Protokoll:
7095

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 95

  • date_rangeDatum: 25. April 1974

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 01:08 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 95. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten und einer Delegation des Repräsentantenhauses von Neuseeland 6331 A Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung 6331 B Ergänzung der Tagesordnung 6331 B Entwurf eines Fünften Gesetzes der Fraktionen der SPD, FDP zur Reform des Strafrechts (Drucksache 7/1981 [neu]) — Zweite und dritte Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Fünften Gesetzes der Abg. Dr. Müller-Emmert, Dürr, Dr. Bardens und Genossen zur Reform des Strafrechts (Drucksache 7/1982) — Zweite und dritte Beratung, Entwurf eines Fünften Gesetzes der Fraktion der CDU/CSU zur Reform des Strafrechts (Drucksache 7/1938) — Zweite und dritte Beratung —, Entwurf eines Fünften Gesetzes der Abg. Dr. Heck, Köster, Dr. Becker (Mönchengladbach), Dr. Blüm, Dr. Jahn (Münster), Nordlohne, Carstens (Emstek) und Genossen zur Reform des Strafrechts (Drucksache 7/1984 [neu]) — Zweite und dritte Beratung — Frau Renger, Präsident 6331 B Frau Schlei (SPD) 6332 A Dr. Eyrich (CDU/CSU) 6334 B von Schoeler (FDP) 6341 C Dr. Bardens (SPD) . . . . . . 6347 C Dr. Heck (CDU/CSU) 6350 C Dr. Dr. h. c. Maihofer (FDP) . . . 6353 B Frau Dr. Neumeister (CDU/CSU) . 6357 D Dr. de With (SPD) 6382 C Spranger (CDU/CSU) 6386 B Frau Funcke (FDP) 6389 C Dr. Müller-Emmert (SPD) 6393 B Köster (CDU/CSU) 6398 C Frau Dr. Focke, Bundesminister (BMJFG) . . . 6401 C Brandt (Grolsheim) (SPD) 6404 D Frau Dr. Wex (CDU/CSU) . . . 6407 B von Hassel (CDU/CSU) 6409 C Groß (FDP) 6411 A II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 Frau von Bothmer (SPD) . . . . . 6413 B Sieglerschmidt (SPD) . . . . . . 6414 A Dr. Jaeger (CDU/CSU) . . . . . . 6416 A Freiherr Ostman von der Leye (SPD) 6420 C Engelhard (FDP) . . . . . . . . 6421 D Dr. Blüm (CDU/CSU) . . . . . 6423 C Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 6426 A Frau Verhülsdonk (CDU/CSU) . . . 6429 A Werner (CDU/CSU) . . . . . . . 6431 D Frau Schuchardt (FDP) . . . . . 6433 D Dr. Aigner (CDU/CSU) . . . . . 6436 B Dr. Klein (Stolberg) (SPD) . . . . 6438 A Memmel (CDU/CSU) (Erklärung nach § 59 GO) . . . . 6440 A Namentliche Abstimmungen . . . . . 6440 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Scheu und Frau Verhülsdonk . . . . . . 6443 A Fragestunde (Drucksache 7/2008) Frage A 99 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Geisenhofer (CDU/CSU) : Androhung von Transitverkehrsbehinderungen im Falle der Errichtung des Umweltbundesamts in Berlin Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . . 6362 B Fragen A 103 und 104 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Reddemann (CDU/ CSU) : Behandlung der Adressen von Bürgern im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Freiherr von Wechmar Staatssekretär (BPA) . . . . . 6362 C, 6363 A, B Reddemann (CDU/CSU) . . . . . 6362 D, 6363 A, B Fragen A 106 und 107 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Nordlohne (CDU/CSU) : Faltblatt des Presse- und Informationsamts „Politik ist gut, wenn es den Menschen besser geht" von 1972 Freiherr von Wechmar, Staatssekretär (BPA) . . . . 6363 C, D, 6364 B, C, D Nordlohne (CDU/CSU) . . . . 6363 C, 6364 A, B, C Höcherl (CDU/CSU) 6364 D Graf Stauffenberg (CDU/CSU) . . 6364 D Fragen A 100 und 101 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Höcherl (CDU/CSU) : Interview der Kölner Zeitung „Express" mit dem Bundeskanzler über die Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen Ravens, Parl. Staatssekretär (BK) . . 6365 A, B, C, D, 6366 A, B, D, 6367 A, B, C, D, 6368 A, C, D Höcherl (CDU/CSU) . 6365 A, B, 6366 D Schulte (Schwäbisch-Gmünd) (CDU/CSU) . . . . . 6 365 C, 6367 A Jäger (Wangen) (CDU/CSU) . . . 6365 D Dreyer (CDU/CSU) . . . 6366 A, 6367 D Frau von Bothmer (SPD) . . . . 6366 B Damm (CDU/CSU) 6367 A Dr. Czaja (CDU/CSU) 6367 B Dr. Freiherr Spies von Büllesheim (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6367 C Dr. Marx (CDU/CSU) 6367 D Frau Funcke, Vizepräsident . . . 6368 B Dr. Jobst (CDU/CSU) 6368 B Dr. Fuchs (CDU/CSU) . . . . . 6368 C Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) . 6368 C Frage A 105 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Jobst (CDU/CSU) : Meldung der „Welt" über Nichteintragung der in Ost-Berlin zugelassenen Korrespondenten aus der Bundesrepublik in die dortigen Telefonbücher Freiherr von Wechmar, Staatssekretär (BPA) 6368 D, 6369 A, B Dr. Jobst (CDU/CSU) 6369 A, B Frage A 76 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Eigen (CDU/CSU) : Nichtberücksichtigung des Sachverhalts der Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Konditionen für die Erntefinanzierung im Grundsatzbeschluß des EG-Agrarministerrates zur Wettbewerbspolitik Ertl, Bundesminister (BML) . . . 6369 C, D, 6370 B Eigen (CDU/CSU) . . . 6369 D, 6370 A Frage A 77 — Drucksache 7/2008 --- des Abg. Eigen (CDU/CSU) : Fehlen von Schutzmaßnahmen der Bundesregierung angesichts des Verfalls der Erzeugerpreise für Rindfleisch Ertl, Bundesminister (BML) . . . 6370 B, D, 6371 A, B Eigen (CDU/CSU) . . . 6370 C, 6371 A Dr. Früh (CDU/CSU) . . . . . . 6371 B Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 III Frage A 78 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) (CDU/ CSU) : Behinderung der Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse am Grenzübergang Brenner Ertl, Bundesminister (BML) . . . 6371 B, D, 6372 A, B, C, 6373 A Dr. h. c. Wagner (Günzburg) (CDU/ CSU) . . . . . . . 6371 C, 6372 A Engelhard (FDP) . . . . . . . . 6372 A Dr. Jobst (CDU/CSU) . . . . . . 6372 B Eigen (CDU/CSU) . . . . . . . 6372 C Hölscher (FDP) . . . . . . . . 6372 D Frage A 116 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Fuchs (CDU/CSU) : Kommunistisches Spaniertreffen in Kassel Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6373 C, D, 6374 A Dr. Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . 6373 D Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) . . 6374 A Fragen A 118 und 119 Drucksache 7/2008 — des Abg. Windelen (CDU/CSU) : 20jährige Wiederkehr des Inkrafttretens der Pariser Verträge Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6374 B, C, D Windelen (CDU/CSU) 6374 C Fragen A 120 und 121 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Hupka (CDU/CSU) : Unterschiedliche Interpretation des Warschauer Vertrags; Forderung von Wiedergutmachungsleistungen durch die polnische Seite; Schlußfolgerungen der Bundesregierung aus Demonstrationen und Hungerstreiks aussiedlungswilliger sowjetischer Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6374 D, 6375 A, B, C, D, 6376 A, C Dr. Hupka (CDU/CSU) 6375 A, B, D, 6376 A Jäger (Wangen) (CDU/CSU) . . . . 6375 B Damm (CDU/CSU) . . . . . . . 6376 A Dr. Czaja (CDU/CSU) 6376 B Frage A 122 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) : Schritte der Bundesregierung zur Haftentlassung von Rudolf Hess Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6376 D, 6377 A, B Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) 6376 D, 6377 A Dr. Hupka (CDU/CSU) . . . . . 6377 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 6377 B Frage A 123 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Jobst (CDU/CSU) : Auffassung der Bundesregierung zum Verhältnis des Nordatlantischen Bündnisses zu Portugal Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6377 C, D, 6378 A Dr. Jobst (CDU/CSU) 6377 D Hansen (SPD) 6378 A Schinzel (SPD) 6378 A Fragen A 125 und 126 Drucksache 7/2008 — des Abg. Seefeld (SPD) : Verweigerung der Einrichtung eines. vierten Grundschulzugs an der Deutschen Schule in Brüssel; Zulassungsbeschränkung Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6378 B, D, 6379 A, B Seefeld (SPD) . . . . 6378 C, D, 6379 B Frage A 127 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Damm (CDU/CSU): Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der „Welt" über das Verhalten des deutschen Wahlkonsuls in Rönne auf Bornholm gegenüber deutschen Flüchtlingen aus der DDR Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6379 B, C, D, 6380 A, B Damm (CDU/CSU) . . 6379 C, D, 6380 A Dr. Czaja (CDU/CSU) 6380 A Jäger (Wangen) (CDU/CSU) . . 6380 B Frage A 129 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Schweitzer (SPD) : Chancen des weiteren Ausbaus der wissenschaftlich-kulturellen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Volksrepublik China Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6380 B, C Dr. Schweitzer (SPD) . . . . . . 6380 C Frage A 130 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Reiser (SPD) : Stellungnahme der Bundesregierung zu Berichten über Folterung einer Staats- IV Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 bürgerin der Bundesrepublik Deutschland durch tunesische Behörden Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 6380 D, 6381 C, D, 6382 A, B Reiser (SPD) 6381 B, C Hansen (SPD) . . . . . . . . 6381 D Dr. Holtz (SPD) . . . . . . . 6382 A Gansel (SPD) . . . . . . . . 6382 A Hinweis auf einen Antrag zur Abhaltung einer Aktuellen Stunde Frau Funcke, Vizepräsident . . . . 6382 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 6445 C Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 6447* A Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rhode (BMA) auf die Frage A 6 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Roser (CDU/CSU) : Einheitliches Legitimationspapier für die Inanspruchnahme der SeniorenReiseangebote der Deutschen Bundes- bahn 6447*B Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rhode (BMA) auf die Frage A 7 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Löher (CDU/CSU) Soziale Infrastruktur für ausländische Arbeitnehmer . . . . . . . . . 6447*D Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rhode (BMA) auf die Fragen A 8 und 9 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Pfeifer (CDU/ CSU) : Vorlage der Enquete zur sozialen Situation der Künstler in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . 6448* B Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rhode (BMA) auf die Fragen A 10 und 11 —Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Evers (CDU/CSU) : Pläne zur Einbeziehung der Leistungen aus der früheren Höherversicherung in die laufende Rentenanpassung . . . 6448* C Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rhode (BMA) auf die Frage A 12 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Zebisch (SPD) : Benachteiligung von Frauen bei der Anrechnung von Fachschul- und Hochschulausbildungszeiten als Ausfallzeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung 6448* D Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rhode (BMA) auf die Frage A 16 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Einschaltung unabhängiger Gutachter und der betroffenen Bevölkerung bei der Klärung von Problemen des Fluglärms 6449* A Anlage 8 Antwort des Bundesministers Jahn (BMJ) auf die Frage A 40 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Kiechle (CDU/CSU) : Vertrauen der Bevölkerung zur Justiz . 6449* B Anlage 9 Antwort des Bundesministers Jahn (BMJ) auf die Frage A 41 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Spranger (CDU/CSU) : Konsequenzen aus einer Umfrage des Wickert-Instituts betreffend Verbrechensbekämpfung, insbesondere durch Übernahme der Vorstellungen des Bundesrats für die Änderung des Strafvollzugs 6450* A Anlage 10 Antwort des Bundesministers Jahn (BMJ) auf die Frage A 42 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) : Brief der tschechoslowakischen Regierung zu Fragen der Strafverfolgung; Abgrenzung der Straftaten, die noch einer Verfolgung durch tschechoslowakische Behörden unterliegen . . . 6451* A Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner (BMWi) auf die Frage A 53 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Fiebig (SPD) : Mängel der Rechtsform ,,bergrecht- liche Gewerkschaft" . . . . . . . 6451* B Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner (BMWi) auf die Frage A 58 — Drucksache Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 V 7/2008 — des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Ausnutzung der technischen Möglichkeiten für die Entwicklung leiserer Fluggeräte; Projekt „Europlane" . . . 6451* C Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner (BMWi) auf die Frage A 59 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Franz (CDU/CSU) : Pipelinetransport iranischen Erdgases nach Deutschland; unterschiedliche Äußerungen über die Trassenführung 6451* D Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner (BMWi) auf die Frage A 71 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Schedl (CDU/CSU) : Vorgehen des Bundeskartellamts gegen Mineralölkonzerne; eventuelle Anregungen, Hinweise oder Empfehlungen hierzu von seiten der Bundesregierung 6452* A Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan (BMVg) auf die Fragen A 79 und 80 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Handlos (CDU/CSU) : Presseberichte über Mängel im Zusammenhang mit einer Mobilmachung der Bundeswehr 6452* B Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berk- han (BMVg) auf die Frage A 81 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Ey (CDU/CSU) : EG-Vorschriften zur Verstärkung der Anhängerkupplungen auf NATO-Norm; dazu im Widerspruch stehende Anweisung für die Bundeswehr . . . 6452* D Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal (BMJFG) auf die Frage A 82 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Riedel (München) (CDU/CSU) : Behauptungen betreffend die Rolle von Patienten als „Versuchskaninchen" bei der Erprobung von Medikamenten . . 6453* A Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal (BMJFG) auf die Frage A 83 — Drucksache 7/2008 — der Abg. Frau Schleicher (CDU/CSU) : Nutzbarmachung der bezüglich des Deutschen Herzzentrums in München gewonnenen positiven Erfahrungen . . 6453* D Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal (BMJFG) auf die Frage A 84 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Enders (SPD) : Finanzielle Unterstützung von Jugendgruppen-Auslandsfahrten über die Deutsche Sportjugend 6454* B Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold (BMB) auf die Frage A 85 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Rechtsvorschrift der DDR über Ein- reisen von Bürgern der BRD . . . . 6454* D Anlage 21 Antwort des Pari. Staatssekretärs Herold (BMB) auf die Fragen A 88 und 89 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) : Zahl der Besucher an der Zonengrenze; gewährte Zuschüsse 6455* A Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff (BMFT/BMP) auf die Frage A 90 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim (CDU/ CSU) : Forschungsvorhaben zur Urangewinnung aus Meerwasser G455* D Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff (BMFT/BMP) auf die Fragen A 91 und 92 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Hölscher (FDP) : Nachtpostflüge . . . . . . . . 6456* A Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff (BMFT/BMP) auf die Frage A 93 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Beschaffung von Unterlagen für die Abwehr ungerechtfertigter Vorwürfe von Postkunden durch Mitschneiden des Sprechverkehrs der Beschäftigten im Fernsprechauskunfts- und Telegrammaufnahmedienst 6456* C Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff (BMFT/BMP) auf die Fragen A 94 VI Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 und 95 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Ahrens (SPD) : Abrechnungsmodus für Telefongebühren 6456* D Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff (BMFT/BMP) auf die Frage A 96 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Rollmann (CDU/CSU) : Massendrucksachen bei der Deutschen Bundespost 6457* A Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff (BMFT/BMP) auf die Frage A 97 - Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Fernsprechteilnehmer in unmittelbarer Nähe von Militärflugplätzen . . . . 6457* B Anlage 28 Antwort des Staatssekretärs Freiherr von Wechmar (BPA) auf die Frage A 102 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Zimmermann (CDU/CSU) : Kosten der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien . . . . . . . . 6457* C Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 108 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Graf Stauffenberg (CDU/CSU) : Haltung der Bundesregierung zu der Forderung Bulgariens nach Einräumung allgemeiner Präferenzen eines Entwicklungslandes durch die EG . . . . . 6457* D Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 109 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Gierenstein (CDU/CSU) : Strafrechtliche Maßnahmen gegen Deutsche in der Sowjetunion wegen Ausreisebegehrens . . . . . . . 6458* B Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 110 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) : Standpunkt der Bundesregierung zum Nahost-Konflikt gegenüber Mitgliedern der Regierungen Saudi-Arabiens und Algeriens . . . . . .. . . . . . 6458* D Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 111 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) : Standpunkt der Bundesregierung zur gewaltsamen Aneignung von Territorien 6459* A Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 112 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Zoglmann (CDU/CSU) : Städtenamen in den ehemals deutschen Gebieten jenseits von Oder und Neiße; Sprachgebrauch offizieller Besucher der Bundesrepublik in Polen 6459* C Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Fragen A 113 und 114 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Rainer (CDU/CSU) : „Ost-Information" der polnischen Regierung über finanzielle Folgen des deutsch-polnischen Vertrages und über die Ausreise von deutschen Volksangehörigen 6459* D Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Apel (AA) auf die Frage A 115 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Franz (CDU/CSU) : Äußerungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Apel über den Volksfrontkandidaten bei der französischen Präsidentenwahl 6460* B Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 117 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Niegel (CDU/CSU) : Völkerrechtliche Anerkennung der Republik Guinea-Bissau . . . . . . . 6460* C Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 124 — Drucksache 7/2008 -- des Abg. Spranger (CDU/CSU) : Gewährung von Schutz und Hilfe für alle Deutschen im Sinne des Grundgesetzes durch die diplomatischen und konsularischen Vertretungen im Ausland 6460* D Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 VII Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 128 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Röhner (CDU/CSU) : Befürchtung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wegen Erzwingung der Einreise von Chilenen in die Bundesrepublik Deutschland durch Geiselnahme 6461* A Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 131 — Drucksache 7/2008 — des Abg. Dr. Zimmermann (CDU/CSU) : Pressemeldung betreffend Behauptung des Bundeskanzlers über „Vertreibung der Palästinenser"; Folgerungen für das deutsch-israelische Verhältnis . . 6461* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6331 95. Sitzung Bonn, den 25. April 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6447* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 26. 4. Adams * 26. 4. Dr. Aigner * 26. 4. Dr. Althammer 25. 5. Dr. Artzinger * 26. 4. Dr. Bangemann * 26. 4. Baum 18. 5. Dr. Bayerl 26. 6. Blumenfeld * 26. 4. Dr. Burgbacher * 26. 4. Dr. Corterier * 26. 4. Dr. Evers 26. 4. Fellermaier * 26. 4. Flämig * 26. 4. Frehsee * 26. 4. Dr. Freiwald 18. 5. Dr. Früh * 24. 4. Dr. Geßner 26. 4. Grobecker 26. 4. Dr. Haenschke 26. 4. Härzschel * 26. 4. Dr. Jahn (Braunschweig) * 26. 4. Jaschke 27. 4. Junghans 26. 4. Kahn-Ackermann ** 26. 4. Dr. Klepsch * 26. 4. Krall * 26. 4. Lange * 26. 4. Lautenschlager * 26. 4. Lemmrich ** 25. 4. Dr. Lohmar 18. 5. Lücker * 26. 4. Memmel * 26. 4. Mursch (Soltau-Harburg) * 26. 4. Frau Dr. Orth * 26. 4. Roser 5. 5. Dr. Schachtschabel * 26. 4. Schmidt (München) * 26. 4. Dr. Schulz (Berlin) * 26. 4. Schwabe ' 26. 4. Dr. Schwörer * 26. 4. Seefeld * 26. 4. Sick 25. 4. Springorum * 26. 4. Dr. Starke (Franken) * 26. 4. Walkhoff ' 26. 4. Frau Dr. Walz * 26. 4. Dr. Wittmann 27. 4. Wuttke 26. 4. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Paraments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Roser (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 6) : Was hat die Bundesregierung unternommen, damit durch ein einheitliches Legitimationspapier zur Vorlage bei den Fahrkartenverkaufsstellen der Deutschen Bundesbahn erwerbsunfähige Frührentner bei den Senioren-Reiseangeboten der Deutschen Bundesbahn berücksichtigt werden können - nachdem laut Mitteilung des Präsidenten der Deutschen Bundesbahn entsprechende Anregungen bereits gegeben worden sind? Auf eine entsprechende Frage des Kollegen Dr. Schulze-Vorberg hatte ich mitgeteilt, daß die von Ihnen aufgeworfene Frage bearbeitet, aber ihre Erledigung aus verschiedenen Gründen längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich habe das in der Fragestunde des Bundestages am 13. Februar 1974 im einzelnen erläutert. Die Deutsche Bundesbahn hatte bereits früher ein Frührentner-Reiseangebot gestartet, das allerdings wegen technischer Mängel nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hat. Die beteiligten Stellen stehen seitdem im Gespräch, um nach Wegen zu suchen, die technischen Bedingungen für ein alle Beteiligten befriedigendes Verfahren zu finden. Ich werde Ihre Frage zum Anlaß nehmen, auf die beteiligten Stellen erneut einzuwirken, daß dieses Anliegen zügig weiterverfolgt wird. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 23. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Löher (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 7) : Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Fehlbestand an sozialer Infrastruktur für die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien, wenn sie den untersten Standard vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer und ihrer Familien zugrunde legt und beabsichtigt die Bundesregierung, diese Verhältnisse - bis auf einige Korrekturen in Ballungsgebieten durch eine eventuelle weitere Erhöhung der Anwerbepauschale - im gegenwärtigen Zustand zu belassen? Die von Ihnen genannten Mängel in der sozialen Infrastruktur für ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien zeichnen sich vor allem in den Ballungsräumen ab - und hier insbesondere im Wohnungs- und Schulbereich. Die Bundesregierung hat im Hinblick darauf am 6. Juni 1973 ein Aktionsprogramm für die Ausländerbeschäftigung beschlossen, das zu einer sozial verantwortlichen Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung beitragen soll und das gezielte Hilfen in den besonderen Problembereichen vorsieht. Auch der derzeitige Anwerbestopp führt zu dieser notwendigen Konsolidierung. Insbesondere sollen künftig die sozialen Voraussetzungen für die Anwerbung konkreter gefaßt und stärker kontrolliert werden. Dabei wird von dem Grundsatz ausgegangen, daß die Neuanwerbungen an die Aufnahmefähigkeit der Einrichtungen und Dienste der sozialen Infrastruktur angepaßt werden. 6448' Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 Umfassende und zuverlässige Angaben über den Fehlbestand der sozialen Infrastruktur fehlen weitgehend. Im Wohnungsbereich wird jedoch nach einer Schätzung des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit einem zusätzlichen Bedarf von etwa 150 000 Wohnungen für Ausländer und ihre Familien und von 100 000 Wohnungen für alleinstehende ausländische Arbeitnehmer gerechnet. Besondere Anstrengungen werden deshalb auf dem Wohnungssektor unternommen. So hat die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr für den Bau von Wohnungen, Unterkünften und Kindertagesstätten 28 Millionen DM aus ihrem Haushalt zur Verfügung gestellt. Insgesamt sind damit über 500 Millionen DM für die Unterbringung der ausländischen Arbeitnehmer von der Bundesanstalt für Arbeit bereitgestellt worden. Auch die Bundesregierung wird zusätzliche Mittel bereitstellen und vor allem der Modernisierung von Wohnungen ihre Aufmerksamkeit zuwenden. In diesem Zusammenhang werden zur Zeit gesetzliche Vorschriften vorbereitet, die eine Umwandlung von Wohnungen in gewerbsmäßig vermietete Schlafstätten überall dort unterbinden sollen, wo die ausreichende Wohnungsversorgung der Bevölkerung nicht sichergestellt ist. Hinweisen möchte ich schließlich noch auf das Gesetz über Mindestanforderungen an Unterkünfte, das die bisher fehlende gesetzliche Grundlage zur Kontrolle der Unterkünfte geschaffen hat. Die Bundesanstalt für Arbeit wird künftig vor der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer in jedem Einzelfall prüfen, ob eine angemessene Unterkunft vorhanden ist. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 25. April 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Pfeifer (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Fragen A 8 und 9) : Zu welchem genauen Termin gedenkt die Bundesregierung, die mehrfach angekündigte Enquete zur sozialen Situation der Künstler in der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen? Wie erklärt die Bundesregierung die zeitliche Verzögerung bei der Vorlage dieser Enquete? Zunächst darf ich auf meine Antworten an den Kollegen Lattmann vom 1. Februar 1973 und den Kollegen Dr. Riedl vom 7. November 1973 hinweisen, in denen als vermutlicher Vorlagetermin für den Bericht das Frühjahr 1974 genannt wurde. Aufgrund der damals bereits dargelegten Schwierigkeiten, zu denen vor allem die differenzierte Lage des Personenkreises, die Komplexität der Fragestellung sowie die Fülle des angefallenen Materials gehören, konnte das hiermit befaßte Forschungsinstitut die Arbeiten für sein Gutachten noch nicht in allen Teilen abschließen. Zur Zeit liegt das Gutachten nur für Teilbereiche vor. Aufgrund des Sachstandes der Arbeiten kann die Bundesregierung jedoch davon ausgehen, daß der erbetene Bericht im Laufe dieses Jahres vorgelegt werden kann. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rohde vom 23. April 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Evers (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Fragen A 10 und 11): Welche Pläne hat die Bundesregierung zur Einbeziehung der Leistungen aus der früheren Höherversicherung in die laufende Rentenanpassung? Ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag Vorschläge zur Dynamisierung der früheren Höherversicherung zu unterbreiten, um der laufenden Verminderung der realen Kaufkraft der Bezüge der Höherversicherung Rechnung zu tragen und um eine fortwährende Schlechterstellung der Bezieher von früheren Renten aus der Höherversicherung aufzufangen? Die Frage nach einer Änderung der geltenden Steigerungsbeträge für Beiträge zur Höherversicherung und nach einer Anpassung der Leistungen der Höherversicherung an die wirtschaftliche Entwicklung ist der Bundesregierung aus der sozialpolitischen Diskussion bekannt. Sie wird im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung geprüft. Wegen der Vielschichtigkeit der Problematik haben die Arbeiten bisher allerdings noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis geführt, das es der Bundesregierung schon jetzt ermöglichen würde, Änderungsvorschläge vorzulegen. Ich hoffe jedoch, daß die Vorarbeiten alsbald abgeschlossen werden können. Anlage 6 Antwort des Parl Staatssekretärs Rohde vom 23. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Zebisch (SPD) (Drucksache 7/2008 Frage A 12) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Bestimmungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, wonach nur abgeschlossene Fachschul- oder Hochschulausbildungszeiten als Ausfallzeiten angerechnet werden, vor allein Frauen benachteiligt werden, und was wird sie unternehmen, um auch in den Fällen einer abgebrochenen Fachschul- oder Hochschulausbildung Nachteile im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung zu vermeiden? Die Bundesregierung ist auf den von Ihnen angesprochenen Sachverhalt bereits in ihrem Bericht zu Fragen der Rentenversicherung eingegangen. Nach den Erfahrungen der Rentenpraxis dürfte allerdings der Grund dafür, daß bei den Frauen eine Ausbildungszeit bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt werden kann, letztlich oftmals darin bestehen, daß die erforderliche Halbbelegung nicht erreicht ist. Die Frage einer Gesetzesänderung, durch die die Anrechnung von Zeiten einer nicht abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung ermöglicht würde, ist anläßlich der Vorbereitung und der parlamentarischen Beratungen des Rentenreformgesetzes geprüft worden. Mit Rücksicht auf die nicht unerheblichen Mehraufwendungen, die eine solche Regelung verursachen würde, ist jedoch davon abgesehen worden, eine entsprechende Regelung in das Rentenreformgesetz aufzunehmen. Nunmehr sollen, bevor die vorliegende Frage erneut geprüft Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6449* werden kann, zunächst die finanziellen Auswirkungen des Rentenreformgesetzes sorgfältig analysiert werden. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Wittrock vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) (Drucksache 7/2008 Frage A 16) : Wie steht die Bundesregierung zu weiteren Vorschlägen zur Verminderung des Fluglärms, daß bei der Klärung von Fragen bei Neu- und Erweiterungsbauten unabhängige Gutachter, die auch die Probleme des Fluglärms miteinbeziehen, bestellt werden und daß bei der Zusammensetzung von Fluglärmkommissionen die betroffene Bevölkerung dort mit Mehrheit vertreten sein soll? Zum ersten Teil Ihrer Anfrage gehe ich davon aus, daß Sie Neu- und Erweiterungsbauten von Flughäfen meinen und nicht auch von Wohnhäusern, Schulen, Altenheimen etc. Auch in diesen Fällen könnte sich die Befassung eines Lärmgutachters oft in vielerlei Hinsicht segensreich für die Bauwilligen und ihre Mieter auswirken. Soweit es sich jedoch um genehmigungspflichtige Neu- und Erweiterungsbauten von Flughäfen handelt, darf ich auf § 40 Abs. 1 Nr. 10 der Luftverkehrs-Zulassungsordnung hinweisen. Hiernach muß der Antrag auf Erteilung der Genehmigung das Gutachten a) eines technischen Sachverständigen über das Ausmaß des Lärms, der in der Umgebung des Flughafens zu erwarten ist, und b) eines medizinischen Sachverständigen über die Auswirkung dieses Lärms auf die Bevölkerung enthalten. Die bislang tätig gewordenen Gutachter genießen im In- und Ausland einen guten Ruf. An der Objektivität ihrer Gutachten bestehen seitens der Genehmigungsbehörden keine Zweifel. Zum zweiten Teil Ihrer Anfrage verweise ich auf § 32 b Abs. 4 und 5 des Luftverkehrsgesetzes. Dort ist gesagt, daß der Fluglärm-Kommission an einem Flughafen unter anderem Vertreter der vom Fluglärm betroffenen Gemeinden angehören sollen. Insgesamt sollen aber nicht mehr als 15 Mitglieder die Kommission bilden. Die Mitglieder werden von den zuständigen Genehmigungsbehörden der Länder in eigener Zuständigkeit berufen. — Die Bundesregierung beobachtet mit Interesse die Arbeit der Kommission. Sie ist gegebenenfalls bereit, die Erfahrungen mit der Arbeit der Kommission in geeigneter Weise auszuwerten. In einigen Kommissionen haben aufgrund der örtlichen Verhältnisse die Gemeindevertreter eine Mehrheit. Die Zusammensetzung der Kommissionen entzieht sich jedoch der Einflußnahme der Bundesregierung. Anlage 8 Antwort des Bundesministers Jahn vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Kiechle (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008, Frage A 40) : Treffen Pressemeldungen zu, nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung habe volles Vertrauen zur deutschen Justiz, und welche Schlüsse zieht die Bundesregierung — bejahendenfalls — oder für den Fall, daß ähnliche Erkenntnisse vorliegen — daraus, ist sie insbesondere der Auffassung, daß zu komplizierte Regelungen sowie Ausgestaltung und Handhabung des Verfahrensrechts zu oft in der Bevölkerung den Eindruck erwecken, man könne sich leichter seinen Pflichten entziehen als zu seinen Rechten kommen? Die von Ihnen genannten Pressemeldungen gehen auf eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zurück. Bei dieser Umfrage wurde rund 1 000 Personen die Frage gestellt: Einmal ganz allgemein gefragt: Kann man zur deutschen Justiz, also zu den Richtern und deutschen Gerichten, volles Vertrauen haben oder kein volles Vertrauen? Hierauf haben 32% der Befragten geantwortet, sie hätten volles Vertrauen, ebenfalls 32 %, sie hätten kein volles Vertrauen und 30% haben sich für die Antwort „teils, teils", entschieden, bei 6 % Unentschiedenen. Dies zum tatsächlichen Hintergrund der in der Anfrage erwähnten Pressemeldungen. Ich darf — um eine Vergleichszahl zu nennen — hinzufügen, daß eine inhaltsgleiche Umfrage im November 1964 lediglich bei 26 % der Befragten die Antwort „volles Vertrauen" ergeben hat; mit „kein volles Vertrauen" antworteten damals 28 % und mit „teils, teils" 30% der Befragten. 16 % konnten sich nicht entscheiden. Für die Beurteilung der Bedeutung dieser Ergebnisse erscheint mir auch ein Hinweis auf die Allgemeinheit der Fragestellung wichtig. Sie läßt schon dann kein uneingeschränkt positives Ergebnis mehr erwarten, wenn der Befragte irgendwelche — möglicherweise auch sachlich gar nicht zu begründende — Ressentiments gegen die Justiz hat. Unabhängig von der hier angesprochenen Umfrage betrachtet es die Bundesregierung als wichtiges Ziel ihrer rechtspolitischen Vorstellungen, das Vertrauen der Bürger in die Justiz zu stärken. Sie verfolgt dieses Ziel in dem von Ihnen angesprochenen zivilrechtlichen Bereich mit konkreten Vorhaben auf dem Gebiet des materiellen Rechts, des Verfahrensrechts und auch des Gerichtsverfassungsrechts. Ich nenne hier nur die in Angriff genommene Neuregelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Überlegungen zur Beseitigung der oft als „Rechtswegsperre" bezeichneten finanziellen Hindernisse für wirtschaftlich minderbemittelte Bevölkerungskreise bei der gerichtlichen Verfolgung ihrer Rechte, die Bemühungen, eine Verbesserung des außergerichtlichen Rechtsschutzes zu erreichen, und schließlich die Planungen im Hinblick auf einen effektiven, heutigen Erfordernissen entsprechenden Gerichtsaufbau. Ich bin — sicherlich in Übereinstimmung mit Ihnen — der Auffassung, daß unnötig komplizierte Regelungen, insbesondere auch des Verfahrensrechts, die Rechtsverfolgung erschweren. Derartige Erschwernisse sind nach Kräften zu vermeiden, was freilich zuerst eine Mahnung an den Gesetzgeber ist. In diesem Zusammenhang sei andererseits auch darauf hingewiesen, daß in der Rechtsfremdheit weiter Kreise der Bevölkerung ein sehr erheblicher 6450* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 Grund für ein oft getrübtes Bild von der Justiz liegt. Hier müßten schon in den Schulen verstärkt Grundlagen geschaffen werden. Was die schließlich von Ihnen angesprochene Handhabung des Verfahrensrechts anbetrifft, kann seitens der Bundesregierung nur auf die Unabhängigkeit der Richter verwiesen werden, was selbstverständlich aber nicht ausschließt, bei Gesetzesänderungen Erfahrungen mit der gerichtlichen Praxis zu berücksichtigen. Anlage 9 Antwort des Bundesministers Jahn vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Spranger (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 41) : Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus der am 21. März 1974 in der „Neue-Ruhr-Zeitung" veröffentlichten Umfrage des Wickert-Instituts in Tübingen ziehen, der zufolge 68 °/o der Befragten mit der Verbrechensbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland unzufrieden sind, und wird die Bundesregierung insbesondere nunmehr den Entwurf zur Änderung des Strafvollzugs einer Änderung im Sinne der Vorstellungen des Bundesrats unterziehen? Die Frage enthält zwei Aspekte: einen generellen zur Verbrechensbekämpfung und einen speziellen zum Strafvollzugsgesetz. Zunächst zu dem generellen Aspekt: Die Meinungsäußerungen zu der Umfrage des Instituts sind nicht uninteressant. Wegen der vagen Fragestellung haben sie allerdings nur einen begrenzten Aussagewert. Es läßt sich nicht feststellen, was im einzelnen und wen die Befragten haben kritisieren wollen. Die Verbrechensbekämpfung ist in der Bundesrepublik im Prinzip Sache der Länder; bei diesen liegt, von bedeutenden Staatsschutzsachen abgesehen, die Polizei- und Justizhoheit. Die Bundesregierung hat indes durch ihre entschiedene und gezielte Förderung des gemeinsam mit den Ländern erarbeiteten Programms für die Innere Sicherheit in der Bundesrepublik deutlich gemacht, welch hohen Rang sie einer wirkungsvollen Verbrechensbekämpfung beimißt. Das 1973 geänderte Gesetz über die Einrichtung des Bundeskriminalamtes sieht vor, daß diese Dienststelle neben ihrer zentralen Hilfsfunktion für landespolizeiliche Arbeit von den Ländern unmittelbar für die repressive Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden kann. Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können die Länder das Polizeipotential des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung ihrer eigenen Polizeikräfte anfordern. Die Bundesregierung hat durch organisatorische und Haushaltsmaßnahmen sichergestellt, daß das Bundeskriminalamt und der Bundesgrenzschutz die ihnen übertragenen Aufgaben jederzeit erfüllen können. Das Haushaltsvolumen des Bundeskriminalamtes ist heute mit 123,9 Millionen DM nahezu sechsmal so groß wie im Jahre 1969. Nach Verabschiedung des Haushalts 1974 werden im Bundeskriminalamt 2 212 Stellen gegenüber 933 Stellen im Jahre 1969 zur Verfügung stehen. Zum Strafverfahrensrecht liegt dem Hohen Hause seit Beginn dieser Legislaturperiode der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vor. Der Entwurf will vor allem eine zügigere und dabei gründlichere Führung des Ermittlungsverfahrens ermöglichen. Damit können — ein wesentlicher Beitrag zur wirkungsvollen Verbrechensbekämpfung — die Strafverfahren insgesamt schneller abgeschlossen werden. Im Bundesministerium der Justiz wird zur Zeit ein Gesetzgebungsvorhaben vorbereitet, durch das eine umfassendere und wirksamere Strafverfolgung in Fällen der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates ermöglicht werden soll. Die Bundesanwaltschaft soll auch auf diesem Gebiet des Staatsschutzes die Aufgabe einer zentralen Ermittlungsbehörde des Bundes erhalten. Die Bundesregierung wird mit diesem Entwurf zur weiteren Stärkung der Inneren Sicherheit beitragen. Zum zweiten Teil der Frage: Der Strafvollzug muß zur Verbrechensbekämpfung durch eine Verminderung der Rückfallkriminalität beitragen. Das kann der Strafvollzug nach Auffassung der Bundesregierung am wirksamsten, wenn er durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung in die Lage versetzt wird, dem einzelnen Gefangenen zu helfen, sich aus kriminellen Neigungen zu befreien. Dieser Auffassung hat der Bundesrat in § 2 Abs. 2 Satz 1 seines Änderungsvorschlages zu § 2 des Regierungsentwurfs zugestimmt. Die weitergehenden Vorschläge des Bundesrates, die darauf hinauslaufen, der kriminalitätsmindernden Behandlung Vorrang vor dem Schutz der Allgemeinheit einzuräumen und die im Strafvollzug anzuwendenden Behandlungsmethoden auf die Erlangung der Unrechts- und Schuldeinsicht einzuengen, lehnt die Bundesregierung ab. Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten muß während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe durch die sichere Unterbringung des Gefangenen gewährleistet werden. Unterbringung in einer offenen Anstalt, Urlaub aus der Haft und andere Lockerungen dürfen nach dem Regierungsentwurf deshalb nur angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene eine weitere Straftat begehen oder sich dem Vollzug durch Flucht entziehen wird. Der Regierungsentwurf trägt dem Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit hierdurch besser Rechnung als der Vorschlag des Bundesrates. Abweichend von dem Vorschlag des Bundesrates ist die Bundesregierung weiter der Auffassung, daß die im Strafvollzug anzuwendenden Behandlungsmethoden nicht unnötig auf die Erlangung der Unrechts- und Schuldeinsicht eingeengt werden dürfen. Der Regierungsentwurf läßt durchaus die Möglichkeit offen, die Gewinnung von Unrechtseinsicht zum Ziel der Behandlung zu machen, wenn dies im Einzelfall Erfolg verspricht. Die Vollzugsbehörden sollen aber nicht gezwungen sein, in dieser Weise behandeln zu müssen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25, April 1974 6451* Sofern das Ergebnis der Meinungsumfrage durch den Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes überhaupt mitbeeinflußt ist, kann es nur darauf zurückzuführen sein, daß die Vorstellungen der Bundesregierung über einen wirksamen Strafvollzug nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Anlage 10 Antwort des Bundesministers Jahn vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Wittmann (München) (Drucksache 7/2008 Frage A 42) : Kann die Bundesregierung dartun, welche konkreten Straftaten auf Grund der tschechoslowakischen Strafgesetzgebung nadi dem Brief der tschechoslowakischen Regierung zu Fragen der Strafverfolgung noch einer Verfolgung durch die tschechoslowakischen Behörden unterliegen? Zur Bedeutung des einseitigen tschechoslowakischen Briefs über Fragen der Strafverfolgung sind in der Denkschrift zu dem Vertrag schon die erforderlichen Ausführungen gemacht worden. Die komplizierten Zusammenhänge des tschechoslowakischen Rechts jetzt im einzelnen darzulegen, würde den Rahmen dieses Schreibens sprengen, zumal dazu demnächst im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages Gelegenheit zu eingehender Erörterung besteht. Ihre Frage ist im Ergebnis dahin zu beantworten, daß hier praktisch zwei Straftatbestände in Betracht kommen: Nämlich der Tatbestand des Mordes gemäß § 219 des tschechoslowakischen Strafgesetzbuchs und der Fall der Herbeiführung einer Gemeingefahr mit Todesfolge gemäß § i79 Absatz 3 des tschechoslowakischen Strafgesetzbuchs. In dieser Weise ist auch bei den Vertragsverhandlungen von seiten der tschechoslowakischen Delegation die praktische Tragweite der Aussage des Briefes über die Nichtverjährbarkeit bestimmter Taten erläutert worden. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Fiebig (SPD) (Drucksache 7/2008 Frage A 53) : Beabsichtigt die Bundesregierung, in absehbarer Zeit die Rechtsform „bergrechtliche Gewerkschaft" im Aktienrecht abzuschaffen, die den heute gültigen Ansichten über Transparenz der Führungsstrukturen insofern diametral entgegensteht, als zum einen selbst bei umsatz- und belegschaftsstarken Unternehmen kaum Möglichkeiten einer Mitsprache weder der Arbeitnehmer noch der Kuxeninhaber bestehen, und zum anderen auch der Erwerb von Beteiligungen oder sogar Tochterfirmen in recht undurchsichtiger Weise möglich zu sein scheint? Das Recht der bergrechtlichen Gewerkschaft ist nicht im Aktienrecht, sondern in den Berggesetzen der Länder geregelt. Die Bundesregierung beabsichtigt aber, mit dem Entwurf eines Bundesberggesetzes das Bergrecht in der Bundesrepublik erstmals zu vereinheitlichen und neu zu ordnen. Im Rahmen dieses Reformvorhabens ist u. a. auch die Abschaffung der bergrechtlichen Gewerkschaft als besonderer Rechtsform des Gesellschaftsrechts vorgesehen. Den bestehenden Gewerkschaften wird dabei allerdings eine angemessene Übergangszeit für die erforderlichen Umwandlungs- oder Auflösungsmaßnahmen einzuräumen sein. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) (Drucksache 7/2008 Frage A 58) : Wird die Bundesregierung zur vollen Ausnutzung der technischen Möglichkeiten für die Entwicklung leiserer Fluggeräte das Projekt Europlane weiterführen? Das von Ihnen erwähnte Projekt „EUROPLANE" hat bisher keine Förderungsmittel vom Bund erhalten. Die Planungen der Industrie in den beteiligten europäischen Ländern zu „EUROPLANE" sind derzeit so wenig konkretisiert, daß für Überlegungen der Bundesregierung über eine eventuelle Förderung die Grundlage fehlt. Im übrigen leistet die Bundesregierung bereits durch finanzielle Unterstützung für den europäischen Airbus A 300, der sich durch einen erfreulich niedrigen Lärmpegel beim Betrieb auszeichnet, u. a. auch einen Beitrag zum Umweltschutz. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Franz (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 59): Trifft die Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 16. April 1974 zu, nach Aussage des türkischen Außenministers erwäge der Schah des Iran für den Pipelinetransport iranischen Erdgases nach Deutschland zwei Trassenführungen durch die Türkei, und wie vereinbart die Bundesregierung dies — bejahendenfalls — mit ihren Äußerungen, es käme ein Transport durch sowjetisches Gebiet in Frage? Die Meldung der FAZ ist unvollständig. Nach den Vorstellungen des Iran sollen etwa ein Viertel des Erdgases über die UdSSR, drei Viertel über die Türkei nach Westeuropa transportiert werden. Beide Projekte schließen sich nicht gegenseitig aus. Hinsichtlich des Transportweges über die UdSSR hat sich der Iran bereit erklärt, die für die Bundesrepublik vorgesehenen Mengen bereitzustellen. Auch die Sowjetunion steht dem Projekt positiv gegenüber, so daß konkrete Verhandlungen über die Transportbedingungen demnächst beginnen können. 6452* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 Das Projekt eines Transportes über die Türkei wird unter der Federführung der italienischen Staatsgesellschaft ENI von einem Konsortium betrieben, dem außerdem die Gaz de France und die Ruhrgas AG zu gleichen Teilen angehören. Verhandlungen zwischen den beteiligten Regierungen und Unternehmen sollen in Kürze aufgenommen werden. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schedl (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 71) : Sind dem Bundeskartellamt von seiten der Bundesregierung zu dem neuesten Vorgehen gegen Mineralölkonzerne offizielle oder inoffizielle, schriftliche oder mündliche Anregungen, Hinweise oder Empfehlungen gegeben worden, und, wenn ja, von wem und mit welchem Inhalt? Nein, Herr Kollege, Anregungen, Hinweise oder Empfehlungen, die -- wie Ihre Frage möglicherweise unterstellt — direkt oder indirekt den Charakter einer Weisung gehabt hätten, sind nicht gegeben worden. Natürlich stehen die Beamten der dafür zuständigen Wettbewerbsreferate des Bundesministeriums für Wirtschaft -- wie sonst auch — laufend in informellem Kontakt mit ihren Kollegen im Kartellamt. Das ist — wie ich meine — ihre Pflicht. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 25. April 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Handlos (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Fragen A 79 und 80) : Stimmt es, daß die in dem am 23./24. Februar 1974 im Bonner Generalanzeiger unter der Überschrift „Der Bund rief und einige Reservisten kamen auch" aufgezeigten Mängel im Zusammenhang mit einer Mobilmachungsübung einer Kompanie des Territorialheeres zutreffen? Inwieweit sind die in dem vorgenannten Artikel aufgezeigten Mängel symptomatisch für den gesamten Bereich der Streitkräfte, und was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um insbesondere die Einberufung von Führungs- und Funktionspersonal der Geräteeinheiten bei Übungen durchzusetzen und eine ATNgerechte Mob-Einplanung dieser Reservisten zu gewährleisten? Zu Frage A 79: Die Angaben in dem von Ihnen zitierten Artikel treffen zum Teil zu. Richtig ist, daß die Präsenz der übenden Reservisten, vor allem die der Offiziere nicht befriedigend war. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, — und darauf muß ich ausdrücklich hinweisen —, daß von der gesamten Zahl der zur Übung einberufenen Reservisten 7 Offiziere 20 Unteroffiziere und 40 Mannschaften aufgrund des Wehrpflichtgesetzes vom Kreiswehrersatzamt zurückgestellt wurden. Die übrigen Reservisten folgten ihrer Einberufung ohne Ausnahme. Zu den in dem Artikel genannten materiellen Mängeln muß ich feststellen: — Die Kraftfahrzeuge wurden vor der Übung auf Betriebs- und Verkehrssicherheit überprüft; die Funkgeräte auf ihre Funktionsfähigkeit. Dabei ergaben sich keine Beanstandungen. — Das Geschäftszimmer wurde mit einem Büroartikelsatz und mit Büroverbrauchsmaterial vollständig ausgestattet. Die Schreibmaschine war zwar ein altes Modell, aber funktionsfähig. Die Benutzung einer unaufgefordert mitgebrachten eigenen Maschine durch einen Reservisten war freiwillig. - Beförderungsurkunden wurden in keinem Fall auf Rückseiten von Geländekarten geschrieben. Zu Frage A 80: Ich erwähnte bereits in meiner Antwort auf Ihre erste Frage die Zurückstellung nach dem Wehrpflichtgesetz. Hierdurch und auch durch die starke Fluktuation der Reservisten werden Wehrübungen naturgemäß beeinflußt. Sie können jedoch versichert sein, daß die Truppe und die Wehrersatzbehörden ständig bemüht sind, den Belangen des einzelnen als auch den Anforderungen der Truppe bei Wehrübungen gerecht zu werden. Hierzu gehört auch eine ATN-gerechte Mob-Einplanung. Grenzen werden diesen Bemühungen jedoch immer dort gesetzt sein, wo dem Bedarf der Truppe — auch im vertretbaren überörtlichen Ausgleich — kein entsprechendes Aufkommen an Reservisten gegenübersteht. . Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Ey (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 81) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Zuge der Harmonisierung der EG-Vorschriften mit der Begründung der Natoeinheitlichkeit die Verstärkung der Anhängerkupplungen von 40 mm auf 50 mm Innendurchmesser vorgeschrieben wurde, daß aber gleichzeitig vor ca. 11/2 Jahren im Rahmen einer technischen Anweisung bei der deutschen Bundeswehr die Umrüstung der Anhängevorrichtungen von bisher 50 mm-Nato-Norm auf 40 mm gewerhliche Norm angeordnet wurde, und gedenkt sie eine Änderung vorzunehmen? Lassen Sie mich mit dem 2. Teil Ihrer Frage beginnen. Es trifft zu, daß etwa im Jahre 1970 die 2-RadAnhänger (1,5 Tonnen) der Bundeswehr umgerüstet wurden, um ihre Verwendung auch im zivilen Bereich zu ermöglichen. Diese Umrüstung bezog sich jedoch nicht nur auf die Anhängerkupplung. Dem Bundesministerium der Verteidigung, --- und damit komme ich zum 1. Teil Ihrer Frage —, ist nicht bekannt, daß aufgrund der Harmonisierung der Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6453* EG-Vorschriften eine Verstärkung der Anhängerkupplungen vorgeschrieben wurde. Ich kann aus meiner Kenntnis hier und heute nur sagen, daß die Bundeswehr keine Änderung beabsichtigt. Lassen Sie mich bitte noch folgendes sagen. Anhängerkupplungen bestehen ja wohl — grob gesagt — aus Haken und Osen. Der Begriff „Haken und Ösen" ist mir natürlich bekannt, wobei ich jetzt nicht nur als Parlamentarier spreche. Ich habe hier vor mir Zeichnungen über die NATO-Ausführung der Kupplungsöse; ich habe mich auch vertraut gemacht mit den zivilen Vorschriften über die Abmessungen der Kupplungsstücke für Anhängevorrichtungen für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland, für den grenzüberschreitenden Verkehr und für die Europa-Ausführung. Ich gebe zu, es hat mich Mühe gekostet. Trotz meiner jetzt sicherlich „profunden" Sachkenntnis mag ich bei meiner Antwort jedoch etwas übersehen haben. Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie mir, sofern diese Auskunft nicht Ihrem Erkenntnisstand entspricht, Ihre Unterlagen zur Verfügung stellen würden. Die Angelegenheit wird dann von den zuständigen Referaten des Bundesministeriums der Verteidigung noch einmal überprüft, ich werde Ihnen dann einen entsprechenden Brief schreiben. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 82) : Wie beurteilt die Bundesregierung die in dem von dein Medizin-Journalisten Kurt Blüchel in seinem dieser Tage bei Bertelsmann erschienenen Buch „Die weißen Magier" aufgestellten Behauptungen, wonach in der Bundesrepublik Deutschland Patienten im Zusammenspiel von Ärzten und Arzneimittelindustrie als „Versuchskaninchen" bei der Erprobung von Medikamenten verwendet werden sollen, und trifft insbesondere die in der „Abendzeitung" vom 2. April 1974 in diesem Zusammenhang gemachte Mitteilung zu, wonach ausländische Medikamentenhersteller die Arzneimittel — die im eigenen Land nicht verkauft werden können, weil die strengeren Sicherheitsbestimmungen nicht erfüllt waren -- in der „Versuchsklinik" Bundesrepublik Deutschland registrieren lassen? Die Behauptung, daß in der Bundesrepublik Deutschland Patienten im Zusammenspiel von Ärzten und Arzneimittelindustrie als „Versuchskaninchen" bei der Erprobung von Medikamenten verwendet werden sollen, ist sachlich falsch. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat im Juni 1971 die Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln veröffentlicht. Darin werden u. a. auch die Erfordernisse der klinischen Erprobung von neuen Arzneimitteln für die Bundesrepublik Deutschland eindeutig beschrieben. So heißt es im 2. Teil dieser Richtlinie: „Diesen Untersuchungen haben ausreichende pharmakologische und toxikologische Versuche nach Maßgabe des 1. Teils dieser Richtlinie voranzugehen. Der Hersteller hat dem Kliniker die Unterlagen über diese Versuche zur Verfügung zu stellen. Der Kliniker muß sich vor der Anwendung des Arzneimittels am Menschen über die gewonnenen Ergebnisse unter Berücksichtigung möglicher Indikationen und Kontraindikationen von einem Spezialisten in Pharmakologie oder einem Spezialisten des dem neuen Arzneimittel entsprechenden Fachgebietes ausführlich und vollständig unterrichten lassen, um das Risiko für den Menschen beurteilen zu können." Die hier zitierten Prüfungsvorschriften sollen die unsachgemäße Anwendung neu zu prüfender Arzneimittel am Patienten verhindern. Zusammen mit ihnen wurde die Deklaration von Helsinki bekanntgegeben, in der die Prinzipien beschrieben sind, nach denen klinische Forschungen durchgeführt werden sollen. Die Bezeichnung der Patienten in der Bundesrepublik Deutschland als „Versuchskaninchen" halte ich daher nicht für gerechtfertigt. Zu der Mitteilung in der „Abendzeitung", daß Arzneimittel, die in einem anderen Land nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, weil dort strengere Sicherheitsbestimmungen bestehen als in der Bundesrepublik Deutschland, möchte ich feststellen, daß sie, sofern es sich um neue Stoffe mit in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannter Wirksamkeit handelt, auch in der Bundesrepublik Deutschland erst nach eingehender tierexperimenteller und klinischer Prüfung beim Bundesgesundheitsamt registriert werden. Das gilt auch für Arzneimittel-Kombinationen aus bekannten Stoffen, wenn die Wirksamkeit dieser Kombinationen nicht bekannt oder vorhersehbar ist. Die von mir bereits zitierte Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln, die hier Anwendung findet, stimmt in den wesentlichen Punkten mit den Bestimmungen anderer Länder überein. Abschließend möchte ich betonen, daß die Registrierung eines neuen Arzneimittels, das im Hinblick aus mögliche schädliche Wirkungen den derzeitigen Anforderungen der medizinischen Wissenschaft nicht entspricht, beim Bundesgesundheitsamt ausgeschlossen ist. Jede zur Registrierung neu angemeldete Arzneispezialität wird von medizinischen und pharmazeutischen Sachverständigen des Bundesgesundheitsamtes im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und Unschädlichkeit beurteilt, ehe ihre Registrierung erfolgt. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau Schleicher (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 83) : Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das Deutsche Herzzentrum in München deutlich zeigt, „daß die moderne Medizin keineswegs die heute meist üblichen geradezu verschwenderischen Prachtbauten erfordert" und eine derartige Einrichtung auch in anderen Bundesländern erwünscht ist, und welche konkreten Planungen und Überlegungen werden in den anderen Bundesländern in dieser Hinsicht angestellt? 6454* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 Die Bundesregierung begrüßt die Erstellung des Deutschen Herzzentrums in München, das den Mangel an Behandlungsstätten für Herzkranke in der Bundesrepublik mindert. In der schriftlichen Antwort auf die Frage des Abgeordneten Dr. Haack (vgl. BT-Drucksache VI/ 1129, Frage Nr. 135) vom 11. September 1970 hatte der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit bereits darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung nur sehr begrenzte Möglichkeiten einer Einflußnahme auf die Schaffung und die Erweiterung leistungsfähiger Herzzentren hat, da für die Einrichtung und Unterhaltung von Operationszentren die Länder zuständig sind. Dennoch hat sich das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in der Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder seit Mitte der 60er Jahre für gemeinsame Anstrengungen der Länder zugunsten operationsbedürftiger Herzkranker in der Bundesrepublik eingesetzt. Die Gesundheitsministerkonferenz hat auf ihrer 29. Sitzung am 17. und 18. Mai 1972 in Berlin in einer Entschließung zur Einrichtung von Zentren für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie festgestellt, daß Einrichtungen mit gemeinsamen Einheiten für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie sinnvoll seien. Zu ihren Aufgaben gehöre die operative Versorgung der Bevölkerung mit der prä-, intra- und postoperativen Betreuung einschließlich der notwendigen diagnostischen Eingriffe, die Weiterbildung des wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Personals sowie Forschung und Lehre. Im Hinblick auf andere mögliche Auffassungen weist die Gesundheitsministerkonferenz darauf hin, daß auf von dieser Konzeption abweichende Modellversuche nicht verzichtet werden sollte. Die Versorgung der Bevölkerung erfordere für drei Millionen Einwohner je eine Abteilung für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Damit sei in der Bundesrepublik Deutschland der Ausbau von etwa 20 Abteilungen anzustreben. Im Vordergrund des notwendigen Ausbaus von herzchirurgischen Abteilungen stehe neben dem räumlichen und apparativen Problem vor allem das Personal-Problem., Die Gesundheitsministerkonferenz wird in ihrer 33. Sitzung am 16./17. Mai 1974 in Berlin erneut über die Einrichtung von Herzoperationszentren beraten. Bei diesen Beratungen wird auch das Beispiel des Deutschen Herzzentrums in München in die Erörterung einbezogen werden. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Westphal vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Enders (SPD) (Drucksache 7/2008 Frage A 84) : Wieviel Auslandsfahrten von Jugendgruppen werden im Jahr 1974 über die Deutsche Sportjugend finanziell unterstützt, und welche Bundesmittel wären erforderlich, um alle Anträge berücksichtigen zu können? Die Deutsche Sportjugend hat für das Haushaltsjahr 1974 (25. Bundesjugendplan) einen Sammelantrag zur Förderung internationaler Jugendgruppenbegegnungen in Höhe von 4 151 384,— DM vorgelegt. Dieser Antrag umfaßt 317 in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehene Maßnahmen mit einem Zuwendungsbetrag von 1 531 351,— DM und 733 im Ausland vorgesehene Maßnahmen mit einem Zuwendungsbetrag von 2 620 033,— DM. Der für die Deutsche Sportjugend in diesem Haushaltsjahr zur Förderung internationaler Jugendgruppenbegegnungen im Rahmen der vorhandenen Bundesjugendplan-Mitteln vorgesehene Förderungsbetrag beläuft sich, vorbehaltlich der Verabschiedung des Haushaltes durch den Deutschen Bundestag, auf 1 700 000,— DM. Die Deutsche Sportjugend wird, wie in den früheren Jahren, die ihr vorliegenden Einzelanträge entsprechend den Richtlinien des Bundesjugendplanes überprüfen und die Entscheidungen im Rahmen der genannten Förderungssumme selbst treffen. Seit Jahren melden sowohl die Deutsche Sportjugend als auch die anderen zentralen Jugendorganisationen einen höheren Bedarf an Förderungsmitteln an, als im Bundesjugendplan zur Verfügung stehen; jedoch wird es sich leider nicht erreichen lassen, daß die beantragten Summen und die durch die Bewilligung des Deutschen Bundestages zur Verfügung stehenden Mittel deckungsgleich sein werden. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 85) : Wieviel Fälle der Einreiseverweigerung in die DDR sind der Bundesregierung mit der Begründung „Bezugnehmend auf den von Ihnen gestellten Antrag für einen Tagesaufenthalt aus touristischen Gründen in den in der Anordnung vom 17. Oktober 1972 über Einreisen von Bürgern der BRD in die DDR festgelegten Kreisen der Deutschen Demokratischen Republik wird mitgeteilt, daß diesem nicht entsprochen werden kann, da die Antragstellung nicht den Festlegungen der vorstehenden Rechtsvorschrift entspricht" bekanntgeworden, und was ist unter den Festlegungen der angesprochenen Rechtsvorschrift zu verstehen? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, wieviel von Bürgern der Bundesrepublik Deutschland gestellte Reiseanträge zu Tagesaufenthalten in grenznahen Kreisen der DDR mit der in Ihrer Anfrage angeführten Begründung von den DDR-Behörden abgelehnt worden sind. Alle Erkenntnisse der Bundesregierung hierzu beruhen auf Einzelschreiben von Bürgern, die sich hin und wieder mit Eingaben oder Beschwerden über Schwierigkeiten im grenznahen Verkehr an die Bundesregierung gewandt haben. Dabei teilten die Einsender oft nicht mit, ob und gegebenenfalls welche Gründe von den DDR-Behörden für eine Ablehnung eines Reiseantrages gegeben wurden. Bei einer Gesamtzahl von 238 300 Reisenden in grenznahe Kreise der DDR von der Einführung des grenznahen Reiseverkehrs im Juli Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6455* 1973 bis einschließlich März 1974 gab es bisher nur die geringe Zahl von weniger als 50 derartigen Beschwerden. Was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft, so sind in der Anordnung der DDR vom 17. Oktober 1972 in der Fassung vom 14. Juni 1973 die Einzelheiten der Voraussetzungen und der Durchführung von Reisen zu Tagesaufenthalten in grenznahe Kreise der DDR geregelt. Diese Bestimmungen sind in dem von meinem Hause in großer Zahl verbreiteten Merkblatt über „Reisen in die DDR mit Tagesaufenthalten im grenznahen Bereich usw." auf den Seiten 33-36 abgedruckt. Reiseanträge entsprechen diesen Bestimmungen häufig deshalb nicht, weil die Anträge nicht in doppelter Form oder nicht vollständig ausgefüllt eingereicht werden. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold vom 25. April 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Fragen A 88 und 89) : Welche Entwicklung hat die Zahl der Besucher an der Zonengrenze (getrennt nach Deutschen und Ausländern) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in den letzten fünf Jahren genommen? Wie hoch sind in den letzten fünf Jahren die von Bund und Ländern gewährten Zuschüsse für Besucher an die Zonengrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gewesen (getrennt nach Deutschen und Ausländern)? Zu Frage A 88: Die Zahl der Besucher an der Grenze zur DDR hat in den letzten Jahren insgesamt gesehen zugenommen; lediglich in den beiden letzten Jahren war eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen. Die Begründung liegt für das Jahr 1972 in der verspäteten Verabschiedung des Haushaltsgesetzes, mit der Folge, daß bei Zusagen für die Förderung der Anträge nur zurückhaltend reagiert werden konnte. Der Rückgang im Jahr 1973 lag in der konjunkturpolitisch notwendigen restriktiven Freigabe der Mittel durch den Bundesminister der Finanzen begründet; die für den letzten Monate freigegebenen Mittel konnten nicht mehr voll für die Förderung eingesetzt werden. Insgesamt haben von 1969 bis zum Jahresende 1973 mehr als 250 000 Besucher die Informationsstellen im Grenzbereich zur DDR besucht. Auf die Aufschlüsselung dieser Zahl auf Deutsche und Ausländer darf ich bei der Beantwortung Ihrer 2. Frage eingehen. In diesem Zusammenhang darf ich anmerken, daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen ab 1. 1. 1972 im Einvernehmen mit allen Bundesländern gemeinsam praktizierte Verwaltungsvorschriften an die Stelle der früheren unterschiedlichen Förderungsbestimmungen gesetzt hat, so daß seit diesem Termin eine einheitliche Förderung für Jugendliche (bis zu 25 Jahren) und Erwachsene wie auch für ausländische Besucher gewährleistet ist. Weiter ist hervorzuheben, daß die Bundesländer auf Initiative des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen Eigenbeträge in ihre Landeshaushalte eingesetzt haben. Zu Frage A 89: Insgesamt sind vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen nachfolgende Beträge für den genannten Zweck verausgabt worden: Erwachsene 1969: 712 Gruppen 43 087 Personen 535 863,— DM 1970: 1079 Gruppen 66 708 Personen 752 493,— DM 1971: 1200 Gruppen 65 414 Personen 949 387,— DM 1972: 570 Gruppen 33 378 Personen 486 454,— DM 1973: 491 Gruppen 30 077 Personen 409 485,— DM Jugendliche 1972: 413 Gruppen 14 844 Personen 212 787,— DM 1973: Genaue Zahlen liegen von den Ländern noch nicht vor, es dürfte sich aber um rd. 15 000 Besucher handeln. 298 330,— DM Ausländergruppen sind von meinem Hause in der Hauptsache im Bereich des Landes Niedersachsen — wie folgt — gefördert worden: 1970: 47 Gruppen mit 1 432 Ausländern 1971: 61 Gruppen mit 1 846 Ausländern 1972: 82 Gruppen mit 3 019 Ausländern 1973: 93 Gruppen mit 3 085 Ausländern Von den Ländern wurden seit 1972 insgesamt rd. 150 000,— DM eingesetzt. Das Jahr 1974 zeigt eine erfreuliche Steigerung der Förderungsanträge, deren positive Behandlung dadurch gewährleistet ist, daß das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen vom Bundesminister der Finanzen bereits kurz nach Jahresbeginn eine 95%ige Freigabe des Haushaltsansatzes in Höhe von rd. 800 000,— DM erreichen konnte. Inwieweit das AA, das BPA bzw. InterNationes Grenzreisen zur Information von Ausländern durchgeführt haben, ist mir nicht bekannt. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Freiher Spies von Büllesheim (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 90) : Welche Forschungsvorhaben zur Urangewinnung aus Meerwasser fördert zur Zeit die Bundesregierung, und ist sie bereit, in einem koordinierten Forschungsprogramm die Urangewinnung aus Meerwasser systematisch vorwärtszutreiben? Mit den Fragen der Urangewinnung aus Meerwasser haben sich in der BRD bisher im wesentli- 6456* Deutscher Bundestag — 7, Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 chen die Bundesanstalt für Bodenforschung, die Kernforschungsanlage Jülich und die Fa. Krupp in Essen befaßt. Die Untersuchungen bei der Fa. Krupp ergaben jedoch, daß mit einer wirtschaftlichen Gewinnung von Uran aus Meerwasser hei den heutigen Uranpreisen und der zu erwartenden Preisentwicklung in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann. Eine Vertiefung der begonnenen Untersuchungen in Zusammenarbeit mit anderen auf diesem Gebiet tätigen Ländern wird angestrebt. Erste Kontakte mit der UKAEA (United Kingdom Atomic Energy Authority) wurden aufgenommen. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 25. April 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Hölscher (FDP) (Drucksache 7/2008 Fragen A 91 und 92) : Ist die Bundesregierung bereit, Nachtpostflüge einzustellen und die Beförderung von Postsendungen wieder der Deutschen Bundesbahn zu übertragen, um sowohl die Nachtruhe der Menschen im Einzugsbereich von Flughäfen zu schützen als anch zu einer Rentabilitätsverbesserung der Deutschen Bundespost beizutragen? Ist die Bundesregierung bereit, für den Fall, daß eine sofortige Einstellung der Nachtpostflüge nicht durchführbar ist, dahin gehend auf die Deutsche Lufthansa einzuwirken, daß die von der Bundeswehr zum Verkauf vorgesehenen geräuscharmen Transportflugzeuge vom Typ Transall für diesen Dienst eingesetzt werden? Die Deutsche Bundespost hat wiederholt ihre Bemühungen hervorgehoben, im Rahmen ihres Aufgabenbereichs mit dazu beizutragen, die Lärmbelästigung der Bevölkerung auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Frage nach der Zukunft des Nachtluftpostnetzes wird also nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes beurteilt. Hier ist zu beachten, daß die Luftverkehrsgesellschaften bestrebt sind, Flugzeuge mit leisen Triebwerken einzusetzen und geräuschärmere Start- und Landeverfahren zu entwickeln. Um diese Entwicklung zu fördern, hat der Bundesminister für Verkehr in seinem Erlaß vom 29. März 1973 an die zuständigen Länderbehörden bekanntlich gefordert, die Nachtflugbeschränkungen für Flugzeuge mit geräuscharmen Triebwerken zu lockern. Darüber hinaus soll die Deutsche Bundespost nach einer Entscheidung des Bundeskabinetts verstärkt rationalisieren. Sie soll dabei auch die Struktur ihrer Dienstleistungen den heutigen Erfordernissen und Möglichkeiten anpassen. Dabei spielt die grundsätzliche Frage der Betriebsorganisation im Briefdienst sowie die Rentabilität der auch weiterhin eingesetzten Briefverteilanlagen eine entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang wird selbstverständlich auch die Frage untersucht werden, ob es volkswirtschaftlich noch sinnvoll ist, einen Teil der innerhalb der Bundesrepublik zu befördernden Briefpost über das Nachtluftpostnetz zu befördern. Die Deutsche Bundespost kann auf die Flottenpolitik der Deutschen Lufthansa nicht direkt einwirken. Für den Nachtluftpostdienst werden die Maschinen, die tagsüber auf den Liniendiensten der Deutschen Lufthansa verkehren, eingesetzt. Die im Nachtluftpostdienst verwendeten Flugzeuge vom Typ Boeing 737 sind nach den Lärmmessungen einer vom Hessischen Minister für Wirtschaft und Technik berufenen Experten-Kommission geräuschärmer als andere Flugzeuge. Mit der Deutschen Lufthansa werden jedoch z. Z. Verhandlungen über die Möglichkeiten weiterer Fluglärmminderungen und des Einsatzes von Flugzeugen mit geräuscharmen Triebwerken geführt. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 93) : Treffen Pressemeldungen zu, demzufolge die Deutsche Bundespost den Sprechverkehr der Beschäftigten im Fcrnsprechauskunfts- und Telegrammaufnahmedienst ohne vorherige Ankündigung zeitweise mitschneidet und dabei auch private Gespräche der Postbediensteten und Telefonate der Fernsprechteilnehmer mithört, und wenn ja, auf welche rechtliche Grundlage stützt sich dieses Verfahren, und was bedeutet die Aussage eines Sprechers des Bundespostministeriums, daß damit „Unterlagen für die Abwehr ungerechtfertigter Vorwürfe von Postkunden gegen die Bediensteten beschafft werden sollen"? Bei der Deutschen Bundespost gibt es Dienststellen, deren Tätigkeit sich überwiegend als fernmündlicher Dialog mit dem Postkunden abwickelt. Bei solchen Dienststellen werden vorher nicht angekündigte Prüfungen des Dienstbetriebs durchgeführt, in denen der Gesprächsverkehr beobachtet wird. Der Bundespostminister hat eine Überprüfung des gegenwärtig üblichen Beobachtungsverfahrens angeordnet. In Gesprächen mit den Gewerkschaften und der Personalvertretung wurde inzwischen eine Änderung dieses Verfahrens vorbereitet. Private Gespräche von Postbediensteten werden nicht vorn Arbeitsplatz aus geführt. Dafür stehen Fernsprecher bereit, auf die sich die erwähnten Prüfungen selbstverständlich nicht erstrecken. Aus rechtlicher Sicht ist es niemals zweifelhaft gewesen, daß das Fernmeldegeheimnis der Durchführung betriebsbedingter Maßnahmen nicht entgegensteht. Die Aussage des Pressesprechers des Bundespostministeriums bezog sich darauf, daß durch Betriebsbeobachtungen auch ungerechtfertigte Vorwürfe von Postkunden widerlegt werden können. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 25. April 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6457* Dr. Ahrens (SPD) (Drucksache 7/2008 Fragen A 94 und 95) : Aus welchen Grunde hält die Deutsche Bundespost am monatlichen Abrechnungsmodus für die Telefongebühren fest? Ist die Bundesregierung bereit, die Erfahrungen der Kommunalverwaltungen und der Versorgungsunternehmen mit längeren Abrechnungszeiträumen im Hinblick auf eine entsprechende Handhabung bei der Abrechnung der Telefongebühren zu überprüfen? Die Deutsche Bundespost hat wiederholt die Frage der Erstellung einer zweimonatlichen Fernmelderechnung geprüft. Im Vordergrund steht dabei das Problem der Erfassung der Gebühreneinheiten im Orts- und Selbstwählferndienst. Die teilweise noch vorhandenen vierstelligen Gebührenzähler in den Ortsvermittlungsstellen sind nicht geeignet, die in einem Zeitraum von zwei Monaten aufkommenden Gebühreneinheiten aufzunehmen. Auch die Probleme bei der Einführung eines neuen Abrechnungsverfahrens mit tiefgreifenden betrieblichen Änderungen und die eines monatlichen pauschalen Abschlags auf die Fernmeldegebühren müssen — unter Wahrung der Belange des Kunden — geklärt werden. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Rollmann (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 96) : Aus welchem Grunde laufen Massendrucksachen bei der Deutschen Bundespost so unbestimmbar lange, daß der Versand von Terminpost bei dieser Versendungsart gewagt ist? Massendrucksachen laufen nicht unbestimmbar lange. Die Postämter sind vielmehr angewiesen, die Bearbeitung und Beförderung dieser Sendungen danach auszurichten, daß sie — für Orte innnerhalb des eigenen Leitraums — bestimmt durch die ersten beiden Ziffern der Postleitzahl und der unmittelbar benachbarten Leiträume innerhalb von 2 Tagen zur Zustellung vorliegen und — für andere Leiträume innerhalb von 5 Tagen zur Zustellung vorliegen. In diesen Zeitraum fallende Sonn- und Feiertage verlängern diese Laufzeiten entsprechend. Massendrucksachen werden aus der Briefbeförderung ferngehalten und aus Kostengründen in einem weniger aufwendigen Verfahren als diese bearbeitet. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 97) : Ist es nach der Auffassung der Bundesregierung gerechtfertigt, die durch amtlich durchgeführte Schallmessungen bereits festgestellten extremen Lärmbeeinträchtigungen, die Fernsprechteilnehmer in unmittelbarster Nähe von Militärflugplätzen erdulden müssen, dadurch auszugleichen, daß ihnen ein Nachlaß auf verbrauchte Gebühreneinheiten gewährt wird, nachdem sie erwiesenermaßen oft über längere Zeit hinweg bei dem dröhnenden Start- und Landeflug Telefongespräche unterbrechen und so nicht von ihnen zu vertretende finanzielle Nachteile seit Jahren bereits hinnehmen müssen? Die Behinderungen im Fernsprechverkehr durch die teilweise extremen Lärmbelästigungen des Flugverkehrs in unmittelbarer Nähe von Flugplätzen ist ein Problem, das sich nicht durch gebührenvergünstigende Maßnahmen der Deutschen Bundespost lösen läßt. Es ist vielmehr eine Frage des Umweltschutzes, der den gesamten Lebensbereich der Betroffenen berührt. Diesem Ziel dient das Fluglärmschutzgesetz, das vom Deutschen Bundestag in der letzten Legislaturperiode verabschiedet wurde. Anlage 28 Antwort des Staatssekretärs Freiherr von Wechmar vom 23. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Zimmermann (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 102) : Wie erklärt die Bundesregierung den Unterschied zwischen den Angaben zu den Kosten der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien im Jahr 1972 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von CSU-Abgeordneten und den Angaben des Presse-und Informationsamts der Bundesregierung (Frankfurter Rundschau vom 14. März 1974) ? Die Kosten der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien im Jahre 1972 belaufen sich nach der Antwort der Bundesregierung vom 28. 1. 1974 auf eine Kleine Anfrage der Opposition auf rd. 15,2 Millionen DM. Der Unterschied zu den in der „Frankfurter Rundschau" vom 14. 3. 1974 zitierten „mehr als 35 Millionen" beruht wohl darauf, daß in diesem Betrag außer den Mitteln für die Öffentlichkeitsarbeit der Ressorts zusätzlich noch enthalten sind: a) Mittel für den nachgeordneten Bereich einiger Ressorts (ca. 15,7 Millionen DM) und b) die Mittel für die verteidigungspolitische Öffentlichkeitsarbeit, die aus dem Einzelplan 04 vom Presse- und Informationsamt finanziert und gemeinsam mit dem Bundesminister der Verteidigung verwaltet werden (ca. 4,4 Millionen DM). Dieser Betrag ist in der Antwort auf die Kleine Anfrage in den Mitteln des Presse- und Informationsamtes enthalten. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Graf 6458* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 Stauffenberg (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 108) : Beabsichtigt die Bundesregierung, die bulgarische Forderung zu unterstützen, von der Europäischen Gemeinschaft die allgemeinen Präferenzen eines Entwicklungslands eingeräumt zu bekommen, und wie will die Bundesregierung im Fall einer solchen Zusage seitens der Europäischen Gemeinschaft bulgarischen Wünschen nach deutscher Kapitalhilfe begegnen, denen mit dem Anspruch, die gleiche Behandlung wie Jugoslawien zu erfahren, Nachdruck verliehen wird? Die Bundesregierung steht einem bulgarischen Wunsch auf Einräumung von EG-Präferenzen für Entwicklungsländer positiv gegenüber. Falls die Regierung von Bulgarien bei den Europäischen Gemeinschaften einen entsprechenden Antrag stellt, werden wir ihn bei der Behandlung in den Gremien der Europäischen Gemeinschaften unterstützen. Eine Einbeziehung Bulgariens in den Kreis der Länder, denen die EG die allgemeinen Handelspräferenzen einräumt, würde — ebenso wie im Falle von Rumänien — keine Anerkennung Bulgariens als Entwicklungsland und seine Aufnahme in die Entwicklungsländerliste der OECD bedeuten. Angesichts der Bestrebungen der OECD, diese Liste zu reduzieren, sie jedenfalls nicht weiter auszuweiten, könnte mit einer etwaigen Aufnahme Bulgariens in sie auch nicht gerechnet werden. Die Gewährung zinsgünstiger Kapitalhilfekredite durch uns kann daher nicht in Frage kommen. Jugoslawien, das Sie zum Vergleich heranziehen, befindet sich dagegen auf der OECD-Entwicklungsländerliste; der Fall liegt also eindeutig anders. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gierenstein (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 109) : Was hat die Bundesregierung unternommen bzw. was wird sie unternehmen, um den Deutschen in der Sowjetunion zur Ausreise zu verhelfen, die jetzt in den Hungerstreik getreten sind, nachdem ihr von der deutschen Botschaft angeratenes Verlassen des Botschaftsgebäudes eine Freiheitsstrafe und weitere strafrechtliche Maßnahmen zur Folge hatte, und hat die Bundesregierung die sowjetische Regierung darauf hingewiesen, daß derartige grund- und menschenrechtswidrige Maßnahmen ein Hindernis für jede Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen darstellen? Herr Kollege, ich darf zunächst darauf hinweisen, daß die von Ihnen aufgestellte Behauptung über die Ursache der gegen die Ausreisewilligen verhängten Strafen nicht zutrifft. Sie haben vielmehr — nach sowjetischer Auffassung — durch die Teilnahme an Demonstrationen gegen die „öffentliche Ordnung der UdSSR" verstoßen und wurden deshalb nach den dort geltenden Gesetzen bestraft. Auf keinen Fall kann damit unsere Botschaft in Moskau in Zusammenhang gebracht werden, die in jeder Beziehung korrekt und stets im Interesse der Betroffenen gehandelt hat. Das Ausreisebegehren dieser Personen wurde und wird durch unsere Botschaft gegenüber der sowjetischen Regierung unterstützt. Die letzte Intervention erfolgte am 5. April 1974. Auf die Tatsache, daß es sich hier um sowjetische Staatsbürger handelt und dadurch diesen Bemühungen Grenzen gesetzt sind, habe ich in diesem Haus des öfteren hingewiesen. Welche Anstrengungen die Bundesregierung unternommen hat, um das Problem der Familienzusammenführung einer baldigen und umfassenden Bereinigung zuzuführen, habe ich zuletzt bei Beantwortung der Anfrage von Herrn Kollegen Rainer am 14. März 1974 dargelegt; ich verweise auf die entsprechende Bundestagsdrucksache. Diese Bestrebungen werden fortgesetzt. Zu den von den sowjetischen Justizorganen ergangenen Urteilen beabsichtigt die Bundesregierung nicht, Stellung zu nehmen. Es handelt sich hier um eine innere Angelegenheit eines anderen Landes, auf die sie keinen Einfluß ausüben kann. Dies heißt jedoch nicht, daß uns die Sorge der in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden Verwandten um das Schicksal ihrer in der Sowjetunion lebenden Angehörigen unberührt läßt. Auch die sowjetische Regierung weiß, welche Bedeutung wir der Lösung dieser humanitären Frage im Rahmen der Entwicklung unserer gegenseitigen Beziehungen beimessen. Die Bundesregierung begrüßt die seit geraumer Zeit zu beobachtende großzügigere Praxis bei der Erteilung von Ausreisegenehmigungen und gibt der Erwartung Ausdruck, daß die positive Tendenz in verstärktem Maß anhalten wird. Sie hofft, daß dabei auch jene Menschen berücksichtigt werden, die sich seit langem vergeblich um ihre Ausreise bemühen, wie dies bei den Teilnehmern an den Protestaktionen der Fall ist. Anlage 31 Antwort des Pari. Staatssekretärs Moersch vorn 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 110) : Was hält die Bundesregierung, sollte die Meldung der „Welt" vom 30. März 1974 zutreffend sein, davon ab, ihre Auffassung, sie könne die gewaltsame Aneignung von Territorien nicht anerkennen, nicht nur im Hinblick auf den Nahen Osten auszusprechen, sondern auch auf die Freie Stadt Danzig, die baltischen Staaten, sowie auf die Grenzen des Deutschen Reichs vom 31. Dezember 1937, auf die Vorkriegsgrenzen Finnlands, Rumäniens, Italiens, Japans und der tschechoslowakischen Ostgrenze? Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich im Einklang mit dem allgemeinen Völkerrecht und den Zielen und Prinzipien der Charta der VN zur Nichtanerkennung gewaltsamen Gebietserwerbs, einem Grundsatz, der für den Nahostkonflikt übrigens in der Präambel der Resolution des Sicherheitsrats Nr. 242 vom 22. 11. 1967 bekräftigt worden ist. Von dieser Haltung macht die Bundesregierung in bezug auf die in der Frage gemachten Tatbestände keine Ausnahme. Der Grundsatz der Nicht-Anerkennung gewaltsamen Gebietserwerbs leitet sich aus dem Gewaltverbot ab, wie es insbesondere in Artikel 2 Ziffer 4 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6459* der Charta der Vereinten Nationen seinen Ausdruck gefunden hat. Die Bundesrepublik Deutschland und ihre östlichen Vertragspartner haben sich im Einklang mit dem Gewaltverbot in den Ostverträgen vertraglich darauf festgelegt, keine Politik zu führen, die durch Gewalt oder Androhung von Gewalt auf eine Veränderung der bestehenden Grenzen in Europa zielt. Die Ostverträge enthalten auf der anderen Seite jedoch keine Aussagen darüber, wie diese Grenzen, die als unverletzlich angesehen werden, zustande gekommen sind, noch stellen sie Zessionsverträge dar. Dies gilt sowohl für den Moskauer Vertrag vom 12. August 1970, als auch für den Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970, in dessen Art. I die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen übereinstimmend festgestellt haben, daß die Grenze an Oder und Neiße die Westgrenze Polens bildet. An den nach dem 2. Weltkrieg geschlossenen Friedensverträgen war die Bundesrepublik Deutschland nicht beteiligt. Ihre Gültigkeit ist aber von der Bundesrepublik Deutschland nie in Frage gestellt worden. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 111): Trifft die Meldung der „Welt" vom 30. März 1974 zu, der Bundesminister des Auswärtigen habe in Schreiben an Mitglieder der Regierungen Saudi-Arabiens und Algeriens zu den Streitpunkten im Nahost-Konflikt Standpunkte bezogen, die sich mit den von den arabischen Staaten vertretenen decken, was zu der Änderung ihrer Haltung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geführt habe, und wie ist — bejahendenfalls — die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Auswärtigen vom 28. März 1974 auf meine Mündliche Anfrage, dies habe nach Kenntnis der Bundesregierung keine Auswirkungen auf das deutsch-israelische Verhältnis gehabt, zu verstehen? Die Meldung der „Welt" vom 30. März 1974 über das Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen an die Minister Yamani und Abdesalam ist unvollständig und vermittelt deshalb ein unzutreffendes Bild von dem Inhalt dieses Schreibens. Wie aus dem in Algier veröffentlichten Text ersichtlich ist, hat der Bundesminister des Auswärtigen in seinem Schreiben ausdrücklich auf die Möglichkeit einvernehmlicher Grenzänderungen auch zwischen den Beteiligten im Nahostkonflikt hingewiesen. Dieser Umstand wird in dem genannten Artikel nicht angeführt. Die in dem Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen dargelegten Gedankengänge knüpfen an die Erklärung an, die die neun europäischen Außenminister am 6. November 1973 zur Nahostfrage abgegeben haben. Es enthält keine in Widerspruch zu dieser Erklärung stehenden Gesichtspunkte. Dementsprechend ist auch die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Auswärtigen vom 28. März 1974 zu verstehen, dieses Schreiben habe nach Kenntnis der Bundesregierung keine Auswirkungen auf das deutsch-israelische Verhältnis gehabt. Ob das Schreiben des Bundesminister des Auswärtigen zu einer Haltungsänderung arabischer Staaten zu der Bundesrepublik geführt hat, kann die Bundesregierung nicht beurteilen. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Zoglmann (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 112) : Teilt die Bundesregierung die seinerzeit von Bundesaußenminister Scheel geäußerte Ansicht, zur Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen im Sinn des Warschauer Vertrags gehöre es auch, daß die Städtenamen in den ehemals deutschen Gebieten mit ihren geschichtlich überkommenen Namen genannt werden, und ist sie insbesondere der Auffassung, daß offizielle Besucher der Bundesrepublik Deutschland in Polen diesen Sprachgebrauch einhalten sollten? Die Bundesregierung vertritt nach wie vor die Auffassung, daß hergebrachte deutsche Ortsnamen, die fester Bestandteil unserer Sprache sind, grundsätzlich auch verwendet werden sollen. Das entspricht im übrigen dem weltweiten internationalen Brauch der Verwendung von Exonymen. Allerdings hat z. B. die 2. UNO-Konferenz über die Standardisierung von geographischen Namen empfohlen, die Verwendung dieser althergebrachten Ortsbezeichnungen möglichst zu reduzieren. Was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft, so läßt sich eine allgemein gültige Antwort nicht geben. Es kommt hier auf die Umstände des Einzelfalles an. Wenn z. B. ein deutscher Besucher in Polen bei der Verwendung deutscher Ortsbezeichnungen nicht verstanden würde, sollte er aus praktischen Erwägungen wohl besser die polnischen Namen verwenden. Dieser Fall kann vor allem eintreten, wenn es sich um kleinere Orte handelt. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 25. April 1974 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Rainer (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Fragen A 113 und 114): Wie vereinbart die Bundesregierung die Tatsache, daß Polen erst kürzlich (Ost-Informationen Nr. 66 vom 8. April 1974, Seite 3 f.) sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland als Gläubiger bezeichnete, von nicht beglichenen Rechnungen sprach und erklärte, die westdeutsche Seite habe den polnischen Standpunkt in dieser Frage sehr wohl gekannt, mit ihren Erklärungen zum deutsch-polnischen Vertrag, dieser habe keinerlei finanzielle Folgen? Zu welchen Befürchtungen gibt der Umstand Anlaß, daß Polen im Zusammenhang mit der Ausreise von Menschen unzweifelhaft deutscher Volkszugehörigkeit aus dem polnischen Herrschaftsbereich von „Staatsbürgern sehr problematischer Abstammung" spricht (Ost-Informationen Nr. 66 vom 8. April 1974, Seite 3 f.), und wie gedenkt die Bundesregierung, dem Versuch 6460* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 zu begegnen, auf solche Weise den Geltungsbereich der entsprechenden Information der polnischen Regierung auszuhöhlen, die allen deutschen Staatsangehörigen unter polnischer Hoheit die Ausreise zusichern sollte? Zu Frage A 113: Der Warschauer Vertrag stellt keine Anspruchsgrundlage für polnische Entschädigungsforderungen dar. Etwas Gegenteiliges hat auch die polnische Regierung nicht behauptet. Schon daraus ergibt sich, daß hier kein Widerspruch zu Erklärungen der Bundesregierung bestehen kann. Zu Frage A 114: Das von Ihnen wiedergegebene Zitat wurde in einer Sendung von Radio Warschau verwendet. Es kann im allgemeinen nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, zu solchen Sendungen Stellung zu nehmen oder daraus Schlußfolgerungen zu ziehen. Zu Ihrer weiteren Frage möchte ich zunächst bemerken, daß die „Information" nicht von „deutschen Staatsangehörigen", sondern von Personen mit „unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit" spricht. Davon abgesehen möchte ich hier wiederholen was ich schon oft gesagt habe: die Bundesregierung wird sich auch weiterhin intensiv für die Lösung des Umsiedlungsproblems einsetzen. Sie wird weiterhin auf die Einhaltung gegebener Zusagen hinwirken. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Apel vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Franz (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 115): Teilt die Bundesregierung die Besorgnis, in Frankreich könnten die wertenden Äußerungen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Apel, über den Volksfrontkandidaten bei der Präsidentenwahl — falls Pressemeldungen darüber zutreffen — als Einmischung in einen Vorgang inner-französischer Willensbildung aufgefaßt werden, und was tut die Bundesregierung — bejahendenfalls —, um denn entgegenzuwirken? Die Bundesregierung teilt diese Besorgnis nicht. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Apel ist in einer konferenzgeschalteten Diskussion von Hamburg aus über P/2 Stunden von deutschen und französischen Journalistenschülern in Saarbrücken zu aktuellen europäischen Fragen interviewt worden. U. a. standen Themen wie die EG und das Verhältnis einzelner Länder, z. B. Bundserepuplik Deutschland, Großbritannien, Frankreich, USA zu den Gemeinschaften zur Diskussion aber auch Fragen zu Sozialismus und Sozialdemokratie. Spätere Agentur-und Pressemeldungen hierzu haben Äußerungen von Herrn Apel aus dem Zusammenhang und aus der Gewichtung der Gesamtausgabe gelöst und damit entstellt wiedergegeben. Dies ist in Paris bekannt. Im übrigen bitte ich davon auszugehen, daß der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen mindestens ebenso daran gelegen ist, auch nur den Schein einer Einmischung in die innerfranzösische Meinungsbildung zu vermeiden, wie den Mitgliedern der Opposition in diesem Hause. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Niegel (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 117): Wird die Bundesregierung die Anregung des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Eppler, befolgen und die von Terroristen ausgerufene sogenannte Republik Guinea-Bissau völkerrechtlich anerkennen oder den bisher praktizierten Standpunkt der Bundesregierung aufrechterhalten, daß zur juristischen Anerkennung mindestens die klare Abgrenzung eines Staatsgebiets, ein Staatsvolk sowie die Existenz einer Regierung, die den größten Teil des Landes unter ihrer Kontrolle hat, gehöre? Bundesminister Eppler hat sich zu dieser Frage nicht geäußert. Die Haltung der Bundesregierung ist unverändert. Ich verweise auf meine Ausführungen in der Fragestunde vom 25. Oktober 1973, Protokoll Seite 3539: Die Anerkennung eines neuen Staates setzt voraus, daß sich ein Staat gebildet hat mit einem Staats- I volk, einem Staatsgebiet und einer Staatsgewalt, die durch eine effektive handlungsfähige Regierung verkörpert wird, die ihre Hoheitsgewalt über den größten Teil des Territoriums und die Mehrzahl der Einwohner effektiv ausübt und die sich mit Aussicht auf Dauer behaupten kann. Die Bundesregierung würde eine Bitte um Anerkennung Guinea-Bissaus als unabhängiger Staat wie in allen bisherigen Fällen nach diesen genannten Kriterien beurteilen. Anlage 37 Antwort des Parl Staatssekretärs Moersch vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Spranger (CDU/CSU) (Drucksache 7/2208 Frage A 124) : Welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung getroffen, damit ihre diplomatischen und konsularischen Vertretungen im Ausland allen Deutschen im Sinne des Grundgesetzes in größtmöglichem Umfang Schutz und Hilfe gewähren, und ist dies auch bei der Vertretung durch Honorarkonsuln fremder Nationalität im gleichen Umfang gewährleistet? Die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland sind angewiesen, allen Deutschen im Sinne des Grundgesetzes im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten und der Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6461* Grenzen des Völkerrechts Schutz und Hilfe zu gewähren, wenn sie darum nachsuchen. Entsprechende Weisungen haben auch die Honorarkonsuln der Bundesrepublik Deutschland fremder Nationalität erhalten. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 25. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Röhner (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 128) : Teilt die Bundesregierung die in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von 18. April 1974 geäußerte Befürchtung, die — unter anderem des Polizistenmordes verdächtigten -- Chilenen, die in der Deutschen Botschaft in Santiago aufgenommen worden waren und denen die Bundesregierung bisher kein Einreisevisum erteilt hat, könnten im Wege der Geiselnahme versuchen, ihre Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu erzwingen? Die Bundesregierung teilt diese Befürchtung nicht. Derzeit halten sich noch 19 Schutzsuchende in der Residenz des Botschafters und im Kanzleigebäude der Botschaft auf. Zwei von ihnen hat das chilenische Außenministerium inzwischen die Zusicherung zur Ausstellung von Salvoconductos erteilt. In diesen Fällen ist die Sicherheitsüberprüfung durch die zuständigen innerdeutschen Behörden nicht abgeschlossen, so daß sie noch nicht ausreisen konnten. Mit der Entscheidung ist in Kürze zu rechnen. Es besteht daher für sie keine Veranlassung, ihre Zuflucht in Verzweiflungsakten, wie etwa einer Geiselnahme eines Botschaftsangehörigen, zu suchen. Dies ist auch die Auffassung der Botschaft. Für den Fall allerdings, daß solche Aktionen zu befürchten wären, werden geeignete Schutzmaßnahmen getroffen. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch vom 24. April 1974 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Zimmermann (CDU/CSU) (Drucksache 7/2008 Frage A 131): Trifft die Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 19. April 1974 zu, der Bundeskanzler habe behauptet, die Palästinenser seien bei der Gründung des Staates Israel vertrieben worden, und welche Folgerungen wird - - bejahendenfalls -diese historisch falsche Darstellung auf das deutschisraelische Verhältnis haben? Wie aus dem im „Bulletin" der Bundesregierung Nr, 49 vom 19. April 1974 veröffentlichten Text des auch in „Al Ahram" wiedergegebenen Interviews des Bundeskanzlers mit dem ägyptischen Fernsehen ersichtlich ist, hat der Bundeskanzler die in der Frage des Herrn Abgeordneten erwähnte Behauptung nicht aufgestellt. Sie wird ihm auch in der von der FAZ am 19. April 1974 wiedergegebenen Agenturmeldung nicht unterstellt. Dort heißt es: „Der Kanzler bekräftigte die Überzeugung der Bundesregierung, daß jede dauerhafte Friedensregelung im Nahen Osten die Rechte und die Zukunft der Palästinenser berücksichtigen müsse ...". Der Zusatz „ ... die bei der Gründung des Staates Israel vertrieben wurden und heute überwiegend in Jordanien leben" ist nicht mehr in der Form der indirekten Rede wiedergegeben und wird daher auch nicht dem Bundeskanzler zugeschrieben. Vielmehr handelt es sich erkennbar um einen selbständigen Zusatz des Verfassers dieser Meldung. Besorgnisse um das deutsch-israelische Verhältnis sind folglich gegenstandslos.
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709500000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, zunächst einmal darf ich eine herzliche Begrüßung aussprechen. Auf der Diplomatentribüne haben Seine Exzellenz der Präsident des Repräsentantenhauses von Neuseeland und eine Delegation des Parlaments Platz genommen.

