. Hier finden ständig Gespräche statt. Sie können sich vorstellen, daß ich Ihr Anliegen teile und verstehe.
Die letzte Zusatzfrage noch, Herr Kollege.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Streitkräfte überwiegend dort stationiert sind, wo wir, beispielsweise in der Westpfalz oder im Bereich Baumholder, in der Bundesrepublik sogenannte strukturschwache Räume haben, und zwar als Folge der Entwicklung gleich nach dem Kriege in diesen Räumen durch die Stationierung der damaligen Besatzungstruppen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Dies ist der Bundesregierung sehr wohl bekannt. Aber Sie dürfen aus dieser Antwort nicht schlußfolgern, es sei meine Meinung, daß man die Stationierung von Streitkräften als Beitrag zur Strukturpolitik betrachten könnte.
Es liegt noch eine Frage aus diesem Geschäftsbereich vor. Wenn Sie einverstanden sind, Herr Kollege, kann ich die noch aufrufen. — Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Ey auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung die Neuregelung der Mehrwertbesteuerung für die mehrbetriebliche Maschinennutzung in der Landwirtschaft vorzunehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ey, die Prüfung der Frage, ob für bestimmte Umsätze an land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die typischerweise von Kooperationen dieses Wirtschaftsbereiches ausgeführt werden, der ermäßigte Steuersatz gewährt werden sollte, ist — sicher auch zu Ihrer Enttäuschung — noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage?
Wann, Herr Staatssekretär, wird mit dem Abschluß der Beratung bzw. dem Erlaß der Verordnung zu rechnen sein?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen dies, Herr Kollege Ey, in Kürze in Aussicht stellen.
Meine Damen und Herren, ich darf noch bekanntgeben, daß die in dem Verzeichnis aufgeführten Fragen 67, 68, 69, 76 und 77 von den Fragestellern zurückgezogen worden sind. Die übrigen nicht mündlich be-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5947
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Damit stehen wir am Ende der Fragestunde.Wir treten erneut in die Beratung des Punktes 4 a und b, Jahresgutachten 1977/1978 des Sachverständigenrates zu Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Jahreswirtschaftsbericht 1978 der Bundesregierung, ein.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwarz-Schilling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zwei Vorbemerkungen zu dieser Debatte. Es ist doch sehr betrüblich, wenn wir feststellen müssen, daß in einer Debatte, in der es um die Grundfragen unserer Wirtschaftspolitik geht, um die Grundfragen der Beschäftigung, des Wachstums, um die 'Grundfragen, welche Maßnahmen wohl Investitionen befördern, welche sie verhindert haben, das Interesse dieses Hauses relativ bescheiden ist. Wenn man sich vorstellt, wieviel darüber überall geschrieben und geredet wird, und sich darüber im klaren ist, daß hier jetzt der Zeitpunkt und der Ort ist, über Grundsatzfragen, welche Maßnahmen angemessen sind oder nicht, zu entscheiden, 'dann steht das in einer Diskrepanz, die zu bedauern ist.Eine zweite Vorbemerkung. Meine Damen und Herren, der Kollege von der SPD-Fraktion, Herr Junghans, fühlte sich bemüßigt anzumerken, die Union habe in ihren Beiträgen heute morgen nicht von der Freiheit der Arbeitnehmer gesprochen. Ich möchte hier die Feststellung treffen, daß die Christlich. Demokratische Union und die Christlich-Soziale Union diejenigen Parteien waren, die in der Bundesrepublik Deutschland die Soziale Marktwirtschaft eingeführt haben und damit mehr Freiheit für Arbeitnehmer geschaffen haben als je zuvor,
und daß es völlig unsinnig ist, nunmehr einzeln proportioniert abzufragen, ob man auch diese oder jene Gruppe berücksichtigen wolle.Diese Auffassung hat dann eine Fortsetzung in den Ausführungen des Dr. Jens gefunden, der meinte, Herr Kollege Pieroth sei nicht in der Lage, das Gesamtinteresse der Wirtschaftspolitik zu vertreten, weil er beruflich unternehmerisch tätig ist. Lassen Sie mich dazu eine Feststellung treffen: Seit dem 18. Jahrhundert hat der dritte Stand, die Bürger, sich in der französischen Nationalversammlung zu gewählten Abgeordneten der einheitlichen Nation Frankreichs erklärt. Wenn wir den Gedankengängen des Kollegen Dr. Jens folgten, dann würden wir hinter die gesamte Entwicklung des Rechtsstaats und der konstitutionellen Verfassung zurückgehen, indem sich jeder Abgeordnete einem Stand oder einer Zunft zuordnete und nur dafür zu sprechen in der Lage wäre. Ich glaube, das ist wohl nicht der Standpunkt, den wir im 20. Jahrhundert einnehmen können.
Eine so verengte Klassenperspektive würde ich jedenfalls nicht für angemessen halten, obwohl es doch bezeichnend ist, daß von Sozialdemokraten solche Auffassungen hier vertreten werden, ganz abgesehen davon, daß man dann auch einmal die Frage stellen kann, wer denn wohl mehr oder eben auch weniger für dieses Allgemeinwohl, für Arbeitsplätze, für Investitionen geschaffen hat. Ich würde diese Frage gar nicht untersuchen, aber wenn man sie personell so zuspitzt, könnte man solche Fragen auch einmal stellen. Ich bewundere immer den Mut von manchen Funktionären, zu meinen, daß sie zum Allgemeinwohl sozusagen von Geburt aus bestimmt sind und alle anderen Bürger dieses Landes nicht.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zu dem Tagesordnungspunkt sprechen, zunächst zu dem Sachverständigengutachten und zum Jahreswirtschaftsbericht, zunächst rückblickend auf die Fragen, die 1977 hier besprochen worden sind. Meine Damen und Herren, vor einem Jahr hat der heutige Bundeswirtschaftsminister, damals Sprecher der FDP-Fraktion, Graf Lambsdorff, in der Debatte am 24. März zu den Ausführungen unseres Sprechers Franz Josef Strauß folgendes bemerkt:Was wir bezweifeln, ist, ob denn die Entwicklung der Eckwerte und der Daten in der Tat so verläuft, wie das der Kollege Strauß unterstellt hat.Heute, ein Jahr später, sind wir in der Lage, diese Frage exakt zu beantworten. Wir brauchen uns gar nicht in Spekulationen zu ergehen. In der Tat: statt der prognostizierten 5 °/o sind es nur 2,5 % Wachstum, also eine Abweichung um 100 % von der Prognose des Bundeswirtschaftsministers. Die Arbeitslosenquote sank von 4,6 auf 4,5 %, ist also praktisch gleichgeblieben, statt unter 4 % zu sinken. In diesen beiden Bereichen, zu denen Franz Josef Strauß seine skeptischen Bemerkungen gemacht hatte, nämlich in der Frage 'der Beschäftigung und in der Frage des Wachstums, ist also genau das eingetreten, was er vorausgesagt hat. Es ist vielleicht auch ganz gut, wenn man im nachhinein Prognosen dieser Art in seinen Erfahrungsschatz aufnimmt und sich darüber im klaren ist, was man falsch gemacht hat. Wir kennen alle die Schwierigkeit, Prognosen zu stellen. Dies soll auch keine Rechthaberei sein. Aber man sollte versuchen, auch im nachhinein aus Zielsetzungen, Orientierungsdaten und Prognosen zu lernen. Denn es ist eigentlich einer der wichtigsten Punkte bei Zielsetzungen, sei es im Unternehmensbereich, sei es im staatlichen Bereich, daß man sich bei der Erfüllung dieser Zielsetzungen bzw. bei der Abweichung von ihnen die Frage vorlegt: Was hat man richtig und was hat man falsch gemacht? Das ist überhaupt nur der Grund, warum wir uns damit beschäftigen müssen.So müssen wir auch hier feststellen, welche Faktoren falsch waren und unberücksichtigt geblieben sind. Schon zu Beginn des Jahres 1977 — so hieß es unter Ziffer 10 des Jahreswirtschaftsberichts 1977 — habe es Unsicherheit im außenwirtschaftlichen Bereich gegeben. Damals, im Januar/Februar, war
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5948 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Schwarz-Schillingbereits klar, daß der Tarifabschluß von 6,9 °/o, der in dieser Branche dann zu einer tatsächlichen Erhöhung um mehr als 8 0/o geführt hat, die Voraussetzungen für diese Prognosen erschütterte. Dennoch ist es bei der Prognose geblieben, und Korrekturen sind nicht vorgenommen worden.Nun zu dem Maßnahmenkatalog, den der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat. Meines Erachtens ist hier eines bisher überhaupt noch nicht aufgeklärt worden, nämlich daß der Sachverständigenrat ein Programm vorgeschlagen hat, das, wie er nachher selber in seinem Schreiben vom September an die Bundesregierung erklärt hat, von der Bundesregierung gar nicht aufgegriffen worden ist, obwohl deren Programm etwa die gleiche Bezeichnung trug: „Programm zur wachstums- und umweltpolitischen Vorsorge". Nur hat der Sachverständigenrat darunter die Ankurbelung privater Investitionen mit entsprechenden Maßnahmen — Erhöhung der Abschreibungsmöglichkeiten und ähnliches mehr — verstanden, während die Bundesregierung daraus ein Programm für Investitionen aus öffentlichen Geldern gemacht hat. Das kann man natürlich tun; aber dann müßte man zumindest begründen, daß man sich und warum man sich anders verhält, als der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat.Aber dieser Dissens — das ist das erste, was ich Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, noch einmal sagen muß — ist schon in der damaligen Debatte von Ihnen überkleistert worden. Ich habe damals in meiner Rede darauf aufmerksam gemacht, daß beiden Programmen nur noch der Name gemeinsam sei. Sie haben dagegen in Ihrer Rede unterstellt, daß das Programm für die öffentlichen Investitionen „den Empfehlungen des Sachverständigenrates genau gefolgt sei". Daher konnten Sie am Schluß Ihrer Feststellungen für die FDP-Fraktion sagen, Sie billigten sowohl das Sachverständigengutachten als auch den Jahreswirtschaftsbericht, obwohl darin jeweils verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen wurden, so daß der Dissens auf Grund dieser Erörterung gar nicht mehr zum Vorschein kam. Das war wohl doch Kleister aus der Tube der Koalition.Hier hat man entsprechende Maßnahmen zur Ankurbelung privater Investitionen deshalb nicht durchsetzen können, weil man der Machbarkeit und der Steuerung öffentlicher Investitionen sehr viel mehr Glauben schenkte. Das galt sicherlich weniger für Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister. Nur wäre es richtiger, hier diese Fragen sachlich zu erörtern und nicht so zu tun, als wären das die Vorschläge des Sachverständigenrates gewesen.Der Sachverständigenrat mußte sich, wie gesagt, im September in einem Schreiben an den Bundeskanzler dagegen verwahren, als man ihm dann auch noch die Entwicklung im Jahre 1977 in die Schuhe schieben wollte, indem man sagte, er habe sich gewaltig geirrt, obwohl die Maßnahmen, die er vorgeschlagen hatte, gar nicht durchgeführt worden sind. Sie kennen sicher dieses Schreiben, in dem er schrieb, er habe den Eindruck, „daß die Bundesregierung schon im bisherigen Verlauf des Jahres aus der wirtschaftlichen Situation auch des-halb wesentlich andere wirtschaftspolitische Folge- rungen als der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten gezogen hat, weil sie den Problemkern anders als der Rat sieht".Wenn das so ist, hätten wir vor einem Jahr diese Frage hier erörtern können. Aber das wurde dadurch, daß man so getan hat, als sei kein Dissens da, leider vergessen. Zum zweiten wurde dadurch die Frage natürlich nur verzögert, und der Dissens kam im Laufe des Jahres dann zum Vorschein.Hier handelt es sich um einen Lernprozeß. Wir haben im Herbst gesehen, daß man dann doch an Abschreibungsfragen und entsprechende Steuerfragen heranging. Nach unserer Meinung hätte man es besser durch Anwendung des Stabilitätsgesetzes machen können.
Das haben wir ja damals gefordert. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller hat in seinen Äußerungen in der „Wirtschaftswoche" vom 10. Februar 1978 nochmals deutlich gesagt — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:Ich war sehr für die Anwendung des Wachs- tums- und Stabilitätsgesetzes. Weniger öffentliche Mehrausgaben und noch höhere Steuererleichterungen wären besser gewesen.WiWo: Also eine zehnprozentige Steuererhebung?Schiller: Als Maßnahme des Stabilitätsgesetzes hätte sie viele Vorteile gehabt. Sie hätte 1 schnell gewirkt. Wir hätten Zeit gehabt, über einen neuen Einkommensteuer-Tarif nachzudenken.Ich füge. hinzu: Im übrigen wären wir nicht in der heutigen Lage, daß der Bundesfinanzminister sagt: Laßt uns um Gottes willen nicht wieder über Steuerreform reden; denn damit würden wir aufs neue verunsichern. So kann man natürlich sämtliche echten Reformen in diesem Land abtöten und durch entsprechende Hektik Falsches vorher machen.
Der Herr Kollege Lenders hatte bei der Erörterung des Jahreswirtschaftsberichts noch erklärt: Es wäre ganz furchtbar, wenn man solche Dinge machen würde, wie sie die Union vorschlägt; denn dann würde das Investitionsrisiko „minimiert". Nun, wir wären froh, wenn das Risiko in der Bundesrepublik Deutschland wenigstens einigermaßen normal wäre, um konkurrenzfähig zu sein und ertragreiche Investitionen in dieser Bundesrepublik vornehmen zu können. Das ist doch die Crux unserer Situation: daß wir im Wettbewerb ertragreicher Investitionen nicht mehr vorn, sondern hinten stehen. Und da wird erklärt, man minimiere ein Investitionsrisiko, und das sei schlecht.Was haben der Sachverständigenrat und der Jahreswirtschaftsbericht für 1978 gesagt? Ich möchte eines vorwegschicken. Der Jahreswirtschaftsbericht zeichnet sich diesmal erfreulicherweise dadurch aus,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5949
Dr. Schwarz-Schillingdaß er in seinen Zielsetzungen sehr viel nüchterner ist, als er noch vor einem Jahr war. Ich würde zwar nicht wie der Herr Kollege Junghans sagen, daß wir diese Zielsetzungen begrüßen. Wir können sie nicht begrüßen, weil ein Wachstum von 3,5 % unsere Beschäftigungssorgen niemals beheben kann. Aber wir begrüßen den Realismus, weil wir wissen, daß etwas anderes nicht drin ist. Insofern können wir sagen: Die Prognose für eine entsprechende Diskussion ist schon sehr viel vernünftiger.Der Jahreswirtschaftsbericht hat sich in fast allen Daten dem Sachverständigenrat angeschlossen. Er ist nur bei den Arbeitnehmereinkommen in der Prognose etwas darunter geblieben und liegt bei den Unternehmereinkommen etwas höher, weil inzwischen bekanntgeworden war, daß im Jahr 1977 die Prognose für die Unternehmenseinkommen völlig falsch war, nämlich nur bei plus 2,5 % statt zwischen 9 und 10% lag. Die Frage der Arbeitslosigkeit ist natürlich zu einem fast unlösbaren Problem geworden. Wir können also feststellen: Zumindest wird die Diskussion dadurch erleichtert, daß wir wenigstens über die meisten Bereiche realistische Daten vorliegen haben.Natürlich ist es, wie Herr Kollege Dollinger bereits sagte, wenig hilfreich, wenn zu realistischen Prognosedaten draußen im Land von seiten der SPD Sprüche des Inhalts kommen, das Angebot einer dreieinhalbprozentigen Tariferhöhung sei ein „Klassenkampf von oben", wie es der stellvertretende Parteivorsitzende Koschnick getan hat. Wenn wir in der Projektion insgesamt gesehen eine Arbeitnehmereinkommenssteigerung von 5,5 % haben, dann heißt das, daß der Tarif um kaum mehr als 4 % steigen darf. Nun geht man in Verhandlungen und bietet 3,5 °/o an. Ich möchte gerne einmal wissen, wie man den Zielprojektionen des Jahreswirtschaftsberichts überhaupt gerecht werden will, wenn man als Arbeitgeber beim Einstieg in die Verhandlungen nicht ein halbes Prozent unter dem bleibt, was abgeschlossen werden sollte.
Damit hängt ja auch die Schelte für den Sachverständigenrat zusammen. Ich bin der Auffassung, wir sollten uns der Aufforderung des Bundeswirtschaftsministers anschließen, die er uns schon damals als FDP-Sprecher gegeben hat, Argumente möglichst rational abzuwägen. Daher sollten wir, wenn wir jetzt eine Auffassung eines Gremiums haben, die uns nicht schmeckt, nicht die ganze Institution schelten und in Mitleidenschaft ziehen.
Im übrigen entspricht das auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Hier sollte der .Gesetzgeber, der ganze Deutsche Bundestag einer Auffassung sein und sie einhellig vertreten. Das würde ich eigentlich auch von den Sozialdemokraten erwarten.
Das zweite große Risiko ist die Dollarkrise, deren Unsicherheitsfaktor heute von keinem übersehen werden kann. Es ist müßig, zu spekulieren, ob sich der Kurs einpendelt, ob er unter zwei DM sinkt oder ähnliches mehr. Ich möchte nur eins sagen: Das hatte 1977 noch nicht die gravierenden Auswirkungen, die manche von den Sozialdemokraten zur Bemäntelung des schlechten Ertragsergebnisses der Unternehmen bereits darzustellen versuchten — so wie früher die Weltrezession, die Inflation von draußen und ähnliches mehr —, sondern in dieser Frage ist nur ein Langzeiteffekt zu erwarten; denn Exportaufträge gehen nicht von heute auf morgen verloren, das geschieht erst bei den Anschlußaufträgen. Ein Auftrag läuft manchmal über ein halbes Jahr oder ein, zwei, drei, vier Jahre. Auch wenn wir in D-Mark fakturieren, hilft das nicht weiter, weil wir dann eben zu teuer sind. Das ist die Crux.Wir werden uns in dieser Frage vor allen Legendenbildungen zu hüten haben, daß etwa wieder der Export schuld sei. Wie auch damals im Jahre 1974 müssen wir feststellen, daß die Exportwirtschaft in der schwierigen Lage geradezu Meisterleistungen vollbracht hat. Es ist ein Zeichen für die ungeheure Effizienz im Zusammenhang mit dem bewältigten Strukturwandel in der deutschen Industrie, unter
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5950 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Schwarz-Schillingdiesen Bedingungen noch eine so riesige Exportquote zu erwirtschaften.
Wir wollen also nicht diese Legendenbildung, die ja auch der Bundeskanzler schon im Januar zu beginnen versuchte.Es ist auch nicht mehr so, wie Graf Lambsdorff damals als Sprecher der FDP-Fraktion gegenüber Franz Josef Strauß meinte, als dieser von der schwierigen Lage in der Bundesrepublik sprach:Ich frage mich, ob dieses Negativurteil über die deutsche wirtschaftliche Situation, das Sie im Ausland gewonnen haben, darauf beruht, daß Sie die falschen Gesprächspartner gehabt haben, daß Sie am falschen Ort oder daß Sie nicht recht zugehört haben. Denn wie stellt sich die internationale Diskussion dar? Für die Vertreter der Koalition ist sie ebenso schwierig wie erfreulich: Im Ausland müssen wir die Bundesrepublik davor schützen, zu gut beurteilt zu werden, und zu Hause müssen wir sie davor schützen, von Ihnen zu schlecht beurteilt zu werden.Nachdem der Bundeskanzler Schmidt im Mai seinen Mund so ungeheuer groß aufgemacht hat, obwohl wir schon im März wußten, daß diese Wachstumsdaten niemals erfüllbar sind, hat es sich gewandelt. Es ist jetzt eben nicht mehr so, daß wir im Ausland zu gut beurteilt werden, sondern man stellt uns zur Rede: Warum seid ihr denn so schlecht gewesen gegenüber dem, was ihr uns im Mai 1977 gesagt habt? Das ist die veränderte Situation, in der wir uns heute befinden. Dadurch kommen die entsprechenden Fragen an uns: Können wir darauf vertrauen, daß Versprechungen künftig eingelöst werden oder nicht? So ist die Enttäuschung heute allerorten sehr groß.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Aber gern.
Herr Kollege Schwarz-Schilling, würden Sie es für möglich halten, daß bei der Beurteilung im Ausland unsere Wachstumsraten unterschiedlich bewertet werden im Vergleich zu unseren Preisstabilitätsraten, unseren Inflationsraten, und daß vielleicht die erfolgreiche Stabilitätspolitik Ursache für unser etwas geringeres Wachstum ist?
Ich stehe gar nicht an, zuzugeben, daß hier verschiedene Beurteilungen der Wichtigkeit der Frage „Wachstum oder Stabilität?" sichtbar sind. Es ist erfreulich, daß z. B. in der Europäischen Gemeinschaft die Frage der Stabilität zunehmend die Bedeutung erhält, die wir ihr von der Bundesrepublik her zumessen, und zwar, wie ich sagen möchte, nach einem sehr betrüblichen Lernprozeß seit dem Jahre 1973. Bisdahin hat man hier ja auf seiten der Bundesregierung genauso geschlafen wie sonst auch, allerdings nicht auf seiten der Opposition!Ich möchte diese Frage so beantworten, daß wir als Opposition in der Auseinandersetzung mit den anderslautenden Auffassungen der Vereinigten Staaten den Standpunkt des Bundeswirtschaftsministers voll unterstützen. In dieser Beziehung kann sich die Bundesrepublik Deutschland auf ein geschlossenes Votum von Regierung und Opposition stützen.
Dazu haben wir gemeinsam viel zu viele Erfahrungen gemacht. Ich glaube, daß es gut ist, wenn wir bei solchen Fragen gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich meine, die Opposition hat das durch ihre verschiedenen Sprecher bei jeder Gelegenheit deutlich gemacht.Das, was uns im Jahre 1978 erwarten wird, wurde in einer Rede des Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank, von Herrn Karl Otto Pöhl, am 30. Januar 1978 noch einmal sehr deutlich dargestellt. Er sagte, daß wir diese Wechselkursveränderungen nicht so schnell verdauen werden wie vielleicht zu früheren Zeiten. Er fürchtet, daß es sich — auch wenn in D-Mark fakturiert wird und ähnliches — als eine ganz gefährliche Illusion erweisen wird, wenn wir meinen, daß diese Veränderungen genauso im Strukturwandel verschwinden werden wie die früheren Aufwertungen.Wir können nur hoffen, daß durch viele Gespräche zwischen uns und unseren amerikanischen Partnern die wirkliche Gefahr deutlich wird. Dabei muß man allerdings auch sehen, daß die Vereinigten Staaten sich natürlich in ihrem eigenen Interesse der Notwendigkeit weiterer protektionistischer Maßnahmen für ihre Binnenkonjunktur wegen für sie vielleicht unangenehmer Importe vom Ausland sehr leicht entledigen können, weil auf diese Weise natürlich deutsche oder andere Produkte kaum konkurrenzfähig gegenüber der amerikanischen Binnenkonjunktur werden. Auf diese Weise können die Amerikaner sehr gut protektionistische Maßnahmen, wie sie des öfteren von einzelnen amerikanischen Branchen und Kongreßabgeordneten gefordert worden ist, von sich wegschieben. Das ist aber keine Lösung für uns.Meine Damen und Herren, in unserer Diskussion wurde immer wieder deutlich, daß wir die Investitionsfrage von der Kostenseite her sehen müssen. Die Standortvorteile sind weg. Der Kapitalexport hat sich vergrößert. Leider Gottes ist deswegen, weil der Standortvorteil weg ist, sehr oft auch — wenn auch keineswegs ausschließlich — ein Beschäftigungsexport eingetreten, und die Ankurbelung der Binnenkonjunktur durch das öffentliche Programm hat natürlich doch nicht das gebracht, was man erhofft hatte. Es ist doch in Wirklichkeit so, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß mit diesem Programm nur ein Versuch unternommen wird, die an sich überall rückläufige Investitionsrate bei Ländern und Gemeinden einigermaßen wieder aufzufangen. Denn Anfang der 30er Jahre hatten wir 26 0/0, und heute liegen wir — inklusive dieses Wachstumsprogramms! — bei 18 %
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 76. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5951
Dr. Schwarz-SchillingIch möchte klar sagen, daß 1978 von der Kostenseite. her die Entscheidungen der Tarifpartner das größte Risiko darstellen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt: Die Zinsen. Sie dürften wohl kaum von dieser Bedeutung sein, weil die Bundesbank ihrer Aufgabe nachkommt.Der dritte Punkt sind die Steuern, Abgaben und Auflagen des Gesetzgebers. Meine Damen und Herren, da kommen wir auf die Frage der Kostenbelastung, die sich für die einzelnen Betriebe in der Praxis ergibt. Es ist eben nicht so, daß wir hier genug getan hätten. Der Herr Kollege Pieroth hat bereits darauf hingewiesen, daß die Eigenkapitalrenditen unter den Fremdkapitalrenditen liegen. Solange dieser grundlegende Tatbestand nicht geändert wird, gehen die Kapitalströme in der Bundesrepublik Deutschland nicht in die richtige Richtung. Auf Grund dieser Situation kann in einer Sozialen Marktwirtschaft die Dynamik eines selbstlaufenden Wirtschaftsprozesses nicht in Gang kommen. Das ist doch der Schlüssel aller Fragen, die wir hier zu beantworten haben!
Wenn Sie sich einmal überlegen, meine Damen und Herren, welche Maßnahmen erforderlich wären, kann man natürlich nicht nur „steuerliche Maßnahmen" sagen, sondern dann muß man auch in großen Zügen davon sprechen, daß die Fremdkapitalrenditen im Verhältnis zu den Eigenkapitalrenditen zu hoch sind und daß es damit nicht attraktiv ist, das Vermögen breiter Volksschichten in Produktionskapital umzuwandeln. Aus diesem Grunde hat diese Bundesregierung schon kapituliert und hat gesagt: Wir wollen gar keine breite Beteiligung der Volksschichten am Produktionsvermögen; denn Sie sehen ja selber, daß die Renditen dann schlechter sind, als wenn man das Geld auf dem Sparbuch hat oder Staatspapiere kauft. Das ist natürlich eine ganz verhängnisvolle Entwicklung, wie wir sie unter keinen Umständen gutheißen können.Meine Damen und Herren, hinzu kommen Fragen, die sich für den einzelnen Unternehmer stellen. Ich möchte nur ein Beispiel nennen, etwa die Bürokratisierung durch den Umweltschutz. Was ist da für das einzelne Unternehmen von Bedeutung: Abfallbeseitigungsgesetz mit Rechtsverordnung, Abwasserabgabengesetz, Wasserhaushaltsgesetz, Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe, Arbeitsstätten- und Arbeitsschutzverordnungen usw. usw. Dafür müssen sie entsprechende Leute hauptamtlich einsetzen. Und dann sehen wir Bundestagsabgeordneten hier die entsprechenden Vorlagen immer mit den Bemerkungen „Alternativen: keine" und „Kosten: keine". Was lügen wir uns hier ständig in die Tasche, indem wir den Unternehmen diese Kosten aufbürden!
Sehr oft wäre die bessere Alternative, das Gesetz zurückzuziehen,
weil es eben so nicht durchzuführen ist und zu entsprechenden Kostenbelastungen führt. Das wäre die Alternative!
Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reuschenbach zulassen?
Darf ich das auch von der Zeit abziehen?
Bitte.
