Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 22. April 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Weber , Dr. Müller-Hermann, Schulte (Schwäbisch Gmünd) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Finanzlage, Personalsituation, Verkehrsentwicklung, Investitionspolitik, Rationalisierung sowie Umorganisation der Verwaltung bei der Deutschen Bundespost (DBP) — Drucksache 7/3417 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3544 verteilt.
Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 23. April 1975 die nachfolgenden, vom Deutschen Bundestag in seiner Sitzung am 27. Februar 1975 beschlossenen Gesetze bestätigt:
Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages
... Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes Seine Schreiben werden als Drucksachen 7/3548, 7/3549 verteilt.
Meine Damen und Herren, das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Klein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/ CSU-Fraktion stelle ich den Antrag, die zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes auf die Tagesordnung der Plenarsitzung dieser Woche zu setzen. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Lieferung von Tageszeitungen auf eine begrenzte Zeit unter Beibehaltung des Vorsteuerabzugs von der Mehrwertsteuer freizustellen. Dieses Ziel ist zum Teil deckungsgleich mit den Zielen des von meiner Fraktion im Oktober vergangenen Jahres eingebrachten Antrags zur Erhaltung der Pressevielfalt.
Die Behandlung dieser Initiativen, insbesondere des in den Ausschüssen seit Februar abschließend beratenen Gesetzentwurfs zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, länger hinauszuschieben, wäre verantwortungslos. Die auf das Drängen der Bundesregierung vom Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger vorgelegten Daten haben die wirtschaftlichen Nöte unserer Presse offengelegt und die Gefahren für die Vielfalt unserer Zeitungslandschaft für jedermann erkennbar gemacht.
Jetzt, meine Damen und Herren, muß gehandelt werden — das erklärte der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Riemer in einem Interview mit dem Verbandsorgan des BDZV, und er befürwortete idabei die vom Bundesrat und auch von meiner
Fraktion vorgeschlagene Senkung der Umsatzsteuer. Die Medienkommission der FDP teilt zwar diese Meinung nicht, hält aber gleichfalls Hilfe für die Presse für dringend notwendig. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Kollege Dr. Schmude, hat mir in der vorvergangenen Woche auf meine diesbezüglichen Fragen freilich nur eine hinhaltende und von wenig Sachkenntnis getrübte Auskunft erteilt.
Der Deutsche Bundestag muß sich seiner Verantwortung für die freie Presse in diesem Lande bewußt werden. Er muß es heute und jetzt tun, wenn nicht irreparabler Schaden angerichtet werden soll. Haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den Mut, vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und an der Saar zu sagen, was Sie in dieser Sache wirklich wollen!
Drücken Sie sich nicht länger um eine Antwort herum!
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Porzner.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Gestern hat der Wirtschaftsausschuß des Bundestages bei der Beratung des Antrags der CDU/CSU zur Erhaltung der Pressevielfalt einmütig beschlossen, dieses Thema, bei dem auch die Freistellung von Tageszeitungen von der Mehrwertsteuer angesprochen ist, zurückzustellen, um sich von der Bundesregierung neue Daten über die Lage der Presse geben zu lassen und den Antrag im Juni zu behandeln.
Das war gestern die Meinung der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Wirtschaftsausschuß. Es steht mir nicht zu, das Verhalten der Mitglieder der CDU/ CSU-Fraktion im Wirtschaftsausschuß als verantwortungslos zu bezeichnen;
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11636 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Porznerich weise es aber zurück, daß Sie es als verantwortungslos bezeichnen, wenn der Bundestag heute nicht entscheiden soll, sondern abwartet, was der Wirtschaftsausschuß dazu zu sagen hat.
Meine Damen und Herren, die SPD stimmt mit der Bundesregierung und dem Bundesrat darin überein, daß die Meinungsvielfalt in der deutschen Tagespresse in möglichst großem Umfange erhalten bleiben muß. Wir begrüßen die von der Bundesregierung im Bericht über die Lage von Presse und Rundfunk genannten Ziele und Maßnahmen, mit denen mögliche Gefahren für die Meinungsvielfalt und die Informationsfreiheit abgewehrt werden sollen. Hierzu gehört die vorbeugende Fusionskontrolle für die Presseunternehmen ebenso wie eine ausreichende redaktionelle Unabhängigkeit; hierher gehört auch ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht, das die CDU/CSU-Fraktion vor kurzem im Bundestag abgelehnt hat. Auch das gehört zur Pressefreiheit und Meinungsvielfalt!
Journalisten dürfen in ihrer Freiheit bei der Berichterstattung und der Kommentierung nicht eingeschränkt sein.Wir sind uns mit der Regierung darin einig, daß darüber hinaus wirtschaftliche Hilfen für die Tageszeitungen mit in Betracht gezogen werden müssen, wenn die wirtschaftliche Lage es erfordert und damit zugleich einer weiteren Pressekonzentration entgegengewirkt werden kann. Deswegen haben wir es begrüßt, daß die Regierung erstens die Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau — nämlich zinsverbilligte Mittel für die Presse — erhöht hat und zweitens im vergangenen Jahr die Mittel aus dem ERP-Haushalt stark erhöht hat und damit den Zeitungsverlagen mit zinsverbilligten Krediten hilft.Damit den Zeitungen wirksam geholfen werden kann, muß aber auch ein ausreichender Überblick über die Lage der Presse vorhanden sein. Der Verband der Zeitungsverleger hat Ende Februar dieses Jahres den Bericht vorgelegt, und das Testat des Wirtschaftsprüfers liegt jetzt auch vor. Dabei ist bestätigt worden, daß es in allen Größenklassen — also bei Zeitungen sowohl mit großen als auch mit mittleren und kleinen Auflagen — Verlage gibt, die mit Gewinnen, und solche, die mit Verlusten arbeiten.Helfen kann man allerdings nicht, indem man allen Zeitungsverlagen staatliche Subventionen gewährt, wie das die CDU/CSU vorschlägt.
Unterstützung brauchen die wirtschaftlich schwachen Verlage. Die Freistellung aller Verlage von der Mehrwertsteuer für zwei Jahre würde den Zeitungen mit hohen Auflagen u n d hohen Gewinnen die größten finanziellen Vorteile bringen. Gerade diejenigen Zeitungen, die über die meisten Mittel verfügen, hätten dadurch den größten Vorteil; sie würden in die Lage versetzt, mit den -zig Millionen, die ihnen zusätzlich zur Verfügung stehen, kleine Zeitungen, die wirtschaftlich in Schwierigkeiten sind, zu verdrängen oder aufzukaufen. Es würde das Gegenteil von dem eintreten, was wir wollen, nämlich den Konzentrationsprozeß bremsen; die Konzentration im Pressewesen würde durch den Gesetzentwurf der CDU/CSU zu Lasten der finanzschwachen, vor allem der kleinen und mittleren Zeitungen beschleunigt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erwartet, daß die Bundesregierung die jetzt vorliegenden Daten über die wirtschaftliche Lage der Presse schnell auswertet und daß sie bei ihrer Entscheidung vor allem die Hilfe für kleine, mittlere und wirtschaftlich schwache Zeitungsverlage im Auge hat.
Darauf kommt es uns an!
Wir können deswegen dem Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU-Fraktion heute nicht zustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag zur Geschäftsordnung, den Herr Kollege Professor Klein hier mit großer innerer Begeisterung vorgetragen hat, dient nach unserem Eindruck nicht dem Problem, mit dem sich zu beschäftigen er vorgibt, sondern er dient dem Problem, wie sich Ihre Partei in den anhängigen Wahlkämpfen nach seiner Meinung etwas besser darstellen könnte.
— Herr Reddemann, Sie haben doch immer noch die Möglichkeit, für Ihre Fraktion das Wort zu ergreifen; Sie sollten uns dieses Vergnügens nicht berauben.
Wir sind in einer Geschäftsordnungsdebatte.
Herr Kollege Stücklen, es ist schon ein mehr als merkwürdiges Verfahren, wenn
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11637
Dr. HirschIhre Kollegen im Wirtschaftsausschuß gestern einen engen politischen Sachzusammenhang herstellten
zwischen der Konzentrationsnovelle — worauf Herr Porzner eben eingegangen ist — und der wirtschaftlichen Förderung auf der anderen Seite, wenn Sie diesen Sachzusammenhang aber am nächsten Tage auf einmal auflösen wollen.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie doch, sich im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte zu bewegen.
Wir haben das Problem der wirtschaftlichen Hilfe für die Tageszeitungen hier wiederholt diskutiert.
Wir haben dabei zum Ausdruck gebracht, daß wir diese Frage auf der Grundlage der vorzulegenden Zahlen entscheiden müssen.
Diese Zahlen einschließlich eines Testats der Wirtschaftsprüfer liegen, wie Sie wissen, erst seit dem 7. April, also seit etwa 16 Tagen, der Bundesregierung vor, und diese Zahlen entsprechen nicht der allgemeinen Erwartung, die vorher gehegt worden war. Es gibt nämlich keine Größenordnungsklasse, und es gibt keine Marktstellungslage einer Zeitung, in der durchgängig nur Gewinne oder durchgängig nur Verluste gemacht worden sind. Die Vorstellung also, die Mehrwertsteuer auf Vertriebserlöse, also auf — —
Ich rede zur Geschäftsordnung, Herr Professor Klein, genauso wie Sie!
Ich muß nämlich darlegen, warum es unzweckmäßig ist, Ihrem Antrag zuzustimmen. Die jetzige Behandlung wird eben nach unserer Meinung nicht dazu dienen, das Problem zu lösen, sondern sie würde die Lösung des Problems nur erschweren.
Wir brauchen nicht ein System, das den Nachteil der Gießkannenförderung hat, sondern wir brauchen ein System, das geeignet ist, gezielte Wirtschaftshilfe zu leisten. Dazu erwarten wir von der Bundesregierung eine Vorlage. Sie muß zu den Zahlen, die Sie uns ja am liebsten verwehrt hätten, Stellung nehmen. Sie muß sagen, welche Konsequenzen sie aus diesen Zahlen zieht, und sie muß das in absehbarer Zeit tun. Aber sie muß eine faire Chance haben, uns dazu das Konzept eines funktionierenden Systems einer gezielten Wirtschaftshilfe vorzulegen, wenn sie das beabsichtigt. Nur dann hat dieses Haus die Möglichkeit einer echten Entscheidung zwischen Ihren Vorstellungen und den richtigeren Vorstellungen einer gezielten Hilfe auf der Grundlage der Zahlen, die dazu mühsam zusammengetragen worden sind.
Deswegen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir tun das allerdings in der Erwartung, daß in diesem Hause in absehbarer Zeit eine Diskussion mit dem Ziel geführt werden kann, aus diesen Zahlen die Konsequenzen zu ziehen.
Meine Damen und Herren, ich lasse über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Ergänzung der Tagesordnung um die Behandlung des Umsatzsteueränderungsgesetzes abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt!Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Vorlagen, die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführt sind, ergänzt werden, nämlich erstenz um die Beratung des Antrags des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter — Drucksache 7/3546 —, zweitens um die Beratung des Antrags des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens — Drucksache 7/3547 —. Ferner soll die Beratung des Gesetzentwurfs über Allgemeine Geschäftsbedingungen — Drucksache 7/3200 — auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; so beschlossen!Der Entwurf eines Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen wird am Freitag nach Abwicklung der vorgedruckten Tagesordnung aufgerufen werden, die übrigen Zusatzpunkte heute um 15.30 Uhr.Ich rufe — wir werden eine gemeinsame Debatte haben — den Tagesordnungspunkt 2 a, b, c auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Mindestvorräte an Erdölerzeugnissen— Drucksache 7/956 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3461 — Berichterstatter: Abgeordneter Kulawigbb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksachen 7/3413, 7/3524 —Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
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11638 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Präsident Frau Rengervom 18. November 1974 über ein Internationales Energieprogramm— Drucksache 7/3027 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3485 —Berichterstatter: Abgeordneter Kulawigbb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/3482 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Narjes
c) Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Energieprogramm und der ersten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung— Drucksachen 7/1057, 7/2713, 7/3539 — Berichterstatter:Abgeordneter Wolfram Abgeordneter RusseWünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Keine Wortmeldungen zur Berichterstattung.Dann eröffnet ich die allgemeine Debatte. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfram.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute mit drei wichtigen energiepolitischen Problemkreisen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, herzlich, Platz zu nehmen. Wer etwas zu besprechen hat, möge sich nach draußen begeben.
Bevor ich mich den Themen der heutigen Beratungen zuwende, erlauben Sie mir bitte ein Wort zu einem Ereignis, das in den letzten Tagen stattgefunden hat. Im Bergbau hat es Betriebsratswahlen gegeben. Die Kandidatinnen und Kandidaten der IG Bergbau und Energie haben einen überwältigenden Vertrauensbeweis erhalten. Die Bergleute haben damit die vorbildliche Arbeit ihrer volkswirtschaftlich verantwortungsbewußten Gewerkschaft unter dem Vorsitz unseres Kollegen Adolf Schmidt anerkannt. Sie haben damit aber auch die gute Lage im Bereich dei Energiewirtschaft als Folge einer vernünftigen Energiepolitik gewürdigt. Den Betriebsräten und der IG Bergbau und Energie wünsche ich namens der SPD-Fraktion für ihr weiteres Wirken alles Gute und viel Erfolg.
Meine Damen und Herren, doch nun zum Gegenstand der heutigen Beratungen. Wir haben heute zu behandeln: erstens die erste Fortschreibung des ersten überhaupt von einer Bundesregierung vorgelegten Energiekonzepts, zweitens das Internationale Energieprogramm, drittens das Mineralölbevorratungsgesetz. Drei wichtige energiepolitische Entscheidungen stehen an, die meines Erachtens besser vor zehn Jahren oder früher, als noch die CDU/CSU regierte, hätten getroffen werden sollen. Ich erinnere daran, daß 1962 die wirtschafts- und energiepolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, u. a. unser Kollege Dr. Deist, die Verbraucherländer vor der marktbeherrschenden Macht des Mineralöls gewarnt und eine ausreichende eigene Energieversorgungsgrundlage gefordert haben. Es war 1964 unser heutiger Arbeitsminister Walter Arendt, der für die SPD-Fraktion von der damaligen CDU/CSU-geführten Bundesregierung eine energiepolitische Konzeption gefordert hat, die alle Energieträger, insbesondere unsere heimischen Energieträger, sinnvoll in ein Gesamtkonzept einbezieht. Die damaligen CDU-Wirtschaftsminister, Professor Erhard und Schmükker, hielten nichts von einem solchen Energieprogramm; die Folgen haben wir alle zu spüren bekommen. Es wird das energiepolitische Verdienst der Bundesregierungen der sozialliberalen Koalition sein und bleiben, vor Ausbruch der Weltenergiekrise das erste Energieprogramm für die Bundesrepublik Deutschland und im Vorjahr die erste Fortschreibung dieser Konzepts vorgelegt zu haben. Dafür danke ich der Bundesregierung und Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, namens der SPD-Frakti on.Spätestens seit dem Ausbruch der Energiekrise und der Explosion der Energiepreise ist Energiepolitik zu einem Zentralbereich der Gesamtpolitik, insbesondere der Wirtschaftspolitik, geworden. Das liegt in der Bedeutung der Sache, das ist mit auf die zunehmende Verknüpfung mit außerhalb des eigentlichen Energiebereichs liegenden politischen Faktoren zurückzuführen, und das hängt auch mit einem gewachsenen energiepolitischen Problembewußtsein der Öffentlichkeit zusammen.Die krisenhafte Entwicklung des Winters 1973/74 hat eine Signalwirkung ausgeübt. Ich habe allerdings die Sorge, daß zur Zeit ein Abnehmen der öffentlichen Sensibilität festzustellen ist: Mit den hohen Energiepreisen hat man sich anscheinend abgefunden. Viele glauben auch — zu Unrecht —, die Energieversorgung sei ausreichend gesichert. Es wird unsere Aufgabe als Parlament mit sein, zu verhindern, daß der Stellenwert der Energiepolitik wieder absinkt.Energieprobleme, meine Damen und Herren, sind heute weltweit gegeben. Die wesentlichsten Elemente, hinter denen sich weltpolitische Spannungsfelder ersten Ranges verbergen, sind1. ein weltweit steigender Energiebedarf,2. die zunehmende Energieabhängigkeit. Dies gilt für Industrieländer wie für Entwicklungsländer.3. Die mit den verfügbaren Technologien wirtschaftlich nutzbaren Energieressourcen sind nicht unbegrenzt.4. Die Gewinnung, die Umwandlung und zum Teil auch die bedarfsgerechte Verteilung der Energie sowie die Erschließung neuer Energiequel-
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Wolfram
len stoßen zunehmend auf wirtschaftliche, technologische und ökologische Grenzen.5. Die Bemühungen, die technologischen und ökologischen Grenzen zu überwinden, erfordern nicht nur riesige Finanzmittel, sondern auch die Entwicklung von technischem Know-how und damit auch von Zeit.6. Es gibt heute eine Reihe von Staaten, die über die Möglichkeit verfügen, Energie in einem für die Weltwirtschaft bedeutenden Umfang zu exportieren oder den Export von Energie zu drosseln. Oft sind es nicht ökonomische, sondern allgemein politische Erwägungen, die den Ausschlag geben.In diesem von mir in groben Zügen entworfenen Koordinatensystem bewegt sich heute die Energiepolitik im nationalen wie im internationalen Bereich.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit ihrem Energieprogramm erstmals ein in sich konsistentes und in die Zukunft reichendes Gesamtkonzept vorgelegt, das das gesamte Feld der Energiepolitik abdeckt. Das Programm ist, wie ich bereits erwähnt habe, vor der Krise vorgelegt worden. Es hat inzwischen seine erste Bewährungsprobe als Hilfsmittel verantwortlicher politischer Entscheidungen bestanden. Die sorgfältige Analyse des Ist-Zustandes im Energieprogramm war die Grundlage für eine ausgewogene Antwort auf die Krise. Diese Antwort ist mit der Fortschreibung des Energiekonzepts erteilt worden.Es wäre sicherlich ein Mißverständnis des Programms und seiner Fortschreibung, wenn man es als abgeschlossenen, bis ins Detail festgelegten Lösungskatalog betrachten würde. Das Programm ist auf weitere Fortschreibung angelegt. Bei Fortfall der politischen „Geschäftsgrundlage" ist jeweils eine Anpassung an die neue Situation erforderlich. Trotzdem werden der Wert und die Bedeutung des Programms als Offenlegung der politischen Zielsetzungen, als Orientierungs- und Entscheidungshilfe nicht unterzubewerten sein.Deshalb stimmt die SPD-Fraktion der Analyse und der Risikoeinschätzung, die im Programm und in der Fortschreibung enthalten sind, zu. Wir stimmen dem Ziel, die Mineralölabhängigkeit zu mindern, zu, und wir stimmen auch den durchgeführten, eingeleiteten und geplanten Maßnahmen zu.Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zu den einzelnen Maßnahmenbündeln machen. Mit der ersten Fortschreibung des Energieprogramms vorn Oktober 1974 hat die Bundesregierung die Basis für die Neubestimmung in den einzelnen Sektoren und Energiebereichen gelegt, insbesondere auch für die Neubestimmung der Position des deutschen Steinkohlebergbaus und für die Konsolidierung seiner Unternehmen. Der Schrumpfungsprozeß des Steinkohlebergbaus ist aus der Welt geschafft; die Stabilisierung der Förderung ist gesichert. Wir wissen, daß die einzelnen Maßnahmen in dieser Richtung wirken. Mein Kollege Adolf Schmidt wird zu diesem Bereich noch im besonderen Stellung nehmen.Ich bin überzeugt, daß die energiepolitische Situation und die energiewirtschaftliche Entwicklung künftig wesentlich höhere Anforderungen an die heimischen Energiequellen und Energieträger stellen und daß diese auch ihren Beitrag leisten werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle politischen Ziele im Energiebereich sind mit gewissen Unsicherheiten belastet. Wir wissen, daß die verhältnismäßig größte Sicherheit im Kohlebereich, in der heimischen Braunkohle und im heimischen Steinkohlebergbau, liegt. Hier sind wir verhältnismäßig autonom, und die Entscheidung der Bundesregierung trägt Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen angemessen Rechnung.Beim Erdgas sprechen Anzeichen dafür, daß möglicherweise Ansätze in der Fortschreibung zu optimistisch sein könnten. Außerdem ist zu bedenken, daß zusätzliche Erdgasmengen teilweise aus denselben Liefergebieten wie 01 kommen, so daß auch sie mit einem gewissen Risiko behaftet sind.Wir sehen auch, daß selbst bei Eintreffen der optimistischen Erwartungen hinsichtlich der Energieeinsparung und unter Einschluß der Beiträge von Kernenergie und Erdgas immer noch ein erheblicher Anstieg der absoluten Zahlen für Öl zu verzeichnen ist, auch wenn der prozentuale Anteil des Öls in der Zeit von 1974 bis 1985 von 55 auf 44 % sinken soll.Wir schließen uns der Zielsetzung der Fortschreibung an, daß die Fortführung der Neuordnung der deutschen Mineralölinteressen im Bereich VEBA/Gelsenberg erforderlich ist, und wir begrüßen das Anschlußprogramm DEMINEX und flankierende Maßnahmen bei Mineralöl- und Gasbezug.Auf dem Gebiete des Ausbaus der Kernenergie mit dem Zielwert von 45 000 bis 50 000 MW im Jahre 1985 sind die Anstrengungen fortzusetzen. Wir wissen, daß hier Risiken gegeben sind. Ich persönlich leugne nicht, daß ich befürchte, daß die Erwartungen hier zu optimistisch sind. Wir werden uns im Zusammenhang mit der Sicherung der Stromversorgung in der Zukunft mit dieser Frage noch auseinanderzusetzen haben.Meine Damen und Herren, in der deutschen Energiewirtschaft stehen beträchtliche Investitionen an. Wir alle wissen, daß riesenhafte Summen erforderlich sind. Ich glaube, es besteht kein Zweifel, daß es uns gemeinsam gelingen wird, die Finanzierung der erforderlichen Investitionen sicherzustellen, auch wenn darüber im konkreten noch viele Debatten geführt werden müssen. Allerdings müssen wir aufpassen, daß es nicht zu der paradoxen Erscheinung kommt, daß nämlich die Rentabilität von Investitionen in alternative Energiequellen gefährdet wird, wenn der mit diesen Investitionen verfolgte Zweck, die Abhängigkeit vom Importöl zu verringern, tatsächlich erreicht wird und wenn als Folge davon die Ölförderländer den Ölpreis aus ökonomischen oder politischen Gründen senken sollten. Inzwischen ist allgemein anerkannt, daß die Investitionen in der Energiewirtschaft vor dieser Gefahr geschützt werden müssen. Diese Gefahr
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ist wahrscheinlich um so größer, je größer der Erfolg der Reduzierung der Abhängigkeit von Ölimporten sein wird. Die jüngste OECD-Studie „Energy Projects 1985" und andere Untersuchungen zeigen dieses Kernproblem — im internationalen Fachjargon „CATCH 23" genannt — auf. Dieses entscheidende Kernproblem wird sicherlich im Mittelpunkt der nationalen und internationalen Energiediskussion zu stehen haben.Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt das Energieprogramm und seine erste Fortschreibung. Wir wissen, daß dieses Energiekonzept die Orientierungshilfen und die Entscheidungsgrundlagen bietet, die für eine zukunftsorientierte Energiepolitik notwendig sind. Deshalb unterstützen wir das Konzept, das Programm und seine Fortschreibung sowie die darin enthaltenen Maßnahmen.Lassen Sie mich zu diesem Problemkreis abschließend noch eine kritische Stellungnahme zu dem von der CDU/CSU abgegebenen Minderheitenvotum geben. Ich finde es zunächst einmal merkwürdig, daß dieser Bericht nach vielem Drängen erst in letzter Sekunde vorgelegt wurde. Ich weise den Vorwurf zurück, die Bundesregierung und ihre Vertreter — vor allem der Wirtschaftsminister und seine Herren — hätten im Wirtschaftsausschuß nicht zufriedenstellende Auskünfte gegeben. Das stimmt nicht. Jede gestellte Frage ist nach dem heutigen Erkenntnisstand korrekt und konkret beantwortet worden.
Die Maßnahmen im Programm und in seiner Fortschreibung sind das, was heute möglich und machbar ist. Der Vorwurf, die Minderheit, die CDU/CSU-Opposition, habe nicht hinreichend Zeit zur Prüfung des Konzepts und seiner Fortschreibung gehabt, ist — schlicht gesagt — absurd.
Die erste Fortschreibung wurde von der Bundesregierung am 30. Oktober 1974 vorgelegt. Sechs Monate, ein ganzes halbes Jahr, haben Sie also Zeit gehabt, sich mit dieser Fortschreibung und ihrem Inhalt auseinanderzusetzen.
Der Wirtschaftsausschuß — das wissen Sie; das wird auch der Ausschußvorsitzende, dessen Arbeit und Leitungsstil ich sehr schätze, bestätigen — hatte die Absicht, die Fortschreibung früher zu verabschieden und früher mit der Energiediskussion ins Plenum zu gehen. Ich muß also den Vorwurf der Unzulänglichkeit der Ausschußberatungen zurückweisen. Diesen Vorwurf haben weder der Vorsitzende, Ihr und unser Kollege Dr. Narjes, noch die übrigen Ausschußmitglieder verdient.
Nächster Punkt: Sie erheben Vorwürfe bezüglich der Finanzierung der Bundesrohölreserve und der nationalen Steinkohlenreserve. Sie wissen ganz genau, daß diese Fragen laufend erörtert werden. Sie wissen ganz genau, daß alternative Finanzierungsmöglichkeiten zum Haushalt gerade auf SPD-Initiative, auf Vorschlag unseres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, des Kollegen Dr. Ehrenberg, geprüft werden. Sie wissen ganz genau, daß Ihre Kritik am Aufbau einer Steinkohlenreserve, die angeblich zu spät einsetze, völlig unberechtigt ist. Der Aufbau einer Steinkohlenreserve kann doch nur erfolgen, wenn die laufende Förderung zeitweilig nicht abgesetzt werden kann.Und völlig unverständlich, Herr Kollege Russe, ist das CDU/CSU-Minderheitenvotum im Kapitel „Steinkohle". Die Vorwürfe, daß die Bundesregierung keine Entscheidung über die Zukunft der Kohle getroffen habe, die Behauptung, daß es eine seit vielen Jahren von der CDU/CSU erhobene Forderung sei, vom Gesundschrumpfen im Steinkohlebergbau abzugehen, und Ihre Kritik, die Frage nach der Entwicklung der Importkohle sei völlig unbeantwortet geblieben, stellen die Fakten schlichtweg gesagt auf den Kopf.Genau das Gegenteil ist der Fall: 20 Jahre CDU/ CSU-Energiepolitik waren gekennzeichnet durch das Schicksal des heimischen Steinkohlebergbaus, sich krankschrumpfen zu müssen.
Planlose Zechenstillegungen, negative Rationalisierungen der Fall der Stillegung der Zeche Graf Bismarck ist ein Beispiel —, die Sorgen und Nöte von Zehntausenden von Bergleuten und deren Familien, ungeheure Probleme der Bergbaustädte und Bergbaugemeinden waren das Ergebnis einer verfehlten CDU/CSU-Energiepolitik. Die CDU/CSU trägt die Verantwortung, daß der heimische Bergbau, aufgesplittert in 28 Einzelgesellschaften, seine Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit verloren hatte und sterbenskrank wurde.Wir haben entscheidend mit dazu beigetragen, daß der Bergbau wieder gesund wurde, daß die Arbeitsplätze gefragt und gesichert sind, daß die Bergleute und der Bergbau optimistisch in die Zukunft blicken können.Diese Bundesregierung hat in der Fortschreibung festgelegt, daß die heimische Steinkohle einen optimalen Versorgungsbeitrag zu leisten hat.Diese Bundesregierung hat das erste Energieforschungsprogramm aufgelegt und zunächst eineinhalb Milliarden DM vor allem für Forschungsvorhaben im Kohlebereich zur Verfügung gestellt.Diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen der sozialliberalen Koalition sind sich einig, daß die Importkohle ihren Versorgungsbeitrag zu leisten hat — sicherlich steigend —, ohne daß dadurch die Existenz der heimischen Kohle tangiert werden darf.Wir Sozialdemokraten haben die Bundesregierung und den Wirtschaftsminister gebeten, möglichst bald die Verlängerung des Ende 1976 auslaufenden Kohlezollimportkontingentgesetzes vorzulegen.
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Die Bundesregierung hat also alle notwendigen Entscheidungen für die Kohle, die denkbar und notwendig sind, getroffen. Ihr Vorwurf geht also völlig am Ziel vorbei. Und Sie, die Opposition, stellen sich hin und behaupten einfach, daß keine Entscheidungen über die Zukunft der Kohle getroffen worden seien!Ich sage es noch einmal: Sie haben den Bergbau in Ihrer Regierungszeit krank gemacht. Wir haben einen erfolgreichen Gesundungsprozeß durchgeführt. Das wissen alle, vor allem die Bergleute in unserem Lande.
Lassen Sie es deshalb sein, auf die Vergeßlichkeit zu spekulieren und immer wieder die Tatsachen auf den Kopf zu stellen! Sie werden dadurch doch nur noch unglaubwürdiger.Ähnliches gilt in Ihrem Minderheitenvotum für die Braunkohle. Wir sind uns einig über die Stellung der Braunkohle als erstklassiger Sicherheitsfaktor und über die Bedeutung der Braunkohle im Rahmen der Energie- und insbesondere der Stromversorgung. Diese Bundesregierung hat doch die für die Braunkohle und die Erschließung neuer Braunkohlen-Lagerstätten erforderlichen Entscheidungen getroffen.Ich habe vorhin schon angedeutet: Viele von uns befürchten, daß das ehrgeizige Ziel, 1985 45 000 bis 50 000 MW Strom aus Kernkraftwerken zur Verfügung zu haben, nicht erreicht werden könnte. Aber das ist ja das Angebot der Elektrizitätswirtschaft, die immer wieder erklärt hat, daß dieses Ziel erreicht wird. Hier kann es sich also nicht um eine Minderheitenmeinung handeln. Der Bundesregierung daraus einen Vorwurf zu machen ist völlig unberechtigt. Wenn Sie wie ich und viele andere der Meinung sein sollten, daß wir die Kernkraftziele möglicherweise nicht erreichen, dann müßten Sie logischerweise über das 6 000-MW-Steinkohlenkraftwerksprogramm hinaus ein zusätzliches Programm des Baus von Kohlekraftwerken fordern. Das unterlassen Sie merkwürdigerweise.Seien Sie mir nicht böse, Herr Kollege Russe,
völlig absurd ist Ihre Interpretation des „Debakels" von Wyhl. Der für dieses „Debakel" und seine Auswirkungen weit über Baden-Württemberg hinaus verantwortliche Ministerpräsident ist Ihr Parteifreund Filbinger und niemand anders.
Abschließend darf ich noch sagen, daß ich es bedauere, daß Sie in vielen in dem Minderheitenvotum angesprochenen Fragen wie z. B. der Standortvorsorge, der Genehmigungsverfahren, des Umweltschutzes den Eindruck zu erwecken versuchen, als gebe es darüber einen großen Dissens zwischen den drei Fraktionen. Was noch schlimmer ist: Sie verschieben die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten oft zu Unrecht auf die Bundesregierung, obwohl Sie wissen, daß für die meisten Fragen in diesen Bereichen die Länder die Verantwortung tragen. Das sollten Sie nicht tun.Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Die Mehrheit im Wirtschaftsausschuß und die SPD-Fraktion begrüßen die erste Fortschreibung dieses Energiekonzepts. Wir wissen, daß es auch in Zukunft aktualisiert werden muß. Die Energiepolitik wird nicht mehr von der Tagesordnung unserer wirtschaftspolitischen Beratungen kommen. Herr Wirtschaftsminister, wir danken Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die rechtzeitige Vorlage dieses Programms und seiner Fortschreibung. Unsere Fraktion wird diesem Programm zustimmen.
Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zur Novelle zum Mineralölbevorratungsgesetz machen. Wir wissen, daß wir zur Begegnung der Gefahren im Mineralölbereich im nationalen Raum über zwei wichtige Instrumente verfügen. Das ist erstens das von dieser Bundesregierung vorgelegte Energiesicherungsgesetz 1975, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, und das ist zweitens die Verbesserung der Mineralölbevorratung.Der Ausbau der Bevorratungspflicht hat eine Doppelfunktion. Er erhöht die Versorgungssicherheit im Krisenfalle, er erhöht aber auch die politische Sicherheit durch eine Verbesserung unserer Verhandlungspositionen. Das Mineralölbevorratungsgesetz ist im Zusammenhang mit den weiteren Maßnahmen zur Erhöhung der Vorräte zu sehen, mit dem Aufbau der Bundesrohölreserve, mit dem beabsichtigten Aufbau einer Steinkohlenreserve, mit der freiwilligen Verbraucherbevorratung.Bei der planmäßigen Aufstockung der Bundesrohölreserve sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, auch die Prüfung, wieweit Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb des Bundesetats zum Zuge kommen können.Bei der freiwilligen Mineralölbevorratung hat sich gezeigt, daß die Verbraucher aus der Krise gelernt haben. Wir haben eine bessere Bevorratungssituation. Ob die in Selbstverantwortung ergriffenen Maßnahmen ausreichen, wird allerdings ständig zu beobachten sein. Gegebenenfalls sind weitere Maßnahmen erforderlich.Durch die Novelle zum Mineralölbevorratungsgesetz ist die bestehende Pflichtbevorratung in zwei wesentlichen Punkten gefördert worden. Die Reichdauer wird ausgedehnt, und die Einbeziehung der freien Importeure, die durch das Bundesverfassungsgericht von dem Bevorratungsgesetz 1965 ausgenommen worden sind, ist neu geregelt. Die nunmehr getroffene Regelung trägt den bestehenden strukturellen Unterschieden Rechnung. Das vorliegende Änderungsgesetz ist ein wesentliches Element unserer Krisenvorsorge und deren Verbesserung. Für die SPD-Fraktion ist es selbstverständlich, daß die Existenz der freien Importeure und des unabhängigen mittelständigen Mineralölhandels nicht gefährdet werden darf. Die vorliegende Regelung ist unseres Erachtens ein optimaler Kompromiß.
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Ich bitte Sie auch, daß Sie der Ergänzung zum Antrag des Ausschusses für Wirtschaft zu diesem Problemkreis Ihre Zustimmung geben.Die SPD-Fraktion wird diesem Änderungsgesetz zum Mineralölbevorratungsgesetz ihre Zustimmung geben. Es ist ein wesentliches Instrument im Rahmen unserer Energiepolitik.Meine Damen und Herren, im letzten Teil meines Beitrages möchte ich einige Bemerkungen zum Internationalen Energieprogramm machen.Die SPD-Fraktion begrüßt den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. November 1974 über ein Internationales Energieprogramm. Wir danken der Bundesregierung dafür, daß sie von Anfang an intensiv und konstruktiv an der Konzipierung und Entwicklung einer europäischen und internationalen Energiepolitik mitgewirkt hat. Wir haben auch mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung dieses Internationale Energieprogramm unverzüglich vorläufig in Kraft gesetzt und durch die Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß das Programm nun endgültig wirksam werden kann. Wir haben ferner im Energiesicherungsgesetz die Erkenntnisse des Internationalen Energieprogramms eingebaut.Ich bedaure, daß dieses Programm so spät kommt, und ich bedaure, daß sich die Europäischen Gemeinschaften so schwer tun, auf dem für Europa so wichtigen Gebiet der Energiepolitik zu entscheidenden Fortschritten in Richtung auf eine koordinierte Zusammenarbeit zu kommen.Es muß doch nachdenklich stimmen, daß die Internationale Energieagentur, die im Dezember 1974 gegründet wurde und an der die EG-Kommission als Beobachter teilnimmt, bereits intensiv arbeitet und Fakten der internationalen Zusammenarbeit schafft, die Brüssel im letzten Jahrzehnt nicht zustande gebracht hat. Wir können nur hoffen, daß in diesem über die Gemeinschaft hinausgehenden Rahmen die Europäischen Gemeinschaften möglichst bald als Einheit auftreten und daß es in Brüssel dem Energie-Ministerrat gelingt, planmäßig und zielstrebig eine in sich geschlossene europäische Energiekonzeption zu entwickeln und sie schrittweise und zügig zu verwirklichen.In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit erspare ich es mir, zu den einzelnen Kapiteln des Internationalen Energieprogramms etwas zu sagen. Wir unterstützen die wesentlichen Inhalte dieses Programms, vor allem die Schaffung eines gemeinsamen Krisenmechanismus, die Verbesserung des Informationssystems, die Schaffung eines gemeinsamen Ölverteilungssystems im Krisenfalle, die Aktivitäten der internationalen Erdölgesellschaften, die Entwicklung alternativer Energiequellen und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Förder- und Verbraucherländern und die anderen Einzelmaßnahmen, die in diesem Konzept enthalten sind.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch zwei abschließende Bemerkungen machen. Ich würde es begrüßen, wenn es in Europa gelänge, die in Europa vorhandenden Energieressourcen gemeinsam zu erfassen und den Zugang dazu allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft zu erschließen.Es ist notwendig, die kühle, nüchterne und verantwortungsbewußte Politik, wie sie von unserer Bundesregierung auch auf energiepolitischem Gebiet betrieben wird, fortzusetzen. Wir bieten den Rohölförderländern über den Dialog hinaus eine konstruktive Zusammenarbeit an. Wir appellieren an diese Länder, das Angebot anzunehmen. Wir wissen: nur gemeinsam können Förder- und Hauptverbraucherländer ihre Verantwortung, vor allem auch gegenüber den Ländern der Dritten Welt, wahrnehmen. Der Dialog muß konstruktiv sein, er muß die Kooperation fördern und nicht zur Konfrontation führen. Beide Seiten müssen sich der gegenseitigen Abhängigkeiten bewußt sein. Beide Gruppen — Rohstoff- und Energieproduzenten ebenso wie Verbraucherländer — tragen Verantwortung für die gesamte weltwirtschaftliche Entwicklung.Ich fasse zusammen und stelle fest:Erstens. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt es, daß es national zu einem konkreten energiepolitischen Konzept und zu dessen Aktualisierung gekommen ist. Wir begrüßen das Internationale Energieprogramm, das eine gemeinsame Grundlage für die Energiepolitik im internationalen Bereich mit dem Ziel, zu konstruktiven Lösungen für die schwergewichtigen Energieprobleme der Welt zu kommen, geschaffen hat.Zweitens. Erstmalig wird international der Versuch gemacht, auf die Herausforderung eine solidarische Antwort zu geben.Drittens. Das nationale Energieprogramm und das Internationale Energieprogramm enthalten wichtige Elemente für die Überwindung bestehender Schwierigkeiten und zur langfristigen Minderung der Abhängigkeiten vom Ö1.Viertens. Das Internationale Energieprogramm ist defensiv angelegt, soweit es die Beziehungen zu den Rohölförderländern betrifft. Ich wünschte mir, daß die stärksten Aktivitäten der Verbraucherländer auf dem Gebiet der Entwicklung alternativer Energiequellen, vor allem heimischer Energiequellen, entwickelt werden.Fünftens. Das Internationale Energieprogramm ist mit allen seinen Bestandteilen eine notwendige Ergänzung der nationalen Maßnahmen. Das erste Krisenjahr nach der Ölkrise hat mehr als deutlich die nationalen Grenzen aufgezeigt. Die Bundesregierung hat in ihrem fortgeschriebenen Energiekonzept, das weiterentwickelt wird, die erforderlichen Konsequenzen gezogen.Sechstens. Wir begrüßen, daß das Internationale Energieprogramm bereits vorläufig in Kraft gesetzt ist.Siebtens. Nach unserer Auffassung ist dieses internationale Energieprogramm ein erster wichtiger Schritt zur internationalen Zusammenarbeit. Auch dieses Internationale Energieprogramm muß im
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11643
Wolfram
Laufe der Zeit ergänzt und aktualisiert werden. Vor allem sollen sich die Europäischen Gemeinschaften stärker zu einer einheitlichen Konzeption durchringen.Achtens. Wir danken der Bundesregierung, daß sie national wie international eine konstruktive Energiepolitik betreibt und unterstützt und daß sie es geschafft hat, mit den aus der Energiekrise entstandenen Schwierigkeiten im internationalen Vergleich relativ am besten fertig zu werden.Neuntens und letztens. Die national und international ergriffenen Maßnahmen entsprechen der Lage auf dem Weltenergiemarkt. Sie entsprechen der Wirtschaftsentwicklung in unserem Lande und in der Welt. Sie ergänzen die wirtschaft-, währungs- und zahlungsbilanzpolitischen Maßnahmen. Ziel unserer Politik muß es sein, die Funktionsfähigkeit des Weltmarkts und des freien Welthandels zu erhalten. Wir müssen den handels- und zahlungsbilanzmäßig durch die Energieverteuerung am härtesten betroffenen Verbraucherländern solidarisch helfen. Diesen Zielen dienen unser nationales und das Internationale Energieprogramm.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird deshalb der Fortschreibung des Energiekonzepts, der Änderung des Mineralölbevorratungsgesetzes und dem Internationalen Energieprogramm als Grundlagen für eine zukunftsorientierte Energiepolitik ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Narjes.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu den ersten beiden Themen der Energiedebatte sprechen. Das Vergnügen, sich mit dem Herrn Kollegen Wolfram über das nationale Energieprogramm auseinanderzusetzen, muß ich meinem Kollegen Russe überlassen.Das Internationale Energieprogramm, dessen Vertrag wir heute ratifizieren, ist das bisher wichtigste Ergebnis des Bemühens der Ölverbraucher der freien Welt um eine jedenfalls in den Grundzügen abgestimmte Energiepolitik. Dieses Internationale Energieprogramm ist ein wichtiges Glied in der Kette der Veränderungen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, die durch den Ölboykott im Herbst 1973 ausgelöst worden sind.Dieses Programm darf nun nicht isoliert betrachtet werden. Es ist auch kein Abschluß irgendwelcher Entwicklungen. Es bietet aber reale Chancen — wenngleich auch die Risiken nicht zu übersehen sind — für eine Stabilisierung der Weltenergiewirtschaft. Die Zusammenhänge, in denen es bewertet werden muß, sind vielschichtig. Einmal wäre es wohl gar nicht nötig gewesen, dieses Programm zu beraten, wenn die Entwicklungen, die zum Ölboykott 1973 geführt haben, rechtzeitig erkannt und entschärft worden wären. Es wäre aber auch nicht nötig gewesen, wenn sich die Europäischen Gemeinschaften — und da stimme ich Ihnen zu, Herr Kollege Wolfram —, die nunmehr seit 25 Jahren über die Energiepolitik reden, rechtzeitig zu irgendwelchen Entscheidungen durchgerungen hätten.Das Programm setzt in seiner institutionellen Ausgestaltung ein neues Datum für die transatlantischen Beziehungen. Das Programm steht auch in einem direkten Zusammenhang mit den gewaltigen Kapitaltransferproblemen und der jährlich wachsenden Kapitalmacht der Ölproduzenten. Das Programm war schließlich die Minimumvoraussetzung für den Beginn eines Öldialogs der Ölverbraucher mit den Ölproduzenten. Das Programm wird schließlich in seinem Erfolg oder Mißerfolg eine begrenzt präjudizierende Wirkung auf die Rohstoffpolitik anderer Entwicklungsstaaten haben. Durch das Programm leisten die Industrienationen der freien Welt einen praktischen Beitrag zur Fortschreibung der Weltwirtschaftsordnung. Es gibt also eine Fülle von Bezugspunkten und höchst komplexen, die herkömmliche Ressorteinteilung überspringenden Zusammenhängen.Gemessen hieran sind Inhalt und Entstehungsgeschichte des Programms leider nicht so kraftvoll und so überzeugend, wie sie es um der beabsichtigten Wirkung willen hätten sein sollen. Die Entstehungsgeschichte ist ein typisches Spiegelbild der Leidensgeschichte der europäisch-amerikanischen Beziehungen und des Mangels an europäischer Einheit. Frankreichs Abwesenheit beweist es. Infolgedessen ist der Umstand, daß wir dieses Programm erst 18 Monate nach dem Ölboykott ratifizieren, kein Ausdruck von Stärke, sondern eher ein Nachweis europäischer Zerrissenheit und transatlantischer Schwäche.Praktischer Kern des Abkommens sind die solidarischen Verhaltensregeln für den Notfall eines erneuten Boykotts. Sie sind in sich konsequent und fair verhandelt; sie können theoretisch funktionieren. Worauf es jetzt ankommt, ist, daß allen Produzenten die feste Überzeugung vermittelt wird, daß diese Regelungen im Krisenfall auch entschlossen angewandt werden.Es wäre unredlich, wollte ich der Bundesregierung einen Vorwurf des Alleinverschuldens an dieser Entwicklung machen, schon weil dieses Programm das Ergebnis komplizierter Verhandlungen ist. Sie trägt aber als mitverhandelnde Regierung und als Vertreterin einer bedeutenden Wirtschaftsmacht eine hohe Verantwortung für die Entwicklung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, und da dieser Prozeß nicht hinreichend demokratisch kontrolliert wird, ist es unverzichtbar, diese Situation im Energiebereich, so wie sie sich heute darstellt, in diesem Hause kritisch zu diskutieren und die Schwerpunkte des deutschen und des europäischen Interesses herauszuarbeiten.Was hat sich gegenüber früher verändert? Zunächst haben wir nach dem Ölboykott ein Ölversorgungs-, ein Ölmengenproblem, weil uns die notwendigen Mengen aus politischen Gründen vorenthalten worden sind.
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11644 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Dr. NarjesZweitens haben sich die Energieträger und insbesondere das Öl als ein Produktionsfaktor und nicht nur als ein Rohstoff herausgestellt. Massenwohlstand, Wachstum, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, alles dies ist total gefährdet, wenn wir sie nicht in ausreichenden Mengen und kontinuierlich zur Verfügung haben.Drittens — und das ist wichtig — muß sich dieser Ölboykott zwar nicht, aber er kann sich jederzeit wiederholen. Dies bedeutet, daß in die Überlegungen über die Sicherheit der deutschen und der europäischen Energieversorgung mit dem Ölboykott schlagartig ein neues politisches und brisantes Element der Ungewißheit eingeführt worden ist. Dabei wäre es ein kapitaler Fehler, wollte man sich den Ablauf des Wiederholungsfalles nur nach dem Muster des Boykotts im Herbst und Winter 1973/74 vorstellen. Andere Teilnehmer, andere Maßnahmen und auch eine andere Selektion der Betroffenen sind denkbar und müssen als eine mehrerer Möglichkeiten in unser Kalkül einbezogen werden.Viertens. Sodann haben wir das unveränderlich ernste Problem des Ölpreises. Die Ölpreise haben sich vervierfacht und bilden sich nicht mehr am Markt heraus, sondern werden — zur Zeit jedenfalls — von den Produzenten diktiert. Sie haben sich in der ohnehin schon extrem labilen weltkonjunkturellen Situation des Jahres 1974 als gefährlicher Zusatzmotor der Weltinflation erwiesen und damit gerade den Inflationsprozeß beschleunigt, den die Ölproduzenten nicht ohne eine begrenzte Berechtigung als wirtschaftliches Motiv ihrer Ölpreiserhöhungen angeführt haben. Die neuen Ölpreise haben vor allem aber eine radikale Umkehr der internationalen Kapitalverkehrsströme ausgelöst, deren Bewertung im Sinne ihrer Kontrollierbarkeit durchaus noch umstritten ist. Vor allen Dingen führen sie aber zu einer neuen Kapitalakkumulation in den Händen einiger Ölproduzenten, die eine solche Größenordnung hat, daß ihr ein erhebliches politisches Eigengewicht zukommt, namentlich dann, wenn man an die Kombinationsmöglichkeiten von Ölmacht und Kapitalmacht denkt.Ich habe nicht den Eindruck, daß sich die nationalen Entscheidungsprozesse oder die der Europäischen Gemeinschaften in den vergangenen 18 Monaten so flexibel und so weitschauend zugleich in ihrer Lagebeurteilung und in ihren Aktionen diesen radikal veränderten Umständen angepaßt haben, wie es erforderlich gewesen wäre. Das gilt insbesondere für die noch nicht hinreichend beantwortete Frage, warum wir, warum der Westen vom Ölboykott und von der Ölpreisexplosion so unvorbereitet getroffen worden sind und warum wir uns von einer Entwicklung haben überraschen lassen, deren Ursachen zum Teil schon sechs Jahre zurücklagen und bei sorgfältiger Betrachtung zu erkennen gewesen wären.Ich wende mich deshalb an die Bundesregierung und rege an, einmal durch unabhängige Sachverständige alle Umstände der Entscheidungen der deutschen und der europäischen Energiepolitik, etwa beginnend mit dem Bericht der „Drei Weisen" der Montan-Union aus dem Jahre 1958/59, sorgfältig daraufhin untersuchen zu lassen, welche Fehler begangen wurden und welche erkennbar notwendigen Maßnahmen in Deutschland und in den Europäischen Gemeinschaften aus welchen Gründen auch immer unterlassen worden sind, um die Sicherheit der deutschen und europäischen Energieversorgung zu gewährleisten und eine europäische Energiepolitik zustande zu bringen.
Warten Sie ab!
In diese Untersuchung gehören nicht nur — das ist nicht nur hämisch gemeint, Graf Lambsdorff — die ständigen Fehlprognosen über die Daten der Verfügbarkeit von Atomenergie und die Bedingungen und Kosten, unter denen sie produziert werden kann; in diese Untersuchung gehört vor allen Dingen auch die Gleichgültigkeit, mit der wir in Deutschland die zunehmend brisantere ölpolitische Entwicklung im arabischen Raum seit 1967 betrachtet haben, obwohl bereits während des Sinai-Feldzugs 1967 von einem Ölboykott gesprochen wurde, obwohl die Enteignung der internationalen Ölgesellschaften 1969 begonnen hat und obwohl die amerikanische Regierung schon 1969 den Europäern mitgeteilt hat, daß sie im Falle eines erneuten arabisch-israelischen Konflikts nicht mehr als Zusatzlieferant für europäische Ölversorgungsengpässe auftreten könne. In diese Untersuchung gehört auch die Frage, warum das seit 1971/72 erkennbare Problem der Kapitalmacht der Ölproduzenten schließlich dennoch überrascht hat.Meine Anregung einer unabhängigen Sachverständigenuntersuchung soll uns allen ein besseres Bild der offensichtlichen Mängel unserer Entscheidungsprozesse und Entscheidungsunterlagen vermitteln, nicht um der politischen Geschichte willen oder aus irgendwelchen theoretischen Gründen; die Untersuchungsergebnisse sollen uns vor allem daran hindern, in Zukunft in anderen Bereichen vergleichbare Fehler zu wiederholen. Ich denke da sehr konkret an die Exploration, an die Produktion und an die Anreicherung von Uran. Es wäre verhängnisvoll, wenn alle Anstrengungen zur Befreiung vom politischen Druck eines Ölmonopols nur dazu führten, eine neue politische Abhängigkeit von einem Uranoligopol zu begründen. Ich denke aber auch an mögliche Entwicklungen unserer Erdgasversorgung.Ohne einem Untersuchungsergebnis vorzugreifen, möchte ich schon jetzt einen wesentlichen Mangel hervorheben, nämlich daß es bei uns und in vielen anderen Ländern des Westens an einem sachgerechten Umgang mit dem Faktor Zeit fehlt. Energieversorgungsprobleme sind Probleme, bei denen wir in Dekaden und nicht nur in Wahlperioden rechnen müssen, sind Probleme, bei denen die notwendigen Anstrengungen zäh und langfristig auch dann durchgeführt werden müssen, wenn vorübergehende Schönwetterlagen ihnen scheinbar die Dringlichkeit genommen haben und man meinen könnte, die notwendigen Investitionsmittel wahlwirksam anderweitig einsetzen zu können. Das gilt heute mehr denn je. Wenn, um ein Beispiel zu nennen, der Aufbau eines eigenen Urankreislaufs vielleicht sieben bis acht Jahre dauert, dann ist der Hinweis auf Lager-
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Dr. Narjesvorräte für zwei bis drei Jahre eher alarmierend denn beruhigend.
Eine weitere entscheidende Lehre, die wir aus dem Ölboykott gewinnen und nicht wieder vergessen dürfen, ist, daß durch diesen weltwirtschaftsordnungswidrigen Kraftakt der Ölproduzenten das normale Marktgeschehen zunächst für unbegrenzte Zeit außer Kraft gesetzt worden ist. Sie haben einen politisch total vermachteten Markt gegründet. Wir, die Verbraucher, haben aber keine Möglichkeiten und Sanktionen, außerhalb unserer Grenzen ein liberales, ordnungsbewußtes und wettbewerbsorientiertes Verhalten unserer Geschäftspartner und Produzenten durchzusetzen. Im Gegenteil, der Entzug des Produktionsfaktors Rohöl ist zum politischen Druckmittel geworden, um den Verbraucherländern fremden, in diesem Fall arabischen politischen Willen aufzuzwingen. Indem also unsere sichere Ölversorgung in Frage gestellt wird, wird zugleich unsere politische Handlungsfreiheit soweit eingeschränkt, daß uns keine andere Möglichkeit bleiben soll, als uns diesem fremden Willen zu beugen, zu kapitulieren. Dies ist nicht die Sprache der Diplomaten, sondern die exakte Beschreibung der Wirklichkeit, über die wir einig sein müssen, wenn wir die sich daraus ergebenden Konsequenzen lange Zeit gemeinsam tragen wollen.Sicherlich wäre es wünschenswert, diese Probleme dadurch aus der Welt zu schaffen, daß man sich weltweit zu einer wirksamen liberalen Wirtschaftsordnung verpflichtet, die das Mittel des Boykotts nicht mehr kennt und auf der Grundlage der Arbeitsteilung und Meistbegünstigung funktioniert. Wie wenig die Bundesregierung einer solchen Entwicklung noch vertraut, zeigt ihre kürzliche schüchterne Antwort auf unsere Kleine Anfrage, jedenfalls bei Gelegenheit der laufenden Reformverhandlungen des GATT in dieses Vertragswerk ein Boykottverbot aufzunehmen. Ihre Resignation hat uns nicht befriedigt, obwohl wir die Schwierigkeiten nicht verkennen.Unabhängig vom Erfolg solcher und anderer Bemühungen müssen wir jedenfalls feststellen, daß die Verbraucherländer allein eine funktionsfähige Weltwirtschaftsordnung nicht erzwingen können. Wir müssen uns deshalb für unsere Energieversorgung neue Maßstäbe und neue Kriterien setzen, die die bitteren Erfahrungen der letzten anderthalb Jahre ohne Beschönigung und ohne Wunschdenken voll berücksichtigen. Wir können nur Mut zu solchen Märkten haben, deren Funktionsfähigkeit wir in der einen oder anderen Form hinreichend gewährleisten können. Nur dann können wir uns auf sie verlassen. Dies ist keine Absage an das Ziel einer liberalen Weltwirtschaftsordnung. Im Gegenteil, wenn wir entschlossen Gegenmachtpositionen gegen einen potentiellen Mißbrauch aufbauen, können wir dazu beitragen, von einer Wiederholung des Mißbrauchs abzuschrecken.Ein weiterer Mangel der internationalen Wirtschaftsordnung, der in einer Energiedebatte angesprochen werden muß, ist der abnehmende Respekt vor der Gültigkeit abgeschlossener Verträge. Es dient nicht der Entwicklung einer Weltwirtschafts-, geschweige denn einer Weltfriedensordnung, wenn die Staaten sich angewöhnen, im Zeichen eines falsch verstandenen Realismus mit Achselzucken über jeden Vertragsbruch hinwegzugehen.Eines der schwierigsten Probleme der internationalen Energiepolitik ist das — ich erwähnte es schon — des Ölpreises. Bereits vor zehn Monaten habe ich an dieser Stelle gesagt, daß der gegenwärtige Preis zu hoch ist, weil er Risiken in sich birgt, die die Funktionsfähigkeit der Weltwirtschaft unverändert bedrohen können. Die Tatsache, daß es uns 1974 gelungen ist, das Problem des Wiedereinschleusens der riesigen Dollarüberschüsse vor allen Dingen aus den dünnbesiedelten Produzentenländern in die Verbraucherstaaten zu lösen, und die Aussicht, daß dieses auch 1975 noch gelingen mag, darf uns keinesfalls dazu verführen, leichtfertig unsere Position zu überschätzen. Forderungen und Schulden konzentrieren sich bei nur wenigen Gläubigern und wenigen Verbrauchern. Vier Länder der OECD, die etwa 30 % ihres Sozialprodukts stellen, haben im vergangenen Jahr 82 % der gesamten Drittlandsverschuldung der OECD auf sich ziehen müssen, um ihre ölbedingt zerrütteten Zahlungsbilanzen zu regulieren. Den weitaus größten Teil der ihnen gewährten Kredite haben sie zu Interventionen benutzen müssen, um ihre Wechselkurse zu stützen, um nicht zur Abwertung gezwungen zu sein.Auch die Situation der nicht öl- oder rohstoffproduzierenden Entwicklungsländer ist prekärer, als sie zuweilen im Gefühl der Erleichterung, das Jahr 1974 überhaupt überstanden zu haben, dargestellt wird. Ihre Reserven sind vielfach verbraucht und ihre Kreditmöglichkeiten zum großen Teil schon in Anspruch genommen.Ich warne deshalb davon, die Zahlungsbilanzentwicklung des Jahres 1974 unbesehen in die Zukunft hinein zu verlängern und zu extrapolieren. Das Problem ist noch nicht gelöst. Ich teile die Besorgnis der Bundesbank, die in ihrem letzten Jahresbericht darauf hinweist, daß in einigen Ländern die Grenzen der Verschuldungsfähigkeit erreicht werden können.Die vage Aussicht, diese Entwicklung in vier oder fünf Jahren in eine neue Phase des Gleichgewichts bringen zu können, allein darf es niemals rechtfertigen, den gegenwärtigen Tendenzen ihren Lauf zu lassen. Ich bin deshalb unverändert der Ansicht — deshalb habe ich dies hier ausgeführt —, daß eine Senkung des Ölpreises strategisches Ziel Nr. 1 jeder gemeinsamen Ölpolitik der Verbraucherländer bleiben muß. Jede Ölpreissenkung um nur einen einzigen Dollar vermindert die Gesamtölrechnung der OECD-Länder bereits um 10 Milliarden Dollar.Ölpreissenkung heißt natürlich nicht — das darf ich hinzufügen — Rückkehr zu den Preisen der Zeit vor dem Herbst 1973; sie bedeutet die Rückkehr zu einem den Interessen beider Seiten angemessenen und der organischen Entwicklung der Weltwirtschaft dienenden Niveau. Dieses Niveau müßte ausgehandelt werden und könnte danach natürlich auch wieder schrittweise steigen.
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11646 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Dr. NarjesDie Produzentenländer sollten einsehen, daß die künftige Entwicklung des Ölpreises nicht an einen Index gebunden werden kann. Dieses ihnen vielleicht theoretisch verlockend erscheinende Instrument dürfte sich beim Öl — wie auch überall sonst, wo es angewendet worden ist — als permanente Inflationsursache erweisen und damit gerade eine Entwicklung fördern, die die Entwicklungsländer schon früher hart getroffen hat und gegen die sie jetzt gerade Schutz suchen. Die Abwehr der Inflation — nicht der Index — ist eine konsequente weltweite Stabilitätspolitik.Ich verkenne nicht, daß die Diskussion über diese und andere Probleme unter einem abgrundtiefen Mißtrauen leidet, das sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer zu Unrecht in den Produzentenstaaten gegen wirtschaftliche Empfehlungen, Belehrungen und andere Entwicklungen aus dem Kreise der Industrienationen herausgebildet hat. Jede erfolgreiche Verhandlung setzt deshalb das Bemühen voraus, einander vertrauensvoll sachlich begründete Überzeugungen über die künftige Entwicklung von Energie- und Rohstoffpreisen zu vermitteln und die Probleme gemeinsam verantwortlich zu durchdenken.Für uns — das sollte auch klar sein — gibt es keine sachgerechtere Methode der Preisbildung als die durch einen funktionsfähigen Markt. Der Marktmechanismus und das Ziel der Einkommensstabilisierung vertragen deshalb keine starre Bindung. Es ist erfreulich, daß einige Staatsmänner der ölproduzierenden Staaten in den vergangenen Monaten wiederholt ihr Interesse an einer funktionsfähigen Weltwirtschaft bekundet und jede Absicht geleugnet haben, sie zu zerstören. Wenn sie aber gleichwohl fortfahren, den gegenwärtigen Ölpreis zu fordern, bedeutet dies eine gefährliche Fehleinschätzung der bereits von ihnen mitausgelösten weltwirtschaftlichen Risiken oder muß als Versuch gedeutet werden, die Belastbarkeit des Weltwirtchaftssystems — um einen innerdeutschen Ausdruck zu übernehmen — zu erproben. Dies wäre nicht zu verantworten, denn eine solche Haltung schließt die Bereitschaft ein, Zusammenbruchserscheinungen in Kauf zu nehmen.In den Verhandlungen um das Internationale Energieprogramm haben diese Preisgespräche eine zentrale Bedeutung gehabt, und zwar vor allem unter dem richtigen Gesichtspunkt der Absicherung der notwendigen Investitionen zur gegen Kampfpreise gerichteten Erschließung alternativer Energiequellen. Solange Ölpolitik Machtpolitik ist und die Ölpreise diktiert, nicht am Markt gebildet werden, solange mit ihnen politische Ziele verfolgt werden, wird kein verantwortlicher Großinvestor das Risiko laufen, die Rentabilität seiner Investitionen — sei es auch nur für begrenzte Zeit — durch eine gegen ihn gerichtete Ölproduzentenpolitik niedriger Preise gefährden zu lassen. Ein solches Verhalten der Produzenten liegt aber im Bereich der Möglichkeiten potentieller Boykottstaaten; mit ihm muß gerechnet werden, und auf seinen Eintritt müssen wir präventiv vorbereitet sein. Wir begrüßen deshalb im Prinzip den Gedanken eines Minimumpreises alsdas unter den gegebenen Umständen geringste Übel.
Auch nach sorgfältigem Studium der von verschiedenen Seiten gegen diese Absicht vorgebrachten Kritik haben wir keine brauchbare Alternative entwickeln können, die es uns gestattete, uns dem uns aufgezwungenen machtpolitischen Mißbrauch des Ölpreises wirksamer zu entziehen. Wir müssen uns dem Pokerspiel, das uns aufgezwungen ist, stellen.Meine Freunde und ich gehen allerdings davon aus, daß dieser Mindestpreis relativ angesetzt wird, also unterhalb der gelegentlich genannten 7-Dollar-Grenze. Dadurch wird sein Charakter als Notbehelf sichtbar und der unverzichtbare Risikogesichtspunkt auch nicht aus den Investitionsentscheidungen für die Energieversorgung eliminiert.Ein künftiger Mindestpreis — lassen Sie mich dies ebenfalls sehr deutlich anfügen — macht es aber auch den zögernden Ländern wie Italien und Japan zumutbar, sich diesem System anzuschließen. Sie sollten erkennen, daß eine wirksame und schnelle Erschließung alternativer Energiequellen und eine erfolgreiche Diversifizierung auch in ihrem unmittelbaren eigenen Interesse liegen, denn alle diese Maßnahmen tragen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts auf den Weltenergiemärkten bei, des Gleichgewichts, dessen Fehlen sie am meisten mit zu beklagen haben. Mit ihrer Teilnahme an einem solchen System versichern sie sich gegen ein unter Umständen ihre eigene wirtschaftliche Existenz bedrohendes verlängertes Preisdiktat.Wenn diese Einschätzung der Lage richtig ist, dann können wir von ihnen auch die Disziplin erbitten, die mit einer wirksamen Mindestpreisabwehr untrennbar verbunden ist. Kämen diese Verpflichtungen nicht zustande, müßten die Teilnehmer des Mindestpreissystems sich die Frage stellen, in welcher Form sie in einer solchen Situation Wettbewerbsverzerrungen, die sich unter den großen Verbraucherländern aus unterschiedlichen Energiekosten ergeben können, ausgleichen.Mit diesem Teilaspekt habe ich nur eines der noch ungelösten Probleme ansprechen wollen, die mit dem Mindestpreissystem verbunden sind. Andere wichtige Entscheidungen stehen noch aus. Um so dringender ist unser Wunsch an die Bundesregierung, energisch darauf hinzuwirken, daß dieses System möglichst bald vervollkommnet wird, weil die Entschlossenheit, mit der es vereinbart wird, schon ein wesentliches Element seiner späteren Glaubwürdigkeit ist und weil die Wahrscheinlichkeit, daß es jemals benutzt werden muß, um so geringer ist, je stärker bei allen Produzenten die Überzeugung verbreitet ist, daß es erstens funktionsfähig ist und daß es zweitens notfalls auch entschlossen gehandhabt wird.Die weitere Entwicklung der internationalen Energiepolitik wird schließlich durch das große diplomatische Gespräch, durch den Dialog der Erzeugerländer mit den Verbraucherländern bestimmt. Seine erheblichen Schwierigkeiten sind spätestens nach
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Dr. Narjesdem Scheitern der Pariser Vorkonferenz vor einer Woche offenkundig geworden. Die unter deutscher Mitwirkung geborene Kompromißformel von Martinique hat sich ebensowenig als tragfähig erwiesen wie die Brücke zwischen Paris und Algier. Damit darf dieser Dialog aber nicht beendet sein. Mehr Sorgfalt in der Vorbereitung und noch mehr Flexibilität in den Formen sind unumgänglich geworden.Vor allem aber wäre verhängnisvoll, wollte man sich jetzt darauf verlassen, daß das OPEC-Kartell nicht zusammenhält. Gewiß hat dieses Kartell Schwächen, die vor allen Dingen darin liegen, daß es noch keine Quotenvereinbarung der Produzenten untereinander gibt. Es darf aber nicht verkannt werden, daß die politische Macht der Ölproduzenten ausschließlich auf die Dauer und Wirksamkeit ihres Kartellzusammenhalts zurückgeht. Das wissen auch alle Beteiligten dieses Kartells. Ich halte deshalb seine Selbstzerstörung nicht für so wahrscheinlich, daß es verantwortet werden könnte, unsere Politik oder die Politik aller Verbraucherländer auf diese Erwartung zu gründen.Ich bedauere, daß dieser Dialog häufig auch in der Sprache der Koalitionsfraktionen mit der Alternative „Konfrontation oder Kooperation" dargestellt wird. Diese Alternative ist irreführend. Auch Kooperationsverhandlungen der Verbraucherländer können nur dann sinnvoll geführt werden, wenn sie von einer einheitlichen Position mit klar abgesteckten Verhandlungszielen ausgehen. Konfrontation hingegen erweckt auf der anderen Seite den unsinnigen Eindruck, als ob jemand mit Kriegsdrohungen zu arbeiten oder Kanonenboote einzusetzen gedenkt. Es geht vielmehr um multilaterale, sicherlich schwierige und langfristige Verhandlungen über den Ausgleich widerstrebender Interessen, die nur dann zu einem positiven Ende kommen können, wenn sich alle Partner von dem Streben nach tagespolitischen Erfolgen freimachen und sich darum bemühen, für die Energie weltweite, konstruktive Regelungen zu finden. Je besser dies gelingt, um so eher haben sie auch die Aussicht, daß sie in diesen Verhandlungen ein Modell gefunden haben, von dem gewisse Analogien für die in der Sache meist anders angelegten Rohstoffverhandlungen mit anderen Staaten der Dritten Welt abgeleitet werden können.Energieverhandlungen und Rohstoffgespräche dürfen aber nicht miteinander vermengt werden. Es war deshalb richtig, während der Pariser Vorkonferenz in diesem Punkte nicht nachzugeben; sie wäre sonst in ein gefahrvolles, allgemeines Nord-Süd-Palaver umfunktioniert worden. Dies hätte weder im wohlverstandenen europäischen Interesse noch im langfristigen Interesse unserer Partner aus der Dritten Welt liegen können.Ich hebe dies hervor, weil ich gewisse Elemente in der Politik einiger europäischer Partner nicht verstehe, die sich auf eine recht dirigistische Weltwirtschaftsordnung festzulegen im Begriffe sind. Die Europäische Gemeinschaft ist nun das größte industrielle Verarbeitungsgebiet der Welt. Seine außenwirtschaftlichen Interessen sind deshalb von lebenswichtiger Bedeutung für uns alle. Sie müssen auf eine liberale, möglichst universale arbeitsteilige Weltwirtschaftsordnung gerichtet sein. In Lima, in Algier, in Paris wie in Brüssel sind aber in den letzten Monaten Auffassungsunterschiede deutlich geworden, die größer sind, als allgemein zugegeben wird. Es droht die Gefahr einer Auseinanderentwicklung, die auch den ohnehin schon strapazierten innergemeinschaftlichen Zusammenhalt weiter beeinträchtigen müßte. Es muß deshalb daran erinnert werden, daß 1956/57 nach schwierigen Verhandlungen in die Römischen Verträge die Grundsatzentscheidung des Art. 110 mit seiner Verpflichtung zu einer liberalen Außenhandelspolitik der Gemeinschaft aufgenommen worden ist. Diese Verpflichtung würde unterlaufen, wenn sich die Gemeinschaft oder einzelne ihrer Mitglieder zu einer Weiterentwicklung der Weltwirtschaftsordnung bekennen würden, die mit den Grundsätzen einer liberalen Wirtschaftspolitik nicht vereinbar ist.Die Pariser Vorkonferenz und der Öldialog sind von dem spezielleren europäisch-arabischen Dialog zu unterscheiden, so wie er in der Verlängerung der europäischen Mittelmeer-Politik in absehbarer Zeit beginnen soll. Es sollte angesichts der Schwierigkeiten des großen Öldialogs von der Bundesregierung nun recht bald deutlich gemacht werden, daß dieser engere Gesprächsrahmen kein Ersatz für die zunächst geplatzte Vorkonferenz sein kann, weil die Gemeinschaft dadurch sonst selber die Zersplitterung der unverzichtbaren Einheit aller Verbraucherländer im Internationalen Energieprogramm einleiten würde.In den weiteren Kontakten mit den Ölproduzenten darf schließlich die weltwirtschaftliche Verantwortung nicht unerwähnt bleiben, die mit dem schnellen Aufbau der Kapitalmacht einiger Ölproduzenten eng verbunden ist. Sie beinhaltet vor allen Dingen die Verpflichtung zu erheblichen Entwicklungshilfeleistungen auch in der Form von Geschenken und nicht allein durch politisch gebundene Anleihen. Die Praxis des letzten Jahres beweist, daß die meisten Ölproduzenten dieses Problem erkannt haben, die Praxis zeigt aber auch, daß die Empfänger von Entwicklungsleistungen durch die Ölproduzenten in einem bisher nicht bekannten Ausmaße nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt werden. So sind allein 60 % der von den arabischen Ölproduzenten ausgewählten Entwicklungsleistungen an die Nachbarländer Israels geflossen.Ich halte es für einen bedenklichen Fehler der Staaten der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Partner im Internationalen Energieprogramm, daß sie sich nicht hinreichend darum bemüht haben, insbesondere den nicht ölproduzierenden Ländern der Dritten Welt deutlich zu machen, in welch einem Maße die europäischen Interessen und ihre Interessen in bezug auf die ölproduzierenden Staaten parallel verlaufen. Daß dieses Thema auf dem Kongreß von Kingston mit 44 assoziationsbereiten Partnern der Dritten Welt und in der nachfolgenden Zusammenkunft von Lome nicht aufgeworfen worden ist, kann jedenfalls mit plausiblen Gründen nicht entschuldigt werden.
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Dr. NarjesWie ein roter Faden schließlich zog sich durch meine bisherigen Bemerkungen das Problem der Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Internationalen Energieprogramm und seiner Agentur. Die Abwesenheit Frankreichs und die Vorgeschichte beweisen, wie delikat manche Aspekte dieser Beziehungen waren und noch sind.Wir fordern deshalb die Bundesregierung nachdrücklich auf, in ihrem eigenen Verhalten zu keiner Zeit den Eindruck zu erwecken, als ob das Internationale Energieprogramm ein Ersatz oder eine Alternative für eine gemeinsame europäische Energiepolitik sein könne. Im Gegenteil: Den Umstand, daß dieses Internationale Programm wesentlich schneller und überzeugender vereinbart werden konnte als die gemeinsame Energiepolitik, sollte die Gemeinschaft als eine Herausforderung betrachten, sich endlich auch zu eigenen Entscheidungen durchzukämpfen.Ich beende diesen der Internationalen Energieagentur und dem Programm gewidmeten Teil meiner Rede mit der Feststellung, daß die CDU/CSU diesem Programm zustimmen wird in Kenntnis seiner Probleme, und verbinde damit die Aufforderung an die Bundesregierung zu einer aktiven Politik, die den Erfolg sowohl dieses Programms als auch der gemeinsamen europäischen Energiepolitik sicherstellt.Aus dieser internationalen energiepolitischen Lage ergeben sich nun für die nationale deutsche Politik weitreichende Verpflichtungen, aber auch Beurteilungsmaßstäbe für die Art und das Tempo ihrer Durchführung. Ich habe auf den machtpolitischen Charakter der Bedrohung, der wir ausgesetzt sind, hingewiesen. Diese Feststellung wird bekräftigt durch eine Stellungnahme, die Präsident Ford erst vor drei Tagen in einem Interview zur Nahostpolitik abgegeben hat. Danach hätten die Vereinigten Staaten noch keine endgültige Entscheidung zwischen drei sich bietenden Optionen einer Nahostpolitik getroffen. Jedenfalls — so fährt die Meldung fort — als unvermeidlich im Falle eines neuen Nahostkrieges bezeichnete Ford ein neuerliches arabisches Ölembargo.Kernstück jeder kurzfristigen Embargo-Abwehrpolitik ist neben den Maßnahmen der Verbrauchsbeschränkung eine Vorratspolitik des langen Atems, die uns im Falle eines Boykotts soviel Handlungsspielraum läßt, daß wir hinreichend Zeit für Umstellungs- und Anpassungsmaßnahmen und vor allem zur politischen Abwehr der uns bedrohenden Boykottgruppe haben. Dabei ist zu beachten, daß eine hinreichend große Vorratsmenge schon allein kraft ihres Vorhandenseins geeignet sein kann, einen Boykottbeschluß zu verhindern, weil auch die Fähigkeit der boykottierenden Staaten, ihre Lieferverweigerung für längere Zeit durchzuhalten, begrenzt ist.Gemessen an diesen Notwendigkeiten, ist die in dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Mindestvorräte an Erdölerzeugnissen festgelegte Vorratsmenge von 90, in Ausnahmefällen 40 Tagen nicht ausreichend und ist vor allem der gegenwärtige tatsächliche Stand unserer Bevorratung völlig ungenügend. So wird die Absicht der Bundesregierung, eine Bundesrohölreserve von 4 Millionen Tonnen einzulagern, nach den geltenden Plänen erst 1977 erreicht werden. Zur Zeit beträgt sie nur 400 000 Tonnen. Es ist richtig, daß die europäische Richtlinie die Zielzahl von 90 Tagen vorgibt; es ist aber auch richtig, daß es sich hierbei nur um eine Mindestzahl handelt und daß weitergehende nationale Anstrengungen dadurch nicht ausgeschlossen sind. So scheint z. B. Frankreich eine Vorratshaltung von über 120 Tagen erreicht zu haben.Wir fordern deshalb und angesichts einer Ölimportabhängigkeit von 95 % für Deutschland eine wesentlich höhere und vor allen Dingen schnellere Bildung von Ölvorräten, die mindestens in der Größenordnung von 120 bis 150 Tagen liegen muß. Sie könnten die erwünschte Abschreckungswirkung erzielen und uns auch den notwendigen politischen Handlungsspielraum im Falle einer Boykottwiederholung gewähren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Vielleicht nach dem nächsten Argument, weil ich annehme, daß Sie wissen, welche Begründung ich gebe.
— Jawohl, ich komme auf das Thema zu sprechen.
Darauf bezog sich meine präventive Bemerkung,denn ich habe diese Frage von Ihrer Seite erwartet. Wir führen die Diskussion nicht zum erstenmal.Die Notwendigkeit dieses wesentlich höheren Ansatzes für unsere Ölvorräte ergibt sich auch aus einer anderen neuen Entwicklung der letzten Monate. Noch während des letzten Boykotts lag die Abnahme, die Verschiffung und die Verteilung der in Nahost freigegebenen Rohölmengen ganz überwiegend bei den großen internationalen Ölgesellschaften. Sie haben damals einen entscheidenden Beitrag zur gleichmäßigen Versorgung aller Verbraucher geleistet.
— Hören Sie einmal zu! Jetzt verlieren diese Gesellschaften aber zunehmend an Einfluß auf den Absatz und die Verteilung des Öls und vor allen Dingen — diesen Punkt möchte ich besonders herausstellen — auf die Verschiffung. Der weltweite Zusammenbruch des Tankschiffbaus und des Tankermarktes hat zur Folge, daß eine größere Zahl von Ölproduzenten im Begriffe ist, sich eine eigene Tankschiffahrt — in den verschiedensten Formen — zuzulegen. Es muß leider angenommen werden, daß sie, sobald ihre Flotten hinreichend
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Dr. Narjesgroß sind, einen größeren Teil der Verschiffung der von ihnen verkauften Ölladungen für sich in Anspruch nehmen. Damit bleiben sie aber auch Herr über das zu liefernde 01 bis zu dem Zeitpunkt, in dem dieses in den europäischen Häfen gelöscht ist. Das wiederum gibt ihnen die Möglichkeit, im Augenblick eines Boykotts unverzüglich auch alle auf See befindlichen Ladungen, die ihrer Verfügungsgewalt unterstehen, umzudisponieren, so daß die vom Boykott bedrohten Staaten nicht — wie bisher — auf den erheblichen Puffer der auf dem Transportwege befindlichen Ölmengen zurückgreifen können — diese Mengen können den Bedarf von zwei Wochen und mehr decken —, sondern gezwungen sein werden, ihre Reserven unmittelbar anzugreifen. Sie werden also wesentlich verwundbarer, als dies noch 1973/74 der Fall war.Dies gilt besonders wiederum für Deutschland, weil der Anteil der deutschen Flagge am Import des von Deutschland bezogenen Rohöls außergewöhnlich niedrig ist und weil unser zum Ausgleich dieses Mangels begonnenes Tankersonderprogramm zusammenzubrechen droht — wenn es nicht schon zusammengebrochen ist. Es wird jedenfalls zusammenbrechen, wenn keine zusätzlichen Stützungsmaßnahmen für die unter diesem Programm kontrahierten Schiffe ergriffen werden.Selbstverständlich stehen der Erreichung der von mir genannten Ziele einige Hindernisse im Wege, die aber bei entschlossener Politik, Herr Kollege Ehrenberg, sämtlich überwunden werden können. Zunächst ist es unerläßlich, die Ausspülung und den Bau von Kavernen mit höchstem Nachdruck, buchstäblich Tag und Nacht zu betreiben, damit der notwendige Lagerraum entsteht. In dem Umfang, wie das nötig wäre, geschieht das noch nicht.Sodann gibt es das Problem der Finanzierung. Der vorliegende Bericht des Ausschusses läßt bereits erkennen, daß nach unserer aller Überzeugung unkonventionelle Finanzierungsmöglichkeiten gesucht werden müssen und auch gefunden werden können, die außerhalb unseres Haushalts die Aufstockung der für unsere Sicherheit und politische Unabhängigkeit notwendigen Ölvorräte sicherstellen. Es wäre jedenfalls eine nicht zu vertretende Leichtfertigkeit, wollte man die notwendige Vorratsbildung mit Rücksicht auf die extrem angespannte Haushaltslage des Bundes auf das Ende der 70er Jahre hinaus strecken. Anscheinend geht das Bundesfinanzministerium dabei von der Vorstellung aus, daß es im Falle zwischenzeitlicher Boykottmaßnahmen den zuständigen Ministerialrat als Parlamentär zum Ölkartell entsendet, damit er dort um Verschiebung des Boykotts bitten kann, bis unsere Haushaltslage eine hinreichende Abwehr gestattet.