(Beifall.)

Ich freue mich, Sie so herzlich begrüßen zu können. Wie Sie gehört haben, tut es auch das ganze Haus. Es ist eine besondere Freude, Parlamentarier aus Neuseeland als Gäste in unserem Land und im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen. Ich darf mich auch noch einmal besonders für die Gastfreundschaft bedanken, die Sie unserer Delegation im vergangenen Jahr gewährt haben.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll Punkt 9 der Tagesordnung, nämlich die erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes, von der Tagesordnung abgesetzt werden. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat wird die Tagesordnung ergänzt um die
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingekrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. Oktober 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien über die Rechtshilfe in Strafsachen
-- Drucksachen 7'371, 7/2013 --
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist somit beschlossen.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Fragestunde heute bereits um 13 Uhr beginnt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung der eingebrachten Entwürfe eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG)

Drucksachen 7/1981 (neu), 7/1982, 7/1983,
7/1984 (neu)

Der Ältestenrat schlägt Ihnen entsprechend der Ausschußempfehlung vor, die vom Ausschuß erarbeiteten Fassungen der vier Entwürfe Drucksachen
7/1981 (neu), 1982, 1983 und 1984 (neu) zur Grundlage der zweiten Beratung zu machen. Damit weichen wir von Bestimmungen der Geschäftsordnung ab. Diese Abweichung muß nach § 127 der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Wer diesem Vorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eindeutig mit Zweidrittelmehrheit beschlossen.
Außerdem schlägt der Ältestenrat Ihnen vor, am Ende der zweiten Beratung über alle vier Entwürfe gemeinsam in namentlicher Abstimmung wie folgt zu entscheiden ' wir werden das vor der Abstimmung noch einmal wiederholen —: Es wird mit einem mit Ihrem Namen versehenen Stimmzettel abgestimmt, auf dem alle vier Entwürfe — jeweils mit einem Kreis — sowie die Worte „Ablehnung aller Entwürfe" — ebenfalls mit einem Kreis — aufgeführt sind. Bei der Abstimmung hat jeder Abgeordnete nur eine Stimme, die durch Ankreuzen eines Kreises abgegeben wird. Stimmenthaltung wird dadurch zum Ausdruck gebracht, daß der Stimmzettel ohne Ankreuzung abgegeben wird. Wird mehr als ein Kreis angekreuzt oder werden sonstige Zusätze oder Zeichen gemacht, ist die Stimme ungültig. Die entsprechenden Stimmzettel werden rechtzeitig vor der Abstimmung verteilt werden.
Erhält bei dieser gemeinsamen Abstimmung über die vier vorliegenden Gesetzentwürfe keiner der Entwürfe die absolute Mehrheit, so kommen die beiden Entwürfe mit den höchsten Stimmenzahlen in die Stichentscheidung. Grundlage der dritten Beratung bildet dann der Entwurf, der bei der Stichentscheidung die meisten Stimmen auf sich vereinigt.
Mit dieser vorgesehenen Abstimmung weichen wir ebenfalls von unserer Geschäftsordnung ab. Wir müssen also gemäß § 127 der Geschäftsordnung entsprechend beschließen. Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Eindeutig mit Zweidrittelmehrheit so beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Generalaussprache eintreten, darf ich noch auf folgendes hinweisen, damit wir über den Ablauf genau unterrichtet sind. Die Aussprache beginnt mit einer Generaldebatte über alle vier Gesetzentwürfe. Anschließend wird zu jedem Entwurf dein Berichterstatter und eventuellen weiteren Sprechern der Fraktionen das Wort gegeben. Danach beginnt die Einzelberatung über jede einzelne Bestimmung und



Präsident Frau Renger
über Einleitung und Überschrift der einzelnen Gesetzentwürfe. Hierbei ist die Möglichkeit gegeben, nach § 81 der Geschäftsordnung Änderungsanträge zu stellen. Über diese Änderungsanträge wird unmittelbar abgestimmt. Die Abstimmung über die vier Entwürfe selbst erfolgt am Schluß der zweiten Beratung mittels der Stimmzettel. Ich glaube, das Verfahren ist jetzt allen klar.
Dann darf ich die Generalaussprache eröffnen und das Wort der Frau Abgeordneten Schlei geben.

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0709500100
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum zweitenmal in der deutschen Parlamentsgeschichte setzen sich Sozialdemokraten mit ganzer Kraft für eine grundlegende Reform des Strafrechtsparagraphen 218 ein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Leider!)

Ihrem Antrag, den sie 1920 im Deutschen Reichstag eingebracht hatten, war damals kein Erfolg beschieden. Jetzt aber erwarten wir, daß diese alte sozialdemokratische Forderung gemeinsam mit unserem Koalitionspartner verwirklicht werden kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die juristischen Grundkonzeptionen im strafrechtlichen Teil von damals und in dem von heute unterscheiden sich kaum voneinander. Hinsichtlich der Reformansätze jedoch bestehen fundamentale Unterschiede. War es vor 50 Jahren das Ziel, das Problem des Schwangerschaftsabbruchs im Strafrecht anzugehen, streben wir heute danach, die mit dem Elend der Schwangerschaftsabbrüche verflochtenen vielschichtigen Probleme im sozialen und zwischenmenschlichen Bereich zu lösen.
Kein sozialdemokratischer Abgeordneter macht sich die erforderliche Gewissensentscheidung leicht, da hier in nahezu einmaliger Weise der schmale Grat zwischen Lebensschutz und Lebensbedrohung berührt wird. Auf demselben schmalen Grat fallen die Entscheidungen der Frauen, deren Schwangerschaft zu Konfliktsituationen führt.

(Unruhe.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709500200
Frau Kollegin, eine Sekunde bitte!
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe. Es ist sehr laut im Saal. Das macht es dem Redner sehr schwer.

(Beifall.)


Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0709500300
Auf demselben schmalen Grat fallen die Entscheidungen der Frauen, deren Schwangerschaft zu Konfliktsituationen führt.
Als Mutter von drei Kindern kann ich voll begreifen, was es heißen kann, wegen eines als unlösbar erscheinenden Konflikts auf das Glück der Mutterschaft verzichten zu müssen. Solche tragischen Entscheidungen trifft eine Frau schon immer in eigener Verantwortung, wenn auch bis jetzt unter dem unerträglichen Druck der Strafdrohung. Wir Sozialdemokraten wollen nicht, daß eine Mutterschaft nur we-
gen einer möglichen Bestrafung angenommen wird. Auch um der Kinder willen wollen wir das nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die verpflichtende Aufgabe der Mutterschaft kann nur in selbst ausgeübter Verantwortlichkeit voll bewältigt werden. Denn die Würde des Menschen besteht im Anspruch auf Selbstverantwortung, wie es im Grundwerteteil des Godesberger Programms zu unserem Menschenbild gesagt wurde. Ohne die Verantwortlichkeit der Frau wird es wohl nie einen befriedigenden Schutz werdenden Lebens geben können, sei es mit oder ohne Strafandrohung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sozialdemokraten meinen, daß nur solche Rechtsnormen zu dem gewünschten besseren Schutz des ungeborenen Lebens führen, die einer äußerst konfliktbedrängten werdenden Mutter einen straffreien Raum für eigene Entscheidungsfreiheit zubilligen. Die Gesellschaft, die Kirchen, persönliche Freunde können nur dann ratend und helfend bei einem Schwangerschaftskonflikt eingreifen, wenn dieser losgelöst von Strafandrohung, Diskriminierung und Isolation ausgetragen wird. Wer demgegenüber ein Mehr an Strafandrohung fordert, wie es vor wenigen Tagen ein Vertreter der katholischen Amtskirche öffentlich tat, zieht aus den verhängnisvollen Fehlern der Vergangenheit nicht die nötigen Konsequenzen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ein Strafrecht, das bis heute versagt hat, werdendes Leben umfassend zu schützen, wird morgen kaum wirksamer werden, wenn es noch verschärft wird. Man kann das vielschichtige Problem des Schwangerschaftsabbruchs im Jahr 1974 nicht mehr nur aus der Perspektive des Strafrechts sehen. Für das Elend und die Verzweiflung schwangerer Frauen, für ihre Gesundheitsgefährdung und die Flucht in die Kriminalität darf es in unserer Gesellschaft keinen Raum mehr geben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Strafbestimmungen beim Schwangerschaftsabbruch sind daher so auszugestalten, daß sozial ergänzende Maßnahmen voll wirksam werden können. In Not geratenen Frauen muß von privater und öffentlicher Seite geholfen werden können. Meine Fraktion hat gerade die Ausgestaltung dieser sozialen Maßnahmen ganz besonders gründlich beraten und hat auf diese besonderen Wert gelegt. Ein entscheidender Bestandteil der von uns angestrebten Reform ist das sozialpolitische Rahmenwerk, bei dem die Änderungen der Strafrechtsparagraphen lediglich ein unverzichtbares Teilstück sind, wie es Herbert Wehner formulierte. Wir werden weitere Gesetze entwickeln, die Hilfen für Mütter und Kinder, für viele Familien bringen. Wir machen vor allen Dingen keine Pause in der dazu hilfreich sein müssenden Sozialpolitik.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Auch hier wird sich mit uns unser Koalitionspartner voll einsetzen.



Frau Schlei
Praktische Hilfen und materielle Entlastungen für junge Familien sollen den Mut zum Kind verstärken helfen. Nach unserer Auffassung sollten möglichst alle Kinder auch Wunschkinder sein.

(Beifall bei der SPD.)

Ungewollte Schwangerschaften müssen durch eine verantwortliche Familienplanung vermieden werden. Für uns Sozialdemokraten ist Schwangerschaftsabbruch kein Mittel der Familienplanung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

In unserem mit großer Sorgfalt entwickelten Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz erhält daher die Beratung dieser Probleme einen hervorragenden Stellenwert. Ein beträchtlicher Mitteleinsatz garantiert den umfassenden Beratungsanspruch aller Versicherten, der Frauen und der Männer. Die Ärzteschaft hat zugesichert, Beratungen zur Empfängnisregelung und Familienplanung als wichtige und verpflichtende Aufgabe wahrzunehmen. Wir verlassen uns auf dieses Versprechen.

(Beifall bei der SPD.)

Zu den Fragen des medizinischen Eingriffs bei straffrei gestellten Schwangerschaftsabbrüchen liegen unterschiedliche Aussagen von Ärzten vor. Wir werden sicherstellen, daß medizinisch fachgerecht durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche künftig nicht allein den gut situierten Privatpatientinnen vorbehalten bleiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Änderung der Reichsversicherungsordnung wird bewirken, daß sich auch viele Kliniken und Krankenhäuser den Versicherten freiwillig für straffrei gestellte Eingriffe zur Verfügung stellen.
Lassen Sie mich auch hier eins erwähnen: Viele Frauen werden rückblickend nicht vergessen, wie in der Vergangenheit Ärzte — häufiger, als mancher hier ahnt — gerade den in bedrängten wirtschaftlichen Verhältnissen Lebenden geholfen haben, nicht des Honorares wegen, sondern weil ihr Erbarmen und ihr Gewissen sie dazu bewog.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Von den uns zugegangenen Äußerungen vieler Ärzte beeindruckte meine Kollegen und mich der Brief des Chefarztes in einem Krankenhaus einer kleineren süddeutschen Stadt ganz besonders. Er schrieb in dieser Woche unter anderem — ich darf zitieren —:
Seit nahezu 40 Jahren bin ich als klinischer Geburtshelfer und Frauenarzt tätig und überblicke mehr als 40 000 Geburten. Schutz und Bewahrung des Lebens vor, während und nach der Geburt ist Teil meiner Lebensaufgabe. Meine Haltung zur Reform des § 218 hat sich gewandelt und an der Erfahrung entwickelt. Es ist mir bekannt aus langjähriger Tätigkeit als Sachverständiger in Strafprozessen, daß wegen Abtreibungen nur Frauen angeklagt und gegebenenfalls bestraft werden, die arm und unbeholfen zugleich sind. Diese Erkenntnis genügt mir zum Beweis, wie unmenschlich die Strafverfolgung dieser Frauen ist. Mit Strafe belegt
werden sollten die Täter, die aus niedrigen Beweggründen handeln, hier also diejenigen, die sich an der Not der Frauen bereichern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Für die betroffenen Frauen selbst gibt es keine niedrigen Beweggründe. Ich habe kein Verständnis dafür,
— so fährt der Arzt fort
daß gerade die christlichen Kirchen am lautesten nach dem Strafrichter rufen, obwohl erwiesen ist, daß Gesetz und Strafverfolgung völlig ungeeignete Mittel für die Verhütung der illegalen Abtreibung sind. Beratung und Hilfe kann ja eben erst dann voll wirksam werden, wenn die Frauen von der Strafandrohung befreit sind. Ein Schwangerschaftsabbruch kann für mich, den Arzt — und das wird jedem so gehen, der damit befaßt ist —, immer nur eine Notlösung im Sinne des geringeren Übels sein. Das klare Ziel, auf das sich alle Kräfte vereinigen sollten, muß die Verhütung der unerwünschten Schwangerschaften sein.
Der Arzt fährt fort:
Die Fristenregelung erscheint mir als dieses geringere der zur Wahl stehenden Übel. Wichtig bleibt, daß es sich nicht um die endgültige Lösung eines menschlichen Problems durch eine parlamentarische Entscheidung handeln kann, sondern lediglich um eine gerechte Regelung.
Soweit der Brief dieses, wie ich meine, verantwortungsbewußten erfahrenen Arztes.
Eine Lösung gibt es nicht. So demütig, wie es auch in der Sichtweite dieses Arztes zum Ausdruck kam, erkennen wir die Grenzen, die den Gesetzen in diesem Bereich gezogen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir müssen dahin kommen, daß bereits in der Jugend ein angemessenes Wissen sowie ein humanes Verständnis von Sexualität erreicht wird. Verantwortliche Partnerschaft in diesem wichtigen zwischenmenschlichen Bereich ist ohne Sexualerziehung kaum möglich. Schritte in dieser Richtung wurden von der ersten Gesundheitsministerien der Sozialdemokraten, Käte Strobel, eingeleitet, und ihre Nachfolgerin, Frau Focke, hat bereits weitere sehr gute Informationshilfen entwickelt. Besonders zu würdigen ist das begonnene große Modellprojekt der Beratungsstellen, das die institutionelle Ergänzung von Hilfen für Ratsuchende darstellt.
Alle unsere Angebote zur sozialen Absicherung der Reform des § 218 im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, im Bereich der Sozialhilfe und der in Zusammenarbeit mit den Bundesländern durchzuführenden Maßnahmen stehen in einem unverzichtbaren Zusammenhang mit der strafrechtlichen Neugestaltung des heute zu diskutierenden Paragraphen. Um daher die soziale Absicherung der Maßnahmen zu gewährleisten, möchte ich dringend an den Bundesrat appellieren, das Strafrechtsreform-



Frau Schlei
ergänzungsgesetz in seiner Qualität nicht zu mindern und so bald wie möglich zu verabschieden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es bedarf der verantwortlichen Mitarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte in unserem Lande, um eine wirkliche Reform im Sinne der betroffenen Frauen durchzusetzen. Dabei erwarten wir besonders die Mithilfe der Kirchen, konnten sie doch inzwischen auch von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt werden. Wenn unsere Reformentscheidung weitergeht, als die Kirchen zunächst glauben akzeptieren zu können, hoffen wir doch stark auf ihre Hilfe. Das verspätete Erwachen der Kirchen gegenüber dem Status der Frau erklärt sicherlich auch die tiefen Meinungsverschiedenheiten, die Christen zur Reform des Strafrechtsparagraphen 218 vertreten. Auch Kirchenvertreter müssen aber ihr Gewissen befragen, ob sie die Veränderungen rechtzeitig berücksichtigt oder genügend beachtet haben, die in der Gesellschaft geschehen müssen, wenn sich weniger Frauen als bisher für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden sollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mit Kant vertrauen wir auf die Kraft der Vernunft und damit auf die Menschen. Als Christ vertraue ich darauf, daß sich auch in diesem Problembereich das Gebot christlicher Nächstenliebe nachdrücklicher erfüllen wird als bisher, d. h. daß wir handelnd dem Hilfsbedürftigen zum Nächsten werden, helfend auch dann, wenn er nicht unseren sittlichen Auffassungen entspricht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sozialdemokraten vertrauen darauf, daß eine Generation heranwachsen kann, für die das Elend der Schwangerschaftsabbrüche, )der illegalen sowohl als auch der legalen, ein Problem der Vergangenheit sein wird. Jeder tue dafür an seinem Platz das Seine.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709500400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eyrich.

Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709500500
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben soeben ein leidenschaftliches Plädoyer unserer Kollegin Frau Schlei für eine Lösung gehört, von der sie am Ende sagte, daß sie auf die Kraft der Vernunft vertraue. Frau Kollegin Schlei, ich möchte hinzufügen, wir vertrauen auf die Kraft der kritischen Vernunft, und wir wünschen, daß wir noch einmal überdenken, ob die Lösung, die Sie uns heute angeboten haben, wirklich die Lösung ist, die allen Frauen in der Bundesrepublik Deutschland gerecht werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die heutige Debatte findet in einer Atmosphäre statt, die durch verschiedene Vorgänge in der Öffentlichkeit belastet ist und die von uns, und zwar vom ganzen Parlament, eine Antwort erfordert ohne Unterschied, welche Meinung man in der Sache selbst hat.
Erstens. In Berlin haben Ärzte im Zusammenwirken mit Mitgliedern der ARD, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, eine mit Strafe bedrohte Abtreibung buchstäblich insziniert. Man muß sich fragen, welchen Zweck ein solches Unternehmen haben könnte und welche Auswirkungen ein solches Verhalten auf das Selbstverständnis dieses Parlaments und seiner Arbeit hat. Natürlich hatte dieses Unterfangen einmal den Sinn, zu demonstrieren, daß eine Abtreibung eigentlich etwas Selbstverständliches sei, und dazu wird noch einiges auszuführen sein. Eine andere Frage muß uns aber sehr viel mehr beschäftigten: Sollte diese Sendung nicht auch den Zweck haben, jedem in diesem Lande klarzumachen, daß es heute so leicht sei, die Mißachtung unserer Gesetze zu praktizieren? Müßte also nicht nur deswegen, weil hier — eingehüllt in den Mantel der Pflicht zur Berichterstattung die Tötung ungeborenen Lebens gezeigt wurde, der einheitliche und für jeden sichtbare Protest dieses Hauses geäußert werden, sondern auch deswegen, weil sonst dieses Gesetzgebungsorgan seine Arbeit selbst in Frage stellt?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir verabschieden hier in diesem Hohen Hause Gesetze mit dem Anspruch, daß sie von jedermann befolgt werden, weil sonst unsere Arbeit sinnlos geworden wäre. Wenn wir uns nicht zu einer gemeinsamen Verurteilung solcher Vorgänge bereit finden, können wir den Bürgern unseres Staates nicht verständlich machen, warum wir von ihnen in viel weniger gravierenden Fällen verlangen müssen, sich dem Gesetz entsprechend zu verhalten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ein Weiteres. Es mehren sich die Fälle, in denen auch Kollegen dieses Hauses gesellschaftlichen Institutionen und Gruppierungen das Recht absprechen, sich in dieser wichtigen Frage klar und vernehmlich zu äußern. Das beweist wenig Toleranz. Man kann nicht auf der einen Seite den mitdenkenden und den kritischen Bürger haben wollen und auf der anderen Seite ihm dann, wenn er eine unbequeme Meinung äußert, das Recht absprechen, es so zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Für uns gilt: Niemand von uns fühlt sich verpflichtet, den Willen einzelner Gruppen kritiklos in Gesetzesform zu fassen, aber jeder erkennt eis als das selbstverständliche Recht dieser Gruppen an, ihre Meinung zu sagen. Wir sehen es als unsere Pflicht an, alle die Gedanken, die aus diesen Gruppierungen an uns herangetragen werden, mit in unsere Überlegungen einzubeziehen.
Allerdings — das gilt in besonderem Maße
sind davon jene ausgenommen, die mit ihren Schmierereien an Gebäuden die Rechte anderer in einer Art verletzen, die manche schlimmen Erinnerungen an eine ebenso schreckliche Vergangenheit wachruft.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin dankbar, daß alle Parteien und alle Fraktionen dieses Hauses dies gebührend verurteilt haben.
Daß diese Leute der Sache, die sie vertreten, einen



Dr. Eyrich
außerordentlich schlechten Dienst erwiesen haben, sei am Rande vermerkt. Wer zu solchen Methoden greifen muß, dessen Argumente können nicht sehr stark sein,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

einmal ganz abgesehen davon, daß man nach einer mehr als zweijährigen Diskussion nun eigentlich erwarten müßte, daß der törichte Satz „Mein Bauch gehört mir" nicht mehr ernsthaft als ein Beitrag zur Lösung dieser Frage angesehen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Beratung und die Entscheidung über die Reform des § 218 ist naturgemäß — auch von der Publizistik gerade auf diesen Tag der Entscheidung hin in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Ohne den Grad der Bedeutung, den das Strafrecht freilich hat, mindern zu wollen, möchte ich sagen, daß doch ganz andere Überlegungen im Vordergrund stehen. Ich möchte dem beipflichten, was unsere Kollegin Frau Schlei in diesem Zusammenhang gesagt hat. Viele Argumente, die für die Fristenregelung vorgebracht werden, gipfeln doch darin, daß eine kinderfeindliche Gesellschaft, daß das Fehlen von Wohnungen, finanzielle Erwägungen und eine mitunter allerdings nicht klar definierte Not die Frauen zwängen, das heranreifende Kind nicht zu wollen. Ein Staat, der diese Argumente nicht anders zu entkräften vermag als durch den Hinweis auf die Möglichkeit, das ungeborene Leben töten zu können, hat nicht das Recht, sich Sozialstaat zu nennen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)

Deutlicher, als es der verstorbene frühere Kollege und Sozialdemokrat Adolf Arndt gesagt hat, als er davon sprach, daß die zeitweise Freigabe der Abtreibung und die Freigabe aus sozialen Gründen in Wirklichkeit eine Kapitulation des Sozialstaats sei, kann es eigentlich niemand von uns sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aus dieser Erkenntnis heraus — und, Frau Kollegin Schlei, hier sind wir uns einig — hat die CDU/ CSU-Fraktion dem Bundestag am 20. März einen Entschließungsantrag zugeleitet, mit dem wesentliche soziale und familienpolitische Maßnahmen angestrebt werden. Wir haben die Einführung eines Erziehungsgeldes gefordert, und wir haben dieser Forderung bereits Rechnung getragen, indem wir am 24. April eine Vorlage eingebracht haben, von der wir glauben, daß sie dieser Forderung gerecht wird.
Wir sollten auch sagen, daß an der Neuordnung des Familienlastenausgleichs bis zum 1. Januar 1975 unbedingt festzuhalten ist, und ferner, daß wir die Einführung von Familiengründungsdarlehen verlangen. Das ist nämlich der sicherste Weg dazu, endlich einmal das Argument aus der Welt zu schaffen, man habe nicht die Möglichkeit gehabt, sich eine normale Existenz aufzubauen. Das muß vom Tisch, meine Damen und Herren. Wir können das auf die Dauer nicht ertragen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Natürlich steht die Verbesserung der Mutterschutzgesetzgebung mit im Mittelpunkt der Bemühungen.
Ich möchte davon absehen, nun im einzelnen darzulegen, was wir mit dem Gesetz über das Erziehungsgeld geschaffen haben. Aber zwei Dinge sollte man doch sagen: Ein Erziehungsgeld von monatlich 300 DM für das erste Lebensjahr eines Kindes soll dem Elternteil zugeteilt und gezahlt werden, das der Pflege und Erziehung des Kindes den Vorrang vor der Erwerbstätigkeit einräumt. Außerdem sieht das Gesetz im Interesse des Kindes die Möglichkeit vor, die Gewährung von Erziehungsgeld mit Auflagen zu verbinden, die der Pflege und Erziehung des Kindes dienen. Daß es selbstverständlich ist, daß dabei der Arbeitnehmer hinsichtlich der sozialen Sicherung keine Nachteile erleiden soll, sei nur am Rande mit erwähnt.
Daneben — und ich habe das bereits in der ersten Lesung ausführen können werden wir natürlich Kinderspielplätze, natürlich familiengerechte Wohnungen und natürlich Teilzeitarbeitsplätze, um nur einige Dinge zu nennen, schaffen müssen. Aber, meine Damen und Herren, so sehr wir alle miteinander „natürlich" sagen, so sehr müssen wir auch miteinander sagen, daß wir hinsichtlich der Finanzierung all dieser Angelegenheiten Schwierigkeiten bekommen werden. Aber wenn sich dieser Bundestag nicht bereit findet, gemeinsam eine Lösung zu suchen, dann, glaube ich, wird er seiner Aufgabe nicht gerecht. An der Erfüllung dieser Forderungen, die wir selber aufstellen, werden wir von der Bevölkerung draußen zu Recht geniessen werden.
Das sind Erwägungen, die außerhalb des Strafrechts angestellt werden müssen. Lassen Sie mich aber auch ein Wort zu der Debatte sagen, die auch Sie, Frau Kollegin Schlei, angeführt haben. Ich meine die Debatte zum sogenannten Ergänzungsgesetz zum 5. Strafrechtsreformgesetz. Dazu ein ernstes Wort, weil es in den Zusammenhang hineingehört: Man kann nicht nur davon sprechen, daß man mit diesem Gesetz die Möglichkeit geschaffen habe, nunmehr alle Fälle der Frauen, die in Not geraten seien, befriedigend zu lösen. Eine weitere Überlegung zwingt uns doch, auch noch etwas anderes auszudrücken: Ist das auch richtig, wenn wir die Lösung annähmen, die Sie in Ihrer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes vorschlagen, nämlich die Fristenregelung? Es ist doch die Frage, ob unter dieses Ergänzungsgesetz zum 5. Strafrechtsreformgesetz auch jene Schwangerschaftsabbrüche fallen, die — um einmal mit unserem Kollegen Dr. Müller-Emmert zu sprechen — ausschließlich nach eigenem Gutdünken der Frau vorgenommen werden. Ist es richtig, daß wir auch diese Schwangerschaftsabbrüche in den Katalog der Leistungen aufnehmen, für die die Versicherungen zahlen müssen? Wir müssen uns weiter fragen, ob wir dann — das ist die Kernfrage, die ich an Sie richten muß — nicht einen Zustand schaffen, bei dem die Frau zu sehr die Möglichkeit hat, die Hemmschwelle zum Abbruch der Schwangerschaft zu überschreiten. Haben wir nicht dann die Schwierigkeit, daß, weil es so angenehm, weil es so bequem ist, was die soziale Absicherung betrifft, wir kaum —

(Zuruf der Abg. Frau Dr. Timm.)




Dr. Eyrich
— Ich sage: was die soziale Absicherung betrifft. Liebe Frau Kollegin Timm, Sie wissen ganz genau, daß ich weder hier noch in den Beratungen des Ausschusses, noch sonst irgendwann einmal davon gesprochen habe, daß es für eine Frau angenehm sei, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Aber man kann es, was die sozialen Sicherungen betrifft, manchem so angenehm machen, daß er nicht mehr die Hemmung entwickelt, das nicht zu tun.

(Beifall bei . der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schellenberg: Und der Wohlhabende?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709500600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709500700
Ja, bitte sehr, natürlich!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709500800
Herr Abgeordneter Blank, bitte, eine Zwischenfrage!

Bertram Blank (SPD):
Rede ID: ID0709500900
Herr Kollege, sind Sie der Meinung, daß diese Schwelle eine Frage der Einkünfte sein sollte?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD. — Abg. Dr. Marx: Dumme Polemik ist das!)


Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709501000
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Ihnen damit antworten, daß es Erfahrungen gibt, die wir während unserer Beratungen gemacht haben. Diese Erfahrungen lauten so, daß uns etwa Frau Mall-Haefeli gesagt hat, daß bei den zum Schwangerschaftsabbruch bereiten Frauen der Hinweis auf soziale Hilfen so lange eine Wirkung nicht zeigte, solange ihnen der Schwangerschaftsabbruch durch Freistellung von Strafe ohne Schwierigkeit ermöglicht würde. Sie hat uns gesagt — das trifft doch den Kern Ihrer Frage —, daß der Hinweis an eine Frau, sie solle ihr Kind austragen und man biete ihr Hilfen an, deswegen auf taube Ohren stößt, wenn ich es einmal so sagen darf, weil die überwertige Idee — so hat es Frau Mall-Haefeli ausgedrückt —, die Schwangerschaft abzubrechen, so stark ist, daß sie gegenüber den Hilfen, die angeboten werden, zurücksteht.
Lassen Sie mich aber auch ein Wort zu der Debatte sagen, die im vorigen Monat geführt wurde. Ich habe bereits ausgeführt, daß in dieser Debatte immer wieder und auch heute etwas zum Vorschein gekommen ist, über das wir miteinander sprechen müssen, nämlich die Frage, ob es sich tatsächlich in all diesen Fällen um die Not der Frauen handelt oder ob es auch um andere Dinge geht.
Ein Wort aber auch — Sie haben es betont — zu der immer wieder erhobenen Forderung nach der eigenen Verantwortung der Frau. Nicht allein die Verantwortung der Frau ist angesprochen und auch nicht die Verantwortung nach dem Eintritt der Schwangerschaft, sondern es ist die Verantwortung der Partner füreinander angesprochen. Das wird eigentlich viel zuwenig betont.

(Beifall des Abg. von Hassel.)

Wir dürfen es nicht zulassen, daß der Schwangerschaftsabbruch ein Mittel der Geburtenkontrolle und der Familienplanung wird. In den USA hat man mit Befriedigung darauf hingewiesen, daß nach dem ersten Schwangerschaftsabbruch eine entsprechende Beratung in vielen Fällen dazu geführt habe, daß die Frauen dann ein Antikonzeptionsmittel angenommen hätten. Aber man hat auch gesagt, daß in vielen Fällen die Frau das Antikonzeptionsmittel deswegen nicht angenommen oder es vernachlässigt habe, weil der freie Zugang zur Abtreibung für sie jederzeit gegeben gewesen sei. Hier, meine Damen und Herren, muß doch die Aufklärung beginnen, und hier sind auch wir angesprochen, unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Ich kann es nicht nachvollziehen — ich sage das ganz offen, Frau Kollegin Schlei —, wenn Sie in einem Gespräch mit der Wochenzeitschrift „Die Zeit" am 29. März gesagt haben — ich zitiere aus diesem Gespräch —:
Wenn diese Frauen künftig einen Schwangerschaftsabbruch ohne Schwierigkeiten in der Klinik bekommen, werden sie wahrscheinlich auch für bessere Verhütungsmethoden oder für die freiwillige Sterilisation gewonnen werden können.
Frau Kollegin Schlei, eine Frage: Muß denn erst eine Abtreibung geschehen sein, ehe man den Frauen zumutet, sich für bessere Verhütungsmethoden oder für die Sterilisation gewinnen zu lassen?

(Zuruf von der SPD.)

— Lesen Sie es doch noch einmal genau durch. Das ist doch ein Widerspruch in sich selbst.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie müssen sich entgegenhalten lassen, daß wir dann, wenn wir diese Meinung schon vertreten, allerdings auch die Meinung haben müssen, daß eine Verhütungsmaßnahme der Frau vor der ersten Abtreibung genauso gut zugemutet werden kann wie nach der ersten Abtreibung. Damit entfällt auch bei vielen wir haben es doch gehört, Frau Kollegin Timm — der Hinweis, daß die Frauen diese Anti-konzeptionsmittel nicht vertrügen; auch das war doch in den Anfangszeiten eine Begründung dafür, daß man die Fristenregelung brauche. Sie haben das oftmals auch im Ausschuß gesagt. Das stimmt nicht miteinander überein, wenn wir hören, daß der Frau nach dem ersten Schwangerschaftsabbruch zugemutet wird, diese Mittel anzunehmen.
Meine Damen und Herren, trotz aller Maßnahmen und trotz aller Hilfen, die wir geben können, trotz aller Beratungs- und Aufklärungsarbeit wird es natürlich auch in Zukunft Fälle geben, die Gegenstand strafrechtlicher Betrachtung sein werden. Es wird Fälle geben, in denen die Frau in eine so große Konfliktsituation kommt, daß sie eine andere Möglichkeit als die des Schwangerschaftsabbruchs nicht sehen wird. Was immer wir für eine Bedeutung der Strafe zumessen, die Reform des § 218 muß so gestaltet werden, daß sie mit den Grundlagen und den Grundüberzeugungen unserer Rechtsordnung vereinbar ist. Die Entscheidungen des Strafrechts müs-



Dr. Eyrich
sen sich, um mit Minister Jahn zu sprechen, in besonderem Maße an Wesen und Inhalt des Grundgesetzes ausrichten.
Dieses Grundgesetz hat eine klare Entscheidung getroffen. In seinem Artikel 2 stellt es den Schutz des Lebens zu Recht an die erste 'Stelle der schützenswerten Güter. Wie auch immer man die Ergebnisse des Parlamentarischen Rates bewerten will, es ist unbestreitbar, daß dieser verfassungsrechtlich garantierte Schutz auch das ungeborene Leben mit umfaßt. Es wäre widersinnig, wenn wir anders argumentieren wollten, weil alle Wissenschaftler, die wir gehört haben und die ihre Meinung dazu gesagt haben, darin übereinstimmen, daß dem Embryo von der Befruchtung an die Individualität, also das entscheidende Merkmal des Lebens überhaupt, innewohnt. Wenn das aber so ist, dann gebührt diesem ungeborenen Leben in seiner gesamten Entwicklung vom Zeitpunkt der Einnistung an der ungeteilte und durch keine wie auch immer geartete Frist unterbrochene oder abgeteilte Schutz des Grundgesetzes.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, Schutz und Förderung jeglichen Lebens ist ein menschliches Grundgebot und muß der Ausgangspunkt aller Überlegungen sein, auch der, wie dieser Grundsatz am wirkungsvollsten durchzusetzen und zu verwirklichen ist. Da trennen sich die Wege derer, die wie wir, ob es sich um die eine oder andere Indikationenlösung handelt, diesen Schutz durch das Strafrecht garantiert wissen wollen, und derer, die in den ersten drei Monaten auf den Schutz des Strafrechts glauben verzichten zu können. Für uns gilt nach wie vor, daß ungeborenes Leben dem geborenen gleich zu achten und in jeder Phase gleich zu schützen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wieviel ist nicht schon über Aufgabe und Funktion des Strafrechts gesagt worden, angefangen bei der Forderung, es müsse das ethische Minimum gewährleisten, bis hin zu ,der Feststellung, dieses Strafrecht habe sittenbildende Kraft! Bereits diese Positionen zeigen, wie breit das Spektrum der Meinungen ist. Wie immer wir aber die Funktion dieses Strafrechts bewerten wollen, eines sollten wir feststellen — und es sind zwei ganz wichtige Erkenntnisse —: Das Strafrecht beinhaltet auch eine Wertentscheidung. Gerade da, wo es um das Leben geht, kann der Strafgesetzgeber nicht umhin, Wertmaßstäbe zu setzen. Das Leben kann nicht unter Berufung auf den Pluralismus von verschiedenen Gruppen verschieden gewertet werden. Die Achtung vor dem Leben in seiner Eigenartigkeit und Einzigartigkeit entzieht sich der pluralistischen Deutung. Es ist deshalb auch nicht möglich, in den ersten drei Monaten das Verhalten der Schwangeren, die einen Abbruch vornimmt, als wertneutral anzusehen und etwa so weit zu gehen, wie es Herr Kollege von Schoeler getan hat, als er sagte, es sei der Kern der Fristenlösung, keine inhaltliche Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs vorzunehmen.

(Abg. von Schoeler: Das verdrehen Sie jetzt!)

Damit wären aber alle Barrieren, die das Strafrecht gegenüber einem nicht gerechtfertigten Angriff auf ein schutzwürdiges Rechtsgut aufbauen muß, abgebaut.
Sie werden es niemandem in diesem Lande begreiflich machen können, warum Sie diesem unteilbaren Rechtsgut in den ersten drei Monaten den Schutz versagen wollen, obwohl auch nach Ihrer Begründung der Schutz des ungeborenen Lebens in den Vordergrund aller Überlegungen gestellt ist. Aber wir sollten ehrlich zueinander sein: Beides, die Fristenregelung und der Gedanke, den Schutz an die oberste Stelle zu stellen, ist miteinander nicht vereinbar.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Strafrecht hat natürlich auch Einfluß auf die Bewußtseinsbildung der Allgemeienheit. Auch diese Funktion des Strafrechts ist unbestritten. Ihre Entscheidung, meine Damen und Herren, würde bei der Bevölkerung nicht nur den Eindruck erwecken, als sei das ungeborene Leben in seinem Wert bewußt herabgesetzt, sondern müßte sich auch auf die Achtung des Lebens überhaupt auswirken. Würde die Aufgabe des strafrechtlichen Schutzes eigentlich nicht für sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft bedeuten, daß damit zugleich auch die dahinter stehende ethische Norm aufgegeben worden ist? Ich weiß, daß Sie das nicht gerne nachvollziehen und es auch bestreiten. Aber, meine Damen und Herren, an einer Erkenntnis kommen wir nicht vorbei: Ohne Rechtfertigung und ohne Rücksicht auf das Motiv ist nach Ihrer Regelung die Tötung ungeborenen Lebens möglich. Genau darüber, Frau I Kollegin Schlei, muß man sprechen.

(Abg. von Schoeler: Ist doch auch nach Ihrem Entwurf möglich, Herr Eyrich!)

— Wir müssen darüber reden, Herr Kollege von Schoeler, und zwar deswegen, weil wir uns fragen müssen, ob nicht doch irgendwo der Gedanke der Rechtfertigung in Ihren Überlegungen eine Rolle spielt und ob es tatsächlich die Fristenlösung ist, die diesen Überlegungen dann gerecht wird.
Es ist mir in den Diskussionen draußen, in den Sitzungen des Ausschusses und auch heute bei Ihrer Begründung, Frau Kollegin Schlei, eines aufgefallen; ich weiß nicht, ob es unbewußt geschieht oder ob es der Versuch ist, draußen klarmachen zu wollen, daß man doch eine Rechtfertigung brauche. Ich darf einmal den Herrn Kollegen Glombig aus der letzten Sitzung, die über dieses Problem stattgefunden hat — es war die Sitzung vom 21. März 1974 —, zitieren. Er hat dort ausgeführt — und diesen Ausführungen können wir auch für uns zustimmen —:
Denn für uns ... ist es ein Gebot der Solidarität, die in Not geratenen Frauen nicht allein zu lassen
Herr Kollege Hölscher hat davon gesprochen, daß es eine unlösbare Konfliktsituation sei, die für die Maßnahmen ausschlaggebend sei, die dort getroffen worden seien. Meine Damen und Herren, darf ich Sie nicht einmal fragen, ob diese Fälle, die Sie als Fälle von Not bezeichnen — Frau Kollegin



Dr. Eyrich
Funcke, Sie haben in einem anderen Zusammenhang einmal von Ausweglosigkeit gesprochen —, eigentlich der Fristenregelung bedürfen? Haben Sie nicht mit mir den Eindruck, daß man auch mit einer anderen Lösung, die allerdings alle anderen Widrigkeiten vermeidet, dieser Probleme unlösbarer Konfliktsituationen genauso gut und genauso wirksam Herr werden kann?

(Beifall bei der CDU/CSU.) Das ist doch die entscheidende Frage.


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709501100
Herr Kollege Eyrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Frau Funcke?

Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709501200
Bitte sehr, Frau Kollegin!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709501300
Herr Kollege, wenn wir in diesem Punkt einig sind, ergibt sich doch die Frage: Wie wollen Sie dieser Ausweglosigkeit begegnen, wenn Sie der Frau nicht die Möglichkeit der offenen Aussprache gewähren, da nach aller Lebenserfahrung die Strafandrohung die offene Aussprache verhindert?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Köster: Sie haben die Entwürfe nicht gelesen!)


Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709501400
Frau Kollegin Funcke: Sie sollten noch einmal nachlesen, was der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform

(Abg. Köster: Tatsächlich beschlossen hat!)

bezüglich unserer Modelle — ich spreche hier auch für das Modell der Kollegen Heck und anderer — in seine Überlegungen miteinbezogen und in Gesetzesform gefaßt hat. Wir haben dort gesagt, daß der Frau die Möglichkeit gegeben sein muß, sich ohne Furcht vor Strafe beraten zu lassen, allerdings mit dem Ziel, den Schwangerschaftsabbruch zu vermeiden, wenn es irgend möglich ist. Wir haben bewußt die von uns früher gesehene Regelung verlassen, es allein auf eine Gutachterkommission ankommen zu lassen, weil auch wir ich habe das schon in der ersten Lesung gesagt — gemerkt und gespürt haben, daß der Zugang zu einem Beratungsgremium, dessen Mitglieder der Geheimhaltungspflicht unterliegen, für die Frau die beste Möglichkeit ist, sich zu artikulieren und sich dann schlüssig zu werden, ob sie den Weg zum Gutachter finden oder ob sie ihn nicht finden will.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709501500
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Funcke?

Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709501600
Bitte sehr!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709501700
Herr Kollege Eyrich, woran mag es denn wohl liegen, daß heute, wo es doch schon Beratungsmöglichkeiten gibt, weit über 100 000 Frauen jährlich nicht zur Beratung gehen, sondern den illegalen Weg gehen?

Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709501800
Sehr geehrte Frau Kollegin Funcke, das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Das mag daran liegen, daß es bis jetzt die Möglichkeiten, die wir eröffnen wollen, noch nicht gibt. Genau deswegen tun sie es nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte die Frage anschließen, ob es für Sie nicht in gleichem Maße unerträglich ist, aus rein subjektiven Überlegungen heraus vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche zu tolerieren, so wie jene Frau

(Abg. Dr. de With meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— ich lasse Ihre Frage sofort zu; ich möchte nur diesen Gedanken zu Ende führen, Herr Kollege de With , die uns im Fernsehen vorgeführt worden ist, ganz einfach gesagt hat — ich zitiere nun das Interview im „Spiegel"
Na ja, da haben wir also, mein Mann und ich, gemeinsam beschlossen, daß wir das Kind nicht behalten wollen.
Meine Damen und Herren, so einfach scheint es zu sein: man beschließt einfach, ein Kind nicht behalten zu wollen, und man treibt es ab. Glauben Sie nicht auch, daß, wenn das in der Zukunft möglich sein wird, die Achtung vor dem Leben immensen Schaden erleiden wird? — Bitte sehr, Herr Kollege!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709501900
Herr Kollege, wenn Sie immer gleich an das Mikrophon treten, weiß auch ich, daß Sie sich wirklich zu Wort melden. Bitte schön!

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0709502000
Gestatten Sie, Herr Kollege Eyrich, daß ich Sie darauf hinweise, daß das, was Sie aus dem „Spiegel"

(Zurufe von der CDU/CSU: Fragen!)

zitiert haben, unter dem heute geltenden Recht, das wir reformieren wollen, geschehen ist, und daß ich ferner darauf hinweise,

(erneute Zurufe von der CDU/CSU: Fragen!)

daß es ja wohl nicht so sehr auf das ankommt, was auf dem Papier als Beratungsmöglichkeit aufgeschrieben ist, sondern darauf, . . .

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709502100
Herr Kollege Dr. de With, stellen Sie eine Frage!

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0709502200
Ich bin sofort fertig.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709502300
Das ist aber keine Frage, Herr Kollege. Bitte stellen Sie eine Frage an den Redner!

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0709502400
Eine Frage ist darin enthalten, Frau Präsidentin. Ich wollte sagen: ... daß sich das Tor zur Beratung wirklich weit öffnet.




Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709502500
Herr Kollege Dr. de With, Sie sagen: daß sich das Tor zur Beratung öffnet. Sie wissen so gut wie ich, daß von vielen Leuten, die in der Beratung tätig sind und die ihre Erfahrungen haben, genau dieser Weg bestritten wird. Sie sagen: Der Frau kommt es nicht darauf an, beraten zu werden, sondern der Mehrzahl der Frauen kommt es darauf an, so schnell wie möglich ihre sogenannte überwertige Idee, nämlich den Schwangerschaftsabbruch zu vollziehen, durchzusetzen. Sie wissen, daß doch genau das das Argument gegen die Fristenregelung ist: daß bei einem Zugang zum Schwangerschaftsabbruch doch kaum erreicht werden kann, daß sich die Frau zuvor noch beraten läßt. Das ist die Schwierigkeit. Wir kommen daran nicht vorbei. Wenn ich eine Möglichkeit fände, würde ich sicherlich helfen, diesen Weg zu vermeiden. Aber was ich aufgezeigt habe, ist doch die Realität, die uns von allen Gutachtern und Beratern, wo immer wir auch waren, dargestellt worden ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709502600
Herr Kollege Eyrich, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Timm?

Dr. Helga Timm (SPD):
Rede ID: ID0709502700
Herr Eyrich, haben wir denn in New York so verschieden gehört, wo wir genau die umgekehrte Auskunft bekamen, daß nämlich dort auf Grund der gesetzlichen Regelung die Beratungsmöglichkeiten für die Frauen die wir erreichen möchten — viel besser und größer geworden sind? Das haben wir doch zusammen gehört —oder nicht?

Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709502800
Frau Kollegin Dr. Timm, ich weiß, daß Sie aufmerksam zugehört haben. Dann haben Sie aber doch auch gehört, daß genau das das Problem war, daß nach diesem System offenbar erst eine Abtreibung stattgefunden haben muß, bevor der Zugang zu der Beratung gefunden worden ist. Wie Sie wissen, haben wir in den USA doch die Auskunft bekommen, daß die Frau, wenn sie einmal da war, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, der Beratung besser zugänglich sei.
Frau Präsidentin und auch die beiden Damen, nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber ich glaube, ich sollte die Gedanken doch zusammenhängend vortragen können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben sicherlich nicht den Eindruck, daß ich nicht bereit wäre, Ihre Fragen zu erörtern. Aber wir sollten auch darauf Wert legen, daß die Gedanken lückenlos vorgetragen werden.

(Abg. Niegel: Wir haben ja auch nicht gestört!)

Ein letztes Wort zu der Frage des Schutzes des ungeborenen Lebens im Falle der Fristenregelung. Wir wissen doch, daß Ihre Regelung den Schutz nicht nur für die ersten drei Schwangerschaftsmonate beseitigen wird, wie Sie es in Ihrem Entwurf vorsehen. Wir wissen von den Sachverständigen aus der öffentlichen Anhörung, daß in diesem Stadium das Alter der Schwangerschaft noch nicht einmal auf den
Monat genau objektiv festgestellt werden kann. Daß unter diesen Umständen in vielen Fällen Frauen auch noch in einem späteren Stadium einen nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch begehren und erreichen werden, erscheint unzweifelhaft.
Dabei soll gar nicht einmal von der kriminalpolitischen Erwägung gesprochen werden, daß, wenn Sie den Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten freigeben, doch niemand den Beteiligten wird nachweisen können, daß es sich nicht um die ersten drei Monate gehandelt habe. Wer wollte es denn auch nachweisen? Die Frau wird es nicht tun; der Arzt darf es nicht tun, und jemand anderes kann es ganz sicher nicht tun.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zu folgendem sagen. In der ersten Lesung habe ich im Auftrag der Mehrheit meiner Fraktion ausführen dürfen, daß unser Entwurf die Bezeugung unseres Willens ist, diesem Haus die Möglichkeit zu eröffnen, mit uns einen Weg zu finden, der im Interesse des Rechtsgutes Leben vertretbar ist und den Interessen der Frau gerecht wird. Die Ereignisse der letzten Wochen und Tage geben mir nicht viel Hoffnung, daß das noch möglich sein wird. Ich sage Ihnen ganz offen: ich bedauere das, nicht weil ich recht behalten will, sondern weil eine breite Mehrheit in einer so wichtigen und tiefgreifenden Frage besonders wertvoll wäre und überzeugend dartun könnte, was wir gemeinsam an Schutz für das ungeborene Leben leisten wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unser Entwurf versucht, der Frau in Konfliktsituationen gerecht zu werden. Die medizinische Indikation gibt diese Möglichkeit bei Gefahr für das Leben der Frau oder bei Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit. Wir haben uns nach langen Diskussionen schließlich dazu durchgerungen, im Rahmen dieser Indikation einen Abbruch der Schwangerschaft auch dann zu ermöglichen, wenn nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft im Rahmen dieser Indikation eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an Siechtum oder einem gleichschweren dauernden Schaden seiner Gesundheit leiden würde.
Viele machen uns und ich muß das sagen — den
Vorwurf, daß wir angesichts unserer Vergangenheit eine solche Entscheidung nicht hätten treffen dürfen. „Wie könnt ihr euch eigentlich anmaßen, über Wert oder Unwert ungeborenen Lebens zu befinden?" Das ist der Tenor vieler besorgter Menschen. Und in der Tat: Wenn es darum ginge, dann hätten alle diese Kritiker recht. Niemand von uns aber will Leben einteilen in solches, das es wert ist, gelebt zu werden, und in solches, das es nicht wert ist. Ausschlaggebend ist allein, daß wir meinen, von einer Frau nicht verlangen zu können, daß sie unter Androhung von Strafe ein Kind zur Welt bringt, um dessen weiteres Schicksal sie auch bangen muß, wenn es einmal nicht mehr ihrer Fürsorge teilhaftig werden kann. Das zeigt aber auch deutlich, daß wir noch viel tun müssen, um gerade dem geistig oder
6340 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974
Dr. Eyrich
körperlich behinderten Kind zu helfen, und daß wir glaubwürdigere Alternativen als die Erlöse aus Fernsehsendungen anbieten müssen.
Die Zulassung der kriminologischen Indikation, der Fall der aufgezwungenen Schwangerschaft, ist uns ebensowenig leichtgefallen. Wer wüßte nicht, wie schwer es ist, eine Vergewaltigung nachzuweisen? Aber wer wüßte auch nicht, wie schwer es ist, über eine Frau zu Gericht zu sitzen, der eine Schwangerschaft aufgezwungen wurde und die damit nicht fertig werden kann? Eine strafrechtliche Sanktion halten wir in diesen Fällen nicht für gerechtfertigt.
Sie werden uns natürlich fragen, ob wir nicht an die Frauen gedacht hätten, die aus Not einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen haben, und Sie haben uns in den Beratungen auch gefragt, warum wir eine soziale Indikation ablehnen. Unsere Antwort darauf könnte sein — ich sage: könnte sein —, daß es in einem Sozialstaat eine solche Indikation nicht geben darf, weil wir alle Anstrengungen unternehmen müßten — so könnten wir weiterfahren —, wirkliche Not lindern zu helfen. Ich muß Ihnen gestehen, .daß ich diese Antwort für nicht befriedigend erachten würde, weil sie an der Vielfalt des Lebens vorbeigehen würde und weil es uns am Ende nicht gelingen wird, alle Not zu beseitigen, und weil nicht alle Not zwangsläufig auch materielle Not sein muß. Aber für uns war die folgende Überlegung maßgebend: Man hat die soziale Indikation als die Indikation der Ausweglosigkeit bezeichnet. Wenn sie das wäre und sicherstellen würde, daß tatsächlich nur solche Fälle darunter gefaßt werden können, dann wäre die Situation sicherlich anders. Aber man darf doch nicht verkennen, daß schon das Anhörungsverfahren vor dem Sonderausschuß gezeigt hat, wie dehnbar der Begriff der sozialen Indikation ist. Kurzzeitige Unannehmlichkeiten könnten ebenso wie kaum nennenswerte Störungen eines vorausgeplanten Lebensablaufs sehr bald zur Begründung eines Schwangerschaftsabbruchs wegen allgemeiner Notlage herangezogen werden. Aus der Indikation der Ausweglosigkeit würde schnell eine Indikation, unter die alle Fälle eingereiht würden, in denen unbequeme Einschränkungen mitunter sehr hoch angesetzter Erwartungen hingenommen werden müßten. Eine so aufgefaßte soziale Indikation würde sich aber am Ende von der Fristenregelung nicht mehr unterscheiden lassen.
Ist aber — und das sage ich ebenso deutlich für diese Fraktion — die Situation einer Frau wirklich ausweglos, versagen tatsächlich alle Hilfen, handelt sie in einer schweren Bedrängnis, dann soll auch nach unserer Auffassung letztlich der Richter die Möglichkeit haben, bei einer solchen Frau von Strafe abzusehen. Ich meine, es sei die Möglichkeit gegeben, sowohl dem Rechtsgut des Lebens als auch den Interessen der Frau gerecht zu werden.
Wenn wir dieses Modell zur Entscheidung stellen, sollten Sie bei Ihrer Entscheidung auch nicht übersehen, daß wir mit der Neufassung der Bestimmungen über Beratungs- und Gutachterstellen einen wertvollen Beitrag zu einer wirksamen Hilfe für die Frau geleistet 'haben. Ich habe das bereits in der Antwort auf die Fragen, die wir von unserer Frau
Kollegin Funcke gestellt bekommen haben, darzustellen versucht. Lassen Sie es bei dem bewenden, was ich dazu ausgeführt habe. Mit unserem Entwurf haben wir allen Betroffenen, voran aber auch der Frau, einen Weg zu zeigen versucht, der human ist und gleichzeitig unseren Rechtsgütern gerecht wird.
Nun ein Punkt, den wir, meine Damen und Herren von der Koalition, am Ende noch miteinander erörtern sollten. Sie haben, Frau Kollegin Schlei, von der Entscheidungsmöglichkeit, von der Freiheit der Frau in ihrer Entscheidung gesprochen. Aber wir haben in diesem Jahr der Beratung verstärkt die Überzeugung gewonnen, daß die Fristenregelung, die Sie anstreben, diesem Freiheitsraum der Frau und ihrem Recht auf Selbstbestimmung nicht gerecht wird. Sie wird —dieses Problem muß man doch sehen - mehr denn je vom Erzeuger, von ihren Angehörigen und anderen Personen gedrängt werden, den bequemen, straflosen Weg des Schwangerschaftsabbruches zu gehen. Es ist doch heute schon in vielen Fällen so, daß nicht die Frau, sondern der Mann derjenige ist, der auf den Schwangerschaftsabbruch drängt. Wir können die Verantwortung dafür nicht übernehmen, daß die Frau noch weniger frei sein wird als bisher. Herr Kollege Wehner, Sie müssen auch die Frage beantworten, wie der Satz auszulegen ist, den Sie gesprochen haben, als Ihnen eine Gruppe sehr viele Unterschriften für die von Ihrer Fraktion gefundene Lösung übergeben hat. Sie haben damals gesagt: „Die Frauen in der Bundesrepublik können sich auf die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verlassen."

(Demonstrativer Beifall bei der SPD.)