Lieber Kollege Schwarz-Schilling, man kann ja über die Zweckmäßigkeit und die Richtigkeit streiten, aber wieso wollen Sie das als parteipolitischen Streit aufzäumen angesichts der Tatsache, daß jedes der von Ihnen zitierten Umweltschutzgesetze die Zustimmung des Bundesrates gefunden hat?
Ich glaube, wir sollten hier nicht parteipolitische Fragen und die Konstitution unseres Staates durcheinanderbringen.
Der Bundesrat hat die Aufgabe, die Regierungsfähigkeit in der Bundesrepublik sicherzustellen und dabei — wo immer möglich — einen Konsens zwischen dem herzustellen, was von der Mehrheit hier beschlossen wird, und dem was die Mehrheit dieses Bundesrates möglich macht. Wir können diese Konfrontation nicht überall durchführen.
Lassen Sie mich zusammenfassen.
Erstens. Die Prognosen der Opposition, die wir im Jahre 1977 hier gemacht haben, sind eingetroffen. Was die Bundesregierung uns im Jahre 1977 gesagt hat, ist nicht eingetroffen.Zweitens. Die ursprüngliche Absicht, das Wachstum über öffentliche Investitionen wieder in Gang zu bringen und die Wirtschaft anzukurbeln, war falsch. Im Herbst haben wir eine späte, zu späte und schwache Korrektur über entsprechende Steuersenkungen und ähnliches erfahren.Drittens. Wir haben für diesen Jahreswirtschaftsbericht einen erfreulich neuen Akzent, der zwar realistisch, aber noch durch große Hypothesen belastet ist: Dollarkrise und Kostenauftrieb in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist richtig, daß zum erstenmal in dieser Ausführlichkeit in diesem Jahreswirtschaftsbericht versucht wurde, ordnungspolitische Korrekturen anzubringen, indem kleine und mittlere Unternehmen in ihrer Bedeutung für den Strukturwandel erstmalig richtig herausgestellt wurden, weil man sich darüber im klaren ist, daß nicht in einer Kaminrunde von Helmut Schmidt und einigen Großunternehmen geklärt werden kann, was die deutsche Wirtschaft verkraften könnte, sondern daß diese zwei Drittel deutscher Unternehmen die
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5952 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Schwarz-Schillingdeutsche Wirtschaft sind und das Klima der Wirtschaft mitbestimmen und daß die großen Unternehmen mit in diesem Klima leben.Ich darf zum Schluß kommen: Nicht Konjunkturpolitik, sondern Ordnungspolitik ist die wichtigste Voraussetzung für entsprechende Maßnahmen. Das ist auch in diesem Jahreswirtschaftsbericht vom Ansatz her offensichtlich erkannt. Die Union will diesen Strukturwandel, der hier richtig beschrieben ist, in Freiheit bewältigen. Es ist kein Strukturwandel des Systems, wie Herr Haussmann meinte, sondern wir sind der Auffassung, daß nach Erfahrung und Erkenntnis kein besseres System als die Soziale Marktwirtschaft diesen Strukturwandel in Freiheit bewältigen kann. Dieser Sozialen Marktwirtschaft ist die Union mit aller Vehemenz verpflichtet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuschenbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einer Woche hat hier von diesem Platz aus jemand die Frage gestellt, ob der Bundestag nicht einmal wieder die Fragen und Probleme, die die Menschen tatsächlich bedrücken, debattieren sollte. Damals, vor einer Woche, hat Herbert Wehner nur spöttisches Gelächter aus Ihren Reihen gefunden. Wenn ich mir die Beiträge von heute ins Gedächtnis rufe, so muß ich sagen: Überwiegend wäre es berechtigt gewesen, die Frage zu wiederholen.
Wenn wir alle und auch Sie möchten, daß die Menschen den Diskussionen und Debatten wirklich zuhören und das Gefühl haben, daß sie sich mit ihrem Leben hier wiederfinden, dann nützt und hilft es wenig, immer wieder die gleichen abstrakten Theoriedebatten und immer wieder die Diskussionen darüber zu führen, ob man 1970 Recht gehabt hat, immer wieder zu zitieren, was einer 1971 oder 1972 Kluges gesagt hat. Man muß sich doch wirklich einmal den Dingen zuwenden, die die Menschen heute tatsächlich bewegen.
— Ich rede hier nicht für die Jusos — wie niemand von Ihnen hier für die Junge Union redet —, sondern ich bin Mitglied der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
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Meine Diskussion mit den jungen Mitgliedern in meiner Partei führe ich dort, wo es angebracht ist. Es wäre schön, wenn Sie mit den jungen Menschen in diesem Lande auch so intensiv diskutierten.
Es nützt den Stahlarbeitern und der Einschätzung ihrer Lage überhaupt nichts, wenn Sie hier ein Schattenboxen über richtige oder unrichtige Einschätzungen der wirtschaftlichen Entwicklung vonvor zwei oder drei Jahren veranstalten, und es nützt den Bergleuten überhaupt nichts, wenn hier so abstrakt über die Sicherung der Sozialen Marktwirtschaft geredet wird.Wo ist denn .im Bergbau in den letzten Jahren Marktwirtschaft sinnvoll, möglich und nötig gewesen? Das, was Sie unter Marktwirtschaft verstehen, hat genau zur gegenwärtigen Lage der deutschen Energiewirtschaft mit dem Zechensterben, mit der Unsicherheit in der Energieversorgung usw. geführt.
Ich habe ja gar nichts gegen solche Elemente wie Marktwirtschaft, Unternehmerinitiative usw. Aber so zu tun, als ob damit alle Probleme gelöst würden, ist doch eine 'Selbsttäuschung und eine Täuschung anderer.Den Werftarbeitern nützt es auch nichts, wenn Sie hier über angebliche Neidkomplexe sprechen, von denen die Politik der Sozialdemokratischen Partei bestimmt sei. Den ungelernten Jugendlichen, die draußen vor der Tür stehen, nützt es nichts, wenn Sie hier immer wieder solche Begriffe wie „Anspruchsinflation" anstelle von wesentlichen Argumenten anführen.
Herr Schwarz-Schilling, mich hat erschreckt, daß Sie — das ist aber wohl auch eine Erklärung für manches — auf eine Zwischenfrage sagten: Ich brauche gar nicht im einzelnen auf Fragen Antworten zu geben. Die Union hat einmal die Soziale Marktwirtschaft eingeführt — das ist die Antwort auf alle Fragen. — Wer so Politik macht, der täuscht sich und andere, will andere zumindest daran hindern, sich in konkrete Auseinandersetzungen zu begeben. Und was soll denn Ihr Bekenntnis zum Schluß, Ordnungspolitik zu betreiben, sei das Richtige? Wenn man sich damit davor drückt, zu konkreten Fragen Stellung zu nehmen, ist das im Grunde die Bankrotterklärung der eigenen Politik.
— Nein, überhaupt nicht.Es ist nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich, daß die Union mit der monotonen Regelmäßigkeit einer tibetanischen Gebetsmühle die außen-und weltwirtschaftliche Bedingtheit unserer wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Probleme leugnet. An der einen oder der anderen Ecke sagen Sie: Ja, ein bißchen sind die Probleme auch außenwirtschaftlich bedingt; generell gilt dies aber nicht. — Würden Sie dies generell zugeben, so würde Ihnen das Fundament Ihrer Argumentation unter den Füßen wegbrechen.
Führen Sie sich doch nur einmal folgende Lage vor Augen. Großbritannien: 1,5 Millionen Arbeitslose, Italien: 1,5 Millionen Arbeitslose, Frankreich: 1 Million Arbeitslose, Dänemark: Arbeitslosenzahl um 24 % gegenüber dem Jahr 1976 gestiegen, Belgi-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5953
Reuschenbachen: um 15% gestiegen, in der EG: 6 Millionen Arbeitslose, um 13 bis 14 % gegenüber 1976 gestiegen. Angesichts dessen können Sie doch nicht sagen, all das sei eine hausgemachte Problematik der Bundesrepublik Deutschland; wenn die Bundesrepublik nur ihr eigenes Haus in Ordnung brächte, würde nicht nur das eigene Haus, sondern vermutlich auch die Welt genesen. Damit sind Sie ganz nahe an jener Lokomotiventheorie. Sie erklären die Lage der Weltwirtschaft und die schwierige Lage in Europa mit Fehlern und Unterlassungen in der Bundesrepublik Deutschland und leugnen die Zusammenhänge. Deshalb kommen Sie auch nicht zu der richtigen Schlußfolgerung, nicht zu den notwendigen Konsequenzen.Wenn das gesamtwirtschaftliche Wachstum recht bescheiden ausfalle, liege das nicht zuletzt an der nur schwach expandierenden Auslandsnachfrage. Das sagte in den letzten Tagen das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung zur Lage und zum Ablauf. Damit haben die Herrschaften ja auch völlig recht.' Sicher trifft es zu, daß der Export 1977 gegenüber 1976 gestiegen ist. Der Handelsbilanzüberschuß beträgt rund 35 Milliarden DM. Bei der Leistungsbilanz sieht es schon ganz anders aus; dort sind wir bei 5 Milliarden DM gelandet. Was aber noch viel wichtiger ist: Der Außenbeitrag ist 1977 gegenüber 1974 nahezu halbiert worden. Wenn Sie daraus und aus den anderen Tatsachen nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß der Löwenanteil dessen, womit wir jetzt zu kämpfen haben, außenwirtschaftlich bedingt ist, so kann ich dies nur als den Versuch bezeichnen, sich mit Parteitaktik daran vorbeizudrücken, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Daß die Zahlungsbilanzen anderer Länder und die Entwicklung des Dollarkurses ihre Bedeutung haben, haben Sie — im Gegensatz zu einem Ihrer Vorredner — ja nun eingestanden.Dieser Vorredner hat übrigens wirklich einen tollen Purzelbaum geschlagen. Er sprach nämlich da- von, daß die Probleme, die sich mit dem Dollar auftun, die Folgen des Zinsniveaus in der Bundesrepublik Deutschland seien. Im Umkehrschluß heißt das: Die Bundesbank ist für die Talfahrt des Dollars verantwortlich. Sie möge gefälligst das Zinsniveau heraufsetzen. Dann würde die Dollarproblematik sicherlich gelöst. Mit anderen Worten: Die Schwierigkeiten der Vereinigten Staaten sind nun auch bundesrepublikanisch hausgemacht. Die Lokomotiventheorie wird von Ihnen noch dreimal unterstrichen. Ich hoffe, daß Carter und seine Administration Ihren Beitrag nicht gelesen haben.
Noch einmal: Wer vor diesem Hintergrund die außen- und weltwirtschaftliche Bedingtheit leugnet, hat, Herr Pieroth, die Wahl zwischen zwei Thesen. Er könnte erstens sagen: Die Bundesrepublik Deutschland könnte, wenn sie wollte, Wirtschafts-und Arbeitsmarktprobleme allein mit nationalen Maßnahmen überwinden. Er könnte zweitens — das ist die andere These — sagen: Wenn unsere Probleme, die noch potenzierter die anderer Volkswirtschaften sind, im wesentlichen hausgemacht sind, könnten sie auch hausgemacht gelöst werden.Beide Thesen sind schädlich. Die erste These würde Illusionen und Hoffnungen im Inland wekken, gegründet auf die Behauptung, allein mit nationalen Maßnahmen sei eine gravierende Besserung zu erreichen. Die zweite These würde zu dem Ergebnis führen, daß Ansprüche und Forderungen unserer EG- und Handelspartner noch stärker geschürt, noch potenzierter würden, als es tatsächlich schon der Fall ist.Jedermann kann ruhig davon ausgehen, daß für regierende Sozialdemokraten nichts bedrückender ist als Arbeitslosigkeit und daß sie wegen ihres eigenen Anspruchs, Recht auf Arbeit in einem Höchstmaß zu verwirklichen, alle möglichen und vertretbaren Anstrengungen unternehmen. Das haben sie getan. Das haben sie auch auf dem Feld getan, das sie zum Hauptschlachtfeld erklären: auf dem Feld von Steuererleichterungen. Wie können Sie davon reden, daß die Eigenkapitalrendite in den zurückliegenden Jahren deutlich unter der Fremdkapitalrendite lag! Das hat Herr Kollege Strauß hier schon im Januar behauptet. Ein paar Tage später hat dann das Institut der Deutschen Wirtschaft — nicht ein Gewerkschaftsinstitut — die entsprechenden Zahlen für das Jahr 1976 veröffentlicht. Aus diesen Zahlen ergibt sich schlicht und einfach, daß die Eigenkapitalrendite im Jahre 1976 mit 10,8 °% eine Rekordzahl erreicht hat und daß die Fremdkapitalrendite dagegen „nur" bei 8 % gelegen hat — eine Differenz von 2,8 °/o. Ich bitte Sie herzlich, die Menschen nicht zu täuschen, sondern bei der Wahrheit zu bleiben.
Und in diesem Fall können Sie auch nicht sagen, daß da gewerkschaftliche Rechnungen angestellt worden seien. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat diese Zahlen ermittelt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dollinger?
Herr Kollege Reuschenbach, die Zahlen für 1976 — 10,8 %und 8% — stimmen. Aber ich frage Sie: Stimmen auch die Zahlen für 1974 — Eigenkapital: 6,3 %, Fremdkapital: 10,6 % — und für 1975 — 5,1% und 8,7 % —, die .klar eine höhere Verzinsung des Fremdkapitals als des Eigenkapitals ausweisen?
Jetzt will ich — polemisch antwortend — sagen: Je länger Sozialdemokraten regieren, um so günstiger wird das Verhältnis zwischen Eigenkapitalrendite und Fremdkapitalrendite.
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5954 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
ReuschenbachJedenfalls ist es nicht schlechter, sondern besser geworden. Es wäre doch ganz nützlich, diese Tendenz anzuerkennen, statt sie zu leugnen.
Insoweit mindestens sollten wir uns doch verständigen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Nein, Herr Pieroth. Die Koalitionssprecher haben nicht mehr allzu viel Zeit, und ich möchte nun ganz gerne fortfahren. Aber Sie kommen nicht zu kurz. Denn ich komme noch ein paarmal auf Sie zurück. —
In dem gleichen Jahr, im Jahre 1976, hat unsere Politik auf dem Felde der steuerlichen Erleichterung Erhebliches geleistet. Sie können doch nicht leugnen, daß im Jahre 1976 in diesem Lande durch die damaligen Entscheidungen steuerliche Erleichterungen von mehr als 8 Milliarden DM Platz gegriffen haben. Diese Summen haben ganz zweifellos mit zu einer günstigeren Entscheidung geführt. Das, was durch nationale Maßnahmen möglich war, ist bis an die Grenze ausgeschöpft warden; das muß jetzt wirken. Jetzt darf man keine neuen Illusionen wecken, aber auch keine haben. Auch sollte man nichts beschönigen.
Von diesem Stichwort ausgehend, möchte ich folgende Frage stellen: Wieso malt die Union in diesem Saal das Bild einer Wirtschaft, von dem diejenigen, die nur die Beschreibung mitbekommen, glauben müssen, der Weg führt gleich in den Abgrund, während sie gleich im Saal nebenan den. Ernst .der Lage rundweg leugnet, beschönigt, und zwar aus parteitaktischen Erwägungen? Was meine ich damit? Als in der vorigen Woche im Bundesrat der Haushalt 1978 zu erörtern und zu beraten war, hat Ministerpräsident. Filbinger erklärt, zur Zeit bedürfe es zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts keiner Maßnahmen; denn es gehe zu weit, bei einer Zunahme des realen Wachstums um über 3 % von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu sprechen. Macht sich, wer da so redet, nicht einer Beschönigung aus parteitaktischen Erwägungen schuldig, wenn er das nur tut, um zu erläutern, warum man möglicherweise auch mit dem Gedanken gespielt habe, Art. 115 des Grundgesetzes anzuwenden? Um solcher Effekte willen wird dort beschönigt, und von diesem Platz hier gibt es eine Dramatisierung, die niemandem nützt. — In der Tat: Die Union bedarf der Strategiekommission, die heute wieder tagt, wie ich gelesen habe.
Wissen Sie, bei den Forderungen nach weiteren Steuersenkungen hat Ihre Partei inzwischen jedes Augenmaß verloren. Wenn man einmal die Forderungen nach Steuersenkungen in dieser Wahlperiode, also seit Anfang 1977, zusammenrechnet, die
entweder von der Fraktion oder von herausragenden Persönlichkeiten Ihrer Partei oder von Landesregierungen gestellt worden sind, dann kommt man auf praeterpropter 337 Milliarden DM. Davon müssen wir dann ein bißchen runterstreichen, weil in der Aufstellung einiges doppelt gemoppelt ist. Aber eine solche Forderung nach Steuersenkungen um weitere 30 Milliarden ist doch nichts anderes als eine Kampfparole. Das wissen Sie doch.
Das könnte doch der Bundeshaushalt — auch, wenn Sie ihn gestalten könnten — überhaupt nicht vertragen.
Aber ist doch die Strategie, die Herbert Wehner vor zwei Jahren einmal so gekennzeichnet hat: Ein Höchstmaß an Forderungen an die Staatskasse stellen, dieser gleichzeitig die Einnahmen versagen und insgesamt die Zuwächse der Haushaltsmittel als unverantwortlich anprangern. Das ist die Würgegriffstrategie, die Sie doch nun schon seit langem verfolgen.
Herr Häfele hat das doch am Montag oder Dienstag dieser Woche noch einmal in schöner Offenheit im „Handelsblatt" dargelegt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Dollinger, darf ich zu Ende kommen? — Wir haben nicht mehr viel Redezeit. Zeit haben wir noch.
— Ja, natürlich, über vier Jahre hinweg hat sich diese Summe ergeben. Dies sind aber die Forderungen weniger Jahre. Wenn Sie die Steuererleichterungen, die beschlossen worden sind, hinzunehmen, dann ist doch völlig klar, was da passiert.
Das hat Herr Häfele deutlich gesagt - „Handelsblatt" in dieser Woche —: Erstens drastische Steuersenkungen und zweitens drastische Reduzierung der Ausgaben. Was heißt denn das? Das hieße doch, wenn diese Taktik, diese Strategie Erfolg hätten, daß soziale Verpflichtungen nicht mehr erfüllt werden könnten, daß Aufgaben der Wirtschaftspolitik nicht mehr nachgekommen werden könnte und Maßnahmen der Arbeitspolitik nicht erfüllt werden könnten. Das wäre eine mörderische und vertrauenszerstörende Politik. Ihre Hoffnung ist ganz zweifellos, ein bißchen Erfolg zu haben, um auf diese Art und Weise darlegen zu können, daß diese Re-
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Reuschenbachgierung ihren sozialpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Verpflichtungen nicht nachkommen kann.
Ich hoffe, die Koalition wird Ihnen den Gefallen nicht tun.Wissen Sie, wenn die gleiche Partei, die eine so doppelbödige vertrauenzerstörende Strategie betreibt,
so tut, als ob sie sich um das Vertrauen der Menschen in die Zukunft kümmerte, um die Erhaltung des sozialen Klimas, dann ist das schon zwiespältig.
Aber wenn sie dann auch noch durch Ihr konkretes Verhalten in konkreten Punkten zusätzlich die gesellschaftspolitische Polarisierung fördert, dann ist das zu verurteilen.
Erklären Sie mir doch mal, wie folgendes zusammenpaßt? Hier im Plenum des Deutschen Bundestages sind Sie spät — aber immerhin — mit der überwältigenden Mehrheit Ihrer Mitglieder beim Mitbestimmungsgesetz aufgesprungen, haben ihm zugestimmt, haben aber gleichzeitig den Gang der Arbeitgeber nach Karlsruhe mit Beifall begleitet. Dieses ist ein Widerspruch in sich und kennzeichnet mindestens die Handlungsweise bei der ersten Entscheidung, mit der Mehrheit zu diesem Mitbestimmungsgesetz ja zu sagen, als eine taktische und keine überzeugende.
Dem will ich aber folgendes hinzufügen, weil es unmittelbar damit zusammenhängt. Heute mahnen Ihre Vertreter die Bundesregierung, sie müsse sich mehr darum kümmern, daß die Konzertierte Aktion wieder zusammentrete. Herr Stoltenberg hat Ende vorigen Monats noch gesagt, ihrer Pflicht, die für die Wirtschaft Verantwortlichen wieder an einen Tisch zu bringen, sei die Bundesregierung nur halbherzig nachgekommen.Es ist noch gar nicht lange her, daß der wirtschaftspolitische Sprecher Herr Biedenkopf in einem Vortrag, der weithin Beachtung gefunden hat, eine Argumentation gegen die Konzertierte Aktion aufgebaut hat, wie ich sie noch von niemandem, der sich in den letzten Wochen oder Monaten kritisch zur Konzertierten Aktion geäußert hat, vernommen habe. Seine Einschätzung lautete:Erstens. Die Konzertierte Aktion stellt eine unzulässige Vermengung privater und staatlicher Tätigkeit dar.Zweitens. Die Konzertierte Aktion hat sich zum Nebenparlament entwickelt.Drittens. Der Zugang zur Konzertierten Aktion ist dubios.Viertens. Die Legitimation der an der Konzertierten Aktion teilnehmenden Verbände ist zweifelhaft.Fünftens. Der Konzertierten Aktion ist mangelnde Publizität vorzuwerfen.Ich weise diese Kritik zurück, weil sie falsch ist. Aber ich weise dann auch jenes doppelte Spiel zurück, bei passender Gelegenheit der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen zu sagen: Darum kümmert ihr euch nur halbherzig. Bei anderer Gelegenheit dagegen läuft man frontal gegen eine Einrichtung, die, jedenfalls nach unserer Meinung, einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des sozialen Klimas hierzulande geleistet hat.
Nun noch ein Wort zu den Meinungsäußerungen über Löhne und Tarifautonomie. Sie können das kaschieren, wie Sie wollen: am Ende laufen Sie auf eine Einschränkung der Tarifautonomie zu. Das ist ja auch eine gerade Linie, die sich durch die Jahre hindurchzieht. Man könnte manchen anderen Anfangspunkt nehmen.
Ich nehme nur den von Ludwig Erhard, der hier als Garant des sozialen Klimas gefeiert worden ist. Er sagte, noch als Vizekanzler, von den Sozialpartnern erwarte die Bundesregierung Unterstützung durch eine maßvolle und besonnene Lohnpolitik; falls das nicht eintrete, müßten gegebenenfalls neue Lösungen und Formen der Zusammenarbeit der Sozialpartner gefunden werden. Es war die Drohung: Wenn ihr nicht eine Lohnpolitik macht, die wir, die Bundesregierung oder die Mehrheit im damaligen Bundestag, für richtig halten, werden wir neue Lösungen der Zusammenarbeit auf dem Felde der Tarifpolitik herbeiführen.Von da schließt sich nahtlos die Linie zu der Äußerung ihres wirtschaftspolitischen Sprechers Biedenkopf im Januar dieses Jahres,
wo er sagt: Da sich die Bundesregierung in den vergangenen Jahren um Vollbeschäftigung entschieden gekümmert hat — und jetzt zitiere ich —, ohne gleichzeitig irgendeinen Einfluß auf die Tarifpolitik zu nehmen, lehnen es heute Gewerkschaften ab, sich an der Diskussion über den Zusammenhang zwischen Tarifpolitik und Vollbeschäftigung zu beteiligen.Erstens ist dieser Vorwurf zurückzuweisen. Herr Biedenkopf sagt damit, die Gewerkschaften handelten unverantwortlich. Aber zweitens — das ist wichtiger — hat Biedenkopf von der Regierung verlangt, Einfluß auf die Tarifpolitik zu nehmen. Und da wollen Sie immer noch sagen, Ihnen komme es5956 Deutscher Bundestag --- 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978Reuschenbachnicht darauf an, die Tarifautonomie in Frage zu stellen? Das ist doch so sonnenklar.
Sie sollten sich doch zu dem, was Sie verklausuliert sagen, auch einmal offen bekennen. Zu christlicher Verhaltensweise gehört auch Ehrlichkeit.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie an das Ende der Redezeit erinnern.
Jawohl. — Ich gebe die Hoffnung jedenfalls nicht auf, daß auch Sie eines Tages daran mitwirken, auf die tatsächlichen Fragen positive Antworten zu geben. Hier liegt jedenfalls mehr Verantwortung, als uns gelegentlich bewußt ist.
So denke ich, man darf doch noch so schließen: Lassen Sie uns gemeinsam daran mitwirken, daß wegen der Fülle objektiver Gründe für Unsicherheiten bei unternehmerischen Planungen und Entscheidungen, die vorwiegend in den außenwirtschaftlichen Bedingungen liegen, nicht noch durch parteiliche Effekthascherei zusätzliche Unsicherheit heraufbeschworen wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zeitel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Reuschenbach, Ihre Worte waren ja wohl für den zuhörenden Arbeitnehmer gedacht. Ich finde, was Sie gesagt haben, ist für den Arbeitnehmer eigentlich beschämend. Was soll ein deutscher Arbeitnehmer denken, wenn Sie ihm sagen: „In anderen Ländern haben wir noch mehr Arbeitslosigkeit, und deshalb müßt Ihr zufrieden sein" ?
Dies war der erste Teil Ihres Hinweises. Der zweite Teil war genau das, was Sie beanstandet haben, nämlich eine Polemik in der billigsten und unsachlichsten Form.
— Soll ich Ihnen das in allen Punkten nachweisen? Man kann doch nicht eine Jahreszahl herausgreifen, wissend, daß die anderen Jahreszahlen anders aussehen und dann sagen, da sei eine aufsteigende Linie. Das ist der Stil einer Rabulistik, von dem ich befürchte, daß er der Gesamtauseinandersetzung in der Bundesrepublik nicht guttut.
Sie wären gut beraten, etwas sachlicher zu argumentieren. - Mit Ihnen, Herr Reuschenbach, sich auseinanderzusetzen, lohnt nicht, weil Sie zur Substanz der Diskussion nichts beigetragen haben. Ich lasse Ihnen die Schlußfolgerung für heute und morgen.
Darf ich vielleicht damit zur Sache kommen.
— Stört Sie das?
— Ach so, das ist alles, was Sie dazu zu sagen haben, Herr Roth. Wenn Sie etwas zu sagen haben, sagen Sie es doch bitte in der Sache. Sie können doch Fragen stellen.
Darf ich damit zum eigentlichen Thema kommen. Wir diskutieren heute den Bericht des Sachverständigenrates und den Wirtschaftsbericht der Bundesregierung.
Der Sachverständigenrat verdient nicht nur Dank dafür, daß er eine umfassende Berichterstattung vollzogen hat. Er hat den Mut gehabt, in detaillierter Weise verschiedene wirtschaftspolitische Alternativstrategien zur Diskussion zu stellen. Um es verkürzt zu formulieren: er hat das Modell einer angebotsorientierten Strategie entwickelt, und er hat ihm das Modell einer nachfrageorientierten Politik gegenübergestellt. In ziemlich eingehenden Begündungen, die im Kern auch die Minderheitsmeinung einschließen, hat er gesagt: Das eigentliche Leitbild — Herr Reuschenbach —, um mit dem Problem der Beschäftigung fertigzuwerden, ist eine angebotsorientierte Strategie. Das ist die Schlußfolgerung des Sachverständigenrates. Darauf anwortet die Regierung weder mit der Zustimmung zu der einen noch zu der anderen Strategie, sondern mit einer Strategie des Status quo; dies ist der Grundzug des Wirtschaftsberichtes.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Herr Reuschenbach.
