Gesamtes Protokol
Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Köhler .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin, Sie hatten schon die Freundlichkeit, mich richtig anzusprechen. Nachdem es dem Herrn Minister schon zum dritten Mal passiert ist, darf ich sagen: Ich habe nicht das Vergnügen, Professor zu sein. Darüber bin ich aber auch ganz froh, wenn ich an den Ärger der Professoren an den heutigen Hochschulen denke.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben soeben — aber natürlich, wie der Herr Minister es schon erwähnte, gestern auch in den Ausschüssen — einiges über die hohe und die höchste internationale Politik gehört, über die Kunst, mit I dem Gelde umzugehen. Wir haben vom Internationalen Währungsfonds, von Ölfazilitäten, vom Recycling, von einem zum OECD-Fonds gewandelten Kissinger-Plan, von Sonderziehungsrechten, den SZRs — zu den vielen Abkürzungen auch diese —, und dann eben im übrigen von sehr, sehr viel Geld gehört. Das kann Spezialisten faszinieren. Wahrscheinlich ist es ja auch ganz ungeheuer aufregend, solche Verhandlungen zu führen, wenn man dabei nur nicht den Bezug zur Realität verliert.
Ich habe meine Taschen mit allem Möglichen voll. Ich habe hier z. B. einen Hundertmarkschein, vertrauenerweckend allein schon wegen des ungemein seriösen Bildnisses auf der einen und wegen des Bundesadlers auf der anderen Seite. Ich habe hier aber außerdem ein kleines glänzendes Stück Metall. Damit ich hier nicht als Royalist in Verruf komme, habe ich weder einen Wilhelm genommen noch eine Queen Elizabeth noch einen Louisdor noch einen Napoléon, sondern als ein gestandener Republikaner das Vreneli, also eine Schweizer Goldmünze mit dem Bild der Helvetia.
Vor ein paar Jahren waren das Vreneli und der Hundertmarkschein ungefähr das gleiche wert. Man konnte den Geldschein in die Hand nehmen, zur Bank gehen und dann das Goldstück dafür eintauschen. Man konnte aber ebensogut das Goldstück nehmen, zur Bank gehen, und dafür bekam man einen Hundermarkschein zurück. Wenn Sie das heute versuchen, so werden Sie feststellen, daß Sie für diesen Hundertmarkschein, umgesetzt in Sachwerte, allenfalls noch die Hälfte bekommen. Wenn Sie dagegen das Goldstück in Sachwerte umsetzen wollen, so bekommen Sie etwa das Zwei- bis Dreifache von dem heraus, was Sie damals, als wir dieses Tauschgeschäft noch sehr erfolgreich praktizieren konnten, herausbekommen hätten.
Ich denke, daß wir bei allen Diskussionen der Spezialisten diese schlimme Veränderung im Kopf haben sollten,
um — wenn ich mir das zu sagen erlauben darf — über alle Parteigrenzen hinweg unsere Anstrengungen darauf zu konzentrieren, daß sich dieser Prozeß wieder umkehrt, sich wenigstens nicht weiter verschlimmert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aufgabe ist gewiß nicht leicht, und sie ist sowohl eine der Politik im Innern als auch eine Aufgabe der außenwirtschaftlichen Absicherung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Herr Kollege! Würden Sie die Güte haben — nachdem Sie dem Hohen Hause die Relation eines 100-DM-Scheins zu einem Goldstück vorgetragen haben —, auch die sich in sehr anderer Richtung verändernden Relationen der Deutschen Mark zum Dollar bekanntzugeben?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9853
Ja, ich werde nachher dazu etwas sagen, nämlich etwas über die Leichtfertigkeit, mit der Politiker und Sachverständige von hoher Verantwortung über neue Aufwertungseffekte der D-Mark in der Offentlichkeit gesprochen haben.
Wenn Sie es wollen, werde ich sie Ihnen nachher nennen.Was die richtige innenwirtschaftliche Politik an- betrifft, so wissen wir alle, daß wir in der nächsten Haushaltsdebatte und dann, wenn wir den Jahreswirtschaftsbericht hier vorgelegt bekommen werden, ausreichend Gelegenheit haben werden, unsere Meinungsverschiedenheiten deutlich zu machen, die Meinungsunterschiede, die Sie, meine Herren von der Regierungskoalition, und uns von der Opposition deutlich trennen. Heute steht nur der eine Teil zur Diskussion, nämlich die außenwirtschaftliche Absicherung und natürlich gemäß dem Bericht des Herrn Finanzministers auch nur ein Teil hiervon.Ich denke, daß es in diesem Bereich ganz gewiß ein gemeinsames nationales Interesse gibt, und wir sind auch nicht müde geworden, Ihnen die Unterstützung der Opposition bei der Abwehr von außenwirtschaftlichen Risiken anzubieten. Sie machen es sich allerdings unnötigerweise schwer, wenn Sie diese Gemeinsamkeit mit der Opposition nicht schon im Vorfeld von Verhandlungen suchen. Die Opposition kann nicht selten zur Unterstützung der nationalen Sache mehr sagen als die Regierung als Verhandlungspartner. Allerdings sollte Ihnen hier auch das böse Wehner-Wort eine Warnung sein, daß diese Regierung die Opposition nicht brauche. Die seither auf diesem Gebiet eingetretenen Mißerfolge werden ja wohl Grund genug für Ihre Besinnung abgeben.Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nun zur weltwirtschaftlichen Szenerie nur ganz kurze Stichworte sagen. Sie ist ganz sicher durch eine Kumulation, eine außergewöhnliche Kumulation einer größeren Anzahl von Risiken gekennzeichnet. Ich will wenn ich mir das erlauben darf nur wenige, nämlich fünf, erwähnen: die durch die Ölkrise ausgelöste allgemeine Energie- und Rohstoffversorgungskrise; die durch die Ölpreisexplosion ausgelöste Kapital- und Wohlstandsumschichtung zwischen den Ölförderländern, den Industriestaaten und den Entwicklungsländern. Was ich hier der Regierung vorzuwerfen habe, ist, daß sie auch diesem Lande nicht deutlich macht — Herr Kollege Ehrenberg! —, daß diese Umschichtung schon bei jedermann in diesem Lande erfolgt ist, und sie diesen Wählern und diesem Lande nicht deutlich vor Augen führt, daß es so ist. Diese 60 Milliarden, von denen der Herr Bundesminister vorhin gesprochen hat, die die Leistungsüberschüsse der Ölförderländer sind, entsprechen auch etwa dem, was in der westlichen Welt inzwischen weniger vorhanden ist.
Der nächste Punkt betrifft die durch diesen Vorgang weiter verstärkte weltweite Inflation. Und wiederum der nächste Punkt betrifft — hier nähere ich mich schon der Sache selbst — das nach wie vor ungelöste Problem einer neuen Weltwährungsordnung und schließlich und letztens die handelspolitischen Risiken, die aus diesem ganzen Zusammenhang entstanden sind. Ich denke, daß die Bundesregierung gut beraten wäre, wenn sie sich rechtzeitig der Unterstützung aller Parteien und der Wirtschaft versicherte und rechtzeitig und vorsorglich Vorkehrungen träfe, um diese Risiken zu verkleinern. Die Zeit erlaubt es nicht, auf diese Risiken im einzelnen einzugehen. Ich möchte deshalb nur wenige — drei Gesichtspunkte herausgreifen.Der erste betrifft die Bewertung der deutschen außenwirtschaftlichen Position, Herr Kollege Ehrenberg, die den Bundeskanzler in einer deutschen Zeitschrift nach einem Zitat des Bulletins vom 22. November 1974 zu der für mich abenteuerlichen Bemerkung veranlaßte: „Wir sind geradezu unanständig reich." Wenn ich nämlich einmal von den Risiken einer ausreichenden Mengenversorgung für Rohstoffabrikate und Energie durch politische Verwicklungen ganz absehe, diesen Teil also einmal ganz beiseite lasse und nur einmal, gemessen an der Ölpreisexplosion, die ich bloß mit einer Verdreifachung annehmen möchte, eine Verdoppelung der Importpreise für übrige Rohstoffe und andere Halbwarenfabrikate, auf deren Bezug wir volkswirtschaftlich angewiesen sind, unterstelle, dann wird auf unser Land, nur um unseren Importbedarf zu decken, ein Finanzierungsbedarf von jährlich 122 Milliarden DM zukommen, Mengensteigerungen und Auswirkungen der weiteren Inflationierung, weltweit oder in diesem Lande, gar nicht gerechnet.Wenn Sie diesen Betrag der Devisenreserve gegenüberstellen, dann schrumpft sie, bezogen auf unseren notwendigen Importbedarf an Rohstoffen, Energie und Halbfabrikaten, auf die Finanzierung von zehn Monaten dieser notwendigen Importe zusammen, und dann müssen wir zur gleichen Sekunde alle übrigen Importe über Nacht einstellen. Wenn Sie die auch noch vornehmen wollen, dann schrumpft diese ach so unerhörte Devisenreserve auf eine Finanzierung von fünf Monaten zusammen.
Man kann es auch anders ausdrücken — das hat ja wohl sogar einer von Ihnen getan --: Der wiederum sehr hohe Überschuß, den wir Ende 1974 ausweisen, entspricht, wie wir alle wissen, natürlicherweise einem gleich hohen Defizit in anderen Ländern. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht auszurechnen, aus welchen Ländern denn unser Überschuß stammt.
Nun, zu 80 % aus Defizitländern. Und damit ist schon etwas über die Risiken dieses Überschusses gesagt.
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9854 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Bitte!
Werter Herr Kollege, würden Sie Ihre drastische Schilderung der deutschen Nöte auf dem Devisenmarkt mit zehn Monaten Reserve dadurch ergänzen, daß Sie dem Hause mitteilen, daß diese Devisenreserven zweieinhalbmal so hoch sind wie die der Vereinigten Staaten von Amerika?
Darf ich Ihnen dazu einmal mit einem kleinen Sprichwort
— natürlich hat es mit Geld zu tun antworten:
Geld macht nicht glücklich und zufrieden, vor allem die nicht, die es nicht haben, Herr Kollege.
— Herr Kollege Ehrenberg, Sie versuchen
— nein! Vermögensrechnungen und Devisenreserven in einen Topf zu schmeißen. Das wird Ihnen nicht gelingen. Wie reich ein Land ist, das weist sich an dem Wohlstand der Bevölkerung, nicht am Devisenüberschuß aus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mit dem, was ich sagen wollte, etwas beschrieben, nämlich, daß jede Außenwirtschaftspolitik eine schmale Gratwanderung zu gehen hat. Dabei gibt es zwei Abgründe, auf der einen und auf der anderen Seite. Der eine ist das Risiko restriktiver Selbsthilfemaßnahmen von Defizitländern, wenn man nicht mit seiner Politik dazu beiträgt, daß das verhindert wird, und auf der anderen Seite Risiken aus Maßnahmen, die diese Restriktion verhindern sollen, Herr Minister, und die sozusagen gleichzeitig mit den exportierten Waren das Geld mitliefern, mit dem sie bezahlt werden. Da haben Sie die beiden Risiken, zwischen denen sich erfolgreiche außenwirtschaftliche Politik bewegen kann. Und Gott sei Dank weiß ich mich ja in diesem Punkte auch mit Ihnen einig.
Der zweite Gesichtspunkt, den ich hier erwähnen will, betrifft meine Sorge, daß das gerade eben in Kraft getretene neue amerikanische Handelsgesetz mit den sehr weitgehenden Ermächtigungen für den amerikanischen Präsidenten offenbar weder bei der gegenwärtigen Regierung noch bei der deutschen Wirtschaft bisher die notwendige Aufmerksamkeit gefunden hat. Ich möchte deshalb diese Gelegenheit benutzen und jedem, der hören und lesen kann, sagen, daß dieses neue Handelsgesetz voller Risiken, aber auch voller Chancen steckt und daß es sehr stark von den beiden größten Handelspartnern der Vereinigten Staaten, von Japan und von uns, abhängen wird, ob sich die Waagschale in den Vereinigten Staaten auf die Seite der Chancen neigt oder auf die der Risiken. Ich kann jedenfalls jedem nur empfehlen, dieses Gesetz mit größter Aufmerksamkeit zu studieren, sofern er auch nur das geringste mit diesem Handelsaustausch aktiv zu tun hat, und alles zu vermeiden, was die Risiken künftig vergrößern, aber auch ebenso alles zu tun, was die Chancen vergrößern und öffnen könnte. Ich glaube, daß die nächste GATT-Runde ganz entscheidend von eben diesem auch unserem Verhalten geprägt sein wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff?
Herr Kollege Köhler, darf ich zu dieser Empfehlung darauf hinweisen, daß die Bundesregierung und auch die FDP-Fraktion unmittelbar nach Verabschiedung des Handelsgesetzes auf diese von Ihnen jetzt angeblich mit Unterlassung gerügten Tatbestände hingewiesen und dazu aufgefordert haben, in der nächsten GATT- Runde die Chancen zu suchen, um die Risiken zu vermeiden?
Graf Lambsdorff, ich wußte natürlich, daß wir beide darüber einig sind.
Der dritte und letzte Aspekt, den ich wegen der Kürze der Zeit hier nur erwähnen kann, betrifft den Hinweis — und hier stimmen wir auch überein, Herr Minister —, daß es für die internationale Zusammenarbeit keine nationale Alternative gibt. Also etwa dieses Blockflötenspiel im Tunnel oder die zum Wurm geschrumpfte Schlange — das sind ja wohl die gebräuchlichen Beschreibungen — erlauben wirkich kaum noch irgendeinen Bewegungsspielraum. Aber ich möchte hier noch einmal wiederholen, was ich vorhin auf den Zuruf von Herrn Ehrenberg gesagt habe: Ich halte es für nicht verantwortbar, wenn Politiker und Sachverständige, die diese Verantwortung tragen, öffentlich über eine Bewertungsverbesserung der D-Mark räsonieren.Vor diesem Hintergrund möchte ich nun einige Bemerkungen zum Ergebnis der Verhandlungen machen, die Sie, Herr Minister, mit Ihren Begleitern in London und Washington geführt haben. Ich möchte mich zunächst mit den Kompromissen beschäftigen, die Sie in Washington zur Erleichterung der Folgen der Ölpreiserhöhungen gefunden haben, um anschließend allerdings dann einige Bemerkungen zu der beabsichtigten Änderung der Statuten, der Quoten usw. zu machen, über die Sie am Schluß auch etwas gesagt haben.Was die beiden Kompromisse angeht, die ja praktisch zusammen gesehen werden müssen, so möchte ich zunächst sagen, daß meine Fraktion ausdrücklich begrüßt, daß es schließlich doch, wie Sie mir versichert haben, gelungen ist, den politischen Kern des Kissinger-Planes zu verwirklichen. Wir möchten
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Dr. Köhler
allerdings hoffen, daß der schließlich zustande gekommene Kompromiß die Solidarität der Ölverbraucherländer erhöhen wird, daß also die Abhängigkeitsrate einzelner Länder in bilateralen Verhandlungen tatsächlich verkleinert wird. Wir werden Sie jedenfalls immer dann unterstützen, wenn es darum geht, diese Zusammenarbeitsrate in Europa und mit den Vereinigten Staaten zu verstärken. Aber erlauben Sie mir diese Nebenbemerkung —: Wir halten nicht viel davon, wenn man die ganze Last der Verantwortung etwa die Vereinigten Staaten allein tragen läßt — ich richte das natürlich gar nicht an Ihre Adresse, Herr Minister, sondern sage das ganz allgemein und wenn diese Politik derVereinigten Staaten etwa um einen Ausdruckaus der Verhaltenslehre zu übernehmen von Beschwichtigungshaltungen, appeasement-Haltungen einzelner europäischer Staaten um billiger Vorteile wegen begleitet wird.Wir halten auch wenig davon, wenn das Zustandekommen des Kompromisses ich habe die Zeitungen in dieser Hinsicht aufmerksam gelesen — mit Erklärungen verbunden wird, daß es wegen der zu harten Bedingungen wahrscheinlich gar nicht zu einer Inanspruchnahme des jetzt sogenannten OECD- Fonds kommen wird. Wie soll dann die Abhängigkeitsrate einzelner Länder in bilateralen Verhandlungen mit Öllieferländern abgebaut werden, wenn sie zuvor ausdrücklich auf andere, abhängiger machende Finanzierungsquellen angewiesen werden?!Aber Sie haben hier unsere Zustimmung. Das gilt auch für den Kompromiß über die Fortsetzung der IWF-Fazilitäten für das Jahr 1975, wobei ich hier von einzelnen Details absehe, die im Ausschuß behandelt worden sind und die hier nicht wiederholt zu werden brauchen. Ich möchte auch das positiv bewerten, was Sie heute noch einmal ausdrücklich erwähnt haben, nämlich die Verbilligung von Krediten für Entwicklungsländer. Auch in diesem Punkte können Sie jedenfalls mit unserer Toleranz rechnen.Ganz anders sieht dagegen die Sache bei den beabsichtigten Änderungen der Statuten des Internationalen Währungsfonds im Hinblick auf die beabsichtigte Quotenerhöhung und die offenbar weiterhin vorgesehene, noch fortgeschrittenere Loslösung vom Gold aus. Natürlich sehe ich auch, daß in der Welt der Tatsachen Kompromisse geschlossen werden müssen. Ich habe hier zwar noch einmal von Ihnen gehört, daß Sie am unteren Ende der Verhandlungsmarge verhandelt haben; trotzdem halte ich die beabsichtigte Erhöhung der Quoten um 39 Milliarden Sonderziehungsrechte — das ist etwa ein Wert von 50 Milliarden Dollar für überhöht. Sie werden mir also — das haben Sie hier ja auch, wenn auch mit Einschränkung, gesagt — zustimmen, daß es sich jedenfalls für Teile dieses Betrages um einen Akt der internationalen Geldschöpfung handelt, der — wenn man eben auch einen gewissen Betrag für die inzwischen eingetretene Erweiterung des Welthandelsvolumens absetzt neue inflationäre Impulse in die Weltwirtschaft hineinträgt.Aber auch die Absicht, den Zentralbanken die Möglichkeit zu geben, nicht nur den Verkauf, sondern auch den Einkauf von Gold zu Marktpreisen zu tätigen, d. h. das Gold, das noch zu — ich weiß es nicht genau 35 oder 42 Dollar zu Buche steht, auf den Marktpreis aufzuwerten, schafft ein Potential von stillen Reserven, das nach dem Willen der Zentralbanken sicher nicht nach dem Willen derdeutschen Zentralbank vom latent ruhenden Geld in solches Geld verwandelt werden kann, das in den Markt fließt — eine Geldschöpfung, die eine neue Inflationierung bewirkt.Sie hatten mir freundlicherweise den letzten Stand der Goldreserven der Notenbanken übermitteln lassen; er liegt bei 42,7 Milliarden Dollar Buchwert vor der Freigabe. Das sind, wenn man einmal ganz präterpropter rechnet mehr präter als propter — vielleicht 150 Milliarden Dollar, die eine potentielle Geldschöpfungsreserve darstellen, die man auf die 50 Milliarden Dollar Sonderziehungsrechte noch aufaddieren muß. Ich denke, wenn sich dieses Risiko realisiert, ist das wirklich Tolerier-bare überschritten.
Nun kommt etwas Zusätzliches hinzu. Wie ich gehört habe, sollen außerdem die Quoten der Sonderziehungsrechte alle drei Jahre erhöht werden, nicht automatisch, wie Sie mir versichert haben, sondern durch Beschluß. Ich höre aber auch, daß dieses bisher ungeheuer seriöse Organ des Interimsausschusses inzwischen halt auch einen Prozeß der Politisierung durchmacht. Herr Minister, zusammen mit der ja gleichzeitig beabsichtigten Umverteilung der Quoten von den Industrieländern auf die Ölförderländer in nicht unbeträchtlichem Ausmaße werden Dinge in Gang gesetzt, die ich nur mit großer Sorge aussprechen kann. Ich weiß natürlich, Herr Minister, daß Sie sich für eine niedrigere Quote eingesetzt haben. Das finde ich hocherfreulich. Ich möchte Ihnen aber für die Fortsetzung der Verhandlungen dringend anraten, an Vorkehrungen zu arbeiten, die verhindern, daß der Geldwert in der Welt schließlich von Mehrheitsbeschlüssen der Art abhängig wird, wie wir sie jüngst in der UN-Generalversammlung erlebt haben.
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß Ihre erbetene Redezeit schon überschritten ist.
Ich komme sofort zum Schluß, Frau Präsidentin.Herr Minister, es ist ja ein leidvolles Geschäft, eine Art Echternacher Springprozession, also drei Schritte vorwärts und zwei zurück, aber immerhin bei fünf Schritten wenigstens ein Schritt vorwärts. Bitte, bringen Sie uns hier nicht eines Tages eine IWF-Variante dieser Springprozession: zwei Schritte vorwärts, drei zurück.Ich habe — Frau Präsidentin, wenn ich mir erlauben darf, das noch zu sagen — erklärt, ich hätte hier allerhand mitgebracht. Ich möchte meine Aus-
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Dr. Köhler
führungen abschließen, indem ich zunächst aus der einen Tasche eine chinesische Rundmünze herausziehe. Zucken Sie nicht zusammen; ich spreche weder von dem Vorsitzenden Mao noch von dem Vorsitzenden Strauß. Ich spreche von der Münze, die im sogenannten Reich der Mitte zwei Jahrtausende lang unverändert Zahlungsmittel war. Diese Münze hat in der Mitte ein quadratisches Loch. Als sich dieses Land der Mitte für den Westen öffnete, haben die Engländer voller Hochachtung diese Münze „cash" genannt. Selbst wer des Englischen nicht ganz mächtig ist, wird inzwischen gemerkt haben, daß ,das auf gut Deutsch „bar auf die Hand" heißt. Ich verbinde mit diesem Hinweis die Mahnung, daß es gut ist zu lernen, daß keine Weltwirtschaft und keine nationale Wirtschaft den Anteil der Verschuldung zu groß werden lassen darf. Nun habe ich hier noch einen Solidus. Das ist eine Goldmünze, die eineinhalb Jahrtausende die Garantie für Währungs- und Wirtschaftsstabilität in Rom und Byzanz dargestellt hat. Selbst wer kein Sprachforscher ist, wird wissen, daß das Wort „solide" seither in den Sprachgebrauch aller europäischen Völker eingegangen ist.Ich möchte mit einer Mahnung schließen: Werden Sie und werden wir alle solide, damit wir zu stabilen Verhältnissen zurückkehren können!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Köhler hat nach dem mißlungenen ersten Teil seiner Rede doch noch Worte der Anerkennung für den erfolgreich aus schwierigen internationalen Verhandlungen zurückgekommenen Bundesfinanzminister einfließen lassen. Dieses erfreuliche Zeichen erinnert an jene besseren Tage des deutschen Parlamentarismus, in denen eine solche Haltung der Opposition üblich oder doch jedenfalls nicht die Ausnahme war.
Meine Damen und Herren, nun sollte allerdings noch ein Zweites hinzukommen: die sozusagen offizielle und öffentliche Anerkennung der Existenz des Problems, von dem wir reden, durch die Opposition, eines Problems, das immerhin alle paar Wochen die Spitzen der Regierungen der westlichen Welt zusammenführt. Bisher hatte man nämlich stets den Eindruck, daß eben diese Weltwirtschafts- und Weltwährungsprobleme aus der Sicht der Opposition im Bewußtsein der Menschen gar nicht existent sein sollten. Immerhin könnte es ja das „Om mani padme hum" der Opposition um seine Wirkung bringen, das da lautet: „Die Regierung ist an allem schuld, die Regierung ist an allem schuld." Es könnte dies Geleier um seine Wirkung kommen, wenn die weltwirtschaftliche Strukturkrise in ihrem ganzen Ausmaß und im Ausmaß ihrer Auswirkungen auf unsere Wirtschaft allgemein erkannt und begriffen würde. Wenn sich die Oppositionssprecher schon genötigt sehen, öffentlich über dieseDinge zu reden, dann klingt das so: „Weltwirtschaftliche Schwierigkeiten gibt es zwar, aber mit uns hat das alles nichts zu tun." In dieser Weise hat leider auch Herr Dr. Köhler heute weitgehend am Thema vorbeigeredet.
Es hat mit uns zu tun, meine Damen und Herren, was erst in London und dann vom 8. bis 17. Januar 1975 in Washington zur Sicherung des Weltwährungssystems, das ja leider nur ein Interimssystem ist, und darüber hinaus der Weltwirtschaft erörtert und beschlossen worden ist. Unsere Probleme werden nicht wegdiskutiert; sie werden im Gegenteil in die richtige Perspektive gerückt, wenn wir von der Einbindung in die kritisch gewordene Weltwirtschaft und davon sprechen, daß es zu unserer in die internationalen Gegebenheiten eingepaßten Wirtschaftspolitik keine Alternative nur national beschränkter Maßnahmen gibt.Der Bundesfinanzminister hat die Probleme aufgezeigt — Gefahren einer weltweit wachsenden Arbeitslosigkeit bei sich beschleunigenden Inflationsschüben —, Probleme, von deren Bewältigung letztlich auch der Weltfriede abhängen könnte. Wenn es seit der Washingtoner Konferenz des Interimsausschusses und der Zehnergruppe nun über das bisher leidlich funktionierende Ad-hoc-Krisenmanagement hinaus endlich wieder eine zukunftweisende Perspektive und die Chance einer schrittweisen Lösung der Probleme selbst gibt, so haben daran nach internationalem Urteil die Bundesregierung und ihr Vertreter bei der Konferenz, Bundesfinanzminister Dr. Apel, maßgeblichen Anteil. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, sprechen dafür unseren Dank und unsere Anerkennung aus.
Nun ging es in Washington gewiß nicht um die große Reform des Weltwährungssystems bis in alle seine Verästelungen hinein. Die wird es in einer Welt auch nicht geben, in der die Ölländer jährlich Überschüsse im Gegenwert von mehr als 150 Milliarden DM erzielen und verdauen müssen, Überschüsse, die anderer Länder Defizite sind und anderer Länder Ruin sein könnten, wenn man sie nicht auffinge. Es ging in Washington um zweierlei: einerseits um die Aufstockung der Quoten im Internationalen Währungsfonds und um gewisse Änderungen des IWF-Abkommens, andererseits um den Ausbau des Systems der Zahlungsbilanzhilfen bei ölpreisbedingten Ungleichgewichten.Es wäre vielleicht verfehlt, wollte man diese bescheidenere Zielsetzung so kommentieren, als ob lediglich ein neues Netz untergezogen worden wäre, um darin im Falle ihres Falles die währungspolitischen Seiltänzer auffangen zu können. Vielmehr enthält das kunstvoll und doch strapazierfähig geknüpfte Geflecht der Beschlüsse von Washington eine Anzahl von Elementen, die, wie gesagt, über das bloße internationale Krisenmanagement weit hinausweisen. Lassen Sie mich dazu einige Hinweise geben.Erstens. Dem bisherigen System der Zahlungsbilanzhilfen wurden zwei weitere Elemente hinzuge-
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Rapp
fügt. Zu dem General Account des IWF, den zusätzlichen Ziehungsmöglichkeiten bei IWF für bestimmte Entwicklungsländer, dem kurzfristigen Notenbankbeistand und dem mittelfristigen Beistand im Rahmen der EG, der vor kurzem hier beschlossenen EG-Anleihe, dem Notenbank-Swap-Netz und den bilateralen Möglichkeiten etwa nach dem Modell des Italien-Kredits — zu all dem kamen erstens die erhöhte Fazilität des Internationalen Währungsfonds zur Behebung ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite und zweitens der OECD-Solidaritätsfonds hinzu. Dabei handelt es sich nicht nur um eine sozusagen quantitative Verlängerung, sondern, wie noch auszuführen sein wird, insofern auch um eine qualitative Bereicherung dieses tief gestaffelten Systems, als in der Verzahnung der Hilfsmöglichkeiten jetzt mehr das Prinzip der Subsidiarität, der Effekt der Hilfe zur Selbsthilfe, zum Tragen kommen kann.Zweitens. In der Tatsache, daß dem bestehenden System zwei Instrumente der Zahlungsbilanzhilfe hinzugefügt wurden -- IWF-Ölfonds und die unter dem Stichwort OECD-Solidaritätsfonds getroffene Absprache —, findet die Überwindung einer tiefgehenden und gefährlichen Meinungsverschiedenheit zwischen den Vereinigten Staaten und insbesondere Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft ihren Ausdruck, einer Meinungsverschiedenheit, die verkürzt schon auf den Nenner der gefährlichen, unter einem bestimmten Aspekt lebensgefährlichen Fragestellung gebracht wurde, ob man die aus der Ölpreisexplosion resultierenden Probleme in Konfrontation oder in Kooperation mit den ölerzeugenden Ländern durchstehen solle.Es gibt nun den auf 5 Milliarden Sonderziehungsrechte gleich rund 6 Milliarden Dollar ausgelegten IWF-Ölfonds, der aus Mitteln der Ölländer gespeist wird, und es gibt die Absprache über den OECD- Solidaritätsfonds als eines allerletzten Sicherheitsnetzes, bei dem die beteiligten Länder auf den Rückgriff auf Ölländer nicht angewiesen sind, gleichwohl die Ölländer je nach dem gewählten Finanzierungsmodus indirekt mit ins Engagement nehmen können. Hier wurde die währungspolitische Erfahrung umgesetzt, daß jeder, der seine Probleme auf Kosten anderer lösen möchte, sich damit selber trifft und sich damit selber schadet.Weltwirtschaftliche Sicherheit wie, glaube ich, überhaupt jede internationale Sicherheit beruht in zunehmendem Maße darauf, daß sich alle Staaten eingebunden wissen in ein Netz der Solidarität, dessen Kehrseite gewiß Abhängigkeit bedeutet, von dem sich aber niemand ohne schwere eigene Schäden abkoppeln kann. Kein Land darf in die Lage gebracht werden, unsolidarisch reagieren zu müssen, und bestehe diese Reaktion auch „nur" in handelspolitischen Beschränkungen. Es wäre zu hoffen, daß dieses Prinzip einer sozusagen sanktionsgesicherten Solidarität in allen Bereichen der Politik sich durchsetze.Drittens. Dabei mußte jedoch sorgfältig alles vermieden werden, was die Wirkung einer Poolung der Währungsreserven hätte haben können. Sicherheit darf nicht zur Selbstsicherheit und nicht zur Nachlässigkeit führen. Jede Finanzierung eines Defizits durch die Wiederhergabe des Überschusses an das Defizitland kann dazu führen und wird häufig genug dazu führen und verführen, daß man sich der Mühe entzieht, die Quellen des Defizits zu verstopfen. Internationale Lastverteilung und Internationalisierung der Verantwortung dürfen nicht zur Folge haben, daß am Ende keiner mehr verantwortlich ist. Auch dies ist übrigens eine Einsicht, die in der Währungspolitik nur besonders evident, anderwärts aber ebenso wichtig ist.Diesem Gebot wurde durch die folgenden Beschlüsse Rechnung getragen:a) Die eigenen Währungsreserven müssen in zumutbarer Weise eingesetzt, alle anderen Möglichkeiten, internationalen Kredit zu erlangen, müssen ausgenutzt sein, ehe der Zugang zum OECD-Solidaritätsfonds eröffnet wird.b) Die Kreditgewährung wird sodann an Auflagen gebunden, die auf handelspolitisches und binnenwirtschaftliches Wohlverhalten zielen, des weiteren aber auch auf die Kooperation im Rahmen der internationalen Energieagentur, deren Aufgabe es ja ist, an der Sanierung der Weltenergiebilanz mitzuwirken. Wirtschaftspolitische Auflagen sind auch bei der Ölfazilität des IWF möglich. Niemand ist des Glaubens, mit Hilfe der Auflagen sei kurzfristig die Welt in Ordnung zu bringen. Daß aber Auflagen nicht gänzlich wirkungslos sind, wird man — unter Verweisung auf ein bestimmtes Exempel - wohl sagen können.c) Die Quoten am Volumen des OECD-Solidaritätsfonds 25 Milliarden Dollar für zwei Jahre,wobei freilich der Kreis der Schuldner und der Gläubiger geschlossen ist, so daß sich dieser Betrag faktisch halbiert sind an die Höhe des Sozialprodukts und des Außenhandelsvolumens der einzelnen Länder angebunden und normieren zugleich die Obergrenzen der Einzahlungsverpflichtungen, des Risikos und der Kreditaufnahmemöglichkeit sowie der relativen Stimmgewichte. Dies alles und die abgestuft scharfen Abstimmungsregelungen wirken einer unsachgemäßen Politisierung entgegen.d) Die Möglichkeit des Ausoptierens eines Landes, das sich an der Aufbringung der Mittel nicht beteiligen kann, stellt die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems sicher. Ein strenges Stimmrecht verhindert insoweit mögliche Mißbräuche. Die Möglichkeit des Ausoptierens soll ausgeschlossen sein, falls der nationale Beitrag in Garantieform erbracht wurde.Viertens. Der Lage der von der Ölpreisexplosion besonders hart betroffenen Entwicklungsländer, der Länder der vierten Welt also, wird durch Zinsverbilligungen bei der Inanspruchnahme der Ölfazilität Rechnung tragen. In die Kosten dieser Subvention teilen sich die Industrie- und die Ölländer hälftig. Dies und gewisse, das IWF-Abkommen ändernde Beschlüsse scheinen es den Entwicklungsländern leichter gemacht zu haben, von der Forderung nach Zuteilung zusätzlicher Sonderziehungsrechte Abstand zu gewinnen, vom leidigen, weil inflationsbefrachteten Problem des Link also.Fünftens. OECD-Solidaritätsfonds und Ölfazilität des internationalen Währungsfonds finanzieren sich
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Rapp
inflationsfrei. Wer nun die Frage stellt, wie es sich diesbezüglich mit der in Washington ebenfalls beschlossenen Erhöhung der Quoten im internationalen Währungsfonds um 32,5 % auf 39 Milliarden Sonderziehungsrechte — gleich etwa 50 Milliarden Dollar — verhält, wird zunächst zu beachten haben, daß die letzte Quotenerhöhung lange zurückliegt, so daß das Erfordernis, rezessionsfrei das inzwischen gewachsene Welthandelsvolumen zu finanzieren, eine gewisse Aufstockung der internationalen Liquidität rechtfertigt. Die beschlossene Quotenerhöhung ist überdies ein Kompromiß, was besagt, daß Länder, darunter auch die Bundesrepublik, klein beigeben mußten, die nur eine geringere Aufstockung der Quoten haben wollten. Die Verdoppelung der Quotenanteile der Ölländer auf 18 % bei entsprechender Verminderung der Quotensumme der Industrieländer entspricht der eingetretenen Gewichtsverlagerung und rechtfertigt sich aus der Philosophie, wonach die Ölländer in die globale Verantwortung einbezogen werden sollen.Sechstens. So richtig es ist, daß die rezessionsfreie Finanzierung des Welthandels auf der Basis der höheren Ölpreise eine gewisse Erhöhung der internationalen Liquidität angezeigt erscheinen läßt, so bleibt doch gewiß wahr, daß die Strukturverschiebung in der Weltwirtschaft letztlich einen realen Wohlstandstransfer von den Industrie- zu den Ölländern erzwingen wird. Die Ölländer werden ja nicht auf Dauer zu dem 01, das sie liefern, auch noch den Kaufpreis hinzuliefern wollen. Am Realtransfer führt keinerlei Trick vorbei. Der Trick mit dem Geldschleier würde die Prozedur nur schmerzhafter machen.Zweck dieses ganzen Systems der Zahlungsbilanzhilfen kann folglich nur sein, dies alles sich in kontrollierten und erträglichen Anpassungsschritten vollziehen zu lassen. Übergangscharakter also, — aber: Übergang wohin? Nun, neueren Studien zufolge könnte es realistisch sein, davon auszugehen, daß sich die Leistungsbilanzen der Ölländer insgesamt schon in einem überschaubaren Zeitraum normalisieren werden. Bereits im Jahre 1974 sind die Exporte der Bundesrepublik in die Ölländer um über 60 °/o gestiegen. Die Einfuhr dieser Länder wird in dem Maße wachsen, in dem es ihnen gelingt, den neuen Reichtum in nationalen Wohlstand umzumünzen. Des weiteren wächst ja auch die Einsicht der Ölländer in das Erfordernis und in den Nutzen langfristiger Anlage der im Inland nicht verwertbaren Mittel.Die Schaffung einer internationalen Investitionsbank — ein Gedanke, den Bundesfinanzminister Apel ins Gespräch gebracht hat — würde die damit verbundenen Probleme sehr erleichtern können. Probleme der Überfremdung und dergleichen mehr. Auch das entwicklungspolitische Engagement der Ölländer steigt. Die Weltwirtschaft wird somit nicht für alle Zeiten ständig neuen Verwerfungen ausgesetzt sein. Vielmehr wird dieses ganze Währungsgeschiebe in einem überschaubaren Zeitraum zum Stillstand kommen. Die hiernach veränderten Strukturen werden uns freilich vor neue Aufgaben stellen.Siebtens. Lassen Sie mich noch anmerken, daß in Washington im Vorgriff auf die große Reform desWeltwährungssystems immerhin der Versuch einer Neubestimmung der Rolle des Goldes gemacht wurde. Seine Stellung wird abgebaut. Die zentrale Rolle der Sonderziehungsrechte wird gestärkt. Die Verpflichtung zu Goldeinzahlungen der Mitgliedsländer in den Fonds wird beseitigt. Konvertible Währungen und Sonderziehungsrechte treten an die Stelle. Eines hoffentlich nicht mehr allzufernen Tages wird es keinen offiziellen Goldpreis mehr geben. Wer weiß, wie sehr die damit zusammenhängenden Fragen emotionalisiert sind — zwei unserer wichtigsten Partnerländer hatten sich darob dauerhaft zerstritten —, der wird auch kleine Schritte in diese Richtung zu würdigen wissen. Andererseits stecken im Goldproblem auch gewaltige Inflationspotentiale. Manche Leute wollen da aus ganz unterschiedlichen Motiven das gleiche. Behutsamer Umgang mit dem Sprengstoff Gold ist also geboten.Die Konferenz von Washington hat die Weltwirtschaftsordnung und das Weltwährungssystem, das, wie gesagt, nur ein Interimssystem ist, sicherer gemacht. In welchem Lande bedeutete dies mehr Sicherheit als in der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem hohen Grad der Verflechtung in die Weltwirtschaft?In den Dank, den ich vorher aussprach, beziehe ich mit ein, daß die Bundesregierung bei der Neufestsetzung von Quoten, Quoten und Stimmrechten die unter Beachtung unseres wirtschaftlichen Gewichts und unseres nationalen Ansehens gebotene Balance zu wahren wußte. Es versteht sich, daß wir froh darüber sind, wenn nun dieses Mehr an Sicherheit sich nicht in einem gewichtigen Haushaltsposten niederschlägt, wie es ja auch hätte kommen können. In Washington wurde außenwirtschaftliche Absicherung des Programms eines stabilitätsgerechten Aufschwungs 1975 geleistet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion schließt sich dem Dank an die Bundesregierung für ihre Bemühungen, die Gegenstand der Berichterstattung des Herrn Bundesfinanzministers insbesondere über Washington, aber auch über das, was davor war, gewesen sind, an.
Meine Damen und Herren, es hat sicher wenig Zweck — es liegt mir nicht, und als letzter Redner sollte man es nicht tun —, jetzt noch einmal auf alle Einzelheiten, die hier berichtet warden sind, einzugehen. Ich möchte mich deshalb auf einige wenige grundsätzliche Bemerkungen zu dem Bericht und zu diesem Verhandlungsergebnis beschränken.Wenn man dieses Verhandlungsergebnis würdigt — ich habe ja gesagt, daß wir der Regierung danken, und wir begrüßen auch dieses Ergebnis —, muß man das, glaube ich, unter zwei Aspekten tun. Der erste ist der Aspekt der Dringlichkeit und der
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KirstKomplexität der weltwirtschaftlichen Probleme, insbesondere des internationalen Zahlungsverkehrs, aber darüber hinaus natürlich überhaupt der weltwirtschaftlichen Problematik der Arbeitslosigkeit, der Inflation usw. Der Herr Kollege Apel hat das hier alles ausgeführt.Zweitens gibt es auf der anderen Seite die ganz natürlichen und sicherlich durch diese Problematik nur verschärften unterschiedlichen Ausgangspositionen und unterschiedlichen Interessenlagen der an diesen Verhandlungen Beteiligten. Das ist ja nichts Schlechtes, das ist nichts Verwerfliches; es ist etwas absolut Natürliches, daß man mit unterschiedlichen Interessenlagen in solche Verhandlungen hineingeht. Das Ergebnis ist um so besser, je mehr dann bei einer solchen Regelung allen Interessen Rechnung getragen wird. Die Unterschiedlichkeit der Interessenlagen kam ja auch in den ursprünglich doch vielleicht ziemlich weit voneinander entfernten Konzeptionen der USA auf der einen Seite und Europas oder des Teils von Europa, den wir heute als Synonym für Europa betrachten auf der anderen Seite zum Ausdruck; auch hierauf hat Herr Dr. Apel in seiner Berichterstattung hingewiesen.Ich meine, es ist wichtig, und es muß immer wieder betont werden, daß bei dem, was hier vereinbart ist oder im Ansatz vereinbart ist es wurde auch darauf hingewiesen, daß manches an Einzelheiten noch offen ist, und sicherlich mögen auch in diesen Einzelheiten, in diesen Details wieder noch eine ganze Reihe von Teufeln stecken; das werden wir noch erleben —, immer wieder der Grundsatz herauszustellen ist, daß auch in diesem internationalen Bereich Hilfe immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein kann, daß diese Hilfe die Bereitschaft der Hilfesuchenden voraussetzt, auch aus eigener Kraft das Mögliche und das Nötige zu tun, mag es auch manchmal hart und unangenehm sein. Der Feuerwehrcharakter, der hier dargestellt worden ist, unterstreicht diese Konzeption.Meine Damen und Herren, das sollten wir nicht aus Überheblichkeit sagen, sondern wir sollen es sagen mit dem Werben um Verständnis bei den davon Betroffenen, daß auch und gerade die hilfebedürftigen Länder ein Interesse daran haben müssen, daß nicht die Hilfsfähigkeit der heute Hilfsfähigen auf die Dauer auch erschüttert oder zerstört wird; dann bleibt nämlich niemand mehr übrig, der irgend jemandem helfen kann. Und ein gemeinsames Debakel wäre sicherlich ein schwacher Trost, es würde uns keine Möglichkeiten für Verbesserungen eröffnen. Um es etwas einfacher zu sagen: Dem, der friert, ist nicht damit gedient, daß andere am Ende auch frieren, sondern nur damit, daß er nicht mehr friert.
Auch ein Zweites muß man immer wieder sagen. Die Ölpreisexplosion, die immer wieder im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen und Überlegungen steht, die jetzt gut ein Jahr her ist, hat sehr unterschiedlich konditionierte Volkswirtschaften und Zahlungsbilanzen getroffen. Die Öldefizite, die sich daraus ergeben, dürfen natürlich kein Alibi für eine im übrigen falsche oder unzulängliche Wirtschaftspolitik sein.Meine Damen und Herren, es ist deutlich zu sehen, daß die Probleme am schlimmsten heute da sind, wo diese Ölpreisexplosion und die daraus entstehenden Öldefizite eine ohnehin desolate Zahlungsbilanzsituation angetroffen haben. Solide Zahlungsbilanzen Sie dürfen dreimal raten, an wen ich hier zuerst denke — konnten letzten Endes davon nicht ernsthaft erschüttert werden. Dabei darf aber nicht abgestritten werden, daß es natürlich auch für uns hier Probleme gibt. Es sind aber keine existenziellen Probleme. Dagegen können die Probleme dort, wo schon vorher eine desolate Situation vorhanden war, leicht wirtschaftlich existenziell werden.Meine Damen und Herren! Wir sind auch befriedigt darüber, daß das Ganze unter das Motto der Kooperation der erdölverbrauchenden Länder und nicht der Konfrontation mit den erdölproduzierenden Ländern, und zwar — das ist das wichtige dabei auf der Basis einer soweit wie möglich zu schaffenden und immer wieder zu sichernden und zu erneuernden Solidarität der Verbraucherländer zu subsumieren ist. Ich sagte schon, daß die Einzelheiten noch offen sind. Wir müssen abwarten, was es hier noch an Problemen geben wird. Wir gehen davon aus, daß die Regierung auch bei den Einzelheiten versuchen wird — und hoffentlich nicht nur versuchen wird , die Grundsätze, die sie hier dargelegt hat und denen wir unsere Zustimmung geben können, nicht irgendwie zu gefährden.Kollege Köhler, ich habe mir von Ihrer Rede eigentlich nur eines gemerkt — das soll die Rede nicht abwerten; sie war lang genug —; das war Ihre Bemerkung über das öffentliche Aufwertungsgerede und die öffentliche Aufwertungsdiskussion. Ich kann nur sagen: Der Kollege Strauß scheint Sie auch aus dem fernen China nicht in Ruhe zu lassen. Denn wenn es in den letzten Jahren einen Menschen aus diesem Hause gegeben hat, der die Bundesrepublik durch öffentliches Aufwertungsgerede immer wieder in Schwierigkeiten gebracht hat, so war er es.
— Das war gar nicht vorgesehen. Der Kollege Köhler hat mir dazu den Anlaß gegeben.Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß die Dinge natürlich immer komplizierter — insbesondere auch für den Burger, dessen Interessen auch in diesem Punkte zu wahren wir den Auftrag haben — und undurchschaubarer werden. Es gehören geradezu schon pädagogische Fähigkeiten dazu, die der Finanzminister, wie ich glaube, durchaus hat, das der Öffentlichkeit in allen Einzelheiten so klar zu legen, daß man es auch draußen einigermaßen verstehen kann.Abschließend möchte ich folgendes sagen. Wir sollten uns darüber im klaren sein und nicht nur
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Kirstwir, sondern auch diejenigen, mit denen Sie immer wieder zu tun haben, Herr Minister Apel —: Noch so komplizierte und immer schönere und immer gelungenere Konstruktionen dieser Art sie sind sicherlich nötig; ob sie immer so kompliziert sein müssen, ist eine andere Frage; es geht ja darum, daß auch die Interessen immer ausgeglichen werden müssen können natürlich — das muß den Beteiligten auch immer wieder klargemacht werden wirtschaftliche Binsenweisheiten — und nur auf diese Binsenweisheiten gehen die Probleme zurück, nicht auf die Konstruktionen — nicht aus der Welt schaffen, als da sind: Erstens kann man eben nicht konsumieren, was man nicht vorher produziert hat. Zweitens muß man alles, was man kauft — wann und wie und auf welchen Umwegen auch immer , eines Tages bezahlen. Diese beiden wirtschaftlichen Binsenweisheiten wird man durch die schönsten Konstruktionen nicht aus der Welt schaffen können. Das sollten immer alle bedenken.In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, wünscht die FDP der Bundesregierung weiter Erfolg bei den nicht abgeschlossenen Bemühungen, mit diesen Problemen mit Vernunft und guten Nerven fertig zu werden.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Apel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann gerade den letzten Worten des Herrn Kollegen Kirst ausdrücklich zustimmen. Das Problem ist in der Tat, daß die westlichen Industrienationen, also viele unserer Partnerländer, den Anpassungsprozeß an die neuen Daten der Weltwirtschaft noch vor sich haben und diesem Anpassungsprozeß sicherlich nicht ausweichen können. Deswegen kommen wir trotz aller Mechanismen, die wir etabliert haben, ob sie Recycling oder Solidaritätsfonds heißen oder ob es sich um andere komplizierte Mechanismen handelt sie sind wegen des Versuchs des Interessenausgleichs kompliziert —, nicht daran vorbei, daß dieser Prozeß stattfinden muß. Nur, Herr Kollege Kirst, wir müssen Zeit dazu haben. Wenn dieser Prozeß abrupt einträte, würden schwerwiegende ökonomische Probleme auch für die Bundesrepublik Deutschland unvermeidlich sein. Das ist der Grund für unser aktives Bemühen.Ich kann Sie beruhigen, Herr Kollege Kirst. Die Details sind durch die Grundsätze so weit vorformuliert, daß ich davon ausgehe, daß wir Ende Februar klarkommen werden. Dennoch steht fest: Der Teufel steckt manchmal auch hier im Detail.Lassen Sie mich einige abschließende Bemerkungen zu der Rede von Herrn Köhler machen. Die erste Bemerkung: Ich bin froh darüber, daß die Opposition — wie aus der Rede von Herrn Köhler hervorging die Ölkrise zur Kenntnis genommen hat. Noch bei der Beratung des Konjunkturprogramms der Bundesregierung hat Ihr Kollege Strauß immer nur von der „sogenannten Ölpreisexplosion gesprochen und versucht, die Argumentation so abzudrehen, daß alles das, was auch wir an Problemen haben, binnenwirtschaftlich entstanden sei. Ich bin froh darüber, daß Sie dabei sind, jetzt doch eine realistische Einschätzung der tatsächlichen Probleme zu entwickeln.