Ich muß Sie fragen — dieser Satz verdient den Beifall, wenn er so ausgelegt würde, wie er nach unserer Meinung ausgelegt werden müßte —, ich muß Sie fragen, Herr Kollege Wehner: wird sich auch die Frau auf die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verlassen können, die von einem Dritten gedrängt wird, .den straflosen Weg des Schwangerschaftsabbruches zu gehen? Was wollen wir dieser Frau antworten, wenn sie das Kind behalten will, andere aber sie zur straflosen Abtreibung bewegen wollen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ob Sie es beabsichtigen oder nicht — ich unterstelle es Ihnen nicht —, ob Sie noch so gut gemeinte. Wunschvorstellungen äußern, Sie werden mit der Fristenregelung und mit der außerstrafrechtlichen Regelung eine Atmosphäre schaffen, in der das ungeborene Leben der ersten Monate von interessierter Seite als ein absaugbares Zellgewebe dargestellt wird, in der die Frauen offen und suggestiv auf ihr keine Begründung erforderndes Recht zum Schwangerschaftsabbruch hingewiesen werden, in der ein Berater alles darf, nur eines nicht: nämlich die unmotivierte Vernichtung eines Embryos innerhalb der Frist als Unrecht bezeichnen, und in der die nicht mitwirkungsbereiten Ärzte öffentlicher Kliniken und Krankenhäuser als verständnislose Sündenböcke abgestempelt und — wie es die Senatorin für das Gesundheitswesen in Hamburg einmal genannt hat — eben die Stellen derer umbesetzt werden, die



Dr. Eyrich
nicht bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.
Lassen Sie mich zum Schluß, meine Damen und Herren, den Herrn Bundeskanzler ansprechen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ist er denn da? — Er ist ja nicht da!)

— Er kann offenbar nicht da sein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709502900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0709503000
Herr Kollege, würden Sie so freundlich sein, darauf zu verzichten, den Herrn Bundeskanzler jetzt in einer Weise, als ob er herzitiert werden müßte, zu apostrophieren, weil man wissen kann, daß er heute verpflichtet ist in Hannover zu sein, und daß er nach dem Mittag wieder hier sein wird.

(Zuruf des Abg. Niegel.)

— Ich bitte Sie um Entschuldigung. Ich dachte, dem Ernst dieser Debatte, Herr Niegel, wäre es angemessen, dem Kollegen die Möglichkeit zu geben, das jedenfalls in der Form anständig zu machen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Heinz Eyrich (CDU):
Rede ID: ID0709503100
Verehrter Herr Kollege Wehner, niemand — auch ich nicht — wird darüber befinden können, welche Verpflichtungen der Herr Bundeskanzler in dieser Stunde hat. Niemand wird abwägen können, ob er hier sein könnte oder irgendwo anders sein muß. Ich habe das nicht in der Form gemeint, daß wir ihn herzitieren, sondern ich möchte hier klarstellen, daß es sich um eine Frage handelt, Herr Kollege Wehner, die uns doch alle bewegt, eine Frage, auf ,die wir eine klare und unmißverständliche Antwort haben wollten.
Ich wollte den Herrn Bundeskanzler fragen, ob es nicht seine Pflicht gewesen wäre, als Chef der Regierung dieser Legislaturperiode mit der ganzen Autorität, die das Grundgesetz diesem Amt verliehen hat, darauf hinzuwirken, daß der von seiner Regierung in der letzten Legislaturperiode verabschiedete Entwurf, der eine Indikationenregelung beinhaltet, wieder vorgelegt werden konnte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Hinweis auf die Gewissensentscheidung vermag mich nicht zu überzeugen. Dieses Problem war vor drei Jahren nicht weniger schwierig, als es heute ist. Unter der Richtlinienkompetenz des Herrn Bundeskanzlers ist die Fristenregelung mit überzeugenden Argumenten abgelehnt worden.

(Abg. Katzer: Sehr wahr!)

Wir müssen doch fragen: Gilt das heute nicht mehr?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir können den Herrn Bundeskanzler nicht aus seiner Verantwortung entlassen. Lassen Sie mich ihn auffordern, auch jetzt noch alles zu tun, um eine Lösung zu finden, die der Würde, der Verantwortung und der Konfliktsituation der Frau, die dem Recht des ungeborenen Kindes, der Gewissensfreiheit der Ärzte und dem Ansehen der Bundesrepublik in gleichem Maße gerecht wird. Wir sind auch jetzt noch zu Gesprächen bereit.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709503200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Schoeler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709503300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Eyrich, lassen Sie mich zunächst sagen, daß ich es außerordentlich bedaure, daß Sie diese Debatte heute in diesem Hause wiederum dazu mißbraucht haben, Dinge anzusprechen und, Vorwürfe zu erheben, die im Zusammenhang mit den Diskussionen stehen, die draußen in der Bevölkerung geführt werden. Sie haben hier Dinge genannt — beispielsweise die Berliner Ärzte-Aktion, beispielsweise die Schmierereien in München —, von denen wir uns immer ganz eindeutig distanziert haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nicht immer wieder den Eindruck entstehen ließen, wir hätten dies nicht getan.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709503400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709503500
Nein, im Augenblick nicht.

(Abg. Rawe: Herr Kollege Schoeler, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Herr Kollege Eyrich genau dies gesagt hat? Sie sollten bitte zuhören! Das ist ja unerhört!)

Und wenn wir, meine Damen und Herren, über Entgleisungen in der Diskussion draußen sprechen würden, müßten wir hier, glaube ich, auch andere Dinge erwähnen; ich will mich an dieser Diskussion nicht beteiligen.

(Abg. Rawe: Aber Sie sollten wenigstens zuhören, wenn der Herr Kollege Eyrich das vorträgt!)

Meine Damen und Herren, ich kann auch nicht verstehen, wieso hier wieder von Ihnen, Herr Kollege Eyrich, der Hinweis auf die Richtlinienkompetenzen des Bundeskanzlers gekommen ist.

(Abg. Leicht: Ja, und?)

Sie wissen so gut wie ich und so gut wie jeder in diesem Hause: diese Frage, zu deren Entscheidung wir heute aufgerufen sind, ist eine Frage, die in besonderem Maße der Gewissensentscheidung eines jeden einzelnen Abgeordneten unterliegt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Niemand, kein Bundeskanzler und kein Vertreter einer weltanschaulichen Vorstellung, kann uns diese Entscheidung abnehmen,

(Zustimmung bei der SPD)




von Schoeler
und jeder von uns ist aufgerufen, sie selbst vor seinem Gewissen zu verantworten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu meinen Ausführungen kommen. Im Namen des Volkes verurteilte vor einigen Monaten das Verwaltungsgericht Düsseldorf eine 37jährige Frau, ihre elfte Schwangerschaft auszutragen. Die Frau ist Mutter von sieben Kindern; sie hatte zwei Fehlgeburten; ein Kind war nach einer Herzoperation gestorben. Die Gutachterstelle der Ärztekammer Nordrhein hatte ihren Antrag auf legalen Schwangerschaftsabbruch abgelehnt. Der Ehemann ist Schweißer, verdient monatlich 1000 DM; die Familie wohnt in einem abbruchreifen Haus. Das ist ein Beispiel von vielen,

(Abg. Köster: Der Wohnungsbauminister in Nordrhein-Westfalen, wer ist das? — Abg. Stücklen: Was sagt der Staat, was sagt die Gesellschaft?)

ein menschliches Schicksal, das hier — in nüchternen Worten dargestellt — zum „Fall" wird. Mit welchen Konflikten ist die Entscheidung für oder gegen die Annahme des Kindes für diese Frau vor dem Hintergrund des zermürbenden und entnervenden alltäglichen Kleinkriegs mit einer sicherlich nicht kinderfreundlichen Umwelt, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten

(Abg. Leicht: Als Schweißer tausend Mark bei sieben Kindern? Falsche Zahlen!)

und der Verantwortung für die bereits vorhandenen Kinder verbunden? — Meine Damen und Herren, ich kann gar nicht verstehen, wieso Sie sich aufregen, wenn ich nun einmal einen Fall hier erwähne, einen von vielen, über die wir heute diskutieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir diskutieren nicht um Theorien, nicht um große Worte, sondern über das Schicksal von Menschen, und das sollten Sie sich vielleicht einmal in Ihr Gedächtnis rufen!

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien und Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, was gibt denjenigen Richtern, Staatsanwälten und Ärzten, die nach dem geltenden § 218 — und nach den vorliegenden Indikationenmodellen wird das nicht anders sein — über diese Frau zu entscheiden haben, das Recht dazu? Müßte sich nicht jeder, der dazu vom Gesetz berufen ist, ehrlicherweise eingestehen: Diese Entscheidung kann ich für die Frau nicht treffen; diese Entscheidung kann nur eine treffen, nämlich die, durch die Leben erst zu Leben werden kann, und das ist die Mutter. Ich kann mich nicht über sie setzen und zum Richter über sie machen.
Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, was denn dem Staat das Recht dazu gibt, hier den Strafanspruch aufrechtzuerhalten. Sicherlich ist richtig — und hier sind wir alle in diesem Hause einer Meinung —,

(Zurufe von der CDU/CSU)

daß durch einen Schwangerschaftsabbruch Leben, das zu schützen wir alle aufgerufen sind, zerstört wird. Richtig ist aber auch: der § 218 hat seine Aufgabe, werdendes Leben zu schützen, nicht erfüllt. Hundert Jahre mit einer harten Strafandrohung haben gezeigt: In einer so existentiellen Situation wie der einer Schwangerschaft kann eine Frau mit den Mitteln des Strafrechts, mit einer harten Strafandrohung eben nicht gezwungen werden, ein ungewolltes Kind auszutragen. Die Strafandrohung des § 218 hat nicht erreicht, was ein Ziel aller unserer Überlegungen sein muß: nämlich die Zahl der legalen und der illeggalen Schwangerschaftsabbrüche zu verringern.
Der § 218 hat aber nicht nur den Schutz werdenden Lebens nicht erreicht. Indem er die Frauen zu Kurpfuschern und Geschäftemachern übelster Art getrieben und damit schwersten gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt hat, hat er auch menschliches Leben, das zu schützen seine Aufgabe sein sollte, gefährdet. Immer noch, meine Damen und Herren, sterben Jahr für Jahr etwa 50 bis 100 Frauen in der Bundesrepublik an den Folgen eines illegal vorgenommenen Schwangerschaftsabbruchs.
Nun rechtfertigt die Tatsache, daß eine Strafvorschrift häufig übertreten wird, die Tatsache hoher Dunkelziffern also, allein die Abschaffung einer Strafvorschrift sicherlich nicht. Darauf ist in den letzten Wochen und Monaten und auch in der ersten Lesung hier im Bundestag zu Recht hingewiesen worden. Aber der in der öffentlichen Diskussion in den letzten Monaten immer wieder gegebene Hinweis auf die Tatsache, daß entgegen der Vorschrift des § 242 StGB tagtäglich gestohlen wird, bewege uns nicht zu einer Abschaffung der Diebstahlsvorschrift, ist doch im Zusammenhang mit dieser Diskussion um den § 218 StGB sehr, sehr oberflächlich. Dieser Vergleich zwischen Diebstahl und Abtreibung berücksichtigt doch ganz grundlegende Unterschiede nicht.

(Abg. Leicht: Nehmen wir den Mord!)

Dieser Vergleich berücksichtigt nicht: Die Diebstahlsvorschrift hebt den effektiven Schutz des Eigentums nicht auf. Dagegen führt der § 218 oft genug zu dem, was er verhindern will, nämlich zu einer Entscheidung der Schwangeren gegen die Annahme ihres Kindes. Indem er den Frauen den Weg zu einer Beratung frei von der Angst vor einer Strafverfolgung und auch die Möglichkeit zu einem Gespräch und mitmenschlichem Rat in schwerer Konfliktsituation versperrt, ist er oft genug die Ursache für einen Schwangerschaftsabbruch aus Unberatenheit und Verzweiflung.
Dieser Vergleich berücksichtigt weiter nicht: Niemand wird bestreiten wollen, daß allgemein anerkannt wird, daß es sich bei Diebstahl um ein strafrechtliches Unrecht handelt. Aber stellen wir uns die Frage, ob es den gesellschaftlichen Grundkonsens auch darüber gibt, daß ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten Monaten der Schwangerschaft strafrechtlich — ich betone ausdrücklich: strafrechtlich, nicht moralisch — verboten sein müsse. Allein der Hinweis darauf, daß in unserer Gesellschaft gerade über diese Frage in den letzten Jahren sehr



von Schoeler
heftig diskutiert wird, vermag die Frage sicherlich nicht zu beantworten. Daß dieser gesellschaftliche Grundkonsens über die Strafwürdigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs in den ersten Monaten nicht besteht, ergibt meines Erachtens schon ein Blick auf die Anwendung und die Strafzumessung nach dem § 218. Wir alle wissen, daß heute weniger als jeder hundertste, vielleicht nur jeder fünfhundertste Fall einer Abtreibung verfolgt und aufgeklärt wird. Diese Zurückhaltung bei der Strafverfolgung ist auch nicht etwa eine Auswirkung der Reformdiskussion der letzten Jahre, wie das in der letzten Woche auf einer Pressekonferenz eines Vertreters der katholischen Kirche behauptet worden ist. Das vom Statistischen Bundesamt vorgelegte Zahlenmaterial ergibt eindeutig, daß die Strafverfolgungsquote in den 50er und 60er Jahren nicht größer war, als sie es heute ist.
Auch die Praxis der Strafzumessung durch die Gerichte macht deutlich, daß das Unbehagen am Strafanspruch des § 218 bis weit in die Richterschaft hineinreicht. Soweit Freiheitsstrafen überhaupt verhängt werden, werden sie zur Bewährung ausgesetzt. Überwiegend werden Geldstrafen verhängt. Geldstrafen von weniger als 100 DM sind keine Seltenheit. Dieser Anwendungs- und Zumessungsbankrott des § 218 zeigt eindeutig, daß ein gesellschaftlicher Grundkonsens über die Strafwürdigkeit eines Schwangerschaftsabbruches selbst in den Reihen der Justiz nicht mehr besteht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

Wie anders wäre es auch zu erklären, daß — bei aller Vorsicht gegenüber den uns vorliegenden Schätzungen — mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden kann, daß die große Mehrheit der illegalen Schwangerschaftsabbrüche in der Bundesrepublik heute von Ärzten vorgenommen wird. Sicherlich wird niemand bestreiten wollen, daß ein Grund dafür darin zu sehen ist, daß die Berechtigung des staatlichen Strafanspruchs auch in ärztlichen Kreisen nicht mehr anerkannt wird.
Daß dieser gesellschaftliche Grundkonsens über die Strafwürdigkeit des Schwangerschaftsabbruches in den ersten Monaten nicht gegeben ist, ist für uns Freie Demokraten ein starkes Motiv für die Zurückziehung der Strafandrohung, wie wir sie Ihnen mit der Fristenregelung vorschlagen. In einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung kann — im Gegensatz zu totalitären Gesellschaftssystemen -- eine Strafnorm eben nur dann durchgesetzt werden, wenn sie im Rechtsbewußtsein des Volkes verankert und von diesem getragen ist.
Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen, was uns Freie Demokraten dazu bewogen hat, schon vor Jahren entschieden für die Reform des § 218 im Sinne der Fristenregelung einzutreten.
1. Dieser Paragraph hat nicht verhindert, daß Tag für Tag abgetrieben wird. Während des einen Jahres, in dem wir über die Reform des § 218 in diesem Parlament beraten haben, haben sich 80 000 bis 300 000 Frauen gegen die Annahme ihres Kindes und für die Abtreibung entschieden. Allein heute
und morgen, an den zwei Tagen unserer Entscheidung, werden es 500 bis 1000 Frauen sein.
2. Dieser Paragraph hat Frauen mit Strafe bedroht, wo ein Gespräch und ein mitmenschlicher Rat nötig gewesen wären. Vielleicht sollte man gerade das an die Adresse der Kirchen sagen.
3. Dieser Paragraph hat die Frauen bei Kurpfuschern oder auch bei Ärzten durch die Illegalität schwersten gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt. 50 bis 100 Frauen müssen Jahr für Jahr wegen dieses Paragraphen sterben.
4. Dieser Paragraph hat zum Abtreibungstourismus nach England und Holland — demnächst kommt Österreich hinzu — geführt. Nur diejenigen, die die Reise ins Ausland nicht bezahlen können, gehen überhaupt noch das Risiko einer Bestrafung ein.
Meine Damen und Herren, dieser unmenschliche, ungerechte und unsoziale § 218 ist bankrott. Die Verantwortung vor den Frauen, die heute wie vor 100 Jahren durch diesen Paragraphen in verzweifelten Situationen mit Strafe bedroht und in die Isolation getrieben werden, über die unter diesem Paragraphen in ihrem ureigensten Bereich immer wieder andere entscheiden, verlangt von uns heute den Mut zur Entscheidung in dieser sicherlich für jeden von uns sehr schwierigen Frage. Niemand hätte Verständnis dafür, wenn wir uns vor dieser Entscheidung drücken wollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dieses absolute Versagen des § 218 war für uns Freie Demokraten Anlaß für unseren Vorschlag zur Reform. Hilfe statt Strafe, Beratung statt Bevormundung --- das ist der Weg, den wir einschlagen müssen, um den Frauen zu helfen.
Nun liegen diesem Hause heute auch aus cien Reihen der CDU/CSU Gesetzentwürfe zur Reform des § 218 vor. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn man die Reden Ihrer Sprecher hört, hört man immer wieder, daß auch Sie der Konfliktsituation der Frau gerecht werden wollen. Aber ich frage Sie: Was wollen Sie denn eigentlich tun, um dieses Ihr Ziel, das Sie mit großen Worten immer vortragen, zu erreichen? Sie legen einen Entwurf vor, nach dem ein Schwangerschaftsabbruch nur dann straffrei gestellt werden soll, wenn durch die Geburt Leben oder Gesundheit der Mutter gefährdet würde — das ist schon heute so —, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung aufgezwungen worden ist --- das sind pro Jahr maximal einige hundert Fälle — oder wenn zu erwarten ist, daß das Kind schwer mißgebildet zur Welt kommt, wobei es sich ebenfalls nur um einige hundert Fälle pro Jahr handelt.
Mit anderen Worten: Sie legen einen Gesetzentwurf vor, bei dem in 99 von 100 Fällen alles beim alten bleiben muß. Sie schreiben damit den unerträglichen Ist-Zustand, den dieser Paragraph geschaffen hat, fest. Sie legen einen Gesetzentwurf vor, nach dem 99 von 100 Frauen, die bisher illegale Abtreibungen haben vornehmen lassen, weiter auf den Weg in die Illegalität verwiesen bleiben. Sie werden diese Frauen also heute wie vor 100 Jahren zum



von Schoeler
Kurpfuscher oder zum Arzt, der einen Eingriff, weil heimlich, nicht unter Anwendung aller ärztlichen Vorsorge durchführen kann, treiben. Sie bringen damit diese Frauen heute wie vor 100 Jahren in schwerste Gesundheitsgefahr.

(Abg. Kroll-Schlüter: Herr von Schoeler, Sie haben es nicht verstanden! Unmöglich!)

Sie überantworten sie anschließend auch noch Staatsanwälten und Richtern. Selbst dann, wenn eine Frau in außergewöhnlicher Bedrängnis gehandelt hat, soll sie nach Ihrem Entwurf noch bestraft werden können. Selbst wenn diese außerordentliche Bedrängnis gegeben war, wollen Sie dem Richter noch die Möglichkeit geben, Strafe zu verhängen. Hier kann ich keine Änderung, die der Konfliktsituation der Frau gerecht wird, erkennen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie müssen sich daher die Frage gefallen lassen, ob Sie es wirklich ernst meinen, wenn Sie davon sprechen, daß Sie den Frauen einen Ausweg aus schweren Konfliktsituationen eröffnen wollen.

(Abg. Rawe: Solch eine primitive Art zu argumentieren!)

Sie wollen im Prinzip an einem Paragraphen festhalten, der nicht das werdende Leben, der keinen Embryo, kein Kind und keine Mutter geschützt hat, sondern der nur uns alle, Staat und Gesellschaft, auch die Kirche, davor geschützt hat, die Augen aufzumachen und sich der gesellschaftlichen Verantwortung dafür bewußt zu werden, daß sich Frauen heute gegen die Annahme ihres Kindes entscheiden. Sie wollen im Prinzip an einem Paragraphen festhalten, der uns davor geschützt hat, zu fragen, warum Frauen dies tun, und gemeinsam in voller Verantwortung vor diesem Problem auf Abhilfe zu sinnen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wo waren denn, bevor wir unseren Vorschlag zur Reform des § 218 im Sinne der Fristenregelung gemacht haben, die mahnenden Worte dazu, daß in unserem Lande tagtäglich abgetrieben wird? Wo waren die Vorschläge, wie man die Frauen zu einer sittlich motivierten Entscheidung für die Annahme des Kindes bewegen könnte? Weil das früher eben nicht war, gibt es für uns ein weiteres wichtiges Argument für die Zurückziehung der Strafandrohung, wie wir sie Ihnen mit der Fristenregelung vorschlagen. Nur diese Reform zwingt uns dazu, die Augen aufzumachen und ehrlich zu fragen, warum sich Frauen gegen ihr Kind entscheiden, und ehrlich nach Möglichkeiten zur echten Hilfe zu suchen. Nur diese Reform wird dazu führen, daß wir uns nicht nur in großen Reden — wenn es darum geht, eine Reform zu verhindern — damit auseinandersetzen, wie wir gemeinsam etwas für den Schutz werdenden Lebens tun können.
Meine Damen und Herren, mit dem Ihnen vorliegenden Entwurf eines Fünften Strafrechtsreformgesetzes schlagen wir Ihnen vor, einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft straffrei zu stellen, wenn die Schwangere ihn wünscht, sie umfassend beraten worden ist und er von einem Arzt vorgenommen
wird. Wir machen diesen Vorschlag, weil wir es ernst meinen, wenn wir sagen, daß es hier um die Hilfe für die Frauen geht, und weil wir es ernst meinen, wenn wir sagen: es geht hier um den Schutz werdenden Lebens.
Nur mit der Zurückziehung der Strafandrohung befreien wir die Frauen aus der Isolation. Nur mit der Zurückziehung der Strafandrohung geben wir ihnen die Möglichkeit, sich unbefangen über die Probleme im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch zu unterhalten, sich über ihre rechtlichen Möglichkeiten, etwa gegenüber dem Erzeuger oder gegenüber staatlichen Stellen, zu informieren. Nur mit der Zurückziehung der Strafandrohung geben wir der Frau die Möglichkeit, eine freiwillige, sittlich motivierte Entscheidung für die Annahme des Kindes zu treffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nur mit der Zurückziehung der Strafandrohung eröffnen wir der Frau den Weg zur Beratung, die für uns ganz entscheidende Bedeutung hat.
Meine Damen und Herren, der Schutz werdenden Lebens ist nicht dort am besten gewährleistet, wo die Strafandrohung am härtesten ist, sondern dort, wo die Gesellschaft mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der Frau die Annahme ihres Kindes ermöglicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie uns gemeinsam, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn wir diese Frage des Strafrechts entschieden haben, ständig nach Lösungen suchen, wie wir den Frauen die freiwillige Entscheidung für die Annahme des Kindes erleichtern. Das ist unsere Aufgabe hier als Parlament, und das ist eine immerwährende Aufgabe, mit der wir uns weiter auseinandersetzen müssen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren! In unserer Erwartung, daß allein die Fristenregelung langfristig ein Sinken der Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche bewirkt, sind wir durch die Erfahrungen bestätigt worden, die der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform bei seinen Reisen ins Ausland und bei dem dortigen Studium liberaler Regelungen gemacht hat. Es war für mich sehr interessant, daß gewisse Argumente, die in der ersten Lesung noch vorgebracht worden sind, jetzt nicht mehr auftauchen.
Ich will ein Beispiel herausgreifen: Bei der ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe vor einem Jahr hat an dieser Stelle die Behauptung eine große Rolle gespielt, daß angeblich in England die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach der Einführung einer liberalen Regelung sprunghaft angestiegen sei. Von Rednern Ihrer Fraktion und auch aus der Gruppe um den Kollegen Müller-Emmert sind diese Zahlen hier zitiert worden. Nun hat sich bei unserem Besuch in England herausgestellt, daß diese Zahlen falsch sind. Ich hätte eigentlich erwartet, daß hier ein ganz deutliches Wort dazu gesprochen wird und daß man sagt: Wir haben uns geirrt; wir haben falsche Zahlen zitiert, und zwar deshalb, weil bei den Zahlen, die hier immer wieder vorgetragen worden



von Schoeler
sind, der enorme Anstieg der Zahl der Frauen, die aus dem Ausland nach England kommen, 'um dort einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, mitgezählt worden ist. Die Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche, die englische Frauen in England vornehmen lassen, sind seit 1971 nicht mehr gestiegen, und Ärzte haben uns bei unserem Besuch in England gesagt, daß sie sogar erwarten, daß die Zahlen für 1973 erstmals sinken. Hier sehen wir eine Bestätigung unserer These, daß die Fristenregelung und die damit verbundene Zurückziehung der Strafandrohung langfristig der einzige Beitrag zum Schutz werdenden Lebens ist, den das Strafrecht leisten kann.
Meine Damen und Herren, wir haben den Entwurf der Fristenregelung in den Ausschußberatungen in zwei Punkten verändert. Zunächst haben wir die Beratung ausgebaut, und dann haben wir eine Vorschrift über die Führung einer Bundesstatistik eingefügt. Lassen Sie mich zu diesen beiden Änderungen einige Erläuterungen geben.
Zunächst zum Ausbau der Beratung. Wir hatten immer davon gesprochen, daß die Beratung im Rahmen der Fristenregelung die wesentliche Funktion hat, daß mit den Frauen gemeinsam die Konflikte, die bei dem Abbruch einer Schwangerschaft auftauchen, durchgearbeitet werden, daß hier ein Rat und eine Hilfe gegeben wird, wo bisher Strafe angedroht worden ist. Deswegen hat gerade im Rahmen der Fristenregelung die Beratung eine zentrale Bedeutung, und es kann sich nicht nur um eine Beratung über die möglichen medizinischen Folgen eines Eingriffs handeln, sondern es muß sich um eine umfassende Beratung über alle Probleme handeln, die in diesem Zusammenhang auftauchen. Deshalb schlagen wir Ihnen mit der heute vorliegenden Fassung der Fristenregelung vor, daß die Beratung auch die Information über die öffentlichen und privaten Hilfen einbeziehen soll, die Schwangeren für den Fall zur Verfügung stehen, daß sie sich entschließen, ihr Kind auszutragen. Nur bei der Fristenregelung, meine Damen und Herren, ist gewährleistet, daß diese Beratung, über die wir uns in allen Fraktionen einig sind, auch tatsächlich angenommen wird. Nur in diesem Modell erreichen wir es, daß die Frauen dorthin gehen, wo ihnen Rat gegeben werden kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die zweite Änderung betrifft die Führung einer Bundesstatistik. In dieser Statistik soll u. a. aufgeführt werden, welche Gründe die Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch ,angegeben haben. Das scheint uns eine besonders wichtige Regelung zu sein, weil doch ein wesentliches Moment, eine wesentliche Unsicherheit wahrscheinlich auch für jeden von uns in 'dieser Debatte darin liegt, daß wir eigentlich erschreckend wenig darüber wissen, warum sich Frauen heute für eine Abtreibung und gegen die Annahme ihres Kindes entscheiden. Wir haben dazu einiges Material, aber dieses Material stochert im dunkeln herum, weil die Atmosphäre der Heimlichkeit und der Angst, die heute über diesem Thema liegt, es uns nicht ermöglicht, offen darüber zu
sprechen, warum sich Frauen gegen das Kind entscheiden, und dann Abhilfe zu schaffen. Wenn wir diese Statistik haben, bei der im übrigen ausdrücklich gewährleistet ist, daß der Name der Frau in keinem Falle genannt werden kann, so daß keine Frau befürchten muß, daß hier ein Eingriff in ihre Intimsphäre vorliegt, dann werden wir sehr viel konkreter hier in diesem Hause darüber beraten können, was wir nun an gesetzgeberischen Maßnahmen sozialpolitischer Art einleiten können, um diesen Gründen zu begegnen.
Aber auch dies, meine Damen und Herren, ist wichtig bei dieser Debatte und bei der Frage nach den Motiven einer Frau: Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, daß sozialpolitische Maßnahmen allein, wie sie hier auch von Herrn Kollegen Eyrich vorhin wieder angesprochen worden sind, nun dieses Problem völlig aus der Welt schaffen würden. Ich hielte es für eine Illusion zu glauben, daß man nur eine kinderfreundliche Umwelt schaffen muß, daß man nur wirtschaftliche Not überall beseitigen muß und daß es dann das Problem, mit dem wir uns heute beschäftigen, nicht mehr gäbe. Denn, meine Damen und Herren, sicherlich bewegt Frauen heute bei der Entscheidung für oder gegen die Annahme ihres Kindes nicht nur das Denken an materielle Dinge. Sicherlich rechnen Frauen heute nicht: Was kommt per saldo heraus? Mir fehlen 100 Mark, deswegen kann ich das Kind nicht austragen. — Denn hier spielen doch noch ganz andere Überlegungen eine Rolle, sicherlich auch ganz entscheidend die Verantwortung — und das sollte hier auch einmal gesagt werden, wenn so oft von der Bequemlichkeit der Frau gesprochen wird —: die Verantwortung vor dem zukünftigen Kind, die Verantwortung vor der Familie, die Verantwortung vor den Kindern, die eventuell schon vorhanden sind.
Mit der Zurückziehung der Strafandrohung bei einem Abbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen soll und kann keine moralische Bewertung eines Schwangerschaftsabbruchs vorgenommen werden. Es geht heute also nicht um die Frage, ob wir für oder gegen die Abtreibung sind. Es geht auch nicht darum, ob in unserem Lande abgetrieben wird. Es geht allein darum, ob eine Frau mit Strafe bedroht werden soll, die sich in schwerster Konfliktsituation nicht anders als durch die Entscheidung gegen die Annahme des Kindes zu helfen weiß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir wehren uns mit aller Entschiedenheit gegen die Unterstellung, es gehe bei der Fristenregelung um eine Propaganda für die Abtreibung oder gar eine Aufforderung zur Abtreibung. Das ist nicht der Fall.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, das Strafgesetzbuch kann kein lückenloses Lehrbuch für ethisch-moralisches Verhalten sein. Eine liberale Gesellschaftsordnung wird ganz wesentlich von dem Respekt gegenüber anderen sittlichen oder religiösen Wertentscheidungen getragen. Dieser Respekt verbietet es jeder weltanschaulichen Wertvorstellung, einen Absolutheitsanspruch zu erheben. Keine Weltan-



von Schoeler
schauung hat einen Anspruch darauf, mit den Machtmitteln des Staates ihre Vorstellung auch Andersdenkenden zu oktroyieren.
Zu der Fristenregelung, die wir Ilhnen vorschlagen, gibt es nur eine Gegenposition. Diese Gegenposition lautet: Werdendes Leben ist Leben nach der Geburt auch strafrechtlich gleichzustellen. Weil Kardinal Döpfner diese Auffassung — die er zuletzt wieder in der letzten Woche auf einer Pressekonferenz vorgetragen hat — vertritt, hat er alle Modelle, die diesem Hause vorliegen, einschließlich des Modells, das Herr Heck hier vorlegt, abgelehnt. Dieser Standpunkt ist auch konsequent. Denn wenn Sie es ernst meinen, daß werdendes Leben strafrechtlich Leben nach der Geburt gleichzustellen ist, dann müßten Sie die Strafandrohung beim § 218 erhöhen. Dann müßten Sie diese Strafvorschrift verschärfen, dann könnten Sie nur noch diejenigen Fälle der medizinischen Indikation anerkennen, in denen wirklich das Leben der Mutter auf dem Spiel steht, und Sie könnten schon nicht mehr die Fälle anerkennen, in denen es nur noch um die Gesundheit der Mutter geht. Wenn Sie der Auffassung sind, daß hier strafrechtlich zwei Dinge gleichgestellt werden müssen, dann sollten Sie das konsequent tun.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Am nächsten kommt diesem Standpunkt der Gesetzentwurf, den der Kollege Heck dem Parlament vorgelegt hat.
Lassen Sie mich deshalb noch einmal sagen: Ich sehe in dieser Debatte, die wir heute führen, eigentlich nur eine Alternative: Man kann sich für den Vorschlag entscheiden, den Herr Fleck vorgelegt hat, oder man kann sich für die Fristenregelung entscheiden. Alles dazwischen kann ich nicht als ehrliche Regelung empfinden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Auseinandersetzung mit diesem Entwurf des Kollegen Heck bedeutet aber, daß wir uns fragen müssen: Was heißt denn das praktisch? Das heißt praktisch, daß die großen Worte vom Schutz werdenden Lebens dazu herhalten müssen, einen Zustand zu rechtfertigen, den wir heute haben, der dadurch gekennzeichnet ist, daß das hohe Rechtsgut des werdenden Lebens mit Geldbußen bis zu 100 Mark geahndet wird, daß die Strafverfolgung nicht mehr funktioniert und daß die Richter und die Ärzte selbst die Berechtigung dieses staatlichen Strafanspruchs nicht mehr anerkennen. Ich habe den Eindruck, den Kollegen, die diesen Entwurf unterschrieben haben, kommt es entscheidend nicht auf die praktische Auswertung dieses Gesetzes, sondern auf die Lückenlosigkeit des Strafrechtsgebäudes an. Das ist für mich ein Standpunkt, den ich persönlich — und ich bitte, das völlig unpolemisch zu verstehen, ich meine es wirklich nicht polemisch nur als unmenschlich empfinden kann.
Lassen Sie mich als Ergänzung dazu auf eine Diskussion hinweisen, die während des Hearings stattgefunden hat, das der Strafrechtssonderausschuß des Deutschen Bundestags im April des Jahres 1972
durchgeführt hat. Dort ist Herr Professor Dr. Heck als Vertreter des Kommissariats der deutschen Bischöfe gefragt worden — ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren —:
Angenommen, es stünde fest, daß eine Indikationenlösung oder eine Fristenregelung die Zahl der Aborte allgemein zu senken imstande ist, würden Sie dann diesen Regelungen zustimmen?
Antwort von Herrn Professor Dr. Heck: „Nein, auch dann nicht." Diese Stellungnahme, meine Damen und Herren, und die dahinterstehende Haltung, die sagt: „wir halten an der Strafrechtsandrohung fest, auch wenn gerade durch diese Strafandrohung der Schutz werdenden Lebens, um den es geht, gefährdet wird", kann ich nur als unmenschlich, als Theorie, als eine Haltung bezeichnen, der es eben ganz entscheidend darauf ankommt, daß die Welt beim Blick ins Strafgesetzbuch klinisch rein erscheint, und der es nicht darum geht, welche menschlichen Schicksale dahinterstehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hier gewinnt diese Lückenlosigkeit eine unmenschliche Bedeutung, meine Damen und Herren. Deshalb können wir bei allem Respekt für die Konsequenz Ihres Entwurfes, Herr Kollege Heck, ihm nicht zustimmen.
Wir können auch nicht zustimmen einem Entwurf, den der Kollege Müller-Emmert zusammen mit einigen Kollegen aus der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vorgelegt hat. Wir können diesem Entwurf nicht zustimmen, weil wir nicht wüßten, wozu wir unsere Zustimmung gäben. Sie haben, meine Damen und Herren, in diesem Entwurf eine Notlagenindikation. Ich gestehe offen, daß ich auch nach einem Jahr Diskussion im Strafrechtssonderausschuß immer noch nicht weiß, was eine Notlage ist, daß ich mir immer noch nicht vorstellen kann, welche Fälle damit straffrei gestellt werden sollen und welche Fälle nicht. Und ich darf vielleicht aus der Begründung Ihres Gesetzentwurfes zitieren, wo es ganz lapidar heißt:
Es wird darauf vertraut, daß die Praxis auch so zu einer an der Entwurfsbegründung orientierten Handhabung kommen wird.
Mit diesem Satz aus Ihrer Begründung, meine Damen und Herren, bestätigen Sie das, was ich hier sage. Was eine Notlage nach Ihrem Entwurf ist, ist einfach nicht klar; es ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Deswegen weiß man, wenn man Ihrem Entwurf zustimmt, nicht, wozu man eigentlich seine Zustimmung gibt.
Es gibt, wenn Ihr Entwurf Gesetz würde, zwei Möglichkeiten: Es gibt die Möglichkeit, daß Ärzte, Richter, Staatsanwälte den Begriff der Notlage weit auslegen, so wie man in England mit einer Indikationenregelung, die weit ausgelegt wird, verfährt; hierfür spricht sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Jedesmal, wenn ich mich mit diesem Problem beschäftige, fällt mir ein Gespräch ein, daß ich in England mit einem Arzt geführt habe. Ich habe ihn nämlich gefragt: Sie haben doch in Ihrem Gesetz eine Indikationenregelung; warum praktizieren Sie



von Schoeler
keine Indikationenregelung, warum praktizieren Sie dieses Gesetz als Gesetz, daß den Schwangerschaftsabbruch praktisch straffrei läßt? Und er hat mir geantwortet: Ich habe, als dieses Gesetz in Kraft getreten ist, versucht, in jedem einzelnen Fall abzuwägen, ob hier eine Notlage vorliegt, die einen straffreien Abbruch rechtfertigt oder nicht. Aber nach einem Vierteljahr ist mir aufgegangen, daß meine Entscheidungen immer willkürlicher wurden, weil es eben keine festen Abgrenzungskriterien gibt. Hier ist eine Notlage vorhanden, dort nicht. Und weil die Willkür bei der Auslegung einer solchen Bestimmung groß ist, habe ich mich — sagte mir dieser Arzt — dafür entschieden, so zu handeln, als ob das Gesetz den Schwangerschaftsabbruch straffrei ließe; dieses läßt sich nicht anders machen. — Wenn dieser Arzt recht hat und wenn sich Ihr Gesetzentwurf auch bei uns so auswirkt, dann, meine Damen und Herren, frage ich Sie: Warum verabschieden Sie dann nicht gemeinsam mit uns eine Fristenregelung?