Wenn Sie diese Empfehlung für richtig halten und politischen Maßnahmen zugrunde legen möchten, wieso können Sie bzw. Ihre Kollegen dann gleichzeitig die eigene Empfehlung feiern, die Bundesregierung hätte doch bitte von den 10 % Abschlag bei der Einkommensteuer Gebrauch machen sollen?
Aber das ist doch völlig kompatibel, Herr Reuschenbach. Mich wundert, daß Sie das fragen. Wir haben gesagt: Helfen tut nur eine schnelle, eine klare Maßnahme, wie sie dem von Ihnen mit beschlossenen Stabilitätsgesetz entspricht.
— Nein, nicht primär,
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Dr. Zeitelsondern um von der Seite auch eine Verbesserung der Rentabilität herbeizuführen. Ist das so schwer zu begreifen, Herr Reuschenbach? Insofern stimmt das völlig mit dem überein, was der Sachverständigenrat empfohlen hat.Ich darf für meine Fraktion — nur dies kann doch der Sinn einer Debatte sein — erklären, daß vielleicht der Grundunterschied zwischen Ihnen und unserer Fraktion im Ansatz der Strategie von der Angebots- oder der Nachfrageseite besteht. Das ist die eigentliche Meinungsverschiedenheit, wenn man sie in einen strategischen Konzeptansatz fassen will.Die Bundesregierung legt einen Bericht vor, der beim Status quo bleibt. Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihre Ausführungen von heute morgen verdeutlichen, daß die Risiken, die in dem Bericht zum Ausdruck kommen, heute vielleicht noch höher gewichtet werden müssen als vor einigen Wochen — nach den ganzen Bewegungen an der Wechselkursfront. Danach ist es nicht einmal eine Strategie des Status quo, sondern ist es eine Strategie des Status quo minus. Die Folge einer solchen Strategie ist nicht die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, sondern die Verhärtung des Beschäftigungsproblems. Unser Kernvorwurf lautet:
Die Regierung entwickelt keine Strategie, die uns zu mehr Arbeitsplätzen führt, sondern die das Problem der Arbeitslosigkeit mehrt.Wer das Problem der Beseitigung der Arbeitslosigkeit nicht anders und entschiedener angeht, der wird die Folgewirkungen im Bereich der öffentlichen Finanzen, im Bereich der sozialen Sicherheit nicht ausräumen, indem er permanent Teilreparaturen vollzieht und von einem Sanierungsakt in einem Teilbereich zur Sanierung in einen anderen stürzt. Die Kernaufgabe der deutschen Wirtschaftspolitik ist daher die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Was die Bundesregierung als Strategie in ihrem Jahreswirtschaftsbericht vorlegt, bringt eine Verhärtung dieses Kernproblems und keine Lösung. Wenn wir die Unterschiede für den, der die Meinung der Parteien kennenlernen will, deutlich machen wollen, dann setzen wir darauf, daß nur über den Weg einer angebotsorientierten Politik weiterzukommen und die Arbeitslosigkeit zu beseitigen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?
Gerne.
Herr Kollege Professor Zeitel, würden Sie mir zustimmen, daß die angebotsfördernden Maßnahmen des vergangenen Jahres — Steuersenkung und die Milliardenprogramme — das Angebot entscheidend verbessern werden und ihre Auswirkungen bisher noch nicht spürbar gewesen sind, so daß es nicht sinnvoll ist, bevor dies nicht
geschehen ist, schon neue oder andere Maßnahmen zu fordern?
Herr Cronenberg, dabei bin ich noch nicht. Aber ich will auf Ihre Frage antworten: Die Steuersenkung, die Sie hier immer herausstellen, müssen wir doch differenzierter beurteilen. Wie war denn die Ausgangslage? Die Bundesregierung hat 2 % Mehrwertsteuererhöhung vorgeschlagen und wollte die Hälfte zur Deckung der Haushaltslücke. Wir mußten ihr abtrotzen, daß sie im Grunde genommen die Steuererleichterungen gebracht hat, die das Endpaket bestimmt haben. Daß das noch nicht in allen Bereichen voll wirkt, konzediere ich Ihnen gerne.Nachdem ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, worin der Grundunterschied im strategischen Ansatz besteht — vielleicht nicht für Sie, Herr Roth, aber ich bemühe mich darum —,
möchte ich ein paar Bemerkungen zur Analyse der Situation machen. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir stimmen mit dem, was im Wirtschaftsbericht enthalten ist, weitgehend überein.
Die Darstellung ist freilich mit sehr vielen Klauseln und Bedingungen versehen, die Entschuldigungen hinterher offenhalten. Lassen Sie mich aber hinzufügen, daß der Bericht zum Teil in einer Sprache verfaßt ist, daß man schwer erkennen kann, was eigentlich gemeint ist. Daß die Bundesregierung noch immer Überlegungen zum optimalen Schnittpunkt zwischen Kosten- und Nachfrageeffekten bei Lohnerhöhungen anstellt, ist sicher für den Arbeitnehmer besonders verständlich formuliert. Was aber eigentlich das Ergebnis dieser Überlegungen ist, habe ich bis zur Stunde aus den Diskussionsbeiträgen der SPD noch nicht herausfinden können. Ich finde es mutig, daß Sie, Herr Minister, in dieser Frage hier heute morgen und woanders eine klarere und auch für den Arbeitnehmer verständlichere und, wie ich meinen möchte, der Situation angemessenere Meinungsäußerung getan haben. Davor haben wir Respekt und das unterstützen wir. Sie haben gesagt, daß im wesentlichen das, was über die Produktivitätssteigerung hinausgeht, nicht vertretbar, sondern mit weiteren Nachteilen für die Beschäftigungsentwicklung verbunden ist. Das ist klarer, als es im Jahreswirtschaftsbericht in den hochgestelzten Ausführungen enthalten ist.Im Jahreswirtschaftsbericht sind freilich eine Reihe von Fragen nicht angesprochen worden. Diese darf ich im Interesse der Klarstellung unserer Position wiederum verdeutlichen. Wir von der CDU/CSU-Fraktion glauben nicht, daß das, was wir gegenwärtig an Schwierigkeiten haben, allein ein ökonomisches Phänomen ist und allein ökonomisch bewältigt werden kann. Dahinter steht vielmehr eine gesellschaftliche Verunsicherung. Wenn die Atmosphäre nicht auch in diesem Bereich bereinigt wird, dann werden wir keine dynamische Wirtschaftsentwicklung haben. Darüber steht im Bericht nichts.
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5958 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. ZeitelDankenswerterweise — das ist auch einer der anzuerkennenden Beiträge des Sachverständigenrates — sind die Strukturprobleme einzelner Branchen in ihrer Bedeutung mehr herausgehoben als früher. Ich riskiere die These: Die Krise der Entwicklung, in die wir geraten sind, ist allein mit den tradierten konjunkturpolitischen Methoden nicht zu meistern. Wer nicht ein Konzept für die Strukturfragen vorlegt, wird scheitern und das Problem nicht lösen.
Insofern haben die Strukturfragen gegenüber früheren Zeiten ein ganz anderes Gewicht.Ich will hier zum Problem Stahl und Mineralöl nichts sagen, weil das eine spezielle Problematik ist. Aber ich will einige Sektorenprobleme ansprechen, die überhaupt nicht im Bericht erwähnt sind.Lassen Sie mich als weitere Beispiele die Verkehrswirtschaft sowie die Bau- und Wohnungswirtschaft nennen, die ja Schlüsselindustrien für die Wirtschaftsentwicklung sind. Meine Damen und Herren, welches Konzept hat die Bundesregierung eigentlich zur Lösung der Verkehrsprobleme? Wir werden in diesem Jahr 13 Milliarden DM Subventionen an die Bundesbahn überweisen, und deren Tendenz ist steigend. Das Ergebnis von acht Jahren sozialliberalen Nachdenkens über dieses Problem ist ein Einsparungsprogramm von 500 Millionen DM im Jahr. Das ist soviel, wie die Personalkostensteigerungen in einem Jahr ausmachen. So werden wir uns kaputtsanieren. Ein tragfähiges Konzept in diesem Bereich ist überhaupt nicht erkennbar.Betrachten wir weiter den Sektor der Bau- und. Wohnungswirtschaft. Wenn man meint, man könne mit Modernisierungsmaßnahmen eine ausreichende Wiederbelebung herbeiführen, wird man den Verhältnissen in der Wohnungswirtschaft nicht gerecht. Wir stehen im Wohnungsbereich vor der grotesken Situation, daß die Sozialkosten stärker steigen als die Kosten frei finanzierter Wohnungen,
daß mehr subventioniert wird und daß als Ergebnis von mehr Subventionen die Mietungerechtigkeit immer größer wird.
Dies ist doch keine Zukunftsperspektive.
Welche Linie hat denn die Regierung? Sie hat offensichtlich den Dauerschutz des Dauermieters mit immer höheren und dennoch unzulänglicheren Subventionen bis zum Jahre 2000 im Blickfeld. Das ist keine Lösung. Wir sind der Meinung, daß wir nur dann wieder mehr Dynamik in die Bauwirtschaft hineinbringen, wenn auch in diesem Bereich eine entschlossene Hinwendung zu mehr Privateigentum vollzogen wird, was die Bürger letztendlich wollen. Wir sind nicht der Meinung, daß man großen Gesellschaften Riesenbeträge zur Verfügung stellen sollte, die damit zum Teil ihre Bürokratien unterhalten, sondern wir sind entschieden der Meinung, daß die Bauförderung zugunsten etwa der Eigentumsbildung kinderreicher Familien umgestellt werden sollte. Diese laufen in der Eigenkapitalbildung hinter dem Prozeß der Inflation her und schaffen ohne mehr Hilfe das Ziel nicht.
Hier trennen uns nicht Kleinigkeiten, sondern Grundauffassungen.
— Wenn Sie etwas wollen, stellen Sie bitte eine Frage, Herr Roth.
Die vermehrte Eigentumsbildung im Wohnungsbau ist unsere Alternative zu Ihrer Politik. Wir sind der Auffassung, daß das private Eigentum der Bürger, nicht das von Gesellschaften gefördert werden sollte. Ich wollte Ihnen damit nur ein Beispiel dafür liefern, daß es über das hinaus, was im Jahreswirtschaftsbericht steht, Problemkreise-gibt, die die Beschäftigungsfrage entscheidend bestimmen und ohne deren Lösung nicht voranzukommen ist.Zur Lohnpolitik und zur Währungspolitik sind bereits Ausführungen gemacht worden; ich will das hier nicht wiederholen. Sie haben unsere Unterstützung, Herr Bundeswirtschaftsminister, in der Ablehnung von Forderungen nach mehr Inflation, um damit die Konjunktur anzukurbeln. Darin stimmen wir mit Ihnen überein. Das müssen wir auch immer wieder nach außen hin betonen. Aber die Frage ist auch, ob nicht eine andere Politik als die Politik über die Nachfrageausweitung zu einem stärkeren Wachstumsprozeß in unserem Land führt, der sich stärker in die internationalen Erfordernisse eingliedert.Herr Reuschenbach, was soll denn das Relativierungsmanöver, dem staunenden Arbeitnehmer vorzuführen, daß das, was wir in unserem Lande haben, das Ergebnis der Weltrezession sei, obwohl Sie doch wissen müssen, daß die Japaner und di-e Amerikaner eine doppelte und dreifache Wachstumsrate realisiert haben
und unsere Zahlungsbilanzprobleme durch die Leistungen der deutschen Wirtschaft bis heute in bewundernswerter Weise gelöst worden sind?
Wir stehen aber nunmehr an einer Schwelle, wo auch die größte Leistungs- und Anpassungsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht mehr ausreichen könnte. Auch von dieser Seite ist die Zugfunktion fragwürdiger geworden, die der Export in unserem Land bisher gehabt hat.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5959
Dr. Zeitel Nur dann, wenn eine Politik aus einem Gesamtansatz mit einer klaren Zukunftsperspektive gestaltet wird, besteht die Chance, wieder zu einer dynamischen Aufwärtsentwicklung zu kommen.Gestatten Sie mir noch ein paar Bemerkungen zu Teilbereichen. Herr Wurbs, Sie haben dankenswerterweise die Mittelstandsfrage ausführlich angesprochen. Wir stimmen mit Ihnen überein, daß die Bedeutung des Mittelstands in unserem Land für die Produktion und für die Sicherheit der Arbeitsplätze bisher auch nicht annähernd richtig gewürdigt worden ist.
Wir begrüßen es daher, daß nunmehr in einem fast allgemeinen Erwachen der Gesellschaft, der Mittelstand mehr in den Mittelpunkt therapeutischer Bemühungen rückt. Wir begrüßen alle Förderungsmaßnahmen, die Kreditprogramme, das Programm zur Förderung der Selbständigkeit usw.Nur können Sie doch nicht im Ernst glauben, daß damit der Gesamtbelastung in diesem Wirtschaftsbereich hinreichend entgegengewirkt wird. Von der Lohnpolitik über die Sozialkosten und die Steuerkosten bis zu den Bildungsausgaben — wohin Sie auch sehen: Der Mittelstand ist es gewesen, der die Hauptlasten der Verteilungspolitik in den letzten Jahren getragen hat. Das hat deutliche Folgen im sichtbaren Erosionsprozeß bei den mittelständischen Unternehmen. Das kann man, Herr Wurbs, nicht mit ein paar Sonderprogrammen ausgleichen. Sondern hier ist eine Remedur durch eine ganze Reihe von Gesetzen notwendig, die dem Mittelstand signalisieren, daß er nicht nur die Lasten zu tragen hat, sondern daß er auf Grund seiner Leistungen einen Anspruch auf faire Wettbewerbsbedingungen hat. Es ist mehr als Programmaktionismus notwendig.
Alle Kreditprogramme haben ihre Grenzen dort, wo die Besicherungsmöglichkeiten infolge des Fehlens von Eigenkapital nicht mehr gegeben sind. Deshalb ist es auch für den Arbeitnehmer wichtig, zu wissen, daß eine Wirtschaft, auch eine sozialistische, nicht funktionieren kann, wenn die Unternehmenserträge nicht mehr stimmen. Wenn es hier nicht zu einer Änderung kommt, wird sich die Arbeitslosigkeit verfestigen, werden wir sie nicht abbauen. Unsere Arbeitnehmer sind reif, um zu verstehen, welche Rolle hinreichende Erträge für die Sicherheit der Arbeitsplätze haben. Sonst wird Geld entweder auf inländischen Sparkonten oder, wenn es da nicht die erwartete Rendite erbringt, im Ausland angelegt. Davon hat der deutsche Arbeitnehmer gar nichts. Deshalb muß es zu einer Korrektur der Unternehmenserträge kommen.Ich erinnere mich an eine Diskussion mit dem neuen Bundesfinanzminister. Dabei hat auch er diese Grundüberzeugung vor Journalisten vertreten, das es in der Verteilungsfrage zu einer Änderung kom- men muß. Wenn Sie bei dieser Linie bleiben, Herr Minister, werden Sie das Beschäftigungsproblem in unserem Land vielleicht etwas besser lösen können.Zur Gestaltung der Finanzpolitik, die einer der zentralen Streitpunkte zwischen Ihnen und unserer Fraktion ist, will ich ein 'paar Ausführungen anschließen. Hier ist ein Angelpunkt der Therapie, die wir betreiben können.Die jüngsten Steuererleichterungen gleichen nur einen Bruchteil dessen aus, was der Staat an heimlichen Steuererhöhungen von den Bürgern mehr kassiert hat — —
— Ja, das ist nur ein Bruchteil der heimlichen Steuererhöhungen, die der Staat zu Unrecht kassiert hat.
Sie können es drehen und wenden wie Sie wollen, die Grundlinie Ihrer Politik ist durch folgende Daten geprägt: Seit 1969 sind die Staatsausgaben auf 155 % gestiegen und die Steuereinnahmen auf rund 130 %. Und diese Lücke zwischen laufenden Einnahmen und Ausgaben macht uns zu schaffen. Sie ist Folge Ihrer Politik einer Überforderung der dauerhaften Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und unserer Bürger. Dies ist das Grundproblem.Wir werden es nicht weiter auf dem Weg lösen können, den Sie in den letzten Jahren gegangen sind: Die Ausgaben steigen, und weil die Ausgaben gestiegen sind, werden dann mehr Steuern erhoben. Die Art der Lastenerhöhung macht die Koalition — zugegeben — mit Raffinesse.
— Herr Roth, ich werde Ihnen gleich Beispiele bringen. —
Sie haben jetzt einen Teil der Steuern gesenkt.
— Aber Herr Roth, Sie müssen immer die gesamten Ausführungen hören und nicht zu früh reden. — Zur gleichen Zeit operieren Sie mit neuen Steuererhöhungen. Oder wollen Sie die Heizölsteuer nicht erhöhen, wollen Sie die Sozialversicherungsabgabe nicht erhöhen, wollen Sie die Bildungsabgabe nicht doch noch einführen? Das ist das Kernproblem: Auf der einen Seite ein bißchen Zucker, damit man dem Bürger nachher auf der anderen Seite noch tiefer in die Tasche greifen kann. So werden wir die finanzpolitischen Probleme nicht dauerhaft lösen.
Wir haben in der Steuer- und Abgabenbelastung eine Grenze erreicht, die wir nicht überschreiten dürfen, wenn wir nicht den Leistungswillen und die Leistungsfreude auch in weiten Teilen der Arbeitnehmerschaft weiter untergraben wollen. Das Problem der Steuerverteilung ist nicht mehr primär die Umverteilung zwischen arm und reich, das Kernproblem der Steuergestaltung ist: Wie hoch darf ein Facharbeiter, wie hoch darf ein Einzelhändler, wie hoch darf ein Handwerker oder Beamter belastet
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5960 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Zeitelwerden, ohne daß er die Lust und die Freude an der Arbeit verliert?
Herr Abgeordneter Dr. Zeitel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Immer?
Gerne.
Herr Professor, Sie haben um Zwischenfragen an Stelle von Zwischenrufen gebeten. Darf ich Sie fragen, ob es nicht richtig ist, daß Ihre Freunde im Zusammenhang mit der Rentensanierung eine Erhöhung der Beiträge gefordert haben, während wir zu einer solchen Erhöhung nicht bereit sind?
Der Meinungsbildungsprozeß ist dazu noch nicht abgeschlossen.
— Ich kann Ihnen heute ziemlich sicher sagen, daß wir 'keiner Beitragserhöhung zustimmen werden aus den Gründen, die ich eben genannt habe: Wir werden es nicht zulassen, daß der Bürger immer mehr Steuern zu zahlen hat. Das ist der Grund.
Genau das unterscheidet uns von Ihnen: Ein bißchen Steuersenkung, ein bißchen mehr Steuererhöhung, immer neue Steuern, immer neue Abgaben oder immer neue Gebühren — das ist nicht die Linie, die die Union verfolgt.
Wir werden Sie vielmehr weiter unter Druck setzen — auch das nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Bundesfinanzminister—, alles das „herauszurücken", was über die Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts hinausgeht und was letztendlich heimliche Steuererhöhungen sind. Für uns ist das nicht mit dem Wort „Ruhe an der Steuerfront" abgetan. Die Unruhe, die entsteht, wenn Bürgern Steuererleichterungen in Aussicht stehen, ist leicht ertragbar. Wir werden daran festhalten, daß diese Linie gehalten wird.
Gestatten Sie mir zum Abschluß noch eine letzte Bemerkung. Wenn man die Folgewirkungen der von Ihnen betriebenen Strategie genauer untersucht, kann man feststellen, daß wegen des nachlassenden Wachstums die öffentlichen Finanzen in Unordnung geraten sind und als Folge eines Prozesses steigender Arbeitslosigkeit zum erstenmal in der Nachkriegszeit auch unser soziales Sicherheitssystem angeknackst ist. Auf dieser Linie ist kein Vertrauen zu gewinnen, sondern wird Vertrauen zerstört. Was Sie in den letzten Tagen und Wochen mit der Bastelei an der Rentenreform angestellt haben, ist so leicht nicht wiedergutzumachen.
Der Bürger, der im Arbeitsleben steht, hat ein Recht darauf zu wissen, wie er im Alter gestellt ist.
Diese Sicherheit hat er aber nicht, wenn z. B. auch bei den „Neuzugängen" die Rente manipuliert wird. So schaffen Sie erneut Unsicherheit. Und bei großer Unsicherheit in den Erwartungen sind die erforderliche Dynamik der Wirtschaftsentwicklung und die Sicherheit der Arbeitsplätze nicht zu gewährleisten. Auf diese Weise werden wir uns peu à peu weiter festbuttern.
Das Wort hat der Abgeordnete Rapp .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es sind keine 20 Stunden her, da habe ich mit meinem Vorredner, dem verehrten Herrn Kollegen Zeitel, im Sitzungssaal 2302 des Neuen Hochhauses gesessen. Da haben die Währungsfachleute des Finanzausschusses zusammen mit Staatssekretär Lahnstein die Weltwährungsszenerie durchdekliniert. Ich hatte mich natürlich gefreut, Herr Zeitel: Als Sie hier heraufkamen, dachte ich, wir würden eine Währungsdiskussion führen.
Ich kann verschmerzen, das das nun nicht stattfindet. Wir werden wieder Gelegenheit dazu haben. Nur: Enttäuscht bin ich natürlich in der Sache; enttäuscht bin ich, daß Sie zur Währungsproblematik kaum ein Wort verloren haben. Herr Zeitel, wenn gestern abend einer von uns beiden in der Runde, die beieinander war, die Feststellung .getroffen hätte, daß das, was sich in der Währungsszenerie bewegt, bei weitem alles übertrifft, was wir hier bewegen, dann hätte keiner von uns beiden widersprochen.
Wir haben festgestellt, daß die Situation überaus schwierig ist. Infolgedessen kann ich einfach nicht verstehen, daß Sie bei Ihrer Kenntnis der Probleme und Prioritäten hier herkommen und in einer Rede zum Jahreswirtschaftsbericht nicht über das Thema Nr. 1 reden. Sie wissen ja doch, was Thema Nr. 1 ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zeitel? — Bitte.
Herr Kollege Rapp, stimmen wir darin überein, daß die Fragen, die im Bereich der internationalen Währungspolitik jetzt anstehen, nicht unbedingt solcher Art sind, daß sie am Markt ausgetragen werden können? Stimmen wir auch darin überein, daß alles, was zu diesem Thema zu sagen ist, unsere Beschäftigungssorgen nur noch verstärkt? Haben Sie Verständnis dafür, daß ich bei der Reaktion Ihrer Fraktion die Sorgen nicht noch verdeutlichen mochte?
Herr Kollege Zeitel, ich antworte Ihnen, daß Sie nicht adäquat über die
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Rapp
Situation reden können, wenn Sie das Thema nicht aufwerfen.
Im übrigen, Herr Kollege Zeitel, hat es mich gefreut, daß Sie Ihr Herz über die ordnungspolitische Hürde geworfen und hier über Strukturpolitik geredet haben. Das war wohl möglich, weil der Herr Kollege Biedenkopf nicht da war.Zu dem, was Sie zur Steuer sagten, kann ich leider nicht Stellung nehmen, weil ich mich ganz eng an mein Thema werde halten müssen. Wie soll man in 15 Minuten angemessen über Währungspolitik reden?Nur ein Wort, Herr Zeitel: was Sie hier mit der Bundeskasse an Einnahmedrosselung und Ausgabensteigerung veranstalten wollen, würde jeden schlichten Vereinskassierer vor den Kadi bringen. Darüber haben wir im Finanzausschuß oft genug geredet. Das müssen wir hier auch einmal öffentlich festhalten.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Ich habe mir vorgenommen, 15 Minuten über die Währungssituation zu reden. Das kann man nur mit Zittern und Zagen tun. Ich muß mich streng ans Thema halten.Dem Jahreswirtschaftsbericht ist allseits auch hier heute Nüchternheit zuerkannt worden. Das bezog sich vor allem auf jene Passage, in der gesagt wird, welchen Schwierigkeiten und Unsicherheiten das Prognosemachen ausgesetzt ist, wenn die Entwicklung des Aggregats Außenwirtschaft — ungefähr ein Viertel unserer gesamten Wirtschaftstätigkeit — im Grunde nur über den Daumen gepeilt werden kann.Zugrunde gelegt ist eine Expansion des Welthandels von nur noch 5 % und eine Steigerung der Warenausfuhr aus der Bundesrepublik um dieselbe Quote. Nun sind auch noch diese sehr zurückgenommenen Annahmen unter den Vorbehalt gestellt, daß sich die Bedingungen im Bereich des Wechselkurses, der Exporterträge und der Freiheit des außenwirtschaftlichen Güter- und Dienstleistungsverkehrs nicht weiter verschlechtern.Die Konsequenzen, die sich aus all diesen Unsicherheiten ergeben, sind in den Kommentaren zum Jahreswirtschaftsbericht gewürdigt worden. So sprachen Bundesbank und Ifo-Institut davon, daß fast alle Komponenten der Inlandsnachfrage kräftig expandierten — und nur auf sie, nämlich die Komponenten der Inlandsnachfrage, haben wir einen begrenzten unmittelbaren Einfluß —, daß größere Wachstumsimpulse aus der Außenwirtschaft jedoch ausgeblieben sind und daß zu befürchten ist, daß sie weiterhin ausbleiben werden.Mit der Wechselkursentwicklung ist somit ein Schlüsselwort des Jahreswirtschaftsberichts und ein Schlüsselproblem unserer wirtschaftlichen Entwicklung angesprochen.Als es galt, die Forderung abzuwehren, wir sollten sozusagen mit ein bißchen mehr Inflation ein bißchen mehr Wirtschaftswachstum kaufen, hat neulichauch einmal ein Sprecher der Opposition, Herr Narjes, zu erkennen gegeben — auch heute gab es Ansätze dazu bei Herrn Schwarz-Schilling —, wie sehr die Hoffnungen auf die Ausweitung unseres Außenhandels und — im Konnex dazu — unserer Investitionen durch die Kurseinbuße des Dollars beeinträchtigt sind.Es wäre von da nur ein kleiner, ein befreiender Schritt gewesen, zuzugestehen, in welch engem Bedingungsrahmen unsere eigenen wirtschaftlichen Möglichkeiten gesehen werden müssen. Warum, meine Damen und Herren, wird dieser Schritt von den Oppositionssprechern nicht — oder allenfalls nur sehr zaghaft — getan? Auf Grund welchen Interesses schlägt die Opposition statt dessen weiterhin ordnungspolitisch-ideologische Gespensterschlachten? Auf Grund welchen Interesses ergeht sie sich weiterhin in verteilungspolitischen Anzüglichkeiten, wo doch schlicht und einfach klar ist, daß man das Thema Nr. 1 bereden muß, ehe man auf die anderen Themen eingeht?Die Antwort liegt leider auf der Hand: Es müssen eben unter allen Umständen die Lohnabschlüsse sein, die die Stimmung der Exportwirtschaft drücken. Man braucht das Schreckgespenst der Beeinträchtigung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit, um die Lohnpolitik der Gewerkschaften diskreditieren zu können. Dies scheint mir die Antwort auf die Frage zu sein, warum Sie das wirklich brennendste Thema dauernd aussparen.