Auch sonst stößt das Gesetz über Mindestvorräte an Erdölerzeugnissen auf schwere Bedenken, und zwar wegen seiner die Existenz der kleinen und mittleren Importunternehmen bedrohenden Wirkungen. Es ist richtig, daß die Vorlage sich bemüht, demBedenken des Bundesverfassungsgerichtes gegen die frühere Fassung gerecht zu werden. Aber immer noch wird die Durchführung dieses Gesetzes Härten für diese Unternehmen mit sich bringen, die sie bis zur Grenze ihrer Existenzfähigkeit belasten können.Um dem Rechnung zu tragen, hat der Ausschuß Entschließungsanträge formuliert, die unseres Erachtens das Minimum dessen enthalten, was weiterhin getan werden sollte, um die Existenzgefahren für die betroffenen mittelständischen Unternehmen zu mindern. Unzweifelhaft dürfte es jedenfalls sein, daß, wenn die von mir angeregte weitere Verschärfung der Vorratshaltung durchgeführt werden sollte, das allein auf dem Weg über eine Vergrößerung der Bundesrohölreserve erfolgen könnte. Die Bundesregierung sollte deshalb auch prüfen, ob sie, wenn sie diesen Weg geht, dann nicht auch darüber hinaus zugunsten der durch dieses Gesetz belasteten vorratspflichtigen Unternehmen diese Bundesrohölreserve noch weiter ausdehnt. Die Mehrbelastung ist relativ gering, weil der von der Bundesregierung den Importeuren nach der heutigen Regelung angebotene Modellkontrakt ohnehin schon sehr viele Risiken auf den Bund übergehen lassen muß, so daß der nächste Schritt zur vollen Bundesrohölreserve recht klein ist.Wenn wir trotz dieser erheblichen Bedenken dem Mineralölvorratsgesetz zustimmen, so allein deshalb, weil das alles überragende Gebot der Sicherheit unserer Versorgung einen weiteren Aufschub nicht gestattet. Sollten sich die durch dieses Gesetz in ihrer Existenz bedrohten mittelständischen Exportunternehmen erneut entschließen, den Weg nach Karlsruhe zu gehen, so fordern wir die Bundesregierung schon heute auf, die auf sie entfallenden Vorratsmengen unverzüglich jedenfalls vorsorglich als Bundesrohölreserve anzulegen und keinen weiteren Tag zu zögern.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst, Herr Kollege Narjes: Wir haben mit Dank registriert, daß Sie vor allen Dingen im ersten Teil, aber auch im zweiten Teil Ausführungen gemacht haben, die mit aktuell bevorstehenden politischen Wahlentscheidungen nichts zu tun haben, jedenfalls nicht unmittelbar darauf abgezielt zu sein schienen. Das ist natürlich bei der Behandlung der internationalen Probleme etwas leichter. Herr Russe nickt schon fröhlich; er wird das also nachholen. Da sind wir auch ziemlich sicher.
Herr Kollege Russe, wenn ich mir Ihren Minderheitenbericht ansehe, dann frage ich mich, ob wir eigentlich im selben Ausschuß sitzen.
Das ist dieselbe Frage, die ich heute morgen bei derBeratung der die Presse betreffenden Dinge stellen
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Dr. Graf LambsdorffI mußte. Offensichtlich sitzen wir in zwei verschiedenen Gremien. Jedenfalls muß ich Ihnen sagen, Herr Russe, wenn ich mir die Schilderung der Atmosphäre der Ausschußberatungen durchlese, die aus Ihrem Bericht hervorgeht, daß das eine unfaire Behandlung des Vorsitzenden dieses Ausschusses darstellt.
Aber wir sind uns ja einig darin, daß das Internationale Energieprogramm zu begrüßen ist, daß es notwendig ist. Ich möchte gleich dazu sagen: Auch die Tätigkeit der deutschen Vertreter in der Internationalen Energieagentur hat sich bisher als erfolgreich und vernünftig herausgestellt. Ich frage mich nur, Herr Narjes, was Sie dazu veranlaßt zu meinen, daß wir eine unterschiedliche Beurteilung in der Frage Konfrontation oder Kooperation sehen, die Sie zitiert haben.Natürlich setzt die Kooperation auf seiten der Verbraucherländer Geschlossenheit und Solidarität voraus, ohne daß man aus dieser Geschlossenheit schließen dürfte, wir wollten in die Konfrontation mit den Produzentenländern eintreten. Einen solchen Gegensatz gibt es nicht. Wir sind darin einig; wir haben so etwas aber auch nie behauptet.Fraglich ist mir allerdings, ob sich die Einsicht in die Notwendigkeit von Zusammenarbeit und Geschlossenheit in den letzten Monaten in der Welt nicht in gefährlicher Weise vermindert hat. Sind wir nicht in dem einen oder anderen Punkt zu schnell schon wieder zu selbstsicher geworden? Wenn ich mir etwa die Hochrechnungen des amerikanischen Finanzministers über die Probleme des Recyclings ansehe, also den Ausgleich der Zahlungsbilanzdefizite — die ja übrigens nicht nur ölpreisbedingt, sondern weitgehend inflationsbedingt sind; wir können das immer nur wiederholen —, so glaube ich, daß sie reichlich kühn sind.Im übrigen, meine Damen und Herren, das Recycling ist vielleicht vorübergehend für die Industrieländer gelungen, für die Entwicklungsländer überhaupt nicht; für uns selber sicherlich besser als erwartet, aber wir müssen doch davon ausgehen, daß die Geldmärkte eher weniger funktionsfähig werden und solche Leistungen wie im Jahre 1974 nicht immer erbringen können und daß die Kapitalanlagemöglichkeiten für dieses Geld — denken Sie doch nur an die Diskussion in unserem Lande — sicherlich nicht bequemer und sicherlich nicht großzügiger gehandhabt werden können.Energieversorgungsmäßig haben wir es mit mindestens drei Faktoren zu tun, die zusammengekommen sind und die sich in dieser Konstellation vermutlich auch nicht wiederholen werden. Sie können die Einsparungen, die in der ganzen Welt durchgeführt worden sind, nicht Jahr für Jahr wiederholen; das geht einmal, und damit Ende. Wir werden hoffentlich nicht erleben, daß sich die Weltkonjunktur weiterhin in einer so abflachenden, teilweise rezessiven Entwicklung bewegt. Kehrt sich das einmal um, so wird der Energiebedarf automatisch wieder größer. Schließlich haben wir auch nicht jedes Jahr in der ganzen nördlichen Hemisphäre so ungewöhnlich günstige klimatische Voraussetzungen für Energieverbrauch. Also: Wir sind noch längst nicht in der Lage, uns Illusionen machen zu dürfen. Zusammenarbeit und Solidarität bleiben auch weiterhin notwendig und damit auch die Kooperation innerhalb der Verbraucherländer.Ich gebe zu, daß es für jedermann, der politische Verantwortung trägt, schwierig ist, dies der Öffentlichkeit wirklich plausibel zu machen. In einer Zeit, in der die Tanker vor Rotterdam auf der Reede liegen, weil sie das Öl nicht loswerden können, die Tanks überlaufen, oder in einer Zeit — wie es mir ein Mitglied des amerikanischen Senats einmal sagte —, in der uns das Öl aus den Ohren läuft, der Bevölkerung klarzumachen, daß man dennoch an Einsparung denken muß, ist in der Tat nicht ganz einfach.Ich bin mit Ihnen, Herr Kollege Narjes, der Meinung, daß es Zusammenarbeit und Solidarität im Rahmen des Internationalen Energieprogramms — Krisenmechanismus, Benefit-Sharing, aber auch auf der finanziellen Seite Witteveen-Fazilität, 25-Milliarden-Solidaritätsfonds; es gibt einiges — sicherlich geben muß. Wir sollten die Nichtmitwirkung Frankreichs in der Agentur nicht dramatisieren und überschätzen. Natürlich bedauern auch wir das, natürlich sähen wir es anders lieber. Aber es hat sich inzwischen ein Arbeitsmechanismus herausgestellt, der die unangenehmsten Folgen dieses innenpolitisch motivierten Abseitsstehens überbrückt.Ihre Bemerkungen zum Minimumpreis, Herr Narjes, habe ich mit Interesse gehört. Im März klang das alles noch ein klein wenig anders. Da wurden große Fragezeichen gesetzt, ob denn diese Vorschläge des amerikanischen Außenministers bzw. des Unterstaatssekretärs Enders eigentlich vernünftig seien.
— Ich erinnere mich an die Zwischenrufe, als wir hier im März oder April darüber diskutiert haben, daß der Minimumpreis als eine fragwürdige Angelegenheit betrachtet wurde.
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Dr. Graf LambsdorffMeine Damen und Herren, wir sind uns natürlich darüber einig, daß der Investitionsschutz — dies habe ich hier für meine Fraktion im April 1974 vorgetragen — irgendwie gesichert werden muß und daß der Floor-Preis, der Minimumpreis ein Instrument dafür sein kann. Allerdings, Herr Narjes, wenn Sie der Auffassung sind — ich glaube, das ist eine Meinung, die der der Bundesregierung gar nicht entgegensteht —, daß wir uns auf einen nicht allzu hohen Floor-Preis einlassen dürften, dann müssen wir sehen, daß vermutlich zusätzliche Maßnahmen — wie meine Fraktion es immer gefordert und vorgeschlagen hat—in Kombination mit einem Minimumpreis herangezogen werden müssen, um den beabsichtigten Schutz von Investitionen einerseits zu garantieren, andererseits — völlig einig mit Ihnen— das unternehmerische Risiko aufrechtzuerhalten.Daß die Ölpreissenkung ein Ziel ist, Herr Narjes, und ein Hauptziel sein muß, auch darüber gibt es keinen Zweifel. Das ist auch der Hintergrund der amerikanischen Initiativen. Das ist auch der Hintergrund des Versuchs der Energiekonferenz. Das war im Grunde auch das eigentliche Ziel der Vorkonferenz. Wir bedauern einerseits das Scheitern der Vorkonferenz — einig mit Ihnen —, aber wir sagen deutlich, daß wir in dem einen oder anderen Punkte mindestens die Gründe begrüßen, aus denen man die Vorkonferenz hat scheitern lassen. Denn wir wollen— ich glaube, darüber sind wir uns im Hause einig— eben keine Rohstoffkartelle. Wir sehen keinen Anlaß für das, was man nunmehr mit sehr merkwürdigen Hintergründen die New Economic World Order, also eine neue Weltwirtschaftsordnung nennt, und wir wollen natürlich ebenso wie Sie keine Ölpreisindexierung. Nur, Herr Narjes, die Ölpreisindexierung wäre der Preis für die Ölpreissenkung gewesen, mindestens nach der Auffassung der Produzentenländer.
Im übrigen ist die Ölpreisindexierung — über die Befürchtung hinaus, die Sie geäußert haben — für uns noch viel gefährlicher; denn wenn Sie auf der Basis des gewogenen Durchschnitts der Preissteigerungsraten der Industrieländer die Indexierung veranstalten, dann sind natürlich wir, die Stabilitätsbewußtesten in dieser Welt, am allermeisten betroffen. Deswegen haben wir ein vitales Interesse daran, dies zu verhindern.
Auf dieser Vorkonferenz, meine Damen und Herren, war — wenn man den internen Berichten Glauben schenken darf, und ich tue dies — wohl die Bundesrepublik Deutschland einer der wenigen wirklich entschlossenen Partner auf der Seite der Vereinigten Staaten. Wir wissen, daß das auch bei anderen Gelegenheiten der Fall ist. Deswegen meinen wir, daß wir durchaus berechtigt sind, diesem unserem wichtigsten und größten Verbündeten gegenüber auch einmal ein offenes Wort auszusprechen, wenn es um Konkurrenz, um Wettbewerbssituationen geht.Ich will sehr deutlich sagen, was ich meine: Ich halte es nicht für zulässig, meine Damen und Herren, daß amerikanische Unternehmen, offensichtlich ohne daß die amerikanische Regierung etwas dagegen tut, durch die Welt ziehen und uns Wettbewerb auf dem Felde des Kernreaktorbaus mit dem Hinweis darauf liefern, daß eben aus Deutschland, weil es Mitglied des Atomwaffensperrvertrages sei, die Belieferung mit Brennelementen nicht gesichert sei.
Dies sollte ruhig einmal gesagt werden, und zwar in aller Freundschaft: Auf diesem Gebiet darf der wirtschaftliche Wettbewerb nicht ausgetragen werden.
Zum Bevorratungsgesetz! Herr Narjes, Sie wissen, hier besteht eine Verpflichtung gegenüber der Internationalen Energieagentur. Meine Fraktion hat ebenfalls häufig genug auch an dieser Stelle ihre ordnungspolitischen Bedenken gegen ein solches Gesetz vorgetragen. Wir waren uns im Wirtschaftsausschuß darin in ganzer Breite einig. Wir haben viele Versuche unternommen, dies zu ändern.Nur möchte ich eine Bemerkung an den Anfang stellen, Herr Narjes. Sie haben die Zwischenfrage des Herrn Kollegen Ehrenberg zur Finanzierung, die Sie erwartet hatten — denn sie betraf das Kernproblem —, unzulänglich beantwortet. Sie sprachen von 120 bis 150 Tagen. Der Hinweis „unkonventionelle Finanzierung" reicht nicht. Was ist denn „unkonventionelle Finanzierung"? Notenpresse?
— Herr Narjes, wir haben den Ausschußbericht alle gelesen und umfänglich darüber diskutiert. „Unkonventionelle Finanzierung", das ist — entschuldigen Sie vielmals; das ist nicht Ihre Denkart, ich weiß das — ein Tarnausdruck für eine unseriöse und unsolide Finanzierung, und die läuft nicht!
Das ist alles Faust, Zweiter Teil: Mephisto am Hofe des Kaisers. Das geht nicht!
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Narjes?
Ja.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, sind Sie der Ansicht, daß, wenn — sagen wir — ein deutscher Träger der Vorratsbildung eine internationale Anleihe aufnimmt, dies eine durch und durch unseriöse Finanzierung wäre?
Das ist zumindest etwas zweifelhaft, was die Geldmengenvermehrung
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Dr. Graf Lambsdorffin der Bundesrepublik anbelangt, und Sie werden in große Diskussionen — —
— Das sollten Sie dem Kollegen Leicht aus Ihrer Fraktion einmal erklären, damit er es auch endlich akzeptiert; da bin ich mit Ihnen einer Meinung.
Nur, Herr Narjes, wenn wir anfangen, eine solche Beggar-my-neighbour-Politik zu betreiben und alle anderen sitzenzulassen — das ist doch der Vorwurf, der uns dann gemacht wird —, wo bleiben Sie da mit der internationalen Solidarität und Kooperation?!
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Darf ich aus Ihrer Antwort die Zustimmung zu meiner Bemerkung entnehmen, daß es nicht unseriös wäre, wenn wir eine solche Anleihe aufnähmen?
Es ist wahrscheinlich, monetär gesehen, nicht unseriös; in politischer Hinsicht bin ich etwas im Zweifel, ob es seriös ist.
Meine Damen und Herren, wir haben ja — ich möchte das kurz wiederholen — überlegt, wie wir diese Gemeinschaftsaufgabe, die von der Gemeinschaft zu finanzieren wäre, anders finanzieren könnten. Wir wissen, daß dies aus Mitteln des Haushalts nicht geht. An sich wäre das die saubere, ordnungspolitisch einwandfreie Lösung; darüber hat es bei allen Fraktionen im Wirtschaftsausschuß jedenfalls keinen Zweifel gegeben. Weiter haben wir überlegt, ob die Finanzierung über einen Ölpfennig erfolgen kann. Diesen Vorschlag habe ich, wie Sie wissen, selber in die Diskussion gebracht. Meine Damen und Herren, ich habe die wettbewerbsverzerrende Wirkung und viele andere Begleiterscheinungen des Ölpfennigs einsehen müssen. Auch dies funktioniert also nicht. Dann haben wir überlegt — Herr Ehrenberg, Sie haben den Gedanken in die Debatte gebracht —, ob es über eine Finanzierung aus Mitteln der Bundesbank darzustellen ist. Nach der heutigen Diskussion und nach dem Schreiben, das die Bundesbank uns heute geschickt hat, ist auch dies kein gangbarer Weg; wir können ihn ebenfalls nicht beschreiten. Das haben wir übrigens von Anfang an so gesehen.
— Nun gut, aber ich spreche ja für meine Fraktion, Herr Kollege Sprung. Und ich weiß auch immer, für wen ich spreche.Deswegen ist also die Frage zu stellen, ob das, was wir hier vorschlagen, die unter den gegebenen Umständen optimale Lösung ist. Wir waren uns im Wirtschaftsausschuß darüber einig, dem sei so. Denn alles andere ist kaum denkbar. Es wäre noch eins denkbar, nämlich daß man sagt: nur die Produzenten werden mit der Bevorratungspflicht belastet. Aber da steht uns bekanntlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Wege. Herr Narjes, wenn Sie sagen: sollte das Verfassungsgerichtsurteil kommen, muß sofort die Bundesrohölreserve aus Haushaltsmitteln zum Ersatz aufgestockt werden!, dann müssen Sie bitte auch sagen, woher der Bundesfinanzminister das Geld dafür nehmen soll. Wir wollen ja hoffen, daß wir in diese Lage nicht kommen. Betrachten wir das also zunächst als einen sehr akademischen Hinweis, und begnügen wir uns damit.
— Ich bin nicht so ganz sicher. Wir wollen jedenfalls hoffen, daß dies nicht geschieht.
Daß die bis zum letzten Tage streiten und bis zum letzten Tage Fernschreiben schicken, wir würden sie mit dieser Regelung zu hart unter Druck setzen, ist verständlich.Aber ich glaube, wir sind auch mit den Betroffenen im wesentlichen einig, daß wir eine Abwägung vorgenommen haben. Denn — und dies ist energiepolitisch langfristig natürlich wesentlich — wir wollen alles tun, was in unseren Kräften und Möglichkeiten steht, um den Marktanteil von etwa 15 % der Freien im Energiemarkt zu erhalten. Wenn wir die aus dem Energiemarkt mit allen möglichen Auflagen herausgebracht haben, dann allerdings fällt I dieser Markt voll an die Oligopole. Dies kann nicht im Interesse unserer Wettbewerbspolitik, dies kann nicht im Interesse der Politik der Versorgung der Verbraucher liegen.
Insofern hat auch die Monopolkommission mit ihrem Hinweis auf die Ausschließlichkeitsbindung der Tankstellen durchaus den richtigen Weg gezeigt. Ob das auf der Basis des geltenden Rechts geht, halte ich für zweifelhaft, aber die Grundidee, der Weg, der hier aufgezeigt wird, stimmt.Wir müssen die Summe der Belastungen, die wir gerade der mittleren Industrie in diesem Sektor in den letzten Jahren aufgebürdet haben, beachten. Ich sage dies völlig wertungsfrei, weil für alle diese Belastungen gute und überzeugende Gründe vorhanden sind. Es braucht sich also keiner angesprochen zu fühlen und meinen, ich sähe das etwa kritisch. Aber die Belastung aus dem Heizölkennzeichnungsgesetz, aus der Bevorratung, aus dem Benzinbleigesetz, alles zusammengenommen, ist natürlich schon eine schwere Hypothek gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen, die wir erhalten wollen. Deswegen sind sowohl die Entschließung, die der Wirtschaftsausschuß dem Gesetz mitgibt, wie auch die Ausnahmemöglichkeiten, die in den §§ 21 ff. im Wirtschaftsausschuß ja erst formuliert worden sind, zu begrüßen. Die Grenze der Belastbarkeit dieser Unternehmen ist nach unserer Überzeugung erreicht.Fortschreibung des Energieprogramms! Hier muß noch einmal klar und deutlich gesagt werden: das
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Dr. Graf LambsdorffZiel ist nicht und kann nicht Unabhängigkeit sein, sondern nur unabhängiger zu werden. Es gibt keine absolute Unabhängigkeit. Der Ölanteil unserer Versorgung mit Primärenergie, der jetzt 55 % beträgt, wird in diesem doch schon recht anspruchsvollen und ehrgeizigen Energieprogramm für 1985 mit 45 % anvisiert. Das heißt, wir bleiben zu einem großen Teil, zu einem großen Prozentsatz abhängig.Auf dem Ölsektor ist die Fusion VEBA-Gelsenberg gelungen. Wir haben das von Anfang an begrüßt und diese Maßnahme für vernünftig gehalten. Auch hier hat die Monopolkommission erfreulicherweise die wirtschaftspolitische Zielsetzung, die hinter dieser Fusion steckt, bestätigt. Ob der Hinweis, daß man die Stromversorgung aus diesem neugebildeten Energiekonzern ausgliedern kann, wirklich verfolgt werden kann, scheint mir fraglich. Denn wir hatten ja im Grunde einen vielgliedrigen deutschen Energiekonzern zum Ziele, der in allen Energiearten tätig ist, nicht etwa nur in einem Bereich. Hätten wir nur die Mineralölfusion haben wollen, hätten wir besser die VEBA-Chemie zu Gelsenberg bringen und das übrige verselbständigen sollen. Damit hätte man, von einigen Randerscheinungen abgesehen, dasselbe erreicht, wie wenn man jetzt der Anregung der Monopolkommission entspräche. Gulf und Deminex sind nur zwei Stichworte, die zeigen, daß wir auf dem rechten Wege sind.Hinsichtlich der Kohle, Herr Kollege Wolfram, kann ich nur unterstreichen, was Sie gesagt haben, sowohl für die Vergangenheit, aber auch für die Zukunft, und mit der wollen wir uns ja beschäftigen. Was nutzt es, in der Vergangenheit umherzukramen, — es sei denn, man zieht Folgerungen und lernt daraus. Wem ist das schon beschieden? Wir haben die Bedeutung erkannt.
— Eben, deswegen! Das ist ja meine Frage an Herrn Narjes. Aber, Herr Russe, warum sind Sie so unfreundlich mit Herrn Narjes? Ich habe das vorhin schon gefragt.
Wir haben die Bedeutung der Kohle erkannt und aus dieser energiepolitischen Einsicht auch die notwendigen und richtigen Schlüsse gezogen. Dem steht nicht entgegen, daß sich zur Zeit an Ruhr und Saar wieder ein Haldenaufbau vollzieht — ein Haldenaufbau, der in beschränktem Umfange sogar notwendig ist. Daß wir die Halden bis zum letzten Kohlekrümel abgeräumt haben, war kein befriedigender Zustand. Eine gewisse Reservebildung ist notwendig, und was jetzt geschieht, muß man natürlich auch im Zusammenhang mit der Stahlkonjunktur sehen. Das Dritte Verstromungsgesetz mit seinem Ziel, 6 000 Megawatt auf der Basis der Steinkohle zu produzieren und damit einen gesicherten Steinkohleabsatz von 35 Millionen Jahrestonnen zu schaffen, das wir vor einiger Zeit ebenfalls einstimmig verabschiedet haben, muß sich nun in der Praxis bewähren.Meine Damen und Herren! Bei der Vorbereitung meiner heutigen Ausführungen habe ich mir die Frage gestellt, woran es eigentlich liegt, daß die Verträge zwischen den Erbauern von Kraftwerken und den Energieversorgungsunternehmen über die notwendige Abnahme des erzeugten Stroms so zögerlich zustande kommen. Das ist eine Frage, die man nur schwer beantworten kann. Heute lese ich in der Zeitung, daß für die VEBA-Kraftwerke Ruhr in Scholven gebaut werden kann und daß auch die Verträge für Voerde — all dies ist bereits mit Genehmigung versehen — kurz vor dem Abschluß stehen sollen. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte man einmal fragen müssen, ob nicht vielleicht auch die Steinkohleunternehmen selbst Kraftwerke bauen und Strom — vielleicht nicht über die Versorger, wohl aber über die Verteiler — verkaufen könnten. Gebietsmonopole und Ausnahmebereiche mit eingeschränktem Wettbewerb — der gar nicht bestritten wird — erfordern, daß man gesamtwirtschaftliche, energiepolitische Zielsetzungen von seiten der Energieversorgungsunternehmen unterstützt.
Vielleicht allerdings, Herr Bundeswirtschaftsminister, wird auch ein wenig darauf spekuliert — und das ist eine verständliche Überlegung —, daß aus den Richtlinien zum Dritten Verstromungsgesetz noch etwas herausgeholt werden kann. Wir haben mit Befriedigung von Ihrer Mitteilung Kenntnis genommen, daß diese Richtlinien noch so rechtzeitig dem Wirtschaftsausschuß zugeleitet werden, daß wir sie noch vor der Sommerpause beraten und verabschieden können. Wir bleiben dabei, daß mit diesen Richtlinien und mit dem Verstromungsgesetz kein Selbstbedienungsladen für alle an der Kohle wirtschaftlich Interessierten aufgemacht werden darf.Ebenso, Herr Bundeswirtschaftsminister, sind wir Ihnen für die Mitteilung dankbar, daß die Verlängerung des Kohlezollkontingentgesetzes demnächst eingeleitet wird. Wir glauben, daß es notwendig ist, die beschränkten Mengen auf der Importseite zu sichern. Wir sind der Ansicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß es richtig ist, alles zu versuchen, um in der Frage der Kokskohle zwischen Ruhrkohle und Stahl eine Einigung in der von Ihnen aufgezeigten Richtung zu erreichen. Wenn dies aber nicht gelingt und wenn dies weiterhin zögernd behandelt wird, sollten Sie nicht mit dem Kohlezollkontingent warten. Meine Fraktion wäre bereit, jederzeit im Laufe der Beratungen Änderungen und Initiativen einzubringen, die einer Vereinbarung zwischen Ruhrkohle und Ruhrstahl Gültigkeit verschaffen könnten.Über die Kohleveredelung möchte ich nicht im einzelnen sprechen. Man muß der Öffentlichkeit, in der vielfach die Vorstellung besteht, wir könnten demnächst mit Benzin fahren, das aus Kohle hergestellt wird, sagen, daß die Verflüssigung von Kohle zu Benzin natürlich technologisch möglich ist — das ist in Deutschland längst erwiesen —, daß dies aber
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11654 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Dr. Graf Lambsdorffauf der Basis eines Steinkohlenpreises von 145 DM pro Tonne bei einem Wettbewerbspreis von 15 DM pro Tonne — etwa in den Zechen Südafrikas — aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht einfach sein wird. Ich glaube, daß größere Chancen in der Kohleverflüssigung zum Einsatz in der Chemie liegen. Aber darüber wird Kollege Adolf Schmidt sehr viel mehr sagen können als ich. Wenn wir es einmal schaffen sollten, die Vergasung unter Tage zustande zu bringen, dann hätten wir vermutlich einen großen Schritt nach vorn getan.Auf das Gas will ich nicht weiter eingehen. Aber lassen Sie mich zum Thema Kernenergie, das auch im Energieprogramm und in der Diskussion der Öffentlichkeit eine große Rolle spielt, einige Worte sagen. Meine Damen und Herren, am Anfang muß klar und deutlich stehen, daß die Umweltschutzüberlegungen, wie sie zum Beispiel im Innenauschuß des Deutschen Bundestages formuliert worden sind, völlig unbestritten sind. Es muß andererseits aber auch klar gesagt werden, daß wir die Kernenergie brauchen und daß die notwendige Sicherheit irgendwo ihren Preis kostet. Die Große Anfrage „Kernenergie", welche die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, wird in absehbarer Zeit beantwortet werden. Wir wollen deswegen dieser Beantwortung und der sich anschließenden Diskussion nicht vorgreifen. Dies wird Gegenstand einer Aussprache in diesem Hause sein.Vielleicht wäre es bedenkenswert, die Anregung von Professor Beckurts auf der Reaktortagung in Karlsruhe einmal zu überlegen, ob man so etwas wie einen Rasmussen-Bericht in den Vereinigten Staaten auch in der Bundesrepublik auf die Beine stellen könnte.Nur einige kurze Bemerkungen zu diesem Thema. Soweit die Erfahrungen bisher reichen, kommen Störungen in den Kernkraftwerken selten im Reaktorteil vor, häufiger im konventionellen Teil. Aber dies scheint mir auch nicht das Hauptproblem zu sein. Das liegt doch ganz offensichtlich bei Transport, Aufbereitung und Entsorgung. Hier scheinen die dicksten und schwierigsten Probleme zu liegen. Diese müssen so gelöst werden, daß die größtmögliche Sicherheit angeboten und zur Verfügung gestellt wird.Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang aus der Sicht meiner Freunde ein deutliches Wort zur Aktivität von Bürgerinitiativen. Eines, so glaube ich, sollten wir klar sagen: Wir können die Bürgerinitiativen nicht begrüßen, wenn sie uns im Wahlkampf helfen, und sie ablehnen, wenn sie uns nach den Wahlkämpfen lästige Fragen stellen. Dies ist wohl zu einfach.
Wer nun meint, Bürgerinitiativen ohne weiteres mit Kommunisten gleichstellen zu müssen, hat den Sinn einer solchen ja durchaus demokratischen Initiative und Aktivität wohl vollständig verkannt.
Man wird aber die Frage stellen dürfen — ich kannsie heute sicherlich nicht abschließend beantworten —, was denn dazu geführt hat, daß bei demeinen Kernkraftwerkprojekt Geländebesetzungen, Verfahren, Einsprüche, politische Schwierigkeiten in großem Ausmaß zu verzeichnen waren, bei einem anderen, gar nicht so sehr weit davon entfernt liegenden Kernkraftwerk aber ein Volksfest bei der Einweihung gefeiert wird. Irgend jemand muß da doch wohl etwas falsch gemacht haben.Hier sind wir bei der Frage der deutlichen Information, der deutlichen Aufklärung über Standortfrage, Ballungsprobleme und Regionalplanung. Eines sei gesagt: Mit patriarchalischer oder — das ist vielleicht etwas zutreffender ausgedrückt — obrigkeitsstaatlicher Gebärde und Attitüde, wie das in Baden-Württemberg geschehen ist, sind diese Probleme nicht zu lösen. Damit wird uns schwerer Schaden zugefügt.
Mich wundert dies nicht nach den jüngsten Aussprüchen, die der Ministerpräsident von Baden-Württemberg zu den Entscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat von VW von sich gegeben hat. Er hat wörtlich gesagt: „Wir werden diese Entscheidung so nicht hinnehmen." Der Bundeswirtschaftsminister hat ihm mit Recht auf der Hannover-Messe die Frage gestellt: „In welcher Wirtschaftsordnung leben wir denn eigentlich?".
Voraussetzung für die Kernenergieentwicklung in der Bundesrepublik ist natürlich — Herr Narjes, Sie haben darauf hingewiesen — die gesicherte Belieferung mit Uran bzw. mit angereichertem Uran. Was immer der Hintergrund des jüngsten Belieferungsstopps aus den Vereinigten Staaten gewesen sein mag — ich will dies nicht vertiefen; es würde wahrscheinlich auch keine ganz erfreulichen Aussichten produzieren —, was immer der Hintergrund der Vertragsbedingungsverhandlungen vor etwa zwei Jahren gewesen sein mag, die auch nicht so sehr schön aussahen, bis sie dann — damals noch von der Atomic Energy Commission — geändert wurden: Eines macht es uns doch klar, nämlich daß man sich auch von seinem besten Freund — das tut man ja auch geschäftlich nicht —, von seinem besten Geschäftspartner, Kunden oder Lieferanten nicht einseitig allein abhängig machen sollte.
Deswegen Diversifizierung auch auf diesem Gebiet! Sie ist aus vielerlei Gründen, die man hier nicht im einzelnen darzulegen braucht, einfach notwendig.Nun sind die Plätze in der Welt, an denen man diesen Rohstoff erwerben kann, nicht allzu zahlreich. In Kanada und Australien — das weiß jeder — ist die Lieferbereitschaft eingeschränkt. Hingegen ist sie in Brasilien und Südafrika besser. Darauf sollten wir uns einstellen. Wir können uns nach meiner Überzeugung nicht entscheidend daran stoßen, daß die politischen Verhältnisse und die Gesellschaftsordnung in diesen Ländern nicht unserem Geschmack entsprechen, um es sehr milde auszudrücken. Wir müssen die Urananreicherung — nicht reine Lieferverträge — nach meiner Überzeugung in diesen Ländern mit deutschen Beteiligungen betreiben, um
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Dr. Graf Lambsdorffwirklich eine sichere Belieferungsbasis zu haben. Wir können uns davon, ob es uns paßt oder nicht paßt, nicht freimachen. Dabei muß im übrigen bedacht werden, daß allein eine Urananreicherungsanlage mittlerer Größenordnung nach heutiger Kenntnis eine Investition von drei Milliarden DM bedeutet.Hier, meine Damen und Herren, sind wir nun bei einem der entscheidenden Probleme, nämlich dem Finanzierungsproblem: Wie werden wir dieses Energieprogramm, nicht nur das für die Kernenergie, sondern das Programm insgesamt, finanzieren? Die Schätzungen darüber, was das wohl kosten wird, gehen gar nicht sehr weit auseinander. Nimmt man die unterste Grenze, so muß man bei heutigen, konstanten Preisen von einem Mindestbetrag von 250 Milliarden DM bis 1985 ausgehen. Davon werden etwa 50 % auf Außenfinanzierung entfallen. Das heißt also, es müssen, wenn man bei der konventionellen Finanzierung bleibt, rund 40 Milliarden DM Eigenkapital und 80 Milliarden DM Fremdkapital aufgebracht werden. Das sind die Größenordnungen.Die Frage lautet nun: Ist das darstellbar?
Hier, meine Damen und Herren, nutzt nach meiner Meinung ein mehr oder weniger dogmatisch geführter Streit darüber, ob das besser die öffentliche Hand oder die Privatwirtschaft aufbringen sollte, wenig. Allein kann es nämlich keiner von beiden. Ich gestehe, daß meine Freunde und ich natürlich der privatwirtschaftlichen Lösung, soweit sie irgendwie darstellbar und möglich ist, den Vorzug geben, weil wir Rentabilitäts- und Leistungsdenken in diesem Bereich für unbedingt erforderlich halten. Aber es gibt privatwirtschaftliche Grenzen dort, wo die Unternehmen aus energiepolitischen Gründen politische und technische Risiken in Kauf nehmen müssen, die in ihrer Größe nicht kalkulierbar sind. Dazu gehören die Fortführung von Explorationen, die Förderung von Gas, Dl, Uran und sicherlich in begrenztem Umfang auch die Entwicklung von Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen.Voraussetzung dafür, diese Finanzierung durch die in der Energiewirtschaft tätigen Unternehmen darstellen zu können, ist aber — ganz konservativ und konventionell, nicht unkonventionell, Herr Narjes — eine gute Ertrags- und Vermögenslage der Energieversorgungsunternehmen, die auf dem Kapitalmarkt wettbewerbsfähig sein müssen, wenn sie die notwendigen Mittel zugeführt bekommen wollen. Es gab in der letzten Zeit eine Reihe von Studien, die sich mit diesen Fragen befassen und die von Privatisierung in stärkerem Umfang über Sonderabschreibung, steuerfreie Zinsen bis zu dem Vorschlag einer besonderen Energiebank gehen. Das letztere halten wir nicht für notwendig. Wir glauben, daß das eher den Ablauf der Dinge komplizieren kann.Eine weitere Frage ist, ob man über eine Auflockerung der Beleihungsrichtlinien sprechen oder ob, wie auch vorgeschlagen wird, eine Finanzierung außerhalb der Bilanz, besonders das Leasing, in Frage kommen könnte. Finanzierung außerhalb der Bilanz und Leasing stellen sich mir immer ein bißchen wie ein Schattenhaushalt in der Privatwirtschaft dar. Sehr ausdehnungsfähig ist das zumindest nicht. Inzwischen ist z. B. das Institut der Wirtschaftsprüfer oder das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen in der Frage Leasing-Finanzierung sehr vorsichtig geworden.
— Selbstverständlich geht das in beschränktem Umfang; aber es hat seine Grenzen. Ob wir z. B. für die Beleihungsrichtlinien — dies ist eine wesentliche Frage, denn aus der Versicherungswirtschaft, überhaupt aus den Kapitalsammelstellen, und zwar öffentlichen und privaten, kommt traditionsgemäß ein großer Teil der Finanzierung gerade von Stromversorgungsunternehmen, gerade der Energiewirtschaft — materielle Erleichterungen schaffen können, nachdem wir formelle Erleichterungen vor wenigen Monaten mit der VAG-Novelle beschlossen haben, sollte geprüft werden. Aber allzuweit sind natürlich auch hier die Grenzen nicht, denn letztlich handelt es sich ja um die Anlage von anderer Leute Geld, die nur unter bestimmten, gesetzlich eingeschränkten Voraussetzungen möglich sein darf, was auch so bleiben muß.Das Gesamturteil nach einer so kurzen Betrachtung kann eigentlich nur lauten — so meine ich jedenfalls —, daß uns Finanzierungskunststücke nicht helfen und daß Solidität oberster Grundsatz bleiben muß. Man kann auch nicht, jedenfalls nicht in größerem Umfang, aus kurz lang machen. Wir halten nichts von der Einführung steuerfreier Zinsen, weil wir keinen gespaltenen Kapitalmarkt haben wollen. Die Erfahrungen aus den 50er Jahren auf diesem Gebiet reichen uns. Auch Sonderabschreibungen sind nur begrenzt möglich. Sie haben vermögenspolitisch bedenkliche Seiten, wie wir alle wissen. Vielleicht sind die volkswirtschaftlichen Gefahren einer Fehlleitung von Investitionen durch Sonderabschreibungen so lange nicht gegeben oder jedenfalls nicht so groß, wie man sich im Rahmen eines staatlich befürworteten und von der Gesamtpolitik für notwendig gehaltenen Energieprogramms bewegt. Deswegen ist von dieser Seite her der Einwand weniger gewichtig.Wir können aus dieser Situation und den Finanzierungsaufgaben nur schlußfolgern, daß wir folgende Überlegungen in den Vordergrund stellen müssen:erstens eine Stärkung der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte — hier insbesondere auch für die Eigenkapitalfinanzierung —, d. h. — und auf diesem Wege ist die Bundesregierung nach der Regierungserklärung — die Beseitigung der Doppelbesteuerung der Aktie;zweitens die Erhaltung und Stärkung einer guten Ertrags- und Vermögenslage der EVUs, und das heißt eben: ausreichende Erlöse für angebotene und verkaufte Energie und staatliche Hilfen bei Inve-
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Dr. Graf Lambsdorffstitionen mit überwiegend politischen und technologischen Risiken im Interesse der Energiepolitik;drittens: Für die Fremdfinanzierung könnten — und müssen wahrscheinlich — flankierende Maßnahmen in Frage kommen, aber wirklich nur soweit sie unbedingt erforderlich sind; eine Auflösung seriöser Finanzierungsregeln kann es nicht geben. Zeitlich begrenzte und dem Betrage nach beschränkte Sonderabschreibungen sollten deswegen auch nur in beschränktem Umfange erwogen werden.Nur aus einem solchen Bündel von Maßnahmen und Überlegungen kann, so glauben wir, die Finanzierung in Angriff genommen werden. Es ist ein großer Brocken, der bewältigt werden muß.Auch hier gilt wie bei so vielen Vergleichen mit unseren Nachbarn, die vor ähnlichen Problemen stehen: Wer eigentlich soll diese Aufgaben lösen können, wenn es nicht die deutsche Volkswirtschaft schaffen kann? Unsere Lage ist vergleichsweise immer noch zufriedenstellend; wir sind in der Lage und haben die Mittel und Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Wir haben diese Möglichkeiten vor dem Hintergrund und auf der Basis einer Gesamtkonzeption, die uns die Bundesregierung vorgelegt hat, einer Gesamtkonzeption energiepolitischer Art, die — Herr Wolfram, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen — zum erstenmal diesem Hause so geschlossen angetragen worden ist und die uns die Zuversicht gibt, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß wir uns auf dem richtigen Wege befinden, daß wir einer Konzeption folgen, die die Probleme sieht, Lösungen auf den Tisch legt und uns dann auch in der Praxis diesen Lösungen entgegenführt.Meine Fraktion stimmt dem Bevorratungsgesetz zu, meine Fraktion begrüßt die Abmachungen über das Internationale Energieprogramm und begrüßt ebenso die erste Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Mit dem Energieprogramm und seiner Fortschreibung hat die Bundesregierung ihre energiepolitische Konzeption dargelegt und, soweit möglich — diese Einschränkung muß man machen —, Vorschläge zur Lösung der anstehenden Probleme unterbreitet. Ich möchte heute mit Befriedigung feststellen, daß in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages auch die Opposition Analyse und Zielsetzung der Fortschreibung des Programms positiv beurteilt hat.
Im Minderheitsbericht des Wirtschaftsausschusses wird allerdings die Frage nach den Fortschritten dieser in der Fortschreibung aufgezeigten Politik gestellt. Die Frage ist berechtigt, denn es gibt auch hier keine Lösungen, die ein für allemal gültig wären. Ich will versuchen, die Antworten zu geben,ohne die Risiken, die auch weiterhin fortbestehen, zu verschweigen.Zunächst zur Krisenvorsorge. Ich glaube, eine vernünftige Vorsorge ist nicht nur Mittel zur Überbrückung von zeitweiligen Versorgungsstörungen, sondern letztlich auch eine notwendige Vorbedingung für längerfristige Energiepolitik überhaupt. Hier scheint es ja — jedenfalls im Ziel — Übereinstimmung zu geben. Nur wenn eine Volkswirtschaft im Notfall Durststrecken überwinden kann, ist sie in der Lage, faire Verhandlungen, beispielsweise mit Förderländern, zu führen. Und der Punkt 2 der Tagesordnung, die Novelle zum Mineralölbevorratungsgesetz, ist ein Kernstück der Bevorratungspolitik. Ich möchte hier ausdrücklich dem Hohen Hause für die äußerst zügige Beratung danken. Mit der Erhöhung der Pflichtvorräte kommen wir internationalen Verpflichtungen in OECD und Europäischer Gemeinschaft nach.Es ist in dieser Novelle meines Erachtens gelungen, auch für den unabhängigen mittelständischen Mineralölhandel befriedigende Lösungen zum Ausgleich struktureller Nachteile zu finden. Hier kann man natürlich über Quatitäten streiten. Statt 90 Tage bzw. 70 Tage beträgt die Bevorratungspflicht für diese Unternehmen nur 40 Tage, und diese Pflicht braucht erst im Oktober 1980 erfüllt zu sein. Eine individuelle Härteklausel ermöglicht darüber hinaus die Berücksichtigung von speziellen Problemen bei dem einzelnen Unternehmen. Die Entlastung bei der Vermögen-, Gewerbe- und Kapitalsteuer ist größer als bei den anderen Gruppen der Mineralölwirtschaft. Bei der Einlagerung der Pflichtvorräte wird außerdem zusätzliche Hilfe durch bundeseigene Industrieverwaltungsgesellschaften geleistet.Ich denke, daß dieser Katalog über die vom Bundesverfassungsgericht im Jahre 1971 aufgestellten Forderungen hinausgeht, und bitte daher das Hohe Haus um die Annahme dieses Gesetzes. Ich möchte hinzufügen, daß uns selbstverständlich daran gelegen war, den mittelständischen freien Mineralölhandel auf Dauer zu erhalten, denn wir alle wissen, daß wir ihn im Wettbewerb gegen die Großen benötigen, damit er auch preisregulierend wirkt, wobei ich nicht verkenne, daß es auch Zeiten gab, in denen er uns Probleme gebracht hat.Die zweite Säule einer verbesserten Mineralölbevorratung ist die Bundesrohölreserve, die Sie, Herr Abgeordneter Narjes — Sie sind ja Vorsitzender des Ausschusses —, angesprochen haben. Die ersten 400 000 t sind inzwischen eingelagert worden, teilweise in Kavernen, teilweise erst in Zwischenlagern. Der Kavernenausbau, zu dessen zügiger Fortführung — Sie nannten es „Tag- und Nachtausbau" — Sie aufgefordert haben, ist durch technische Probleme bei der Aussohlung in den letzten Monaten verzögert worden. An den Zielen der Einlagerung hat sich dadurch nichts geändert. Ich kann heute auch feststellen, daß gestern die weitere Aussohlung wieder aufgenommen worden ist. Aber, ich bitte um Verständnis dafür, daß gegen einen technischen Effekt bei der Aussohlung auch die Bundesregierung nichts zu unternehmen vermag; Leitungsbruch und ähnliche Dinge haben dies bewirkt.
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Bundesminister Dr. FriderichsIm Rahmen des Haushalts und der Finanzplanung sind Finanzmittel in dem vorgesehenen und notwendigen Umfang bereitgestellt worden. Von großer Bedeutung ist die ausreichende Bevorratung der Verbraucher, die wir — und das war ja ein Gegenstand der Diskussion — generell der Selbstverantwortung der Betroffenen überlassen. Die Pflichtbevorratung wurde also nur für Ölkraftwerke im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft unterstützt. Ein entsprechender Richtlinienentwurf ist im Ministerrat beraten worden, und wir hoffen, daß die noch bestehenden Einwände eines Partners in der nächsten Sitzung des Energierates überwunden werden können. Die Formulierung „eines Partners" zieht sich ja wie ein roter Faden durch die angestrebte Form einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik. Bitte, nehmen Sie es mir ab, wenn ich Ihnen sage, daß wir viel Geduld, viel Mühe und auch viele persönliche bilaterale Beziehungen eingesetzt haben, um dieses Wort „eines Partners" nicht noch öfter negativ apostrophieren zu müssen.Die bisherigen Gespräche und das Verhalten der Verantwortlichen im gewerblichen und im öffentlichen Bereich bieten keinen Anlaß, unsere generelle Einstellung zu diesem Thema zu ändern. Nichts geändert hat sich auch an den Zielen des Aufbaus einer Steinkohlereserve. Die Halde beträgt heute 4,5 Millionen t. Damit ist die Reserve der Unternehmen gegenüber dem ungewöhnlichen Tiefstand von 2,6 Millionen t Ende Januar dieses Jahres wieder im Aufbau. Wir werden an Hand der weiteren Entwicklung des Kohlemarktes entscheiden, ob die in der Fortschreibung festgelegte Absicht, ab 1977 Finanzmittel für diesen Zweck bereitzustellen, weiterhin angemessen ist oder geändert werden muß.Mit der Verabschiedung des Energiesicherungsgesetzes am 5. Dezember ist ein weiterer wesentlicher Schritt zur Schaffung des Krisenmanagements vollzogen worden. Erste Grundsätze zur Ausfüllung dieses Mechanismus wurden im Februar im Verwaltungsrat der Internationalen Energieagentur verabschiedet. Zur Zeit wird in einem Handbuch der Handlungsrahmen bei Krisen festgelegt.Auf dem Sektor des Mineralöls schließlich steht neben der Bevorratung die Sicherung der notwendigen Ölversorgung im Vordergrund. Unsere bilateralen Bemühungen zur Zusammenarbeit mit Förderländern — ich nenne den Iran, Saudi-Arabien und andere Länder als Beispiel — sind mit Nachdruck weitergeführt worden, und zwar nicht nur im ausschließlich ökonomischen Rahmen, sondern auch — wie Sie bemerkt haben — durch die Aktivitäten des Kollegen Außenministers, besonders bei seiner letzten Reise. Der permanente gegenseitige Kontakt auf der Suche nach Kooperationsprojekten hat die Gespräche zwischen Förderländern und uns jedenfalls erheblich versachlicht. Mit Saudi-Arabien hat die VEBA einen mehrjährigen Rohölliefervertrag in Verfolg einer gemeinsamen Reise von Regierung und Wirtschaft abgeschlossen. Die Verhandlungen mit dem Iran über den Bau einer Exportraffinerie befinden sich allerdings in einem kritischen Stadium. Beide Partner versuchen, in den offenen Fragen noch konstruktive Kompromisse zu finden. Mehr sollte man bei schwebenden Verhandlungen dieses Schwierigkeitsgrades öffentlich nicht sagen.Eine internationale Zusammenarbeit kann für die Bundesrepublik nur dann erfolgreich sein, wenn wir einen im Weltmaßstab kooperationsfähigen Mineralölpartner im eigenen Lande haben. Die notwendige Voraussetzung für die inzwischen fast abgeschlossene Zusammenfassung von VEBA und Gelsenberg wurde durch die sogenannte Minister-Erlaubnis des Kartellgesetzes geschaffen. In diesem Falle hatte das energiewirtschaftliche Anliegen Priorität.Die Monopolkommission hat schließlich vorgestern das Gutachten zum Zusammenschluß vorgelegt. Darin werden neben einigen kritischen wettbewerbspolitischen Anmerkungen keine Einwendungen gegen die gesamtwirtschaftlich überwiegenden Gründe der Bundesregierung für den Zusammenschluß erhoben. Ich möchte hier der Monopolkommission nicht nur ausdrücklich für die Erstellung des Gutachtens danken, ich bin vielmehr der Meinung, daß ihre Arbeit uns auf dem Weg einer realitätsbezogenen Fortentwicklung des Wettbewerbs einen erheblichen Schritt vorangebracht hat, den wir nicht unterschätzen sollten.Lassen Sie mich hinzufügen: In dem Gutachten ist auch interessant, daß bei der wettbewerbsrechtlichen und wettbewerbspolitischen Beurteilung dieses Zusammenschlusses eine konkrete politische Zielsetzung der Regierung, nämlich das Energieprogramm, Mitursache für die Einstellung der Monopolkommission zur Frage des Gemeinwohls war. Hier zeigt sich, wie wichtig es auch war, ein Programm zu formulieren, das damit auch als Gegenstand der dann nicht mehr nur nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Fakten herangezogen werden konnte.Entscheidend aber, glaube ich, ist jetzt die Aktivität dieses neuen Konzerns. Ich bin nach der Form des Zusammenschlusses — ich meine jetzt den faktischen Vollzug — zuversichtlich. Beispiele wie die derzeit laufenden Verhandlungen zwischen VEBA und der amerikanischen Gesellschaft Gulf über die umfassende Zusammenarbeit bei allen europäischen Aktivitäten hinsichtlich einer Beteiligung der VEBA an der Raffineriekapazität von 25 Millionen Tonnen, ,dem Tankraum von zirka 350 Millionen Tonnen und bei den Nordseebeteiligungen geben hierzu Berechtigung. Hier zeigt sich, wie richtig es war, einen starken Partner im nationalen Bereich zu schaffen.Meine Damen und Herren, mit diesen Verhandlungen — VEBA mit einem amerikanischen Konzern — zeigt sich aber auch, wie richtig meine Einstellung gegenüber der amerikanischen und internationalen Ölwirtschaft war: daß die Gründung eines deutschen kooperationsfähigen Konzerns nicht eine Maßnahme gegen die internationalen Mineralölkonzerne, sondern das Angebot zu einer Kooperation auch in unserem Lande war — wie ich meine, zum Nutzen unserer Volkswirtschaft.Unser Instrument zur Rohölbeschaffung und -suche ist die Deminex. Mit dem Erwerb der briti-
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Bundesminister Dr. Friderichsschen Tochter der kanadischen Firma United Canso hat die Deminex eine Beteiligung an einem produzierenden Ölfeld in der Nordsee erworben. Für die Konzessionen an der Westküste Grönlands wurden Zuschläge zugunsten von Unternehmensgruppen, zu denen die Deminex gehört, erteilt. In der Frage der Neuordnung des Deminex-Gesellschafterkreises konnten ebenfalls Fortschritte gemacht werden. Die Bundesregierung hofft, daß dieser schwierige Fragenkomplex noch im nächsten Monat zum Abschluß gebracht werden kann.Beim Erdgas hat die Bundesregierung für 1985 eine Erhöhung des Versorgungsanteils auf 18 °/o vorgesehen. Es ist unserer Erdgaswirtschaft seit der Vorlage der Fortschreibung gelungen, diesem Ziel näherzukommen und weitere Erdgasmengen für den deutschen Markt zu kontrahieren: zirka 3 Milliarden bis 3,5 Milliarden Kubikmeter zusätzlich aus dem Ekofisk-Feld im norwegischen Teil der Nordsee, 5,5 Milliarden Kubikmeter ab 1980/81 aus dem Erdgas-Dreiecksgeschäft zwischen dem Iran, der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, ich erinnere mich daran, daß ich über diesen letzten Punkt zum erstenmal mit dem Schah von Persien am 5. Oktober 1973 gesprochen habe und daß manche bei meiner Rückkehr in die Bundesrebuplik glaubten, man müßte auf den Geisteszustand untersucht werden, wenn man auf die Idee käme, Erdgas über mehr als 5000 Kilometer, fast 6000 Kilometer weit zu transportieren. Hier zeigt sich, daß es innerhalb von anderthalb Jahren gleichwohl möglich war, diesen Weg zu gehen. Wir sind uns dabei bewußt, daß auch im Erdgasbereich der Anteil der Importe kontinuierlich steigt. Die Bundesregierung versucht deshalb, vor allem unsere Erdgasbezüge zu diversifizieren. Außerdem haben wir im Inland das Tiefbohrprogramm intensiviert. Nach dem heutigen Stand können wir bis 1985 damit rechnen, daß etwa ein Viertel der verbrauchten Menge aus heimischer Produktion, etwas über 30 % aus den Niederlanden und etwa 10 % aus Norwegen zur Verfügung stehen, insgesamt also aus dem europäischen Raum einschließlich der Bundesrepublik zwei Drittel. Am Rest der Versorgung, nämlich dem einen Drittel, könnten, wenn alles planmäßig verläuft, Algerien mit 16 % und die Sowjetunion — einschließlich der über sie geleiteten Mengen aus dem Iran — zu etwa 18 % beteiligt sein.Sie merken daran, daß wir unter der Frage Diversifizierung und Sicherheit nicht nur die Quelle, sondern auch den Transportweg mit in die regionale Betrachtung einbeziehen. Ich glaube, daß dies unter Sicherheitsgesichtspunkten ein akzeptables Ergebnis ist.Bei dem wichtigsten heimischen Energieträger, der Steinkohle, hat sich die Situation durch die Ölkrise — außerordentlich günstige Absatzmöglichkeiten bei weltweit engem Kohlemarkt und kräftige Preissteigerungen — im vergangenen Jahr grundlegend gebessert. Die Bundesregierung hat den Bergbau in der Fortschreibung aufgefordert, sich auf eine Förderkapazität von 94 bis 95 Millionen Tonnen per 1980 einzustellen. Damit ist nach vielen Jahren der Krise mit ständig schwindender Förderung für den Bergbau eine neue Phase angebrochen. Wir sollten nicht allzu lange in der Vergangenheit herumwühlen. Ich wäre selbstverständlich in der Lage, die Schrumpfungsphasen der 60er Jahre auch quantifiziert darzulegen. Entscheidend, finde ich, ist aber, daß für diesen Wirtschaftszweig nach fast fünfzehnjähriger Talfahrt mit unterschiedlichem Tempo des Abwärtsganges sich jetzt die Lage stabilisiert hat und nicht mit einer weiteren Einschränkung der Förderung per 1980 zu rechnen ist.Die Opposition hat in ihrem Minderheitsbericht den Zeitraum 1980 kritisiert. Meine Damen und Herren, übersehen Sie dabei bitte nicht den Unterschied zwischen der Prognose für alle Energieträger und der speziellen Kohlezahl. Ich meine, es wäre falsch gewesen, für das quantitative, mit staatlichen Mitteln abgesicherte Kohleziel derzeit weiterzugehen. Wir haben in der Fortschreibung bewußt, meine Damen und Herren, eine tagespolitisch zwar attraktive, langfristig aber falsche Euphorie vermieden, weil ich glaube, daß den Beschäftigten in diesem Zweig und den Unternehmen früher mit Euphorie und falscher Langfristprognose nicht gedient war.
Ich glaube, daß sich hier eine konsequente, sachliche Politik auszahlt, und ich habe auch den Eindruck, daß die Menschen an Rhein und Ruhr diesem Realismus eine größere Achtung zollen als irgendwelchen Projektionen auf euphorischer Tagesbasis, die sich insbesondere nach dem 4. Mai als gegenstandslos erweisen könnten.Der Bundesregierung geht es darum, mittelfristig zu einer Stabilisierung zu kommen und neues, an realistischen Daten ausgerichtetes Vertrauen in den deutschen Bergbau hineinzutragen. Die skeptische Haltung ist heute weitgehend gewichen. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht übersehen, meine Damen und Herren, daß die naturgegebenen Kostennachteile für die deutsche Kohle fortbestehen. Die neue Stellung der Kohle in der Energieversorgung hat die Bundesregierung durch konkrete Maßnahmen untermauert. Das Inkrafttreten des Dritten Verstromungsgesetzes wird den erhöhten Einsatz von Steinkohle in der Kraftwirtschaft absichern. Mit den in der Fortschreibung erhöhten Investitionshilfen werden die gerade in der jetzigen Situation dringend notwendigen Investitionen erleichtert. Zusätzlich haben wir mit dem Konjunkturprogramm vom Dezember 1974 225 Millionen DM Sonderhilfe bereitgestellt. Die Kohleforschung wird mit allen Kräften vorangetrieben. Einige wichtige Fragen sind aber noch offen. Auch dies soll gesagt werden.
Da ist zunächst der Zubau neuer Steinkohlekraftwerke. Für die Bundesregierung ist die Zusage der Elektrizitätswirtschaft zum Bau von 6 000 Megawatt neuer Steinkohleleistungen vom Herbst 1973 maßgeblich. Wir sind zur Zeit mit der Elektrizitätswirtschaft im Gespräch darüber, eine möglichst weite Ausfüllung zu erreichen. Einschließlich eines 700-Megawatt-Blocks, über den in den letzten Tagen entschieden wurde, sind jetzt neue Steinkohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von knapp 4 000 Megawatt im Bau bzw. der Baubeginn steht unmit-
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Bundesminister Dr. Friderichstelbar bevor. Das bedeutet, daß zwei Drittel der zugesagten 6 000 Megawatt neuer Leistungen durch Entscheidungen belegt sind, wobei insbesondere auch das Investitionszulagengesetz in den letzten Wochen seine Wirkung gezeigt hat. Weitere Entscheidungen der Elektrizitätswirtschaft werden von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und dem damit zusammenhängenden Stromverbrauchszuwachs sowie insbesondere von der Verwirklichung des Kernenergieprogramms der Bundesregierung beeinflußt. Die konjunkturell bedingte geringe Stromzuwachsrate von nur knapp 3 % im Jahr 1974 ist ein wichtiges Datum für die Zurückhaltung der Stromwirtschaft bei Abschluß von neuen Stromlieferverträgen. Niemand kann die Errichtung zeitweiliger Investitionsruinen verlangen. Sie würden sicher die Einsicht der Bevölkerung in die Notwendigkeit des Kraftwerkbaus nicht erhöhen. Wir müssen ja auch das Problem sehen, daß wir nicht schwierige Genehmigungsverfahren durchstehen und uns am Ende dann vorhalten lassen müssen, wir hätten selbst Ruinen errichtet. Der Bau steht also jeweils in einer Relation zu der zukünftigen Entwicklung.Meine Damen und Herren, der deutsche Kohleexport kann nicht langfristig zu Lasten der deutschen Steuerzahler aufrechterhalten werden. Wir müssen deshalb auf eine langfristige Absicherung des Großteils der Exporte zu kostendeckenden Bedingungen drängen. In der Europäischen Gemeinschaft haben wir daher unmißverständlich die neue Einstellung der Bundesregierung mitgeteilt.Einen neuen Weg gehen wir in der Fortschreibung bei der Kokskohle, die ja nicht nur Energieträger, sondern auch Rohstoff ist. Die Bundesregierung ist bereit, die Einfuhr von 3 Millionen Tonnen Kokskohle zur Verwendung in der Eisen- und Stahlindustrie zuzulassen. Dies wurde aber bewußt von einer Einigung zwischen Bergbau und Stahlindustrie über ihr zukünftiges partnerschaftliches Verhältnis abhängig gemacht.
Diese Einigung ist bisher nicht erfolgt. Bei allem Verständnis für das Interesse der beiden Parteien, die sich ändernde Marktlage zu beobachten und in die Verhandlungen einzubeziehen: Die Bundesregierung muß erwarten, daß die Verhandlungen rasch zu einem Ergebnis führen, denn die Vorlage des Kohle-Zollkontingentgesetzes an dieses Haus ist erforderlich.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier noch auf einen Tatbestand aus der Vergangenheit hinweisen. Ich glaube, daß man sagen darf, daß das Verhältnis zwischen Stahl und Kohle, so wie es seinerzeit im Hüttenvertrag bei Gründung der Ruhrkohle AG ausgehandelt wurde, von einer extrem ungünstigen Verhandlungsposition der Kohle und einer extrem günstigen Verhandlungsposition des Stahls geprägt war.
Ich verstehe, daß der Partner, der damals Vorteile heraushandeln konnte, von diesen ausgehandelten Vorteilen heute ungern herunter möchte. Meine Damen und Herren, die Zeiten haben sich aber geändert. Ich hoffe, daß dieses schleppende Tempo der derzeitigen Verhandlungen nicht von der Erwartung eines Partners geprägt ist, bei einer schlechteren Stahlkonjunktur in den nächsten Monaten eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber der Kohle zu haben. Ich glaube nicht, daß derartige taktische Überlegungen für den Verhandlungsstand maßgeblich sind, daß die Unternehmungsleitungen der deutschen Stahlindustrie wissen, daß es hier nicht um einen Einmalakt des Sommers 1975 geht, sondern letztendlich doch um eine langfristige partnerschaftliche Zusammenarbeit. Denn wir alle wissen, daß die deutsche Stahlindustrie auch in Zukunft ihre Produktion in der jetzigen Form ohne eine zur Verfügungstellung deutscher Kokskohle nicht aufrechterhalten kann.
Deswegen bin ich immer sehr vorsichtig, wenn mit dem berühmten Wettbewerbspreis operiert wird. Niemand kann berechnen, wie er aussähe, wenn plötzlich 25 Millionen Tonnen Nachfrage zusätzlich auf den Weltmarkt kämen.
Daher mein Aufruf von hier aus an beide Seiten, zügig zu verhandeln und das Ganze ein bißchen langfristig zu sehen.Bei der Braunkohle ist die Entscheidung über die Erschließung des Hambacher Forstes inzwischen gefallen. Dieser Energieträger und seine Chancen werden im Gegensatz zur Annahme der Opposition von der Bundesregierung sehr hoch eingeschätzt.Am stärksten in Bewegung gekommen ist in den letzten Monaten die Diskussion über die Kernenergie. Wir halten an der Zielsetzung der Fortschreibung, 45 000 bis 50 000 Megawatt per 1985, fest. Wir sind von der Notwendigkeit des raschen Ausbaus der Kernenergie überzeugt. Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Vorteilen gibt es hierzu keine energiepolitische Alternative. Die Aufgabe ist jedoch durch die Entwicklung der letzten Zeit nicht leichter geworden.In einem demokratischen Staatswesen kann und darf diese Entwicklung nicht auf Dauer gegen den Willen der Bürger erfolgen. Sie muß von den Bürgern akzeptiert werden. Hier gibt es sicher einen Nachholbedarf an offener und harter Diskussion. Die Bundesregierung ist gewillt, diese Diskussion zu führen. Sie ist überzeugt davon, daß die Bevölkerung am Ende einer solchen Diskussion bereit ist, die Notwendigkeit einzusehen, und vor allen Dingen davon überzeugt werden kann, daß unsere Sicherheitsvorschriften einmalig in der Welt und für sie daher ein totaler Schutz sind.Wir haben in der Fortschreibung des Programms gesagt, daß der Schutz der Bevölkerung vor möglichen Schädigungen absolute Priorität hat. Das ist ernst gemeint. Lassen Sie mich folgendes dazu sagen. Während wir sonst immer, wenn der Ziel-
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Bundesminister Dr. Friderichskonflikt zwischen Umweltschutz und Energieversorgung da ist, in der Lage sind, einen Kompromiß zu suchen, so sind wir bei der Frage der Sicherheit der Bevölkerung und den Notwendigkeiten der Energieversorgung nicht in der Lage, einen Zielkonflikt im Kompromiß auszuhandeln. Hier muß Sicherheit absolute Priorität haben. Ich kann den Kompromiß immer noch finden beim Zielkonflikt Belastung unserer Gewässer durch Abwärme und Energieversorgung. Hier sind immer noch Kompromisse möglich. Aber bei der Frage der Sicherheit der Bevölkerung kann es keinen Kompromiß geben.
Eine Quantifizierung menschlichen Risikos ist einfach nicht möglich.Deswegen haben wir ein so extrem gutes Genehmigungsverfahren, das in der Welt ja nun wirklich seinesgleichen suchen kann. Und wenn sich mancher beschwert, die Kraftwerke bei uns seien wegen der permanent gestiegenen Auflagen zu teuer: Nun, meine Damen und Herren, das ist eben der Preis, der für die Sicherheit gezahlt werden muß, ein Preis, den eben die Verbraucher zu zahlen haben; denn er wird natürlich im Strompreis weitergegeben.Lassen Sie mich aber hinzufügen: Wir können es nicht hinnehmen, daß in einem demokratischen parlamentarischen Rechtsstaat über den Bau von Kernkraftwerken plebiszitär entschieden wird. Das geht nicht.
Die Grundsatzfrage Kernenergie ja oder nein ist in einem parlamentarischen Rechtsstaat im Parlament zu entscheiden. Und dieses Parlament hat entschieden. Es hat ein Atomgesetz verabschiedet, und es wird in diesem Zusammenhang weitere Gesetze verabschieden.Im Einzelgenehmigungsverfahren allerdingskommt es darauf an, daß den Betroffenen rechtliches Gehör geschenkt wird. Hier ist sicher noch manches zu verbessern. Aber auch hier eine Bemerkung: Zu den wesentlichsten Bestandteilen eines demokratischen Rechtsstaats gehört die Gewährung rechtlichen Gehörs. Es darf aber auch nicht sein, daß das verfassungsmäßig garantierte Recht auf rechtliches Gehör des Betroffenen nicht mehr gewährleistet ist, weil emotionale Massenveranstaltungen eigentlich nicht mehr dem Betroffenen das rechtliche Gehör ermöglichen, sondern das so laut überlagern, daß er nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Position wahrzunehmen. Hier müssen die Dinge durch systematische Aufklärung in Ordnung gebracht werden.Ich darf hinzufügen: Jede Ungeschicklichkeit bei den ersten Genehmigungsverfahren ist ein Datum negativer Art für jedes weitere. Graf Lambsdorff hat vorhin schon angedeutet, es sei merkwürdig: in Biblis volksfestartiger Charakter, wenige Kilometer weiter Besetzungen. Wir sollten wissen, daß ein Höchstmaß an politischem Fingerspitzengefühl und — darf ich es so sagen — ein Übermaß an Aufklärung richtiger sind als der Versuch, die Dinge auf andere Weise zu lösen. Die Tatsache, daß das Kraftwerk in Biblis — es ist das größte der Welt — im letzten Jahr von 30 000 Menschen besucht worden ist, daß der Betreiber des Kraftwerks einen Informationspavillon in hervorragender Weise gebaut hat, beweist, daß Information der richtige Beitrag zur Durchsetzung des Programms ist.Wir haben es doch in allen energiekritischen Jahren erlebt: Wenn man der Bevölkerung das Problem einsehbar — nicht mit Schönfärberei und nicht mit Panikmache, sondern echt einsehbar — macht, ist sie bereit, auch einen schwierigen Weg mitzugehen. Das hat sie beim Sonntagsfahrverbot und bei ähnlichen Einschränkungen in der Privatsphäre bewiesen.Auch bei Kernenergie ein Wort zur Importabhängigkeit. Ich glaube, die Lage ist hier günstiger als beim 01; denn Uran ist weltweit in ausreichendem Umfang vorhanden; es ist vor allen Dingen auf zahlreiche Länder verteilt. Mit den meisten Lieferländern verbinden uns politische und enge wirtschaftliche Beziehungen. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts ist der Uranbedarf der deutschen Kraftwerke gedeckt. Wenn kritisiert wird, warum nicht länger, so muß ich sagen: einfach deswegen nicht, weil die Elektrizitätsversorgungsunternehmen selbst bisher bewußt, um die jeweils günstigsten Angebote am Weltmarkt nutzen zu können, keine längeren Lieferverträge abschließen wollten. Ich glaube allerdings, daß hier eine Neuorientierung der Einkaufspolitik, insbesondere ein längerfristiges Engagement, erforderlich ist. Eine Beteiligung der Verbraucher an den Vorkommen der Lieferländer stößt gelegentlich auf Schwierigkeiten. Andererseits sind die Produzenten aber in fast allen Fällen bereit, langfristige Lieferungen zuzusagen, wenn sich die Verbraucher an den Erschließungskosten der Uranvorkommen beteiligen. Auf diese veränderte Situation müssen sich die Kernkraftwerksbetreiber einstellen und die ihnen gebotenen Chancen nutzen. Der Staat wird auch hier künftig Hilfe geben. Ein verstärktes Engagement der deutschen Wirtschaft in diesem Bereich ist aber unabdingbar.Der Ausfuhrstopp der USA für Kernbrennstoffe vor einigen Tagen ist meines Erachtens kein Anlaß zur Beunruhigung. Die USA haben inzwischen die Sicherstellung der vertraglich vereinbarten Lieferungen zugesagt. Diese Aktion stand übrigens im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Überprüfung der Sicherheitsbestimmungen beim Umgang mit spaltbarem Material und mit kurzfristigen organisatorischen Problemen.In der überaus wichtigen Frage der Standorte, der Genehmigungsverfahren für Energieanlagen und den damit zusammenhängenden Fragen des Umweltschutzes sind seit Verabschiedung der Fortschreibung durch das Kabinett am 23. Oktober 1974 Fortschritte erreicht worden. Mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz und der Technischen Anleitung „Luft" wurde für den Bau von Energieanlagen mehr Rechtssicherheit geschaffen. Es ist klargestellt, wo und unter welchen Bedingungen Kraftwerke gebaut werden können. Es liegt jetzt in der Zuständigkeit der Länder, die verbesserten Grundlagen dort anzuwenden. Wir können erfreulicherweise feststellen, daß sich die Lage bei den nicht-nuklearen Energieanlagen entspannt hat. Jedenfalls war die Behauptung, das 6 000-Megawatt-Programm für Kohlekraftwerke werde
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11661
Bundesminister Dr. Friderichsan der TA „Luft" scheitern, unzutreffend. Denn allein die Genehmigung für Vörde zeigt, daß dieser Standort und andere Standorte mit der TA „Luft" vereinbar sind.Sorge macht die Kernkraft. Die Planung von Standorten für Energieanlagen, auch für Kernkraftwerke, war bisher ausschließlich Aufgabe der Unternehmen. Entscheidend waren dabei betriebswirtschaftliche Kriterien sowie behördliche Anforderungen der Raumordnung, des Umweltschutzes, der Sicherheit des Strahlenschutzes und anderes.Dieses Verfahren der individuellen Standortwahl muß angesichts der häufigen Besiedlungsdichte der Bundesrepublik Deutschland, der hier herrschenden Umweltprobleme und der konkurrierenden, ebenfalls Raum beanspruchenden anderen Planungen durch eine langfristige Standortvorsorge ergänzt werden.
Im Einzelfall wird diese Planung auch einmal dazu führen, meine Damen und Herren, daß betriebswirtschaftliche Rentabilitätsüberlegungen zurückgestellt werden müssen. Hier können wir über Verursacherprinzip reden, solange wir wollen — am Ende zahlt es die Summe der Verbraucher; denn kalkuliert wird es wohl in jedem Fall.Die Ausweisung von Alternativstandorten wird eine öffentliche Aufgabe sein, an der selbstverständlich die Elektrizitätsversorgungsunternehmen mitzuwirken haben; zuständig dafür sind die Bundesländer, bei denen im Rahmen der Raumplanung die flächenscharfe Ausweisung der Standorte liegt. Wir werden darauf zu achten haben, daß hierbei nicht unkoordiniert gehandelt wird, sondern daß eine Abstimmung zwischen den Ländern und dem Bund erfolgt, der ja für die Gesamtpolitik im Energiebereich Verantwortung trägt.Ich will hier nicht verhehlen, daß diese Zusammenarbeit mit elf Bundesländern bei Berücksichtigung des Gesamtkonzepts äußerst schwierig ist, weil verständlicherweise für jedes Land die landespolitischen Dinge Priorität haben, was nicht immer ohne Zielkonflikt mit der politischen Konzeption des Gesamtstaates ist. Ich hoffe, die Einsicht der Bundesländer bewahrheitet, daß wir von einem kooperativen Föderalismus sprechen können. Sollte das nicht der Fall sein, meine Damen und Herren, wird dieses Parlament prüfen müssen, ob es gesetzgeberische Maßnahmen ergreifen soll, um das gesamtstaatlich Erforderliche zu sichern. Ich begrüße, daß ein Bundesland, nämlich Baden-Württemberg, einen Entwicklungsplan für Kernkraftwerk-Standorte erarbeitet hat; hier befinden wir uns in der Abstimmung.Auch beim zweiten Komplex, dem Genehmigungsverfahren, sind Bund, Länder und Wirtschaft gemeinsam am Zuge. Es ist hier eine Straffung des Verfahrens notwendig, bei der natürlich kein Jota an Sicherheit verlorengehen darf. Die verfahrensrechtliche Situation und die Kompliziertheit der Einzelentscheidungen lassen das nicht zu, was draußen oft verlangt wird, nämlich die Patentlösung.Allerdings sind folgende Punkte ernsthaft zu prüfen und einer Lösung zuzuführen:Erstens die Vereinfachung der Standortgenehmigung durch ein Planfeststellungsverfahren zur Klärung aller standortrelevanten Rechtsfragen.Zweitens die Frage, in welchem Umfang es möglich ist, wichtige Standorte und bei Kernkraftwerken wichtige Bauteile schon vorweg unabhängig vom konkreten Projekt zu genehmigen.
Im Bereich der Kernkraftwerke heißt das, zu einer gewissen Standardisierung überzugehen. Das bedeutet aber auch, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmen bereit sein müssen, einen standardisierten Typ zu nehmen, nicht wieder einen besonderen Typ nach individuellen Vorstellungen —
ein Problem, das wir im Schiffsbau lange Zeit hatten, ehe man zu einer derartigen Serienfertigung übergegangen ist.
Bei der komplizierten, sich rasch fortentwickelnden Technologie und den schwierigen sicherheitstechnischen Fragen bleiben — das sollten wir allerdings offen zugeben — „Kraftwerke von der Stange" sicher ein Wunschtraum. Es sollte aber möglich sein, zu einer Standardisierung in Stufen zu kommen. Mein Besuch vor etwa zwei Wochen bei einem der bedeutenden Erbauer, der Kraftwerks-Union, zeigt, daß die Standardisierung begonnen hat.Drittens sind die Straffung und Spezialisierung des Gutachterwesens zu prüfen. Wir suchen Lösungen in der Richtung, daß z. B. ein Gutachter für ein spezielles Problem bei mehreren Kernkraftwerken eingesetzt werden kann — in Klammern: auch über die Ländergrenzen hinaus. Die Bundesregierung bereitet derzeit mit der Vierten Novelle zum Atomgesetz, mit der Neufassung der alten Atomanlagen-Verordnung und dem Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes die notwendigen Maßnahmen vor.Der Bereich der Energieeinsparung konnte im Energieprogramm und in der Fortschreibung nur im Grundsatz angesprochen werden; sie ist noch weiter zu entwickeln. Wir bewegen uns hier auf Neuland und müssen unsere Schritte daher gut überlegen. Ich bejahe eine Politik des rationellen und sparsamen Energieverbrauchs. Die Bundesregierung wird dem Hohen Hause in den nächsten Tagen eine Antwort auf die Große Anfrage zu diesem Thema der Energieeinsparung vorlegen; sie wurde gestern vom Kabinett gebilligt. Wir werden hier Maßnahmen aufzeigen, von denen wir erwarten, daß damit Energieeinsparungen im Jahr 1980 um etwa 18 bis 22 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten des geschätzten Bedarfs und im Jahre 1985 um etwa 35 bis 40 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten möglich sein werden. Verkennen darf man natürlich nie, daß Energieeinsparungen meist wiederum mit sehr ho-
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Bundesminister Dr. Friderichshen Kosten verbunden sind, so daß auch hier in einem marktwirtschaftlichen System eine Reihe anderer Komponenten einfließen.Der dritte energiepolitische Komplex, der heute zur Entscheidung ansteht, ist die Ratifizierung des internationalen Programms. Dieses Abkommen hat für die deutsche Volkswirtschaft angesichts ihrer weltweiten energiewirtschaftlichen Verflechtung hohe Bedeutung. Mit ihm ist erstmals in der Geschichte der Industrienationen ein umfassendes Programm zur Lösung der weltweiten energiepolitischen Probleme durch Zusammenarbeit geschaffen worden. Ich kann mit Befriedigung feststellen, daß das Abkommen von allen Ausschüssen einstimmig gebilligt wurde. Die Ergänzung der nationalen energiepolitischen Anstrengungen durch eine internationale Zusammenarbeit im Bereich der Europäischen Gemeinschaft, zwischen den wichtigen Verbraucherländern und mit den erdölproduzierenden Ländern ist gerade seit den exzessiven Ölpreissteigerungen eine Frage von zentraler Bedeutung. Unser Ziel ist die Sicherung der Energieversorgung entsprechend dem Wachstum der Weltwirtschaft, die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Weltenergiemärkte und letztlich damit der Weltmärkte allgemein.Ein integraler Bestandteil dieses Programms ist der Versuch eines Dialogs zwischen den ölverbrauchenden und den ölerzeugenden Ländern. Wir haben uns seit der Energiekonferenz von Washington im Februar 1974 gemeinsam mit den übrigen Industriestaaten bemüht, die Voraussetzungen für einen solchen Dialog zu schaffen. Wir hätten daher — lassen Sie mich das bekennen — der Vorkonferenz von Paris einen glücklicheren Verlauf gewünscht.Der Dialog ist allerdings nur ein Ziel des internationalen Programms, das Ihnen zur Ratifizierung vorliegt. Die andere große Säule des Abkommens ist die politische Zusammenarbeit der Verbraucherländer untereinander. Das Programm sieht ja doch einen Krisenmechanismus vor, der vorläufig in Kraft und auch einsatzfähig ist, ein umfassendes internationales System zur Transparenz der Ölmärkte, eine gemeinsame Politik im Bereich der Energieeinsparung. Die beteiligten Länder haben sich im Februar als konkretes Einsparungsziel vorgenommen, den Energieverbrauch 1975 auf dem Niveau von 1973 zu halten.Im Bereich der Energieforschung wurden gemeinsame Probleme der Abwärmenutzung, der Energiegewinnung aus Haus- und Industriemüll und der Herstellung von Wasserstoff aus Wasser beschlossen; andere Projekte sind in Vorbereitung.Das Internationale Energieprogramm sieht auch die gemeinsame Entwicklung alternativer Energien vor. Hierzu wurden in den vergangenen Monaten eine ganze Menge von Vorschlägen gemacht. Wir haben uns in der internationalen Agentur darauf geeinigt, einen doppelten Lösungsansatz zu suchen: erstens die Kooperation zwischen den interessierten Mitgliedsländern bei konkreten Projekten, bei teuren und billigen, und zweitens — das Thema hat Herr Narjes ja auch angesprochen — die Absicherung eines Teils der Investitionen bei konventionellen Energien durch die Festlegung einer Preisuntergrenze für importiertes Rohöl. Bei ihrem Unterschreiten würden durch die Verbraucherländer Schutzmaßnahmen für diese Investitionen ergriffen. Wir haben dies unterstützt und akzeptiert in dem Bewußtsein, daß ein solcher Akt der internationalen Solidarität notwendig ist und gewisse Effekte für die zusätzliche Entwicklung alternativer Energien hat. Wir haben unsere Zustimmung aber davon abhängig gemacht, daß eine solche Preisuntergrenze im Vergleich zum heutigen Rohölpreis sehr niedrig liegen muß. Dies ist möglich, denn eine solche Preisuntergrenze soll ja nicht alle Energien und/oder alle Risiken abdecken.Aber lassen Sie mich in Ergänzung dessen, was Graf Lambsdorff gesagt hat, etwas hinzufügen. Wir haben einer solchen Preisuntergrenze nicht mit viel Freude zugestimmt, sondern internationale Solidarität und unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika waren vielleicht ausschlaggebendere Motive als die nur ökonomischen. Denn, meine Damen und Herren, eines ist sicher' Wenn die Preisuntergrenze sehr tief liegt, wird es eine Reihe interessanter Alternativenergien geben, die zwischen dieser Preisuntergrenze und dem jetzigen Mineralölpreis liegen, die also durch die Preisuntergrenze eben nicht abgedeckt sind und die wir konkret durch Garantiemechanismen abdecken müssen. Andererseits würde ein höherer Mindestpreis, wie er offensichtlich dem amerikanischen Außenminister einmal vorgeschwebt hat, nichts anderes — Herr Kollege Narjes — als eine Stabilisierung des jetzigen Preisniveaus durch die Verbraucherländer bedeuten. Ich möchte uns alle davor bewahren, daß wir eines Tages wach werden und in der Weltenergiewirtschaft eine Marktordnung à la europäischer Agrarmarkt haben; denn hier sehen wir die Konsequenzen für Produktion und Kosten. Diesen Weg möchte diese Bundesregierung zu verhindern versuchen; denn er wird am Ende für uns wahrscheinlich am teuersten.Wir müssen immer wieder sehen, daß die Vorschläge anderer Länder — z. B. der Amerikaner — aus ihrer Sicht, aus ihrem nationalen Interesse richtig sein können, aber nicht für die Bundesrepublik Deutschland richtig sein müssen. Es ist ein Unterschied, ob ich sieben oder zehn Prozent meiner Primärenergie importiere oder aber wie wir 55 % und bei Mineralöl über 90 %. Die Bundesregierung — jedenfalls erinnere ich mich an den Eid, den wir alle geleistet haben — ist zunächst einmal dazu da, den Nutzen unseres eigenen Volkes zu mehren. Daher haben wir bei aller internationalen Solidarität doch auch wohl noch die Legitimation, unsere eigenen Interessen einzubringen.