Sie können es nicht immer so haben, wie Sie es wollen. So geht es nicht. Es gibt eine durchgehende ökonomische Argumentation. Die müssen Sie bitte auch durchhalten.Die zweite Bemerkung: Sie haben auf unsere Devisenreserven abgehoben. Mein Kollege Rapp hat daraufhin bereits deutlich gemacht, daß das Milchmädchenrechnungen sind. Ich zitiere hier das letzte Dokument des Währungsfonds, das insbesondere folgendes sagt:Wir gehen davon aus, daß die Bundesrepublik Deutschland die stärkste Leistung aller Industrieländer von 1973 bis 1975, was die positive Entwicklung ihrer Zahlungsbilanz anbelangt, erbringen wird.In der internationalen Sicht, Herr Kollege Köhler, ist es eher umgekehrt. Unsere Überschüsse sind eher Probleme für andere, als daß wir gewärtigen müßten, daß unsere Devisenreserven ausgingen. Genau umgekehrt ist das Problem zu sehen.Sie haben in einem dritten Punkt die Frage gestellt, ob wir nicht in die Gefahr gerieten, daß wir zu den Waren, die wir liefern, auch das Geld für die Bezahlung gleich mitliefern müßten. Das ist nicht so. Gerade das, was wir international etablieren, nämlich die Quotenerhöhung wie auch der Weg über den IWF, führt eben dazu, daß nicht deutsche Devisenreserven in den Kreislauf einbezogen werden. Dennoch ist das Sicherheitsnetz, der Solidaritätsfonds, der Kissinger-Fonds, eine letzte Zugriffsmöglichkeit, der auch wir uns stellen wollen. Wir sagen, es kann sein, daß das gar nicht in Kraft tritt, und meinen damit, daß in der Tat vorher die Länder ihre eigenen Anstrengungen unternommen haben müssen.Herr Köhler, lassen Sie mich Ihnen einige Zahlen nennen, um die Gefährdung der Stabilität in der Welt, soweit man dieses Wort überhaupt benutzen kann, angesichts der weltweiten Inflationierung, die um uns herum, nicht innerhalb unseres Landes, stattfindet, deutlich zu machen: Der Welthandel hat von 1969 bis 1973 um 38 % zugenommen. Er hat dann 1974 um 30 % zugenommen, dabei nur 6 % real; der Rest war inflationär bedingt. Er wird 1975, so schätzen wir, nominal um 25 % zunehmen — wiederum mit einem großen Inflationsteil. Wenn Sie das zusammenrechnen, dann hat der Welthandel in dem Zeitraum, für den jetzt im nachhinein Quoten erhöht werden, um mindestens 90 % zugenommen. Wenn Sie dem das gegenüberstellen, was wir an Quotenanhebung vorgenommen haben, so kann man in der Tat trotz eines Beschlusses, den wir gern niedriger gehabt hätten — nicht von einem Beitrag zur Weltinflation sprechen. Außerdem macht die Aufstockung nicht einmal 5 0/o der gegenwärtigen inter-
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Bundesminister Dr. Apelnationalen Liquidität aus. Ich meine also, wir sollten hier die Dinge nüchtern und in der richtigen Perspektive sehen.Was die Goldreserven anlangt, so sind wir in diesem Hause — so glaube ich weitgehend einer Meinung. Wir möchten nicht, daß hier zusätzliche Ungleichgewichte — sei es zwischen den Entwicklungsländern und den Industrienationen, seien es Ungleichgewichte in bezug auf die Preisstabilität eingebaut werden. Im übrigen sehen wir im nachhinein die Richtigkeit des Entschlusses meines Amtsvorgängers, mit dazu beizutragen, daß wir zu floatierenden, zu fließenden Wechselkursen kommen, weil nur dies uns die Chance gibt, uns vom internationalen Inflationszug abzuhängen. Sosehr auch ich, Herr Köhler, mit einer gewissen Besorgnis den Verfall des Dollars sehe, weil das natürlich im Rückschlag Gefährdung von Exportfähigkeit aus diesem Lande bedeutet.Letzte Bemerkung! Trotz der Quotenveränderung behalten die USA eine Sperrminorität und die westlichen Industrienationen mehr als 60 % der Anteile und damit der Abstimmungsrechte. Es wird im IWF eine Politisierung der Debatte möglich sein, nicht jedoch eine Politisierung der Beschlüsse.Ich bedanke mich für diese Debatte. Ich darf ihr entnehmen — auch der Rede des Sprechers der Opposition , daß Sie die Grundlinien unserer Weltwährungspolitik billigen, daß Sie davon ausgehen, daß wir auf diesen Grundlinien Ende Februar den OECD-Fonds abschließen. Wir werden Sie weiterhin informieren, weil Weltwirtschaft und Entwicklungen in der Weltwirtschaft bei dem großen Exportanteil, den wir haben, zentrale Bedeutung für die Beschäftigung in diesem Lande haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache zur Regierungserklärung abgeschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesrechnungshofes
betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung und der Bundesvermögensrechnung für das Haushaltsjahr 1972
— Drucksache 7/2709 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Althammer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zur Haushaltsrechnung des Jahres 1972 haben in der deutschen Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregt. Ich meine, zu Recht; denn der Bundesrechnungshof hat mit Sachkunde die öffentliche Verwaltung durchleuchtet. Er hat Mißstände aufgezeigt, er hat auf bedenkliche Entwicklungen hingewiesen, und er hat konstruktive Vorschläge zur Verbesserung gemacht. In diesem Bericht erweist sich der Bundesrechnungshof als eine unabhängige Instanz, die in ausgezeichneter Weise geeignet ist, die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der öffentlichen Verwaltung zu unterstützen.Ich freue mich über die Anwesenheit des Präsidenten des Bundesrechnungshofs. Ich glaube, daß ich ihm im Namen des Hohen Hauses zu seinem bevorstehenden 65. Geburtstag herzliche Glückwünsche aussprechen kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht würde es der Präsident des Bundesrechnungshofs vorziehen, wenn er bei dieser Debatte hier auf der Bank sitzen könnte und das Recht hätte — wie der Wehrbeauftragte —, dem Parlament seine Auffassungen unmittelbar vorzutragen.
Ich darf daran erinnern, daß es einen Gesetzentwurf der Fraktion der SPD in einer früheren Wahlperiode gab, in dem vorgesehen war, daß der Präsident des Bundesrechnungshofs ein solches Recht eingeräumt bekommt. Wir sollten uns bei Gelegenheit an diesen Gedanken erinnern.
In der deutschen Öffentlichkeit ist aber auch der Eindruck entstanden, daß sich das Parlament in den vergangenen Jahren nicht in ausreichendem Maße um die sachkundigen und konstruktiven Bemerkungen des Bundesrechnungshofes gekümmert hat. Ich glaube, wir müssen uns alle selbstkritisch fragen, ob wir durch eine zu formale Behandlung dieser jeweiligen Jahresberichte nicht selber zu diesem Eindruck beigetragen haben. Ich habe in meinem Wahlkreis erlebt, daß Wähler in der Zeitung geschrieben haben: Hier sind gravierende Beanstandungen, und was geschieht eigentlich daraufhin? Gar nichts! — Das war die Meinung der Wähler.Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb veranlaßt, daß diese Debatte stattfindet, damit die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes vor dem Deutschen Bundestag behandelt werden. Meine Kollegin Frau Pieser wird die Einzelbemerkungen in diesem Bericht des Bundesrechnungshofes darstellen, soweit sie von grundsätzlicher Bedeutung sind. Ich möchte mir im ersten Teil vorbehalten, zu einer grundsätzlichen Frage Stellung zu nehmen, die der Bundesrechnungshof in seinem Bericht anspricht.Der Bundesrechnungshof macht in seinem Jahresbericht die Feststellung, daß das Budgetrecht des Parlaments vom Bundesfinanzminister in mehreren Fällen in gravierender Weise verletzt worden ist.
Der Bundesrechnungshof nimmt diesen Sachverhalt so ernst, daß er sogar von der rechtlichen Möglichkeit Gebrauch macht, im Vorgriff auf das Haushaltsjahr 1973, über das noch keine endgültige Berichterstattung vorliegt, die Fälle, die sich zum Jahresende 1973 und im Januar 1974 ereignet haben, eben-
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Dr. Althammerfalls zum Gegenstand seiner Betrachtungen zu machen.Dabei wird festgestellt, daß in einer ganzen Reihe von Fällen der Art. 112 des Grundgesetzes ebenso verletzt worden ist wie der § 37 der Bundeshaushaltsordnung und daß der damalige Bundesfinanzminister Helmut Schmidt das sogenannte Not-bewilligungsrecht in Fällen in Anspruch genommen hat, in denen er dazu keine Berechtigung hatte.
Das ist eine Sache, die eigentlich jeden Parlamentsabgeordneten interessieren muß, gleich ob er ein Abgeordneter der Koalitionsfraktionen oder der Opposition ist.Wir von der CDU/CSU haben die auch von uns bereits festgestellten Verletzungen dieses Grundgesetzartikels und des Budgetrechts des Parlaments zum Anlaß genommen, um das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage anzurufen. Es geht uns dabei nicht nur und ausschließlich um eines der Grundrechte des Parlaments, nämlich das Budgetrecht, sondern wir verstehen das Budgetrecht so, daß es dem Parlament nur treuhänderisch für den Staatsbürger gegeben ist. Wir sind hierhergeschickt, um für die sachgerechte Verwendung der Steuergelder im Namen und Auftrag des Staatsbürgers zu sorgen. Und wenn hier schwerwiegende Verletzungen vorliegen, dann ist einfach das höchste Verfassungsgericht der Platz und der Ort, diese Frage zu entscheiden.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Als ich gestern noch einmal die Verlautbarungen der Bundesregierung zu diesem Sachverhalt nachgelesen und dabei den manchmal so etwas schnoddrigen Ton festgestellt habe, der das alles eigentlich ein bißchen ins Lächerliche zieht, habe ich mir wirklich die Frage gestellt, ob sich diese Leute darüber im klaren waren und sind, was es bedeutet, wenn sie Milliardenbeträge in Nacht- und Nebelaktionen umschichten, weitergeben und ohne Befassung des Parlamentes darüber verfügen. Ich glaube, unsere Staatsbürger denken über diesen Punkt etwas anders, vielleicht gerade in diesen Tagen, wo viele Staatsbürger erleben müssen, daß ihnen vom Finanzamt mitgeteilt wird, daß sie eine ganz andere Steuerbelastung auf sich zu nehmen haben.
Meine Frau Kollegin Pieser hat uns einen Fall vorgetragen, wo ein Fahrer des Deutschen Bundestages ihr erzählt hat, daß er, weil seine Frau als Sekretärin ebenfalls berufstätig ist, ab Januar 300 DM monatlich mehr Steuern zu zahlen hat.
Das sind Dinge, die den Staatsbürger interessieren, und wir als Parlament sind dazu berufen, über die Verwendung dieser Steuergelder sachgerecht zu entscheiden. Wir müssen das Budgetrecht ernst nehmen.Es konnnt noch hinzu, daß dies ja nur e i n Fall der Aushöhlung der Parlamentsrechte ist, die meines Erachtens zu Recht von einer ganzen Reihe von sachkundigen Beobachtern der modernen Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik beobachtet und festgestellt werden. Ich erinnere nur an den Fall, daß das Parlament es nun — Gott sei Dank, muß ich sagen , was das Recht des Gesetzgebungsverfahrens betrifft, nicht mehr hinnehmen will, daß auf dem Verordnungswege in wichtige Einzelrechte des Staatsbürgers eingegriffen wird, z. B. auf dem Verkehrssektor. Wenn der Staatsbürger, der hier Eingriffe hinzunehmen hat, sich an den Abgeordneten wendet, dann muß der Parlamentarier sagen: das tut mir leid; das ist nur eine Verordnung; hier kann ich als Abgeordneter gar nichts dazu sagen. Ich freue mich darüber, daß hier nun offenbar Korrekturen erfolgen sollen. Genauso bedeutsam ist aber auch die Aushöhlung des Etatsrechts des Parlaments. Ich kann das jetzt nicht alles im einzelnen in der kurzen Zeit darstellen, möchte aber zwei sehr zentrale Punkte hier erwähnen.Wir sehen mit Sorge, daß in Gesetzen im sogenannten Umlageverfahren am Parlament vorbei den Staatsbürgern Belastungen auferlegt werden, z. B. jüngst im sogenannten Verstromungsgesetz, wo der Bundesrechnungshof ebenfalls sehr massiv seine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen dieses Verfahren geltend gemacht hat. Und, Herr Bundeskanzler, wenn ich heute lese, daß Sie jetzt das Berufsausbildungsrecht selbst in die Hand nehmen wollen, ist das wieder solch ein Fall, wo die Frage auftaucht, ob es verfassungsrechtlich wirklich zulässig ist, daß man im Umlageverfahren ohne wirkliche parlamentarische etatmäßige Kontrolle wiederum eine sehr wesentliche Belastung dem Staatsbürger auferlegt.Lassen Sie mich einen dritten Fall ansprechen, den ich neulich in der Zeitung gelesen habe. Nach den Plänen der Bundesregierung — so berichtete die Presse soll z. B. eine Stiftung mit einem Vermögen von 540 Millionen DM — in der Zeitung stand sogar: in der Schweiz — errichtet werden, und der deutsche Abgeordnete hat keinerlei Einblick, hat keinerlei Bestimmungsrecht über eine solche sogenannte Stiftung.
Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen. Wenn es Wiedergutmachungsfälle gibt, in denen Nazi-Geschädigte auch heute noch in einer Notsituation sind und keine Unterstützung bekommen können, ist auch die Fraktion der CDU/CSU selbstverständlich sofort bereit, dafür das Notwendige zu tun. Aber meine persönliche Meinung ist die, daß das nicht in einem solchen Verfahren geschehen kann, daß man 540 Millionen DM Steuergelder in die Schweiz überweist und keine parlamentarische Kontrolle hat.
Lassen Sie mich jetzt im Detail einige Bernerkungen machen zu den Feststellungen des Bundesrechnungshofes. Der Bundesrechnungshof hat zuDr. Althammereiner Summe von rund 2,7 Milliarden DM in fünf Fällen festgestellt, daß die Voraussetzungen des sogenannten Notbewilligungsrechts des Bundesfinanzministers nicht gegeben waren und daß hier einfach entgegen der Verfassung Art. 112 des Grundgesetzes — und unserer Rechtsordnung —§ 37 der Bundeshaushaltsordnung entschieden worden sei. Ich möchte eines ganz deutlich machen. Wir wenden uns nicht gegen die Sachaufgaben, für die das Geld gegeben worden ist. Ich habe das auf einen entsprechenden Brief eines Betriebsrates aus einem betroffenen Bundesunternehmen so dargestellt: Wenn die Betriebsleitung gezwungen ist, Arbeitnehmer zu entlassen, dann kann sie die gesetzlich vorgeschriebene Mitwirkung des Betriebsrates nicht damit hinfällig machen, daß sie sagt: Das ist aber notwendig. Genauso wie der Betriebsrat auf seinem gesetzlichen Mitwirkungsrecht besteht, muß das Parlament auf seinem Etatrecht bestehen.
Der erste Fall, mit dem wir es hier zu tun haben, ist eine Kapitalzuführung an die Salzgitter AG von 100 Millionen DM. Hier ist nun der Kontrast besonders interessant. Während Verfassung und Gesetz vorschreiben, daß entweder normal im Haushalt veranschlagt oder ein Nachtragshaushalt ergehen muß, hat hier der Vertreter des damaligen Bundesfinanzministers Helmut Schmidt, der Staatssekretär Hermsdorf -- so steht es undementiert in allen Zeitungen , nachts um 3 Uhr telefonisch den Vorsitzenden dieses Staatsunternehmens angerufen' und ihn gefragt, ob er vielleicht noch 100 Millionen DM brauchen könne.
Die Antwort, die er darauf bekommen hat, können Si e sich selbstverständlich vorstellen.
Ein solcher Vorgang, meine sehr verehrten Damen und Herren, der -- ich weiß nicht, aus welchen Zufälligkeiten heraus bekanntgeworden ist, zeigt doch, in welcher Art und Weise hier über diese Dinge entschieden worden ist. Der Bundesrechnungshof stellt zu diesem Fall ganz klar fest, daß überplanmäßige Ausgaben im Januar 1974 zu Lasten des Haushalts 1973 nicht notwendig gewesen wären, es habe zu diesem Zeitpunkt eine erhebliche Überdeckung bestanden, und es wäre dem Unternehmen nach Feststellung des Rechnungshofes kein wesentlicher Nachteil entstanden, wenn die 100 Millionen DM im Haushalt 1974 ordentlich veranschlagt worden wären.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauer? — Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß unsere Kritik von einigen Betriebsräten und von örtlichen SPD-Organisationen zu einer Diffarnierungskampagne dahin gehend benutzt worden ist, als ob wir durch unsere Kritik die Arbeitsplätze in Salzgitter gefährden wollten?
Ich glaube, die Wahrheit wird sich in diesen Dingen wie auch in anderen Fällen -- durchsetzen.
Ich glaube, das Lachen wird Ihnen im Laufe dieses und des nächsten Jahres allmählich vergehen.Der Bundesrechnungshof stellt fest, daß die Voraussetzungen des Art. 112 des Grundgesetzes nicht gegeben waren. Damit hat der ehemalige Bundesfinanzminister nach unserer Meinung verfassungswidrig gehandelt.Der zweite Fall ist der Erwerb von Beteiligungen an der Gelsenberg AG. Hier sind 672 Millionen DM überplanmäßig ausgegeben worden. Auch hier stellt der Bundesrechnungshof ganz klar fest, daß nach Prüfung der Unterlagen bereits Anfang November 1973 die Entscheidung für den Erwerb gefallen war. Nach Auffassung des Bundesrechnungshofs wäre ein Nachtragshaushalt gemäß § 33 der Haushaltsordnung notwendig gewesen. Der Bundesrechnungshof sagt wörtlich:Von dieser Möglichkeit hätte er — der Bundesfinanzminister nämlichnach Auffassung des Bundesrechnungshofes wegen des Budgetrechts des Parlaments Gebrauch machen müssen, zumal durch die Reform des Haushaltsrechtes die Voraussetzungen für ein schnelles Verfahren geschaffen worden sind.Dieser Fall zeigt wiederum sehr deutlich, wie wenig sich der damalige Bundesfinanzminister Helmut Schmidt um das Etatrecht des Parlaments gekümmert hat.Der nächste Fall ist die Kapitalzuführung an die Vereinigte Industrieunternehmen AG in Höhe von 100 Millionen DM. Auch hier stellt der Bundesrechnungshof nach Prüfung der Unterlagen ganz eindeutig fest, daß die Ausgaben weder unvorhergesehen — weil schon am 29. Oktober 1973 von der VIAG gefordert — noch unabweisbar waren, da die VIAG auch auf andere Weise ihren Aluminiumbereich hätte finanziell unterstützen können. Auch hier verlangt der Bundesrechnungshof einen Nachtragshaushalt oder eine Übernahme in den Bundeshaushalt 1974.Der finanziell schwerwiegendste Fall ist die sogenannte Liquiditätszuwendung an die Deutsche Bundesbahn in Höhe von 1,35 Milliarden DM. Diese überplanmäßige Ausgabe, die zu Beginn des Jahres 1974 getätigt worden ist, ist auch dadurch gekennzeichnet, daß bereits im Jahre zuvor eine gleiche überplanmäßige Ausgabe von insgesamt 1,1 Milliarden DM getätigt worden war, die vom Bundesrechnungshof ebenfalls als nicht verfassungskonform beanstandet wurde. Obwohl also bereits ein
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Dr. AlthammerJahr vorher diese Verfahrenweise beanstandet worden war und obwohl hier eine Verletzung des Budgetrechts zur Diskussion stand, hat man im .Jahre darauf genau dasselbe wieder gemacht.
Der Bundesrechnungshof stellt ganz klar fest, daß der Bundesfinanzminister entweder von vornherein ausreichende Mittel in den ordentlichen Etat hätte einsetzen müssen und können, weil sich die Finanzlage ganz klar abzeichnete, oder aber bis zum Abschluß der Haushaltsberatungen Mitte 1973 dies noch hätte nachvollziehen können und daß er drittens einen Nachtragshaushalt wegen eines so hohen Betrages hätte einbringen können und auch müssen.Der fünfte und letzte Fall ist die Darlehenshingabe an die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 480 Millionen DM. Auch hier sind die Einzelheiten, wie es zu dieser Hingabe kam, etwas merkwürdig: Zuerst ein Gespräch, auf Grund des Gespräches ein Antrag und dann die Vergabe der Mittel. Der Bundesrechnungshof sagt zu diesem Fall wörtlich:Nach diesen Feststellungen war im Jahre 1973 der Einsatz von Bundesmitteln zur Finanzierung der Mittelstandsprogramme weder vom Bundesminister der Finanzen noch von der Kreditanstalt vorgesehen. Erst am 22. Januar 1974 hat der Bundesminister über die Zahlung von 480 Millionen DM aus Haushaltsmitteln des Bundes an die Kreditanstalt mit Mitgliedern des Vorstandes gesprochen. Auch bis zur Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 1974 am 31. Mai 1974 bestand für die Auszahlung des Bundesdarlehens kein unabweisbares Bedürfnis,— jetzt kommt es —weil die Kreditanstalt bis zu zu diesem Tag nur rund 266 Millionen DM verbraucht hatte, also wesentlich weniger, als ihr aus den im Frühjahr 1973 gegenüber ihrem Programm- und Finanzierungsplan eingesparten Mitteln noch zur Verfügung standen.Es ist bezeichnend, daß diese Mittel dann in Festgeldern zum Teil bis zum Juni 1974 angelegt worden sind.
Das soll also eine unabweisbare dringliche, sofortige Ausgabe gewesen sein.Ich möchte bei der Kreditanstalt noch einen zweiten Punkt anschneiden, den der Bundesrechnungshof auf Seite 122 seines Berichts aufgegriffen hat. Das ist ein sehr merkwürdiges Jugoslawiengeschäft in Höhe von 150 Millionen DM und dessen Finanzierung im Jahre 1972. Der Bundesrechnungshof stellt fest, daß der Kreditanstalt für Wiederaufbau aus ERP-Mitteln 150 Millionen DM als sogenannter „Kassenkredit zur Stärkung der Liquidität" zugewiesen worden waren. Nach Feststellung des Bundesrechnungshofs war dieser Betrag von 150 Millionen DM aber zweckgebunden zur Teilfinanzierung eines Darlehens anJugoslawien, das insgesamt 300 Millionen DM betrug.
Der Bundesrechnungshof stellt fest, daß es also nicht, wie deklariert, um die Anlage von Kassenmitteln gegangen sei, sondern um ein Refinanzierungsdarlehen, das vom Parlament hätte gebilligt werden müssen, Herr Bundeskanzler.
Das also, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die wesentlichen Punkte der Beanstandungen. Ich möchte abschließend und zusammenfassend nur noch die Quintessenz wiedergeben, die der Bundesrechnungshof in seiner sachlichen und zurückhaltenden Weise in Ziffer 37 seiner Bemerkungen so darstellt:Insgesamt hat der Bundesrechnungshof bei der Prüfung der vorgenannten Ausgaben den Eindruck gewonnen, daß der Bundesminister der Finanzen angesichts der gegen Ende des Haushaltsjahres 1973 noch verfügbaren Kassenmittel die Voraussetzungen für Haushaltsüberschreitungen nicht mit der gebotenen Strenge geprüft hat. Die Akten des Bundesministeriums bestätigen, daß sich dieses des Ausnahmecharakters von Art. 112 GG, § 37 BHO nicht immer bewußt war und die Möglichkeit eines Nachtragshaushaltes nicht ernstlich erwogen hat.
Durch ein solches Verfahren entstehen ernste Gefahren für das Budgetrecht des Parlaments .So sagt es der Bundesrechnungshof.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was müßte eigentlich jeder Bundestagsabgeordnete aus diesen Feststellungen des Rechnungshofs für sich als Konsequenz entnehmen? Er müßte entnehmen, daß alle unsere Versuche, das Etatrecht des Parlaments zu stärken, unternommen in der Haushaltsreform 1969, wo wir das Grundgesetz in den Art. 110 bis 112 geändert, wo wir eine Bundeshaushaltsordnung und ein Haushaltsgrundsätzegesetz erlassen haben, daß der Versuch des Bundesrechnungshofs in einer Entscheidung des Großen Senats vom Dezember 1972, die Bundesregierung und den damaligen Bundesfinanzminister nochmals auf die Grundsätze und den Ausnahmecharakter der genannten Bestimmungen hinzuweisen, — daß alles dies nichts genützt hat.Man ist vielmehr der Auffassung: Die können im Gesetz schreiben, was sie wollen, die können durch den Rechnungshof Rechtsauffassungen vertreten lassen, welche sie wollen; wenn wir es für notwendig halten, nach Jahresabschluß einen Kassensturz zu machen, dann kommt es uns nur darauf an, daß hiermit etwaige Reste schnell weggeschafft werden; denn sonst könnte ja die Opposition bestätigt sein, wenn sie Kürzungsanträge gestellt hat und am Schluß genau diese Summen übrigbleiben, die man von Anfang an hätte einsparen können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9865
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt?
Bitte schön!
Herr Kollege, gestatten Sie mir als einem der Berichterstatter für das Zwanzigste Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes — Finanzverfassung — im 5. Bundestag die Frage, ob Sie sich noch daran erinnern, daß wir damals ausdrücklich die Regelung des Art. 112 des Grundgesetzes nicht als eine Sonderregelung im Verhältnis zu Art. 110 des Grundgesetzes normiert, sondern als ein gleichberechtigt neben Art. 110 des Grundgesetzes stehendes Institut in das Grundgesetz aufgenommen haben?
Herr Kollege Arndt, wir haben ja beide damals diese Haushaltsreform gemacht. Ich war Berichterstatter für das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Bundeshaushaltsordnung. Diesen Juristenstreit wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Ich halte mich an das, was der Bundesrechnungshof hier klipp und klar feststellt und was auch unsere Meinung ist,
nämlich daß der Gesetzeswortlaut des Art. 112 zu gelten hat. In Art. 112 des Grundgesetzes heißt es, daß Ausgaben unvorhergesehen und unaufschiebbar sein müssen. Zu beidem stellt der Bundesrechnungshof fest, daß die Sachverhalte nicht vorgelegen haben. Darin liegt die Verfassungsverletzung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir in einer solchen Momentaufnahme sehen, wie der damalige Bundesfinanzminister mit Steuergeldern umgegangen ist, dann kommt uns eine alte Erkenntnis in Erinnerung, nämlich daß man den Sozialisten die Staatskasse nicht anvertrauen darf
— lassen Sie mich ruhig ausreden, Herr Wehner —, weil sie mit anderer Leute Geld nicht umgehen können.
— Es freut mich, daß Sie in alter Frische wieder da sind, Herr Wehner. Ich möchte Ihnen aber eines sagen. Wenn Sie sich den Schuldenberg ansehen, den Ihre Regierung in den letzten Jahren hier aufgehäuft hat,
dann kann man nur sagen: Die Firma Helmut Schmidt & Co. ist ein Unternehmen, das konkursreif ist.
Dieses Parlament sollte sich aber um seine Rechte kümmern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir von der CDU/CSU nehmen das Budgetrecht des Parlaments ernst. Ihnen von der Koalition möchte ich ein Zitat ans Herz legen. Ein FDP-Kollege, der heute Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank ist, hat hier von diesem Platz aus gesagt:
Das Parlament als Verfassungsorgan steht der Regierung frei gegenüber. Dabei ist Recht und Pflicht der parlamentarischen Kontrolle nicht alleinige Aufgabe der Opposition. — Jede Partei in diesem Hause hat die Pflicht, sich als Partner und damit als ein Gegenüber der Regierung zu empfinden, einer Regierung, die sie kontrolliert, gleichgültig, ob sich die Fraktion dabei im Rahmen der Regierungskoalition als Mitträger der Regierung fühlt oder ob sie als oppositionelle Partei der Regierung gegenübersteht.
Wir von der CDU/CSU nehmen diese Verpflichtung, die Regierung zu kontrollieren, ernst. Wir tun es vor allem deshalb, weil wir nicht haben möchten, daß etwas eintritt, was ein Professor der Politologie vor einiger Zeit einmal in der „Deutschen Zeitung" geschrieben hat. Professor Hennis hat am 29. Juni 1973 geschrieben:
So eifrig der Bundestag als Gesetzgeber ist, so mäßig ist seine Leistung als Kontrolleur der Bürokratie. Dem Bundestag kommt eine fast monopolartige Stellung als Auslesestätte der politischen Führung zu. Aber die Distanz zwischen politischem Personal und „Volk" ist größer geworden, sie ist heute vielleicht größer als in Weimar, ja selbst im Bismarckreich. Der „Parteienstaat", Grundlage der parlamentarischen Demokratie, ist nicht so gesichert, daß er nicht im Namen des „Volkes" erneut in Frage gestellt werden könnte. Über die Zukunft des Bundestages entscheidet nach dem Übergang der Wahlfunktion aufs Volk seine Fähigkeit zur Repräsentation dieses Volkes.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU bemüht sich, diese Kontrollfunktion wahrzunehmen. Es bleibt Ihnen von der SPD und der FDP überlassen, ob Sie das gleiche tun wollen. Der Wähler jedenfalls wird seine Konsequenzen aus Ihrem Verhalten ziehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kulawig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unter Haushaltsleuten galt der Kollege Althammer im allgemeinen als Experte. Ich glaube, den Ruf ist er heute endgültig — berechtigterweise — losgeworden.
Nicht nur dieser unverschämte Ausrutscher gegenEnde Ihrer Ausführungen, Herr Kollege Althammer,
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9866 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Kulawigsondern eigentlich auch diese gesamten sonderbaren Darlegungen, die mit politischen Gemeinplätzen im ersten Teil Ihrer Ausführungen begonnen haben und die jeder Rede in einer CSU-Wahlversammlung in Bayern alle Ehre gemacht hätten, sind doch etwas deplaziert gewesen.
Ich hätte Ihnen, ehrlich gesagt, mehr zugetraut und auch mehr erwartet, denn der Gegenstand der Tagesordnung hätte zu fundierteren und seriöseren Ausführungen sicherlich genügend Anlaß gegeben.
Mir ist im übrigen aufgefallen, daß Herr Althammer sich im mittleren Teil seiner Ausführungen an die Bemerkungen des Rechnungshofs fast wie ein Ertrinkender geklammert
und dabei vor dem Parlament den Eindruck erweckt hat, als sei der Bundesrechnungshof der Richter aller Deutschen, insbesondere aller Parlamentarier. Sie wissen, er prüft die Verwaltung der Bundesregierung und ihr nachgeordnete Verwaltungen.
— Hören Sie, kommen Sie gelegentlich einmal in die Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses, damit Sie über diese verfassungsmäßigen Grundsätze einen etwas klareren Überblick bekommen.
Die Entscheidung über das, was sich aus den Untersuchungen, Erhebungen und Feststellungen des Bundesrechnungshofes ergibt, liegt, wie dem Kollegen Althammer durchaus geläufig ist, beim Parlament und beim Prüfungsverfahren der parlamentarischen Rechnungskontrolle.Ich bin weiterhin äußerst enttäuscht darüber, vom Kollegen Althammer immer noch nichts — was ich eigentlich von seinen Ausführungen erwartet hätte — über die Begründung Ihrer Bundesverfassungsgerichtsklage erfahren zu haben.
Heute wäre Gelegenheit gewesen, uns endlich einmal über Ihre wahren Gründe aufzuklären, statt sich mit der Erörterung und Erläuterung von Allgemeinplätzen hier wiederum aus der Affäre zu ziehen.
Wenn Sie schon Wert darauf gelegt haben, heute eine Debatte über die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Jahresrechnung 1972 zu führen, so hätten Sie weit mehr daraus machen müssen, um dem Anspruch gerecht zu werden, den Sie angeblich vertreten haben.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, versuchen, die Gelegenheit der Aussprache über die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Jahresrechnung 1972 zu nutzen, um auf den Charakter dieses Vorgangs etwas näher einzugehen. Der Rechnungshof kommt in seinen Jahresbemerkungen für das Rechnungsjahr 1972 zu Ergebnissen, die zu einer sorgfältigen Beratung und Prüfung im dafür vorgesehenen parlamentarischen Verfahren führen werden wie in allen vorangegangenen Jahren auch.Er befaßt sich in seinen sogenannten „Allgemeinen Prüfungsergebnissen", wie es langjähriger Übung entspricht, unter anderem mit den über- und außerplanmäßigen Ausgaben für das Haushaltsjahr 1972, er nimmt aber auch darüber hinaus, wie es sein gutes Recht ist, schon zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben aus dem Haushaltsjahr 1973 Stellung. Dieser Vorgang erhält seine besondere Bedeutung dadurch, daß die Opposition gegen vier der am Ende des Jahres 1973 von der Bundesregierung geleisteten Mehrausgaben das Bundesverfassungsgericht angerufen hat.Die Bundesregierung wird sich zu jedem Punkt sowohl der „Allgemeinen Prüfungsergebnisse" wie auch der „Besonderen Prüfungsergebnisse" — hierunter sind diejenigen zu verstehen, die sich mit den Vorgängen in den einzelnen Bundesressorts befassen — im Rechnungsprüfungsausschuß zu äußern haben. Die Beratungen des Rechnungsprüfungsausschusses würden nicht gerade erleichtert, wenn man entgegen dem seit Jahren geübten Verfahren in dieser Plenardebatte den Versuch machen wollte, das Ergebnis der parlamentarischen Rechnungsprüfung vorwegzunehmen.
Das kann und das darf nicht das Ziel einer Debatte über die Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofs zur Jahresrechnung 1972 sein.
Diesen Gesichtspunkt möchte ich als Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses deswegen besonders herausstellen, weil die Opposition sonst den Eindruck erwecken könnte, als habe der Rechnungsprüfungsausschuß seine Prüfung bereits abgeschlossen. Aufgabe des Rechnungsprüfungsausschusses ist es nämlich, aus den Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofs und aus den Äußerungen der Bundesregierung die Sachverhalte herauszufinden und über das Ergebnis seiner Arbeit dem Haushaltsausschuß und dem Bundestag zu berichten.
Die letzte Entscheidung liegt beim Parlament.
Fast wäre ich versucht gewesen, zu sagen: bedeutende Vorgänger, sagen wir: Vorgänger als Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses
wie die Kollegen Haehser, Althammer — das ist derGrund, weshalb ich die Einschränkung mache —und Leicht haben in ihrer Eigenschaft als Vorsit-
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Kulawigzende dieses Ausschusses immer auf eine nüchterne und sachliche Erörterung großen Wert gelegt. Daß es nicht immer leicht ist, schwierige Zusammenhänge aufzuhellen oder gegensätzliche Positionen zu klären, läßt sich am Beispiel der überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben zu Lasten des Haushaltsjahres 1973 sicherlich deutlich machen. Der Bundesrechnungshof argumentiert in der Textziffer 34:Die Erklärungen des Bundesministers der Finanzen zur Frage, ob ein unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis bestand, überzeugen den Bundesrechnungshof nicht.Er kommt dann im einzelnen — zusammengedrängt -- zu folgenden Bemerkungen:a) Im Falle der Kapitalzuführung an die Salzgitter AG lag für die Leistung überplanmäßiger Ausgaben kein unabweisbares Bedürfnis vor.b) Die außerplanmäßige Ausgabe zum Erwerb von Beteiligungen an der Gelsenberg AG hätte durch die rechtzeitige Einbringung und Verabschiedung eines Nachtragshaushaltes noch im Jahre 1973 geleistet werden können.Gestatten Sie mir übrigens an dieser Stelle den Hinweis, daß die Opposition diesen Standpunkt des Rechnungshofs offensichtlich nicht teilt; denn die außerplanmäßige Ausgabe für den Erwerb von Beteiligungen an der Gelsenberg AG sucht man in der Verfassungsklage der CDU/CSU seltsamerweise vergebens.c) Die Kapitalzuführung an die Vereinigten Industrieunternehmungen AG, kurz VIAG genannt, wird vom Bundesrechnungshof als nicht unvorhergesehen und auch als nicht unabweisbar bezeichnet. Sie hätte nach seiner Meinung bis zum nächsten Haushaltsjahr zurückgestellt werden können.d) Für die Liquiditätszuwendungen an das Sondervermögen Deutsche Bundesbahn bestand kein unabweisbares Bedürfnis für überplanmäßige Ausgaben, sagt der Rechnungshof. Finanzielle Hilfen an die Bahn könnten nach seiner Auffassung in einem Nachtragshaushaltsplan oder in späteren Haushaltsplänen veranschlagt werden.e) Für die Darlehen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Förderung konjunkturpolitischer Maßnahmen hat kein unabweisbares Bedürfnis bestanden. Die Ausführungen des Bundesministers der Finanzen zu diesem Sachverhalt sieht der Bundesrechnungshof als durch seine Feststellungen widerlegt an. Den Komplex der über- und außerplanmäßigen Ausgaben zusammenfassend argumentiert der Rechnungshof, daß die erforderlichen Ausgaben rechtzeitig in ausreichender Höhe im Haushaltsplan veranschlagt werden sollten. So weit, so gut.Dem würde der Bundesfinanzminister folgendes entgegenhalten können:Erstens. Die Eigenkapitalausstattung der Salzgitter AG hatte sich nach unternehmerisch notwendigen Expansionen stark vermindert, so daß sich im Laufe des Jahres 1973 erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten ergaben. Die ursprüngliche Absicht, die unzureichende Ausstattung des Konzerns mit Eigenmitteln durch Aufnahme von Krediten zu kompensieren, ließ sich im Hinblick auf die bekannten Verhältnisse am Geld- und Kapitalmarkt am Ende des Jahres 1973 nicht mehr verwirklichen. Die verbliebene Finanzierungslücke von 100 Millionen DM machte deshalb zum Ende des Jahres 1973 eine Kapitalzuführung durch den Bund in Höhe von 100 Millionen DM notwendig.Zweitens. Die außerplanmäßige Ausgabe von 672 Millionen DM für den Erwerb von Beteiligungen an der Gelsenberg AG war sachlich geboten und wirtschaftlich vernünftig. Erinnern wir uns an die krisenhafte Entwicklung der deutschen Mineralölversorgung im Spätherbst 1973, die es unumgänglich notwendig machte, die Verhandlungen des Bundes mit dem RWE über den Kauf des Aktienanteils so schnell wie möglich zum Abschluß zu kommen. Sofortiges Handeln war geboten, um erhebliche Schäden von der deutschen Volkswirtschaft abzuwenden.Drittens. Bei der VIAG, die als Holdinggesellschaft im wesentlichen Beteiligungsunternehmen aus dem Bereich der Elektrizitätswirtschaft und speziell der stromintensiven Aluminiumindustrie umfaßt, waren im Aluminiumbereich starke Verluste eingetreten, da sich die Verteuerung der Rohstoffe, die Ölkrise und die Entwicklung der Währungsrelationen in dieser Branche besonders ungünstig auswirkten. Da die Muttergesellschaft nicht in der Lage war, die Verluste aus eigenen Mitteln abzudecken, konnte sich der Bund als Hauptaktionär einer Kapitalzuführung nicht entziehen.Viertens. Eine überplanmäßige Ausgabe für die Deutsche Bundesbahn in Höhe von 1,3 Milliarden DM wurde unausweichlich, um eine bedrohliche Erhöhung des Verlustes der Bundesbahn abzuwenden. Es ergaben sich nämlich unvorhergesehene Erhöhungen bei den Personalausgaben und erhebliche Kostensteigerungen bei den sächlichen Aufwendungen. Zu diesen Mehrbelastungen kam der Rückgang der Einnahmen aus dem Güterverkehr. Hierdurch ergab sich für die Bundesbahn zum Jahresende eine Liquiditätsenge, die sie aus eigener Kraft nicht beseitigen konnte. Eine Liquiditätshilfe durch den Bund konnte deshalb nicht hinausgeschoben werden.Fünftens. Auch die Bereitstellung von 480 Millionen DM an die KfW, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, war sachlich notwendig und zeitlich unaufschiebbar. Die Gewährung des Darlehens war die unmittelbare und notwendige Folge der wirtschafts- und konjunkturpolitischen Beschlüsse der Bundesregierung vom 19. Dezember 1973. Nachdem die gesamtwirtschaftliche Nachfrage Ende 1973, verstärkt durch die Mineralölkrise, deutlich zurückging, lockerte die Bundesregierung mit diesen Beschlüssen ihren restriktiven Kurs bezüglich der Investitionen und wirkte regionalen und sektoralen Schwierigkeiten durch gezielte Maßnahmen entgegen. Dazu gehörte auch die Wiederaufnahme der Programme der KfW zur Förderung der mittelständischen Wirtschaft. Zur sofortigen Durchführung dieser Maßnahmen war die Bereitstellung eines Bundesdarlehens unabweisbar.
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9868 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
KulawigDiese Beweisführung des Bundesfinanzministers muß zu dem Ergebnis führen, daß die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für die über- und außerplanmäßigen Ausgaben in jedem Einzelfall von ihm mit aller notwendigen Sorgfalt und Strenge geprüft und bejaht worden sind. Die Mehrausgaben waren demnach so dringlich, daß sofort gehandelt werden mußte.Die vom Bundesrechnungshof und gelegentlich auch von der Opposition — heute auch hier wieder durch Herrn Dr. Althammer — vertretene Auffassung, es hätte der Weg eines Nachtragshaushalts beschritten werden sollen, kann der Kenner der Haushaltspraxis nicht unterstützen. Denn das Nachtragsverfahren würde sich in den vorliegenden Fällen als viel zu langwierig erwiesen haben. Ein Nachtragshaushaltsplan hätte im übrigen auch nicht bis zum Ende des Haushaltsjahres von der Regierung beschlossen und dem Parlament rechtzeitig zugeleitet werden können.Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, daß das Parlament nach § 37 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung unterrichtet worden ist. Der Haushaltsausschuß hat dem Plenum jeweils empfohlen, von der Vorlage Kenntnis zu nehmen. Kein Mitglied des Hauses, auch keines der Opposition, hat hierbei Beanstandungen vorgebracht oder Bedenken geäußert.
Auch ist die sachliche Notwendigkeit der Mehrausgaben, wie wir beiläufig auch Herrn Althammer heute wieder sagen hörten, von niemand, selbst nicht von der Opposition, bestritten worden.Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang an eine Stellungnahme des Kollegen Narjes im ZDF zu erinnern. Auf die Frage nämlich, ob er die Ausgaben mißbillige, anwortete damals Herr Narjes wörtlich — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren
— des Herrn Präsidenten; der Geschlechterwechselhat sich hinter meinem Rücken vollzogen, ich konntedas nicht mitverfolgen, meine Damen und Herren —:Einzelne oder alle von ihnen oder in voller Höhe hätten durchaus auch von uns bewilligt werden können.Gleichwohl meinte die Opposition den Weg der Verfassungsklage beschreiten zu sollen. Sie ist allerdings — ich habe schon eingangs Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen — die Begründung für diese Klage bis heute schuldig geblieben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte schön!
Herr Kollege Kulawig, ist Ihnen bekannt, daß uns unser allseits geschätzter Kollege Kirst ausdrücklich den Rat gegeben hat, abzuwarten, bis die Feststellungen des
Bundesrechnungshofes vorliegen? Ist Ihnen weiter bekannt, daß wir mit der Klageeinreichung wegen der Frist nicht abwarten konnten, daß wir aber mit der Begründung sehr wohl bis heute abwarten konnten?
Es wundert mich, zu hören, wie sehr Sie dem Rat des Kollegen Kirst folgen. Man kann das leider nicht bei allen Gelegenheiten konstatieren. Herr Kirst wird sich sicher darüber freuen.
Im übrigen liegen mittlerweile aber die Bernerkungen des Bundesrechnungshofes mit dessen Feststellungen zu den über- und außerplanmäßigen Ausgaben 1973 schon wieder so lange vor, daß Sie angesichts der Bedeutung, die Sie der Sache beimessen, mittlerweile auch unter Abschreiben dessen, was der Bundesrechnungshof dazu gesagt hat, Ihre Klage leicht hätten vervollständigen, beschleunigen und vorlegen können.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte schön!
Herr Kulawig, könnten Sie akzeptieren, daß wir unter Umständen auch von der heutigen Debatte noch zusätzliche Kenntnisse für unsere Klagebegründung erwartet hätten, woran ich jetzt aber nicht mehr glaube?
Das, was Sie zu dieser Debatte beigesteuert haben, können Sie allerdings beim Bundesverfassungsgericht nicht vorlegen, da haben Sie recht.
Der Rechnungsprüfungsausschuß also wird seine Beratungen über die Prüfungsbemerkungen des Bundesrechnungshofes zum Haushaltsjahr 1972 aufnehmen müssen, ohne daß das Bundesverfassungsgericht über die im Juli vergangenen Jahres eingereichte Klage der CDU/CSU hätte entscheiden können.Die angeführten Beispiele dürften Ihnen, meine Damen und Herren, deutlich gemacht haben, daß es gründlicher und sachkundiger Beratung bedarf, um zu einer sachlich richtigen und möglichst unanfechtbaren Bewertung der Sachverhalte zu kommen.Wenn ich hinzufüge, daß der Rechnungsprüfungsausschuß — jedenfalls soweit und seit ich das überblicken kann — sein Votum immer einstimmig abgegeben hat, so hoffe ich, überzeugend dargelegt zu haben, daß Sie eine gewissenhafte Würdigung der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes und eine kritische Prüfung der Stellungnahmen der Bundesregierung von ihm erwarten können.Damit dürfte klar geworden sein, daß die eigentliche Plenardebatte zu den Bemerkungen des Bun-
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Kulawigdesrechnungshofes zum Rechnungsjahr 1972 erst dann stattfinden kann, wenn der Rechnungsprüfungsausschuß seine Beratungen abgeschlossen hat. Heute geht es darum, die Prüfungsbemerkungen des Rechnungshofes an den zuständigen Ausschuß zu überweisen. Meine Fraktion stimmt dieser Überweisung zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war unschwer vorauszusehen, daß die Textziffern 33 bis 37 der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushaltsrechnung 1972 zum Prüfungshit des Jahres werden würden. An diesen 73er-Rosinen in der 72er-Hausmannskost versucht die Opposition sich denn auch zu delektieren.
Dies konnte nicht verwundern; denn schließlich sind die mit Einwilligung des Bundesministers der Finanzen im Dezember 1973 und im Januar 1974 geleisteten über- und außerplanmäßigen Ausgaben, die an dieser Stelle im Prüfungsbericht abgehandelt werden, gleichzeitig Streitgegenstand der von der Opposition in Karlsruhe anhängig gemachten Verfassungsklage.
Nun wird, meine Damen und Herren, keine Fraktion dieses Hauses die Hinweise des Rechnungshofs zur Etatverantwortung des Parlaments auf die leichte Schulter nehmen. Bei dem Umfang unseres Haushaltsvolumens, das die unangenehme Eigenschaft hat, jährlich auch noch kräftig zu steigen, ist eine effektive Haushaltskontrolle und eine durchgreifende Haushaltsgestaltung schon jetzt nur sehr schwer möglich. Deshalb muß das Parlament — und zwar Regierungskoalition und Opposition gleichermaßen darauf achten, daß das nur mühsam zu handhabende Instrument des Haushalts nicht noch zusätzlich dadurch problematisiert wird, daß sich die Haushaltsentscheidungen nach der Feststellung des jeweiligen Haushaltsplanes aus der Parlamentsebene gänzlich in die Exekutive verlagern und an die Stelle der Legislative allein der Haushaltsvollzug tritt.
Dennoch, meine Damen und Herren, ist der Opposition bei der Verwertung der Bemerkungen des Rechnungshofes zu diesem Zeitpunkt dringend Zurückhaltung zu empfehlen. Sie wäre sicherlich gut beraten, wenn sie die ungünstigen Erfahrungen, die sie mit einer voreiligen und ungeprüften Übernahme von Feststellungen des Rechnungshofes in der jüngsten Vergangenheit gemacht hat, nicht so bald wieder vergessen würde.
Der Rechnungshof ist zwar eine unabhängige und für die Arbeit des Haushalts- und Finanzpolitikers außerordentlich wertvolle und deshalb auch gar nicht mehr wegzudenkende Einrichtung. Aber unfehlbar ist er nun wirklich nicht. Wer den Rechnungshof in jeder Frage zur absoluten und letztinstanzlichen
Autorität erklärt, verzichtet auf die politische Entscheidungskompetenz auch dort, wo über Mark und Pfennig des Steuerzahlers nun einmal nach übergeordneten politischen Gesichtspunkten entschieden werden muß. Niemand wird damit der Mißachtung zwingender verfassungsrechtlicher oder gesetzlicher Vorschriften das Wort reden wollen.
Zu den hier aufgeworfenen Rechtsfragen will ich mich jetzt nicht weiter verbreiten. Da sollten wir der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht vorgreifen. Was aber die politische Betrachtung und Wertung angeht, sei mir beispielhaft eine Anmerkung zu einem Teilaspekt des Themas erlaubt.
Der Bundesrechnungshof vertritt in seinen Ausführungen zur Textnr. 34 Buchstabe d), nämlich zum Erwerb von Beteiligungen an der Gelsenberg AG, die Auffassung, daß es dazu keiner außerplanmäßigen Ausgabe bedurft hätte, sondern daß es möglich gewesen wäre, einen Nachtragsetat einzubringen.
Meine Damen und Herren, gerade an dieser Stelle erscheint mir der Streit denn doch sehr theoretisch. Das Votum der Prüfer mag unter formalen haushaltsrechtlichen und vielleicht noch haushaltstechnischen Gesichtspunkten vertretbar sein, praktikabel und sehr sinnvoll wäre das dem Parlament angeratene Verfahren aber nicht. So sehr uns Fragen der Aktualisierung des Haushalts mit der Anpassung der Haushaltsdaten an die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschlußfassung immer wieder beschäftigen müssen und so notwendig in diesem Zusammenhang auch über die Veränderung eines beschlossenen Haushalts mit dem Mittel eines Nachtragsetats zu reden ist, so wenig geeignet will mir gerade das Gelsenberg-Projekt erscheinen, um uns den Nachtragsetat nahezubringen.
Nein, meine Damen und Herren, gerade in diesem Punkt waren sich Regierung und alle Fraktionen des Hohen Hauses einig. Alle waren von der Notwendigkeit dieser Transaktion zur Stärkung unseres Energiesicherungsprogramms überzeugt. Die verfassungsmäßigen Voraussetzungen von Unvorhersehbarkeit und Unabweisbarkeit bei diesem isoliert zu betrachtenden Vorgang werden denn auch vom Bundesrechnungshof gar nicht geleugnet. In einem solchen Fall die Entscheidung dann aber auf dem Weg des Nachtragsetats herbeizuführen und für die vom Parlament einmütig gewollte und gebilligte Maßnahme nicht den Weg über die Leistung einer außerplanmäßigen Ausgabe zu gehen heißt doch — jedenfalls nach meinem Verständnis —, unnötig einen gesetzgeberischen Vorgang wenn auch im erleichterten Verfahren — zu produzieren und damit Gesetzgebung und Exekutive ohne Not zu belasten. In anderen Fällen und an anderen Beispielen mag die Diskussion über einen Nachtragsetat sehr viel überzeugender geführt werden können. Hier sollte es nämlich gar kein Entweder-Oder, sondern immer nur ein Sowohl-Alsauch geben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte!
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9830 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Herr Kollege Hoppe, ist Ihnen bekannt, daß das Hauptargument für den Nachtragshaushalt das ist, daß der Haushaltsausschuß nicht allein entscheidend ist, sondern daß das Gesamtparlament die Verantwortung für so hohe finanzielle Verschiebungen tragen soll?
Dieses Argument ist mir sehr wohl bekannt. Es war deshalb auch ganz selbstverständlich, diese Entscheidung durch das Haus belegen zu lassen. Der Konsens des gesamten Parlaments ist herbeigeführt und dokumentiert worden, Herr Kollege Althammer. Genau das wissen Sie ebenso wie ich auch.
Ich wollte mit dem Hinweis auf die Problematik bei einem einzelnen Vorgang deshalb auch nur verhindern, daß wir allein um des Prinzips willen vorschnell Bekenntnisse zum Nachtragsetat ablegen.
Im übrigen sollten die kritischen Bemerkungen des Rechnungshofs zur Praxis des Bundesfinanzministers am Jahresende 1973/74 weder gering-geschätzt noch dramatisiert werden.