Nun ist es gewiß nicht einfach, die Kaufkraft-und die Kostenwirkung des Lohns je nach der Gesamtlage gegeneinander abzuwägen. Zurückzuweisen ist jedoch die Behauptung, unsere außenwirtschaftlichen Probleme seien die Folgen zu hoher Lohnabschlüsse. Vergleicht man die sechs Länder USA, Frankreich, Italien, Großbritannien, Japan und die Bundesrepublik, so sind in den Jahren 1974 bis 1976 nur in den USA die Lohnstückkosten in nationaler Währung geringfügig weniger gestiegen als bei uns; in nationaler Währung gerechnet, hat die Lohnpolitik der letzten Jahre die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sogar noch gestärkt. Und unsere Arbeitnehmer rechnen nun einmal in nationaler Währung — wie denn sonst? Ein völlig anderes Bild — das wird nicht bestritten — ergibt sich allerdings, wenn man die Lohnstückkosten in den sechs Ländern mit dem gewogenen Durchschnitt ihrer Wechselkurse multipliziert. Die Bundesrepublik steht dann ganz vorn, ganz weit oben; die USA liegen weit hinten.Für die dauernde Aufwertung der D-Mark aber kann man auch bei schlechtestem Willen nicht die Gewerkschaften verantwortlich machen.
Das Beispiel zeigt, daß es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Lohnstückkosten in nationaler Währung und Wechselkurs nicht gibt. Man wird sogar vermuten müssen, daß die Wettbewerbswirkung noch mäßigerer Lohnabschlüsse durch eine noch
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stärkere Aufwertung der D-Mark kompensiert worden wäre.
Es ist richtig, daß ich bei dieser Betrachtung die binnenwirtschaftlichen Aspekte unberücksichtigt gelassen habe. Es ging mir an dieser Stelle darum, gegenzuhalten, wenn unsere außenwirtschaftlichen Probleme tarifpolitisch vermarktet werden sollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schwarz-Schilling?
Ich kann das leider nicht tun, denn ich habe nur 15 Minuten Zeit.Meine Damen und Herren, die reale Aufwertung der D-Mark gegenüber den Währungen unserer wichtigsten Handelspartner hat in den letzten zwei Jahren 11 % betragen. Im Verhältnis zum Dollar ging die Aufwertung noch erheblich über das Maß hinaus, das durch das Kosten- und Inflationsgefälle gerechtfertigt gewesen wäre. Die Überbewertung der D-Mark drückt zunächst auf die Erträge der Exportwirtschaft, und da hat der Herr Narjes ja nur zu recht, wenn er sagt, daß aus den Wechselkursschwierigkeiten auch Schwierigkeiten für die Investitionsbereitschaft der Unternehmen entstehen. Das drückt also zunächst einmal auf die Erträge der Exportwirtschaft, die zu Preissenkungen gezwungen wird, wenn sie auf dem Markt bleiben will. Aber die Überbewertung der D-Mark drückt auch auf die Ertragskraft jener Unternehmen, die auf den Inlandsmärkten mit den jetzt billiger gewordenen Einfuhrwaren konkurrieren müssen. Soweit — ich sagte es schon -- die Investitionstätigkeit auch von der Ertragslage abhängt, kommt der ertragsmindernden Wirkung der Überbewertung der D-Mark wahrscheinlich weit größere Bedeutung zu als so manchem laut beklagten Kostenfaktor.Was schließlich im Netz der Preiszugeständnisse nicht aufgefangen werden kann, schlägt auf die Beschäftigung durch, wobei sowohl die Verteuerung der Ausfuhr als auch die Verbilligung der Einfuhr und schließlich noch die Verbilligung der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland greifen. Sicher treten diese Folgen nicht mechanisch auf — es gibt da Zeitverschiebungen, es gibt Ausweichstrategien —, aber nachhaltige Schäden sind doch unvermeidbar.Meine Damen und Herren, die Bundesbank schätzt die reale Verschlechterung der Wettbewerbsposition unserer Wirtschaft auf den Exportmärkten allein infolge der Aufwertungen des Jahres 1977 auf 4 0/o; ich wiederhole: die reale Verschlechterung der Wettbewerbsposition in einem Jahr! Sie reden hier den ganzen Tag über die wirtschaftliche Entwicklung, und davon ist nicht die Rede. Dies ist unerträglich.
Dies alles ist oft genug beschrieben worden. Die Kenntnis der Zusammenhänge hat sich in erstaunlicher Breite durchgesetzt. Offenbar ist es nicht in gleicher Weise gelungen, der Einsicht Bahn zu brechen, daß es sich bei diesen Verzerrungen des Wechselkursgefüges nicht um ein Problem der D-Mark, sondern primär um ein Problem des Dollars handelt. Dabei schafft der Blick in die Zahlungsbilanzen sofort Klarheit. Unsere Grundbilanz ist knapp ausgeglichen. Wir haben 1977 Kapital in Höhe von 12 Milliarden DM langfristig exportiert und sind dabei zum größten Kapitalexporteur der Welt geworden. Dies und der kontinuierliche Abbau unseres Handelsbilanzüberschusses' haben einen bedeutenden Beitrag dazu geleistet, daß sich die Zahlungsbilanzprobleme wichtiger Partnerländer erheblich vermindert haben. Den Ausgleich der Zahlungsbilanz konnten wir allerdings überhaupt nur noch im kurzfristigen Kapitalverkehr, im wesentlichen also mit Hilfe der Dollarstützungskäufe der Bundesbank schaffen.Ganz anders sieht es mit der Zahlungsbilanz der USA aus, die im Jahre 1977 ein Defizit von fast 30 Milliarden Dollar auswies. Da der Dollar noch weitgehend Leitwährungsfunktion hat, wurden nach Maßgabe dieses Defizits Dollarmärkte gespeist, die mittlerweile ein Volumen von über 600 Milliarden erreicht haben. Schon geringe Verschiebungen -auf diesen Märkten lösen starke Kursbewegungen aus, und zwar verstärkt dann, wenn weitere Zahlungsbilanzdefizite Mißtrauen in die Werthaltigkeit des Dollars nähren. Da hilft dann auch nicht der Hinweis auf die unbezweifelbare Stärke der Wirtschaft der Vereinigten Staaten. Wenn jeder sich so schnell wie möglich von seinen Dollars trennen will und dafür z. B. D-Mark haben möchte, wenn sich das Handelsvolumen in Dollar schneller umschlägt, löst sich das D-Mark-Dollar-Verhältnis von den realen wirtschaftlichen Gegebenheiten.Da die Wurzel des Problems jedenfalls nicht bei der D-Mark zu orten ist, geht auch das Ansinnen fehl, wir möchten die Weltwährungs- und Weltbeschäftigungsprobleme durch eine stärkere Ankurbelung unserer Konjunktur auf die Hörner nehmen und dabei zum Abbau des Inflationsgefälles höhere Preissteigerungsraten zulassen. Die Gedankenkette: höhere Massenkaufkraft, höhere Preissteigerungen, höhere Wareneinfuhr, höhere Beschäftigung in den Lieferländern, ist in ihrer Naivität gefährlich. Wir beeinträchtigten nämlich unseren Export, und dadurch würde die künstlich geschaffene Massenkaufkraft wieder verschwinden. Höhere Einfuhren und Beschäftigungswirkungen in den Lieferländern kämen nicht zustande. Es wäre wieder alles wie zuvor. Nur wäre zusätzlich die Stabilität der D-Mark futsch. Wer sollte dann noch helfen können?Beeinträchtigt man — das hat Herr Schwarz-Schilling gesagt, ich stimme dem zu — den Produktionsstandard der Bundesrepublik — dasselbe gilt für Japan —, dann nimmt man der Lokomotive den Dampf, die den Karren ziehen soll. Im übrigen sind die Zeiten vorbei, in denen man zwischen Inflation und Unterbeschäftigung wählen konnte. Seit weltweit die Geldillusion zerstoben ist, tun sich die bei-
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den Ungeheuer zusammen: Stagflation ist die Folge, zumal der harte Kern unserer Beschäftigungsprobleme struktureller Art ist.Es bringt auch nicht viel, die Verschlechterung der amerikanischen Zahlungsbilanz mit dem Konjunkturgefälle zwischen den USA und Europa erklären zu wollen. Der Überschuß der amerikanischen Handelsbilanz gegenüber der EG paßt da überhaupt nicht ins Bild. Der harte Kern der Zahlungsbilanzprobleme der USA betrifft die OPEC-Länder und Japan.Dabei soll überhaupt nicht in Abrede gestellt sein, daß auch wir Verantwortung für eine bessere Entfaltung der Weltkonjunktur durch eine Politik des gesicherten Wachstums unserer Wirtschaft tragen. Die Bundesregierung vermag allerdings darauf zu verweisen, daß sie das ihr derzeit Mögliche getan hat, und Sie haben nicht eine Position aufzeigen können, die zusätzlich getan werden könnte. Das gilt für die Fiskalpolitik — Stichworte: Steuersenkung und Ausgabenerhöhung. Am jeweiligen Sozialprodukt gemessen ist unser Haushaltsdefizit deutlich höher als das amerikanische. Das gilt für die Zinspolitik. Die Zinsschere zwischen den USA und der Bundesrepublik war noch nie so weit gespreizt wie heute. Das gilt für die Wechselkurspolitik. Das gilt auch für die Handelspolitik.Die Bundesregierung hat gegen allzu simple Erklärungen und Rezepte Widerstand geleistet. Für die Beharrlichkeit, mit der sie das tat, verdient sie Dank. Die Opposition verdient Dank dafür, daß sie uns und die Bundesregierung darin unterstützt hat. Dieser Widerstand hat sich gelohnt. Man weiß heute in den USA, daß man die Bereinigung des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts schon im Eigeninteresse nicht allein dem Wechselkurs überlassen kann. Die preissteigernde Wirkung steht dagegen. Die Gefahr für den Ölpreis und anderes mehr stehen dagegen. In den USA wächst die Einsicht und man handelt nach dieser Einsicht, daß das Problem letzten Endes überhaupt nur lösbar sein wird, wenn die Amerikaner das Energieprogramm ernsthaft in Angriff nehmen. Auch wird langfristiger Kapitalexport in die USA an die Stelle der Interventionen der europäischen Zentralbanken und der japanischen Zentralbank treten müssen.
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluß.
Jawohl. Ich wollte eigentlich noch etwas zur Währungsschlange sagen. Das muß ich mir nun leider versagen.
Ich komme zum Schluß. Wirtschaftspolitik ist eine vielschichtige Sache. Es muß von vielerlei die Rede sein, wenn zum Jahreswirtschaftsbericht gesprochen wird. Die Wechselkurspolitik ist wie ein Prisma, das andere Politiken einfängt und bündelt. Zum polemischen Gebrauch ist das Thema zu sperrig. Wer deshalb glaubt, dieses Thema auslassen zu sollen, bekommt die Wirklichkeit nur bruchstückweise in den Griff. Das war das Elend der
Debattenbeiträge der Opposition am heutigen Tage.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als der Jahreswirtschaftsbericht veröffentlicht wurde, hieß es nach einem Bericht der „Welt" vom 27. Januar, daß die Bundesregierung — so die CDU/CSU — sich auf eine bloße Zustandsbeschreibung beschränke und — so Ministerpräsident Stoltenberg — keine Lösungen anbiete. Es hieß — so Ministerpräsident Filbinger —, sie sei rat- und hilflos und — so der Kollege Pieroth — in der Wachtums- und Arbeitsmarktpolitik verwaschen und zaghaft.Heute haben wir von Herrn Schwarz-Schilling gehört, der Realismus sei zu begrüßen. Der Kollege Dollinger sprach von wachsenden Einsichten und der Kollege Zeitel sagte: Wir stimmen weitgehend überein.
Wir nehmen diese Meinungsänderung, diesen Sinneswandel mit Befriedigung zur Kenntnis,
sei es, daß er dadurch entstanden ist, daß der Jahreswirtschaftsbericht inzwischen gelesen worden ist, sei es, weil die Strategiekommission inzwischen so entschieden hat.
— Ich weiß, sie tagt zur Zeit. Herr Kollege Dollinger, deswegen fand ich es auch nicht fair, daß Herr Zeitel gefragt wurde, was er zu den Renten sage. Die Strategiekommission tagt gerade. Wie soll er das jetzt schon wissen?
Wir begrüßen die heutigen Stellungnahmen zum Jahreswirtschaftsbericht, weil sie zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Eines allerdings, Herr Kollege Schwarz-Schilling, möchte ich, wenn Sie mir dies gestatten, deutlich kritisieren. Wenn Sie die Vereinbarung oder die Nennung eines Wachstumsziels von 5 % im Mai 1977 in London ein Versprechen, eine Verpflichtung nennen, untergraben Sie die internationale Verhandlungsposition der Bundesregierung und der Bundesrepublik.
Wir haben gegenüber unseren Partnern immer wieder deutlich gemacht, daß dies keine Verpflichtung war und daß man auch keine Verpflichtung eingehen kann, eine bestimmte Wachstumsrate, ein bestimmtes Wachstumsergebnis zu produzieren, sondern daß es eine Projektion und eine Zielsetzung war, um die wir uns bemühen und um die wir uns bemüht haben.Herr Kollege Dollinger, deswegen verstehe ich nicht, warum Sie in Ihren Ausführungen gesagt ha-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorffben, wir glaubten wohl immer noch an die „Machbarkeit von Konjunkturen". Deutlicher, als ich dies hier und in den Vereinigten Staaten gesagt habe, daß eine nationale Volkswirtschaft eben kein Münzautomat sei, in den man eine Mark hineinsteckt und unten dann das herausbekommt, was man erwartet, kann man es doch eigentlich kaum präsentieren und darbieten. Ich möchte ausdrücklich bestätigen, daß ich es als sehr angenehm und hilfreich empfunden habe, daß während der Gespräche und Diskussionen in den Vereinigten Staaten die zur gleichen Zeit dort drüben reisenden Kollegen Barzel und Professor Biedenkopf die Argumentation der Bundesregierung und des Bundeswirtschaftsministers gegenüber den amerikanischen Gesprächspartnern geteilt und ausdrücklich unterstützt haben. Ich hätte es deswegen gern gesehen, Herr Kollege Schwarz-Schilling, wenn Sie die Freundlichkeit gehabt hätten — niemand verpflichtet Sie dazu —, mich über die Ergebnisse Ihrer Auslandsgespräche und Auslandsreisen ebenfalls zu informieren. Wenn Sie hier sagen, daß man der Bundesregierung, der Bundesrepublik im Ausland sage, sie sei zu schlecht, dann kann ich das wohl nur darauf zurückführen, daß Sie solche Gespräche geführt haben. Aber das Gegenteil ist doch richtig, Herr Schwarz-Schilling! Man sagt uns draußen: Ihr seid besser, als ihr euch selber einschätzt. Deswegen macht noch ein bißchen Dampf und setzt die Lokomotive in Bewegung. Gegen eben diese Argumentation wehren wir uns. Noch einmal: Wir wehren uns dagegen mit Hilfe Ihrer Freunde und Kollegen. Dafür bin ich dankbar. Ich wäre sehr begierig darauf, zu erreichen, daß alle in diesem Hause diese international wichtige Position der Bundesregierung miteinander vertreten.
Meine Damen und Herren, zur Frage der Einkommenspolitik will ich jetzt, im Anschluß an die Debatte, nur noch ein paar kurze Bemerkungen machen. Ich habe das aus meiner Sicht Notwendige dazu gesagt und werde dabei bleiben.Herr Dollinger, Sie fordern uns auf, wir sollten deutlich sagen, was eine Erhöhung der Bruttolohnsumme und -gehaltssumme von 5,5 % je Arbeitnehmer für die Tarifabschlüsse bedeutet. Was die Gesamtzahl bedeutet, kann sich jedermann errechnen. Das ist errechnet worden. Wenn ich das aber dahin verstehen sollte und müßte, was es für den einzelnen Tarifabschluß bedeutet, dann sind wir uns nicht einig. Dies ginge nicht. Dies wäre in der Tat ein Eingriff in die Tarifautonomie und in die Unabhängigkeit der Partner.
— Ich stelle mit Zufriedenheit Übereinstimmung fest.Herr Pieroth, Sie haben hier Ausführungen über die Nachfragewirkung und Kostenwirkung — dies wird immer ein Grenzproblem bleiben — gemacht. Ich gestehe, daß wir auch nach Gesprächen mit dem Sachverständigenrat nicht zu voller Übereinstimmung gelangt sind. Insofern sind die Unterschiede zwischen Sachverständigengutachten und Jahreswirtschaftsbericht in der Öffentlichkeit und vonIhnen durchaus richtig gesehen worden. Es wird schwer sein, abzugrenzen, wie in einer gegebenen Situation die Bedeutung und die Gewichtung von Kosten- und Nachfrageeffekt miteinander in Einklang zu bringen sind oder wie ihr Verhältnis zu definieren ist. Deutlicher als wir es im Jahreswirtschaftsbericht gesagt haben, nämlich daß das unter den gegenwärtigen Umständen eindeutig mit dem Ja zur Mehrwirkung der Kostensituation, der Kostenfolge zu sehen ist, kann man es nicht tun.Nur, Herr Pieroth. Sie haben mich mit Ihrem Vorbringen sehr stutzig gemacht; vieles in Ihren heutigen Darlegungen hat mich stutzig gemacht. Ich gehe darauf noch ein. Sehr marktwirtschaftlich waren diese Bemerkungen nicht. Sie haben gesagt, man müsse bei der Nachfragewirkung die Importquote abziehen. Herr Kollege Pieroth, meinen Sie ernsthaft, daß das, was für ausländische Waren ausgegeben wird und auf diese Weise den Devisenhaushalten unserer Kundenländer zugute kommt, volkswirtschaftlich für uns etwa nicht positiv sei? Wollen Sie hier ernsthaft — ich hoffe nicht — eine Position I dahin aufbauen: Deutsche, kauft deutsche Waren?
Dies kann wohl nicht die richtige Betrachtung der Nachfragewirkung bei Lohn- und Gehaltserhöhungen sein.Herr Kollege Jens, Sie haben den schlichten Satz vorgetragen, die Reallohnposition habe sich seit 1975 nicht verbessert. Die Reallohnposition ist doch lediglich das Verhältnis zwischen dem, was verteilt wird zwischen Einkommen aus Unternehmenstätigkeit und Einkommen aus abhängiger Beschäftigung. Wir sollten — gerade im Interesse unserer Politik, die wir gemeinsam tragen — nicht den Eindruck erwecken, als habe es in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren überhaupt je ein Jahr gegeben, in dem die reale Bruttolohn- und -gehaltssumme je Arbeitnehmer nicht gestiegen sei. Die reale Bruttolohn- und -gehaltssumme ist gestiegen, Herr Jens: 1974 um 3,7 % 1975 um 1 %, 1976 um 3 % und 1977 noch einmal um 3,4 %.Wenn man die Entwicklung dieses Jahres mit dem Druck auf die Preise aus dem Import, der sich nach der Aufwertung ergibt, nur einigermaßen richtig vorhersieht, dann werden wir auch in diesem Jahr zu einer realen Steigerung der Einkommen kommen.
- Steuersenkungen ohnehin! Aber lassen Sie dieSteuersenkungen einmal beiseite, Herr Kollege Cronenberg. Sie wissen, daß das ein diffiziles Kapitel ist. Nur, beim Berechnen spielen sie natürlich eine Rolle. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß wir auch in diesem Jahr zu einer realen Steigerung der Einkommen kommen. Auch — dies will ich betonen— wenn es bei den Zahlen der Projektion des Jahreswirtschaftsberichts bleibt, wird dies das Endergebnis sein.Meine Damen und Herren, es ist hier kritisiert worden, insbesondere von Ihnen, Herr Kollege Pieroth, daß die Bundesregierung den Vorschlag des Sachverständigenrates, eine Verbesserung der Ab-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff schreibungsmöglichkeiten für kleinere und mittlere Unternehmen vorzusehen, nicht aufgegriffen hat. Ich wüßte gerne von Ihnen, wie Sie eine ordnungspolitisch saubere und einwandfreie Abgrenzung kleiner und mittlerer Unternehmen unter diesem Gesichtspunkt — Abschreibungen — zustande bringen wollen. Beim carry back war das möglich. Das konnte man mit einer Summe begrenzen. Hier, sage ich Ihnen, ist das nicht möglich. Wenn Sie diesen Gedanken konsequent zu Ende denken, Herr Pieroth — ich will Ihnen dies nicht unterstellen; aber ich sage: dahin führt das —, erteilen Sie einen Freibrief für Investitionslenkung.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister: Bitte sehr, Frau Präsidentin.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wollen Sie damit sagen, daß der Vorschlag des Sachverständigenrates ordnungspolitisch nicht einwandfrei ist?Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister: Dieses will ich in der Tat sagen. Das darf man doch auch einmal tun.
In dieser Frage, Herr Pieroth, führt er hinsichtlich seiner Durchführung und seiner praktischen Handhabung zu Ergebnissen,. die ich ordnungspolitisch nicht vertreten möchte.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun aber zu einigem Stellung nehmen, was zur Entwicklung der Zinsen und zur Notwendigkeit von öffentlichen Defiziten gesagt worden ist. Herr Pieroth, Sie haben an das angeknüpft, was ich in der vorigen Debatte zum Schluß gesagt habe. Ich will auf die Empfehlung, eine Niedrigzinspolitik aus Wechselkursgründen zu betreiben, lieber nicht eingehen, Herr Pieroth. Herr Kollege Zeitel hat während Ihrer Ausführungen so nachhaltig mit dem Kopf geschüttelt, daß ich Ihnen empfehle, diesen Meinungsunterschied einmal unter sich auszuräumen.
Die Behauptung, die Bundesrepublik Deutschland sei für Geldanleger aus dem Ausland zur Zeit wegen der Zinsen attraktiv, ist wohl angesichts des Zinsniveaus bei uns, des Zinsdifferentials zwischen der Bundesrepublik und den USA, weit hergeholt. Sie ist schlicht falsch. Die Bundesrepublik Deutschland ist für Geldanleger wegen der Aufwertungstendenzen der deutschen Mark interessant und attraktiv. Aber lassen wir dies. Die Auffassung, die da vorgebracht worden ist, kann nicht geteilt werden. Sie hält einer ernsthaften Nachprüfung nicht stand.Zur Sache selbst, zur Entwicklung der Zinsen bei uns, muß zunächst einmal zwischen kurz- und längerfristigen Zinsen unterschieden werden. Der kurzfristige Zins ist bekanntlich weitgehend von der Geldpolitik der Bundesbank und von den Reaktionen der in- und ausländischen Geldmärkte abhängig. Der längerfristige Zins wird auf der Angebotsseite von der Anlagebereitschaft der privaten und institutionellen Anleger bestimmt. Hier spiélt zum Beispiel die Inflationserwartung eine Rolle. Auf der Nachfrageseite wird er durch die Absorbtion durch den Wohnungsbau, private Investoren und natürlich auch den Staat bestimmt.Sie, Herr Kollege Pieroth, behaupten nun, ein staatliches Defizit treibe den Kapitalmarktzins in die Höhe. Würden Sie sich dazu bitte einmal die Fakten unserer Kapitalmarktsituation ansehen? Der Zins liegt heute insgesamt bei knapp 5,8 %, die öffentlichen Anleihen allein bei 5,4%. Das ist der niedrigste Zinssatz, den wir seit zwölf Jahren in der Bundesrepublik hatten. Gleichzeitig gibt es eine erhebliche Verlängerung der Laufzeiten. Die Ergiebigkeit dieses Kapitalmarktes ist trotz der großen Defizite beträchtlich gestiegen.Sie erheben den Vorwurf, daß Zinsniveau werde durch öffentliches Defizit zu hoch gehalten. Dazu, meine Damen und Herren, ist zu sagen: Ein Realzins von 2 bis 2,5 %— hören Sie einmal die Klagen der Sparkassen über die Zinsentwicklung an, die Sie ja auch vorbringen — ist aus Anlegersicht doch keineswegs zu hoch. Er ist zwar in den USA niedriger, deswegen gibt es dort auch Schwierigkeiten für die Investitionsfinanzierung. Ein noch niedrigeres Zinsniveau in der Bundesrepublik — darüber gibt es doch gar keinen Zweifel; Liquidität ist in Fülle vorhanden; Zinsen sind niedrig — würde doch nicht unsere Investitionsmöglichkeiten und unsere Investitionsbereitschaft vergrößern. Die Grenze der Zinsreagibilität unserer Investoren ist längst erreicht. Auf dem Sektor ist nichts zu machen.Richtig ist allerdings, Herr Pieroth, daß eine Änderung der Renditenstruktur notwendig ist. Das heißt, wir brauchen eine Verbesserung — —
— Nur nicht auf dem Wege, den Sie vorschlagen. Die Zinsen haben in der gegenwärtigen Situation damit überhaupt nichts zu tun.Wir brauchen eine Verbesserung der Ertragsperspektiven, aber nicht ein künstliches weiteres Herabdrücken der Rendite für Geldvermögen. Dies beides geht doch nur, wenn Stabilitätsfortschritte erzielt werden. Und dies ist exakt die Politik dieser Bundesregierung.
— Wenn Sie nun „Eben nicht!" sagen, wo wir dabei sind, eine Inflations- bzw. Preissteigerungsrate von 3% zu erreichen, dann gucken Sie sich doch einmal in der Welt um, wo die Rate noch niedriger ist. Vielleicht in dem geschlossenen Markt der Schweiz. Wir werden draußen kritisiert, weil wir eine zu harte Stabilitätspolitik machen. Seien wir uns doch einig darüber, daß dieser Punkt in diesem Hause Übereinstimmung findet!
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5966 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffHerr Pieroth, nun zur Notwendigkeit eines höheren öffentlichen Defizits! Sie haben erklärt, das „deficit spending" sei generell vorn Übel, und Keynes sei erledigt. Daß niemand mehr Keynes in seiner reinen Form anwenden will, darüber gibt es keinen Zweifel. Aber wenn eine hohe private Ersparnisbildung, die wir in der Bundesrepublik haben, nicht genügend für die Finanzierung privater Investitionen genutzt wird — dies ist der Fall, bedauerlicherweise; wir beklagen das miteinander —, dann muß der Staat aus Wachstums- und Beschäftigungsgründen den Ersparnisüberschuß nutzen, d. h., er muß Haushaltsdefizite akzeptieren. Das ist das, was wir tun.Das gilt nicht nur kurzfristig, sondern auch — allerdings in geringerem Umfang — mittelfristig; denn mit wachsendem Einkommen der privaten Haushalte steigt normalerweise auch ihre Ersparnisbildung. Wir müssen damit rechnen, daß die höheren Ersparnisse nicht in dem gleichen Umfang wie früher von privaten Investoren genutzt werden. Herr Kollege Zeitel hat einige Gründe dafür angeführt, obwohl es — sehen Sie sich den Wohnungsbau an — dem Wohnungsbau heute wieder besser geht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pieroth?
Herr Bundeswirtschaftsminister, warum haben Sie dann vor knapp zehn Monaten, Ende April 1977, in New York erklärt, es gelte, entsprechende Fehlstrukturen abzubauen; eine derartige Situation könne mit den Keynesschen Methoden der Fiskalpolitik nicht bereinigt werden?
Weil wir keine Keynesschen Methoden der Fiskalpolitik anwenden und nach wie vor der Meinung sind, daß Keynessche Methoden der Fiskalpolitik, allein beruhend auf „deficit spending", nicht die Lösung unserer Probleme bringen, daß aber in einem gewissen Umfang ein öffentliches Defizit unerläßlich ist.