Die Zusammenarbeit beschränkt sich aber nicht auf die spezifisch energiepolitischen Probleme, sondern geht natürlich auch in die allgemeinen wirtschaftspolitischen Probleme und monetären Fragen über. Hierzu ist einiges gesagt worden. Die OECD hat einen Solidaritätsfonds von 25 Milliarden Dollar geschaffen. Er soll im Notfall unter strengen wirt-
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Bundesminister Dr. Friderichsschaftspolitischen und energiepolitischen Konditionen eine Zahlungsbilanzhilfe zur Verfügung stellen. Er ist aber kein Inflationspotential, sondern eine finanzpolitische Eingreifreserve, und das muß er auch bleiben, auch wenn einige andere glaubten, auch zwischen diesen beiden Zielen könne man einen leichten Kompromiß finden.Wenn Sie, Herr Abgeordneter Narjes, sagen, daß die extreme Steigerung der Erdölpreise die westlichen Industrienationen in die bedrängte Situation — Zahlungsbilanzausgleich usw. — gebracht habe, dann sollten wir aber auch den Mut haben, zu sagen, daß die Tatsache, daß die westlichen Industrienationen so unterschiedlich getroffen worden sind, nicht nur auf ihrem Einfuhranteil beruht, sondern insbesondere darauf, auf wie gesunde Volkswirtschaften diese Belastung zugekommen ist. Wenn wir unseren Zahlungsbilanzausgleich im letzten Jahr selbst geschafft haben, wenn wir den höchsten Exportüberschuß in der Geschichte der deutschen Wirtschaft haben und wenn die deutsche Mark im Ausland extrem hoch bewertet wird, dann zeigt das, daß unsere Wirtschaft offensichtlich so gesund ist, daß sie trotz dieser Belastungen von außen einen vernünftigen Weg hat gehen können. Manche im Inland haben dies noch nicht zur Kenntnis genommen. Ich hoffe aber, es wird gelingen, diesen Lernprozeß in den nächsten Wochen und Monaten nachzuholen.
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, Ihnen eine Analyse und eine Konzeption, wie diese Regierung sie vertritt, darzulegen — ungeschminkt, ohne Schönfärberei, ohne Panikmache, ganz einfach so, wie die Dinge liegen. Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung anfügen. Ich glaube, es war gut, daß wir nicht dem Drängen von Teilen dieses Parlaments nachgegeben haben, mitten in der seinerzeitigen Ölpreis- und Ölmengenkrise das Programm fortzuschreiben. Wir sollten uns eines grundsätzlich angewöhnen: In kritischen Akutsituationen sollten wir von der Erarbeitung langfristiger Konzeptionen die Finger lassen. Sie sind immer falsch, weil sie immer von falschen Voraussetzungen ausgehen. Wir sollten kritische Akutsituationen mit Krisenmanagement und mit dafür erforderlichen Dingen kurzfristig meistern.Wir sollten aber in einer Normalphase, in der mit mehr Ruhe und mit ein bißchen innerer Distanz die Dinge bearbeitet werden, an die Langfristausarbeitung gehen. Deswegen haben wir bewußt die Fortschreibung des Programms nicht in den Wintermonaten 1973/74 vorgenommen, sondern mit einem gewissen Abstand dazu. Ich glaube, nur deswegen waren wir auch in der Lage, heute in einer so sachlichen Form miteinander zu diskutieren.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Russe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Minister, ich darf zunächst das aufgreifen, was Sie hier jetzt zuletzt festgestellt haben. Wir stimmen Ihnen völlig darin zu, daß man sich nicht aus aktuellen, akuten Anlässen zu irgendeiner Tat hinreißen lassen soll, sei es auf dem Gebiet der Prognose, sei es auf dem Gebiet der Zielausformungen, oder was auch immer in diesem Zusammenhang noch genannt werden könnte. Wir sind allerdings ebenso der Meinung -- das ist der Komplex, der jetzt von mir hier darzustellen und zu beschreiben notwendig sein wird —, daß man einen solchen Komplex wie die Fortschreibung des Energieprogramms nicht unbedingt vor ins Haus stehenden Wahlen in diesem Hohen Hause behandeln sollte. Auch das dient nicht der unbedingten sachlichen Auseinandersetzung um diese nicht so leicht zu nehmende Aufgabe, nämlich um die Energiepolitik im weitesten Sinne des Wortes.
— Wehren Sie sich mit einem kleinen Stöckchen, Herr Kollege Ehrenberg. Ich komme darauf noch zurück.
— Graf Lambsdorff, Ihre Behauptung wird nicht dadurch wahrer, daß sie von Ihnen ausgesprochen wurde bzw. wird, nämlich die Behauptung, daß wir in den Beratungen nicht anwesend gewesen seien. Weil Ihnen unsere Aussage nicht ganz paßt, versuchen Sie — jedenfalls in der konkreten Auslassung heute morgen — einen Keil zwischen den Vorsitzenden des Ausschusses, den Herrn Kollegen Narjes, und die Mitglieder unserer Fraktion im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages zu treiben.
Das könnten Sie sich sparen; das werden Sie nicht fertigbringen. Wir üben Solidarität, aber nicht nur nach außen hin, sondern auch nach innen. Auch dazu wird noch einiges festzustellen sein.
— Graf Lambsdorff, sehen Sie, das ist wieder solch eine billige Tour von Ihnen. Lassen Sie mich das einmal in aller Deutlichkeit auch in diesem Hohen Hause sagen. Es ist doch nichts Besonderes, wenn ein Kollege dieses Hauses herausgebeten wird, weil irgendein Anruf oder sonst etwas von ihm erwartet wird. Was meinen Sie denn, warum ihn sonst der Saaldiener herausgebeten hat?Graf Lambsdorff, ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Wir täten uns viel leichter, wenn in Zukunft eine Basis der sachgerechten Verständigung gewährleistet würde.
Wir müssen heute in diesem Hohen Hause eine Energieprogrammdebatte führen, deren erkenntnistheoretische und praktische Voraussetzungen und Grundlagen sich, was die Vorlagen der Bundesregierung und der Koalitionsparteien anlangt, gegen-
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Russeüber Dezember 1974 nicht wesentlich verändert haben.Ich muß zugestehen, Herr Minister, Sie haben mit Ihrer Rede am heutigen Vormittag einen zusätzlichen Beitrag geliefert. Wir wären dankbar gewesen, wenn wir das bereits — dies ist kein Vorwurf, sondern nur eine Feststellung — im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages zu angemessener Zeit hätten erfahren können. Wir hätten dann nicht von uns aus die Notwendigkeit gesehen, das erst heute in diesem Hohen Hause ergänzend zu tun. Warum nicht?
— Herr Kollege Wolfram, darauf komme ich gleich noch, was Ihre Informationen betrifft.Es ist doch gar kein Zweifel, daß sich der federführende Wirtschaftsausschuß lediglich in drei Sitzungen — und dies nur jeweils während weniger Stunden — mit diesem Thema beschäftigt hat. Ich habe gesagt: er hat sich „beschäftigt". Aber wir haben keine Gelegenheit gehabt, auch nur die wichtigsten Fragen in einer angemessenen Zeit und in einer Art und Weise zu erörtern, die der Bedeutung dieses Programms entsprochen hätte.
Meine Damen und Herren, dies ist ein Vorgang, wie wir ihn schon bei manch anderer Gelegenheit erlebt haben und gegen den ich mich für meine Fraktion energisch verwahren muß.
— Ich weiß, daß Ihnen das nicht sonderlich gefällt. Ich sage das aber mit dieser Deutlichkeit, um klarzustellen, daß sich meine Fraktion an dem Schauturnen, Herr Kollege Wolfram, welches Sie jetzt im Hinblick auf die Wahlen am 4. Mai im Saarland und in Nordrhein-Westfalen veranstalten wollen und heute morgen veranstaltet haben,
nicht in dem von Ihnen gewünschten Sinne beteiligen wird. Nehmen Sie das zur Kenntnis!
Das ist im Rahmen dieser Debatte auch deshalb besonders gefährlich, weil Entscheidungen in der Energiepolitik für unsere Volkswirtschaft nach wie vor von geradezu schicksalhafter Bedeutung sind. Auch wenn die Öffentlichkeit wegen der mengenmäßig gegenwärtig völlig befriedigenden Versorgungslage den Eindruck hat, als gäbe es keine energiepolitischen Probleme mehr, so wissen wir alle es besser. Um so mehr hätten wir Gelegenheit haben müssen, die wirklichen Probleme unserer künftigen Energieversorgungslage eingehend miteinander zu beraten,
damit sich die Bürger dieses Landes nicht nur in scheinbarer Ruhe wiegen, sondern auf Grund praktischer und erfolgreicher Energiepolitik wirklich in Ruhe leben können. Das Hohe Haus muß davon Kenntnis nehmen, daß zahlreiche Fragen, darunter eine Reihe der wichtigsten — ich nenne nur die Fragen der Finanzierung, der Interdependenz von Umweltschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung; gerade letzteres spielt in der öffentlichen Diskussion im Augenblick eine sehr wichtige Rolle —, im Ausschuß für Wirtschaft überhaupt nicht — ich wiederhole: überhaupt nicht — diskutiert worden sind.
So kann man im Parlament, so kann man in einem Ausschuß nicht verfahren.
Wer dennoch so verfährt, wie Sie von den Koalitionsfraktionen es mit der erzwungenen Abstimmung und den erzwungenen parlamentarischen Beratungen just am heutigen Tage getan haben, der denaturiert die Parlamentsausschüsse, und zwar zu einem Vollzugsorgan der Regierung bzw. der die Regierung tragenden Parteien.
Aber ich weiß, Sie schielen natürlich mit beiden Augen nach dem 4. Mai,
nehmen die geäußerten Absichtserklärungen für die energiepolitische Tat und versuchen, sich auf diese Art und Weise, wenn Sie so wollen, Lorbeerkränze zu winden, nachdem Ihnen die Argumente an Rhein und Ruhr, was andere politische Probleme angeht, offensichtlich ausgegangen sind.
Ich sage Ihnen aber jetzt schon, daß sich die Öffentlichkeit von dem Schein, den Sie für die Wirklichkeit ausgeben, nicht blenden lassen wird. — Herr Kollege Wolfram, nehmen Sie einmal zur Kenntnis: Ich rede in diesem Hohen Hause, wozu ich will.
— Das geht Sie einen Dreck an, und ich verbitte mir in aller Form, mir durch Zwischenrufe vorschreiben zu wollen, was ich in diesem Hohen Hause zu reden habe.
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RusseMeine Damen und Herren, von den Entscheidungen, die hier zu treffen sind, werden verschiedene Bereiche unserer Wirtschaft und auch des gesellschaftlichen Lebens fundamental berührt. Der Natur der Sache nach sind es Entscheidungen, die, auf viele Jahre hin getroffen, zur Folge haben, daß in acht oder zehn Jahren genau das an Energie nicht zur Verfügung stehen wird, was nicht schon heute auf den Weg gebracht wird oder hätte auf den Weg gebracht werden müssen. Das gilt für konventionelle Kraftwerke ebenso wie für den beabsichtigten und notwendigen Bau von Kernkraftwerken; das gilt für die Frage, welche Förderkapazität die Kohle im Jahre 1985 haben muß, um den energiepolitischen Anforderungen gerecht zu werden, und für viele andere Bereiche ebenso.Die Mitglieder der Koalitionsfraktionen des Wirtschaftsausschusses glaubten sich über diesen Sachverhalt einfach hinwegsetzen zu können, indem sie ohne ausreichende Sachberatungen einen abschließenden Bericht des Wirtschaftsausschusses verlangten und die öffentliche Diskussion heute hier herbeiführten.
— Wir haben uns entschieden gegen einen solchen kurzatmigen gemeinschaftlichen Bericht des Ausschusses gewandt
und unsererseits eine Minderheitsstellungnahme vorgelegt,
in der die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion ihre Kritik am Verfahren, aber auch ihre konstruktiven politischen Ansätze zur Sache deutlich zum Ausdruck gebracht haben.
Zutreffende politische Entscheidungen haben eine Auseinandersetzung mit ihren Prämissen zur Voraussetzung. Mehr denn je muß sich das Parlament heute mit Sachfragen befassen, die der Staatstätigkeit früher wesentlich ferner lagen, und gerade in der Energiepolitik ist die Problematik äußerst vielschichtig. Sie stellt uns auf den verschiedenen Gebieten von Naturwissenschaft und Technik ein ganzes Bündel volks- und betriebswirtschaftlicher, finanz- und außenwirtschaftlicher Fragen, die es zu beantworten, ja, zu lösen gilt.
Nicht zuletzt sei hier an die außenpolitische, die außenwirtschaftliche, die europapolitische Seite erinnert, die Herr Kollege Narjes dankenswerterweise heute morgen bereits hier angesprochen hat.Der gerade in diesen Tagen ausgezeichnete Politikwissenschaftler Professor Alfred Grosser sagte vor kurzem sehr treffend, daß in der DemokratieI das Parlament der Ort ist, wo Sachverstand und Politik am engsten zusammenstoßen,
wo sie einander begegenen sollten.
Wir haben mit öffentlichen und nichtöffentlichen Anhörungen in diesem Hause gute Erfahrungen gesammelt, und ich bezweifle mithin auch nicht, daß uns der Sachverstand ausreichend oder sogar befriedigend zur Verfügung stehen könnte. Indessen muß man die Beschäftigung mit sachverständigen Äußerungen zu der ganzen vielschichtigen Materie der Energiepolitik natürlich auch wollen; man darf nicht so verfahren, wie das im Wirtschaftsausschuß geschehen ist.Aus all diesen Gründen erkläre ich schon jetzt unmißverständlich, daß wir es für absolut erforderlich halten, den gesamten Komplex „nationales Energieprogramm" an die Ausschüsse — Wirtschaftsausschuß federführend, Ausschuß für Forschung und Technologie sowie Innenausschuß mitberatend — zurückzuüberweisen.
Ich behaupte, daß dieser Antrag auf Rücküberweisung nicht nur der parlamentarischen Verantwortung einer Opposition entspricht, sondern auch Sie von der Regierungskoalition im Wirtschaftsausschuß müßten, wenn Sie der Sache die gleiche Bedeutung beimessen, wie wir dies tun — und das ist nach der Rede des Herrn Bundesministers für Wirtschaft um so deutlicher und notwendiger geworden —, diesem Antrag beitreten.Sie selbst stehen ja auch noch vor einer Fülle von Fragestellungen. Wie anders soll man denn Ihren Beitrag in der Vorlage des Herrn Kollegen Wolfram als Mehrheitsbericht verstehen? Ist da nicht an vielen Stellen festgestellt: Die Regierung muß prüfen, die Regierung wird aufgefordert, dieses und jenes und was weiß ich nicht alles . . .?
Und haben Sie nicht in Form einer Großen Anfrage zur Kernenergie auch den Beweis dafür geliefert, daß es eine Fülle von Notwendigkeiten der zusätzlichen Erörterung in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages gibt?
Und wenn das so ist, ist es um so notwendiger, dann die Zurücküberweisung zu verlangen.
— Ich weiß, daß Sie sich aufregen.
— Daß Sie sich so aufregen, beweist doch, daß ichgenau richtig liege. Sonst würden Sie sich die Sache
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Russehier doch in aller Ruhe anhören und stillschweigend darüber hinweggehen.
Lassen Sie mich nun zu den einzelnen kritisch anzumerkenden Punkten folgendes feststellen. Ich nehme das Stichwort „Krisenvorsorge" auf. Dazu, meine Damen und Herren, ganz wenige Sätze: einverstanden mit 10 Millionen t 01 und 10 Millionen t Kohle als Sicherheitsreserve. Aber ich muß die Frage erneut stellen: Sagen Sie uns doch endlich definitiv, wann und wie Sie das bezahlen wollen oder können. Ich erinnere Sie an Ihre Einlassung und zitiere aus dem Programm — Herr Minister, im Grundsatz haben Sie das heute wiederholt —:... hängt ab von den Möglichkeiten des Haushalts. — Sagen Sie uns, wann Sie diese Möglichkeiten als gegeben ansehen! Und dann sagen wir Ihnen, ob das Vorsorge, Sicherung oder erhöhtes Risiko ist. Der Wille allein, auch wenn er mit großen Lettern niedergeschrieben wird, schafft doch in der Tat noch keine Sicherheit.Und zur Mineralölversorgung auch nur zwei Sätze und eine Erinnerung für Sie: Absenken von 55 auf 42 % — ein eindeutiges Ja von uns dazu. Aber sagen Sie uns endlich auch, wie Sie das mit der Brüsseler Ölpolitik in Einklang bringen wollen, die ja schärfer zurückfahren will. Dann reden wir weiter darüber.Jetzt etwas zur Erinnerung: Gestatten Sie mir, daß ich Sie zum wiederholten Male auf unseren Antrag zur Energiepolitik vom 11. Dezember 1973 Drucksache 7/1401 aufmerksam mache, mit dem wir zur Beseitigung von Engpässen in der Energieversorgung in fünf detaillierten Punkten unter anderem insbesondere die verstärkte Umwandlungsmöglichkeit von Schwerölprodukten in Leichtprodukte gefordert haben. Dazu ist bis heute von Ihnen kein Satz und keine Tat gekommen. Dennoch haben Sie im Ausschuß unseren vorgenannten Antrag — und damit auch dieses Problem — mit Ihrer Mehrheit ablehnend beschieden. Aber nichts ist gelöst; folglich treffen die Raffinieren nicht die notwendigen Investitionsentscheidungen. Die Folgen müssen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, allein vertreten, auch wenn wir alle Betroffene sind.Lassen Sie mich jetzt etwas zur Steinkohle sagen. Ich weiß, Sie warten darauf.
— Ich komme; haben Sie keine Sorge! — Meine Damen und Herren, ich könnte auch in diesem Punkte einen Teil meiner Rede vom 5. Dezember ungekürzt und unverändert wiederholen, weil sich seit dieser Zeit für die Beurteilung der Zukunft der Steinkohle nichts —jedenfalls nicht viel — an zusätzlicher Klärung ergeben hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Entschuldigen Sie bitte, ich möchte zunächst diesen Komplex weiter behandeln.
Ich habe Ihnen damals gesagt — und das stelle ich in meiner heutigen Einlassung genauso fest: Meine Fraktion begrüßt es außerordentlich, daß Sie von dem von Ihnen noch im Energieprogramm des Jahres 1973 verfolgten Gesundschrumpfen der Kohle endlich weggekommen sind. Wir hatten dies seit Jahr und Tag gefordert. Es mutet geradezu — und das muß an dieser Stelle vorgebracht werden — überraschend an, meine Damen und Herren, wenn sich in diesem Lande Nordrhein-Westfalen der verantwortliche Wirtschaftsminister — der noch amtierende Wirtschaftsminister —
in Presseerklärungen an die Öffentlichkeit wendet und feststellt, daß durch seine Politik den Kumpels die Sicherheit der Arbeitsplätze garantiert werde.
Meine Damen und Herren, vergessen Sie doch bitte nicht, daß es dieser Minister war, der gesagt hat: Runter auf 67 Millionen t pro Jahr! Das war doch der Sachverhalt und nichts anderes! Und da will uns dieser Minister heute einreden, daß er die Sicherheit der Arbeitsplätze für die Kumpels an Rhein und Ruhr garantiert habe.
Wollen Sie vielleicht bestreiten, daß wir über Jahrzehnte unserer politischen Verantwortung hinweg in diesem Hause für die Kohle insgesamt eine Leistung vollbracht haben, die der Bergbauwirtschaft im Gegensatz zu jedem anderen Wirtschaftszweig in unserer Volkswirtschaft die Möglichkeit eröffnet hat, durch Investitionen, durch sich daraus ergebende Rationalisierungsmaßnahmen die entsprechende Entwicklung dieser Bergbauwirtschaft zu sichern,
das Problem der Arbeitsintensität in einem gewissen und möglichen Umfange zur Kapitalintensität hin umzuwandeln? Das gab eine Reduzierung von 600 000 Arbeitsplätzen auf 200 000 Arbeitsplätze. Wollen Sie von der Freien Demokratischen Partei bestreiten,
daß wir gegen Ihren Widerstand in diesem Hause in der Großen Koalition die Gründung der Ruhrkohle Aktiengesellschaft durchgesetzt haben? Wollen Sie auch bestreiten, daß wir damit — beide in dieser Gesamtverantwortung stehend — die Grundlage dafür gegeben haben, daß sich Herr Minister Fride-
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Russerichs heute hier ans Rednerpult stellen und bedeutenkann, daß die Situation der Ruhrkohle durchaus— zumindest was die derzeitige Lage angeht — erträglich sei? Reden Sie doch nicht immer dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit ein, daß nur Sie in diesem Hohen Hause Energiepolitik gemacht hätten!
Das ist doch einfach nicht wahr!
— Natürlich ein typischer Russe, Herr Wehner! Dort sitzt Herr Minister a. D. Katzer. Leider ist das a. D. da.
In seiner Verantwortung hat er, als er Minister war, diesem Hohen Hause ein entsprechendes Programm mit Unterstützung des heutigen Ministers für Arbeit und Sozialordnung, des damaligen Abgeordneten Arendt, im März 1966 eingebracht,
das der deutschen Kohlewirtschaft 1 Milliarde DM gebracht hat. Wollen Sie das bestreiten?
— Natürlich, Herr Kollege Wehner, ich kann Ihnen noch eine ganze Elle solcher Dinge vorlegen; nur geht das von meiner Zeit ab.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Nein, das tue ich nicht, Herr Präsident!
— Ich möchte hier keinen Dialog auf der Basis von Wahlkreisabgeordneten führen, damit Sie es ganz genau wissen.Da haben Sie sich nun also korrigiert, aber Sie korrigieren sich, meine Damen und Herren, nur für die nächsten fünf Jahre.
Sie sagen, daß bis 1980 ungefähr die Größenordnung von 95 Millionen t pro Jahr als Förderkapazität zur Verfügung stehen soll. Sie sagen aber weder den Kohle-Leuten noch uns, was Sie tun wollen, wenn diese fünf Jahre vorbei sind. Das, was Sie, Herr Minister, vorhin dazu festgestellt haben, kann uns auch nicht befriedigen. Es gibt eine Reihe von Expertenschätzungen, die davon ausgehen, daß wir deutlich mehr Kohle brauchen, als wir mit dieservorgesehenen Förderkapazität zur Verfügung stellen können.Auch die Importmöglichkeit von Kohle wird nach wie vor als begrenzt angesehen. Wenn das also so ist — und Sie teilen diese Ansicht, oder aber Sie teilen sie nicht —, dann müssen Sie uns sagen, welche Größenordnung die Kohle nach 1980 einnehmen soll. Denn das Abteufen neuer Anlagen beispielsweise nimmt acht bis zehn Jahre in Anspruch. Sie haben auch hier, genauso wie beim Bau von Kraftwerken, 1985 alles das nicht zur Verfügung, was Sie heute nicht in dieser oder jener Form entscheiden. Wenn Sie davon ausgehen, daß Sie 1980 sehr viel weniger Kohle als der gegenwärtigen Förderkapazität entsprechend haben wollen, dann, bitte, sagen Sie das. Sagen Sie das den Kohle-Leuten, sagen Sie das uns, den Politikern der Opposition, und sagen Sie es den Bergleuten, damit sie sich auf diese Situation entsprechend einstellen können.
In diesem Zusammenhang darf ich nochmals, wie schon früher, darauf verweisen, daß wir von Ihnen noch keine konkrete Aussagen darüber erhalten haben, wie Sie denn den Mehreinsatz von Kohle für das geplante Forschungsprogramm bereitstellen wollen. Es handelt sich dabei um Mengen, die so etwa um die 15 bis 20 Millionen t liegen. Sind die nun in der von Ihnen beabsichtigten Fördermenge enthalten, oder müssen wir sie nicht durch zusätzliche Förderung sicherstellen?Genauso wenig, meine Damen und Herren, ist die Frage beantwortet, welche Entwicklung die Importkohle nach Ihren Vorstellungen letztlich haben soll. Herr Minister, lassen Sie mich hier eine Feststellung zu Ihrer Einlassung treffen, die Sie vorhin in diesem Zusammenhang zur Stahlwirtschaft gemacht haben. Ich bin der Meinung — bei der grundsätzlichen Anerkennung dessen, was Sie zu dem gesamten Problem gesagt haben —, daß Kohlepolitik auch nicht und insbesondere nicht auf dem Rücken der Stahlindustrie, der Stahlwirtschaft betrieben werden kann.
Eine solche Politik wäre kurzsichtig. Denn dieSchrumpfung von Stahl bedeutet in unserer Volkswirtschaft letztlich auch die Schrumpfung von Kohle.Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zur Braunkohle wiederholen. Sie müssen sich auch hier gefallen lassen, daß ich den früher gemachten Vorwurf wiederhole. Im Ausschuß haben wir darüber einen Satz — einen Satz! —, den Sie uns freundlicherweise schriftlich zur Kenntnis gegeben haben, gehört, nämlich den, die Entscheidung für die Aufschließung des Hambacher Forstes sei gefallen. Ich stimme Ihnen gern zu, ich stimme sogar mit Ihnen überein, daß es ein wichtiger Satz ist, aber er beinhaltet nicht annähernd all das, was von dieser Entscheidung als Folgewirkung abhängt.Die Aufschließung des Hambacher Forstes kostet nach Aussagen von Experten 5 Milliarden DM. Das ist ein Batzen Geld, über den es sich doch wohl zu
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Russediskutieren lohnt, auch wenn man davon ausgeht, daß sich der Braunkohlebergbau seinerseits schon etwas einfallen läßt.
Es ist ganz sicher, daß die in Ihrem Energieprogramm — auch in dem fortgeschriebenen — vorgesehenen Möglichkeiten der Sonderabschreibungen nach dem Steueränderungsgesetz von 1973 nicht ausreichen werden. Wir haben Sie damals gefragt — ich wiederhole diese Frage heute, wenn ich sie schon im Ausschuß nicht stellen kann —,
ob es nicht sinnvoll wäre, darüber nachzudenken und zu entscheiden, ob z. B. die Aussetzungen der Vermögensteuer bis zur Inbetriebnahme dieser neuen Anlagen und gegebenenfalls Beihilfen für zinsverbilligtes Kapital zu diesen Finanzierungsüberlegungen und -möglichkeiten herangezogen werden sollen.
Wir haben darauf bis heute keine Antwort. Wir haben keine Antwort auf die Frage der Kombinationen von Braunkohle, Prozeßwärme, Synthesegas, um nur die Stichworte hier anzuführen. Ich könnte noch vieles dazu sagen, aber die Zeit erlaubt es nicht.
Und dann verlangen Sie von uns, Herr Kollege Wehner, daß wir mit diesem Programm, wie Sie es zusammengeschrieben haben, in Bausch und Bogen einverstanden sein sollen. Wir denken nicht daran! Diese Opposition in diesem Hause hat ihre eigene Meinung,
behält sie und läßt sich in dieser Form von Ihnen in keiner Weise Vorschriften machen.
Ich weiß, Sie brauchen die Opposition nicht, Herr Kollege Wehner. Das werden Sie noch einmal bereuen; warten Sie ab!
— Natürlich! Kein Kommentar; es lohnt sich nicht, darauf einzugehen.
Daß sich hier in diesem Bereich, meine Damen und Herren, eine ganz besonders gute Möglichkeit für eine breite und breit angelegte Eigentumspolitik ergeben würde, habe ich Ihnen auch schon einmal gesagt. Aber das ist ja bei Ihnen bis 1978 abgeschrieben; darüber reden wir nicht mehr. Aber wir kommen darauf zurück.
Ich nehme den Punkt Erdgas, meine Damen und Herren.
Wir sind auch in diesem Bereich mit Ihnen nicht in einem Streit. Wir wissen, daß wir in hohem Maße in der Bundesrepublik Deutschland von Erdgasimporten abhängig sind. Wir sehen aber auch, daß wir wegen dieser Abhängigkeit einer Reihe von preispolitischen Verhaltensweisen ausgesetzt sind, die man nicht einfach mit der für die Tarifabnehmer im Gasbereich erfreulicherweise gefundenen Regelung der Streckung der Gaspreiserhöhung in zwei Stufen als erledigt betrachten kann.
Wir können uns mit den Sachverständigen der Gaswirtschaft und der Regierung sehr schnell darüber einigen, daß die Gaspreiserhöhung in dem vorgenommenen Maße unabwendbar war.
Sie haben uns leider auch keine Möglichkeit gegeben, mit Ihnen darüber im Ausschuß zu verhandeln.
Wir haben auch nicht miteinander beraten können, welche Folgewirkungen dies gerade auf die mittleren und kleineren Betriebe unserer Wirtschaft hat, die von dieser Stufenregelung nicht profitieren können. Wir haben eine Unmenge von Briefen aus den betroffenen Wirtschaftsbereichen erhalten
und können den Geschäftsleitungen dieser Unternehmen auch heute nur erläutern und erklären, daß die Koalitionsfraktionen im Ausschuß bis heute nicht bereit waren, mit uns über diese Fragen zu sprechen
und nach entsprechenden Lösungen zu suchen. Eben weil dieser gesamte Komplex Gas in den Ausschußberatungen eine völlig untergeordnete Rolle gespielt hat,
ist auch die von uns aufgeworfene Frage nicht diskutiert worden.Herr Kollege Ehrenberg, Sie können noch zigmal „warum" fragen, es bleibt darauf die eine Antwort: Sie erinnern sich, daß wir den Wunsch geäußert haben, die Beratung im Ausschuß über den heutigen Tag hinaus fortsetzen zu können, und daß all die Fragen, auf die ich auch noch komme, dann weiter beraten werden sollten und müßten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11669
RusseDies haben Sie durch Ihren Mehrheitsbeschluß abgelehnt, der ja auf Grund der Mehrheitssituation zahlenmäßig für Sie möglich war.Ich komme zur Kernenergie, meine Damen und Herren. Was den Bau von Kernkraftwerken und die damit in Verbindung stehende Uranversorgung angeht, kann ich etwas Positives feststellen; das freut mich. Über diese Fragen ist im Ausschuß in der Tat gesprochen worden, wenn dabei auch keine letzt-liche Klärung vieler offener Fragen herbeigeführt werden konnte. Wir sehen das sicherlich richtige Ziel des Kernkraftwerkszubaus bis 1985 mit einer Gesamtleistung von 45 bis 50 000 MW als sehr viel stärker gefährdet an, als Sie dies vielleicht tun. Diese Annahme ergibt sich im wesentlichen aus der Tatsache, daß wir — so hat es uns die Bundesregierung jedenfalls berichtet — bis 1980 durch bestehende Verträge unseren Bedarf an Natururan wohl gesichert haben, aber was die Zeit nach 1980 angeht, so bestehen bei der Bundesregierung unklare Vorstellungen, wie dieser Bedarf an Uran gedeckt werden soll; jedenfalls waren so die Einlassungen der Ressortvertreter im Ausschuß. Bedenken wir also: Die Versorgung mit Natururan ist hinsichtlich der Preisentwicklung, aber auch der mengenmäßigen Angebote durch so erhebliche Unsicherheiten gekennzeichnet, daß für die Investitionsentscheidungen heute leider eine sichere Basis fehlt.Ich will in diesem Zusammenhang nur ganz kurz auf die Überraschung hinweisen, mit der die Bundesregierung auf den plötzlichen Lieferstopp der Amerikaner in diesen Tagen reagiert hat. Meine Damen und Herren, das kann man sicherlich nicht so tun, wie der Herr Kollege und Bundesminister Matthöfer das gestern abend in der „Bilanz" vom ZDF getan hat, nämlich mit der Feststellung: Ja, wenn wir mit den Amerikanern nicht klarkommen, haben wir ja für drei Jahre eine Sicherheit; und die wird ausreichen, um dann endgültig diese Fragen zu klären.Zum Bereich der Standortvorsorge kann ich wiederum nur erneut das Bedauern meiner Fraktion zum Ausdruck bringen, daß offensichtlich zur Sicherung geeigneter und ausreichender Standorte nicht das unternommen worden ist, was zu unternehmen gewesen wäre. Ich will die Bemühungen der Bundesregierung in dieser Richtung nicht verkennen, aber es fehlen positive Anzeichen für eine Koordinierung zwischen Bund und Ländern, wie wir dies in sehr konkreten Positionen in unserem Antrag Drucksache 7/1403 bereits im Dezember 1973 hier in diesem Hohen Hause eingebracht haben. Sie liegen doch bis heute nicht vor. Auch der Herr Minister hat heute morgen festgestellt, daß man zwar an der Arbeit sei — das wissen wir —, aber ein endgültiges Ergebnis in dieser so wichtigen Frage liegt noch nicht vor.Das gleiche gilt im Grunde genommen für das Standortvorsorgeprogramm für die gesamte Bundesrepublik. Solange es ein solches Programm nicht gibt, meine Damen und Herren, können wir als Opposition nicht beurteilen, ob es wirklich gelingen kann, sowohl konventionelle Kraftwerke als auch vor allem die Kernkraftwerke mit der vorgesehenenKapazität zu dem vorgesehenen Zeitpunkt in Betrieb nehmen bzw. 'errichten zu können.Ich sehe sodann ein Problem in der völlig unbewältigten Frage, wie und in welcher Form die Öffentlichkeit zufriedenstellende Aufklärung durch die Zuständigen erhält. Es macht mir wahrlich keine Freude, auf die in der Tat unerfreuliche Situation bei der Errichtung des Kernkraftwerkes Wyhl noch einmal hinzuweisen. Nachdem hier aber zwei meiner Vorredner versucht haben, alles auf den dort amtierenden Ministerpräsidenten, unseren Parteifreund Filbinger, abzuschieben, muß ich Ihnen folgendes entgegenhalten. Wie ist es dort denn eigentlich abgelaufen? Was halten Sie denn von dem, was der zuständige Minister Friderichs am 15. April bei der Einweihung des Kernkraftwerkes Biblis sagte und heute hier im Grundsatz wiederholt hat? Er sagte: Kernkraftwerke können keinem Volksentscheid unterworfen werden. Gewaltakte gegen energiepolitische Entscheidungen werden von der Bundesregierung verurteilt. Die Behinderung von Projekten, die von den Behörden nach sorgfältiger Abwägung genehmigt worden sind, ist rechtswidrig. — Wir sind der gleichen Auffassung, die der Herr Minister hier zum Ausdruck gebracht hat. Dies steht doch aber in krassem Widerspruch zu den Äußerungen, die aus dem Bundesforschungs- und Technologieministerium gekommen sind, und auch zu den Einlassungen des für dieses Ressort zuständigen Ministers. Das sind doch die Tatbestände.
Sie wollen das nun alles auf unsere Kappe abwälzen. Das geht nicht. Das lassen wir nicht zu. Das werden wir in der Öffentlichkeit immer wieder sehr klar und deutlich herausstellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch?
Bitte schön!
Herr Kollege Russe, ist Ihnen bekannt, daß die Kritik an der Entscheidung des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg vor allem darauf beruht, daß offensichtlich erst, nachdem es zu diesen Zwischenfällen gekommen war, die Frage gründlicher Gutachten überhaupt geprüft worden ist, daß also die schlechte Vorbereitung der Aktion zu dieser großen Unzufriedenheit beigetragen hat?
Herr Kollege Moersch, erstens stimmt das nicht, was Sie hier vorgetragen haben. Zweitens wird Herr Kollege Engelsberger für unsere Fraktion dazu nachher noch im einzelnen Stellung nehmen.
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11670 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Russe— Ich habe gesagt: Es stimmt nicht!
— Ich denke gar nicht daran, mir von Ihnen vorschreiben zu lassen, was ich hier zu sagen habe oder sagen soll. Das müssen Sie mir überlassen.
Meine Damen und Herren, wohlgemerkt, wir lasten niemandem von der Regierung die Verantwortung für diese Volksverhetzung an, die dort unten im Zusammenhang mit der Standortfrage von Kernkraftwerken zweifellos stattgefunden hat.
— Herr Kollege Ehrenberg, Sie müssen mich dann aber auch einmal dies feststellen lassen. Sie dürften genausogut wie ich wissen, daß es in der Bundesrepublik leider weite Kreise gibt, die in dieser Frage die Volksverhetzung auf ihre Fahnen geschrieben haben.
— Herr Kollege Ehrenberg, wir wissen ja, was Sie sich diesbezüglich hier schon einmal geleistet haben. Ich will das nicht wieder aufgreifen. Sie wissen ja, daß gerade in den Bereichen, die der Herr Minister vorhin dankenswerterweise angesprochen hat, also beim Bau oder beim vorgesehenen Bau von Kernkraftwerken von den zukünftig die Kernkraftwerke betreibenden Unternehmen große Informationsstände errichtet worden sind. Ist Ihnen bekannt — wenn nicht, sage ich es Ihnen hiermit —, daß beispielsweise das Kollektiv Bremen, die Vertreter der Universität Bremen, an der Spitze Professoren, in einem Kernkraftwerk-Informationszentrum im niedersächsischen Raum einen Besuch abgestattet haben, dabei ihre Namen — mit allen Titeln und Mitteln, wenn Sie so wollen — eingetragen und dahinter Hammer und Sichel gezeichnet haben. Wenn Sie dies mit mir nicht als Volksverhetzung bezeichnen, weiß ich nicht, wie Sie das kennzeichnen wollen.
Ich mache Ihnen nicht den Vorwurf — damit wir uns klar verstehen! —, daß Sie sich mit diesen Kräften irgendwie identifizierten. Ganz im Gegenteil! Ich mache Ihnen aber den Vorwurf, daß die Bevölkerung nicht ausreichend über die Notwendigkeit des Baus von Kernkraftwerken informiert worden ist. Solange Sie die Öffentlichkeit nicht hinreichend aufklären
— natürlich —, werden Sie immer wieder neue Einsprüche bekommen, Einspruch auf Einspruch,
gegen jeden Standort. Damit wird der notwendige Bau von Kernkraftwerken, den wir unbedingt anpacken und sicherstellen müssen, nur unnötig verzögert.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Genehmigungsverfahren sagen. Auch hier bin ich dankbar, Herr Minister, daß Sie sich heute morgen, was Fragen der Typengenehmigung, der Standardisierung von Reaktortypen in Stufenfolgen betrifft, unseren Vorstellungen angeschlossen haben, die wir bereits in der letzten Debatte, am 5. Dezember des vergangenen Jahres, in diesem Hause angesprochen haben. Herr Minister, damals waren Sie noch etwas anderer Auffassung. Das war Ihr gutes Recht. Um so mehr sind wir heute erfreut, feststellen zu können, daß wir in diesen Punkten bei Ihnen, jedenfalls was die Aussage des heutigen Vormittags in diesem Hohen Hause angeht, Unterstützung und Verständnis gefunden haben.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist langsam abgelaufen.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.Ein anderes Problem — das ist in dem Minderheitenvotum des Ausschußberichts sehr deutlich herausgestellt worden — ist die Frage der Energieeinsparung. Auch hierzu war keine Debatte im Wirtschaftsausschuß möglich. Ganz entscheidend und unerläßlich ist es doch, sich bei all diesen Absichtserklärungen der Bundesregierung in dem Energieprogramm, erste Stufe und fortgeschriebene Stufe, über die Finanzierung zu unterhalten. Wie soll das denn alles bezahlt werden? Wer soll das aufbringen? Wer soll daran beteiligt werden?Eine Fülle von diesbezüglichen Informationen ist uns in den jüngsten Tagen auf den Tisch gelegt worden,
am 6. März 1975 eine erste Stellungnahme von der Bundesregierung und noch in der letzten Ausschußsitzung eine ergänzende Stellungnahme der VDEW, worauf großer Wert gelegt wurde. Aber wir hatten alle nicht die Möglichkeit, das im Ausschuß zu beraten.
Was ist das für ein Stil, wenn es überhaupt nicht möglich ist, die wichtigste, die Kernfrage einer politischen Zielsetzung, nämlich die Sicherung der Finanzierung, in einem Ausschuß anzusprechen, und wir dann festgestimmt werden dergestalt, daß wir uns zu dieser Fortschreibung sowohl in der Absichtserklärung als auch in den Einzelforderungen heute
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11671
Russezustimmend äußern sollten. Das können Sie nicht von uns erwarten. Das werden wir nicht tun.Ich darf zum Schluß
namens meiner Fraktion den Antrag stellen, das nationale Energieprogramm, erste und zweite Stufe, zurückzuverweisen an den federführenden Ausschuß — wie bisher — für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Technologie und Forschung und den Innenausschuß. Unsere Bereitschaft zur sachlichen Mitarbeit in den gemeinsam interessierenden Fragen habe ich Ihnen für meine Fraktion zu früherer Zeit unmißverständlich kundtun dürfen. Sie können diese Erklärung auch jetzt erneut von dieser Stelle aus bekommen.
Das aber verlangt, daß eine der Sache angemessene zeitliche und fachliche Behandlung der Themen in den Ausschußberatungen möglich gemacht wird. Energiepolitische Deklamationen, wie sie von Ihnen heute erneut in der Öffentlichkeit vorgetragen wurden, sind dafür aber keine brauchbaren Voraussetzungen.
Das Wort hat der Abgeordnete Reuschenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, die heute morgen schon einmal gestellt worden ist, ob wir wirklich alle im selben Ausschuß waren, ist wirklich berechtigt.
Vor allem hat die Mitteilung Herrn Russes überrascht — da ich das selber im Ausschuß so gar nicht erlebt habe —, daß im Wirtschaftsausschuß das Fragerecht und die Diskussionsfreiheit aller nicht gewährleistet sei. Deshalb wird es wohl nötig sein, in der nächsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses ein ernstes Wort mit dem Vorsitzenden zu sprechen;
denn er müßte ja zumindest dafür sorgen, daß eine Gewährleistung solcher parlamentarischen und demokratischen Rechte stattfindet.
Wir werden mit dem Fraktionskollegen von Herrn Russe, Dr. Narjes — der aber eigentlich eine so harte Kritik gar nicht verdient hat —, darüber zu sprechen haben.
Das Bemerkenswerteste am Minderheitenbericht und an den Bemerkungen des Kollegen Russe, soweit Bemerkenswertes darunter war, ist ganz zweifellos die Serie von stereotypen Klagen darüber, daß er sich angeblich unter Zeitdruck gesetzt gefühlt habe und daß die Beratungen von einer mangelnden Klärung der Fragen geprägt gewesen seien, die mit der Entwicklung unserer Energieversorgung nach 1980 zu tun hatten. Deshalb könne die Opposition keine Zustimmung zum Energieprogramm geben.Daß diese Klage über Zeitdruck brüchig ist, ist schon gesagt worden. Wenn sich allein der Wirtschaftsausschuß in fünf Sitzungen — nicht drei, sondern fünf Sitzungen — seit Herbst 1974 mit energiepolitischen Fragen im Zusammenhang mit dem Energieprogramm befaßt hat, dann hatte jeder, der interessiert war — aber dieses Interesse muß natürlich in den Ausschußberatungen überhaupt vorhanden sein —, ausreichend Möglichkeit, sich Aufklärung und Information geben zu lassen. Vor allem hätte es jedem freigestanden, konkrete Fragen zu stellen, anstatt allgemein zum Schluß irgendeiner Sitzung oder heute hier seine Uninformiertheit zu beklagen.Ich würde es für einen Fehler und für überflüssig halten, wollten wir angesichts der Art und Weise, wie Herr Russe Ausschußsitzungen in der Öffentlichkeit darstellt, und angesichts seines nicht außergewöhnlichen Engagements im Wirtschaftsausschuß das Ganze im Wirtschaftsausschuß von vorne beginnen lassen. Nein, mein Eindruck ist: Wer nach diesem zeitlichen Umfang der Beratungen von Zeitdruck spricht und wer sein Votum zum Energieprogramm von heute noch unbeantwortbaren Fragen nach energiepolitischen Entwicklungen im nächsten Jahrzehnt abhängig macht, der will in Wahrheit verzögern, um draußen leichter agitieren zu können.
An einer Stelle ist es Herrn Russe ja auch herausgerutscht, daß dies das Motiv ist. Er hat zwar von uns gesagt, wir wollten für den 4. Mai ein Programm durch das Parlament verabschiedet haben,
aber die gegensätzliche Interessenlage ist doch die, bis zum 4. Mai noch sagen zu können: Seht da, diese Sozialliberalen in Bonn sind nicht in der Lage, ein Energieprogramm durch den Deutschen Bundestag zu bekommen.
Nachtigall, ik hör dir trapsen!
— Nein, hören kann man auch ohne Mehrheit: vor allen Dingen im Ausschuß, wo man auch ohne Mehrheit zuhören kann, wenn informiert wird. Dann braucht man hier nicht zu klagen.
Wer hier verzögert, Herr Russe, verhindert das,was er an anderer Stelle immer für notwendig erklärt, nämlich der Energiewirtschaft endlich jene
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11672 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
ReuschenbachOrientierungsdaten zu geben, die sie für ihre Unternehmensentscheidungen braucht.Wir denken jedenfalls überhaupt nicht daran, dem Ratschlag von Herrn Russe zu folgen, den er bereits im Dezember 1974 von dieser Stelle aus gegeben hat, als er damals schon das Tempo unserer Energiepolitik beklagte und sagte: Alles muß schon vorgestern verabschiedet sein, was übermorgen erst möglich oder immer noch früh genug ist.Wir haben jedenfalls nicht die Absicht, die deutsche Energiewirtschaft und die dort beschäftigten Arbeitnehmer sowie die Energieverbraucher warten zu lassen, bis Herr Russe endlich feststellt, wann übermorgen gekommen ist und wann es noch früh genug zum Handeln ist. Dann könnte es zu spät sein, und Sonthofener Regieanweisungen wollen wir bitte nicht auf die Energiepolitik angewendet wissen.
— Die Reden des ganzen Morgens sind so interessant, daß Ihre Fraktionshäuptlinge erst gar nicht hier anwesend waren.
Ein weiterer bemerkenswerter Punkt in den Beiträgen von Herrn Russe hier, im Wirtschaftsausschuß und im Minderheitenbericht ist, daß man sich fragen muß, von welcher Wirtschaftsphilosophie Herr Russe bei seiner Betrachtung und bei seinen Ratschlägen und Vorschlägen zur Wirtschaft — und insbesondere zur Energiepolitik ausgeht.
Würde man all das ernstnehmen, was er dort an Kritik gegenüber der Regierung anbringt, weil dieses und jenes noch nicht erreicht worden ist, dann müßte man glauben, er gehe von der Vorstellung aus, wir lebten in einem Land mit staatlicher Zwangswirtschaft.
Dort wäre all das möglich, was Herr Russe innerhalb von wenigen Monaten von der Regierung umzusetzen verlangt. Ich muß also annehmen, daß er die Vorstellung hat, das wäre eine wünschens- und erstrebenswerte Staatsordnung, wo die Bundesregierung jeweils auf den Knopf drückt und alle Mann in der Energiewirtschaft strammstehen, Hände an der Hosennaht und Hand an der Kappe. Nein, es ist wirklich töricht, anzunehmen, daß jeder technische, jeder wissenschaftliche und jeder finanzielle Schritt bis zum Jahre 2000 durch Regierungs- und Parlamentsbeschluß heute festzulegen sei.
— Natürlich, dann eben bis 1985!
Auch dies ist, wie Sie genau wissen, nicht möglich, sondern man kann sich im Verfolg einer Zielsetzung darum bemühen, in dieser Wirtschaftsordnung die genannten Ziele so weit wie nur möglich zu erreichen. Es ist eben Heuchelei, in Fest- und in Wahlkampfreden die Fahne der Marktwirtschaft hochzuhalten und vor denen — natürlich Ihren politischen Gegnern — zu warnen, die auf dem besten Wege seien, diesen Staat in eine staatsdirigistische Wirtschaft zu stürzen, und hier die Regierung und die Koalition aus der Ecke jener zu kritisieren, die einer totalen Zwangswirtschaft das Wort reden. Ich bitte Sie herzlich, sich für das eine oder andere zu entscheiden, auf daß die Fronten wieder stimmen.
— Dann unterlassen Sie auch die Kritik aus der Ecke jener, die staatlicher Zwangswirtschaft das Wort reden.Natürlich ist der Hinweis im Minderheitenbericht richtig, daß wir uns mit den schwierigen Fragen der Gleichgewichtigkeit von Umweltschutz und Gesundheit und der künftigen Versorgungssicherheit nicht vertieft befaßt haben.
Das gilt insbesondere für die Erklärung im Energieprogramm, daß der Schutz der Bevölkerung vor möglichen Schäden Priorität bei der Nutzung der Kernenergie besitze.Es gibt aber einen guten Grund dafür, daß wir dies nicht vertieft getan haben.
Wir nehmen nämlich das schrittweise Vorgehen mit dem Ziel ernst, einerseits den Vorrang des Schutzes der Bevölkerung vor möglichen Schäden bei der Nutzung der Kernenergie und andererseits die Einschätzung, daß die Kernenergie für eine optimale Energieversorgung unerläßlich ist, auf einen ausgewogenen Nenner zu bringen. Deshalb haben wir — es ist bereits gesagt worden — jene Große Anfrage an die Bundesregierung eingebracht und sie aufgefordert, zu elf Komplexen mit zahlreichen Einzelfragen der friedlichen Nutzung der Kernenergie und der damit verbundenen Sicherheitsprobleme Antworten und öffentliche Aufklärung zu geben. Dann, Herr Russe, werden Sie und Ihre Freunde, die das dringende Bedürfnis haben, diesen Katalog einer Jahrhundertaufgabe vor Ihrer Zustimmung zum Energieprogramm bis zum letzten zu klären, Gelegenheit haben, sich mit den Antworten der Bundesregierung auseinanderzusetzen und Ihren Wissensdurst zu stillen.Aber Ironie beiseite: Uns liegt sehr daran, was Kernenergie angeht, den Weg der Klärung zu gehen, um besser übersehen zu können, was künftig realisierbar ist.Unser Land kann sicherlich keine Industrienation mit entsprechendem Energiebedarf sein und blei-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11673
Reuschenbachben und gleichzeitig von einer völlig problemfreien Umwelt träumen; das ist jedem Einsichtigen klar. Aber auch das ist selbstverständlich: Es wird und darf in diesem Staat nicht möglich sein, die Kernenergie ohne ausreichende Vertrauensbasis in der Bevölkerung durchzusetzen. Dabei mag es durchaus sein, daß die Kernenergie Sünden ausbaden muß, die früher bei anderen technologisch-industriellen Entwicklungen begangen worden sind. Man muß alle dringend auffordern, jede gefühlsmäßige Anheizung des Themas zu unterlassen. In diesem Appell besteht Einigkeit. Das gilt dann aber auch für den Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg,Herrn Eberle, der in der „Zeit" im Zusammenhang mit Umweltschutzfragen davon spricht, daß — ich zitiere — „Morgenthau, der weiland Deutschland in eine Agrarlandschaft zurückverwandeln wollte, doch noch einen verspäteten Triumph erringen könnte".
Ich muß sagen, solche fahrlässige Dramatisierung und unzulässige Verquickung von Sachverhalten, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, haben mich tief erschreckt.
Wir begrüßen, daß der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister in Gespräche mit den Ländern eingetreten sind, um die Genehmigungsverfahren für Kraftwerksanlagen durch gezielte Genehmigungsvoraussetzungen für Standortwahl, Bau und Betrieb zu „optimieren", wie es im herrlichsten Deutsch in der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. März dieses Jahres heißt.Jene Kritik, die Sie aussprechen, richtet sich mindestens an alle Beteiligten an diesem Geschäft. Daß es nicht schneller vorangeht, ist möglicherweise auch der Preis, den wir für den Föderalismus wie auf so vielen Gebieten in unserem Lande zu zahlen haben, ohne ihn abschaffen zu wollen. Die unterschiedliche Spruchpraxis der Verwaltungsgerichte verhilft allerdings auch nicht zu größerer Durchsichtigkeit. Wir unsererseits können nur die Bundesregierung ermuntern, diesen Weg fortzusetzen. Tun Sie bitte Ihren Teil dazu, daß seitens der Länderregierungen, die hier insbesondere zur Debatte stehen, ein gleiches Stück auf dem Wege entgegengekommen wird!Wir wollen die Klärung darüber, was auf dem Felde von Kernenergie möglich ist, auch deshalb, um Auswirkungen auf anderen Sektoren besser übersehen zu können. Da spielt natürlich diese Beurteilung für das künftige Vorgehen bei der Verwirklichung des vorgesehenen Baues von Kohlekraftwerken eine Rolle. Wir übersehen keinesfalls, daß es so manche Unsicherheit gibt, die zögerliches Verhalten begünstigt. Einmal wird, wahrscheinlich auch normalerweise, erst in diesen Tagen die Richtlinie für die Verwendung der Investitions- und Betriebskostenhilfen fertig, nach der die Mittel aus dem Ausgleichsfonds des Dritten Verstromungsgesetzes vergeben werden. Darauf ist hingewiesen worden. Der Zuwachs des Stromverbrauches im Jahre 1974 ist auch nicht gerade ermunternd. ZurZeit ist nicht genau erkennbar, was 1980 und später die Kernenergie zur Stromversorgung beitragen wird. Wir würden es jedenfalls für verhängnisvoll halten, wenn die schlichte Hochrechnung des Stromverbrauchszuwachses des vorigen Jahres zum Maßstab für alle Zukunftsentscheidungen gemacht würde. Alles deutet wieder auf höhere Zuwachsraten hin, und die Sicherheit gebietet, das vorgesehene Programm zu realisieren.Wir möchten die Energiewirtschaft in die Pflicht nehmen, das 6 000-MW-Programm zu erfüllen. Wir werden zusammen mit der Bundesregierung prüfen, wie die Mitteilung der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke vom 1. April, wonach Planungen und Bauvorhaben für Steinkohlekraftwerke bis 1980 mit einer Leistung von mehr als 5 000 MW vorliegen, abgesichert ist und welche der angekündigten weiteren Projekte realisierbar sind. Immerhin stehen Kohlekraftwerkeinheiten von zusammen 4 000 MW zur Zeit im Bau bzw. unmittelbar vor Baubeginn. Die Diskrepanz, die zweifellos da ist, ist Grund genug für einen Appell an die Bundesregierung, bald alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, um die aus den verschiedenen Lagern unterschiedlich dargestellten Hindernisse aus der Welt zu schaffen, um die Hürden sachgerecht zu überwinden.
Um der Offenheit der Diskussion willen füge ich einen Satz des Ausschußberichtes hinzu:Erforderlichenfalls müssen weitere Maßnahmen, die geeignet sind, den rechtzeitigen Bau der zusätzlichen Kraftwerke auf Steinkohlenbasis zu gewährleisten, in Erwägung gezogen werden.Uns ist klar, Herr Russe, daß die Energiewirtschaft vor der Notwendigkeit riesiger Investitionen steht. Nur, wer meint, eine Zielsetzung deshalb und so lange nicht aussprechen zu sollen, bip über die Jahrzehnte hinweg auch die Finanzierung jedes einzelnen Programmpunktes gesichert ist, der wird niemals dazu kommen, seine Zielsetzung auszusprechen. Der wird auf der Stelle treten — was Ihnen und Ihren politischen Freunden ja auch durchaus angemessen ist.
Den Löwenanteil der Investitionskosten wird nach den Angaben der EG-Kommission ganz zweifellos der Bau der Kernkraftwerke verschlingen. Dem Bundestag liegt ja auch die Unterrichtung durch die Bundesregierung über den Entwurf eines EG-Ratsbeschlusses vor, mit dem die EG-Kommission ermächtigt werden will, Anleihen zur Finanzierung dieses Programms aufzunehmen und auszugeben. Natürlich weist auch die Ausarbeitung des VDEW zur Finanzierung von Kernkraftwerken auf diese Problematik hin. Diese ist uns vor wenigen Tagen auf den Tisch gelegt worden. Sie dachten, man sollte nun noch einmal ein paar Monate warten, um sie gründlichst zu studieren. Ich muß sagen, daß wir schon seit geraumer Zeit wußten, daß es diese Ausarbeitung geben würde. Deshalb hat Staatssekretär Grüner mit unserer Zustimmung — und jedenfalls nicht gegen Ihren Protest; wie so manches von Ihnen
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11674 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Reuschenbachhier als Ihre Meinung heute dargestellt wird, was ich in den Ausschußberatungen von Ihnen niemals gehört habe — darauf hingewiesen, daß über die Ausarbeitung der VDEW, die in den letzten Tagen im Wirtschaftsausschuß auf den Tisch gekommen ist, natürlich zu beraten ist. Wir waren weder in bezug auf die Finanzierungsfragen, noch in bezug auf andere Punkte der Auffassung, der Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages und andere würden sich niemals mehr mit dem Energieprogramm zu befassen haben.
Wir werden uns laufend mit dem Energieprogramm und seiner Realisierung zu befassen haben, und ich kann nur hoffen, daß Ihr Engagement dann zumindest so groß sein wird, wie Sie es heute verbal an an den Tag gelegt haben.
Recht hatten jene, die davor gewarnt hatten, länger von Billigenergie zu träumen. Dies gilt auch auf dem Felde unserer Erdgasversorgung. Sie haben zwar bei diesem Stichwort den Anlauf zu einem großen Sprung gemacht, aber aus dem Sprung ist nichts geworden; denn Sie mußten zugeben, daß das, was im Laufe des vorigen Jahres und dieses Jahres seitens der Politik zu tun war, getan worden ist und daß Sie auch keine anderen Ergebnisse in Aussicht stellen konnten. Die mengenmäßige Sicherung des Bedarfs macht gute Fortschritte; aber sie führt uns natürlich gleichzeitig vor Augen, welche Preisbewegung die Ölkrise vom Herbst 1973 auch auf anderen Sektoren in Gang gesetzt hat. Wer heute auf dem internationalen Markt Gas einkaufen will — wir müssen es —, muß die international üblichen Konditionen akzeptieren. Das bedeutet einen an den Ölpreis gekoppelten Gaspreis mit der Folge, daß die Erdgasverbraucherpreise in diesem Jahr z. B. um 70 % stiegen.Die Bundesregierung und einige Mitglieder des Wirtschaftsausschusses haben diese Ankündigung im Herbst vorigen Jahres zum Anlaß genommen, den Versuch zu unternehmen, sich einzuschalten, und Gespräche mit dem Vorstand der Ruhrgas AG geführt. Es hat zwar gewisse Erleichterungen gegeben; aber grundsätzlich ist ein hohes Erdgaspreisniveau unausweichlich. Sie kennen keine Alternative zu dieser Unausweichlichkeit.
Stellen Sie dann deshalb auch die Bemühungen auf diesem Felde nicht in der Art und Weise dar, wie Sie es getan haben!Wir sagen aber, daß zu dieser Problematik des Erdgases noch ein zweites gehört, nämlich der Wettbewerb der Gasverteilung innerhalb der Grenzen unseres Landes. Deshalb begrüßen wir sehr das im März dieses Jahres erzielte grundsätzliche Einvernehmen über die Gründung einer leistungsfähigen süddeutschen Ferngasgesellschaft. Wir hoffen, daß auch die weiteren Verhandlungen erfolgreich sein werden. Es kann nämlich nur gut sein, auf diese Art und Weise ein weiteres Unternehmen zu entwickeln, das im Wettbewerb Chancen am internationalen Markt wahrnimmt.Gestatten Sie ein letztes Wort zu einem entwicklungsfähigen Energie-Baby. Ich meine die Fernwärme. Heute dürften wohl 5 % unserer Wohnungen mit Fernwärme versorgt werden. Die Wärmeabgabe stieg in den letzten zehn Jahren um zirka 100 %. Selbst 1974 bei ruhiger Neubautätigkeit und mildem Winter stieg der Anschlußwert noch um 5 %, und für 1975 ist ein weiterer Ausbau der installierten Leistung um mehr als 6 % vorgesehen.Die Bundesregierung — und insbesondere das Forschungsministerium — hat gut daran getan, sich eines solchen entwicklungsfähigen Energieträgers anzunehmen. Sie hat im Rahmen des Konjunkturprogramms, wie Sie wissen, mehr als 100 Millionen DM Zuschuß für eine Großversuchsanlage unter dem Namen „Fernwärmeschiene Ruhr" bewilligt. Dieses erste Teilstück eines Verbundnetzes soll erweisen, ob die Weiterverfolgung des Planes technisch und wirtschaftlich schon möglich ist. Wenn es gelingt, die Abwärme in großem Stil zur Beheizung von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden zu benutzen, dann wäre das im nächsten Jahrzehnt ein Beitrag zur Energieersparnis und Umweltentlastung, der sich neben manchen anderen anspruchsvollen Vorhaben der Energietechnik durchaus sehen lassen könnte.Insgesamt und abschließend lassen Sie mich sagen: Dieses Land ist auf einem 'guten Wege, seine Energieversorgung sicherer zu machen. Die Energiewirtschaft hierzulande ist im großen und ganzen leistungsfähig und hat seit Herbst 1973 die Bewährungsprobe bestanden. Wir wollen und werden nicht darum herumreden, daß die Sicherheit unserer Energieversorgung für jeden — die Unternehmen, die Privaten und die öffentliche Hand — erneute Kostenbelastungen mit sich bringt, und wir können uns nur bemühen, sie so gering wie möglich zu halten und ein wenig Entlastung zu geben, wo dies unabdingbar erscheint.Das Energieprogramm der Bundesregierung setzt vernünftige Daten für die künftige Entwicklung. Es trifft auf eine kooperationsbereite Energiewirtschaft und findet außer bei der Opposition allerorten Zustimmung. Die Notwendigkeit einer starken staatlichen Energiepolitik angesichts zunehmenden politischen Einflusses auf fast allen Sektoren der internationalen Energiewirtschaft wird zunehmend anerkannt. Heute erleben wir — hier und woanders —, daß jene, die noch vor wenigen Jahren in jeder staatlichen Planungsabsicht Teufelswerk witterten, kritisieren, daß nicht schon jeder einzelne Schritt bis ins nächste Jahrzehnt festgelegt worden ist.Schließlich eine Selbstverständlichkeit: Dieses Energieprogramm ist kein einmaliger Akt, sondern eine permanente Aufgabe für Regierung, Parlament, Energiewirtschaft, Verbraucher und Forscher, und es bleibt auch noch Raum für die Opposition, konstruktiv mitzuwirken.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11675
Meine Damen und Herren, ich unterbreche jetzt die Sitzung. Wir fahren um 14 Uhr mit der Fragestunde fort. Um 15.30 Uhr wird die Aussprache zu Punkt 2 der Tagesordnung fortgesetzt.
Ich unterbreche die Plenarsitzung bis 14 Uhr.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich eröffne wieder die unterbrochene Sitzung und rufe die
Fragestunde
— Drucksache 7/3534
auf.
Wir fahren in der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen fort. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Bundesminister Gscheidle zur Verfügung.
Die Frage 39 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke eingebracht worden:
Ist die Bundesregierung bereit, in ihren meist zur Hauptreisezeit erscheinenden Informationsbroschüren die mit einem Kfz ins Ausland reisenden Bundesbürger verstärkt und deutlich darauf hinzuweisen, daß sie bei unverschuldeten Verkehrsunfällen in manchen europäischen Nachbarländern überhaupt keinen Schadenersatz von den dortigen Haftpflichtversicherern zu erwarten haben bzw. wenn ja, nur nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen?
Er hat gleichzeitig eine zweite Frage eingebracht. Ich weiß nicht, ob der Herr Minister die Fragen zusammen beantworten will.
— Der Herr Fragesteller ist offensichtlich damit einverstanden.
— Dann rufe ich noch die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Sieht die Bundesregierung — im Hinblick darauf — Möglichkeiten, die Bemühungen des HUK-Verbands, hier zu gerechteren Verhältnissen zu kommen, auf EG-Ebene zu unterstützen, damit nach den Worten des HUK-Verbandsdirektors „die ausländischen Haftpflichtversicherer künftig zu zahlungswilligen Partnern werden und sich nicht nur als liebenswürdige Gesprächspartner erweisen"?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundestagsabgeordneter, auf die Tatsache, daß deutsche Autofahrer bei unverschuldeten Verkehrsunfällen in manchen europäischen Nachbarländern keinen Schadenersatz bekommen, z. B. wenn der Schädiger nicht versichert ist und ein Garantiefonds nicht eintritt, oder ihre Ersatzansprüche erst nach langwierigen Regulierungen realisieren können, haben wir wiederholt insbesondere Automobilclubs und Versicherer hingewiesen und deshalb gegebenenfalls den Abschluß besonderer Kasko- und Unfallversicherungen empfohlen. Zur zusätzlichen Unterrichtung ist die Bundesregierung bereit, in ihren Informationsbroschüren zu den Ferienzeiten darauf hinzuweisen. Für die Broschüren, die zum Sommer 1975 erscheinen und sich bereits im Druck befinden, ist dies aus technischen Gründen leider nicht mehr möglich.
Die Bundesregierung sieht zur Zeit keine Möglichkeiten, auf EG-Ebene die Regulierungspraxis einer Reihe ausländischer Haftpflichtversicherer in dem Sinne zu ändern, daß sie zahlungswillige Partner werden. Bei der Regulierung von Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen gegen ausländische Haftpflichtversicherer handelt es sich um die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen. Die Verfolgung und Durchsetzung solcher Ansprüche ist grundsätzlich Sache des Anspruchstellers, der sich hierzu notfalls der Gerichte bedienen kann. Die Bundesregierung kann derzeit allenfalls auf dem üblichen diplomatischen Wege vorstellig werden, wenn ihr eine Reihe von konkreten Fällen mitgeteilt wurde, in denen nachweislich die Regulierung von Schadenersatzansprüchen durch ausländische Haftpflichtversicherer unberechtigt verzögert wurde.
Bitte, Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, wenn Sie Gelegenheit finden sollten, die deutschen reisenden Autofahrer aufzuklären, sei es nun zur Sommerzeit oder später, ist die Bundesregierung dann auch bereit, darauf hinzuweisen, daß der Abschluß einer zusätzlichen Kaskoversicherung nicht genügt, sondern daß dazu noch eine Insassenunfallversicherung und eine Rechtsschutzversicherung kommen müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das würden wir bei dieser Gelegenheit als Information mit in die Broschüre aufnehmen.
Weitere Zusatzfrage!
Unabhängig von solchen Fällen, Herr Bundesminister, die nach Rundfunkmeldungen in letzter Zeit außerordentlich zahlreich geworden sein sollen, geben Sie mir zu, daß die reisenden deutschen Autofahrer auch im Hinblick auf das Problem Autobahngebühren —Frage 41 — und das Problem der rechtlichen Regelungen das Gefühl haben müssen, daß Ausländer, die in die Bundesrepublik reisen, wesentlich schneller und gerechter entschädigt werden als Bundesbürger in anderen west-, ost- und südeuropäischen Ländern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies ist in der Tat der Fall.
Keine weiteren Zusatzfragen, Herr Kollege? — Dann rufe ich die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
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11676 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenHält die Bundesregierung es für eine Benachteiligung deutscher Autofahrer, wenn in der Bundesrepublik Deutschland keine Autobahngebühren auch für Ausländer erhoben werden und in anderen Ländern, insbesondere in solchen der EG, von deutschen Autofahrern derartige Autobahngebühren kassiert werden, und gedenkt die Bundesregierung diese Benachteiligung zu vermeiden, daß sie in Verhandlungen mit diesen Ländern unter Hinweis auf die freie Autobahnbenutzung in der Bundesrepublik Deutschland erreicht, daß deutsche Autobahnbenutzer dort als Gegenleistung von der Autobahngebühr befreit werden?Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, zunächst einmal nein. Die weitverbreitete Ansicht, daß deutsche Autofahrer, insbesondere Pkw-Fahrer, durch die Autobahngebühren im Ausland diskriminiert würden, ist falsch. In Italien, Frankreich und Osterreich zahlen die einheimischen Pkw-Fahrer für die Benutzung ihrer Autobahnen nämlich die gleichen Gebühren wie die Ausländer, so daß eine Benachteiligung deutscher Pkw-Fahrer nicht vorliegt.
Eine allerdings unbedeutende Diskriminierung deutscher Güterfernverkehrsunternehmen könnte in Frankreich bestehen, und zwar darin, daß französische Unternehmer ihre Autobahngebühren von der Kraftfahrzeugsteuer absetzen können. Die Kfz-Steuer ist in Frankreich jedoch sehr niedrig. Im Rahmen der Verhandlungen über die Harmonisierung der Besteuerung von Nutzfahrzeugen in Brüssel fordert die Bundesregierung die Beseitigung dieser letztgenannten Diskriminierung.
Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, wenn Sie meine Frage genau lesen, stellen Sie fest, daß sie nicht die Diskriminierung Deutscher im Ausland betrifft, sondern die Diskriminierung gegenüber ausländischen Benutzern von Autobahnen in Deutschland besteht darin, daß wir Ausländer mit Lkw, vor allem aber mit Pkw auf unseren Autobahnen kostenlos fahren lassen, während von unseren Autofahrern auf den Autobahnen in Frankreich, in Italien und in anderen Ländern Gebühren erhoben werden. Das heißt also, entweder es wird bei uns eine Autobahngebühr für Ausländer erhoben, oder unsere Autofahrer bekommen durch Verhandlungen mit den dortigen Ländern freie Fahrtmöglichkeit.
Herr Kollege, ich glaube, das Fragezeichen müßte jetzt hörbar werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe das Fragezeichen erkannt, Herr Präsident. — Ich bedauere, Herr Kollege, daß das trotz sorgfältigem Lesen nicht erkannt wurde. Sie haben recht. Aber ich darf es einmal präzisieren. Dieser Nachteil ist insoweit vorhanden, als ein ausländischer Kraftfahrzeugbesitzer auf unseren Straßen mehr Kilometer fährt, als das bei uns getankte Benzin an und für sich gestattet. Das wäre der konkrete Punkt, an dem Sie Ihre Frage ansetzen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ganz konkret und nicht außen herum: Ist es möglich, Vereinbarungen mit Frankreich und Italien — das sind die Hauptreiseländer — dahin gehend zu treffen, daß die deutschen Autofahrer dort im Hinblick darauf von der Autobahngebühr freigestellt werden, daß ausländische Autofahrer bei uns keine Autobahngebühr zahlen müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, weil der Zusammenhang, den Sie unterstellen, nicht gegeben ist.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein auf:
Hat die Bundesregierung die Absicht, potentiellen Veranstaltern die Nutzung von Anlagen der Breitbandkommunikation stets nur dann zu gestatten, wenn zuvor dafür eine Konzession des für die Anlage zuständigen Landes erteilt wurde, unabhängig davon, von welcher Art das zu veranstaltende Programm ist, oder behält sich die Bundesregierung bzw. die Deutsche Bundespost eine selbständige Prüfung der Frage vor, ob es sich dabei um Rundfunk handelt?
Sie steht mit Frage 43 in einem gewissen Zusammenhang. Aber ich glaube, man kann die Fragen einzeln beantworten. Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich doch gern beide Fragen zusammen beantworten.
Ich hatte die Frage ja schon aufgeworfen. Der Fragesteller wäre Ihnen, Herr Minister, dankbar, wenn Sie die Beantwortung aufteilten, damit er die je zwei Zusatzfragen einzeln stellen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur ersten Frage: Die Deutsche Bundespost erteilt eine Fernmeldegenehmigung für die Errichtung oder den Betrieb einer Fernmeldeanlage, die für die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen bestimmt ist oder bestimmt sein könnte, nur bei Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde. Diese muß dem Antragsteller bestätigen, daß eine entsprechende Rundfunkkonzession erteilt wurde oder keine rundfunkrechtlichen Belange berührt werden.Dementsprechend wird die Deutsche Bundespost Fernmeldeanlagen, die der Breitbandkommunikation dienen und zugleich für die Verbreitung von Rundfunkprogrammen bestimmt sein könnten, auch künftig nur im Benehmen mit den Ländern genehmigen. Dies enthebt die Bundesregierung bzw. die Deutsche Bundespost jedoch selbstverständlich nicht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11677
Bundesminister Gscheidleeiner eigenen Prüfung und Entscheidung, falls in einem Einzelfall unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen sollten, ob eine beabsichtigte Breitbandkommunikation als Rundfunk anzusehen ist.Die Deutsche Bundespost hat nach dem Gesetz über Fernmeldeanlagen über Anträge auf Erteilung einer Fernmeldegenehmigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, habe ich Sie dahin gehend richtig verstanden, daß Sie diese Fragen zwar im Benehmen mit den Ländern, letztlich aber doch in eigener Verantwortung zu entscheiden beabsichtigen? Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, darf ich Sie fragen, nach welchen Kriterien Sie dann die Frage beurteilen, ob rundfunkrechtliche Belange berührt sind oder nicht.
Herr Kollege, auch das war natürlich der bekannte Versuch, zwei Fragen in einer zusammenzufassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur ersten Frage danach, ob Sie mich richtig verstanden haben: Nein. Denn ich hatte klarzumachen versucht, daß es sich um zwei Rechtsgebiete handelt, um ein fernmelderechtliches und um ein rundfunkrechtliches. Die fernmelderechtliche Zuständigkeit liegt bei der Bundespost, die rundfunkrechtliche Zuständigkeit liegt bei den Ländern.
Wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen?
— Bitte!
Herr Bundesminister, in der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion hat die Bundesregierung eine spezielle gesetzliche Regelung der Breitbandkommunikation erwogen. Wären Sie so liebenswürdig, mir zu sagen, wer nach Ihrer Meinung für den Erlaß einer solchen Regelung zuständig wäre, was der mögliche Inhalt wäre und — —
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch diese Frage, Herr Bundestagsabgeordneter, hat jeweils die Prüfung zur Grundlage, ob es sich um einen Regelungstatbestand der fernmelderechtlichen Seite oder um einen der rundfunkpolitischen Seite handelt. Wir würden also bezüglich dessen, was wir in der Beantwortung Ihrer Kleinen Anfrage angedeutet hatten — auch hinsichtlich der Definition dieser Abgrenzung — mit den Ländern zusammenarbeiten müssen. Dem dient im übrigen schon die Vorbereitung in der KtK, in dem Arbeitskreis 3.
Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein auf, die sich mit derselben Materie beschäftigt:
Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung die Bereitstellung neuer Übertragungskapazitäten durch die Breitbandkommunikation geeignet, die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Monopols der öffentlich-rechtlichen Anstalten für die Veranstaltung von Rundfunk, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. Februar 1961 aufgestellt hat, in Frage zu stellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Auffassung der Bundesregierung zur Frage der Aufrechterhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopols ist bereits in der Antwort auf die Frage 7 der von dem Herrn Abgeordneten soeben schon zitierten Kleinen Anfrage dargelegt worden. An dieser Auffassung hat sich nichts geändert.
Herr Kollege Dr. Klein zu einer Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, ist es richtig, daß die derzeitige Rundfunkstruktur entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf beruht, daß die Zahl der zur Verfügung stehenden Frequenzen begrenzt ist und die Kosten der Veranstaltung von Programmen so erheblich sind, daß nur wenige sie aufbringen können? Ist es weiter richtig, daß die Breitbandkommunikation Veränderungen in beiderlei Richtung bringt?
Herr Kollege, ich muß Ihnen ein Kompliment machen; Sie haben sich gleich auf sechs Zusatzfragen vorbereitet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bezug ist richtig. Die Breitbandkommunikation schafft neue technische Möglichkeiten. Ihre tatsächliche Nutzung ist aber hauptsächlich eine Angelegenheit der Finanzierbarkeit. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen und Erfahrungen mit jeder Art von Kabelversorgung dürfte eine kabelgebundene Rundfunkversorgung wesentlich teurer sein als die bisherige drahtlose Versorgung.Das Bundesverfassungsgericht hebt in seinem Urteil im wesentlichen auf die von Ihnen genannten Komponenten der technischen, aber auch der finanziellen Realisierbarkeit ab. Ich könnte es danach bei dem jetzigen Stand der Erkenntnis nicht vertreten, schon von einem gänzlichen Wegfall der Voraussetzungen zu sprechen, die in diesem Urteil genannt sind.