Meine Damen und Herren, wer die Praxis des Bundes und der Länder auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren einmal zurückverfolgt und sich dabei nicht durch eine parteipolitische Brille den Blick trüben läßt, wird zu dem Ergebnis kommen, daß alle Finanzminister, unabhängig von ihrer parteipolitischen Couleur, Haushaltsreste am Ende eines Jahres gern durch die Leistung über- oder außerplanmäßiger Ausgaben einer sinnvollen Verwendung zuführen, und zwar immer dann, wenn es den politischen Vorstellungen ihrer parlamentarischen Gremien entspricht und wenn dadurch eine Entlastung des oft angespannten Haushalts des nächsten Jahres herbeigeführt werden kann. Die sehr einengenden Verfassungsbestimmungen des Bundes und der Länder sind dabei immer wieder bis an die äußerste Grenze belastet worden. Die Sünder befinden sich aber hier ganz gewiß in einer interfraktionellen Allparteiengemeinschaft.
Daß diese zwar verständliche, aber gleichwohl problematische Praxis ausufert, müssen die Parlamente verhindern. Sie bleiben deshalb an ihre Kontrollaufgabe gemahnt. Die kritischen Anmerkungen des Rechnungshofs können uns helfen, mit dieser Aufgabe besser fertig zu werden.
Meine Damen und Herren, bevor die Opposition auf der Grundlage des vorliegenden Berichts vorschnell den Stab über den seinerzeit in der Verantwortung stehenden Bundesfinanzminister bricht, sollte sie doch noch einmal mit sich selbst zu Rate gehen. Es dürfte parlamentarischer Gepflogenheit entsprechen, erst dann zu urteilen, wenn die Beratungsergebnisse vorliegen. Auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten die Beratungen des Rechnungsprüfungsausschusses abwarten. Meine Damen und Herren! Wenn Sie dem nicht folgen, laufen Sie Gefahr, sich erneut mit Fritz Reuter sagen lassen zu müssen: „In de Fixigkeit bist du mi övver, aber in de Richtigkeit bün ik di övver."
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen, Herr Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um was geht es heute? — Es geht darum, daß der Bundesfinanzminister nach Art. 114 des Grundgesetzes dem Parlament über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden Rechnung zu legen hat und diese Rechnung vom Bundesrechnungshof geprüft wird, der dann bei dieser Gelegenheit auch Bemerkungen machen kann. Wir unterstreichen ausdrücklich das Recht und die Freiheit des Bundesrechnungshofs, seine Verpflichtungen wahrzunehmen. Dies hat der Bundesrechnungshof getan, und Herr Präsident Schäfer hat dazu am 15. November 1974 wörtlich erklärt: „Über die Ergebnisse unserer Prüfung haben wir dem Parlament zu berichten, das seinerseits frei ist in seiner Entscheidung, was es auf Grund unserer Berichte tun oder veranlassen will. Unsere Aufgabe ist es jedenfalls nicht, darüber ein verbindliches Urteil zu sprechen."Ich glaube, wir sollten diese Sätze sehr ernst nehmen. Hier wird kein verbindliches Urteil gesprochen. Das verbindliche Urteil sprechen Sie, meine Damen und Herren, spricht der Deutsche Bundestag. Sie werden deswegen darüber auch im Ausschuß -- ich hoffe, in der sachlich gebotenen Nüchternheit — prüfen, entscheiden und dann dem Deutschen Bundestag Bericht erstatten; die Einzelheiten werden sicherlich in dem zuständigen Ausschuß erläutert werden.Sie erwarten vom Bundesfinanzminister, daß er einige Bemerkungen zu den Gravamina macht, die hier in diese Debatte durch den Sprecher der Opposition eingebracht worden sind. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen, daß die Bundesregierung die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zu einigen außer- und überplanmäßigen Ausgaben des Haushaltsjahres 1973 nicht teilt.
— Bitte? — Ich will Sie bei Ihrer Lektüre nicht stören, aber wenn Sie Zwischenrufe machen, dann möchte ich sie auch gern zur Kenntnis nehmen.Wir stellen im übrigen noch folgendes fest — das ist ein interessantes Phänomen, auf das meine Vorredner schon hingewiesen haben —: Bei einzelnen Punkten, auf die ich noch zurückkommen werden, ist von der Opposition Kritik angemeldet worden, obwohl diese Kritik in der Sache von der Opposition selber nicht getragen wird, sondern es geht ihr mehr um eine Formaliendebatte. Aber insgesamt — das ist das, was ich hier eingangs darstellen möchte — sind alle Vorgänge dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden, und, Herr Kollege Althammer, es wäre bei der Abstimmung hier im Deutschen Bundestag Aufgabe der Opposition gewesen, zu diesem Zeitpunkt bereits die Debatte zu beginnen.
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Bundesminister Dr. Apel— Ich gebe Ihnen sofort die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage; ich möchte noch eben diese Argumentation beenden. — Alle Berichte der Bundesregierung sind also nach Behandlung in den Ausschüssen — insbesondere im Haushaltsausschuß — hier vorgelegt worden. Wir finden aber am 26. April 1974 ebenso wie vorher bereits Anfang April 1974 im Plenarprotokoll folgenden Vorgang — Herr Präsident, ich benutze in diesem Fall das Protokoll über die 96. Sitzung, in dem die Zahlung an Salzgitter aufgerufen wird —:
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. — Auch zur Beratung wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist — einstimmig — so beschlossen.
Wir nehmen als Bundesregierung also zur Kenntnis, daß dieser parlamentarische Durchgang der von uns vorgenommenen Ausgaben seinen ordnungsgemäßen Abschluß gefunden und hier zu keinen Einwendungen der Opposition geführt hat.
Die Opposition hat dann über drei Monate später, nämlich am 26. Juli 1974, plötzlich entdeckt, daß sie doch Probleme hatte -- drei Monate also nach Abstimmung im Deutschen Bundestag —, und hat dann eine Klageschrift eingereicht, zu der im übrigen bis heute — das sind inzwischen sechs Monate — die Begründung immer noch fehlt.
Wir bezeichnen das als reine parteipolitische Taktik und Strategie,
die Ihnen unbenommen bleiben, die Sie aber bitte nicht in Gewänder kleiden sollten, die ihnen nicht gemäß sind.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte schön!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß in den von Ihnen zitierten Drucksachen lediglich davon die Rede ist, daß von den Entscheidungen der Regierung Kenntnis zu nehmen ist?
— Eben nicht zustimmend; bitte lesen Sie nach!
Zum zweiten, Herr Minister: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Opposition nicht die Erkenntnisse zur Verfügung stehen, die z. B. der Bundesrechnungshof durch Akteneinsicht hatte, und daß sie deshalb aus den Einzelheiten auch nicht entnehmen kann, ob unvorhergesehen oder nicht.
Herr Kollege Althammer, die Größenordnungen, um die es gegangen ist, die Empfänger der Zahlungen, die die Zuwendungen erhalten haben, gehen deutlich aus den Dokumenten hervor. Im Einzelfalle ist über die Frage im Haushaltsausschuß sogar berichtet worden. Sie haben jede Interpellationsmöglichkeit gehabt, nicht zuletzt im Plenum des Deutschen Bundestages. Dazu ist nämlich eine derartige Abstimmung — und hier hat eine Abstimmung stattgefunden — da, daß sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu Wort melden und die Regierung befragen. Das haben Sie nicht getan. Sie haben drei Monate später eine Klage eingereicht. Sie haben fünf Monate später noch nicht einmal die Begründung Ihrer Klage zustande gebracht. Ich wiederhole meine Behauptung: Das hat nichts mit Wahrung der Rechte der Abgeordneten zu tun, sondern ist reine Parteitaktik und Parteipolemik.
Lassen Sie mich zu einzelnen Punkten kommen. Sie, Herr Kollege Althammer, haben darauf hingewiesen, daß die Transaktion Veba /Gelsenberg zu beanstanden sei, insbesondere die 672 Millionen DM für den Erwerb der Beteiligung. Ich muß dazu folgendes sagen. Erstens: Wenn Sie, Herr Kollege Althammer, abheben auf das Interesse der Burger, das wir hier alle zusammen wahrzunehmen haben, dann war es im Interesse der Burger, gerade dieses Aktienpaket in einer Situation zu erwerben, in der wir alle durch die Ölpreisexplosion geschockt waren und wo es nun wirklich darauf ankam, Fehler der Vergangenheit, an die ich mich als damals noch junger Abgeordneter erinnere — Verkauf des DEA- Pakets an die Texaco, zumindest zustimmende Kenntnisnahme der damaligen Bundesregierung —, wettzumachen und mit dem Aufbau eines eigenen nationalen Konzern zu beginnen. Der Haushaltsausschuß ist ordnungsgemäß informiert worden, und zwar am 28. November 1973.Wenn Sie, Herr Kollege Althammer, meinen, gerade dieser Vorgang hätte sich für einen Nachtragshaushalt geeignet, sage ich Ihnen: Dieser komplizierte Weg hätte den Wert des Aktienpakets dermaßen in die Höhe getrieben, daß Schaden für den deutschen Steuerzahler eingetreten wäre.
Vielleicht wäre das ganze Geschäft überhaupt unmöglich geworden, weil es an den finanziellen Möglichkeiten des Bundes gescheitert wäre.
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Bundesminister Dr. ApelIch meine also, Herr Kollege Althammer: hier müssen Sie wissen, was Sie wollen.
Sie müsesn entweder die ökonomische Vernunft und das finanzielle Interesse des Bürgers an einem möglichst preiswerten Erwerb dieses Pakets in den Vordergrund stellen oder, wie gesagt, parteipolitische Argumente dort suchen, wo sie Ihnen geboten werden.Zum Thema Bundesbahn hat der Herr Kollege Kulawig das Nötige gesagt. Ich möchte nur eine Legende ausräumen. Herr Kollege Althammer, wenn Sie von Telefongesprächen in der Nacht sprechen, so mag es dieses Telefongespräch gegeben haben. Ich will das nicht in Abrede stellen; ich kann das auch nicht prüfen und kontrollieren. Nur eins steht fest: Seit Wochen war uns die sich dramatisch zuspitzende Situation bei Salzgitter bekannt, und sie verlangte ein schnelles Handeln. Und dann kann es in der Tat sein, daß nachts um 3 Uhr ein Telefongespräch stattgefunden hat. Nur, dies ist eine billige Persiflage einer ökonomischen Sorge im Zonenrandgebiet, die ernst zu nehmen ich Sie auch bitte.
Schließlich die Frage KfW. Sie wissen selbst, daß wir am 19. Dezember 1973 als notwendige Folge der sich damals bereits abzeichnenden Probleme insbesondere im Mittelstand die Wiederaufnahme der Programme der KfW zur Förderung der mittelständischen Wirtschaft uns vorgenommen haben. Als Gegenbuchung dazu diente quasi diese Überweisung, so daß ich Sie auch hier bitte, in den Ausschüssen den Sachzusammenhang zu wahren.Lassen Sie mich die Bemerkungen, die ich hier machen möchte — ich will ja auch den Ausschußberatungen nicht vorgreifen —, zusammenfassen.Erstens. Wir sind davon überzeugt, daß die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen von uns nicht nur mit aller Sorgfalt geprüft worden sind, sondern auch zu bejahen waren.Zweitens. Die Mehrausgaben waren so dringlich, daß sofort gehandelt werden mußte. Wir konnten nicht den langwierigen Weg des Nachtragsverfahrens gehen.Drittens. Wir haben im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung gehandelt.Wir bitten Sie darum, dies im Lichte aller Bemerkungen, natürlich auch der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes, natürlich auch im Lichte der Bemerkungen des Herrn Kollegen Althammer, im Ausschuß zu prüfen. Wir sind davon überzeugt, daß Sie dann zu einer positiven Wertung der Maßnahmen des Bundesfinanzministers kommen werden.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Pieser.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Lassen Sie mich zur Abrundung dessen, was mein Fraktionskollege Dr. Althammer hier vorgetragen hat, noch ein paar ergänzende Bemerkungen machen im Hinblick auf Einzelfeststellungen, die wir in der vorliegenden Drucksache 7/2709 vor uns haben. Es steht eindeutig fest, daß dies das erste Mal ist — es hätte schon viel früher geschehen sollen —, daß wir uns hier in diesem Hohen Hause nach Vorlage des Prüfungsberichts des Bundesrechnungshofes einmal vor aller Öffentlichkeit über den Inhalt einer solchen Drucksache unterhalten. Ich teile insoweit nicht die Meinung des Kollegen Kulawig, daß der nach Abschluß der Beratungen des in Aktion tretenden Rechnungsprüfungsausschusses zu erstattende Bericht über die endgültige Feststellung der Prüfungsergebnisse eine ausreichende Information der zu Recht interessierten Öffentlichkeit über die Haushaltsführung und die damit zusammenhängenden Fragen der Bewirtschaftung der Steuergelder unserer Bürger sei.Die in diesem Jahr besonders umfangreichen Bemerkungen des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1972 gehen natürlich nicht plötzlich in unsere Beratungen hier ein. Wir wissen, daß der Rechnungshof seine gesetzliche Berichtspflicht seit Jahrzehnten konsequent erfüllt. Zweifellos ist auch richtig, daß in den Jahren, in denen die CDU/ CSU die Regierungsverantwortung getragen hat, solche Berichte kritische Bemerkungen zu den Punkten enthalten haben, wo die Haushaltsführung oder die Durchführung von Einzelmaßnahmen als nicht in der Ordnung befindlich festgestellt worden war. Zum anderen ist jedoch auf Grund der Berichte der Jahre, die jetzt anstehen, die Feststellung zu treffen, daß es den sozialliberalen Bundesregierungen außerordentlich schwerfällt, sowohl für die Erhaltung und Verbesserung dessen, was sie bei ihrem Regierungsantritt vorgefunden haben, die notwendigen Maßnahmen wirtschaftlich und sinnvoll durchzuführen als auch gleichzeitig den im Zusammenhang mit ihren angekündigten Reformen gesetzten neuen Aufgaben gerecht zu werden, wobei wir leider feststellen müssen, daß diese Reformen zum großen Teil inzwischen auf der Strecke geblieben sind.Wir sollten uns weiter darüber einig sein, daß der vorliegende Bericht des Bundesrechnungshofs lediglich die Spitze des Eisbergs darstellt
und daß die Zahl der Bemerkungen noch viel höher wäre, wenn nicht — und das, Herr Kollege Kulawig, haben Sie vergessen zu erwähnen; die Offentlichkeit sollte es aber wissen — eine Reihe der festgestellten Monita durch Gespräche zwischen dem Bundesrechnungshof und den betroffenen Ressorts hätte bereinigt werden können. Das ist erfreulich; aber der Bürger muß wissen, daß das, was wir hier gedruckt vorfinden, nicht alles ist, was als fragwürdig anzusprechen war.Da wir hier zu diesem Bericht mit mehr als 390 Textziffern Kritik an manchen Einzelmaßnahmen, aber auch an ganzen Sonderprogrammen dieser Regierung anmelden müssen, möchte ich ausFrau Pieserdiesem Bereich ein paar konkrete Punkte im Laufe der Debatte ansprechen, wobei Sie das bitte so verstehen wollen, daß es für uns nicht etwa ein Vergnügen ist, diese kritischen Anmerkungen hier vorbringen zu müssen. Meine Freunde sind mit mir der Meinung, daß es das gemeinsame Anliegen dieses Parlaments — der Regierungskoalition wie der Opposition — sein sollte, dafür Sorge zu tragen, daß wir, die wir die Stellvertretung unserer Bürger im Lande wahrzunehmen haben, gemeinsam darüber wachen, daß in einem gewissen Zeitabschnitt festgestellte Fehler nicht auch in der Zukunft begangen werden. Wir betrachten also die Prüfungsbemerkungen des Rechnungshofs als einen Anlaß für uns, in Zukunft Gleiches gemeinsam zu verhüten. In diesem Sinne ist, Herr Kollege Kulawig, der Rechnungsprüfungsausschuß bisher auch tätig geworden, und er wird es im gleichen Sinne — das kann ich für die Mitglieder meiner Fraktion versichern — auch in der Zukunft tun.Wir sind sehr froh darüber, daß es bei der Arbeit des Rechnungsprüfungsausschusses — ganz gleich, unter wessen Vorsitz diese Arbeit in den vergangenen Jahren geleistet worden ist — möglich war, hier wirklich gemeinsam Kritik zu üben und Wege der Besserung zu suchen. Nur meinen wir, es ist an der Zeit, daß wir auch einmal den Mut haben, diese Gemeinsamkeit im Plenum zu dokumentieren, wenn es um entscheidende Fehler geht. Natürlich haben meine Freunde und ich Verständnis dafür, daß Sie sich so verhalten, wie sich eine gute Familie verhält, wenn irgendein Mitglied dieser Familie der Kritik ausgesetzt ist. Dann wird man versuchen, diese Kritik in guter Familienverbindung abzuwenden und das Familienmitglied gegenüber der kritischen Äußerung zu schützen. Das darf aber doch nicht so weit gehen, daß wir hier in unserer Arbeit den Mut vermissen lassen, das, was falsch ist, auch alle gemeinsam falsch zu nennen, dort, wo Besserung am Platze ist, gemeinsam Besserung zu versprechen.
Wir müssen davon ausgehen, daß die wenigsten Kollegen und Kolleginnen Zeit und Muße haben, sämtliche Drucksachen, die uns in diesem Hohen Hause vorgelegt werden, intensiv zu lesen und auszuwerten. Am Rande sei dazu bemerkt, daß ich aber dennoch anregen möchte, sich dem Inhalt der Drucksache 7/2709 ohne Scheu vor ihrem Umfang einmal in einer ruhigen Stunde zu widmen.Herr Kollege Hoppe sprach hier von einem „Prüfungs-Hit". Ich möchte sagen: eigentlich ist es leider eher ein Prüfungs-Krimi. Dieser Bericht enthält nämlich Passagen, die zu hören die deutsche Öffentlichkeit Anspruch hat. Es ist mit Genugtuung festzustellen, daß der Bundesrechnungshof in seinem Bericht seinem gesetzlichen Auftrag gerecht geworden ist, daß er als eine — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten aus dem Gesetz über den Bundesrechnungshof zitieren —: „der Bundesregierung gegenüber selbständige, nur dem Gesetz unterworfene oberste Bundesbehörde die gesamte Haushaltsund Wirtschaftsführung der Bundesorgane und Verwaltungen zu prüfen hat". Herr Minister Apel, meines Erachtens genügt es nicht, wie Sie es formuliert haben, festzustellen: „Der Bundesrechnungshof soll prüfen und kann Bemerkungen machen", sondern nach dem Gesetz über den Bundesrechnungshof ist dieser verpflichtet, Bemerkungen zu machen, wenn Dinge aufzuzeigen sind, die nicht in Ordnung sind.
Dies gilt um so mehr in einer Zeit, die geprägt ist von wirtschaftichen und finanziellen Problemen — wir haben eine Reihe davon im Tagesordnungspunkt 1 unserer heutigen Debatte aufgezeigt gesehen —, die zu bedrückenden Auswirkungen für den einzelnen Bürger führen. Um so mehr ist eine besonders sparsame, den Gesetzen des Umgangs mit dem Steuergeld des Bürgers Rechnung tragende Bewirtschaftung der Mittel zur Verpflichtung zu machen.
Doch nun zum angekündigten Auszug aus unserem „Prüfungs-Krimi" für das Haushaltsjahr 1972. Als ersten Einzelplan möchte ich den des Bundesministers des Innern aufrufen. Eine besonders illustre Auslese bietet die Prüfung der Ausgaben für das Organisationskomitee für die XX. Olympischen Spiele in München. Für interessierte Kollegen: Bitte, lesen Sie die Textziffern 77 bis 88 unserer Vorlage nach.Der Rechnungshof hat, nicht etwa im Alleingang, sondern gemeinsam mit den Organen des Landes Bayern und der Stadt München, die öffentliche Gelder in das Unternehmen eingebracht haben, die Prüfungen durchgeführt. Er hat dabei festgestellt, — und das ist sehr betrüblich, meine Damen und Herren —, daß die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Komitees sowohl bei der Einnahmeerhebung als auch bei der Mittelverwaltung weitgehend zu beanstanden sei. Ein paar Beispiele.Der Vorverkauf der Eintrittskarten war über eine Abrechnungsstelle vorgenommen worden.
Bei der Abrechnung für einen Posten Eintrittskartenim Werte von sage und schreibe 11 Millionen
ergab sich in der Abrechnung eine Differenz von 258 000 DM, die bis heute nicht geklärt werden konnte.
Insgesamt ist nicht einmal feststellbar, ob alle Einnahmen beim Komitee ordnungsgemäß erfaßt sind. Beim Verkauf von Eintrittskarten durch eine Tageskasse in Höhe von 26 000 DM ergab sich ein Verlust von 10 500 DM.
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9874 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Frau PieserDer Verlust konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.Der Betrieb für die Verpflegung von 6 500 Journalisten und Technikern von Presse, Funk und Fernsehen — das wird unsere Kollegen von der Presse interessieren — war als Presserestaurant einem Gastronomen übergeben worden. Dieser schenkte für die Herstellung der Verbindung zum Komitee einem Komiteemitglied einen Kraftwagen. Es läuft des weiteren eine Klage, weil dieser Gastronom dem betreffenden Mitarbeiter einen zugesagten Betrag von 20 000 DM nicht gezahlt hat. Im Werte von insgesamt 4,4 Millionen DM waren Essenbons beschafft worden. Als Verkaufseinnahmen sind lediglich 1,7 Millionen DM verbucht worden. Ob diese Einnahme zutreffend ist, kann heute kein Mensch mehr feststellen, da ein Mitarbeiter des Komitees sowohl die ausgegebenen und über den Gastronom abgerechneten Gutscheine als auch diejenigen, die dann nach einem einfachen Rechenexempel noch vorhanden sein müßten, gemeinsam vernichtet hat, ohne daß vorher eine ordnungsgemäße Zählung und Abrechnung erfolgt wäre.
Man kaufte für 370 000 DM zwei Millionen Putztücher. Meine Damen und Herren, keiner in diesem Hause hat etwas gegen Sauberkeit einzuwenden, im Gegenteil. Aber wenn die Sauberkeit offensichtlich so wenig praktiziert wurde, daß eine Menge von Putztüchern übriggeblieben ist und der Restbestand mit einem Verlust von 270 000 DM verkauft wurde, erheben sich doch berechtigte Fragen.
Der Schaden fehlerhafter Bedarfsrechnungen im Sektor „Geschirreinkauf" betrug 112 000 DM. Für die Lieferung von Toilettenpapier gar zahlte das Komitee 82 000 DM. Das Komitee hätte dieselbe Menge dieses zweifellos wichtigen Bedarfsgutes im Einzelhandel für 42 000 DM bekommen.
Das macht eine Differenz von 40 000 DM aus.
Meine Damen und Herren, des weiteren wurde für 60 000 DM ein Silberstoff erworben, der von der Lieferfirma selbst als für den Bedarfszweck völlig ungeeignet erklärt worden war. Dieser Stoff ist deshalb auch nie verarbeitet worden; aber er wurde zu einem Preis von 42 000 DM weiterveräußert. — Also waren wiederum 18 000 DM zusätzlich von der „hohen Kante" weg.Das Komitee hat für eine Reihe von Reisen — insgesamt waren es 20 — 250 000 DM ausgegeben, um seiner Einladungspflicht, die den Regeln des Olympischen Komitees entsprechend im Wege des einfachen Schriftverkehrs hätte wahrgenommen werden können, dadurch mehr Gewicht zu verleihen, daß man die Einladungen persönlich überbrachte. Die Einladungen waren dabei offensichtlich so schwergewichtiger Natur, daß man zum Teil 17 Delegationsmitglieder brauchte, um sie vom Einladungsort an den Empfänger zu transportieren. Natürlich ist das auch unter dem Gesichtspunkt „Reisen bildet" positiv zu bewerten. Aber es stößt auf Bedenken, daß dazu diese Mittel verwendet wurden.Der Rechnungshof hat nun in seiner Rüge mit Recht gesagt, daß der für diese Themen zuständige Bundesminister des Innern in seiner Eigenschaft sowohl als Zuwendungsgeber als auch als Vorstandsmitglied dieses erlauchten Komitees diese Mißstände hätte rechtzeitig erkennen und nach Möglichkeit unverzüglich abstellen müssen. Denn man kann doch wohl nicht davon ausgehen, daß in dem gesamten Komitee nicht einer gewesen wäre, der eine Ahnung von der Bewirtschaftung öffentlicher Mittel gehabt hätte. Es muß daher unser dringendes Anliegen sein und bleiben, daß die Bundesregierung den über Berichte des Rechnungshofes an sie herangetragenen Anregungen in Zukunft stärkere Aufmerksamkeit schenkt.Ich wende mich dem Thema „Bundesminister für Verkehr", Textziffern 121 bis 157, zu. Diesem Ministerium liegt ein offizielles Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes in seiner Eigenschaft als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung vor, in dem zahlreiche Vorschläge für eine sachgerechtere und wirtschaftlichere Führung seines Verwaltungsbereiches enthalten sind. Danach sollen z. B. die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen um die Hälfte, d. h. von 12 — Ist-Stand — auf 6 — Soll-Stand — verringert werden. Weiter ist festgestellt worden, daß von den Wasser- und Schiffahrtsämtern allein 40 % entbehrlich seien.Wenn man bedenkt, daß die Realisierung der vom Präsidenten des Rechnungshofes in seiner Eigenschaft als Verantwortlicher für Vorschläge bezüglich der Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung vorgelegten Anregungen zu Kostenersparnissen führen könnte, die der zu erwartenden Ersparnis in Höhe von mehr als 100 Millionen DM jährlich bei der geplanten Verringerung der Zahl der Bundesbahndirektionen entspräche, wird das Ausmaß der hier unter Umständen möglichen Entlastung des Bundeshaushalts offenbar, die durch die zögernde Behandlung dieses Gutachtens im Bereich des zuständigen Ressorts verhindert wird; denn dieses Gutachten ist bereits im Oktober 1972 an das Ressort gegeben worden. Meine Damen und Herren, der Bundesminister für Verkehr hat zwei Jahre, nämlich bis Juli des Jahres 1974, gebraucht, um von diesem Gutachten entweder Kenntnis zu nehmen oder eine Stellungnahme seinerseits an den Partner zu geben. Man hat inzwischen geantwortet, man habe noch keine Zeit für eine Entscheidung gehabt. Wir wissen ja, wie schwer manchmal Entscheidungsfälle sind. Das ist wie mit den großen und kleinen Kartoffeln: was ist nun relativ groß und klein?
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Frau PieserGenau, Herr Wehner! Diese Antwort erfolgte auch erst, nachdem der Rechnungshof angekündigt hatte, daß er in seinem Prüfungsbericht zu der Tatsache Stellung nehmen werde, daß hier zwei Jahre vergangen sind, ehe man überhaupt eine Gegenäußerung hört.Man hat inzwischen eine Kosten-Nutzen-Analyse veranlaßt, damit überhaupt etwas geschieht. Wir alle wissen, wie lange es dauert, bis eine solche Kosten-Nutzen-Analyse erstellt ist; es gehen also weitere Jahre ins Land, bis hier endlich die Konsequenzen gezogen werden.Angesichts solcher weitgehender Vorschläge sehen wir, daß der Bundesrechnungshof in seinem Prüfungsverfahren auch durchaus für uns zu nennenswerten, zahlenmäßig zu Buche schlagenden Entlastungsvorschlägen für den Bundeshaushalt kommt. Um so schwerer fällt es, Verständnis für solche Verzögerungstaktik durch die Ressorts aufzubringen.Wenn man dabei weiter berücksichtigt, daß der Bundesrechnungshof nur einen geringen Teil der geleisteten Ausgaben zu überprüfen vermag, dann kann man im Zuge der heute ja modernen Hochrechnung feststellen, welche Einsparungsmöglichkeiten wir hätten, wenn die personelle Ausstattung des Rechnungshofes in Zukunft eine hundertprozentige Prüfung gewährleistete.
Ein weiterer Punkt im Verkehrsbereich ist ein Programm zur Förderung des kombinierten Verkehrs und des Gleisanschlußverkehrs. Dafür sind aus Bundesmitteln in den Jahren 1969 bis 1972 970 Millionen DM vorgesehen gewesen und insgesamt 835 Millionen DM für etwa 2 000 Investitionsvorhaben gezahlt worden. Die angesprochenen Bereiche haben bei der Umsetzung in die Praxis gezeigt, daß offensichtlich gar kein Bedarf für eine solche Umstellung der Programme vorhanden ist, denn nur zu 49 % ist es gelungen, eine echte Verkehrsverlagerung zu realisieren.Zusammenarbeit der Exekutive mit dem Rechnungshof ist eine selbstverständliche Forderung bei solchen Prüfungsergebnissen. Wenn auch natürlich das Schwergewicht der Tätigkeit auf der Finanzkontrolle verbleiben muß, so kann doch festgestellt werden, daß die dem Rechnungshof auch übertragene beratende Funktion für Parlament und Bundesregierung nur positive Seiten hat. Wir haben das jedenfalls bei den laufenden Haushaltsberatungen für das Haushaltsjahr 1975 dankbar festgestellt. Hier haben wir doch wohl interfraktionell gesehen, wie wichtig es ist, auf Erkenntnissen, die uns aus den Prüfungserfahrungen des Rechnungshofes zuwachsen, Weichen für die Zukunft, sprich für die kommenden Haushalte, zu stellen. Allerdings wäre der Rechnungshof überfordert, wenn bei seiner Personalausstattung, die es nicht einmal erlaubt, das Ausgabeverfahren hundertprozentig zu prüfen, von ihm verlangt würde, bei allen neuen Programmen in beratender Funktion tätig zu sein.Weiter, meine Damen und Herren, bieten gutes Anschauungsmaterial auch die Ausführungen unter den Textziffern 294 bis 321 zur Bundesbahn und 322 bis 386 zur Bundespost. Diese beiden Institutionen laufen noch unter dem Rubrum Bundesvermögen. Hoffentlich kommen wir nicht in die Situation, daß wir sie eines Tages bei der Bundesschuldenverwaltung wiedersehen.
Hier ist festzustellen, daß zum Beispiel bei der Post im Fernsprechentstörungsdienst nach den Prüfungen des Rechnungshofes allein im Innendienst 5 500 Personalstellen eingespart werden könnten. Geprüft worden sind — meine Damen und Herren, das ist das Interessante dabei — nur fünf Fernmeldeämter; es gibt davon ca. 100. Überträgt man also die hier vom Rechnungshof vorgefundenen Verhältnisse auf den Gesamtbereich des Entstörungsdienstes, so wären von insgesamt 18 150 Dienstposten rund 40 °/o, d. h. 7 260, überflüssig.
Noch abenteuerlicher aber sind die Konsequenzen aus den Feststellungen des Bundesrechnungshofes zum Fernsprechauftragsdienst. Hier wird von rund 600 Personalposten annähernd die Hälfte als entbehrlich aufgezeigt. Wen kann es noch wundern, daß eine Regierung, der solche Kritik an der Vergabe von Steuergeldern angelastet wird, sich harter Kritik in der Öffentlichkeit stellen muß?
Ich darf weiter die Seiten 62 bis 64 des Berichts betreffend Einzelplan 14 Verteidigung — zum Studium empfehlen. Ressortchef in diesem Zeitpunkt war Herr Minister Helmut Schmidt, heute Bundeskanzler.
In diesem Zusammenhang werden interessante Beraterverträge
mit einem aus dem Verteidigungsministerium ausgeschiedenen Staatssekretär und einem zur NATO übergewechselten General aufzeigt.
Hier erhielt der vom Bundesminister der Verteidigung zu einer NATO-Agentur übergewechselte General einen Beratervertrag mit einer Honorarzusage von jährlich 30 000 DM. Der Vertrag ist Mitte Dezember 1971 in Kraft getreten und erst auf Anraten des Bundesrechnungshofes zum 31. Dezember 1973 gekündigt worden. Das Honorar war zahlbar in monatlichen Teilbeträgen von 2 500 DM. Die vertraglich geforderte Gegenleistung sollten zwei Studien sein mit den Themen „Dokumentation der Strukturplanung der Bundeswehr" und „Entwicklung der Spitzengliederung der Bundeswehr".
Diese Themen konnte der Betreffende sich selbstaussuchen. 1973 lag noch kein Arbeitsergebnis vor.Die Ausarbeitung zum ersten Thema bestand aus
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Frau Piesereiner Zusammenstellung von Abschriften von 46 Originaldokumenten. Eine Auswertung dieser Dokumente erfolgte nicht.
Die zweite nicht fertiggestellte Studie ist dennoch, obwohl sie nicht fertiggestellt wurde, vom Ministerium als sehr interessant bezeichnet worden.
Im zweiten Fall hat der Bundesminister im Oktober 1971 den aus dem aktiven Dienst ausscheidenden Staatssekretär gebeten, für die Leitung des Ministeriums weiterhin gewisse Fragen zu bearbeiten. Das Ergebnis der Tätigkeit, Erörterungen und Verhandlungen mit Stellen außerhalb des Hauses, sollte er in gewissen Zeiträumen in Berichtsform an den Minister herantragen. Nach Vertragsabschluß erhielt dieser emeritierte Staatssekretär eine Vergütung in Höhe des Unterschiedes zwischen den Dienstbezügen eines aktiven Staatssekretärs und den Pensionsbezügen von monatlich 1 909 DM. Außerdem erhielt er Reisekostenvergütungen nach den Bestimmungen des Reisekostenrechtes. Auf eine entsprechende Prüfungsmitteilung vom 12. Juni 1973 hat der Bundesminister zehn Monate gebraucht, um mitzuteilen, daß außer häufigen Gesprächen am gemeinsamen Wohnsitz Hamburg zwischen dem Minister und dem Ex-Staatssekretär ein lebhafter mündlicher und schriftlicher Gedankenaustausch stattgefunden habe. Wenn festzustellen ist, daß bei einer anderen Prüfungsbemerkung Soldaten für zu Unrecht in Anspruch genommene Dienste des militäreigenen Kraftomnibusunternehmens zur Rückzahlung veranlaßt worden sind, möchten wir abwarten, zu welchem Ergebnis die Prüfungen in den genannten Fällen führen werden, ob auch da mit einer Rückzahlung der Beträge zu rechnen ist.
Meine Damen und Herren, weitere Punkte möchte ich hier im einzelnen nicht ansprechen. Es gäbe noch eine Fülle von interessantem Material, das in der Offentlichkeit berechtigtes Erstaunen erregen würde. Wir werden sicher zum Zeitpunkt der Entlastung der Bundesregierung Gelegenheit haben, zu diesen Punkten Stellung zu nehmen.Meine Damen und Herren, mir ging es darum, aufzuzeigen, daß uns als Parlament, und zwar interfraktionell, nicht das zum Vorwurf gemacht werden kann, was einmal Calvin Coolidge in einem Zitat festgestellt hat:Nichts ist leichter, als öffentliche Gelder auszugeben; sie gehören anscheinend niemandem, und die Versuchung ist groß, sie jemandem zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Pieser hat die Runde, die sie hier von Herrn Althammer eingeläutet bekommen hat, in einer Form absolviert, von der man sagen kann, die Beratungen im Rechnungsprüfungsausschuß werden dadurch nicht sonderlich beeinträchtigt werden. Nur muß man sagen: Neu war das alles auch nicht. Das olympische Toilettenpapier ist schon mehrfach benutzt worden, in verschiedenen Zeitungen und sicher auch an verschiedener Stelle in unseren Beiträgen, um darauf hinzuweisen, daß private Bürokratien im Umgang mit öffentlichem Geld noch verschwenderischer sein können, wenn sie staatliche Aufträge zum Umgang mit diesem Geld bekommen. Am Beispiel der Beauftragung des Olympischen Komitees können wir dies sehen und können sehen, wie auch andere dabei mit öffentlichen Geldern umgehen.Aber wir machen hier heute zum erstenmal — darauf hat die Kollegin Pieser hingewiesen — sozusagen eine erste Lesung der Bemerkungen des Bundesrechnungshofs. Dies ist neu. Es ist ein Bruch mit einer Tradition. Es ist sehr die Frage, ob dieser Traditionsbruch das richtige Unterfangen ist. Ich habe den Eindruck, der Herr Althammer hat diese Runde eingeläutet, weil er geglaubt hat, man könne mit diesem Thema in diesem Fall die Regierung madig machen, und zwar ohne sich in große geistige Kosten zu stürzen, also madig machen zum Nulltarif. Wie immer, wenn man etwas zum Nulltarif machen möchte, gibt es einen Kostenträger. Ich fürchte, der Kostenträger in diesem Fall ist der Rechnungshof, und zwar gar nicht einmal so sehr auf eigenen Wunsch. Vielleicht mag ihm auch einiges daran guttun in eigener Sicht, wenn etwas von dem Unfehlbarkeitsdogma, das um ihn aufgebaut wird, bereinigt wird.Gehen wir einen Fall durch, den der Rechnungsprüfungsausschuß in seinen Bemerkungen 1972 schon erörtert hat, auf den die Kollegin Pieser aber nicht angespielt hat. Das sind Bemerkungen zu 4 Millionen DM, die wir gleich im kommenden Haushalt, im Haushalt 1975, einsparen könnten. Der Rechnungsprüfungsausschuß hat sich auf Antrag des Haushaltsausschusses — und nach Weitergabe durch ihn — sofort mit dem Thema beschäftigt, 4 Millionen DM beim Bundeswehrverwaltungsamt einzusparen. Wir sind dem nachgegangen. Von den 4 Millionen DM war keine müde Mark zu sparen. Da mag manches zu kritisieren sein, aber auch am Rechnungshof, der uns hier auf ein Thema gesetzt hat, das nachher nichts gelohnt hat. Denn es gab keine Stellen zu streichen. Dem Bundeswehrverwaltungsamt waren zwar Dienstposten zugewiesen, von denen der Rechnungshof vermutlich zu Recht gemeint hat, sie brauche man dort nicht. Nur, die Dienstposten waren nicht besetzt. Da man Personal, das nicht da ist, auch nicht sparen kann, kann man auch keine müde Mark sparen. Wohl aber hätte uns eine korrekte Überprüfung der Situation durch den Rechnungshof die Debatte um diesen Problempunkt ersparen können.Dies Beispiel — und der Reinfall, den der Kollege Todenhöfer früher einmal erlebt hat — zeigt,
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Dr. Sperlingdaß manches, was der Rechnungshof der Öffentlichkeit vorlegt, obwohl er das gar nicht so der Öffentlichkeit vorlegen will, durchaus verhandlungsbedürftig und korrekturbedürftig ist, und daß der Versuch, aus den Bemerkungen des Rechnungshofs vorher eine öffentliche Debatte zu machen unter dem Stichwort „Es bleibt immer etwas hängen", auch wenn es sich nachher als falsch herausstellt — Hauptsache, es hat den anderen angehängt werden können —, daß eine solche Form der Behandlung der Bemerkungen des Bundesrechnungshofs in der Tat dazu führen wird, daß die bisherige Praxis, gemeinsam falsch zu nennen, was falsch ist, doch gefährdet wird.Herr Kollege Althammer und Frau Pieser, zu der Einsicht, daß man die Bemerkungen des Rechnungshofs gewissermaßen in erster Lesung im Plenum schon mal behandeln solle, kommen Sie erst, nachdem es vorbei ist, daß Bemerkungen sich auf die Tätigkeit von Regierungen beziehen, die Sie geführt haben. Nur um deutlich zu machen: früher waren Sie gar nicht der Auffassung, daß die Bemerkungen des Rechnungshofes richtig seien. Ich erinnere an einen Butterskandal, den der Herr Höcherl angerührt hat, oder an das, was der Rechnungshof geschrieben hat, als der Starfighter beschafft wurde. Damals sollten die Bemerkungen des Rechnungshofs mit großer Mühe von Vertretern Ihrer Partei im Rechnungsprüfungsausschuß doch zurückdressiert werden und wurden auch zurückdressiert, weil sich in der Debatte im Rechnungsprüfungsausschuß herausstellte, daß bestimmte Nuancierungen und Schattierungen und Geradeherausbemerkungen des Rechnungshofes in solcher Form nicht immer haltbar sind, wie sie da gemacht werden. Dies gehörte einmal zur gemeinsamen Einsicht. Die wird aufgegeben, nachdem Sie offensichtlich aus der Gefahrenzone heraus sind, wie Sie meinen, als Träger einer Regierung, die die Bemerkungen zu verantworten hat, erwischt zu werden.Aber so fein sind Sie nun auch nicht heraus. Die Ohrfeige, Herr Althammer, die Sie austeilen wollten mit dem, was Sie hier vorgetragen haben,
die trifft nicht den jetzigen Bundeskanzler. Wenn, dann ist sie saftig sowohl in Ihr eigenes Gesicht geraten als auch in das des verehrten Kollegen Erhard, wenn Sie einmal durchgehen, was der Rechnungshof im Jahre 1965 an Bemerkungen zur Haushaltspraxis am Ende des Jahres 1965 geschrieben hat.
— Herr Stücklen, die Steinzeit in Bayern mag 1965 noch nicht beendet gewesen sein,
woanders war sie zu Ende, und da gab es durchaus schon Praktiken, die in der Tat die Diskussion wert sind.Bereits 1965 hat der Rechnungshof genau dieselben Bemerkungen zur Praxis am Jahresende gemacht, die er für das Haushaltsjahr 1972 gemacht hat.
Es waren die Bemerkungen darüber, das Budgetrecht des Parlaments sei gefährdet, und dies sei auch nach Meinung des damaligen Finanzministers in der Tat eingetreten.Wenn man sich nun anschaut, was daraus danach im Haushaltsjahr 1965/66 in den Debatten wurde, kann man, Herr Althammer, folgendes feststellen. Da sind diese Bemerkungen des Rechnungshofes zunächst ohne Debatte durchs Plenum gegangen. Dann sind sie in den Haushaltsausschuß gekommen und gleich in den Rechnungsprüfungsausschuß überwiesen worden. Und dann hat sich der Rechnungsprüfungsausschuß unter dem Vorsitz des Kollegen Althammmer mit den betreffenden Bemerkungen beschäftigt. Und wenn man nachliest, was er dazu gesagt hat: nicht ein Sterbenswörtchen in diesem dicken Buch — Rechnungsprüfungsausschußverhandlungen — zu diesem Thema, damals Textziffern 21 bis 23, die genau denselben Inhalt hatten. Herr Althammer hat nicht ein Sterbenswörtchen der Erregung verlauten lassen, weder im Rechnungsprüfungsausschuß noch an irgendeiner anderen Stelle. Herr Althammer, was Sie hier vorführen, ist doppelte Moral,
ist Messen mit doppeltem Maßstab. Das, was Sie früher anders gesehen haben, hätten Sie der intellektuellen Redlichkeit halber wenigstens auch noch darstellen sollen und Sie hätten überzeugend darstellen sollen, aus welchen Gründen Sie Ihre frühere Auffassung abgelegt haben.
— Ich weiß, daß wir eine Haushaltsreform haben, die sich, was den Verfassungstext betrifft, darauf bezieht, daß die Form der Nachtragshaushalte erleichtert worden ist.
— Die haben schon damals, wenn ich das richtig sehe, diesen Brauch der Regierung, der ja ein alter Brauch ist, — Sie können ja einmal die Zahlen durchgehen, wieviel Milliarden dann jedesmal am Jahresende bei überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben vom Rechnungshof zu verzeichnen waren; da gibt es ja Statistiken, die das ausweisen — — Da zeigt sich jedesmal, daß dies als Mißrauch des Budgetrechts des Parlaments von unseren Kollegen nicht beanstandet wurde, ebensowenig wie wir, Herr Kollege Haase, es diesmal als eine Verweigerung des Budgetrechts des Parlaments betrachten.
Dies ist der eigentliche Punkt.
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Dr. SperlingUnd wenn wir uns jetzt anschauen, was denn da geschehen ist — —
— Herr Dr. Althammer, Sie kriegen gleich noch einen Wunsch erfüllt. Sie wollten eigentlich Serientäter werden, Serientäter, indem Sie der Regierung vorwerfen, sie verletze die Verfassung. Deswegen ist Ihnen ja auch erst nach langer Zeit, nämlich im Juli zur Sauregurkenzeit der Presse, eingefallen, daß Sie zu diesen Punkten, die Sie heute beanstanden — nicht einmal der Sache nach beanstanden Verfassungsklage erheben könnten. Sie haben dann fleißig versprochen, bis September würde die Begründung nachgeliefert; das steht in den Zeitungen. Es ist bis heute nichts nachgeliefert.Ich will Ihnen ein bißchen helfen, damit Sie wenigstens wissen, womit Sie sich bei der Begründung auseinandersetzen müssen. Sie sollten darauf achten, daß es ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen gibt
und daß dieses in der Tat eine Reihe von Zitaten bietet, die zeigen, daß die tatsächliche wirtschaftliche, politische und soziale Situation zu dem Zeitpunkt der über- und außerplanmäßigen Ausgaben berücksichtigt werden muß, wenn man da Vorwürfe erheben will.Und wenn Sie sich nun überlegen, zu welchem Zeitpunkt eigentlich die Ausgaben, die Sie da als verfassungswidriges Handeln kritisieren, getätigt wurden, können Sie sich nach der Debatte zum Tagesordnungspunkt 1, die wir heute morgen hatten, ausrechnen, daß in der Tat nach Eintreten der Ölpreiskrise alle mit Spannung darauf achteten, wie eigentlich die wirtschaftliche Entwicklung verläuft. Und dann wurde auch von Ihrer Seite — allerdings genauso unterschiedlich wie auch heute noch — mit verschiedenen Einschätzungen in der Presse und auch im Parlament auf die eingetretene Entwicklung reagiert, und von Ihnen wurde damals — Jahreswende 1973/74 — die Forderung erhoben, für die Arbeitsplatzsicherheit mehr zu tun. Die Regierung hat damals ein Konjunkturprogramm gemacht und hat dieses Konjunkturprogramm — Ende 1973 — dann auch durch entsprechende Maßnahmen, die vom Haushalt her drin waren, mit gestützt.Dagegen wenden Sie sich nun. Dafür Mitte Dezember einen Nachtragshaushalt einzureichen wäre in der Tat nicht mehr möglich gewesen, und deswegen hat der Finanzminister völlig zu Recht das sogenannte Notbewilligungsrecht für sich in Anspruch genommen. Sie versuchen daraus ein Madigmachen der Regierung zum Nulltarif aufzubauen und meinen, auf diese Art und Weise der Regierung am Zeug flicken zu müssen. Dabei kommen Sie mit Ausdrücken wie „Nacht-und-Nebel-Aktion", Kollege Althammer.
— Dies ist völlig unangemessen, denn auch nachts um 3 Uhr sollte man sich, wenn man es ernst meint, um die Sicherung von Arbeitsplätzen kümmern.
Da ist auch nachts Zeit dazu.Ich möchte hier folgendes deutlich machen. Daß Sie Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregen wollen, führt wieder dazu, daß wir — was Sie manchmal wundert — das Verhalten der Opposition kritisieren. In der Tat wünschten wir uns auch in diesem Punkt eine andere Opposition, nämlich eine Opposition, die zum Nutzen für Parlament und Wähler mehr beiträgt, als Sie es tun.
Dazu würde gehören, daß Sie uns deutlicher, als es die Regierung kann, die Lage beschreiben, von der Sie meinen, daß Schwierigkeiten aufgetreten sind, und daß sie präziser, als es die Regierung oder die Koalition tut, eine Analyse der Ursachen für eine schwierige Lage vorlegen. Es würde auch dazu gehören, daß Sie noch deutlicher, als es Regierung und Koalitionsparteien tun, dafür sorgen, daß klargestellt wird, welche Mittel und Werkzeuge es gibt, gegen die Ursachen anzugehen, und daß Sie ebenfalls erklären, aus welcher kritischen Sicht eigentlich die Haushaltsinstrumente zur Benutzung solcher Mittel und Werkzeuge zu betrachten sind. Da Sie all dies schuldig bleiben, nämlich deutliche Beschreibung der Lage, klare Analyse der Ursachen und Darstellung der Werkzeuge, mit denen man den Ursachen beikommen kann, sind Sie leider eine Opposition, die zum Lernen weder bei der Regierung noch beim Wähler etwas beiträgt. Deshalb sollte Sie es nicht wundern, daß wir, wenn wir von Ihnen Kritik an der Regierung hören, ebenfalls kritische Bemerkungen zu Ihrem Verhalten machen.Sie setzen sich darüber hinaus fortlaufend mit Ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch zu dem, was Sie vorher gesagt haben. Sie haben der sachlichen Notwendigkeit der jetzt kritisierten Ausgaben zugestimmt. Auch wir bezweifeln die sachliche Notwendigkeit nicht. Aber anders als Sie sind wir überzeugt, daß der außerplanmäßigen und überplanmäßigen Mehrausgaben der Jahreswende 1973/ 74 mit einem Nachtragshaushalt zeitgerecht nicht hätten bewältigt werden können, um das zu tun, was damals alle gemeinsam wollten, nämlich Arbeitsplätze zu sichern und den Gang der Wirtschaft zu fördern.Darüber hinaus möchten wir — völlig anders als Sie, weil wir dieses Showgeschäft, das Sie hiermit betreiben wollen, nicht mitmachen wollen — sagen, daß das parlamentarische Budgetrecht durch das Handeln der Regierung zur Jahreswende 1973/74 nicht beeinträchtigt wurde, sondern daß der Bundesminister der Finanzen in den von Ihnen streitig gemachten Fällen von seinem verfassungsmäßigen Recht korrekten Gebrauch gemacht hat. Schönen Dank!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9879
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt .
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einige wenige verfassungsrechtliche Bemerkungen an dieser Stelle: Die Behauptungen der Verfassungswidrigkeit ist jedenfalls für uns Sozialdemokraten ein besonders schwerer Vorwurf. Wir lassen uns von niemandem in der Treue zu dieser Verfassung übertreffen. Das werden Sie sich merken müssen.
Wir können es infolgedessen hier nicht stehen lassen, daß jetzt dem damaligen Bundesminister der Finanzen und gegenwärtigen Bundeskanzler der Vorwurf des Verfassungsbruchs durch Herrn Althammer im Namen seiner Fraktion gemacht wird.
Ich darf dazu einige Bemerkungen machen, nicht zuletzt deshalb, weil ich einer der Berichterstatter über die Beratung des 20. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes — das betraf die Finanzverfassung — im 5. Deutschen Bundestag gewesen bin. Die Verfassungslage sieht nach dieser Grundgesetzänderung von 1969 folgendermaßen aus: Das Grundgesetz kennt zwei Verfahren, Geld zur legalen Verwendung durch die Exekutive zur Verfügung zu stellen, die im Verhältnis der Alternative oder, juristisch ausgedrückt, des Aliud stehen. Das ist einmal die Haushaltsbewilligung durch das Haushaltsgesetz einschließlich des Nachtragshaushalts, so wie es in Art. 110 des Grundgesetzes geregelt ist. Diese Methode gilt für voraussehbare Ausgaben und Einnahmen. Daneben gibt es eine zweite, völlig gleichberechtigt neben Art. 110 stehende Methode, die in Art. 112 unseres Grundgesetzes niedergelegt ist, eine Methode für unvorhergesehene über- oder außerplanmäßige Ausgaben.