(Beifall bei der FDP.)

Es gibt die zweite Möglichkeit, daß, wenn Ihr Gesetzentwurf Gesetz würde, dieser Begriff der Notlage eng ausgelegt würde. Wenn das der Fall wäre, meine Damen und Herren, dann wird den Frauen eben weiter der Weg zur Beratung versperrt bleiben, und dann wird weiter der Weg in die Illegalität gegangen mit all den Gesundheitsgefahren, die dadurch gegeben sind.
Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf anschaue, dann komme ich zu dem Ergebnis: Das, was bei einer Annahme dieses Entwurfs strafbar wäre, würde entscheidend davon abhängen, wie die Ärzte dieses Gesetz auslegen, wie Staatsanwälte und Richter es praktizieren. Das aber bedeutet, meine Damen und Herren: Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, entzieht sich der Verantwortung, hier eindeutig, klar und ehrlich zu sagen, was er will; er überantwortet anderen, Ärzten, Richtern, Staatsanwälten, die Entscheidung darüber, was in Zukunft strafbar sein soll. Deshalb ist für uns Freie Demokraten eine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf des Kollegen Müller-Emmert nicht möglich.
Meine Damen und Herren, wir stehen heute und morgen hier in diesem Hause vor einer Entscheidung, in deren Zusammenhang viel vom Gewissen die Rede war, vor allem viel von dem Gewissen der Mitglieder dieses Hauses. Dabei ist in den letzten Wochen immer wieder der Eindruck zu erwecken versucht worden, als ob es in dieser Frage nur eine Gewissensentscheidung geben könne, nämlich die für den Standpunkt der katholischen Kirche. Durch solche Aktionen, durch organisierte Proteste und durch die Drohungen, keinen Befürworter der Fristenregelung mehr zu wählen, ist in einem Ausmaß vessucht worden, Druck auf uns auszuüben, daß die Grenze zum imperativen Mandat schon überschritten erscheint.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

Für uns ist die Entscheidung für die Fristenregelung
genauso eine Gewissensentscheidung, wie wir
respektieren, daß sich andere Kollegen in diesem Hause nach ihrem Gewissen für eine andere Lösung entscheiden. Wir wehren uns entschieden dagegen, daß man uns das Gewissen absprechen will. Wir haben uns die Entscheidung für die Fristenregelung nicht leichtgemacht. Wir haben uns nach eingehender Prüfung für sie entschieden, weil sie die ehrliche, die menschliche und die sozial gerechte Lösung ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709503600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bardens.

Dr. Hans Bardens (SPD):
Rede ID: ID0709503700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem jahrzehntelang leidenschaftlich um das Problem gerungen worden ist, über das wir in dieser Woche zu entscheiden haben — so oder so —, nachdem wir uns fast ein Jahr lang in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages intensiv um Lösungen bemüht haben, müssen wir eben jetzt entscheiden. Wir wollen die Vorschriften über die Abtreibung, wie sie jetzt im Strafgesetzbuch enthalten sind, durch die Reform, durch neue Gesetze, ersetzen. Für diese Reform sprechen eine Reihe gewichtiger Gründe, die ich wenigstens teilweise noch einmal vortragen will.
Da ist zunächst die Tatsache, daß es auch bei uns trotz des noch geltenden strengen Strafrechts viele, sicher viel zu viele Schwangerschaftsabbrüche gibt. Dies ist nicht gut für unsere Rechtsordnung; dies ist nicht gut für die Geltung des Rechts. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß wir in dieser doch weitgehend offenen, freizügigen Welt der westlichen Industriestaaten leben, in der die Gültigkeit auch von Strafgesetzen nur dann einigermaßen gesichert ist, wenn die Rechtsordnungen der Nachbarn ähnlich sind. Wenn wir eine Insel streng restriktiver Ordnung in einem Kreis von Nachbarn sind, die großzügiger sind als wir, laufen die Betroffenen vor unserem Recht davon, und das dient sicher nicht der Glaubwürdigkeit unserer Rechts- und Sozialordnung, festigt nicht das Vertrauen des Bürgers zu unserem Staat.

(Beifall bei der SPD.)

Damit zusammenhängend ein weiterer Grund für die Notwendigkeit der Reform, für die Notwendigkeit unseres Handelns: Dieses Ausweichen vor unserem Recht muß erkauft werden, kann leider erkauft werden. Ob man ausweichen kann, hängt vielfach von der Dicke der Brieftasche ab.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Für die Ärmsten, die sich in ernster Bedrängnis befinden, gibt es diesen Weg nicht. Das relativiert, so meine ich, in gefährlicher Weise das Gleichheits-
und Sozialstaatsgebot unserer Verfassung.
Aber der wichtigste Grund, der wenigstens mich jetzt zum Handeln zwingt, ist die Härte unseres Gesetzes gegenüber vielen verzweifelten Frauen, denen bisher nicht wirklich geholfen werden kann. Ich weiß nicht, wie viele in diesem Hause die Situation je erlebt haben, in der ein Arzt einer psychisch und oft auch physisch zusammengebrochenen Frau



Dr. Bardens
gegenübersteht und in der er ihr nur mit gutem Zureden helfen kann, das meist noch nicht einmal tröstet. Ich habe diese für einen Arzt zutiefst beschämende Hilfslosigkeit in meinem Berufsleben oft genug erfahren und erleiden müssen.

(V o r sitz : Vizepräsident Dr. Jaeger)

Das darf, und ich bin überzeugt, das wird nicht so bleiben nach dieser Woche.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Für viele, leider aber nicht für alle von uns, ist das ein wirklicher Grund für die anstehende Reform des Strafrechts. Das Gebot der Liebe gilt gegenüber allem Leben. Aber es erlaubt uns überhaupt nicht, die Verzweiflung eines ausgewachsenen Mitmenschen kühl zu übergehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber, wenden manche ein, es gibt doch auch jetzt schon die Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruchs. Nun, im Jahre 1972 waren das in der Bundesrepublik etwas über 8 000 genehmigte Schwangerschaftsabbrüche. Was sagt das? Ich meine, gerade diese Zahl — und schon allein diese Zahl — zeigt das Mißverhältnis gegenüber der Größe des Problems, das vor uns steht. Und wer die Länderzahlen miteinander vergleicht, sieht, daß es innerhalb des Bundesgebietes größere Unterschiede gibt also sonst oft zwischen Staaten verschiedener Rechtsordnung; auch das übrigens ein Beitrag zum Thema Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Aber nun zurück zu den abgeschlossenen Ausschußberatungen. Ich möchte mich zunächst bei allen für die kollegiale Art bedanken, in der sie miteinander und auch mit mir umgegangen sind. Die Art der Argumentation gegeneinander war dort sauber, war dort von Respekt gegenüber den jeweils anderen erfüllt; ganz im Gegensatz zu leider manch schlimmen Erscheinungen bei der Diskussion in der Öffentlichkeit.
Während dieser Ausschußberatungen sind alle vier vorliegenden Gesetzentwürfe verändert und, ich meine, auch alle vier Entwürfe verbessert worden. Schon daran zeigt sich übrigens nach meiner Überzeugung, daß es sinnvoll und hilfreich war, daß unser Entwurf einer so bezeichneten erweiterten Indikationenlösung, einer Indikationenregelung, mit vorlag. Dieser Entwurf hat wie eine Art Symmetrieachse gewirkt, war gleichzeitig Grenzlinie zwischen den Entwürfen der beiden Hauptgruppen, über die später bei der Abstimmung entschieden wird.
Er war in mancherlei Hinsicht der zentrale Entwurf, von dem Anregungen nach beiden Seiten ausgingen. Ein Indiz für die Richtigkeit dieser Feststellung ist es meines Erachtens auch, daß der Entwurf in der Öffentlichkeit von beiden extremen Seiten angegriffen wurde. Leider aber konnte dieser Vorgang des Veränderns der Entwürfe und auch der Ausstrahlung unseres Entwurfs auf die anderen nicht dazu führen, daß sich die großen Gruppen unserem Entwurf anschlossen. Die Vorurteile — ich
meine das nicht abwertend, kritisch oder polemisch — waren zu groß.
Ich will noch einmal unseren Entwurf in den wesentlichen Grundzügen darstellen und mich mit der Kritik an ihm auseinanderzusetzen versuchen. Der Entwurf geht zunächst davon aus, daß alles getan werden muß, um alle psychologischen und institutionellen Barrieren abzubauen, die eine Frau daran hindern könnten, den einzig richtigen Weg zu gehen, nämlich den zum Arzt oder zur Beraterstelle. Deshalb, und weil wir überzeugt sind, daß die Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch will, sicherlich in einer schweren Konfliktssituation sich befindet, sieht unser Entwurf die generelle Straflosigkeit der Frau vor, während die übrigen drei Entwürfe an der grundsätzlichen Strafandrohung gegen die Frau, festhalten.
Die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch soll nach unserem Entwurf letztlich nur zwischen der Frau und ihrem Arzt reifen und gefällt werden. Trotz des Erfordernisses, daß der behandelnde Arzt sich mit einem Kollegen beraten soll, ist er an das Urteil dieses anderen Arztes nicht gebunden. Dies sei auch noch einmal denen gesagt, die bis in die letzten Stunden in Briefen an mich behaupten, wir wollten die Frauen vor ein Tribunal zerren.
Das Kernstück des Entwurfs ist aber eine weit gefächerte und wirklich allen Notwendigkeiten gerecht werdende Indikationenregelung. Über die rechtstheoretische und ethische Begründung für diese Indikationenregelung hat mein Kollege Müller-Emmert bei der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfs, wie ich meine, das Notwendige gesagt. Ich muß es nicht wiederholen, und ich bin dazu vielleicht auch nicht so sehr geeignet; von dem einen verstehe ich zuwenig, und für die andere Aussage ist möglicherweise meine Sprache zu spröde.
Gegen Indikationen wird eingewendet, es dürfe überhaupt keine formale Rechtfertigung für Tötung geben. Aber das wird uns ausgerechnet von einem Anhänger der Fristenregelung vorgehalten. Eingewandt wird außerdem, daß unsere Notlagenindikation — Herr Kollege von Schoeler ist ja darauf jetzt gerade eingegangen — zu weit ginge, mißbraucht werden könnte. Nun, ich würde diese Indikation eigentlich lieber Konfliktindikation nennen. Glaubt denn jemand hier unter uns, daß wir je alle Konfliktursachen beseitigen könnten, die eine schwangere Frau im Kern ihrer Persönlichkeit treffen und verletzen? Wissen wir denn nicht, daß viele dieser Konflikte keine materiellen Ursachen haben, also auch nicht durch Geld- und Sachleistung behoben werden können?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Aber andererseits: Diese Konfliktindikation müßte doch in unserer Gesellschaft als ständiger Stachel wirken, soviel wie möglich und so intensiv wie möglich soziale Ursachen für solche existentiellen Konflikte zu beseitigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)




Dr. Bardens
Was spricht dagegen für das vorliegende Fristenmodell? Wahrscheinlich die bessere Praktikabilität bei Überwachung und Rechtsprechung. Das reicht mir nicht ganz aus. Außerdem allenfalls die relative Ungefährlichkeit des Schwangerschaftsabbruchs zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Aber schon diese zweite Bedingung ist auch sonst zu wahren. In New York — das haben wir ja gesehen — werden über 90 % aller Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft vorgenommen, obwohl dort eine Sechsmonatsfrist gilt.
Gegen eine Fristenregelung spricht aber, daß sie nach der öffentlichen Argumentation der letzten Monate bei vielen betroffenen Frauen die Illusion auslöst, daß sie selbst und ganz allein entscheiden könnten, ob ihre Schwangerschaft abgebrochen werden soll oder nicht. Dabei ist auch im Artikel 2 des Fristenentwurfs wie in allen anderen Entwürfen z. B. das Weigerungsrecht des Arztes verankert. „Niemand ist verpflichtet", so heißt es dort, „an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken".
Vereinzelt wurde zur Begründung einer Frist im Gesetz der Versuch gemacht, biologische, embryologische Daten heranzuziehen. Auch dies ist nach meiner Überzeugung untauglich. Nach seinem Inkrafttreten wird dieses Gesetz nicht im Labor angewandt. Es muß dann in jedem Einzelfall über jeweils konkretes Leben, geborenes oder ungeborenes, entschieden werden. Die Verantwortung für die Vorschriften des Gesetzes tragen wir hier und können sie nicht auf irgendwelche Sachverständigen abwälzen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU.)

Bei einigen wenigen Ärzten — und es brauchen nur wenige zu sein—, fruchte ich, kann der falsche Eindruck entstehen, sie seien innerhalb dieser Frist von 12 Wochen von ihrer generellen Verpflichtung befreit, ihr Handeln zu rechtfertigen und nach den sogenannten Regeln der ärztlichen Kunst zu handeln. Diese Regeln betreffen nicht nur technische Bedingungen, etwa daß man steril arbeiten muß oder das richtige Instrument zu wählen hat. Nein, diese Regeln bedeuten sorgfältige Risikoabwägung. Das nennt man eben auch „Indikationsstellung". Der Arzt ist bei seinem Handeln, auch wenn es um einen Schwangerschaftsabbruch geht, noch an andere Rechtsvorschriften und daraus abgeleitete Verpflichtungen gebunden. Man braucht nicht den vielberufenen Eid des Hippokrates zu zitieren. Die Bundesärzteordnung von 1970, die wir hier beschlossen haben, sagt in § 1 ganz schlicht: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes." Nicht mehr und nicht weniger 'steht dort.
Der Arzt muß also der Gesundheit dienen, und das heißt doch wohl, daß er sein Handeln in jedem Einzelfall durch den Nachweis rechtfertigen muß, daß er mit diesem Handeln der Gesundheit diente. Auch das nennt man bisher — bevor die Juristen sich mit diesem Wort beschäftigt haben — „Indikationsstellung". Ich würde es begrüßen, wenn dabei mehr als bisher von unseren Ärzten auch soziale Bedingungen des Gesundseins und Krankseins berücksichtigt würden.

(Beifall bei der SPD.)

Dies wäre sicher aber gerade durch eine breite medizinisch-soziale oder überwiegend sozial formulierte Indikation zu fördern, wie wir sie in unserem Entwurf vorsehen.
Wir dürfen aber keinesfalls durch die Schaffung eines auch für den Arzt straffreien Raumes im Sinne einer Frist wenige dazu verleiten, aus ihrem Beruf das häßlichste Gewerbe zu machen, das vorstellbar ist, das Gewerbe des Abtreibers.
Wenn ich nun von den tatsächlichen oder potentiellen schwarzen Schafen spreche, die es unter den Ärzten genauso gibt wie in jeder anderen Gruppe unserer Bevölkerung, dann meine ich, daß ich andererseits verpflichtet wäre, entschieden für die große Mehrheit der Ärzte draußen einzutreten, die ihre Pflicht tun. Sie wurden während der letzten Monate von Gruppen außerhalb des Parlaments wegen ihres Eintretens für die Indikationenregelung oft in infamster Weise verleumdet. Es steht uns allen in diesem Hause zu, diese Angriffe entschieden zurückzuweisen.

(Beifall.)

Wir müssen doch daran denken, daß, ganz unabhängig davon, wie die Entscheidung am Ende dieser Woche aussehen wird, wir die Ärzte und ihre positive Mitarbeit brauchen, wenn wir eine humane Praxis sichern wollen.
Nach gründlicher Abwägung aller Gründe und Gegengründe und nach vielen selbstkritischen Diskussionen sind wir, die Initiatoren des sogenannten erweiterten Indikationenmodells, aus all diesen Argumenten bei unserer Überzeugung geblieben. Ich will diese wichtigen Gründe, wenigstens die wichtigsten, noch einmal kurz aufzählen: Straffreiheit der Frau, um ihr den Weg zur Beratung ganz frei zu machen;
Entscheidung durch den behandelnden Arzt, der auch die Verantwortung trägt, nicht durch eine Entscheidungskörperschaft, durch ein Entscheidungsgremium;
stark medizinisch und sozial betonte Indikationen, die nicht nur den allgemeinen Pflichten der Ärzte gerecht werden, sondern soziale Gründe für ärztliches Handeln fördern sollen und fördern werden; Verzicht darauf, rein schematisch zwischen dem Anspruch geborenen und ungeborenen Lebens zu unterscheiden.
Viele unter uns und auch ich haben den Eindruck, daß die Fronten für die endgültige Entscheidung offenbar markiert sind. Trotzdem appellieren wir jetzt noch einmal an alle hier im Hause, mit uns nochmals mitzudenken und zu überlegen, ob das, was wir anbieten, nicht doch die bessere, die humanere, die die Verantwortung förderndere Lösung des Problems ist, das uns vorgegeben ist. Wirkliche Lösungen wird es keine geben; voll zufriedenstellend wird keines der möglichen Ergebnisse unserer Beratung und Abstimmung sein. Das liegt schon



Dr. Bardens
daran, daß wir über das Strafrecht, das seiner Natur nach dazu nur wenig geeignet ist, positiv gestaltende gesundheits- und sozialpolitische Entscheidungen möglich machen mußten. Aber wir sollten uns alle dazu freimachen, dem optimalen Entwurf zuzustimmen, und das ist nach meiner Überzeugung eben der Entwurf, ,den ich hier vertrete.
Die Grundproblematik verliert an Gewicht, wenn wir im übrigen damit rechnen dürfen, daß alle Menschen in unserem Lande mithelfen, den demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen, wirklich ständig daran zu arbeiten, die Bedingungen des sozialen Lebens und die Bedingungen der Frauen und Mütter zu verbessern. Wir jedenfalls wollen das unsrige dazu tun. Vor allem aber bitten wir diejenigen in unserem Lande, die das neue Gesetz handhaben müssen, behutsam und sorgfältig zu handeln. Die Ärzte bitten wir, sich der Aufgabe, die nur mit ihnen zusammen bewältigt werden kann, nicht zu verweigern.
Nun noch ein Wort an die CDU/CSU gerade nach dem, was Herr Kollege Eyrich im Zusammenhang mit der finanziellen Schwelle gesagt hat, die vor dem Schwangerschaftsabbruch liegt und die man nicht beseitigen dürfe. Ich meine, daß man so nicht argumentieren darf, und muß Sie bitten, nicht den Bundesrat als Obstruktionsinstrument gegen das zu verwenden, was nach unserer Debatte Gesetz werden soll.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was Sie nach Ihren eigenen Ankündigungen mit dem Strafrechtsreformergänzungsgesetz vorhaben, müßte nach meiner Überzeugung katastrophale Auswirkungen haben.
Wenn Sie die Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung auf die Fälle engster medizinischer Indikation beschränken, schaffen Sie ein Zweiklassenrecht, das diese unsere Gesellschaft nicht aushält.

(Zustimmung bei der SPD.)

Wenn Sie die sozialversicherte Frau zwingen wollen, gegenüber der Krankenkasse das Vorliegen einer medizinischen Indikation nachzuweisen, während die selbstzahlende Frau dies nicht nötig hätte, würden Sie etwas provozieren, was Sie hoffentlich nicht wollen: das große Geschäft mit der Abtreibung. Da liegt in Wirklichkeit der große, wohl kaum zu überbrückende Unterschied zwischen Ihnen, die Sie auch von Indikationen reden, und uns. Wenn man nämlich die soziale Kehrseite Ihrer Absichten sieht, merkt man: Auf der Vorderseite klebt ein falsches Etikett. Sie reden zwar sehr viel davon, welche sozialen Leistungen notwendig seien, um den Schwangerschaftsabbruch zu vermeiden, aber Sie wollen, wie gesagt, ein Zweiklassenrecht schaffen.
Wir werden in der Öffentlichkeit dazu beitragen, daß die Bürger unseres Landes diese Ihre Absichten erkennen, und werden dafür sorgen, daß Sie die Quittung dafür erhalten, falls Sie so handeln sollten.
An unsere wahren Freunde hier in diesem Hause aber richte ich noch einmal die Bitte, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709503800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heck.

Dr. Bruno Heck (CDU):
Rede ID: ID0709503900
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Erlauben Sie mir, daß ich zunächst einige Anmerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen von Schoeler mache. Herr von Schoeler, Sie waren so freundlich, mir Konsequenz zu bescheinigen, aber eine Konsequenz, die im Grunde auf Unmenschlichkeit hinauslaufe. — Vielleicht haben Sie bei der Bewertung unseres Entwurfs und unserer Haltung eines übersehen: daß wir bei der Diskussion um den § 218 in allererster Linie das ungeborene menschliche Leben im Auge haben. Und ich glaube, ein konsequenter Kampf dafür, daß die Unantastbarkeit des ungeborenen menschlichen Lebens nicht nur grundsätzlich deklariert wird, sondern auch — zwar nicht nur im Strafrecht, aber auch im Strafrecht dort, wo es um die Praxis geht, seinen Niederschlag findet, ist kein Ausdruck von Unmenschlichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und dann halte ich es doch für notwendig, in einer Sache etwas richtigzustellen. Auch ein Kardinal hat einen Anspruch darauf, daß er in diesem Hause richtig zitiert wird.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Kardinal Döpfner hat — und ich gehe davon aus, daß Ihnen der Wortlaut seiner Erklärung genauso wie mir zugegangen ist — wörtlich folgendes gesagt:
Alle Indikationsmodelle gehen davon aus, daß das Leben grundsätzlich unantastbar ist und daß nur in bestimmten Ausnahmefällen das Rechtsgut Leben einem anderen Rechtsgut weichen muß. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur Fristenregelung, wo keinerlei Grund angegeben werden muß.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) Und dann zweitens:

Allerdings — und darauf muß ich in aller Deutlichkeit hinweisen — darf eine solche Indikationslösung nicht durch eine unangebrachte Ausweitung des Ausnahmekatalogs dazu führen, daß sie faktisch der Fristenregelung gleichkommt.
Meine Damen und Herren, ich will mich bei meinen Ausführungen auf einige grundsätzliche Probleme konzentrieren und hoffe deswegen, etwas zur Klärung dessen beizutragen, was vielleicht durch die Ausführungen des Herrn von Schoeler unklar geworden ist. — Wer sich die grundsätzlichen Erklärungen vor Augen hält, die zu der Frage, welchen Rang das ungeborene menschliche Leben habe, vorliegen, der wird ,schwerlich ver-t stehen, warum die Meinungen und Vorschläge so weit auseinandergehen, wo es sich darum handelt, den § 218 unseres Strafgesetzbuches zu reformieren.
Ich nehme ein Beispiel: Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat in seiner Broschüre „Das Argument — § 218" erklärt, die



Dr. Heck
SPD halte nach wie vor daran fest, daß werdendes Leben grundsätzlich in gleicher Weise unantastbar sei wie geborenes Leben; wer in eine Abtreibung einwillige, vollziehe ganz eindeutig die Tötung werdenden Lebens. Weil der Begriff „werdendes Leben" in diesem Zusammenhang zu Mißverständnissen führen könnte, möchte ich doch zunächst feststellen, daß darunter nichts anderes verstanden werden kann und sicher auch nichts anderes verstanden werden soll als das ungeborene menschliche Leben.
Aber was soll eigentlich mit diesem Bekenntnis zu dem Grundsatz gesagt sein, daß das ungeborene menschliche Leben in gleicher Weise unantastbar ist wie das geborene? Was soll dieses grundsätzliche Bekenntnis bezwecken? Was meinen wir, wenn wir sagen, daß das g e b o r e n e Leben grundsätzlich unantastbar sei? Ließe es sich denn mit diesem Grundsatz, mit diesem Grundrecht unserer Verfassung vereinbaren, daß bei den strafrechtlichen Konsequenzen aus diesem Grundsatz in bestimmten Fällen unter gesetzlich zu bestimmenden Voraussetzungen das Töten geborenen menschlichen Lebens

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

von der strafrechtlichen Verfolgung freigestellt werden könnte?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Bei der Antwort auf diese Frage könnte man wohl auf die Notwehr verweisen, doch auch dies nur mit der Einschränkung, daß die Vergleichbarkeit nur begrenzt gegeben ist — auch im Falle der medizinischen Indikation. Im übrigen gehe ich davon aus, daß in diesem Hause niemand die Absicht hat, die Tötung geborenen menschlichen Lebens unter irgendwelchen indikatorischen Voraussetzungen strafrechtlich freizustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn das so ist, stellt sich die Frage von selbst, warum das, was uns allen dem geborenen menschlichen Leben gegenüber so undenkbar erscheint, dem ungeborenen menschlichen Leben gegenüber nicht in gleicher Weise gültig sein soll, warum da das Töten menschlichen Lebens strafrechtlich freigestellt werden soll, wo wir uns doch alle zu dem Grundsatz bekennen, das ungeborene menschliche Leben sei in gleicher Weise unantastbar wie das geborene.
Aber was heißt eigentlich dieses „in gleicher Weise"? Wird uns nicht in der Praxis dort, daß es um die Reform des § 218 geht — gesagt, daß diese Unantastbarkeit des ungeborenen menschlichen Lebens zwar auch geschützt werden solle, aber eben auf andere Weise und nicht auch mit dem Mittel des Strafrechts?

(Teilweise Beifall bei der CDU/CSU.)

Eines muß ich deswegen hier schon feststellen: Die grundsätzliche Erklärung des SPD-Parteivorstandes, daß werdendes Leben in gleicher Weise unantastbar sei wie geborenes, gilt offensichtlich dort nicht, wo es darum geht, bei der Reform des Strafrechts - hier
des § 218 - die notwendigen Konsequenzen zu ziehen;

(Abg. Dr. Marx: Sehr wahr!)

denn diejenigen, die der Fristenregelung das Wort reden, stellen das Ja oder Nein zum ungeborenen menschlichen Leben, das Töten menschlichen Lebens, grundsätzlich frei

(Beifall bei der CDU/CSU)

— selbstverständlich im strafrechtlichen Sinne; aber
darum geht es ja eben hier und heute bei dieser Debatte und hei dem, was hier heute zu entscheiden ist. Deswegen muß die Aussage des SPD-Parteivorstandes ergänzt werden, wenn sie nicht eine Irreführung der öffentlichen Meinung bewirken soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Für den sozialdemokratischen Parteivorstand gilt auf der einen Seite, daß das ungeborene menschliche Leben grundsätzlich in gleicher Weise unantastbar sei wie das geborene, und auf der anderen Seite, daß, wo es darum geht, diesen Gundsatz im Strafrecht in Gesetz und Praxis umzusetzen, dort die Tötung menschlichen Lebens grundsätzlich wenn auch befristet — toleriert wird.
Meine Damen und Herren, es ist schon darauf hingewiesen worden: Es sind gerade etwas mehr als 20 Jahre her, seit Dr. Adolf Arndt, der langjährige Kronjurist der SPD-Fraktion, die zeitweise Freigabe der Abtreibung, aber auch und besonders die Freigabe aus sozialen Gründen, die soziale Indikation, als eine Kapitulation des Sozialstaats bezeichnet hat,

(Abg. Dr. Marx: Lange ist es her!)

des Sozialstaats, der sich außerstande erkläre, einem Notstand anders zu begegnen als durch Freigabe der Tötung menschlichen Lebens. Das war vor etwa 20 Jahren.
Heute, nachdem wir die Geschichte eines allgemeinen Wohlstandes — im Vergleich zu den damaligen Verhältnissen — hinter uns haben, sind wir so weit, daß die zeitweise Freigabe der Abtreibung und die Abtreibung aus sozialen Gründen die Substanz sozialdemokratischer Strafrechtspolitik ausmachen

(Abg. Leicht: Hört! Hört!)

und dies — auch das sage ich — zwar gegen den harten Widerspruch der Kirchen wie der Ärzteschaft, aber doch auch mit bemerkenswerter Unterstützung aus manchen Bereichen der Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, das wäre vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen. Manche neigen vielleicht dazu, eine solche Entwicklung „Fortschritt" zu nennen. Es fragt sich nur, von was wir da fortschreiten und wohin uns ein solcher Fortschritt führt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Müssen wir nach unseren Erfahrungen nicht überlegen, welche Wirkungen auf die Entwicklung des moralischen Bewußtseins in unserem Volk davon ausgehen, auf das moralische Bewußtsein im Verhältnis zum ungeborenen wie zum geborenen Leben, wenn wir heute die grundsätzliche Unantastbarkeit des ungeborenen menschlichen Lebens nach Gesetz
6352 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974
Dr. Heck
und Praxis des Strafrechts grundsätzlich aufheben
oder auch nur in nicht vergleichbarer Abwägung des Rechts auf Leben der Ungeborenen mit dem Anspruch des Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren unter den vorgesehenen Voraussetzungen?
Müssen wir nicht damit rechnen, daß wir damit ein Tor zu einer Entwicklung in den vor uns liegenden 20 Jahren öffnen, an deren Ende dann in gleicher Weise das grundsätzliche Bekenntnis, daß das geborene menschliche Leben unantastbar sei, dem nichts mehr im Wege steht, nach Gesetz und Praxis des Strafrechts davon abzuweichen, wenn auf diese Weise bestimmte, im einzelnen zu bezeichnende bedrückende, als bedrückend empfundene Notlagen beseitigt werden können?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sicher ist es richtig, daß solchen Entwicklungen nicht mit dem Strafrecht allein entgegengewirkt werden kann; doch sollten wir die Wirkungen nicht unterschätzen, die davon ausgehen, daß die Gemeinschaft in ihrer Rechtsordnung — und dazu gehört eben auch das Strafrecht — jenes moralische Minimum signalisiert, ohne das diese Gemeinschaft auf Dauer nicht zu bestehen vermag.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, der § 218 des Strafgesetzbuches will und soll, wie ich meine, nicht zuletzt auch in diesem Sinne den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens regeln. Wo wir uns um die Reform dieses strafrechtlichen Schutzes bemühen, stellen sich nun zwei Fragen.
1. Wie kann durch Änderungen im Strafrecht bewirkt werden, daß das ungeborene menschliche Leben besser geschützt wird als bisher?
2. Inwieweit belastet die bisherige Regelung das Lebensrecht der schwangeren Frau in unzumutbarer Weise? Was kann getan werden, um dem Lebensrecht der schwangeren Frau, im erweiterten Sinne verstanden, gerecht zu werden, ohne den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens in der Substanz aufzugeben?
Meine Damen und Herren, eines scheint mir sicher: Jede Reform des § 218, die den grundsätzlichen Schutz, den Grundsaz, daß ungeborenes menschliches Leben in gleicher Weise unantastbar ist wie das geborene Leben, aufgibt, baut strafrechtlich ein Stück Schutz des ungeborenen Lebens ab.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deswegen haben wir den Versuch unternommen, die medizinische Indikation so zu fassen, daß das, was unter Anwendung strafrechtlicher Mittel wirklich als unzumutbar erscheint, von strafrechtlicher Verfolgung künftighin ausgeschlossen sein würde. Ich wiederhole hier, was ich neulich in der „Deutschen Zeitung" geschrieben habe. Es kann nicht entscheidend sein, ob die Gefahr für das Leben der Schwangeren oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes durch Tatbestände bzw. durch Sachverhalte aus dem ethischen, dem eugenischen oder sozialen Bereich verursacht worden ist. Die
entscheidende Frage muß bleiben, ob der Tatbestand der medizinischen Indikation gegeben ist oder nicht. Wir glauben, daß wir uns mit dieser Sicht und Wertung des entscheidenden Problems der Reform des § 218 in Übereinstimmung befinden mit dem, was der Deutsche Ärztetag dazu gesagt hat.
Nun werden wir manchmal gefragt, ob wir mit unserem Gesetzentwurf bei unserer Sicht des Problems nicht doch an einer Stelle fundamental inkonsequent seien. Gemeint mit dieser Frage ist folgendes: Es ist in der Tat so, daß wir davon ausgehen und daran festhalten, daß vom ersten Augenblick an, nachdem sich das Leben des Mannes und das Leben — —

(Abg. Seiters: Jetzt sitzt kein Minister mehr auf der Regierungsbank! Unglaublich! Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709504000
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe.

(Abg. Haase [Kassel] : Nicht einmal ein Hilfsbearbeiter ist da! Das ist diese Regierung! — Abg. Leicht: Sie ist schon abgetreten! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Redner weitersprechen zu lassen.

(Abg. Seiters: Das ist eine Provokation des Parlaments! — Abg. Leicht: Die Regierung ist abgetreten!)

Herr Abgeordneter, fahren Sie fort!

Dr. Bruno Heck (CDU):
Rede ID: ID0709504100
Es ist in der Tat so, daß wir davon ausgehen und daran festhalten, daß vom ersten Augenblick an, nachdem sich das Leben des Mannes und das Leben der Frau im Embryo vereinigt haben, daß von diesem Augenblick an menschliches Leben entstanden ist: ein neues Lebewesen, das bereits mit allen Informationen ausgestattet ist, von der Mutter wie vom Vater her, die im Laufe seines Lebens zur Entfaltung, zur Entwicklung kommen können. Die neun Monate Leben im Mutterleib fügen dem nichts mehr hinzu. Diese neun Monate dienen ausschließlich dazu, dieses menschliche Leben zu seiner Lebensfähigkeit außerhalb des mütterlichen Schoßes zu entwickeln.
Gerade deswegen lautet ja die Frage an uns: Wie könnt ihr dann dieses ungeborene menschliche Leben rund 14 Tage, d. h. bis zur Einnistung, strafrechtlich ohne Schutz lassen? Ist das nicht auch, wenngleich versteckt, eine Fristenregelung?
Dazu ist folgendes zu sagen: es handelt sich hier um eine andere Frage, nämlich um die Frage, was strafrechtlich erfaßbar ist und was nicht. Die Bestrafung wegen vollendeter Abtreibung setzt den Nachweis voraus, daß eine Schwangerschaft vorgelegen hat. Dieser Nachweis der Schwangerschaft ist in den ersten Wochen der Schwangerschaft nicht zu führen. Daher legt § 218 Abs. 5 fest, daß eine Schwangerschaft im Sinne dieses Gesetzes erst dann beginnt, wenn die Einnistung des befruchteten Eies abgeschlossen ist.



Dr. Heck
Meine Damen und Herren, noch ein Letztes: Die meisten Überlegungen zur Reform des § 218 gehen von bestimmten Schicksalen schwangerer Frauen aus. Das ungeborene menschliche Leben steht weniger im Mittelpunkt der Argumente. Dabei handelt es sich bei diesem ungeborenen menschlichen Leben um das hilfloseste und um das wehrloseste Leben, das es gibt. Es ist zwar vollkommen geborgen im Mutterschoß, aber auch ebenso völlig verborgen vor unseren Sinnen. Schon das Neugeborene ist, weil wir es sehen, für sich selbst schon dadurch ein nahezu absoluter Anwalt. Das Ungeborene ist im umgekehrten Sinne, weil verborgen, leicht absolut verlassen; es ist absolut auf soziale Hilfe angewiesen, auf die absolute Hilfe der Mutter.
Meine Damen und Herren, es ist im Rahmen der Diskussion um diese Reform viel und immer wieder von dem Selbstbestimmungsrecht der Frau die Rede gewesen, von diesem Recht auf Selbstbestimmung, das ihre Würde ausmache. Dieses Recht auf Selbstbestimmung gehört sicher dazu, wo es um die Würde der Frau geht. Aber ich glaube nicht, daß dieses Recht auf Selbstbestimmung auch dann die Substanz der Würde fraulicher Entscheidungsfreiheit allein ausmacht, wo die Frau Mutter geworden ist. Denn von diesem Augenblick an ist es ihr aufgegeben, dem neu entstandenen Leben zu dienen, und es ist dies vielleicht der am höchsten zu wertende soziale Dienst, den ein Mensch überhaupt zu leisten vermag.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Sehr richtig!)

Es ist dies meine Überzeugung, und ich möchte sie hier aussprechen: Für die Frau, die Mutter geworden ist, macht in erster Linie dieser soziale Dienst am ungeborenen Leben, das Ja zur Last der neun Monate, das Ja zur Geburt und das Ja zu den tausend Diensten und Entbehrungen danach die Würde der Frau aus.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie zu verwirklichen, ist sicher nicht Sache des Strafrechts; aber Sache des Strafrechts sollte es auch sein, zu signalisieren, wo diese Würde in der Substanz getroffen und verletzt wird, in diesem Falle, wo die Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts für die eigenen Lebensverhältnisse über den Anspruch auf das Leben überhaupt, über den existentiellen Anspruch des empfangenen Kindes hinweggeht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich möchte mich absprachegemäß auf diese wenigen grundsätzlichen Bemerkungen beschränken, da in der Sache der Kollege Köster, der federführend für unsere Gruppe diesen Entwurf im Strafrechtssonderausschuß vertreten hat, hier vortragen wird.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709504200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Maihofer.

Dr. Werner Maihofer (FDP):
Rede ID: ID0709504300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Sprecher un-
serer FDP-Fraktion in dieser Generaldebatte, Herr von Schoeler, hat in nüchternen Worten die Gründe genannt, die uns zu der Überzeugung gelangen lassen, daß von allen vier zur Entscheidung stehenden Regelungen am ehesten von der Fristenregelung ein wirksamer Schutz werdenden Lebens zu erwarten ist, von dem in unserem geltenden Recht keine Rede mehr sein kann. Nur sie wird — das ist auch meine Überzeugung — zu jener entscheidenden Verlagerung der Einwirkungen auf die in solcher Konfliktsituation stehende Mutter von den erwiesenermaßen stumpfen negativen Drohungen mit Strafe zu jenen positiven Maßnahmen des Rates und der Hilfe führen, von denen wir am ehesten eine Wiederherstellung des Schutzes werdenden Lebens in jener kritischen Phase vor allem der ersten drei Monate erhoffen können.

(Beifall bei der FDP.)