Metadaten/Kopzeile:
11678 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Vielen Dank! — Meine Damen und Herren, die nächste Frage ist von dem Herrn Abgeordneten Benz eingereicht worden.
— Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis, wenn ich Ihnen jetzt nicht das Wort gebe. Nach den Richtlinien hätten Sie sich vorher melden müssen. Aber Sie haben ja jetzt ohnehin die Möglichkeit, bei den nächsten Fragen weitere Zusatzfragen anzubringen. Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Benz auf:
Werden alle in Hamburg mit einem normalen Fernseh- und Rundfunkgerät empfangbaren Programme in die dortigen Versuchsanlagen eingespeist?
Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch die nächsten beiden Fragen würde ich gern im Zusammenhang beantworten, Herr Präsident, wenn es der Fragesteller gestattet.
Herr Abgeordneter, sind Sie damit einverstanden?
Getrennte Beantwortung wäre mir sehr viel lieber, Herr Minister!
Herr Abgeordneter, Ihrem Wunsch wird entsprochen. Der Minister beantwortet jetzt zunächst die erste Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Empfangseigenschaften beim drahtlos verbreiteten Rundfunk werden durch das Zusammenwirken der Empfangsantennenanlagen und der hieran angeschlossenen Fernseh- bzw. Tonrundfunkgeräte bestimmt. Die Funktion der Kabelfernsehversuchsanlage entspricht in diesem Sinne der einer Empfangsantennenanlage. Die Versuchsanlage in Hamburg überträgt die dort ortsüblich in Gemeinschaftsantennenanlagen verbreiteten Programme.
Eine Zusatzfrage!
Wie muß es nach dieser Antwort verstehen, daß in die Programme, von denen Sie gesprochen haben, auch das Fernsehprogramm der DDR aufgenommen worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies ergibt sich aus der Antwort, weil dieses Programm nämlich zu den Programmen gehört, die dort ortsüblich mit jeder Antennenanlage empfangen werden können.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Wer entscheidet über die Aufnahme von Programmen? Tut das in diesem Falle die Bundespost, oder gibt es eine Übereinkunft mit dem Land Hamburg, und wer prüft?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Über die Veranstaltung von Programmen entscheidet das Land.
Aber Ihre Frage zielt ja nicht darauf ab, ob das Land generell darüber entscheidet. Ihre Frage ist vielmehr in der Richtung zu beantworten — wenn es darum geht, daß das Programm der DDR aufgenommen wird —, ob sich dieses Programm im Äther befindet und deshalb über jede Antenne aufgenommen werden kann.
Herr Abgeordneter Dr. Klein hatte noch eine Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, warum hat die Bundespost darauf verzichtet, in die der Hamburger Anlage vergleichbare Versuchsanlage in Nürnberg DDR-Programme einzuspeisen, obgleich diese Programme in Nürnberg ebenfalls empfangen werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt keinen Unterschied. Wir speisen ja nichts ein, Herr Abgeordneter, sondern was über die Antenne ortsüblich empfangen wird, wird über Kabel dem Rundfunkempfänger zugeleitet.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Benz auf:
Wird der Rundfunk der DDR nicht dadurch, daß die Deutsche Bundespost über die Hamburger Anlage seine Programme verbreitet, zum Veranstalter in der Bundesrepublik Deutschland angebotener Programme?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Einbeziehung der DDR-Programme ist lediglich als eine technische Verbreitung der Programme zu bewerten, die ohnedies ortsüblich zu empfangen sind. Würden diese Programme nicht verbreitet, wären die an die Versuchsanlage angeschlossenen Teilnehmer im Vergleich zu Teilnehmern an anderen Gemeinschaftsantennenanlagen, beispielsweise privaten, benachteiligt.
In diesem Zusammenhang stellt sich nicht die Frage der Grundsätze, die bei der Veranstaltung eigener Programme im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu beachten sind.
Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Benz.
Herr Minister, können Sie mir erklären, ob Sie unter diesen Umständen bereit wären, auch Produktionen von Privatsendern, die ja auch in der Luft wären, aufzunehmen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11679
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Die Zusatzfrage gestattet mir, noch einmal zu versuchen, das klarzumachen. Bei den Programmen, von denen Sie jetzt sprechen, handelt es sich um Programme, hinsichtlich derer das Recht zur Konzessionsvergabe eindeutig die Länder haben. Das heißt, Voraussetzung wäre, daß die Länder die Konzession für eine solche Rundfunkprogrammgestaltung erteilen. Danach käme das Genehmigungsverfahren durch die Deutsche Bundespost.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ich hoffe, Sie richtig verstanden zu haben: Die Programme, die vorhanden, in der Luft sind, haben die Konzession?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Gilt das auch für das dänische Fernsehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In Dänemark, ja.
Warum nehmen Sie denn das dänische Fernsehen nicht auf?
Herr Kollege, das wäre die dritte Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist nicht ortsüblich und nicht zu empfangen.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Arndt .
Herr Bundesminister, können Sie bestätigen, daß es ein Verstoß gegen Art. 5 des Grundgesetzes — die Informationsfreiheit — wäre, wenn die Deutsche Bundespost Hörer in Hamburg von einer allgemein zugänglichen Quelle, nämlich dem in der Luft befindlichen Fernsehen der DDR, in Ausübung öffentlicher Gewalt abschnitte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, eine solche Rechtsargumentation ist zumindest denkbar.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Sperling.
Herr Bundesminister, könnte man sich nicht das Vorbild der DDR insofern zu eigen machen, als man durch technische Manipulation an den Antennen den Empfang von Programmen möglicherweise verhindern könnte?
Herr Kollege Sperling, ich lasse die Zusatzfrage nicht zu. — Ich gebe dem Herrn Abgeordneten Dr. Hupka noch die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es der Vorteil des DDR-Programmes ist, daß es keine Konzession braucht und deswegen über das Kanal-Fernsehen empfangen werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist richtig.
Die Frage 46 ist von dem Herrn Abgeordneten Reddemann eingereicht. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 47 der Abgeordneten Frau Dr. Walz auf:
Liegt nicht in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU ein Widerspruch, der darin besteht, daß sie erklärt, ein besonderer Umsetzer für das SECAM-Farbsystem der DDR sei in die Hamburger Anlage nicht eingebaut worden, während es in der Erklärung der Hamburger Senatskanzlei vom 14. Februar 1975 u. a. heißt, „daß die Post das 2. DDR-Fernsehprogramm in Farbe in die Kabelanlage einspeist, und dabei zur Sichtbarmachung der in SECAM ausgestrahlten Farbimpulse in PAL-Fernsehempfängern ein Konverter in die Kabelanlage eingebaut ist"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In die Hamburger Versuchsanlage ist ein besonderer Umsetzer für das SECAM-Farbsystem nicht eingebaut worden. Die Erklärung der Hamburger Senatskanzlei beruht in diesem Punkt auf einem Irrtum.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen. Eine Zusatzfrage hat Frau Dr. Welz.
Trifft es zu, Herr Minister, daß die Firmen Bosch und Blaupunkt den Auftrag hatten, eine Woche nach Inbetriebnahme der Versuchsanlage in Hamburg den vorgesehenen Umsetzer SECAM/PAL einzubauen, und daß die auf der Pressekonferenz der OPD Hamburg anläßlich der Inbetriebnahme Anfang Dezember 1974 verteilte Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft KTV-
Anlage Hamburg — AEG, Telefunken, Bosch — im Wortlaut mit der OPD Hamburg abgestimmt gewesen ist, worin es heißt: Den Kanälen 11 und 29 wird ein Normenwandler SECAM/PAL nachgeschaltet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist richtig, daß von der Lieferfirma diese Pressemitteilung verbreitet wurde. Sie beruht auf einem Irrtum. Eine Abstimmung mit der OPD hat nicht stattgefunden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
11680 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Trifft es weiter zu oder nicht zu, daß das Bundespostministerium in einem Fernschreiben an die OPD in Hamburg erst zwei Monate später, nämlich am 5. Februar 1975, anordnete, daß — ich zitiere Ihr Schreiben —für einen SECAM/PAL-Wandler rechtzeitig die Zustimmung des Bundespostministeriums einzuholen ist,
und wie erklärt sich die Bundesregierung — —
Frau
Kollegin, ich bitte um Verständnis, daß mehrere Zusatzfragen nicht jeweils in einer zusammengefaßt werden können.
Gut, ich werde die Frage dann weiter schriftlich an Sie richten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Fernschreiben ist in der Tat richtig zitiert.
Jetzt
kommt noch der Herr Kollege Klein mit einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wenn schon eine Umsetzung des SECAM-Farbsystems in das PAL-System nicht sattfindet: Werden dann andere Maßnahmen zur Verstärkung der über diese Kabelanlage verbreiteten Programme, insbesondere des DDR-Programms, im Sinne einer Empfangsqualität getroffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Kabelversuchsanlage hat unter anderem bezüglich der Verstärker den technischen Auftrag zu erledigen, eine Kabelverbreitung sicherzustellen, die bundesweit erweiterbar wäre. Insofern sind die dort eingebauten Verstärkereinrichtungen nicht auf ein Programm abgestellt, sondern auf sämtliche über die Antenne kommenden Programme.
Ich rufe
die Frage 48 der Frau Abgeordneten Dr. Walz auf.
Ist es richtig, daß Vertreter der Deutschen Bundespost, der Länder und der Rundfunkanstalten in der Arbeitsgruppe „Kabelverteilungsanlagen für Rundfunk" bereits über die Nutzung der noch freien Kanäle in den posteigenen Kabelverteilungsanlagen gesprochen haben, und, wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Ich bitte Sie, die Frage 48 zu beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Arbeitsgruppe „Kabelverteilungsanlagen für Rundfunk" haben die Rundfunkanstalten ihre Bereitschaft erklärt, sich an den Versuchen der Deutschen Bundespost bei den Kabelfernsehversuchsanlagen zu beteiligen, indem sie ihre Programme zur Verfügung stellen. Die hierfür notwendigen Gespräche über Einzelprobleme werden voraussichtlich in Kürze stattfinden.
Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Ergebnisse und Empfehlungen der Sitzung dieser Arbeitsgruppe? Sie hat ja in ihrer Antwort dazu überhaupt nicht Stellung genommen, obwohl in der Frage 8 ausdrücklich danach gefragt wurde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weil diese Gespräche vermutlich erst Mitte dieses Jahres zu einem Ergebnis kommen, über das man hier überhaupt berichten könnte.
Sie ha-
ben noch eine Zusatzfrage.
Teilt die jetzige Bundesregierung weiterhin die Meinung des ehemaligen Post- und Technologieministers Professor Ehmke, daß — ich zitiere Herrn Ehmke — „politisch tragfähige Lösungen für den Ausbau unseres Kommunikationssystems nur in öffentlicher Auseinandersetzung und nicht in hinter verschlossenen Türen tagenden Zirkeln von Beamten, Technikern und Absatzplanern gefunden und entwickelt werden können" ? Wie beurteilt die Bundesregierung unter diesen Voraussetzungen dann ihre Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion betreffend Kabelfernsehen?
Ich bin
Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie zunächst dem Herrn Minister das Wort erteilt haben; ich bin Ihnen zusätzlich dafür dankbar, daß Sie von Ihrem Recht der Zusatzfrage Gebrauch gemacht haben. Wenn der Herr Minister die Zusatzfrage aus seiner Sicht der Probleme beantworten will, will ich das ihm überlassen; ich kann den unmittelbaren Zusammenhang nicht ersehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Auffassung der Bundesregierung zu dieser Frage ist aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage abzulesen. Aber die Frage, die Sie mit eingebracht haben, wird auch indirekt dadurch beantwortet, daß die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission über technische Kommunikationssysteme unter anderem auch den Auftrag hat, diese Frage unter Einbeziehung der von Ihnen genannten weiteren Fragen zu prüfen. Das heißt, wenn dieser Kommissionsbericht vorliegt — mit bestimmten Bewertungen dieser Möglichkeiten — wird die Diskussion darüber selbstverständlich eröffnet. Es ist ja schlechterdings nicht möglich, sich eine Meinung zu bilden, bevor der Untersuchungsauftrag, den man dazu erteilt hat, ausgeführt ist.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11681
Herr Kollege Benz, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sieht die Deutsche Bundespost keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sie durch ihre Anlage das Programm der DDR technisch vervollkommnet, um dieses Programm dann in die deutschen Stuben zu tragen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, überhaupt nicht, weil hier doch nichts anderes eintritt als ortsüblich schon geschieht.
Herr Kollege Arndt, Sie wollten noch einmal auf Ihre Zusatzfrage zurückkommen? Bitte!
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Meinung, daß es staatlichen deutschen Instanzen nicht gestattet sein kann, einen Bürger dieses Landes von irgendwelchen Programmen, und sei es solchen, die aus der DDR kommen, abzuschneiden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hätte persönlich schwere Rechtsbedenken, wenn dies gemacht wird.
Meine Damen und Herren, ich danke dem Herrn Minister für die Beantwortung der Fragen aus seinem Geschäftsbereich. Damit sind die Fragen abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß Sie diese sicherlich interessante Frage noch persönlich weiterbehandeln.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Herr Abgeordneter Dr. Narjes hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 120 gebeten. — Dem wird entsprochen. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 121 des Herrn Abgeordneten Seiters:
Trifft es zu, daß der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Dr. Gelhoff, in einem Schrifterlaß alle diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland angewiesen hat, den Tag des Inkrafttretens des Grundgesetzes auch in diesem Jahr in einem Rahmen zu begehen, der sich dem anpaßt, was andere diplomatische und konsularische Vertretungen am Nationalfeiertag ihres Landes unternehmen, und welche Erwägungen lagen diesem Schritt der Bundesregierung zugrunde?
Herr Präsident, darf ich darum bitten, die Fragen 121 und 122 zusammen beantworten zu dürfen.
Der Herr Abgeordnete Seiters ist einverstanden. Dann rufe ich noch die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Seiters auf:
Hält die Bundesregierung dieses Vorgehen der Exekutive, das zumindest in tatsächlicher Hinsicht ein Präjudiz hinsichtlich der Festlegung eines deutschen Nationalfeiertags darstellt, mit den verfassungsmäßigen Vorrechten der Legislative für vereinbar?
Bitte, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß Staatssekretär Dr. Gelhoff einen Runderlaß an die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland gezeichnet hat, in dem die von Ihnen zitierte Passage enthalten ist. Allerdings ist der zitierte Text nicht vollständig. Der Erlaß des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts berührt die verfassungsmäßigen Vorrechte der Legislative ebensowenig wie der 1974 an alle diplomatischen und konsularischen Vertretungen ergangene Erlaß, am 25. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes einen Empfang zu geben, der — ich zitiere — „sich im Rahmen der Empfänge halten sollte, die Vertreter anderer Länder alljährlich an ihrem Nationalfeiertag geben".
Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, ist im Erlaß dieses Jahres — was in der Frage nicht erwähnt wird — ausdrücklich unterstrichen worden, daß dadurch einer gesetzlichen Regelung der Frage eines Nationalfeiertages nicht vorgegriffen werden soll. Anfragen, ob der 23. Mai in den Außenministerien des Gastlandes als Nationalfeiertag anzumelden sei, sind daher auch verneinend beantwortet worden. Die Absicht des Erlasses war es vielmehr, bis zur Regelung dieser Frage durch die Legislative den Vertretungen die von ihnen oft vermißte Gelegenheit zu bieten, wie Vertretungen anderer Länder einmal im Jahr an einem bestimmten sinnvollen Tag den im diplomatischen Leben international üblichen repräsentativen Jahresempfang zu geben. Im übrigen wird das Auswärtige Amt keine Schwierigkeiten haben, diesen repräsentativen Empfang einheitlich auf einen Nationalfeiertag zu legen, sobald es durch Gesetzesbeschluß einen solchen gibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Beschlußfassung über einen allgemeinen Nationalfeiertag der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich in die Zuständigkeit des Parlaments gehört, und gedenkt sie, dieser Auffassung künftig Rechnung zu tragen.
Herr Abgeordneter, ich habe eben gesagt, dies sei ein Vorrecht der Legislative. Ich denke, Sie verstehen darunter dasselbe, was Sie eben in Ihrer Frage ausgedrückt haben. Ich brauche also nicht zu wiederholen, was ich eben schon vorgetragen habe.
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11682 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Eine
weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, muß nicht das Verhalten des Auswärtigen Amtes ganz zwangsläufig zu einer Minderung der Bedeutung des 17. Juni beitragen, und ist nicht gerade dies von der Bundesregierung auch beabsichtigt?
Herr Abgeordneter, Sie können dies nicht unterstellen, weil dieser Zusammenhang nicht besteht. Ich habe keinen Gesetzesbeschluß zur Kenntnis nehmen können, daß der 17. Juni ein Nationalfeiertag sei. Der 17. Juni ist vielmehr ein nationaler Gedenktag. Ich bin der Meinung — diese Meinung mag im Hause umstritten sein; dann müßten Sie das durch einen Antrag hier klären lassen —, daß es keine würdigere Möglichkeit zur Darstellung der parlamentarisch-rechtsstaatlichen Demokratie unseres Landes gibt als den Tag, an dem das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verkündet worden ist.
Deshalb wollten wir unseren Botschaften im letzten Jahr an dem Tag, an dem die 25. Wiederkehr der Verkündung des Grundgesetzes zu begehen war, Gelegenheit geben, auf diese — ich will es ganz offen sagen — besondere innerstaatliche Regelung, auf die Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen. Ich hatte bisher den Eindruck, daß die Bedeutung des Grundgesetzes in allen demokratischen Parteien unumstritten sei. Aus Ihrer Frage kann ich wohl schließen, daß Sie dies auch nicht in Zweifel ziehen wollten.
Herr Kollege, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist nicht Ihre letzte Antwort — in Ergänzung zu dem Verhalten des Auswärtigen Amtes — eben doch ein ganz kleiner Beweis dafür, daß das Auswärtige Amt mit der Präjudizierung hinsichtlich der Festlegung eines eigenen deutschen Nationalfeiertages praktisch der Legislative vorgreifen wollte?
Das ist es eben nicht, Herr Abgeordneter. Das können Sie auf Grund der Antwort, die ich auf Ihre beiden Fragen gegeben habe, auch in keiner Weise unterstellen. Dasselbe hätten Sie sonst im vergangenen Jahr bei der 25. Wiederkehr des Tages der Verkündung des Grundgesetzes auch dem Bundespräsidenten unterstellen müssen.
Herr Abgeordneter Jäger !
Herr Staatsminister, geht nicht — im Gegensatz zu Ihrer letzten Antwort — aus einem Teil Ihrer vorangegangenen Antwort deutlich hervor, daß dies die Absicht der Bundesregierung war? Denn Sie sagten ja, daß diese
Feier, die die diplomatischen Vertretungen im Ausland veranstalten sollten, an einem geeigneten Tag stattfinden sollte, und zwar in Ermangelung eines deutschen Nationalfeiertages.
Herr Abgeordneter, das geht nicht daraus hervor. Es scheint hier aber eine gewisse gedankliche Unsicherheit über den Begriff des Gedenktages, des Nationalfeiertages und des Verfassungstages vorzuherrschen. Es gibt eine Reihe von Staaten in der Welt, z. B. Frankreich, die Schweiz und andere, die einen Nationalfeiertag haben. Das war der Tag, an dem in diesen Ländern demokratische Revolutionen gelungen sind, wie wir wissen.
Leider hat das deutsche Volk keinen Tag, an dem es eine gelungene demokratische Revolution feiern könnte.
Deswegen haben wir Schwierigkeiten mit dem Finden eines Tages, der uns die Möglichkeit gibt, unsere eigene Vorstellung von innerer Ordnung darzustellen. Daß eines Tages wie des 17. Juni gedacht wird, ist völlig unbestritten. Aber Sie werden mir doch zugeben, daß das — oder etwa der 20. Juli; den könnten Sie genausogut nehmen — wohl kein Grund zum Feiern sein kann im Sinne dessen, was die Franzosen an ihrem Nationalfeiertag tun, nämlich festzustellen, daß an diesem Tage eine Revolution oder ein Aufstand im demokratischen Sinne gelungen ist. Meiner Ansicht nach wäre es der Welt schwer verständlich zu machen, daß wir einen solchen Tag gleichsetzen wollten mit einem Nationalfeiertag, der in demokratischen Staaten begangen wird als Ausdruck einer gelungenen Demokratisierung, nämlich einer gelungenen demokratischen Revolution, eines Aufstands gegen Obrigkeitsstaaten jeder Prägung.
Deswegen hat das Auswärtige Amt davon Abstand genommen, in dieser Frage etwa zu drängen. Aber es hat den Vertretungen Gelegenheit gegeben — und das war der Wunsch des ganzen Hauses im vergangenen Jahr —, zum 25jährigen Bestehen des Grundgesetzes einen Empfang im Ausland zu veranstalten. Der Erfolg dieser Empfänge hat uns ermutigt, das auch in diesem Jahr wieder zu empfehlen. Das ist der Sinn dieses Erlasses und nichts anderes, auch kein Vorgriff auf Schritte der Legislative.
Die Tatsache, daß man 25, 26 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes bezüglich des Problems des Nationalfeiertages keine gesetzliche Regelung finden konnte, sagt mehr über unsere Geschichte, als es Bundestagsanfragen zu tun vermögen.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Herr Staatsminister, hätte das Auswärtige Amt bzw. hätte die Bundesregierung nicht
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11683
WehnerI in Erwägung ziehen müssen, daß aus der Mitte des frei gewählten Parlaments im freien Teil Deutschlands, wie es oft geheißen hat, Widerspruch dagegen eingelegt werden könnte, im Ausland den Tag des Inkrafttretens unserer demokratischen Verfassung zum Anlaß eines Empfanges zu machen?
Herr Abgeordneter, daß es dazu widersprüchliche Fragen geben würde, war in der Tat auch für unseren besten Arbeitsstab nicht vorhersehbar gewesen. Das ist eine neue Erfahrung, die wir hier machen müssen.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir die Diskussion über diese Frage, die ja alle angeht, nicht in der Fragestunde fortsetzen.
— Ich lasse keine weiteren Zusatzfragen zu diesem Komplex mehr zu. Ich habe von jeder Seite des Hauses eine Zusatzfrage zugelassen.
— Nein. Entschuldigen Sie, Rügen pflege ich klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen. Ich wollte nur einen allgemeinen Appell an uns alle richten, bei einer solchen Frage wie der eines zukünftigen Nationalfeiertags vielleicht doch nicht sofort mit einer kontroversen Diskussion zu beginnen. Das war mein Wunsch. Mehr wollte ich nicht sagen.
Ich rufe die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wurde bei der Hinterlegung der Beitrittsurkunde der Bundesrepublik Deutschland zu dem Übereinkommen von New York vom 20. Februar 1957 über die Staatsangehörigkeit verheirateter Frauen eine Erklärung über den Begriff „Deutscher im Sinne von Artikel 116 GG" unter Beachtung der Regeln über den Abschluß internationaler Verträge abgegeben?
Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, bei der Hinterlegung der Urkunde über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Übereinkommen vom 20. Februar 1957 über die Staatsangehörigkeit verheirateter Frauen im Jahre 1973 ist eine Interpretationserklärung zur Definition dessen, was die Bundesregierung unter Staatsangehörigkeit im Sinne des Übereinkommens versteht, nicht abgegeben worden. Das Übereinkommen verpflichtet lediglich die Vertragsstaaten zur Anpassung ihrer jeweiligen innerstaatlichen Gesetzgebung an die Ziele des Übereinkommens und damit zur Schaffung einer staatsangehörigkeitsrechtlich selbständigeren Stellung der verheirateten
Frauen. Die Bundesregierung hat vor dem Beitritt ihre innerstaatliche Rechtsordnung in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen geändert. Eine Anwendung des Übereinkommens in Einzelfällen kommt nicht in Betracht. Eine Interpretation des Begriffes Staatsangehörigkeit war daher nicht erforderlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Entspricht das den Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge in der Fassung von 1973, und warum wird die Abgrenzung nicht im Sinne dieser Richtlinien getroffen?
Herr Abgeordneter, Sie haben eine Frage gestellt, die Sie im zweiten Teil selbst beantwortet haben.
Erstens verstößt die Entscheidung, die wir getroffen haben, nicht gegen Richtlinien, die wir herausgegeben haben. Zum zweiten habe ich eben gesagt, daß eine Interpretation des Begriffes nicht erforderlich war, weil das Übereinkommen eine Anwendung in Einzelfällen nicht in Betracht zieht.
Herr Abgeordneter Czaja, Sie haben noch die Möglichkeit einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich habe Sie eben gefragt, warum diese von Ihnen getroffene Entscheidung nicht gegen die Richtlinien verstößt. Würden Sie das bitte sachlich begründen?
Sicher! Es verstößt nicht gegen die Richtlinien, weil sich diese Entscheidung im Rahmen der Richtlinien hält.
Herr Abgeordneter, ich glaube, es ist vielleicht von einer Behörde etwas zuviel verlangt, daß sie hier selbst darlegen soll, daß die von ihr gesetzten Richtlinien möglicherweise falsch sind, und daß sie das vor dem Hause bei dieser Gelegenheit auch noch begründet.
— Herr Kollege, das ist ja gerade Ihre Sache. Ich
wollte nur den Inhalt Ihrer Frage deutlich machen.
Meine Damen und Herren, ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
den diplomatischen Verkehr der Begriff „Interventionsnotiz" üblich, nachdem er sich in keinem Verzeichnis der Fachsprache der Diplomatie befindet, oder handelt es sich dabei um einen neuen, im diplomatischen Verkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen eingeführten Begriff, und warum ist dies der Fall?
Bitte, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, grundsätzlich herrscht im inter-
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11684 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Staatsminister Moerschnationalen Recht Formfreiheit. Der diplomatische Verkehr ist auch nicht auf die typischen Formen „Note", „Verbalnote", „Aide mémoire" usw. beschränkt. Mitteilungen und Erklärungen einer Botschaft gegenüber der Regierung des Gastlandes können in der Praxis so oder auch anders bezeichnet werden. Zu dem von Ihnen angeschnittenen Thema habe ich im übrigen bereits in der Fragestunde vom 10. Oktober 1974 auf Grund einer von Ihnen gestellten Frage Stellung genommen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen als Staatsminister im Auswärtigen Amt nicht bekannt, daß die Formen des diplomatischen Verkehrs, auch die schriftlichen Formen, wie Sie sie übrigens in der Geschäftsordnung Ihres Ministeriums festgelegt haben, eine sachliche Bedeutung für das Gewicht der Tätigkeit des Staates nach außen haben und daß sich die Antwort der anderen Staaten danach richtet?
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen eben gesagt, daß es Formen gibt, daß sich der diplomatische Verkehr aber nicht auf die typischen Formen beschränkt. Ich habe bei der Ausarbeitung dieser Antwort die wirklich rechtskundigen Vertreter des Auswärtigen Amtes zu dieser Thematik hinzugezogen, die auch internationale Verhandlungen geführt haben. Ihre Meinung über die, ich möchte sagen, enge Begrenzung von Begriffen im diplomatischen Verkehr steht mit der völkerrechtlichen Praxis nicht ganz in Einklang, und ich füge hinzu, daß die Diplomaten in diesen Formen freier sind, als offensichtlich Nichtdiplomaten gelegentlich annehmen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Nachdem Sie auf diese atypische Form so starken Wert legten, frage ich Sie, ob es zutrifft, daß auf diese neue Form, diese atypische Form des diplomatischen Verkehrs mit Polen nicht einmal Antworten erteilt wurden und daß nur in 50 von 280 000 ausstehenden Interventionsfällen überhaupt Antworten erfolgten?
Das trifft schon deswegen nicht zu, weil Sie eben auf eine Zahl aus einer vertraulichen Unterrichtung des Auswärtigen Ausschusses durch das Deutsche Rote Kreuz reflektiert haben
und nicht die Zahlen kennen, die dem Auswärtigen Amt aus seiner Tätigkeit zur Verfügung stehen. Im übrigen habe ich nicht von einer atypischen Form gesprochen, sondern davon, daß wir nicht so starr in der Handhabung unserer Möglichkeiten sind, wie Sie offensichtlich annehmen. Für uns zählt die wirksame Form und nicht die in irgendeiner Richtlinie
vorgeschriebene Form allein, die wir selbstverständlich auch beachten.
Eine Zusatzfrage zu der von Herrn Dr. Hupka eingereichten Frage, Herr Dr. Sperling!
— Ja, entschuldigen Sie, zur Frage von Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, sollte die Tatsache, daß die Formfreiheit im internationalen diplomatischen Verkehr, wenn sie genutzt wird, hier im Haus zu mehr Mißverständnissen als im internationalen diplomatischen Verkehr führt, nicht dazu führen, daß Sie im diplomatischen Verkehr mehr Rücksicht auf das Haus nehmen?
Herr Abgeordneter, ich gebe gerne zu, daß wir hier in der Diskussion einmal einen Begriff eingeführt hatten — vielleicht habe ich das selbst getan —, der sich offensichtlich in einigen unseren Vertretungen, die diese Protokolle lesen, inzwischen festgefügt hat. Ich gebe zu, daß dieser Begriff nicht in einem internationalen Handbuch steht. Da er aber offensichtlich als treffend empfunden wurde, meine ich, daß wir uns die Freiheit nehmen sollten, Begriffe, die vom Sprachgefühl her als richtig erkannt worden sind, auch dann zu verwenden, wenn sie ein Kollege dieses Hauses nicht im Nachschlagewerk gefunden haben sollte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß es in der auswärtigen Politik in erster Linie darauf ankommt, die Interessen dieses Landes wirksam wahrzunehmen, und daß erst dann bestimmte Formen zu beachten sind, die man im Interesse dieses Landes anwenden oder möglicherweise auch nicht anwenden kann?
Herr Abgeordneter, wir haben im Grunde genau die Formen angewandt, die international immer üblich sind. Aber da es in diesem Hause um spezifische Fälle geht, haben wir uns erlaubt, eine spezifische Bezeichnung dafür zu finden.
Herr Abgeordneter von Fircks zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, müssen Sie nicht bestätigen, daß die von Herrn Dr. Czaja genannten Zahlen auch anderweitig als aus der vertraulichen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses bekannt sind und daß der Vorwurf, den Sie Herrn Dr. Czaja indirekt machten, nicht gerade der feinen englischen Art entspricht.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11685
Ich habe hier nicht einen Vorwurf gemacht, sondern die Feststellung getroffen, daß Herr Dr. Czaja soeben eine Zahl genannt hat, die vom Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes in einer vertraulichen Sitzung erwähnt wurde,
und daß Zahlen der Bundesregierung nicht bekanntgegeben worden sind, obwohl Herr Dr. Czaja in seiner Frage den Eindruck erweckt hat, als handelte es sich hier um die Zahlen der Bundesregierung; das lediglich wollte ich feststellen; etwas anderes habe ich nicht gesagt. Ich möchte hier hinzufügen: Wie man in den Wald hineinruft, hallt es heraus.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, würden Sie wenigstens die Freundlichkeit besitzen, dem Hause mitzuteilen, welche Bedeutung nun dieser Begriff „Interventionsnotiz", um den Sie so lange herumgeredet haben, nach Auffassung der Bundesregierung eigentlich hat?
Herr Abgeordneter, da Sie schon bisher ein sehr genaues Studium der Protokolle vorgenommen haben und sicherlich noch beabsichtigen, möchte ich der Kürze der Zeit wegen — es sind noch andere Fragesteller da — sagen, daß ich vollinhaltlich meine Antwort vom 10. Oktober 1974 bestätige; das steht auf Seite 8162 der Stenographischen Berichte des Bundestages.
Ich rufe nun die Frage 126 auf; sie wurde von Herrn Dr. Hupka gestellt:
Woher nimmt die Bundesregierung die Begründung zu der Behauptung, daß die Familienzusammenführung „für die osteuropäischen Staaten Mitte/Ende der sechziger Jahre kein Diskussionsthema mehr zu sein schien", obwohl statistisch für Mittel Ende der sechziger Jahre eine höhere Zahl von Aussiedlern aus den osteuropäischen Staaten registriert werden konnte als in den Jahren 1970 bis 1974?
Herr Staatsminister, bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Kollege Hupka, zunächst möchte ich feststellen, daß die Bundesregierung eine Aussage der von Ihnen zitierten Art bisher nicht gemacht hat. Ich nehme an, daß Sie sich auf ein Interview beziehen, das ich mit der Deutschen Welle gemacht habe und das morgen ausgestrahlt werden soll. Ich freue mich, daß Sie mir bereits heute Gelegenheit geben, zu Äußerungen Stellung zu nehmen, die ich morgen machen werde.
Vielleicht erhält auf diese Art die Sendung die Publizität, die sich die Redakteure wünschen.
Andererseits zeigt Ihre Frage erneut, wie gegensätzlich die von Ihnen und mir in diesem Punkt vertretenen Ansichten sind, und daß es aussieht, als ob dieser Meinungsgegensatz auch durch Fragen und Interviews nicht überbrückt werden könnte.
Im einzelnen darf ich dazu sagen: Wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, bezieht sich meine Äußerung insbesondere auf die Sowjetunion. Die mit der Sowjetunion im Jahr 1958 vereinbarte Repatriierung von Deutschen ist, wie Sie sicherlich bestätigen werden, Anfang der sechziger Jahre nahezu zum Erliegen gekommen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch auf eine Äußerung von Ihnen eingehen. Sie sagen, daß wir als Demokraten verpflichtet seien, Anwalt derjenigen zu sein, die als Deutsche aus den osteuropäischen Staaten in die Bundesrepublik Deutschland umsiedeln wollen. Hier möchte ich ganz klar feststellen, daß es die Regierung der sozialliberalen Koalition war, die diese von Ihnen verbal verkündete Aufgabe ernst genommen hat, indem sie mit den osteuropäischen Regierungen das Gespräch über diese Frage gesucht hat, um sie einer Lösung näherzubringen.
Herr Abgeordneter Dr. Hupka zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie beziehen sich jetzt auf die Sowjetunion, sprechen jedoch von den osteuropäischen Staaten. Man muß sich da doch wohl etwas differenzierter ausdrücken. Es bestreitet niemand, daß nun die Zahl derer, die die Sowjetunion verlassen dürfen, größer ist als zuvor. Umgekehrt sollte aber ebenso klargestellt werden, daß die Zahl derjenigen, die aus der Volksrepublik Polen und vor allem aus der Tschechoslowakei ausreisen können, erschreckend niedriger ist als vor den Verträgen.
— Man muß das Fragezeichen mithören.
Ich habe es mitgehört. — Herr Abgeordneter, da Sie ebenso wie ich inzwischen das Manuskript der ganzen Sendung haben, die morgen ausgestrahlt werden soll — ob sie tatsächlich ausgestrahlt wird, wissen wir beide noch nicht —, ist sicher auch für Sie unverkennbar, daß ich nicht nach einer schriftlichen Vorlage gesprochen habe. Vielmehr war der Redakteur intelligent genug, diesen Zusammenhang so herzustellen, daß Fehlinformationen vermieden werden. Der Redakteur hat uns also beiden die Aufgabe ein wenig erleichtert, indem er uns zusätzlich in den richtigen Rahmen gestellt und interpretiert hat. Ich denke, damit ist eine objektive Information über diesen Zusammenhang gewährleistet.
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11686 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Können Sie mir darin zustimmen, Herr Staatsminister, daß vor den Verträgen gerade aus den hier genannten Staaten mehr Aussiedler ausreisen konnten als nach Abschluß der Verträge?
Herr Abgeordneter, Sie nennen hier eine Tatsache und behaupten zugleich in der Frage eine Kausalität. Der Kausalität kann ich nicht zustimmen, der Tatsache bedingt. Es ist völlig unverkennbar, daß in gewissen Zeiten der fünfziger Jahre sehr viel mehr Umsiedler gekommen sind als heute, und es ist unverkennbar, daß die meisten in den Jahren 1945 und 1946 gekommen sind. Das beweist über die Verträge überhaupt nichts.
Meine Damen und Herren, die beiden Zusatzfragen sind beantwortet.
Herr Abgeordneter, wir haben — —
Herr Staatsminister, darf ich mal sagen: Der Herr Abgeordnete Hupka hat von seinem Recht auf Zusatzfragen Gebrauch gemacht, und er hat dann noch einen Zwischenruf gemacht.
Ich rufe seine nächste Frage — Frage 127 — auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß während des Besuchs von Bundeskanzler Schmidt Ende Oktober 1974 in Moskau zehn Staatsangehörige der Sowjetunion deutscher Volkszugehörigkeit in Estland für 12 Tage von der Roten Armee verhaftet und vier in psychiatrische Kliniken eingeliefert worden sind, und wie hat sie darauf reagiert, oder wie gedenkt sie darauf zu reagieren, falls sie davon noch keine Kenntnis gehabt haben sollte?
Bitte, Herr Staatsminister!
Die Bundesregierung hat zu dem Sachverhalt, der der Anfrage zugrunde liegt, bereits zu einem aktuelleren Zeitpunkt Stellung genommen. Ich darf auf die schriftliche Antwort auf eine entsprechende Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann verweisen. Sie ist im Protokoll der 131. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 14. November 1974, Seite 8953/54 wiedergegeben.
Ich habe ferner wiederholt dargelegt, welche Anstrengungen mit gewissem Erfolg die Bundesregierung unternommen hat, um das wesentliche Anliegen jener Menschen, zu denen auch die von Ihnen erwähnten Personen gehören, zu unterstützen, nämlich die Ausreisegenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland zu erhalten.
Darüber hinaus habe ich des öfteren — auch Ihnen gegenüber, Herr Kollege — auf die rechtlichen und politischen Grenzen hingewiesen, die uns bei der Betreuung dieses Personenkreises gezogen sind. Ich nenne hier nur als Stichworte: sowjetische Staatsangehörige, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion usw.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, offenbar haben Sie meine Frage nicht genau gelesen. Es ging ja jetzt nicht um die Ausreisegenehmigung, sondern um die Nachricht, daß Sowjetbürger deutscher Volkszugehörigkeit während des Besuches inhaftiert und vier sogar in die psychiatrische Klinik verbracht worden sind. Es werden doch ständig Gespräche geführt zwischen der Bundesregierung und der Sowjetunion.
Herr Abgeordneter, ich habe die Frage richtig verstanden, und ich habe sie beantwortet. Mir liegt genau der Brief vor, der offensichtlich Ihrer Frage zugrunde liegt und der mir von einem Redakteur vertraulich zur Benutzung übergeben worden ist. Weil mir dieser Brief vertraulich zugegangen ist, habe ich im einzelnen dazu nicht Stellung genommen. Daß wir mit der Sowjetunion über diese Fragen gesprochen haben, glaubte ich in meiner Antwort deutlich gemacht zu haben.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Kann ich daraus schließen, Herr Staatsminister, daß Sie bereits vor Eintreffen des von Ihnen zitierten Briefes darüber Bescheid wußten, daß Deutsche während des Besuches von Herrn Bundeskanzler Schmidt in der Sowjetunion verhaftet worden sind und in psychiatrische Kliniken eingeliefert worden sind?
Nein, Herr Abgeordneter, das können Sie nicht. Ich kann auch den Fall im einzelnen nicht nachprüfen. Es steht übrigens in dem Brief nicht, daß sie verhaftet worden sind, sondern es steht darin „zur Armee eingezogen", „vier in eine psychiatrische Klinik verbracht".
Diese Kenntnis, die Sie haben, habe ich aus dem Brief hier ebenfalls bekommen. Ich will nur korrekt zitiert haben. Über den Fall selbst habe ich hier Auskunft gegeben. Wir können selbstverständlich erst dann Gespräche führen, wenn wir davon Kenntnis haben.
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Staatsminister MoerschIch hätte es in diesem Falle auch für richtig gefunden, Herr Abgeordneter, wenn Sie eine solche Kenntnis bekommen haben, möglicherweise uns davon zu unterrichten.
Ich rufe die nächste Frage — —
— Ich werde am Schluß der Fragestunde noch eine Bemerkung machen. —
Ich rufe die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Was hat die Bundesregierung veranlaßt, sich in Luxemburg am Dienstag, dem 15. April 1975, im Rahmen eines Beschlusses der EG-Außenminister einem Ersuchen der amerikanischen Regierung zu versagen, die Aggressionshandlungen Hanois und der Vietcong in Südvietnam zu verurteilen?
Bitte, Herr Staatsminister!
Die in der Frage enthaltenen Tatsachenbehauptungen, Herr Abgeordneter, treffen in dieser Form nicht zu. In Luxemburg haben sich die neun Außenminister am 14. April auf die Grundzüge einer Antwort geeinigt, die die irische Präsidentschaft im Rahmen der üblichen europäisch-amerikanischen Konsultationen Außenminister Kissinger auf dessen vertrauliche Mitteilung über eine Reihe von Problemen in Zusammenhang mit Vietnam erteilen sollte. Die Mitteilung Kissingers war den Außenministern zu ihrem informellen Wochenendtreffen in Dublin am 12./13. April übermittelt worden. In der Antwort, die auf alle von Außenminister Kissinger angesprochenen Aspekte eingeht, wird die Frage diplomatischer Schritte der EG-Staaten bei den Konfliktparteien in positivem Geiste aufgegriffen und die Bereitschaft zu Konsultationen hierüber ausgedrückt.
Zu der zweiten Frage verweise ich auf meine vorausgehende Antwort. Die der Frage zugrunde gelegten Behauptungen treffen nicht zu.
Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Öffentlichkeit angesichts der in der Vorwoche in der Presse wiedergegebenen Mitteilungen den Eindruck erhalten konnte, als verhielte sich die deutsche Bundesregierung hinsichtlich der erschreckenden Vorgänge in Vietnam und insbesondere hinsichtlich des offensichtlich vorliegenden Bruches des Waffenstillstandes unbeteiligt, neutral, was unter dem Gesichtspunkt der Verweigerung der Waffenruhe auch jetzt nach Rücktritt des Präsidenten Thieu besonders bedeutsam ist?
Herr Abgeordneter, ich habe den Standpunkt der
Bundesregierung dargestellt. Die Bundesregierung hat in diesem Hause zu dem gesamten Fragenkomplex Stellung genommen. Ich meine, daß der Eindruck, der Bundesregierung sei das Geschehen gleichgültig oder was immer, überhaupt nicht entstehen konnte. Daß — wie die Bundesregierung Ihnen in der Fragestunde erklärt hat — die formalen Möglichkeiten einer Demarche zunächst die Staaten nützen müssen, die Unterzeichner des Waffenstillstandsabkommens sind, ist wohl unbestritten, und daß die Neun die Überprüfung der Gesamtlage zugesagt haben, habe ich dargestellt. Ich habe Sie darüber auch im einzelnen im Auswärtigen Ausschuß unterrichtet. Ich glaube, daß es keinen Anlaß gibt, die Bundesregierung wegen ihres Verhaltens in dieser Frage zu kritisieren.
Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, ausgehend von der überprüften Tatsache, daß der Herr Minister des Auswärtigen in seiner Einlassung vor dem Bundestag keine klare Mißbilligung oder Verurteilung des Waffenstillstandsbruches ausgesprochen hat, möchte ich Sie fragen, ob die unbeteiligte oder neutralistische Haltung der Bundesregierung in dieser Frage unter Umständen von der Haltung des SPD-Vorstandes beeinflußt wurde, der in der Vorwoche die in Vietnam wirkenden Kräfte einander gleichstellte und feststellte, daß „Idealisierungen in der einen oder anderen Richtung an der Wirklichkeit vorbeigingen".
Ich weiß nicht, welcher Zusammenhang damit bestehen sollte. Sie haben nach dem Verhalten der neun Staaten gefragt, und ich habe Ihnen dargelegt, daß die Bundesregierung diese Frage mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft geprüft hat und zu ganz bestimmten Schlußfolgerungen gekommen ist. Im übrigen weiß ich nicht, wie die Bundesregierung durch Erklärungen beeinflußt worden sein soll, die nach ihrer Stellungnahme abgegeben worden sind. Die Bundesregierung hatte ihren Standpunkt längst dargelegt, als die Erklärung des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei abgegeben wurde. Da müßte zunächst die Frage geprüft werden, ob etwa objektive Tatsachen anders lauten, als sie in der Erklärung dargestellt worden sind.
Ich gebe zunächst Herrn Abgeordneten Professor Schweitzer zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatsminister, teilen Sie in diesem Zusammenhang meine Auffassung, daß nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse grundsätzlich davon auszugehen ist, daß alle vietnamesischen Parteien das Pariser Abkommen in irgendeiner Form verletzt haben?
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11688 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Herr Abgeordneter, ich habe nicht die Absicht, in irgendeiner Weise Partei zu ergreifen oder gar eine Schiedsrichterrolle in dieser Frage zu spielen. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß sich in der von Herrn Kollegen Dr. Becher zitierten Erklärung der SPD irgend jemand eine Schiedsrichterrolle angemaßt hätte. Dies sage ich zur Richtigstellung. Ich glaube, es ist nicht unsere Aufgabe in diesem Bundestag, eine internationale Gerichtssitzung vorwegzunehmen, — die es im übrigen wahrscheinlich nie geben wird.
Zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Dr. Kliesing das Wort.
Herr Staatsminister, halten Sie die von Ihnen erwähnte Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht zu den Signatarmächten des Waffenstillstandsabkommens gehört, für eine ausreichende Rechtfertigung für eine politische Untätigkeit der Bundesregierung in dieser Frage?
Die Bundesregierung ist nicht politisch untätig gewesen. Sie ist im Gegenteil in dieser Frage tätig. Aber, Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf hinweisen, daß es wohl dem Willen des ganzen Bundestages entspricht, daß die Bundesregierung in solchen Fragen in enger Abstimmung und engem Kontakt mit den Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft handelt und daß sich zu diesem Zweck eine politische Konsultation in Europa gebildet hat. Ich sehe nicht ein, daß, zumal zwei dieser neun Staaten als Signatarmächte unmittelbar betroffen sind, die Bundesregierung sich öffentlich zu einem anderen Standpunkt bekennen sollte als dem, den zu erarbeiten den Neun — darunter den zwei so wichtigen Signatarmächten — offensichtlich möglich war. Die Solidarität der Europäischen Gemeinschaft sollte ebenfalls ein wesentliches Element unserer Meinungsbildung sein.
Zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Wehner das Wort.
Herr Staatsminister, habe ich aus Ihren Antworten die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die Bundesregierung von nun an die im Sinne des Vorwurfs und der Herabsetzung gemeinte Bezeichnung „neutralistisch", wenn sie von einem Herrn aus Pullach ausgesprochen wird, nicht mehr zurückweist und tadelt?
Das können Sie nicht, Herr Abgeordneter. Ich sehe mich leider nicht in der Lage — und ich bitte um Verständnis dafür —, Unterstellungen, die in Fragen enthalten sind, allesamt zurückzuweisen. Sie haben sicher gesehen, daß selbst der Versuch, sie
teilweise zurückzuweisen, hier auf heftigen Widerspruch gestoßen ist. Ich glaube, daß ich es der Reife der Zuhörer zumuten kann, diese Unterscheidung zu machen, so daß ich nicht jede einzelne Unterstellung dieser Art zurückweisen muß.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Werner.
Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß es sich qualitativ um ein und dasselbe handelt, wenn a) 13 nordvietnamesische Divisionen in Südvietnam stehen und b) die Amerikaner in Übereinstimmung mit den Ausführungsbestimmungen des Pariser Abkommens den ausdrücklich erlaubten einmaligen Austausch und Ersatz von Waffen und dergleichen vorgenommen haben? Meinen Sie, daß man dann, auf das Bündnis hin angefragt, einfach abseits stehen kann?
Herr Abgeordneter, ich sehe überhaupt nicht den Zusammenhang der von Ihnen gestellten Zusatzfrage mit der ursprünglich eingereichten Frage.
Herr Staatsminister, auch ich sehe nicht, daß diese Zusatzfrage — das gilt ebenso für die vorhergehende — in dem notwendigen Zusammenhang mit der ursprünglich gestellten Frage steht.
Ich rufe die Frage 129 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Muß die Bundesregierung nicht befürchten, daß ein derartiges Verhalten jene Reaktionen in den Vereinigten Staaten stärkt, welche die freiheitlichen Kräfte Europas und insbesondere des deutschen Volkes in ihrer Auseinandersetzung mit der sowjetischen Bedrohung sich selbst überlassen und durch Entzug der politischen und militärischen Hilfe neutralisieren wollen?
Diese Frage habe ich schon beantwortet.
Sie haben dann noch zwei Zusatzfragen, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, sind Sie im Gegensatz zu dem Herrn aus Hamburg, der eben eine Frage gestellt hat, nicht der Meinung, daß unsere besondere Lage als die eines in die unmittelbare Nachbarschaft der hochgerüsteten Sowjetmacht gestellten und geteilten Landes eine besondere Aufmerksamkeit — „besonders" im Vergleich etwa zu Frankreich oder England — gegenüber Solidaritätswünschen von seiten jener Weltmacht verlangt, die sich nunmehr in Südvietnam, aus einem geteilten Land, zurückzieht?
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen ganz offen gestehen, daß ich den Zusammenhang mit der von
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Staatsminister MoerschIhnen ursprünglich eingereichten Frage nicht erkennen kann.
Meine Damen und Herren, es ist üblich, daß ich bei den ersten zwei Zusatzfragen bezüglich des Zusammenhangs dem Fragesteller möglichst viel Freiheit lasse. Herr Staatsminister, es obliegt dann Ihnen, ob und wie Sie antworten. Wie Sie wissen, gehe ich bei den weiteren Zusatzfragen genau vor.
Herr Präsident, darf ich zunächst feststellen, daß — —
Nein, Herr Kollege, ich bitte um Entschuldigung. Ich will jetzt erst dem Herrn Staatsminister die Möglichkeit zur Beantwortung geben. Wenn er diese nicht nutzt, haben Sie eine Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie auf die Freiheit des jeweiligen Vertreters der Bundesregierung hinweisen, Fragen zu beantworten; das ist hier eben in Zwischenrufen angezweifelt worden. Die Geschäftsordnung gibt diese Freiheit, und an die Geschäftsordnung werden wir uns wohl alle halten.
Ich bitte, eine Frage, die nicht im Zusammenhang mit der schriftlich eingereichten Frage steht, schriftlich einzureichen. Dann wird sie selbstverständlich genauso beantwortet wie alle schriftlich eingereichten Fragen.
Herr Abgeordneter Dr. Becher, Sie haben die Möglichkeit einer weiteren Zusatzfrage.
Darf ich davon ausgehen, daß Sie erstens den Herrn Präsidenten nicht baten, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen — —
Herr Kollege, der amtierende Präsident wird schon mit der Geschäftsführung fertig werden. Ich bedanke mich sehr für jede Unterstützung aus dem Hause. Wie Sie wissen, bekomme ich gelegentlich von allen Seiten Hinweise, nicht nur freundliche Hinweise.
Sie haben jetzt die Möglichkeit, eine weitere Zusatzfrage zu stellen. Machen Sie bitte davon Gebrauch!
Herr Staatsminister, darf ich angesichts der Tatsache, daß Sie die zweite Frage offenbar weder gelesen noch beantwortet haben, Sie generell fragen: Muß die Bundesregierung nicht befürchten, daß eine gegenüber den USA bekundete Form der Neutralität in diesen Fragen bezüglich der Vorgänge in Vietnam dereinst auch eine neutralistische Haltung der USA gegenüber den Vorgängen in Deutschland und Europa begünstigen kann?
Herr Abgeordneter, da Sie offensichtlich die Antwort nicht gehört haben, die ich zunächst gegeben hatte, möchte ich sie als Antwort auf diese jetzt gestellte Frage noch einmal wiederholen. Ich hatte zu Ihrer Frage 129 folgenden Satz vorgetragen: „Zu dieser Frage verweise ich auf meine vorausgehende Antwort. Die der Frage zugrunde gelegten Behauptungen treffen nicht zu." Das trifft auch für die Zusatzfrage zu, die Sie eben gestellt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatsminister, müssen die tatsächlichen Erklärungen des amerikanischen Präsidenten und des amerikanischen Außenministers nicht zum gegenteiligen Schluß als dem führen, den der Fragesteller gezogen hat?
Herr Abgeordneter, auch dies wäre einer besonderen Untersuchung wert. Auch hier bitte ich um Verständnis, wenn das nur auf Grund einer besonderen Frage beantwortet werden kann.
Ich rufe die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Welche Unterlagen oder Nachrichten lagen der Bundesregierung vor, als ihr Außenminister — nach Zeitungsmeldungen — mit den Außenministern der Europäischen Gemeinschaft in Dublin darin übereinstimmte, daß der Kampf in Südvietnam wohl weitergehen werde, solange Staatspräsident Thieu sein Amt nicht zur Verfügung stelle?
Bei dem Zusammentreffen der Außenminister der EG-Staaten und Präsident Ortoli in Dublin am Wochenende des 12./13. April war nicht von einer Übereinstimmung die Rede, daß der Kampf in Südvietnam wohl weitergehen werde, solange Staatspräsident Thieu sein Amt nicht zur Verfügung stelle. Der Bundesregierung lagen damals keine Unterlagen oder Nachrichten vor, die sie zu einer entsprechenden Haltung hätten veranlassen müssen.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, soll ich Ihrer Antwort entnehmen, daß der Herr Bundesaußenminister eine aus der Fragestellung ersichtliche Stellungnahme in der Richtung, daß Thieu zurücktreten solle, weder direkt noch indirekt abgegeben hat, und sind die Zeitungsmeldungen darüber falsch?
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11690 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Sie müssen falsch sein, denn zu diesem Zeitpunkt lagen entsprechende Nachrichten und Unterlagen noch nicht vor.
Damit ist Ihre erste Frage erledigt, Herr Abgeordneter Dr. Wittmann.
Ich rufe Ihre Frage 131 auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, diese in Dublin gezeigte Haltung in Zukunft immer dann einzunehmen, wenn ein Angriff eines kommunistischen oder eines anderen Landes, das von einer kommunistischen Großmacht unterstützt wird, gegen ein nichtkommunistisches Land oder auf den nichtkommunistischen Teil eines aus politischen Gründen geteilten Landes stattfindet?
Aus meiner Antwort auf die vorhergehende Frage, Herr Abgeordneter, geht hervor, daß die der Frage zugrunde liegende Behauptung nicht zutrifft. Es erübrigt sich deshalb, darauf aufgebaute Schlußfolgerungen zu erörtern.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 132 und 133 gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Meine Damen und Herren, der Herr Staatsminister — damit komme ich auf den Zwischenruf des Herrn Abgeordneten Sauer zurück; ich halte diesen Zwischenruf nicht für gut und möchte deshalb auch darum bitten, so etwas in Zukunft zu unterlassen — hat ein altes deutsches Sprichwort zitiert: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus." Ich schlage vor, daß alle Seiten des Hauses bis zur Regierungsbank bei den kommenden Fragestunden, insbesondere bei Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, daran denken. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Herold zur Verfügung. Die Abgeordneten Wohlrabe — Fragen 49 und 50 —, Rollmann — Frage 51 — und Sauer — Frage 52 — haben um schriftliche Beantwortung der von ihnen eingereichten Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Danke schön, Herr Staatssekretär!
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Die Fragen 53 bis 59 sind nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig. Ich darf auf den Tagesordnungspunkt 2 a) bis c) der heutigen Tagesordnung verweisen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Glotz zur Verfügung.
Die Frage 60 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer eingebracht worden:
Werden nach Auffassung der Bundesregierung ausländische Regierungen, die mit der Bundesrepublik Deutschland der „Europäischen Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse" beigetreten sind, durch die derzeitigen Zulassungsmodalitäten der Dortmunder ZVS in Fächern mit einem sogenannten Numerus clausus daran gehindert, ein deutsches Reifezeugnis im Sinne des Artikels 1 der genannten Konvention voll anzuerkennen, d. h. betroffene deutsche Studierende mit einem deutschen Reifezeugnis in ihren Ländern studieren zu lassen, und macht sich die Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang möglicherweise unbeschadet der Ziffer 2 Artikel 1 der Konvention einer Vertragsverletzung auf Grund des derzeitigen zentralen Zulassungsverfahrens schuldig?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident und Herr Kollege Schweitzer, gestatten Sie, daß ich beide Fragen zusammen beantworte?
Einverstanden. — Dann rufe ich noch die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen oder gedenkt sie zu ergreifen, um einer durch unser derzeitiges Zulassungsverfahren möglichen Benachteiligung deutscher Studienbewerber mit einem bundesrepublikanischen Reifezeugnis in dem jeweiligen Vertragsland dieser Konvention gegenüber anderen zum Studium Qualifizierten aus dritten Vertragsstaaten entgegenzuwirken?
Danke schön!Die Unterzeichnerstaaten der „Europäischen Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse" werden durch den Staatsvertrag der Länder über die Vergabe von Studienplätzen nicht gehindert, ein deutsches Reifezeugnis voll anzuerkennen, denn der Staatsvertrag schränkt die im Reifezeugnis ausgesprochene Studienberechtigung nicht ein. Dennoch ist nicht zu verkennen, Herr Kollege Schweitzer, daß der Staatsvertrag der Länder, der vorwiegend auf die Abiturdurchschnittsnote abstellt und damit zur Festlegung von sogenannten Grenznoten führt, es anderen Staaten nahelegen könnte, in den entsprechenden Studiengängen nur solche deutschen Bewerber zuzulassen, die diese Grenznote auch ihrerseits erreichen. Nicht zuletzt deshalb hat die Bundesregierung neue Zulassungsverfahren im Hochschulrahmengesetz vorgeschlagen, in denen die Abiturnoten in eine Gesamtbewertung eingehen, die aus mehreren Bewertungselementen zusammengesetzt ist.Der Staatsvertrag der Länder verletzt jedoch nicht die „Europäische Konvention", die eine Beschränkung der Zulassung auf die verfügbaren Plätze ausdrücklich zuläßt. Die Bundesregierung hat auf Grund der „Europäischen Konvention" keine Möglichkeit, auf die Zulassung von deutschen Studienbewerbern in anderen Staaten unmittelbar Einfluß zu nehmen. Die anstehenden Fragen sind jedoch im Ausschuß für Hochschulfragen und Forschung des Rates für kulturelle Zusammenarbeit beim Europarat zur Sprache gebracht worden. Unter intensiver Mitwirkung der deutschen Delegation hat der Ausschuß am 10. April 1974 Grundsätze und Empfehlungen verabschiedet, die im Sinne der Konvention weiterhin eine angemessene wechsel-
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Parl. Staatssekretär Dr. Glotzseitige Berücksichtigung von Studienbewerbern aus den Unterzeichnerstaaten sichern. Diese Grundsätze und Empfehlungen, Herr Kollege Schweitzer, stelle ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Zusatzfrage!
Darf ich zunächst, Herr Präsident, darauf hinweisen, daß hier ein Druckfehler vorliegt. Es muß natürlich statt „Nummer 3" heißen: „Ziffer 2 Artikel 1". Ich sage das nur für das Protokoll.
Das war der Bundesregierung mitgeteilt worden, Herr Kollege.
— Ja.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung bei der Abstimmung in dieser Frage im Rahmen des Europarates mit weiteren Fortschritten rechnet und ihrerseits alles tun wird, um hier zu weiteren positiven Ergebnissen im Sinne aller Betroffenen zu kommen?
Herr Kollege Schweitzer, die Bundesregierung hat sich dafür schon eingesetzt. Empfehlungen des Europarates liegen bereits vor. Ich werde sie Ihnen zuschicken. Ich wiederhole: die Bundesregierung hat dies schon getan und wird es selbstverständlich auch weiterhin tun.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich in diesem Zusammenhang weiter davon ausgehen, daß die Bundesregierung es begrüßen würde, wenn das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Hochschulrahmengesetz mit seinen von Ihnen ja auch erwähnten, wie ich glaube, sehr deutlichen Verbesserungen im Bereich des Zulassungsverfahrens so bald wie möglich in Kraft treten könnte?
Abgesehen davon, Herr Kollege Schweitzer, daß Staatsminister nur im Auswärtigen Amt beschäftigt werden
und ich diesen Titel nicht für mich in Anspruch nehmen kann, darf ich Ihnen antworten, daß die Bundesregierung bestrebt ist, das Hochschulrahmengesetz, das jetzt im Vermittlungsausschuß behandelt wird, so schnell wie möglich zur Wirkung zu bringen, daß der Zulassungsteil der wichtigste ist und daß das von Ihnen angesprochene Problem in der Tat durch eine Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes
— und nur durch eine solche Verabschiedung — vernünftig gelöst werden kann.
Frau Kollegin Huber, eine Zusatzfrage. Bitte!
Herr Staatssekretär, in welchem Umfang sind der Bundesregierung konkrete Zulassungsschwierigkeiten deutscher Studierwilliger im Ausland bekannt?
Frau Kollegin Huber, es sind nicht generell in allen Ländern große Schwierigkeiten bekannt, aber es ist natürlich die Befürchtung auf dem Tisch, daß die Situation in unserem Lande, die in der Tat große Einschränkungen aufweist, von anderen Ländern entsprechend, spiegelbildlich angewendet wird, und dies ist genau die Gefahr, auf die der Kollege Dr. Schweitzer hingewiesen hat.
Ich rufe Frage 62 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den offensichtlich profitablen Handel mit Doktorhüten in der Bundesrepublik Deutschland zu unterbinden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich nehme an, Herr Kollege, daß Ihre Frage durch Berichte in der Presse über den schwunghaften Handel einiger Personen mit ausländischen Doktorgraden angeregt worden ist. Inzwischen ist dieser Handel durch die Festnahme der betroffenen Personen erfreulicherweise wirksam unterbunden worden.Ohne über die Hintergründe der Festnahmen im einzelnen unterrichtet zu sein, weise ich darauf hin, daß die Vermittlung des Erwerbs eines ausländischen akademischen Grades gegen Vergütung ein Straftatbestand ist. In § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Führung akademischer Grade — zuletzt geändert durch Art. 85 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch — ist festgelegt, daß mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer sich erbietet, gegen Vergütung den Erwerb eines ausländischen akademischen Grades zu vermitteln. Das gleiche gilt nach § 132 a des Strafgesetzbuches auch für das unbefugte Führen eines ausländischen akademischen Grades.Die Führung eines ausländischen akademischen Grades ist genehmigungspflichtig. Die Genehmigung ist Sache der Bundesländer. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß in einem der in Rede stehenden Fälle eine Genehmigung erteilt worden wäre. Sie wird aber Ihre Frage zum Anlaß nehmen, diese Angelegenheit bei nächster Gelegenheit einmal in der Konferenz der Kultusminister der Länder zur Sprache zu bringen.Mir ist im übrigen bekannt, daß die Länder den Entwurf eines Hochschulgradgesetzes vorbereiten,
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11692 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Parl. Staatssekretär Dr. Glotzder möglicherweise auch den von Ihnen angeprangerten Handel berücksichtigen könnte.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß ein gewisser „Konsul" Weyer — offensichtlich von Liechtenstein aus — nach eigenem Bekunden weiterhin Doktorhüte europäischer Universitäten zu Preisen zwischen 60000 und 300 000 DM anbietet, wohingegen ein amerikanischer Doktorhut — jedenfalls im Abonnement — doch schon für 60 Dollar zu haben ist?
Ich kann zunächst die Bewertung der akademischen Grade der verschiedenen Länder, die aus Ihrer Information spricht, keineswegs übernehmen oder bestätigen, Herr Kollege Hansen. Im übrigen ist der Bundesregierung über die schwungvolle Tätigkeit des sogenannten Konsuls Weyer nicht mehr bekannt als das, was sie aus der Presse entnehmen kann.
Ich muß im übrigen auf die Hinweise, die ich schon in meiner ersten Antwort gegeben habe, verweisen; dort hatte ich festgestellt, daß inzwischen die Festnahme der betroffenen Personen veranlaßt worden ist. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, ob dies auch auf den von Ihnen genannten angeblichen Konsul zutrifft.
Herr Kollege, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, über das Bemühen, auf eine einheitliche Anerkennungspraxis der Bundesländer hinzuwirken, hinaus eine solche Vereinheitlichung auch zwischen den europäischen Ländern herzustellen?
Ich fürchte, Herr Kollege Hansen, daß die Möglichkeiten der europäischen Gremien hierbei begrenzt sind, und zwar fürchte ich dies, wenn ich auf die großen Schwierigkeiten blicke, mit denen allein die deutschen Bundesländer geschlagen sind, wenn sie im Bildungswesen gemeinsame Vereinbarungen auf dem Wege der sogenannten Bildungsdiplomatie erreichen wollen. Dies ist manchmal kurioser, als manch einer sich vorstellt.
Ich fürchte deshalb, daß dies in den europäischen Gremien noch schwieriger sein wird. Aber die Bundesregierung ist gern bereit, zu prüfen, was — beispielsweise im Europarat — hier im einzelnen veranlaßt werden kann.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Herr Abgeordnete Dr. Todenhöfer hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 63 und 64 gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Das gleiche gilt für Frage 65 des Herrn Abgeordneten Wawrzik, der ebenfalls um schriftliche Beantwortung gebeten hat; auch hier wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schmude zur Verfügung. Frage 66 ist von Herrn Abgeordneten Reuschenbach eingebracht:
Welche Ziele werden mit einem Chemie-Abkommen" verfolgt, dessen Entwurf zur Zeit von der Rheinschutzkommission erörtert wird, und wie stehen diese im Verhältnis zu den Plänen und Maßnahmen für andere westeuropäische Flüsse?
Bitte!
Herr Kollege Reuschenbach, mit dem Chemie-Abkommen verfolgen die Rheinanliegerstaaten das Ziel, die chemische Verunreinigung des Flusses in absehbarer Zeit so wesentlich zu verringern, daß die dem Gemeinwohl dienenden Wassernutzungen möglich bleiben und insbesondere Gefahren für die Trinkwasserversorgung aus dem Rhein oder seinen ufernahen Bereichen ausgeschlossen sind. Die Belastung des Rheins durch nicht oder nur ungenügend gereinigte Abwässer hat in den zurückliegenden Jahren zwar noch ständig zugenommen; inzwischen dürfte jedoch zumindest ein Stillstand der Belastungszunahme eingetreten sein, insbesondere durch die Fertigstellung einiger Kläranlagengroßprojekte. Ich erinnere Sie an das Ende des Jahres 1974 in Betrieb genommene Gemeinschaftsklärwerk der BASF und der Stadt Ludwigshafen, das allein — wie berichtet — eine Abwässerschädlichkeit zurückhält, die rund 8 Millionen Einwohnergleich-werten entspricht.Gleiche oder ähnliche Anstrengungen, um die Einleitung schädlicher Stoffe in oberirdische Gewässer zu verringern, gibt es auch an zahlreichen anderen westeuropäischen Flüssen.Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat eine Entscheidung des Rates zur Eindämmung der Verunreinigung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft vorgeschlagen. Der Vorschlag liegt dem Bundestag als Drucksache 7/2821 vor. Er sieht zugleich eine Harmonisierung entsprechender Regelungen mehrerer internationaler Übereinkommen vor, so des Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung vom Land aus — Pariser Konvention —, des Entwurfs eines europäischen Übereinkommens zum Schutz der internationalen Wasserläufe gegen Verunreinigung und des Entwurfs der Vereinbarung der internationalen Rheinschutzkommission über die Verringerung der chemischen Verunreinigung des Rheins.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11693
Parl. Staatssekretär Dr. SchmudeDie Bundesregierung mißt den Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaften große Bedeutung bei. Eine Regelung durch die EG würde sich nämlich nicht nur auf grenzüberschreitende Gewässer, sondern auf alle nationalen Gewässer erstrecken. Wettbewerbsverzerrungen, die bei unterschiedlichen Regelungen nicht auszuschließen wären, könnten dadurch vermieden werden.
Eine Zusatzfrage!
Vielen Dank, Herr Staatssekretär! Könnten Sie mir in diesem Zusammenhang sagen, wie weit die Arbeiten der Rheinschutzkommission gediehen sind, was den zeitlichen Ablauf angeht, und wird die Bundesregierung dann, wenn diese Arbeiten zu einem Abschluß gekommen sind, auch unverzüglich zumindest die zuständigen Ausschüsse des Hauses unterrichten?
Herr Kollege Reuschenbach, auf den Stand dieser Arbeiten werde ich gleich noch — voraussichtlich bei der Beantwortung Ihrer nächsten Frage — zu sprechen kommen. Vorweg kann ich aber schon sagen, daß diese Arbeiten im Gange sind. Sie konnten bisher nicht abgeschlossen werden, weil noch nicht einmal der Staatssekretärkommission ein verabschiedungsreifer Entwurf vorlag. Diese Bestrebungen werden fortgesetzt, und es besteht günstigstenfalls die Möglichkeit, noch in diesem Jahr einen solchen Entwurf fertigzustellen.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Reuschenbach auf:
Treffen Befürchtungen zu, wonach bei einer Verwirklichung dieses Abkommens ein erheblicher Teil der Produktion der chemischen Industrie im deutschen Rheingebiet eingestellt werden müßte?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Befürchtungen dieses Inhalts — die Sie in Ihrer Frage ansprechen, Herr Kollege — sind in einer Mitteilung des Verbandes der chemischen Industrie an die Presse enthalten, auf die in der anschließenden Frage des Kollegen Schäfer noch einmal Bezug genommen wird. Diese Pressemitteilung geht davon aus, daß es einen Entwurf eines Übereinkommens zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung gebe und daß dieser Entwurf auf einem totalen Einleiteverbot für die in dem Übereinkommen aufgelisteten gefährlichen Stoffe basiere. Einen solchen Entwurf gibt es nicht.
Auf Grund der Beschlüsse der zweiten Ministerkonferenz der Rheinanliegerstaaten im Dezember 1973 in Bonn waren bis zum Januar 1975 Rohentwürfe eines Chemieübereinkommens in einer französisch-niederländischen und einer deutsch-schweizerischen Version ausgearbeitet worden. Diese Versionen wiesen in wesentlichen Fragen unterschiedliche Auffassungen auf. Das bezog sich insbesondere
auf Fragen des Geltungsbereichs sowie der Behandlung bestehender Einleitungen und der Bekanntgabe von Einzeleinleitungen an die Internationale Rheinschutzkommission. Sie enthielten außer Listen global bezeichneter Stoffe noch keine Angabe konkreter Emissions- oder Immissionswerte. In einem Treffen der Staatssekretäre der Rheinanliegerstaaten am 6. Februar 1975 in Paris war man daher der Auffassung, daß die Beratungen über ein Chemieübereinkommen noch nicht weit genug gediehen seien, um einen Entwurf oder Einzelfragen daraus den Ministern zur Entscheidung vorzulegen. Die Mitgliedstaaten sind derzeit bestrebt, im Rahmen der Internationalen Rheinschutzkommission einen einheitlichen Entwurf eines Chemieübereinkommens zu erarbeiten. Ein Totaleinleiteverbot für alle gefährlichen Stoffe, auf das der Verband der Chemischen Industrie seine Befürchtungen abgestellt hat und in dem er mit Recht eine Bedrohung für die deutsche chemische Industrie im Rheineinzugsgebiet sieht, ist weder den früheren Übereinkommensversionen zu entnehmen noch ist es Gegenstand der derzeitigen Beratungen in der Internationalen Rheinschutzkommission. Es ist vielmehr vorgesehen, daß Toleranzgrenzwerte für die einzelnen Stoffe festgesetzt werden. Für künftig geplante Einleitungen könnte dies im Einzelfall zu einer Versagung der Genehmigung führen, falls eine zusätzliche Belastung des betroffenen Gewässers nicht mehr vertretbar ist.
Hinsichtlich der bestehenden Einleitungen wird sich die Bundesregierung weiterhin für angemessene Übergangsfristen einsetzen, die insbesondere auch den wirtschaftlichen Erfordernissen der chemischen Industrie Rechnung tragen.
Eine Zusatzfrage.
Ich möchte meine Zusatzfrage von vorhin wiederholen: Wird die Bundesregierung dann, wenn es einen diskutablen Entwurf oder eine Verabredung gibt, die zuständigen Ausschüsse des Bundestages unverzüglich unterrichten?
Herr Kollege Reuschenbach, ich glaube, ich kann Ihnen dies hier zusagen.
Frau Kollegin Huber!
Herr Staatssekretär, da in dieser Frage von der Verwirklichung dieses Abkommens die Rede ist, möchte ich Sie fragen: Können Sie uns nach dem derzeitigen Stand der Beratungen sagen, ob dieses Abkommen überhaupt eine Chance hat, von den Rheinanliegern angenommen zu werden, und wann dies ungefähr der Fall sein dürfte?
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11694 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Ich habe schon auf eine frühere Zusatzfrage gesagt, daß günstigstenfalls in diesem Jahr mit einem zur Entscheidung der Ministerkonferenz geeigneten Entwurf gerechnet werden kann. Sie ersehen daraus, daß die vorliegenden erheblichen Schwierigkeiten auch eine längere zeitliche Vorbereitung erfordern.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Schäfer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Angaben des Verbandes der chemischen Industrie , eine Verabschiedung des Abkommens der internationalen Rheinkommission gegen die Verunreinigung durch chemische Stoffe („Chemieabkommen") zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Luxemburg und den Niederlanden in der Fassung des Entwurfs würde „70 Prozent der deutschen chemischen Industrie mit etwa 400 000 Arbeitsplätzen und einem Umsatz von rund 45 Milliarden DM" von der Stillegung bedrohen, und bis wann ist mit der Verabschiedung des Abkommens zu rechnen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Schäfer, wie ich bereits in der Antwort an Herrn Kollegen Reuschenbach ausführte, treffen die Angaben des Verbandes der Chemischen Industrie in dieser Form nicht zu. Es gibt weder einen von den Mitgliedstaaten der Internationalen Rheinschutzkommission getragenen Entwurf eines Übereinkommens zum Schutze des Rheins gegen chemische Verunreinigung, der verabschiedet werden könnte, noch gehen die Überlegungen bei den Beratungen der Rheinschutzkommission von einem Einleiteverbot für alle Stoffe aus, die in das Übereinkommen einbezogen werden könnten.
Die Voraussetzungen, von denen der Verband der Chemischen Industrie ausgeht, sind somit nicht gegeben. Daher ist auch die Folgerung unrichtig, die gesamte chemische Industrie im Rheineinzugsgebiet sei von Stillegung und Arbeitslosigkeit bedroht. Gerade mit den in diesem Zusammenhang genannten Zahlen ist eine derartige Behauptung nur geeignet, in der Öffentlichkeit einen völlig falschen Eindruck hervorzurufen.
Die derzeitigen Beratungen der Mitgliedstaaten der Internationalen Rheinschutzkommission zielen darauf ab, im Rahmen eines Chemieübereinkommens eine maßgebliche Verringerung der Belastung des Rheins durch chemische Stoffe zu erreichen. Es ist vorgesehen, bis zum Ende des Jahres einen einheitlichen Entwurf eines Übereinkommens zu erarbeiten, der auf der nächsten Konferenz der Rheinanliegerstaaten von den Ministern beraten werden könnte.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Industrie, sofern im europäischen Raum im Interesse des Umweltschutzes künftig gleiche Anforderungen gestellt werden, durchaus in der Lage ist, die bei ihr anfallenden Abwässer ordnungsgemäß zu reinigen und dabei konkurrenzfähig zu bleiben. Sie sieht es als unverzichtbar an, die Schädlichkeit der Abwässer so weit wie möglich zu verringern, damit gute Lebensbedingungen erhalten bleiben und
ein weiteres wirtschaftliches Wachstum auch in Zukunft möglich ist. Mit diesen Zielen wird die deutsche Delegation auch künftig im Rahmen der Internationalen Rheinschutzkommission verhandeln.
Herr Kollege Schäfer, Sie haben eine Zusatzfrage.
Ich möchte hier noch einmal den zweiten Teil meiner Frage als Zusatzfrage stellen: Bis wann ist nach Meinung der Bundesregierung mit der Verabschiedung dieses Abkommens zu rechnen?
Ich habe mich bisher nur in der Lage gesehen, Herr Kollege Schäfer, darauf hinzuweisen, daß bis zum Ende des Jahres mit einem einheitlichen Entwurf zu rechnen ist, der dann von den Ministern beraten werden könnte. Dies würde bedeuten, daß — ebenfalls bei einem günstigen Verlauf der Beratungen — im Laufe des nächsten Jahres mit einer Verabschiedung gerechnet werden könnte.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Rechnet die Bundesregierung mit der Möglichkeit, daß im Falle des Scheiterns des angestrebten Abkommens in den dafür vorgesehenen Kommissionen die EG-Kommission hier vermittelnd eingreifen könnte?
Auf die Wertschätzung, die die Bundesregierung den Bemühungen der EG-Kommission entgegenbringt, habe ich schon in einer früheren Antwort verweisen können. Die Bundesregierung rechnet nicht damit, daß das hier erstrebte Abkommen nicht zustande kommt. Sollte es allerdings, wie Sie zu befürchten scheinen, scheitern, so könnte es nützlich sein, wenn aus dem EG-Bereich neue Initiativen kommen.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Blank.
Herr Staatssekretär, in welchem Zeitrahmen rechnen diejenigen, die dieses Abkommen vorbereiten, mit einer tatsächlichen Auswirkung auf den Rhein?
Herr Kollege Blank, dazu kann ich Ihnen eine genaue Vorstellung noch gar nicht übermitteln. Ich bitte Sie um Verständnis dafür angesichts der Tatsache, die ich vorhin schon dargelegt habe, daß konkrete Emissions- und Immissionswerte noch nicht festgelegt sind und ebenfalls Übergangszeiten noch nicht genannt worden sind.
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Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lenders.
Herr Staatssekretär, wo liegen die Hauptkonfliktpunkte dieses Abkommens, die zu diesen Verzögerungen beitragen oder möglicherweise gar zum Scheitern beitragen könnten?
Zunächst hat sich die Verzögerung weniger aus Konfliktpunkten ergeben als daraus, daß bisher der Entwurf dieses Abkommens noch nicht so weit konkretisiert ist, daß er eine Beratungsgrundlage für die Minister sein könnte. Konfliktpunkte gibt es natürlich trotzdem — das will ich nicht verschweigen — in der Frage der Übergangszeiten, in der Frage der Emissions- und Immissionswerte und natürlich auch in der Frage der gleichwertigen Behandlung anderer Flüsse in Europa, die bisher noch in der Situation sind, daß sie ausländischer Industrie einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten.
Meine Damen und Herren, die nächste Frage, die Frage 69, ist von Herrn Abgeordneten Hösl eingebracht worden. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal, so daß diese und die nächste Frage, die Frage 70, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Kunz auf. Der Abgeordnete hat um schriftliche Beantwortung gebeten; dem wird entsprochen. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um gemeinsam mit den im Bundestag vertretenen Parteien die Gestaltung des 17. Juni 1975 vorzubereiten?
Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung beabsichtigt, auch in diesem Jahr darauf hinzuwirken, daß die Bedeutung des 17. Juni in geeigneter Weise öffentlich gewürdigt wird. Das Bundesministerium des Innern ist mit den anderen zuständigen Bundesressorts hierzu in eine bisher nicht abgeschlossene Erörterung eingetreten. Das Ergebnis ist in Kürze zu erwarten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, durch geeignete Dokumentationen und Veröffentlichungen unserer Jugend an den Schulen, die persönlich die Ereignisse des 17. Juni 1953 nicht mehr miterlebt haben, diese Kenntnisse und die Bedeutung dieses Tages zu vermitteln?
Herr Kollege Jäger, wenn Sie die Bemühungen durch die Jahrzehnte zurückverfolgen, diesem Tag seine Geltung zu verschaffen und die gewonnene Geltung zu erhalten, werden Sie feststellen, daß eine derartige Unterrichtung der Jugend seit eh und je betrieben wird. Eine besonders verstärkte Tätigkeit auf diesem Gebiet erscheint mir — jedenfalls aus meinem jetzigen Kenntnisstand — nicht erforderlich, es sei denn, Sie weisen auf besondere Lücken hin, die man erfolgreich — ich betone: erfolgreich! — schließen könnte.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung bereits — oder wird sie das tun — das Gesamtdeutsche Institut damit beauftragt, die Vorbereitungen der Begehung dieses Gedenktages 17. Juni durch breit gestreutes Informationsmaterial vorzubereiten und zu unterstützen?
Herr Kollege Jäger, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich diese in ein anderes Bundesressort fallende Zusatzfrage hier nicht abschließend beantworten kann. Ob dies geschieht, wird nicht zuletzt davon abhängen, zu welcher Entscheidung die Bundesregierung hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Tages in diesem Jahr kommt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sperling. Danach rufe ich die nächste Frage auf.
Herr Staatssekretär, meint die Bundesregierung nicht, daß die Bedeutung des 17. Juni im Bewußtsein der Bevölkerung viel stärker davon abhängt, wie sich die politischen Parteien dieses Parlaments während der restlichen Zeit des Jahres zueinander verhalten, und daß eine isolierte Gemeinsamkeit am 17. Juni der Bedeutung dieses Tages keineswegs dienlich wäre?
Herr Kollege Sperling, die Frage steht nicht in dem gebotenen unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausgangsfrage.
Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die würdige Begehung des 17. Juni als deutschen Gedenk- bzw. Nationalfeiertags unverzichtbar bleibt im Hinblick auf die gesamtdeutsche Verpflichtung des Grundgesetzes sowie im Hinblick auf den sowohl gesamtdeutschen wie freiheitlich-demokratischen und menschenrechtlichen Gehalt des 17. Juni 1953?
Auch nach Auffassung der Bundesregierung muß der 17. Juni würdig begangen werden. Als Nationalfeiertag ist er jedoch bisher in Übereinstimmung mit dem Gesetz über den Tag der deutschen Einheit niemals betrachtet worden. Dazu wäre er auch wegen seines ernsten Anlasses und seiner Eigenart als stiller Gedenktag schwerlich geeig-
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Parl. Staatssekretär Dr. Schmudenet. Es ist schließlich nicht zu verkennen, daß der Widerhall dieses Tages im Bewußtsein großer Teile der Bevölkerung seit langem im Abnehmen begriffen ist. Eine Frage der parteipolitischen Einstellung ist dies übrigens nicht. Auch Bundes- und Landesregierungen unter Beteiligung von CDU und CSU haben diese Entwicklung nicht aufhalten können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt nicht gerade die von Ihnen eben gegebene Beurteilung der tatsächlichen Würdigung des 17. Juni durch manche Teile der Bevölkerung — eine ähnliche Würdigung können wir ja auch im Falle des 1. Mai oder anderer Feiertage beobachten — der Bundesregierung besonderen Anlaß, in diesem Jahr mit großem Nachdruck dafür zu sorgen, daß alles — insbesondere auch von den Mitgliedern der Bundesregierung — getan wird, um dieser doch wohl von uns allen als negativ betrachteten Entwicklung entgegenzuwirken?
Herr Kollege Jäger, dieser Anlaß besteht nicht erst in diesem Jahr, sondern er besteht seit vielen Jahren. Er besteht seit mehr als zehn Jahren. Entsprechende Bemühungen sind immer wieder unternommen worden und werden auch in diesem Jahr unternommen. Ich habe aber eben schon darauf hingewiesen, daß der Erfolg derartiger Bemühungen zu wünschen übrig läßt, egal, von wem sie in der Vergangenheit ausgegangen sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es nicht gerade jetzt, da wir gegenseitige Vertretungen der beiden Staaten in Deutschland eingerichtet haben, ganz besonders dringend, eine Verstärkung dieser Bemühungen in die Wege zu leiten, um jeden Eindruck entgegenzuwirken, als verzichte die Bundesregierung im Hinblick auf Wünsche und Forderungen der DDR, der ja dieser Gedenktag unangenehm ist, auf entsprechende Maßnahmen zur Hervorhebung dieses Gedenktages?
Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie — entsprechend der Geschäftsordnung — in den Zusatzfragen keine Wertungen vornähmen.
Ein derartiger Eindruck, Herr Kollege Jäger, kann bei realistischer Betrachtung der Gesamtsituation überhaupt nicht aufkommen. Ich verhehle allerdings nicht, daß einer Ihrer Kollegen, der heute an dieser Fragestunde nicht teilnimmt, in seinen Vermutungen und, wie ich betonen muß, auch in seinen Verdächtigungen noch weitergegangen ist und nach Zusagen, die von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang erteilt worden
seien, gefragt hat. Diesem Kollegen werde ich die Antwort geben, daß derartige Zusagen nicht erteilt worden sind und daß die Bundesregierung eine derartige Unterstellung auch energisch zurückweist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt .
Herr Staatssekretär, kennen Sie ein Volk in der Welt, das eine tragische Niederlage, die ihm eine ausländische Besatzungsmacht beigebracht hat, an einem Nationalfeiertag und nicht an einem Gedenktag begeht?
Herr Kollege Arndt, einen solchen Fall kenne ich nicht. Der Kollege Moersch, der in der Beurteilung der auswärtigen Situation sicherlich erfahrener ist als ich, hat schon eindringlich darauf hingewiesen, daß eine Umgestaltung dieses Gedenktages in einen Nationalfeiertag oder ein Begehen dieses Tages, als ob es ein Nationalfeiertag sei, gar nicht in Betracht gezogen werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Simpfendörfer.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie den Vorschlag des Kollegen Jäger, die Bedeutung dieses Tages im Bewußtsein der Bevölkerung durch eine Menge bedruckten Papiers aufzuwerten, angesichts der Tatsache, daß die Opposition sonst gegenüber bedrucktem Papier sehr skeptisch ist?
Sie verweisen hier, Herr Kollege Simpfendörfer, in der Tat auf Zusammenhänge, die bedenkenswert sind.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht die Sorge, daß, wenn innerhalb der Ressorts bisher noch nicht einmal Klarheit über die konkrete Ausgestaltung des 17. Juni 1975 besteht, nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung steht, überhaupt noch ausreichende Vorbereitungen für die Gestaltung zu treffen?
Diese Sorge habe ich nicht, Herr Kollege Graf Stauffenberg, zumal es ja nicht so ist, daß völlige Unklarheit bestünde. Es gibt eine Reihe von Vorschlägen und Vorstellungen, die natürlich an das anknüpfen, was in den vergangenen Jahren praktiziert worden ist. Nur steht die abschließende Entscheidung der Bundesregierung darüber aus, was von diesen Vorschlägen aufgegriffen und verwirklicht werden soll.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11697
Meine
Damen und Herren, die Fragestunde ist abgelaufen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 80 und 81 des Abgeordneten Dr. Holtz und 109 des Abgeordneten Egert sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die ansonsten noch nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren,
mit tiefer Erschütterung und innerer Anteilnahme haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages die Nachricht aufgenommen, daß auf die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Stockholm ein dreister Überfall verübt worden ist. Erfreulicherweise hat sich bisher nicht bestätigt, daß dabei jemand ums Leben gekommen ist. Ich hoffe, daß sich diese Nachricht bestätigen wird. Wir sind im Augenblick noch in Sorge darüber.
Es sind aber mehrere Botschaftsangehörige, darunter auch der deutsche Botschafter in Stockholm, Dietrich Stöcker, und der Militärattaché, Oberst von Mirbach, als Geiseln genommen worden. Dieser neuerliche infame Anschlag, für den sich nach neuesten Meldungen ein „Kommando Holger Meins" verantwortlich erklärt hat, erfüllt uns alle mit Empörung und Abscheu. Alle Demokraten in diesem Lande sind aufgerufen, solchen Anschlägen gegen das Leben Unschuldiger und die Rechtsstaatlichkeit — ganz gleich, ob in der Bundesrepublik Deutschland oder im Ausland — entschiedene Solidarität entgegenzustellen.
Wir setzen unser volles Vertrauen in die Verantwortlichen in Stockholm, daß sie alles erdenkliche tun werden, um das Leben der Geiseln zu retten.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter
— Drucksache 7/3546 —
Berichterstatter: Abgeordneter Jahn
Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Jahn .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter erstatte ich Ihnen im Namen des Vermittlungsausschusses folgenden Bericht.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 21. Februar 1975 den Vermittlungsausschuß in sieben Punkten angerufen, um eine Änderung des Gesetzes herbeizuführen. Der Vermittlungsausschuß hat sich mit dem Beschluß des Bundesrates — Bundesratsdrucksache 66/75 — in seinen Sitzungen am 12. März 1975 und 23. April 1975 befaßt und den Vermittlungsvorschlag gemacht, der Ihnen in der Bundestagsdrucksache 7/3546 vorliegt.
Dazu folgende erläuternde Anmerkungen. In § 1 des Gesetzes begehrte der Bundesrat eine andere Abgrenzung der Vorschriften, die von diesem Gesetz unberührt bleiben sollen. Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, es bei der Fassung des Gesetzes zu belassen.
In § 3 Abs. 1 ist der Vermittlungsausschuß dem Vorschlag des Bundesrates, die Sätze 3 und 4 zu streichen, gefolgt mit der Folge, daß die unterschiedlichen örtlichen Verhältnisse berücksichtigt werden und die wirksame Beteiligung der Länder bei Rechtsvorschriften dieser Art sichergestellt ist.
Auch bei § 3 Abs. 5 entspricht der Vermittlungsausschuß dem Anrufungsbegehren des Bundesrates, so daß Ausnahmeregelungen auch für die Polizeien der Länder und die Aufgaben der Kampfmittelräumdienste möglich sind.
In § 5 ist der Vermittlungsausschuß materiell ebenfalls dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt. Die Bundesoberbehörden sind jetzt im Gesetz genannt, die Zustimmung des Bundesrates bei Rechtsverordnungen für die Ausführung dieses Gesetzes sichergestellt und Rechtsvorschriften ohne Zustimmung des Bundesrates auf den Bereich der bundeseigenen Verwaltung begrenzt.
Die in § 6 vorgesehenen überregionalen Verwaltungsakte in den Absätzen 1 bis 3 werden entsprechend dem Wunsch des Bundesrates zur Streichung vorgeschlagen.
In Abs. 4 wird ein Kompromiß unterbreitet, bei dem Rechtsverordnungen, in denen allgemeine Ausnahmen zugelassen werden, zwar ohne Zustimmung des Bundesrates ergehen, jedoch vor ihrem Erlaß die zuständigen Obersten Landesbehörden gehört werden.
Die vom Bundesrat gewünschten Änderungen in den §§ 4 und. 13 sind nicht aufgegriffen worden.
Der Vermittlungsausschuß hat gemeinsame Abstimmung über den gesamten Vermittlungsvorschlag vorgesehen.
MeineDamen und Herren, ich danke dem Herrn Berichterstatter und frage, ob Erklärungen dazu abgegeben werden. — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse geschlossen abstimmen. Wer dem Vermittlungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe dann noch den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens (Mikrozensus) — Drucksache 7/3042, 7/3289, 7/3497 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schäfer
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11698 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenBerichterstatter im Bundestag ist der Abgeordnete Professor Dr. Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für den Vermittlungsausschuß folgendes vortragen.
Der Bundesrat hat in seiner 418. Sitzung am 14. April 1975 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 27. Februar 1975 verabschiedeten Gesetz zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen werden soll. Der Vermittlungsausschuß hat am 23. April beraten. Er legt Ihnen den in Drucksache 7/3547 enthaltenen Vorschlag vor.
Im einzelnen ist dazu folgendes zu bemerken. Das Anrufungsbegehren des Bundesrates bezog sich auf zwei Punkte. Erstens. Die in § 2 Abs. 1 enthaltene Verpflichtung zur Durchführung der Statistik soll nicht zweimal, sondern nur einmal jährlich mit einem Auswahlsatz von 1% durchgeführt werden. Der Vermittlungsausschuß nahm dieses Begehren des Bundesrates auf unter Berücksichtigung dessen, daß möglichst Kosten eingespart werden sollten, die bei zweimaliger Durchführung natürlich sonst in erhöhtem Maße entstehen würden.
Der Bundesrat hatte beantragt, die Zahl der zu erfassenden Tatbestände von zehn auf vier zu verringern. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, diesem Begehren nicht zu folgen. Er hat den Berichterstatter ausdrücklich beauftragt, folgendes vorzutragen.
Es ist zu begrüßen, daß sich Bundestag und Bundesregierung darum bemühen, die Zahl der Vollstatistiken zu verringern. Insbesondere soll eine einheitliche Gesamtkonzeption über die durchzuführenden Statistiken in einem grundlegenden Gesetz festgelegt werden. Anzustreben ist, daß die Durchführung von Repräsentativstatistiken sofern ihnen ausreichende Aussagekraft zukommt, zugunsten von Vollstatistiken durchgeführt werden soll.
Um diese Frage zuverlässig prüfen zu können, schlägt deshalb der Vermittlungsausschuß vor, die zu erfassenden Tatbestände nicht zu verringern. Der Vermittlungsausschuß war sich darüber im klaren, daß die Durchführung eines die Statistiken bereinigenden Programms nur möglich ist, wenn Bund und Länder gemeinsam eine Konzeption erarbeiten und sie in den nächsten Jahren konsequent durchführen.
Namens des Vermittlungsausschusses darf ich Sie bitten, die Empfehlungen, über die gemeinsam abgestimmt werden soll, anzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich darf dem Herrn Berichterstatter sehr herzlich danken. — Ich frage, ob das Wort zu Erklärungen gewünscht wird. — Das Wort wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle auch hier einstimmige Beschlußfassung fest.
Meine Damen und Herren, wir können nunmehr wieder in die heute mittag unterbrochenen Beratungen zu Tagesordnungspunkt 2 a mit den Unterpunkten — Änderung des Gesetzes über Mindestvorräte an Erdölerzeugnissen — eintreten. Ich sagte soeben schon, daß nach meinen Unterlagen Herr Bundesminister Matthöfer an der Reihe ist, der sich vorher zu Wort gemeldet hatte. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg zwei Bemerkungen zu dem, was der Herr Abgeordnete Russe heute morgen erwähnt hat! Es handelt sich einmal um die Lieferung von angereichertem Uran aus den Vereinigten Staaten. — Ich glaube, Herr Abgeordneter Russe, die Strategie der CDU/CSU folgt auch auf diesem Gebiet getreu dem Rezept des Herrn Strauß in seiner Sonthofener Rede,
nämlich Verunsicherung der Bevölkerung zu betreiben,
obwohl z. B. Herr Dr. Stavenhagen, der ja Berichterstatter für meinen Haushalt ist, es sehr viel besser hätte wissen müssen; denn er wußte ja, was wir an Offsetmitteln für den Kauf von angereichertem Uran ausgegeben hatten, es sei denn, er hätte geschlafen, als ihm das vorgetragen wurde; das kann ja auch sein.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stavenhagen? — Bitte sehr!
Herr Minister, wissen Sie, daß ein Teil dieser Offsetmittel zwar bezahlt, die Lagerung aber nicht bei uns, sondern in Amerika erfolgt ist und daß bei einem Teil dieser Offsetmittel die Anreicherung bezahlt, aber das Natururan noch nicht eingekauft ist?
Das weiß ich sehr wohl. Sie wissen aber auch, daß ein großer Teil des bezahlten Urans bereits bei uns, nämlich im Wolfgang bei Hanau, lagert, und wenn wir das, was in den Kernkraftwerken, in den Brennelement-Fabriken und in den Lagern an angereichertem Uran vorhanden ist, zusammenrechnen und uns einigermaßen organisatorisch anstrengen, können wir für lange Zeit, für knapp drei Jahre nämlich, auskommen, so daß überhaupt keine Veranlassung bestand, die Bevölkerung in dieser Art und Weise zu verunsichern und Ihre Mei-
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Bundesminister Matthöfernung in der Öffentlichkeit zu äußern, wie Sie das getan haben. Damit. haben Sie der deutschen Wirtschaft einen schlechten Dienst erwiesen.
Herr Kollege, der Herr Minister läßt, wie ich glaube, noch eine weitere Zusatzfrage zu.
Bitte schön! Herr Dr. Stavenhagen ist mein Berichterstatter, Herr Präsident; da muß man immer besonders höflich sein.
Vielen Dank! — Herr Minister, wie erklären Sie sich, daß Sie selber zuerst gesagt haben, wir hätten für ein paar Wochen Material, wonach es Äußerungen gab, wir hätten für ein paar Monate Material, schließlich für ein paar Jahre, während Minister Friderichs gesagt hat, Material sei bis Ende dieses Jahrzehnts gesichert, und Sie selbst jetzt feststellen, daß wir mit Mühe und Not für drei Jahre Uran haben? Wie erklären Sie sich diese Informationspolitik?
Das erklärt sich, Herr Dr. Stavenhagen
— entschuldigen Sie, wenn ich auf diese taktische Frage eingehe — einmal aus unterschiedlichen Auskünften ,der Experten und dann auch aus der verhandlungstaktischen Lage gegenüber unseren Partnern.
Ich habe damals gesagt: nicht für ein paar Wochen, sondern für wenige —
— Entschuldigen Sie! Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nur Zwischenrufe zur Sache machen würden, von denen Sie etwas verstehen.
Ich bin gern bereit, mich mit Kollegen auseinanderzusetzen, die wenigstens rudimentäre Vorstellungen von dem haben, wovon sie sprechen.
— Beim Haushalt hat er geschlafen, sonst hätte er solche Dinge nicht von sich geben können.
Es besteht also keinerlei Veranlassung zur Beunruhigung. Weder beabsichtigt die amerikanische Seite, wie wir von Anfang an festgestellt haben, hier in irgendeiner Weise einen längerdauernden Lieferstopp durchzuführen, noch waren wir unvorbereitet; wir haben genug angereichertes Uran auf Lager. Es wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, daß die ganze Aufregung steril und überflüssig war.
Nun zur zweiten Bemerkung des Herrn Abgeordneten Russe, nämlich über die Auseinandersetzung um den Standort des Kernkraftwerkes
Wyhl! — Herr Abgeordneter Russe, ich glaube, es ist nützlich, hier noch einmal den chronologischen Verlauf dieser Diskussion kurz darzustellen:
Herr Ministerpräsident Filbinger hat es im Bundesrat für nötig gehalten, den Bundesforschungsminister in eine Reihe zu stellen mit dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands. Er sagte:
Es gibt noch eine Steigerung der Intransigenz, nämlich dort, wo der Bund der Kommunisten Westdeutschlands
— das hat er nicht gesagt; er hat vielmehr die Abkürzung „KBW" genannt; einen Bund der Kommunisten Westdeutschlands gibt es gar nicht, aber das weiß er nicht so genau —,
wie von uns jetzt vielfach beobachtet, den Schutzschild der Bürgerinitiativen sucht, um auch dort ein politisches Süppchen zu kochen. Ich habe den fatalen Eindruck — ich bitte es mir nachzusehen ... , daß wir in Baden-Württemberg nicht nur alle diese drei Gegnergruppen gegen uns haben, sondern daß als vierter Gegner hier möglicherweise noch das Bundesforschungsministerium in Erscheinung tritt.
Und dann befaßt er sich mit mir. Dies — es war der 14. März einen Tag nach der Debatte über innere Sicherheit in diesem Bundestag, wo derselbe Herr Ministerpräsident, sein Recht, als Bundesratsmitglied hier jederzeit zu sprechen, mißbrauchend, eine parteipolitische Auseinandersetzung angefangen
und über den Dunstkreis der Terroristen gesprochen hat, in den er alle möglichen Personen einbezogen hat. Ich bin deshalb unvorbereitet — weil nämlich verabredet war, daß der Herr Minister Dr. Friderichs darauf anwortete, der das ja auch getan hat; Sie werden sehen, wenn Sie diese Rede lesen, daß da kein Unterschied zwischen meinen Aussagen und den seinen besteht — im Bundesrat aufgestanden und habe mich gegen diese Diffamierung à la Sonthofen gewehrt und habe dem Herrn Dr. Filbinger einige Tatsachen des Lebens sagen müssen: Er wird nicht gleichzeitig die Rezepte von Sonthofen praktizieren und glauben, mit mir eine gemeinsame Energiepolitik machen zu können. Es wird sich für eines entscheiden müssen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herrn Dr. Stavenhagen — leider — immer, ja.
Vielen Dank, Herr Minister. Herr Minister, betrachten Sie es als „Tatsache des Lebens", wenn Sie im Bundesrat und auch hier im Bundestag die Demonstranten in Wyhl als „Bürgersöhnchen" und „Söhne unserer Wähler" bezeichnet haben?
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11700 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Sofern es sich um Mitglieder des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands handelt, muß ich sagen, daß es sich hier um Bürgersöhnchen und Millionärskinder und nicht um Arbeiterkinder handelt.
Worum es in dieser Auseinandersetzung um den Standort Wyhl geht, ist überhaupt keine Grundsatzfrage. Ich habe es mehrfach betont. Es geht um folgendes. Ich darf hier einmal die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. April zitieren, um einen neutralen Beobachter oder Kommentator in die Diskussion einzuführen. Es heißt hier unter der Überschrift „Die Lehren von Wyhl" folgendermaßen:Solche grundsätzlichen Fragen— auf die der Kommentator auch vorher eingeht —lassen leicht übersehen, daß die Wähler Affäre zunächst eines bezeugt, nämlich das Ungeschick der Stuttgarter Landesregierung. Sie hat ... in dieser Sache von Anfang an unbedacht und kurzschlüssig gehandelt, das Vorhaben weder gutachtlich noch politisch hinreichend sorgfältig abgestützt und, als der Widerstand spürbar wurde, nichts anderes zu tun gewußt, als das Visier herunterzuziehen und die Sporen zu geben. Als der Kraftakt mißlungen war, hat sie in seltsamer Verkennung der Situation die Erbitterung noch geschürt, indem sie den weiß Gott bodenständigen Protest als Ergebnis kommunistischer Drahtzieherei hingestellt hat.Dies ist genau das, was ich gesagt habe. Dies waren die schweren Fehler und Versäumnisse der Landesregierung, die der Durchsetzung unseres Energieprogramms einen schlechten Dienst erwiesen hat, indem sie sich so verhalten hat, wie es hier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung festgehalten worden ist.
Dies beides muß gesagt werden.Ich bedauere, Herr Kollege Russe, daß Sie das hier noch einmal aufgebracht haben. Ich wäre von mir aus bereit gewesen, auf diesen Streit nicht mehr einzugehen.
— Ich weiß, Sie werden jetzt fragen, ob nicht vorher andere das auch zur Sprache gebracht haben. Trotzdem bedauere ich das. — Wenn Sie gestatten, möchte ich jetzt zu dem fachlichen Teil meiner Ausführungen übergehen.
— Es ist mir nicht verborgen geblieben.
— Trotzdem, die Art und Weise, wie Sie das hier wieder personalisiert haben, mußte zurückgewiesen werden. Wer mich in dieser Art und Weise angreift wie etwa auch jener junge Abgeordnete, der durch publizistische Aktionen von sich reden hat gemacht und der neulich in einer Zeitung, die am Sonntag erscheint, geschrieben hat, warum ich nicht gegen den Besuch — hören Sie gut zu!— meines „sowjetischen Gewerkschaftskollegen" Scheljepin protestiert hätte, der muß diese Zurückweisung hinnehmen. Er ist ja in diesem Sinne auch Ihr Gewerkschaftskollege, wie er mein Gewerkschaftskollege ist. Sie sollten sich, Herr Kollege Russe, gegen diese Art und Weise, wie in Ihrer Partei Angehörige der SPD „angeschmiert" werden, zur Wehr setzen, wie wir das auch versuchen.
Das würde ein Beitrag zur Hygiene der demokratischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik sein.
— Es gibt aber einen Augenblick, in dem man diesen Rückkoppelungsprozeß unterbrechen muß, und er könnte unterbrochen werden, wenn sich endlich einmal in der CDU irgend jemand zu Wort melden würde, der auch gegen diese Methode der „Anschmiererei" protestiert, von der Sie genau wissen, daß sie unzutreffend ist. Dafür kennen wir uns zu lange.
Gestatten Sie mir nun, von der notwendigen Auseinandersetzung mit der Polemik der anderen Seite zum sachlichen Teil überzugehen und den Beitrag zu erläutern, den Forschung und Technologie nach Auffassung der Bundesregierung zur Sicherung der Energieversorgung unseres Landes leisten können und — notfalls mit Hilfe des Staates — auch leisten müssen.Die Krise der letzten Jahre hat gezeigt, daß unsere Möglichkeiten, Energieprobleme nur mit herkömmlichen Mitteln zu meistern, sehr begrenzt sind. Wir können die Abhängigkeit vom Erdöl nur mit Hilfe neuer Energiequellen wesentlich vermindern, d. h. von allem mit Hilfe der Kernenergie. Die Lehre, die wir aus der Energiepreiskrise gezogen haben, lautet: Konzentration der Forschungsanstrengungen auf nur eine Energiequelle reicht angesichts der vielfältigen Probleme, die wir zu lösen haben, bei weitem nicht aus. Es genügt nicht, nur für die langfristige Zukunft neue Energiequellen bereitzustellen. Ebenso wichtig ist es, Forschung und Technologie gezielt zur Lösung akuter Probleme einzusetzen.Dies ist in der Bundesrepublik Deutschland unter den gegebenen Bedingungen vor allem durch die Förderung des Einsatzes unseres heimischen Energieträgers, der Kohle, möglich. Verstärkte technologische Entwicklung für den Einsatz der Kohle ist einer der Schwerpunkte des Rahmenprogramms der Energieforschung der Bundesregierung. Der Energieträger Kohle, dem wir unseren Stand als hochentwickeltes Industrieland zum großen Teil verdan-
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Bundesminister Matthöferken, ist in den letzten 20 Jahren in seiner relativen Bedeutung für die deutsche Energieversorgung zurückgegangen. Diese Entwicklung wäre sicher noch weit schneller verlaufen, wenn man ihr nicht durch energiepolitische Maßnahmen entgegengewirkt hätte. Es war jedoch ein entscheidender Fehler, daß versucht wurde, Hilfe für die deutsche Steinkohle — das geht vor allem an Ihre Adresse — nur mit dem Mittel der Subvention zu leisten, und nicht durch Förderung der Innovationen zur leichteren bzw. effizienteren Gewinnung und besseren Verwertung der Kohle beizutragen.So kommt es, daß wir heute, da wir wieder stärker auf unseren heimischen Energieträger Kohle angewiesen sind, noch immer mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, die für den Rückgang des Kohleanteils mit verantwortlich sind. Es wäre falsch, davor die Augen zu verschließen.Die Kohleförderung ist im Vergleich zu anderen Fördergebieten teurer, lohnintensiver und mit großen Belastungen für die Bergleute verbunden. Die Handhabung der Kohle im Kleinverbrauch ist verhältnismäßig unpraktisch und unbequem. Der Transport von Kohle ist im Vergleich zu anderen Energieträgern teuer. Die Verbrennung von Kohle schafft erhebliche Umweltprobleme.Deshalb müssen wir neben anderen wichtigen Maßnahmen wie dem Dritten Verstromungsgesetz, das den Absatz der Kohle sichern hilft, neue Technologien für die Kohleveredelung und neue Technologien in der Bergbautechnik entwickeln und einführen.Die Bundesrepublik Deutschland zählt auf dem Gebiet der Kohletechnologie zu den führenden Ländern der Welt. Die einzigen technisch einsetzbaren Vergasungsverfahren tragen Namen deutscher Unternehmen. Weltweit wird aber an der Entwicklung von Verfahren zur Kohlevergasung und Kohleverflüssigung intensiv gearbeitet, vor allem in den USA. Diese Entwicklungen beruhen weitgehend auf dem, was vor dem Zweiten Weltkrieg und während des Krieges in Deutschland an Erfahrungen gesammelt wurde. Die damals erworbenen Kenntnisse wurden zwar in der Zwischenzeit in der Bergbauforschung und in einigen weitblickenden Industrieunternehmen fortgeführt und erweitert; aber wir verfügen heute nicht über Verfahren, die für den großtechnischen Einsatz geeignet sind, wie ihn unser stark gestiegener Energiebedarf eigentlich erfordern würde.Außerdem ist eine Modernisierung und Optimierung der Verfahren vor ihrem Einsatz in großtechnischem Maßstab unerläßlich. Neue erfolgversprechende Verfahrensentwicklungen müssen aufgegriffen und zur Anwendungsreife gebracht werden. Das kann nur mit unserer Hilfe geschehen.Technologien zur Kohlevergasung stehen im Vordergrund der Entwicklungsmaßnahmen zur Kohleveredelung. Sie sind für unsere Stein- und Braunkohlenförderung gleichermaßen von Bedeutung. Verschiedene Verfahren zur Entwicklung von Synthesegas, Reduktionsgas und Methan aus Kohle werden entwickelt. Dadurch kann es gelingen, Erdölprodukteals Energieträger und als Rohstoffe für die chemische und eisenschaffende Industrie zu ersetzen.Herausragende Projekte in diesem Bereich sind erstens das Forschungszentrum zur Weiterentwicklung der Kohlestaubvergasung im Saarland, zweitens die Vergasung von stückiger Steinkohle unter Druck in der Anlage Dorsten im Ruhrgebiet. Kohle-veredelungsverfahren dienen dazu, dem Rohstoffcharakter der Kohle besser gerecht zu werden.In diesem Sinne ist auch die spätere Anwendung von nuklearer Prozeßwärme interessant. Hierdurch kann rund ein Drittel der Kohle, die bei konventionellen Prozessen zur Erzeugung der nötigen Prozeßwärme gebraucht wird, eingespart werden. Die preisgünstige Kernenergiewärme wird die Wirtschaftlichkeit der Kohlevergasung verbessern und gleichzeitig erlauben, die Kohle wesentlich besser zu nutzen.Das Energieprogramm der Bundesregierung sieht einen Einsatz von durchschnittlich 33 Millionen Tonnen Steinkohle pro Jahr in Kraftwerken vor. Dieser Einsatz wird sichergestellt durch neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von rund 6 000 Megawatt. Für diese Neuanlagen verlangt die technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft je nach Standort und Qualität der Einsatzkohle eine Entschwefelung der Rauchgase. Die technischen Probleme der Rauchgasentschwefelung sind durchaus kurzfristig lösbar.Was die Kosten betrifft, so müssen wir alle, Staat und Unternehmen, davon ausgehen, daß es nicht weiterhin angeht, die Belastungen der Umwelt durch die Emission von Schadstoffen in unseren Überlegungen außer acht zu lassen. Zur Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen sind Aufwendungen vorzunehmen, die kostenmäßig nach dem Verursacherprinzip erfaßt und letztlich leider — so ist es nun einmal in einer Marktwirtschaft — vom Verbraucher, d. h. von uns allen, getragen werden müssen.Die emissionsarme Verwendung von Kohle in Kraftwerken ist daher auch eine Aufgabe der Forschungsförderung. Pilotanlagen zur Rauchgasentschwefelung werden bereits von der Bundesregierung unterstützt. Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, auch noch den großtechnischen Einsatz der Rauchgasentschwefelung in Demonstrationsanlagen zu unterstützen, um damit diese Technologie rasch einsetzbar zu machen.Die Weiterentwicklung dieses Konzepts für die Leistungsgröße 400 bis 800 Megawatt wird mit Förderung durch den Bund und das Land NordrheinWestfalen zügig vorangetrieben. Für diese Großanlagen wird ein höherer Wirkungsgrad bei der Stromerzeugung und ein niedrigerer Investitionsaufwand erwartet als bei konventionellen Kohlekraftwerken mit Rauchgasentschwefelung.Neben der Kohlevergasung fördern wir auch Technologien zur Kohleverflüssigung. Dabei konzentrieren wir uns auf die Gewinnung von synthetischem schweren Heizöl aus Kohle. Die Gewinnung von Benzin aus Kohle — Kollege Graf Lambsdorff hat heute morgen darauf hingewiesen — ist aus wirtschaftlichen Gründen wenig aussichtsreich. Es kommt
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Bundesminister Matthöfernicht darauf an, alle Erdölprodukte aus Kohle substituieren zu können. Da Kohleprodukte quantitativ nur zu einem geringen Teil Erdölerzeugnisse ersetzen können, genügt es, wenn aussichtsreiche Verfahren zur Herstellung einiger synthetischer Erdölprodukte verfolgt werden.Angesichts der Tatsache, daß Kohle 90 % der fossilen Energievorräte der Welt ausmacht, kommt der Beteiligung deutscher Unternehmen an ausländischen Kohlevorkommen auf lange Sicht große Bedeutung zu. In einigen Fällen wird es dann günstiger sein, die Kohle am Ort der Gewinnung in ein marktfähiges, möglichst flüssiges Produkt zu überführen. Auf diese Weise kann ein unmittelbarer Beitrag zur Diversifikation unserer Energieversorgung durch neue Technologien geleistet werden.Bei fast allen Kohleveredlungsverfahren läßt sich verhältnismäßig leicht eine Entschwefelung und Entaschung durchführen, so daß die gewonnenen Produkte außerordentlich umweltfreundliche Energieträger sind. Über die Wirtschaftlichkeit der Verfahren läßt sich heute noch keine zuverlässige Abschätzung oder gar Prognose machen. Der Preisunterschied der Veredelungsprodukte zu Erdölprodukten ist seit der Ölkrise zwar erheblich verringert, aber noch nicht beseitigt worden. Der Wert leistungsfähiger Kohletechnologie als Garant sichererer und umweltfreundlicherer Energieversorgung wird — dies haben wir alle gelernt — nicht allein vom Preis bestimmt.Die Kohle als Brennstoff ist in den vergangenen 20 Jahren weitgehend vom Markt verschwunden. Die unbequeme Handhabung dieses Brennstoffs sowie die mit seiner Anwendung verbundene Emission von Rauch und Schwefeldioxyd werden die Rückkehr zu diesem Brennstoff nur unter äußerst ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen notwendig und möglich machen. Wir sollten aber die Möglichkeit für die Verbrennung oder den anderweitigen Einsatz von Kohle erneut überprüfen. Die Bundesrepublik verfügt z. B. über günstig gewinnbare Vorräte an salzhältigen Kohlen in Höhe von rund 0,33 Milliarden t. Die bisherigen Schwierigkeiten beim Einsatz dieser Kohle sollten in der jetzigen Situation nicht dazu verleiten, neue Möglichkeiten für den Einsatz dieser Kohle unbeachtet zu lassen.Von mindestens gleicher Bedeutung wie die Technologien der Kohleveredlung erscheinen mir neue Technologien in der Bergbautechnik, die zum Ziel haben, die Wirtschaftlichkeit des Kohlebergbaus zu steigern und vor allem die Arbeitsbedingungen im Bergbau zu verbessern. Wenn wir uns zum Ziel setzen, die Kapazität der deutschen Kohleförderung zu erhalten, dann müssen wir etwas tun, um die Arbeitsbedingungen der Bergleute zu verbessern. Man kann es nicht oft genug sagen: Die Belastung und Gesundheitsgefährdung unserer Bergleute durch Kohlestaub und Luftverschmutzung, durch Lärm und physische Überlastung sind eine Herausforderung an unser Bekenntnis zu menschengerechten Arbeitsbedingungen.
Insofern steht das Rahmenprogramm Energieforschung auch in enger Beziehung zu unserem Programm „Humanisierung der Arbeitswelt".Die vorgestellten Beispiele zeigen die Bedeutung technologischer Neuerungen für die Zukunft eines hochentwickelten Industrielandes, wie es die Bundesrepublik Deutschland nun einmal ist. Es muß unser Ziel sein, unsere begrenzten Vorräte an eigenen Rohstoffen so gut wie möglich, d. h. in veredelter Form, zu nutzen. Wir haben begonnen, in die Zukunft der Kohle intensiv zu investieren. Wir werden dies fortsetzen und die Sicherheit der Arbeitsplätze im Bergbau auch auf diese Weise gewährleisten.
Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst kurz auf die Ausführungen des Herrn Bundesforschungsministers eingehen, die sich von den Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers von heute vormittag negativ abgehoben haben.
Herr Bundesforschungsminister, Sie haben es sich eingangs nicht verkneifen können, auf die Sonthofener Ausführungen von Franz Josef Strauß einzugehen und dieses Wahlkampfthema wieder in die Energiedebatte hier im Deutschen Bundestag einzuführen. Ich glaube, diese Ihre Äußerungen über Sonthofen sind bereits so weit abgedroschen, daß es Ihnen auch der letzte Wähler in Nordrhein-Westfalen bis zum übernächsten Sonntag nicht mehr abnehmen wird, daß das, was Sie über Franz Josef Strauß sagen, den Tatsachen entspricht.
Herr Abgeordneter Engelsberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?
Bitte sehr!
Herr Kollege Engelsberger, sind Sie mit mir der Auffassung, daß ausgerechnet der Minister Matthöfer mit seinen sehr merkwürdigen Behauptungen über andere Demokraten nicht das geringste Recht hat, in diesem Hause in solchen Tönen zu reden?
Herr Kollege Reddemann, ich kann dem, was Sie mit Ihrer Frage sagen wollten, nur zustimmen.Aber, meine Damen und Herren, wir sollten von den Wahlkampfthemen wegkommen, wenngleich ich sagen muß, daß die von Ihnen erzwungene De-
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Engelsbergerbatte mehr oder minder eben doch auf den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen abgestellt ist.
- Herr Ehrenberg, von Ihrer Seite sind diese harten Töne heute in die ursprünglich sachlichen Beratungen letzten Endes eingeführt worden, nicht von der rechten Seite, nicht vom Bundeswirtschaftsminister! Gerade Sie haben Herrn Russe herausgefordert, in dieser Weise zu antworten.
Zur Frage des Kraftwerks Wyhl muß ich Ihnen, Herr Bundesminister, sagen, daß Sie doch durch die Äußerungen, die Sie von sich gegeben haben, mehr oder minder zu der Vermutung Anlaß gegeben haben, daß Sie sich in gewisser Weise mit den Kraftwerksbesetzern identifiziert haben.
Was sollten sonst Äußerungen Ihrerseits bedeuten wie die, daß Sie sagen, Kernenergieplanungen dürften nicht im Hauruck-Verfahren durchgezogen werden, wenn gerade in Wyhl schon ein mehrjähriges Genehmigungsverfahren läuft?
Oder was anderes soll es bedeuten, wenn Ihr Staatssekretär Hauff im Hinblick auf das Kraftwerk Wyhl sagt, die Landesregierung von Baden-Württemberg gehe von einer zu hohen Energieerwartungsquote aus? Meine Damen und Herren, Staatssekretär Grüner vom Bundeswirtschaftsministerium hat wiederum gesagt, er würde das Vorhaben der baden-württembergischen Landesregierung unterstützen. Ich glaube, Sie sprechen hier mit zwei Zungen;
in dieser Bundesregierung weiß die Linke nicht, was die Rechte tut.
Herr Abgeordneter Engelsberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff?
Bitte sehr.
Herr Kollege, wie erklären Sie sich denn den Sachverhalt, daß der Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg, Herr Eberle, öffentlich gesagt hat, die Landesregierung beabsichtige, im Zusammenhang mit ihrem Vorgehen in Wyhl über die von ihr gemachten Fehler nachzudenken?
Ich kenne die Ausführungen des baden-württembergischen Wirtschaftsministers nicht, aber, Herr Kollege Hauff, ich weiß,
daß Sie in Baden-Württemberg zum Ausdruck gebracht haben, man sollte doch zunächst über Sonnenenergie und über Fernwärmeversorgung nachdenken
und erst dann zur Kernenergie übergehen.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte zu der eigentlichen Diskussion zurückkommen; in der zweiten Hälfte seiner Ausführungen hat ja der Bundesforschungsminister auch sachliche Aussagen gemacht. Hier ist im Hinblick auf die Weiterverwendung und -verarbeitung von Kohle ja die Frage zu stellen, ob bei uns in der Bundesrepublik Deutschland die Kohlemengen zur Vergasung, zur Veredelung, zur Verflüssigung überhaupt in genügendem Maße bereitstehen. Dies ist in keiner Weise — weder im Energieprogramm der Bundesregierung noch jetzt in den Aussagen des Bundesforschungsministers — zum Ausdruck gekommen. Außerdem — und das, meine Damen und Herren, ist die entscheidende Frage — ist nicht davon die Rede gewesen, ob wir in der Bundesrepublik Kohle zu jenem Preis zur Verfügung haben, der eine Veredelung, z. B. eine Verflüssigung, überhaupt rechtfertigen würde. Diese Frage hat der Bundeswirtschaftsminister heute vormittag sehr wohl mit Recht angeschnitten.
Herr Abgeordneter Engelsberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Ja, noch eine, aber dann will ich zu meinem eigentlichen Thema kommen. Bitte schön, Herr Wolfram!
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie der Meinung sind, man sollte von Forschungsvorhaben zur Kohlevergasung Abstand nehmen, weil nach Ihrer Auffassung keine genügenden Kohlevorräte verfügbar sind? Und ich frage ergänzend: Sind Sie bereit, morgen von mir die Angaben darüber entgegenzunehmen, welche Kohlevorräte in der Bundesrepublik vorhanden sind? Sie wissen es offensichtlich nicht.
Herr Wolfram, da haben Sie mich nicht richtig verstanden; denn ich habe in diesem Hause vor etwa einem Jahr im Hinblick auf die Kohlevergasung den Antrag begründet, als gerade unsere Fraktion — längst bevor es Ihre Seite getan hat — dieses Problem auf den Tisch dieses Hauses gebracht hatte. Es tut mir leid, Herr Wolfram.Nun, meine Damen und Herren, nachdem wir uns hier etwas emotional auseinandersetzen mußten, will ich zu meinem eigentlichen Thema, nämlich zur Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland, übergehen. Nach den Plänen der Bundesregierung soll im Jahre 1985 eine Kernkraftwerkkapazität von etwa 45 000 bis 50000 MW errichtet worden sein; das entspricht in etwa der derzeit in den USA fertiggestellten Kern-
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Engelsbergerkraftwerksleistung. Auf die Bedeutung und die Notwendigkeit der Kernenergie für die zukünftige Energieversorgung der Bundesrepublik ist schon von verschiedenen Rednern hingewiesen worden. Die wesentlichen Argumente kann man wie folgt zusammenfassen:1. Unabhängig von der Entwicklung der Nachfrage nach Energie sind wir gezwungen, Kernenergie einzusetzen, um Mineralöl zu substituieren und damit unsere wirtschaftliche außenpolitische Abhängigkeit zu verringern. Das heißt, daß selbst in dem viel zitierten Fall des Nullwachstums der Energienachfrage die Kernenergie zum Einsatz kommen muß.2. Das Ausmaß der zu errichtenden Kernkraftwerkskapazität hängt erheblich von der Entwicklung der Energienachfrage ab. Bei den Planungen der Bundesregierung wird davon ausgegangen, daß mit den bisherigen Kernreaktortypen Kernenergie zum Einsatz kommt. Dies bedeutet, daß primär der Leichtwasserreaktor zur Elektrizitätserzeugung eingesetzt wird. Gerade unter dem Aspekt der Substitution des Mineralöls durch andere Energieträger bietet sich auch der Einsatz von Kernreaktoren im Wärmebereich an, weil der Wärmebedarf drei Viertel des Nutzenergiebedarfs ausmacht. Sollte es also gelingen, mittels neuer Reaktortypen auch die Wärmebereitstellung durch Kernenergie zu decken, so bildet sich ein noch größerer Markt für den Einsatz der Kernenergie.Die nicht spezifisch mit der Kernenergie verbundenen Probleme der Abwärme sind von der Bundesregierung in den vergangenen Jahren leider ohne große Sorgfalt behandelt worden, und es fehlt insofern an der Gründlichkeit beim Durchdenken der damit zusammenhängenden Probleme und der Einbettung in ein Energiegesamtkonzept. Es hat wenig Sinn, wenn der eine oder andere Minister aus Publizitätshascherei das eine oder andere Projekt fördert, sei es im Bereich der Abwärme oder der Kernenergie, wenn es nicht in ein Gesamtkonzept der Energiepolitik paßt.Wenn wir die Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland stärker einsetzen wollen, so müssen wir nicht nur den Bau von Kernkraftwerken ins Auge fassen, sondern die Einordnung der Kernkraftwerke in den gesamten Brennstoffkreislauf. Betrachten wir diesen Brennstoffkreislauf und die Vorstellungen der Bundesregierung, wie sie im Energieprogramm zum Ausdruck kommen, so müssen wir feststellen, daß an verschiedenen Stellen doch noch nicht die notwendigen Maßnahmen zur Bewältigung der anstehenden Probleme ergriffen worden sind. Lassen Sie mich bei der Natururanbereitstellung beginnen, bis hin zur Endlagerung des radioaktiven Materials, und einige damit verbundene Probleme aufzeigen.Im Bereich der Natururanbeschaffung ist es wesentlich, daß möglichst viele Lieferanten zur Verfügung stehen. Dabei ist es unabdingbar, daß keine ideologischen Gründe vorgeschoben werden, um die Natururanversorgung in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Auf die Probleme des angereicherten Urans haben meine Vorredner schon vielfach hingewiesen. Ich möchte namens der Fraktion der CDU/CSU noch einmal klarstellen, daß die Europäer alle Anstrengungen koordinieren müssen, um in aller Eile die notwendigen Techniken zu entwickeln und die Anreicherung eigenständig durchzuführen. Gleichzeitig sollten wir vor allem in Kooperation mit den Natururanländern wie Brasilien, Südafrika und Kanada auch Bemühungen unterstützen, eigenständige deutsche Technologien wie das Trenndüsenverfahren zur Urananreicherung zu exportieren. In den betroffenen Ländern würde dies begrüßt.Was die Anfertigung von Brennelementen betrifft, so kann die deutsche Industrie mit Stolz auf ihren hervorragenden technischen Stand verweisen. Sie hat hierin eine führende Stellung in der Welt, und vor allem bei der Plutoniumrückführung in Leichtwasserreaktoren ist ein großer Erfolg zu verzeichnen. Die Plutoniumrückführung ist auch deshalb zu verstärken, weil damit langfristig 20 % des Uranbedarfs gespart werden können. Wir sollten deshalb auch die Brennelementfabriken in ihrem Bemühen um den Ausbau ihrer Kapazitäten unterstützen und vor allem das Genehmigungsverfahren nicht so kompliziert gestalten. Auf diesem Gebiet werden langfristig sicherlich Arbeitsplätze geschaffen, und zugleich wird ein wesentlicher Beitrag zur Kernenergieversorgung geleistet.Wir können feststellen, daß die deutsche Industrie in der Lage ist, hochentwickelte Kernkraftwerke selbständig zu bauen. Wir freuen uns, daß das derzeit größte Kernkraftwerk der Welt in Biblis zur vollsten Zufriedenheit in Betrieb ist, und begrüßen in diesem Zusammenhang auch die Rede, die Wirtschaftsminister Friderichs anläßlich der offiziellen Betriebsübergabe gehalten hat.Der deutsche Steuerzahler hat in der Zeit von 1956 bis 1974 zirka 15 Milliarden DM für die Förderung der Kernforschung und Kerntechnik zur Verfügung gestellt. Nunmehr gibt es allein in der direkt betroffenen Kernforschung und Kerntechnik zirka 20 000 sichere Arbeitsplätze.Diese Ausgaben müssen wir auch im Gesamtzusammenhang mit anderen volkswirtschaftlichen Daten sehen. So mußte nach einem Bericht der Bundesbank die Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr auf Grund der Preissteigerungen 16 Milliarden DM mehr für Mineralöl aufwenden. Würden wir ein Kernkraftwerk in der Größenordnung von Biblis oder Wyhl auf der Basis von 01 betreiben, so bräuchten wir im Jahr zirka 2,8 Millionen Tonnen Mineralöl, das wir voll importieren müßten.Selbstverständlich ist es sehr schwierig, in der dicht besiedelten Bundesrepublik die notwendigen Standorte für Kernkraftwerke, aber auch für andere Energieerzeugungsanlagen zu beschaffen. Wenn aber nach sorgfältiger Prüfung durch alle dafür verantwortlichen Instanzen die gewählten Vertreter des Volkes die Entscheidung fällen, so geht es nicht an, daß selbsterwählte Volksvertreter — teilweise mit Gewalt — versuchen, diese Entscheidungen zu unterlaufen.Wir begrüßen außerordentlich die verstärkten Bemühungen auch der Elektrizitätsversorgungsunter-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11705
Engelsbergernehmen, die Öffentlichkeit über die Bedeutung der Energieversorgung aufzuklären. Die Bundesregierung kann hier auch einen wesentlichen Beitrag leisten. Dies geht aber nicht dadurch, daß man Broschüren mit Minister-Fotos verteilt, sondern dadurch, daß man die vom Bundestag bewilligten Gelder für die Öffentlichkeitsarbeit für eine sachliche Werbung einsetzt. Es geht auch nicht, daß sich einerseits der Wirtschaftsminister massiv für die friedliche Nutzung der Kernenergie einsetzt, andererseits in der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung Bürgerinitiativen für die Besetzung von Kernkraftwerken geschult werden. Gleichzeitig soll dann der Steuerzahler diese Tagung auch noch durch einen Bundeszuschuß mitfinanzieren.
Bundesforschungsminister Matthöfer gefällt sich darin, mit den Bürgerinitiativen zu kokettieren und tausend Wenn und Aber vorzubringen, anstatt in seinem Ministerium dafür zu sorgen, daß die Nutzung der Kernenergie mit der notwendigen Sorgfalt erfolgt.
Wir von der CDU/CSU sind auch nicht bereit, zu tolerieren, daß sich SPD-Politiker in Bonn als Staatssekretär oder Mandatsträger für die friedliche Nutzung der Kernenergie einsetzen, im Wahlkreis aber aus parteitaktischen Überlegungen gegen die CSU operieren, die genau die Ziele verfolgt, wie sie im Energieprogramm der Bundesregierung zum Teil zum Ausdruck kommen. Bundesforschungsminister Matthöfer sollte sich vielmehr verstärkt darum kümmern, wie die Weiterentwicklung der einzelnen Reaktortypen aufgebaut werden muß.
Das bedeutet im Konkreten: Was geschieht mit dem Hochtemperaturreaktor, mit den schnellen Brütern in ihren verschiedensten Varianten?Die größten Probleme bei der Nutzung der Kernenergie bestehen heute weniger in der Sicherheit der Kernkraftwerke. Was uns Sorge bereitet, sind der Transport des radioaktiven Materials, die Wiederaufbereitung der abgebauten Brennelemente und die Endlagerung der radioaktiven Rückstände. Obwohl diese Dinge schon seit Jahren bekannt sind, wurden erst 1974 auf einen Schlag eine Vielzahl von Gutachten vom Forschungsminister zu diesen Problemen vergeben. Nun drängt die Zeit. Die Wiederaufbereitungsanlage muß dringend gebaut werden, damit sie 1985 fertiggestellt ist, weil sonst der Einsatz der Kernkraftwerkskapazität gefährdet ist. Es ist nicht zu verantworten, daß abgebrannte Brennelemente aus der dann installierten Kernkraftwerkskapazität nicht aufbereitet werden können.Namens der CDU/CSU fordere ich deshalb die Bundesregierung auf, unverzüglich den Zeitplan für die Errichtung einer Wiederaufbereitungsanlage darzulegen und dafür zu sorgen, daß sowohl die Finanzierung als auch die Auflagen bezüglich der radioaktiven Abgaben an die Umwelt bekanntgegeben werden.Es geht nicht an, daß hier nur eine Kommission nach der anderen tagt und dann letzten Endes 1985 die Anlage nicht betriebsbereit ist. In der gesamten westlichen Welt funktioniert zur Zeit keine einzige Wiederaufbereitungsanlage kontinuierlich außer unserer kleinen Anlage in Karlsruhe. Die Endlagerung der riesigen Mengen von radioaktiven Materialien ist heute noch nicht eindeutig geklärt. Man sollte auch alle Forschungsvorhaben unterstützen, die darauf abzielen, möglichst viel dieses radioaktiven Abfallprodukts noch sinnvoll zu verwenden und einzusetzen. Dazu gehört vor allem der Wiedereinsatz des aufbereiteten Urans und Plutoniums in den Reaktoren.
Herr Abgeordneter Engelsberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Bitte sehr!
Herr Kollege, wenn Sie selbes dartun, daß die Fragen wegen des Transports radioaktiven Materials, wegen der Standortplanung und wegen der Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle noch nicht restlos geklärt sind, wie Sie ja selber mit bewegten Worten ausführen, müssen Sie dann nicht einräumen, daß die Sorgen, die die Bürgerinitiativen formulieren, nicht ganz unbegründet sind?
Herr Kollege Hirsch, ich darf darauf antworten, daß bei den Bürgerinitiativen zunächst jeweils die Sorge um die Sicherheit der Kernkraftwerke zum Ausdruck kommt. Mir ist noch keine Klage in einer der Debatten entgegengebracht worden, mit der man mir vorgehalten hätte, die Endlagerung oder der Urantransport — zum Beispiel wegen Diebstahls — würde die Leute bewegen. In Wirklichkeit sind doch Bedenken vorhanden, die Kernkraftwerke seien zu unsicher und für die anliegende Bevölkerung gingen Gefahren und Risiken davon aus. Unsere Forderung ist doch die, meine Damen und Herren, daß der Kreislauf des Urans und des Plutoniums noch sicherer gestaltet wird als heute. Lassen Sie mich sagen, daß genau die gleichen Probleme den Kollegen Laermann aus Ihrer Fraktion bewegt haben und er sie im Ausschuß zum Ausdruck gebracht hat.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Ich weiß nicht; ich habe so viele Zusatzfragen gehabt — —
Das wird Ihnen angerechnet. Keine Sorge, Herr Abgeordneter!
Herr Kollege, ergeben sich nicht, wenn diese Fragen nicht geklärt sind, tatsächlich Gefahren für die Bevölkerung, und zwar unabhängig davon, ob eine Bürgerinitiative diese oder eine andere Frage in den Vordergrund stellt?
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Herr Kollege Hirsch, ich glaube, man kann mit Sicherheit sagen, daß für die anwohnende Bevölkerung von Kernkraftanlagen keine Gefahr besteht, sondern daß die Gefahr allgemeiner Art ist. Wir erheben die Forderung — das werden Sie aus meinen folgenden Sätzen hören , daß der Kreislauf des Urans noch sicher gestaltet wird.
Deshalb sind wir hier nicht der gleichen Meinung.
Herr Abgeordneter Engelsberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Evers?
Bitte schön; aber dann muß ich Schluß machen, Herr Präsident, sonst wird es zu lang.
Herr Kollege Engelsberger, würden Sie den Herrn Kollegen Hirsch vielleicht darauf aufmerksam machen, daß die Frage der Sicherheit auch des Ab- und Antransports des Materials eine Frage ist, die im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren von der Bundesregierung geprüft wird und auch geprüft worden ist?
Herr Kollege Evers, ich kann Ihren Ausführungen nur zustimmen. Ich glaube, daß die Bundesregierung in der Verantwortung ist, gerade diesen Transport des radioaktiven Materials sicherer zu gestalten.
Herr Abgeordneter Engelsberger, lassen Sie noch eine weitere Zusatzfrage zu?
Ja, bitte; aber ich muß dann Schluß machen.
Ist Ihren Ausführungen zu der Sorge über den Transport und den späteren Abtransport des Materials zu entnehmen, daß Sie der Meinung sind, die jetzigen Vorarbeiten seien nicht so weit, daß die Atomkraftwerke in Betrieb genommen werden dürfen? Oder sind Sie der Meinung, daß dies tatsächlich schon so weit vorangetrieben ist, daß die jetzigen Kernkraftwerke in Betrieb genommen werden können?
Herr Kollege, ich bin nicht der Meinung, daß man deswegen jetzt nicht die Kraftwerksleistungen in Betrieb nehmen könnte. Aber wir müssen ja davon ausgehen, daß mit wachsenden Kernkraftwerkkapazitäten auch wachsende Uranmengen transportiert und gelagert werden müssen. Bei der Lagerung und dem Transport von Tausenden von Tonnen Uran und Plutonium gehen wir natürlich eine gewisse Gefahr ein. Das soll aber natürlich nicht heißen, daß wir die augenblicklich arbeitenden Kernkraftwerke jetzt außer Betrieb setzen sollten.
Meine Damen und Herren, nach diesen kurzen Unterbrechungen möchte ich auf das Thema zurückkommen und darauf hinweisen, daß wir die Entwicklung mit großer Sorge beobachten. Die riesigen Mengen an spaltbarem Material, die in Zukunft auf uns zukommen werden, werfen auch erhebliche Sicherheitsprobleme auf. Dies bedeutet, daß wir neuartige Systeme der Transportsicherung und der Lagerbewachung für spaltbares Material erarbeiten müssen. Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, daß die Möglichkeit sich ausweitet, daß heutige Nichtkernwaffenstaaten sich Atombomben beschaffen. Diese Gefahr ist gegeben.
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes feststellen. Die CDU/CSU bejaht die friedliche Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland. Wie bei jeder Technologie sind hier positive und negative Auswirkungen gegeneinander abzuwägen. Alle Bemühungen sind darauf auszurichten, den Einsatz der Kernenergie noch sicherer zu gestalten. Forschung und Technologie müssen stimuliert werden, um Substitionsenergien wie Sonnenenergie, Fusionsenergie oder andere Energiequellen zu erschließen. Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, daß hiermit in absehbarer Zeit etwas zu erreichen ist. Trotz aller Bemühungen - auch um Energieersparnis —: Wir kommen um den Einsatz der Kernenergie nicht herum. Wir müssen diesen Einsatz aber mit der notwendigen Sorgfalt und Entschlossenheit handhaben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist im Verlaufe des Tages so Bedeutsames, so Wichtiges und gelegentlich auch so Oberflächliches über die Energiekonzeption unseres Landes, über die supranationale Energiepolitik und über die internationale Energiepolitik gesagt worden, daß ich all dies unterstreichend, was von der Regierung und von der Koalition gesagt wurde — meine Ausführungen auf ein etwas anderes Thema verlagern kann, nämlich auf eine Betrachtung unseres nationalen Energiekonzeptes. Es ist nicht das erste Konzept, aber die erste Fortschreibung des Konzepts. Es ist dies gilt auch für das erste Programm - ein Konzept, das auf Kooperation und auf Fortschreibung beruht. Neben dem, was in diesem Konzept steht, ist für mich diese Tatsache, nämlich die Philosophie der Kooperation und der Fortschreibung, das Entscheidende. In einem Lande wie dem unseren — hochentwickelt, hochtechnisiert — ist Energiepolitik nicht eine Politik, die man heute machen kann, um sie zu erledigen. Energiepolitik erledigt sich in unserem Lande nimmermehr, wenn wir wachsenden Wohlstand, so gut uns das möglich ist, gewährleisten wollen.Vor diesem Hintergrund, meine sehr verehrten Damen und Herren und meine Freunde - —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11707
Schmidt
— Für die, die so oft von der Solidarität der Demokraten reden, müßte eine solche Anrede eigentlich eine Wohltat sein.
— Wir beide sind uns einig.
— Herr Kollege Russe, wir sind uns in vielen Dingen einig. In der Betrachtung des Energiekonzepts sind wir uns aber, wenn das von Ihnen Vorgetragene Ihre Meinung war, nicht einig.
Betrachten wir also unser Konzept und unsere Möglichkeiten. Der Sektor „Öl" ist für uns bedeutsam, weil von uns allein nicht beherrschbar. Das ist von Vertretern sowohl der SPD als auch der Freien Demokraten beschrieben worden.Vergessen wir doch bitte nicht, daß es ein Ausfluß gewollter Politik der Koalition und der Regierung war, daß wir nunmehr über das verfügen, was wir noch vor einigen Monaten einen nationalen Energiekonzern genannt und gefordert haben. Wir haben die Verbindung VEBA-Gelsenberg. Ich denke, wir haben alle allen Grund, denen, die diese Verbindung so geräuschlos, so friktionslos und so zügig zuwege gebracht haben, unseren Respekt und unsere Anerkennung zu sagen.
Nur weil die Politik von Regierung und Koalition das gewollt hat und weil es so geworden ist, können wir heute verzeichnen, daß einer der bedeutendsten internationalen Konzerne, nämlich die amerikanische Gulf, dieser neuen Verbindung ein Kooperationsangebot macht. Sie hat es weder der VEBA allein noch der Gelsenberg allein gemacht. Aber da fädelt sich etwas ein, worüber, wenn es gelingt, wir alle glücklich sein könnten. Denn die Gulf ist, wenn meine Übersicht über die Wirklichkeiten in dieser Welt mich nicht trügt, die einzige bedeutende Gesellschaft, die über mehr Rohöl verfügt als Kapazitäten, mit denen sie dieses Rohöl verarbeiten kann. Genau das braucht die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, um auf die Dauer sicher mit Öl und Ölprodukten versorgt zu sein.
Wir haben, weil die Koalition und die Regierung diese Politik in der Bundesrepublik Deutschland so gewollt haben, nicht nur den Fuß in der Tür zum, Öl aus dem britischen Festlandsockel. Wir haben feste Verträge, daß von dort Öl in unsere Bundesrepublik Deutschland fließen wird. Wir haben über denselben Vorgang auch den Fuß in der Tür, um aus dem norwegischen Feld Gas für unsere Bundesrepublik zur Verfügung zu haben. Hätten wir nicht, längst bevor die Energiekrise uns alle erschüttert hat, Vorkehrungen und Planungen im Rahmen des ersten Energiekonzeptes veranstaltet und zuwegegebracht, wäre dieses Ergebnis heute sicherlich nicht oder noch nicht zu verzeichnen.Im anderen Bereich, im Bereich der Kohle und der Energien, die wir im eigenen Lande haben, ist durch das, was gewollt, bewußt zuwege gebracht worden ist, ein neues, hohes Maß an Sicherheit entstanden. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland mit unseren rund 95 Millionen Tonnen geförderter Steinkohle im Jahr, rund 126 Millionen Tonnen geförderter Braunkohle im Jahr, etwa 7 Millionen Tonnen Rohöl und — nicht allzuviel, aber immerhin doch meßbar — Erdgas sowie mit unserer durch Wasser erzeugten Energie etwa 40 % der gesamten Primärenergie aus eigenen Quellen, auch wenn uns der große Anteil insbesondere des Öls noch fehlt. Um diesen eigenen Versorgungsanteil werden wir von vielen anderen, insbesondere europäischen Industrienationen, sehr beneidet.Die Bundesregierung und die Koalition haben aus diesen Realitäten, aus diesen Wirklichkeiten nach dem 17. Oktober 1973, dem Tag, als in den Ländern um den Persischen Golf das beschlossen wurde, was wir dann die Energiekrise genannt haben oder auf Dauer, noch sehr lange nennen müssen, die richtigen Konsequenzen gezogen. Dieses Energieprogramm, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist allein schon ein bedeutendes wirtschaftspolitisches Instrumentarium für uns und sicherlich auch für die, die nach uns kommen. Es verzahnt sich dabei in ganz hervorragender Weise sowohl mit dem Bereich der Sozialpolitik wie mit dem Bereich der übrigen Wirtschaftspolitik.Wir haben, als die Krise über uns kam, als ein erstes jene bedeutende Maßnahme beschlossen, die wir das Forschungsprogramm nennen, von dem eben Herr Minister Matthöfer gesprochen hat. Es muß darauf ankommen, daß wir im Dienste der Volkswirtschaft dieser Bundesrepublik und damit des wachsenden Wohlstands — zuverlässige und reale Antworten auf folgende Frage finden: Können wir mit den heutigen technischen Möglichkeiten aus unserer Kohle mehr machen, als sie zu fördern und als Kohle zu vernichten? Wir müssen die Antwort auf die Frage finden: Läßt sich die Kohle industriell nutzbar vergasen, d. h. so verkaufen, daß sie für den industriellen wie den privaten Verbraucher bezahlbar ist? Wir müssen die Frage beantworten, ob wir unsere Kohle über den Weg der Vergasung und Verflüssigung als einen umweltfreundlicheren Energieträger verkaufen können.Die Maßnahmen sind eingeleitet. Ich persönlich habe die feste Zuversicht, daß wir bis in die Mitte des nächsten Jahrzehnts befriedigende Antworten auf insbesondere diese beiden Fragen haben werden. Würde das Problem der Vergasung, das der Herr Minister Matthöfer eben sehr viel deutlicher beschrieben hat, als ich es kann, bis etwa in die Mitte des nächsten Jahrzehnts positiv gelöst, dann, meine Damen und Herren, hätten wir bewußt auf dieses Ereignis hin nicht nur der Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland einen ganz wichtigen hervorragenden Dienst erwiesen, weil wir auf dem Wege, zu geringerer Abhängigkeit zu gelangen, einen erheb-11708 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975Schmidt
lichen Schritt nach vorn gekommen wären. Wir hätten auch der Volkswirtschaft insgesamt einen Dienst erwiesen; denn man wird damit rechnen müssen, daß das Erdgas, das wir jetzt aus den Vorkommen unserer holländischen Nachbarn beziehen, etwa in dieser Zeit nicht oder nicht mehr in diesen Mengen zur Verfügung stehen wird.Die Vorsorgepolitik der Bundesregierung und der Koalition geht hier in diesem Bereich weit über die Bedeutung der schon für sich allein so ungewöhnlich wichtigen Energiepolitik hinaus. Wir müssen die Frage beantwortet bekommen, ob heute, am Ende des 20. Jahrhunderts industriell nutzbar, weil verkaufbar und bezahlbar, aus unserer Kohle eine Flüssigkeit gemacht werden kann, in welcher Form auch immer, ob es Kohleöl sein wird, das ähnliche Funktionen wie unser Erdöl hätte, oder ob es weitere Verarbeitungsstufen sein werden. Dadurch entsteht nicht nur eine Sicherheit für die Versorgung unserer Wirtschaft und unserer Verbraucher mit der lebensnotwendigen Energie, sondern es entsteht gleichzeitig — und das ist für mich ein wesentlicher und bedeutender Aspekt — eine neue große Sicherheit für die Beschäftigten in diesem Wirtschaftszweig.Das, meine Damen und Herren, was uns alle bei der Zeitungslektüre jetzt bekümmert und bekümmern muß, nämlich die Freistellungen in dem größten Automobilwerk unseres Vaterlandes und weit darüber hinaus, hat die deutsche Bergbauwirtschaft, längst nicht mehr so bedeutend wie die Automobilindustrie heute, jahrelang an Arbeitsplätzen freigemacht, ohne daß sich der nächstliegende Betrieb darum überhaupt gekümmert hätte. Von mehr als 500 000 Arbeitnehmern in der Steinkohlenbergbauwirtschaft der Bundesrepublik — von 1957 bis heute gerechnet — sind gerade noch 200 000 in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt. Die Förderung, die seinerzeit aus 157 Schachtanlagen zutage gebracht wurde, wird heute in rund 60 Schachtanlagen zutage gebracht. Kaum ein Bergmann, meine Damen und Herren das ist für sich allein keine Anklage —, arbeitet heute noch auf jener Schachtanlage, auf der er sein Berufs- und Arbeitsleben begonnen hat; fast jeder Bergmann hat im Laufe dieses sogenannten Anpassungs- oder Gesundschrumpfungsprozesses seinen Arbeitsplatz, seine Zeche — häufig drei-, vier-, fünf- und sechsmal — wechseln müssen.Das, was wir so vornehm und elegant als Anpassungsprozeß beschreiben, ist in jedem Fall Schicksal für die Familie: Eine Verlegung ist nicht nur eine Maßnahme, die man beginnt oder beendet und mit der sich der Fall hat; mit einer Verlegung sind nicht selten, nein sogar sehr oft die Herausnahme der Kinder aus der Schule und die Eingliederung in eine neue Schule, die Herausnahme aus einer Wohn- und Siedlungsgemeinschaft, einer Kirchengemeinschaft, einer Vereinsgemeinschaft in neue, noch unbekannte Gemeinschaften verbunden.Dies wird durch diese Energiekonzeption beendet. Die Abwärtsbewegung, d. h. die Reduzierung der Förderung im Steinkohlenbergbau, wird durch dieses Energieprogramm abgeschlossen, eine Phase der Konsolidierung und der Stabilisierung wird eingeleitet. Dafür sind alle Menschen in der Bergbauwirtschaft, nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Manager und die leitenden Herren aus ganzem Herzen dankbar. Nur wer weiß, was ein solcher Prozeß über mehr als anderthalb Jahrzehnte ausmacht, der kann ermessen, meine Damen und Herren, wie gewaltig der Erfolg, der Sieg der Bergarbeiter in diesem Lande ist, dennoch nicht der Resignation erlegen zu sein, sondern sich die Zuversicht bewahrt zu haben, für deren Vorhandensein wir jetzt dankbar sein können, damit es von Stund an aufwärts gehen kann.
— Sagen Sie es doch ins Mikrophon, dann haben alle die Freude, dies mitzuerleben. Ich würde Ihnen gerne darauf antworten.
Dieses törichte Reden
vom Wahlkampf, dieses törichte Reden, man tue dies, um Wahlkampf zu machen, haben Sie doch selbst widerlegt. Alle Redner der Regierung und alle Redner der Koalition haben sich an den Faden der Verantwortung um die Sache gehalten.
Wahlkampf wurde von der Opposition gemacht.
Aber ich bin Ihnen gar nicht einmal so sehr böse, weil ich auch in diesem Punkt ganz dezidiert anderer Meinung bin als ansonsten mein Freund Hermann Josef Russe.
Wo kämen wir denn hin in diesem deutschen Vaterland und in diesem Parlament freier deutscher Menschen, würden in zwei Ländern dieser Bundesrepublik Deutschland Landtagswahlkämpfe sein und wir, die Volksvertreter dieser Republik, würden so tun, als ginge uns dies nichts an!
Jemand, der so wenig engagiert ist, kann doch gar nicht leidenschaftlich bei der Sache sein.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme auch zum Schluß.
Das Energieprogramm, das diese Regierung und diese Koalition im Jahre 1974 geschrieben, im Jahre 1975 fortgeschrieben haben, ist in seiner Philosophie
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eine richtige, eine nötige Anlage. Es programmiert, ohne zu planen nach Vorbildern der Staatshandelsländer. Es zwingt alle Verantwortlichen, welche Verantwortung sie auch immer tragen, zu einer ständigen, laufenden Kooperation, und es zwingt alle Verantwortlichen, im Rahmen dieser Kooperation ständig im Gespräch über die sichere Versorgung mit preisgünstiger, weil kostengünstiger Energie zu bleiben. Die Menschen in dieser Bundesrepublik Deutschland, sowohl ihre Wirtschaft wie ihre privaten Verbraucher, können auch in der Zukunft sicher davon ausgehen, daß Koalition und Regierung nichts unterlassen werden, um diesem Ziele näherzukommen, unabhängiger zu werden und ständig sicher und preisgünstig versorgen zu können. Wir stimmen, wie meine Freunde bereits gesagt haben, allen Vorlagen des heutigen Tages zu.
Das Wort hat der Abgeordneter Zeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die in der heutigen Debatte von den Sprechern der Koalitionsfraktionen gegebene Darstellung hinsichtlich der Fortscheibung des Energieprogramms der Bundesregierung und der Behandlung im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages ist in wesentlichen Punkten unzutreffend. Ihr muß daher in aller Schärfe widersprochen werden.
Zunächst muß ich in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß das Energieprogramm der Bundesregierung vom 3. Oktober 1973 schon auf Grund der Ölkrise in wichtigen Teilen überholt war, als es zum erstenmal im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages am 7. November 1973 behandelt worden ist.
Schon damals stand fest, daß es auf Grund der gewonnenen Erkenntnisse unverzüglich fortgeschrieben werden mußte. Die Bundesregierung hat das auch uneingeschränkt — Herr Kollege Lambsdorff, Sie waren in den Ausschußberatungen dabei — anerkannt. Bereits in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom 23. Januar 1974 erklärte Herr Ministerialdirigent Dr. Lantzke als Vertreter der Bundesregierung, daß dem Wirtschaftsausschuß die Unterlagen über die Fortschreibung des Energieprogramms bis zum 21. Februar 1974 zur Verfügung stehen würden.
Herr Abgeordneter Zeyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Ja, bitte.
Herr Kollege Zeyer, ist es nicht logisch, daß ein Energiekonzept, das vor der Ölkrise geschrieben worden ist, spätestens zu dem Zeitpunkt überholt sein mußte, als dann dieser Fall eingetreten war, und waren wir uns nicht auch im Wirtschaftsausschuß einig, daß wir nicht übereilt in der Fortschreibung Entscheidungen treffen wollten, die einer gründlichen Prüfung bedurften, und ist es nicht ein Widerspruch, daß Ihr Kollege Russe fordert, sich jetzt noch Zeit zu nehmen mit der Verabschiedung der Fortschreibung, und Sie sagen, es gehe nicht schnell genug?
Herr Kollege Wolfram, das ist genau der Punkt. Sie haben heute — die Sprecher Ihrer Fraktion und der Fraktion der FDP im Bundestag — wiederholt erklärt, die Bundesregierung habe unverzüglich ihr Programm vom Oktober 1973 fortgeschrieben. Ich muß hier feststellen, daß dem leider nicht so war. Ich beziehe mich jetzt auf die Protokolle des Wirtschaftsausschusses. In der Sitzung am 21. Februar 1974 — bitte, hören Sie gut zu! — standen die im Januar zugesagten Unterlagen nicht zur Verfügung. Statt dessen erklärte Herr Staatssekretär Rohwedder, eine umfassende Fortschreibung des Energieprogramms werde erfolgen, und er fügte hinzu, an die Fortschreibung werde die Bundesregierung mit der nötigen Gelassenheit herangehen.In der Tat kann ich Ihnen bescheinigen, daß die Bundesregierung mit der notwendigen Gelassenheit an die Sache herangegangen ist. Sie ließ sich nämlich bis zum 31. Oktober 1974 Zeit, und dies wirkte sich vor allem — das wissen Sie doch auch — bei der Beratung des Dritten Verstromungsgesetzes sehr nachteilig aus. In Ihrem Gesetzentwurf — ich will es Ihnen verdeutlichen — hatte die Bundesregierung eine durchschnittliche Einsatzmenge von 30 Millionen Tonnen Steinkohle angesetzt. Sie hat diese Einsatzmenge dann auf 32 Millionen Tonnen erhöht. Sie wissen, daß es lange und mitunter auch harte Debatten gab, daß unsere Fraktion 35 Millionen Tonnen vorgeschlagen hatte und daß Sie mit Ihrer Mehrheit dann 33 Millionen Tonnen beschlossen haben. Gerade bei diesen Beratungen hätten wir doch die Fortschreibung des Energieprogramms dringend benötigt, ging es doch um die Rolle unseres heimischen Energieträgers Kohle. Ich muß es noch einmal sagen: Hier hat sich der Bundeswirtschaftsminister Zeit gelassen, und wir haben damals gewissermaßen das Pferd vom Schwanze her aufgezäumt.Ich komme deshalb nicht umhin, bei dieser Sachlage hier festzustellen, daß die in der heutigen Debatte von Ihnen gegebene Darstellung, die Bundesregierung habe das Energieprogramm unverzüglich fortgeschrieben, einfach unzutreffend ist. Übrigens enthält auch der Ausschußbericht vom 21. April dieses Jahres die gleiche unrichtige Darstellung.Wenn Sie sich ereifern, meine Kollegen von der Koalition und vor allem von der SPD, dann muß ich sagen: Wir haben Verständnis dafür, daß Sie vor dem Hintergrund der Wahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland — jetzt muß ich es ganz deutlich sagen — einen Jubelchor auf diese Bundesregierung anstimmen wollten.
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11710 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
ZeyerSie haben aber die Protokolle des Wirtschaftsausschusses nicht gelesen; sonst hätten Sie diese Darstellung nicht geben können.
Herr Abgeordneter Zeyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Ja, bitte.
Herr Kollege Zeyer, darf ich Sie fragen, wie sich Ihre bewegte Klage und die der Weiterentwicklung unseres Problems wahrscheinlich nicht sehr förderliche Nachlese aber das soll Ihnen unbenommen sein — mit Ihrer Absicht vertragen, das Energieprogramm auch heute nicht zu diskutieren?
Verehrter Herr Kollege Graf Lambsdorff, Sie wissen doch, daß Sie die heutige Debatte gewollt und durchgesetzt haben, weil Sie meinten, Sie könnten noch vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland jubeln; und jetzt muß ich ganz deutlich werden: Sie zittern doch dieser Wahl entgegen!
Unsere Wähler in Baden-Württemberg haben Sie am vergangenen Sonntag doch mit den hervorragenden Ergebnissen in den Städten das Fürchten gelehrt!
Herr Kollege Wolfram, ich kann verstehen, daß Sie als Oberbürgermeister ganz besonders zittern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zu einem wichtigen Teilaspekt des Energieprogramms der Bundesregierung Stellung nehmen, nämlich der Errichtung von zehn neuen Steinkohlekraftwerken bis 1980, die in der heutigen Debatte schon mehrfach angesprochen worden ist. Hier ist bis auf den heutigen Tag und bis in die heutige Bundestagsdebatte hinaus aus durchsichtigen Gründen ein solches Verwirrspiel betrieben worden, daß es mir notwendig erscheint, die bisherige Diskussion über diese Frage in knappen Sätzen chronologisch zu skizzieren.
Am 4. Dezember 1973 — ich weiß, daß es Ihnen unangenehm ist; aber gerade deshalb sage ich es — erklärte der damalige Bundeskanzler Brandt bei der Barbarafeier der Saarbergwerke in Saarbrücken, es würden zehn neue Steinkohlenkraftwerke gebaut. In der Berichterstattung der „Saarbrücker Zeitung" vom 5. Dezember 1973 heißt es dazu: „Kanzler in Saarbrücken — zehn neue Kraftwerke". Die Bergleute mußten und sollten annehmen, es werde auf Grund der Ölkrise zum Bau von zehn zusätzlichen Steinkohlenkraftwerken kommen. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um die Steinkohlenkraftwerke, deren Errichtung im Rahmen der sogenannten Anschlußregelung längst vorgesehen
war. Wenn Sie es nicht glauben — Sie schauen mich so ungläubig an, Herr Kollege Wolfram —, empfehle ich Ihnen, den vierten Subventionsbericht der Bundesregierung vorn 29. Oktober in Drucksache 7/1144 nachzulesen. Dort finden Sie es schwarz auf weiß.