Dabei ist darauf zu achten, daß Art. 112 des Grundgesetzes kein Unterfall des Art. 110 ist. Art. 112 des Grundgesetzes ersetzt vielmehr die parlamentarische Haushaltsbewilligung und kann außerordentlich weit gehen. Das letzte stammt aus dem eben schon zitierten Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen zu einer Rechtslage, die sich insoweit wortgleich mit der des Grundgesetzes deckt. Ja, sogar dann, wenn, wie in einigen Stimmen in der Literatur ab und zu geschehen, Art. 112 als Spezialnorm zu Art. 110 angesehen wird, wenn man also in Art. 110 den Grundsatz und in Art. 112 die Ausnahme verankert sehen will, lassen sich aus Art. 110 keine Schranken für Art. 112 ableiten, insbesondere nicht der Höhe nach.
Auch hier liegt der Herr Kollege Althammer völlig falsch, wenn er die Höhe der nach Art. 112 bewilligten Mittel als ein Kriterium dafür ansieht, daß der Weg des Art. 112 hier nicht beschritten werden dürfte. Das ist zwar heute nach Art. 20 des Grundgesetzes im sozialen Rechtsstaat, den die Bundesrepublik Deutschland darstellt, einem Staat mit parlamentarisch verantwortlicher Regierung, anders, als es vielleicht im konstitutionellen Staat mit monarchischer Regierung im 19. Jahrhundert gewesen sein mag. Das sind nämlich die Budgetrechtsvorstellungen des Herrn Kollegen Althammer. Damals war das Budgetrecht praktisch die einzige Waffe des Parlaments, um eine Regierung, die es nicht stürzen konnte, am Regieren zu hindern oder, besser gesagt, auf den rechten Weg zu führen. Heute hat das Grundgesetz diese Verfassungsvorstellung des vorigen Jahrhunderts völlig gewandelt. Heute gibt es im sozialen, demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik die Waffe des Mißtrauensvotums mit parlamentarischem Regierungssturz. Das Budgetrecht selber hat sich infolgedessen mit der Gesamtverfassung gewandelt und mit ihm auch das Bewilligungsrecht nach Art. 112 des Grundgesetzes.
So entstand die völlige Parallelität dieser beiden Institutionen.
Meine Damen und Herren, eine Verfassung, die so wirklichkeitsfremd wäre, anzunehmen, alle Wechselfälle des politischen und sozialen Lebens und die dafür erforderlichen Geldausgaben seien auf ein bis zwei Jahre hinaus programmierbar, wäre auch vor dem Rechte fehlerhaft.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie bereit zuzugeben, daß nach Art. 112 des Grundgesetzes für das sogenannte Notbewilligungsrecht die rechtliche Voraussetzung gegeben sein muß, daß diese Ausgabe unvorhergesehen und unaufschiebbar sein muß, damit der Finanzminister diese Bestimmung anwenden kann?
Selbstverständlich, Herr Kollege Althammer!
Herr Kollege, wenn das so ist, darf ich Sie dann weiter fragen, ob Sie dann der Auffassung sind, daß, wenn der Bundesrechnungshof feststellt, daß diese sachlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien, dagegen verstoßen worden ist?
Dieser Ansicht bin ich in der Tat nicht, Herr Kollege Dr. Althammer.
— Herr Kollege Dr. Jenninger, dies ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und steht selbstverständlich zur authentischen Auslegung ausschließlich zur Verfügung des Bundesverfassungsgerichts.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jenninger?
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9880 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Herr Präsident, das ist die letzte Zwischenfrage, die ich gestatten werde.
Spätere Aspiranten möchte ich gleich darauf aufmerksam machen.
Herr Kollege Arndt, wie würden Sie den Tatbestand hinsichtlich der Voraussehbarkeit in dem konkreten Fall der Ausgaben für die Deutsche Bundesbahn beurteilen, die im Dezember 1973 getroffen worden sind, nachdem schon im Mai mir in meiner Eigenschaft als Berichterstatter des Einzelplans 12 sowohl von seiten der Bundesbahn als auch von seiten des Verkehrsministeriums gesagt worden ist, daß hier mit Sicherheit noch Nachzahlungen geleistet werden müßten, weil jetzt schon klar sei, daß die Ausgaben nicht ausreichen würden?
Herr Kollege Jenninger, Sie werden als größerer Haushaltsexperte, als ich es bin, wissen, daß die bloße Erklärung, daß Nachzahlungen zu leisten sein werden
— das ist nun wirklich die allerletzte! —,
für den Finanzminister nicht ausreicht, einen konkreten Betrag in seinem Haushalt einzusetzen. Im übrigen kommt es verfassungsrechtlich nicht darauf an, was damals voraussehbar war, sondern es kommt darauf an, was im Augenblick der Verabschiedung des Haushalts für den Finanzminister zahlenmäßig bestimmt vorhersehbar war.
Herr Abgeordneter! Gestatten Sie als allerletzte Zwischenfrage die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Herr Kollege Arndt! Könnten Sie dem Kollegen Jenninger zur Mitteilung bringen, daß der Tarifabschluß für die Beschäftigten der Deutschen Bundesbahn, der ein volles 13. Monatsgehalt brachte, nicht voraussehbar war, als der Haushalt beraten wurde, und daß auch die Rückgänge in der Stückgüterbeförderung nicht voraussehbar waren, durch die sich die hereingefahrenen Verluste der Deutschen Bundesbahn im Herbst 1973 und nach Eintritt der Ölkrise noch verschärfter darstellten?
Herr Kollege Sperling! Ich bin gern bereit, dies dem Kollegen Jenninger, der das mit eigenen Ohren gehört hat, weiterzugeben.
Meine Damen und Herren, ich nehme meinen Faden wieder auf. Eine Verfassung, die so wirklichkeitsfremd wäre anzunehmen, alle Wechselfälle des politischen und sozialen Lebens, die Geldausgaben erfordern, seien ein bis zwei Jahre vorherprogrammierbar, wäre auch vor dem Rechte fehlerhaft. Das Grundgesetz jedenfalls weist diesen Geburtsfehler nicht auf. Der Art. 112 GG soll dieses Problem nämlich verfassungskonform und sozial vernünftig lösen. Dabei will — und auch hier folge ich dem Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen — der Art. 112 GG, daß allein der Finanzminister in seiner Verantwortung entscheidet, ob die außer- oder überplanmäßigen Ausgaben unvorhersehbar gewesen und unabweisbar sind. Verfassungsrechtlich kommt es dabei allein darauf an, ob dies zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Haushalts unvorhersehbar war. Daß dies im vorliegenden Falle so war, ergibt sich mit verfassungsrechtlicher Relevanz aus dem Zeitpunkt der hier zur Debatte stehenden Ausgaben im Dezember 1972, dem Ende des Haushaltsjahres. Über die einzelne tatbestandsmäßige Begründung haben hier der Herr Minister Apel und die Kollegen Sperling und Kulawig die entsprechenden Ausführungen gemacht.
Wenn Sie mir das alles nicht glauben, dann lesen Sie doch einmal nach, mit welcher Begründung der Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen kraft seiner Amtsautorität den analogen Antrag — genau den gleichen Antrag! — der christlich-demokratischen Fraktion des Landtags von Nordrhein-Westfalen damals zurückgewiesen hat.
Ich wundere mich nicht, daß die CDU/CSU-Fraktion bei dieser Verfassungslage ihre mehr als ein halbes Jahr zurückliegende Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht bis heute nicht begründet hat. Es empört mich aber, wenn Sie sich hier unter diesen Umständen erlauben, den damaligen Bundesminister der Finanzen und gegenwärtigen Bundeskanzler des Verfassungsbruchs zu zeihen, ohne auch nur ein einziges verfassungsrechtlich relevantes Argument in dieser Debatte vorzutragen.
Ich kann daher nur folgendes Fazit ziehen: Der Bundesminister der Finanzen handelte damals seinem Eid entsprechend und in Übereinstimmung mit unserer Verfassung, dem Grundgesetz.
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Es ist durch den Ältestenrat beantragt worden, daß diese Vorlage „Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof" an den Haushaltsausschuß überwiesen wird. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Wir fahren in der Tagesordnung mit Punkt 2 fort. Ich mache darauf aufmerksam, daß wir ohne Mittagspause durchtagen und lediglich von 13.30 bis 15 Uhr für die Fragestunde die Beratung der übrigen Tagesordnung unterbrechen.Ich rufe jetzt also den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9881
Vizepräsident von HasselZweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Pressestatistik- Drucksache 7/2407 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/2938 —Berichterstatter:Abgeordneter Möller
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
Drucksache 7/2928 —Berichterstatter:Abgeordneter BenzAbgeordneter Sieglerschmidt
Ich danke den Herren Berichterstattern und frage, ob diese zur Ergänzung das Wort wünschen. — Das ist nicht der Fall.Dann treten wir in die Beratung zur zweiten Lesung ein. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Walz gewünscht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Regierung von Qualität und Format hätte längst den Mut gehabt, in der gegenwärtigen Situation auf eine ganze Reihe von überflüssigen Gesetzesvorhaben, die das Markenzeichen „Reform" völlig zu Unrecht tragen, von sich aus zu verzichten. Zu diesen nutzlosen und auf alle Fälle überflüssigen Gesetzen gehören auch die von der Regierung initiierten Pressegesetze; angefangen beim Pressestatistikgesetz über das gleich in erster Linie zu behandelnde Gesetz einer pressespezifischen Fusionskontrolle bis hin zu dem neuerdings wieder in Aussicht gestellten Presserechtsrahmengesetz.
Zwar haben die Mitglieder meiner Fraktion in der Beratung des Innenausschusses dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über eine Pressestatistik in unveränderter Form zugestimmt. Diese Zustimmung konnte die Bundesregierung im Innenausschuß aber nur bekommen, nachdem sich die Opposition mit ihrer Forderung durchgesetzt und die Zusicherung der Bundesregierung erhalten hatte, Einblick in den Erhebungsbogen und Kenntnis von möglicherweise in Zukunft notwendig werdenden Veränderungen des Fragebogens zu bekommen.
Doch ist es der Bundesregierung bis jetzt nicht gelungen, eine ganze Reihe grundsätzlicher Vorbehalte der Opposition gegenüber diesem Gesetz auszuräumen. Bei der ersten Lesung in der 126. Sitzung am 18. Oktober 1974 hatte ich schon die Gelegenheit, die Gründe meiner Fraktion, die für eine Ablehnung sprechen, ausführlich darzulegen. Deswegen verweise ich hinsichtlich der Einzelkritik auf diese Darstellung.
Doch auch unsere grundsätzlichen Fragen sind, trotz eines gewissen Entgegenkommens der Bundesregierung im Innenausschuß, nicht beantwortet worden. So muß sich die Bundesregierung auch weiterhin die Frage gefallen lassen: Was soll überhaupt ein Gesetz, von dem heute bereits viele Fachleute und vor allem die Betroffenen selbst sagen, daß nichts, aber auch gar nichts durch dieses Gesetz erreicht oder verhindert werden kann, weder ökonomisch noch unter dem Aspekt der Medienpolitik? Ein solchee Gesetz ist deshalb nicht nur fragwürdig, sondern es ist einfach überflüssig. Mir drängt sich daher die Vermutung auf, daß es sich hier nur um Beschäftigungstherapie für einen Teil der Bürokratie der Regierung handeln soll.
Ganz besonders deutlich ist sein Alibicharakter, um nachträglich darüber hinwegzutäuschen, daß es zum Teil — zum Teil, sage ich — die Wirtschaft-und Finanzpolitik dieser sozialliberalen Bundesregierung, vor allem ihre eigene Gebührenpolitik gewesen ist, die zur gegenwärtigen Situation vieler Zeitungen und Zeitschriften — und hier besonders der kleineren — geführt haben. Nicht klarer geworden sind ebenso die wenig präzisen Aussagen der Bundesregierung über Sinn und Zweck dieses Gesetzes und seine rechtspolitischen und medienpolitischen Ziele.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sieglerschmidt?
Gerne.
Frau Kollegin Dr. Walz, halten Sie auch die Angaben, die der Zeitungsverlegerverband zur Förderung wirtschaftlicher Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung zugesagt hat und die in ihrem Tenor im wesentlichen etwa auch mit den Fragen übereinstimmen, die im Pressestatistikgesetz verlangt werden, für ebenso überflüssig, wie Sie das Pressestatistikgesetz halten?
Diese Zahlen, lieber Herr Sieglerschmidt, kann man auch sonst erheben. Wenn Sie die Verleger hier heranziehen, möchte ich sagen: in der Not frißt der Teufel Fliegen. Wenn man nur auf diese Weise Hilfe bekommen kann, dann liefert man eben auch alle notwendigen Zahlen, wenn sie absolut gewünscht werden.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Sieglerschmidt?
Ja, bitte!
Frau Kollegin Dr. Walz, zeigt die Tatsache, daß die Beibringung dieser nun von den Zeitungsverlegern auf freiwilliger Basis zu erhebenden Angaben so lange Zeit braucht, nicht, daß wir auf längere Sicht eben doch ein Pressestatistikgesetz brauchen?
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9882 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Nein, das zeigt. die Tatsache nicht, Herr Kollege, weil diese Zahlen auf Grund der Kostenstrukturstatistik, die es ja in Wiesbaden gibt, und etwa der Landespressegesetze und der Gutachten, die zur Untersuchung der Presse in einzelnen Ländern gemacht worden sind, sowieso vorhanden wären.
Ich würde sagen, das ist ein völlig überflüssiges Gesetz.
Jetzt darf ich aber fortfahren. Auch die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang mit der Konzeption und Gestaltung des Erhebungsbogens ergeben, sind noch immer nicht — so will es uns jedenfalls scheinen — beantwortet. So bleibt — um nur ein Beispiel zu nennen — weiter die Frage: Wie eng ist die Gestaltung, wie eng sind die Fragen dieses Erhebungsbogens an den Gesetzestext gebunden? Betrachtet man nämlich den Gesetzentwurf und den Entwurf des Fragebogens sehr kritisch, dann kann man durchaus zu dem Ergebnis kommen, daß es sich hier um ein Gesetz mit weitreichenden „Ermächtigungen" handelt. Und genau das ist in der gegenwärtigen medienpolitischen Auseinandersetzung der kritische, weil entscheidende Punkt.
Gerade die im Ministerium Maihofer geführte Diskussion über Pläne für eine finanzielle Entlastung der bedrängten Presse lassen Schlimmes befürchten. So soll nach allem, was man hört, an einem Katalog von Kriterien gearbeitet werden, Kriterien, nach denen staatliche Unterstützung verteilt werden soll. Steuervergünstigungen und Investitionszulagen sollen danach nur jene Blätter erhalten, die am stärksten gefährdet sind, vorausgesetzt — und das ist das Entscheidende —, sie sind förderungswürdig. Es widerspricht eigentlich jedem liberalem Verständnis von Meinungsvielfalt und Pressefreiheit, wenn hier die Frage gestellt werden muß: wer im Ministerium Maihofer wird eines Tages schließlich darüber befinden und entscheiden, ob eine Zeitung, ob eine Zeitschrift förderungswürdig ist oder nicht?
Es ist also nicht nur ein Irrglaube der Bundesregierung zu meinen, mit dem Instrument der Statistik und der Fusionskontrolle den Prozeß der Pressekonzentration aufhalten zu können. Erstaunlich ist darüber hinaus der Rigorismus und die Unbelehrbarkeit, mit der die Bundesregierung Pressegesetze präsentiert, Gesetze, die zu gar nichts mehr taugen werden zu einem Zeitpunkt, da viele Zeitungen und Zeitschriften um ihre Existenz kämpfen. Es ist vor allem die Art und Weise, wie diese sozialliberale Bundesregierung Medienpolitik betreibt, die uns so kritisch und so mißtrauisch macht.
Ich kann mich nicht zu der Meinung bekennen, daß keine Medienpolitik die beste Medienpolitik sein soll. Doch die beste Medienpolitik scheint mir allein jene zu sein, die mit Achtung und Respekt vor der Verfassung nicht gegen und ohne den Bürger, sondern stets und vor allem für ihn gemacht wird. Daher kann und darf gute Medienpolitik nicht am Konflikt, wie die Ihre, sondern sie muß am Vertrauen orientiert sein. Dieses Vertrauen hat die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition bisher mit ihrer Medienpolitik nicht verdient.
Es sind also neben erheblichen Bedenken, die sich von der Sache her gegen dieses Gesetz anführen lassen und die Ihnen bekannt sind, durchaus auch solche Überlegungen, wie ich sie gerade nur skizzenhaft andeuten konnte, die in meiner Fraktion zu dem Entschluß geführt haben, das von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz über eine Pressestatistik abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Grobecker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Pressestatistikgesetz ist im Oktober des Jahres 1974 im Plenum des Deutschen Bundestages in erster Lesung beraten worden. Damals drängte die sozialdemokratische Bundestagsfraktion auf schnelle Beratung in den Ausschüssen. Die SPD- Fraktion stellt heute fest, daß es zu einem schnellen Abschluß dieser Beratungen in den zuständigen Ausschüssen gekommen ist, daß wir heute die zweite und dritte Lesung im Plenum haben, begrüßen wir ausdrücklich, obschon dieses Gesetz, meine Damen und Herren, für die unmittelbare aktuelle Lage im Pressebereich zu spät kommt. Nach unserer Auffassung ist es für die gründliche Erfassung pressespezifischer Daten dennoch dringend notwendig.Die Bundesregierung hat inzwischen in einer Fragestunde der letzten Woche angekündigt, daß unabhängig von diesem Gesetz Hilfsmaßnahmen für die in Schwierigkeiten geratenen Zeitungsverlage noch in diesem Frühjahr eingeleitet werden. Es bleibt selbstverständlich dabei, daß diese Hilfsmaßnahmen nur gezielte Hilfsmaßnahmen sein können und daß wir uns nicht dazu hergeben werden, Gießkannen-Hilfsmaßnahmen vorzunehmen.Dennoch ist das Pressestatistikgesetz, verehrte Frau Walz, kein überflüssiges Gesetz, weil es auf längere Sicht zuverlässige Daten bringen wird, auf deren Grundlage die Medienpolitik der Bundesregierung aufbauen wird. Das Gesetz soll Voraussetzungen für Maßnahmen schaffen, die langfristig die Vielfalt der Presse erhalten sollen. Bei einem kooperativeren Verhalten der Verlegerverbände wäre es ganz sicher schon früher möglich gewesen, Hilfsmaßnahmen für die Presse einzuleiten.Die Kritik der Opposition an den Erhebungsmodalitäten geht an der Sache vorbei. Die Bundesregierung hat ausdrücklich zugesichert — obwohl es sich ausschließlich um eine Sache der Exekutive handelt —, die Erhebungsbogen den zuständigen Bundestagsausschüssen vorzulegen.Es ist ein unverschämte Unterstellung der Opposition,
wenn sie der Bundesregierung vorwirft, sie würdewirtschaftliche Hilfen für die Presse mit politischenAuflagen koppeln, meine Damen und Herren —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9883
Grobeckerganz abgesehen davon, daß dieser Vorwurf gleichzeitig selbstverständlich auch die Käuflichkeit von Verlegern und Journalisten voraussetzt.Das Pressestatistikgesetz ist das erste Gesetz eines Bündels von Maßnahmen, die den Bundestag in nächster Zukunft beschäftigen werden. Einen der Punkte haben wir anschließend auf der Tagesordnung.
Die sozialliberale Koalition wird mit diesem Bündel von Pressegesetzen deutlich machen, daß sie — weder was die Pressefreiheit und die Vielfalt der Presse noch was die Arbeitsplätze der Journalisten, Setzer und Drucker angeht — mit sich spaßen läßt. Wir stellen mit Befriedigung fest, verehrte Frau Walz, daß die Opposition inzwischen auch von ihrem verhängnisvollen Weg „Die beste Medienpolitik ist keine Medienpolitik" abgekommen ist.Wir stimmen deshalb diesem Gesetz zu und hoffen, daß wir hier in Kürze wieder über die Situation der Presse reden können, wenn die Bundesregierung ihre Hilfsmaßnahmen vorgelegt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen meines Kollegen Grobecker kann ich mich kurzfassen. Die Vorlage eines Gesetzes über die Pressestatistik ist von diesem Hause schon am 2. Juli 1969 verlangt worden. Wir begrüßen es, daß nun endlich die Verabschiedung eines Gesetzes über die Pressestatistik möglich ist.
Frau Kollegin Walz, das, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt haben, gehört für mich zu dem Merkwürdigsten, was ich in diesem Hause seit langem gehört habe. Alle Fraktionen sind sich doch darüber einig, daß wir eine wirtschaftliche Förderung der notleidenden Teile unserer Presse haben wollen. Das heißt: Die Förderung muß doch so angelegt werden, daß sie nicht etwa den Kostenvorsprung florierender Blätter vergrößert und damit die wirtschaftliche Grundlage für eine Beschleunigung der Konzentration legt. Vielmehr können wir eine wirtschaftlich richtige Förderung nur dann betreiben, wenn wir zunächst einmal exakte Daten haben, von denen wir ausgehen können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Walz?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Hirsch, sind Ihnen die Äußerungen Ihres eigenen Parteifreundes Maihofer bekannt, der festgestellt hat, daß gezielte staatliche Hilfen für einzelne notleidende Zeitungen zwangsläufig einen manipulativen Charakter haben müßten?
Frau Kollegin, dann müßten Sie den ganzen Zusammenhang dieser Äußerungen darlegen. — Es besteht doch wohl in diesem Hause kein Zweifel darüber ich hoffe jedenfalls, daß kein Zweifel darüber besteht; wir haben ja bei anderer Gelegenheit schon ausführlich über die Frage hier in diesem Hause diskutiert —, daß es möglich ist, bei einer gezielten Pressehilfe Kriterien zu entwickeln, die eben keine politische Beeinflussung der Zeitungen bedingen.
Wir sind der Überzeugung, daß dieses möglich ist.
Ich habe schon in der vorherigen Debatte darüber dem verehrten Kollegen Narjes in einer Zwischenfrage eine ganze Reihe solcher abstrakter Kriterien genannt, nach denen man vorgehen könnte. Aber das Entscheidende, was Sie zugeben müßten, die entscheidende Erkenntnis, der Sie sich nicht verschließen könnten, ist doch, daß eine wirksame, konkrete und korrekte wirtschaftliche Hilfe zur Erhaltung der privatwirtschaftlichen Struktur der Presse nur möglich ist, wenn man sie auf einwandfreien Zahlen aufbaut.Der Bundestag hatte am 2. Juli 1969 beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, regelmäßig über die Lage der Presse zu berichten. Der Bericht, den wir im Mai 1974 vorgelegt bekommen haben, war alarmierend. Besonders alarmierend darin ist ein Satz, Frau Kollegin Walz, nämlich der Satz „Eine amtliche und umfassende Statistik über Massenmedien in der Bundesrepublik gibt es nicht". Das heißt also, daß dieser für die Verwirklichung des Grundrechts des Art. 5 entscheidende Bericht nicht auf exakten statistischen Daten fundiert war, sondern daß man auf andere Quellen zurückgreifen mußte, auf andere Untersuchungen, die dann gezielt in Auftrag gegeben worden waren, daß man andere Untersuchungen interpolieren mußte. Ich meine, daß ein solches Verfahren bei einer so elementaren Sache wie der Pressefreiheit in diesem Lande und ihrer Verwirklichung unzureichend ist, und zwar unzureichend in der Aussagekraft und in der Zuverlässigkeit der dabei entstehenden Daten.Ich begrüße es, wenn wir in Zusammenarbeit mit dem BDZV zu Zahlen kommen. Aber das außerordentlich mühsame Verfahren des BDZV — ich habe hier schon einmal ausgeführt, daß durch mangelnde Entschlußkraft und Geheimniskrämerei dazu beigetragen worden ist, daß die Zahlen bis heute nicht vorliegen —
zeigt deutlich, daß man sich eben nicht auf die absolut freiwillige Mitarbeit der Beteiligten dann verlassen kann, wenn die Interessen der Beteiligten nicht synchron sind. Sie wissen genausogut wie ich, daß die Interessenlage der verschiedenen Publikationsorgane auch in der Frage der wirtschaftlichen Hilfe völlig divergierend ist. Es kann Ihnen nicht verborgen sein, daß es auf dem Zeitungsmarkt
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9884 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Dr. Hirscheinen zum Teil ruinösen Wettbewerb gibt, von dem einzelne eben profitieren und dieses vielleicht auch weiter wollen.
Tatsache ist jedenfalls — dies ist ein bedauerlicher Tatbestand —, daß wir auf der Grundlage dieses Gesetzes, das eben spät kommt, die Zahlen erst 1976 oder 1977 zur Verfügung haben werden, Zahlen, die wir in ihrer Exaktheit heute schon brauchten.
Sie sollten sich nicht darin erschöpfen, hier — ich weiß nicht, zu wessen Gunsten — eine Ablehnung dieses Gesetzes zu fordern, sondern Sie sollten mit uns gemeinsam die Beteiligten erneut auffordern, mit ihren Zahlenermittlungen schneller fertig zu werden, und zwar mit nachprüfbaren Zahlen. Sie sollten mit uns gemeinsam an die Betroffenen appellieren, auch in den kommenden Jahren zu freiwilligen Zahlenerhebungen bereit zu sein, damit wir den Anschluß an diese Statistik, die 1976/77 vorliegen wird, erreichen. Sie müßten es tun, wenn Ihnen die Verwirklichung der Pressefreiheit in diesem Lande wirklich am Herzen liegt.Wir begrüßen dieses Gesetz; wir stimmen ihm zu.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst im Namen der Bundesregierung dafür bedanken, daß dieses Hohe Haus so schnell über dieses wichtige Gesetz beraten hat.Frau Kollegin Dr. Walz, ich wundere mich sehr über den Widerspruch der Opposition; denn das, was wir heute vorlegen, geht auf einen Beschluß des Jahres 1969 zurück, an dem Sie mitgewirkt haben, an dem Ihre Partei mitgewirkt hat, als damals beschlossen wurde, eine jährliche Pressestatistik einzuführen. Nichts anderes tun wir jetzt. Deshalb war es weise, daß Ihre Kollegen im Innenausschuß zugestimmt haben. Auch der Bundesrat hat keine Einwendungen erhoben.Alle unmittelbar Beteiligten unterstützen dieses Vorhaben. Das gilt für den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, für den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und für den Deutschen Presserat. Es kann also gar nicht von einem Gegensatz zwischen der Bundesregierung und den Verlegerverbänden die Rede sein. Im Gegenteil, diese haben sehr ernsthaft und gründlich an diesem Gesetzgebungsvorhaben mitgewirkt. Ich glaube, keine Situation wie die heutige kann besser illustrieren, daß es gut gewesen wäre, wenn wir dieses Gesetz schon früher hätten beschließen können. Dann hätten wir nämlich die Daten, über die wir jetzt mühsam in einer Ad-hoc-Erhebung beschaffen müssen, auf die ich gleich noch einmal eingehen möchte.Daß dieses Gesetz erst heute verabschiedet werden kann, liegt also nicht an Bundesregierung und Parlament. Die Bundesregierung hatte bereits im Jahre 1970 ihre Vorarbeiten aufgenommen. Diese gestalteten sich äußerst schwierig wegen der schon damals — ich will es einmal so ausdrücken —zögernden Mitwirkung der Verleger. Die Zeitschriftenverleger haben erst Ende 1973 ihren Widerstand aufgegeben und eingesehen, daß dieses Gesetz auch für sie selbst nützlich ist und ihnen auch Daten bringt, die sie selbst benötigen.
— Nein, nicht „in der Not frißt der Teufel Fliegen", sondern es ist eine echte Einsicht in die Notwendigkeit dieser Erhebung, die auf Daten abzielt, die auf keine Weise besser gewonnen werden können, auch nicht auf dem Weg, den wir jetzt hilfsweise mit einer privaten Erhebung beschreiten.Das Gesetz dient der Pressefreiheit, indem es die weitgehend unbekannte Struktur der Presse transparenter macht. Es geht dabei um die Presse in ihrer Gesamtheit, nicht um die wirtschaftliche Lage des einzelnen Verlages, Frau Walz. Die wirtschaftliche Lage des einzelnen Verlages wird nicht aufgedeckt. So geht auch der Vorwurf in die Leere, die Bundesregierung wolle Einblick in die wirtschaftliche Lage einzelner Verlage erhalten.Die spektakulären Konzentrationsvorgänge der letzten Monate haben uns die prekäre wirtschaftliche Situation der Presse erneut vor Augen geführt. Der heutigen Forderung nach wirtschaftlichen Maßnahmen stehen mangelhafte Kenntnisse über die tatsächliche Lage im einzelnen gegenüber. Hier stimme ich mit meinem Vorredner und auch mit Herrn Grobecker voll überein: Hilfe kann nur dann wirksam sein, wenn sie diejenigen erreicht, die sie wirklich benötigen. Die Bundesregierung hat sich klar gegen das Gießkannenprinzip ausgesprochen, das die Gefahr in sich birgt, durch weitere Stärkung der wirtschaftlich Starken die Konzentrationsprozesse noch zu fördern. Es geht also um die Bestimmung von Zielgruppen, Herr Klein, nach strikt objektiven Kriterien. Von dieser Basis geht auch der Europarat aus, der in diesen Tagen über die Pressekonzentration berät. Er geht auch davon aus, daß man differenzierende Hilfen, also Hilfen an Zeitungen, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden, vorschlagen sollte. Frau Kollegin Walz, es wird niemals der Zeitpunkt kommen, „an dem im Ministerium Maihofer darüber entschieden wird, ob eine einzelne Zeitung förderungswürdig ist". Wo kämen wir dann hin? Das ist ein völliges Mißverständnis dessen, was hier vorbereitet wird. Ich glaube, wir haben schon in der letzten Debatte am 18. Oktober 1974 so eindeutig auf die Kriterien hingewiesen, um die es hier geht, daß dieses fortdauernde Mißverständnis eigentlich sehr merkwürdig berührt.Die Bundesregierung hatte schon im April vergangenen Jahres ein Sofortprogramm für die Zeitungspresse beschlossen und hat weitere Maßnahmen von der Vorlage ausreichender wirtschaftlicher
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9885
Parl. Staatssekretär BaumDaten abhängig gemacht. Nach wiederum sehr zögernden Verhandlungen, zögernd von seiten der Verleger, ist dann schließlich im Oktober des vergangenen Jahres eine Einigung über eine Erhebung erzielt worden, die vom BDZV selbst unter Einschaltung eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers durchgeführt wird. Die Einschaltung des Wirtschaftsprüfers, die von der Regierung gewünscht worden war, hat sich als äußerst wichtig erwiesen.Wie ist die Lage heute? Es ist seinerzeit vom BDZV erklärt worden, daß die Ergebnisse dieser Erhebung bis spätestens Januar 1975 vorliegen werden. Der Präsident des BDZV hat der Bundesregierung jetzt mitgeteilt, daß die Arbeitsplanung auf den 31. Januar abgestellt ist. Es kann sich — so fügte er hinzu — höchstens um eine Verzögerung von wenigen Tagen handeln.Wie wir zusätzlich erfahren haben, sind die in der zweiten Hälfte des Monats Oktober versandten Fragebögen zu etwa 50 % zurückgeschickt worden. Damit sind — wie wir weiter festgestellt haben — etwa 80 % der Auflage erfaßt, so daß schon eine gewisse Repräsentativität gewährleistet ist.Parallel mit dem Anlaufen dieser Erhebungsaktion hat die Bundesregierung am 16. Oktober beschlossen, Kriterien für eine Abgrenzung zwischen unterstützungsbedürftigen und wirtschaftlich gesunden Zeitungsverlagen sowie einen Modellvorschlag für eine gemeinsame Vertriebsorganisation erarbeiten zu lassen. Die Vorarbeiten sind inzwischen abgeschlossen. Eine Entscheidung über die erarbeiteten Förderungskriterien und Modellvorschläge kann aber erst dann erfolgen, wenn die Ergebnisse der genannten Erhebung vorliegen.Wir haben uns auch sehr eingehend mit der Situation um uns herum im europäischen Ausland befaßt. Es ist ja keine allein deutsche Erscheinung, mit der wir es hier zu tun haben, sondern eine europäische und weltweite Erscheinung. Wir werden uns auch den Erfahrungen widmen, die andere Länder gemacht haben. Ich denke vor allen Dingen an Schweden.
Gestatten Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Walz?
Ja.
Herr Staatssekretär, Sie sagten eben, Sie hätten sich im europäischen Ausland umgesehen, und haben den Europarat zitiert. Sie haben aber wohl nicht auf die übrigen EG-Länder gesehen, die, anders als hier bei uns, keine Mehrwertsteuer für die Vertriebserlöse und außerdem Hilfen im Postzeitungsdienst haben, und zwar allgemein und global.
Frau Kollegin, im einzelnen sind die Verhältnisse in den europäischen Ländern unterschiedlich. Es ist ein Trend der Kostenverteuerung bei Zeitungsverlagen vorhanden, insbesondere durch die Verteuerung der Papierkosten; da gibt es eine Parallele. Es ist natürlich Aufgabe jedes einzelnen Staates, diejenige Lösung zu finden, die seiner Situation und seinem System am ehesten gerecht wird.
Die Bundesregierung widmet sich schließlich mit großer Aufmerksamkeit auch der Situation der Journalisten. Durch die letzten Konzentrationsprozesse hat sich die Arbeitsmarktlage weiter verschlechtert. Auch das Problem der Altersversorgung ist noch nicht optimal gelöst.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung nimmt die Pressefreiheit sehr ernst. Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt sind für unsere demokratische Ordnung schlechthin konstituierend, und das Pressestatistikgesetz ist ein Teil einer Gesamtkonzeption der Bundesregierung, die von diesem Grundgedanken getragen ist.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn es Ihnen um die Pressefreiheit ernst ist, müßten Sie diesem Gesetz zustimmen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich beende die Aussprache zur zweiten Beratung.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer dem Entwurf des Gesetzes über eine Pressestatistik in den §§ i bis 7 sowie Einleitung und Überschrift seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.Wir kommen zur Schlußabstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetz als Ganzem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung ist das Gesetz angenommen.Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen— Drucksache 7/2954 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GODas Wort hat zur Einbringung der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Friderichs.
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9886 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Der Regierungsentwurf einer Dritten Kartellnovelle ist in der bisherigen Diskussion nicht auf eine grundsätzliche Ablehnung gestoßen. Ich möchte hervorheben, daß auch der Bundesrat mit seiner anderen Mehrheit ausdrücklich erklärt hat, daß er der Einführung einer pressespezifischen Fusionskontrolle nicht prinzipiell widerspreche. Ich meine, das ist eine gute Ausgangsbasis für die nun anstehende parlamentarische Beratung. Sie spiegelt, wie ich es sehe, einen Grundkonsens aller Beteiligten wider, mit den Mitteln des Kartellrechts der fortschreitenden Konzentration im Pressewesen entgegenzusteuern.
In diesem Zusammenhang ist verschiedentlich der Einwand erhoben worden, eine Pressefusionskontrolle ändere nichts an der wirtschaftlichen Lage der Presseunternehmen. Ich kann nur erwidern: so etwas Naives hat niemand behauptet, schon gar nicht die Bundesregierung selbst. Über wirtschaftliche Hilfen an die Presse konnte noch nicht entschieden werden, weil uns die dafür notwendigen Daten — ich verweise auf das, was der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern vorgetragen hat — noch nicht zur Verfügung stehen. Ich möchte hinzufügen, daß anders als die übrigen Bereiche der Wirtschaft die Presse in der Vergangenheit mehr als zurückhaltend mit der Lieferung solcher Daten war. Nun werden der Bundesregierung die Ergebnisse der Erhebung, die der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger durchgeführt hat, wie ich annehme, im Februar vorliegen.Anders aber als bei der Frage nach kurzfristigen wirtschaftlichen Hilfen geht es bei der Pressefusionskontrolle um mittel- und längerfristige Wettbewerbs-, d. h. ordnungspolitische Zielsetzungen. Zusammenschlüsse von Unternehmen finden ja nicht nur in Zeiten einer abgeschwächten Konjunktur statt. Es handelt sich hier vielmehr, wenn man die Vergangenheit betrachtet, um einen Trend, den wir sich verstärkend seit Ende der ersten Nachkriegsphase in unserer gesamten Wirtschaft feststellen, und zwar nicht in einer direkten Abhängigkeit von konjunkturellen Zyklen.Daß überhaupt eine Neigung zur Konzentration vorliegt, ist also kein Spezifikum der Presse. Die Besonderheit dieses Wirtschaftsbereiches liegt vielmehr darin, daß das Angebot in dieser Branche überwiegend und nicht substituierbar von kleinen und mittleren Unternehmen getragen wird. Das Ausscheiden eines Anbieters im lokalen oder regionalen Bereich heißt hier — anders als in der übrigen Wirtschaft — in der Regel automatisch Monopolisierung oder gar gänzliches Fehlen eines weiteren Angebots.Im übrigen sind für Konzentrationsvorgänge in der Presse wie in anderen Sektoren der Wirtschaft zunächst einmal ökonomische Gründe ausschlaggebend. Folgerichtig hat die Bundesregierung den Entwurf der Pressefusionskontrolle voll in das System des geltenden Kartellrechts integriert.Natürlich können die ökonomischen Gründe für einen Zusammenschluß vielfältig sein. Vielleicht darf ich das so formulieren: Es gibt gute und weniger gute Gründe. Weil es eben auch gute Gründe für eine Fusion geben kann, bedeutet — was oft übersehen wird — weder die allgemeine noch die Fusionskontrolle für die Presse ein generelles Fusionsverbot. Was vielmehr verhindert werden soll, sind Zusammenschlüsse, die mehr der Neigung zu umsatzträchtiger Größe oder schlichter Marktmacht als ökonomischen Notwendigkeiten entsprechen. Selbst wo wirtschaftliche Zwänge zu einem Zusammenschluß führen, z. B. in den Fällen einer Sanierungsfusion, gibt es durchaus Gestaltungsformen, die eine relative Angebotsvielfalt erhalten. Diese Erwägungen sind für das Bundeskartellamt kein Neuland mehr, und sie sind auch Grundlage des Regierungsentwurfs.Die Kritik an diesem Entwurf konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Fragen: 1. Setzt die Pressefusionskontrolle nicht an zu niedrigen Unternehmensgrößen an? 2. Werden dem Bundeskartellamt nicht zu weitgehende Befugnisse dadurch eingeräumt, daß es auch nach Abschluß des eigentlichen Fusionskontrollverfahrens die Einhaltung von Zusagen über die Gestaltung des Zusammenschlusses überwachen kann? Dies waren in der Tat die Kernfragen, die sich auch der Bundesregierung bei der Konzeption ihres eigenen Entwurfes gestellt haben.Zunächst zur ersten Frage, nämlich der des sogenannten Aufgreifkriteriums für die Pressefusionskontrolle: Die Bundesregierung hat sich zu dem niedrigen Kriterium von 25 Millionen DM Jahresgesamtumsatz der zusammenschlußwilligen Unternehmen — das entspricht einer Auflage bei Tageszeitungen von ca. 60 000 Stück — entschlossen, weil wir alle wissen, daß gerade im Bereich der Lokalpresse und der engräumigen Regionalpresse der Konzentrationsprozeß bereits weit fortgeschritten ist und sich weiter fortsetzt. Bereits heute leben rund 28 % der Bevölkerung in Kreisen und kreisfreien Städten, in denen nur eine Tageszeitung erscheint. Anders ausgedrückt, ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung kann sich zwar relativ eingehend über Ereignisse und Meinungen rund um den Globus auf mehrfache Weise unterrichten; Nachrichten über das kommunale Leben in seiner nächsten Umgebung kann er jedoch nur aus einer einzigen Quelle, nämlich jener einen Lokal- oder Regionalzeitung beziehen.
Ein kritischer Vergleich dieses einen Informations-und Meinungsangebots mit anderen Angeboten ist hier schon nicht mehr möglich. Ja, in manchen Gegenden besteht sogar die Gefahr, daß auch dieser eine Nachrichtenträger ganz ausfällt.Das niedrig gewählte Aufgreifkriterium soll sicherstellen, daß eine weitere Konzentration in diesem Bereich nicht oder im Einzelfall nur dann stattfindet, wenn zwingende ökonomische Gründe dafür vorliegen. Das ist die eine Seite der Medaille. Ich muß noch einmal betonen: zwischen Aufgreifkriterium
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Bundesminister Dr. Friderichsund Verbot ist im gesamten Wettbewerbsrecht kein Unterschied.Die andere Seite, die die Bundesregierung gleichfalls gesehen hat, ist die, daß ein niedriges Aufgreifkriterium irgendwann wettbewerbs- und ordnungspolitische Probleme aufwirft. Denn schließlich ist es ein Grundprinzip unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, die staatliche Administrierung auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Dies gilt auch für die Fusionskontrolle. Hinzu kommt, daß das Kriterium wie jede zahlenmäßige Grenze in sich seine Problematik hat. Schließlich verändern sich ja auch nominale Umsatzgrößen im Laufe der Zeit, ohne daß der reale Umsatz wächst. Bis Mitte des vergangenen Jahres gingen wir z. B. bei 25 Millionen DM noch von einer anderen Tagesauflage aus als heute.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß in den Ausschußberatungen des Deutschen Bundestages ein Hearing der betroffenen Wirtschaftsverbände eingeschaltet wird. — Zu dem Zwischenruf: „In einem halben Jahr" darf ich sagen: das ist einfach so, weil, wie wir alle miteinander wissen, trotz Einschaltung des Kartellamtes in dieser Zeit die Preise insbesondere für Papier — die Ursachen sind hinreichend bekannt — in einem unvorstellbaren und mit anderen Preisentwicklungen nicht vergleichbaren Ausmaß gestiegen sind.
Die Bundesregierung hat von Anfang an erklärt, daß auch sie sich bei ihrer Stellungnahme etwaigen weiteren und besseren Einsichten nicht verschließen wird.Nun aber zu der zweiten kritischen Frage, der Frage nach einem möglichen und unangemessenen Machtzuwachs beim Kartellamt. Die Frage knüpft an die Neuregelung in Nr. 5 des Entwurfs an, durch die die Einhaltung von Zusagen der Unternehmen über Art und Weise des Zusammenschlusses sichergestellt werden soll. Presskommentare der letzten Tage haben die Befürchtung laut werden lassen, hier werde eine laufende Verhaltenskontrolle der Unternehmen statuiert und damit eine neue Dimension in die Fusionskontrolle generell eingeführt. In ähnlicher Weise hatte sich übrigens auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme geäußert.Ich möchte dazu sagen, daß es sich hier, ob gewollt oder ungewollt, das bleibe dahingestellt, um ein Mißverständnis handelt. Ich glaube — und ich brauche das nicht näher darzulegen —, daß ich selbst zu allerletzt einer Regelung zustimmen würde, mit deren Hilfe die Fusionskontrolle zum Vehikel einer dauernden Verhaltenskontrolle der Unternehmungen umfunktioniert werden könnte. Dies gilt nicht nur für die Presse, sondern generell.Worum es geht, ist schlicht und einfach folgendes. Schon das geltende Recht — ich meine das allgemeine Kartellrecht — gibt dem Bundeskartellamt die Möglichkeit, auch nach Ablauf der Prüfungsfrist einen Zusammenschluß zu untersagen, wenn er anders als angemeldet vollzogen oder wenn die fristgemäße Untersagung wegen unvollständiger oder unrichtiger Angaben nicht erfolgt ist. Schon jetzt kann also das Kartellamt auch nach Ablauf der Fristen die Einhaltung von Zusagen verlangen, wenn diese Zusagen nachweisbar nur zum Schein gegeben worden sind. Die vorgeschlagene Ergänzung des Gesetzes soll lediglich die Wiederaufnahme der Prüfung in den Fällen ermöglichen, in denen die Absicht, die Zusage nicht einzuhalten, nicht nachgewiesen werden kann oder in denen von den Beteiligten geltend gemacht wird, daß veränderte Umstände die Erfüllung der Zusage unmöglich machen.Im übrigen muß betont werden, daß das Kartellamt nach geltendem Recht und in Zukunft im Fusionskontrollverfahren nur solche Zusagen verlangen kann, die auch die Wettbewerbsstruktur nach dem Zusammenschluß betreffen. Eine Kontrolle des unternehmerischen Marktverhaltens kommt nach diesem Gesetz nach wie vor nicht in Betracht. Um genau das abzusichern, übernimmt die Neuregelung die Gesetzessprache des § 24 Abs. 1, von dem unbestritten ist, daß er die Wettbewerbsstruktur meint, wenn er von „Wettbewerbsbedingungen" spricht. Befürchtungen, die Gesetzesergänzung könnte in einer anderen Richtung interpretiert werden, sind meines Erachtens unbegründet.Wenn sich aber bei den weiteren parlamentarischen Beratungen Formulierungen finden ließen, die noch besser und eindeutiger sind, die dies also noch deutlicher machen, als es die Bundesregierung bereits durch ihren eigenen Gesetzentwurf und die Begründung dazu sowie noch einmal in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates deutlich zu machen und klarzustellen versucht hat, kann ich dazu nur sagen: um so besser!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Dezember vergangenen Jahres ist im Ton äußerster Besorgnis davon die Rede, infolge sich verschlechternder Wirtschaftsbedingungen der Presse erscheine das Bürgerrecht auf Informations- und Meinungsfreiheit nicht mehr voll gesichert. In der Tat, das abgelaufene Jahr 1974 wird in die Geschichte unrühmlich als ein Jahr der Pressepleiten und -fusionen eingehen. Nur eine mehr als oberflächliche Betrachtung kann meinen, das heute diesem Hohen Hause vorgelegte Gesetz über eine pressespezifische Fusionskontrolle sei angesichts der sich überstürzenden Entwicklungen auf dem Pressemarkt die rechte Antwort zur rechten Zeit.In Wahrheit liegen die Dinge ganz anders. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, unter denen Zeitschriften und Zeitungen heute zu leiden haben, beruhen, wie bekannt, auf einer grundlegenden Änderung ihrer Kostenstruktur. Ich will dazu nur einige wenige Zahlen nennen.
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9888 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Dr. Klein
Bei einem Anteil von ca. 50 an den Gesamtkosten betrug die Steigerung der Personalkosten — Einsparungen bereits eingerechnet — 1974 8 %. Die Papierkosten werden im Jahre 1975 bei schlechterer Qualität des Papiers um mehr als 50 % über dem Preisniveau von 1973 liegen. Die Einnahmen aus Anzeigen sind 1974 um 16 % zurückgegangen — %das sind Mindereinnahmen von ca. 208 Millionen DM —, wobei die Anzeigenpreiserhöhungen wiederum auch schon eingerechnet sind. Wegen des überproportionalen Rückgangs von Kfz-Inseraten, Stellenanzeigen und Immobilienanzeigen sind die umsatzstarken Zeitungen davon besonders betroffen.Die Postgebührenerhöhung vom 1. Juli 1974 hat zu erheblichen Kostensteigerungen für die gesamte Presse geführt, und die jetzt zum 1. Januar in Kraft getretenen Erhöhungen der Gebühren im Postzeitungsdienst werden die Vertriebsgebühren je Monatsstück um durchschnittlich 36,6 % hinaufschnellen lassen, wobei, wie bekannt, die Fachzeitschriften von dieser Maßnahme in besonders starkem Maße betroffen sind.Die Pressepolitik der Bundesregierung hat im übrigen unterdessen auch dazu geführt, daß es ein Arbeitslosenproblem bei Journalisten und anderen im Pressebereich Tätigen gibt. Für diese Entwicklung zeichnet die Bundesregierung unmittelbar verantwortlich. Ihre Inflationspolitik, die die Wirtschaft in die Rezession führte, hat sich auf Zeitungen und Zeitschriften besonders nachteilig ausgewirkt, denn insbesondere Tageszeitungen decken, wie man weiß, ihre Unkosten zu einem besonders hohen Prozentsatz aus dem Anzeigenaufkommen und sind deshalb für konjunkturelle Schwankungen besonders empfänglich.Aber damit hat sich ja die Bundesregierung nicht begnügt. Zweimal innerhalb eines Jahres hat sie die für die Zeitungsherstellung und den Zeitungsvertrieb relevanten Postgebühren erhöht, also bewußt und gewollt zu einer Verstärkung der Schwierigkeiten der Verlage beigetragen,
in voller Kenntnis dessen, daß insbesondere die jüngsten Gebührenerhöhungen — wie erwähnt — die Fachzeitschriftenpresse in unerträglicher Weise belastet. Es ist bemerkenswert, in diesem Zusammenhang an eine Äußerung des ehemaligen Bundespostministers Ehmke zu erinnern, der erklärt hat, er wolle die Post auch um den Preis einer Einschränkung der Pressefreiheit rationalisieren.
So ist das dann auch geschehen.