Haushaltsdefizite ergeben sich entweder über höhere Staatsausgaben oder über Steuersenkungen zugunsten höherer privater Investitionen und höherer privater Konsumausgaben. Die höheren öffentlichen Ausgaben haben zwar den Vorteil, daß sie relativ schnell und unmittelbar wirken. Andererseits haben sie vor allem im konsumtiven Bereich den Nachteil, daß sie relativ starr sind. Die Situation ist dann anders zu beurteilen, wenn es sich um öffentliche Investitionen mit verhältnismäßig geringen Folgekosten handelt. Die suchen wir; sie lassen sich nur schwer finden.
Dié Senkung der Abgabenbelastung hat den Vorzug, daß sie sich bei steigender Wirtschaftsaktivität mit der Zeit weitgehend von selbst wieder finanziert. Hierin werden wir, Herr Pieroth, wahrscheinlich übereinstimmen. Wir werden bezüglich des Wachstums- und Progressionseffekts übereinstimmen, außerdem bezüglich des Leistungsanreizes, der dadurch dem privaten Sektor vermittelt wird.
Allerdings bleibt — dies ist eine unserer schwierigen Überlegungen — bei jeder Steuersenkung zugunsten privater Investitionen und Konsumausgaben die Frage: Wie groß wird der Anteil sein, der von solchen Erleichterungen wieder gespart wird und somit nicht dorthin fließt, wohin wir ihn wirtschafts- und konjunkturpolitisch gern haben wollen?
Ihre These, Herr Kollege Pieroth, die Politik der Regierung sei nachfrageorientiert — auf diesen Komplex ist auch Herr Kollege Zeitel eingegangen —, während die der Opposition angebotsorientiert sei, ist nach meiner Überzeugung so einfach nicht richtig. Zunächst einmal ist die Unterscheidung allein nicht sehr hilfreich. Denn wo sind in diesem Zusammenhang z. B. Investitionen einzuordnen? Sie bedeuten doch gleichzeitig Nachfrage nach Investitionsgütern. Sie bestimmen außerdem — darin sind wir sicher einig — das künftige Angebotspotential.
Aber selbst, wenn man diese Unterscheidung, die Sie gemacht haben, so akzeptieren würde, ist nach meiner Überzeugung Ihre These dennoch falsch, die Politik der Regierung sei so, während die der Opposition anders sei. Überwiegend angebotsorientiert ist doch das mehrjährige Programm für Zukunftsinvestitionen, das gemeinsam von Bund und allen Ländern durchgeführt wird. Einzuordnen sind hier auch Steuererleichterungen, degressive Abschreibungen, Senkung der Vermögensteuer, Entlastung im Bereich der Gewerbesteuer, und nachfrageorientiert waren die Steuerentlastungen für die privaten Haushalte.
Nun, Herr Zeitel, eine Bemerkung zu Ihrem Vorwurf, dies sei eine Politik der Verhärtung der Arbeitslosigkeit. Diesen Vorwurf halte ich erstens für ungerecht und zweitens für unsubstantiiert. Denn im Ziel, Herr Zeitel, sind Sie und wir darüber einig, daß die Arbeitslosigkeit, soweit sie nicht strukturell in einzelnen Gruppen bedingt ist, in allererster Linie durch mehr Wachstum und durch private Investitionen bekämpft werden muß und gemildert werden sollte. Worüber man allenfalls streiten könnte, ist doch die Frage, ob mehr angebotsorientierte oder mehr nachfrageorientierte Politik zu solchen Investitionen und damit zu einem besseren Wachstumspfad führen kann. Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, so oft ich hier gesprochen habe, daß mir die angebotsorientierte Seite der Wachstumspolitik die wichtigere und die bedeutsamere ist. Deswegen gibt es überhaupt keine Begründung für Ihren Vorwurf, daß in dieser Politik, die die Regierung treibe, eine Verhärtung der Arbeitslosigkeit zu suchen sei.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Zeitel?
Herr Bundesminister, ich nehme mit Freude zur Kenntnis — außer Definitionsfragen —, daß Sie meinen, die Angebotsorientierung ist die bessere Orientierung. Verstehe ich Sie richtig, daß der eigentliche, substantielle Unterschied dann nur in den Methoden bestehen kann, wie man
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Dr. Zeiteldie Erträge der Unternehmungen auf ein Niveau bringt, durch das die Investitionstätigkeit weiter gefördert wird?
Ich glaube, daß es auch in der Frage der Methode, Herr Kollege Zeitel, keine sehr großen Unterschiede gibt. Entscheidend ist das Ziel — auch daran habe ich nie einen Zweifel gelassen —, die Unternehmenserträge und damit die Investitionstätigkeit ebenfalls zu verbessern.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Darf ich noch eine Frage anschließen, Herr Minister? Wenn das so ist — und das ist sehr erfreulich —, würden Sie dann zustimmen, daß wir bei dem beengten Spielraum im Grunde genommen steuerpolitisch Entlastungen im Bereich der ertragsunabhängigen oder der allein auf den Gewinn einwirkenden Steuern haben müßten?
Herr Kollege Zeitel, ich selber habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß eine Minderung der ertragsunabhängigen Steuerlast, die die Bundesregierung am 1. Januar in Gang gesetzt hat, eine begrüßenswerte Angelegenheit war. Haben Sie auch dagegen gestimmt? — Ich glaube, ja. — Doch, Sie haben doch auch gegen die Senkung der Vermögensteuer gestimmt.
— Ja, ja, Herr Zeitel, dieses Fehlverhalten, diesen politischen Opportunismus — erlauben Sie mir, das so zu nennen — werden Sie von mir serviert bekommen, solange Sie das Thema hier anschneiden.
— Das ist nicht unfair. Sie hätten ja dafür stimmen können, dann wäre die Frage geklärt.
— Nein, nicht ein ganzes Paket, eine namentliche Einzelabstimmung zur Senkung der Vermögensteuer, Herr Zeitel, nicht nur in der dritten Lesung.
Ich möchte Ihnen nur folgendes hierzu sagen, Herr Zeitel. Die Senkung der ertragsunabhängigen Steuern ist aus haushaltsmäßigen Gründen im gegenwärtigen Zeitpunkt — über das hinaus, was wir getan haben — nicht möglich. Sie ist zweitens, Herr Zeitel, auch nicht angebracht, nachdem am 1. Januar — sprich: also vor 7 Wochen — die letzte Steuersenkung auf diesem Gebiet in Kraft getreten ist. Im übrigen bitte ich Sie, dafür zu sorgen, daß, wennwir dies ernsthaft in Erwägung ziehen sollten, wirvorher das Plazet des Herrn Kollegen Pieroth be-kommen, nicht weiter öffentliche Defizite zu machen.
So geht es natürlich nicht, daß die Verschuldung des Staates kritisiert wird, gleichzeitig Steuererleichterungen gefordert werden, die das Defizit erhöhen, wie eben aus Ihrer Zwischenfrage ersichtlich. Hier liegt nach unserer Überzeugung der eigentliche Mangel an Folgerichtigkeit in der ökonomischen und politischen Position der CDU/CSU. Ich sage das hier sine ira et studio. Dies ist eine Frage, über die man sich sachlich unterhalten kann. Man kann sie auch polemisch aufzäumen. Aber ich glaube, sie ist es wirklich wert, einen Prozeß des Nachdenkens einzuleiten, ob man nicht Einigkeit finden kann.Mittelfristig — daran besteht für mich kein Zweifel — besteht sicherlich im Bereich der öffentlichen Hand ein Konsolidierungsbedarf. Aber aus wachstums- und beschäftigungspolitischen Gründen sind zunächst einmal höhere Defizite notwendig, als wir sie in den 60er Jahren gewohnt waren. Deswegen habe ich diese Schlußbemerkung gemacht.Der Umfang der öffentlichen Neuverschuldung wird einerseits vom objektiven Tatbestand der Höhe der privaten Ersparnisbildung und des für die Investitionen notwendigen Finanzierungsbedarfs der Unternehmen bestimmt und andererseits von den psychologischen Wirkungen, die von der Neuverschuldung auf das Vertrauen der Konsumenten und Unternehmen ausgehen. Auch hier gibt es sicherlich eine zu beachtende Grenze.Meine Damen und Herren, dies ist die Auffassung, die der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung zugrunde liegt. Ich bin da mit dem Vorgänger des jetzigen Bundesfinanzministers genauso einig wie mit dem Kollegen Matthöfer.Herr Kollege Pieroth, ich will Ihnen dazu aber auch eine heute erschienene Äußerung des Ifo-Institutes — wenn die Frau Präsidentin erlaubt — zitieren, in der es wie folgt heißt:Die mittelfristig geplante Verminderung des Staatsdefizits wird damit unterbrochen. Dies ist jedoch nicht nur im Interesse von Wachstum und Beschäftigung dringend erforderlich, sondern auch zur mittelfristigen Rückführung des Staatsdefizits selbst. Eine kontraktive Haushaltspolitik würde zwar das strukturelle Defizit, gleichzeitig aber auch das gesamtwirtschaftliche Wachstum verringern. Damit wären konjunkturbedingte Einnahmeausfälle zu erwarten, die den Defizitabbau bremsen.Ich kann das nur unterstreichen. Die Meinung der Bundesregierung deckt sich voll mit der Ansicht des Ifo-Instituts.Meine Damen und Herren, ich habe diesen Abschlußbeitrag zu dieser Debatte dazu benutzt, um zu versuchen, diesen einen Punkt, den ich allerdings für einen zentralen Punkt unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussion halte, noch einmal klarzumachen.
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5968 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Bundesminister Dr. Graf LambsdorffIch möchte die Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht nicht vorbeigehen lassen, ohne — ich denke, daß Sie dafür Verständnis haben werden — an zwei Adressen Dank auszusprechen. Der Jahreswirtschaftsbericht ist jedesmal eine Arbeit, die, um den Bericht so aktuell wie möglich zu machen, unter vollem Hochdruck bis zur letzten Stunde abläuft. Deswegen haben die Mitarbeiter meines Ministeriums diesen Dank, wie ich glaube, auch von dieser Stelle aus verdient.
Zweitens möchte ich mich bei allen Teilnehmern der Debatte hier im Hause, aber auch draußen bedanken. Die Bundesregierung ist an einer Diskussion über ihre wirtschaftspolitische Zielsetzung, die im Jahreswirtschaftsbericht zum Ausdruck kommt, in hohem Maße interessiert. Diskussion, Kritik, Aufforderung, etwas anders, möglichst besser zu machen, können unser Bewußtsein und unsere Urteilsfähigkeit und unsere Urteilsmöglichkeiten nur schärfen. Dies ist der Sinn einer solchen Debatte in einem demokratischen Gemeinwesen. Nach dieser Debatte, nach dem Urteil, dem wir uns gestellt haben, glaubt die Bundesregierung, mit ihrer Zielsetzung für das Jahr 1978 entschlossen, aber auch zuversichtlich den kommenden Monaten entgegensehen zu können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Drucksachen 8/1221 und 8/1471 dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
Damit komme ich zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes
— Drucksache 8/1409 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Ausschuß für Forschung und Technologie
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Ich rufe ferner den ersten Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Warnke, Böhm , Dr. Sprung, Dr. von Wartenberg, Glos, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Kunz (Weiden), Lintner, Röhner, Sauer (Salzgitter), Schröder (Lüneburg), Dr. Waigel, Lemmrich und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes und des Zonenrandförderungsgesetzes
— Drucksache 8/1527
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Zur Begründung des Entwurfs auf Drucksache 8/1409 hat ,der Bundesminister der Finanzen das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes sieht neben Anpassungen an den 6. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" Ausdehnungen der Investitionszulage für energiesparende Investitionen und als bedeutsamste Maßnahme Verbesserungen bei der Investitionszulage für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen vor.Der Entwurf trägt zunächst der in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers angekündigten Verbesserung der Förderung von Forschung und Entwicklung bei kleinen und mittleren Unternehmen Rechnung. Er soll sicherstellen, daß diese Unternehmen künftig in verstärktem Maße in den Genuß der Investitionszulage für Forschung und Entwicklung, die bisher vorrangig Großunternehmen zugute gekommen ist, gelangen können, um mit dieser Hilfe ihre vielfältigen und überaus bedeutsamen technischen Kenntnisse und Erfahrungen weiterentwickeln und damit zum allgemeinen technischen Fortschritt verstärkt beitragen zu können.Diese Initiative — ich suche Herrn Professor Dr. Zeitel, der mich heute morgen kritisiert hat;
ich bin gerade dabei, die versprochene Aufzählung vorzutragen; ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie so liebenswürdig sind, hier zu sein und sich das anzuhören —
fügt sich in eine breite Skala von Bemühungen der Bundesregierung zur Stärkung der Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationstätigkeit und -fähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen ein. Allein im Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie ist das Volumen der industriellen Projektförderung zugunsten dieser Unternehmen von 1972 bis 1976 überproportional um 174 °/o von 47 Millionen DM auf fast 120 Millionen DM angestiegen.Mit neuen Formen und Institutionen des Technologietransfers und der Technologieberatung wurde das Instrumentarium der Innovationsförderung wesentlich erweitert. Ich nenne hier beispielhaft die Gründung der Wagnisfinanzierungsgesellschaft, den Aufbau von Fachinformationssystemen, Patentverwertungs- und Technologieberatungsstellen, die in Pilotprojekten erprobt werden. Dies alles wird in Kürze in einer Gesamtkonzeption zur Stärkung der Innovationskraft von kleinen und mittleren Unternehmen vervollständigt werden. Es ist ein weite' res Zeichen dafür, daß es die Bundesregierung ernst meint mit einer Stärkung der Unternehmenskraft gerade derjenigen Bereiche, die innovative und zukunftsgerichtete Initiativen entfalten und damit den Wettbewerb lebendig erhalten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5969
Bundesminister MatthöferDer Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht im einzelnen vor:1. die Verdoppelung des Zulagensatzes von71/2 auf 1.5 % für die ersten 500 000 DM der begünstigten Investitionsaufwendungen,2. die Ausdehnung der Begünstigung auf Gebäude sowie auf Ausbauten und Erweiterungen von Gebäuden schon dann, wenn sie wenigstens zu einem Drittel der Forschung und Entwicklung dienen — es war immer eine Beschwerde der kleinen und mittleren Unternehmen, ,daß sie keine Gebäude hätten, die zu zwei Dritteln der Forschung und Entwicklung dienen; ich glaube, dieser Punkt ist sehr viel wichtiger, als es bei oberflächlicher Betrachtung scheinen mag —, und3. die Ausdehnung der , Begünstigung auf bestimmte immaterielle Wirtschaftsgüter, die der Forschung und Entwicklung dienen, wie z. B. Patente und Lizenzen. Wir sind der Meinung, daß damit ein fühlbarer zusätzlicher Anreiz für Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft geschaffen wird.Die Bundesregierung schlägt in dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf weiter vor, die Fördertatbestände für die Investitionszulagen im Bereich der rationellen Energienutzung um einen wichtigen Ansatzpunkt zu erweitern. In den letzten Jahren ist — nicht zuletzt auch infolge umfangreicher und sorgfältiger Studien des Bundesministeriums für Forschung und Technologie — deutlich geworden, daß bisher ungenutzte Abwärme ein großes und lohnendes Potential -für rationellere Energienutzung darstellt. Ein Ausbau bestehender Fernwärmenetze, die Auslegung von Kraftwerken auf Wärmekraftkoppelung und die Schaffung neuer Fernwärmeanschlüsse sind konjunkturell wünschenswert und zugleich Investitionen, die sich langfristig ökonomisch und ökologisch auszahlen. Dies ist ein vorzügliches Beispiel für eine sehr wünschenswerte Investitionslenkung.Die Ausdehnung der Investitionszulage, die der vorliegende Entwurf vorschlägt, ist ein geeignetes Mittel, um über die kurzfristige Rentabilitätsschwelle hinaus solche Zukunftsinvestitionen anzuregen. Der Deutsche Bundestag und der Deutsche Bundesrat haben die Bundesregierung durch gleichlautende Entschließungen aufgefordert, im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Investitionszulagengesetzes die weitere Wirksamkeit der Berlin- und Zonenrandförderung zu prüfen und gegebenenfalls Vorschläge zu unterbreiten, die eine ausreichende Förderung auch künftig sicherstellen. Die von der Bundesregierung im Hinblick auf diese Entschließungen zugleich eingeleitete Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.Die Bundesregierung wird ihre Vorstellungen über Verbesserungen der Berlin- und Zonenrandförderung bei den Ausschußberatungen über den vorliegenden Gesetzentwurf darlegen. Ich möchte schon jetzt darauf hinweisen, daß es dabei nach meiner Auffassung nur um Verbesserungen zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Präferenzgefälles und nicht um eine darüber hinausgehende Ausweitung der Präferenzen für Berlin und das Zonenrandgebiet gehen kann. Solche weitergehenden Verbesserungen sind nicht nur wegen der Ihnen bekannten Haushaltslage ausgeschlossen. Sie sind auch deshalb unvertretbar, weil sie einen Subventionswettlauf zwischen den einzelnen Regionen auslösen würden, der außerordentlich bedenklich wäre.Ich richte an Sie alle den Appell, bei den Beratungen des Gesetzentwurfs im Auge zu behalten, daß die Verbesserungen des Investitionszulagengesetzes und der Berlin- und Zonenrandförderung im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten bleiben müssen. Wenn auf der einen Seite immer wieder Einsparungen und auf der anderen Seite immer weitergehende Ausweitungen von Förderungsmaßnahmen verlangt werden, so sind dies miteinander unvereinbare und sich gegenseitig widersprechende Forderungen. Das eine schließt das andere zwangsläufig aus.Damit bin ich bei dem Gesetzentwurf der Opposition auf Drucksache 8/1527. Wir werden Gelegenheit haben, im weiteren Gesetzgebungsverfahren über diesen Entwurf im einzelnen zu diskutieren. Ich muß aber schon jetzt darauf hinweisen, daß die Vorschläge der Opposition insgesamt zu Steuermindereinnahmen von etwa 280 Millionen DM führen würden. Ich kann Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nur fragen, wie sich Ihr Antrag mit den Appellen verträgt, die Kreditaufnahme zu vermindern, die Sie gleichzeitig immer — —
Herr Bundesminister, entschuldigen Sie bitte: Ich habe die Aussprache noch nicht eröffnet. Sie haben das Wort jetzt nur zur Einbringung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung.
Frau Präsidentin, ich sehe das — —
Dann muß ich die Aussprache gleich mit eröffnen. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir so verfahren?
— Nein. Dann bitte ich Sie, sich doch an das Thema zu halten, nämlich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung.
Frau Präsidentin, dann schließe ich hiermit meine Begründung der Regierungsvorlage ab und melde mich zu Wort zum Entwurf der Opposition, der, wenn ich Sie richtig verstanden habe, in verbundener Diskussion behandelt wird.
Ja, das wäre nach Eröffnung der Aussprache entsprechend der Geschäftsordnung richtig. Danke schön, Herr Bundesminister.
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5970 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Ich fahre fort. Die Bundesregierung wird schon aus haushaltspolitischen Überlegungen eine sehr kritische Haltung einnehmen müssen.
Ich muß mich auch dagegen wenden, daß hier versucht wird, den Eindruck zu erwecken, mit dem Initiativentwurf der CDU/CSU würden die entscheidenden Weichen für bessere Erfolgsaussichten der regionalen Strukturpolitik gestellt. Immerhin stehen allein im Jahr 1978 für diese Aufgaben Mittel in einer Größenordnung von ungefähr 2,6 Milliarden DM bereit, die, gut angelegt, ausreichen sollten, regionalpolitisch eine Menge zu bewegen. Vor immer neuen finanziellen Forderungen sollte eine gründliche Überprüfung der Effizienz regionalpolitischer Förderungsmaßnahmen in ihrer Gesamtheit stehen.
Ich bitte Sie — dieser Appell geht an alle Abgeordneten aller Fraktionen dieses Hauses —, auch unter diesen Gesichtspunkten die Vorschläge der Opposition in den kommenden Beratungen kritisch zu würdigen. — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Warnke zur Begründung des Antrags der CDU/CSU. Ich eröffne gleichzeitig die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Entwürfe liegen dem Hohen Haus vor. Beide haben nach unserer Auffassung gleichen Wert zur Erreichung eines übergeordneten Ziels der Politik aller Fraktionen dieses Hauses, nämlich der Wiederherstellung der Vollbeschäftigung und der Überwindung der Arbeitslosigkeit. Beide sind Beiträge zu wachstumsfördernder Strukturpolitik. Ganz entscheidend ist: Nicht Investitionslenkung, sondern Anreiz zu Investitionen — also marktwirtschaftskonforme Strukturpolitik — ist der Inhalt dieser Gesetzentwürfe.
Die Schwerpunkte der Gesetzentwürfe — Förderung von Forschung und Entwicklung nach dem Regierungsentwurf, Förderung von Investitionen in strukturschwachen Gebieten nach dem Entwurf der CDU/ CSU — sind beide nötig. So wie wir im Grundsatz den Entwurf der Regierung zu unterstützen bereit sind, so erwarten wir für unseren Entwurf Unterstützung von den Koalitionsparteien.Die Union hat seit Jahren gefordert, die indirekte Forschungsförderung über steuerliche Anreize zu verstärken. Sie wird in dieser Forderung nicht nur vom Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, sondern auch von der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel und von den ,wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten bestärkt. Die bisherige Forschungsförderung hatte Schlagseite. Sie stützte sich zu einseitig auf die Projektförderung. Konzentration von Forschungszuwendungen des Bundesministeriums fürForschung und Technologie auf konkrete Projekte der Schlüsseltechnologien und sogenannter zukunftsträchtiger Industrien ist offensichtlich Teil der von der SPD propagierten vorausschauenden Strukturpolitik, bedeutet aber im Endeffekt und in der Praxis Einzelinvestitionslenkung im konkreten Fall.Da hat sich seit Beginn der 30er Jahre eine ganz massive Akzentverschiebung ereignet. Damals, zu Beginn der 30er Jahre, hatten wir noch ein Verhältnis von indirekter, marktwirtschaftskonformer Forschungsförderung zur direkten, projektbezogenen von etwa 1 : 2. Heute sind wir bei 1 : 20 gelandet. Gewinner waren wenige Großunternehmen, die heute etwa 80 % des Zuwendungsvolumens dieser Einzelprojektförderung erhalten. Die Zahlen, Herr Minister, die Sie genannt haben, widersprechen dem nicht; denn der absolute Anteil — selbst bei einer gewissen Aufstockung — der für mittelständische Projektförderung gewährten Mittel ist so niedrig, daß wir sehr froh sind, wenn jetzt ein erster Schritt zu einer ausgewogeneren Forschungsförderung hin durch Verdoppelung der Zulage bei den Forschungsaufwendungen bis zu 50 000 DM gegangen wird.In den Ausschußberatungen wird die CDU/CSU auch die Anregungen des Bundesrates prüfen. Die Erhöhung der Grenze für die verdoppelte Zulage auf 1 Million DM und die weitere Erhöhung des Zulagensatzes entsprächen, falls sie vom Haushalt her verkraftbar sind,
dem gerade in der Forschungs- und Entwicklungsförderung notwendigen Grundsatz „Nicht kleckern, sondern klotzen" voll. Die Begünstigung der Vertragsforschung sowie die steuerliche Förderung von Personalkosten bei der Forschung sind weitere Punkte, deren Zielsetzung wir begrüßen. Über die Methode wird zu beraten sein.Der Schwerpunkt wird für die Union bei einer eindeutig mittelstandsfreundlich ausgerichteten Anderung der Forschungs- und Entwicklungsförderung liegen. In diesem Sinne unterstützen wir die Verdoppelung und gegebenenfalls weitere Erhöhung des Zulagesatzes, die Ausdehnung der Begünstigung auf Gebäude sowie Ausbauten und Erweiterungen, die der Forschung zu einem Anteil zwischen einem Drittel und zwei Dritteln dienen, sowie die Begünstigung bestimmter immaterieller Wirtschaftsgüter.Die Erstreckung der sogenannten Energiezulage auf die Erweiterung von Fernwärmenetzen und auf Anlagen zur Rückgewinnung von Abwärme wird von uns begrüßt.Aber diese Novellierung des Investitionszulagengesetzes gibt uns ja gleichzeitig Gelegenheit, gewisse Sünden der Vergangenheit wiedergutzumachen. Die Kürzung der Forschungszulage im Steueränderungsgesetz 1973 müssen wir unter dem Gesichtspunkt der zwischenzeitlichen Entwicklung ebenso als Fehlentscheidung betrachten wie die Kürzung der Zulage für die Investitionen in den Fördergebieten, nämlich die Kürzung der Regionalzulage nach § 1 des Investitionszulagengesetzes. CDU und CSU haben damals gegen die Senkung der Regional-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978 5971
Dr. Warnkezulage gestimmt. Marktwirtschaftliche Strukturpolitik braucht langen Atem, und Maßnahmen zur langfristigen Sanierung strukturgefährdeter Gebiete können nicht dem notwendig kurzfristigen „stop and go" der Konjunkturpolitik unterworfen werden.
Die Kürzung der Regionalzulage im Jahre 1973 hat sich als ein schwerer Fehler herausgestellt.Bei diesem Schwerpunkt des Antrags der CDU/ CSU-Fraktion zur Änderung des Investitionszulagengesetzes, nämlich den alten Satz wiederherzustellen, geht es also um nicht mehr als die Wiederherstellung einer Arbeitsplatzförderungsmöglichkeit, Herr Bundesfinanzminister, wie sie in der Hochkonjunktur Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre bereits bestanden hat.Ergänzend schlagen wir vor, im Rahmen der bestehenden Förderung der grundlegenden Rationalisierung von Unternehmen im Zonenrandgebiet Ersatzbeschaffungen in Zukunft ebenfalls für förderungsfähig zu erklären. Die Ausklammerung von Ersatzbeschaffungen bei Anerkennung einer grundlegenden Rationalisierung hat im Einzelfall alljährlich zu erheblichen Reibungsverlusten bei den Steuerprüfungen in den Betrieben geführt.Für die bisher in der Regionalförderung unterdurchschnittlich bedachten mittelständischen Betriebe und insbesondere für die Handwerksbetriebe soll die Herabsetzung der Förderschwelle beim sogenannten überregionalen Absatz von jetzt über die Hälfte auf zukünftig ein Drittel neue Fördermöglichkeiten eröffnen.Schließlich sieht der Unionsentwurf vor, den Sonderabschreibungssatz unbeweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens in Betrieben des Zonenrandgebiets von bisher 30 auf 40 % anzuheben. Dies — zusammen mit den Veränderungen bei der Zulage — ist nichts anderes als die Ausführung der einstimmig im Unterausschuß „Zonenrand", im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages, im Plenum dieses Hauses und im Bundesrat gefaßten Beschlüsse anläßlich der Heraufsetzung der degressiven Abschreibung als Ausgleich für die Verringerung des Präferenzgefälles im Zonenrandgebiet.Allerdings, Herr Bundesfinanzminister, etwa nur bei den Sonderabschreibungen von 30 auf 40 % eine Heraufsetzung zum Ausgleich dieses Präferenzgefälles vornehmen zu wollen, das hieße, den Zonenrand mit einem Linsengericht abspeisen zu wollen; denn 1,2 bis 1,5 Milliarden DM betrug die Vergünstigung durch die Erhöhung der degressiven Abschreibung auf das Zweieinhalbfache. Keine 3 % dieses uns zum Ausgleich aufgegebenen Vergünstigungsbetrags würde die Anhebung von 30 auf 40 % der Sonderabschreibung bei den unbeweglichen Gütern des Anlagevermögens im Zonenrandgebiet ausmachen. Hier müssen wir uns alle etwas mehr einfallen lassen, und dies ist im Entwurf der Opposition geschehen.Ich möchte jetzt anläßlich der Bemerkung, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, hier gemacht haben, doch einiges zu den Kosten klarstellen. Die Wiederherstellung des Investitionszulagensatzes für dieFördergebiete — für alle Fördergebiete —, wie er bis 1973 bestanden hat — dies ist Kern und Schwerpunkt unseres Antrags —, wird Mindereinnahmen von jährlich etwa 150 Millionen DM verursachen.