- Von 1973, Herr Kollege Graf Lambsdorff, damit Sie es genau wissen. — Die Äußerung des damaligen Bundeskanzlers Brandt kann daher nur als Augenwischerei, um nicht zu sagen: als Irreführung unserer Bergleute angesehen werden.
In der Folgezeit ging dieses Verwirrspiel weiter. Als wir im vergangenen Jahr immer wieder die Frage stellten, wann mit dem Bau dieser zehn neuen Steinkohlenkraftwerke begonnen werde, wurde erklärt, daß Verzögerungen vor allem dadurch eingetreten seien, daß Finanzierungsfragen ungeklärt seien, weil das Dritte Verstromungsgesetz noch nicht verabschiedet sei. Es wurde dann immer wieder auf diese Beratungen des Dritten Verstromungsgesetzes hingewiesen und hinzugefügt, nach seiner Verabschiedung sei mit einer raschen Errichtung dieser zehn neuen Steinkohlenkraftwerke zu rechnen.
Ich darf insoweit auf einen Brief des Herrn Bundeswirtschaftsministers vom 23. September 1974 an den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses im Deutschen Bundestages verweisen, in dem es hierzu wörtlich heißt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Meine Gespräche mit der Elektrizitätswirtschaft haben demnach ergeben, daß der Steinkohleeinsatz auf kooperativer Basis von der Elektrizitätswirtschaft garantiert wird, dagegen für die Finanzierung der Verstromung das Dritte Verstromungsgesetz erforderlich ist.
In dem fortgeschriebenen Energieprogramm der Bundesregierung vom 30. Oktober 1974 heißt es, daß die Investitionsentscheidung für 3 400 MW bereits gefallen sei; von den fünf Kraftwerksblöcken seien je zwei im Ruhrgebiet und im Saarland sowie einer im Raum Hannover–Braunschweig geplant.
Zwischenzeitlich wurde ja dem Herrn Bundeswirtschaftsminister das Instrumentarium des Dritten Verstromungsgesetzes an die Hand gegeben. Es ermöglicht ihm insbesondere, der Elektrizitätswirtschaft Investitionskostenzuschüsse und andere Finanzierungshilfen zu geben. An der Situation hat sich jedoch nicht viel, sicherlich nichts Entscheidendes, geändert.
Herr Abgeordneter Zeyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Nein, Herr Präsident. Ich habe einige Zwischenfragen zugelassen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich jetzt im Zusammenhang zum Ende kommen möchte, damit meine Redezeit nicht über Gebühr belastet wird.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11711
ZeyerIn ihrer Antwort vom 11. April 1975 auf die Kleine Anfrage meiner Fraktionskollegen gesteht die Bundesregierung ein — bitte, hören Sie gut zu —, daß lediglich ein Vorhaben im Saarland sich im Bau befinde. Für drei weitere und ein Heizkraftwerk von lediglich 50 MW stehe der Baubeginn unmittelbar bevor. Gesamtleistung dieser Vorhaben: 2 800 MW.
Heute morgen erklärte der Bundeswirtschaftsminister hier im Deutschen Bundestag, es lägen Zusagen über 4 000 MW vor. Ich muß noch einmal zurückkommen auf die schriftliche Antwort der Bundesregierung vom 11. April dieses Jahres — die ja nicht einmal zwei Wochen alt ist — auf die Kleine Anfrage meiner Fraktionskollegen, in der es an anderer Stelle heißt, mit Schreiben vom 1. April 1975 habe die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke den Bundesminister für Wirtschaft nunmehr davon unterrichtet, daß heute Planungen und Bauvorhaben über Steinkohlekraftwerke bis 1980 mit einer Leistung von knapp 5 200 MW vorlägen und daß weitere Projekte noch bis 1980 in Angriff genommen werden dürften.
Ich kann nur sagen, Herr Kollege Wolfram: Widerspruch auf Widerspruch. Die Angaben des Bundeswirtschaftsministers in der heutigen Bundestagssitzung und die Antwort der Bundesregierung vom 11. April dieses Jahres auf die Kleine Anfrage meiner Kollegen fordern deshalb zu einigen Bemerkungen heraus.
Ich kann und will nicht sagen, der Bundeswirtschaftsminister habe den Brief der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke vom 1. April 1975 erbeten. Ich kann und will auch nicht sagen, daß die heutige Presseveröffentlichung über die Errichtung eines VEBA-Steinkohlenkraftwerks auf den Tag genau bestellt gewesen ist. Indessen bin ich ehrlich genug, hier zu sagen, daß sich mir dieser Verdacht immer stärker aufdrängt. Offensichtlich meinen der Bundeswirtschaftsminister und auch Sie, meine Herren von der SPD und von der FDP, mit vagen, undurchsichtigen Erklärungen und mit hilfreichen Presseveröffentlichungen bis zum 4. Mai über die Runden zu kommen.
Der Bundeswirtschaftsminister sollte aber eigentlich wissen, daß wir uns mit vagen und deshalb im Grunde genommen nichtssagenden Erklärungen hier nicht länger abspeisen lassen. Wir wollen nicht wissen, welche ernsthaften oder vielleicht auch weniger ernsthaften Planungen und Bauvorhaben für Steinkohlekraftwerke irgendwo bestehen. Wir wollen von ihm eine eindeutige und verbindliche Erklärung darüber, ob die von dieser Bundesregierung zugesagten zehn neuen Steinkohlekraftwerke bis 1980 errichtet werden oder nicht.
— Damit wir uns ganz klar verstehen, Herr Kollege Wolfram: die Betonung liegt auf der Errichtung und Inbetriebnahme bis 1980, und nicht auf Planungen oder Bauvorhaben bis zu diesem Zeitpunkt.
Ich muß noch einmal feststellen: im Bau befindet sich bis heute erst eines von diesen zehn neuen Steinkohlekraftwerken.Der Herr Bundeswirtschaftsminister weiß so gut wie wir, daß Kraftwerke, mit deren Bau jetzt nicht begonnen wird, bis zum Jahre 1980 nicht mehr in Betrieb genommen werden, und er weiß auch, daß dies Konsequenzen hinsichtlich des Einsatzes von Steinkohle in Kraftwerken und damit hinsichtlich des Kohleabsatzes in den kommenden Jahren und damit auch hinsichtlich der Zielvorstellungen im Energieprogramm der Bundesregierung hat. Der Bundeswirtschaftsminister sollte hier endlich die Karten offen auf den Tisch legen und angeben, welche neuen Steinkohlekraftwerke bis zum Jahre 1980 gebaut und in Betrieb genommen werden, ausgenommen den bereits im Bau befindlichen 700-MW-Block im Saarland.Zumindest für den nach dem Fortgeschriebenen Energieprogramm der Bundesregierung vom 30. Oktober 1974 im Saarland vorgesehenen zweiten Kraftwerksblock müßte die Bundesregierung hier eine klare und verbindliche Antwort geben können, denn dieser soll durch die Saarbergwerke errichtet werden. Bei den Saarbergwerken handelt es sich bekanntlich um ein bundeseigenes Unternehmen, um ein Unternehmen, an dem der Bund zu drei Vierteln beteiligt ist. Oder ist es nur Augenwischerei, wenn dieser zweite Kraftwerksblock im Fortgeschriebenen Energieprogramm aufgeführt wird, und haben diejenigen recht, die sagen, daß dieser zweite Kraftwerksblock längst zurückgestellt, um nicht zu sagen, endgültig abgeschrieben worden sei?Die Bundesregierung sollte nicht länger verschleiern. Sie sollte die Antwort hier und heute im Plenum des Deutschen Bundestages geben. Die Bergleute im Saarland und in Nordrhein-Westfalen haben einen Anspruch darauf, die Wahrheit heute zu erfahren, und nicht erst nach dem 4. Mai.
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bis auf die wenigen Ausnahmen, die offensichtlich immer die Regel bestätigen müssen, habe ich, wenn ich versuche, mir diese Debatte zu vergegenwärtigen, nicht den Eindruck gehabt, daß es sich hierbei um eine Wahl-
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11712 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Zywietzkampfdebatte oder, wie Sie es, Herr Kollege Russe, ausdrückten, um ein Schauturnen handelt. Ich habe viel eher den Eindruck — das ist dem Thema, über das wir hier in sachlicher Weise gesprochen haben, wohl auch angemessen —, daß man über ein Thema wie Energiepolitik wiederholt diskutieren kann, eben weil es ein zentrales Thema ist und weil die Entwicklungen in diesem Themenbereich mit all ihren betriebs- und volkswirtschaftlichen Konsequenzen so rasant verlaufen.Es ist gar nicht zu leugnen, daß das Thema Energiepolitik in den letzten Jahren sowohl national als auch international zu dem Spitzenthema schlechthin geworden ist. Es bedurfte doch wohl nicht erst des Nachhilfeunterrichts durch die Energiekrise, um zu sehen, daß mit dem Ölboykott gleichsam ein Stein in das Wasser geworfen worden ist und daß Probleme des wirtschaftlichen Wachstums, der Strukturpolitik, der regionalpolitischen Auswirkungen, der Einkommensverschiebung und der Machtverteilung national ebenso wie international überhaupt erst verdeutlicht worden sind.
— Wenn eine solche Debatte ein wenig lax als „Schauturnen" bezeichnet wird, macht das, glaube ich, deutlich, daß es an Ernsthaftigkeit bei der Aussprache über dieses Thema gefehlt haben muß.
Zumindest hat es auf mich diesen Eindruck gemacht. Das möchte ich einmal betonen.Das Ziel, um das es uns in diesem Bereich geht, ist, eine sichere Energieversorgung hinsichtlich der Menge zu akzeptablen Preisen zu gewährleisten und dabei die Umweltbelange entsprechend zu berücksichtigen. Ich darf auch hier wieder auf Ihre Ausführungen zurückkommen, Herr Russe. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie eine etwas kritische Anmerkung dazu gemacht, daß sich der Staat im energiepolitischen Bereich offensichtlich immer mehr in Betätigungsfelder hineinbegebe, die ihm früher sehr fern lagen. Dazu möchte ich einfach sagen, daß wir bei allem Bemühen, auch diesen Bereich möglichst marktwirtschaftlich zu handhaben, doch wohl sehen und zur Kenntnis nehmen müssen, daß sich gerade in diesem Bereich die ökonomische und politische Welt sehr nachhaltig verändert hat.
- Ja, aber daraus erwächst doch die Notwendigkeit, daß bei Wahrung aller marktwirtschaftlichen Prinzipien im Rahmen der Möglichkeiten doch wohl das Datensetzen, das Überwachen und das lenkende Eingreifen des Staates notwendiger ist als in Zeiten, in denen multinationale Gesellschaften eine ganz andere Verhandlungsposition gegenüber Ölförderungsgebieten hatten, die sich „Kolonien" nannten.
— Die Folgerungen, die Sie darauf aufbauen, sind für mich allerdings nicht so überzeugend, wie sie sein müßten, wenn Sie sich diesen fundamentalen Wandel in der globalen Perspektive verdeutlicht hätten. Denn unter diesen veränderten Gesichtspunkten energiepolitische Sicherheit zu erlangen macht andere Maßnahmen erforderlich.Schauen wir uns doch einmal unsere Primärenergieträger an. Wenn wir einen Blick auf das Öl, auf die Steinkohle oder die Braunkohle werfen, wenn wir einen Blick auf das Gas oder die Kernenergie werfen, stellen wir doch fest, daß nur ein wesentlicher Energieträger, nämlich die Kohle, ein heimischer und, wenn man so will, ein sicherer Energieträger ist. Alle anderen Energieträger sind in ihrem Sicherheitsgrad für unsere Volkswirtschaft in außenpolitische und außenwirtschaftliche Zusammenhänge eingebettet, die sich doch ganz nachhaltig verändert haben. Das zeigt ein Blick in den Nahen Osten.
Ich habe, wie ich meine, Ihren Ausführungen sehr aufmerksam zugehört; allerdings konnte ich diese Identität, von der Sie jetzt sprechen, nicht feststellen.
Dieser Hintergrund macht deutlich, daß Energiesicherung heute nicht mit einem grandiosen Wurf erreicht werden kann, sondern sich in ihrem Bemühen im wesentlichen auf den Primärenergieträger zu konzentrieren hat, von dem wir am wesentlichsten abhängig sind, und das ist das Mineralöl mit einem Anteil von 55 % an unserer Energiebilanz. Und wenn man eine zweite Zahl hinzufügt, dann doch die, daß 95 % dieser 55 % aus den politisch unsicheren Gebieten des Nahen Ostens bezogen werden.Wenn wir jetzt versuchen - und das ist eine Zielsetzung, die wir nur voll und ganz unterstützen können —, diesen Anteil zu verringern, so wird damit allerdings auch schon deutlich, daß bei einem Anteil von gegenwärtig 55 % eine Autarkie nicht möglich sein wird, sondern daß wir nur über Sparen und Bevorraten eine erhöhte Sicherheit bei diesem Energieträger erreichen können, vielleicht, was angestrebt wird, dadurch, daß die Verarbeitungskapazitäten flexibler gestaltet werden, was im Klartext eigentlich nur heißen kann, daß in den Raffinerien die Crack-Anlagen verstärkt ausgebaut werden, denn der Anteil für die Wärmeerzeugung und für die Lichterzeugung kann in weit höherem Maße substituiert werden als der Anteil der leichten Fraktion, die wir für unsere Automobile und für sonstige Antriebe benötigen. Da liegt eine wesentliche Aufgabe, die auch gesehen wird, die unterstützt wird. Aber es ist jetzt eine Entscheidung im unternehmerischen Bereich, aus diesen Daten die Konsequenzen zu ziehen und diese Crack-Anlagen entsprechend den Markterfordernissen zu errichten. Im übrigen ist auch dazu die Investitionszulage ein weiterer Anreiz.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11713
ZywietzInsofern kommt der heutigen Verabschiedung des Bevorratungsgesetzes angesichts dieser internationalen Ölrisiken eine beachtliche Bedeutung zu. Es handelt sich ja hier um ein Instrument, das seit 1965 verankert ist; seit dieser Zeit wird ja auch von der Industrie und den Importeuren für den Notfall eine Krisenbevorratung von 45 und 65 Tagen gehalten. Ich meine mich noch erinnern zu können, daß gerade Meldungen der Art, daß vor zwei Jahren diese Bevorratungsreserven auch in schwieriger Situation nicht angegriffen werden mußten, für die Bevölkerung eine beachtliche Beruhigung darstellten. In Zeiten, in denen sich die Situation rasch ändern kann, aber auch in Zeiten, in denen ein reichhaltiges Angebot an Mineralöl besteht, ist es nach meiner Meinung dennoch eine politisch kluge vorsorgende Maßnahme, wenn diese Reserve von 70 Tagen auf 90 Tage erhöht und damit hinsichtlich der Versorgungslage ein Risikostandard angestrebt wird, wie ihn die anderen europäischen Staaten bereits kennen.Auf eine Neuerung in diesem Gesetz möchte ich besonders nachdrücklich hinweisen, nämlich darauf, daß nach dieser Novelle Mineralölerzeugnisse innerhalb von 90 Tagen, Erdöl und halbfertige Erzeugnisse innerhalb von 150 Tagen dem Verbrauch zugeführt werden müssen. Das bedeutet, daß bei der Installation der Kavernen und sonstiger Bevorratungseinrichtungen darauf zu achten ist, daß sie auch tatsächlich in einer Weise installiert werden, die es gestattet, diesen Nutzungserfordernissen flexibel gerecht zu werden. Andererseits ist festzustellen, daß die Belastung sowohl der Importeure als auch der Industrie auf Grund der Heraufsetzung von 70 Tagen auf 90 Tage wohl doch in Grenzbereiche führt, in denen eine weitere Belastung sehr vorsichtig betrachtet werden muß. Bei weiteren Überlegungen zur Bevorratung müßte man dann schon eher davon ausgehen, das System zu ändern oder aber den staatlichen Bevorratungsanteil zu erhöhen.Die FDP-Fraktion möchte in diesem Zusammenhang noch einmal betonen, daß sie sich bemüht hat, durch sehr weitgehendes Entgegenkommen bei Einzelregelungen das Bevorratungsgesetz so zu gestalten, daß es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen im Markt kommt, daß die Wirkungsmöglichkeiten der unabhängigen Importeure, die heute immerhin einen Marktanteil von etwa 15 % abdecken, erhalten bleiben und daß nicht auch noch diese 15 % des Marktes den multinationalen Gesellschaften anheimfallen.Wenn allerdings die staatliche Bevorratung verstärkt wird — und auch die Bevorratung bei der Industrie —, so soll darauf verwiesen werden, daß eine freiwillige Verbraucherbevorratung angesichts der dargelegten Risiken als durchaus sinnvoll zu bezeichnen ist.Es wird sich ebenfalls zu erweisen haben, ob sich in der konkreten Ausformung des heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzes ein Minimum an europäischer Energiepolitik in der Praxis realisieren wird, und zwar in dem Punkte, daß es auch zu reibungslosen Abschlüssen von Abkommen kommen wird, nach denen die Mineralölmengen deutscherGesellschaften, die im Ausland lagern — das ist in sehr vielen Fällen die normale Situation —, in die deutsche Bevorratung einbezogen werden können. Es kann ja nicht verborgen bleiben, daß sich ein gut Teil nationaler Mengen in den Pipeline-Kopfstationen beispielsweise in Genua, Marseille und so weiter befindet und es in der Vergangenheit mancherlei Reibereien wegen der Einbeziehung dieser Mengen in die Bevorratung gegeben hat.Was das Internationale Energieprogramm anbelangt, so begrüßen wir von der FDP, daß es sich nicht nur darauf beschränkt, so etwas wie eine „Ölkrisen-NATO" einzurichten, die lediglich in akuten Notfällen des Boykotts aktiv wird, sondern daß der Schwerpunkt auch darauf gelegt wird, durch aktives vorsorgliches Handeln im informativen Bereich, aber auch im Bereich der Energieeinsparung und des gemeinsamen Aufsuchens alternativer Energien einen konstruktiven Beitrag zu leisten.Wenn allerdings von Sprechern der Opposition — ich glaube, Herr Dr. Narjes hatte dies ausgeführt — mit Hilfe der internationalen Energieaktivitäten Preissenkungen in beachtlichem Ausmaße erwartet werden, so teile ich diese Erwartung nicht. Ich würde sie vielleicht sogar in gewisser Weise für gefährlich erachten. Denn ich könnte mir denken, daß Preiszugeständnisse sehr schnell mit einem Junktim hinsichtlich einer Indexierung verknüpft werden könnten. Hier ist aus dem Interesse der marktwirtschaftlichen Aspekte und auch der Machteinschätzung mit dauerhaften und massiven Preiseinbrüchen wohl nicht zu rechnen.Um auf den dritten Teilaspekt der heutigen Aussprache noch in wenigen Worten zu sprechen zu kommen, möchte ich — im Gegensatz zu meinem Vorredner — feststellen, daß sich das Energieprogramm und die Leitlinien der Fortschreibung in ihrem Kern und ihrer wesentlichen Strukturierung durchaus bewährt haben. Daß sie überprüft und angepaßt werden müssen, ist nach meinem Dafürhalten bei Kraftprogrammen, die weit in die Zukunft hineinreichen, ohnehin eine Selbstverständlichkeit, die damit auch für das vorgelegte Programm zutreffend sein muß. Es wird aber nach meinem Dafürhalten erforderlich sein, den Zeithorizont unserer energiepolitischen Planung in Zukunft weiter zu fassen, weil es sich hier in der Regel doch um Investitionen handelt, die von ihrem Grundgedanken und von der Planung bis zur Verwirklichung im Regelfall mit einer Dekade anzusetzen sind. Von dorther ist ein weitergefaßter Zeithorizont für die weiteren Planungen und Diskussionen wohl vonnöten.Dieser weitere Zeithorizont wurde ja unter dem Thema Energie und Rohstoffe aus der Wissenschaft, vielleicht auch aus der, wenn man so will, Popularwissenschaft unter dem Buchtitel „Grenzen des Wachstums" sehr stark in die öffentliche Diskussion eingebracht. Ich meine nun nicht, daß so wichtige Gebiete wie die Rohstoff- und Energieversorgung in ihrer längerfristigen Problemdimensionierung jetzt ausschließlich im wissenschaftlichen oder journalistischen Bereich diskutiert und abgehandelt werden müßten, vielmehr müssen auch von den nationalen Regierungen und insbesondere von den internatio-
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Zywietznalen Gremien in diesem Bereich größere Beiträge zur Horizonterhellung geleistet werden, nämlich zu den Fragen, die auch in der Bevölkerung immer wieder laut werden: Wie weit reichen eigentlich die wesentlichen Rohstoffe und damit auch die wesentlichen Energieträger auf dem Globus, wie sieht da konkret die Situation der Bundesrepublik aus? Diese Fragen müssen nach meinem Dafürhalten in Zukunft auch stärker in die politische Aussprache einbezogen werden.Von Sprechern der Opposition ist im Rahmen dieser Aussprache wiederholt die Problematik der Kernkraftwerke, der Standortwahl und der Sicherheit, angesprochen und auch der FDP Doppelzüngigkeit unterstellt worden. Ich möchte das zurückweisen und klipp und klar sagen, daß die FDP der Meinung ist, daß an Kernkraftwerken in der Zukunft nicht vorbeizukommen ist. Von diesem Standpunkt haben wir auszugehen. Auf der anderen Seite bedarf es aber einer umsichtigeren Aufklärung der Bevölkerung und auch einer umsichtigeren Standortvorsorgeplanung, als sie bisher festzustellen ist. Die Fehler, die in Wyhl gemacht worden sind, erscheinen mir beachtlich und können in der Bevölkerung nur die Aufklärung erschweren und die Aversion gegenüber Kernkraftwerken verstärken. Hier ist es nicht damit getan, daß Planungsüberlegungen von der Industrie zum Land oder zum Bund gewälzt werden und letztlich keine klare Zuständigkeit dafür zu erkennen ist.Für die FDP möchte ich abschließend feststellen, daß wir der Auffassung sind, daß die vorgelegten Anträge sowohl heute hier in der Aussprache als auch in den Diskussionen in den Ausschüssen ausreichend beraten worden sind und daß es keine Veranlassung für eine Rücküberweisung, wie sie von der CDU/CSU beantragt worden ist, gibt. Die FDP stimmt den vorliegenden Anträgen und Gesetzesvorlagen vorbehaltlos zu.
Das Wort hat Herr Abgeordnete Springorum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sie werden sich sicherlich wundern, wenn ich trotz des Wahlkampfes mit einem Kompliment beginne, mit einem Kompliment an die Verfasser des Mehrheitsvotums zum Energieprogramm, die hier ein Papier vorgelegt haben. Ein Kompliment deshalb, weil in diesem Papier Kritik enthalten ist, Kritik an der Bundesregierung, und das bin ich bei den beiden Koalitionsparteien in den letzten Jahren nicht gewohnt gewesen. Ich habe das immer als reinen Jubelchor zu allen Maßnahmen der Regierung empfunden. Dafür meine Anerkennung.Leider habe ich davon in den Beiträgen jetzt nichts mehr gehört. Hier hieß es dann nur noch „Regierung und Koalition". Seien Sie bitte überzeugt: Ich stimme diesen kritischen, sehr verpackten und vorsichtig zum Ausdruck gebrachten Bemerkungen voll und ganz zu, ganz besonders dem Satz,daß eine isolierte, nationale Energiepolitik heute nicht mehr möglich ist.Hier haben wir ja bei der Behandlung im Wirtschaftsausschuß von den Vertretern der Bundesregierung wenig Ersprießliches gehört, und wenn ich an die Äußerungen verschiedener hoher Beamter in diesem Zusammenhang denke, dann habe ich manchmal das Gefühl, daß die europäische energiepolitische Zusammenarbeit nicht ganz ernst genommen wird. Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß der zuständige Minister an den Beratungen des Energieministerrats so gut wie nie teilgenommen hat, ja, daß sogar in dem halben Jahr unserer Präsidentschaft der Energieministerrat nicht ein einziges Mal getagt hat, den er unmittelbar nach der Krise hätte einberufen müssen, was nicht der Fall war. Damals mußten sich dann die Außenminister mit der Energiepolitik beschäftigen.In der Stellungnahme dieser Mehrheit, aber auch in der Fortschreibung und auch in dem Beitrag von Herrn Kollegen Schmidt wird immer wieder dieses Wort „Kooperation" gebracht. Aber niemand hat bisher diesen Begriff „Kooperation" wirklich erläutert. Es gibt eine Kooperation zwischen Reiter und Pferd, es gibt eine Kooperation zwischen dem Schafhirten und seinen Hunden, und ich möchte fast sagen, daß in die gleiche Linie die Kooperation zwischen den Ölscheichs und den europäischen Regierungen gehört. Kooperation ist doch nur möglich zwischen Gleichen, wenn man sich gegenseitig weder erpressen will noch erpressen kann. Wenn Sie sich jetzt die Boykottlisten und die Drohung Jamanis, die Ölpreise zu erhöhen, wenn wir nicht zu einer Fortsetzung der Vorbereitungskonferenz bereit sind, vor Augen halten, und daß jetzt die Arabische Liga verlangt, daß im Juni mit den europäischen Verbraucherländern weiter verhandelt wird— alles unter dem Druck eines eventuellen Embargos, unter dem Druck eventuell steigender Preise —, so kann man dies doch nicht als Kooperation bezeichnen.
— Hören Sie bitte zu, Herr Wolfram, ich komme jetzt dazu.Der eindrucksvollste Satz in dem ganzen Papier, das heute behandelt wird, heißt in Nr. 26 folgendermaßen: „Die westlichen Industriestaaten müssen ihr Verhältnis zu den Förderländern in ein neues Gleichgewicht bringen." Dieses Gleichgewicht ist notwendig, aber hier in dem Papier sind ausreichende Anstrengungen im Grunde nicht vorgesehen. Wie müßte nun ein solches Gleichgewicht aussehen?
— Herr Ehrenberg, ich will es Ihnen sagen. Die OPEAC-Länder werden in den Jahren 1976/77 eine Förderkapazität von 1,9 Milliarden Tonnen Rohöl haben. Sie brauchen für ihre Importe, die sie jetzt in langfristigen Mehrjahresprogrammen festgelegt
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Springorumhaben, einen Wertausgleich in einer Größenordnung von 1,2 Milliarden Tonnen. Diese 1,2 Milliarden Tonnen müssen sie fördern, wenn sie das, was sie sich vorgenommen haben, durchführen wollen. Das bedeutet also, daß 700 Millionen Tonnen Rohöl aus anderen Quellen beschafft oder durch andere Energieträger ersetzt werden müssen. Im ersten Moment erscheint das als unendlich viel. Es ist mehr als das Doppelte dessen, was die Bundesrepublik in einem Jahr verbraucht. Wenn Sie sich aber vorstellen, daß auf diese 700 Millionen Tonnen das Nordseeöl, das Alaskaöl, die Kernenergie, wenn Sie wollen, auch die Hot Rocks in der Pfalz, die Steinkohle und als letztes auch noch die Einsparungen anzurechnen sind, sind mit der entsprechenden Anstrengung diese 700 Millionen Tonnen zu ersetzen. Dies ist die Konzeption Brüssels. Brüssel bemüht sich, in einer Unzahl von Papieren die Grundlage für eine solche gemeinsame Energiekonzeption zu schaffen. Es ist eine Unmenge Papier mit allen möglichen Varianten fabriziert worden. Die Papiere sind dem Rat vorgelegt worden. Der Rat hat vieles sofort zu den Akten gelegt. Der Rat hat manches so verwässert, daß es nicht mehr bedeutend ist. Einiges hat er aber auch angenommen.Das Merkwürdige bei dem Wenigen, was angenommen wurde, ist nun, daß es sich von unserem Energieprogramm, über das wir heute sprechen, unterscheidet. Mir erscheint es als merkwürdig, daß mit uns über dieses in den Leitlinien des Rates zusammengefaßte Programm, das sich nicht mit dem Programm, das wir heute behandeln, deckt, nicht gesprochen worden ist und daß die Regierung es vor acht Tagen expressis verbis abgelehnt hat, eine Überarbeitung ihres Programms vorzulegen. Und dies, obwohl — darüber sollten wir uns klar sein — die Zeichen der Zeit nicht heller geworden sind. Eine Friedensmission ist gescheitert. Die Verhandlungen zwischen Moskau und Kairo sind intensiviert worden. König Feisal, der in Jerusalem beten wollte, ist im wesentlichen durch den Kronprinzen Fand abgelöst worden, der in einem wieder arabischen Haifa beten will.Ich möchte die Unterschiede zwischen den Ratsbeschlüssen, denen ja die Bundesregierung zugestimmt hat, und diesem Papier an wenigen Beispielen deutlich machen. In dem Papier, das wir heute verabschieden sollen, wird von einer Einsparungsquote bis 1985 in Höhe von 9 % gesprochen. Die Bundesregierung hat im Rat aber einer Einsparung von 15 % zugestimmt. Nun frage ich mich: Warum will uns die Bundesregierung eigentlich nicht verraten, wo sie diese 6 % einsparen will? 6 % sind heute schon mehr als 20 Millionen Tonnen und werden 1985 mehr als 30 Millionen Tonnen sein. Soll dieses Volumen beim Mineralöl eingespart werden— das wäre das Richtigste —, soll es bei der Kernkraft eingespart werden, oder soll es gar bei der Steinkohle eingespart werden?
— Herr Wolfram, jetzt hören Sie bitte einmal zu! Der Rat hat eine langfristige Stabilisierung derSteinkohlenförderung auf der heutigen Förderquote beschlossen.
Herr Bundesminister Friderichs hat vorhin gesagt - ich habe es mir aus seinem Konzept herausgeschrieben —, es wäre falsch gewesen, der Steinkohle ein längerfristiges Förderziel zu nennen. Dart ich nicht sagen, was ein Minister in diesem Hause gesagt hat?Herr Wolfram, wir wissen doch beide ganz genau, daß die derzeitige Förderung über 1980 hinaus nur zu halten ist, wenn neue Kapazitäten erstellt werden. Wir müssen entweder Anschlußanlagen in der ersten Hälfte des nächsten Jahrzehnts oder neue Kapazitäten zur Verfügung haben. Oder glauben Sie etwa, daß die Ruhrkohle AG oder die Saarbergwerke AG neue Kapazitäten aufbauen, wenn ihnen keine Daten genannt werden? Dazu sind sie weder verpflichtet noch bereit. Sie wissen ganz genau, daß ihre Situation besser ist, je knapper die Kohle ist.Ich fürchte eben nur, daß es für unsere Bergleute wirklich eine Belastung ist, wenn wir diese Zahlen über 1980 hinaus nicht zu nennen bereit sind. Sie haben, Herr Wolfram, in Ihrem Papier von der langfristigen Versorgung gesprochen. Ich frage mich: Warum haben Sie das nicht heute im Gegensatz zu dem, was der Herr Minister gesagt hat, zum Ausdruck gebracht?
Herr Abgeordneter Springorum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Bitte schön!
Herr Kollege Springorum, wollen Sie allen Ernstes die klare Aussage in der Fortschreibung, daß die deutsche Steinkohle einen optimalen Beitrag zur Versorgung leisten soll, jetzt wirklich so interpretieren?
Diese Aussage ist doch gar nicht umstritten. Sie haben doch ganz genau die Einschränkungen des Ministers gehört, weshalb es möglicherweise problematisch ist, langfristige Ziele zu nennen.
Herr Wolfram, vielleicht nehmen Sie jetzt einmal die Fortschreibung in die Hand und lesen die Ziffer 21. In der Ziffer 21 heißt es:Die Bundesregierung legt eine bedingte Prognose vor, in der sich die erwarteten Ergebnisse ihrer Energiepolitik widerspiegeln.Das heißt also, sie betreibt eine Energiepolitik, die etwa diese Prognose erwarten läßt. Klar?Dann schreibt sie in Ziffer 23:
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SpringorumDer Beitrag der Kohle wird bis 1980 stabilisiert.Meine logische Folgerung daraus ist, daß nach dem Jahre 1980 keine Energiepolitik mehr zugunsten der Steinkohle beabsichtigt ist.
— Bitte, vergleichen Sie diese beiden Ziffern und denken Sie logisch und nicht nur politisch, wie es Ihnen paßt.Noch ein anderes Wort zu einem Begriff, der meiner Ansicht nach auch zu den Energieträgern gehört, nämlich Einsparung und Rationalisierung des Energieverbrauchs. Eine Frage an die Bundesregierung: Warum wird hier so wenig getan? Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vorhin angegeben, daß 9 % weniger verbraucht würden. Sie sind aber nicht gespart, am allerwenigsten administrativ gespart. Nach eineinhalb Jahren Krise habe ich jetzt in Bonn erlebt, daß ein Riesenmietshaus mit einer Ölheizung eingerichtet wird, ohne daß der einzelne Mieter ablesen kann, was er verbraucht, d. h. daß es ihm unmöglich ist, tatsächlich zu sparen.Sehen Sie sich bitte unsere Nachbarländer an. Frankreich legt jetzt auf Mehrverbrauch an schwerem Heizöl — über eine Basis von 85 % hinaus — eine Steuer von 150 Franken je Tonne. Frankreich und Italien haben die Sommerzeit eingeführt. Ich habe im Wirtschaftsausschuß leider keine Antwort darauf bekommen, wie das bei uns aussieht. Ich habe mich deshalb an andere Fachleute wenden müssen. Die Einsparung auf Grund der Sommerzeit ist gering. Energiewissenschaftler haben mir gesagt: 0,3 %. Aber 0,3 % sind eine Million Tonnen SKE, und sie einzusparen kostet nichts! Im Gegenteil: Wir hätten dann klare Zug- und Flugverbindungen nach Italien und Frankreich. Und wenn wir die Sommerzeit einführen würden, täte das ganz Europa.
— Bitte, ich sage das nur als ein Beispiel von vielen. Ich habe allein drei Beispiele genannt. Ich habe neulich noch weitere vier genannt. Ich habe ein ganzes Konzept von Einsparungsmöglichkeiten vorgelegt.
— Fragen Sie, wenn Sie fragen wollen! Ich gebe Ihnen gern eine entsprechende Antwort.Herr Wolfram, Sie sind doch sicher mit ein Verfasser des Mehrheitsvotums gewesen. Ich gebe Ihnen absolut Recht, wenn Sie sagen, daß die Regierung die Arbeit in dem Bereich der Energiepolitik intensivieren muß. Dem stimme ich absolut zu. Hoffentlich bringen Sie nur auch die Kraft auf, dieses Ihr Votum der Regierung gegenüber durchzusetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Wenn Europa jetzt weiter schläft, wird es ein böses Erwachen geben." Ich wiederhole meine Bitte von damals: Bitte, wachen Sie auf und tun Sie, was Ihre Pflicht ist!
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Springorum, ich will einige Bemerkungen zur Frage der Energieeinsparung und der unterschiedlichen Einsparungsquoten, die Sie kritisiert haben, machen. Das Problem der Steinkohle hat Herr Wolfram im Zwischenspiel mit Ihnen bereits behandelt. Ich möchte das aber nicht tun, ohne die Nebentöne, die bei Ihnen schon in Ihrer vorigen Rede anklangen, deren sachlichen Gehalt wir durchaus für diskussionswert und diskussionswürdig halten, zu erwähnen. Damals war es die intellektuelle Unredlichkeit, die Sie uns hier vorgeworfen haben.
Intellektuelle Unredlichkeit haben Sie damals dem Bundeswirtschaftsminister vorgeworfen. Das ist mir sehr gut in Erinnerung geblieben.
— Nun, verbale Unredlichkeit, Herr Springorum, ist ja auch eine vorsätzliche und gewollte Unredlichkeit. Dieses Mal fordern Sie den Bundeswirtschaftsminister und uns auf, unsere Pflicht zu tun. Dies ist gerade in Sachen Energiepolitik und insbesondere in Sachen europäische Energiepolitik durch den Anteil, den die Bundesregierung an dieser Entwicklung genommen hat, geschehen. Der Vorwurf, der in Ihrer Aufforderung steckt, muß von uns zurückgewiesen werden. Er kann von uns auch guten Gewissens zurückgewiesen werden.Sie, meine Damen und Herren, wissen ebenso gut wie wir — Sie, Herr Springorum, wissen es besser als die meisten hier in diesem Hause, weil Sie an diesen Beratungen häufiger teilnehmen denn an unseren —, daß der deutsche Anteil an den energiepolitischen Beschlüssen in Brüssel, auch im Rat, eine sehr viel größere Rolle spielt und sehr viel vorwärtsdrängender gewesen ist als der vieler unserer Partnerstaaten. Es ist wenig glücklich, daß in Brüssel praktisch immer noch das Vetorecht gehandhabt bzw. das Einstimmigkeitsverlangen exerziert wird. Das hindert uns natürlich daran, alles durchzusetzen.Ich will auf die Frage mit der Sommerzeit und die Frage, ob die Uhren vor- oder zurückgestellt werden sollen, nicht eingehen. Daß gerade aus Ihren Reihen die Aufforderung kommt, die Uhren vorzustellen, verwundert. Das ist aber eine zweite Frage.
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Dr. Graf LambsdorffHerr Springorum, wir sehen auch keinen Widerspruch zwischen logischem und politischem Denken. Wenn Sie darin einen sehen, so bleibt das Ihnen überlassen. Wir tun das nicht.Nun zu den beiden sachlichen Punkten: Herr Springorum, wir haben niemals gesagt, daß die Kooperation, die wir brauchen und von deren Notwendigkeit wir allerdings überzeugt sind, bereits ein Tatbestand sei, sondern wir haben hier immer gesagt, sie sei ein Ziel und wir müßten die Voraussetzungen dafür schaffen. Deswegen ist zunächst einmal Geschlossenheit auf der Seite der Verbraucherländer notwendig, um dann die Möglichkeiten der Kooperation auszuloten und die Position des Ungleichen gegenüber dem Stärkergewichtigen — das haben Sie zutreffend geschildert — eben nach Möglichkeit auszubalancieren und unsere Position zu verbessern.Der Umstand, daß die Einsparungsquoten unterschiedlich aussehen, läßt sich sehr leicht erklären: das liegt an der unterschiedlichen Ausgangsbasis. Es handelt sich nicht um eine Einsparungsquote gegenüber dem, was man schon verbraucht hat; vielmehr ist die Einsparungsquote heruntergerechnet von den Hochrechnungen des künftigen Verbrauchs; das wissen Sie sehr wohl. Hier sind einfach die statistischen Ausgangspositionen in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft unterschiedlich. Unsere Zahlen sind in diese europäischen Zahlen eingegangen, sie sind die Grundlage für diese Zahlen.
Wir sind mit Ihnen der Meinung, Herr Springorum — darüber haben wir heute morgen gesprochen —, daß die Zeichen der Zeit wahrlich nicht heller geworden sind. Alles das, was Sie hier anschneiden, sollten wir an dieser Stelle bei anderer Gelegenheit noch einmal verdeutlichen. Dabei handelt es sich natürlich keineswegs nur um energiepolitische, steinkohlenpolitische, ölpolitische Überlegungen, sondern dies sind ganz gewichtige allgemeinpolitische Erwägungen. Die Nahtstelle zwischen dem, was außenpolitisch möglich, und dem, was energiepolitisch notwendig ist, ist heute ja mehrfach deutlich geworden.Noch eines, meine Damen und Herren: Wir brauchen uns die Aufforderung „Tun Sie Ihre Pflicht!" — und das in der zweiten Wiederholung — nicht unwidersprochen anzuhören. Dieser Widerspruch sei hiermit ausdrücklich vorgetragen.Leider hat Herr Kollege Zeyer uns verlassen müssen. Er hat die Gründe dafür angegeben; es ist der Wahlkampf, der ja angeblich hier stattfindet. Herr Zeyer hatte vorher die Frage gestellt, wie es eigentlich mit dem Bau von Kraftwerksblöcken im Saarland bestellt sei, nämlich bei der Saar-Bergwerke Aktiengesellschaft. Ich bin Aufsichtsratsmitglied dieser Gesellschaft und möchte zunächst einmal feststellen, meine Damen und Herren, daß natürlich auch eine Gesellschaft, die zu drei Vierteln dem Bund und zu einem Viertel dem Saarland gehört — letzteres hat Herr Zeyer wahrscheinlich vergessen —, keine Kraftwerke bauen kann, wenn sie niemanden findet, der ihr den dort erzeugten Strom abkauft. Dies ist die erste Position.Zweitens. Herr Zeyer hat die Frage gestellt, ob der Bau von zwei Kraftwerksblöcken je 650 Megawatt in Wirklichkeit noch durchgeführt werde, und hat dabei durchklingen lassen, daß dies offensichtlich eine Fiktion, eine Täuschung sei, die man der Öffentlichkeit erzählt habe, und daß tatsächlich gar nicht gebaut werde. Dazu darf ich hier feststellen: 650-MW-Block Nummer 1 ist im Bau und wird 1976 in Betrieb genommen und an das Netz angeschlossen. Block Nummer 2 mit ebenfalls 650 MW befindet sich, wie vorgesehen, in der Planung; es wird damit gerechnet, daß er 1979 in Betrieb genommen werden kann. Die Saar-Bergwerke werden sich mit einer Installierung von 1 300 MW am 6 000-MW-Ziel des Energieprogramms beteiligen.Meine Damen und Herren, der Kollege Zeyer hat mit großem Fleiß in den Protokollen der Vergangenheit herumgestochert. Es wäre sicherlich ergiebiger gewesen, er hätte sich mit etwas aktuelleren, zutreffenden Informationen versorgt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine I Damen und Herren! Am Schluß dieser Debatte nur noch zwei Feststellungen!
Erstens. Auf Seite 11 des Energieprogramms heißt es:Die Bundesregierung ist entschlossen, die in unserem Lande vorhandenen Steinkohlenreserven für die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland optimal zu nutzen.Ich überlasse es Ihrem Urteil, wie sich das, was Herr Springorum zur Kohle und zur Bundesregierung gesagt hat, vor diesem Satz ausnimmt.
Zweitens. Herr Russe hat in einer unwiederholbaren Weise die Ausschußarbeiten, wie er Sie beurteilt, in seinem Minderheitenbericht dargestellt. Die Abgeordneten der CDU/CSU im Bundestagsausschuß für Wirtschaft haben sich bei dem Antrag des Ausschusses, der dahin lautet:Der Bundestag wolle beschließen: Von dem Energieprogramm und seiner Fortschreibung wird zustimmend Kenntnis genommen.der Stimme enthalten. Um so merkwürdiger ist es,daß jetzt der Antrag gestellt wird, das Energieprogramm an die Ausschüsse zurückzuverweisen. We-
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Dr. Ehrenbergnigstens im Ausschuß hätten Sie dann den Mut haben müssen,
dagegen zu stimmen. Verehrter Herr Kollege Russe, vor dieser Ihrer Haltung ist ja wohl auch diese merkwürdige Art des Minderheitsberichts und die darin enthaltene Darstellung der Arbeit des Wirtschaftsausschusses verständlich. Hierin kommt letzten Endes eine Diffamierung der Art zum Ausdruck, in der der Vorsitzende dieses Ausschusses, Ihr Kollege Narjes, die Verhandlungen dieses Gremiums leitet. Wir werden Ihren Antrag so behandeln, daß wir darüber zur Tagesordnung übergehen.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Russe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Ehrenberg, nur zwei Feststellungen.
Erste Feststellung. Wir weisen als Fraktion das, was Sie unter Hindeutung auf den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages ausgeführt haben, mit aller Entschiedenheit zurück.
Wenn Sie die Interpretation, es handle sich um eine Diffamierung durch uns, hier eingebracht haben, dann spricht das für sich und gegen Sie. Nehmen Sie das zur Kenntnis!
Zum Zweiten! Wir werden uns diesbezüglich von Ihnen weder vorschreiben lassen noch in irgendeiner Form mit Mehrheit zwingen lassen, eine Entscheidung unserer Fraktion nach Ihren Vorstellungen zu treffen. Die Opposition dieses Hauses hat Pflichten. Diese Pflichten kennen wir. Diesen Pflichten werden wir gerecht, und wir werden das auch in der Zukunft tun. Wir werden uns von Ihnen diesbezüglich in keiner Weise — in keiner Weise, ich sage es noch einmal — vorschreiben lassen, was wir zu tun haben. Hören Sie auch dann, wenn es Ihnen nicht paßt, was wir Ihnen in konkreten politischen Fragen zu sagen haben!
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.Wir kommen nunmehr in zweiter Beratung zur Abstimmung über die Vorlage Drucksache 7/3413 — Tagesordnungspunkt 2 a) — in der Fassung der Drucksache 7/3524. Ich rufe die Artikel 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen.Wir kommen zurdritten Beratung. Das Wort wird nicht mehr gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Ich sehe auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen!Wir kommen damit zu Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses, betreffend die Entschließungsanträge, die Ihnen vorliegen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich komme nunmehr zur zweiten Beratung der Vorlage unter Tagesordnungspunkt 2 b), Drucksache 7/3027. Ich rufe die Artikel 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Wir kommen zu Nr. 2 des Ausschußantrags: Das Haus wolle beschließen, daß der deutsche und französische Text des Übereinkommens in sprachlich berichtigter Form zu veröffentlichen ist. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2 c). Hier ist Zurücküberweisung der Vorlage an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Forschung und Technologie sowie an den Innenausschuß — mitberatend — beantragt. Wird dazu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Rücküberweisungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.Nunmehr ist über den Antrag des Ausschusses mit den Ziffern 1 bis 3 Beschluß zu fassen. Ich lasse in einem abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen mit Mehrheit beschlossen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11719
Vizepräsident Dr. Jaeger
— Drucksache 7/3415 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3551 — Berichterstatter: Abgeordneter Krampeb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/3536 —Berichterstatter: Abgeordneter Hölscher
Ich danke den Herren Berichterstattern für ihren Schriftlichen Bericht.Wir kommen zur allgemeinen Aussprache. Zunächst hat das Wort Herr Abgeordneter Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau einer Woche haben wir an dieser Stelle die erste Lesung des Siebenten Anpassungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung durchgeführt, der sich eine unverzügliche Behandlung des Gesetzesvorhabens im federführenden Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung anschloß. Dadurch wurde der Weg frei gemacht, den Gesetzentwurf bereits heute zu verabschieden, damit die rund 2,4 Millionen Empfänger von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz schon ab 1. Juli 1975 eine Rentenerhöhung von durchschnittlich 11,1 v. H. erhalten können.
Hinzu kommt, daß wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzes eine Entwicklung zum Abschluß bringen, die mit dem Fünften Anpassungsgesetz eingeleitet worden ist. Es gilt, die zweite und letzte Stufe unseres Planes zu verwirklichen, der darauf abzielt, die Anpassungstermine der Kriegsopferrenten vorzuziehen, so daß zum 1. Juli eines jeden Jahres nicht nur die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch die Versorgungsbezüge der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung angeglichen werden.
Dieser Stufenplan der sozialliberalen Koalition hat dazu geführt, daß die Versorgungsbezüge der Kriegsopfer, die zum 1. Januar 1974 um 11,4 v. H. angehoben worden waren, schon zum 1. Oktober desselben Jahres erneut um 11,2 v. H. angehoben wurden. Jetzt geht es um eine weitere Erhöhung, die 11,1 v. H. ausmachen wird.
Das bedeutet, daß die Kriegsopfer allein von 1973 auf 1974 eine Rentenerhöhung von insgesamt fast 15 v. H. und damit — stellt man eine siebenprozentige Preissteigerung in Rechnung — eine deutliche Realeinkommensverbesserung erhalten haben. Ich lege auf diese Feststellung auch im Hinblick auf die Ausführungen des Kollegen Maucher von der vergangenen Woche besonderen Wert. Auch in diesem
Jahre werden die Realeinkommen der Kriegsopfer beachtlich steigen. Das sind nachprüfbare Fakten, die wir nicht von der Propaganda der Opposition — lassen Sie mich das an dieser Stelle sagen — unter den Tisch kehren lassen. Auch in Zeiten wirtschaftlicher Risiken steht die sozialliberale Koalition voll und ganz zu ihrer Verpflichtung gegenüber den Kriegsopfern.
Die Opposition machte in der Debatte der letzten Woche über die Kriegsopferversorgung erneut bisweilen unseriöse Vergleichsrechnungen auf. Dazu gehört der Hinweis, daß im Jahre 1950 die Leistungen für die Kriegsopfer 16 v. H. des Bundeshaushalts ausgemacht hätten, während dieser Anteil heute nur noch 7,2 v. H. betrage. Geflissentlich wird verschwiegen, daß zu Beginn der fünfziger Jahre vom Bund für über 4 Millionen anerkannte Versorgungsberechtigte nur etwas mehr als 2 Milliarden DM aufgewendet wurden und daß in diesem Jahr hingegen der Bund für nur etwa 2,4 Millionen Versorgungsberechtigte rund 11 Milliarden DM zur Verfügung stellt. Noch 1969 hatte der Kriegsopfer-haushalt einen Umfang von nur 6,3 Milliarden DM. Er wurde also in den sechs Jahren sozialliberaler Koalition beinahe verdoppelt.
Das zeigt, wie gut es für die Kriegsopfer war, daß die sozialliberale Koalition die Dynamisierung der Versorgungsbezüge durchgesetzt hat; ich sage noch einmal: durchgesetzt hat letzten Endes gegen den Widerstand der Opposition.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Maucher?
Einmal noch, Herr Kollege Maucher.
Herr Kollege Glombig, darf ich Sie an die Rede Ihres damaligen Kollegen Bazille erinnern, der 1950 erklärt hat, wir hätten das beste Gesetz der Welt verabschiedet? Alle Parteien haben übereinstimmend erklärt, daß diese Lösung natürlich bei weitem nicht vollständig sei und daß es der erklärte Wille aller Parteien sei, entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung die Kriegsopferversorgung auszubauen. Von diesem Gesichtspunkt aus sind die Zahlen zu vergleichen.
Herr Kollege Maucher, das bestreitet überhaupt niemand. Ich komme darauf nur zu sprechen, weil Sie in der letzten Woche beanstandet haben, daß die Leistungen für die Kriegsopfer in den letzten Jahren nicht entsprechend gestiegen seien, vor allem seit der sozialliberalen Koalition. Deshalb wollte ich Ihnen ganz gern einmal diese Entwicklung vor Augen führen und Sie daran erinnern, wie es damals im Jahre 1950 gewesen ist. Ich glaube, das ist auf Grund dessen, was Sie letzte Woche ausgeführt haben, einfach notwendig.
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11720 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
GlombigAllein das vorliegende Siebente Anpassungsgesetz, Herr Kollege Maucher, hat im zweiten Halbjahr 1975 Mehraufwendungen in Höhe von 423 Millionen DM und 1976 in Höhe von über 800 Millionen DM zur Folge. Wenn die Opposition versucht— wenn insbesondere Sie, Herr Kollege Maucher, dies versuchen —, den Hebel ihrer Vergangenheitsbewältigung bei der Kriegsopferversorgung anzusetzen — Herr Kollege Maucher, Sie haben das eben wieder versucht —, dann hat die Opposition dafür das falsche Objekt gewählt. Darüber müssen Sie sich klar sein. Das kann sich für Sie eigentlich doch nur als Bumerang erweisen. Ich will Ihnen deswegen bei einem Rückblick gern behilflich sein.Die sozialliberale Koalition hat mit der Dynamisierung der Tatsache Rechnung getragen, daß die Kriegsopfer in einem sozialen Rechtsstaat nicht darauf verwiesen werden dürfen, dauernd bei Regierung und Parlament Rentenerhöhungen einklagen zu müssen,
so wie das in den ganzen Jahren geschehen ist. Ich will versuchen, Ihnen das jetzt ins Gedächtnis zurückzurufen.
— Herr Kollege Maucher, Sie haben mit Ihren Zwischenfragen wirklich nichts Neues zur Sache beizutragen. Ich glaube, wir halten den Gang der Verhandlungen nur unnötig auf; denn es sind sich immer wiederholende Fragen, die ich schon fast auswendig kenne.
Lassen Sie mich meine Ausführungen im Zusammenhang darstellen. Sie haben nachher die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen.
Ich hatte gesagt — Herr Kollege Maucher, hören Sie sich das doch einmal an; dann sind Sie nachher auch in der Lage, dazu Stellung zu nehmen —, daß die sozialliberale Koalition durch die Dynamisierung der Tatsache Rechnung getragen hat, daß die Kriegsopfer in einem sozialen Rechtsstaat nicht darauf verwiesen werden dürfen, dauernd bei Regierung und Parlament Rentenerhöhungen einklagen zu müssen. Dabei bleibe ich. Die Reform der Dynamisierung sichert den Kriegsopfern einen Rechtsanspruch auf eine alljährliche Anpassung ihrer Bezüge an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. CDU und CSU wollten es dagegen bei unverbindlichen Berichten über die Möglichkeiten einer Teilhabe am gewachsenen Sozialprodukt bewenden lassen. Das ist die historische Wahrheit.So sah das Regierungsprogramm der Unionsparteien — bitte, lesen Sie das einmal nach, Herr Kollege Maucher; dann wird sich Ihre Erregung ganz sicher legen — für die 6. Wahlperiode lediglich dieVerpflichtung der Bundesregierung vor, alle zwei Jahre über eine mögliche Anpassung der Renten zu berichten, und weiter nichts. Der Gesetzentwurf zur Kriegsopferversorgung — auch das möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen —, den die CDU/CSU-Opposition im Jahre 1969 vorlegte, wollte lediglich den Berichtszeitraum auf ein Jahr verkürzen, und sonst nichts. Die Alternative, um die es damals ging und die auch heute allein besteht, lautet also: unverbindliche Berichte contra Rechtsanspruch, der die Benachteiligung der Kriegsopfer grundsätzlich und dauerhaft beseitigt. Bis 1969 hat es mehr Jahre gegeben, in denen die Versorgungsbezüge der Kriegsopfer nicht erhöht wurden, als umgekehrt. Von 1950 bis 1955, also fünf Jahre lang, mußten die Kriegsopfer vergebens auf eine Verbesserung ihrer Grundrenten, aber nicht nur ihrer Grundrenten, sondern auch der anderen Leistungen, warten.
Schließlich erhielten dann die Kriegsopfer miteiner Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit um 30 v. H.— um nur ein Beispiel zu nennen — einen Mehrbetrag von ganzen 3 DM.
Statt 15 DM Grundrente wurden ihnen jetzt 18 DM Grundrente zugebilligt, obwohl z. B. im Jahre 1951 als Folge der Korea-Krise die Preise um 7,7 v. H. stiegen. Sie setzen doch gern die Preiserhöhungen dieser Tage oder aber dieser Wochen und Monate
in ein Verhältnis zur Höhe der Kriegsopferrenten. Die Kriegsopfer hatten damals im Gegensatz zu heute freilich das Nachsehen.Auch in den Jahren 1958 und 1959 gingen die Kriegsopfer leer aus. Sie waren dermaßen ins Abseits geraten, daß selbst die leider inzwischen verstorbene, von mir sehr verehrte Abgeordnete Frau Dr. Probst als Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion— sicherlich in Übereinstimmung mit Ihnen, Herr Kollege Maucher; ich kenne Sie gut genug, um das beurteilen zu können — am 22. Oktober 1959 vor dem Deutschen Bundestag zugeben mußte — ich darf zitieren, Herr Präsident :Professor Achinger kommt in einer Untersuchung über die Entwicklung des Sozialbudgets, die er am 30. August 1958 veröffentlicht hat, zu folgendem Ergebnis: Nimmt man den Anstieg des sozialen Budgets von 1949=100 bis 1956 240 als Maßstab, so läßt sich erkennen, welche Sparten bis Ende 1956 Gewinner oder Verlierer gewesen sind ... Unter dem Durchschnitt aber sind geblieben die Kriegsopferversorgung mit 195 %...
— Sie bezeichnen das als „sehr gut". Ich will Ihnen gleich einmal Zahlen nennen, mit denen wir es heute zu tun haben.Die seitherige Entwicklung— so heißt es weiter —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11721
Glombighat das prozentuale Verhältnis zuungunsten der Kriegsopferversorgung verändert.Das ist nicht von mir, sondern es ist, wie gesagt, ein Zitat der damaligen Kollegin Frau Dr. Probst, von dem Sie sagen, es sei gut.
— Frau Kollegin Dr. Probst hat das in Form einer Kritik an der damaligen CDU/CSU-Bundesregierung vorgebracht,
aber doch nicht an die Adresse einer SPD-Bundesregierung gerichtet. Wir waren damals in der Opposition.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU und die von ihr geführten Bundesregierungen hatten also die Kriegsopfer, wie es bei Frau Dr. Probst heißt, auf die Verliererstraße gedrängt. Dem ist eigentlich kaum etwas hinzuzusetzen.Zwischen den Rentenerhöhungen von Mitte 1960 und Anfang 1964 lag eine Frist von mehr als dreieinhalb Jahren bewegter sozialpolitischer Auseinandersetzung, an die doch auch Sie sich erinnern werden, Herr Kollege Maucher, denn ich habe auch Sie in dem Demonstrationszug gesehen, wenngleich die Kriegsopferverbände von Ihrer Fraktion damals nicht angehört worden sind. Die Kontroversen um die Kriegsopferversorgung erreichten ihren Höhepunkt, als am 10. Dezember 1963 in Bonn 35 000 Kriegsopfer mit einem Schweigemarsch die Regierung Erhard anklagten und den Rücktritt des damaligen Bundesarbeitsministers Blank forderten.
— Es tut mir sehr leid, daß ich so weit in die Erinnerung zurückgreifen muß. Aber das, was Sie hier in der letzten Woche von sich gegeben haben, zwingt uns zu dieser Klarstellung. Während die SPD und die FDP Delegationen der Kriegsopfer empfingen, lehnte die CDU/CSU — ich habe es bereits gesagt — jedes Gespräch ab. Die damalige Bundesregierung, Herr Kollege Maucher, ließ es im wesentlichen bei einer Warnung vor kommunistischer Einflußnahme auf die Protestdemonstration bewenden. Das war damals ihr ganzer Beitrag zur Linderung der Not der Kriegsopfer in diesen Jahren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Maucher?
Ich möchte jetzt — ich hatte es bereits gesagt — weitere Zwischenfragen nicht zulassen.
Also keine Zwischenfrage.
Ich weiß, Herr Maucher ist sehr hartnäckig, das tut mir sehr leid. Aber ich möchte gern, daß er sich das ganz anhört, damit er es nachher auch entsprechend würdigen kann.Also, Herr Kollege Maucher, mehr noch: Als am 11. Dezember 1963 die sozialdemokratische Bundestagsfraktion darum bemüht war — und da schließe ich mich persönlich ein —, den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts wenigstens auf die Tagesordnung dieses Hauses zu setzen, war es der Kollege Barzel, der diesen Versuch zurückwies. Ich zitiere, was er damals für die CDU/CSU-Fraktion ausführte:Wir sind in der glücklichen Lage, unsere positive Einstellung zur Kriegsgeneration und zum Soldatentum nicht erst noch unter Beweis stellen zu müssen.Na ja, auch dieses Zitat spricht ganz sicher für sich.Was aber die Beweise angeht, so lassen Sie mich in meiner Beweisführung fortfahren. Nach der Erhöhung der Kriegsopferrenten von Anfang 1964 vergingen dann erneut drei Jahre. Kriegsbeschädigte mit einer Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. z. B. erhielten erst ab 1. Januar 1967 eine erhöhte Grundrente, und zwar 53 DM statt 45 DM; am 1. Juli 1975 werden es 101 DM sein.Meine Damen und Herren, bis 1969 gab es immer wieder Bemühungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, die auf eine Erhöhung der Kriegsopferrenten abziehen. So fragte im Februar 1966 die SPD-Fraktion die damalige Bundesregierung unter anderem, wann nach deren Auffassung das Dritte Neuordnungsgesetz zur Kriegsopferversorgung in Kraft treten solle. Hans Katzer, seinerzeit Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung — ich bedauere, daß er nicht hier ist —, antwortete namens der Bundesregierung — ich darf zitieren —:Ein bestimmter Termin für das Inkrafttreten eines Dritten Neuordnungsgesetzes kann zur Zeit noch nicht genannt werden.
Diese Antwort bewies einmal mehr, daß die Unverbindlichkeit zum tragenden Prinzip christlich-demokratischer Versorgungspolitik erhoben worden war.Das sind nur einige Aspekte der Vergangenheit, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, jetzt nicht mehr wahrhaben wollen. Das jedenfalls muß annehmen, wer sich die Rede des Kollegen Maucher von der vergangenen Woche in Erinnerung ruft.Lassen Sie mich nun das, was die sozialliberale Koalition durch die Dynamisierung und durch die strukturellen Verbesserungen des Leistungsrechts seit 1969 hingegen erreicht hat, an einigen wenigen konkreten Einzelbeispielen verdeutlichen, weil ich meine, daß das für alle am eindrucksvollsten sein kann. Ein Beschädigter mit einer Minderung seiner Erwerbsfähigkeit um 90 v. H. erhielt 1969 eine Grundrente von 240 DM; ab 1. Juli 1975 werden es 470 DM sein. Seine Ausgleichsrente wird ebenfalls
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11722 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Glombig470 DM betragen, während er 1969 noch 240 DM bekam.
— Auch Ihnen muß man das in Erinnerung rufen, Herr Kollege Maucher, sonst würden Sie doch solche unsinnigen Dinge nicht immer wieder behaupten, wie Sie das in der letzten Woche getan haben.Die Grundrente einer Witwe betrug 1969 150 DM; ab 1. Juli 1975 sind es 317 DM; das gleiche gilt für die Witwenausgleichsrente. Die Grundrente einer Halbwaise wird von 45 DM im Jahre 1969 auf 88 DM im Jahre 1975 steigen, ihre Ausgleichsrente von 80 DM auf 157 DM.Zusammengefaßt bedeutet das, daß sich die Beschäftigtenrenten seit 1969 fast verdoppelt, die Witwenrenten mehr als verdoppelt haben und daß auch noch ausreichend Spielraum für eine reale Einkommensverbesserung der Kriegsopfer geblieben ist. Das ist doch das, was von Ihnen immer wieder bestritten wird, aber eigentlich gar nicht bestritten werden kann.
Wenn nun die Opposition einwendet, zwischen Jahresbeginn 1967 und Jahresbeginn 1970 habe es keine Erhöhungen der Versorgungsbezüge gegeben, so muß sie sich daran erinnern lassen, daß sie in dieser Zeit mit dem Kollegen Katzer den Bundesarbeitsminister, mit dem Kollegen Strauß den Bundesfinanzminister — dessen Ansichten über die Sozialpolitik wir durch seine Sonthofener Rede erneut haben zur Kenntnis nehmen müssen — und mit dem Kollegen Kiesinger den Bundeskanzler stellte. Wenn sich Ihre Kritik auch auf diese Zeit bezieht - undsie bezog sich auf diese Zeit dann bitte ich, dies in Rechnung zu stellen.In der ersten Beratung des Siebenten Anpassungsgesetzes — damit komme ich zum Schluß, meine Damen und Herren! — hat der Sprecher meiner Fraktion angekündigt, daß die Konsequenzen aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen werden müssen, damit die Rente einer wiederverheirateten Witwe, deren zweite Ehe aus sogenanntem „eigenem Verschulden" geschieden wurde, wieder auflebt. Wir haben erfreulicherweise feststellen können, daß dies durch ein Rundschreiben des Bundesarbeitsministers an die Arbeitsminister und -senatoren der Länder bereits sichergestellt ist. Danach wird die sogenannte Verschuldensklausel nicht mehr angewandt; auch in diesen Fällen lebt die Witwenversorgung wieder auf.
Wenn es darum geht, meine Damen und Herren, für die Kriegsopfer einzutreten, lassen wir Sozialdemokraten uns von niemandem übertreffen. Das ist keine Phrase, das ist keine Floskel; das kann unter Beweis gestellt werden. Unsere erfolgreiche Politik hat bewiesen und wird auch weiterhin beweisen, daß wir uns kontinuierlich — ich sage: kontinuierlich! — durch die Dynamisierung für die berechtigten Anliegen der Kriegsopfer einsetzen, aber nicht ausschließlich durch die Dynamisierung. Jeder wird aber nach meiner Meinung Verständnis dafür haben, daß unvernünftige oder ungerechtfertigte Forderungen zurückgewiesen werden müssen. Das kann und wird jedoch nicht bedeuten, daß damit jeder sachliche Dialog über notwendige Strukturverbesserungen beendet ist. Im Gegenteil; diese Gespräch wird von uns aus auch weiterhin mit den Kriegsopferverbänden und - wenn Sie es wollen — auch mit der Opposition geführt werden. Wir sind sicher, daß die Kriegsopferverbände und, wie ich hoffe, auch die Opposition das notwendige Verständnis dafür aufbringen, daß die derzeitige Lage der öffentlichen Haushalte — und insofern trägt doch auch die Opposition eine Verantwortung —
zur Zeit nicht mehr als die imposanten finanziellen Anstrengungen des Bundes auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung zuläßt.Die Einmütigkeit, die bei den Beratungen des Siebenten Anpassungsgesetzes im Ausschuß herrschte, möchte ich als ein sicheres Zeichen dafür werten, daß der Gesetzentwurf in diesem Hause eine breite Mehrheit finden wird. Ich hoffe darüber hinaus, daß sich der Bundesrat dieses Gesetzes sehr schnell annimmt, damit die Vorbereitungen, die die Bundesregierung bereits getroffen hat, auch dahin umgesetzt werden können, daß die erhöhten Kriegsopferrenten zum 1. Juli dieses Jahres termingerecht ausgezahlt werden können.
Meine Damen und Herren, beim Aufruf dieses Tagesordnungspunktes ist es unterlassen worden, zunächst den Herrn Berichterstatter zu fragen, ob er noch das Wort zur mündlichen Ergänzung seines Berichts begehrt.
Ich erteile Ihnen, Herr Abgeordneter Hölscher, als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir etwas außerhalb der üblichen Reihenfolge noch die Gelegenheit geben, als Berichterstatter das Wort zu ergreifen.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir bitte, daß ich den Ihnen mit der Drucksache 7/3536 vorliegenden Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes wie folgt mündlich ergänze.Im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wurde die Frage erörtert, ob die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 1974 über die Verschuldensklausel für das Wiederaufleben eines Witwenrentenanspruchs nach § 44 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes eine gesetzgeberische Maßnahme erfordert. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung festgestellt, daß der im § 44 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes enthaltene Satzteil — ich zitiere — „ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe" nichtig ist.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11723
HölscherDer Entscheidungssatz hat nach den Vorschriften des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht Gesetzeskraft. Er ist im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Deshalb hielt der Ausschuß eine Änderung des Gesetzestextes nicht für notwendig, zumal auch in Aussicht gestellt wurde, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung alsbald von § 91 des Bundesversorgungsgesetzes Gebrauch machen und eine entsprechend revidierte Neufassung des Bundesversorgungsgesetzes verkünden wird.Der Ausschuß nahm in diesem Zusammenhang Kenntnis vom Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 27. Februar 1975 an die Arbeitsminister und Senatoren für Arbeit der Länder. Außerdem, meine Damen und Herren, hat der Ausschuß die Bundesregierung gebeten, demnächst über Inhalt und Durchführung der Rechtsverordnungen im Zusammenhang mit der Kriegsopferversorgung zu berichten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir fahren in der Aussprache fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Drei Jahrzehnte nach Kriegsende verabschiedet der Deutsche Bundestag heute das Siebente Anpassungsgesetz für die Kriegsopferrenten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird der Anhebung der Leistungen um rund 11,1 % vor allem auch deshalb zustimmen, weil sie sich nachdrücklich für die vorgezogene Anpassung auf den 1. Juli besonders eingesetzt hat. Herr Kollege Glombig, Sie haben vorhin in Ihren Ausführungen vielleicht vergessen, daß auch dieser soziale Fortschritt von den Kriegsopfern mit einer Demonstration in Bonn erkämpft werden mußte.
Vor einigen Jahren, meine Damen und Herren, war die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß nach dem Beispiel — durch den Antrag der CDU/CSU erreicht — der vorgezogenen Anpassung bei den Sozialrenten nun auch die Kriegsopferenten zum gleichen Zeitpunkt hätten angepaßt werden müssen. In einem Stufenplan ist das nunmehr erreicht worden, dies allerdings auch nur unter nachdrücklichem Druck der Kriegsopfer in einem Marsch auf Bonn und unter nachdrücklicher Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Es erfüllt uns mit Genugtuung, Herr Professor Schellenberg, daß in diesem Jahr erstmals die gleichzeitige Anpassung aller Renten möglich ist.
Der Deutsche Bundestag hat die Vorlage zügig beraten. Leider läßt die finanzielle Situation es nicht zu, daß neben der Rentenanpassung auch notwendige strukturelle Verbesserungen vorgenommen werden. Ich will weder die Bedeutung der jährlichen Rentenanpassungen herabsetzen noch irgendwelche Leistungen schmälern, doch muß ich nachdrücklich
feststellen, meine Damen und Herren, daß mit der Dynamisierung allein die noch anstehenden brennenden Probleme im Kriegsopferrecht nicht gelöst werden können.
Die Kriegsopferversorgung ist ein Spezialrecht. Die vielfältigen Leistungen, z. B. Grundrente für alle, Ausgleichsrente bei Bedürftigkeit, Schadensausgleich bei beruflicher Betroffenheit nebst weiteren Leistungen und Bestimmungen über gegenseitige Anrechnungen lassen eine pauschale Wertung mit dem Satz „Die Leistungen werden um 11,1 % erhöht" einfach nicht zu.
Schon die Tatsache, daß für Hunderttausende von Witwen die erhöhte Grundrente beim Schadensausgleich wieder gekürzt wird, demonstriert doch eindeutig, daß beim Kriegsopferrecht eine differenziertere Beurteilung verlangt werden muß. Ich kritisiere nicht deshalb, meine Damen und Herren, weil ich ein Abgeordneter der Opposition bin, sondern deshalb, weil ich befürchte, daß diese Art der Darstellung zu Lasten der Kriegsopfer geht.
Die Bundesregierung nimmt damit den Betroffenen die Möglichkeit, vor einer breiten Öffentlichkeit die im Versorgungsrecht noch vorhandenen zahlreichen Härten darzustellen. Mein Kollege Maucher hat bereits vor einer Woche darauf hingewiesen, daß die jährlichen Anpassungsgesetze das Leistungsniveau der Kriegsopferrenten im Gefüge von Versicherungsrenten und im Vergleich zu Durchschnittseinkommen nicht entscheidend verbessert haben.
Nach Inkrafttreten dieses Gesetzes wird die volle Grund- und Ausgleichsrente eines zu 100 % Beschädigten auf über 1 000 DM ansteigen. Das durchschnittliche Einkommen eines Arbeiters oder Angestellten liegt allerdings schon bei 2 000 DM.
— Vor 15 Jahren war der Unterschied 20 %, und heute beträgt er 50 %. 1960 betrug die Vollrente eines zu 100 % Kriegsbeschädigten 400 DM, der durchschnittliche Lohn der Arbeitnehmer 513 DM. Die Differenz betrug damals 22 %, heute über 50 %.
Meine Damen und Herren, ist dies nicht ein Beweis dafür, daß mit diesem Milliarden-Zahlenspiel die realen Tatsachen zugedeckt werden?
Es wird doch nicht bestritten, daß Jahr um Jahr die Bundesregierung und der Bundestag in völliger Übereinstimmung mit der Dynamisierung viele Milliarden zusätzlich genehmigt haben. Aber entscheidend ist doch, wie sich die Lage der Kriegerwitwe und des einzelnen Kriegsbeschädigten im Gesamtgefüge von Löhnen, Preisen und den allgemeinen sozialen Verhältnissen abhebt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
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11724 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Ja, gerne.
Herr Burger, wollen Sie bezweifeln, daß die Einkommen der Rentner — jetzt nehme ich auch die Kriegsopfer hinzu — prozentual stärker gestiegen sind als die der nicht selbständig Beschäftigten, die noch im Produktionsleben stehen?
Können Sie das bezweifeln?
Ich habe eben versucht, an einem Beispiel darzustellen, daß man mit Prozentzahlen allein nicht arbeiten kann. Wenn Sie von einer Grundrente von 50 DM jeweils 10 oder 11 % Erhöhung ansetzen, ist das ein Unterschied gegenüber 8 oder 9 % von einem Durchschnittslohn von 1 500 DM.
Das ist doch die Wirklichkeit, meine Damen und Herren.Ich darf fortfahren. In den letzten 15 Jahren sind die Löhne und Gehälter um das Vierfache, die Kriegsopferrenten um das Zweieinhalbfache gestiegen, trotz Dynamisierung. Dies ist auch eine Wahrheit, die neben den von Ihnen genannten Tatsachen gewertet werden muß. Trotz Dynamisierung hat sich also die Schere geöffnet und nicht geschlossen. Dies müssen wir sehen, wenn wir gerecht würdigen wollen.Herr Kollege Glombig, die Ausführungen meines Kollegen Maucher und auch meine Ausführungen heute sind keine Propaganda, sondern es ist die Aufzählung von Tatsachen, die man sehen muß, wenn man begreifen will, daß eben in der Kriegsopferversorgung mit der Dynamisierung allein noch kein Allheilmittel für die Lösung der Probleme gegeben ist. Dies möchte ich sagen, sonst gar nichts.
— Ich habe dies ja deutlich gesagt.
Meine Damen und Herren, noch kurz zur Dynamisierung! Die Forderung nach einer Dynamisierung der Renten war vor 15 Jahren noch nicht allgemein. Die Dynamisierung, meine Damen und Herren, ist einstimmig beschlossen worden. Die Initiative kam aus dem Ausschuß; ich glaube, Herr Professor Schellenberg hat es vorgetragen.
Wir haben sie einstimmig beschlossen, und sie entwickelte sich aus dem Einstieg der CDU/CSU-Regelungen mit der Berichtspflicht, mit der Vorlage des Berichts, mit der Diskussion über die Lage der Kriegsopfer, und aus dieser Situation ergaben sich Schritt für Schritt die Verdichtungen in der Form der Dynamisierung, wie sie dann vom Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedet worden ist.Meine Damen und Herren, Vergleiche hinken immer. Ich habe hier ein altes Flugblatt von der SPD: „Lieferschein für alle Arbeitnehmer in der Bundesrepublik", Datum Juli 1969. Da wird derCDU folgendes vorgeworfen. Von 1964 bis 1966 — also innerhalb von drei Jahren — beliefen sich die Preissteigerungen auf 7 °/o. Heute hat sich das natürlich enorm gesteigert. Sie können aber nicht die heutigen Steigerungsraten in die Verhältnisse jener Jahre hineinstellen. Dies gäbe einfach ein schiefes Bild, und ich hielte dies für unfair.Glombig [SPD] : Halten Sie doch einmal dieEinkommenssteigerungen dagegen! Dannhaben wir das richtige Bild! — Dr. Schäfer[Tübingen] [SPD] : Da haben Sie recht: dasist unfair!)— Herr Kollege Schäfer, Sie haben ja gar nicht zugehört. Sie kommen ja gerade erst.
— Sie haben draußen alles gehört und festgestellt, daß ich recht habe. Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer!Man befürchtete damals, daß die Dynamisierung das Rentenniveau in der Kriegsopferversorgung nicht genügend verbessern würde und daß notwendige strukturelle Entwicklungen nicht mehr möglich wären. Man war damals überzeugt, mit Neuordnungsgesetzen beide Ziele schneller zu erreichen, nämlich eine Anhebung der Renten und eine Verbesserung durch Überwindung verschiedener struktureller Probleme. Meine Damen und Herren, ganz unberechtigt sind die damaligen Befürchtungen nicht gewesen, denn heute sind auch bescheidenste strukturelle Verbesserungen bereits nicht mehr möglich. Unter dieser Situation leiden heute besonders die Witwen.Energisch möchte ich auch den Vorwurf von Versäumnissen in der Vergangenheit zurückweisen.
Die heutigen sozialen Verbesserungen bedürfen zu ihrer Rechtfertigung und Begründung nicht der Abwertung, sondern der Anerkennung der Leistungen der Vergangenheit. Eine objektive Beurteilung der Bemühungen um soziale Sicherheit und Gerechtigkeit seit 30 Jahren in unserem Land gibt nicht zur Selbstgefälligkeit, noch weniger aber zur Verteufelung Anlaß. Wer eine solche Haltung einnimmt, hat keine Ahnung von dem Ausmaß des Zusammenbruchs nach dem Kriege und der Kargheit der Mittel, die vorhanden waren, um Wunden zu heilen. 12 Milliarden DM betrug das Volumen des Bundeshaushalts, als der Deutsche Bundestag im Jahre 1950 das Bundesversorgungsgesetz als erstes Sozialgesetz verabschiedete. Das Volumen der Mittel stellte sich in den folgenden Jahren wie folgt dar: 1951: 19 Milliarden DM, 1952: 21 Milliarden DM, 1953: 27 Milliarden DM. In dieser Situation hofften gleichzeitig Millionen von Vertriebenen, Ausgebombten und Arbeitslosen auf Hilfe. Die damals vom Bundestag genehmigten 21/2 Milliarden DM ergaben sehr bescheidene Renten. Und doch: Wer konnte in der damaligen Situation etwas Besseres schaffen? 1957, als die erste Rentenreform mit der Einführung der dynamischen Rente im Bundestag verabschiedet wurde,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11725
Burgerbetrug das Haushaltsvolumen 36,2 Milliarden DM. Daß sich die Kriegsopfer in diesen harten Jahren energisch zur Wehr setzten, war begründet.
— Sie haben nie einen Deckungsvorschlag gemacht. Das weisen die Protokolle eindeutig aus.
Die Chance für optimale Lösungen für den einzelnen, der erhebliche Opfer an Leib und Leben gebracht hatte, war natürlich nicht gegeben. Es konnte jeweils nur die bestmögliche Lösung erreicht werden, und dies hat sich — wenn Sie ehrlich sind, werden Sie das zugeben, meine Damen und Herren — auch heute nicht geändert. Wenn Sie das Durchschnittseinkommen als Vergleichsmaßstab wählen, wenn Sie Vergleiche mit Unfallrenten anstellen, werden Sie immer wieder sagen müssen, daß die Renten, verglichen mit den Opfern an Leib und Leben, nicht ausreichend sind
und daß man immer nur jeweils die bestmögliche Regelung anbieten konnte. Ich behaupte, dies ist heute auch nicht anders geworden.
Das BVG ist inzwischen zum Modell für zahlreiche versorgte Gruppen geworden. Es gilt für Soldaten der Bundeswehr, für Häftlinge aus der DDR, für Impfgeschädigte und hoffentlich auch bald für Opfer von Straftaten. Aus dem Schwerbeschädigtengesetz wurde durch Ausweitung auf alle Behinderten das umfassende Behindertengesetz. Auf der Grundlage der Renten- und Unfallversicherungsgesetze entwikkelte sich das gegliederte System der Rehabilitation. Die Bundesregierungen unter der Führung der CDU/ CSU — dies geht eindeutig aus meinen letzten Sätzen hervor — haben in den 50er und 60er Jahren ein solides System der sozialen Sicherheit geschaffen. Die derzeitige Koalition konnte auf diesen soliden Fundamenten weiterbauen. Weder das sogenannte Vaterland der Werktätigen, die Sowjetunion, noch das oft zitierte sozialistische Musterland Schweden gab den höchsten Anteil am Bruttosozialprodukt für die soziale Sicherheit aus, sondern es war die Bundesrepublik nach zwei Jahrzehnten Regierungstätigkeit der CDU/CSU.