Was soll, meine Damen und Herren, in dieser Lage ein Gesetz zur Pressefusionskontrolle? Was soll ein Instrument, das dazu bestimmt ist, den Zusammenschluß von Zeitungen zu verhindern, in einer Zeit, in der Kooperation, Anlehnung und Verbund oft die einzigen Möglichkeiten sind, die den Zeitungen das Überleben ermöglichen?An diese Fragen reiht sich die andere an, warum die Bundesregierung und mit ihr die Koalition sich so beharrlich weigert, das in dieser Lage Nächstliegende und ohne allen Aufwand Mögliche zu tun, nämlich den bedrängten Verlagen diejenigen Hilfen zu gewähren, die sie im europäischen Ausland bisher überall erhalten. Und, Herr Staatssekretär Baum, hier vermag ich nicht einzusehen, warum sich in diesem Punkt die Situation der Bundesrepublik von der der anderen EG-Staaten unterscheiden soll.Diese Maßnahmen: Mehrwertsteuer-Nullsatz auf Vertriebserlöse, pressefreundliche Gebührenpolitik der Post hat die CDU/CSU-Fraktion im Oktober vergangenen Jahres hier beantragt, und zwar mit der Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit, die sich nicht nur auf die potentiell Begünstigten beschränkt. Nicht zuletzt hat auch die Evangelische Kirche in Deutschland in der erwähnten Erklärung diese Forderung unterstützt; denn dort heißt es:Solche Erleichterungen— wie sie die Presse benötigt —sollten in Steuerentlastungen bestehen, wie sie anderen Wirtschaftszweigen und der Presse im Ausland vielfach zugestanden werden. Sie schließen niedrige Post- und Fernmeldegebühren ein.Wir haben heute erneut die Ausreden gehört, die Sie zu gebrauchen pflegen, Ausreden, die allerdings in Ihren eigenen Kreisen nicht allzuviel Überzeugungskraft entfalten, wenn ich an Äußerungen von Herrn Dröscher aus Rheinland-Pfalz denke. Es ist nämlich weder zutreffend, daß die Zeitungsverlage Sie mit den angeblich benötigten Daten verzögerlich beliefert haben, noch zieht das Argument des sogenannten Gießkannenprinzips, das Sie mit besonderer Vorliebe heranziehen. Dieses Gießkannenprinzip ist deshalb hier nicht schädlich, weil die Freistellung der Vertriebserlöse von der Mehrwertsteuer keineswegs — wie immer wieder behauptet wird — den umsatzstarken Zeitungen besonders zugute kommt.Es ist erstens doch so, daß Vertriebs- und Anzeigenerlöse in unterschiedlicher Relation stehen: je höher der Umsatz, um so höher der Anteil der Anzeigenerlöse und umgekehrt. Oder anders ausgedrückt: je kleiner die Zeitung, desto größer ist der Vorteil, den sie aus einer Senkung der Mehrwertsteuer ziehen würde. Zweitens werden die gegebenenfalls eintretenden Mehrwertsteuerersparnisse bei den Verlagen, die Gewinne machen, von den Ertragsteuern in aller Regel in größtem Umfang wieder absorbiert. Drittens schließlich haben sich die starken Verlage bereit erklärt, die ersparte Mehrwertsteuer in einen Solidaritätsfonds einzubringen, aus dem dann die Zeitungsverleger gefährdeten Unternehmen Beistand leisten können.Statt dessen aber plant die Bundesregierung nach wie vor — wir haben das heute wieder gehört —, ein System der gezielten Hilfen zu entwickeln. Und da bleiben unsere Bedenken unverändert — Bedenken, die, wie wir wissen, auch der Herr Bundesinnenminister teilt —, daß das Prinzip der selektiven Förderung eben immer Möglichkeiten der
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Dr. Klein
Manipulation bietet; es hat keinen Machthaber in der Geschichte gegeben, der dieser Versuchung hätte widerstehen können.Das jüngste Beispiel dafür hat Schweden geliefert, wobei der schwedischen Regierung durchaus .Anerkennung dafür zu zollen ist, daß sie die Hilfsbedürftigkeit der Zeitungsverlage früher erkannt hat als unsere Bundesregierung. Im übrigen sieht Schweden auch die Maßnahmen vor, die wir hier gefordert haben, nämlich Mehrwertsteuer-Nullsatz und pressefreundliche Gebührenpolitik. Aber es gibt in Schweden außerdem gezielte Hilfen. Obgleich man sich auch dort bemüht hat, neutrale Kriterien für die Vergabe dieser Unterstützungen zu finden, haben doch — wen kann es überraschen, meine Damen und Herren! sozialdemokratische Zeitungen den Löwenanteil der zur Verfügung stehenden Mittel kassiert.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Äußerung hinweisen, die — wie mir berichtet worden ist— der Kollege Möhring in einer Versammlung in seinem Wahlkreis kürzlich getan hat. Auf gewisse ihm oder der SPD gegenüber gemachte kritische Äußerungen der Zeitung seiner Heimat angesprochen, soll er gesagt haben, er werde bei der Verlegerin dieser Zeitung wegen der Veröffentlichungen vorstellig werden. Dabei wies er auf Subventionen für Heimatzeitungen hin, die man gerade in diesem Falle entsprechend steuern könne, falls die Resonanz, die man wünsche, nicht eintreten sollte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt?
Bitte schön!
Ich möchte nur diesen einen Satz noch sagen, um den Bericht zu vervollständigen. Der Kollege Möhring soll dann, wie berichtet, gesagt haben: „Ich werde doch keine Schlange an meinem Busen nähren." Diese Äußerungen müssen uns, wie Sie begreifen werden, bedenklich stimmen.
— In Luneburg schwerlich. Herr Kollege Sieglerschmidt!
Herr Kollege Klein, haben Sie denn wirklich nicht in Rechnung gestellt, daß es auch in anderen Bereichen — ich sage jetzt absichtlich hier: der Wirtschaft; denn insoweit ist ja Presse auch Wirtschaft — gezielte Hilfen nach objektiven Kriterien gibt, die der Verwaltung im wesentlichen keinen Spielraum außerhalb der wirtschaftlichen Daten lassen? Meinen Sie denn nicht, daß es auch hier Möglichkeiten gibt — ich will jetzt Ihr schwedisches Beispiel gar nicht im einzelnen untersuchen; dazu ließe sich noch einiges sagen —, solche objektivierbaren Kriterien, wirtschaftlichen Kriterien zu finden, um die es sich hier natürlich allein handeln kann?
Herr Kollege Sieglerschmidt, erstens ist Presse nicht mit jedem anderen Wirtschaftsbetrieb gleichzusetzen.
Zweitens zweifle ich an der Möglichkeit, solche völlig neutralen Kriterien zu finden. Wenn die Ihrigen vorliegen, werden wir sie daraufhin prüfen.
Meine Damen und Herren, die Politik der Koalition ist die, daß auf der einen Seite, zum Teil, wie gesagt, bewußt und gewollt, Ursachen für das Fortschreiten der Pressekonzentration gesucht werden und daß sich die Koalition auf der anderen Seite Instrumente zur direkten Steuerung der publizistischen Entwicklung zu schaffen bemüht. Neben dem Gesetz über die Pressefusionskontrolle, das uns vorliegt, hat die Koalition ja noch einen anderen Knüppel in der Hinterhand, das sogenannte Presserechtsrahmengesetz, an dem, wie man hört, im Innenministerium nach wie vor fleißig gearbeitet wird. Ich glaube, es gehört wenig prophetische Gabe dazu, zu sagen, daß dieses Danaergeschenk, wenn es das Licht der Welt erblicken sollte, uns allen, insbesondere aber der Koalition, ähnlich große Freude bereiten wird wie die Hinterlassenschaft des Herrn Bundesinnenministers aus seinem früheren Amt, der sogenannte Mitbestimmungskompromiß.Für uns als Opposition stellt sich aber natürlich die Frage, welche Absichten hinter einer solchen Politik stehen, einer Politik, die — wenn ich mich jetzt eines Ausdrucks bedienen wollte, den der Herr Kollege Sperling vorhin verwendet hat — eine Politik der doppelten Moral zu sein scheint. Könnte man nicht z. B. im Hinblick auf gewisse Vorgänge in Hannover, über die ich durch meinen Kollegen Franke noch vorhin im einzelnen unterrichtet worden bin, fragen, ob die SPD glaubt, ihr durch eigene Unfähigkeit verlorengegangenes Presseimperium in Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs der Presse gefahrlos wiederaufbauen zu können? — In dem angesprochenen Fall übrigens mit der durchaus typischen Folge, daß eine der betroffenen Zeitungen demnächst eingestellt werden wird. Während andere Fusionen meist zu einer Sicherung der Arbeitsplätze der Beteiligten beigetragen haben, pflegen solche immer dann verlorenzugehen, wenn die SPD die Hand im Spiel hat. Die vielgescholtene Stuttgarter Fusion vom Frühjahr des vergangenen Jahres hat immerhin dazu geführt, daß Stuttgart zwei Zeitungen erhalten geblieben sind. In Hannover scheint sich eine andere Entwicklung abzuzeichnen.Oder könnte man nicht auf die Idee kommen: je weiter die Konzentration fortschreitet, desto eher rechnen bestimmte Kreise in der Koalition mit der wachsenden Bereitschaft der Öffentlichkeit, ihre weitgreifenden, auf eine völlige Umgestaltung unserer Kommunikationsstruktur zielenden Vorhaben zu diskutieren? Abwegig sind ja solche Vermutungen nicht, wenn man sich einige Äußerungen vor Augen hält, die aus Ihren Kreisen gekommen sind. Da ist z. B. Herr Ruhnau früher Vorsitzender der
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9890 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Dr. Klein
Medienkommission Ihrer Partei , der im März desvergangenen Jahres laut einem Zeitungsbericht in aller Offenheit erklärt haben soll — ich zitiere wörtlich —:Entweder Presseausschüsse oder aber der Verleger muß beschließen, er verkauft seinen Verlag und ab morgen produziert er Nachtgeschirr. Das braucht man nicht politisch zu kontrollieren.Meine Damen und Herren! Dies ist nur eine kleine Kostprobe aus einer durchaus größeren, hier möglicherweise zu präsentierenden Auswahl ähnlicher Äußerungen. Solange derartige Äußerungen bei Ihnen und zum Teil bis in dieses Hohe Haus hinein vertreten werden, begegnen wir — das wollen Sie bitte verstehen — Ihren pressepolitischen Absichten und Initiativen mit äußerstem Mißtrauen,
von welch guter Absicht sie auch getragen sein mögen.Daß hinter diesem vorliegenden Entwurf auch eine gute Absicht steht, will ich gar nicht verkennen, insbesondere die gute Absicht, Schlimmeres, also z. B. Marktanteilsbegrenzungen oder ähnlichen Unfug, wie ihn die FDP geplant, zu verhindern. Ich verkenne das nicht. Es hat ja auch eine gewisse Plausibilität, Konzentrationsbewegungen mit Fusionskontrollen begegnen zu wollen.Es stellen sich aber zwei Fragen: 1. ist dieses Instrument geeignet, die Pressekonzentration auch nur zu verlangsamen? 2. Sind die politischen Risiken dieses Gesetzes nicht größer als sein potentieller Nutzen?Wir glauben, die erste Frage verneinen, die zweite zumal dann bejahen zu müssen, wenn Pressefusionskontrolle nicht nur als flankierende Maßnahme neben wirksamen Vorkehrungen zur wirtschaftlichen Stärkung der Verlage eingesetzt und verstanden wird, sondern wenn Fusionskontrolle zum zentralen Instrument des Staates zur Steuerung der publizistischen Entwicklung im Lande gemacht werden soll in dem gleichen Moment, in dem der Staat die Pressekonzentration aktiv fördert. So kann Pressefusionskontrolle — und das hat der Bundesrat zu Recht in seiner Stellungnahme vorausgeschickt — nicht glaubwürdig sein.Die Konzentrationsbewegung hat nahezu ausschließlich wirtschaftliche Ursachen, zu deren Beseitigung — das hat der Herr Bundeswirtschaftsminister eben noch bestätigt — dieses Gesetz nicht das mindeste beiträgt. Mir ist wohlbekannt, daß kleinere Verlage in dieses Gesetz gewisse Hoffnungen setzen. Ich fürchte sehr, zu Unrecht. Kein Sachkenner behauptet ja im Ernst, dieses Gesetz werde Fusionen verhindern. Ausländische Erfahrungen in den USA, in Großbritannien bestätigen diese Skepsis. Dieses Gesetz ermächtigt nur die Kartellbehörden zu sagen, mit wem und unter welchen Bedingungen fusioniert werden darf oder nicht fusioniert werden darf. Hier ist doch der Eingriff in die Pressefreiheit evident.Soweit ruinöser Wettbewerb von Konkurrenzzeitungen in Rede steht, von dem Sie, Herr Kollege Hirsch, vorhin gesprochen haben, schärft doch der Entwurf die Waffen des geltenden Rechts nicht. Die Mißbrauchskontrolle des Kartellrechts hat bisher versagt, ebenso haben die Instrumente des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb versagt. Man hat auch eine Anregung schon der Pressekommission nicht aufgegriffen, Wettbewerbsregeln im Sinne des § 28 GWB bei den Kartellbehörden einzutragen.Daß das Kartellrecht gegenüber der publizistischen Konzentration versagt, hat seine Ursache darin, daß es, zumal bei der Ausdehnung, die die Anwendung der Fusionskontrolle bei dem jetzt vorgesehenen niedrigen Aufgreifkriterium bei Presseunternehmen erfahren soll, gar nicht um den Ausschluß von Gefahren für die marktwirtschaftliche Ordnung geht. Deren Schutz ist Sache des Wettbewerbsrechts. Vielmehr geht es um den Schutz der Vielfalt im Pressewesen; ein wichtiges Rechtsgut, das aber etwas anderes ist als die marktwirtschaftliche Ordnung.Es werden also die bei der Fusionskontrolle anzulegenden Maßstäbe ausgewechselt. Es geht nicht mehr um die marktwirtschaftliche Ordnung, sondern es geht um publizistische Vielfalt. Das beweisen drei Umstände:Erstens die Herabsetzung des generellen Aufgreifkriteriums, die dazu führt, daß schon eine mittlere Zeitung mit einer Auflage von 60 000 erfaßt wird, daß nahezu jeder Zusammenschluß kontrollierbar wird, womit dann auch — in der Systematik des Wettbewerbsrechts — unterstellt wird, daß schon eine mittlere Zeitung eine mögliche Gefährdung des Wettbewerbs darstellt. Das ist natürlich eine Fiktion. Aber diese Fiktion macht deutlich, daß es hier in Wahrheit nicht um den Markt, sondern um publizistische Vielfalt geht.Der zweite Umstand ist die Aufhebung der sogenannten Bagatellklausel für den Pressebereich — nur für den Pressebereich —, wodurch auch noch so sinnvolle Kleinstfusionen behindert werden.Schließlich ist es drittens auch jene vom Herrn Bundeswirtschaftsminister erwähnte Bestimmung des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzentwurfes, die kartellbehördliche Einmischungen in den publizistischen Bereich nicht nur nicht ausschließt, sondern — das zeigt die Begründung — geradezu dazu ermuntert, wenn dort von der Aufrechterhaltung einer selbständigen Lokalredaktion als Beispiel einer legitimen Auflage die Rede ist.
— Nein, das möchte ich nicht.
— Herr Kollege Ehrenberg, ich möchte nicht, daß der Staat die publizistische Ordnung in diesem Lande gestaltet. Darum handelt es sich.
Das wollen Sie, nehme ich an, auch nicht. Aber Sie schaffen sich dafür das Instrument.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9891
Dr. Klein
Daraus folgt, daß es dem Entwurf in Wahrheit eben nicht um den Schutz der marktwirtschaftlichen Ordnung geht — das ist Sache des Kartellrechts —, sondern um die publizistische Ordnung, deren Konturen allerdings sehr undeutlich und deshalb weitgehend in das Ermessen der Kartellbehörden gestellt sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Klein, Sie haben eben den Kernsatz geprägt, Sie wollten nicht, daß der Staat in diesem Lande die publizistische Ordnung gestaltet. Müßten Sie mit diesem Argument dann nicht auch die von Ihnen geforderte wirtschaftliche Förderung der einzelnen Presseorgane oder der Presse überhaupt ablehnen, weil damit natürlich die publizistische Landschaft durch eine Verschiebung der Wettbewerbsgrundlagen gestaltet und verändert wird?
Aber, Herr Kollege Hirsch, Sie haben mich doch sehr genau verstanden: Ich will keine individuelle Steuerung der publizistischen Ordnung. Deswegen sind wir eben gerade für globale Förderungsmaßnahmen. Aus gerade diesem Grund!
Das politische Risiko dieses Gesetzes liegt nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, bei den Tatbeständen, die Sie im einzelnen behandelt haben; sondern das Risiko besteht darin, daß eine unmittelbare und bei den Verfahrensweisen der Kartellbehörden kaum kontrollierbare staatliche Einflußnahme auf das publizistische Geschehen in unserem Lande ermöglicht wird.Natürlich münden diese Bedenken in verfassungsrechtliche Bedenken ein, die ich nur in aller Kürze kennzeichnen will. Sie sind, wie ich meine, im wesentlichen von zweierlei Art.Erstens — das folgt aus dem früher Gesagten — handelt es sich hier um Presserecht. Die wirtschaftsrechtliche Gewandung der Materie hat Tarnfunktion. Es geht nicht um die Verhütung wirtschaftlichen, sondern um die Verhütung publizistischen Machtmißbrauchs. Und dann findet der Entwurf seine kompetenzrechtliche Grundlage eben nicht in Art. 74 Nr. 16, sondern in Art. 75 Nr. 2 GG, und der Bund hat nur eine Rahmenkompetenz, die dieses Gesetz nicht deckt.Zweitens ist die Frage, ob dieser Entwurf ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 darstellt. Ich beziehe mich da auf ein Zitat des Vaters unseres Kollegen Arndt, der in einem Aufsatz 1965 — ich hoffe, ich zitiere korrekt, Herr Kollege Arndt zum Thema „Das Werbefernsehen als Kompetenzfrage" geschrieben hat, eine Wirtschaftsgesetzgebung des Bundes, etwa eine Wettbewerbsregelung, sei im Verhältnis zur Rundfunkfreiheit — und das gleiche gilt natürlich für die Pressefreiheit — nur dann eine allgemeine, wenn sie den Rundfunk— hier also die Presse — keiner anderen Ordnung unterwerfe, als sie für jeden Teilnehmer am wirtschaftlichen Wettbewerb gelte. Und dann wörtlich:Das äußere Kennzeichen eines redlich abgefaßten Gesetzes, dem im Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 Allgemeinheit zukommt, ist, daß es sich unmittelbar gar nicht auf jene Freiheiten bezieht, sie nicht zu regeln unternimmt und deshalb von diesen Freiheiten gar nicht die Rede ist.Die extreme Herabsetzung des Aufgreifkriteriums, die Außerkraftsetzung der Bagatellklausel nur für den Pressebereich, die bewirken, daß zum Unterschied von anderen Wirtschaftsbereichen hier jeder Zusammenschluß in den zu kontrollierenden Bereich gerät, beweisen, wie ich meine, den sondergesetzlichen Charakter dieses Entwurfs.Nun lassen Sie mich noch die Gelegenheit nutzen, meine Damen und Herren, zu einer These etwas zu sagen, die der Herr Bundesinnenminister verschiedentlich vertreten hat, auch von dieser Stelle aus, und die auch Sie, Herr Kollege Hirsch, bei der letzten medienpolitischen Debatte dieses Hauses am 18. Oktober vergangenen Jahres sich zu eigen gemacht haben, einer These, von der ich meine, daß ohne sie Ihre Medienpolitik nicht verständlich ist, daß aber auch umgekehrt unsere medienpolitischen Vorstellungen nicht verständlich sind, wenn man nicht begreift, warum wir diese These ablehnen oder ihr doch skeptisch gegenüberstehen. Hier liegt, wie ich meine, nämlich der Kern unserer Meinungsverschiedenheiten, die nicht oberflächlicher Art sind, sondern, wie ich fürchte, das Verfassungsverständnis selbst betreffen. Ich meine die Auffassung, es gelte die privatwirtschaftliche Organisation der Presse mit ihrer angeblich öffentlichen Aufgabe in Einklang zu bringen, die Auffassung also, es bestehe zwischen privatwirtschaftlicher Struktur und öffentlicher Aufgabe ein mindestens tendenzieller Gegensatz. Ich halte diese Auffassung für falsch und für gefährlich.
— Das habe ich aber bei Ihnen gehört, und das können Sie nachlesen, Herr Kollege Hirsch. Der Herr Maihofer hat das auch gesagt.Ich halte sie für gefährlich, weil sie, folgerichtig zu Ende gedacht, die privatwirtschaftliche Organisation der Presse, die das Grundgesetz als Grundlage ihrer Freiheit betrachtet und deshalb garantiert, zumindest teilweise zur Disposition dessen stellt, der über die Erfüllung ihrer sogenannten öffentlichen Aufgabe zu wachen hat, oder der sich diese Überwachung anmaßt, also des Staates. Die Jungsozialisten vertreten übrigens die gleiche Auffassung, natürlich mit anderen Konsequenzen. In einem ihrer Papiere wird mit frappierender Unbefangenheit gesagt, daß die privatwirtschaftliche
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9892 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Dr. Klein
Struktur der Presse, „das Gesetz kapitalistischen Wirtschaftsgebarens", wie es dort heißt, ihrer öffentlichen Funktion widerspreche und deshalb die Freiheit der Presse gefährde. Wörtlich: „Daß sich die Presse am Lesergeschmack orientiert" —
— Herr Kollege Hirsch, ich bin inzwischen sehr in Zeitdruck, ich bitte um Verständnis.
— Es tut mir leid, ich habe das Protokoll jetzt nicht hier, aber ich habe es wörtlich aus dem Protokoll herausgeschrieben. Ich glaube also, daß ich mich da nicht irre.„Daß sich die Presse" — so heißt es dort — „am Lesergeschmack orientiert" — ich füge hinzu: orientieren muß, um verkauft werden zu können —, bedeutet mit den Worten der Jusos, „daß eine diesem Zwang unterworfene Presse spezifische Käufergruppen in ihren Vorurteilen permanent bestätigt und verfestigt."Deutlicher, meine Damen und Herren, könnte die Absicht nicht ausgesprochen werden, durch die Befreiung vom „Gesetz kapitalistischen Wirtschaftsgebarens" die Presse zum Instrument der Verbreitung des „richtigen Bewußtseins" zu denaturieren.
Natürlich unterstelle ich Ihnen, Herr Kollege Hirsch, und auch Herrn Maihofer diese Meinung nicht, und ebensowenig leugne ich die für unseren demokratischen Rechtsstaat konstituierende Funktion der freien Presse, die ja auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont hat. Dieses Gericht läßt aber auch keinen Zweifel daran, daß diese Funktion nicht etwa in einem Spannungsverhältnis zur privatwirtschaftlichen Grundlage der Presse steht, sondern — im Gegenteil — aus ihr erwächst. Und solange Sie sich nicht auf diesen Boden stellen, meine Damen und Herren von der Koalition, werden uns Ihre Bekenntnisse zur privatwirtschaftlichen Struktur der Presse nicht überzeugen können. Denn diese Bekenntnisse sind ja so lange nutzlos, als sie unter dem Vorbehalt stehen, daß gegebenenfalls an der privatwirtschaftlichen Struktur der Presse — um ihrer angeblich dazu im Gegensatz stehenden öffentlichen Funktion willen — Korrekturen angebracht werden müssen.Nun lasse ich dahinstehen, ob dem Staat unter Umständen in einer theoretisch vorstellbaren Lage, in der die existentiell wichtigen Bedingungen eines freiheitlichen Meinungsbildungsprozesses gefährdet sind, z. B. durch eine extreme Konzentrationsentwicklung auf dem Pressemarkt, ein Notrecht zuwachsen könnte, das allerdings nur auf die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Strukturen der Presse gerichtet sein dürfte. Ich lasse das dahingestellt sein; denn noch ist diese Überlegung Gott sei Dank hypothetischer Natur. Im übrigen aber ist es nach unserer Meinung nicht Sache des Staates, durch Eingriffsgesetze für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Funktion der Presse zu sorgen — durch Eingriffsgesetze! —, jener Funktion, die sich die Verfassung von einer Presse erwartet, die frei von staatlichen Eingriffen operieren kann.
Sie, Herr Kollege Hirsch, haben in der Debatte vom 18. Oktober vergangenen Jahres meine auf dieser Grundeinstellung basierende Argumentation in Sachen Medienpolitik einmal als wenig variationsfähig bezeichnet. Sie haben das als Tadel gemeint; ich nehme es als Anerkennung. Denn nichts liegt mir ferner, als mich in liberalen Existenzfragen — und um eine solche handelt es sich hier — ähnlich flexibel erweisen zu wollen wie die Partei, die sich noch immer — freilich zu Unrecht — als Gralshüter des Liberalismus begreift.
Ich fasse zusammen: Es kommt im gegenwärtigen Zeitpunkt darauf an, die Wirtschaftskraft der Verlage zu stärken, insbesondere auch mit Rücksicht darauf, daß die Presse in der Lage sein muß, auch mit den neuen technischen Entwicklungen auf dem Kommunikationssektor Schritt zu halten und sich ihnen anzupassen, wenn sie überleben will. Dafür haben wir wirksame Maßnahmen vorgeschlagen. Neben ihnen kann eine pressespezifische Fusionskontrolle allenfalls — und sicher nicht in der vorliegenden Form — flankierenden Charakter haben.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche hier die erste Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.Wir treten nunmehr in die Fragestunde— Drucksache 7/3089 —ein und fahren zunächst mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit fort. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Wolters zur Verfügung.Die Frage 50 der Frau Abgeordneten Eilers wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 51 der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister auf:Was hat den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit veranlaßt, im „Länderspiegel" des Fernsehens am Samstag, dem 14. Dezember 1974, zur Teilnahme an kostenlosen" Vorsorgeuntersuchungen aufzurufen, obwohl die Krankenkassen und damit letztlich die Versicherten über ihre Beiträge die Kosten dieser Untersuchungen tragen?Herr Staatssekretär!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9893
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Frau Abgeordnete Dr. Neumeister! Vorsorgeuntersuchungen sollen auch in Anspruch genommen werden; daher kann nicht genug dazu aufgerufen werden. Ihre Schlußfolgerung, daß man davon Abstand nehmen sollte, weil letztlich die Versicherten diese Kosten über ihre Beiträge zu tragen hätten, ist nicht ganz verständlich, jedenfalls wäre sie mit dem gesundheitlichen Wohl der Bevölkerung nicht vereinbar.
Ausgangspunkt für die angesprochene Aussage war die Frage nach zu vielen kranken Kindern und Schülern. In ihr wurde ausschließlich auf die Bedeutung der Teilnahme an den sieben Untersuchungen bis zum 4. Lebensjahr Bezug genommen, die seit einiger Zeit als Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen angeboten werden. Es kann nicht in Frage gestellt werden, daß nur eine volle Ausschöpfung der hier gebotenen Möglichkeiten zum Erfolg führt, weil gerade unter den Säumigen proportional mehr Menschen anzutreffen sind, die es nötig haben, sich derartigen Vorsorgeuntersuchungen zu unterziehen. Die Teilnahme an diesen Untersuchungen ist als Einzelleistung kostenfrei. In der Sache sind sich wohl alle darin einig, daß gerade dieses Kinderprogramm durch die damit verbundenen Möglichkeiten der Früherfassung und Frühbehandlung von Krankheiten sich auch kostensenkend auswirken kann.
Zusatzfragen?
Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir die Bemerkung, daß ich hier sicherlich falsch verstanden worden bin und daß ich ganz sicher voll hinter den Vorsorgeuntersuchungen stehe. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich bisher immer für eine Ausweitung dieser Untersuchungen eingesetzt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang die Frage stellen: Wie sollen die Selbstverwaltungsorgane der gesetzlichen Krankenversicherung und auch der Ersatzkassen, wie sollen auch die privaten Krankenversicherungen die notwendig gewordenen laufenden Beitragserhöhungen den Versicherten plausibel machen, wenn insgesamt unentwegt nur von kostenlosen Untersuchungen und Behandlungen gesprochen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, es sind sicher zwei nebeneinander berechtigte Anliegen, daß man einerseits die Versicherten darauf hinweist, die Eigenverantwortung unter dem Kostengesichtspunkt jeweils gegen die Inanspruchnahme der Solidargemeinschaft abzuwägen.
Das kann aber nicht daran hindern, daß man zur Inanspruchnahme von Leistungen auffordert, die in einem längeren Zeitraum durchaus eine Kostensenkung erwarten lassen. Es kann vor allen Dingen auch nicht dazu führen -- das ist eben aus Ihrer Fragestellung herauszulesen —, daß eine solche Aufforderung — etwa auch noch bei Vorsorgeuntersuchungen — jeweils damit verbunden werden müßte, zu sagen: Im Prinzip entstehen aber für die Versichertengemeinschaft dabei soundso viele Kosten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage. Ich sage ausdrücklich „Zusatzfrage".
Herr Staatssekretär, halten Sie denn den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung wirklich nicht für so mündig, daß er auch über höhere Kosten auf Grund der ständigen Ausweitung des Leistungskatalogs aufgeklärt werden sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Problem besteht in diesem Fall wie in anderen Fällen sicher darin, daß der Versicherte aus der Presse entnimmt, daß sich die gesamte gesetzliche Krankenversicherung mit einem ungeheuren Kostenanstieg zu befassen und ihn zu verkraften hat. Der Versicherte ist deswegen aber noch lange nicht bereit, so etwas unmittelbar beispielsweise auch auf sein eigenes Gesundheitsverhalten zu beziehen und in die Tat umzusetzen. Da muß die Aufklärung ansetzen; da sind wir uns wohl völlig einig.
Ich rufe dann die Frage 52 der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister auf:
Gehört nach Auffassung der Bundesregierung nicht auch die Forderung nach mehr Transparenz der Kosten im Gesundheitswesen, und zwar für den einzelnen Versicherten, mit zu den Mitteln, die zu einer Kostenbremsung auf diesem Gebiet beitragen können, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die Transparenz der Kosten im Gesundheitswesen, gerade auch auf dem Gebiet der Vorsorgemedizin, für den einzelnen Versicherten nachhaltig zu steigern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, zweifelsohne kann eine Kostentransparenz für die Beeinflussung der Kosten von Bedeutung sein. Ob und inwieweit eine solche Transparenz der Kostenentwicklung bei den einzelnen Versicherten zu einer verantwortungsbewußteren Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen der Solidargemeinschaft führt, ist auf Grund vorliegender Erfahrung jedoch zweifelhaft. Beispielsweise weicht die Kostenentwicklung in der privaten Krankenversicherung im wesentlichen nicht von der Entwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung ab.Die Bundesregierung geht davon aus, daß die angebotenen Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen, die sich als eine gerade auch im Hinblick auf die Kostenentwicklung notwendige Gesundheitsleistung erwiesen haben, von den Bürgern bereits im Blick auf die Verantwortung für die Solidargemeinschaft in Anspruch genommen werden.
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9894 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht auch die Gefahr, daß gerade in bezug auf die Vorsorgeuntersuchungen durch das Angebot von kostenlosen Untersuchungen eine gewisse Entwertung dieser Untersuchungen stattfindet, da bekanntlich das, was nichts kostetet, im allgemeinen nicht so geachtet wird? Würde es nicht auch — —
Frau Kollegin, ich bitte freundlichst, nicht mehrere Zusatzfragen auf einmal zu stellen. Die Versuchung liegt immer nahe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich sehe diese Gefahr nicht. Wenn man hinter Ihrer Frage die Vermutung sehen müßte, daß man solche Vorsorgeuntersuchungen — um diese handelt es sich hier ja — etwa mit einem bestimmten Selbstbeteiligungsbeitrag ausstatten sollte, ist nach Erfahrungen, die man verwerten kann, das Gegenteil der Fall.
Sie wissen vielleicht, daß Vorsorgeuntersuchungen für den Schwangerschaftsverlauf in der DDR sogar mit einer Prämie versehen worden ist. Man kann feststellen, daß die Beteiligung an diesen Untersuchungen in der DDR wesentlich höher ist als bei uns. Österreich beispielsweise hat aus dieser Erfahrung die Konsequenz gezogen, ebenso zu verfahren.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß sich auch Regierungsmitglieder vielleicht der Formulierung der Reichsversicherungsordnung bedienen sollten, in der eindeutig steht: „Versicherte haben zur Sicherung der Gesundheit Anspruch auf folgende Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten", wodurch meines Erachtens eindeutig klargestellt wird, daß diese gesetzlichen Leistungen bereits mit ihrem Versicherungsbeitrag abgegolten sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann da keinen Widerspruch erkennen, unabhängig davon, daß ich auch schwer eine Fragestellung zu erkennen vermag; denn der Versicherte muß auf den Anspruch, den er für eine Vorsorgeuntersuchung hat, hingewiesen werden. Es ist ein Anliegen der Gesundheitspolitik — das meiner Ansicht nach völlig unabhängig von parteipolitischen Gesichtspunkten getragen werden müßte —, kurative Medizin auf präventive Medizin zu verlagern. Dazu ist ein Lernprozeß bei denen, um die es dabei geht, bei den Bürgern in unserem Lande notwendig.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Schlei zur Verfügung
Der Herr Abgeordnete Gansel hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 96 gebeten.
Ich rufe nunmehr die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Trifft die Meldung zu, der Leiter der Ständigen Vertretung der DDR werde vorn Protokoll des Auswärtigen Amts wie der Vertreter eines auswärtigen Staates in die Anciennitätenliste der Leiter der Botschaften auswärtiger Staaten eingereiht, und wie vereinbart — bejahendenfalls — die Bundesregierung dies mit der Rechtsnatur ihrer Beziehungen zu Ost-Berlin, wie sie sich insbesondere im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag niederschlagen?
Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege, in dieser Form, wie Sie fragen, trifft die Meldung nicht zu. Die Bundesregierung unterscheidet zwischen dem Status der Ständigen Vertretung der DDR und der Einordnung ihres Leiters in die allgemeine Rangfolge. Die Bundesregierung hat im Parlament, gegenüber der DDR, gegenüber dem Doyen des Diplomatischen Korps in Bonn und gegenüber der deutschen Öffentlichkeit aus Anlaß der Errichtung der Ständigen Vertretung deutlich gemacht, daß zwischen den beiden deutschen Staaten keine diplomatischen Beziehungen aufgenommen worden sind und daher keine diplomatischen Beziehungen zwischen ihnen bestehen. Folglich haben also ihre Ständigen Vertretungen keinen diplomatischen Status.
Jedoch kann es bei den Veranstaltungen der Bundesregierung für die Vertreter anderer Staaten nur eine einzige Rangfolge geben, da die Bundesregierung nicht die Absicht hat, dem Vertreter des anderen deutschen Staates protokollarisch einen niedrigeren Rang zu geben als den Leitern ausländischer Missionen. Sie hat sich daher zu folgendem Verfahren entschlossen: In der Liste der diplomatischen Missionen und anderer Vertretungen wurde die Bezeichnung der Rangfolge der Missionschefs erweitert in „Rangfolge der Herren Leiter diplomatischer Missionen und anderer Vertretungen". Die besondere Stellung des Leiters der Ständigen Vertretung der DDR wird weiter dadurch unterstrichen, daß er in dieser Rangfolge getrennt von den Leitern der diplomatischen Missionen aufgeführt und folglich durch eine Fußnote auf seinen Platz in der Rangfolge gemäß dem Datum der Übergabe seines Beglaubigungsschreibens an den Herrn Bundespräsidenten hingewiesen wird.
Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9895
Frau Staatssekretärin, bedeuten nicht die Unterscheidung zwischen Ständiger Vertretung einerseits und ihrem Leiter andererseits und die tatsächliche, ähnliche oder nach außen hin gleiche Behandlung wie die eines Leiters einer ausländischen diplomatischen Mission, beispielsweise beim Neujahrsempfang des Herrn Bundespräsidenten, daß diese „Andersbehandlung" in der Öffentlichkeit und auch vor dem Ausland als nicht mehr wirksam angesehen wird und mehr oder weniger stillschweigend in der Versenkung verschwindet?
Nein, das bedeutet das nicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß es Möglichkeiten gibt, die besondere Stellung des Leiters der Ständigen Vertretung der DDR zu kennzeichnen, ohne ihn dadurch im protokollarischen Verhalten niedriger zu stufen?
Wenn Sie dabei an ein Aufstellen am Schluß der Rangfolge denken, würde ich das verneinen. Wir sind so verfahren, wie wir es hier schon einmal angegeben haben: nach dem Erhalt des Beglaubigungsschreibens. Er wurde vor dem französischen Diplomaten Wormser eingereiht, der sein Schreiben ein paar Tage später eingereicht hatte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Frau Staatssekretärin, zeigt nicht schon die Tatsache, daß die Fragen des Kollegen Stauffenberg und meine Frage vom Bundeskanzleramt zunächst dem Auswärtigen Amt zur Beantwortung zugeschoben worden sind und erst nachträglich korrigierenderweise in Ihren Zuständigkeitsbereich gebracht wurden, daß das Bundeskanzleramt dieser Frage offenbar viel zu geringe Aufmerksamkeit zuwendet?
Herr Abgeordneter Jäger, ich bitte Sie, darauf zu achten, daß nach den Richtlinien keine Wertungen wie „korrigierenderweise" in der Zusatzfrage vorgenommen werden können.
Ist die Frage zugelassen?
Ich lasse die Frage im Inhalt zu. Ich weise nur darauf hin, daß keine Wertungen vorgenommen werden dürfen.
Ich muß auch das mit Nein beantworten. Der Grund ist ein rein technischer: Der Zuordner hatte sich zunächst auf den Namen „Auswärtiges Amt" konzentriert, der in der Fragestellung enthalten ist, und hatte daher die Frage dem Auswärtigen Amt zugewiesen, Herr Kollege Jäger.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Frau Staatssekretärin, aus welchem Sachverhalt kann der mündige Staatsbürger entnehmen, daß es einen besonderen Status für den Ständigen Vertreter Ost-Berlins in Bonn gibt?
Aus der Lektüre der Zeitungen und, wenn er sehr daran interessiert ist, aus der Kenntnis der Protokolle, die ihm der Bundestag und der Bundesrat zur Verfügung stellen würden.
Ich rufe die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Auf welche Weise macht die Bundesregierung bei offiziellen Empfängen für ausländische Diplomaten, zu denen auch der Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik Deutschland eingeladen wird, deutlich, daß dieser Leiter von der Bundesregierung nicht als Vertreter eines ausländischen Staates angesehen wird?
Herr Kollege Jäger, bei offiziellen Veranstaltungen, an denen der Leiter der Ständigen Vertretung der DDR teilnimmt, wird seine Sonderstellung durch die Bezeichnung der Rangfolge als „Rangfolge der Herren Leiter diplomatescher Missionen und anderer Vertretungen" und dadurch hervorgehoben, daß er mit seiner vereinbarten Amtsbezeichnung „Der Leiter der Ständigen Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik" vorgestellt wird.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, hält die Bundesregierung diese offenbar einzige Unterscheidung, die getroffen wird, für ausreichend im Hinblick darauf, daß Sie selber in der vergangenen Woche bei einer Frage, die sich mit dem Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin befaßt hat, darauf hingewiesen haben, daß es die Aufgabe unseres Leiters der Ständigen Vertretung sei, durch verschiedene kleine Nuancen immer wieder sichtbar zu machen, daß er eben kein diplomatischer Vertreter ist?
Das halten wir für ausreichend. Darauf ist bereits Herr Kollege Dr. Mertes hier in seinen Fra-
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9896 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Parl. Staatssekretär Frau Schleigen eingegangen und hat darauf eine Antwort erhalten, wie sie im Augenblick nur möglich ist.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, halten Sie es für die einzige Möglichkeit, die der Bundesregierung überhaupt gegeben ist, durch die andere Bezeichnung und durch den anderen Hinweis mittels Fußnote deutlich zu machen, daß der Leiter der Ständigen Vertretung der DDR bei uns kein Vertreter eines ausländischen Staates ist, oder reicht die Phantasie der Bundesregierung dazu aus, doch noch andere Unterscheidungsmerkmale ausfindig zu machen?
Das wird sich sicherlich in der Öffentlichkeitsarbeit und der politischen Diskussion ergeben, aber Sie sind ja hier auf Protokollfragen eingegangen, und wir haben nach dem Protokollverhalten geantwortet, Herr Jäger.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Arndt.
Frau Staatssekretärin, halten Sie die Autorität von Art. 8 des Grundlagenvertrages und des dazu ergangenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts für so gering, daß Sie durch protokollarische Finessen dieser Art aus der Welt geschafft werden könnte?
Herr Kollege, ich hatte schon einmal auf Protokollnotizen des Bundestages und des Bundesrates verwiesen. Im Bundesrat hat die Bundesregierung durch Herrn Bundesminister Franke eine auf Ihre Frage zielende Antwort gegeben, eine Erklärung also im Sinne des Grundvertrags und auch im Sinne des Karlsruher Urteils.
— Herr Kollege, Sie waren nicht mehr am Mikrophon; es tut mir leid.
Unser Reglement sieht ausdrücklich vor, daß die Kollegen am Mikrophon stehenbleiben müssen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Die Frage 97 ist von dem Herrn Abgeordneten Wohlrabe eingebracht:
Wie beurteilt die Bundesregierung die erneut angekündigte Erhöhung der Flugpreise im Berlin-Flugverkehr der PANAM, British Airways und Air France?
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß die drei im Berlin-Flugverkehr tätigen westlichen Luftverkehrsgesellschaften bei den Zivilluftfahrtattachés der Drei Mächte die Genehmigung für die Erhöhung der Flugpreise im Berlin-Flugverkehr um 7,5 % beantragt haben. Von den Drei Alliierten, die für die Erteilung dieser Genehmigung allein zuständig sind, wurde bisher noch keine Entscheidung über den Antrag der Luftfahrtgesellschaften getroffen.
Der Bundesregierung ist daran gelegen, daß der Verkehr von der Bundesrepublik Deutschland nach Berlin kostengünstig abgewickelt werden kann, um einem maximalen Personenkreis den Zugang zur Stadt ohne Schwierigkeiten zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere für den Flugverkehr. Die Bundesregierung bedauert daher jede Erschwernis, die sich durch eine Erhöhung der Flugpreise im Flugverkehr nach Berlin (West) für die Flugreisenden ergibt. In den Gesprächen mit den Drei Alliierten hat die Bundesregierung stets diese ihre Meinung vertreten und auf möglichst niedrige Flugpreise im Berlin-Flugverkehr hingewirkt.
Die Bundesregierung erkennt grundsätzlich an, daß die im Berlinverkehr tätigen allierten Luftverkehrsgesellschaften das Bestreben haben müssen, wirtschaftlich zu arbeiten. Sie ist bereits vor längerer Zeit an die Alliierten mit der Bitte herangetreten, Angaben über die Kosten- und Ertragsstruktur der beteiligten Fluggesellschaften zu machen, um festzustellen, ob der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit des Berlin-Flugbetriebs eine Erhöhung der Flugpreise rechtfertigt.
Herr Kollege Wohlrabe, Zusatzfrage.
Haben die Alliierten bisher kenntlich gemacht, bis wann der Bundesregierung auf die von Ihnen gestellten Fragen eine Antwort gegeben wird, und liegt Ihnen Kenntnis darüber vor, — —
Nur eine Zusatzfrage bitte, Herr Kollege.
Ich kann Ihnen da kein Datum nennen.
Sie haben jetzt die Möglichkeit, eine weitere Zusatzfrage zu stellen.
Liegt Ihnen Kenntnis darüber vor, nachdem bereits zwei Erhöhungen vorangegangen sind, ob es sich bei den Erhöhungen um
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9897
Wohlrabe Treibstoffkosten oder um Kosten, die aus der Umlegung von Tempelhof nach Tegel herrühren, oder ob es sich um Kosten handelt, die aus Löhnen und Gehältern herrühren?
Herr Abgeordneter, das alles könnten wir beantworten, wenn wir die Unterlagen hätten. Die erste der beiden anderen Flugpreiserhöhungen erfolgte am 15. Februar 1974 um 9,7 %. Das war Ende 1973 beantragt. Dafür sind allgemeine Kostensteigerungen ins Feld geführt worden, nicht die erhöhten Treibstoffkosten. Bei der nächsten Erhöhung am 1. Juli 1974 um durchschnittlich 10,4 % wurden als Begründung hauptsächlich erhöhte Treibstoffkosten genannt, Da nach meiner Kenntnis seither die Treibstoffkosten nicht gestiegen sind, aber allgemein möglicherweise andere Kosten, liegt der Umkehrschluß nahe, daß es bei der Begründung diesmal um allgemeine Kostenerhöhungen geht. Aber wie gesagt, daß müßten wir im einzelnen auf Grund der von uns erbetenen Unterlagen feststellen.
Ich rufe die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Ist die Bundesregierung bereit, aus Mitteln des im Haushaltsplan 1975 veranschlagten Subventionsrahmens in Höhe von 57 Millionen DM den Basisbetrag zu erhöhen, um so die angekündigte Preiserhöhung der alliierten Fluggesellschaften aufzufangen?
Die Bundesregierung sieht in der gegenwärtigen Situation noch keinen Anlaß, ihre Subventionspolitik zu überprüfen. Sie befindet sich dabei in Übereinstimmung mit dem Senat von Berlin. Im übrigen wäre eine Umkehrung der rückläufigen Entwicklung der Passagierzahlen im Berlin-Flugverkehr, die auf Grund des erleichterten Landzuganges eingetreten ist — eine Entwicklung, die Sie sicher mit uns begrüßen —, nur mit einer sehr kräftigen Erhöhung des Subventionsaufwandes zu erreichen. Die im Jahre 1975 möglicherweise zu erwartenden Minderausgaben gegenüber dem Haushaltsansatz würden in keinem Fall dazu ausreichen, die Flugpreissubventionen so zu erhöhen, daß die angekündigten Preiserhöhungen der alliierten Fluggesellschaften aufgefangen werden können. Die Bundesregierung wird die Entwicklung der Fluggastzahlen sorgfältig beobachten und in enger Verbindung mit den Drei Alliierten das Mögliche unternehmen, daß der einzige unkontrollierte Zugang Berlins nicht aus finanziellen Gründen gefährdet wird.
Zusatzfrage, bitte.
Abgesehen davon, daß es sich hierbei nicht darum handelt, die Vereinbarung über die Transitwege in Relation dazu zu setzen, sondern den wirklich einzig freien Zugangsweg für jedermann erschwinglich zu halten — das ist der entscheidende Punkt hierbei, und das ist ja heute bei dieser Preisgestaltung nicht mehr so —, sagten Sie, Herr Staatsminister, daß noch kein abschließender Entscheid vorliegt. Kann man davon ausgehen, daß die Bundesregierung, wenn ihr die Unterlagen der Fluggesellschaften zugänglich gemacht werden, bereit ist, ich sage bewußt: im Rahmen des Etatansatzes von 57 Millionen DM für dieses Haushaltsjahr 1975, worüber wir demnächst zu entscheiden haben,
darüber nachzudenken, ob dieser Ansatz auch im Rahmen einer Erhöhung der Subventionsbasis voll ausgeschöpft werden kann, nachdem der Ansatz in den vorangegangenen Haushaltsjahren nie ausgeschöpft worden ist?
Herr Kollege, Sie bringen hier verschiedene Dinge zusammen, die sicherlich nicht Gegenstand der ursprünglichen Frage gewesen sind. Sie selbst sind ja, wenn ich mich nicht täusche, Mitglied im Haushaltsausschuß und werden sicher Gelegenheit haben, bei der Haushaltsberatung diese Frage in Form eines Antrages zur Diskussion stellen.
Ich habe mir hier ein paar Zahlen notieren lassen, die Ihnen vielleicht schon jetzt eine gewisse Hilfe geben, um diese Debatte vorzubereiten. Danach würde beispielsweise bei einem Ausgleich einer Preiserhöhung von 7,5 % eine Mehrausgabe — damit Sie sich da keine Illusionen machen — von 25 Millionen DM eintreten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Haushaltsansatz in der Praxis um 25 Millionen DM differiert hat. Das hat er in der Vergangenheit jedenfalls nicht nach den Zahlen, die ich hier vorliegen habe.
Die Flugpreise können also mit dem, was möglicherweise noch an Luft in diesen ursprünglichen Ansätzen wäre, um durchschnittlich — je nach Entfernung — 4 bis 9 DM für den Hin- und Rückflug verbilligt werden. Das etwa wäre eine Größenordnung, die sicherlich auch wiederum nicht so ist, daß davon die Entscheidung abhängt, ob man fliegen will oder nicht.
Im übrigen muß ich die in der Frage geäußerte Meinung, daß der Flug noch heute die entscheidende Bedeutung für den freien Zugang nach Berlin habe, die er einmal hatte, doch in Beziehung setzen zu den Tatsachen.
Herr Kollege, bitte, Zusatzfrage. — Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn man das zugrunde legt, was Sie gesagt haben, dann ist doch aber nicht auszuschließen, daß die Bundesregierung
Ich bitte Sie, eine Zusatzfrage zu stellen.
Die stelle ich. — Dann ist doch nicht auszuschließen, daß die Bundesregie-
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9898 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Wohlraberung bereit ist, zumindest im Rahmen des Ansatzes von 57 Millionen DM
darüber nachzudenken, ob die Subventionsbasis bei den Flugpreisen erhöht wird.
Herr Abgeordneter, halten Sie es wirklich für sinnvoll, daß die Bundesregierung hier öffentlich Fragen diskutiert, die dann lediglich zu Erträgen auf der anderen Seite und zu einer Verminderung der Möglichkeiten des Bundes führen? Ich glaube, Sie sollten doch hier unterscheiden zwischen dem Zustand, der im Augenblick in der Erwägung ist, und dem, was am Ende in diesem Bundestag nach Entscheidung der anderen Seite beschlossen werden kann. Wir wollen doch keine Politik machen, die sozusagen einlädt, sich aus der Bundeskasse zu bedienen.
Ich rufe Frage 99 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Hält es die Bundesregierung für angebracht, daß ein Angehöriger des Kabinetts das ehemalige Mitglied der chilenischen Volksfrontregierung, Clodomiro Almeyda, auf dem Flugplatz in Frankfurt empfängt, obwohl der Bundesregierung bekannt ist, daß die Staatsregierung von Baden-Württemberg sicherheitspolitische Bedenken hat?
Bitte, Herr Staatsminister.
Die Antwort lautet: Ja. Bei Herrn Clodomiro Almeyda, dem ehemaligen Außenminister der Regierung von Präsident Allende, handelt es sich um eine ebenso integre wie international hoch angesehene Persönlichkeit, Herr Abgeordneter, an deren Schicksal neben der Bundesregierung und zahlreichen anderen Regierungen auch die Vereinten Nationen starken Anteil genommen haben. So verabschiedete die 29. Vollversammlung der Vereinten Nationen am 9. November 1974 mit großer Mehrheit, nämlich mit 88 gegen 5 Stimmen bei 33 Enthaltungen, eine Resolution, in der die chilenische Regierung aufgefordert wurde, Herrn Almeyda unverzüglich freizulassen. Die Bundesregierung hat mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, daß die chilenische Regierung Herrn Almeyda vor zehn Tagen die Ausreise nach Rumänien ermöglichte.
Der Bundesregierung sind die Einwände der Landesregierung von Baden-Württemberg gegen die Aufnahme Herrn Almeydas durch dieses Bundesland bekannt. Die Bundesregierung weist aber darauf hin, daß die Sicherheitsüberprüfung Herrn Almeydas durch die zuständigen deutschen Behörden zu keinen sicherheitsrelevanten Erkenntnissen geführt hatte. Sie hatte daher keine Veranlassung, Bedenken dagegen geltend zu machen, daß ein Mitglied des Kabinetts Herrn Almeyda bei seiner Zwischenlandung in Frankfurt am 12. Januar 1975 als seinen persönlichen Freund begrüßt und zu seiner Freilassung beglückwünscht hat.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß auch andere westliche Demokratien sicherheitspolitische Bedenken gegen die Aufnahme des ehemaligen Vizepräsidenten des Allende-Regimes hatten, so daß ihm nichts anderes übrig blieb, als nach Rumänien zu fliegen?
Herr Abgeordneter, Sie befinden sich im Irrtum. Die Sicherheitsüberprüfungen, die wir vorgenommen haben, haben das nicht ergeben. Die chilenische Regierung hat veranlaßt, daß Herr Almeyda nach Rumänien geflogen ist, und nicht etwa die Bundesregierung oder irgendeine westliche Regierung.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hält es die Bundesregierung für politisch vertretbar, wenn sich ein Kabinettsmitglied in derart demonstrativer Weise als „guter Freund" dieses Mannes bekennt, obwohl ein Bundesland sicherheitspolitische Bedenken vorgetragen hat, die nicht widerlegt sind?