Davon entfallen nach dem Aufteilungsschlüssel auf den Bund etwa 65 Millionen, und das nicht im Jahre 1978, denn infolge der Steuertechnik bei der Gewährung der Zulage wird das erstmalig im Jahre 1979 wirksam. Von diesen ganzen 65 Millionen DM im Jahre 1979 wird ein Investitionsvolumen von 6 Milliarden DM tangiert. Ich sage nicht, daß es davon allein ausgelöst wird, aber ein Investitionsvolumen von 6 Milliarden DM wird von dieser Erhöhung tangiert. Wie wir hoffen, wird ein hoher Anteil davon neu ausgelöst werden.So zeigt dieses Verhältnis der Mehraufwendungen beim Bund im Jahre 1979 ff. zu den tangierten Investitionen in den strukturschwachen Gebieten von 1:100 die Ausgewogenheit unserer Vorschläge auch unter Haushaltsgesichtspunkten zu einer Zeit, da die Neuschaffung von Arbeitsplätzen erklärtes oberstes Ziel der Politik aller Fraktionen dieses Hauses ist. Wenn wir dieses Ziel ehrlich meinen, können wir gar keinen anderen Weg gehen. Vom Haushalt her kann unser Vorschlag somit nicht glaubhaft abgelehnt werden.Ich sage dies vorsorglich auf Grund der Erfahrungen des letzten Jahres. Damals sind unsere Anträge, die Mittel für die Regionalförderung aufzustocken, abgelehnt worden, weil der Bundesfinanzminister sagte: Es fehlen die Haushaltsmittel. Und dann ist im Schnellverfahren, gewissermaßen aus der Hüfte geschossen, bei der zweiten und dritten Beratung des Haushalts auf einmal ein Antrag der Regierungskoalition gekommen, der eine Viertelmilliarde zusätzlich für Strukturmittel, und zwar in diesem Falle für die Kohleförderung, vorsah, ein Antrag von derselben Regierung, die uns zwei Wochen vorher versichert hatte, in der Haushaltskasse des Bundes sei kein Pfennig mehr für zusätzliche Strukturmaßnahmen.Wir wissen, daß auch dieses Jahr ein Ergänzungshaushalt bevorsteht, der viele Hunderte von Millionen wiederum für strukturpolitische Zwecke im Kohlebereich einsetzen wird. Wir als Opposition sind bereit, diese Maßnahme mitzutragen, wie wir auch im vergangenen Jahr die Maßnahmen mitgetragen haben. Aber wir fordern Gerechtigkeit für die Menschen in jenen Problemgebieten, die durch Kohleförderungsmaßnahmen nicht begünstigt werden.
Im Bundeshaushalt 1978, für den Sie noch nicht die Verantwortung tragen, sind bei der Gemeinschaftsaufgabe die Mittel für die Arbeitsplatzförderung mit 110 Millionen DM veranschlagt. 1976 waren es noch 156 Millionen. Das heißt im Klartext, binnen zwei Jahren haben wir die Mittel für Investitionen in Arbeitsplätzen in den Fördergebieten im Bundeshaushalt um fast ein Drittel gekürzt, und dies zur Zeit der höchsten Arbeitslosigkeit und star-
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5972 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Dr. Warnkeker akuter Bedrohung jener Gebiete durch weiteren Arbeitsplatzschwund.
Es ist richtig, daß dies technisch durch das Auslaufen des Sonderprogramms Volkswagenwerk herbeigeführt worden ist. Aber, meine Damen und Herren, wir haben doch hier 1974/75 das Sonderprogramm Volkswagenwerk gemeinsam beschlossen, um den drohenden Verlust von 18 000 Arbeitsplätzen zu verhindern, und in der Zwischenzeit ist in den Fördergebieten ein Vielfaches dieser Zahl an Arbeitsplätzen verlorengegangen. Und gleichzeitig haben wir die Mittel für die Förderung der Arbeitsplätze herabgesetzt! Diese Senkung in den Haushaltsansätzen ist durch nichts zu rechtfertigen.
Und es gibt noch weniger Grund, heute weniger Investitionszulagen zu gewähren, als wir in den Zeiten der Hochkonjunktur gewährt haben.Meine Damen und Herren — ich richte das Wort insbesondere auch an die Kollegen in den Koalitionsfraktionen, die ich ja hier sehe, die diese Gebiete, immerhin beinahe zwei Drittel der Bundesrepublik mit einem Drittel ihrer Bevölkerung, in diesem Hause vertreten —, wenn die Menschen draußen wüßten, daß sich hinter all dem Gerede von der Wiedererringung der Vollbeschäftigung als dem obersten Ziel unserer Politik in Wahrheit eine reale Kürzung der Investions- und damit der Arbeitsplatzförderung im Haushalt und eine Senkung der Zulage verbergen: ihr Zorn wäre ebenso gewaltig wie gerecht. ,
Verantwortlich ist dieses Haus, und niemand sollte sich darauf verlassen, daß sich unsere Wähler draußen schon nicht auskennen würden in dem Dschungel des Haushalts und in dem Dickicht der Investitionsförderungsbestimmungen, daß sie nicht dahinterschauen würden, daß wir das eine predigen und etwas ganz anderes tun.
Die Wiederherstellung der alten Höhe der Investitionszulage, die in unserem Gesetzentwurf beantragt wird, fördert die Investitionen von morgen und schafft damit die Arbeitsplätze von übermorgen. Nichts zu tun wäre Vernachlässigung unserer Fürsorgepflicht gegenüber den uns anvertrauten Menschen in strukturschwachen Gebieten. Nichts zu tun wäre Ungerechtigkeit gegenüber Bürgern, die das Recht, in ihrer Heimat Arbeit und Brot zu finden, doch in genau demselben Maße haben wie Menschen, die in begünstigteren Gebieten leben. Nichts zu tun wäre nicht zuletzt auch Verschenken von gesamtwirtschaftlichen Wachstumsspielräumen, die wir heute nötiger denn je haben.Ich bitte das Hohe Haus, die vorliegenden Gesetzentwürfe als Einheit zu betrachten. Wir sind bereit, das Notwendige im Regierungsentwurf zu unterstützen. Wir erwarten von der Koalition, daß sie das Notwendige in einem Entwurf unterstützt, dernicht von ihr, sondern als Beitrag zur parlamentarischen Arbeit von der Opposition kommt.Herr Bundesfinanzminister, da Sie in Ihren Äußerungen auf einen angeblichen Widerspruch zwischen dem Aufruf zur Sparsamkeit und dem Antrag auf höhere Mittel hingewiesen haben, möchte ich Sie an diesem Tag ihres parlamentarischen Einstandes als Bundesfinanzminister auf jene Unterscheidung hinweisen, die Sie auf Ihrem Wege noch lange begleiten wird, nämlich auf die Unterscheidung zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben. Sparen müssen Sie, sparen sollen Sie! Sie haben im ersten halben Jahrzehnt der siebziger Jahre zu wenig gespart und durch eine unsparsame Haushaltspolitik entscheidend mit zu den eineinviertel Millionen Arbeitslosen beigetragen, die wir heute haben. Erhöhen müssen wir dagegen die Leistungen unseres Haushalts für die investiven Ausgaben. Dazu soll unser Gesetzentwurf einen Beitrag leisten.
Nachdem Wirtschaftsminister Lambsdorff abschließend ein Gutachten des Ifo-Instituts über die Schädlichkeit kontraktiver Haushaltspolitik bei investitionsfördernden Ausgaben zitiert hat, möchte ich Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, der Sie gleichzeitig Steuerminister und Haushaltsminister sind, dasselbe in etwas poetischerer Form mit auf den Weg geben. Das Zitat stammt von Goethe, der, wie ich glaube, das, was das Ifo-Institut gesagt hat, in eine sprachlich wesentlich schönere Form kleidete, als er sagte:Mann mit zugeknöpften Taschen, dir tut niemand was zulieb'.Hand wird nur von Hand gewaschen, wenn du nehmen willst, so gib!
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Warnke, von Goethe verstehen Sie sicherlich eine ganze Menge; aber in Haushaltsdingen müssen Sie wohl noch ein bißchen Nachhilfeunterricht nehmen. Herr Dr. Warnke, Einnahmeminderungen sind noch lange keine konsumtiven Ausgaben, aber auch noch lange keine Investitionen. Ich denke, darüber sollten wir uns einig sein. Wir reden hier sowohl bei unserem Gesetzentwurf als auch bei Ihrem über Einnahmeminderungen und nicht über konsumtive oder investive Ausgaben des Bundeshaushaltes.Herr Dr. Warnke, ich bin Ihnen eigentlich dankbar dafür, daß Sie zu Beginn Ihrer Rede die Gemeinsamkeiten herausgestrichen und sich wohltuend über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes geäußert und Zustimmung zumindest angedeutet, wenn nicht sogar versprochen haben. Ich denke, daß wir gut daran tun, wenn wir die Gemeinsamkeiten herausstellen, die es hier
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Kühbacherim Hause gibt und die es in den Ausschüssen schon immer gegeben hat.Bevor ich einiges Grundsätzliches dazu sagen werde, Herr Dr. Warnke, ein kleiner Hinweis: Übertreibung macht zwar manches Problem anschaulich; aber wenn Sie das Kostenvolumen der Wiedereinführung der degressiven Afa mit etwa 1,3 Milliarden DM Einnahmeausfällen in ein Verhältnis zur Zonenrandförderung stellen und sagen, daß etwas Ähnliches wieder passieren müsse, dann müssen Sie zugeben, daß dies wirklich eine Übertreibung ist. Die Präferenzgefälle haben für das Zonenrandgebiet nie 1,3 Milliarden DM betragen. Auch wenn ich aus diesem Bereich komme, so sollten wir uns doch nichts in die Tasche lügen; denn das bringt nichts.Die zweite Sache, die Sie mit Ihren Ausschußmitgliedern im Ausschuß für Forschung und Technologie auszutragen haben, ist die Forderung an den Bundesforschungsminister, er möge bei der direkten Forschungsförderung Zurückhaltung üben, er möge etwas streichen. Das müssen Sie einmal mit Ihren Ausschußmitgliedern besprechen; denn keiner von Ihnen hat auch nur einem Objekt in der Ausschußberatung widersprochen. Im Haushaltsausschuß war es ähnlich. Sie fordern das hier.
— Na ja, Sie haben zur Zurückhaltung gemahnt.Lassen Sie mich einiges feststellen, was, wie ich glaube, unsere gemeinsame Auffassung ist. Nachdem hier heute am Vormittag und auch am Nachmittag auf der grünen Wiese wirtschaftstheoretischer Erörterungen gegrast worden ist, möchte ich etwas zum Detail sagen.Die deutsche Wirtschaft ist nicht nur derzeit, sondern sicherlich auch in überschaubarer Zukunft erheblichen Belastungen ausgesetzt. Das wirtschaftliche Wachstum hat sich spürbar verlangsamt. Das Lohnniveau ist im internationalen Vergleich mit am höchsten. Infolge der demographischen Entwicklung drängt in den nächsten Jahren eine wachsende Zahl von Erwerbspersonen auf den Arbeitsmarkt. Diese binnenwirtschaftlichen Faktoren fallen mit einer tiefgreifenden weltwirtschaftlichen Strukturänderung und einer im Umbruch befindlichen weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung zusammen. Das zwingt uns alle dazu, eine Politik einzuleiten — die Bundesregierung ist auf dem besten Wege dazu —, die auf die vorausschauende Gestaltung künftiger Wirtschaftsstrukturen ausgerichtet ist. Bei Erfüllung der wirtschaftlichen Zukunftsaufgaben kommt neben der Verbesserung der wirtschaftlichen, insbesondere aber der steuerlichen Rahmenbedingungen auch der Verbesserung der wirtschaftsnahen Forschung und der Entwicklung eine Schlüsselrolle zu. Dies hat die Bundesregierung bislang erkannt und durch Haushaltsmaßnahmen berücksichtigt, und sie ist von der Opposition darin bestärkt worden.Eine zukunftsgerechte Forschungs- und Entwicklungspolitik muß darauf gerichtet sein, das technologische Leistungsvermögen der deutschen Wirtschaft zu intensivieren -und sie auf eine technologisch hö-her qualifizierte Struktur zu stellen bzw. eine Entwicklung in dieser Richtung zu unterstützen, zu lenken oder anzureizen, wie Herr Dr. Warnke fein unterschied, wenn er von Investitionslenkung sprach. Voraussichtlich werden im Jahre 1978 zwischen 900 Millionen DM und 1 Milliarde DM Investitionen allein für Forschungsvorhaben getätigt werden. Diese Summe muß man zu den gesamten Forschungsausgaben in Vergleich setzen. Es sind etwa 10 °/o. So kommen wir auf 10 Milliarden DM Forschungsausgaben in der Bundesrepublik. Das ist eine Zahl, die hoffen läßt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Forschungs-und Entwicklungspolitik wird sich zunehmend auf den Bereich der Entwicklung neuartiger Produkte und Verfahren konzentrieren müssen. Diese Politik kann sich nicht auf die vom Markt geforderte Innovation beschränken. Notwendig ist vielmehr gleichzeitig die Entwicklung umweltschonender Verfahren, umweltfreundlicher Produkte als Bedingung für qualifizierte und nicht allein auf quantifiziertes Wirtschaftswachstum gerichtete Ausweitung. Dies kann aber nicht allein den Großunternehmungen überlassen bleiben. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung ein Investitionszulagengesetz vorgelegt, das insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe begünstigt.Nun einige Worte zu den Details dieses Gesetzes. Zunächst einmal ist in Art. 1 dieses Gesetzes eine Anpassung an die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" erwogen und diesem Parlament vorgeschlagen worden. Es soll — so sieht es Art. 1 vor — der Katalog der Begünstigten in § 2 des Investitionszulagengesetzes erweitert werden, indem Erweiterungen, Rationalisierungen und grundlegende Umstellungen auch in den Betrieben möglich sein sollen, die vor dem 1. Januar 1977 errichtet worden sind. In Fremdenverkehrsgebieten soll eine qualitative Verbesserung des Bettenangebotes durch Einbau von Duschen, Küchen usw. einbezogen werden. Ein weiterer Punkt, der ganz wesentlich ist und unserer Ausbildungssituation in den Fördergebieten Rechnung trägt, ist die Bestimmung, daß man von der bisherigen Forderung, mindestens 20 neue Dauerarbeitsplätze zu schaffen, um in den Genuß von Investitionszulagen zu kommen, auf 15 Dauerarbeitsplätze heruntergeht und die Ausbildungsplätze einbezieht, wobei ein Ausbildungsplatz wie zwei Arbeitsplätze zählt. Ich halte das für eine ganz wichtige und sehr sinnreiche Ergänzung.
Nun zu dem eigentlichen Problem, zu der Erhöhung der Investitionszulage für Forschungsförderung von 71/2 auf 15 % für die ersten 500 000 DM Ausgabevolumen. Ich denke, daß wir uns diesem Thema ein wenig intensiver zuwenden sollten. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Modifizierung zielt darauf ab, erstens die Zahl der begünstigten Unternehmen zu erhöhen, zweitens durch die Lockerung der Zweckbindungsklausel und drittens durch die Erweiterung des Begünstigungstatbestandes den Unternehmen Mut zu machen, ihre Investitionen tatsächlich im Forschungsbereich ein-
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5974 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Kühbacherzusetzen. Wir müssen uns bei dieser Betrachtung vor Augen führen, daß zur Zeit die Forschungsförderungsanreize im wesentlichen von den Großunternehmungen insbesondere in fünf Bereiche in Anspruch genommen werden. In einer Statistik des Stifterverbandes der Deutschen Wissenschaft werden diese fünf Bereiche genannt. Es sind der Chemiebereich, die Elektronik, der Straßenfahrzeugbereich, der Maschinenbau und die Luftfahrtindustrie. Diese Bereiche nehmen etwa 60 °/o der zur Zeit im Bundeshaushalt und im Subventionsbericht ausgeworfenen Vergünstigungen in Höhe von etwa 100 Millionen DM in Anspruch. Dies ist sicherlich wünschenswert, aber nicht im Interesse der Mittelstandsförderung, die gemeinsam zu tragen dieses Haus bereit ist. Von daher ist der Ansatz richtig, nämlich die ersten 500 000 DM mit einer höheren Präferenz zu versehen, sie für die Mittelstandsförderung einzusetzen.Der zweite Tatbestand, der in § 4 a dieser Gesetzesvorlage angesprochen ist, ist die Ausdehnung der Abschreibungsmöglichkeiten für Gebäude, die überwiegend der Forschung dienen, und die Ausweitung auf solche Gebäude, die nur zu einem Drittel der Forschung dienen. Diese sollen künftig mit den ersten 50 % ihrer Kosten voll bezuschußt werden. Das heißt, ein Gebäude, das nicht überwiegend, sondern nur zu einem Drittel der Forschung dient, soll, wenn es neu errichtet wird, gefördert werden, und zwar mit den ersten 500 000 DM zu 15 %Wichtiger, schwerwiegender und für die Zukunft entscheidender ist die Ausdehnung der Investitionszulage auf den Ankauf bestimmter immaterieller Wirtschaftsgüter, die der Forschung und der Entwicklung dienen. Es soll kleineren und mittleren Unternehmen erleichtert werden, Patente, Lizenzen und in einem bestimmten Sinne auch Vertragsforschung zu finanzieren. Ich denke, dies ist eine ganz entscheidende Ausweitung des Anlagenkatalogs, die geeignet ist, auch die Forschungsinstitute in den Rahmen der Kleinunternehmen einzubeziehen. Ich komme aus einer Stadt, in der die Forschung zu Hause ist. Ich weiß, daß die enge Kooperation zwischen Forschung und Industrie, zwischen Forschung und mittleren Unternehmen richtig und notwendig' ist. Mit der Einrichtung von Innovationsberatungsstellen in den verschiedenen Bereichen hat das Forschungsministerium einen ersten Schritt zur Verbindung zwischen Forschung, Industrie und Unternehmungen getan.Meine Damen und Herren, ein vierter Punkt ist die Erweiterung des Investitionszulagengesetzes auf Fernwärmenetze. Hinzu kommt ein Anreiz zum Bau von Anlagen zur Rückgewinnung von Abwärme. Hier soll gleichzeitig Energieeinsparung gefördert werden.Diese positiven Änderungen des Investitionszulagengesetzes, insbesondere für kleinere und mittlere Betriebe, werden Steuermindereinnahmen in Höhe von 110 Millionen DM jährlich zur Folge haben, die allerdings — das zu sagen sei mir als stellvertretendes Mitglied des Haushaltsausschusses erlaubt — den Bundeshaushalt nur mit 51 Millionen DM belasten werden. Ich denke, daß diese Einnahmeminderung in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden mittelstandsfördernden und für die Zukunft wichtigen forschungs- und entwicklungsbedeutsamen Investitionen steht. Denn immerhin — das muß man berücksichtigen — werden nur 15 °/o bzw. 7,5 °/o der zu erwartenden Investitionen gefördert. Ich sagte es bereits: 1 Milliarde DM erwarten wir für das nächste Jahr.Nun ein Ausblick auf den Gesetzentwurf der CDU/CSU. Zu Ihrer Forderung, Herr Dr. Warnke, das Investitionszulagengesetz für den Zonenrand zu ändern, ist folgendes zu sagen.Zunächst einmal haben Sie vorgeschlagen, Ersatzbeschaffungen in den Förderungskatalog einzubeziehen und sie als Investitionen zu begünstigen. Hierzu, Herr Dr. Warnke, ist zu fragen, inwieweit sich diese Ersatzbeschaffungen in den Fördergebieten arbeitsplatzfördernd auswirken werden. Es ist zu befürchten, daß Ersatzbeschaffungen nicht nur bei Umstellung und Rationalisierung, sondern auch als Mitnahmeeffekt begünstigt werden. Wir werden dem Beweis, daß sich dies arbeitsplatzfördernd auswirkt, im Ausschuß mit Interesse entgegensehen.Nun zur zweiten Forderung, der Kernforderung, die Sie angesprochen haben: Erhöhung des Investitionszulagensatzes von 7,5 % auf 10 % in allen Fördergebieten. Herr Dr. Warnke, ich muß Ihnen entgegenhalten: Unter der Überschrift „Zonenrandförderungsgesetz" kann diese Zulagenerhöhung beileibe nicht gesehen werden. Sie wissen — Sie haben das ja auch bestätigt —, daß 60 °/o des gesamten Bundesgebietes Fördergebiete im Sinne der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" sind. Für das Zonenrandgebiet allein — diese Abgrenzung müßte man dann angesichts der Gesetzesüberschrift treffen — würden etwa insgesamt 50 Millionen DM ausreichen. Die CDU fordert die Abdeckung des gesamten Bereichs in Höhe von 150 Millionen DM.Sie müssen sich daher fragen lassen, ob dies nicht eine Zonenrandbehinderungsmaßnahme darstellt. Denn mit Sicherheit wird durch diese Gießkannenausschüttung über zwei Drittel des Bundesgebietes niemand zusätzlich in das Zonenrandgebiet hineingezogen werden.
Es ist sogar zu befürchten, Herr Dr. Warnke, daß es sich für das Zonenrandgebiet als hinderlich erweisen wird. Denn, Herr Dr. Warnke: Diese Gießkanne, ausgeschüttet in anderen Gebieten, reizt auf jeden Fall zu Mitnahmeeffekten mit der Folge, daß die Mittel dann dort verbraucht werden.
Deshalb werden wir diese Forderung im Ausschuß ganz kritisch unter die Lupe nehmen und Sie fragen, ob es Ihrem politischen Willen entspricht, auf der einen Seite Zonenrandförderung zu betreiben und auf der anderen Seite im gesamten Bereich nach dem Gießkannenprinzip vorzugehen. Ich bin der Auffassung, daß sich diese Forderung als Behinderung des von uns unterstützten Zonenrandförderungsgedankens herausstellen wird. Wir werden ja sehen, wie sich der Bundesrat dazu äußert. Ich un-
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Kühbacherterstelle allerdings, daß dabei — weil Sie die Probleme sicherlich genausogut kennen — ein wenig Opportunität im Spiel war, so nach dem Motto, man fordere für alle etwas, dann fällt für uns auch etwas ab. Ich verstehe dies sehr gut. Es stellt sich nur die Frage: Nützt uns dieses Fordern für alle tatsächlich?Beim dritten Punkt, Herabsetzung der Förderschwelle im überregionalen Bereich auf ein Drittel des Umsatzes je Betrieb — Kostenvolumen: etwa 10 Millionen DM —, wird zu prüfen sein, inwieweit diese Forderung dazu geeignet ist, insbesondere dem Handwerk zu helfen. Ein Forderungskatalog des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks enthält diese Forderung an zweiter Stelle — wenn ich das richtig gesehen habe — und hat uns Gesetzgebungshilfe gegeben. Sie haben das dann wortwörtlich übernommen. Ich habe die Sorge, daß hier einmal nur ein relativ kleiner Teil der handwerklichen Produktionsbetriebe begünstigt wird und zum anderen daraus zusätzliche Arbeitsplätze im Zonenrandgebiet nicht entstehen werden. Wir werden dies im Ausschuß erörtern müssen.Der vierte Punkt, Erhöhung der Sonderabschreibungen für unbewegliche Wirtschaftsgüter in Betrieben des Zonenrandgebietes von 30 auf 40 %, verdient auf jeden Fall Beachtung. Ich denke, daß die Bundesregierung prüfen wird, wie diese Maßnahme finanziell umgesetzt werden kann, weil durch die Herabsetzung der Präferenz im Zusammenhang mit der Einführung bzw. Wiedereinführung der degressiven AfA dies schon als notwendig anerkannt worden ist. Wir haben eine gemeinsame Entschließung gefaßt. Der Herr Bundesfinanzminister hat dies wohl auch sehr frühzeitig bei der Übernahme seines Amtes erkannt. Die Beamten sind zu loben, die das so schnell transmissioniert haben, Herr Minister Matthöfer.Meine Damen und Herren, zum Schluß bleibt festzustellen, daß sich die positiv zu bewertende Gesetzgebungsinitiative der Bundesregierung dazu angeboten hat, daß sich die CDU zusammen mit der CSU mit dem Entwurf eines Zonenrandförderungsgesetzes angehängt hat. Wir werden beide Vorlagen im Ausschuß kritisch prüfen, insbesondere auch wegen der Einlassung des Bundesrates, der eine Erweiterung beim Investitionszulagengesetz gefordert hat, die den kleinen und mittleren Betrieben sicherlich nicht zum Wohle gereichen würde. Ich denke, daß wir im Ausschuß eine positive und die Gemeinschaft fördernde Beratung haben werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Laermann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die allgemeine Kostenentwicklung, ständig steigende Rohstoffpreise sowie die fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung in den sogenannten Schwellenländern mit Niedriglohnniveau erzwingen eine weitestgehende Rationalisierung. Der technische Fortschritt wirkt sich in zunehmender Automatisierung aus. EinschneidendeVeränderungen in der Wirtschaftsstruktur sind heute schon vorhersehbar. Alles dies erfordert Umstellungen, Spezialisierungen, Innovationsinvestitionen, wenn die Stellung der Bundesrepublik auf dem Weltmarkt und, damit verbunden, der Lebensstandard unserer Bürger gehalten werden soll.Der selbständige Unternehmer ist die treibende Kraft zum wirtschaftlichen Fortschritt, der Innovationsentscheidungen trifft, Risiken übernimmt, Marktchancen wahrnimmt, neue Produkte und Produktionsverfahren entwickelt und kommerziell umsetzt. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen haben sich bisher immer wieder als besonders anpassungsfähig und flexibel hinsichtlich Verschiebungen in der Angebots- und Nachfragestruktur erwiesen. Sie sind, dank des persönlichen Engagements, oftmals besser und schneller als große Unternehmen in der Lage, auf veränderte Situationen zu reagieren. Sie sind eine wesentliche Stütze unserer Volkswirtschaft.Alle Förderungsmaßnahmen zugunsten der mittelständischen Wirtschaft müssen sich in den vorgegebenen ordnungspolitischen Rahmen einpassen. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung gibt es dafür nur einen Weg, der marktkonform ist, den der Hilfe zur Selbsthilfe. Dies ist auch die Form der Unterstützung, die das bestmögliche gesamtwirtschaftliche Ergebnis bringt. Mit Erhaltungssubventionen ist niemandem gedient, auch der mittelständischen Wirtschaft nicht. Sie führen im Grunde genommen nur zu einer Verfestigung von Besitzständen und überkommenen Strukturen, die von der Marktsituation her nicht mehr gerechtfertigt sind. Eine zukunftsweisende Mittelstandspolitik muß vielmehr darauf ausgerichtet sein, durch konkrete Programme den kleinen und mittleren Unternehmen die Anpassung an Wettbewerbsveränderungen und an den Strukturwandel zu erleichtern und so ihre Leistungs-und Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.In diesem Zusammenhang haben wir heute den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes in erster Lesung vorliegen. Neben einer notwendigen Anpassung an den sechsten Rahmenplan handelt es sich um eine konkrete Teilausfüllung des in Punkt 19 der Regierungserklärung angekündigten Gesamtkonzepts zur Verbesserung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit bei kleinen und mittleren Unternehmen.Die Gesetzesvorlage sieht im einzelnen dazu vor:erstens eine Verdoppelung des Zulagensatzes von 7,5 auf 15 v. H. für begünstigte Investitionsaufwendungen bis zur Höhe von 500 000 DM im Wirtschaftsjahr;zweitens Ausdehnung der Begünstigung auf Gebäude sowie Anbauten und Erweiterungen, die zu einem bis zwei Dritteln der Forschung und Entwicklung dienen, unddrittens Ausdehnung der Begünstigung auf bestimmte immaterielle Wirtschaftsgüter, die der Forschung und Entwicklung dienen.Die Anhebung der Investitionszulage, in der Höhe begrenzt, kommt insbesondere den kleinen und mitt-
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Dr.-Ing. Laermannleren Unternehmen zugute, bei denen die bisherigen steuerlichen Vergünstigungen wegen Umfangs und wirtschaftlicher Lage nicht zu den erwarteten Wirkungen führen konnten. Auch gab und gibt es bei diesen mittelständischen Unternehmen selten eine Nutzung von Gebäuden für Forschung und Entwicklung über einen Gebäudeanteil von zwei Dritteln hinaus, so daß gerade die Herabsetzung der Untergrenze auf ein Drittel eine wesentliche Verbesserung für diese kleinen und mittleren Unternehmen darstellen wird.Mit diesen Maßnahmen, welche die FDP-Fraktion ausdrücklich begrüßt, wird sicherlich ein deutlicher Schritt zur Verbesserung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit gerade der kleineren und mittleren Unternehmen getan werden. Die Einbeziehung erworbener aktivierungspflichtiger immaterieller Wirtschaftsgüter wie Patente und Lizenzen in die Begünstigung wird ebenfalls den Unternehmen zugute kommen, die nicht über eigene Forschungs- und Entwicklungskapazität verfügen. Dadurch wird eine wünschenswerte und seit langem immer wieder auch von der FDP geforderte Verbesserung des Transfers von Forschungsergebnissen, eine Verbesserung der Verfügbarkeit insbesondere der staatlich geförderten technischen Entwicklungen zu erzielen sein.Ich glaube auch feststellen zu dürfen, daß niemand in diesem Hause — damit meine ich auch die Bundesregierung — davon ausgeht, daß allein dies ausreichend sei. Die Bundesregierung hat daher für die Unternehmen, die keine eigenen Forschungsabteilungen unterhalten, bereits im Haushalt 1978 eine Position eingebracht, die Vertragsforschung bezuschußt, und sie wird in Kürze, wie schon angekündigt, ein Gesamtkonzept verabschieden. Darin werden sicher auch Vorschläge über die Reduzierung des bürokratischen Aufwands enthalten sein müssen, der vielfach gerade für mittlere und kleine Unternehmen ein starkes Hemmnis ist. Darin werden weiter Instrumentarien zur Verbesserung der Technologie-und Innovationsberatung kleiner und mittlerer Unternehmen enthalten sein müssen, und zwar über das hinaus, was bereits jetzt von der Bundesregierung auf diesem Gebiet gefördert wird. Ferner wird ein Ausbau bzw. eine Fortentwicklung des Instruments der Gemeinschaftsforschung enthalten sein müssen.Nun hat Herr Warnke vorhin festgestellt, daß die direkte Forschungs- und Entwicklungsförderung bisher erhebliche Schlagseite habe. Hierzu muß festgestellt werden, daß wir auf dem Gebiet der Schlüsseltechnologien tatsächlich nur mit dem verstärkten Ansatz von dirketer Forschungsförderung überhaupt einen Nachholbedarf, den wir nach dem Kriege hatten, überwinden konnten, wodurch wir nun wieder den Anschluß an den technischen Stand und die technologische Entwicklung in der übrigen Welt gefunden haben. Ja, in Teilbereichen haben wir durchaus schon einen Vorsprung gegenüber der Entwicklung in der übrigen Welt.Wenn es noch eines weiteren Beweises bedarf, dann möchte ich sagen, daß der dickste Brocken der direkten Forschungsförderung im Bereich der Energieforschung angesetzt ist. Von der Oppositionwird sicherlich nicht bestritten, daß dies eine Notwendigkeit ist.Darüber hinaus ist festzustellen, daß die direkte Forschungsförderung in der Tat stark ausgebaut worden ist. Dabei ist die indirekte Förderung sicherlich etwas ins Hintertreffen geraten. Aber ich möchte hier noch einmal, wie es schon wiederholt geschah, feststellen: Direkte und indirekte Forschungsförderung sind keine substituierbaren Alternativen, sondern sie müssen sich gegenseitig vernünftig und sinnvoll ergänzen.