Nicht alle Aufgaben konnten gelöst werden, aber mit den vorhandenen Mitteln wurde der höchste Wirkungsgrad an sozialer Sicherheit im Vergleich zu allen damaligen Industriestaaten erzielt.Soziale Sicherheit entwickelt sich in Stufen. Jedes Jahr und jeder Zeitraum hat seine spezifische Aufgabe. Wer heute allzu leicht von Versäumnissen spricht, wird sich in wenigen Jahren dem gleichen Vorwurf ausgesetzt sehen.
— Herr Kollege, heute schon ist das Jugendhilferecht zurückgezogen, kommt kein Vermögensbildungsgesetz, läßt die Mitbestimmung auf sich warten.
— Das haben wir weiterentwickelt und vorbildlich umgesetzt.
— Ich bin sehr dankbar, daß Sie von meinem Gesicht einiges ablesen können.Ich darf noch einmal sagen: Wer heute allzu leicht von Versäumnissen spricht, wird sich in wenigen Jahren dem gleichen Vorwurf ausgesetzt sehen.Der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung wird sich in nächster Zeit mit den Rechtsverordnungen der Auslandsversorgung und den Strukturproblemen der Kriegsopfer befassen. Dieser Anregung der CDU/CSU ist der Ausschuß einstimmig gefolgt. Fachausschuß und Bundesregierung sollten dabei versuchen, nicht nur Härten festzustellen, sondern auch Wege für Verbesserungen in den nächsten Jahren aufzuzeigen. Der Deutsche Bundestag hat die Pflicht, sich um die Probleme von noch mehr als 2,35 Millionen Betroffenen zu kümmern. Der lange Marsch um die Bemühungen zur Verbesserung der Versorgung der Kriegsopfer ist auch nach 30 Jahren nicht zu Ende. Die Dynamisierung ist kein Allheilmittel.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist bereit mitzuwirken. Sie stimmt dem Siebenten Anpassungsgesetz zu.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Tagen erinnern wir uns, daß vor 30 Jahren einer der schrecklichsten Kriege zu Ende gegangen ist.
Viele von uns erinnern sich noch der Not und des Elends, die damals herrschten, nicht nur in unserem Lande, sondern auch in den anderen Ländern, die vom Krieg heimgesucht worden waren. Wir haben uns geschworen, daß alles getan werden müsse, um
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11726 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Bundesminister Arendtneue Kriege zu verhindern. Wir wollen den Frieden auf Dauer sichern, und Friedenssicherung heißt auch Sorge und Fürsorge für all die Menschen, denen der Krieg besondere Opfer abverlangt hat.Es sind dies jene 2,3 Millionen Menschen, die im Krieg ihre Gesundheit eingebüßt oder den Mann, ein Kind oder den Vater verloren haben. Wir müssen uns immer wieder fragen, ob wir diesen Menschen, die ein so hartes Schicksal erfahren haben, Gerechtigkeit haben widerfahren lassen und ob wir alles getan haben, ihr Leid zu mindern.Für die Bundesregierung und für meine politischen Freunde kann ich feststellen, daß wir uns vom ersten Tage unserer Regierungsverantwortung an dieses Personenkreises ganz besonders angenommen haben.
Wir hielten es nicht für vertretbar, daß jene Menschen quasi als Bittsteller der Nation immer wieder bohren und drängen mußten, um nur einigermaßen einen materiellen Ausgleich für ihre Opfer zu erhalten. Es sollte nicht vergessen werden, daß unsere erste große sozialpolitische Maßnahme den Kriegsopfern galt. Die Dynamisierung der Rentenleistungen hat den Rechtsanspruch der Kriegsopfer auf eine neue Grundlage gestellt. Mit ihr wurde nicht nur eine Wertbeständigkeit, sondern auch eine Wertverbesserung der Ansprüche erzielt. Gewiß war diese Entscheidung auch für die Bundesregierung nicht leicht.Wir waren uns darüber im klaren, welch große Belastung diese Entscheidung für die Zukunft des Bundeshaushalts bedeutet. Die Solidarität mit den Kriegsopfern, die uns alle verpflichtet, hat uns bewogen, ihrer Versorgung ungeachtet aller Schwierigkeiten Priorität einzuräumen.Seither wurde durch die alljährlichen Rentenanpassungen die Kriegsopferversorgung in ihrem Gesamtvolumen um rund 11 Milliarden DM verbessert. Strukturelle Verbesserungen durch Gesetze und Verordnungen brachten daneben einen Leistungsanstieg in Höhe von 1,8 Milliarden DM. Wenn Sie, Herr Burger — erlauben Sie, daß ich Ihnen das sage —, schon Einkommensvergleiche anstellen, dürfen Sie nicht die Grund- und Ausgleichsrenten allein betrachten, sondern dann müssen Sie auch den Berufsschadensausgleich einbeziehen. Wenn Sie das tun, werden Sie feststellen, daß z. B. im Jahre 1974 der entsprechende Wert um 720 DM — das sind 64,6 % — über einem Zwölftel der Bemessungsgrundlage lag; denn die Höchstbeträge lagen bei 1 834 DM und die allgemeine Bemessungsgrundlage bei 1 114 DM. Ich denke, daß man dann schon die Gesamtheit der Leistungen sehen muß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Maucher?
Bitte schön, Herr Kollege!
Verehrter Herr Minister, würden Sie mir, wenn Sie Vergleiche anstellen, erst
einmal zubilligen, daß über 70 % aller Kriegsbeschädigten nur die Grundrente bekommen und daß zum zweiten eine ganze Reihe der Leistungen — eben die Pflegezulage und andere Dinge —, die Sie nicht als Einkommen werten können, in dem Betrag, den Sie eben genannt haben, enthalten sind? Das gilt allgemein auch in der sozialen Fürsorge.
Herr Kollege Maucher, ich habe gar keine Vergleiche angestellt. Sie haben das getan. Da stelle ich nur fest: Wenn Sie solche Vergleiche anstellen,
dann müssen Sie natürlich den Gesamtzusammenhang der Leistungen sehen. Wir können uns auch ganz einfach an die Fakten halten. Als ich das Amt des Bundesarbeitsministers antrat, betrug der Haushaltsansatz für die Kriegsopferversorgung etwas über 5 Milliarden DM. Jetzt sind es mehr als 11 Milliarden DM. Ich denke, das ist ein ganz eindeutiges Beispiel dafür.
Meine Damen und Herren, ich denke, daß die Fakten auch nicht hinwegdiskutiert werden können: Auch das Siebente Anpassungsgesetz, das Sie, meine Damen und Herren, heute verabschieden, ist ein Ergebnis der im Jahre 1970 eingeführten Dynamisierung. Die Bedeutung dieser Anpassung wird deutlich, wenn Sie auch hier das Jahresvolumen von rund 800 Millionen DM betrachten.Wie war das denn früher? Mehraufwendungen, wie wir sie jetzt in einem Jahr für die Kriegsopfer erbringen, gab es früher allenfalls im Abstand mehrerer Jahre.
Diese Verbesserungen mußten noch mit Protestkundgebungen und Schweigemärschen hart erkämpft werden. Diese Zeiten sind vorbei. Ich freue mich darüber. Heute brauchen die Kriegsopfer nicht mehr auf die Straße zu gehen und um Verbesserungen zu kämpfen. Heute hat die Kriegsopferversorgung eine Priorität. Das kann allerdings — das füge ich freimütig hinzu — nicht bedeuten, daß uneingeschränkt alle Wünsche erfüllt werden können. Jeder Verbesserungsvorschlag ist selbstverständlich unter den Gesichtspunkten der sozialen Entschädigung und der Möglichkeiten des Haushalts zu prüfen.So hat sich die Bundesregierung auch die Entscheidung über eine Vorziehung der Rentenanpassung, deren letzte Stufe Sie heute zu dem Siebenten Anpassungsgesetz beschließen werden, nicht leicht gemacht. Gerade die finanziellen Auswirkungen haben uns große Sorgen bereitet. Dennoch haben wir die Vorziehung vorgenommen. Auch dadurch haben die Kriegsopfer abermals erfahren, daß wir die Opfer, die sie für die Allgemeinheit gebracht haben, zu würdigen wissen.Wegen der Haushaltslage, meine Damen und Herren, sind im Siebenten Anpassungsgesetz keine weiteren Änderungen und Verbesserungen vorgenommen worden. Auch auf Verbesserungen, die aus unserer Sicht wünschenswert wären, mußten wir ver-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11727
Bundesminister Arendtzichten. Dies gilt besonders für die Harmonisierung des Berufsschadens- und des Schadensausgleichs, die im Hinblick auf die Vorverlegung der Anpassungstermine angezeigt ist. Sie können aber sicher sein, meine Damen und Herren, daß wir diese Harmonisierung vornehmen werden, sobald die Haushaltslage es erlaubt. Ich bin gewiß, daß auch die Kriegsopfer Verständnis dafür aufbringen werden.Die Stabilität unseres Haushalts darf nicht gefährdet werden. Das wissen auch die Kriegsopfer. Die Repräsentanten der Verbände haben schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie unsere Stabilitätspolitik unterstützen
und grundsätzlich bereit sind, um der Stabilität willen eigene Wünsche zurückzustellen. Für diese staatspolitisch verantwortungsvolle Haltung gebührt diesen Vertretern unser aller Dank und Anerkennung.
Meine Damen und Herren, bei verschiedensten Anlässen erfahre ich immer wieder den Dank von Kriegsopfern für unsere Gesetze. Diesen Dank gebe ich gern an dieses Hohe Haus weiter, das sich stets der Anliegen der Kriegsopfer bevorzugt angenommen hat. Dies beweist auch die zügige Beratung des Siebenten Anpassungsgesetzes.Ich sehe es als durchaus positiv an, wenn heute die Versorgungsverwaltung in der Lage ist, die Programme der elektronischen Datenverarbeitung zu einem Zeitpunkt aufzustellen, in dem das Anpassungsgesetz selbst noch nicht verabschiedet ist. Letztlich zeugt diese Maßnahme, Herr Maucher, für das große Vertrauen, das man dem Parlament und der Bundesregierung bei der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags gemäß § 56 des Bundesversorgungsgesetzes entgegenbringt. Damit ist überdies sichergestellt, daß die Kriegsopferrenten rechtzeitig gezahlt werden können.Der Anpassungssatz von 11,1 % steht nach den Grundsätzen des § 56 des Bundesversorgungsgesetzes fest, und wir haben uns in unserer Vorlage auch daran gehalten. Wenn nun hin und wieder bemängelt wird, daß die Gesamtversorgung diesen Prozentsatz nicht immer erreicht, so wird dabei übersehen, daß sich die Anpassung jeweils auf die Rentensätze, die im Gesetz ausgewiesen sind, bezieht. Da die Zahlung von einkommensabhängigen Leistungen, z. B. der Berufsschadensausgleich für Beschädigte und der Schadensausgleich für Witwen, auch von anderen Kriterien abhängig ist, ist eine völlige Identität mit dem Anpassungssatz nicht immer erreichbar. Dies hängt aber nicht mit der laufenden Anpassung der Rentenleistungen zusammen, sondern liegt im System dieser einkommensabhängigen Leistungen begründet. Ich darf daran erinnern, daß man sich immer darin einig war, bei diesen Leistungen gewisse Einkommen zu berücksichtigen.Die Kriegsopfer können darauf vertrauen, daß wir bemüht bleiben, bei einer Besserung der Haushaltssituation das Bundesversorgungsgesetz weiterzuentwickeln. Wir werden unsere Bemühungen nachwie vor nicht darauf beschränken, Gesetzentwürfe vorzubereiten, sondern sehr intensiv in enger Zusammenarbeit mit den Ländern für eine einheitliche und dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Durchführung des Gesetzes sorgen.Dies bezieht sich auf alle Bereiche der Versorgung, sei es Rentenrecht, Kriegsopferfürsorge oder Heil- und Krankenbehandlung. Gerade im letzteren Bereich sind wir um fortschrittliche Lösungen bemüht.Dies gilt auch für die orthopädische Versorgung. Deshalb ist es mir unverständlich, Herr Maucher, wenn hier in der ersten Lesung von einem „Trauerspiel" gesprochen wurde. Unter den Fachkennern besteht Einigkeit darüber, daß die Qualität der Hilfsmittel in der Bundesrepublik Deutschland einen Stand erreicht hat, der sich sehr wohl mit dem anderer Länder messen kann. Nicht umsonst kommen immer wieder Sachverständige aus den verschiedensten Ländern zu uns, um sich zu informieren. Ständig sind Wissenschaftler aus dem nahen und fernen Ausland bei uns, die sich für den Prothesenbau interessieren. Wir begrüßen diesen ständigen Gedankenaustausch auf technischem Gebiet, weil er für eine positive Entwicklung unerläßlich ist.
Ich komme jetzt zum Schluß, Herr Maucher.Sorgen bereitet uns allerdings die Tatsache, daß im ärztlichen Bereich der orthopädischen Versorgung ebenso wie im öffentlichen Gesundheitsdienst schlechthin ein akuter Mangel an ärztlichem Fachpersonal besteht. Leider wird dieser Mangel vorerst nur schwer zu beheben sein. Ich bin aber davon überzeugt, daß die Versorgungsverwaltungen alles tun, um die Versorgungsberechtigten nicht darunter leiden zu lassen.Lassen Sie mich abschließend den beteiligten Ausschüssen danken, daß sie es ermöglicht haben, das Siebente Anpassungsgesetz heute zu verabschieden. Ich versichere, daß die Kriegsopferversorgung ein bedeutender und wichtiger Bestandteil unserer fortschrittlichen Sozialpolitik bleibt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in zweiter Lesung.Wir kommen in der zweiten Lesung zur Abstimmung. Ich lasse über die Vorlage gemäß Drucksache 7/3415 und gleichzeitig Drucksache 7/3536 abstimmen, die durch den Herrn Berichterstatter mündlich ergänzt worden ist. Es bestehen keine Bedenken? — Dann rufe ich die Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die dritte Beratung.
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11328 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Vizepräsident von HasselWir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in dieser Fassung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes— Drucksache 7/2852 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/3526Berichterstatter: Abgeordneter von Bockelberg
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wünschen Sie als Berichterstatter zur Ergänzung das Wort? -Das Wort hat als Berichterstatter der Abgeordnete von Bockelberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Einige ergänzende Bemerkungen zu meinem Schriftlichen Bericht darf ich heute anfügen. Sie wissen, daß der Finanzausschuß auch die Frage untersucht hat, ob die Steuerberatungsgesellschaften in ihrer derzeitigen rechtlichen Ausgestaltung sicherstellen, daß die steuerberatende Tätigkeit eigenverantwortlich, unabhängig und selbständig durchgeführt wird. Der nach dem Gesetz zulässige Zustand, daß Aktionäre und Gesellschafter berufsfremde Personen, auch berufsfremde Körperschaften sein können, kann sich auf die Beschlüsse der Hauptversammlungen und Aufsichtsräte auswirken. Hier sollte möglichen Anfängen gewehrt werden. In diesem Ziel war sich der Finanzausschuß einig. Der Grund für die Errichtung einer Steuerberatungsgesellschaft sollte ausschließlich in der Möglichkeit der gemeinsamen Berufsausübung liegen. Einzig und allein die Notwendigkeit, das Dritte Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes unverzüglich zu verabschieden, hat es nicht möglich erscheinen lassen, diese komplexe Frage schon jetzt zu regeln. Hier werden z. B. auch die Wirtschaftsprüferordnung und das Recht der bestehenden Gesellschaften und ihrer Gesellschafter berührt.
Die Ausdehnung der Befugnis der Lohnsteuerhilfevereine gegenüber der Regierungsvorlage in § 4 Ziffer 11 Buchstabe b auf Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung schien dem Ausschuß in der Natur der Sache zu liegen. Es sei besonders darauf hingewiesen, daß die Befugnis nur dann besteht, wenn die Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zufließen.
Schließlich darf ich noch hervorheben, daß der Ausschuß der Abgrenzung der genehmigungsfreien Tätigkeit von der erlaubnispflichtigen Buchführungshilfe eine klarere Ausformung gegeben zu haben glaubt. Die Formulierung dieser Abgrenzung ist nach einem Hearing der zuständigen Kammern und Verbände erfolgt, bei denen sie nicht auf Bedenken gestoßen ist. Diese vom Ausschuß vorgenommene Ergänzung soll die langjährige Diskussion über die Abgrenzung abschließen. Der Ausschuß ist der Meinung, daß dies im Rahmen der zur Zeit bekannten technischen Gegebenheiten gelungen ist.
Namens des Ausschusses bitte ich, dem Gesetzentwurf in der Fassung der Ausschußbeschlüsse die Zustimmung zu geben.
Wenn der Herr Präsident es gestattet, gebe ich auch die Erklärung der Fraktion der CDU/CSU bekannt.
Keine Bedenken.
Im Namen der CDU/ CSU gebe ich folgende Erklärung ab:Die CDU/CSU begrüßt die Novellierung des Steuerberatungsgesetzes, da hiermit das Recht der Hilfeleistung in Steuersachen weiterentwickelt wird, Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen genehmigungsfreier Tätigkeit und erlaubnispflichtiger Buchführungshilfe beseitigt werden, die Tätigkeit der Lohnsteuerhilfevereine erstmalig im einzelnen gesetzlich geregelt wird und schließlich die Möglichkeiten von Mißbräuchen zu Lasten vor allem der Arbeitnehmer ausgeschaltet werden.Durch das Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung vom 29. April 1964 wurde in § 107 a Abs. 3 der Abgabenordnung eine Ziffer 4 eingefügt, durch die das Recht zur beschränkten Hilfeleistung in Steuersachen auf Organisationen ausgedehnt wurde, deren Aufgabe es ist, die eigenen Mitglieder in Lohnsteuersachen zu beraten. Eine gesetzliche Regelung hinsichtlich der Aufgaben, der Anerkennung, der Pflichten dieser Vereine sowie der Aufsicht über diese Vereine gab es nicht.Die Erlasse der Oberfinanzdirektion Bremen vom 28. August 1964 und des Finanzministeriums von Nordrhein-Westfalen vom 16. September 1968 konnten wegen der erheblichen Zunahme der Vereine die notwendige gesetzliche Regelung nicht ersetzen. So konnten diese Organisationen im wesentlichen in eigener Verantwortlichkeit tätig sein. Dies führte zum Teil zu einem unkontrollierten Wildwuchs von Vereinen, welcher auch von den seriösen Vereinen und ihren Dachverbänden abgelehnt wurde.Hier wird durch §§ 13 bis 31 des Steuerberatungsgesetzes eine Ordnung eingeführt, die eine ordnungsmäßige Hilfeleistung in Lohnsteuersachen sicherstellt. Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß die mit der Aufsicht beauftragten Oberfinanzdirektionen die ihnen übertragenen Aufgaben wahrnehmen. Hierzu sind sie nunmehr durch die Ordnungswidrigkeitsvorschriften der §§ 160 bis 164 befähigt worden.Die Abtretung und der Erwerb von Steuererstattungsansprüchen, bekanntgeworden unter der Bezeichnung „Handel mit Lohnsteuerkarten", hat sich
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von Bockelbergvornehmlich auf dem Rücken und zu Lasten der Gastarbeiter abgespielt. Dieser Mißbrauch war zu unterbinden, jedoch ohne die Vorfinanzierung des Lohnsteuerjahresausgleichs durch seriöse Institute auszuschließen. Dieser Forderung entspricht der durch dieses Gesetz geänderte § 159 der Abgabenordnung, welcher den geschäftsmäßigen Erwerb von Erstattungs- und Vergütungsansprüchen zum Zwecke der Einziehung oder sonstigen Verwertung auf eigene Rechnung ausschließlich Unternehmen vorbehält, denen das Betreiben von Bankgeschäften erlaubt ist.Auch die Aktualisierung der Berufsordnung der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten, nunmehr „Steuerberaterordnung" genannt, sowie die Anpassung an die Bundesrechtsanwaltsordnung und die Wirtschaftsprüferordnung werden von der Fraktion der CDU/CSU begrüßt.Erhebliche Bedenken hat meine Fraktion dagegen, daß das Steuerberatungsgesetz — bisher „Berufsordnung der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten" — nunmehr außerdem die Vorschriften über die Hilfeleistung in Steuersachen aus der Abgabenordnung übernimmt, die Vorschriften für die Lohnsteuerhilfevereine und das Recht des Zwangsgeldes und der Ordnungswidrigkeiten enthält. Damit ist nicht nur die Systematik der Berufsordnung mit berufsfremden Vorschriften befrachtet und damit in der Klarheit und Überschaubarkeit zerstört, sondern es sind auch vice versa den Steuerpflichtigen interessierende Bestimmungen durch 126 Paragraphen einer für den Steuerpflichtigen uninteressanten Berufsordnung unübersichtlich gemacht worden. Hier erwartet die Fraktion, daß diese Frage, wie ja auch im Finanzausschuß festgelegt, bei der Verabschiedung der Abgabenordnung noch einmal erörtert wird.Trotz dieser erheblichen Bedenken und in der Erwartung der späteren „Entstrickung" stimmt die Fraktion der CDU/CSU dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Meinike .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Selbstverständnis der SPD und ihrer Bundestagsfraktion gehört es, sich bei allen anstehenden steuerpolitischen Fragen und Entscheidungen darum zu bemühen, daß ein Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung getan wird. Ich leugne nicht, daß dieses Anliegen nur sehr mühsam erreicht werden kann, daß manche Ergebnisse verbessert werden können und daß bisweilen auch die Erreichung beider Ziele zugleich nicht möglich ist.Wer die heutige Vorlage, nämlich das Dritte Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes, überprüft, wird feststellen können, daß im Vordergrund dieses Gesetzes zusätzliche Bestimmungen stehen, durch die seit langem bekannte Mißstände und Unzuträglichkeiten abgestellt werden. Wir Sozialdemokraten meinen, daß damit ein weiterer Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit getan wird.Diese Aussage gilt vorrangig für die beiden auch schon vom Kollegen von Bockelberg angesprochenen Fragen; denn in den letzten Jahren ist auch der Arbeitnehmer, der Einkommensbezieher aus sogenannter unselbständiger Tätigkeit, immer mehr zum Partner des Finanzamtes geworden. Die Zahl der Lohnsteuerermäßigungsanträge und der Anträge auf Durchführung des Lohnsteuerjahresausgleichs hat sprunghaft zugenommen. Der berechtigte Wunsch des einzelnen, alle Möglichkeiten der Steuerermäßigung legal auszuschöpfen, hat das Interesse für die Hilfeleistung in Steuersachen auch für Arbeitnehmer wesentlich verstärkt. Von daher konnten wir die Zunahme der Zahl von Selbsthilfeeinrichtungen registrieren, deren satzungsmäßige Aufgabe ausschließlich auf die Hilfe in Lohnsteuersachen beschränkt ist.Gegen die Tätigkeit dieser Lohnsteuerhilfevereine bestehen von unserer Seite keine grundsätzlichen Bedenken. Dies möchte ich hier noch einmal deutlich sagen. Die lohnsteuerliche Betreuung der Arbeitnehmer durch eben diese Vereine, durch Gewerkschaften und auch durch den Arbeitgeber hat sich im Grundsatz bewährt, und an diesem Grundsatz soll festgehalten werden.In letzter Zeit mußten wir allerdings mit Besorgnis zur Kenntnis nehmen, daß sich eine Reihe von Lohnsteuerhilfevereinen immer mehr von ihrem eigentlichen Auftrag gelöst und andere wirtschaftliche Geschäfte betrieben sowie das zulässige, eingegrenzte Maß an Werbung wesentlich überschritten haben. Eine umfassende gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse der Lohnsteuerhilfevereine wurde deshalb unumgänglich. Sie erfolgt heute mit den Ihnen vorliegenden Gesetzesbestimmungen, die in das Steuerberatungsgesetz eingefügt werden sollen.Uns erscheint an dieser Gesetzesvorlage vor allem bedeutsam, daß nunmehr ein besonderes Anerkennungsverfahren durch die Finanzbehörden eingeführt wird, daß die Lohnsteuerhilfeberater sachkundige Personen sein und daß jährliche Geschäftsprüfungen vorgenommen werden müssen. Dabei geht es auch um verbandsinterne Geschehnisse und Praktiken. Gleichzeitig hoffen wir, daß die Finanzämter ihre nach wie vor bestehende Aufsichtspflicht auch diesen Vereinen gegenüber verstärkt wahrnehmen werden.Sie, Herr Kollege von Bockelberg, haben darauf hingewiesen, daß es notwendig war, die nach der Abgabenordnung in Verbindung mit dem BGB zulässige Abtretung von Lohnsteuererstattungsansprüchen an dritte Personen, die zu Mißbräuchen in erheblichem Umfang geführt hat, einer schärferen gesetzlichen Regelung zuzuführen. Ich sage hier ganz deutlich, daß in letzter Zeit zum Teil in betrügerischer Absicht regelrecht Aufkäufer von Ansprüchen aufgetreten sind, die die Unkenntnis und Unbeholfenheit von Lohnsteuerzahlern schamlos ausgenutzt haben. Im Interesse der Rechtssicherheit und zum Schutz der Arbeitnehmer wird nunmehr gesetzlich festgelegt, daß für die Abtretung von Lohnsteuer-
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11730 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Meinike
erstattungsansprüchen ganz bestimmte Formvorschriften zu beachten sind. Der geschäftsmäßige Erwerb und die geschäftsmäßige Einziehung der genannten Ansprüche bleiben zukünftig dem Banken- und Sparkassenbereich vorbehalten. Wir Sozialdemokraten hoffen, daß insbesondere durch diese gesetzlichen Regelungen die allseits bekannten und beklagten Mißstände nunmehr beseitigt werden können.In dem Ihnen vorliegenden Bericht ist bereits darauf hingewiesen worden, daß es gelungen ist, eine klare Abgrenzung zwischen erlaubnisfreier Buchführungshilfe und erlaubnispflichtiger Hilfe in Steuersachen vorzunehmen. Zu diesem Ergebnis — das darf ich hier auch öffentlich sagen — haben nicht zuletzt die beteiligten Gruppen in einer Anhörung einen positiven Beitrag geleistet.In der angesprochenen Beratung über die Anpassung der jetzt geltenden Bestimmungen des Steuerberatungsgesetzes an die Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Wirtschaftsprüferordnung hat die Entwicklung der Steuerberatungsgesellschaften einen breiten Raum eingenommen. Es wurden verstärkt Bedenken laut, ob die Kapitalbeteiligung an diesen Gesellschaften nicht ebenso wie die Wahrnehmung der Geschäftsleitung an die Erfüllung bestimmter Qualifikationen gebunden werden sollte. Der Ausschuß sah sich auf Grund der unerhört schwierigen rechtlichen Problematik nicht in der Lage, dazu kurzfristig entsprechende Gesetzesvorschläge zu unterbreiten.Eine abschließende Bemerkung dazu, daß in diessem Gesetz nunmehr die Berufsordnung für die steuerberatenden Berufe, die Rechtsverhältnisse der Lohnsteuerhilfevereine und auch die Bestimmungen über die Hilfeleistung in Steuersachen zusammengefaßt sind. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß die Zusammenfassung der erwähnten Vorschriften in einem Gesetz, eben in dem bestehenden Steuerberatungsgesetz, richtig ist, da es sich um eine einheitliche Rechtsmaterie handelt und wir die Abgabenordnung in der Tat von sachfremder Materie freimachen sollten. Wir verschließen uns nicht dem Anliegen, diese Frage bei der Verabschiedung der Reform der Abgabenordnung, die wir hoffentlich noch in diesem Jahr in diesem Hause werden vollziehen können, noch einmal zu erörtern.Abschließend darf ich feststellen: Wir Sozialdemokraten begrüßen diese Vorlage und stimmen ihr zu.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Funcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie die beiden Herren Vorredner kann auch ich sagen, daß meine Fraktion der Gesetzesvorlage ohne Vorbehalte zustimmt. Es ist inzwischen eine nicht nur nationale, sondern internationale Erfahrung, daß bei allem Bemühen um Steuereinfachheit der Grundsatz der Steuergerechtigkeit zu einer erheblichen Komplizierung des Steuerrechts führt. Die Berücksichtigung individueller Beschwernisseund Sondertatbestände macht eben Sonderparagraphen im Steuerrecht notwendig; diese können nicht jedem Steuerpflichtigen bekannt sein.Von daher gewinnt der Beruf des Steuerberaters — oder, um es neutral auszudrücken, die Steuerberatung — eine besondere Bedeutung. In dieser Funktion der Steuerberatung wird die Sachwaltung zwischen dem Steuerpflichtigen einerseits und dem Staat mit seinen Anforderungen andererseits niedergelegt, und sie braucht auch ihre Ordnung.Wir halten im Blick auf diese Funktion der Sachwaltung den freiberuflichen Charakter des Steuerberaters für angemessen. Aber wir wären nicht Liberale, wenn wir nicht auch einer Selbsthilfe in Form des Vereins eine Möglichkeit eröffneten. Es kann sich in der Festlegung der Ordnung lediglich darum handeln, daß man im Interesse des Steuerpflichtigen, der ja gegenüber dem Staat immer in der schwächeren Position ist, auf jeden Fall eine fachlich richtige, der Sache angemessene, vertrauensvolle Beratung sicherstellt, die Mißstände möglichst ausschließt.Wir haben schon vor vielen Jahren den Lohnsteuerhilfevereinen durchaus Möglichkeiten des Tätigwerdens eröffnet. Die Erfahrung hat allerdings gezeigt — das haben die beiden Herren Vorredner deutlich gemacht —, daß es dabei auch Mißstände gibt, nicht zuletzt dann, wenn ausländische Arbeitskräfte mit geringer Kenntnis betroffen sind, die Deutschland verlassen wollen und deshalb — auch bei einer sehr kleinen Anerkennung — ihre möglichen Ansprüche auf Dritte übertragen. Dem galt es einen Riegel vorzuschieben und zu verhindern, daß jemand die Notlage oder die Unkenntnis ausnützt und daraus ein Geschäft macht.Wir bejahen die drei wesentlichen Festlegungen im Bereich der Lohnsteuerhilfevereine zur Sicherung einer fachlichen und uneigennützigen Beratung, nämlich die grundsätzliche Aufsicht der Finanzämter, die jährliche Berichterstattung, die durch Dritte erfolgen muß, und die Einschränkung der Abtretung von Forderungen in diesem Bereich, damit nicht ein Handel mit Lohnsteuerkarten und damit zusammenhängenden Ansprüchen aufkommt.Des weiteren begrüßen wir die Ausweitung auf die Rentner. Es ist etwas unverständlich, daß sich der Arbeitnehmer, weil er Lohnsteuer zahlt, beraten lassen darf, während er nachher, wenn seine Rente in der Systematik des Einkommensteuerrechts unter „sonstige Einkünfte" fällt, von diesen Vereinen auf einmal nicht mehr beraten werden darf. Wir halten eine Einschränkung auf die lohnsteuerpflichtigen Tatbestände und die Renten, soweit sie steuerpflichtig sind, für angemessen, weil eine weitergehende, die übrigen Einkunftsarten betreffende Beratung einen Sachverstand erfordert, der über die reine Lohnsteuerkenntnis hinausgeht und der von jemandem eingebracht werden sollte, der dafür die volle Ausbildung hat.Damit bin ich bei den Steuerberatern und den in dieses Gesetz mit eingeschlossenen Bestimmungen, die in Ergänzung der früheren Bestimmungen zur
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11731
Frau FunckeVereinheitlichung des Berufs nun auch im Bereichdes Ehrengerichtswesens notwendig geworden sind.Herr Kollege von Bockelberg hat bereits darauf hingewiesen, daß uns die Frage der Beratungsgesellschaften im Ausschuß eine Weile beschäftigt hat. Wenn wir den Beruf des Steuerberaters als freien Beruf ansehen, entspricht es an sich diesem Grundgedanken, daß die Steuerberatung im allgemeinen von Einzelpersonen geleistet werden sollte und die Beratungsgesellschaften eine Sonderform — zwar nicht vom Umfang her, aber doch von der Zahl her — bilden sollten. Unter diesem Aspekt wollen wir durchaus die Fragen aufgreifen, von denen Herr von Bockelberg gesprochen hat. Nur ist es naturgemäß nicht leicht, im Rahmen eines gewachsenen Systems eine Form zu finden, die solche gewordenen und gewachsenen Erscheinungen nicht über Gebühr einschränkt. Wir werden uns sicherlich noch eine Zeitlang mit diesem Problem zu beschäftigen haben.Wenn wir die Gesetzesmaterie bezüglich der Lohnsteuerhilfevereine und die Berufsordnung der Steuerberater in einem Gesetz zusammengefaßt haben, so sind wir dabei von der Funktion ausgegangen, wie sie der Klient von seiner Position her sieht. Dennoch gibt es gute Gründe, die Berufsordnung gesondert zu regeln. Sobald die Novelle zur Abgabenordnung vorliegt, werden wir uns über die entsprechende Frage bezüglich der Lohnsteuerhilfevereine unterhalten können.Wir gehen davon aus, daß mit der jetzt beschlossenen Änderung sowohl im Bereich der Ausübung der Steuerberatung als eines freien Berufs — dort liegt der Schwerpunkt — als auch im Bereich der Lohnsteuerhilfevereine für denjenigen, der die Beratung leistet, wie für denjenigen, der sie in Anspruch nimmt, eine gesicherte Grundlage geschaffen wird.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aussprache in zweiter Beratung. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Artikel 1 bis einschließlich 14 sowie die Einleitung und die Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen!
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die dritte Beratung. Wer dem Gesetz in dieser Fassung seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen!
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
5. Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksache 7/459 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2904 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülow
l) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/2826 —
Berichterstatter: Abgeordneter Bremer
Ich danke den Berichterstattern. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die zweite Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich mache auf folgendes aufmerksam. Wir haben über die Artikel 1, 2 und 3 abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse daher nicht über den Antrag des Ausschusses abstimmen, sondern über die Artikel 1, 2 und 3 des Entwurfs. Wer also dem Ausschußantrag folgt, den Entwurf abzulehnen, muß jetzt bei dem Aufruf der drei Artikel, der Einleitung und der Überschrift dagegen stimmen. Ist die Ausgangslage klar? —
Ich rufe Artikel 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer in der zweiten Beratung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig abgelehnt worden.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache 7/2434 —
Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
— Drucksache 7/3503 — Berichterstatter:
Abgeordneter Spranger Abgeordneter Lambinus
Ich danke den Berichterstattern. Bevor ich das Wort zur mündlichen Ergänzung gebe, mache ich darauf aufmerksam, daß sich sowohl der Herr Justizminister als auch sein Parlamentarischer Staatssekretär als auch der beamtete Staatssekretär seit Stunden im Krisenstab befinden und daher nicht anwesend sein können. Das Haus hat dafür Verständnis.
Wir kommen zur Aussprache in zweiter Beratung. Das Wort hat als Berichterstatter Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die derzeitig gültige Fassung des § 142 des Strafgesetzbuches gilt bei allen
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11732 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
LambinusSachverständigen als eine der am unglücklichsten geratenen Formulierungen des Strafgesetzbuches. Er bereitete unseren Gerichten oft sehr erhebliche Schwierigkeiten. Eine Neufassung dieser Strafvorschrift, der Unfallflucht, war deshalb dringend notwendig, zumal es sich um eine Vorschrift handelt, mit der es jeder am Straßenverkehr teilnehmende Bürger sehr schnell einmal zu tun bekommen kann. Jährlich etwa 30 000 bis 35 000 Verurteilungen wegen Unfallflucht zeigen dies überdeutlich, wobei die Zahl derer, die sich auf Dauer einer strafrechtlichen Verfolgung entziehen und nicht verurteilt werden konnten, sicher nicht unerheblich sein wird. Lediglich eine Strafandrohung, die praktikabel und für den Verkehrsteilnehmer verständlich ist, kann einen Fahrer, der an einem Unfall beteiligt ist, davon abhalten, eine vermeintlich günstige Gelegenheit beim Schopf zu greifen und sich unbeobachtet zu entfernen.Die uns vorliegende neue Fassung des § 142 des Strafgesetzbuches bedroht das unerlaubte Entfernen vom Unfallort mit Strafe. Die neue Fassung legt exakt fest, wie sich ein Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr zu verhalten hat. Er darf sich vom Unfallort erst entfernen, wenn er zugunsten anderer Unfallbeteiligter und des Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er am Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat.Das alte Tatbestandsmerkmal „durch die Flucht entziehen" ist durch den Tatumstand „entfernen" ersetzt worden. Die Entfernung vom Unfallort ist künftig erst dann gestattet, wenn ein Unfallbeteiligter die erforderlichen Angaben gemacht oder aber eine angemessene Frist gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, diese soeben genannten Feststellungen zu treffen. Strafbar macht sich auch, wer sich nach Ablauf der angemessenen Wartefrist oder mit guten Gründen vom Unfallort entfernt hat und die erforderlichen Angaben nicht unverzüglich nachträglich macht. Dazu reicht es aus, wenn er dem Geschädigten oder einer nahegelegenen Dienststelle der Polizei Mitteilung macht.Durch diese sehr ins einzelne gehende Strafvorschrift werden alte Streitfragen erledigt. Ein Schädiger muß also auch dann am Unfallort bleiben, wenn er bloße Bagatellschäden verursacht hat, deren Beseitigung mit nicht allzu hohen Kosten verbunden ist. Es reicht nicht aus, wenn er eine Visitenkarte oder seine Anschrift am beschädigten Fahrzeug hinterläßt und sich dann ohne Wartezeit entfernt.Strafbar macht sich auch derjenige, der nach einem Unfall zwar am Unfallort bleibt, aber dort nur unbeteiligt herumsteht. Er muß vielmehr aktiv dazu beitragen, daß die erforderlichen Feststellungen getroffen werden können, und sich auf jeden Fall als Unfallbeteiligter zu erkennen geben.Das versuchte unerlaubte Entfernen vom Unfallort ist entgegen dem Vorschlag des Regierungsentwurfs nicht mehr strafbar. Die Mehrheit des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform entsprach damit der überwiegenden Meinung der Rechtslehre und der Praxis, die davon ausgeht, daß für die Versuchsstrafbarkeit kein echtes kriminalpolitisches Bedürfnis besteht. Von den etwa 35 000 Verurteilungen im Jahr 1972 entfielen nur etwa 270 auf den Versuch einer Unfallflucht. Schließlich ist auch dadurch, daß das Tatbestandsmerkmal „sich durch die Flucht entziehen" durch den Tatumstand „sich entfernen" ersetzt wurde, der strafrechtliche Schutz vorverlagert worden. Dies läßt dem Versuch in der Praxis keinen Raum.Eingehend hat sich der Sonderausschuß mit der Frage beschäftigt, ob sich der Täter durch tätige Reue Straffreiheit verschaffen können soll. Es war daran gedacht, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, die Strafe zu mildern oder von einer Bestrafung abzusehen, wenn sich der Täter freiwillig innerhalb einer angemessenen Frist als Unfallbeteiligter zu erkennen gibt, nachdem er sich zunächst unerlaubt vom Unfallort entfernt hatte. Dabei wurde an eine Frist von etwa 24 Stunden gedacht. Aus guten Gründen hat der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform von der Aufnahme einer solchen Bestimmung abgesehen, da diese zumindest psychologisch eine Einladung oder eine Ermunterung sein könnte, sich zunächst zu entfernen. Außerdem kann nach einer Entfernung vom Unfallort wegen der dann nicht mehr möglichen exakten Rekonstruktion des Unfallgeschehens bereits entstandener Schaden nicht wiedergutgemacht werden, von den Auswirkungen einer solchen Bestimmung auf sogenannte Alkoholtäter ganz zu schweigen.Abschließend sei festgestellt, daß die Neufassung des § 142 des Strafgesetzbuches in erster Linie der Sicherung der zivilrechtlichen Interessen der Unfallbeteiligten und Geschädigten dienen soll, nicht etwa, wie von mancher Seite befürchtet, dem öffentlichen Interesse an einer Strafverfolgung.Zum Schluß darf ich die Bundesregierung bitten, möglichst bald von der Ermächtigung Gebrauch zu machen, die Straßenverkehrsordnung durch ausführlichere Regelungen des Verhaltens nach einem Verkehrsunfall — § 34 der Straßenverkehrsordnung — zu ergänzen.Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf in der vom Sonderausschuß für die Strafrechtsreform vorgelegten Fassung zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich zur Sache äußere, bin ich gehalten, auch im Namen der Vertreter der Koalition im Strafrechtssonderausschuß einen Änderungsantrag zu stellen, und zwar möge der Bundestag beschließen, in der Überschrift des Gesetzes das Wort „Vierzehnten" durch das Wort „Dreizehnten" zu ersetzen. Als Entwurf eines Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes war der Regierungsentwurf Drucksache 7/3030 eingebracht worden, der sich mit dem Schutz vor Ausbreitung von Gewalttaten be-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11733
Sprangerfaßt. Das mit jenem Entwurf angestrebte Gesetzkann jedoch erst nach diesem Gesetz in Kraft treten.Der Neufassung des § 142 des Strafgesetzbuches, die nach den Worten des Vertreters des Bundesjustizministeriums im Strafrechtssonderausschuß kein Reformwerk, sondern ein schlichtes Änderungsgesetz darstellt, wird meine Fraktion zustimmen.Zu beanstanden ist allerdings die Tatsache, daß die Bundesregierung Verkehrsteilnehmer und Strafverfolgungsbehörden jahrelang auf die Vorlage dieser schlichten, wenn auch sehr bedeutsamen und notwendigen Gesetzesänderung warten ließ. Ich glaube, zutreffend hat Professor Lackner auf der großen Juristentagung des ADAC 1972 die verschleppte Reform des § 142 StGB als negatives Lehrstück der Gesetzgebungskunst bezeichnet. Wenn man bedenkt, daß schlechthin jedermann in der Bundesrepublik Deutschland jeder Bürger dieses Landes — als Unfallbeteiligter den Tatbestand des § 142 erfüllen kann, dann wird man auch der Ansicht des Bundesrichters Dr. Dr. Spiegel zustimmen müssen, der meinte — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Ich bin sicher, dieser Verkehrsteilnehmer hätte mehr das Gefühl der Umsorgtheit, wenn er ab 1. Oktober 1972 einen reformierten Tatbestand des § 142 StGB in Korrespondenz mit einem Verhaltenskatalog in der Straßenverkehrsordnung vorgefunden hätte, statt am 1. Oktober auf dem Terminzettel der gegen ihn wegen Unfallflucht anberaumten Hauptverhandlung lediglich zu erfahren, daß die lautstarke Reform seinen bisherigen Amtsgerichtsrat nun zu einem Richter am Amtsgericht umfunktioniert hat.Bemerkenswert ist auch, daß sich ausgerechnet die so oft als wenig progressiv getadelte Rechtsprechung. bei dieser Gesetzesmaterie als viel fortschrittlicher denn die Regierung erwies und die Gesetzesänderungen durch Entscheidungen so weit vorantrieb, daß die Bundesregierung diese Rechtsprechung dann lediglich noch in Gesetzestexte zu gießen brauchte. Dies gilt insbesondere für das nach § 142 StGB zu schützende Rechtsgut. Die zivilrechtlichen Interessen sind jetzt ausschließlich entscheidend für die Einführung dieser Bestimmung. Dies gilt auch für den Umfang der Wartepflicht und den Umfang der Wartezeit.Diese Gesetzesvorlage, die in den vergangenen Jahren mit zunehmendem Nachdruck in der Literatur und von der Rechtsprechung, von den Automobilklubs und von Verkehrsgerichtstagen gefordert wurde, war demgemäß mehr als überfällig. Deshalb, aber auch weil sie in gewissem Umfang die notwendige Bereinigung und Konkretisierung der bisher geltenden Vorschriften mit sich bringt, wird die CDU/CSU ihr zustimmen. Ihre Vertreter sahen sich dennoch gezwungen, im Strafrechtssonderausschuß hinsichtlich einiger Problemkreise Bedenken anzumelden.Nach unserer Auffassung, die auch der Bundesrat teilt und über die auch Übereinstimmung mit den Vertretern des Bundesjustizministeriums besteht, wäre es erforderlich gewesen, die Strafbarkeit desVersuchs der Unfallflucht beizubehalten und auch solche Versuchshandlungen strafrechtlich zu erfassen, bei denen dafür ein kriminalpolitisches Bedürfnis besteht. Hier ist an den Fall zu denken, daß jemand nur mehr mit Gewalt am Unfallort festgehalten werden kann. Dieses Verhalten ist nunmehr nicht mehr strafbar.Wir waren auch der Meinung, daß die Strafverfolgungsbehörden eine größere Eingriffsbasis bekommen sollten, um rechtzeitig zugreifen zu können und nicht erst warten zu müssen, bis sich der Betreffende ein gehöriges Stück vom Unfallort entfernt hat. Das hat die Mehrheit im Ausschuß ebenso abgelehnt wie die Beibehaltung des plastischen, eingebürgerten und die Tat als sozialethisch verwerfliches Delikt bezeichnenden Terminus „Verkehrsunfallflucht". Die Ausschußmehrheit von SPD und FDP ersetzte diesen Terminus durch das umständliche, verharmlosende, die verwerfliche Handlungsweise nicht angemessen zum Ausdruck bringende Wortgebilde „unerlaubtes Entfernen vom Unfallort".Der Wegfall der Strafbarkeit des Versuchs eröffnet nunmehr ein Vorfeld der Straflosigkeit, das geeignet ist, ein vollendetes Delikt zu provozieren und damit Abgrenzungs- und Auslegungsschwierigkeiten herbeizuführen. Ich möchte im übrigen ergänzend noch sagen, daß wir von der CDU/CSU zusammen mit den Vertretern der Koalition eine Änderung des Regierungsentwurfes im Hinblick auf die Verpflichtung erreichten, nur mehr eine nahegelegene, nicht die nächstgelegene Polizeidienststelle bei Wahrnehmung der Wartepflicht aufzusuchen.In merkwürdigem Gegensatz dazu, aber auch zu dem sonst von Teilen der SPD und FDP vertretenen Aberglauben an die Allmacht der Resozialisierung und die Verderblichkeit der Abschreckung durch Strafandrohung steht die Verschärfung des möglichen Strafmaßes von bisher zwei auf nunmehr drei Jahre für jeden Fall — ob schwer oder leicht — der Unfallflucht. Die Logik hätte die Koalition gerade bei dem potentiellen Täterkreis des § 142 StGB auch hier zur Liberalisierung veranlassen müssen. Die zutreffende Grundhaltung und Überzeugung der CDU/CSU in bezug auf Aufgabe, Sinn und Zweck des Strafens überhaupt stehen allerdings im Einklang mit dieser Bestimmung.Trotz dieser und anderer Bedenken haben die Vertreter der Union dem § 142 StGB letztlich zugestimmt, damit eine längst fällige, wenn auch verbesserungsbedürftige Neufassung dieser für alle Bürger bedeutsamen Bestimmung ermöglicht wird. Die Bundesregierung bleibt gehalten, die Auswirkungen dieses Gesetzes sorgfältig zu beobachten, im Europarat auf eine baldige Bereinigung der in Westeuropa gerade auf diesem Gebiet bestehenden Rechtsunsicherheit hinzuwirken und umgehend den dringend erforderlichen Katalog nach § 34 StVO zu erstellen, damit jeder Verkehrsteilnehmer endlich genau weiß, was er nach einem Verkehrsunfall im einzelnen alles zu tun und zu lassen hat.
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11734 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
SprangerSchließlich sollte die Bundesregierung endlich die notwendigen Änderungen im übrigen Strafrecht — ich denke hier besonders an die Gesetzentwürfe zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens und zum Schutz der Strafrechtspflege — vornehmen, und zwar in zügigerer, der Sachlage angemessenerer Weise, als es bei diesem Gesetzentwurf bedauerlicherweise geschehen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der FDP gebe ich — ohne den Versuch zu unternehmen, eine allgemeine justizpolitische Debatte vom Zaun zu brechen — folgende Erklärung ab:
Wir begrüßen es, daß der vorliegende Entwurf eine Reihe Klärungen bringt und Lücken schließt, die bisher von der Rechtsprechung ausgefüllt werden mußten. Bereits im Text wird jetzt das geschützte Rechtsgut deutlich gemacht. Wer meint, daß damit eine gewisse Verharmlosung des Straftatbestandes des § 142 des Strafgesetzbuches einhergehe, wenn geschütztes Rechtsgut lediglich mehr die Durchsetzbarkeit ziviler Ansprüche und die Abwehr unberechtigter Ansprüche sei, der irrt meines Erachtens; denn wenn dem Täter, der den Tatbestand des § 142 des Strafgesetzbuches verwirklicht, in der Allgemeinheit häufig der Vorwurf einer besonders verwerflichen, auch moralisch verwerflichen Gesinnung gemacht wird, dann doch vor allem aus der Sicht heraus, daß sich dieser Täter auch im zivilrechtlichen Bereich der Verantwortung für sein Tun entzieht und daß sich dieser Täter damit nicht Spielregeln unterwirft und er nicht den Voraussetzungen zustimmt, die ganz einfach für ein halbwegs erträgliches Nebeneinander im Straßenverkehr notwendig sind.
Wir begrüßen ausdrücklich, daß der Sonderausschuß die Strafbarkeit des Versuchs beseitigt hat. Die jetzt ausgeweitete Mitwirkungspflicht des Unfallbeteiligten nach dem Unfall hätte, wenn man die Strafbarkeit des Versuchs hätte bestehen lassen, zu einer beträchtlichen Rechtsunsicherheit führen können. Es wäre im Einzelfall äußerst schwierig gewesen, den Beginn der strafbaren Handlung von Handlungen abzugrenzen, die der einzelne Unfallbeteiligte, sei es aus einer gewissen Verwirrung heraus, begeht und die lediglich den bösen Anschein einer beabsichtigten strafbaren Handlung gegenüber den anderen am Unfallort anwesenden Personen hätten erwecken können.
Etwas bedauert haben wir den Umstand, daß der Sonderausschuß den Gedanken der Schaffung einer Vorschrift über die Strafausschließung in diesem Bereich nicht weiter verfolgt hat. Es wird in diesem Zusammenhang von uns gar nicht verkannt, daß jeder, der sich vom Unfallort entfernt, auch wenn er sich anschließend anders besinnt und zurückkehrt, das Rechtsgut, das hier geschützt werden soll, bereits potentiell gefährdet. Deswegen hätte es auf der Hand gelegen, hier sehr restriktiv zu formulieren. Der Gedanke war nur, zu vermeiden, daß derjenige — nach bisherigem wie nach künftigem Recht —, der in erster Verwirrung und in dem ersten Schock über das Geschehene nicht das Richtige tut und anhält, sondern seine Fahrt fortsetzt, später in keiner Weise, auch nicht in einem sehr eng gefaßten räumlichen und zeitlichen Bereich, mehr die Möglichkeit hat, umzudenken, sich eines Besseren zu besinnen und in einer dann vom Gesetz nicht geahndeten Weise an den Unfallort zurückzukehren.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der zweiten Beratung angelangt. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer dem Art. 1, 2, 3, der Einleitung und der Überschrift in der neugefaßten Form zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Schlußabstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetz seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir haben dann noch über den Antrag des Ausschusses abzustimmen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. Januar 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung— Drucksache 7/2835 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3518 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schwenk
Abgeordneter Dr. Wittmann
Ich danke den Herren Berichterstattern. Sie wünschen das Wort zur mündlichen Ergänzung nicht.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer den Art. 1 bis 5, der Einleitung und der Überschrift in der zweiten Beratung und der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11335
Vizepräsident von HasselIch rufe den Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. Januar 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung— Drucksache 7/2836 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3519 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Wittmann Abgeordneter Dr. Schwenk (Stade)
Ich danke den Herren Berichterstattern. Wünschen diese das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung und Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 7, die Einleitung und die Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung— Drucksache 7/2280 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3520 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schwenk Abgeordneter Alber
Ich danke den Herren Berichterstattern. Wünschen diese das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache in zweiter Beratung.Wer in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung, den Art. 1 bis 5, der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. November 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Ergänzung des Europäischen Ubereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung— Drucksache 7/2281 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3521 — Berichterstatter:Abgeordneter Alber Abgeordneter Dr. Schwenk
Ich danke den Herren Berichterstattern. Wünschen diese das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache in zweiter Beratung.Wer in zweiter Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung, den Art. 1 bis 8, der Einleitung und der Überschrift, zustimmt, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Rechtsausschusses zu der Entschließung des Europäischen Parlaments über die Dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen— Drucksachen 7/2371, 7/3522 — Berichterstatter:Abgeordneter Schmidt Abgeordneter AlberWünschen die Herren Berichterstatter das Wort? — Zur Berichterstattung hat Herr Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 17. März dieses Jahres hat in Genf die zweite Runde der Dritten internationalen Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen begonnen. Die Aufgabe dieser Konferenz, die im vergangenen Sommer in Caracas begann, besteht darin, die gesamten Nutzungsverhältnisse am Meer einschließlich des Meeresbodens, der Meeresforschung und des Schutzes der Meeresumwelt in Konventionsform neu zu ordnen.Diese Neuordnung ist von einer elementaren politischen Bedeutung, weil die Entscheidungen dieser Konferenz auf eine weitgehende Aufteilung der Ozeane hinauslaufen können. Angesichts der Bedeutung dieser Bereiche für die künftige Nahrungsmittel- und Rohstoffgewinnung können damit enorm diskriminierende und zugleich konfliktträchtige Auswirkungen verbunden sein. Auch im Falle eines Scheiterns dieser Konferenz ist mit konfliktträchtigen Situationen zu rechnen, weil dann eine Reihe von Staaten Einzelentscheidungen in diesem Bereich
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11736 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Schmidt
gegen den erbitterten Widerstand anderer durchzusetzen versuchen werden.Der Rechtsausschuß des Bundestages, dem eine Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. Juli 1974 vorlag, faßte einstimmig den Beschluß, wegen der Bedeutung des Themas dem Plenum des Bundestages einen Entschließungsantrag vorzulegen und diesen durch die Berichterstatter erläutern zu lassen. Diese Erläuterung — und nicht etwa die umfassende Darstellung der auf dieser Konferenz anstehenden Probleme — ist heute meine Aufgabe. Eine ausführliche Debatte wird der Deutsche Bundestag dann haben, wenn die Konvention hier zur Ratifizierung ansteht.Trotz einer sehr unterschiedlichen Interessenlage zeichnet sich nach dem jetzigen Konferenzverlauf ab, daß die bislang auf 3 Seemeilen begrenzte Breite des unter voller staatlicher Souveränität stehenden Küstenmeeres auf 12 Seemeilen erweitert werden soll. Dadurch würden über 100 bisher freie Durchfahrten in Meerengen unter küstenstaatlicher Jurisdiktion verwandelt. Hierunter würden unter anderem beispielsweise die Durchfahrten von Dover und Gibraltar und auch die sogenannte Kadetrinne in die freie Ostsee sein.Auch wenn durchgesetzt werden könnte, daß gewöhnliche Handelsschiffe bei einer — wie es so schön heißt — „unschuldigen" Passage weiterhin freie Durchfahrt haben sollen, könnte dies keinesfalls als ausreichende Regelung akzeptiert werden, weil die Durchfahrt von 01-, Chemikalien- und Gastankern sowie von atomgetriebenen Handelsschiffen oder auch von militärischen Wasserfahrzeugen oder das Überfliegen durch Luftfahrzeuge aller Art künftig der Genehmigung bedürften.In diesem Zusammenhang muß auch die Unterwerfung unter nationales Recht bei den Umweltschutz- und den Sicherheitsbestimmungen abgelehnt werden, weil dadurch einheitliche Kriterien für den Bau von Schiffen unterlaufen werden könnten. Der Rechtsausschuß war der Auffassung, daß der Bundestag die Verhandlungsposition der Bundesregierung zur Aufrechterhaltung der Freiheit der Schiffahrt mit allem Nachdruck unterstützen sollte.Weiterhin zeichnet sich die Einführung einer Wirtschaftszone von insgesamt fast 200 Seemeilen mit Hoheitsrechten über lebende und mineralische Schätze ab. Hierbei gibt es in vielen Teilbereichen unter den Konferenzteilnehmern unterschiedliche Auffassungen und Koalitionen.Der Rechtsausschuß war der Ansicht, daß im Falle der Einführung einer solchen Wirtschaftszone die Freiheit der Meeresforschung nicht beeinträchtigt werden darf. Die Meeresforschung stellt eine unabdingbare Notwendigkeit für die künftige Wirtschaftsnutzung der Meere dar, und es würden sich unabsehbare Folgen ergeben, wenn zur Richtschnur für die Erteilung von Genehmigungen künftig die gleiche Willkür gemacht würde, die bei Genehmigungserteilungen in der Festlandssockelforschung zum Teil praktiziert wurden.Die Freiheit der Forschung in der internationalen Zone muß vollständig erhalten bleiben und darf auchim Bereich der Wirtschaftszone allenfalls nach anzuerkennenden, sachlich gerechtfertigten Kriterien begrenzt werden.Der Rechtsausschuß hat sich auch die Auffassung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft zu eigen gemacht, was die Berücksichtigung der Bedeutung der Fischerei für die Wirtschaft der einzelnen Küstenstaaten betrifft. Er ist der Auffassung, daß die Einführung einer Wirtschaftszone die Möglichkeit der Fernfischerei auch in diesem Bereich zulassen und die volle Freiheit der Fernfischerei jenseits der Wirtschaftszone voll ermöglichen muß. Was den Zugang zu den Rohstoffen des Meeres betrifft, so sollten innerhalb der Wirtschaftszonen eine regionale Zusammenfassung und eine regionale Nutzung erfolgen und jenseits der Wirtschaftszonen ein geordnetes und nicht diskriminierendes Verfahren gefunden werden.Die UNO-Vollversammlung hat im Jahre 1969 das Meer zur „res communis omnium", zum, wie es manchmal übersetzt wird, gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt. Es mutet allerdings etwas eigenartig an, daß dieses Erbe, wenn man es global sieht, in derart kleine Parzellen aufgestückelt und das gemeinsame Erbe zum Erbe jedes einzelnen Staates werden soll, der das Glück hat, eine lange Grenze zur See hin zu haben, während arme Verwandte übrigbleiben, die keinen oder nur sehr wenig Zugang zum Meer haben und aus diesem Erbe hinausgedrängt werden sollen.Es ist errechnet worden, daß, wenn die Vorschläge, die zum Teil auf der Konferenz vertreten werden, angenommen und praktiziert würden, bis zu 70 % der Ozeane unter den einzelnen Nationen aufgeteilt würden. Damit wird natürlich eine solche Forderung nach einem gemeinsamen Erbe geradezu konterkariert. Das muß bei dieser Konferenz unter allen Umständen vermieden werden.Der Rechtsausschuß hat auch aus einem anderen Grunde die Unterrichtung des Bundestages durch das Europäische Parlament zum Anlaß einer Antragstellung genommen: weil das Verhalten der Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft in diesem Bereich zu einiger Besorgnis Anlaß gibt und weil der Rechtsausschuß unter Berücksichtigung dieser Tatsache die Forderungen des Europäischen Parlaments an die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten ganz besonders begrüßt.Wenn man sich den bisherigen Konferenzverlauf vor Augen führt, muß man mit Enttäuschung feststellen, daß es auch in den Bereichen, die in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, zum Teil völlig unterschiedliche Auffassungen gibt, und daß die vom Ministerrat zugesagte Harmonisierung der Standpunkte außerhalb dieses Zuständigkeitsbereichs im Rahmen der EPZ nur äußerst unbefriedigend funktioniert.Das Institut für internationale Politik und Sicherheit hat in einer Zwischenbilanz festgestellt, daß die Entwicklungsländer, die zum Teil beachtliche intellektuelle Leistungen in diese Konferenz investieren, in der Wahrnehmung ihrer Interessen teilweise sehr viel einheitlicher verfahren als die Euro-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11737
Schmidt
päische Gemeinschaft, die bereits einen wesentlichen Integrationsgrad erreicht hat.Aus diesem Grunde unterstützt der Rechtsausschuß mit Nachdruck ,die Forderungen des Europäischen Parlaments.Was die Zusammenarbeit und Abstimmung innerhalb der NATO betrifft, bleibt ebenfalls festzustellen, daß diese angesichts der militärischen Bedeutung der Beschlüsse, ,die von dieser Seerechtskonferenz erwartet werden können, absolut unzureichend ist.Der Rechtsausschuß unterstützt in der Frage der Seerechtskonferenz einmütig die Verhandlungsposition der Bundesregierung. Mit dem vorgelegten Antrag soll diese Unterstützung deutlich gemacht werden. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich auch um die Zustimmung zum Antrag des Rechtsausschusses bitten.
Ich eröffne die Aussprache zu Punkt 11 der Tagesordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Alber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die fortschreitende technologische und wirtschaftliche Entwicklung macht eine Neuordnung des Meeresvölkerrechts dringend notwendig. Denn bereits absehbare einseitige Änderungen, mögliche Beeinträchtigung der Fernfischerei und der Schiffahrt, würden zu einem Chaos führen. Deshalb ist die Neuordnung des Meeresvölkerrechts ein Beitrag zur Erhaltung des Friedens. Daneben verfolgt die Neuordnung das Ziel gerechter Wirtschafts- und Sozialordnung in der Welt. Sie verfolgt das Ziel, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Industriestaaten und denen der Entwicklungsländer zu finden.Ich will hier nicht auf die Einzelfragen eingehen, die Probleme der Hoheitszonen und Küstenmeere, der Wirtschaftszonen, der Fernfischerei, der Festlandsockel, der Archipelfragen und der Eigengewässer, der Meerengen, der freien Schiffahrt und des Überfliegens, des Tiefseebodens und der Meeresbodenschätze, ihrer Nutzung und ihrer Verwaltung, die Probleme der Meeresverschmutzung, der Meeresforschung und des Technologietransfers sowie der Schiedsgerichtsbarkeit. Das ist eine Fülle von Problemen, die so vielschichtig sind, daß sie in einer kurzen Erklärung nicht angesprochen werden können. Ich bedaure deshalb, daß sich der Bundestag mit diesen Problemen erst dann befassen kann, wenn es um die Ratifizierung der Konvention geht, wenn also das Wesentliche bereits gelaufen sein wird.Die Konferenz stellt einen hohen Anspruch an die internationale Solidarität. Sie stellt diesen Anspruch auf die Beweisprobe. Es heißt, der Tiefseeboden sei das gemeinsame Erbe der Menschheit. Nun zeigt es sich im internationalen Bereich genauso wie im privaten, daß es, sobald es ans Erben geht, Streit gibt.Notwendig ist eine Internationalisierung der Meere. Die Meere sind zum Wohl der gesamten Menschheit zu nutzen und zu erhalten. Entwickeln sich die Dinge weiter so wie bisher, dann führt dies zu einer Nationalisierung, ja, beinahe wäre man versucht zu sagen: zu einer Kolonialisierung der Meere. Die Freiheit der Meere war früher durch Piraten bedroht; heute ist sie durch Politiker bedroht. Die Wirkung ist dieselbe. Ich will damit nicht sagen, daß es auch sonst Ähnlichkeiten zwischen diesen Personengruppen gibt.Die universelle Einführung der 12-SeemeilenGrenze würde 5 % der Meere, die Wirtschaftszone von 200 Seemeilen weitere 25 %, die Archipeltheorie weitere 5 bis 10 %, insgesamt also fast 40 % der Meere, unter nationale Hoheit bringen. Mit der Manipulation des Festlandsockels, der Basislinien und der Schelfe wären es beinahe 70 %, so daß nicht mehr allzuviel für eine internationale Regelung bleibt. Die globale Einführung der 12-Seemeilen-Grenze würde die Zahl der Meerengen auf rund 120 erhöhen. 69 Länder würden meerengenabhängig.Allein dies zeigt, daß vitale Interessen der Bundesrepublik Deutschland berührt sind. Ich will nicht im einzelnen auf sie eingehen; ich kann mich auf meinen Vorredner beziehen.Deutschland gehört zu den geographisch benachteiligten Staaten. Unter 116 Küstenstaaten liegen wir, was die Angrenzung an das Meer anlangt, an 95. Stelle gegenüber der 24. Stelle der Sowjetunion und dem 10. Platz der Vereinigten Staaten.Es ist bedauerlich, daß die geographisch benachteiligten Staaten in Genf nicht mehr zusammenfinden. Eine der Ursachen ist die Blockdisziplin der Länder der Dritten Welt. Diese Gruppe der geographisch benachteiligten Staaten könnte, würde sie zusammenfinden, eine Sperrminorität erreichen und damit großen Einfluß auf die Konferenz ausüben.Ich will damit nicht vorschlagen, daß man dort einen Hort der Unzufriedenen bilden sollte; aber ich meine, daß die Bundesregierung, mit deren Zielen auf dieser Konferenz wir voll übereinstimmen, sich, was das Vorgehen und die Methode anbelangt, etwas intensiver um diese Länder bemühen sollte. Die Gruppe der 77 und die Großmächte scheinen sich zu verrennen; aber eine Hinwendung zur Vernunft wäre notwendig.Der Anstoß hierzu kann nicht von den Großmächten und auch nicht von den Staaten ausgehen, die von der Natur begünstigt sind; denn die sind nicht sehr an Interessenausgleichen bei der Nutzung interessiert. Deshalb meine ich, daß die geographisch Benachteiligten vorangehen müssen, und die Bundesrepublik könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten.Man muß auch mehr an die Zukunft denken; denn eine Ausplünderung der Meere wäre verhängnisvoll. Insbesondere ist notwendig, daß man vom Souveränitätsdenken zurückkommt; denn ansonsten wird diese Konferenz nur zu einem Forum zur Anerkennung kurzsichtiger nationaler Ansprüche.
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11738 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
AlberBei der Konferenz geht es aber nicht nur um vitale Interessen Deutschlands, sondern auch um Interessen unserer europäischen Partner. Es ist des-. halb bedauerlich, daß die Konferenz von den Europäern nicht so vorbereitet worden ist wie von der Gruppe der 77 und anderen. Es ist bedauerlich, daß Europa dort nicht mit der nötigen Geschlossenheit auftritt. Frankreich und England scheinen andere, eigene Interessen zu verfolgen.Es ist auch bedauerlich, daß die europäischen Länder innerhalb ihrer angestrebten Zonen nicht zu regionalen Übereinkommen bereit sind. Beteiligungen sind nicht sichtbar, auch wenn es in der Energiedebatte hieß, wir könnten uns an der Ölausbeutung der Engländer und an Gasvorkommen Norwegens beteiligen.Es ist auch bedauerlich, daß die nationalen Parlamente mit solchen wichtigen Fragen erst zu spät befaßt werden.Ich bin der CDU/CSU-Fraktion dankbar, daß sie dieses Thema durch die Kleine Anfrage auf Drucksache 7/2666 in den Bundestag eingeführt hat.Ich begrüße auch die Entschließung des Europäischen Parlaments und den darin enthaltenen Anstoß. Sicher steht in der Entschließung nicht die ganze Problematik der Konferenz; das kann auch nicht sein. Aber die Angelegenheit ist im Grund zu ernst, als daß man nur zur Tagesordnung übergehen könnte. Ich danke dem Europäischen Parlament für diese Entschließung. Es zeigt sich auch hier wieder, daß die Parlamentarier europäischer eingestellt sind — und auch danach handeln — als die einzelnen Regierungen.Abschließend möchte ich die Bundesregierung bitten, nach dem 10. Mai, wenn die dritte Phase dieser Konferenz abgeschlossen sein wird, dem Bundestag rechtzeitig einen Bericht hierüber vorzulegen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir haben über den Antrag des Ausschusses abzustimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/3522 zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe: — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Graduiertenförderungsgesetzes— Drucksache 7/2705 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3517 —Berichterstatter: Abgeordneter . . .b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 7/3136 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Meinecke
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht verlangt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer den §§ 1, 2, 3, der Einleitung und der Überschrift zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe die Punkte 13 und 14 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kristallglaskennzeichnungsgesetzes— Drucksache 7/3500 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für WirtschaftErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 1. Juni 1967 über das Verhalten beim Fischfang im Nordatlantik— Drucksache 7/3501 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenDas Wort wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Altestenrates ersehen Sie aus der ausgedruckten Tagesordnung.Wer den Gesetzentwürfen zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Schröder , Dr. Marx, Baron von Wrangel, Dr. Abelein, Dr. Gradl, Jäger (Wangen), Böhm (Melsungen), Dr. von Bismarck, Franke (Osnabrück), Seiters, Lagershausen und Genossenbetr. Verhandlungen mit der DDR über die Grenzmarkierungen an der Elbe— Drucksache 7/3278 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: InnenausschußAusschuß für innerdeutsche Beziehungen — Federführung offen —Rechtsausschuß mitberatendZur Begründung der Vorlage hat der Abgeordnete Schröder das Wort.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11739
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht nur die fortgeschrittene Zeit, sondern auch einige Ereignisse des Tages werden mich zumindest etwas davon abhalten, diese Frage so ausführlich zu behandeln, wie ich das eigentlich vorhatte. Aber ich meine, nichtsdestoweniger ist es an der Zeit, daß sich dieses Haus einmal mit dem Problem der Verhandlungen über die Grenzmarkierungen an der Elbe auseinandersetzt.
Als der Ihnen vorliegende diese Frage betreffende Antrag von der CDU/CSU-Fraktion beschlossen und eingebracht wurde, wurden die Antragsteller von drei Seiten mit Fragen und Bedenken konfrontiert.
Politische Freunde aus den eigenen Reihen, Herr Kollege Arndt, meinten resignierend, die Sache sei schon längst gelaufen, denn die Bundesregierung habe zentralen östlichen Forderungen längst nachgegeben.
Wenn man die publizistische Behandlung und Darstellung dieses Problems in den zurückliegenden Wochen verfolgt, dann muß man in der Tat den Eindruck gewinnen, als ob die Öffentlichkeit scheibchenweise auf den Rückzug von einer bis zum Jahre 1972 von allen früheren Bundesregierungen eingenommenen Rechtsposition und damit auf das Eingehen auf eine östliche Forderung vorbereitet werden sollte. Die „Deutsche Zeitung — Christ und Welt" hat das einmal sehr drastisch mit den Worten formuliert: „Mit Umsicht und Eifer widmen sich Bundesregierung und ihre publizistischen Hilfsorgane dieser Aufgabe."
Daß diese Vermutung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt mir ein Bericht, den ich gestern in mehreren niedersächsischen Tageszeitungen lesen konnte und aus dem ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf, wo es wörtlich hieß:
Für die andere Seite ist die Grenzfrage im Elbabschnitt Schnackenburg–Lauenburg bereits entschieden. Mit einem Nachgeben der DDR in dieser Frage ist nicht zu rechnen. Eine andere Lösung als die Flußmitte als Grenze ist nicht zu erreichen", so kommentierte ein maßgebliches Delegationsmitglied der Bonner Grenzkommission den Stand der Verhandlungen nach dem Treffen im März dieses Jahres in Suhl. Die Frage, auf welche Dokumente oder Unterlagen sich die DDR bei ihrer Forderung nach der halben Elbe stütze, blieb ohne Antwort.
Von einer ganz anderen Seite, nämlich aus den Reihen der Regierung und der Koalition, kam das Argument, mit einer parlamentarischen Behandlung dieses Themas würde die Verhandlungsposition der Bundesregierung gegenüber der DDR erschwert.
Darüber hinaus würde die jetzige Bundesregierung dadurch gezwungen sein, Durchlöcherungen in der praktischen Handhabung dieser Rechtsauffassung von 1950 bis heute der Öffentlichkeit darzulegen. Auf das zweite Argument werde ich noch entsprechend einzugehen haben.
Was die angebliche Schwächung oder Erschwerung der Verhandlungsposition der Bundesregierung anbelangt, so kann ich nur feststellen, daß diese Verhandlungsposition in der Grenzkommission von der Bundesregierung selber in einem Ausmaß erschwert worden ist, das entweder große Ungeschicklichkeit oder Unsicherheit oder gar Absicht verrät.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Arndt?
Selbstverständlich!
Herr Abgeordneter Schröder, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß es die damals amtierende Bundesregierung noch nach 1962 abgelehnt hat, die von Ihnen hier soeben dargelegte Rechtsauffassung gegenüber dem Hamburger Senat zu äußern, als er wegen seiner Wasserschutzpolizei danach fragte?
Herr Kollege Arndt, ich habe diese Frage und dieses Beispiel erwartet. Ich werde im Verlauf meiner Ausführungen auch noch auf diesen konkreten Fall zu sprechen kommen.
— Das ist nicht gekniffen, Herr Schäfer, sondern ich erlaube mir, die Argumente in meiner Rede in einer gewissen logischen Reihenfolge aufzubauen. Ich werde auf die praktische Handhabung von 1950 heute noch zu sprechen kommen.
Meine Damen und Herren, warum sich die Bundesregierung bereits bei Beginn der Verhandlungen in der Grenzkommission über den Elbabschnitt, nämlich in der berühmten Schweriner Sitzung vom 2. bis 4. Juli, von der anderen Seite überreden ließ, auf der Basis einer Grenzmarkierung in der Strommitte zu verhandeln, ist mir bis zum heutigen Tage schleierhaft geblieben, dies um so mehr, als eine politische Gegenleistung der DDR bis heute offensichtlich nicht angeboten worden ist.Was danach an Schwächung der Verhandlungsposition der Bundesregierung durch diese selber erfolgte, ist fast noch erstaunlicher. Um ihre offensichtliche Verhandlungsführung zu untermauern, wurden und werden in die Presse — siehe zuletzt den berühmten „Spiegel"-Artikel — und auch in die zuständigen Bundestagsausschüsse Dokumente lanciert, die scheinbar beweisen sollen, daß sich unsere Forderung nur sehr bedingt untermauern ließe. Die unsere Rechtsauffassung stützenden Papiere
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11740 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Schröder
werden nicht vorgelegt — getreu der Devise des Parlamentarischen Staatssekretärs Schmude, die dieser in einer Presseverlautbarung vom 16. Januar dieses Jahres geäußert hatte, in der es hieß — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Übersteigerte Anforderungen, die das Heil ausschließlich in der Betonung von Rechtsstandpunkten sehen, wird die Bundesregierung bei der Regelung offener Fragen im Elbe-Bereich so wenig erfüllen können wie irgendwo sonst in der Politik gegenüber der DDR und anderen Ostblockstaaten.Meine Damen und Herren, das ist wahrlich ein entlarvendes Bekenntnis eines verantwortlichen Vertreters dieser Bundesregierung. Hier wird doch das Recht zum Objekt reiner politischer Zweckmäßigkeit degradiert. Dabei weiß doch diese Bundesregierung selber aus den Erfahrungen von fünf leidvollen — aber offensichtlich an Selbsttäuschung vollen — Jahren ganz genau, wie die andere Seite bis auf Punkt und Komma auf rechtliche und vertragliche Regelungen zu ihren Gunsten zu pochen weiß.Der dritte Einwand schließlich, bei dem wir als Antragsteller uns mit durchaus wohlmeinenden Außenstehenden auseinanderzusetzen hatten, bestand in dem Hinweis, man solle doch wenigstens den Versuch machen, in den Fragen der Deutschlandpolitik zu mehr Gemeinsamkeit zu kommen. — Nun, dazu ist die Opposition trotz der brüsken Zurückweisung von Herbert Wehner immer bereit gewesen. Nur, unter Gemeinsamkeit verstehen wir etwas mehr als die nachträgliche Billigung offensichtlicher Fehler dieser Bundesregierung. Wenn Gemeinsamkeit gewünscht wird, kann das nur heißen: voll Information über die Verhandlungsziele und laufende Konsultation über die Verhandlungsstrategie.
Eine Gemeinsamkeit im Sinne der nachträglichen Abdeckung von Fehlern und Versäumnissen kommt nun schlechterdings für unsere Opposition nicht in Frage.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit zu dem eigentlichen Kernpunkt vorstoßen. Was sind denn nun die Rechtsgrundlagen für die Aufgabe der Grenzkommission, an der Elbe eine Grenzmarkierung vorzunehmen? In der Erklärung zum Protokoll über die Aufgabe der Grenzkommission durch die beiden Delegationsleiter heißt es wörtlich:Der Verlauf der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bestimmt sich nach den diesbezüglichen Festlegungen des Londoner Protokolls vom 12. September 1944. Soweit örtlich die Grenze von diesen Festlegungen auf Grund späterer Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte abweicht, wird ihr genauer Verlauf durch die Kommission an Ort und Stelle unter Beiziehung aller Unterlagen festgelegt und markiert.Rechtsgrundlage sind also demgemäß zunächst einmal das Londoner Protokoll vom 12. September 1944 und die dazu gehörige Karte A.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerade im Grenzabschnitt Niedersachsen weicht die bestehende Grenze zur DDR in zahlreichen Fällen von den Festlegungen des Londoner Protokolls ab. Entsprechend zahlreich sind die zugrunde liegenden späteren Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte, wobei neben schriftlichen und vom Kontrollrat bewilligten Vereinbarungen auch zahlreiche mündliche oder nur durch konkludentes Handeln zustande gekommene Vereinbarungen vorliegen dürften. Zur Klarstellung möchte ich— so weiter der Parlamentarische Staatssekretär des Innenministeriums —darauf hinweisen, daß nach der eindeutigen Regelung der Erklärung zum Protokoll über die Aufgabe der Grenzkommission spätere Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte den Festlegungen des Londoner Protokolls vorgehen.Daraus folgt eindeutig, daß die Grenzkommission in dieser Frage des Grenzverlaufs an der Elbe überhaupt keinen Verhandlungsspielraum hat; sie ist an die schriftlichen Vereinbarungen der Alliierten, an die alliierten Kartenaufzeichnungen aus der damaligen Zeit und an das konkludente Handeln der Siegermächte gebunden.Konkret heißt das: Im Elbe-Abschnitt zwischen Lauenburg und Schnackenburg entspricht die Grenze seit dem 25. Juli 1945 nicht mehr dem Londoner Protokoll. Die britische Besatzungsmacht hatte den ihr zugefallenen ostelbischen Teil der Provinz Hannover abgetreten; demgegenüber sind drei westelbisch gelegene Gebiete und das Elbe-Gebiet selber in die Hoheitsgewalt der damaligen britischen Besatzungsmacht übergegangen. Die Grenze verlief fortan am rechten, östlichen Ufer der Elbe in Höhe des mittleren Niedrigwasserstandes. Soweit eindeutige schriftliche Vereinbarungen zwischen den damaligen Siegermächten nicht vorliegen — und das ist der Fall —, erfolgte die Ausfüllung der Willensabsichten der Alliierten durch die tatsächliche Übung der Vertragspartner in den Jahren 1945 bis 1950, als sie die alleinige Hoheitsgewalt in Deutschland ausübten. Für diese Interpretation sprechen auch die Motive der Gebietsabtretung, meine Damen und Herren, die in dem Übertragungsabkommen vom 25. Juli 1945 erwähnt werden. Maßgebend für die Abtretung war danach, daß die Versorgung der abgetretenen Gebiete rechts der Elbe wegen der Zerstörung sämtlicher Brücken schwierig war. Dieses Motiv rechtfertigt jedoch lediglich die Übertragung der Landgebiete jenseits der Elbe, nicht jedoch auch die Übertragung irgendeines Teils des Flusses selbst.Auch das so umstrittene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom Dezember vergangenen Jahres kommt zu der Feststellung — und ich selbst bin sogar geneigt zu sagen: zu der
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einzigen beachtenswerten Feststellung —, daß aus der Praxis der Engländer und der Sowjets in diesem Zeitraum auf den tatsächlichen Willen bei Vertragsabschluß geschlossen werden kann.Nach Abschluß des Gebietsaustauschs — so heißt es dort —und der entsprechenden Vereinbarungen auf der Potsdamer Konferenz übten die Engländer zum Teil in Zusammenarbeit mit den Sowjets die Hoheitsgewalt auf der ganzen Breite der Elbe von Schnackenburg bis Lauenburg aus. Für die sowjetische Armee gab es in den Jahren 1945 bis 1950 keinen Zweifel, daß die Elbe unterhalb Schnackenburgs zur britischen Besatzungszone gehörte. Sie duldete es, daß die Briten auf der ganzen Strombreite die Kontrolle ausübten. Die Anerkennung der britischen Hoheitsrechte auf der Elbe fand ihren besonderen Ausdruck darin, daß die sowjetischen Militärs ebenso wie die ehemaligen sowjetzonalen Behörden für ihre Boote beim International Water Team die schriftliche Genehmigung zum Befahren des Stroms einholten.Weil die sowjetische Armee den Grenzverlauf des britischen Besatzungsgebietes entlang dem östlichen Ufer der Elbe voll respektierte, weigerte sie sich noch im Januar 1950, sich auf dem Strom von den Briten einen russischen Deserteur überstellen zu lassen.