Das Bundesland Baden-Württemberg hat das ganz offensichtlich nicht getan, sondern hat mehrere Behauptungen aufgestellt, die durch die Tatsachen zu widerlegen sind. Ich besitze eine entsprechende Aufstellung. Wenn Sie dazu Fragen einreichen, werden auch diese Fragen beantwortet.
In der ersten Antwort ist bereits gesagt worden, warum wir keine Bedenken gegen diese Begrüßung durch einen persönlichen Freund hatten. Und ich möchte Sie, Herr Abgeordneter, doch bitten, auch in der Politik zu trennen zwischen dem, was politisch zu beachten ist, und den menschlichen Kontakten, die man pflegen kann, wie immer man im einzelnen zu politischen Fragen steht. Ich habe bisher den Eindruck gehabt, daß eigentlich auch in diesem Hause im allgemeinen die Neigung besteht, unabhängig von politischen Gegensätzen, die sicherlich hier vorhanden sind, persönliche Freundschaften nicht zu opfern.
Ich rufe Frage 101 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Was hat die Bundesregierung zwischenzeitlich unternommen, um die Übersiedlung der etwa 20 000 bis 25 000 Deutschen aus Kasachstan in die Bundesrepublik Deutschland zu erreichen, deren Ausreisebegehren in der Liste von etwa 6000 Familien enthalten ist, die Senator Buckley am 18. November 1974 der Bundesregierung zu Händen von Staatsminister Moersch übergeben hatte?
Herr Staatsminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Liste, die mir seinerzeit
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9899
Staatsminister Moerschübergeben worden ist, wurde zur Auswertung an das Deutsche Rote Kreuz weitergeleitet. Diese Auswertung wird sicherlich eine geraume Zeit in Anspruch nehmen; denn einmal ist die Liste sehr umfangreich, und sie kann zum anderen wegen ihrer Abfassung in russischer Sprache nur von entsprechendem Fachpersonal bearbeitet werden. In jedem einzelnen Fall muß dann geprüft werden, welche Möglichkeiten überhaupt gegeben sind, um das Ausreiseanliegen zu unterstützen. Diese Aufgaben obliegen dem DRK.Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung bei der Behandlung des Problems der ausreisewilligen deutschen Volkszugehörigen in der Sowjetunion alle Erkenntnisse verwertet, die ihr durch einzelne oder durch Gruppen vermittelt werden. Bei ihren Bemühungen, auf bilateraler und auf multilateraler Ebene weitere Verbesserungen zu erreichen, hat die Bundesregierung jedoch grundsätzlich die Interessen aller Betroffenen zu berücksichtigen und insbesondere in Betracht zu ziehen, daß noch zahlreiche Fälle, die aus humanitärer Sicht in erster Linie unterstützungsbedürftig sind, ungelöst sind. Ich meine hier die Familienzusammenführung. Sie genießt, wie ich hier wiederholt festgestellt habe, Vorrang vor anderen Emigrationsproblemen.
Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte!
Herr Staatsminister, bis wann, glauben Sie, werden diese Vorarbeiten des Roten Kreuzes abgeschlossen sein und entsprechend Initiativen von seiten der Bundesregierung in bilateralen Gesprächen ergriffen werden können?
Herr Abgeordneter, Sie werden verstehen, daß die Auswertung — das habe ich ja eben gesagt nicht auf einmal geht. Wenn durch die jetzt begonnene Auswertung Tatbestände bekannt werden, die uns veranlassen können, hier tätig zu werden, werden wir auch tätig, bevor die ganze Liste ausgewertet ist.
Wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte!
Herr Staatsminister, sind bilaterale Gespräche gerade in der von Ihnen angeschnittenen Frage der Familienzusammenführung und bezüglich anderer Fälle der gewünschten Übersiedlung von Deutschstämmigen und Deutschen aus der Sowjetunion mit Stellen der Regierung der Sowjetunion seit dem Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers im letzten Herbst geführt worden?
Herr Abgeordneter, als aufmerksamem Zuhörer in der Fragestunde ist Ihnen sicher bekannt, daß ich hier sogar Zahlen und Ergebnisse genannt habe.
Aber Ihre Frage veranlaßt mich doch zu einer Präzisierung, die mir notwendig erscheint, damit Sie nicht Mißverständnissen hinsichtlich unserer Aktivlegitimation in dieser Frage unterliegen. Sie haben z. B. nach einer Liste gefragt, von der wir schon heute mit ziemlicher Sicherheit annehmen können, daß es sich bei den dort aufgeführten Personen um solche handelt, die zwar deutschstämmig, aber doch sowjetische Staatsangehörige sind, die zu keiner Zeit rechtliche Beziehungen zu Deutschland hatten.
Wir, wie auch das Deutsche Rote Kreuz, vermuten darüber hinaus, daß zum großen Teil auch keine verwandtschaftlichen Bindungen zu Personen in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden sind. Das hat eine erste Überprüfung von einigen Fällen ergeben. Die Bundesregierung hat daher gar keine Aktivlegitimation, mit der Sowjetunion über die Ausreise dieser Menschen zu verhandeln; ich habe wiederholt auf die Schwierigkeiten dieses Problems hingewiesen.
Ich glaube, daß wir und auch die Betroffenen selbst die Lage realistisch beurteilen sollten. Wir haben andere Gelegenheiten wahrgenommen, um auf die Grundsätzlichkeit des Problems hinzuweisen. Sie dürfen das nicht mit der Familienzusammenführung zusammenbringen, um die wir uns seit vielen Jahren mit Erfolg bemüht haben. Nachdem ursprünglich fast keine Chance mehr zu bestehen schien, Familienzusammenführungen aus der Sowjetunion vorzunehmen, sind im letzten Jahr über 6 000 Personen auf diese Weise in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. Damit ist Ihre Frage implizite beantwortet. Selbstverständlich ist das ein Thema, das wir nicht ad acta gelegt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, besteht dann, wenn die ersten Teile der Liste durch das Deutsche Rote Kreuz geprüft worden sind, Veranlassung, da inzwischen zwei Monate vergangen sind, dies auch unserer Botschaft in Moskau zu unterbreiten?
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß es notwendig ist, hier über Einzelmaßnahmen zu berichten. Wenn ich Ihnen sage, daß wir die Fälle, die sich zu einem Gespräch eignen, bearbeiten und weitergeben, so heißt das selbstverständlich, daß das unsere Botschaft tut. Wer sollte das sonst tun?
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja!
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten keine Aktivlegitimation. Besitzen Sie diese Aktivlegitimaton nicht auf Grund der deutsch-sowjetschen Repatriierungsvereinbarung vom Jahre 1958 und der sowjetischen
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9900 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Dr. CzajaErklärung vom 8. April 1958, die auch Personen deutscher Nationalität, die sowjetische Staatsangehörige sind und nicht im deutschen Staatsverband waren, in die wohlwollende Behandlung von Ausreisegesuchen einbezieht?
Herr Staatsminister, so sehr ich Verständnis habe, daß ein Mitglied dieses Hohen Hauses auf Grund einer Antwort den Wunsch nach einer Zusatzfrage hat, und ich eine Änderung der Geschäftsordnung befürworte, so läßt die Geschäftsordnung das nach den geltenden Bestimmmungen nicht zu. Ich kann daher die Frage nicht zulassen.
Ich fürchte, daß dann im Protokoll durch die Frage des Herrn Abgeordneten Czaja ein grundlegender Irrtum unbeantwortet stehenbleiben würde, der in dieser Sache steckt. Denn wir haben das letztemal eine andere Liste behandelt. Ich habe den Eindruck, daß hier eine Verwechslung besteht. Im Interesse der Betroffenen würde ich diesen Irrtum gern aufklären.
Bitte, dann ziehe ich meinen Einwand zurück.
Es handelt sich hier um einen Personenkreis, dessen Vorfahren vor ziemlich genau 200 Jahren aus einem Staat ausgewandert sind, der damals den Namen „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation" hatte. Um diese Nachfahren handelt es sich im wesentlichen. Wenn ich feststelle, daß wir dazu keine Aktivlegitimation haben, dann wird Ihnen dazu die Begründung als Historiker sicherlich nicht schwerfallen.
Ich rufe die Frage 103 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, in welcher Weise die konsularische Abteilung der Botschaft der Volksrepublik Polen den hier aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße eingetroffenen Deutschen Schwierigkeiten bereitet, die ihnen aufgezwungene polnische Staatsangehörigkeit abzulegen, und was gedenkt sie dafür zu tun, daß der Verzicht auf die polnische Staatsangehörigkeit schnell und reibungslos erfolgen kann?
Herr Abgeordneter, Umsiedler aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße werden in der Regel mit einem polnischen Reisedokument ausgestattet, wonach sie — jedenfalls nach ihrer Ausreise — auch aus polnischer Sicht nicht mehr polnische Staatsangehörige sind. Soweit der Bundesregierung bekannt ist, bestehen in Einzelfällen Schwierigkeiten, aus der polnischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden. Es handelt sich dabei aber nicht um den oben erwähnten Personenkreis, sondern um solche Personen, die nach polnischer Auffassung illegal in die Bundesrepublik Deutschland gelangt oder hier verblieben sind.
Im Rahmen Ihrer Benrühungen um eine befriedigende Lösung des Gesamtproblems wird die Bundesregierung auch die Möglichkeiten für eine Lösung der Schwierigkeiten prüfen, die sich in vorerwähnter Hinsicht noch ergeben.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß in Friedland kürzlich registriert worden ist, daß etwa 15 % der dort eintreffenden Aussiedler aus der polnischen Staatsangehörigkeit noch nicht entlassen sind?
Herr Abgeordneter, Sie selbst haben in Ihrer Frage auf diese Besonderheit hingewiesen. Sie können davon ausgehen, daß dies der Bundesregierung bekannt ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, halten Sie es für opportun, daß seitens des polnischen Konsulats dann auch eine Fotokopie des Flüchtlingsoder Vertriebenenausweises oder ähnliche Papiere verlangt werden?
Herr Abgeordneter, ich bin gern bereit, diese Einzelheiten zu besprechen. Sie wissen, daß es dort, wo die polnische Ausreisegenehmigung vorlag, im allgemeinen nicht zu Komplikationen gekommen ist. Dort aber, wo nach polnischer Auffassung und nach polnischen Gesetzen eine illegale Handlungsweise vorlag, müssen Sie auch mit Schwierigkeiten rechnen.
Ich rufe die Frage 104 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt, daß die in der „Information" zum Warschauer Vertrag vereinbarte Familienzusammenführung mehr und mehr den Charakter einer Familienzerreißung erhält, weil in auffallend zunehmender Zahl Besucher nach Absprache mit den daheim zurückgehaltenen Ehepartnern aus Protest gegen die ihnen jahrelang verweigerte Aussiedlung und in der Hoffnung, dadurch die Aussiedlung des zurückgelassenen Ehepartners endlich zu erwirken, hier bleiben?
Der Bundesregierung ist bekannt, Herr Abgeordneter, daß auf Grund der leider bisher unverändert sehr restriktiven Praxis der polnischen Behörden bei der Erteilung von Ausreisegenehmigungen in zunehmendem Maße Personen, denen die Aussiedlungsgenehmigung bisher versagt wurde, die Erteilung einer zeitweiligen Besuchsgenehmigung dazu benutzen, in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben. Die Bundesregierung bedauert diese Entwicklung und die zusätzlichen Probleme, die den betroffenen Familien daraus entstehen, daß die polnischen Behörden dem in Polen verbliebenen Teil der Familie in der Regel die Genehmigung zur Ausreise in die
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9901
Staatsminister MoerschBundesrepublik zwecks Wiederzusammenführung der Familie verweigern.Wir haben dieses Problem, seine Ursachen und die Nöte der Betroffenen wiederholt mit der polnischen Seite erörtert, ohne daß bisher eine Übereinstimmung in der Beurteilung dieses Problems erzielt werden konnte. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß es sich bei der Wiederzusammenführung dieser Familien um ein besonders dringendes humanitäres Anliegen handelt. Sie wird daher dementsprechend in den Gesprächen mit der polnischen Regierung weiterhin auf seine Lösung dringen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß etwa im Jahre 1974 30 O/'5 derer, die in Friedland registriert worden sind, Besucher waren, die aus Protest, weil ihnen die Ausreisegenehmigung nicht erteilt worden ist, hiergeblieben sind und dadurch, wie sie mit Recht gesagt haben, ein zusätzliches Problem geschaffen haben?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat genaue Zahlenunterlagen über Friedland.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Kann ich daraus entnehmen, daß Sie diese Zahlen bestätigen, und wäre es nicht eine Möglichkeit, hier Abhilfe zu schaffen, indem diese Aussiedlung beschleunigt wird, so daß diese 30 % nicht — wie im Jahre 1974 geschehen — aus Protest hierbleiben müssen und dann Gefahr laufen, bis zu fünf Jahren vom Ehepartner getrennt leben zu müssen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist bereit, alles das in der Öffentlichkeit zu erörtern, was nach ihrer Meinung für die Betroffenen nicht nachteilig wirken kann. Ich bin aber bereit, einzelne Zahlen und Einzelheiten im Auswärtigen Ausschuß zu erörtern.
Ich rufe die nächste Frage — Frage 105 — des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Enthalten die Antworten des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Moersch, am 16. Januar 1975 im Bundestag auf die Zusatzfragen der Abgeordneten Dr. Arndt und Dr. Schweitzer ein dem Grund und dem Sinn nach ausgesprochenes Bedauern der Bundesregierung über die Ergebnisse und Rückwirkungen des Amendements der amerikanischen Senatoren unter Führung von Jackson zum amerikanischen Außenhandelsgesetz, oder begrüßt die Bundesregierung dieses vom amerikanischen Senat einstimmig gebilligte Amendement mit bedingt aufschiebender Wirkung in der Frage der Meistbegünstigungsklausel zugunsten einer Phase realisierter und erprobter Freizügigkeit der Menschen verschiedener Nationalität wegen des auch den Zielen der Bundesregierung entsprechenden Versuchs zur Verwirklichung der UNO-Konvention über die bürgerlichen
Rechte, zur schrittweisen verbindlichen Verwirklichung des Prinzips der Freizügigkeit von Menschen, Informationen und Meinungen sowie wegen der vor dem 15. Januar 1975 während der Verhandlungen um das Amendement tatsächlich erfolgten Steigerung der Zahlen der Ausreise und Freizügigkeit?
Ich hoffe, daß die Bundesregierung nicht wegen der Länge der Frage — —
Herr Präsident, die Länge des Satzes in der Frage ist eine bemerkenswerte philologische Leistung. Das hat die Bundesregierung nach dreimaliger Lektüre feststellen dürfen.In meiner Antwort auf die von Ihnen, Herr Abgeordneter, genannten Zusatzfragen in der Fragestunde am 16. Januar habe ich festgestellt, daß die Politik der Bundesregierung in der Vergangenheit bei der Behandlung eines bestimmten Problems, nämlich der Ausreise von deutschen Volkszugehörigen aus der Sowjetunion, richtig war. Ich habe meinem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß die Richtigkeit dieser Haltung der Bundesregierung indirekt durch Ereignisse und das Fehlschlagen bestimmter in ähnliche Richtung gehender Bemühungen bestätigt wurde, die uns allen bekannt ist. Mit dieser Feststellung war und ist kein wertendes Urteil über Vorgänge verbunden, bei denen die Bundesregierung nicht mehr sein kann als ein aufmerksamer Beobachter. Die Zurückhaltung, die sich hier die Bundesregierung in der Achtung der inneren Angelegenheiten anderer Staaten auferlegt, sollte jedoch nicht mißinterpretiert werden.Ungeachtet einer völlig anderen Interessenlage und unter sehr schwierigen Umständen hat die Bundesregierung mit der sowjetischen Regierung über humanitäre Fragen gesprochen, lange bevor dies andernorts akut wurde. Darüber wurden keine großen Worte verloren; denn es geht hier um Menschenschicksale, die nicht in innenpolitisches Kapital umgemünzt werden dürfen.Überlassen wir also, Herr Kollege, die Stellungnahme zu dem von Ihnen genannten Amendment den unmittelbar Beteiligten, dem amerikanischen Kongreß, der US-Regierung und der Sowjetunion. Hier legen kompetente Äußerungen vor, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassen. Sie sind Ihnen sicherlich bekannt und könnten Ihnen, wenn das nicht der Fall ist, von der Bundesregierung zugestellt werden.Kommen wir statt dessen zum Kern Ihrer Anfrage! Es geht hier letztlich um die Durchsetzung und Verwirklichung der Menschenrechte und ganz besonders um das Recht der Freizügigkeit. Ich glaube, hier kann es keine Unterschiede in der Zielsetzung zwischen Opposition und Regierung geben. Die Ausführungen der Bundesregierung bei Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen und vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen ein Jahr später werden Sie sicher ebenfalls bejahen. Was bei uns im Grundgesetz verankert und im täglichen Leben unserer Menschen Wirklichkeit geworden ist, mag für uns eine Selbstverständlichkeit sein, nicht jedoch für Staaten mit einem anderen Gesellschaftssystem. Dies haben wir zu berücksichtigen, wenn wir den
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9902 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Staatsminister MoerschMenschen helfen wollen, die ihre Hoffnungen auf uns setzen. Nichts ist möglich, wenn diese Realitäten nicht berücksichtigt werden.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, bedeutet also Ihre Antwort in der vorigen Fragestunde an einen hier anwesenden Kollegen: „Wenn man die Frage gestern formuliert hätte, so hätte er seine Frage nicht so gestellt" keine Mißbilligung der einstimmigen Haltung des amerikanischen Senats zu dem Amendment, und bedeutet das — da auch in dieses Amendment Deutsche miteinbezogen sind , daß Sie dieses Amendment begrüßen?
Herr Abgeordneter, es ist mir beim besten Willen nicht möglich, der langen von mir gegebenen Antwort noch etwas hinzuzufügen. Ich habe mich sehr deutlich ausgedrückt. Ich bitte auch, nicht in meine Antwort von der letzten Fragestunde etwas hineinzuinterpretieren, was in dieser Antwort nicht enthalten war.
Herr Kollege, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Würden Sie ihre negative Beurteilung der Folgen des amerikanischen Amendments dann aufrechterhalten, wenn Sie bei Ihrer Antwort berücksichtigten, daß inzwischen der Sprecher der Betroffenen, Lerner, auf einer Pressekonferenz in Moskau vor ausländischen Pressevertretern nach der Meldung der „International Herald Tribune" ausdrücklich für das Ergebnis gedankt hat, das immerhin die Ausreise von 35 000 Personen 1973 und von 22 000 Personen 1974 ermöglichte, und um Fortsetzung dieser Bemühungen des Senats gebeten hat?
Herr Abgeordneter, ich habe dies nicht zu kommentieren. Ich habe vorhin die Gründe angeführt, weshalb ich zu solchen Kommentaren keine Stellungnahme abzugeben habe. Aber vielleicht hilft es Ihnen ein bißchen weiter, wenn ich Ihnen zitiere, was der amerkanische Außenminister Kissinger — auch im Deutschen Fernsehen übertragen — zu dem Grundproblem gesagt hat, das Sie hier immer wieder beschäftigt. Ich meine, Sie sollten — wenn Sie schon die Ansicht der Bundesregierung nicht ganz akzeptieren — in diesem Zusammenhang doch die Stimme des amerikanischen Außenministers aufmerksam registrieren. Er hat gesagt: „Wir haben aber wohl immer wieder behauptet, daß wir unsere Ziele am ehesten auf stille Art und ohne Konfrontation würden erreichen können. Deshalb haben wir auch nie ein Aufsehen davon gemacht, daß wir zwischen 1969 und 1973 die Auswanderung von Juden aus der Sowjetunion von 400 im Jahr auf 35 000 steigern konnten, ohne das jemals bekanntzugeben." Soweit Kissinger.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf, die Frage 106:
Ist der deutsch-polnische Vertrag über den Rechtsverkehr vom 5. März 1924 suspendiert oder ist er außer Kraft?
Der Vertrag wird von der Bundesregierung als erloschen angesehen, da er nach dem Kriege nicht wieder in Kraft gesetzt worden ist. Er ist in der Liste des Bundesjustizministeriums über noch geltende bilaterale Verträge nicht aufgeführt.
Zusatzfrage!
Sie haben aber mit oder ohne Vertrag in diesem Sinne Beziehungen rechtshilfemäßiger Art. Wollen Sie diese auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ausbauen?
Herr Abgeordneter, der Rechtsverkehr in Zivilsachen mit Polen wird nach dem multilateralen Haager Zivilprozeßübereinkommen vorn 1. März 1954 abgewickelt, dem beide Staaten angehören, nämlich die Bundesrepublik Deutschland seit 1960 und die Volksrepublik Polen seit 1963.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Werden Sie bei den eben angesprochenen Beziehungen auf der Gegenseitigkeit und auf der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle — beispielsweise bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit — beharren?
Herr Abgeordneter, in dieser Konvention internationaler Art sind die Kriterien genau umrissen, und ich als Nichtjurist bin, wie Sie verstehen werden, nicht in der Lage — ich hätte dazu auch gar nicht die Kompetenz —, diese Kriterien hier auszuweiten.
Der Herr Abgeordnete Dr. Kunz hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 107 und 108 gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Herr Staatsminister, ich danke Ihnen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haar zur Verfügung.Die erste Frage — Frage 53 — ist von dem Herrn Abgeordneten Hoffie eingereicht worden:Welche Gründe haben die Deutsche Bundesbahn veranlaßt, für die sogenannten Senioren- bzw. Rentnerreisen für das Jahr 1975 — unabhängig von der Zahl der durchgeführten Reisen —nur eine Verbilligung von 40 % zu gewähren, während im Jahr 1974 von der sechsten Reise an 50 % zugestanden wurden und
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9903
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenhöchstens 30 DM für die 2. Klasse sowie 50 DM für die 1. Klasse zu zahlen waren?Herr Staatssekretär!
Herr Präsident! Herr Kollege! Die Sonderangebote im Reiseverkehr werden nicht vom Bundesminister für Verkehr angeordnet, sondern von der Bundesbahn selbständig ausgestaltet und eingeführt. Nach den bisherigen Erfahrungen der Bundesbahn versprechen die Sonderaktionen nur dann wirtschaftlichen Erfolg, wenn ständige Wiederholungen der Angebotsbedingungen weitgehend vermieden werden. Deshalb wurde auch das neue Sonderangebot zugunsten der älteren Mitbürger in seiner Preisgestaltung herausgebracht,
Herr Kollege, Sie haben Zusatzfragen? — Keine; danke schön.
Die nächste Frage, die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Seefeld, wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Lemmrich, zunächst zu der Frage 55:
Welche besonderen Vorteile sind damit verbunden, daß die technisch bestimmte Abteilung Wasserbau des Bundesverkehrsministeriums nunmehr mit einer juristisch und somit technisch nicht ausreichend vorgebildeten Persönlichkeit besetzt wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Im Bundesministerium für Verkehr erfolgt die Besetzung von Spitzenpositionen nach Qualifikation und Leistungsgesichtspunkten. Hiernach ist auch bei der Besetzung der Stelle des Leiters der Abteilung Wasserstraßen verfahren worden.
Herr Abgeordneter Lemmrich!
Herr Staatssekretär, wenn die Qualifikation des neuen Leiters der Abteilung Wasserstraßen so exzellent ist, warum hat man ihn dann von der noch bedeutenderen Zentralabteilung versetzt?
Ich weiß nicht, ob eine solche Fragestellung angesichts der Tatsache, daß die Entscheidung nach sachlichen Gesichtspunkten in unserem Hause und im Einvernehmen mit dem Beamten getroffen wurde, berechtigt ist, Herr Kollege. Sie entbehrt meines Erachtens jeder Grundlage.
Sie haben dazu noch eine weitere Zusatzfrage!
Ich weiß; ich werde noch weitere stellen. Herr Staatssekretär, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß ähnliche Positionen in unseren Nachbarländern — wie z. B. in der Republik Frankreich — durchweg mit Ingenieuren besetzt werden
— deshalb geht es dort auch so in den Graben — und daß bei den Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich Probleme des Ausbaus des Rheins zwischen Basel und Lauterburg letztlich auf der Ebene der Ingenieure ausgehandelt werden mußten?
Herr Kollege, auch die Bundesregierung kennt ihre berufliche Tätigkeit in einer Baufirma, die Tiefbauaufträge ausführt. Möglicherweise übersehen Sie die Unterschiede zwischen den Abteilungen Straßenbau und Wasserstraßen. Im Straßenbaubetrieb erfolgen Bau und Unterhaltung durch die Länder. Hier sind Auftragsverwaltungen tätig, während es sich bei den Wasserstraßen bis zur letzten Instanz um eine bundeseigene Verwaltung handelt. Dabei ist gar nicht auszuschließen, daß auch internationale Gespräche und Verhandlungen — wie Ihnen bekannt ist — durch Präsidenten der zuständigen Wasser- und Schiffahrtsdirektionen geführt werden. Im übrigen: Die Ausbildung der betroffenen Beamten ist nicht so zu werten, daß derartige Gespräche und Verhandlungen nicht mit Erfolg geführt werden können.
Herr Abgeordneter Lemmrich, ich entziehe Ihnen das Wort. Sie haben keine Möglichkeit, eine weitere Zusatzfrage zu stellen.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Lemmrich auf:
Ist dem Bundesminister für Verkehr bewußt, daß seine Entscheidung und sein Verhalten bei der Neubesetzung der Stelle des Leiters der Abteilung Wasserbau seines Ministeriums von einer beträchtlichen Anzahl deutscher Ingenieure als Affront gegen diese Berufsgruppe angesehen wird?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär.
Ich hatte inzwischen geantwortet. Die Beantwortung durch die Regierung war, wie ich meine, für Herrn Lemmrich auch zufriedenstellend. Ich habe zu der Frage nichts mehr zu sagen, Herr Präsident.
Der Herr Abgeordnete hat natürlich trotzdem zwei
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9904 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenZusatzfragen. Und für Zwischenrufe, Herr Kollege, gibt es kein Mikrophon.Bitte!
Herr Präsident, ich habe noch eine zweite Frage, die, so wie ich das sehe, von Herrn Staatssekretär Haar eigentlich noch nicht beantwortet ist.
Herr Abgeordneter, der Herr Staatssekretär hat Ihnen eine Antwort gegeben. Ob Sie mit der Antwort zufrieden sind
— auf beide Fragen , ist Ihre Sache. Nur, die
Regierung betrachtet die Frage durch die zweite Antwort als beantwortet.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen. Bitte, erste Zusatzfrage zur zweiten Frage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen und Ihrem Hause bewußt, daß die Tatsache, daß hochqualifizierte Ingenieure, wie Sie sie z. B. in der Abteilung „Wasserstraßen" haben, nicht die Stelle des Leiters einnehmen können, Rückwirkungen auf die Qualifikation derjenigen Ingenieure haben wird, die bereit sind, im öffentlichen Dienst tätig zu sein?
Herr Kollege, der Herr Bundesminister für Verkehr teilt Ihre auch in dieser Frage zum Ausdruck gebrachte Auffassung nicht. Das zeigt ja auch seine Entscheidung.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem dieses Problem von mir angesprochen wurde und da es sich hier um einen echten Affront gegenüber Ingenieuren handelt, möchte ich Sie fragen: Haben Sie, obwohl — Ihrem Recht entsprechend — die Stellen der Leiter fast aller Abteilungen Ihres Hauses mit Ihren politischen Freunden besetzt worden sind, keinen entsprechend qualifizierten Ingenieur gefunden, der Ihrer politischen Partei angehört?
Wenn Sie die Absicht haben, Herr Kollege — wenn ich das so werten darf —, die Fragestunde zu einer politischen Demonstration zu nutzen, dann ist das Ihre Sache. Der Minister trägt die politische Verantwortung für seine Entscheidungen und für die Arbeit seines Ressorts. Ihm müssen daher auch die entsprechenden personalpolitischen Entscheidungen ohne Einflußnahme von außen möglich sein. Das gilt insbesondere für die politischen Beamten, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Hält die Bundesregierung die geplanten Einschränkungen im 5-Bahn-Verkehr der Deutschen Bundesbahn in und um Hamburg mit ihrem Nahverkehrskonzept für vereinbar, und wie glaubt sie gegebenenfalls die erforderlichen Notwendigkeiten zahlreicher sogenannter Pendler im Einzugsbereich dieser Weltstadt damit in Einklang zu bringen?
Herr Staatssekretär!
Angesichts einer zu erwartenden Kostenunterdekkung im Schienenpersonennahverkehr von über 4 Milliarden DM im Jahre 1975 sieht sich der Vorstand der Deutschen Bundesbahn gezwungen, alle Möglichkeiten zur Kostensenkung auszuschöpfen. Hierzu gehört u. a. auch eine Überprüfung des Leistungsangebotes dahin, ob die angebotenen Leistungen angenommen und ausgenutzt sind. In diese Überprüfung werden auch die Ballungsgebiete mit einbezogen werden müssen. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn wird sich dabei selbstverständlich an eingegangene Verträge halten.
Alle Maßnahmen im Bereich des Hamburger Verkehrsverbundes werden in den Organen des Hamburger Verkehrsverbundes erörtert. Nach meiner Information, Herr Kollege, ist davon auszugehen, daß in Kürze auch ein Spitzengespräch zwischen dem Senat und dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn über die Sie sicher berührenden Fragen stattfindet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß gegenwärtig die beste Ertragslage der Bundesbahn im Bereich des Bundesbahnnahverkehrs besteht?
Das ist nicht der Fall, Herr Kollege. Wir haben im Personennahverkehr einen Kostendeckungsgrad in einer Größenordnung von 25,2 % im Schnitt. Insoweit ist der Bundesbahnvorstand natürlich auch in seiner kaufmännischen Verantwortung gehalten zu prüfen, wo er nicht voll ausgenutzte Kapazitäten einsparen kann. Das schließt eine Überprüfung im gesamten Bundesgebiet nicht aus. Dabei werden die Ballungsgebiete zweifellos mit einbezogen, aber nicht schwerpunktmäßig berührt sein.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß durch derartige Einsparungspläne nur minimale Einsparungen erreicht werden, die die Gesamtsituation der Bundesbahn nicht wesentlich verändern werden?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9905
Ich weiß nicht, was Sie unter „minimal" verstehen, Herr Kollege. Sie dürfen überzeugt sein, daß der Bundesbahnvorstand aus seiner kaufmännischen Verantwortung heraus handelt, und, wo es sich ergibt, daß in Gesprächen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn, gleich aus welchen Gründen, eine Verbesserung des Leistungsangebots erfolgen muß, ist das auch bisher objektiv geprüft worden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Arndt.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß das Defizit des Hamburger Verkehrsverbundes u. a. besonders darauf zurückzuführen ist, daß die schleswig-holsteinische Landesregierung für diejenigen Teile des Landes Schleswig-Holstein, die der Hamburger Verkehrsverbund bedient, geringere Zuschüsse leistet als die Freie und Hansestadt Hamburg für ihr Staatsgebiet?
Ich kenne einen Teil der unterschiedlichen Zuschüsse, die die Landesregierungen im Zusammenhang mit der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Lasten geben. Ich habe im Augenblick aber das Zahlenmaterial für das Land Schleswig-Holstein im Vergleich zu Hamburg nicht zur Verfügung. Ich will Ihnen das gerne schriftlich geben, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter Orgaß, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist bei diesen Sparsamkeitsüberlegungen auch davon ausgegangen worden, daß die Kehrseite dann bedeutet, den Individualverkehr zu verstärken, und daß dadurch möglicherweise Kosten entstehen, die die Einsparungen mehr als kompensieren?
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß der Vorstand der Deutschen Bundesbahn bei seinen Einsparungsmaßnahmen von der Überlegung ausgeht, den Individualverkehr zu stärken. Es kommt dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn darauf an, nicht voll ausgenutzte Kapazitäten dort einzusparen, wo er es im Rahmen der Fahrplanbesprechungen für erforderlich und vertretbar hält.
Herr Abgeordneter Tillmann hat die eingereichte Frage 58 zurückgezogen.
Ich rufe dann die Frage 59 des Abgeordneten Wawrzik auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Interesse einer erhöhten Wirksamkeit bei der Ermittlung von Unfallfluchtwagen dafür Sorge zu tragen, daß bei der Kfz-Registrierung über die bisherigen Daten hinaus auch die Farben der Kraftfahrzeuge mit aufgenommen werden?
Der Herr Kollege ist im Saal; Herr Staatssekretär!
Die mit der Registrierung der Farbe verbundene zusätzliche Verwaltungsarbeit und Belastung der Fahrzeughalter wäre ungleich höher als der dadurch erreichte Zweck. Es ist daher nicht beabsichtigt, die Farbe der Kraftfahrzeuge in die Fahrzeugpapiere und in die Erfassungsunterlagen mit aufzunehmen.
Sie haben eine Zusatzfrage.
Haben Sie bei der Erstellung Ihrer Antwort mit berücksichtigt, daß die amerikanischen Kraftfahrzeugzulassungstellen in Europa dieses Verfahren mit einer wesentlich höheren Aufklärungsquote praktizieren?
Herr Kollege, ich darf Ihnen mitteilen, daß im Rahmen des Bund /Länder-Ausschusses Datenverarbeitung im Kraftfahrzeugzulassungswesen geprüft worden ist, ob es zweckmäßig sei, die Farbe der Kraftfahrzeuge in die Erfassungsunterlagen mit aufzunehmen. Der Ausschuß kam zu dem Ergebnis, daß die Belastung der Fahrzeughalter und der bereits jetzt schon sehr stark beanspruchten Kraftfahrzeugzulassungsstellen ungleich höher wäre als der dadurch erreichte Zweck. Das ist der Stand der Beratungen.
Herr Kollege, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Sind Sie von den zuständigen Behörden in dieser Richtung einmal angesprochen worden, daß dieser Vorschlag von der Verkehrspolizei als praktikabel betrachtet wird?
Das ist eingehend erörtert worden, wobei ich Ihnen sagen darf, daß allein die Nuancen in den Farben selbst, die die einzelnen Automobilfirmen verwenden, auch bei der Ausmachung eines Fahrzeugs zu ganz erheblichen Schwierigkeiten führen können.
Die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Vogt und die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Orgaß auf:Trifft es zu, daß die Bundesregierung auf Vorschlag des Bun\\ erkehrsministeriums oder einer anderen staatlichen Stelle den Reeder Hans Edwin Reith dem Bundespräsidenten zur Verleihung des Bundesverdienstordens vorgeschlagen hat?
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9906 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch habe das Gefühl, Herr Staatssekretär, die beiden Fragen stehen in einem sachlichen Zusammenhang. Oder wollen Sie sie getrennt beantworten?
Ich bin darauf eingerichtet, sie getrennt zu beantworten.
Bitte, Herr Staatssekretär!
Das Vorschlagsrecht für die Auszeichnung des Reeders Hans Edwin Reith mit dem Bundesverdienstkreuz liegt bei der Freien und Hansestadt Hamburg. Einen solchen Vorschlag hat das Bundesverkehrsministerium angeregt.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann sagen, oder können Sie, nachdem die Sache in der Offentlichkeit strittig ist, nun erklären, wer den Anstoß für die Verleihung des Ordens gegeben hat, das Bundesverkehrsministerium oder der Senat, oder ob beide Stellen in gleicher Weise dafür verantwortlich sind?
Ich habe in meiner Antwort bereits darauf hingewiesen, Herr Kollege, daß das Bundesverkehrsministerium diese Auszeichnung angeregt hat. Ich darf hinzufügen: Wären die jetzt in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe angeblich grob unsozialen Verhaltens dem Bundesverkehrsministerium damals bekannt gewesen, wäre von der Anregung — zumindest bis zur Klärung dieser Vorwürfe — auch Abstand genommen worden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie bei dieser Gelegenheit fragen: Welche Maßstäbe legt die Bundesregierung Vorschlägen für die Verleihung von Bundesverdienstkreuzen zugrunde?
ich darf Ihnen ein Argument vortragen, Herr Kollege, das bei den zuständigen Stellen in meinem Hause offensichtlich dazu geführt hat, diesen Vorschlag zu unterstützen, diese Überlegung anzuregen. Herr Reith hat das Bundesverdienstkreuz auf Anregung auch meines Hauses erhalten. Er gehört nach unseren Unterlagen zu jener Minderheit von Reedern, die noch keine Schiffe unter eine ausländische Flagge gebracht haben. Das war — neben seiner sonstigen, zumindest uns bekannten beruflichen Bewertung — mit ein Argument, wobei, wie gesagt, die Vorwürfe, die jetzt in der Offentlichkeit bekanntgeworden sind, unserem Hause nicht bekannt waren.
Dann rufe ich die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Orgaß auf:
Wenn ja, welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, Herrn Reith vorzuschlagen, obwohl die erfolgte Verleihung mit der Begründung u. a. um Verdienste der sozialen Belange der Seeleute bei den Arbeitnehmern der deutschen Seeschiffahrt als Provokation empfunden wird und einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat, weil nach übereinstimmenden Aussagen beider Seeleutegewerkschaften ÖTV /DAG gerade dieser Reeder den höchsten Anteil arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen auf sich gezogen hat und wiederholt gegen die gesetzlichen Vorschriften in bezug auf Schiffsbesetzung und Schiffssicherheit verstoßen habe?
Der Bundesregierung ist die Begründung des Auszeichnungsvorschlages der Freien und Hansestadt Hamburg im einzelnen nicht bekannt. Das Bundesverkehrsministerium hatte seine Anregung mit dem jahrelangen, erfolgreichen persönlichen Einsatz von Herrn Reith zum Wohle der deutschen Seeschiffahrt begründet und dabei insbesondere erwähnt, daß Herr Reith folgende Ehrenämter wahrnimmt oder wahrgenommen hat: Vorsitzender des Deutschen Nautischen Vereins, Mitglied des Seeverkehrsbeirates beim Bundesverkehrsministerium, Vorsitzender des Beirats der Seefahrtschule Hamburg, Vorsitzender des Kuratoriums Deutscher Seemannsschulen, Mitglied im Verwaltungsrat des Verbandes Deutscher Reeder, Präsidiumsmitglied des Verbandes Deutscher Reeder, Mitglied im Executiv-Ausschuß der Baltic International Maritime Conference, Mitarbeit in Sozialausschüssen und Berufsausbildungskommissionen und Vizepräsident der International Maritime Federal Commission.
Es wurde ferner besonders erwähnt, daß Herr Reith jahrelang für den Verband Deutscher Reeder die Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften geführt und auch das Sozialwerk für deutsche Seeleute maßgeblich gefördert habe.
Die jetzt gegen Herrn Reith in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe wegen angeblich unsozialen Verhaltens waren dem Bundesverkehrsministerium im Zeitpunkt der Anregung nicht bekannt. Irgendwelche etwaigen Bestrafungen von Herrn Reith wegen Verletzung von Schiffsbesetzungsvorschriften sind uns ebenfalls nicht bekannt.
Herr Orgaß, Sie haben zwei Zusatzfragen. Bitte!
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß, nachdem die Bundesregierung die Auszeichnung vorgeschlagen hatte, dann in der Öffentlichkeit die Erregung darüber einsetzte und die Bundesregierung daraufhin erklärte: „Das haben wir nicht gewußt", ein solcher Vorschlag doch etwas leichtfertig gemacht worden ist und daß es tatsächlich notwendig wäre, solche Vorschläge etwas sorgsamer zu prüfen?Und weiterhin: Sind Sie nicht der Meinung — —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9907
Wir wollen hier einmal mit einem Fragezeichen abschließen, damit der Herr Staatssekretär antworten kann.
Ich möchte Sie bitten, Herr Kollege, mir die Ihnen konkret bekanntgewordenen Überlegungen in einem. persönlichen Gespräch oder schriftlich darzustellen. Ich will aber der Frage, die Sie hier jetzt aufgeworfen haben, gern nachgehen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Unabhängig davon, daß es jetzt zu spät ist, weil Fakten geschaffen worden sind, möchte ich Sie fragen, ob Ihre Antwort, daß der Reeder Reith u. a. deshalb für die Auszeichnung vorgeschlagen worden ist, weil er nicht ausgeflaggt hat, nicht einen Fatalismus hinsichtlich des schiffahrtspolitischen Konzepts der Bundesregierung zeigt, insofern nämlich, als daß derjenige, der nicht ausflaggt, deswegen einen Orden bekommt.
Ich denke, ich habe in der Antwort auf Ihre zweite Frage deutlich darauf verwiesen, auf Grund welcher Tätigkeiten und Verdienste dieser Vorschlag angeregt worden ist. Das Vorschlagsrecht hat die Freie und Hansestadt Hamburg, deren Vorschlag dann auch entsprochen worden ist.
Herr Abgeordneter Arndt, wollen Sie eine Zusatzfrage stellen? Aber dann müssen wir die Sache abschließen.
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9908 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
— nämlich die Datenfernverarbeitung —
b) die Vermietung und der Verkauf von Teilnehmerendeinrichtungen für den unter a) genannten Zweck,
c) die Programmierung sowie das Zurverfügungstellen standardisierter Programme im Zusammenhang mit der unter a) genannten Vermietung von Rechenzeit und
d) die Beratung und Ausbildung von Kunden in Fragen des Einsatzes von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen im Zusammenhang mit den eingangs genannten Zwekken.
Wenn diese Zielsetzung, wie Sie selbst angeben, auch mit dem Gründungsvertrag in hohem Maße übereinstimmt, können Sie mir dann sagen, auf welchen Marktanalysen die Tatsache beruht, daß die Deutsche Datel GmbH zunächst bis zu einem Mitarbeiterstand von 550 Mitarbeitern ausgebaut wurde und jetzt um mindestens ein Drittel, nach dem, was man hört, aber mehr, reduziert werden muß?
Ich weiß nicht, ob Sie alle öffentlichen Stellungnahmen in dieser Frage verfolgen konnten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß auch Fachjournalisten sehr positiv zu dieser Entwicklung stehen. Das gilt auch für Rationalisierung innerhalb der Datel GmbH, was das Personelle anlangt, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise hat denn die Deutsche Bundespost auf die Entwicklung der Datel GmbH Einfluß genommen, wenn sie noch bis zum September des vergangenen Jahres Neueinstellungen zuließ und jetzt in diesem Maße reduziert? Ich frage Sie, welche Veränderungen in der Marktanalyse in so kurzer Zeit fällig waren.
Ausschlaggebend waren verwaltungsseitige Überlegungen, die jetzt zu einem Ergebnis geführt haben, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatssekretär, könnten Sie vielleicht kurz dartun, wie die Veränderungen in dem Gesellschafterkreis aussehen und wer eventuell hinter ausländischen Gesellschaftern stehen könnte?
Die Deutsche Bundespost, Herr Kollege, war vor dem 1. Januar 1975 an der Deutschen Datel-Gesellschaft für Datenfernverarbeitung in Darmstadt mit 40 %, AEG-Telefunken mit Olympia AG zusammen mit 20 % und Siemens AG ebenfalls mit 20 % beteiligt. Die restlichen 20 % wurden bis zum 31. Oktober 1974 von der Firma Nixdorf Computer AG gehalten. Für die beiden Monate November und Dezember 1974 hatten die übrigen Gesellschafter pro rata ihrer Anteile interimistisch den Nixdorf-Anteil übernommen. Ab 1. Januar 1975 halten die Deutsche Bundespost und Siemens nur noch je 5 % der Gesellschaftsanteile; 55 % sind von einer Gesellschaft in Brüssel — GSI — und 35 % von einer schweizerischen Gesellschaft für elektrische Industrie in Basel übernommen worden.
Die Frage 67 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.Ich rufe nunmehr die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
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9910 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWie erklärt sich die Bundesregierung die überdurchschnittliche Verlustquote bei von der Bundesrepublik Deutschland in die „DDR" versandten Paketen, und welche Schritte werden unternommen, um diese Verlustquote zu senken?Herr Staatssekretär!
Nach der in der DDR geltenden Zwanzigsten Durchführungsbestimmung zum Zollgesetz der DDR vom 14. Juni 1973 ist der Geschenksendungsverkehr in die DDR erheblichen Einschränkungen unterworfen. Insbesondere sind zahlreiche Gegenstände vom Versand ausgeschlossen oder nur in bestimmten Mengen zugelassen. Verstöße gegen diese Verordnung führen zur entschädigungslosen Einziehung der gesamten Sendungen bzw. des beanstandeten Teils der Sendung oder zur Rücksendung an den Absender. Erfahrungsgemäß legen die mit der Zollkontrolle beauftragten Dienststellen der DDR diese Bestimmungen sehr eng aus.
Leider beachten die Absender die Einfuhrbestimmungen der DDR nicht immer genügend, obwohl sie die Möglichkeit haben, sich an Hand von Merkblättern, die an den Postschaltern ausliegen, über die jeweils geltenden einzelnen DDR-Bestimmungen zu informieren.
Die Bundesregierung hat sich wiederholt gegenüber der DDR um Erleichterungen beim Versand von Geschenkpaketen und -päckchen, insbesondere um Aufhebung oder Abbau der Einfuhrbeschränkungen bemüht. Sie wird dies auch weiterhin tun, Herr Kollege. Die Fragen des Paketverkehrs werden bei den gegenwärtigen Postverhandlungen mit der DDR erörtert.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß verschiedene Paketsendungen in einer relativ nicht geringen Zahl unter Aufsicht der Post verpackt wurden, so daß sie nur den nach den Merkblättern zulässigen Inhalt enthielten, und testweise in die DDR geschickt wurden und daß ein sehr hoher Prozentsatz auch dieser Pakete nicht ankam, und was hat die Deutsche Bundespost gegenüber der Postverwaltung der DDR in diesen Fällen eventuell unternommen?
Herr Kollege, das Fragezeichen mußte natürlich nach „nicht ankam" kommen. Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich darf Ihnen versichern, daß die Deutsche Bundespost die Gesamtentwicklung auch verlorengegangener Pakete, die erheblich über dem übrigen Durchschnitt von Verlustziffern liegt, verfolgt und auch zur Sprache bringt.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Freiherrn von Fircks auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Begriff der Alters- und Pflegeheime in der Verwaltungsanweisung 6 b zu § 15 zur Änderung der Fernmeldeordnung vom 12. Februar 1974 so zu erweitern, daß auch die Bewohner von gemeinnützigen Altenwohnheimen hinsichtlich eines Fernmeldeanschlusses die Möglichkeit haben, einen kostenlosen Nebenanschluß einer Nebenstellenanlage zugeteilt zu erhalten, da auch die Bewohner solcher bisher nicht berücksichtigter Altenwohnheime wegen der enormen Steigerung der Pflege- und Unterhaltssätze zunehmend die oft lebensnotwendigen Telefonanschlüsse aus eigenem Einkommen nicht mehr bestreiten können?
Der Herr Fragesteller ist im Saal. Herr Staatssekretär!
Nach der Verwaltungsanweisung können die Bewohner von Altenwohnheimen einen Nebenanschluß ohne zusätzliche Gebühren benutzen. Ihre Anfrage dürfte sich auf Altenwohnungen, die nicht auf einem geschlossenen Areal liegen, beziehen, Herr Kollege.
Die zitierte Verwaltungsanweisung betrifft generell Alters- und Pflegeheime. Aussagen über die Form der wohnungsmäßigen Unterbringung der Bewohner sind nicht gemacht. Grundsätzlich sind daher auch Altenwohnungen nicht ausgeschlossen, wenn sie Teil des Alters- oder Pflegeheimes sind. Soweit Altenwohnungen zwar von einer gemeinnützigen Institution bereitgestellt werden, aber nicht zu einem Alters- oder Pflegeheim gehören, fallen sie nicht unter diese Vergünstigungen. Es wird zur Zeit geprüft, ob es möglich sein wird, sie in begünstigende Regelungen einzubeziehen, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe Ihre Antwort vielleicht nicht ganz genau verstanden: Ist es richtig, daß aus dem Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege vom 9. Dezember an Ihr Haus hervorgeht, daß Altenwohnheime bisher nicht mit in diese mögliche Regelung einbezogen sind und daß die Arbeitsgemeinschaft Sie deswegen ausdrücklich bittet, Ihre Verordnung dahin gehend zu erweitern, daß auch Altenwohnheime mit in diese Möglichkeit einbezogen werden?
Ich würde Sie bitten, Herr Kollege, mir diesen Vorgang, der mir im Augenblick nicht zur Verfügung steht, zuzuleiten. Dann will ich gern entsprechend den jetzt bestehenden Möglichkeiten prüfen, ob hier ein Versäumnis vorliegt oder ob das gegebenenfalls unter den Bereich fällt, der innerhalb der nächsten zwei Monate ohnehin von uns zu klären ist, wie ich bereits angekündigt habe.
Keine weiteren Zusatzfragen. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich Ihres Hauses.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9911
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausender Herr Parlamentarische Staatssekretär Baum zur Verfügung. Frage 70 ist von Herrn Abgeordneten Pensky eingebracht:Wie gestaltet sich nach den gegenwärtig geltenden gesetzlichen Bestimmungen bei Terroranschlägen gegen Beamte und Richter die Versorgung der Hinterbliebenen der Opfer und der Ersatz von Sachschäden?
Herr Präsident! Herr Kollege Pensky! Auf Grund des § 141 a des Bundesbeamtengesetzes wird den Hinterbliebenen eines Beamten oder Richters, der in Ausübung des Dienstes durch einen rechtswidrigen Angriff getötet worden ist, eine gegenüber der Hinterbliebenenversorgung nach den allgemeinen Vorschriften erheblich verbesserte Versorgung gewährt. Gleiches gilt auch für Fälle, in denen ein Beamter oder Richter außerhalb des Dienstes im Hinblick auf sein pflichtgemäßes dienstliches Verhalten angegriffen worden ist. Damit ist auch ein Angrff erfaßt, der auf einen Beamten oder Richter verübt wird, um ihn als Repräsentanten des Staates zu treffen. In die Motivation eines solchen Angriffs ist die Amtswahrnehmung und somit auch das pflichtgemäße Verhalten des Angegriffenen eingeschlossen.
Die Bemessungsgrundlage für die Hinterbliebenenversorgung bildet in diesen Fällen das erhöhte Unfallruhegeld, das der Verstorbene bei seiner Zurruhesetzung erhalten hätte. Außerdem erhalten die Witwe und die versorgungsberechtigten Waisen nach § 148 a des Bundesbeamtengesetzes eine einmalige Entschädigung in Höhe von insgesamt 20 000 DM. Sind diese Familienangehörigen nicht vorhanden, wird auch anderen nahen Verwandten wie z. B. Eltern oder Enkeln ein Betrag von insgesamt 10 000 oder 15 000 DM gewährt. Nach dem Entwurf eines Beamtenversorgungsgesetzes, der diesem Hohen Hause bereits vorliegt, sollen diese Entschädigungen um ein Viertel erhöht werden.