Grundsätzlich möchte ich dazu feststellen — dies tue ich in Übereinstimmung mit einer Reihe von wissenschaftlichen Institutionen —, daß die indirekte Forschungs- und Entwicklungsförderung vor allem bei Entwicklungen im marktnahen Bereich in der Tat wieder stärker in die forschungspolitischen Ansätze einbezogen werden muß.Nach den neuesten Zahlen des Stifterverbandes stellen die Personalkosten in Forschung und Entwicklung einen nicht unwesentlichen, ja, ich möchte sagen: einen wesentlichen Kostenfaktor dar, der gerade die kleinen und mittleren Unternehmen besonders stark belastet. Ich meine, es sollte überlegt werden, wie die Personalkosten für Forschung und Entwicklung in eine Begünstigung einbezogen werden können. Wie bei der Investitionszulage könnte auch hier an eine Begrenzung nach oben gedacht werden. Der beschäftigungspolitische Effekt einer solchen Maßnahme sollte dabei nicht außer Betracht bleiben. Denn bei dem notwendigen und unvermeidbaren Strukturwandel fallen zukünftig weitere Arbeitsplätze im Produktionsbereich weg. Dafür sind in den vor- und nachgeschalteten Bereichen, besonders im Forschungs- und Entwicklungsbereich wegen des steigenden Anteils im Bereich des engineering neue Arbeitsplätze mit unterschiedlichen Qualifikationsanforderungen zu schaffen. Da die direkte Projektförderung im Forschungsbereich zeitlich befristet ist, dient sie auch nur einer zeitlich begrenzten Sicherung der Arbeitsplätze von Forschern und technischem Personal. "Bei einer indirekten Förderung unter Einbeziehung der Personalkosten können diese Arbeitsplätze langfristig gesichert werden. Dies erscheint mir insbesondere im Hinblick auf die steigende Zahl wissenschaftlich hochqualifiziert ausgebildeter Hochschulabsolventen sinnvoll und notwendig.Aus mittelstands-, struktur- und arbeitsmarktpolitischen Gründen ist es also unerläßlich, sich mit den Personalkosten auseinanderzusetzen. Eine Dekkung der dadurch bedingten eventuellen Steuermindereinnahmen sollte über eine entsprechende Reduzierung der Mittel für die direkte Projektförderung ohne weiteres möglich und auch vertretbar sein. Aus steuersystematischen Gründen lassen sich die Personalkosten nicht im vorliegenden Gesetzentwurf erfassen. Außerdem sind einige Bedenken und Probleme, insbesondere der Abgrenzung, der Kontrolle und der Mißbrauchsverhinderung, auszuräumen bzw. zu lösen. Hier sollten sich aber, davon
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Dr.- Ing. Laermannbin ich überzeugt, praktikable Lösungen finden lassen; vergleichbare Ansätze sind vorhanden.'Eine weitere Änderung, nämlich Ausdehnung der Investitionszulage nach § 4 a — Energiezulage — auf die Erweiterung von Fernwärmenetzen und auf Anlagen zur Rückgewinnung von Abwärme, ist energiepolitisch besonders wichtig. Sie bietet einen beachtlichen Anreiz zur besseren Nutzung des Energiepotentials der Primärenergieträger und leistet damit einen Beitrag zur Energieeinsparung und zur Reduzierung von Umweltbelastungen. Dies begrüßt und unterstützt die Fraktion der FDP ausdrücklich.Nun noch einige Anmerkungen zum Antrag der Opposition zur Änderung des Investitionszulagengesetzes und des Zonenrandförderungsgesetzes. Dem Antrag liegt offensichtlich die Behauptung zugrunde, die Förderungskriterien seien nicht wirkungsvoll genug und zu starr. Diese Behauptung ist in allem unzutreffend. Man kann nicht, Herr Dr. Warnke, davon sprechen, daß es ein schwerer Fehler gewesen sei, die Regionalförderung 1973 zu kürzen. Die Förderungsstatistik des Wirtschaftsministeriums im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" weist für den Zeitraum für 1972 bis September 1977 folgende Ergebnisse aus: ein gefördertes Investitionsvolumen der gewerblichen Wirtschaft von rund 22 Milliarden DM, neue Arbeitsplätze rund 200 000, gesicherte Arbeitsplätze rund eine halbe Million, gefördertes Infrastrukturvolumen — Industriegelände, Kläranlagen usw. — rund 1,6 Milliarden DM. Diese Zahlen machen doch deutlich, daß die Hilfen der Gemeinschaftsaufgabe — im Zusammenhang damit auch ERP-Programme — doch wirken.Wie bisher schon so oft, so sind auch hier wieder die Vorschläge der Opposition zur Wirtschafts- und Finanzpolitik widersprüchlich. In der Haushaltsdebatte fordert die Opposition Einsparungen. Hier präsentiert sie einen Gesetzentwurf, der nach ihren eigenen Angaben rund 230 Millionen DM kostet, ohne gleichzeitig einen Deckungsvorschlag zu machen. Ich verweise hier auf die Ausführungen Ihres Kollegen Häfele, der festgestellt hat, daß die Opposition keine ausgabenwirksamen Anträge mehr stellen dürfe, wenn sie sich nicht dem Geruch der Unglaubwürdigkeit aussetzen wolle.Die Opposition beklagt auch ständig, die Gesetzentwürfe der Koalition würden immer mehr bürokratische Schwierigkeiten für die Wirtschaft auftürmen. Aber der Antrag der CDU/CSU hat doch zur Folge, daß nun der Unternehmer im Fördergebiet nachweisen muß, daß ein Drittel des Umsatzes seiner Betriebsstätte regelmäßig überregional abgesetzt wird. Bislang reichte der „angemessene Umfang". Das ist doch noch mehr Bürokratie. Außerdem ist die Abgrenzung doch sehr willkürlich. Warum gerade ein Drittel, warum nicht etwa ein Viertel oder gar ein Fünftel? Hier fehlt doch jede plausible Begründung.Schließlich bringt der Vorschlag der Erhöhung der Zulage für die Fördergebiete das in sich abgestimmte Präferenzgefälle zwischen Berlin und den übrigen Fördergebieten ohne Not, wie ich meine, durcheinander.Die Freien Demokraten verkennen nun nicht die besondere Situation und die Schwierigkeiten der peripheren Regionen. Sie haben sich deshalb stets für solche Maßnahmen und Regelungen eingesetzt, die dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechen und gleiche Lebensbedingungen in unserem Land schaffen bzw. erhalten. Wir werden dies auch weiterhin tun. Deswegen sind wir auch bereit, sehr sorgfältig zu prüfen, welche Möglichkeiten sich bieten, welche Chancen zu deren Realisierung bestehen, Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet gezielt und wirkungsvoll zu verbessern. Wir werden die Beratungen in den entsprechenden Ausschüssen sehr sorgfältig verfolgen und versuchen, unser Teil zum Endergebnis beizutragen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Sie ersehen aus der Tagesordnung die Empfehlung des Ältestenrates für die Überweis ung. Ich bitte diejenigen, die der Überweisung der Entwürfe auf den Drucksachen 8/1409 und 8/1527 in dieser Weise zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hauser , Dr. Zeitel, Landré, Stücklen, Müller (Remscheid), Franke, Vogel (Ennepetal), Dr. Dollinger, Dr. Biedenkopf, Lampersbach, Dr. Müller-Hermann, Schedl, Schröder (Lüneburg), Sick, Rawe, Dr. Becker (Frankfurt), Blumenfeld, Dr. Blüm, Dr. Bötsch, Daweke, Feinendegen, Dr. Friedmann, Dr. von Geldern, Haberl, Dr. Hennig, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Hoffacker, Josten, Kolb, Krey, Dr. Meyer zu Bentrup, Milz, Müller (Wadern), Neuhaus, Dr. Pinger und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
Wird das Wort zur Begründung gewünscht, oder treten wir gleich in die Aussprache ein? — Herr Kollege Landré, ich gebe Ihnen das Wort in der Aussprache.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit verbessern soll. 1957 entstanden und 1974 novelliert, verbietet es seit nunmehr 20 Jahren Arbeit, die jemand für andere aus Gewinnsucht in erheblichem Umfange als Dienst- oder Werkleistungen erbringt, Arbeit, die unter Mißachtung bestehender Vorschriften wie der Gewerbeordnung, der Handwerksordnung oder des Arbeitsförderungsgesetzes für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit geleistet wird.
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LandréSeit 1957 gelten auch die Ausnahmen wie Gefälligkeitsleistung, Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfe im Eigenheimbau. Sie sind ausdrücklich erwähnt und sollen auch durch diese Änderung nicht angetastet werden. Andererseits machen es gerade diese Ausnahmen besonders schwer,. das Gesetz zu praktizieren. Dadurch nämlich sind Tatbestandsmerkmale hineingeraten, die eine Verfolgung erheblich erschweren oder gar unmöglich machen. So wird das Gesetz bis heute kaum angewendet, sondern statt dessen die Handwerksordnung, weil es in der Handwerksordnung heißt: Wer eine Tätigkeit ausübt, ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein, kann mit einer Geldbuße bis zu 10 000 DM belegt werden. Das läßt sich eben sehr viel leichter anwenden als dieses komplizierte Gesetz. Darum geht Qs uns: Wir wollen eine Verbesserung und damit eine pratikablere Handhabung des Gesetzes.Die Schwarzarbeit nimmt von Jahr zu Jahr in einem erschreckenden Maße zu. Besonders im Bauwesen und in einigen Dienstleistungsbereichen können wir das nur mit großem Bedauern feststellen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks schätzt ,den „schwarzen Umsatz", wenn ich das einmal so sagen darf, auf etwa 10 % des Handwerksumsatzes. Das würde, auf die Zahlen des Jahres 1977 bezogen, etwa 30 Milliarden DM bedeuten. Das ist eine Drei mit zehn Nullen, meine Damen und Herren! Bei einem Pro-Kopf-Umsatz bei den Handwerksbetrieben von durchschnittlich 72 000 DM per annum wäre für über 400 000 Beschäftigte ein ganzes Jahr lang Arbeit. Ich darf das einmal so umrechnen, auch wenn ich das nicht gleichsetzen will mit einer Arbeitslosenzahl von 400 000. Ein Zusammenhang ist aber unübersehbar.Nehmen Sie noch eine Zahl: Der durchschnittliche Handwerksbetrieb beschäftigt heute acht Personen. 50 000 Handwerksbetriebe, die je acht Personen beschäftigen, hätten so ein ganzes Jahr Arbeit. Ich glaube, damit ist der gewaltige Umfang klar, und es ist wohl sehr notwendig, daß hier etwas geschieht.Wir kennen das Attribut „schwarz" aus den verschiedensten Begriffen, wie Schwarzfahrer, Schwarzhörer, Schwarzhändler usw. Wir meinen damit etwas Ungesetzliches, etwas moralisch nicht ganz Einwandfreies, kurz, eine unrechtmäßige Handlungsweise. Der Schwarzarbeiter führt im Gegensatz zum zugelassenen Betrieb keine Steuern, Sozialabgaben oder andere Abgaben ab; er leistet auch keine Umlagen, z. B. an die Berufsgenossenschaft, und dergleichen mehr. Er haftet darüber hinaus in keiner Weise. Das ist besonders schlimm bei den sogenannten Gefahrenhandwerken. Denken Sie an das Kraftfahrzeughandwerk, an . das Elektrohandwerk oder das Handwerk der Gas- und Wasserinstallateure, um nur einige zu nennen, wo die Folgen für Leib und Leben bei unsachgemäß ausgeführter Arbeit unübersehbar sind. Der Schwarzarbeiter „spart" also diese Kasten und tritt so in einen gewissermaßen unlauteren Wettbewerb zum angemeldeten Handwerks- oder Gewerbebetrieb ein.
— Ja, Herr Reuschenbach, ich komme gleich darauf zu sprechen, wie wir die Leistung kanalisieren wollen. Ich freue mich über Ihren Zwischenruf.
Schwarzarbeit ist — hier werden Sie mir sicherlich recht geben — kein Kavaliersdelikt, keine läßliche Sünde, und deshalb auch seit mehr als 20 Jahren verboten. Das war in diesem Hause auch nie strittig. Sie ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit 30 000 DM Geldbuße belegt werden kann und stellt einen Regelverstoß gegen die Gesetze dar, die ich genannt habe. Sie ist eine große Gefahr für unsere Wirtschaft, aber auch für unser soziales Sicherungssystem. Sie entzieht darüber hinaus dem Staat Jahr für Jahr erhebliche Steuern und Abgaben. Wenn ich einmal annehme, daß die Zahl, die ich soeben nannte, nämlich 30 Milliarden DM, richtig ist, würde das bedeuten, daß dem Staat und der Sozialversicherung Steuern und Abgabe in einer Größenordnung von etwa 8,5 Milliarden DM pro Jahr verlorengehen.
— Ja, hier hätte er eine Möglichkeit, an Geld zu kommen.
Ich sagte schon, es ist unübersehbar, daß ein enger Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit besteht. Ich glaube, es ist auch klar, daß der Schwarzarbeiter alle schädigt, nicht zuletzt auch den Auftraggeber, der Schwarzarbeit in Auftrag gibt. Schwarzarbeit betrügt alle und gefährdet vieles, sie unterläuft die Arbeitsmoral, die Steuermoral und die Geschäftsmoral, und deshalb sollte ihr auch unser aller Kampf gelten.Warum spielt nun gerade im Handwerk das Problem der' Schwarzarbeit eine so große Rolle? Handwerksleistungen sind fast immer mit einem hohen Lohnaufwand, d. h. Aufwand an Arbeitszeit, verbunden, die vergütet werden muß. Dies und die Tatsache, daß alle Sozialleistungen auf den Lohn bezogen werden, daß viele Gebühren, Abgaben und Umlagen — ich sagte es schon —, daß auch alle übrigen Betriebsgemeinkosten in der Regel auf die Lohnstunde umgelegt werden, ja, daß sogar viele Kommunen die Unsinnigkeit begehen, auf die Summe des Lohnes Steuern zu erheben, bedeutet, daß dem Nettolohn, den der Arbeiter für seine Arbeit erhält, ein um ein Mehrfaches höherer Zuschlag anhaftet, der mitberechnet werden muß.Der starke Einfluß einer so teuren Arbeitsstunde auf den zu fordernden Preis wird hier deutlich. Er steigt in dem Maße, in dem der Anteil an Material-und Warenlieferung sinkt, und gerät eine Arbeit gar zu einer reinen Dienstleistung, steht dem gezahlten Nettolohn ein immens hoher Stundensatz des Unternehmens gegenüber.
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LandréDer Kollege Professor Biedenkopf hat hier vor einigen Wochen klargemacht, wie ein „Schwarzmarkt für Arbeit" entsteht. Wenn nämlich die Kosten für eine Arbeitsstunde unter Einschluß von Steuern und Angaben so hoch steigen, daß niemand mehr bereit oder in der Lage ist, sie zu bezahlen, so sucht jedermann nach einem Ausweg, nämlich nach der schwarz zu kaufenden Arbeitsstunde. So werden schließlich auch die Unternehmen, die Unternehmer verführt, unter Umgehung von Steuern und Abgaben Arbeit schwarz anzubieten, oder sie lassen ihre Mitarbeiter oder andere die Arbeit schwarz ausführen und beschränken sich selbst auf die Lieferung von Material und die Gestellung von Maschinen und Gerät.Ein weiterer wichtiger Punkt, der hier nicht unerwähnt bleiben sollte, ist die Leistungsverweigerung ganz allgemein, die wohl eines der wichtigsten Indizien für das starke Ansteigen von Schwarzarbeit ist. Der Bundeswirtschaftsminister hat hier heute morgen gesagt, die Neigung, sich selbständig zu machen, nehme zu. Im Gegensatz dazu meinen wir, daß sie in ganz erheblichem Maß abnimmt.
— Der Herr Bundeswirtschaftsminister macht sich jetzt selbständig. — Der Selbständige geht in die Unselbständigkeit und benutzt seine so frei gewordene Arbeitszeit zur Schwarzarbeit. Der Unselbständige, der Arbeitnehmer, verweigert die Überstunden, weil er bei Schwarzarbeit besser wegkommt. Das hängt ganz einfach damit zusammen, daß das Lohnsteueraufkommen in den letzten Jahren — wie wir vom Institut für Steuern und Finanzen gehört haben — von 1970 bis 1978 von 34 auf 90 Milliarden DM gestiegen ist. Gestern konnten Sie in der „Welt" lesen, daß die Zahl der Arbeitnehmer, die in die Progressionszone geraten sind, jetzt schon ungefähr 40 °/o beträgt und im Jahr 1980 gar auf 60 °/o gewachsen sein wird.
— Ich laß' mich nicht stören.
— Der Herr Reuschenbach redet so gern.
Wir stehen vor einer Flut schwarz ausgeführter Arbeit, die auch dazu führen muß, daß die Zahl der Arbeitslosen ständig wächst, Herr Reuschenbach. Hier zeigt sich, daß die Erprobung der Belastbarkeit der Wirtschaft katastrophale Auswirkungen haben kann, Herr Kollege.
Wenn wir die Schwarzarbeit beseitigen wollen müssen wir zunächst diese und andere Ursachen beseitigen.Im übrigen verhält sich jemand, der schwan arbeitet, ökonomisch durchaus logisch. Denn er hat die marktwirtschaftlichen Regeln begriffen. Er ha' die Chance wahrgenommen. Er hat den Markt erkannt
und nutzt ihn aus.
Bei einer Arbeitslosenunterstützung nahe den Nettolohn geht er keiner geregelten Arbeit mehr nach, verdient aber zusammen mit dem Erlös am Schwarzarbeit mehr als je zuvor.
Er verhält sich zwar logisch, strapaziert aber in unerträglicher Weise die Solidargemeinschaft der Arbeitnehmer.
Es ist etwas nicht in Ordnung — und das solltenSie, verehrter Herr Reuschenbach, gar nicht mil so lächelnder Miene entgegennehmen —: Seine früheren Arbeitskollegen dürfen für ihn arbeiten und die Sozialleistungen, die er kassiert, zahlen. Dafür gefährdet er ihren Arbeitsplatz.Darum sind die Arbeitnehmer draußen im Land und auch in meiner Fraktion nicht mehr bereit, zuzulassen, daß solches Tun länger unverfolgt und ungeahndet bleibt.
Verlorengegangene Moral gegenüber Staat und Gesellschaft ist wohl nie mehr zurückzugewinnen Werden der Unternehmer, der treu und brav seine Steuern und Abgaben berechnet und abführt, seine Arbeitnehmer und seine Auftraggeber gewissermaßen zu den bemitleideten und belächelten Trotteln der Nation, die zur Rarität geraten sind dann ist es zu spät.Bis — bei aller Einsicht in diese Situation — eine Wende herbeigeführt werden kann — aber davon ist ja weit und breit nichts zu sehen —, bleibt uns zum Schutz vor Unterminierung unserer Wirtschaftsordnung und unseres Sozialsystems nur das Vehikel des Verbots.Seit 20 Jahren haben wir dieses Gesetz. Aber dieses Verbot ist nicht wirksam. Wirkliche Erfolge bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit sind nicht zu sehen. Das Hauptproblem liegt wohl in dem unterentwickelten Unrechtsbewußtsein der Öffentlichkeit. Die Behörden tun sich schwer bei der Anwendung der einschlägigen Vorschriften sowohl in rechtlicher wie in tatsächlicher Beziehung. Behörden und Gerichte neigen dazu, eingeleitete Verfahren einzustellen und, wenn es nicht anders geht, Geldbußen festzusetzen, die in keinem Verhältnis zur Schwere der Gesetzesverletzung stehen. Der Zentralverband des deutschen Handwerks hat vor einigen Tagen
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Landrédazu seine neuesten Zahlen herausgegeben. Die Bußgelder betragen ganze 2,6 Millionen DM; der Schwarzarbeitsumsatz beträgt das Zehntausendfache. Der abschreckende Effekt ist also gleich Null.Hinzu kommt, daß in vielen Fällen rechtskräftig festgesetzte Bußgelder wegen Vermögenslosigkeit nicht beigetrieben werden können. Von der Möglichkeit der Ersatzzwangshaft wird kein Gebrauch gemacht, weil ein Beugemittel dann keinen Sinn hat, wenn der Täter ohnehin nicht zahlen kann.Das Schwarzarbeitsgesetz ist also eine untaugliche Waffe, weil die in ihm richtigerweise vorgesehenen Ausnahmen — Gefälligkeitsleistung, Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfe im Eigenheimbau — ungeahndet und unverfolgt vieltausendfach Jahr für Jahr mißbraucht werden können. Organisierte Kolonnen ziehen durch das Land, oft noch durch schwarzarbeitende Bautechniker, Ingenieure oder Architekten vermittelt, und sie handeln nicht etwa aus Gewinnsucht, einem Verhalten aber, das nachgewiesen werden muß, wenn eine Verfolgung des Vergehens erfolgen soll. Es stellt sich die Frage: Wann schlägt denn normales Gewinnstreben in ein übersteigertes Streben von ungesundem, ungewöhnlichem, sittlich anstößigem Maß um? Wann wird jemand von dem Verlangen nach Gewinnerzielung so beherrscht, daß er ihm hemmungslos unterliegt? Das ist die juristische Definition von Gewinnsucht. Wir wollen also eine ersatzlose Streichung.Wir wollen darüber hinaus die Nachbarschaftshilfe präzisieren. Eine Friseuse, die Woche für Woche durch das Dorf zieht, um den Damen das Haupt zu veredeln, leistet keine Nachbarschaftshilfe, sondern sie übt eine gewerbliche Tätigkeit aus. Deswegen wollen wir einen Zusatz in das Gesetz aufnehmen: Gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Tätigkeit ist keine Nachbarschaftshilfe. Darüber hinaus, meine ich, nimmt diese Friseuse der Kollegin, die beim Meister um die Ecke beschäftigt ist, den Arbeitsplatz weg und gefährdet dessen Existenz.Wir müssen die Arbeitskraft wieder dorthin kanalisieren, wohin sie gehört, nämlich in die Unternehmen. Wenn die Arbeit nicht dort verrichtet wird, wo die Einrichtungen dazu geschaffen sind, d. h. in den Unternehmen mit all ihren aufwendigen Austattungen, den technischen wie den sozialen, wenn die Arbeit also nicht in den Unternehmen und mit den Unternehmen geschieht, sondern auf dem Schwarzmarkt, gehen eben diese Unternehmen dem Ruin entgegen.Ein letzter Punkt: Die Unternehmen sind bis heute die einzigen Institutionen, die in wirklich ausreichender Zahl Ausbildungsplätze schaffen. Also müssen wir die Arbeitskraft wieder dorthin kanalisieren.Deshalb bitte ich Sie, diesem unserem Gesetzesvorschlag Ihre Zustimmung nicht zu versagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Zeitler.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre reizvoll, auf einige der Bemerkungen des Kollegen Landré unmittelbar zu antworten. Aber wir sind gehalten, kürzer als üblich zu reden. Wir sparen uns das für den Ausschuß auf.So wenig wie die anderen im Bundestag vertretenen Fraktionen befürwortet die sozialdemokratische Bundestagsfraktion Schwarzarbeit. Die allgemein behauptete Zunahme der Schwarzarbeit versetzt sie wie die anderen Fraktionen auch in Sorge. Meine Fraktion hat im Sommer letzten Jahres ein umfangreiches arbeitsmarktpolitisches Papier verabschiedet. Darin sagt sie: Es muß intensiv geprüft werden, ob Schwarzarbeit Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Wir haben den Bundesarbeitsminister gebeten, uns bei dieser Prüfung zu helfen.