Herr von Schoeler hat zugleich aber auch auf den Wandel der Wertüberzeugungen hingewiesen, der sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur in unserem Lande — dafür ließe sich ein reiches Zahlenmaterial ausbreiten —, sondern in gleicher Weise in den Nachbarländern, selbst in sogenannten katholischen Ländern wie Österreich oder Frankreich, ja selbst in Spanien vollzogen hat, wo wir überall dieselbe Tendenz zur Nichtverfolgung der Abtreibungen und zur Mindestbestrafung von Abtreibungen feststellen. Offenkundig stehen wir in einer weltweiten Veränderung des Wertbewußtseins der Juristen wie der Laien, wie auch die letzten Meinungsumfragen in unserem Land gezeigt haben. Sie lassen einen den organisierten Kampagnen der vergangenen Monate genau entgegengesetzten Befund erkennen: daß große Teile unserer Bevölkerung, vor allem der betroffenen Frauen, von den hier zur Entscheidung stehenden Regelungen am ehesten der Fristenregelung zuneigen.
Sie werden einwenden: Solche Mehrheitsmeinungen beweisen, für sich genommen, zunächst gar nichts. Denn es gibt ja — und das ist zuzugeben —auch auf Vorurteilen und Fehlurteilen beruhende Mehrheitsmeinungen; das haben wir alle erlebt, wenn Sie etwa an das Ja 'zur Todesstrafe denken. Dennoch muß sich der Gesetzgeber auch und gerade mit solchen vorhandenen Wertüberzeugungen in der Bevölkerung ernsthaft auseinandersetzen, wenn er sicherstellen will, daß ein Gesetz von dem Volk, für das er es setzt, auch als Recht angenommen und beachtet wird.
Eben dieser vor jeder Entscheidung des Gesetzgebers geforderten Auseinandersetzung mit den Wertüberzeugungen unserer Bevölkerung zugunsten der Fristenregelung oder gar weiterreichender Regelungen will ich im folgenden nachgehen. Ich will fragen: Ist diese festzustellende Wertüberzeugung ein bloßes Gefühl, oder hat sie auch vor der ernüchternden Vernunft die besseren Gründe für sich? Mit anderen Worten: Ist die Entscheidung für die Fristenregelung nicht nur, wie die Rechtswissenschaftler gerne sagen, aus zweckrationalen Gründen, also solchen der Wirksamkeit und Nützlichkeit, auf die Herr von Schoeler hingewiesen hat, begrün-



Dr. Dr. h. c. Maihofer
det und gerechtfertigt, sondern auch aus wertrationalen Gründen der Rechtlichkeit und Gerechtigkeit? Es wird Sie sicher verwundern, wenn ich so frage. Aber hier liegt in der Tat die Gretchenfrage an jede dieser Lösungen: nicht nur ob sie mit den tatsächlichen, sondern ob sie mit den geprüften Wertüberzeugungen in unserem Lande übereinstimmt oder nicht.
Damit fragen wir nach nicht weniger und nicht mehr als nach .den Wertüberzeugungen, welche unserer Entscheidung für die Fristenregelung zugrunde liegen; und offenbar nach dem „geheimen Urteil der gemeinen Vernunft", wie Kant sagt, auch der entsprechenden Mehrheitsmeinung in unserer Bevölkerung.
Was ist das für eine Wertüberzeugung und Werthaltung, die Menschen wie mich — und ich weiß, wovon ich hier rede; ich habe selbst fünf Kin der, Töchter, und vier Enkelkinder, Enkeltöchter , zu der Überzeugung gelangen läßt, daß nur die Fristenregelung unserer Wertüberzeugung entspricht?
Es gibt, wie ich meine, nur eine einzige in sich folgerichtige Werthaltung gegenüber der Abtreibungsfrage, wie sie nach allen päpstlichen Verlautbarungen von der katholischen Kirche bis heute eingenommen wird. Sie heißt: ausnahmsloses Verbot jedes Schwangerschaftsabbruchs, selbst im Falle sogenannter vitaler Indikation, wenn also etwa infolge einer Nierenüberlastung Mutter und Kind beide ohne einen Eingriff umzukommen drohen. Denn selbst für diesen Fall stellt die bis heute fortgeltende Enzyklika „Casti Connubii", die später in „Humanae Vitae" insoweit nur bestärkt und bekräftigt wird, fest — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten :
Was für ein Grund vermöchte jemals auszureichen, um die direkte Tötung eines Unschuldigen zu rechtfertigen? Denn darum handelt es sich hier. Mag man nun die Mutter oder das Kind töten, es ist gegen Gottes Gebot und die Stimme der Natur: „Du sollst nicht töten!" Gleich heilig ist beider Leben ... Ein „Notstandsrecht", das bis zur direkten Tötung eines Schuldlosen reichte, gibt es nicht. Daß sich um beider Leben, das der Mutter wie des Kindes, gewissenhafte und erfahrene Ärzte bemühen, verdient alles Lob und alle Anerkennung; dagegen würde sich des edlen Namens und Lobes eines Arztes unwürdig erweisen, wer unter dem Vorwand, Heilmaßnahmen zu treffen, oder aus falsch verstandenem Mitleid auf den Tod des einen von beiden abzielte.
Das bedeutet: Auch im Falle vitaler Indikation keinerlei legitime Indikation zum Schwangerschaftsabbruch!

(Abg. Dr. Schweitzer: Sehr richtig! — Weiterer Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Man wird einer solchen Werthaltung, einer Mutter vor allem — denn darauf müssen Sie es ja beziehen —, die lieber mit dem Kind umkommt als dieses im Mutterleib töten zu lassen, den moralischen Re-
spekt nicht versagen können. Doch schon für den Arzt führt diese moralische Position zu absurden Konsequenzen. Sie würde ihm auch in d e m Fall jeden Schwangerschaftsabbruch verbieten, wo ihn die Mutter ausdrücklich will, um sich dem Gatten oder anderen Kindern als Frau und Mutter zu erhalten. Deshalb würden wir — zu Recht, wie ich meine einen solchen die Hilfe verweigernden Arzt schon nach geltendem Recht wegen Töten durch Unterlassen anklagen und ihn allenfalls wegen „irrenden Gewissens", wie wir Juristen sagen, entschuldigen.
Selbst diese reine Wertüberzeugung der katholischen Moraltheologie in ihrer offiziellen Position, nicht mit Abzügen und Abstrichen hier oder dort, läßt sich so allenfalls in der Welt der Gedanken, nicht aber in der Welt der Wirklichkeit ohne Ausnahme durchhalten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Selbst diese reine Lehre muß, soll sie nicht aus lauter Folgerichtigkeit in bare Unmenschlichkeit umschlagen, den Schwangerschaftsabbruch zumindest bei vitaler Indikation als moralisch und auch juridisch gerechtfertigt erklären, und das tun ja auch viele innerhalb der Kirchen danach.
Es gibt so in der Abtreibungsfrage, allen polemischen Parolen, die uns seit Monaten überfluten, zum Trotz, in dieser wirklichen Welt, in der wir leben, reine Lösungen — wenn wir uns nichts vormachen — überhaupt nicht,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

sondern immer nur mehr oder weniger menschliche oder — noch bescheidener — mehr oder weniger unmenschliche Lösungen

(Abg. Dr. Schweitzer: Sehr gut!)

der gegebenen Konfliktsituation zwischen Mutter und Kind. Alle terriblen Simplifikationen unter Schlagworten wie „Abtreibung ist Mord" gehen so an der Wirklichkeit schon unseres geltenden Rechts, aber auch den dieses tragenden Wertüberzeugungen unserer Verfassung, die ich Ihnen hier aufzeigen möchte, weit vorbei. Es ist in dieser Stunde angezeigt, einmal mit aller Deutlichkeit zu sagen: schon die Tötung des Kindes im Falle vitaler Indikation, also bei Lebensgefahr für die Mutter, wie im Falle medizinischer Indikation, also bei bloßer Gesundheitsgefährdung der Mutter, ist Tötung ungeborenen Lebens, und nichts sonst.

(Abg. Dr. Schweitzer: Sehr richtig!)

Daran gibt es nichts zu deuteln, von keiner Seite.
Daran führt auch nicht vorbei, wenn man so pragmatisch argumentiert, wie wir es soeben von Herrn Kollegen Heck hörten, ob dies vor oder nach der Einnistung geschieht, ob nach dem dritten oder nach dem siebten Monat. Immer ist eine solche Tat Abtötung, wie die Strafrechtswissenschaftler sagen, des „Keimes der sich entwickelnden Persönlichkeit", ob in mehr oder weniger schon menschlich entwickelter körperlicher oder seelischer Gestalt.
Deshalb treffen alle heute umgehenden Vereinfachungen wie „Abtreibung ist Kindsmord" nicht nur



Dr. Dr. h. c. Maihofer
jede Indikationslösung und damit alle hier zur Debatte stehenden Entwürfe das haben einige noch nicht so recht bemerkt —,

(Abg. Dr. Schweitzer: Sehr wahr!)

sondern in gleicher Weise die restriktivste, auf die vitale Indikation zurückbezogene Indikationenlösung wie die weitestgehende, auf die soziale Indikation ausgedehnte. Ja, sie schlagen schon dem geltenden Recht ins Gesicht; auch das haben einige noch nicht bemerkt.
Schon das geltende Recht unterscheidet — und hier ist in den vergangenen Monaten einige Verunklarung eingetreten — das Rechtsgut „Leben" der Tötungsdelikte der §§ 211 ff. des Strafgesetzbuches von dem Rechtsgut „werdendes Leben", der Abtreibungsdelikte des § 218, welche in ständiger Rechtsprechung des Reichgerichts wie des Bundesgerichtshofs als Güter oder Werte, wenn Sie so wollen, höheren und geringeren Ranges eingestuft und behandelt worden sind, und zwar seit Jahrzehnten unstrittig. Nur aus dieser Wertüberzeugung vom verschiedenen Rechtsgüterwert des geborenen und des ungeborenen Lebens — das ist auch Herrn Kollegen Heck nachdrücklich zu sagen —, des sogenannten werdenden Lebens, wie die Juristen auch sagen, läßt sich schon der Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer Indikation, ja selbst bei vitaler Indikation, als Fall sogenannter Güterkollision, also höherrangiger und geringerrangiger Rechtsgüter, rechtfertigen, wie dies das geltende Recht, genauer das Richterrecht, in Fällen solchen übergesetzlichen Notstandes tut.
Diese übergesetzlichen Notstandsregelungen des heutigen Richterrechts in Fällen solcher Rechtsgüterkollision zwischen Leben und werdendem Leben in gesetzliche Regelungen zu überführen, unter welchen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen ausnahmsweise die Tötung werdenden Lebens von Rechts wegen nicht verboten sein soll, ist der berechtigte Kern — auch das müssen wir feststellen — aller hier zur Entscheidung stehenden Entwürfe,

(Zustimmung bei der SPD)

vom Minderheitenentwurf der CDU an. Sie gehen damit sämtlich — und nur so lassen sie sich überhaupt begründen — schon bei der medizinischen Indikation mit dem geltenden Recht von der Wertüberzeugung aus, daß nicht nur bei Gefahr für das Leben der Mutter, sondern auch für ihre körperliche, ja, ihre seelische Gesundheit — was nach geltendem Recht sogar die Gefährdung der Arbeitskraft einschließt, wie Sie wissen —, von Rechts wegen nicht verboten sein soll, eine Schwangerschaft abzubrechen. Das aber heißt: werdendes Leben zu töten.
Nun, das alles sagt überhaupt nichts darüber, daß ein solches Verhalten auch moralisch erlaubt oder gar geboten sein soll, sondern — das muß man leider immer und immer wieder sagen — es sagt nur, daß niemand von Gesetzes wegen durch Androhung und Verhängung von Strafe gezwungen werden soll, sich so und nicht anders zu verhalten. Denn hier geht es im letzten Grund nicht einfach nur um
einen Konflikt zwischen Leben oder Gesundheit der Mutter hier und Leben des Kindes dort, wie dies in vordergründiger Betrachtung etwa unter Gesichtspunkten bloß medizinischer Indikation erscheinen mag, sondern — darauf kommt mir im folgenden sehr viel an — um einen weit grundlegenderen Widerstreit der Werte, wie er vor allem bei der sogenannten ethischen oder, wie Sie heute auch gern sagen, kriminologischen Indikation sichtbar wird, also bei der Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs nach Notzucht oder Schändung.
Warum ist das eine ganz andere, viel tiefergreifende Konfliktsituation als der Fall der medizinischen Indikation? Hier geht es auf der einen Seite um den Wert, daß nicht ein Kind im Mutterleib getötet werden soll, auf der anderen Seite aber um den Wert, daß nicht eine Mutter gegen ihren Willen gezwungen werden soll, ein Kind zur Welt zu bringen, nicht notwendig, um Lebensgefahr, nicht um Gesundheitsgefahr der Mutter.
Dies ist der Grund, daß der seinerzeitige niedersächsische Justizminister Arvid von Nottbeck bei der Erörterung der ethischen Indikation im Durchgang des damaligen Strafgesetzentwurfs 1962 durch den Bundesrat die Zulassung des Schwangerschaftsabbruchs bei ethischer Indikation, also im Falle einer aufgezwungenen Schwangerschaft erstmals in unserem Land ausdrücklich als ein Gebot der Menschenwürde erklärt hat.
Die entscheidende Frage, die sich hieran anschließt — damit sind wir am Kern der Sache —, ist: Gilt dies nach unseren heutigen Wertüberzeugungen nicht ebenso wie hier für den Fall der aufgezwungenen Schwangerschaft auch für den Fall der ungewollten Schwangerschaft? Anders gefragt: Können und dürfen wir eigentlich von Rechts wegen durch gesetzliche Strafandrohung eine Frau auch gegen ihren Willen zwingen, ein Kind zu gebähren? Das ist die Frage. Ob wir hierzu ja oder nein sagen, entscheidet für mich, ob wir uns letztlich zu einer Fristenregelung entschließen müssen oder zu einer der Indikationenregelung gelangen können.
Das amerikanische oberste Gericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung, die Sie ja alle kennen, mit der es jede restriktive, ja, selbst extensive Indikationenregelung während der ersten vier Monate für schlicht verfassungswidrig erklärt hat, diese Frage eindeutig verneint.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Nach der amerikanischen Verfassung!)

- Darauf komme ich gleich. Keine Sorge! — Es führt aus, daß zum Persönlichkeitsrecht, dort „right of privacy" genannt, das „Recht einer Frau" gehöre, „ihre Schwangerschaft zu beenden", unter bestimmten vom Gericht gemachten Einschränkungen. Über dieses Recht kann sich auch der Staat — so heißt es da; ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten — „nicht hinwegsetzen". Es liegt „andererseits ein berechtigtes Interesse des Staates vor, sowohl die Gesundheit der schwangeren Frau als auch das potentielle menschliche Leben zu schützen, dessen Interessen an Bedeutung zunehmen und zu verschiedenen Zeitpunkten im Stadium der Schwangerschaft



Dr. Dr. h. c. Maihofer
einen, wie es hier in der Übersetzung heißt, „zwingenden Punkt" erreichen.
Geht man von einer solchen Wertüberzeugung in der Abtreibungsfrage aus, sieht man so den hier zu regelnden Widerstreit der Werte zwischen dem Recht der Mutter und dem Recht des Kindes nicht einfach nur als einen Widerstreit von Leben und werdendem Leben an, sondern viel grundsätzlicher als den Widerstreit zwischen dem Lebensrecht des Kindes, wie es auch in Art. 2 Abs. 2 unseres Grundgesetzes verbürgt ist, auf der einen Seite — darüber ist ja vorher mit Recht auch von Ihrer Seite gehandelt worden — und auf der anderen Seite der Menschenwürde der Frau, wie sie aus Artikel 2 Abs. 1 unseres Grundgesetzes sich ergibt und die nach unserem heutigen Wertbewußtsein auch ihr Selbstbestimmungsrecht in bestimmten Grenzen darüber einschließt, ob sie ein Kind gebären, also Mutter werden will, oder nicht. Diese nur durch freie — und das heißt auch für uns Liberale immer: verantwortliche — Selbstbestimmung zu gewährleistende Menschenwürde der Frau: nicht, auch hier nicht, als ein Objekt unter fremdem Zwang zu stehen und gebären zu müssen, sondern als ein Subjekt die eigene Entscheidung darüber zu haben, ob sie Mutter werden will oder nicht, wird der Mutter nicht nur aus einer Wertüberzeugung wie der eingangs behandelten, versagt. Diese setzt zwar das Lebensrecht des Kindes absolut, was ja moralisch durchaus achtenswert ist, vom Selbstbestimmungsrecht der Mutter aus ihrer Menschenwürde aber ist nicht mit einer Silbe die Rede. Und das sei auch in Ihre Richtung wirklich aus ehrlicher Überzeugung gesagt, Herr Kollege Heck: Wenn wir schon von Menschenwürde reden, dann dürfen wir nicht nur dann von ihr reden, wenn es darum geht, daß die Frau sich dem Kind gegenüber menschenwürdig verhält, sondern auch, wenn es darum geht, daß dieser Konflikt, der hier gelöst werden muß, auch im Sinne der Achtung ihrer eigenen Menschenwürde aufgelöst wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aus all diesen Grundüberzeugungen hat das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten, einer freiheitlichen Demokratie wie der unseren, gesagt —das ist in Ihre Richtung gemeint, Herr Lenz —, ein restriktiver Indikationenkatalog, der mit verbindlicher Kraft für alle durch den Gesetzgeber vorgeschrieben werden solle, sei, jedenfalls für die ersten Monate, verfassungswidrig.
Auch wenn wir aus unserer Wertüberzeugung, die ja sicherlich stärker nicht nur rechts-, sondern auch sozialstaatlich geprägt ist — ich glaube, da stimmen wir wieder voll überein —, diesen Rigorismus nicht teilen, der in diesem amerikanischen Urteil durchscheint, und nach unserer Verfassung nicht jede Indikationenregelung innerhalb der ersten Monate für verfassungswidrig halten würden, wie dies ja, ich sage es nochmals, in den Vereinigten Staaten geschehen ist, so sehen doch auch wir das Selbstbestimmungsrecht der Mutter auch und gerade in einer Indikationenregelung, sei sie nun restriktiv oder extensiv, einer Regelung also, welche die Mutter letztlich der Fremdbestimmung durch eine Gutachterstelle oder der Fremdbestimmung durch Einzelgutachter unterwirft, nicht wirklich gewährleistet.
Eine solche Indikationenregelung schon in den ersten Monaten hätte zudem nicht nur den Nachteil der Rechtsungleichheit, sondern brächte zugleich die Gefahr der Entlastung der Mutter von der moralischen Verantwortung für die Entscheidung zu Lasten eines Abbruchs der Schwangerschaft, die ihr ja von vornherein in jeder Indikationslösung von der Gutachterstelle oder von den Einzelgutachtern abgenommen wird; für mich eine der grundlegenden Einwendungen gerade aus dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts gegen jede Indikationenregelung. Aber sie bringt auch die Gefahr der Entlastung der Gesellschaft von der moralischen Verantwortung für berufliche, wirtschaftliche, wohnungsmäßige usw. Voraussetzungen, die heute ja nicht selten letzte Gründe sind für den Abbruch einer sonst durchaus erwünschten Schwangerschaft. In dem Punkte sind wir ja nun wieder voll einig: daß wir alles tun wollen, diese Gründe abzubauen, sie, wenn irgend möglich, überhaupt beiseitezuschaffen, damit sie in keinem einzigen Falle mehr den Ausschlag für einen Abbruch der Schwangerschaft geben können.
Nun, dem allem gegenüber sucht die Fristenregelung eben diese moralische Verantwortung von Mutter und Gesellschaft nicht nur offenzulegen, sondern durch gesetzliche Einschaltung von Beratungsstellen zum Ansatzpunkt weitreichender fürsorglicher, aber auch seelsorgerischer Maßnahmen zu machen. Damit erst, daß eben während dieser ersten zwölf Wochen ein Stadium der Legalität geschaffen wird — wie vorhin zu Recht gesagt worden ist —, kann sich jener edle Wettstreit all der kirchlichen und weltlichen Anstrengungen in aller Offenheit und Öffentlichkeit entfalten, den die Fristenregelung als den tatsächlichen Schwerpunkt ihrer gesetzgeberischen Anstrengungen versteht: der Sozialpolitik den Vorrang vor jeder Kriminalpolitik einzuräumen

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und so das Strafrecht getreu der — ich möchte sagen — liberalen Devise des großen Strafrechtslehrers Franz von Liszt auch hier zur Ultima ratio und nicht zur Prima ratio der Sozialpolitik zu machen.
Der volle Austrag dieses Wertkonflikts zwischen Lebensrecht des Kindes und Menschenwürde der Mutter, die das Selbstbestimmungsrecht und auch Lebensrecht des geborenen einschließt — es geht ja nicht immer nur um das Ob, es geht ja immer auch um das Wie des Lebens —, ist durch alle Stadien der Schwangerschaft hindurch — das ist unsere Überzeugung — nur mit der Fristenregelung gewährleistet. Denn der Wertkonflikt ist nach dem jeweiligen Rangverhältnis der hier widerstreitenden Werte für die verschiedenen Stufen dieser Entwicklung nur auf unterschiedliche Weise zu lösen. Darum sind schon die Strafrechtslehrer, die sich im Alternativ-Entwurf 1970 mehrheitlich für die Fristenlösung ausgesprochen haben, davon ausgegangen, daß gemäß dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter diese nicht gegen ihren Willen von Gesetzes wegen gezwungen werden kann, ein Kind zu gebären.



Dr. Dr. h. c. Maihofer
Dennoch ist in diesem Entwurf ein Vorrang des Rechtes der Mutter gegenüber dem Recht des Kindes nur für eine Frist von zwölf Wochen zuerkannt worden. Nur in diesem Zeitraum steht es in der verantwortlichen Selbstbestimmung der Frau — und allein in ihr —, die Schwangerschaft abzubrechen. Übt sie dieses Recht in dieser Frist nicht aus, dann erlangt danach das Lebensrecht des Kindes, wie es sich aus Art. 2 Abs. 2 unseres Grundgesetzes ergibt, eindeutig den Vorrang oder — wenn Sie so wollen — das Übergewicht über das aus Art. 1 und 2 Abs. i des Grundgesetzes sich ergebende Selbstbestimmungsrecht der Mutter.
Ich bin sogar der Aufassung, daß in der letzten Phase der Schwangerschaft, in der das Kind außerhalb des Mutterleibs bereits selbständig lebensfähig ist, nur noch eine vitale Indikation, also Lebensgefahr für die Mutter, zur Tötung eines schon selbständig lebensfähigen Kindes berechtigt. Insoweit hielte ich sogar einen Schritt hinter unser geltendes Recht zurück für geboten; denn hier spitzt sich der Konflikt in der Tat zu der Entscheidung zwischen geborenem Leben und schon selbständig lebensfähigem Leben zu. Darum kann hier eine bloße Gesundheitsgefahr, gar bloße Gefährdung der Arbeitskraft oder ähnliches in diesem Stadium einen Schwangerschaftsabbruch nicht mehr rechtfertigen.
Stellen wir uns darum ehrlich dem Wertkonflikt, um dessen Austragung es hier in jeder Konfliktsituation beim Schwangerschaftsabbruch geht: dem Konflikt — ich sage es nochmals ganz unverhohlen — zwischen dem Menschenrecht der Mutter (Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 unseres Grundgesetzes) und dem Lebensrecht des Kindes (Art. 2 Abs. 2 unseres Grundgesetzes), dann verbietet sich jede Absolutsetzung der einen oder der anderen Wertposition.
Weder gibt es einen absoluten Schutz des Kindes — den gewährleistet noch nicht einmal die Indikationenregelung, weder die restriktive noch die extensive — noch gibt es auf der anderen Seite ein absolutes Recht der Mutter, wie diejenigen fordern, die für eine Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs überhaupt eintreten. Es gibt hier beiderseits — und das ist schmerzlich einzusehen — nur ein relatives, über die verschiedenen Stufen der Schwangerschaft unterschiedlich zu wertendes und zu gewichtendes Recht, sei es nun das Menschenrecht der Mutter, sei es das Lebensrecht des Kindes.
Das bedeutet, klar gesagt, ein relatives, über die verschiedenen Stufen der Schwangerschaft immer mehr zurücktretendes Selbstbestimmungsrecht der Mutter auf der einen Seite wie ein relatives, in den verschiedenen Stufen der Schwangerschaft immer mehr überwiegendes Lebensrecht des Kindes. Nur wenn man diese beiden hier im Streit stehenden Werte auf jeder Stufe nach ihrem jeweiligen Gewicht berücksichtigt, wird man dem hier gegebenen Wertkonflikt in einer Weise gerecht, die — und das ist nun ganz ins Grundsätzliche gezielt — auch den Grundwerten unserer Verfassung, die gleicherweise Achtung der Menschenwürde und damit der verantwortlichen Selbstbestimmung der Frau auf der einen Seite heißen und zum anderen Lebensrecht des Kindes, angemessen und verhältnismäßig in jedem
Stadium der Schwangerschaft ihr Recht gibt und läßt.
Diese aus der Verfassung selbst folgende Wertentscheidung für eine angemessene Berücksichtigung auch des Selbstbestimmungsrechts der Mutter im Wertkonflikt mit dem Lebensrecht des Kindes ist, wie ich meine, der tiefere Grund für das Eintreten aller derer, die in der sozialliberalen Koalition der Fristenregelung anhängen, für diese Regelung. Sie entspricht damit nicht nur voll — auch das möchte ich so unverblümt wie geboten sagen — unserer Verfassung, sie ist mehr noch Ausdruck eben dieses in unserer Verfasung selbst angelegten Wertrangverhältnisses zwischen Menschenwürde hier und Lebensrecht dort. Sie ist zudem aber auch, wie ich meine, der tiefere Grund des Wandels der Wertüberzeugungen nicht nur in unserer eigenen Bevölkerung, sondern in allen vergleichbaren Kulturnationen.
Erst wenn wir so auf die Frage zurückgehen: welche Wertüberzeugungen, welche Wertentscheidungen im Rangverhältnis zwischen Selbstbestimmungsrecht und Lebensrecht liegen der einen oder anderen Lösung zugrunde, stehen wir recht eigentlich vor der Frage, um die es geht: ob der einzelne in seiner Gewissensentscheidung von dieser oder jener Werthaltung ausgeht. Alles andere, davor Liegende, berührt letztlich nicht den elementaren Wertkonflikt, wie er sich auch in unserer Verfassung in Art. 1 und Art. 2 widerspiegelt. In eben dieser hier verdeutlichten Wertüberzeugung liegt für die Anhänger der Fristenregelung der tiefere Grund für ihre Entscheidung — auch ihre Gewissensentscheidung — für eine solche Lösung. Diese Lösung ist damit für uns von allen hier möglichen gesetzlichen Regelungen die am ehesten in allen diesen Hinsichten menschliche oder, nüchterner gesagt, am wenigsten unmenschliche Lösung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709504400
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.

Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID0709504500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit einer nur rationalen Betrachtungsweise kann man an das heute zu behandelnde Problem nicht herangehen, und so erlauben Sie mir, daß ich Sie nach dieser Rede des Herrn Ministers wieder zur Praxis und auf den Boden der Tatsachen zurückhole.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Diskussion um die Reform des § 218 läuft in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit wieder auf vollen Touren, und sie nimmt in manchen Bereichen geradezu makabre Formen an.

(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Gott sei Dank wurden die Beratungen in den zuständigen Ausschüssen nicht von solchen Emotionen, die sich die Öffentlichkeit zu eigen machte, belastet. Hier möchte ich geradezu ein redliches Bemühen um eine gute Lösung allen bescheinigen, die die vorliegenden Entwürfe erarbeiteten.



Frau Dr. Neumeister
Doch soll, meine Damen und Herren, diese meine Feststellung keineswegs darüber hinwegtäuschen, daß die Ursache für die emotionell aufgeladene Diskussion in der Öffentlichkeit eindeutig das Hinhalten dieser augenblicklichen Regierung ist, die das schwierige Thema der Reform des § 218 leichtfertig schon im Jahre 1972 zu einem Wahlkampfthema hochstilisierte, um so durch Versprechungen und unverantwortliche Aussagen die Frauen in Richtung SPD zu mobilisieren. Nur darf man sich dann, wenn man Versprechungen gemacht und Erwartungen geweckt hat und außerdem noch beauftragt wurde, als Regierung Verantwortung zu übernehmen, nicht aus dieser Verantwortung herausstehlen, indem man dieses einmal politisch aufgezäumte Thema nur der Meinungsbildung in der Bevölkerung überläßt, keinen eigenen Regierungsentwurf erarbeitet und — bis auf wenige Ausnahmen — auch keinerlei oder jedenfalls wechselnde Stellungnahmen von Kabinettsmitgliedern bekanntgibt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709504600
Frau Abgeordnete Dr. Neumeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke?

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709504700
Frau Kollegin, ist Ihnen bei der Bemerkung, die Regierung habe dieses Thema im Jahre 1972 anscheinend ohne Anlaß herausgebracht, nicht bewußt, daß in den Jahren 1970 und 1971 die Kirchen und auch die Öffentlichkeit zu diesem Thema sehr nachdrücklich Stellung genommen haben?

Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID0709504800
Doch, das ist mir bewußt, aber es ist dieses Thema tatsächlich in einer teilweise unverantwortlichen Weise — ich weiß es aus eigenen Erfahrungen — im Wahlkampf hochstilisiert worden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es besteht doch Einigkeit darüber, daß die Entscheidung in diesem Bereich eine reine Gewissensentscheidung jedes einzelnen Abgeordneten ist. Aber auch Kabinettsmitglieder haben ein Gewissen — sie sollten es jedenfalls haben —, und das kann man nicht nach jeweils erwünschten Mehrheitsverhältnissen umpolen.
Ich möchte ganz ohne Polemik offen die Frage stellen: Was ist für einen Bundeskanzler, der sich immer wieder darauf beruft, daß er für die Frauen eintreten will, wichtiger: sich die sehr ernsthafte Grundsatzdebatte über die heute zu behandelnde — im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtige —Frage anzuhören oder aber eine — sicherlich auch außerordentlich wichtige — Industriemesse in Hannover zu eröffnen? Sollte bei der Entscheidung eventuell die Tatsache mitgespielt haben, daß in Niedersachsen der Wahlkampf begonnen hat?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wagner [Trier] : Eine sehr berechtigte Frage!)

Wenn nun der Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner öffentlich bekundet, daß er und seine Fraktion es ehrlich meinen mit der Reform des § 218, so wird er das noch innerhalb dieser Debatte und in Zukunft zu beweisen haben. Wenn er aber weiterhin — ich zitiere wörtlich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — „die Verzögerungstaktik der CDU/CSU-Opposition bei der Beratung der Gesetzentwürfe im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform" bedauert, so ist das nachweislich eine unwahre Unterstellung, gegen die wir uns mit aller Intensität wehren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn dann aber zur Unterstützung eines bestimmten Modells in aller Öffentlichkeit nach vorheriger Ankündigung offen gegen bestehende Gesetze demonstriert und gehandelt wird wie bei der in Berlin über das Fernsehen ausgestrahlten Dokumentation einer Abtreibung, dann schweigt sich die Regierung aus. Wenn in dieser Sendung eine Frau nach geltendem Recht eine strafbare Handlung begeht und hofft, durch Perücke und Brille Ehemann und Familie über schwerwiegende Eingriffe in die Intimsphäre der Familie hinwegzutäuschen, dann äußert die Ministerin für Familie, man könne über diese Aktion unterschiedlicher Auffassung sein.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wenn dann eine Gruppe von Ärzten, die in aller Öffentlichkeit gegen ihre Berufsordnung und bestehendes Recht verstoßen, noch zusätzlich erklärt, wie einfach und ohne Auswirkung auf die Gesundheit der Frau ein solcher Eingriff, nämlich die Abtreibung in der demonstrierten Form, ist, dann schweigt die Ministerin für Gesundheit, obwohl diese Behauptung der Harmlosigkeit des Eingriffs keineswegs den Tatsachen entspricht und in letzter Zeit von Ärzten ganz entschieden widerlegt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, dieses makabere Fernsehspiel war das I-Tüpfelchen, das uns in der öffentlichen Meinungsbildung noch fehlte.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709504900
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID0709505000
Frau Neumeister, ich muß mich zunächst entschuldigen; ich komme et- was spät. Könnten Sie uns im Anschluß an das, was Sie gerade sagten, erklären, ob Sie eine Anzeige gegen diese Frau gestellt haben?

Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID0709505100
Nein, die habe ich nicht gestellt.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Was soll denn das? — Abg. Rawe: Dummer kann man kaum fragen!)

Wir Abgeordneten der CDU/CSU fühlen uns dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes verpflichtet, das in Art. 2 das Recht auf Leben garantiert. Das sollte auch ruhig kurz vor dem 25jährigen Jubiläum unserer Verfassung wiederholt ausgesprochen werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch sehr energisch die Vorwürfe des FDP-Abgeordneten von



Frau Dr. Neumeister
Schoeler zurückweisen, der im Pressedienst seiner Fraktion behauptet hat, daß — ich zitiere wieder wörtlich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — „die CDU/CSU-Mitglieder im Strafrechtssonderausschuß weder Bedenken noch förmliche Einsprüche gegen eine Verfassungswidrigkeit der Fristenregelung erhoben hätten". Wir haben darauf hingewiesen, daß die Mehrheit der Grundgesetzkommentatoren der Meinung sei, daß auch das ungeborene Leben durch das Grundgesetz geschützt ist. Weiterhin habe ich aber auch erklärt, daß ich es unverständlich finde, daß die Verfasser des Entwurfs der Fristenregelung in ihrer Begründung herausstellen, das ungeborenes Leben grundsätzlich geborenem gleichzuachten ist, aber andererseits in den ersten drei Monaten seines Bestehens diesem Leben Recht und Schutz versagen.

(Abg. von Schoeler meldet sich zu einer Zwischenfrage. — Abg. Rawe: Die müssen Sie nicht zulassen, Frau Kollegin; er läßt auch keine zu!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709505200
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Schoeler?

(Abg. Rawe: Nein, lassen Sie nichts zu. Er hat selbst auch keine zugelassen! — Abg. Dr. Wagner [Trier] : Er hat sich nicht getraut, welche zuzulassen; dann braucht er jetzt auch nicht zu fragen!)


Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID0709505300
Ich möchte mich vielleicht mit Herrn von Schoeler im Anschluß darüber unterhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier liegt doch eindeutig eine Inkonsequenz. Aber es ist auch vom biologischen Standpunkt meines Erachtens völlig unverständlich, daß ein Embryo von einem Tag zum andern plötzlich schutzwürdig werden soll, ganz davon abgesehen, daß die Feststellung der Frist der tatsächlichen Schwangerschaftswoche zu diesem Zeitpunkt medizinisch außerordentlich schwierig und nur sehr ungenau möglich ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709505400
Frau Abgeordnete Dr. Neumeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Timm, oder lassen Sie überhaupt keine Zwischenfragen zu?

Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID0709505500
Ich möchte jetzt eigentlich gern einmal weitersprechen. Man wird immer so herausgerissen. Lassen Sie mich weitersprechen!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709505600
Es ist das Recht der Rednerin, Zwischenfragen abzulehnen.