Der Sachschadensersatz richtet sich nach den Vorschriften, wie sie allgemein bei Dienstunfällen anzuwenden sind. Nach ihnen kann für Gegenstände des täglichen Bedarfs Ersatz geleistet werden. Darüber hinaus ist jedoch je nach den Umständen des Einzelfalls ein Sachschadensersatz, soweit es sich um unbewegliche Sachen oder um solche der Familienangehörigen handelt, aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht möglich. Auf die Verbesserungen komme ich im Zusammenhang mit Ihrer zweiten Frage zurück.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß der Angriff, wie er in § 141 a bezeichnet ist, auch dann gegeben ist, wenn er nicht in Beziehung zu einem konkreten Einzelfall steht, sondern wenn er sich gegen Personen richtet, die nur als Repräsentanten der Justiz oder des Vollzugsdienstes, als sogenannte Symbolfiguren, tätig werden? Kann ich dies aus Ihrer Antwort schließen?
Herr Kollege, das können Sie aus meiner Antwort schließen, ich habe es ausdrücklich gesagt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, weil es hier Auslegungsschwierigkeiten und Auslegungszweifel gibt, daß bei beabsichtigten Neuregelungen eine Konkretisierung vorgenommen wird?
Herr Kollege, ich will das gerne prüfen und will noch einmal bestätigen, was ich eben vorgelesen habe. Ich habe gesagt:
Damit ist auch ein Angriff erfaßt, der auf einen Beamten oder Richter verübt wird, um ihn als Repräsentanten des Staates zu treffen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Pensky auf:
Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, die Rechtsstellung von Beamten und Richtern sowie von deren Hinterbliebenen, die Opfer von Terroranschlägen werden, zu verbessern und wenn ja, in welchem Sinn?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist bereit, die Rechtsstellung der Beamten und Richter bei Terroranschlägen dahin zu verbessern, daß die aus der bisher nur in § 79 des Bundesbeamtengesetzes verankerte Fürsorgepflicht des Dienstherrn herzuleitenden Ansprüche im Bundesbeamtengesetz konkretisiert werden. In dieser Hinsicht erscheinen folgende Fragenkomplexe regelungsbedürftig:1. Umfang des Sachschadensersatzes bei Dienstunfällen; Ersatz auch für Schäden an unbeweglichen Sachen.2. Sachschadensersatz bei Gewaltakten, die keinen Körperschaden verursacht haben.3. Ersatz von Vermögensschäden.4. Ersatz von Personen- und Sachschäden der Familienangehörigen.Ein entsprechender Gesetzentwurf wird gegenwärtig im Bundesinnenministerium vorbereitet. Er soll auf Grund der Kompetenz des Bundes auf Erlaß rahmenrechtlicher Vorschriften auch eine Ergänzung des Beamtenrechtsrahmengesetzes vorsehen, um eine möglichst einheitliche Regelung aller Dienstherren sicherzustellen. Der Gesetzentwurf wird in Kürze den Bundesressorts und den Ländern zur Stellungnahme zugehen. Nach anschließender Beteiligung der Gewerkschaften und Berufsverbände kann der Entwurf dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung zugeleitet werden. Die Bundesregierung strebt an, den Gesetzentwurf den parlamentarischen Gremien so rechtzeitig zu übersenden, daß der Entwurf
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9912 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Parl. Staatssekretär Baumnoch bei den Ausschußberatungen des Entwurfs eines Beamtenversorgungsgesetzes mitbehandelt werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bei Ihrer sehr umfassenden und mich an sich sehr befriedigenden Antwort ist mir eines nicht ganz klargeworden. Ist damit auch der Fall geregelt, daß beispielsweise ein Polizeivollzugsbeamter, der aus dienstlichem Anlaß in eine Rauferei gerät und dabei einen Sachschaden erleidet — an persönlichem Eigentum —, auch dann einen Ersatz von Sachschäden verlangen kann, wenn er nicht gleichzeitig eine Verletzung, d. h. beispielsweise ein blaues Auge, davongetragen hat?
Auch das wird angestrebt, Herr Kollege.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 72 soll auf Bitte des Fragestellers, des Abgeordneten Gierenstein, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 73 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Wie groß ist die Zahl der zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland für die DDR oder andere Ostblockstaaten arbeitenden „Kundschafter an der unsichtbaren Front", deren Bedeutung der Minister für Staatssicherheit der DDR, Mielke, dieser Tage erneut hervorgehoben hat, und wie beurteilt die Bundesregierung die Rolle dieser „Kundschafter" im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Grundvertrags zu gutnachbarlichen Beziehungen zwischen den beiden Vertragspartnern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Jäger, die von Ihnen gewünschten Einzelinformationen können öffentlich nicht dargelegt werden. Das bezieht sich auch auf die von Ihnen gewünschten Zahlenangaben. Ich bin aber wie in allen Fällen dieser Art gern bereit, im parlamentarischen Vertrauensmännergremium oder in einer vertraulichen Sitzung des Innenausschusses eine ergänzende Stellungnahme abzugeben.
Im übrigen möchte ich Sie auf den Verfassungsschutzbericht 1973 verweisen, in dem die Bundesregierung eingehend über die gegen die Bundesrepublik gerichteten nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der DDR und anderer Ostblockstaaten berichtet hat.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage möchte ich bernerken, daß, wie die Dinge nun einmal liegen, wir von der Existenz von Nachrichtendiensten ausgehen müssen. So hat es in der Vergangenheit Spionagefälle gegeben, es wird sie auch in Zukunft geben, bei uns und in anderen Ländern. Ich kann mir, Herr Kollege, auch nicht vorstellen, daß der Bereich nachrichtendienstlicher Aktivitäten mit Aussicht auf Erfolg zum Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen gemacht werden kann. Hier möchte ich den damaligen Bundesinnenminister Genscher zitieren, der am 26. April 1974 vor diesem Hause folgendes ausgeführt hat:
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9914 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9915
und daß es sich Kollegen wie Sie hier vorne, Herr Reddemann — ich brauche Sie gar nicht anzugucken —, in diesem Saal leisten, Sozialdemokraten und Liberalen — es sitzen viele konkret Betroffene hier, die wegen ihres Eintretens für die Pressefreiheit eben für dieselbe Partei in der Zeit des Unmenschen gelitten und gedarbt haben — heute vorzuwerfen, sie würden das Gegenteil praktizieren. Das halte ich schlichtweg für ungeniert und tumb.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin bei den letzten zwei Sätzen. Tch bitte, davon abzusehen.
Ich bitte Sie freundlicherweise, zwei Dinge zu überlegen, einmal die Frage, wer in diesem Lande eigentlich wirklich ein Klima der Illiberalität verbreitet und wer dies nicht tut.
Analysieren Sie sorgsam in Hamburg das Kesseltreiben um den Journalisten Merseburger.
Analysieren Sie die Methoden. Das heißt nicht, daß ich mit allem, was Merseburger sagt, einverstanden bin. Die Methode ist es, die ich verurteile, und diese Methode wird von Ihnen angewandt.
Oder meinen Sie, es sei ein effektiver Beitrag zu einer Medienhilfspolitik, wenn der Kollege Bremer aus diesem Hause unter Verwendung des Bundesadlers Briefe wohlfeil wie Sauerbier an Bürger verschickt und ihnen die „Welt" andient und gleichzeitig darauf hinweist, daß die kleine und mittlere Presse nicht mehr funktionstüchtig sei in der Darstellung politischer Gegebenheiten.
Ist das Ihr Beitrag zur Medienpolitik?
Ich meine, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie hätten genügend Möglichkeiten, selbstkritisch das, was in Ihren Reihen passiert, zu überdenken, anstatt immer auf anderen mit einem dicken, aber nicht treffenden Knüppel herumzuschlagen.
Wir, meine Damen und Herren, werden für eine schnelle und zügige Verabschiedung dieser Fusionsnovelle sorgen. Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß Sie sich dann, wenn es nicht mehr öffentlich ist, in den internen Ausschußberatungen etwas kooperativer verhalten als heute morgen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß der Gesetzentwurf vorgelegt worden ist. Wir halten seine Behandlung für eilbedürftig, und obwohl Minister Friderichs heute in seiner Einbringungsrede die Hoffnung ausgedrückt hat, daß wir bei der Beratung auf die Mitwirkung der Opposition zählen könnten, sollten wir nach dem, was wir heute zu diesem Tagesordnungspunkt und auch zu dem vorhergehenden erlebt haben, auf diese Mitarbeit nicht rechnen und auch unseren Zeitplan daran nicht orientieren.
— Die Opposition ist nach wie vor herzlich eingeladen daran mitzuwirken,
aber nicht in dem Sinne, hier Wahlkampfreden zu halten, sondern in dem gemeinsamen Ziel, gegen die Pressekonzentration etwas zu tun.
— Herr Kollege Jäger! Ich habe Ihre Bemerkung nicht verstehen können.
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9916 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Dr. Hirsch-- Herr Kollege! Wenn sich heute in diesem Hause einer blamiert hat, dann waren Sie es durch Ihre merkwürdige Frage.
Der Bundestag hatte den Auftrag gegeben, die Kartellnovelle zu ergänzen in der Beratung der zweiten Novelle vom 14. Juni 1973. Die Beschlußfassung durch das Kabinett folgte am 14. August 1974, und ich meine, daß die von dem Gesetzentwurf Betroffenen einen Anspruch darauf haben, möglichst bald Klarheit darüber zu haben, wie der Gesetzgeber nun entscheidet. Ich will hier nicht im einzelnen auf die Streitfrage eingehen, ob und in welchem Umfang das Gesetz rückwirkend in Kraft treten sollte. Dazu ist in der Literatur — auch in der Publizistik — darauf hingewiesen worden, daß rückwirkende Gesetze schlechthin unzulässig seien. Jeder in diesem Hohen Hause weiß, daß das nicht zutreffend ist, sondern daß selbst dann, wenn man von einer echten Rückwirkung ausgehen müßte, gleichwohl eine Rückwirkung dann möglich ist, wenn dringende Gründe des Gemeinwohls es erfordern. Wir werden sehr sorgfältig prüfen — auch an Hand der Konzentrationsfälle, die seit der Beschlußfassung des Kabinetts vorgenommen worden sind —, ob solche Gründe vorliegen und uns dazu zwingen es auch verfassungsrechtlich einwandfrei zu rechtfertigen, daß das Gesetz mit einer Ankündigungswirkung zum Zuge kommt.Nun zwingt mich das, was Kollege Professor Klein hier ausgeführt hat, dazu, mich nicht nur auf das Gesetz selber zu beschränken, sondern etwas weiter auszuholen. Herr Kollege Klein, Sie haben hier eine ganze Fülle von Verdächtigungen vorgetragen, auf die Herr Engholm im einzelnen eingegangen ist, nämlich die für mich abenteuerliche Behauptung, daß diese Koalition oder diese Regierung damit umgehe, die Pressefreiheit in irgendeiner Weise zu beschränken. Dafür haben Sie keinen Beleg irgendeiner Art.
— Wir kommen sofort darauf! Es gibt kein Gesetz, das das Innenministerium verlassen hätte, das auch nur entfernt einen solchen Vorwurf rechtfertigen würde.
Sie haben zitiert, was ich hier in diesem Hause in einer früheren Debatte gesagt habe. Ich meine das Zitat mit dem Gegensatz. Sie haben mit dieser Formulierung, die Sie erwähnt haben, den Eindruck erwecken wollen, als gehe es uns darum, die privatrechtliche Struktur der Presse in irgendeiner Weise anzutasten. Dann muß ich Sie aber bitten, hier den ganzen Text vorzulesen, der wie folgt lautet: „Ich wende mich dagegen, daß Sie die unhaltbare Behauptung aufstellen, ,daß diese Regierung die privatwirtschaftliche Struktur der Presse beseitigen, also (I verfassungswidrig handeln wolle. Sie wolle die Presse in die Verfügungsgewalt der Gesellschaft überführen und staatlicher Kontrolle unterwerfen."Ich habe Ihnen dann vorgehalten, daß Sie solche Plakatmalereien auf die Gebiete von Vilshofen und Fulda beschränken sollten. Ich habe gesagt: „Solche Behauptungen sind deswegen empörend, weil sie unwahr sind und weil sie ohne jedes Problembewußtsein ausgerechnet von denen erhoben werden, die überhaupt keine Konzeption dazu vorlegen können, wie sie denn den Gegensatz auflösen wollen, der zwischen der privatwirtschaftlichen Struktur der Presseunternehmen einerseits und ihrer öffentlichen Aufgabe, das Grundrecht des Artikels 5 unserer Verfassung zu verwirklichen, besteht." Es ging also um den Gegensatz, daß eine privatrechtliche Institution eine verfassungsrechtliche Garantie zu erfüllen hat. Und kein Wort, das diese privatrechtliche Struktur in irgendeiner Weise antasten würde! Im Gegenteil: Ich habe mich erneut dazu bekannt. Ich meine, Sie sollten das im Interesse Ihres eigenen Ansehens doch zur Kenntnis nehmen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Bitte schön!
Herr Kollege Hirsch, gestehen Sie mir zu, daß ich mich mit folgender These auseinandergesetzt habe — ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus dem mir soeben vorgelegten Protokoll wörtlich —:
... es gelte, die privatwirtschaftliche Organisation der Presse mit ihrer angeblich öffentlichen Aufgabe in Einklang zu bringen, die Auffassung also, es bestehe zwischen privatwirtschaftlicher Struktur und öffentlicher Aufgabe ein mindestens tendenzieller Gegensatz.
Darf ich fragen, worin hier ein falsches Zitat liegt?
Herr Kollege Klein, wären Sie denn dann Ihrerseits bereit einzuräumen, daß ich mich erneut und entschieden, damals so wie heute, für die uneingeschränkte Erhaltung der privatwirtschaftlichen Struktur der Presse ausgesprochen habe?
— Ich erlasse Ihnen das. Die Sache ist ja eindeutig.Hinzu kommt nun, daß Sie die Vorwürfe, die Sie erhoben haben, in keiner Weise mit irgendwelchen positiven Vorstellungen verbunden haben. Wir haben von Ihrer Fraktion, Ihrer Partei nichts gehört— überhaupt nichts, Null —, was dazu beitragen könnte, die strukturellen Probleme unserer Presse in irgendeiner Weise zu lösen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9917
Dr. Hirsch— Die Junge Union hat ein Medienpapier vorgelegt, die CDU hat Leitsätze vorgelegt, in denen alle entscheidenden Probleme sorgsam ausgespart waren.Sie haben heute früh die Pressestatistik abgelehnt, uns also auch das nur mindeste, bescheidenste Instrument verwehrt, mit dem man zur Ermittlung von Tatbeständen für sachgerechte Entscheidungen kommen wollte. Das einzige, was Sie vorgetragen haben, war Ihr Antrag auf Wirtschaftsförderung; ein Antrag, mit dem alle Seiten dieses Hauses im Prinzip seit langem völlig übereinstimmen.
Sie berufen sich nun auf die Mehrwertsteuerregelung und sagen dazu, das sei kein Gießkannenprinzip. Es ist richtig, daß die Zeitungen, die in schwarzen Zahlen arbeiten, diese Subventionen den Ertragsteuern unterwerfen müssen. Sie sagen nun: Was dann noch über dem Strich bleibt, wollen sie ja in einen Fonds einbringen. Nichts davon ist zutreffend. Was Sie von dem Fonds erzählen, geht doch nur zurück auf eine Andeutung des Herrn Binkowski, die in keiner Weise, aber auch gar nicht konkretisiert worden ist. Wollen Sie darauf eine wesentliche wirtschaftliche Entscheidung stellen?Wie ist es mit dem Postzeitungsdienst? Sie wissen, daß wir uns mit diesem Thema im Postverwaltungsrat eingehend beschäftigt haben. Aber ich muß natürlich auch sehen, daß die Zeitungen von dem Postzeitungsdienst in ganz verschiedener Weise Gebrauch machen und daß mangels der noch nicht vorliegenden Zahlen in der Tat natürlich nicht feststeht, ob die Zeitungen, die sich in den roten Zahlen befinden, nun am meisten von diesem Postzeitungsdienst Gebrauch machen. Das scheint mir eine offene Frage zu sein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Ja, wenn ich bitte den Gedanken noch zu Ende führen darf. — Ich wende mich dagegen, daß Sie mit solchen allgemeinen Bemerkungen der staunenden Öffentlichkeit, soweit sie von der Sache etwas versteht, den Eindruck vermitteln wollen, Sie täten irgend etwas, um presserechtliche Strukturen zu verändern; als ob Sie so naiv wären, zu glauben, daß Sie durch Subventionen Strukturen verändern könnten. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein! Sie wissen doch, daß wirtschaftliche Förderungsmaßnahmen nur so lange wirken, wie Sie diese Maßnahmen aufrechterhalten. Dann müssen Sie sagen: Wir wollen die Förderung ohne Rücksicht auf Pressestrukturen auf — ich weiß nicht, wie viele — Jahre hindurch fortsetzen. Das kann keine sinnvolle Politik sein.
Sie wollten eine Frage stellen.
Der Punkt, an den ich meine Frage anknüpfen wollte, liegt bereits etwas zurück, Herr Kollege. Ich wollte fragen, welchen Anlaß wohl nach Ihrer Meinung der BDZV haben sollte, einen Vorschlag zu konkretisieren, dessen Verwirklichung Sie a limine ablehnen?
Er handelt sich ja gar nicht um einen Vorschlag des BDZV, sondern es handelt sich um eine Vorstellung, die z. B. von dem Präsidenten des BDZV geäußert worden ist, die aber in keiner Weise konkretisiert worden ist, in gar keiner Weise.
— Warum sollte er nicht?
— Er will doch, Herr Kollege und wir habengesagt, daß man darüber natürlich reden muß —, die Herabsetzung des Mehrwertsteuersatzes auf null; und dann ist es doch wohl ein gottgefälliges Werk, wenn er nun gleichzeitig Instrumente vorlegt, die ja nur er schaffen kann, die es seiner Meinung nach ermöglichen, so etwas zu tun. Ich sage Ihnen, daß es nicht daran gescheitert ist, daß die Herren meinten, es habe keinen Sinn, sondern es ist daran gescheitert, daß sie nicht in der Lage waren, einen solchen Fonds zu bilden. Und Sie wissen es doch!Nun, ich meine, man muß aus dem Bericht der Bundesregierung über die Lage der Presse, der ja eine ungeheure Konzentrationsbewegung seit 1954 konstatiert, drei Konsequenzen ziehen.Einmal muß man die wirtschaftlichen Ursachen der Konzentrationsbewegung analysieren und prüfen, ob sie durch wirtschaftliche Förderungsmaßnahmen aufgehalten oder wenigstens verlangsamt werden kann. Und ich wiederhole hier, was Sie bestreiten, Herr Kollege Klein: daß es außerordentlich mühsam war und noch außerordentlich mühsam ist, die dazu erforderlichen Zahlen auf freiwilliger Basis von den Beteiligten zusammenzubekommen.Zweitens. Man muß dafür sorgen, daß Möglichkeiten bestehen, die wirtschaftlichen Entscheidungen, die der Pressekonzentration zugrunde liegen, auch zu kontrollieren. Wir wissen genau, daß diese zweite Alternative natürlich an der wirtschaftlichen Lage der Presse nichts ändert. Niemand von uns, Herr Kollege Klein, ist so naiv, das jemals behauptet zu haben.Drittens. Man muß prüfen, ob die wirtschaftlichen Entscheidungen, die zur Pressekonzentration führen, die Informations- und Meinungsvielfalt, also die Garantie des Artikels 5 des Grundgesetzes in seiner Gesamtheit berühren, und ob darum auch auf anderen, nichtwirtschaftlichen Gebieten Folgerungen zu ziehen sind. Und Sie wissen, daß ich damit nicht nur die Pressegesetze der Länder, sondern auch die Rahmengesetzgebung des Bundes meine, die Fragen der wirtschaftlichen Sicherung, der Unabhängigkeit der Journalisten und vieles andere mehr.Hier bei diesem Gesetz bewegen wir uns auf rein wirtschaftlichem Gebiet. Wir nehmen die Kompetenz nach Artikel 74 Nr. 16 des Grundgesetzes in Anspruch, nämlich die Kompetenz zur Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht. Und die Tatsache, die uns dabei bewegt, daß nämlich die wirt-
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9918 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Dr. Hirschschaftliche Macht sich hier auch auf nichtwirtschaftlichem Gebiet auswirken kann, ändert nichts daran, daß es sich urn die Beschäftigung mit wirtschaftlicher Macht handelt. Der Behauptung, es gehe hier um ein Sondergesetz für die Presse, also um einen Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 2 des Grundgesetzes, sehen wir mit großer Ruhe entgegen. Diese Behauptung der Verfassungswidrigkeit haben wir gehört bei der Einführung der Fusionskontrolle überhaupt, wir haben sie gehört beim 624-DM-Gesetz, wir haben sie gehört beim Betriebsverfassungsgesetz; ich meine, wir haben sie bei jedem Gesetz, das irgendwelche wirtschaftlichen Tatbestände ändern wollte, gehört. Bei jedem dieser Gesetze ist der Einwand der Verfassungswidrigkeit gekommen.Und Sie müssen sich schließlich fragen, Herr Kollege Klein, ob Sie dann nicht auch die Kompetenz des Bundes für die wirtschaftliche Förderung der Presse, die man ja nur auf Artikel 74, in diesem Falle Ziffer 11, Recht der Wirtschaft, stützen kann, bezweifeln müßten, wenn Sie glauben, daß jede Regelung auf diesem Gebiet unmittelbar in den Artikel 5 Abs. 2 eingreift.Die Kartellgesetze erfassen die Presseunternehmen nur und ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Wirtschaftsunternehmen. Es gibt keinen Grund, sie gegenüber anderen Wirtschaftszweigen dadurch zu bevorzugen, daß das Kartellgesetz hier nicht den Größenordnungen des Pressemarktes gerecht wird. Ähnliches haben wir ja schon einmütig für andere Wirtschaftsgrupepn, insbesondere bei den Berechnungsweisen, durchgeführt, gerade auch im Kartellgesetz: in bezug auf die Kreditinstitute, auf die Bausparkassen, auf die Versicherungen und die Handelsunternehmen. Überall haben wir hier andere Rechenwerte eingeführt; das ist also im Prinzip nichts Neues.
Herr Kollege Hirsch, Sie müssen langsam zum Ende kommen.
Frau Präsidentin, ich hatte 35 Minuten Redezeit angemeldet.
Aber ich wiederhole, daß die Ausübung der wirtschaftlichen Macht hier selbstverständlich besondere politische Gefahren heraufbeschwören kann — Markt- und Meinungsmonopole —, daß wirtschaftliche Tatbestände hier das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit beeinträchtigen können. Und was die Meinungsmanipulation angeht, so ist es mir egal, ob sie auf Maßnahmen des Staates oder auf die Entscheidung eines marktmächtigen Verlegers zurückgeht.
Das Bundesverfassungsgericht hat die privatrechtliche Struktur der freien Presse für grundlegend und unantastbar erklärt; das ist nach wie vor unantastbar. Man muß dann aber auch, wenn man die privatrechtliche Struktur der Presse will, dafür sorgen, daß die Grundlagen der privatwirtschaftlichen Struktur funktionieren und das ist der Wettbewerb. Wir wissen, daß sich die Konzentrationsbewegung seit 1974, seit der Vorlage des Konzentrationsberichts, in drastischer Weise weiter verschärft hat: Seit Mai 1974 ist das Nicht-mehr-Erscheinen von acht Zeitungen zu verzeichnen, sechs Vollredaktionen und drei Redaktionsgemeinschaften haben sich — und dies nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen — aufgelöst. Es gibt drei Fälle der Änderung von Besitzverhältnissen, und zwölf weitere Zeitungen sind in Verträgen der verschiedensten Art erfaßt, die jeweils eine Einschränkung ihrer redaktionellen Freiheit mit sich gebracht haben.
Man muß einräumen, daß diese Entwicklungen eine Folge des unausgeglichenen Pressemarktes sind, wie er sich seit der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik ergeben hat. Und man muß zugeben, daß größere Zeitungen publizistisch überlegen sind, bessere Nachrichtenquellen haben und den Journalisten auch größere Arbeitsplatzsicherheit bieten; das ist unstreitig. Aber wenn man in den für die Konzentration wichtigen und gefährlichen Bereich der lokalen Monopole hineingehen will und man muß es, weil sich gerade dort die Konzentration abspielt —, dann muß man das Aufgreifkriterium eben so herabsetzen, daß man in diese Größenordnungen hineinkommt.
Wir haben ein drastisches Anwachsen der örtlichen Monopole zu verzeichnen. 68 % der Gesamtbevölkerung abonnieren lokale Tageszeitungen. Das bedeutet, daß Sie, wenn Sie nur eine einzige Tageszeitung abonnieren können, auf diese eine Zeitung nicht nur in Ihrem lokalen Informationsbereich angewiesen sind.
— Sie haben andere Möglichkeiten, die aber nicht in gleicher Weise wie die Presse wirken. Wir wissen ja, daß die Presse ein anderes Informationsinstrument darstellt als z. B. — woran Sie jetzt denken — Rundfunk und Fernsehen. Die strukturelle Besonderheit der Presse, die niemand wird bestreiten können, kommt schon allein in der Tatsache zum Ausdruck, daß Sie die Informationen der Zeitung zu einem Ihnen selbst genehmen Zeitpunkt entnehmen und lesen können.
Das Aufgreifkriterium von 25 Millionen DM entspricht nach unseren Vorstellungen etwa einer Auflagengröße von 80 000. Natürlich kann man die Grenzfrage aufwerfen, doch kam es uns darauf an, solche Größenordnungen zu wählen, die die lokalen Konzentrationen erfassen. Und es gibt im Bereich der Journalisten selber — es liegt eine Stellungnahme des DJV vor — ganz entschiedene Stimmen, die fordern, überhaupt jedes Aufgreifkriterium, auch diese 25 Millionen, fallenzulassen, weil sie der Meinung sind, daß diese Zahl noch zu hoch ist. Wir werden darüber reden. Doch selbstverständlich ist, daß die Bagatellklausel und die Regionalklausel entfallen müssen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Ja, bitte schön!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9919
Herr Kollege Hirsch, können Sie mir bitte einmal erklären, was Sie mit diesem Gesetz gegen das Fortschreiten der Konzentration gerade auf dem lokalen Pressemarkt erreichen wollen und meinen erreichen zu können?
Sie wissen doch ganz genau — Herr Kollege Engholm hat das auch dargelegt —, daß es eines Bündels von Maßnahmen bedarf: der Wirtschaftsförderung ebenso wie der kartellrechtlichen Bestimmungen; ebenso gehört für mich das Problem der inneren Pressefreiheit dazu.
Wir wollen erreichen und sicherstellen, daß die Konzentrationsentscheidungen auf diesem Markt, auf diesem Gebiet, ebenso durchsichtig werden, wie wir das für den gesamten anderen Bereich der Wirtschaft ja auch verlangen. Wir wollen sicher sein, daß sich die Konzentrationen allein auf den wirtschaftlichen Verhältnissen begründen und daß sie nicht in der Absicht vorgenommen werden, die Meinungsvielfalt zu beeinträchtigen.
Sie haben vorhin den Stuttgarter Fall genannt. Sie wissen genau, daß diese Redaktionsgemeinschaft, die dabei über die Wupper gegangen ist, nicht aufgelöst wurde, weil sie etwa wirtschaftlich schwach war, sondern deshalb, um eine Fusion, um einen großen Zusammenschluß zu arrondieren. Sie wissen genau, daß es nicht darum ging, in Stuttgart etwa zwei gleich starke Zeitungen zu haben, sondern Sie wissen genau, daß dort eine Verflechtung entstanden ist, die sich weit über den gesamten baden-württembergischen Raum erstreckt — und nicht nur auf diesen , und daß es dort praktisch keine Zeitung mehr gibt, die nicht in irgendeiner Weise damit zusammenhängt.
Wir möchten, daß diese Entscheidungen durchsichtig werden,
und zwar deswegen durchsichtig werden, weil es nicht nur um privates Gewinnstreben gehen kann, sondern weil die Meinungsvielfalt für die Demokratie und die Aufgabe der Presse in der Bundesrepublik schlechthin konstituierend ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka?
Ich würde an sich ganz gern den Gedanken ausführen.
Wir meinen, daß die Wirtschaftsförderung, die wir wollen und fordern, allein nicht ausreicht. Jede Form der Wirtschaftsförderung verschiebt immer die Wettbewerbsvoraussetzungen. Sie kann zur Verstärkung der Konzentration führen und löst langfristig nicht die Strukturprobleme, um die es hier geht. Wirtschaftsförderung kann und soll den Erfolg haben, die Konzentrationsbewegung wenn schon nicht aufzuhalten, dann doch zumindest zu verlangsamen. Ebenso kann die Kartellgesetzgebung allein nicht die wirtschaftlichen Ursachen der Konzentration beseitigen. Beides muß gemeinsam betrieben werden, und wir werden beides gemeinsam betreiben. Wir hoffen, daß wenigstens die Entscheidungen in diesem Hause, die zur wirtschaftlichen Förderung der Presse notwendig sind, dann eine breitere Mehrheit finden werden, als es sich hier abzeichnet.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidhuber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Professor Klein hat sich in seinem Beitrag vor allem mit den medienpolitischen und verfassungsrechtlichen Aspekten der 3. Kartellnovelle beschäftigt. Ich möchte dem einige wirtschaftsrechtliche und ordnungspolitische Gesichtspunkte hinzufügen.
Der vorliegende Entwurf wird auf die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Nr. 16 des Grundgesetzes gestützt. Er befaßt sich vordergründig, wenn ich das so sagen darf, mit der wettbewerbsrechtlichen Seite der Pressewirtschaft. Aber es wurden weitergehende Absichten damit verbunden. Er zielt ab — das ist wohl unstreitig — auf einen medienpolitischen Effekt, nämlich die Erhaltung der Pressevielfalt -- oder was die Bundesregierung darunter versteht. Dieses Ziel ist eigentlich weniger umstritten, wohl aber der Weg und dessen ordnungspolitische Konsequenzen.
Zunächst einmal ist festzustellen, daß die Bundesregierung der mit der Mehrheit der Koalition angenommenen Entschließung des Bundestags vom 13. Juni 1973 mit dieser Vorlage nicht gerecht geworden ist. Dort heißt es — ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin —:
Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf, im Zusammenhang ihrer Gesamtkonzeption zur Medienpolitik so bald wie möglich eine Novelle zum GWB vorzulegen, die zusätzliche Bestimmungen über die vorbeugende Fusionskontrolle im Pressebereich enthält.
Von diesem Gesamtkonzept sind noch nicht einmal die Konturen erkennbar. Sieht man von dem heute beschlossenen Gesetz über die Pressestatistik ab, so wird jetzt lediglich der Knüppel der Fusionskontrolle vorgezeigt. An ihm allein wird die notleidende Presse nicht genesen können.
Ist diese Pressefusionskontrolle wirklich voll in die Systematik des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen integriert, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Einbringungsrede behauptet hat? Davon kann meiner Meinung nach keine Rede sein. Sie ist einer Regelung aufgepfropft worden, die der Konzentrationskontrolle großer wirtschaftlicher Einheiten dient. Sie ist eher mit einer Schraube vergleichbar, die man mit dem Hammer
Schmidhuber
einer doktrinären Medienpolitik in das Holz des Wettbewerbsrechts schlagen will.
Lassen Sie mich das kurz begründen.
Das Aufgreifkriterium von 25 Millionen DM Umsatz für die fusionswilligen Unternehmen beträgt nur 5 % des für die allgemeine Fusionskontrolle gültigen Umsatzvolumens. Daher ist die Behauptung des Kollegen Hirsch, es gehe hier nur um die Kontrolle wirtschaftlicher Macht, wohl nicht allzu glaubwürdig. Die Fusionskontrolle erfaßt damit voll den Bereich der Mittelunternehmen. Es stellt sich die Frage, ob hier nicht im Übermaß in einen einzelnen Wirtschaftszweig eingegriffen wird. Der Bundesrat hat daher zu Recht gerügt, daß damit die notwendige wettbewerbspolitische Symmetrie zwischen der speziellen Pressefusionskontrolle und der allgemeinen Fusionskontrolle nicht mehr gewahrt ist. Ich begrüße es sehr, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister heute die Bereitschaft hat erkennen lassen, über die Höhe des Aufgreifkriteriums noch einmal zu diskutieren.
Es ist aber hier in diesem Zusammenhang noch etwas anderes anzumerken. Es wird ja nicht nur das Aufgreifkriterium drastisch herabgesetzt, sondern es werden die sogenannten Toleranzklauseln des § 24 Abs. 8 Nr. 2 und 3 ausgeschaltet. Damit fallen zwei bedeutsame Einschränkungen bzw. Freistellungen von der Fusionskontrolle weg, nämlich einmal, daß sich ein kleines Unternehmen mit bis zu 2,5 Millionen DM Umsatz — ich wende jetzt diesen Multiplikator 20 an, so daß aus 50 Millionen 2,5 Millionen DM Umsatz wird — an ein großes anschließt, und im anderen Falle, daß sich die durch die Fusion ausgelöste Wettbewerbsbeschränkung nicht in einem wesentlichen Teil des Geltungsbereiches dieses Gesetzes auswirkt. Ausweislich der regierungsamtlichen Begründung der Zweiten Kartellnovelle in der Bundestagsdrucksache VI /2520 ist die Ausnahme des § 24 Abs. 8 Nr. 2, die sogenannte Bagatellklausel, in der Erkenntnis gemacht worden — ich zitiere hier die Begründung —,
da diesen Unternehmen nur so — das heißt durch die Fusion —
eine volle Verwertung der in ihrem Unternehmen steckenden Vermögenswerte möglich ist.
Diese richtige Erkenntnis soll offenbar für Presseunternehmen und nur für Presseunternehmen in Zukunft nicht gelten. Das ist in der Tat ein aussichtsreicher Ansatzpunkt für eine Verfassungsklage.
Betrachtet man die im Pressebereich vollzogenen Zusammenschlußfälle der letzten Jahre, so stellt man fest, daß es sich überwiegend um die Anlehnung von kleinen und mittleren Zeitungsunternehmen an stärkere Partner, also um Sanierungsfusionen, gehandelt hat. Diese Sanierungsfusionen sollen in Zukunft von der Fusionskontrolle voll erfaßt werden, was in vielen Fällen zu einer Verhinderung der Fusion und damit auch zu einem Verzicht auf die Sanierung eines Presseunternehmens mit der möglichen Folge eines Zusammenbruchs führen wird.
Mit der Ausschaltung des § 24 Abs. 8 Nr. 3 der Regionalklausel, sollen die Pressefusionen auf der lokalen Ebene erfaßt werden. Wenn man dies aus pressepolitischen Gründen für notwendig hält, dann hätte der Gesetzentwurf konsequenterweise insoweit die Zuständigkeit der Landeskartellbehörden für die Entscheidung über die Fusionskontrolle vorsehen müssen, da die durch die Fusion verursachte Wettbewerbsbeschränkung keinen überregionalen Charakter hat. Es ist nicht einzusehen, warum über die Fusion zweier Flensburger Lokalzeitungen das Bundeskartellamt in Berlin entscheiden soll und nicht das Landeswirtschaftsministerium in Kiel.
Herr Moersch, Ihnen scheint entgangen zu sein,
daß das Bundeskartellamt ziemlich weitgehend den Weisungen des Bundeswirtschaftsministeriums unterliegt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter, können Sie mir zustimmen, daß Ihre letzten Ausführungen den Eindruck erweckt haben, Sie hätten in dem Gesetzestext, der hier zur Beratung vorliegt, das Wort „Fusionskontrolle" mit „Fusionsverbot" verwechselt? Ich hatte den Eindruck, daß Sie meinen, es sei ein Fusionsverbot enthalten.
Herr Kollege Moersch, ich werde noch darauf zurückkommen, wie das Verhältnis der Aufgreifkriterien zu einem Fusionsverbot ist. Bitte gedulden Sie sich noch etwas!Es besteht also kein Bedürfnis, in den Fällen, die regionaler Natur sind, das Bundeskartellamt einzuschalten. Bei Fusionen von Lokal- und Regionalzeitungen dürfte die Kartellbehörde jetzt darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, Herr Kollege Moersch — praktisch nur einen sehr geringen oder keinen Ermessensspielraum haben, wenn sich z. B. die beiden einzigen Regionalzeitungen eines Gebietes zusammenschließen wollen. Definiert man den relevanten Markt so eng, wie dies die Regierungsvorlage tut und wie das heute ausdrücklich auch der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Rede bestätigt hat, nämlich als den Markt der Regionalzeitungen, so wird in jedem Fall die marktbeherrschende Stellung des aufnehmenden Unternehmens verstärkt. Hier gibt es keinen Ermessensspielraum. Die Kartellbehörde muß feststellen, daß sich in diesem Falle die Wettbewerbsstellung verstärkt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9921
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Kollege Hirsch!
Verehrter Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß das Gesetz den Begriff des „relevanten Marktes" überhaupt nicht definiert, sondern ihn vernünftigerweise der späteren Spruchpraxis überläßt?
Herr Kollege Hirsch, Sie können unterstellen, daß auch ich weiß, daß „relevanter Markt" ein unbestimmter Rechtsbegriff ist. Aber wenn Sie die Begründung der Regierungsvorlage genau gelesen hätten, hätten Sie festgestellt, daß dort Ausführungen zum relevanten Markt zu finden sind.
— Das ist immer eine Frage der unterschiedlichen Perspektive. Aber Sie können das gar nicht beurteilen, weil Sie es offenbar nicht gelesen haben; Sie unterstellen das halt einmal.
- Ich will jetzt etwas sagen, was sonst Sie immer
sagen: Wollen wir die Debatte doch nicht auf das „Niveau von Vilshofen" abgleiten lassen. Ich habe das heute auch schon wieder einmal gehört.
— Ich habe das in Anführungszeichen gesagt, meine Herren. Ich darf aber jetzt in meinem Gedankengang fortfahren.
Die Fusion könnte dann nur etwa gegen die Zusage genehmigt werden, daß der vereinigte Zeitungsverlag auch in Zukunft zwei verschiedene Zeitungen herausbringen wird, was wohl den wirtschaftlichen Zweck der Fusion vereiteln würde.
Die sogenannte Abwägungsklausel des § 24 Abs. 1 GWB, wonach ein Zusammenschluß nicht zu untersagen ist, wenn die beteiligten Unternehmen eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen nachweisen, wird nur selten eingreifen. Meines Wissens hat das Bundeskartellamt diese Abwägungsklausel in den bisher zu entscheidenden Fällen von Großfusionen noch nicht zur Anwendung gebracht. Aus diesen Gründen werden also in der Praxis die Erfüllung des Aufgreifkriteriums und das Kartellverbot des § 24 Abs. 1 sehr nahe beieinanderliegen.
Die Voraussetzungen, unter denen der Bundeswirtschaftsminister gemäß § 24 Abs. 3 eine Erlaubnis erteilen kann, treffen für Zusammenschlüsse von Verlagen und Druckereien regelmäßig nicht zu. Welche gesamtwirtschaftlichen Vorteile und welches überragende Interesse der Allgemeinheit soll z. B. für einen Zusammenschluß zwischen zwei Lokalzeitungen bejaht werden?
Außerdem ist hier zusätzlich die Frage des poli- tischen Rollenverständnisses aufzuwerfen. Zwischen den Trägern politischer Macht einerseits und der Presse andererseits muß in einer freiheitlichen Gesellschaft ein fruchtbares Spannungsverhältnis herrschen. Dieses Spannungsverhältnis setzt gegenseitige Unabhängigkeit voraus. Hat eine politische Instanz wie hier der Bundeswirtschaftsminister die Macht, auf Grund einer weitgehend freien Ermessensentscheidung über den Zusammenschluß und damit über das wirtschaftliche Schicksal von Presseunternehmen zu befinden, so ist diese Unabhängigkeit im Grundsatz gefährdet, auch wenn die Verleger vielleicht gegen diese Ultima ratio, diese letzte Zufluchtsinstanz für Fusionswillige nichts einzuwenden haben.
Zusammenfassend muß festgestellt werden, daß die vorgeschlagene Regelung der Pressefusionskontrolle zuwenig flexibel ist. Die niedrigen Aufgreifkriterien und der Ausschluß der Toleranzklauseln erfassen viele Fälle, in denen ein dringendes wirtschaftliches Bedürfnis für den Zusammenschluß zu bejahen ist, aber keine Möglichkeit besteht, über eine Erlaubnis zu einem auch betriebswirtschaftlich vernünftigen Ergebnis zu kommen.
Die Bedeutung der dritten Kartellnovelle geht weit über die Fusionskontrolle hinaus. Die Fusionskontrolle erhält, wie der Bundesrat zutreffend ausgeführt hat, eine neue Dimension. Mit der drastischen Herabsetzung der Aufgreifkriterien für einen bestimmten Industriezweig, nämlich für den der Presseunternehmen, wird der Anfang mit branchenspezifischen Fusionskriterien gemacht. Ich befürchte, daß dies kein Einzelfall bleiben wird. Strukturelle Schwierigkeiten auf irgendeinem anderen industriellen Sektor werden dann vielleicht den Vorwand liefern, weitere Sondertatbestände der Fusionskontrolle einzuführen.
Es trifft auch nicht zu, Herr Kollege Hirsch, daß solche Differenzierungen in der gegenwärtig gültigen Fassung des Kartellgesetzes enthalten sind. Sie haben zwei Beispiele angeführt: einmal die Kreditinstitute. Bei Kreditinstituten gibt es Umsätze wie im Einzelhandel und in der Industrie, im produzierenden Gewerbe, überhaupt nicht. Deshalb hat man hier ein ganz anderes Kriterium wählen müssen. Genauso liegt es bei den Versicherungsunternehmen, wo die Prämieneinnahmen mit gewissen Abschlägen zu nehmen sind. Ähnlich liegt es bei Handelsunternehmen, wo Dreiviertel des Umsatzes zugrunde gelegt werden. Bitte sehr, Herr Kollege Hirsch.
Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, wenn Ihnen die Banken nicht reichen: Würden Sie etwa das Beispiel von reinen Handelsumsätzen akzeptieren, daß da auch differenziert worden ist?
Das habe ich soeben gesagt. Sie haben nicht genau zugehört, Herr Kollege Hirsch. Ich habe davon gesprochen. daß damit der Einstieg geschaffen wird, daß man innerhalb der Industrieumsätze differenziert. Sie werden ja wohl zugeben, daß zwischen einem Handelsumsatz und
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9922 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Schmidhubereinem Industrieumsatz wegen des unterschiedlichen Grads der Wertschöpfung ein fundamentaler Unterschied besteht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Herr Abgeordneter, darf ich, wenn ich Ihren Ausführungen aufmerksam folge, also den Schluß ziehen, daß Sie nicht gewillt sind, die Sonderrolle der Herstellung von Zeitungen überhaupt zu sehen, und sehen Sie etwa die Herstellung von Konserven in der gleichen Weise wie die von Zeitungen?
Eine solche flache und vereinfachende Denkweise, die Sie mir unterstellen, muß ich wirklich zurückweisen.
Ich kehre zurück zu der Frage der branchenspezifischen Funktionskriterien.
— Herr Moersch, das muß ich ganz Ihnen überlassen. Ich habe gerade durch Ihre Frage den Eindruck gewonnen, daß Sie von der Außenpolitik offenbar wesentlich mehr verstehen als von der Wirtschaftspolitik und vom Kartellrecht.
Den Hinweis auf diese Gefahren, die ich soeben aufgezeigt habe, kann man nicht als ein gewolltes oder nicht gewolltes Mißverständnis abtun, wie das heute der Herr Bundeswirtschaftsminister gemacht hat. Bisher war ein Wiederaufgreifen eines Fusionsfalls dann möglich, wenn die Kartellbehörde durch falsche Angaben getäuscht worden ist. Dies entspricht allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts. In Zukunft soll aber die Kartellbehörde lediglich auf Grund einer Änderung von Bedingungen, die Gegenstand einer Zusage waren, eingreifen können ohne Rücksicht darauf, ob das fusionierte Unternehmen diese Änderung zu vertreten hat oder nicht. Das ist ein ganz gravierender Punkt.
Die neu eingefügte Zusageklausel des § 24 a Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 gilt nicht nur für Pressefusionen, sondern für alle Fusionsfälle, was allerdings weder in der Regierungsvorlage ausdrücklich erwähnt, noch heute vom Herrn Bundeswirtschaftsminister angesprochen worden ist. Nach dieser neuen Vorschrift kann die Kartellbehörde in Fällen, in denen der Zusammenschluß zu einer marktbeherrschenden Stellung fiihrt, dennoch von einem. Widerspruch absehen, wenn die beteiligten Unternehmen Zusagen über die Erhaltung oder Gestaltung der Wettbewerbsbedingungen machen.
So elegant diese Lösung auch erscheinen mag, so viele Gefahren birgt sie doch für die Wettbewerbsordnung. Auf Grund dieser Vorschrift ergibt sich ein
Betätigungsfeld für die Kartellbehörde, an der Gestaltung von Unternehmensstrukturen bestimmend mitzuwirken. Damit verstärkt sich ein Trend, der schon in der vergangenen Zeit bei der Kartellbehörde zu beobachten war, eine Entwicklung vom Hüter der Wettbewerbsordnung weg zur interventionistischen Gestaltung der Märkte hin. Diese Neigung des Kartellamts war bei der Preiskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen — ich zitiere das Volkswagenverfahren — und bei der Verteilung knapper Waren — ich zitiere das Verfahren betreffend Grundstoffe zur Herstellung von Polyester — zu beobachten. Die dritte Kartellnovelle schafft hiermit eine gesetzliche Legitimation zur Beeinflussung der Produktionsverhältnisse über behördlich abverlangte Zusagen hinsichtlich der Gestaltung der Wettbewerbsbedingungen, deren Langzeitwirkung durch die gesetzliche Entflechtungsdrohung abgesichert ist.
Die Entgegnung der Bundesregierung, daß unter „Wettbewerbsbedingungen" eindeutig strukturelle Merkmale zu verstehen seien, vermag diese Bedenken nicht auszuräumen. Problematisch erscheint mir insbesondere das Wort „Gestaltung von Bedingungen", das bisher im Kartellgesetz noch nicht zu finden war. Darin sehe ich nicht nur eine neue Dimension in der Fusionskontrolle, sondern eine veränderte Aufgabenstellung der Kartellaufsicht überhaupt.
In ihrer Stellungnahme zum Jahresbericht 1973 des Bundeskartellamts hat die Bundesregierung geäußert — ich zitiere —:
Die in die vorbeugende Fusionskontrolle gesetzten Erwartungen haben sich bisher erfüllt.
Trotz dieses positiven Attestes nimmt sie jetzt die Einführung der Pressefusionskontrolle zum Anlaß einer nicht unerheblichen Verschärfung und qualitativen Veränderung, um nicht zu sagen Perpetuierung der Fusionskontrolle nach dem Motto „Einmal Fusionskontrolle, immer Fusionskontrolle".
Eines steht auf jeden Fall fest: die beteiligten Ausschüsse haben eine umfangreiche und schwierige Beratungsarbeit vor sich. Die dritte Kartellnovelle enthält nicht nur medienpolitischen, sondern auch wirtschaftspolitischen Zündstoff.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nachdem der Kollege Schmidhuber jetzt quasi eine zweite Runde bei einer ersten Lesung eingeleitet hat und das Gespräch jetzt auf die wirtschaftspolitische Problematik gekommen ist, erlauben Sie auch mir bitte noch einige Anmerkungen. Da ich jetzt den Herrn Kollegen Schmidhuber gehört habe, bedaure ich ganz besonders, daß der Kollege Frerichs aus der CDU/CSU- Fraktion ausgeschieden ist;
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9923
Dr. JensHerr Kollege Schmidhuber, ich habe das Gefühl, der verstand wesentlich mehr vom Kartellrecht und von der Wettbewerbsproblematik als Sie.
Mit Herrn Frerichs, muß ich Ihnen sagen, waren sich die Wirtschaftspolitiker der SPD-Fraktion nämlich darin einig, daß wir das Problem der Pressefusionen möglichst schnell lösen wollen. Und wenn uns die Medienpolitiker, auf deren Rat wir ja nicht so ganz verzichten konnten, schon damals etwas Vernünftiges vorgelegt hätten, hätten wir dieses Problem bereits bei der zweiten Novelle zur Änderung des Kartellgesetzes im Jahre 1973 mit geregelt. Damals gab es keinen Dissens, Den Dissens tragen Sie jetzt wieder in die Diskussion hinein, und das bedaure ich außerordentlich.Ich verstehe auch nicht, wieso Sie auf die Idee kommen, daß jetzt plötzlich diese Lösung, die hier vorgeschlagen wurde, unter Umständen nicht eine Regelung entsprechend Art. 74 Nr. 14 des Grundgesetzes sei. Auf diese Idee ist nicht einmal der Bundesrat gekommen.
Wir sagen immer wieder — und das haben wir damals auch schon gesagt —, Fusionskontrolle ist natürlich kein Fusionsverbot. Wenn zwei kranke Unternehmen, die sich auf Grund des Zusammenschlusses sanieren können, zum Kartellamt kommen, bekommen sie auch die Genehmigung zur Fusion. Im Pressebereich gilt genau das gleiche, und deshalb brauchen Sie hier nicht in Panik zu verfallen.Natürlich löst diese Fusionskontrolle keine brennenden Probleme der Verleger. Aber sie kann unterUmständen wenigstens wie mir scheint, Herr Kollege Schmidhuber — sehr hilfreich sein. Mir ist natürlich die Fusion zweier Presseunternehmen unter Aufrechterhaltung vielleicht einer Lokalredaktion das ist nicht viel, aber es ist ein bißchen -lieber als der Bankrott eines Verlages oder eines Presseunternehmens.
Meine Damen und Herren, die Konzentration im Pressewesen ist doch unübersehbar. Ich habe mir gerade einige neuere Zahlen herausgeschrieben. Wir hatten 1954 noch 225 Vollredaktionen und haben im August 1974 nur noch 122 gehabt. 18,2 Millionen Bürger in der Bundesrepublik haben keine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Tageszeitungen mehr.Die Gründe aber für diesen Konzentrationsprozeß im Pressebereich sind hier wie überall in der Wirtschaft weitgehend ökonomischer Art. Deshalb haben wir auch eine ökonomische Antwort zu geben. Es ist vor allem natürlich der technische Fortschritt, und es ist das Gesetz der großen Zahl, die hier zu immer größeren Einheiten und zu immer größeren Auflagen führen. Aber es gibt auch im Pressebereich wie im Bereich der Brauereien und in anderen Wirtschaftszweigen meines Erachtens bestimmte Fusionsbesessene, die nicht etwa aus ökonomischen Gründen, sondern nur deshalb fusionieren, um mehr Macht zu bekommen. Wir müssen diesen Konzentrationsprozeß hier wie überall mit den richtigen Mitteln aufhalten.
— Die vergessen wir nicht.