Im übrigen: Ganz hilflos — das hat mein Vorredner ja deutlich gemacht — stehen wir der Schwarzarbeit nicht gegenüber. Wir haben seit 20 Jahren ein Gesetz, das am 1. Januar 1975 novelliert worden ist. Seitdem ist erst eine kurze Zeit verstrichen.Die Opposition sagt nun, dieses Gesetz reiche nicht. Sie will es mit ihrem Gesetzentwurf ändern. Eigentlich müßte man vermuten, daß sie nachweist, daß das bestehende Gesetz nicht ausreicht, und zwar so, daß man diese Nachweise auch einigermaßen nachprüfen kann. Es wären etwa einige Fragen zu beantworten wie die der tatsächlichen Auswirkung der Schwarzarbeit auf den Arbeitsmarkt, oder ob und welche zusätzlichen Maßnahmen getroffen werden müßten; wer stärker aktiviert werden muß zur Bekämpfung der Schwarzarbeit; in wie vielen Fällen in den letzten Jahren und vorher Geldbußen verhängt wurden oder ob es bei den Gerichten und Staatanwaltschaften beweisbare Fälle gibt — und wie viele —, in denen sich das bestehende Recht als nicht ausreichend für eine Verurteilung erwiesen hat, oder ob die Länder beispielsweise alles getan hätten, um das Gesetz auszuschöpfen und der Schwarzarbeit nachhaltiger zu begegnen, oder wie die Eigeninitiativen der Wirtschaft und ihrer Institutionen bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit mehr Bedeutung haben könnten. Diese und mehr Fragen wären in einer Zeit, da die Opposition ständig den Vorwurf der „Gesetzesflut", die man eindämmen muß, erhebt, vorher anzustellen. Wenn man dann entsprechende Antworten erhält, kann man darangehen, ein Gesetz zu ändern.Es ist eine der Schwächen Ihres Gesetzentwurfs, daß Sie in der Begründung selbst sagen, daß „exakte Ermittlungen über den Umfang der Schwarzarbeit nicht vorliegen". Sie -stützen sich dann auf eine — wie ich glaube, viel zu hohe — Schätzung des Handwerks. Das allein, meine ich, reicht für die Begründung der Änderung eines Gesetzes nicht aus. Dies ist ein wesentlicher Grund, daß wir nicht bereit sind, im Augenblick Ihren Gesetzentwurf zu unterstützen. In den zuständigen Ausschüssen können wir uns intensiver darüber unterhalten.Wir sind uns in meiner Fraktion einig, daß Schwarzarbeit, die sich gleichermaßen schädlich für
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ZeitlerFiskus, Sozialversicherungsträger, Gewerbetreibende und unter Umständen auch auf Verbraucher auswirkt, nachdrücklich zu verurteilen und energisch zu bekämpfen ist. Wir wissen, daß es ärgerliche Fälle von Schwarzarbeit gibt.Aber wir sind uns auch darin einig, daß das bestehende Gesetz zusammen mit den einschlägigen handwerksrechtlichen, gewerberechtlichen sowie den steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ausreichend gesetzliche Grundlagen bietet, Schwarzarbeit zu bekämpfen und zu ahnden.Übrigens: Die beteiligten Bundesministerien, gebeten, uns zu sagen, wie sie das einschätzen, sagen uns — ob das nun das Finanzministerium, das Wirtschaftsministerium oder auch das Arbeitsministerium gewesen ist —, bei ihnen liegen konkrete, beweisbare Erhebungen darüber, daß das Gesetz geändert werden muß, nicht vor.Ich sage Ihnen: Nach Meinung von Fachkennern liegt die Ursache für den behaupteten mangelnden Erfolg des Gesetzes nicht in der Rechtsprechung oder der jetzigen Fassung des Gesetzes, sondern in der unzureichenden Erfassung und Verfolgung von Schwarzarbeit durch die zuständigen Behörden, beispielsweise Finanz-, Arbeits- und Gewerbeaufsichtsämter.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zeitel?
Mit Vergnügen.
Herr Kollege Zeitler, ist Ihnen nicht bekannt, daß alle Kammern, die sich entgegen Ihrer Meinung um die Verfolgung der Schwarzarbeit bemühen, übereinstimmend berichten, daß das Gesetz so nicht praktikabel ist, weil der Nachweis der Gewinnsucht, der erbracht werden muß, die meisten Prozesse zum Scheitern bringt?
Ich will dazu noch etwas sagen, Herr Kollege Zeitel. Ich weiß, daß die Kammern, die verstärkte Anstrengungen gemacht haben — ich will das auch ausführen —, bereits im letzten Jahr mehr Schwarzarbeit ahnden konnten als zuvor.Es sollten deshalb die zuständigen Landesbehörden ihre Bemühung bei der Verfolgung der Schwarzarbeit intensivieren. Es kann keinen Zweifel geben, daß die Länder bei der Durchführung der bestehenden Gesetze größere Anstrengungen unternehmen können. Darauf hat z. B. auch die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hingewiesen,
die im Sommer letzten Jahres auf eine parlamentarische Anfrage entsprechend geantwortet und dringend gebeten hat, daß beispielsweise die Institutionen des Handwerks die Behörden unterstützen sollten.Der Bundesarbeitsminister Ehrenberg hat im Juni 1977 an die Ministerpräsidenten der Länder einenBrief geschrieben, in dem er auf Grund von Beratungen des Kabinetts im Mai 1977 die Bitte äußerte, die Kontrollen durch die Landesbehörden zu verstärken. Dies fand durchweg ein positives Echo, erbrachte die Zusage einer Überprüfung und auch die Zusage auf Unterstützung durch die Länder.Vor allem aber, meine ich, sollten die Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft nachdrücklich ihre Möglichkeiten zur Aufdeckung von Schwarzarbeit wahrnehmen; denn diese — etwa Handwerkskammern, Kreishandwerkerschaften und Innungen — sind, wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks — das wissen Sie so gut wie ich — in seinem „Leitfaden gegen Schwarzarbeit" selbst schreibt, „am ehesten in der Lage, Schwarzarbeitsfälle zu entdecken, Hinweise entgegenzunehmen, Verdachte auszuräumen oder zu bestätigen, erforderlichenfalls gutachterlich tätig zu werden und anderes".Es ist erfreulich, festzustellen, daß vielfach verstärkte Anstrengungen unternommen wurden, der Schwarzarbeit Herr zu werden. Ich denke an die Handwerkskammern in Dortmund und auch in Stuttgart, die im letzten Jahr beachtliche Erfolge aufweisen konnten, und ich denke an das Arbeitsamt in Paderborn, das besonders dem Leistungsmißbrauch in der Arbeitslosenversicherung nachgeht, das eine ganze Anzahl von Urteilen vor ordentlichen Gerichten erwirkte und mittlerweile auch große Erfahrungen hat. Eine ganze Reihe dieser Urteile liegt mir vor, und aus ihnen geht nicht hervor, daß der Grund für eine nicht ausreichende oder gar keine Verurteilung der wäre, daß nachgewiesen werden muß, daß aus Gewinnsucht gehandelt wurde, sondern die Schwierigkeit ist dort, daß man nur sehr schwer gesicherte Beweise für Schwarzarbeit bekommt.Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat eine Zusammenstellung veröffentlicht. Danach wurden im Jahre 1977 in 30 von 43 Handwerkskammern Bußgelder in Höhe von 2,6 Millionen DM verhängt — immerhin deutlich mehr als 1,4 Millionen DM im Jahre 1976 —, darunter recht häufig Bußgelder in Höhe von bis zu 30 000 DM.
Das ist wohl auch ein Ergebnis des Schreibens von Minister Friderichs an den ZdH mit der Bitte um Mitwirkung des Handwerks.Wir selbst im Parlament sind tätig geworden, als wir am 12. Dezember 1977 den § 115 des Arbeitsförderungsgesetzes geändert haben, wonach das Arbeitsamt den Arbeitslosen in Abständen von nicht mehr als drei Monaten zur Abgabe einer Erklärung darüber aufzufordern hat, ob und in welchem Umfang er neben dem Bezug von Arbeitslosengeld weitere Einkommen erzielt oder erzielt hat.
Übrigens, meine Damen und Herren, glauben wir nicht, daß die Arbeitslosigkeit durch eine Gesetzesänderung erheblich vermindert werden könnte.
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ZeitlerIch jedenfalls bin auf keinen Fall bereit, in den Chor derjenigen einzustimmen, die mit einem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit Arbeitsmarktprobleme lösen wollen. Auch im heute diskutierten Jahreswirtschaftsbericht werden andere Mittel empfohlen. Die Probleme der Schwarzarbeit liegen in der Ermittlung und Verfolgung durch die zuständigen Stellen. Die gesetzlichen Grundlagen sind ausreichend, zumal das Gesetz ja auch nur die schweren Fälle erfassen will.Lassen Sie mich etwas zu Ihrer Absicht sagen, die Worte „aus Gewinnsucht' aus dem Gesetz zu streichen. Im Bundesrat soll es Tendenzen geben, den Gesetzesantrag des Landes Hessen zu vertagen. Die Gründe liegen u. a. darin, daß es erhebliche rechtliche Probleme geben soll, die aus der beabsichtigten Streichung der Worte „aus Gewinnsucht" entstehen. Auch aus dem Bundesministerium der Justiz kann man erfahren, daß die Bestimmungen des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, insbesondere die Ahndung der Auftragsvergabe, dann nicht mehr im Einklang mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz stünden, wenn die Worte „aus Gewinnsucht" gestrichen würden.Sie wollen weiter, wie Sie eben sagten, den Begriff „Nachbarschaftshilfe" präzisieren. Dabei sagen Sie: Echte Nachbarschaftshilfe soll auch in Zukunft nicht angetastet werden; es sei auch nicht daran gedacht, z. B. Eigenleistungen beim Eigenheimbau oder gelegentliche entgeltliche Leistungen mit geringfügigem Umfang zu erfassen. Im Grunde gehe es um die „gewerbs- oder gewohnheitsmäßig erbrachte Nachbarschafts- oder Gefälligkeitshilfe". Das können Sie auch mit den Paragraphen des alten Gesetzes erreichen. Ich frage Sie, ob Sie nicht die Sorge haben, daß jede einschränkende Gesetzesbestimmung zur Nachbarschaftshilfe wenig hilfreich ist, Unsicherheit verbreitet, eine bemerkenswerte Form der Hilfeleistung belastet und auch Denunzianten Tür und Tor öffnet.Ich fasse zusammen. Wir halten die bestehenden Vorschriften für ausreichend. Sie sollten konsequenter angewendet werden. Wir haben Prüfaufträge vergeben und verfolgen aufmerksam auch die aus den Ländern eingehenden Berichte. Sollten wir aus der Auswertung all dieser Prüfaufträge und Berichte gesicherte Erkenntnisse schöpfen, die eine Gesetzesänderung notwendig machen — aber auch nur dann! —, sind wir bereit, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das dann allerdings auch handhabbar sein muß. Wir hielten es für zweckmäßig, solche Beratungen dann mit der Behandlung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu verknüpfen, da es auf diesem Gebiet eine beachtliche ähnliche Problemlage gibt. Der Bundesarbeitsminister soll dem Bundestag bis zum 30. Juni 1978 den dritten Erfahrungsbericht zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorlegen — eine gute Gelegenheit, diesen Problemkreis einzubeziehen.Prüfen wir also alle erreichbaren Fakten genau. Gesetze ändern sollten wir erst dann, wenn wir sichere Grundlagen für die Notwendigkeit einer Änderung haben. Und kümmern wir uns darum, daß alle bestehenden Vorschriften zwischenzeitlich konsequenter angewendet werden! Für die SPD-Bundestagsfraktion stelle ich deshalb noch einmal fest: Vernünftige Konzepte zur Bekämpfung der Schwarzarbeit werden von uns nachdrücklich unterstützt. Allerdings darf die Nachbarschaftshilfe dabei nicht so eingeschränkt werden, daß sie emotional beladen, der Diskriminierung und auch der Kriminalisierung ausgesetzt wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gattermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach unserer „Arbeitszeitordnung" wollten wir um 19 Uhr fertig sein; was ich hier jetzt nach 19 Uhr tue, sind jedoch nur Überstunden und ist keine Schwarzarbeit.Daß die Schwarzarbeit in unserem Lande sehr viel energischer unterbunden werden muß, als dies in der Vergangenheit geschehen ist, steht außer Frage. Ich darf die sechs wichtigsten Gründe hierfür noch einmal ganz kurz rekapitulieren.Erstens. Schwarzarbeit, wenn sie üblich mit Steuerhinterziehung einhergeht, muß wegen der dadurch bedingten Steuerausfälle unterbunden werden.Zweitens. Schwarzarbeit, wenn sie wie üblich mit Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen verbunden ist, muß wegen Verstoßes gegen das Solidaritätsprinzip der • Sozialversicherung und wegen der Finanzierungssituation der gesetzlichen Renten-und Krankenversicherung unterbunden werden.Drittens. Angesichts von 1,2 Millionen Arbeitslosen im Januar 1978 muß die umfängliche Erbringung vorhandener Arbeit durch Schwarzarbeiter unterbunden werden, um Auftragsvolumina der gewerblichen Wirtschaft zuzuführen, die dann neue Arbeitsplätze schafft — oder auch nur, um eine Gefährdung vorhandener Arbeitsplätze in der gewerblichen Wirtschaft, namentlich im Handwerk, abzubauen.Viertens. Angesichts ,der in das Berufsleben drängenden geburtenstarken Jahrgänge ist die Vielzahl der Ausbildungsplätze gerade in kleinen und mittleren Handwerksbetrieben unverzichtbar. Vor allem diese kleinen und mittleren Handwerksbetriebe werden aber durch Schwarzarbeit gefährdet. Es sei daran erinnert, daß das Handwerk im Jahre 1977 immerhin 565 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt hat.Fünftens. Für sich in der Illegalität vollziehende Schwarzarbeit, besonders in sicherheitsempfindlichen Bereichen — Elektrohandwerk, Installateurhandwerk, Kfz-Handwerk — gibt es keine klaren Verantwortlichkeiten, so daß der Schutz des Auftraggebers und der Schutz der Allgemeinheit die Bekämpfung der Schwarzarbeit unerläßlich machen.
Sechstens. Der Staat hat den ordnungspolitischen Rahmen für die Erbringung von Dienst- und Werkleistungen gesetzt. Der Staat verliert seine Glaubwürdigkeit, wenn er der Mißachtung dieser Rahmen-
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Gattermannbedingungen durch Schwarzarbeit in beachtlichem Umfang nicht energisch entgegentritt.Bei der zweiten, entscheidenden Frage, ob und in welchem Umfang unter der Zielsetzung der Bekämpfung der Schwarzarbeit auch das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit novelliert werden sollte, sind die Auffassungen allerdings nicht ungeteilt. Sie haben das soeben bereits festgestellt. Die FDP-Fraktion ist entschlossen, an einer wirkungverheißenden Verbesserung des Gesetzes mitzuwirken, ohne noch sehr viel länger auf empirische Untersuchungen und Auswertungen von Mängeln des Gesetzes zu warten. Dabei sind für uns zwei Überlegungen maßgeblich.Erstens. Wenn in Zeiten von Arbeitsmangel und. hoher Arbeitslosigkeit darüber nachgedacht und diskutiert wird, ob und welche arbeitsverteilenden Maßnahmen möglich und denkbar sind — ich nenne nur das Stichwort: Arbeitszeitverkürzung in allen denkbaren Spielarten —, dann verwirkt jeder Politiker seine Glaubwürdigkeit und seine Legitimation für solche Überlegungen, der sich auch nur dem Verdacht aussetzt, er tue nicht alles, um die illegale Erbringung vorhandener Arbeit außerhalb des staatlichen Rahmens zu unterbinden.
Die zweite Überlegung ist: Es bedarf, weil es offenkundig ist, keines Nachweises, daß ein besonderes subjektives Tatbestandsmerkmal wie das Handeln aus Gewinnsucht den Ordnungswidrigkeitstatbestand objektiv erheblich einschränkt und hinsichtlich des subjektiven Tatnachweises außerordentlich schwer überwindbare Hindernisse aufbaut. Dies ist eine juristische Binsenweisheit.Woran liegt es dann aber, daß der vielfach angekündigte Novellierungsvorschlag der Koalitionsfraktionen noch nicht auf dem Tisch liegt? Woran liegt es, daß wir Ihren Vorschlag, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht undifferenziert unterstützen können? Zunächst gibt es einen inhaltlichen Dissens zu Ihrem Entwurf. Sie wollen nämlich mit der gleichzeitigen Streichung des subjektiven Tatbestandsmerkmals „aus Gewinnsucht" und der Ersetzung des objektiven Tatbestandsmerkmals „in erheblichem Umfang" durch „in nicht unerheblichem Umfang" eine Ausweitung des Ordnungswidrigkeitsgrundtatbestandes des § 1 Abs. 1 des Gesetzes, die uns zu weit geht, weil sie praktisch alle schwarzarbeitsüblich bezahlten Dienst-und Werkleistungen erfaßt. An dem objektiv einschränkenden Tatbestandsmerkmal „in erheblichem Umfang" wollen wir festhalten, weil wir gewisse Nebenarbeiten außerhalb des staatlichen Rahmens schon um des Funktionierens der Versorgung unserer Bevölkerung mit Dienst- und Werkleistungen willen unter dem besonderen Aspekt des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit tolerieren wollen.Zweitens. Bei den Arbeiten — dies ist nun ganz entscheidend; Herr Kollege Zeitler hat bereits darauf hingewiesen — am Novellierungsvorschlag der Koalitionsfraktionen haben sich rechtliche Probleme in erheblichem Umfang ergeben, die zwar lösbarsind, aber deren Lösung immerhin Zeit erfordert. So ergeben sich im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Nr. 1, wo noch auf den alten § 148 des Arbeitsförderungsgesetzes abgestellt ist, Probleme in Verbindung mit den Ersatz- und Ergänzungsvorschriften, die inzwischen in Kraft getreten sind, in Verbindung mit § 60 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches, aber auch in Verbindung mit jener Vorschrift, die die tätige Reue für jene Arbeitslosen eingeführt hat, die schwarzgearbeitet haben und sich dann stellen. Das juristische Spannungsverhältnis, das hier zum Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit auftaucht, wirft erhebliche juristische Probleme auf. Auch gibt es Probleme bei der Streichung des täterbezogenen subjektiven Tatbestandsmerkmals „aus Gewinnsucht" beim Auftraggeber — diesen wollen wir mit diesem Gesetz ja insbesondere erfassen — im Verhältnis zu der breiten allgemeinen Beteiligungsvorschrift in § 14 des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Dies sind Probleme, für die wir im Augenblick eine Lösung noch nicht anbieten können. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahren werden wir mit Hilfe der Bundesregierung aber sicherlich eine Lösung finden.Drittens schließlich stellt sich für uns bei der Novellierung des Gesetzes die Frage, ob der Katalog der Ordnungswidrigkeitsvoraussetzungen — nämlich Verstoß gegen das AFG, Verstoß gegen die Gewerbeordnung und Verstoß gegen die Handwerksordnung — eigentlich ausreichend ist. Es stellt sich nämlich die Frage, warum z. B. der Handwerksgeselle, der am Wochenende sein Einkommen durch Schwarzarbeit aufbessert, unter der besonderen Bußgeldandrohung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit steht, während es diese besondere Bußgeldsanktion für den öffentlich oder privat angestellten Bauingenieur nicht gibt, der sein Einkommen ohne Genehmigung — z. B. durch die private Erstellung von Baustatiken — aufbessert. Irgendwie haben wir in diesem Zusammenhang bei der Novellierung auch Gleichheitsüberlegungen anzustellen.Ob nun die Koalitionsfraktionen im Zuge ihrer seit Monaten in dieser Richtung laufenden Arbeiten noch einen eigenen Gesetzentwurf einbringen werden oder ob mit Ergänzungs- und Änderungsanträgen im Ausschuß gearbeitet wird, ist für uns Freie Demokraten unerheblich. Uns geht es darum, daß das Gesetz verbessert wird, und um sonst gar nichts. Wir stellen aber — um auch dies hier zu sagen — unmißverständlich klar, daß wir die wirkliche Gefälligkeits- und Nachbarschaftshilfe des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 3 des Gesetzes in keiner Weise beeinträchtigen und diskriminieren wollen.Lassen Sie mich abschließend noch vor der Illusion warnen, mit der bloßen Verbesserung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit hätten wir die umfängliche Schwarzarbeit in unserem Lande unterbunden.
Das verbesserte Gesetz wie auch die sonstigen einschlägigen Bestimmungen müssen angewandt werden. Dazu ist erforderlich, daß die für die Verfolgung und Ahndung zuständigen Kreis- und Kommu-
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Gattermannnalbehörden, die Gewerbeaufsichtsämter, die Finanzämter — wer immer zur Verfolgung berufen ist — ihre Anstrengungen wesentlich verstärken. Das bedeutet, daß für die Kontrolle unter Umständen ein höherer Personalbedarf entsteht. Das bedeutet insbesondere, daß auch außerhalb der üblichen Dienststunden — abends und am Wochenende — kontrolliert wird. Es bedeutet schließlich, daß die wechselseitige Information über Gesetzesverstöße zwischen Finanzbehörden, Kammern, Sozialversicherungsträgern, Arbeitsverwaltung, Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsichtsämtern und Ordnungsbehörden wesentlich verbessert werden muß.Schließlich — lassen Sie mich damit zum Schluß kommen —: Es wird auch notwendig sein, daß das weithin fehlende Unrechtsbewußtsein bei jenen, die Schwarzarbeit ausführen, und bei jenen, die Schwarzarbeit in Auftrag geben, geschärft wird. Dieses fehlende Unrechtsbewußtsein ist nicht zuletzt die Folge von Zeiten ständigen wirtschaftlichen Wachstums, der Voll- und Überbeschäftigung. So sei dem Handwerk ins Stammbuch geschrieben, daß es in der Vergangenheit an der Ausweitung der Schwarzarbeit ganz wesentlich mitgewirkt hat.
Kleinere Aufträge wurden nicht übernommen. Statt dessen wurde den Auftraggebern die Auftragsausführung am Wochenende durch Mitarbeiter offeriert, denen dann auch noch das Werkzeug zur Verfügung gestellt wurde.Auch die zur Ermittlung und Verfolgung von Schwarzarbeit berufenen staatlichen Behörden haben sich in der Vergangenheit nicht durch sonderlichen Eifer ausgezeichnet. Ständig steigende Steuereinnahmen, volle Rentenkassen und Arbeitskräftemangel in fast allen Bereichen ließen Schwarzarbeit zu einem verzeihlichen Kavaliersdelikt werden. Wenn wir jetzt, meine Damen und Herren, auf dem Hintergrund veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse und einer veränderten Beschäftigungslage darangehen, die Auswüchse zu beseitigen, dann sind wir samt und sonders alle dazu aufgerufen, aufklärend dahin zu wirken, daß Schwarzarbeit Unrecht ist.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft und den Rechtsausschuß — mitberatend —. Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 7 der Tagesordnung auf:Beratung der Unterrichtung durch den BundesrechnungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Bundeshaushaltsrechnung für das Haushaltsjahr 1975 — Teil II— Drucksache 8/1164 —Das Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Haushaltsausschuß. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur änderung kostenrechtlicher Vorschriften auf dem Gebiet des Seeverkehrs— Drucksache 8/1297-Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und für. das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 8/1514 —Berichterstatter: Abgeordneter Dreyer
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung, und zwar gemäß der Beschlußempfehlung des Ausschusses mit der geänderten Fassung des Art. 1 Nr. 1.Wer den Art. 1 bis 8, Einleitung und Überschrift seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir treten nun in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Gesetz in dritter Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 2 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit— Drucksache 8/842 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/1530 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Bötsch Abgeordneter Dr. Linde
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Auch das Wort zur Aussprache wird nicht begehrt.Ich rufe in zweiter Beratung die Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
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Vizepräsident Frau Funcke Wir treten nunmehr in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Es liegt noch eine Beschlußempfehlung zu Nr. 2 vor, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 9 bis 11 auf:9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften— Drucksache 8/1347 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
FinanzausschußAusschuß für Wirtschaft10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einer Gebührenordnung für Patentanwälte— Drucksache 8/1489 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik des Warenverkehrs mit der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin
— Drucksache 8/1488 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft InnenausschußAusschuß für innerdeutsche BeziehungenWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Sie ersehen aus der Tagesordnung die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Erfahrungen bei der Anwendung des § 12 a des Tarifvertragsgesetzes (Artikel II § 1 des Heimarbeitsänderungsgesetzes)— Drucksachen 8/716, 8/1483 —Berichterstatter: Abgeordneter LutzWünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken— Drucksache 8/1503 —Das Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Haushaltsausschuß. Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 14 bis 16 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 06 40 Tit. 671 04 — Kosten der Rückführung von Deutschen —— Drucksachen 8/1142, 8/1506 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe für Investitionszuschüsse nach dem Investitionszuschußgesetz bei Kap. 25 02 Tit. 882 03— Drucksachen 8/1143, 8/1507 — Berichterstatter: Abgeordneter StöcklBeratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1977hier: Zustimmung zu überplanmäßigen Haushaltsausgaben bei Kap. 11 10
— Drucksachen 8/1167, 8/1508 — Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu SaynWittgenstein-HohensteinWünscht der Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. Zur Aussprache wird das Wort nicht verlangt.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber zusammen abstimmen? — Kein Widerspruch.Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
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5986 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Februar 1978
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Punkte 17 bis 21 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates über Erhaltungsmaßnahmen für die Heringsbestände in der Nordsee für 1978— Drucksachen 8/797, 8/1512 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von GeldernBeratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 316/68 zur Festsetzung von Qualitätsnormen für frische Schnittblumen und frisches Blattwerk— Drucksachen 8/1165, 8/1472 — Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. Riede
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungGeänderter Vorschlag einer Verordnung des Rates betreffend die Erzeugergemeinschaften und ihre Vereinigungen
— Drucksachen 8/638, 8/1493 Berichterstatter: Abgeordneter PaintnerBeratung der Beschlußempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten zuder Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat betreffend eine Nahrungsmittelhilfe in Form von Magermilchpulver und Butteröl zugunsten von Indien für die Durchführung des Vorhabens „Operation Flood"— Drucksachen 8/1222, 8/1494 — Berichterstatter: Abgeordneter OostergeteloBeratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie betreffend den Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht— Drucksachen 8/852, 8/1348 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Krone-Appuhn Abgeordneter LattmannWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Können wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch.Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit sind auch diese Vorlagen einstimmig beschlossen.Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe das Haus auf morgen, den 24. Februar, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.