Bis zum 25. Mai 1950, dem Tag der Übergabe der Kontrollfunktion durch die Briten an den Bundesgrenzzoll, war auch von der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR nicht angezweifelt worden, daß die Demarkationslinie am Ostufer der Elbe verläuft. Am 27. Mai 1950 rügte der britische Major Breffit ausdrücklich, daß seitens der Bundesrepublik Deutschland die sowjetzonalen Streifenboote nicht mehr kontrolliert wurden, und im Jahre 1952 stellte der British Frontier Inspection Service fest, daß der britische Standpunkt immer und unverändert gewesen sei, daß die Demarkationslinie am Ostufer der Elbe verlaufe.Aus all dem ergibt sich eindeutig, daß die Grenzkommission nach unserer Auffassung nicht befugt ist, eine Grenzfestlegung in der Mitte des Stromes vorzunehmen, da für einen derartigen Grenzverlauf weder der Text des Londoner Protokolls noch die kartographische Darstellung in der Karte A noch irgendwelche späteren Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte im Sinne des Zusatzprotokolls zum Grundlagenvertrag und der Erklärung zum Protokoll über die Aufgaben der Grenzkommission sprechen würden und herangezogen werden können. Eine Festlegung der Grenze auf der Mitte des Flusses könnte lediglich — wie es in einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des niedersächsischen Landtages heißt — als Ergebnis eines Vergleichs, der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR als Staatsvertrag geschlossen werden müßte, erfolgen. Ein solcher Staatsvertrag bedarf aber der Zustimmung des Bundestages in Formeines Gesetzes, da darin ein Verzicht auf Hoheitsgebiet der Bundesrepublik läge. Wegen der völkerrechtlichen Implikation und des besonderen Charakters der innerdeutschen Beziehungen, an dem wir festhalten wollen, meine Damen und Herren, betrachten wir eine solche Überlegung jedoch als nicht diskutabel.Auch eine Regelung der sogenannten praktischen Fragen, wie Fischfang, Wassersportausübung, Schifffahrt usw., kann an diesem Tatbestand nicht vorbeiführen. Eine rechtlich klare und eindeutige Grenzregelung spielt eine entscheidende Rolle. Denn es geht hier nicht nur um die Wahrung eines Rechtsstandpunktes, schon gar nicht um Rechthaberei, sondern es geht schlicht und einfach um die Wahrung konkreter Interessen der Bundesrepublik und insbesondere der anliegenden Bevölkerung, Herr Kollege Möhring. Diese Interessen sehen wir durch Sonderabkommen nicht gewährleistet. Das Transitabkommen, das angeblich den völlig freien und ungehinderten Verkehr zwischen der Bundesrepublik und Westberlin gewährleisten sollte, ist uns doch allen ein mahnendes Beispiel. Im übrigen ist es doch geradezu ein Aberwitz, was die Bundesregierung behauptet: daß nämlich die konkreten Interessen der Bevölkerung durch solche Regelungen auf dem ganzen Strom in Zukunft besser geregelt seien, wenn die Grenze in Strommitte verlaufen würde.Nun rechtfertigt die Bundesregierung ihr eventuelles Einlenken auf die östliche Forderung, die Grenze in der Strommitte zu markieren, u. a. mit Lücken in der konkreten Anwendung — und jetzt komme ich auf Ihre Fragen zurück, Herr Arndt — und Handhabung unseres Rechtsstandpunktes seit Übernahme der Hoheitsgewalt durch die Organe der Bundesrepublik Deutschland sowie mit dem Hinweis auf Aktennotizen, Briefe und Kartenaufzeichnungen, die nach 1950 vorgenommen wurden und die in der Tat ein außerordentlich widersprüchliches Bild ergeben.Ich kenne diese Papiere so ziemlich alle, auch Papiere aus dem Auswärtigen Amt, die Sie vielleicht zitieren werden. Ich scheue mich deshalb nicht, in allem Freimut zu gestehen, daß die Wahrung unseres Rechtsstandpunktes und unserer politischen Interessen auf diesem Grenzabschnitt der Elbe in den zurückliegenden Jahren durch die untergeordneten Organe — Sie, Herr Kollege Arndt, haben hier zu Recht ein Beispiel gebracht — zum Teil widersprüchlich, zum Teil ausgesprochen schludrig vorgenommen wurde. Dies hat jedoch zu keinem Zeitpunkt der früheren Bundesregierungen dazu geführt, deshalb etwa ihren grundsätzlichen Rechtsstandpunkt und ihre generelle Hoheitsgewalt aufzugeben.
— Herr Arndt, gerade wegen der unterschiedlichen Handhabung der untergeordneten Organe kam es zweimal — im Jahre 1957 unter der Regierung Adenauer, im Jahre 1964 unter der Regierung Erhard — zu einer präzisen Zusammenfassung und Darstellung des grundsätzlichen Rechtsstandpunkts und der generellen politischen Haltung bezüglich dieses Elbabschnittes.
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11742 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?
Herr Kollege Schröder, da wir dieses schon einige Monate alte Manuskript gerade hier haben mitverfolgen können und wissen,
daß hier keine Erläuterung enthalten ist, möchte ich Sie fragen, wie Sie dann erklären, daß die früheren Bundesregierungen seit dem soeben genannten Zeitraum es zugelassen haben, daß die Boote der bewaffneten DDR-Streitkräfte auf diesem Abschnitt gefahren sind?
Herr Kollege Jung, erstens haben Sie soeben nicht zugehört, als ich selber davon sprach, daß hier in der Verantwortung untergeordneter Organe widersprüchlich und schludrig verfahren worden ist,
und zweitens mache ich Sie darauf aufmerksam, daß das zu keinem Zeitpunkt dazu geführt hat, daß die verantwortlichen Bundesregierungen deshalb etwa von ihrem Rechtsstandpunkt abgewichen sind.
Und jetzt kommt in der Tat etwas Neues, was Sie nämlich noch nicht kennen: Diese beiden regierungsoffiziellen Feststellungen und Bestätigungen der vorweggegangenen alliierten Handhabungen sind ganz klar und eindeutig und zeigen, daß die Regierungen Adenauer und Erhard den Rechtsstandpunkt der früheren Alliierten voll geteilt und gestützt haben.
In einer interministeriellen Ressortbesprechung aller beteiligten Bundesministerien am 1. April 1957 in Bonn wurde der Rechtsstandpunkt noch einmal allgemein verbindlich festgelegt. Ich darf aus der Aufzeichnung dieser Besprechung zitieren:
1. Die einzig praktikable Lösung ist die Beanspruchung der gesamten Breite auf dem gesamten Abschnitt der Elbe für die Bundesrepublik Deutschland.
— Seien Sie doch nicht so ungeduldig, es kommt noch.
2. Spätere politische Gründe, die ein Entgegenkommen dringend notwendig machen würden, könnten sich an historischen Verwaltungsgrenzen und der Abtretung von Lütgenwisch und Neuhaus orientieren.
3. Eine derzeitige Anerkennung
— so die Regierung Adenauer im Jahre 1957 und von der Regierung Erhard 1964 wiederholt —
der Mittellinie könne aufgrund der Rechtslage nicht in Frage kommen, da sie einen unnötigen und ersatzlosen Verzicht auf Bundesgebiet darstellen würde.
Meine Damen und Herren, das ist die klare Zusammenfassung unter früheren Bundesregierungen trotz der unterschiedlichen und gegensätzlichen Handhabung auf unteren Ebenen gewesen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?
Selbstverständlich.
Ich muß noch einmal nachfassen. Wenn das also so ist, wie Sie es darstellen: Warum haben es dann diese früheren Bundesregierungen — wie Sie eben zitiert haben — unter CDU-Bundeskanzlern zugelassen, daß Streitkräfte der DDR auf Territorium der Bundesrepublik operiert haben? So haben Sie es ja eben dargestellt.
Diese Bundesregierungen haben das zugelassen, um unnötige politische Konflikte zu vermeiden. Das wissen Sie ganz genau.
Im übrigen wissen Sie darüber hinaus, daß die Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 1955 nicht die alleinige und volle Hoheitsgewalt gehabt hat, und drittens wissen Sie, daß die Engländer in der Politik die Dinge etwas anders zu handhaben pflegen als wir, nämlich durch eine Art des Pragmatismus, zwar gewisse Dinge laufen zu lassen, gewisse Dinge zu dulden, aber damit keineswegs einen Rechtsstandpunkt aufzugeben.
Das ist doch hier die entscheidende Frage. Hier geht es zunächst einmal um die rechtliche Grundlage, um unsere Rechtsposition, und erst in einem zweiten Teil darum, wie die Dinge in der Praxis gelaufen sind und wie sie in Zukunft in der Praxis laufen könnten.
Meine Damen und Herren, die Beteiligten akzeptierten dann folgende Formulierung, die nach Auffassung des damaligen Bundesministers für Gesamtdeutsche Fragen Ergebnis der Untersuchung der Rechtslage war — ich zitiere wieder wörtlich —: „Die Bundesrepublik Deutschland beansprucht die gesamte Breite auf der gesamten Länge der Demarkationslinie zur SBZ auf der Elbe."Drei Wochen später, im April 1957, bestätigte auf ausdrückliche Anfrage des damaligen Bundesministers für Gesamtdeutsche Fragen die Britische Botschaft diese Haltung der damaligen Bundesregierung. Ich darf aus dem Schreiben der britischen Botschaft von April 1957 zitieren: „Seit damals" — gemeint waren die Zusatzvereinbarungen vom 25. Juli 1945 — „gab es keine Erwähnung in den Kon-
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trollratsbeschlüssen über die Übertragung irgendeines Teils des Flusses zur Sowjetzone. Es wurde auf der britischen Seite vorausgesetzt, daß die Behörden der britischen Zone die Hoheitsgewalt über die volle Breite des Flusses haben."Diese eindeutige Haltung der Bundesregierung fand ihren Niederschlag auch in entsprechenden Erlassen der niedersächsischen Landesregierung. So heißt es in dem Erlaß des Innenministeriums Niedersachsens vom Januar 1960: „Die Demarkationslinie ist in ihrem örtlich erkennbaren Verlauf entsprechend darzustellen. Im Verlauf der Elbe ist sie an der jenseitigen Niedrigwasserlinie nachzuweisen, da sich die Elbe in diesem Abschnitt mit der gesamten Breite des Wasserspiegels im Bundesgebiet befindet." Das hat ein sozialdemokratischer Innenminister des Landes Niedersachsen geschrieben, meine Damen und Herren. „Werden Buhnen dargestellt, ist die Verbindungslinie der jenseitigen Buhnenköpfe als Demarkationslinie anzusehen."Im Oktober 1966 brachte die britische Regierung im Zusammenhang mit der sogenannten Aktion Kugelbake noch einmal sichtbar zum Ausdruck, daß sie ihren früheren Rechtsstandpunkt und den von der Bundesregierung übernommenen nach wie vor teilt.Schließlich und letztlich, meine Damen und Herren: Die DDR hat nicht nur im Verkehrsvertrag aus dem Jahre 1972, sondern auch für jeden äußerlich sichtbar ihre Grenze auf den Deichen des rechten Elbufers markiert. Dort befinden sich heute genauso wie an den Landgrenzen hohe Gitterzäune, die einen unmittelbar dahinterliegenden Minengürtel abgrenzen. Ihre Fischer und Wassersportler durften die Elbe bis zum heutigen Tage niemals befahren und werden es mit Sicherheit auch in Zukunft nicht tun dürfen.Auch amtliches und militärisches Kartenmaterial aus der neuesten Zeit in Hülle und Fülle, das ich aus bestimmten Gründen hier in den Einzelheiten nicht zitieren kann,
bestätigt den von den früheren Bundesregierungen eingenommenen Rechtsstandpunkt.Meine Damen und Herren, bei aller Unklarheit, die gelegentlich in den Jahren 1950 bis heute über die Handhabung des Rechtsstandpunktes an der Elbe zwischen Lauenburg und Schnakenburg aufgekommen ist — und ich bin der letzte, der das auf Grund der Kenntnis dieser Dinge etwa bestreiten würde, und ich bin der letzte, 'der das etwa abdekken würde; nicht zuletzt habe ich deshalb die harte Formulierung von der Schludrigkeit benutzt —, trotz dieser Tatbestände, trotz des Vorliegens auch gegenteiliger Dokumentationen aus diesen Jahren gibt es eine genügende Anzahl von Unterlagen und konkreten Verhaltensweisen, die nachhaltig unter Beweis stellen, daß zu keiner Zeit hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland daran gedacht war, den von den Alliierten eingenommenen Rechtsstandpunkt und die alliierte Praxis zugunsten der anderen Seite zu ändern.Meine Damen und Herren, gerade wenn es — das ist doch der Kernpunkt unserer politischen Auseinandersetzung hier widersprüchliche Unterlagen gibt — und wir wissen doch, daß es sie gibt —, hat die Bundesregierung doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diejenigen Dokumente, diejenigen Aufzeichnungen und diejenigen Karten zu präsentieren, die in unserem Interesse liegen.
Meine Damen und Herren, das ist doch der entscheidende Punkt, den Manfred Abelein meinte, als er einmal sehr hart davon sprach, daß es doch nicht unsere Aufgabe — „unsere" heißt jetzt nicht nur Opposition, sondern auch Regierung — sein könne, das Geschäft der anderen Seite zu erleichtern.Ich betone aber noch einmal ausdrücklich: Dies alles ist für die Grenzkommission weitestgehend irrelevant, denn sie hat sich ausschließlich an die alliierten Vereinbarungen und an die konkrete alliierte Handhabung von 1945 bis 1950 zu halten.Dieser Rechtsstandpunkt ist im übrigen bis in unsere Zeit hinein auch von namhaften sozialdemokratischen Repräsentanten in Bonn und Hannover geteilt worden. Bereits in der Aktuellen Stunde hatte ich auf die Auslassungen von Bundesminister Franke vom November 1972 aufmerksam gemacht, in denen er zwei Tage vor der Bundestagswahl erklärte, daß der Grundvertrag — —
— Sie werden es noch häufiger hören müssen, Herr Schäfer, auch wenn es Ihnen nicht paßt.
Dies gehört zu den wenigen Dingen, die ich von den Sozialisten gelernt habe: durch Wiederholen endlich einmal ein klares Bewußtsein herbeizuführen.
Ähnlich wie Herr Franke äußerte sich noch im März vergangenen Jahres der niedersächsische Bundesratsminister Hellmann während des Wahlkampfes — bezeichnenderweise zum Niedersächsischen Landtag — auf einer Veranstaltung in Hitzacker, in der er wörtlich erklärte — ich zitiere —:Die Bundesregierung halte auch weiterhin ihren Rechtsstandpunkt aufrecht, daß das jenseitige Elbufer die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR ist.Minister Hellmann hat diese seine Auffassung am 12. Dezember 1974 in Hannover wiederholt, wurde jedoch anschließend durch den Innenminister auf Grund Bonner Intervention zurückgepfiffen.Meine Damen und Herren, noch in der Aktuellen Stunde am 14. November vergangenen Jahres erklärte unser FDP-Kollege Wendig — ich zitiere auch dies wörtlich —:Im Grunde sollte man doch mit Genugtuung feststellen, daß sowohl die Bundesregierung als auch alle im Bundestag vertretenen Fraktionen einstimmig der Meinung sind, daß — erstens —
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11744 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
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Gegenstand der Verhandlung nicht eine Grenzziehung, sondern nur eine Beschreibung dessen ist, was hier Rechtens ist, und daß — zweitens — die Grenze am Ostufer der Elbe verläuft.
Das ist die Rechtslage, von der die Bundesregierung und wir alle ausgehen und von der auch die Besatzungsmacht 1945 ausgegangen ist.So der Herr Kollege Wendig im November vergangenen Jahres.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß als Vertreter der von dieser Problematik unmittelbar betroffenen Bevölkerung in den Gemeinden und Landkreisen an der Elbe noch einen Gedanken hinzufügen. Uns geht es hier nicht nur um die Wahrung rechtlicher, nationaler und politischer Interessen. Für uns stehen auch ganz konkrete wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel. Eine Grenzmarkierung in der Strommitte, selbst wenn sie mit Sonderabkommen verbunden ist, die die Ausübung der Fischereirechte und des Wassersports ermöglichen sollen, ist mit erheblichen Gefahren und Problemen verbunden. Ich möchte hier einmal aus einer Stellungnahme zitieren,
die die für den Regierungsbezirk Lüneburg zuständige Industrie- und Handelskammer Ende Dezember1 1974 veröffentlicht hat. In dieser Stellungnahme heißt es:Eine Benachteiligung der Wirtschaft des Zonenrandgebietes ist durch eine Grenzmarkierung in der Strommitte nicht auszuschließen, da die Erfahrungen im Berlin-Schiffsverkehr gezeigt haben, daß die DDR auch diesen Verkehr als politisches Instrument benutzt hat. Mit negativen Auswirkungen— so heißt es in dieser Stellungnahme weiter —ist darüber hinaus auch für den Fremdenverkehr sowie die Fischerei in diesem Bereich zu rechnen. Man muß jedenfalls davon ausgehen, daß sich langfristig diese Gewerbezweige unter dem Goodwill der DDR nicht erhalten oder weiterentwickeln können. Bei einer völkerrechtlichen Anerkennung der Grenze in der Strommitte der Elbe müßten trotz Sonderabkommen— so heißt es in der Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer —sämtliche den Verkehr auf der Elbe betreffenden Regelungen mit der DDR abgestimmt werden, so daß nach dem bisherigen Verhalten der DDR-Behörden ein reibungsloser Verkehr dazu auf diesem Abschnitt der Elbe nicht sichergestellt ist.Ich persönlich füge noch hinzu: Siehe Transitabkommen. Aber die Bundesregierung ist offensichtlich nicht gewillt, aus Fehlern und Erfahrungen zu lernen.Die Errichtung eines geplanten Kernkraftwerkes in Alt-Garge an der Elbe, das immerhin 300 zusätzliche Arbeitsplätze in diesem so strukturschwachen Gebiet schaffen könnte, ist ernsthaft gefährdet, wenn die DDR an den wasserrechtlichen und sonstigen Genehmigungsverfahren beteiligt wird. Der Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer Lüneburg ist deshalb voll beizupflichten, wenn es dort heißt, daß allein schon die psychologischen Momente, die Grenze der DDR verletzen zu können, Unsicherheitsfaktoren hervorrufen und zu einer Stagnation in der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Gebietes führen wird.Wir haben doch alle die Erfahrung gemacht, daß wir in der Anwendung sogenannter praktischer Regelungen, auf die ja jetzt in der Argumentation so abgestellt wird, allzu oft von der anderen Seite schlicht betrogen worden sind. Deshalb muß ich leider feststellen: Selten ist eine Regierung den Rechtsansprüchen des eigenen Landes und den konkreten Interessen der Bevölkerung so ignorant gegenübergetreten, selten ist so stümperhaft und dilettantisch mit hartgesottenen Vertragsgegnern verhandelt worden, kaum jemals hat eine Regierung das Parlament so im unklaren gelassen, was sie nun eigentlich tatsächlich für eine Rechtsauffassung vertritt und was ihre politischen Ziele sind.Es soll Sinn und Zweck unseres Antrages sein, hier, wenn Sie so wollen, in letzter Minute die Weichenstellung in eine falsche Richtung zu verhindern. Diese Regierung hat den rechtlichen, den nationalen, den politischen und auch den konkreten Interessen der an der Elbe lebenden Bevölkerung zu dienen. Es soll Sinn und Zweck unseres Antrages sein, eine Fehlentwicklung und ein falsches Ergebnis zu verhindern.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Möhring.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Angesichts der unfaßbaren Vorgänge in Stockholm erscheint es fast makaber, zu dieser Stunde dieses Thema in dieser Art zu behandeln. Was uns hier geboten wurde, zwingt mich allerdings zu einer ausführlichen Entgegnung.Gestatten Sie mir aber vorher als der von täglicher CDU-Polemik direkt betroffene Abgeordnete dieses Elbe-Wahlkreises, daß ich mich ein wenig mit der Art, Methode und Wortwahl der deutschlandpolitischen Sprecher der Opposition beschäftige, ehe ich zum Antrag Stellung nehme. Das ist nämlich notwendig, weil draußen im Elbebereich nach Wildwestmanier alles an Anschuldigungen herhalten muß, was diese Regierung unglaubwürdig machen, verteufeln und ins Unrecht setzen soll. „Verrat an der Elbe", „Komplizenschaft mit der SED" das sind so kleine Stilblüten von CDU-Formulierungen in Niedersachsen,
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Möhringwährend man hier bei deutschlandpolitischen Debatten oft natürlich vornehm in unterkühlter Tonart macht.Seit April des vorigen Jahres, seit Beginn dieser Verleumdungskampagne der Opposition, haben wir immer wieder daran gezweifelt, daß diese gewählte Methode nur das Machwerk einzelner naßforscher „ junger Leute" sei, wie Herr Hasselmann im Niedersächsischen Landtag meinte.
Wir merkten aber bald: Hinter dieser Serie von Halbwahrheiten, Verdächtigungen, unbewiesenen Behauptungen und dem Schüren von Mißtrauen gegen Regierung und Grenzkommission steckt System.
Die Veröffentlichung der Sonthofener Rede des großen Unionsregisseurs Franz Josef Strauß hat auch für diesen Bereich die Gesamtstrategie enttarnt,
nämlich: behaupten, anklagen, Angst machen, aber keine konkreten Vorschläge bringen.
Respekt, meine Herren Experten der CDU/CSU-Deutschlandpolitik — falls es bei Ihnen überhaupt so etwas gibt —; Ihre Lektion haben Sie sehr frühzeitig und gut gelernt!
Sie werden sich es aber gefallen lassen müssen, daß wir dies bemerkt haben und daß wir Ihr Propagandagebäude auseinandernehmen, denn der Sinn und Zweck dieser Verunsicherungsmethode ist offensichtlich: Die Bevölkerung in Lüneburg, in Lüchow-Dannenberg und in Uelzen soll systematisch in Angst und Schrecken versetzt werden, damit sie dann desto bereitwilliger in die Arme der sicherheitsgarantierenden CDU flüchtet, wenn dies 1976 als Wahlschlager angeboten wird.
Wie hier mit den Gefühlen unserer Bürger Schindluder getrieben wird, ist einfach unverantwortlich — und unmenschlich.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wecken in voller Kenntnis der Problematik — ich wiederhole: in voller Kenntnis der Problematik —zu einem Zeitpunkt Hoffnungen, wo absolute Nüchternheit und Verschwiegenheit angebracht ist, um unsere Verhandlungsposition nicht fahrlässig zu gefährden.
Es bleibt daher festzuhalten: Für das Ergebnis dieser verantwortungslosen Emotionalisierung werdeneines Tages Sie ganz allein die Verantwortung zu tragen haben.Ich komme nun zu dem vorliegenden Antrag der Opposition. Er gehört in die Serie der Propagandaaktivitäten, die um die Elbgrenz-Problematik aufgebaut wurden, und zwar allein zu dem Zweck, durch ständige Wiederholung unbewiesener Behauptungen den Anschein zu erwecken, als hätte die Opposition den Stein der Weisen gefunden. Dies dann noch im Parlament durch Beschluß absegnen zu lassen, ist eine mir bereits längst bekannte Methode angesichts der zahlreichen Resolutionen und Entschließungen in Gemeinderäten und in den Kreistagen dieses Wahlkreises, wo selbstverständlich dann hinter den Kulissen die genormte Handschrift der CDU-Experten sichtbar ward.Ein Musterbeispiel dafür ist der Bericht von einer Zusammenkunft des CDU-Kreisverbandes Lüchow-Dannenberg, in der — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin — „übereinstimmend festgestellt wurde, daß die Grenze der Bundesrepublik zur DDR am rechten östlichen Ufer der Elbe verläuft".
Hier reicht also ein Parteimehrheitsbeschluß aus, um Grenzfragen zu klären! Nun gibt es hier doch die sehr richtige Aussage des Kollegen Schröder, die er hier und auch in seinem Interview vom 22. April wiederholt hat, nämlich, daß die Grenzkommission nur etwas Vorhandenes markieren darf.
Da Herr Kollege Schröder aber in dieser Parteizusammenkunft anwesend war, müssen doch wohl den Anwesenden unanfechtbare Beweise dafür auf dem Tisch gelegen haben, daß die Elbgrenze am Ostufer verläuft,
denn er hat ja diesem Beschluß nach Zeitungsmeldung nicht widersprochen.
Und hier komme ich jetzt zu einem Zentralpunkt des Problems. Seit dem vorigen Jahre fragen wir Sozialdemokraten die Opposition immer wieder nach den unumstößlichen Beweisen, ihrer mit soviel Lautstärke vorgetragenen Behauptungen, nämlich nach dem, was Kollege Schröder mit „Vorhandenem" meint. Wenn sie diese Beweise besitzt, soll sie sie endlich hier auf den Tisch legen. Sie soll sie vor allem unserer Delegation in der Grenzkommission geben, damit deren Position gestärkt werden kann. Hier hat die Opposition die Chance, einen praktischen Beitrag zur Deutschlandpolitik zu leisten, aber nicht nach dem soeben verkündeten Motto: „Recht ist, was praktisch ist". Das kann keine Position sein, die rechtlicher Nachprüfung standhält. Aber unsere Rechtspositionen müssen rechtlichen Nachprüfungen standhalten. Oder werden uns die „unumstößlichen Beweise" bewußt vorenthalten, um uns in Schwierigkeiten zu bringen? Will man etwa
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11746 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Möhringden Tatbestand schwierigster Gespräche zur Grenzfeststellung und -markierung ausnutzen, um die ganze, von dieser Opposition so ungeliebte Ostpolitik auszuhebeln? Ich kann mir soviel Rabulistik nicht vorstellen. Aber nach dem Strickmuster der Sonthofener Rede ist natürlich künftig alles möglich.
Wie ist es nun mit den Beweisen bestellt? Herr Kollege Schröder, einer Ihrer „unumstößlichen Beweise" — ich denke noch an den Anfang unserer Debatten — war die Karte „A" des Londoner Protokolls. So haben Sie es jedenfalls monatelang im vorigen Jahr behauptet. Damit wir uns in keiner Weise mißverstehen, darf ich hier einmal folgendes einflechten: Diese sozialdemokratische Bundestagsfraktion wünscht genauso wie alle Bürger im Elbebereich, daß es absolut schlüssig und zweifelsfrei gelingen möge, den von den Alliierten gewollten Grenzverlauf an der Elbe so weit als möglich ostwärts nachzuweisen! Ich sage dies so ernst, damit Sie nicht weiterhin die Unterstellung verbreiten, wir würden die Elbe verschenken.
Nun hat uns die Opposition ein als sehr beweiskräftig in der Presse hochgejubeltes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes angeboten. Doch was muß man dort lesen? Ich zitiere wieder mit Genehmigung der Frau Präsidentin:Das Londoner Protokoll vom 12. September 1944 erwies sich jedoch als nicht praktikabel, zumal die Karte „A" keine exakte Grenzfestlegung ermöglichte und offensichtlich nur eine Übersichtskarte für militärische Zwecke war.Herr Kollege Schröder, soll ich aufzählen, wie oft Sie das Gegenteil behauptet haben? So kann man das ganze Gutachten qualifizieren. Ich komme jedenfalls zu den genau entgegengesetzten Erkenntnissen wie Sie: Dieses Gutachten zeigt in keiner Weise Indizien dafür auf, daß es eindeutige und durchgehende Rechtsstandpunkte früherer Bundesregierungen gegeben hat, wie sie hier per Antrag bekräftigt werden sollen. 1964 hat Bundeskanzler Erhard ein Gutachten erstellen lassen, das nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Der Wissenschaftliche Dienst sagt dazu — ich zitiere wieder mit Genehmigung —:Ob dieses tatsächlich der Standpunkt der Bundesregierung war, ist nicht festzustellen.
Wie wäre es aber, wenn wir uns bei einer anderenStelle ein wenig aufhielten? Da heißt es - ich zitiere -:Als sich im Mai 1950 die Briten aus Schnackenburg ganz zurückzogen, hörte die Volkspolizei auf, um Genehmigung— und ich füge ein: zum Befahren der Elbe -nachzusuchen.Wer hat damals eigentlich diese Kontrollrechte übernommen, wenn Ihr heutiger Standpunkt stimmt, daß die ganze Elbe Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ist?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein ?
Nein, ich möchte keine Zwischenfragen gestatten. Ich möchte meine Entgegnung logisch zu Ende bringen.
Wer unterließ es, dafür zu sorgen, daß das Befahren dieses Hoheitsgebietes auf der ganzen Breite durch bewaffnete Boote der DDR bis auf den heutigen Tag, und zwar oft willkürlich, mit allem Nachdruck verhindert wurde? Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt — und das ist hier in dem Frage- und Antwortspiel bereits durch den Kollegen Jung angedeutet worden —, war damals ein gewisser Konrad Adenauer Kanzler der Bundesrepublik. Er gehörte der CDU an und nicht der SPD. Das muß erwähnt werden, wenn schon Parteipolemik und „Verrat an der Elbe" in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielen sollen.Warum, frage ich Sie, hat er eigentlich nicht dieses Hoheitsgebiet während seiner ganzen Amtszeit verteidigt? Warum haben nicht seine Nachfolger Erhard und Kiesinger — beide Angehörige Ihrer Partei — diese permanente Verletzung unseres — ich betone: unseres — Hoheitsgebietes durch die DDR verhindert? War es wirklich nur Schludrigkeit, wie Sie es eben gemeint haben, oder hat er vielleicht Zweifel am eigenen Rechtsstandpunkt gehabt? Dies ist nicht angesprochen worden. Gibt es denn wenigstens Beweise dafür, daß die CDU als Partei vor 1974 nach rückwärts durchgängig und entschlossen die ganze Elbe als Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland reklamiert hat, wie sie es jetzt so entschieden tut?Ich behaupte nicht nur, sondern ich klage an, daß diese stümperhafte, naive und schwächliche Deutschlandpolitik voraufgegangener CDU-Regierungen erst die eigentliche Ursache dafür ist, daß wir heute in der Grenzkommission vor fast unlösbaren Problemen stehen.
In Wirklichkeit hat die Tatenlosigkeit dieser früheren Regierungen dazu geführt, daß heute auf der Elbe hoheitliche Willkür herrscht und eine trügerische Scheinsicherheit. Ich sage dies — auch solche Argumente sind vor Ort einmal verteidigt worden — an die Befürworter des Status quo.Dieses dubiose Gemisch von Gewohnheitsrechten und ungeklärten Grenzfragen, mit dem frühere Bundesregierungen und jetzt auch wir dank der Tatenlosigkeit bis heute leben mußten und leben müssen, reicht als verbindliche Auflage für unsere Delega-
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Möhringtion keinesfalls aus. Die Basis der Grenzfeststellungen — das haben Sie ja nicht bestritten, Herr Kollege Schröder — für die Grenzmarkierung und für die Verhandlungen über die Nutzung kann ausschließlich nur sein, was im Aufgabenkatalog der Kommission aufgelistet ist. Hinzu kommt das sehr hoch einzuschätzende Verhandlungsgeschick unserer Delegationsmitglieder.
Oder haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, schon vergessen, welch wirklich hervorragendes und praktikables Ergebnis wir in der Lübecker Bucht erreicht haben? An dieser Stelle ist daher ein ganz besonderer Dank an unsere Delegation angebracht!
Die Sicherstellung der ungehinderten Nutzung der ganzen Elbe ist bereits Auftrag der Kommission und muß daher nicht noch einmal wiederholt werden. Dazu gehört auch der ungehinderte Berlin-Verkehr.Ich habe das Gefühl, daß durch solche stereotypen Wiederholungen nichts weiter erreicht werden soll, als in der Bevölkerung Mißtrauen gegenüber unserer Regierung und der Grenzkommission aufzubauen.
Genau dies aber wird Ihnen mit einem solchen Propagandaantrag nicht gelingen. Denn ich habe festgestellt, es ist ein Antrag, hinter dem nicht einmal Ihre ganze Fraktion steht; es sind ja nur 44 Unterschriften vermerkt, d. h. Herr Schröder und 44 Genossen, wie es ja parlamentarisch heißt. Mit großem Respekt stelle ich daher fest, daß es auch in Ihren Reihen Kollegen gibt, die diese pauschale Propagandamasche nicht mitmachen.
Der von mir sehr geschätzte Kollege Leisler Kiep ist sicher geneigt, bedeutend differenzierter zu denken als Sie.Das gleiche trifft aber in noch stärkerem Maße auf die Kollegen im Niedersächsischen Landtag zu, die Herren Brandes, Dr. Blanke, Bosselmann, Dierkes, Hartmann, Scharnhorst, Stender und von Soosten. Diese Herren der CDU gehören nämlich dem Ausschuß für Rechts- und Verfassungsfragen an. Dort hat sich etwas ganz Unerwartetes — oder soll ich etwa sagen: etwas ganz Normales? — ereignet. Ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin:Der Ausschuß für Rechts- und Verfassungsfragen des Niedersächsischen Landtages hat in seiner Sitzung am 17. April— also vor wenigen Tagen —einstimmig beschlossen, dem Landtag zu empfehlen, den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion betreffend Markierung der Elbgrenze zur DDR im Verlauf der Elbe in folgender Fassung anzunehmen:1. Der Ausschuß für Rechts- und Verfassungsfragen ist nach den Darlegungen der Landesregierung zu der Auffassung gekommen, daß die Sach- und Rechtslage— ich darf mit eigenen Worten einfügen: dafür ist er ja wohl qualifiziert und zuständig —an der Elbe und durch die Gespräche in der Grenzkommission gegenüber dem bisherigen Zustand nicht verändert worden ist.2. Die Landesregierung wird ersucht, durch den Vertreter des Landes Niedersachsen in der Grenzkommission und bei der Bundesregierung weiterhin darauf hinzuwirken, daß bei der Markierung der Grenze und der Ordnung der Grenzverhältnisse im Bereich der Elbe zwischen Lauenburg und Schnackenburg die Rechte der Bundesrepublik Deutschland auf der Elbe und die Interessen der Menschen in diesem Raum voll gewahrt werden.Wenn es eine Resolution gibt, die auch ich unterschreiben würde — falls ich überhaupt Resolutionen unterschreibe —, dann ist es diese. Hier wird von der CDU Vertrauen in unsere Regierung und unsere Kommission gesetzt. Ich meine, nur auf diesem Wege sind Erfolge für unsere Bundesrepublik möglich, nicht über den Weg von Mißtrauen und Gehässigkeit.Nur: Herr Brandes von der CDU, Vorsitzender dieses Ausschusses, hat seine von Weitsicht und kluger Nüchternheit bestimmte deutschlandpolitische Rechnung anscheinend ohne den Wirt, pardon, ohne Herrn Carstens gemacht. Laut Pressemeldung der FAZ wurden die Hannoverschen UnionsChristen durch den Parteitag der Niedersachsen-CDU in Oldenburg am 19. April, also zwei Tage später, von Herrn Carstens auf die Anklagebank gesetzt und vergattert. Ein Parteitagsbeschluß soll nun dafür sorgen, daß soviel Vertrauen in die Deutschlandpolitik nicht wieder vorkommt. Ich hatte immer gemeint, der Spruch „Die Partei hat immer recht" sei bei der CDU nicht besonders beliebt.
Ich gratuliere Hern Carstens zu seinem Führungsstil, vor allem aber zu seiner Auffassung vom Recht auf Meinungsfreiheit eigener Parteifreunde draußen im Lande. Unsere niedersächsische SPD-Landtagsfraktion wird jedenfalls Herrn Brandes unterstützen.Abschließend möchte ich noch drei Probleme verdeutlichen:Erstens. Wir verbitten es uns, daß von der Opposition in der öffentlichen Diskussion ständig gewollt die Begriffe „feststellen" und „verhandeln" vertauscht werden, um den Bürger bewußt in die Irre zu führen. Ich betone, die Grenzkommission hat nur die Aufgabe, die Grenze zur DDR auf Grund alliierter Vereinbarungen im einzelnen festzustellen und zur Regelung sonstiger mit dem Grenzverlauf im Zusammenhang stehender Probleme beizutragen. Ein Verhandlungsspielraum ist noch nicht einmal millimeterweise gegeben. Grenzänderungen oder Gebietsabtretungen stehen deshalb — trotz aller gegenteiligen polemischen Behauptungen — nicht zur Debatte. Dies ist eine zentrale Feststellung. Der Begriff „verhandeln" ist daher nur für die Regelung der im Zusammenhang mit der Grenzfeststel-
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11748 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Möhringlung stehenden Probleme, wie Schiffahrt, Fischerei, Gefahrenabwehr usw., erlaubt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ?
Nein!
Es scheint mir wichtig, dies der Öffentlichkeit immer wieder deutlich zu machen, weil die Opposition bei ihrer Vernebelungstaktik an der Elbe bleibt und diesen Unterschied verschweigt.
Herr Kollege Schröder verlangte in seinem Interview die öffentliche Behandlung dieser schwierigen Materie. Genau das ist die Methode, jede Erfolgsaussicht von vornherein zum Scheitern zu bringen.
Diese schwierigen und problembeladenen Gespräche in der Kommission sind unter Herbeiziehung alliierter Unterlagen nur sehr zähe und sehr vertraulich möglich. Wenn der Verhandlungspartner erwarten muß, daß diese Gespräche, die nicht in Einzelpassagen abgeschlossen sind, vorzeitig auf den Marktplatz gezerrt werden, ist dies ein Grund, nicht weiter zu verhandeln. Das gilt nicht nur für die Verhandlungsmethodik mit der DDR; das gilt für alle anderen Staaten auch. Wer dies tut, ist ein diplomatischer Stümper. Ich habe aber den schlimmen Verdacht, daß die Absicht der CDU/CSU ist, alle Gespräche so stark zu stören oder zu unterbinden, daß es keine deutschlandpolitischen Erfolge dieser Regierung mehr gibt.
Aber auch diese Absicht haben wir erkannt.
Wir werden Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, den Gefallen nicht tun, Ihre unverantwortliche Geschwätzigkeit, die schon so viel irreparablen Schaden angerichtet hat, mit Ihnen draußen zu teilen.
Aus diesem Grunde werden wir auch niemandem den Gefallen tun, uns mit den sicher sehr interessanten, aber fragwürdigen Informationen des „Stern" von heute öffentlich zu beschäftigen. Ich kann mir vorstellen, mit welcher Neugier und Freude die DDR heute Ihren Ausführungen in der Debatte lauscht.
Niemals kommt sie besser an Informationen über unsere Verhandlungs-Schwachstellen heran als dadurch, daß Sie von der Opposition diese per Fernsehen und Rundfunk frei Haus liefern. Denken Sie doch bitte einmal ernsthaft über diese Ihre selbstgewählte Rolle nach und darüber, daß Sie Gefahr
laufen, permanent das Geschäft der DDR zu besorgen.
Der Antrag verlangt zuletzt, daß die Dokumente dem zuständigen Ausschuß vorgelegt werden. Ich kann nur einfach feststellen: Dies ist geschehen und wird immer wieder vom Innenminister angeboten. Diese Forderung geht also schlichtweg an der Wirklichkeit vorbei.
— Ich meine den Innenausschuß.
Fahren Sie bitte fort, Herr Redner.
Ich bitte, mich nach Möglichkeit nicht zu unterbrechen.
Nein, nein.Sollten die Antragsteller aber denn Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen gemeint haben, so kann ich auch hier beruhigen: In einer geheimen Sitzung wurden die Mitglieder beider Ausschüsse am 6. Dezember 1974 — ich war dabei — an Hand aller Dokumente ganz genau unterrichtet. Der Innenminister bot für den Fall, daß es noch Fragen geben sollte, jedem einzelnen immer wieder an, Einblick in alle Dokumente zu geben.
Es ist auch festzustellen, daß bisher ganz wenige von diesen gebotenen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben. Sie können nicht sagen, daß Sie von den Möglichkeiten nichts gewußt haben.
Ich wiederhole nun den Standpunkt der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und der Sozialdemokratischen Partei, auf den Sie ja auch gespannt sind: Wir wollen, daß die ganze Breite der Elbe künftig für alle ungehindert nutzbar ist. Wir wollen, daß die Menschen an der Elbe frei von Furcht und Willkür leben können.
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MöhringWir wollen, daß es auch in diesem Grenzabschnitt zwischen den beiden deutschen Staaten künftig ein geregeltes und geordnetes Nebeneinander gibt, um eines Tages zu einem Miteinander kommen zu können. Wir wollen, daß Friede ist an und auf der Elbe und daß die Gewalt kein Mittel der Politik sein darf. Wenn diese unsere Position durch geschicktes Verhandeln und durch zähes Verhandeln zu erreichen ist, dann ist das mehr wert für die Menschen als theoretischer Streit um Feststellungen, auf die wir keinen Einfluß haben, wo nicht markierbare Grenzen in oder am Wasser verlaufen können.Ich kündige schon jetzt für meine Fraktion an, daß wir diesen Antrag wegen seiner Ungereimtheiten, die ich aufgezeigt habe, ablehnen werden, weil die Deutschlandpolitik keine Propagandaanträge verträgt und weil unsere Delegation in der gemeinsamen Grenzkommission frei bleiben muß von solchen subjektiven Zwängen.
Ich beantrage Überweisung des Antrages an den Innenausschuß — federführend —,
weil das Innenministerium grundsätzlich für alle Grenzfragen zuständig ist, und zur Mitberatung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und an den Rechtsausschuß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wendig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Hinblick auf die schwerwiegenden Ereignisse des heutigen Tages bedauere ich es sehr, daß wir so polemisch über eine Frage sprechen und diskutieren müssen, die so polemisch gar nicht behandelt zu werden braucht.
Deswegen will ich versuchen, mich kurz zu fassen und das, was es für mich und meine Fraktion — ich bin ja auch angesprochen — zu sagen gilt, in aller Kürze und Nüchternheit und jenseits aller Polemik darzustellen.Allerdings muß ich sagen: Diese Anfrage ist keine gute Sache. Ich meine dies nicht etwa in dem Sinne, daß sie deshalb schlecht wäre, weil sie möglicherweise unbequem ist, Herr Kollege Schröder; auch unbequeme Fragen sind bisweilen notwendig und gehören zum System unserer parlamentarischen Demokratie. Aber diese Anfrage ist deshalb nicht gut, weil sie, was das Interesse der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürger angeht, weder zur rechten Zeit noch in der rechten Form vorgebracht wird.
Ich werde auch gleich erläutern, was ich damit meine.Aber gestatten Sie mir zunächst eine allgemeine politische Andeutung, die in diesem Hause eigentlich längst fällig gewesen wäre. Die CDU/CSU betreibt ihre Opposition sozusagen auf drei Schienensträngen. Ich fasse sie einmal zusammen: a) die Behauptung von der wirtschaftspolitischen, b) die von der sicherheitspolitischen und schließlich c) die von der deutschland- und das heißt dann auch nationalpolitischen Unzuverlässigkeit dieser Regierung und der sie tragenden Parteien. Heute ist wieder einmal der Komplex c an der Reihe, und dabei erregt es mein beinahe grenzenloses Erstaunen, mit welcher Unbekümmertheit eine angeblich nationalpolitische Unzuverlässigkeit oder Schludrigkeit der Bundesregierung angesichts einer Situation in Deutschland behauptet wird, die sicher primär Folge eines verlorenen Krieges und der nachfolgenden Besatzungspolitik ist, die aber auch, meine Damen und Herren, auf unserer Seite nicht ohne die Politik CDU-geführter Bundesregierungen nach 1949 vorstellbar ist. Auch das muß einmal gesagt werden.
Ich will hier nicht alte Geschichten erzählen oder an alte Wunden rühren, obwohl ich meine, daß man einmal aus anderem Anlaß, nicht im Zusammenhang mit diesem Antrag, über die Geschichte unserer Bundesrepublik nach 1949 unter diesem Aspekt, den ich nur ganz kurz angedeutet habe, einiges wird sagen müssen. Heute im Zusammenhang mit den Grenzmarkierungen an der Elbe sei dies von mir nur als Hintergrund angedeutet. Aus all diesen und auch aus anderen Gründen, die hier schon genannt worden sind, aber hätte die Union heute allen Anlaß mit den Dingen etwas behutsamer umzugehen, und nicht, wie schon früher geschehen, ein wenig naßforsch von „Verrat", von „Verzicht", vom „In-dieKnie-Gehen" und anderem zu sprechen. Wem, meine Damen und Herren, ist damit gedient?Ich kommen nun aber zu dem Antrag selbst. Er zeugt von keinem großen Fingerspitzengefühl, mag es auch Bürger geben, die dies noch nicht erkennen. Mit cien Verhandlungen der Grenzkommission ist es wie mit Verhandlungen im diplomatischen Bereich, wobei ich, um Mißverständnissen vorzubeugen, sogleich betone, daß deutsch-deutsche Verhandlungen selbstverständlich auch für mich und meine Freunde keine Außenpolitik sind. Sie hängen aber gerade dann, wenn man auf Rechtsgrundlagen der Grenzziehung eingeht, mit der Politik der ehemaligen Besatzungsmächte zusammen und sind damit auch zu einem Stück Außenpolitik geworden. Es ist sicher das gute Recht des Parlaments, grundsätzlich Fragen jeden politischen Kurses offen, d. h. vor aller Öffentlichkeit, zu diskutieren. Darum geht es hier aber nicht.
— Moment! In Einzelfragen, mögen sie für sich gesehen noch so wichtig sein, ist es allerdings nicht unbedingt vertretbar, alle Details gegenüber der Of-
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Dr. Wendigfentlichkeit — und das heißt damit auch gegenüber dem Verhandlungspartner offen darzulegen, wenn man der Sache nützen will. Darum geht es.Sie bringen die Bundesregierung und alle, die hinter ihr stehen, in eine seltsame Situation, weil die Bundesregierung sinnvollerweise nicht alles coram publico erörtern kann,
was wir als Ziel wollen, was wir aber in den Details, in der Auslegung der Rechtsgrundlagen, nicht so sagen können.
Ich sage es hier so.
Sie werden mich nicht dazu bringen, ein angeblich vorliegendes Rechtsgutachten entsprechend zu würdigen oder frühere Rechtsquellen zu Landes- und Provinzgrenzen zwischen Preußen, Mecklenburg, Brandenburg und Hannover auf der einen Seite bis hin zum Londoner Protokoll auf der anderen Seite, aber auch andere Rechtsgrundlagen zu werten, die Ihnen — das möchte ich betonen — in beiden Ausschüssen, dem Innenausschuß ebenso wie dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen, vorgelegen haben. Darüber hinaus haben sich der oder die zuständigen Minister bereit erklärt, Ihnen weitere Unterlagen, sofern sie angefordert würden, vorzulegen. Im Grunde genommen können solche Dinge nur auf diese Art und Weise behandelt werden.Im Grunde genommen, meine Damen und Herren, ist mehr oder etwas anderes auch gar nicht möglich und notwendig, weil die Bundesregierung — darüber sind wir uns doch alle einig, und deswegen verstehe ich den Streit nicht — echte Grenzverhandlungen gar nicht führen kann, nämlich solche Grenzverhandlungen, die eine rechtlich bestehende Grenze verändern. Sie kann in den Verhandlungen nur feststellen bzw. gemeinsam festlegen, was, rechtlich gesehen, Grenze ist. Dies und nichts anderes ist der Auftrag der Kommission, und deshalb muß man Verständnis dafür haben, daß die Kommission und die Bundesregierung ihre Argumente im Detail nicht sozusagen öffentlich in die Luft blasen. Das, Herr Schröder, habe ich mit dem ersten Teil der Ausführungen gemeint, die ich im November 1974 zu dieser Frage gemacht habe.Nur ein kurzes persönliches Wort zu einem zweiten Komplex, den ich auch schon in der Debatte vom November 1974 berührt habe und zu dem ich mich jetzt nochmals äußern will: Es ist sicher richtig, daß die Praxis der früheren britischen Besatzungsmacht die östliche Seite der Elbe als Grenzverlauf anzunehmen schien. Als damaliger Bewohner dieses Grenzstreifens weiß ich noch sehr genau, daß wir in der Bevölkerung auf Grund dieser Praxis genauso dachten, und daß diese Vorstellung in der Bevölkerung, insbesondere in den genannten Bereichen, zum Teil heute noch vorhanden ist, will ich auch gar nicht in Zweifel ziehen. Aber — das habe ich auch gesagt, und das können Sie bitte nachlesen — die Bevölkerung hat dann auch mit Interesse, Aufmerksamkeit und teilweise auch Besorgnis die Verwaltensweisen früherer Bundesregierungen nach dem berühmten Jahr 1950 registriert, die in der Praxis gegenüber dem Tätigwerden der DDR auf der Elbe nicht immer der früheren Praxis der britischen Besatzungsmacht entsprachen. Und da kommt es nicht auf viele Worte oder Erklärungen oder mögliche interne Beschlüsse damaliger Bundesregierungen an. Sie, Herr Schröder, haben nur von Schludrigkeit gesprochen. Aber es ist doch einfach eine Tatsache, daß in bestimmten Zeiten in zunehmendem Maße die Bundesregierung und Organe auch der Bundesregierung bestimmte Verhaltensweisen der DDR auf der Elbe faktisch nicht verhindert haben.Ich wiederhole, um es noch einmal klarzumachen: Gegenstand der Grenzverhandlungen ist nur, festzustellen, was von Rechts wegen Grenze ist. Die Frage ist doch dann nur, was geschieht oder möglicherweise geschehen soll, wenn sich etwa herausstellen sollte, daß das, was Grenze ist, zuverlässig nicht festgestellt werden kann. Es fragt sich dann, ob man es bei einem solchen Schwebezustand belassen soll oder ob man, ohne die nicht festgestellte Rechtslage anzutasten, praktische Regelungen vorbereitet, die natürlich den Interessen der Bundesrepublik und ihrer Bürger in allen Fragen des Verkehrs, der Sicherheit auf dem Strom, der auch industriellen — Nutzung des Stroms und in allen anderen Dingen, die damit zusammenhängen, entsprechen müssen. Ich halte es für eine arge Zumutung, der Bundesregierung zu unterstellen, sie habe dieses Interesse nicht vorrangig im Auge. Da lobe ich mir dann den schon von meinem Herrn Vorredner zitierten Beschluß des Rechts- und Verfassungsausschusses des niedersächsischen Landtages vom 17. Mai 1974, der einstimmig, also auch mit den Stimmen der Vertreter der CDU/CSU-Fraktion, gefaßt worden ist. Dieser Beschluß ist, wie gesagt, von meinem Vorredner schon zitiert worden. Ich möchte das nicht wiederholen; im Grunde genommen habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen.Nun noch eine letzte Bemerkung zur Behandlung der Anfrage selbst. Welche Ausschüsse müssen federführend zuständig sein? Im Grunde sollte auch dieser Punkt ohne jede Polemik behandelt werden können. Bei den vielfältigen Problemen, die in den innerdeutschen Verhandlungen behandelt werden, kann praktisch — und wird auch immer wieder -der Fall eintreten, daß beinahe jedes Ressort einmal primär betroffen wird. Nur dieses Ressort kann dann auch federführend zuständig sein, natürlich unter jeweiliger Beteiligung des Ministers für innerdeutsche Angelegenheiten. Wollte man, meine Damen und Herren, ein anderes Verfahren praktizieren, müßte man das innerdeutsche Ministerium zu einem Bundeskabinett im kleinen umstrukturieren. Und was für die Ressortzuständigkeit gilt, muß logischerweise im parlamentarischen Bereich für die Zuständigkeit der Ausschüsse gelten. Diese Lösung ergibt sich zwingend, und sie ist ohne jede Diskriminierung für irgendein Ressort oder irgendeinen Ausschuß oder gar irgendeinen Abgeordneten. Dies sollte hier im Hause ohne Polemik festgestellt werden können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11751
Dr. WendigManche Fernsehmoderatoren mögen das ruhig anders sehen; ich denke da an eine bestimmte „Report"-Sendung vor einigen Wochen. Ich möchte im übrigen aber auch dadurch, daß ich hierauf nicht näher eingehe, der Opposition die Peinlichkeit ersparen, daß ich darlegen müßte, wie einflußlos leider manchmal frühere gesamtdeutsche Minister in Adenauer-Kabinetten gewesen sind. Nostalgie wie in jener „Report"-Sendung führt hier sicherlich nur zum Eigentor.Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diesen Antrag, da er nun in dieser Form gestellt ist, in dem meines Erachtens dafür zuständigen Innenausschuß erörtern. Vielleicht legt sich manche Hektik und legt sich manches Mißtrauen. Ich möchte trotz der kontroversen Diskussion heute abend hoffen können, daß es gelingen wird, in den Ausschußberatungen die sachliche und nüchterne Atmosphäre herzustellen, die allein der Sache — und das heißt, der Bundesrepublik und ihren Bürgern und damit . auch den Menschen in diesem Raum — nützt.Meine Fraktion und ich stimmen für eine Überweisung des Antrags an den Innenausschuß.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Schmude.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den Vorzeichen dieser Debatte kam ich eigentlich in der Hoffnung und Erwartung hierher, daß sich nun im Gegensatz zu vielen früheren Äußerungen aus den Reihen der Opposition bei der Behandlung dieses schwierigen Themas Elemente der Sachlichkeit und Nüchternheit durchsetzen würden. Diese Hoffnung hat sich durch Ihren Beitrag, Herr Kollege Schröder, leider nicht erfüllt;
ich kann nur weiterhin hoffen, daß es in den Ausschüssen möglich sein wird, zu der notwendigen Sachlichkeit zu kommen.Nur wenige Probleme von vergleichbarer Bedeutung aus dem Bereich der innerdeutschen Verhandlungen sind im Innenausschuß und im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen so intensiv behandelt worden wie dieses Problem. Im Innenausschuß ist auf diese Problematik bereits am 23. Januar 1974 deutlich aufmerksam gemacht worden. Im September 1974 wurde der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen anläßlich einer Reise durch das Zonenrandgebiet durch unseren Delegationsleiter unterrichtet. An Ort und Stelle konnte die Problematik damals vertieft werden. Am 6. November des vergangenen Jahres ist Herr Minister Franke im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen auf den Sachverhalt eingegangen, und am 6. Dezember sind der Innenausschuß und der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen in einer gemeinsamen Sitzung durch Herrn Bundesminister Maihofer selbst weiter unterrichtet worden.In allen diesen Sitzungen, meine Damen und Herren, ist sämtlichen Mitgliedern der Ausschüsse die Einsicht in alle vorliegenden Dokumente angeboten worden. Dieses Angebot steht nach wie vor, und ich wiederhole es ausdrücklich. Insofern ist tatsächlich die Frage. zu stellen, weshalb dies nun noch einmal auf dem Weg über einen Entschließungsantrag gefordert wird.In einer erneuten sehr eingehenden Diskussion zwischen den Mitgliedern des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen und Herrn Minister Maihofer am 18. Dezember 1974 sind alle aufgetretenen Fragen noch einmal behandelt worden. Diese Beratungen haben nicht den Eindruck vermittelt, daß wichtige Komplexe unbehandelt geblieben seien. Das gilt auch für die Beratungen im Ausschuß für Rechts-und Verfassungsfragen des Niedersächsischen Landtages. Dieser Ausschuß, dem wohl niemand nachsagen möchte, er habe oberflächlich gearbeitet, ist vor einer Woche nach eingehenden Beratungen zu einer einstimmigen Empfehlung gekommen. In dieser Empfehlung heißt es ausdrücklich, der Ausschuß sei zu der Auffassung gekommen, daß die Sach- und Rechtslage an der Elbe durch die Gespräche in der Grenzkommission gegenüber dem bisherigen Zustand nicht verändert worden sei.Für die Grenzfeststellung sind allein die Festlegungen der damaligen Alliierten maßgebend, meine Damen und Herren. Hieran hält sich unsere Delegation, in der auch die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern vertreten sind. Grenzänderungen oder gar Gebietsabtretungen stehen deshalb — trotz aller gegenteiligen Behauptungen aus den Reihen der Opposition — nicht zur Debatte. Verhandlungsspielraum besteht hingegen bei der Lösung praktischer Probleme. Vereinbarungen auf diesem Gebiet können gerade Unzuträglichkeiten, die der Grenzverlauf mit sich bringt, mildern und ausräumen. Bezüglich dieses Aufgabengebiets hat' die Grenzkommission bereits Vereinbarungen über allgemeine Grundsätze zur Schadensbekämpfung und zur Instandsetzung von Grenzgewässern erarbeitet.Auch für den besonderen Fall der Lübecker Bucht ist eine Vereinbarung abgeschlossen worden, die die Ausübung der Fischerei durch Lübecker Stadtfischer in dem Teil der inneren Lübecker Bucht absichert, der zur DDR gehört.Ebensowenig wie die Probleme in der Lübecker Bucht nicht mit der Grenzfeststellung gelöst waren, sondern daneben Regelungen wie die über die Fischerei nötig wurden, ist dies an der Elbe der Fall. Für die Bundesregierung ist es auch dort nur vorstellbar, daß die Gesamtheit der Probleme in ihrem Zusammenhang gelöst wird, und zwar so, daß unsere Rechte und Interessen voll gewahrt werden. Dabei werden sich keine Verschlechterungen, sondern Verbesserungen gegenüber den jetzigen unbefriedigenden, unklaren und unsicheren Verhältnissen ergeben.Mit dem Wunsch nach einer nüchternen, sachlichen und auch im politischen Bereich gleichermaßen qualifizierten Weiterbehandlung der Problema-
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Parl. Staatssekretär Dr. Schmudetik in den Ausschüssen verbinde ich den Wunsch, eine Darlegung von Einzelheiten in diesem Hause zu vermeiden, obwohl, Herr Kollege Schröder, die Einzelheiten, die Sie vorgetragen haben, durchaus dazu reizen würden, sie einmal näher zu behandeln und aufzuzeigen, wie leichtfertig die Darstellung hier zum Teil zum wesentlichen Teil — gewesen ist.Die Dinge, die in der Öffentlichkeit erörtert werden können — leider auch einiges mehr —, sind vor allem in der Aktuellen Stunde am 14. November des vergangenen Jahres sowie in einigen Fragestunden, besonders am 6. und 14. November 1974, zur Sprache gekommen. Ich halte mit allem Nachdruck daran fest, daß eine öffentliche Erörterung unserer Erfolgschancen in den Gesprächen und Verhandlungen mit der DDR nicht angebracht ist, daß längst viel zu viel vertrauliches Material durch Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt ist
und daß es unseren gemeinsamen Bemühungen zuwiderlaufen muß, wenn gerade die anfechtbarsten Argumente mit der größten Lautstärke verkündet werden.
Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Schröder, daß Sie im Erfinden solcher Argumente sehr befähigt sind. Denn Sie haben neuerdings die Überlegungen hinsichtlich des Kernkraftwerks, dessen Errichtung nicht mehr möglich sei, hier angestellt. Ich frage mich wirklich, was ich mehr bedauern soll: daß Sie eine derart haltslose rechtliche Ausführung hier vorbringen oder daß Sie der DDR nun auf diesem Wege noch neue Argumente liefern, auf die man dort vielleicht gar nicht gekommen wäre.
Betroffen hat mich vor allem die Gehässigkeit der öffentlichen Auseinandersetzung, wie sie gerade in den Beiträgen einiger — um mit Herrn Hasselmann in Hannover zu sprechen — „junger Leute" in den Landtagsdebatten dort und auch in publizistischen Beiträgen zum Ausdruck gelangt ist. Begriffe wie Verzicht, Verrat und Komplizenschaft mit der SED müssen aus dieser Diskussion endlich verschwinden! Sie sind unangebracht bei einem so komplizierten Problembereich, der ja nicht erst diese Bundesregierung beschäftigt hat, sondern alle seit 1949. Wie unbefriedigend die Bemühungen früherer Regierungen geblieben sind, ist für jeden offensichtlich. Sie, Herr Kollege Schröder, haben hier heute zum ersten Mal dankenswerterweise deutlich gemacht, daß auch Sie das sehen. Es ist, wie gesagt, für jeden offensichtlich, der die Verhältnisse auf der Elbe wirklich zur Kenntnis nehmen will. Nicht erst seit 1969 patrouillieren dort bewaffnete Boote der DDR-Grenztruppen.Ich muß hinzufügen: Die Behauptungen, die hier über den Zeitraum von 1945 bis 1949 aufgestellt werden, sind in dieser einfachen Form auch nicht gerechtfertigt, halten einer Nachprüfung so nicht stand.
Sie sollten nicht wiederum auf das angebliche Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages verweisen, da Sie doch wissen, daß sich gerade dieser Teil des Gutachtens - ausschließlich —, auf Zeitungsberichte neueren Datums stützt, die Sie zum wesentlichen Teil selbst initiiert haben.
Wenn Sie also wollen, können Sie die Autorenschaft für diese wissenschaftlichen, wie Sie es sagen, Ausführungen zum großen Teil selbst beanspruchen. Aber konstruieren Sie doch nicht Autoritäten, die Sie dann hier einführen!Oberflächlichkeit im Umgang mit Tatsachen und in der juristischen Argumentation hilft in der Auseinandersetzung mit der DDR nicht weiter. Solche Oberflächlichkeit im Umgang mit Zitaten muß ich Ihnen heute allerdings wieder bescheinigen, wenn ich hier erlebe, daß Herr Bundesminister Franke hier zum wiederholten Male falsch zitiert wird — und das, nachdem sein Parlamentarischer Staatssekretär Herold in der Fragestunde des Deutschen Bundestages Gelegenheit hatte, die Darstellung richtigzurücken. Anscheinend setzt sich richtiges Zitieren nicht durch. Sie haben Gefallen daran gefunden, die ursprüngliche Zitierweise beizubehalten.
Das gilt auch für das Zitat, das Sie aus meinem Beitrag im „Pressedienst" jetzt wiederholt aufgegriffen haben, jenem Beitrag, in dem es doch ganz eindeutig heißt — ich möchte hier einmal selbst zitieren —:Unzweifelhaft hat die Grenzkommission den genauen Grenzverlauf festzustellen und zu markieren. Maßgebend dafür sind die Festlegungen des Londoner Protokolls und abweichende spätere Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte. Diese durch Protokollerklärungen zum Grundvertrag mit der DDR umrissene Aufgabe der Grenzkommission schließt nicht im geringsten die Befugnis ein, die Grenze zur DDR zu verändern und über Hoheitsgebiete des einen oder anderen Staates zu verfügen.Dies zitieren Sie bemerkenswerterweise nicht; Sie zitieren einen Satz — zu dem ich allerdings auch nach wie vor stehe —, daß die Bundesregierung übersteigerte Anforderungen nicht erfüllen kann. Sie wird Ihnen auch, sollten Sie es vorhaben, die Freude nicht machen, sich daran zu versuchen und damit zu scheitern. Dies war noch niemals die Politik dieser Bundesregierung.Noch unerfreulicher scheint mir die Unbedenklichkeit, mit der in den vergangenen Monaten von internen und sogar vertraulichen Unterlagen der zustän-
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Parl. Staatssekretär Dr. Schmudedigen Behörden in aller Öffentlichkeit Gebrauch gemacht worden ist. Mit der gleichen Rücksichtslosigkeit, mit der man in Kauf nahm, daß die DDR dadurch Einblick in Interna der westlichen Seite erhielt, ist auch, teils unvollständig, teils aus dem Zusammenhang gerissen und teils regelrecht falsch zitiert worden. Ich erwähne dies besonders deshalb, damit sich die DDR nicht der trügerischen Hoffnung hingibt, auf diese Indiskretionen ihrerseits bauen zu können.
Nachdem Sie sich wiederholt auf einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berufen, der vorgegeben hat, das authentische Protokoll der Schweriner Sitzung der Grenzkommission wiederzugeben, stelle ich dazu klar, daß der dort erweckte Eindruck falsch ist. Dies zum wiederholten Male; bei anderer Gelegenheit ist das ebenfalls schon geschehen.Ich, Herr Kollege Schröder, empfinde es als sehr leichtfertig und sehr ungerecht gegenüber unseren Beamten der Grenzkommission, wenn Sie allein diese aus dem Zusammenhang gerissenen Sätze, die auf eine Indiskretion zurückzuführen sind, benutzen, um daraus ein Verdammungsurteil über die Arbeit dieser Grenzkommission herzuleiten, die doch am Beispiel der Lübecker Bucht gezeigt hat, wie sie arbeitet und welche Erfolge sie erbringt.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ?
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zugestehen, daß die Opposition in diesem Deutschen Bundestag seit 1970, seit den Unterhandlungen des heutigen Bundesministers Bahr, allen Anlaß zur Sorge und zum Mißtrauen hat, der damals in Moskau angeblich, wie man uns hier erklärt hat, Sondierungsgespräche führte, während wir nachher erfuhren, daß längst handfeste, kompakte Abmachungen getroffen worden waren?
Ich gestehe Ihnen zu, Herr Kollege Jäger, daß die Taktik der Opposition und die Uneinsichtigkeit der Opposition seit dieser Zeit unverändert geblieben sind.
Es ist, um es volkstümlich zu sagen, die alte Masche, mit der wir hier konfrontiert werden. Ich hoffe dringend, daß diese Form der Auseinandersetzung endlich aufgegeben wird, besonders im regionalen Bereich der Elbe, wo ja manches von der hiesigen Diskussion nicht hindringt und wo mancher Lokalmatador vielleicht meint, eine besonders harte Klinge schlagen zu können, oder an anderer Stelle.
Ich wiederhole die bereits dargelegte Bereitschaft der Bundesregierung, in den Ausschüssen auf alles
einzugehen, und ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie die tatsächliche Problematik aus Ihrer früheren Tätigkeit als Minister oder Beamte kennen.
Wenn Sie, Herr Schröder — um noch einmal auf Sie zurückzukommen —, in der Tat der Meinung gewesen wären, daß Sie den Besonderheiten dieses Tages hätten Rechnung tragen sollen, dann hätte es sich doch angeboten, daß wir Ihren Antrag ohne diese — wie ich im ganzen doch meine — nicht notwendige Debatte an die Ausschüsse verwiesen hätten — eine Idee, die lange anstand; aber Sie wollen ja die öffentliche Aussprache, Sie wollen ja haarklein immer wieder in derselben Wunde rühren.
Mit voller Absicht möchte ich mich auf diese wenigen Bemerkungen beschränken und insbesondere nicht auf die Formulierungen des Antrags im einzelnen eingehen. Hierzu ist viel zu sagen, viel zu erläutern und auch viel richtigzustellen. Aber das sollte nicht hier geschehen, sondern in den Ausschußberatungen. Erleichtern Sie die Arbeit dort, meine Damen und Herren von der Opposition! Sie tun es im Interesse der politischen Fairneß, und Sie tun es gerade bei diesem Gegenstand im Interesse der Sache.
Meine Damen und Herren, hier ist verschiedentlich von einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes gesprochen worden, Erlauben Sie mir hierzu folgende Feststellung. Die Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes haben eine Ausarbeitung gemacht. Sie haben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ihnen für diese Ausarbeitung nicht mehr Material zur Verfügung stand als das, was ihnen hier vorgelegen hat. Dies nur zur Klarstellung.
— Nein, dies hat Ihnen nicht als Gutachten vorgelegen, sondern Sie haben diese Ausarbeitung von Frau Berger übernommen. Lassen wir es doch bei dieser Feststellung.
— Es gibt keine Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes an sich, sondern nur Ausarbeitungen, die den Abgeordneten bei der Meinungsfindung behilflich sein können. Es gibt also keine Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das, was Herr Staatssekretär Schmude und Herr Kollege Wendig gesagt haben, kann zum Teil auch von uns durchaus akzeptiert werden. Ich will die Teile, auf die ich mich beziehe, gerne nennen. Herr Kollege Schmude, Sie sagten, Sie wollten der qualifizierten Beratung des Ausschusses nicht vorgreifen. In ähnlichem
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Baron von WrangelSinne habe ich auch die Ausführungen des Kollegen Wendig verstanden. Herr Kollege Möhring, was ist es aber für ein seltsames Demokratieverständnis, wenn Sie meinen, hier einen noch nicht im Ausschuß beratenen Antrag ablehnen zu müssen?
Dies ist eine Denaturierung dieses Parlaments. Wir erleben das hier ja nicht zum erstenmal.Herr Kollege Wendig, mich würde es auch reizen — ich sage das ganz ehrlich —, hier über Vergangenes zu debattieren, aber ich glaube, dies ist nicht die Stunde und nicht der Tag, es zu tun.Herr Staatssekretär, ich muß Ihnen eines sagen. Der Kollege Schröder hat zu keinem Zeitpunkt — lesen Sie es im Protokoll nach — von Verzicht, Verrat, Komplizenschaft usw. gesprochen.
Dies versuchen Sie ihm zu unterstellen. Sie wollen nicht wahrhaben, daß der Kollege Schröder hier aus einer tiefen Sorge heraus spricht. Sie wollen nicht wahrhaben, daß diese Sorge durchaus ihre Berechtigung hat.
Herr Kollege Möhring, der Kollege Schröder hat hier argumentiert, aber Sie haben zur Sache außer einer vordergründigen Polemik nichts beigetragen.
Herr Staatssekretär, es ist übrigens richtig, daß die Ausschüsse sich mit dieser Materie befaßt haben. Genauso richtig ist aber auch die Tatsache, daß wir in den Beratungen gesagt haben, die Erörterungen müßten fortgesetzt werden. Ich glaube, hier besteht kein Widerspruch zwischen uns beiden. Was uns interessiert und was entscheidend ist, ist doch die Frage: Welche Dokumente — dies kann nur im Ausschuß erörtert werden — sind letzten Endes für die Verhandlungen entscheidend und welche nicht?Herr Kollege Möhring, erlauben Sie mir, Ihnen noch eines zu sagen. Sie haben hier gesagt, die CDU/CSU würde die Geschäfte der DDR besorgen. Ich will Ihnen darauf nur dies antworten: Dies ist unter dem Niveau dieses Parlaments, und deswegen gehe ich auf solche Unterstellungen überhaupt nicht ein.
Ich muß hier ein Weiteres sagen. Sie sprechen hier von einem Propagandaantrag usw. Meine Damen und Herren, es hat doch, solange es dieses Hohe Haus gibt — auch als Sie in der Opposition waren —, eine Fülle von Entschließungsentwürfen und Anträgen gegeben, die in den Ausschüssen beraten wurden, später dann ins Plenum kamen und vom Plenum verabschiedet worden sind, um gerade eine Rechtsposition der Bundesrepublik Deutschland zu untermauern. Wenn Sie das heute nicht wollen und das alles als Propaganda abtun, dann, muß ich sagen, habe ich berechtigtes Mißtrauen; denn sonst würden Sie anders handeln.
Ich glaube deshalb, daß parlamentarische Initiativen dieser Art, gleichgültig von welcher Seite sie kommen, von einer Regierung, wenn sie das will, durchaus zum Nutzen unseres Landes gebraucht werden können.Es geht hier auch gar nicht darum — ich möchte das mit aller Klarheit sagen —, die Beamten oder die Tätigkeit der Grenzkommission in Bausch und Bogen zu verurteilen. Darum geht es gar nicht. Ich tue das auch nicht, und ich weiß ganz genau, daß hier in vielen Bereichen sicherlich eine nützliche Kärnerarbeit geleistet worden ist. Ich will das ausdrücklich bestätigen. Nur, es darf doch nicht der Eindruck entstehen, daß aus dieser Tatsache der Schluß gezogen wird, hier würde vielleicht so etwas wie eine Vorleistung an der Elbe erbracht. Das darf nicht geschehen. Deswegen haben wir diesen Antrag mit dem Ziel eingebracht, ihn im Ausschuß zu beraten.Ich werde vieles, was ich ursprünglich sagen wollte, nicht sagen.
— Danke schön für den Zwischenruf, Herr Kollege!— Aber ich fühle mich als Vorsitzender des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen doch verpflichtet, auf Grund der Probleme, die im Zusammenhang mit der Überweisung angeschnitten sind, einiges zum Fragenkomplex des innerdeutschen Bereichs zu sagen. Sie müssen doch eigentlich wissen, daß man, wenn man Rechtstitel, die man hat, verschweigt, beseitigt oder relativiert,
dann sozusagen das internationale Faustrecht institutionalisieren würde.
— Ich glaube nicht, daß es da irgend etwas zu lachen gibt. Das ist gerade angesichts der weltpolitischen Ereignisse ein ungewöhnlich ernster Vorgang.
Zur Debatte steht doch die Frage, in welchem Ausschuß dieser Antrag behandelt werden soll. Die Festlegung des Grenzverlaufs im Elbeabschnitt ist keine vermessungstechnische Angelegenheit, sondern eine entscheidende rechtlich-politische Frage.
Ich möchte sehr klar sagen, daß ich mich, gleichgültig ob in der Exekutive oder in der Legislative — und für die Legislative haben wir zu entscheiden —, gegen jede Art von borniertem Ressortegoismus und Scheuklappendenken wende.
Nun ist vieles, was im Zusammenhang mit der Federführung vorgebracht worden ist, einfach nicht richtig. Ich möchte Sie mit Ihrer freundlichen Erlaubnis auf folgendes hinweisen. Zum Beispiel ist
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975 11755
Baron von Wrangeldem Auswärtigen Ausschuß, der ja von Ihrer Seite wiederholt als Beispiel herangezogen worden ist, als federführendem Ausschuß der Vertrag zur Einführung allgemeiner Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments überwiesen worden.
Der Bericht der Bundesregierung betreffend europäische Hochschulpolitik ist dem Auswärtigen Ausschuß als federführendem Ausschuß überwiesen worden.
: Hört! Hört!)
Der Bericht der Bundesregierung betreffend Fakultativprotokoll zu dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ist dem Auswärtigen Ausschuß als federführendem Ausschuß überwiesen worden.
Dieses Argument können Sie hier nicht gebrauchen.Ich möchte fragen: Wie wäre es denn in dem heute diskutierten Fall, wenn es um Verhandlungen ginge, die z. B. den Grenzverlauf mit einem ausländischen Staat beträfen?
Dies würde doch dem Auswärtigen Ausschuß überwiesen werden. Da im vorliegenden Falle auf der Gegenseite der andere deutsche Staat ist, kommt die Beratung des Antrages zwangsläufig dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu.
Meine Damen und Herren, entweder geben Sie von der Koalition der gesamtdeutschen und der Berlin-Politik — ich sage dies hier sehr bewußt — die gebührende Priorität, oder Sie entscheiden sich für einen sehr vordergründigen Opportunismus, für den Sie von der DDR sehr schnell eine Quittung bekommen werden.
Die Bundesregierung erklärt, daß der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen eine Koordinierungsfunktion besitzt. Wenn diese Funktion wirklich politisch relevant sein soll, kann sie nur durch die Federführung des entsprechenden Ausschusses unterstrichen werden.
Was bedeutet Koordinierung, was bedeutet Federführung? Der Bundesminister Franke hat darauf doch ausdrücklich noch im Jahre 1969 hingewiesen. Das war, Herr Kollege Schäfer, doch auch für die Zukunft präjudizierend.
— Nein, das haben Sie nicht x-mal gehört, sondern ich trage dies heute hier zum erstenmal vor.Ich bin der Meinung, daß es keinen einzigen erkennbaren Grund gibt, die innerdeutsche Position — ich meine die gesamtdeutsche innerdeutsche Position — vor den Augen derer zu demontieren — darauf kommt es doch an —, die dies schon lange und schon vor der Paraphierung des Grundlagenvertrages zur Vorbedingung für angeblich normale Beziehungen gemacht haben.
Eilfertigkeit und Nachgiebigkeit gegenüber Diktaturen haben sich niemals ausgezahlt. Für Ostberlin wäre der schrittweise Abbau dieser — ich sage hier noch einmal ausdrücklich: gesamtdeutschen — Position ein Triumph auf dem Wege ihrer völkerrechtlichen Anerkennung.Deshalb möchte ich im Namen der CDU/CSU beantragen, diesen Antrag dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen zu überweisen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Die SPD- und die FDP-Fraktion haben den Antrag gestellt, die Überweisung wie folgt vorzunehmen: an den Innenausschuß — federführend —, an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und an den Rechtsausschuß — mitberatend —. Wer diesem Antrag auf Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Der Antrag ist angenommen.Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
betr. Aufhebung der Immunität der Abgeordneten— Drucksache 7/3478 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klein
Wer dem Antrag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Peter Wirtz nicht zu erteilen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 39 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 7/3506 —Wer dem Antrag des Petitionsausschusses auf Drucksache 7/3506 zuzustimmen wünscht, den bitte
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11756 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1975
Präsident Frau Rengerich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über Steuerbefreiungen der Einfuhr von Waren in Kleinsendungen nichtkommerzieller Art mit Herkunft aus Drittländern— Drucksachen 7/3183, 7/3491 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Wagner
Wer dem Antrag des Finanzausschusses auf Drucksache 7/3491 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Meine Damen und Herren, das Wort zur einer Erklärung gemäß § 35 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Schröder .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Anfang dieses Jahres vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages eine Ausarbeitung über das allgemein formulierte Thema „Grenzverhältnisse an der Elbe" angefordert. Mehrere Tage später ist mir mit einem Begleitschreiben des Wissenschaftlichen Dienstes ein Gutachten über — ich zitiere wörtlich — „Die Rechts- und tatsächliche Lage der Demarkationslinie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR im Verlauf der Elbe" übermittelt worden. Ich halte mich somit jetzt und in Zukunft an die offizielle Formulierung des Wissenschaftlichen Dienstes. Über den wissenschaftlichen Wert mag sich in der Tat jeder seine eigene Meinung bilden.
Meine Damen und Herren, damit haben wir die heute zu erledigenden Punkte der Tagesordnung behandelt.
Ich berufe den Deutschen Bundestag für Freitag, den 25. April 1975, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.