Und, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, das muß ich Ihnen sagen: Sie können nicht immer — und Sie reden ja besonders lautstark davon — von Marktwirtschaft reden „wir wollen auch die Marktwirtschaft im Pressebereich erhalten" — und nichts dafür tun. So geht es nun wirklich nicht. Wir müssen, wenn wir diese Marktwirtschaft retten wollen, verstärkt, glaube ich, dazu übergehen, daß wir die Großen, die etliche Marktvorteile haben, eben irgendwie belasten oder mindestens die Vorteile dieser Großen beschneiden und die Nachteile der kleinen Unternehmen irgendwie ausgleichen. Eine kleine Belastung der Großen ist — das gebe ich gern zu — diese Fusionskontrolle, und deshalb ist sie ein Schritt in die Richtung, unsere marktwirtschaftliche Ordnung auch im Pressebereich zu sichern.
Globale Maßnahmen ich weiß nicht, wie Sieauf die Idee kommen können, so etwas vorzuschlagen -- wie z. B.: jeder 11 % mehr, können wirklich die Konzentration nicht eindämmen. Im Gegenteil! Diese Maßnahmen erhöhen die Konzentration. Jeder, der in der Schule nicht gefehlt hat, als gerade die Prozentrechnung durchgenommen wurde, wird das ohne weiteres einsehen. Es kann nur darum gehen, daß wir gezielte Maßnahmen ergreifen, um diesen Konzentrationsprozeß aufzuhalten. Darüber brauchen Sie sich nicht aufzuregen. In der Strukturpolitik ist das seit sieben Jahren gang und gäbe. Und diese Strukturpolitik tragen auch Sie mit. Ich halte es nicht für gut, wenn Sie einerseits hier im Pressebereich über gezielte Maßnahmen schimpfen und andererseits die Mittelstandsvertreter Ihrer Fraktion in der Öffentlichkeit lautstark gezielte Maßnahmen für kleine Unternehmen fordern.Erlauben Sie mir einige wenige Bemerkungen zu den kritischen Teilen des Gesetzentwurfs. Herr Schmidhuber, es steht ausdrücklich in der Begründung zum Gesetzentwurf, daß wir davon absehen, den relevanten Markt zu definieren. Das ist sicherlich auch gut so. Denn es gibt hier eben eine Fülle von Märkten. Es gibt Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Monatszeitungen, es gibt Kaufzeitungen, es gibt Abonnementzeitungen und dergleichen mehr. Deshalb hat es keinen Zweck, hier etwas zu definieren. Das muß dem Kartellamt überlassen bleiben. Und das Kartellamt muß von Fall zu Fall entscheiden. Mit dieser Methode sind wir bisher immer recht gut gefahren.Aber ich glaube auch obwohl das kein Dogmaist --, daß die Grenze bei etwa 25 Millionen DMUmsatz für beide Unternehmen, die sich zusammen-
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9924 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975
Dr. Jensschließen wollen, liegen sollte. Wir werden darüber im Hearing sicherlich noch etwas zu hören bekommen. Nur auf diese Art und Weise, indem wir so weit heruntergehen, erfassen wir eben die lokalen Monopole, die sich schon herausgebildet haben und die sich möglicherweise in Zukunft noch verstärkt herausbilden werden.Ich glaube auch, daß die Journalisten und die Redakteure im Grunde alle froh sind, wenn ihr Unternehmen mit unter diese Fusionskontrolle fällt. Sie haben dann unter Umständen, wenn eine Fusion ansteht, bei der Gestaltung nach der Fusion ein Wörtchen mitzureden; und das kann für die Redakteure sehr, sehr wertvoll sein.Ich glaube auch, daß die Unternehmen — alle Unternehmen, nicht nur die Presseunternehmen — verpflichtet werden sollten, die Zusagen, die sie bei einer Fusion gegenüber dem Kartellamt machen, einzuhalten. Im Grunde ist das eine Selbstverständlichkeit. Ich nehme an, daß auch die CDU-Fraktion davon ausgeht, daß Zusagen eingehalten werden müssen.Wenn die Wettbewerbsvoraussetzungen und die Wettbewerbsbedingungen sich plötzlich verändern, dann steht es jedem Unternehmen frei, wieder zum Kartellamt zu gehen und zu sagen: Es hat sich bei uns etwas geändert; erlaßt uns bitte diese oder jene Zusage. Diese Möglichkeit hat jedes Unternehmen. Deshalb sollten wir das — so meine ich — ins Gesetz hineinschreiben.Ich möchte dabei hier noch einmal ausdrücklich betonen, daß das Bundeskartellamt diese Fusions- kontrolle im Pressebereich besonders flexibel handhaben sollte. Natürlich ist diese Pressefusionskontrolle, die wir hier einführen wollen, kein Anlaß zum Jubeln, aber es ist wenigstens, wie mir scheint, ein Schritt nach vorn.Berechtigt ist unter Umständen der Vorwurf, daß das Gesetz zu spät kommt. Aber der Gesetzgeber kann wahrscheinlich immer erst dann handeln, wenn schon ein Kind in den Brunnen gefallen ist; er braucht Fakten, um irgend etwas zu unternehmen. Um diesen Vorwurf abzuschwächen, werden wir jetzt diesen Entwurf gründlich und zügig beraten, um ihn bald zu verabschieden. Ich bin gespannt, ob die CDU ihre marktwirtschaftliche Flagge bei der Beratung dieses Gesetzes zeigt, oder ob sie wiederum, wie es schon so häufig der Fall war, nur die Macht der Mächtigen vertritt.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Überweisung des Gesetzentwurfes. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. Außerdem wurde interfraktionell die Mitberatung im Innenausschuß vereinbart. Wer dieser Überweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? --- So beschlossen!
Ich rufe nun Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 3. März 1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen
— Drucksache 7/2626 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/3115 —
Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/3090
Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Dr. Riedel-Martiny
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. — Das Wort zur Beratung wird nicht begehrt.
Ich rufe in der Einzelberatung die Artikel 1 bis 17, die Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist so beschlossen.
Außerdem steht noch Punkt 2 des Ausschußberichtes zur Abstimmung. Wer diesem Punkt 2 des Ausschußberichtes zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmig beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Annahme als Kind
— Drucksache 7/3061 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Innenausschuß
Das Wort zur Begründung hat Bundesminister Vogel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Anpassung des Ehe-, Familien- und Kindschaftsrechtes an die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und an die veränderte Lebenswirklichkeit unserer Zeit ist einer der rechtspolitischen Schwerpunkte der Bundesregierung. In Übereinstimmung damit hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag im Juni 1973 den Entwurf eines Ersten Ge-Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23.. Januar 1975 9925Bundesminister Dr. Vogelsetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechtes und im November 1974 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge unterbreitet. Heute habe ich die Ehre, dem Bundestag in diesem Zusammenhang namens der Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über die Annahme als Kind vorzulegen. Die Bundesregierung entspricht damit zugleich dem ausdrücklichen Wunsch des Bundestages, den dieser zuletzt in seiner Entschließung vom 14. Juni 1973 einmütig geäußert hat.An der Erziehung eines Kindes, an der Entwicklung seiner Persönlichkeit und an seiner Eingliederung in unsere Gemeinschaft sind viele Kräfte und Institutionen beteiligt. Die wichtigste und von unserer Verfassung besonders hervorgehobene Verantwortung fällt dabei jedoch den Eltern zu. Was sie im Rahmen eines intakten Eltern-Kind-Verhältnisses dem Kind zu geben vermögen, kann keine andere soziale Gruppe ersetzen, auch nicht der Staat. Die Pflicht des Staates ist es deshalb, das Eltern-Kind-Verhältnis zu schützen und es durch Hilfen verschiedener Art — notfalls auch durch einzelne Eingriffe — so zu beeinflussen, daß es dem Wohl des Kindes in optimaler Weise zu dienen vermag.Wir wissen, daß im täglichen Leben immer wieder Fälle auftreten, in denen sich die natürlichen Eltern nicht um ihr Kind kümmern, das normale Eltern-Kind-Verhältnis also gar nicht entsteht, oder aber in denen es in definitiver, nicht mehr reparabler Weise endet. Das kann auf einem subjektiven Fehlverhalten ,der Eltern beruhen, seine Ursachen aber auch in äußeren, eher von der Gesellschaft zu vertretenden Umständen haben. Ich denke dabei insbesondere an die Situation mancher nichtehelicher Mütter.Auf diese Problematik kann der Staat in zweifacher Weise reagieren. Er kann die elterliche Sorge von den natürlichen Eltern auf einen Vormund übertragen und das Kind in einem Heim oder in privater Pflege aufwachsen lassen. Er kann aber auch versuchen, das Kind aus seiner Ursprungsfamilie in eine zur Annahme bereiten Familie umzusetzen und so ein vollwertiges Eltern-Kind-Verhältnis anstelle des nicht vorhandenen oder nicht mehr bestehenden zu schaffen. Es ist eine heute nahezu unbestrittene Erfahrungstatsache, daß sich ein derartiges Verhältnis auch zwischen Erwachsenen und Kindern herausbilden kann, die in biologischem Sinne nicht miteinander verwandt sind, und daß die Eingliederung des Kindes in eine intakte Familie vor allen anderen Formen staatlicher Hilfe bei weitem den Vorzug verdient.Diesem Stand unserer Einsichten und Erkenntnisse wird das geltende Adoptionsrecht trotz mehrfacher Änderungen und unbeschadet der Verbesserungen durch die kleine Adoptionsnovelle vom August 1973 und aller dankbar anzuerkennenden Anstrengungen in der Adoptionspraxis nicht hinreichend gerecht. Nach dem Wortlaut der geltenden Vorschriften ist die Adoption wie im römischen Recht noch immer in erster Linie eine Institution zur Erhaltung des Familiennamens und des Familienvermögens, also eineEinrichtung zum Wohle kinderloser Eltern, nicht aber eine Institution zur Förderung des Wohls elternloser Kinder. Folgerichtig wird das Kind aus der Ursprungsfamilie nur in sehr beschränktem Umfange in die Adoptionsfamilie umgegliedert. Deshalb bleiben das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinen bisherigen Verwandten und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten unberührt. Die Eltern verlieren nur die elterliche Gewalt und das Verkehrsrecht. Die Unterhaltungspflicht der bisherigen Verwandten bleibt bestehen; sie tritt nur hinter die des Annehmenden im Range zurück. Umgekehrt bleibt das Kind gegenüber seinen leiblichen Eltern unterhaltspflichtig. Auch — und das führt zu besonders ärgerlichen und überraschenden Situationen wird das gegenseitige Erbrecht nicht berührt. Selbst wenn die tatsächlichen Beziehungen des Kindes zu seinen bisherigen Verwandten ganz abgebrochen sind, bleibt das Kind durch Rechte und Pflichten, die jederzeit aktuell werden können, an seine bisherige Familie gebunden.Dem entspricht auf der anderen Seite, daß durch die Adoption keine Rechtsbeziehungen zwischen dem Kind und den Verwandten des Annehmenden hergestellt werden und der Annehmende auch kein Erbrecht gegenüber dem Kind verlangt. Schließlich konnte das Adoptionsverhältnis — und kann es nach dem gegenwärtigen Recht --, weil es durch Vertrag begründet wird, auch durch Vertrag unter nicht allzu schweren Voraussetzungen wieder aufgehoben werden.Demgegenüber setzt der Entwurf nunmehr das Wohl des Kindes an die erste Stelle. Dieses verlangt die vollständige Eingliederung des Kindes in die neue Familie und die Sicherung des Kindes gegen Einflußnahmen aus dem bisherigen Familienverband. Demgemäß räumt der Entwurf dem angenommenen Kind die volle Rechtsstellung des in der Ehe geborenen Kindes ein, und zwar auch gegenüber den Verwandten der annehmenden Eltern, also den Großeltern, Onkel, Tante und Geschwistern. Gleichzeitig läßt er alle bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse erlöschen.Konsequenterweise -- dies hält die Bundesregierung für einen wichtigen Fortschritt — soll ein ausländisches Kind künftig mit der Adoption durch deutsche Eltern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen.Weiter wereinfacht der Entwurf das Adoptionsverfahren. An die Stelle des notariellen Adoptionsvertrages, an den sich zwei gerichtliche Verfahren, nämlich das Genehmigungs- und das Bestätigungsverfahren, anschließen, tritt künftig ein Beschluß des Vormundschaftsgerichtes, der die Annahme auf Antrag des Annehmenden ausspricht, wenn die Voraussetzungen vorliegen.Endlich erschwert der Entwurf auch die Aufhebung der Annahme. Sie soll nur noch im Interesse des Kindes, nicht aber im Interesse der Adoptiveltern möglich sein.In engem Zusammenhang mit der Adoption steht die Adoptionsvermittlung. Auch sie bedarf der Neuordnung. Frau Kollegin Focke wird einen entspre-
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Bundesminister Dr. Vogelchenden Entwurf, den die Bundesregierung im Dezember des vorigen Jahres verabschiedet hat und der sich zur Zeit im ersten Durchgang beim Bundesrat befindet, alsbald im Bundestag einbringen. Beide Gesetzgebungswerke gehören in einen engen sachlichen Zusammenhang.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zahl der Adoptionen war zu Beginn dieses Jahrhunderts gering. Für 1910 wird sie für das gesamte damalige Reichsgebiet auf 500 bis 600 geschätzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Zahl der Adoptionen erheblich zugenommen. Sie betrug im Durchschnitt der letzten zehn Jahre rund 7000 jährlich. Von dem Entwurf erwartet die Bundesregierung ein weiteres Ansteigen dieser Zahlen. Sie ist überzeugt, daß dann zusätzlich in unserem Lande Tausende von Kindern in einer intakten Familie aufwachsen und ein glücklicheres und erfüllteres Leben führen werden, als sie es ohne diese Neuregelung könnten.Gerade deshalb bitte ich den Bundestag namens der Bundesregierung um konstruktive Mitarbeit und um eine baldige Verabschiedung des Entwurfs, damit er möglichst schon zum 1. Januar 1976 als ein weiteres Teilstück der Ehe-, Familien- und Kindschaftsrechtsreform in Kraft treten kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Stark.Dr. Stark (CDU 'CSU) : Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion darf ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf über die Annahme als Kind -- Bundestagsdrucksache 7/3061 — wie folgt Stellung nehmen: Die CDU/CSU-Fraktion ist seit Jahren der Auffassung, daß das geltende Adoptionsrecht nicht mehr der heutigen sozialen Notwendigkeit und dem gewandelten Verständnis der Rechtsinstitution „Annahme an Kindes Statt" entspricht. Bereits im Jahre 1971 hat meine Fraktion deshalb einen Antrag zur Neuregelung des Rechts der Adoption vorgelegt und in diesem Antrag auch schon die wichtigsten Grundsätze dargelegt, die bei einer Neuordnung des Adoptionsrechts zu beachten sind.Nachdem es in der 6. Legislaturperiode bedauerlicherweise nicht mehr zu einer Neuregelung des Adoptionsrechts kam, hat die CDU/CSU-Fraktion im März des Jahres 1973 erneut einen Antrag zu einer umfassenden Neuregelung des Adoptionsrechts vorgelegt. Nicht zuletzt auf Grund dieser Initiativen der CDU/CSU-Fraktion kam es schließlich zu der kleinen Adoptionsreform vom 14. August 1973 und zu dem Beschluß des Deutschen Bundestags vom 14. Juni 1973, worin die Bundesregierung aufgefordert wurde, sobald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1. Juni 1974, einen Entwurf für eine umfassende Neuregelung des Adoptionsrechts vorzulegen. Man kann deshalb ohne Übertreibung sagen, daß die CDU/CSU-Fraktion in diesem Fall die treibeiden Kraft war und die Bundesregierung die Getriebene.
Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung nunmehr — wenn auch sehr spät — einen Entwurf zu einer Gesamtneuregelung des Adoptionsrechts vorgelegt hat. Unsere grundsätzliche Zustimmung zu diesem Entwurf können wir auch deshalb aussprechen, weil der Gesetzentwurf im wesentlichen die in dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Neuregelung des Adoptionsrechts vom 14. März 1973 aufgestellten Grundsätze berücksichtigt und sich in der Begründung im übrigen in auffallender und angenehmer Weise unterscheidet von der Begründung des Entwurfs zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, den wir hier vor einigen Wochen beraten haben. Während in dem Entwurf zum Recht der elterlichen Sorge noch von der „Fremdbestimmung des Kindes durch die Eltern" und von dem „Gewalt-unterworfen-Sein des Kindes unter Eltern und Familie" die Rede war, erhalten die Familie und die Eltern in dem neu vorgelegten Entwurf wieder den Stellenwert, der ihnen nach ihrer Aufgabe, aber auch nach unserer Verfassung zusteht.Es ist immerhin bemerkenswert, daß die ersten zwei Sätze der Begründung dieses Entwurfs lauten:Es ist das Beste für die Entwicklung eines Kindes, wenn es in einer Familie heranwächst. Das Grundgesetz stellt die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung und hebt neben dem Recht der Eltern die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder hervor ...Herr Bundesminister Dr. Vogel, wir begrüßen diesen Wandel in Ihrem Hause bezüglich der Einschätzung des Stellenwertes und der Funktion der Eltern und der Familie für die Erziehung und das Wohl unserer Kinder. Wir können nur hoffen, daß diese Einstellung anhält und auch bei der Beratung der übrigen familienrechtlichen Gesetzentwürfe durchgehalten wird und daß nicht wieder ein „progressiver Rückschlag" bei Ihnen bzw. in Ihrem Hause eintritt.
Über die Motive und die Gründe, welche Anlaß zur Neuregelung des Adoptionsrechts geben, wurden in diesem Hause bei mehreren Debatten in den letzen Jahren und Monaten umfangreiche und weitgehend übereinstimmende Ausführungen gemacht. Ich möchte mich deshalb darauf beschränken, nur nochmals die wichtigsten Gründe für eine Neuordnung des Adoptionsrechts nach unseren Vorstellungen aufzuführen.Es kann nicht bestritten werden, daß das Rechtsinstitut „Annahme an Kindes Statt" nach den Motiven und Intentionen des Gesetzgebers des Bürgerlichen Gesetzbuches vornehmlich den Interessen der Annehmenden dienen sollte. Wörtlich ist in den Motiven zum BGB festgehalten -- ich zitiere —:Die Annahme an Kindes Statt ist vornehmlichfür wohlhabende, edeldenkende Personen, wel-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1975 9927
Dr. Stark
che in kinderloser Ehe leben, ein erwünschtes Mittel, diesen Mangel zu ersetzen.Die Annahme an Kindes Statt diente also in erster Linie dem Fortbestand des Namens und des Vermögens des Annehmenden; daß die Adoption auch dem Angenommenen zugute kam, war sozusagen nur ein Reflex der Adoption. Folgerichtig war auch die Annahme an Kindes Statt privatrechtlich ausgestaltet.Nach unserer heutigen Auffassung, unserem heutigen Verständnis und der gewandelten sozialen Wirklichkeit dient die Adoption vornehmlich dazu, gefährdeten Kindern, welche durch die Eltern nicht selbst betreut werden können oder bei denen die Eltern die Betreuung nicht ausführen wollen, eine Heimstatt in einer intakten und harmonischen Familie oder Teilfamilie zu geben, damit sie nicht in einer Pflegestelle oder in einem Heim aufwachsen müssen.Nach Auffassung von Psychiatern und Kinderärzten, Psychologen und Verhaltensforschern ist wissenschaftlich erwiesen, daß gerade kleine Kinder in Heimen schwersten Gefahren unterliegen, selbst wenn sie in gut ausgestatteten und fachmännisch geführten Heimen untergebracht sind. Man spricht hier vom Erscheinungsbild des sogenannten Hospitalismus. Nach diesen Auffassungen bedarf gerade das Kleinkind der ständigen Verbindung zu einer speziellen Beziehungsperson, auf die das in einer Familie aufwachsende Kind „geprägt" wird. Diese Funktion der bestimmten Beziehungsperson für das Kind kann offenbar auch das beste Kinderheim nicht erfüllen.Hauptanliegen eines neuen Adoptionsrechts muß deshalb nach unserer Auffassung sein, möglichst viele Kleinkinder, welche durch ihre Eltern nicht betreut werden können oder bei denen die Eltern die Kinder nicht betreuen wollen, möglichst gar nicht erst in ein Heim kommen zu lassen. Zumindest müssen wir aber dafür Sorge tragen, daß, wenn sie in ein Heim kommen, sie dann nur für eine kurze Übergangszeit dort verweilen müssen.Zur Zeit, meine Damen und Herren, werden jährlich zwischen 7 000 und 8 000 Kinder durch eine Adoption vor einem Heimaufenthalt bewahrt. Noch immer sind aber Zehntausende von Kleinkindern in Heimen untergebracht. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die Bereitschaft, ein Kind anzunehmen, in unserer Gesellschaft im Wachsen begriffen ist. So waren z. B. im Jahre 1972 doppelt so viele Adoptionsstellen vorhanden als zur Annahme vorgemerkte Kinder. Dieser Tatbestand, daß noch Tausende von Kleinkindern in Heimen leben und andererseits mehr Adoptionsstellen vorhanden sind, ist ein Hinweis darauf, daß unser jetziges Adoptionsrecht und -verfahren zu umständlich, zu bürokratisch, zuwenig abgestimmt und zu langwierig ist. Im Interesse des Wohles der gefährdeten Kinder muß sowohl das materielle Adoptionsrecht als auch das Adoptionsverfahren sowie das Adoptionsvermittlungsverfahren geändert werden.Wir begrüßen es deshalb, daß die Bundesregierung inzwischen dem Bundesrat auch einen Entwurf eines Gesetzes für die Vermittlung der Annahme als Kind, das sogenannte Adoptionsvermittlungsgesetz, vorgelegt hat, was meine Fraktion übrigens ebenfalls in unserem Antrag vom März 1973 bereits angeregt hatte.Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, noch einige Feststellungen zu den Grundsätzen des Entwurfs machen. Und hier möchte ich beim Namen des Gesetzentwurfes beginnen. Ich glaube, wir alle empfinden zunächst den Wortlaut „Annahme als Kind" nicht als sehr geglückt. Ich konnte mich nur dadurch davon überzeugen lassen, daß die Bezeichnung gut sein soll, daß in dem Gesetzentwurf steht, die Gesellschaft für deutsche Sprachforschung in Frankfurt hätte diesen Ausdruck begrüßt.
Ich persönlich könnte mir vorstellen, daß man einfach nur sagt „Annahme eines Kindes". Warum „als Kind"? Aber darüber kann man ja in den Beratungen nachdenken und beraten.Die Einführung der Volladoption für minderjährige Kinder, also die volle Integration des angenommenen Kindes in die Familie mit allen rechtlichen Folgen, wird von uns im Interesse des Kindeswohles bejaht. Folgerichtig wird deshalb in dem Entwurf auch vorgeschlagen, daß die Annahme als Kind in Zukunft durch staatliches Dekret und nicht mehr durch privatrechtlichen Vertrag geschieht. Da die Volladoption ein schwerwiegender Eingriff für alle Beteiligten, vor allem aber für die leiblichen Eltern und deren Eltern- und Erziehungsrecht, ist, sollte unseres Erachtens im Verfahren sichergestellt werden, daß diese Entscheidung nur durch einen Richter getroffen werden kann. Ob die Annahmeregelung bei verwandten Kindern, welche das Verwandtschaftsverhältnis zur leiblichen Familie fortbestehen läßt, sinnvoll und ausgeglichen ist, sollte im Laufe der Beratungen nochmals überprüft werden. Immerhin kann hier ein angenommenes Kind drei Großelternpaare haben, und die Verhältnisse untereinander sind dann etwas unklar.Für notwendig und sinnvoll halten wir die Beibehaltung der Adoption von Volljährigen mit abgeminderten rechtlichen Folgen, zumal die Volljährigkeit heute bereits mit 18 Jahren beginnt. Ob neben den jetzt im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Adoptionstypen im Interesse besonders gelagerte Fälle wahlweise noch weitere Annahmefälle eingeführt werden sollen, kann erst im Laufe der Beratungen in den zuständigen Ausschüssen abschließend beurteilt werden.Bei den Beratungen in den Ausschüssen wird auch die Frage zu prüfen sein, ob es nicht doch sinnvoll und angebracht ist, im Interesse vieler gefährdeter Kinder die sogenannte pränatale Adoption, also eine Adoption schon vor der Geburt des Kindes —allerdings dann mit Widerrufsmöglichkeit durch die Mutter —, einzuführen. Diese Frage ist, wie wir wissen, heftig umstritten, aber wir sollten nicht so ohne weiteres darüber hinweggehen. Die Begründung für die Ablehnung im Gesetzentwurf überzeugt unseres Erachtens nicht.
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Dr. Stark
Für richtig halten wir die Verstärkung der Einschränkung der Aufhebungsgründe für eine Adoption. Wenn durch die Volladoption das angenommene Kind in Zukunft voll in die neue Familie — rechtlich und faktisch eingegliedert wird und die verwandtschaftlichen Bande zu den leiblichen Eltern erlöschen, so muß im Interesse des Kindeswohls und auch im Interesse der anderen Beteiligten ein solches soziales Eltern-Kind-Verhältnis, das ja einem natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis gleichkommen soll, auf einen festen Bestand gegründet werden.Bedenken haben wir, Herr Minister, gegen die Übergangsregelung, also dagegen, daß hier durch staatliches Gesetz, durch einen staatlichen Hoheitsakt für die bisherigen Adoptionsfälle durch Ablauf einer Dreijahresfrist ohne weiteres verordnet werden soll, daß sie wie die Neuadoptionen behandelt werden. Das scheint uns auch verfassungsrechtlich bedenklich zu sein. Hier muß bei der Ausschußberatung darüber nachgedacht werden, ob die Lösung nicht umgekehrt werden kann: daß diejenigen, die die Volladoption im jetzigen, neuen Sinn wollen, eine Erklärung gegenüber dem Vormundschaftsgericht abgeben.Abschließend darf ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, nochmals zum Ausdruck bringen, daß wir den Entwurf dieses Gesetzes unterstützen, ohne daß wir uns jetzt schon mit jeder Bestimmung einverstanden erklären können. Wir hoffen und werden von unserer Seite aus alles tun, daß das Parlament zur Beratung dieses Gesetzentwurfs nicht so lange braucht wie die Bundesregierung für seine Erstellung; es waren nämlich genau vier bis fünf Jahre. Ich darf nur daran erinnern, daß die Bundesregierung schon im Jahre 1969 bei der Verabschiedung des Nichtehelichen-Rechts aufgefordert war, ein neues Kindschaftsrecht vorzulegen. Jetzt haben wir Januar 1975.Im Interesse des Wohles der Kinder, im Interesse der adoptionswilligen und -bereiten Eltern sollte dieses Haus alles tun, um für eine baldige Inkraftsetzung des neuen Adoptionsrechtes zu sorgen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schimschok.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion möchte ich folgende Erklärung abgeben.Von der Notwendigkeit einer Novellierung des Adoptionsrechtes sind wir alle überzeugt. Ich möchte an die vielen Kinder erinnern, die jahrelang in Heimen sind, weil sich ihre Eltern nicht um sie kümmern. Die Verabschiedung der Vorabnovelle „Annahme an Kindes Statt" im August 1973 hat bereits eine Erleichterung hinsichtlich der Ersetzung der Einwilligung der Eltern zur Adoption durch das Vormundschaftsgericht gebracht. Bis zu diesem Zeitpunkt war eine der Voraussetzungen für die Ersetzung der Einwilligung der Eltern die böswillige Verweigerung.Meine Damen und Herren, eine böswillige Verweigerung war schwer feststellbar und noch schwerer nachweisbar. Dieses war der Grund dafür, daß sie nicht mehr in die Vorabnovelle übernommen wurde. Etliche Kinder konnten daraufhin schon von Familien adoptiert werden, die bis dahin nicht die Möglichkeit dazu hatten.Durch den vorliegenden Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die Annahme als Kind soll es nun zu einer Volladoption Minderjähriger kommen. Das anzunehmende Kind soll voll in die Familie des Annehmenden integriert werden und damit nicht nur mit dem Annehmenden, sondern mit allen Familienmitgliedern des Annehmenden verwandt werden. Dies wird dazu führen, daß das Gefühl der Verbundenheit zwischen dem Angenommenen und der neuen Familie gestärkt wird.Die stärkeren rechtlichen Bindungen kommen schon in der Bezeichnung des Gesetzes zum Ausdruck. Es soll nicht mehr wie bisher „Gesetz zur Annahme an Kindes Statt", sondern „Gesetz zur Annahme als Kind" heißen. Bei der Adoption eines Kindes soll es sich nicht mehr um eine Ersatzlösung handeln, wenn Ehegatten keine eigenen leiblichen Kinder haben, sondern sie soll primär zum Wohl des Kindes erfolgen, ihm die Geborgenheit geben, die es bei seinen leiblichen Eltern nicht finden konnte.Daß die rechtlichen Bindungen zu seinen leiblichen Verwandten völlig gelöst und auf die neue Familie übertragen werden sollen, ist die logische Konsequenz. In der Öffentlichkeit hat man kein Verständnis für den Widerspruch, daß einerseits das Kind aus der alten Familie herausgenommen werden muß, weil es vernachlässigt wird oder auch erst gar nicht angenommen worden ist, andererseits aber die leiblichen Eltern dem Kind gegenüber unterhaltsberechtigt und erbberechtigt sind.Wenn man nämlich bedenkt, daß die Unterhaltspflicht der leiblichen Eltern hinter die der Annehmenden tritt, können die leiblichen Eltern ausschließlich die Unterhaltsleistung ihres Kindes in Anspruch nehmen, ihres Kindes, für welches sie, als es ihrer Liebe und Pflege bedurfte, nicht da waren.
Genauso können sie zur Zeit noch das Kind beerben, während die Adoptiveltern, denen das Kind sehr wahrscheinlich sein Vermögen zu verdanken hatte, vom Erbrecht ausgeschlossen sind.Dem Entwurf nach sollen Angenommene und Anzunehmende zueinander unterhaltsberechtigt, unterhaltsverpflichtet und erbberechtigt sein. Es sollen verwandtschaftliche Beziehungen mit allen Rechten und Pflichten geschaffen werden. Das Kind soll nicht mehr wie bisher, wenn keine Beziehungen mehr zu den leiblichen Eltern bestehen, rechtlich an sie gebunden sein. Es soll sich ganz als Kind der neuen Familie fühlen, und Adoptiveltern und Kind sollen vor Störungen aus der alten Familie sicher sein.Meine Damen und Herren, zur Schaffung eines neuen Eltern-Kind-Verhältnisses ist, abgesehen von den in der Vorabnovelle geregelten Fällen, die Ein-
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Frau Schimschokwilligung des Kindes, der leiblichen Eltern und bei nichtehelichen Kindern der Mutter erforderlich. Eine pränatale Einwilligung ist im Entwurf nicht vorgesehen. Gerade junge unverheiratete Frauen sind auf Grund einer seelischen Notlage während der Schwangerschaft oftmals bereit, ihre Einwilligung zur Adoption des Kindes zu geben, die ihnen, wenn sie Mutter geworden sind, sehr, sehr leid tun kann. Wenn auch Befürworter der pränatalen Einwilligung sagen, die Mutter könne sie ja innerhalb von sechs bis acht Wochen nach der Geburt widerrufen, so möchte ich Ihnen antworten: Man kann damit auch bis zu sechs Wochen nach der Geburt des Kindes warten, um so der jungen Mutter viel seelische Qual zu ersparen.Die im Entwurf vorgesehene Pflegezeit vor der Adoption wird von Teilen der Öffentlichkeit kritisiert. Man argumentiert, auch beim leiblichen ElternKind-Verhältnis gebe es keine Zeit der Prüfung, um festzustellen, ob Eltern und Kind zueinander paßten, sondern das Kind sei mit allen Risiken zu akzeptieren. Meine Damen und Herren, die Adoption eines Kindes ist wohl mit der Geburt eines eigenen Kindes nicht vergleichbar. Wenn kraft Gesetzes Kinder Eltern und Eltern Kinder bekommen, dann muß von uns aus alles Erdenkliche geschehen, daß die Menschen bei diesem Zusammengehen glücklich werden.Die Jugendämter befürchten, daß, wenn dem Adoptionsverhältnis kein Pflegeverhältnis mehr vorangehen werde und das Adoptionsverhältnis grundsätzlich nicht mehr gelöst werden solle, weniger Problemkinder aus den Heimen in Familien aufgenommen würden, weil vielen adoptionswilligen Personen das Risiko der Adoption dieser Kinder dann zu groß sein werde. Sie würden gar nicht erst den Versuch machen, ob es zu einem Eltern-Kind-Verhältnis kommen könne. Aber, meine Damen und Herren, gerade an Adoption dieser Kinder sollte uns besonders gelegen sein.
Da die Dauer des Pflegeverhältnisses angemessen sein soll, könnte in der Praxis die Zeit bei einem gesunden Säugling kürzer sein als bei einem Kind, das durch Vernachlässigung verhaltensgestört ist. Ich möchte noch einmal betonen: Gerade diese Kinder benötigen die Aufnahme in eine Familie, die ihnen die erforderliche Nestwärme und Lebenschance gibt, um noch Schäden, die durch den Mangel an einer Bezugsperson entstanden sind, im Bereich des Möglichen abzubauen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß seitens der Adoptionsvermittlungsstellen die Auswahl der Eltern dieser Kinder mit größter Sorgfalt getroffen wird, um Kinder und Adoptiveltern vor Enttäuschungen zu bewahren.Im Gesetzentwurf ist auch die Möglichkeit der Adoption Erwachsener vorgesehen. Da eine Adoption zum Wohle eines Kindes erfolgen soll, stellt man sich die Frage, was die Adoption Erwachsener soll. In der Bundesrepublik Deutschland werden aber jährlich etwa 1 500 Erwachsene adoptiert; dem haben wir als Gesetzgeber Rechnung zu tragen. Bei Erwachsenen soll es nicht wie bei Minderjährigen zur Volladoption, sondern zu einer Adoption mit minderen Wirkungen kommen. Eine Adoption Erwachsener darf nur erfolgen, wenn Interessen der Kinder des Annehmenden und des Anzunehmenden nicht verletzt werden. Die Wirkungen der Annahme erstrecken sich nur auf Annehmende und Anzunehmende; die Rechte und Pflichten des Angenommenen seinen leiblichen Verwandten gegenüber bleiben unberührt.Dieser Vorschlag erscheint sittlich gerechtfertigt, um einen Mißbrauch auszuschließen. Es geht nicht an, daß der Gesetzgeber Erwachsenen die Möglichkeit gibt, sich durch eine Adoption der Fürsorgepflicht den alten leiblichen Eltern gegenüber, die ihre Pflichten den Kinden gegenüber erfüllt haben, zu entziehen. Eine Volladoption eines Erwachsenen soll nur möglich sein, wenn eine minderjährige Schwester oder ein minderjähriger Bruder des Anzunehmenden vom Annehmenden adoptiert worden ist, um praktisch den Geschwistern die gleichen Rechte zu geben, oder wenn der Erwachsene schon als minderjähriges Pflegekind in der Familie war.Bedeutsam ist, daß ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis entstehen kann. Notwendig ist in Anbetracht der Volladoption, daß das Adoptionsverhältnis grundsätzlich auf Dauer angelegt wird. Die Aufhebung des Adoptionsverhältnisses soll nur erfolgen, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen zum Wohle des Kindes erforderlich ist oder wenn die Begründung des Annahmeverhältnisses fehlerhaft war und seit der Annahme noch nicht fünf Jahre vergangen sind und die Interessenabwägung die Aufhebung erfordert.Meine Damen und Herren, auch Adoptiveltern sollen, wenn sie ein Kind annehmen, sich dessen bewußt sein, daß sie ein Kind nicht nur bei eitel Freude und Sonnenschein haben können, sondern wie leibliche Eltern auch Schwierigkeiten mit dem Kind durchstehen müssen.
Es darf nicht möglich sein, daß das Kind in Zeiten, in denen es besonderer Liebe und Betreuung bedarf, also dann, wenn Konflikte auftreten, zum Niemandskind wird, da ein Kontakt zu den leiblichen Eltern ja nicht mehr besteht. Letztlich können auch leibliche Eltern ihr Kind nicht fortschicken, wenn seine Entwicklung nicht ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht. Auch dann — und ich betone: besonders dann — haben sie ja zu ihm zu sagen. Dieses Ja, meine Damen und Herren, muß man auch von verantwortungsbewußten Adoptiveltern erwarten.
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf bietet vielleicht einmal wieder die Möglichkeit, daß Opposition und Koalition ein Stück Weg in der Rechtspolitik gemeinsam gehen. Deshalb, Herr Kollege Dr. Stark, sollten wir den Streit um das Erstgeburts-
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Engelhardrecht gar nicht erst beginnen, ganz einfach deswegen, weil das Problem, das dieser Entwurf zu bewältigen sucht, weit älter ist als Ihre Oppositionsrolle hier in diesem Hause.
Die Bundesregierung hat es Ihnen zudem leichtgemacht, weil sie entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 14. Juni 1973 Ihrem seinerzeitigen Antrag inhaltlich weitestgehend bei Ausarbeitung dieses Entwurfs Rechnung getragen hat.
— Es wird anerkannt, Herr Kollege.Die Fraktion der FDP begrüßt jedenfalls ausdrücklich diesen Regierungsentwurf inhaltlich, und ich möchte der Bundesregierung und dem Ministerium ausdrücklich dafür danken, daß es trotz der Fülle der familienrechtlichen Vorlagen und gewisser Engpässe, die sich hier auch personell, wie ich weiß, eingestellt haben, gelungen ist, diesen Entwurf fristgerecht oder jedenfalls so zeitig vorzulegen, daß er in dieser Legislaturperiode nicht nur beraten, sondern auch verabschiedet werden kann.
Das Recht der Annahme eines Kindes bedarf der umfassenden Änderung, zum einen wegen der zunehmenden zahlenmäßigen Bedeutung, die die Annahme eines Kindes hat, und zum anderen, weil der Ausgangspunkt und die rechtliche Ausgestaltung, wie sie das geltende Recht vorsieht, unserem heutigen Verständnis und seinen Notwendigkeiten nicht mehr entspricht. Wenn es richtig ist, daß den Kindern ein dauerhaftes und gesichertes Zuhause durch die Annahme als Kind gesichert werden soll, so bedarf es dazu der völligen Eingliederung — rechtlich wie tatsächlich — in die neue Familie, und dies wiederum kann nur durch die Volladoption sichergestellt werden, die die alten Verwandtschaftsverhältnisse erlöschen läßt, die das Kind in Rechten und Pflichten leiblichen Kindern gleichstellt und die bis zum Recht der Staatsangehörigkeit hin diese Gleichstellung ausdehnt. Die Volladoption bedarf — das hat der Entwurf klar erkannt — einer starken Absicherung durch einen Bestandsschutz, um sicherzustellen, daß das Kind ungestört von möglicherweise rechtlichen Schwierigkeiten in der neuen Familie bleiben kann.Andererseits ist es sicherlich begrüßenswert, daß der Entwurf flexibel genug war, um verschiedenen Lebenstatbeständen in der gebotenen rechtlichen Verschiedenheit Rechnung zu tragen; daß einerseits eine unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung bei der Annahme von Minderjährigen, dann bei der Annahme von Minderjährigen, die mit den Annehmenden verwandt sind, und schließlich bei der Annahme von Volljährigen vorgesehen ist.Wir begrüßen auch den Übergang zum sogenannten Dekretsystem, wonach die Annahme künftig durch Ausspruch des Vormundschaftsgerichts erfolgt.Das entspricht ganz sicherlich schon der tatsächlichen Gewichtung in der bisherigen Praxis.Lassen Sie mich noch drei Anmerkungen machen zu Bereichen, die von meinen Vorrednern noch nicht angesprochen worden sind.Wir sind der Auffassung, daß es erfreulich ist, daß man sich nicht aus einer gewissen, vielleicht organisatorischen Bequemlichkeit dazu hat hinreißen lassen, die sogenannte Blankoadoption zu legalisieren. Sie könnte zu dem Mißverständnis führen, daß es eine Art Bevorratung von Kindern gäbe. Die Blankoadoption würde zudem eine völlige Aushöhlung der notwendigen rechtlichen Einwilligung der leiblichen Eltern mit sich bringen und, wie der Entwurf richtig ausführt, eine Vielzahl von Kindern zu Staatsmündeln machen.Zweitens sollte die Bestimmung des neuen § 1744 BGB, wonach die Annahme in der Regel erst ausgesprochen werden soll, wenn die Annehmenden das Kind eine angemessene Zeit in Pflege gehabt haben, kein Anlaß in der Öffentlichkeit für das Mißverständnis sein, wie ich es bereits gehört habe, als könne man sich künftig etwa einmal oder auch mehrmals ein Kind quasi zur Ansicht kommen lassen. Was hier als Probezeit angesprochen ist, ist im Verständnis des Entwurfs in Wirklichkeit eine Zeit der Bewährung für die Annehmenden, um der Behörde die Möglichkeit zu geben, zu beobachten, ob sich während dieser Dauer der Pflege ein wirkliches Eltern-Kind-Verhältnis zwischen den Annehmenden und dem Anzunehmenden entwickelt. Dieser Versuch, hier eine gewisse Eingewöhnungszeit zu geben, wird ganz sicherlich dadurch erleichtert, daß rechtlich die Stellung der Pflegekinder wie der potentiellen Annehmenden abgesichert wird, und zwar dadurch, daß das Recht der elterlichen Sorge für die leiblichen Eltern ruht und sie während dieser Zeit auch kein Recht zum Umgang mit ihren Kindern haben.Die dritte Bemerkung. Wir haben uns im Unterausschuß für die Familien- und Eherechtsreform bei der Beratung der Vorabnovelle vom 14. August 1973 sehr eingehend darüber unterhalten, wie es zu bewerkstelligen sei, daß Kinder jeweils zu einem möglichst frühen Zeitpunkt angenommen werden können. Ich hatte damals den Vorschlag unterbreitet, daß man in Fällen, wo Kinder in fremde Pflege oder in Heime gegeben werden und wo bereits aus früherem Verhalten etwas abzusehen ist, daß die leiblichen Eltern sich gleichgültig verhalten werden, die Belehrung durch das Jugendamt, daß die Einwilligung nötigenfalls auch ersetzt werden kann, bereits vorsorglich durchführt. Die Bundesregierung war ersucht worden, im Rahmen der großen Adoptionsreform diese Frage, für die uns damals Zahlen und exaktes Material fehlten, nochmals zu überprüfen. Der Vorschlag ist im Regierungsentwurf nicht aufgegriffen worden. Wir werden bei den weiteren Beratungen dazu sicherlich Näheres erfahren.Jetzt hat, wie bereits erwähnt, die Bundesregierung auch den Entwurf eines Adoptionsvermittlungsgesetzes dem Bundesrat zugeleitet. Alle diese
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EngelhardBemühungen — rechtlich wie organisatorisch -werden sicherlich dazu beitragen, einer wachsenden Anzahl von Kindern, die in ihrer Herkunftsfamilie nicht in gesicherten Verhältnissen auf wachsen könnten, in einer neuen Familie durch die Annahme als Kind ein gesichertes Zuhause zu geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältenstenrat schlägt Ihnen vor, den Entwurf eines Gesetzes über die Annahme als Kind dem Rechtsausschuß — federführend — und dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie dem Innenausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 auf:
Beratung der Sammelübersicht 33 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Übersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 31. Dezember 1974 eingegangenen Petitionen
— Drucksache 7/3063 —
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogelsang.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regel werden diese Sammelübersichten des Petitionsausschusses ohne Erklärungen und ohne Aussprache verabschiedet. Der Petitionsausschuß sieht darin immerhin einen Beweis für das Vertrauen in seine Arbeit, aber sicherlich auch eine Anerkennung für die Zentralstelle für Eingaben und Petitionen, die die Abgeordneten bei der sachgerechten Prüfung der Bitten und Beschwerden unterstützt.Heute wollten wir einmal von dieser Übung abweichen und zu der Sammelübersicht Stellung nehmen, wobei uns gleich gelegen kommt, daß wir in der heutigen Sitzung damit auch das letzte Wort haben. Insbesondere geht es uns darum, vor dem Plenum des Deutschen Bundestages einmal klarzustellen, was sich hinter den Tausenden von Eingaben, die innerhalb einer Wahlperiode an den Deutschen Bundestag gehen, für Probleme, Nöte und Sorgen der Bürger unseres Landes und für Hilfen verbergen. Sie sehen in einem Brief an den Petitionsausschuß oder in einem Appell an den Abgeordneten ihres Wahlkreises oft die letzte Möglichkeit der Hilfe und des Rates.Aber nicht nur die Zahl der Eingaben hebt die Bedeutung des Petitionsrechts hervor. Das Petitionsrecht erweist sich immer mehr als ein Mittel, das Vertrauen der Bürger in die parlamentarische Demokratie weiter zu stärken. Wir müssen und werden uns deshalb sehr davor hüten, die Bitten, Beschwerden und Anregungen routinemäßig zu behandeln. Hier werden wir immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß sich gesetzgeberisches wie verwaltungsmäßiges Handeln an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren hat. So sollten die vielen Eingaben auch dazu beitragen, daß wir uns im Rahmen unserer gesetzgeberischen Tätigkeit um Regelungen bemühen, die für den Bürger überschaubar und für die Verwaltung möglichst leicht durchführbar sind.Ohne dem in Kürze erscheinenden ersten schriftlichen Bericht des Petitionsausschusses über seine bisherige Tätigkeit in der 7. Wahlperiode vorzugreifen, möchte ich doch auf ein paar Zahlen und Fakten aus dieser Zeit aufmerksam machen, die Ihnen zum Teil auch schon in der systematischen Ubersicht vorliegen.In der 7. Wahlperiode sind bereits mehr als 17 500 Petitionen neu eingegangen. Das sind schon jetzt über 2 500 Eingaben mehr als in der vergleichbaren Zeit der 6. Wahlperiode. Bei der Bearbeitung dieser Bitten und Beschwerden hat die Zentralstelle bisher rund 50 000 Briefe an Petenten, Abgeordnete und Ministerien verschickt; über 5 000 Vorgänge wurden für Abgeordnete aufbereitet. Daraus ergibt sich ein Gesamtdurchschnitt von täglich 110 Schreiben. — Ich meine, auch diese Zahlen sollten einmal genannt werden, damit man den Umfang der Arbeit erkennen kann. Den Mitarbeitern der Zentralstelle möchte ich bei dieser Gelegenheit unseren ausdrücklichen Dank für ihren Einsatz und ihre Mühe aussprechen.Die Kontrolle der Regierung und der Verwaltung durch das Parlament steht gleichberechtigt neben der Gesetzgebung. So möchte ich die Eingaben unterteilen in erstens Anregungen und Wünsche an den Gesetzgeber und zweitens Beschwerden, die eine parlamentarische Prüfung auslösen.Zu 1: Hier sind besonders die Masseneingaben zur Reform des § 218 des Strafgesetzbuches, zum Bundeswaldgesetz und zur Aufhebung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer zu nennen.Zu 2: Selten sind die Fälle, mit denen wir uns hier beschäftigen, so spektakulär wie der diesmal in der Sammelübersicht als positiv erledigt bezeichnete Fall der Schülerin Ingrid Brückmann. Da Ihnen die Hintergründe sicher noch in Erinnerung sind, kann ich darauf verzichten, näher auf sie einzugehen.Statt dessen zwei andere Fälle als Beispiele: Es konnte durch eine Intervention beim Ausgleichsamt erreicht werden, daß einem älteren, schwer erkrankten Bürger, der nur über geringe Renteneinkünfte verfügt, die Rückzahlung von zu Unrecht erhaltenen Lastenausgleichsleistungen, erlassen wurde. Die Weiterverfolgung des Anspruchs hätte für ihn eine besondere Härte bedeutet.Oft hat der Petitionsausschuß Vorgänge zu prüfen, bei denen Bürger nicht zu ihrem Recht kommen, weil sich Ämter und Behörden wechselseitig die Zuständigkeit und die Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen zuschieben. Dafür folgendes Beispiel: Ein junger Mann, der sich bei der Bundeswehr als Soldat auf Zeit für zwei Jahre verpflichtet hat, erkrankt an einer Lungentuberkulose. Seine Ansprüche finanzieller Art gegenüber der Wehr-
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Vogelsangverwaltung werden ebenso wie die gegenüber der Verwaltung im Bereich der Sozialversicherung abgelehnt. Der Bereich der Wehrverwaltung teilt ihm mit, die Ablehnung sei rechtens, und auch der Bereich der Sozialversicherung teilt ihm mit, die Ablehnung sei rechtens. Der erstaunte Staatsbürger bringt die Frage vor den Wehrbeauftragten und sagt, es könne doch nicht sein, daß beide recht hätten, worauf dem noch erstaunteren Staatsbürger mitgeteilt wird, er habe mit dieser Feststellung allerdings auch recht. Der Kreis könnte dann, meine Damen und Herren, noch geschlossen werden, wenn der Petitionsausschuß nunmehr seinerseits festgestellt hätte, auch der Wehrbeauftragte habe recht gehabt. — Allerdings wurde hier die Gedankenkette durchbrochen. Dem Petitionsausschuß ist es durch seinen Einsatz dann gelungen, daß nun einer der angegangenen Leistungsträger in der Tat zahlt. Was dabei bedauerlich ist, ist, daß dieses ganze Verfahren zwei Jahre in Anspruch genommen hat, bis sich nunmehr endlich, nachdem sich der Petitionsausschuß eingesetzt hatte, ein Leistungsträger zur Zahlung der Leistungen bereit erklärt hat.Es ist aber auch mehr Aufklärung bei den Bürgern über die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern bei Gesetzgebung und Verwaltung notwendig, weil dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages immer wieder Petitionen zugehen, die er wegen dieser Kompetenzaufteilungen nicht bearbeiten kann.An dieser Stelle soll auch noch einmal darauf hingewiesen werden, daß die Volksvertretungen weder) in schwebende Gerichtsverfahren eingreifen noch bereits ergangene Urteile abändern oder gar aufheben können.Die Bitte, die Bürger über Zuständigkeiten und Möglichkeiten der Volksvertretung aufzuklären, richtet sich an Sie alle, meine Damen und Herren.Seit längerer Zeit liegen Ihnen zwei Gesetzentwürfe zur Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses vor. Nach der Verabschiedung dieser Gesetze werden wir als Mitglieder des Petitionsausschusses auch den eben geschilderten Fall durch unmittelbare Aktenvorlage, Zeugenanhörungen sowie eine denkbare Amtshilfe durch Gerichte und Verwaltungsbehörden schneller als bisher lösen können. Ich hoffe, daß sich alle Fraktionen für eine baldige Verabschiedung dieser Gesetzentwürfe einsetzen.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu der vorliegenden Sammelübersicht und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 24. Januar 1975, 9 Uhr ein und schließe die Sitzung.