Dr. Hanna Neumeister (CDU):
Rede ID: ID0709505700

(I Schwangerschaft allein die Verantwortung über Sein und Nichtsein menschlichen Lebens zumuten und aufbürden zu wollen, ganz davon abgesehen, daß man hiermit ein fundamentales Prinzip des Rechtsstaats aufgibt, das aussagt, daß in einem Konfliktfalle kein Beteiligter die Lösung entscheidend bestimmen darf; und ist die Frau hier nicht wirklich Hauptbeteiligte? Hier ignoriert man weiterhin die allen Ärzten, aber auch Müttern bekannte Tatsache — ich kann es aus eigener Erfahrung ganz sicher sagen —, daß die ersten drei Monate diejenige Zeitspanne der Schwangerschaft sind, in der die Frau Mühe hat, eine positive Einstellung zur neuen Situation zu finden, ganz gleich, ob es sich um ein Wunschkind oder ein nicht geplantes Kind handelt. Die meist beeinträchtigte physische Verfassung läßt der Frau die Schwangerschaft durchaus nicht in rosigem Licht erscheinen. Dazu kommt noch die psychische Umstellung, die oft noch schwerer zu bewältigen ist. Schwere Depressionen sind bei sonst völlig gesunden Frauen keine Seltenheit. Verstärkt wird dieser individuelle Umstellungskonflikt außerdem noch durch den Druck einer kinderfeindlichen Gesellschaft oder durch Schwierigkeiten in mitmenschlichen Beziehungen. Hier von freier Entscheidung der Frau zu sprechen ist nur möglich, wenn man die Unverfrorenheit besitzt, körperliche und seelische Umstellungsvorgänge bei der Frau zu Beginn der Schwangerschaft völlig zu ignorieren. Es wird meines Erachtens viel zuwenig darauf hingewiesen, daß es ein Denkfehler ist, sei er schematischer, wissenschaftlicher oder auch ideologischer Natur, am Anfang einer Schwangerschaft die Frau selber darüber entscheiden zu lassen, ob sie das Kind will oder nicht. Dieser Denkansatz geht an der von jeder Mutter, von jedem Arzt als Psychologen bestätigten Wirklichkeit vorbei, daß die Annahme eines Kindes ein lange dauernder Prozeß ist. Heute ist die sogenannte Entscheidungsfreiheit der Frau zu einem Politikum geworden. Allzu leicht wird dabei die enge Beziehung zwischen Mann, Frau und Kind vergessen. Diese einseitige Entscheidungsfreiheit, die als Form der extremen Emanzipation gewertet werden muß, führt vor allem zu einer eindeutigen Überforderung der Frau, die dieser Belastung gar nicht gewachsen ist. Nach Schweizer psychiatrischen Untersuchungen stellte man in über 50 % der Fälle, bei denen eine Schwangerschaft abgebrochen wurde, bei den Frauen Schuldgefühle und in i 1 % eine weitere schwere Fehlentwicklung fest. Die Fristenregelung übersieht diesen Sachverhalt. Ihre Anhänger betonen aber andererseits, daß sie zur Befreiung, zur Emanzipation der Frau beitragen wollen. Es ist aber doch eindeutig ein Trugschluß, zu Frau Dr. Neumeister glauben, Freiheit und Rechte der Frau würden durch die Legalisierung der Abtreibung vermehrt. Richtig ist vielmehr, daß die Männer von der Verantwortung für die von ihnen gezeugten Kinder und die Gesellschaft von der Sorge für alleinstehende oder kinderreiche Mütter entbunden werden, die Frauen aber oft in eine verzweifelte Situation getrieben werden; denn die gesundheitliche Gefährdung und die psychische Belastung einer Interruptio kann niemand von ihnen nehmen. Gerade von der Gefährdung der Gesundheit der Frau nach einem Schwangerschaftsabbruch wird viel zuwenig gesprochen. Dabei zeigen statistische Erhebungen in Ländern mit einer starken Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, daß bei durchschnittlich 30 % aller Frauen nach einem legalen Abort Frühoder Spätschäden nachzuweisen sind. Allein die Zahl der Frühgeburten steigt bereits nach einem Schwangerschaftsabbruch auf 14 %; 18 % der Frauen mit zwei legalen Aborten haben später Frühgeburten, und nach drei Aborten sind es 24 %. Daraus resultiert dann einwandfrei ein entsprechender Anstieg der Neugeborenenund Säuglingssterblichkeit. Bei der Frau selber aber sind nach einem Schwangerschaftsabbruch gesundheitliche Schäden festzustellen, die keineswegs zu vernachlässigen sind. (Abg. Frau Däubler-Gmelin: Und wie ist es bei Geburten?)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)





(Beifall bei der CDU/CSU)


(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Es treten entzündliche Komplikationen bis zu 23 %, sekundäre Sterilität bis zu 45 %, Menstruationsstörungen bis zu 47 % und schließlich psychische Störungen nachweislich bis zu 59 % auf. Diese Zahlen müssen angesichts der Verniedlichungstaktik bestimmter Kreise den Frauen gegenüber einmal genannt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. von Schoeler: Sie tun ja so, als ob es darum ginge, ob abgetrieben wird oder nicht!)

Ob durch eine Liberalisierung der Abtreibung tatsächlich ein Absinken der Zahl der illegalen Eingriffe hervorgerufen wird, läßt sich auf Grund der Dunkelziffern in allen Ländern nicht einwandfrei feststellen. In manchen Ländern aber kann man eher das Gegenteil nachweisen. Eines steht jedoch fest: Die Gesamtzahl der Abtreibungen stieg nach einer Freigabe im Sinne der Fristenregelung in anderen Ländern erheblich an.
Frau Schlei betonte in ihrer Rede, daß Schwangerschaftsabbruch kein Mittel zur Familienplanung sein dürfe. Hier muß man die Erfahrungen aus anderen Ländern berücksichtigen. In den östlichen Ländern z. B. zeigt die Praxis, daß die Frauen auf Grund der Liberalisierung ihre Familienplanung zügellos durch mehrfache Abtreibungen durchführen. Nach mündlicher Angabe ist dort ein Schwangerschaftsabbruch höchstens dreimal im Jahr gestattet. Die an keine Antikonzeption gewöhnten Frauen abortieren dann bei weiteren Schwangerschaften wieder illegal; denn je freizügiger die Abtreibung gehandhabt
wird, desto mehr werden die konzeptionsverhütenden Mittel und Methoden vernachlässigt.

(Abg. Frau Däubler-Gmelin: Das ist auch falsch, und das wissen Sie!)

Die Gleichberechtigung der Frau aber wird durch die Freigabe letztlich verschlechtert, da Zwänge von außen her ihre Entscheidungsfreiheit einengen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir halten es daher für dringend erforderlich, die Konfliktsituation der Frau gegenüber dem ungeborenen Leben durch Gutachter bestätigen zu lassen, um so die Frau sowie den ausführenden Arzt zu entlasten. Genau wie die Frau, die aus vorher bereits angeführten Gründen in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeengt ist, ist auch der Arzt in einer unmöglichen Situation, wenn er in einer Person zugleich helfender Arzt, psychologischer und eventuell auch sozialer Detektiv und Richter über Leben und Tod sein soll. Hier müssen unabhängige, außerhalb dieser Konfliktsituation stehende Personen entscheiden können.
Im § 218 f fordern wir eine obligatorische Beratung der Schwangeren. Eine Frau kann infolge einer ungewollten Schwangerschaft leicht in Panikstimmung geraten, kann allein mit der Situation nicht fertigwerden und findet bei der eigenen Familie, die letztlich mitbetroffen ist, keine Hilfe. Hier muß jede Frau bei neutralen Beratern — möglichst in Beratungsstellen der freien Träger, aber auch von Behörden — Rat hinsichtlich zur Verfügung stehender Hilfen für Schwangere, für Mutter und Kind finden können. Die Beratung kann, wenn erforderlich, auf besonders ausgebildete Fachkräfte ausgedehnt werden. Sicherlich wird so manche Frau von einer Kurzschlußhandlung zurückgehalten oder aber, falls notwendig, ihr der Weg zu einer Gutachterstelle geebnet. Ich verstehe einfach nicht die Argumentation, wonach nur bei der Fristenregelung die Beratungsstelle von der Frau aufgesucht werden sollte, wie Herr von Schoeler vorhin sagte. Bei unserem Entwurf wird mindestens genausoviel Wert auf die Beratung gelegt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Nun wird uns immer wieder vorgeworfen, daß wir der Frau zumuten wollten, vor ein Gutachteroder Beratertribunal zu treten. In Wirklichkeit soll doch aber die Antragstellerin niemals vor einem Gremium mehrerer Ärzte erscheinen, sondern unter vier Augen mit den zur Begutachtung beauftragten Ärzten sprechen, die der Schweigepflicht unterliegen, so daß der Schutz der persönlichen Sphäre gewahrt bleibt.
Wir sind uns klar darüber, daß wir den begutachtenden Ärzten eine große Verantwortung aufbürden. Doch wir haben auch Vertrauen zur deutschen Ärzteschaft, die sich bereit erklärt hat, diese Aufgabe zu übernehmen. Wir hoffen aber sehr, daß durch einen intensiven Ausbau von Familienplanungs- und Beratungsstellen die Zahl der Anträge auf Bewilligung eines Schwangerschaftsabbruchs erheblich reduziert werden kann. Jeder einzelne



Frau Dr. Neumeister
muß die Möglichkeit haben, in eigener Verantwortung Familienplanung zu betreiben, sich aber auch selbst der Verantwortung bewußt sein; denn es kann nicht Aufgabe unseres Staates sein, seinen Bürgern jede persönliche Freiheit zu gewähren, zugleich aber jede persönliche Verantwortung abzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Frau Däubler-Gmelin: Das ist doch die Höhe! Das ist wirklich die Höhe!)

Ein Schwangerschaftsabbruch darf grundsätzlich nur eine therapeutische Maßnahme zum Schutze der Gesundheit oder des Lebens der Mutter sein, sollte nur beim Vorliegen bestimmter Indikationen vorgenommen werden. Mit dieser unserer Meinung befinden wir uns in völliger Übereinstimmung mit der 1970 beschlossenen Osloer Deklaration des Weltärztebundes.

(Abg. Frau Däubler-Gmelin: Das glaube ich!)

Auch die deutsche Ärzteschaft steht hinter dieser Deklaration des Weltärztebundes, und es kommt immer wieder zum Ausdruck, daß sich ein sehr, sehr hoher Prozentsatz aller Ärzte gegen eine befristete Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs ausspricht; denn erstes Ziel und vordringlichste Aufgabe dieses Berufsstandes ist die Erhaltung des Lebens.
Medizinisch indiziert ist der Schwangerschaftsabbruch nach dem Gesichtspunkt der Osloer Deklaration auch dann, wenn sich die Gefahr für den seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren aus
einer aufgezwungenen Schwangerschaft oder aus einer hohen Wahrscheinlichkeit ergibt, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an Siechtum oder einer gleich schweren dauernden Schädigung seiner Gesundheit leiden würde. Die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft ermöglicht uns, gerade auf diesem Gebiet erheblich genauere Diagnosen zu stellen, als noch vor Jahren möglich. Es ist bei der heute praktizierten Ganzheitsmedizin eine Selbstverständlichkeit, daß mit der medizinischen Indikation auch schwere Konfliktsituationen der Schwangeren erfaßt werden, die sich aus den mitmenschlichen Beziehungen, dem sogenannten sozialen Bereich ergeben und mit seelischen oder körperlichen Beeinträchtigungen verbunden sind. Eine Trennung der körperlichen und seelischen Bereiche von den sozialen Bereichen ist im Sinne der modernen Medizin gar nicht mehr möglich. Der Patient ist für den Arzt eine soziopsychosomatische Einheit und muß in diesem Gesamtzusammenhang behandelt werden. Körper und Geist, Mensch und Umwelt sind Bezugsgrößen, die nach einem Gleichgewicht streben. Allein aus dieser Erkenntnis heraus wird eine gerechte Begutachtung möglich sein.
Es ist falsch und eine Unterstellung, daß nur gut-situierte Privatpatienten — so sagte Frau Schlei —auf Grund dieser Indikation die Genehmigung zum Abbruch der Schwangerschaft bekamen und in Zukunft bekommen würden.

(Abg. Frau Däubler-Gmelin: Das hat sie gar nicht gesagt!)

Denn diese Indikationen gelten für alle Frauen, und mit Klassenkampfideologien kann man an diese Frage nicht herangehen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Frau Meermann: Die Gutsituierten standen aber nie vor Gericht, Frau Kollegin! Darum geht es doch!)

Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß allein mit Paragraphen die schwierigen Probleme im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch nicht gelöst werden können. Allein die Auslegung und die Art des Praktizierens werden das Gesetz, das wir heute oder morgen verabschieden werden, mit Leben erfüllen. Entscheidend wichtig ist, daß unser aller Bemühen, sowohl des Gesetzgebers wie der Ausführenden, dahin gehen muß, den Menschen als Maß aller Dinge zu sehen, sowohl das hilflose ungeborene Leben, das unseren Schutz braucht, wie aber auch den im Leben stehenden Menschen mit all seinen Konflikten und Nöten, dem wir Wege weisen müssen, sie zu bewältigen. Durch Freigabe der Abtreibung, auch nur eine befristete Freigabe, kann diese Hilfe jedoch unseres Erachtens nicht gewährleistet sein. Entscheidend ist, daß die Anspüche materieller Art, die ein jeder hilfsbedürftige Mensch hat, nicht höher bewertet werden als die Ansprüche auf Menschlichkeit, auf ethische Werte.
Einer dieser Grundwerte aller Bürger in einer Demokratie ist aber die Freiheit. Auch Emanzipation gehört zur Freiheit. Aber letztlich ist Freiheit noch mehr. Vor allem ist Freiheit untrennbar mit Verantwortung verbunden. Nur der Freie kann verantwortlich handeln, und nur der Verantwortliche ist wirklich frei. Wer seine Freiheit aber in dem scheußlichen Ausspruch „Mein Bauch gehört mir" dokumentieren will, der muß sich zuvor darüber klar sein, daß auch die Verantwortung ihm gehört, die Verantwortung für seinen eigen Körper,

(Beifall bei der CDU/CSU)

die Verantwortung aber auch für das Leben, das er zeugte. Und wer denkt, daß die von der augenblicklichen Regierung viel zitierte „Qualität des Lebens" durch Abschütteln sämtlicher Bindungen, aller vom Staat gesetzten Normen, aller kulturellen und sittlichen Normen erreicht werden kann, der muß letztlich zu der Erkenntnis gelangen, daß wahre Qualität niemals das Ergebnis totaler Emanzipation sein kann. Denn einzig und allein der freie Entschluß, sich sittlichen Normen — und das ist auch das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs — zu unterwerfen, macht den Wert des Menschen und seines Lebens aus.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aus diesen Gründen lehnen wir eine Freigabe der Abtreibung, auch eine befristete Freigabe, ab, erkennen aber an, daß es Konfliktsituationen geben kann, die einen Abbruch der Schwangerschaft im Interesse der Gesundheit der Frau erforderlich machen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)





Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709505800
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist auf 13 Uhr festgesetzt. Es lohnt sich also nicht mehr, mit einer neuen Rede zu beginnen. Ich unterbreche die Sitzung bis 13 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.48 bis 13.01 Uhr.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709505900
Meine Damen und Herren, wir setzen die Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde
— Drucksache 7/2008
Es sind noch einige Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unbeantwortet. Ich höre aber gerade, daß Herr Minister Ertl noch auf dem Weg von Köln hierher ist. Können wir deshalb jetzt die Fragen aus dem nächsten Ressort, dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts, behandeln mit der Maßgabe, daß Kollegen, die sich darauf verlassen haben, daß zunächst die Landwirtschaft drankommt und daher jetzt abwesend sind, nachher noch die Chance haben, daß der Aufruf ihrer Fragen nachgeholt wird? Das würde bedeuten, Herr Staatssekretär Ravens, daß Sie eventuell bereit sein müßten, noch ein bißchen länger zu bleiben, damit diese Chance eingeräumt werden kann. — Wenn dagegen kein Widerspruch besteht, dann rufe ich jetzt die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf.
Die Frage 98 des Abgeordneten Dr. Aigner soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Geisenhofer auf:
Treffen Pressemeldungen zu, Bundesminister Bahr sei wahrend seines letzten Moskaubesuchs bedeutet worden, im Fall der Errichtung des Umweltbundesamts in Berlin sei mit neuen Behinderungen im Transitverkehr zu rechnen, worauf auch Staastsekretär Gaus von Ost-Berlin hingewiesen worden sei, und wie hat die Bundesregierung — bejahendenfalls — darauf reagiert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär Ravens zur Beantwortung!

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709506000
Herr Kollege, derartige Pressemeldungen treffen nicht zu. Bei den Gesprächen in Moskau wurde von beiden Seiten beachtet, daß für Fragen der Aktivitäten des Bundes in West-Berlin die Drei Mächte die Gesprächspartner der Bundesregierung sind. Die unterschiedliche Auffassung darüber, ob die Errichtung eines solchen Amtes in West-Berlin mit dem Viermächteabkommen vereinbar sei, ist nach Kenntnis der Bundesregierung nicht ausgeräumt. Die Vertreter der Bundesregierung haben bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hingewiesen, daß sie die Auffassung der Drei Mächte teilen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709506100
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 100 und 101 des Abgeordneten Höcherl werden einen Augenblick zurückgestellt.
Die Frage 102 des Abgeordneten Dr. Zimmermann soll auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 103 und 104 des Abgeordneten Reddemann auf:
Kann die Bundesregierung erklären, ob Adressen von Bürgern, die sich an das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gewandt haben, der FDP-Fraktion des Deutschen Bundestags zugeleitet wurden, und auf welche Weise dies gegebenenfalls geschah?
Verwendet das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung denselben Adressenautomaten wie die FDP-Fraktion des Deutschen Bundestags?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär von Wechmar.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709506200
Herr Abgeordneter, die elektronische Datenverarbeitungsanlage des Presse- und Informationsamts, die in erster Linie einem Informationsbereitstellungssystem dient, wird natürlich auch für Verwaltungsaufgaben nutzbar gemacht. So wird zur Zeit eine Adressendatei aufgebaut, in die z. B. auch die Anschriften von Mitgliedern der Besuchergruppen von Abgeordneten eingespeichert werden, wenn sie mit Informationsmaterial der Bundesregierung beliefert werden wollen. In einem solchen Fall wird den Besuchern anheimgestellt, einen Adressenbogen auszufüllen. Dies geschieht natürlich freiwillig. Jedoch machen viele der Besucher davon Gebrauch.
Außerdem werden Adressen von Interessenten eingespeichert, die sich von sich aus mündlich oder schriftlich an das Presse- und Informationsamt mit der Bitte wenden, sie mit Informationsmaterial der Bundesregierung zu beliefern.
Zur Zeit sind etwa 52 000 Anschriften eingespeichert. Etwa 19 000 davon sind der Kategorie „Besuchergruppen" zuzurechnen. Im September und Oktober 1972 und im Oktober und November 1973 hat die Bundestagsfraktion der FDP aus der Zielgruppe Arbeitgeber, freie Berufe sowie Interessenten für Haushalt, Steuern, Finanzen und Mittelstandspolitik insgesamt 30 500 Adressen erbeten und erhalten. Die Anschriften wurden als selbstklebende Etiketten vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung ausgedruckt und übergeben.
Damit, so meine ich, Herr Abgeordneter, ist Ihre Frage 2 beantwortet.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709506300
Eine Zusatzfrage.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID0709506400
Herr Staatssekretär, auf Grund welcher Rechtslage hat das Presse- und Informationsamt Anschriften, die nur für das Presse-und Informationsamt, nicht aber für die FDP-Bundestagsfraktion bestimmt waren, an die FDP-Fraktion herausgegeben?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709506500
Herr Abgeordneter, es ist überhaupt keine Frage, daß diese Anschriften selbstverständlich auch anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen zur Verfügung stehen würden, wenn sie den Wunsch haben, sich Anschriften von Angehörigen bestimmter Zielgruppen dort zu beschaffen und sie zu verwenden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709506600
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID0709506700
Herr Staatssekretär, werden Besucher, die zum Presse- und Informationsamt kommen und diesen Bogen ausfüllen, darauf aufmerksam gemacht, daß ihre Anschriften auch an Parteiinstitutionen weitergegeben werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709506800
Das geschieht jetzt, Herr Abgeordneter.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709506900
Eine weitere Zusatzfrage!

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID0709507000
Da ich daraus schließen darf, daß das bisher nicht geschehen ist: Würden Sie mit mir übereinstimmen, daß Sie vorher das Vertrauen derer, die zum Presse- und Informationsamt gekommen sind und glaubten, nur einer staatlichen Stelle ihre Anschrift gegeben zu haben, gründlich mißbrauchen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709507100
Herr Abgeordneter, ich kann mir nicht vorstellen, daß auch jemand, der politisch Ihrer Partei nahesteht, Informationsmaterial einer demokratischen Partei, die hier im Deutschen Bundestag vertreten ist, fürchten muß wie der Teufel das Weihwasser.

(Zuruf von der FDP: Na, na, na!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709507200
Eine Zusatzfrage.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID0709507300
Da ich überzeugt bin, daß wir uns weder über den Teufel noch über das Weihwaser unterhalten müssen, Herr von Wechmar, meine letzte — leider in diesem Zusammenhang zunächst letzte — Frage: Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es einfach ein Mißbrauch Ihres Amtes ist -- ich muß diese Frage leider wiederholen, da Sie sie nicht entsprechend beantwortet haben —, Material, das nicht für Parteien bestimmt war, zum Zwecke der Parteienwerbung herauszugeben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709507400
Nein!

(Abg. Reddemann: Dann müssen wir noch einmal darüber sprechen!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709507500
Keine weitere Zusatzfrage.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst ist nicht im Saal. Die Frage 105 wird zurückgestellt.
Ich rufe die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf:
Entsprachen die in einem offiziellen Faltblatt des Presse- und Informationsamts 1972 „Politik ist gut, wenn es den Menschen besser geht" aufgeführten Aussagen: „Goldene Jahre für Arbeitnehmer", „Die Löhne wurden nicht von den Preisen überrundet", „Arbeitsplätze sicher wie nirgendwo sonst", „Vollbeschäftigung verbürgt den sozialen Frieden", „Unsere Wirtschaft leistet mehr denn je" usw. zum damaligen Zeitpunkt den Tatsachen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709507600
Frau Präsident, wegen des Sachzusammenhangs bitte ich auch hier, die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Nordlohne zusammen beantworten zu können.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709507700
Einverstanden? Nordlohne (CDU/CSU) : Ja.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709507800
Gut. Dann rufe ich auch die Frage 107 auf:
Wenn es sich nach Auffassung der damaligen und auch der jetzigen Bundesregierung bei den aufgeführten Aussagen um Tatsachen handelte, treffen diese Tatsachen heute noch zu, und wenn nicht, warum nicht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709507900
Die in dem Faltblatt der Bundesregierung aus dem Jahre 1972 unter dem Titel „Politik ist gut, wenn es den Menschen besser geht" getroffenen Aussagen stützen sich auf die ebenfalls dort aufgeführten Ergebnisse der amtlichen Statistik und entsprechen somit den Tatsachen. Die Ergebnisse der amtlichen Statistik für 1973 zeigen, daß die 1972 getroffenen Feststellungen auch heute noch aufrechterhalten werden können. So kann auch heute noch ohne Einschränkung gesagt werden — ich zitiere aus dem damaligen Faltblatt —, „unsere D-Mark steht glänzend da",

(Lachen bei der CDU/CSU)

wenn wir uns einerseits die bekannte Tatsache vor Augen halten, daß die Preise bei uns weitaus weniger steigen als in allen anderen westlichen Ländern und daß andererseits die D-Mark von Ende 1969 bis Anfang April 1974 gegenüber der ganzen Welt um 26,5 % an Wert gewonnen hat, allein 43,8 % gegenüber dem Dollar. Ferner gilt auch heute wie damals die Ausage, daß die — ich zitiere erneut — „Arbeitsplätze sicher wie nirgendwo sonst" sind. Mit einer Arbeitslosenquote von nur 1,2 % im Jahresdurchschnitt 1973 liegt die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich an der Spitze der vollbeschäftigten vergleichbaren Länder und beschäftigte überdies noch 2,5 Millionen ausländische Arbeitnehmer. Selbst das März-Ergebnis 1974 mit einer Arbeitslosenquote von 2,6% wird von keinem anderen Industrieland der westlichen Welt erreicht.



Staatssekretär Freiherr von Wechmar
Das Zitat „Unsere Wirtschaft leistet mehr denn je". — Auch diese Aussage trifft nach wie vor zu. Denn 1973 wurde ein weiterer Zuwachs des realen Bruttosozialprodukts in Höhe von 5,3 °/o erzielt.
Schließlich läßt sich, um diese nur beispielhafte Aufzählung abzuschließen, nach wie vor der Satz aufrechterhalten, daß — ich zitiere — „die Löhne nicht von den Preisen überrundet wurden". Denn 1973 stiegen nach der Statistik der Deutschen Bundesbank der Preisindex der Lebenshaltung um 6,9 %, die Nettolöhne und -gehälter jedoch um 8,7 %, die Sozialrenten um 12,2 % und die sogenannten Masseneinkommen um 9,6 %.
Fazit: Bei den damaligen Aussagen kann es auch heute noch ohne jeden Abstrich bleiben.

(Zustimmung bei der SPD.)

Trotzdem beabsichtigt mein Haus, dieses Faltblatt im Laufe dieses Jahres zu aktualisieren.

(Zustimmung des Abg. Mattick.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709508000
Eine Zusatzfrage.

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0709508100
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zuzugeben, daß gerade die in dem vor mir angesprochenen Merkblatt des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung gemachten Aussagen und die Aufzählung von Tatsachen, die sich in vielen Anzeigen der Bundesregierung wiederholen, die Hauptursachen dafür sind, daß weiterhin im Jahre 1972 die Lebenserwartungen des deutschen Volkes unzulässigerweise in unvertretbarem Maße geweckt worden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709508200
Die Antwort lautet: Nein, Herr Abgeordneter, wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, daß Sie von der Lebenserwartung des deutschen Volkes sprachen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709508300
Eine weitere Zusatzfrage.

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0709508400
Ist die Bundesregierung bereit, zuzugeben, Herr Staatssekretär, daß es eine unverantwortliche Haltung seitens der Bundesregierung gegenüber dem Bürger in unserem Lande ist, durch derartige Verlautbarungen 1972 massiv Tatsachen aufzuzeigen und hohe Erwartungen zu wekken und knapp 18 Monate später unserer Bevölkerung zu erklären, daß der Wählerumschwung zugunsten der Opposition in den letzten Wahlen u. a. darauf zurückzuführen sei, daß die Politik der jetzigen Regierung schlecht verkauft werde und die Wähler zu hohe Erwartungen stellten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709508500
Auch hier lautet die Antwort: Nein, Herr Abgeordneter. Ich hatte eben in meiner Antwort auf Ihre Frage bereits darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung sich auf die amtlichen Angaben des
Statistischen Bundesamtes und auf den Jahresbericht der Deutschen Bundesbank stützt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709508600
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0709508700
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit — Sie deuteten vorhin an, daß ein neues, aktualisiertes Faltblatt herausgegeben werden solle —, dieses Faltblatt in Millionenauflage herauszubringen und in ihm objektiv sämtliche damals genannten Tatsachen den heutigen Gegebenheiten gegenüberzustellen, damit sich der Bürger in unserem Lande ein eigenes Bild über die Leistungen oder Fehlleistungen dieser Bundesregierung verschaffen kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709508800
Ja, Herr Abgeordneter, ich hatte in meiner Antwort schon angekündigt, daß mein Amt eine aktualisierte Fassung dieses Faltblattes vorbereitet. Aber Sie werden mir zugeben, daß die Bundesregierung ihre Aufgabe nicht darin sieht, der Bevölkerung zu sagen, es gehe ihr schlecht, wenn es der Bevölkerung gut geht.

(Abg. Dr. Czaja: Aber schlechter!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709508900
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Nordlohne?

(Abg. Nordlohne: Nein, danke!) — Dann Herr Abgeordneter Höcherl!


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0709509000
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß das neue, fortgeschriebene Faltblatt noch so günstige Aussagen enthalten kann wie das letzte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709509100
Ich hatte gesagt: es wird aktualisiert. Ich hatte darauf hingewiesen, Herr Abgeordneter, daß die in dem hier in Rede stehenden Faltblatt genannten Ziffern auch heute noch ihre Gültigkeit haben, und ich hatte Beispiele dafür genannt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709509200
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön!

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0709509300
Herr Staatssekretär, wird in diesem neuen Faltblatt auch ein wenig von den regionalen und sektoralen Schwierigkeiten zu sehen sein, mit denen tatsächlich sehr viele Arbeitnehmer und mittelständische Betriebe heute zu kämpfen haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709509400
Mit Sicherheit. Vor allem wird davon zu lesen sein, was die Bundesregierung tut, um diese Schwierigkeiten zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD.)





Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709509500
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf:
Zu welchem genauen Zeitpunkt hat der Bundeskanzler das auf den 15. April (Ostermontag) datierte Interview mit dem Bonner Korrespondenten der Kölner Zeitung „Express" gegeben, und von welchem genauen Erkenntnisstand über die tatsächliche Entwicklung der Verkehrsunfälle auf Autobahnen während der Osterfeiertage konnte er dabei ausgehen?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709509600
Herr Kollege Höcherl, das in Ihrer Frage erwähnte Interview wurde am Vormittag des 15. April 1974 gegeben, also am Vormittag des Ostermontags, und lag am frühen Nachmittag gedruckt vor. Der Herr Bundeskanzler stützte sich auf das bis zu diesem Zeitpunkt bekannte und über die Medien verbreitete Zahlenmaterial und auch auf den Trend der drei davor liegenden Wochenenden. Jeder — so auch der Herr Bundeskanzler — mußte entsetzt sein über die Zahlen und Bilder der Verkehrsunfälle, die während der Osterreisezeit — ich denke jetzt z. B. an Gründonnerstag — jeden Abend über die Bildschirme kamen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709509700
Zusatzfrage.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0709509800
Herr Staatssekretär, wäre es nicht richtig gewesen, daß der Herr Bundeskanzler den Ostermontag abgewartet und auch die Meldungen vom Gründonnerstag, die damals noch gar nicht vollständig vorlagen, und zwar von zwei Bundesländern, einbezogen und etwas differenziert hätte? Wäre das nicht der Sorgfaltspflicht eines Regierungschefs angemessener gewesen?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709509900
Ich glaube, Herr Kollege Höcherl, es wäre falsch, zu warten, bis die ersten tausend Toten da sind, um dann zu reagieren.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn sich anzeigt, daß der Trend nach oben geht, muß man sich bewegen.
Das zweite, Herr Kollege Höcherl: Sie kennen den ausgedruckten Text des Interviews, wie er von der sozialdemokratischen Pressestelle herausgegeben worden ist — er ist Ihnen zugänglich —, und Sie werden sicher gesehen haben, daß der Interviewer auf zwei Zeiträume abgehoben hat: auf die vergangenen Wochenenden und auf die Osterfeiertage. Dies in Klammern gesetzt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709510000
Eine weitere Zusatzfrage.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0709510100
Herr Staatssekretär, war das nicht ein etwas unreifer und vorschneller Versuch eines Beitrags zum Wahlkampf in Niedersachsen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709510200
Dies war weder eine unreife noch eine vorschnelle Mitteilung des Bundeskanzlers. Ich denke, daß die Verhandlungen, die jetzt mit den Ländern laufen, um auf bestimmten Strecken zu Geschwindigkeitsbegrenzungen zu kommen, wohl ein deutlicher Hinweis darauf sind, wie notwendig in einigen Bereichen der Autobahnen solche Maßnahmen geworden sind.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709510300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulte.
Schulte (Schwäbisch-Gmünd) (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, war dem Bundeskanzler bei seinem Interview bekannt, daß über Ostern die tödlichen Unfälle auf den Autobahnen um 47 % und die Zahl der Verletzten um 50 °/o gegenüber Ostern 1973 zurückgegangen sind, bezogen auf alle Bundesländer ohne Rheinland-Pfalz und Saarland, wo über Ostern 1974 keine tödlichen Unfälle auf den Autobahnen passiert sind, und die Stadtstaaten?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709510400
Herr Kollege, am Ostermontag haben uns vorgelegen — der Herr Bundeskanzler hat sich deswegen ausdrücklich nicht auf Zahlen festlegen können und auch Zahlen nicht zugrunde gelegt, sondern das allgemeine Unfallgeschehen dieser Tage genommen — —

(Abg. Seiters: Seine subjetive Überzeugung!)

— Dies ist keine subjektive Bezugsgröße. Ich glaube, Herr Kollege, das, was sich am Gründonnerstag auf den Autobahnen abgespielt hat, war nicht subjektiv, sondern objektiv zu erkennen und zu sehen. Für jeden, der in den Schlangen gestanden hat, war das sicherlich ein sehr objektiver Tatbestand.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hier geht es doch nicht um Schlangen!)

— Ich habe darauf hingewiesen, Herr Kollege, daß das Interview am Vormittag des Ostermontags gegeben wurde und daß die zu diesem Zeitpunkt durch Befragung bei den Polizeidienststellen vorliegenden Zahlen zugrunde gelegt worden sind.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709510500
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0709510600
Herr Staatssekretär, war dem Bundeskanzler zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärung bekannt, daß es sich nur bei sechs dieser Todesfälle um Unfälle infolge von Geschwindigkeitsüberschreitungen handelte, und wird künftig bei derartigen Erklärungen seitens des Herrn Bundeskanzlers nach den Unfallursachen differenziert werden?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709510700
Das dafür zuständige Verkehrsministerium und das Bundesamt für Verkehrswesen prüfen sehr sorgfältig das Unfallgeschehen. Sie wissen wie ich, Herr



Parl. Staatssekretär Ravens
Jäger, daß es bis zu einer endgültigen Auswertung der Statistiken etwa zehn Monate dauert. Ich denke aber, niemand von uns wird bis in die letzte Feinheit hinein warten können und sagen: Bis dahin tun wir gar nichts und zählen immer nur fleißig mit.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709510800
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön!

Nicolaus Dreyer (CDU):
Rede ID: ID0709510900
Herr Staatssekretär, warum wird in der Statistik nicht zwischen Unfällen auf Autobahnen und Unfällen auf den übrigen Straßen unterschieden? Es geht doch gerade bei der Festlegung der Richtgeschwindigkeiten oder auch in der Auseinandersetzung um die Höchstgeschwindigkeit um die Geschwindigkeit auf den Autobahnen.

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709511000
Herr Kollege, Sie haben recht: Bis 1973 wurde nicht unterschieden. Deswegen ist eine Aufgliederung schwierig. Soweit meine Informationen reichen, werden die statistischen Daten jetzt nach den verschiedenen Straßen gegliedert, also Bundesautobahn, allgemeine Fernstraßen, Landstraßen, Ortsdurchfahrten usw. Dieser neue Tatbestand wird hier also berücksichtigt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709511100
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten von Bothmer.

Lenelotte von Bothmer (SPD):
Rede ID: ID0709511200
Herr Staatssekretär, ist es nicht eine selbstverständliche Sorgfaltspflicht des Bundeskanzlers, auf das immer schrecklicher werdende Geschehen auf den Straßen im Hinblick auf Unfälle hinzuweisen, die Bevölkerung zu mahnen und zu zeigen, daß eine Geschwindigkeitsbegrenzung nicht völlig unsinnig wäre?

(Abg. Seiters: Mahnen ja, aber nicht polemisieren!)


Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709511300
Das ist richtig.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709511400
Keine weitere Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, bevor ich die nächste Frage aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, daß alle Fraktionen auf 13.30 Uhr eine Fraktionssitzung einberufen haben. Wir werden also in fünf Minuten die Sitzung für eine halbe Stunde unterbrechen. Um 14 Uhr wird die Fragestunde dann fortgesetzt.
Ich rufe die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf:
Auf Grund welcher Tatsachen kommt der Bundeskanzler zu den Behauptungen, die Entscheidung des Bundesrats gegen eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen sei von „rein parteitaktischen Interessen gelenkt", nehme „wenig Rücksicht auf die Solidarität mit den Interessen der Bürger", und jetzt zahlten wir teures „Lehrgeld", und wie stuft die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Warnungen ein, daß aus der extremen Verkehrssituation der letzten Tage „keinerlei Argumente für oder gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen hergeleitet werden könnten", die der Innenminister von Nordrhein-Westfalen ausgesprochen hat?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709511500
Herr Kollege, der Verdacht, daß die Entscheidung über Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen nicht frei war von parteitaktischen Überlegungen, liegt nahe, wenn man weiß und berücksichtigt, daß sich das Bundesratsplenum am 8. März 1974 entgegen den Empfehlungen seiner Fachausschüsse gegen den Vorschlag der Bundesregierung entschieden hat, der die Einführung von Höchstgeschwindigkeiten vorsah. So hat z. B. der Verkehrsausschuß dem Plenum eine generelle Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h und in Ausnahmefällen bis 150 km/h mit fünf gegen zwei Stimmen bei vier Enthaltungen vorgeschlagen; und so hat der Innenausschuß dem Plenum gegen zwei Stimmen eine Höchstgeschwindigkeit vorgeschlagen. Das Plenum ist also der Empfehlung seiner Fachausschüsse nicht gefolgt.
Der Zusammenhang zwischen hohen Geschwindigkeiten einerseits und Häufigkeit und Schwere von Unfällen andererseits wird wohl von niemandem in Zweifel gezogen. Ich bin daher davon überzeugt, daß bei Festsetzung einer Höchstgeschwindigkeit auf besonderen Abschnitten der Autobahnen die Zahl der Toten und Verletzten während der Osterzeit geringer gewesen wäre. Insoweit zahlen wir jetzt ein teures Lehrgeld, wie es der Herr Bundeskanzler ausgedrückt hat.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709511600
Eine Zusatzfrage.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0709511700
Herr Staatssekretär, woher nimmt der Herr Bundeskanzler das Recht, den Bundesrat, und zwar seine Mehrheit, selbst bei abweichenden Entscheidungen im Plenum zu verdächtigen, daß hier parteitaktische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709511800
Der Herr Bundeskanzler mußte aus einer ganzen Reihe von Äußerungen auch Ihrer Kollegen, so z. B. Ihres Ehrenvorsitzenden Dr. Kiesinger,

(Abg. Windelen: Der ist nicht Mitglied des Bundesrats!)

in der Vergangenheit schließen, daß das so gemeint sei.

(Abg. Dr. Marx: Und wenn es andersherum geht?)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709511900
Eine zweite Zusatzfrage.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0709512000
Herr Staatssekretär, ist der Herr Bundeskanzler der Meinung daß ein prominentes Mitglied aus dem Koalitionsbereich, nämlich der Herr Innenminister von Nordrhein-Westfalen, mit seiner Meinung auf dem falschen Dampfer sitzt?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709512100
Der Herr Innenminister von Nordrhein-Westfalen hat sich nicht zum Bundesrat und der Haltung der Mehrheit des Bundesrates geäußert, Herr Kollege Höcherl.

(Abg. Seiters: Unglaublich!)





Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709512200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulte.

Dr. Dieter Schulte (CDU):
Rede ID: ID0709512300
Herr Staatssekretär, würden Sie es nicht als Parteitaktik bezeichnen, wenn der Bundeskanzler nur die Gesamtbilanz der Unfälle anspricht, während der Streit um die Richtgeschwindigkeit nur die Autobahnen betraf?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709512400
Der Streit um die Richtgeschwindigkeiten oder Höchstgeschwindigkeiten hat sicherlich die Autobahnen betroffen. Aber das Gesamtunfallgeschehen — ich glaube, darüber sind wir uns wohl alle im Hause im klaren — kann uns miteinander nicht unberührt lassen, und die Besprechungen, die jetzt laufen, machen das ja wohl auch deutlich.

(Abg. Jäger [Wangen] : Das ist doch keine Antwort auf die Frage!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709512500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Damm.

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0709512600
Herr Staatssekretär, würden Sie den Bundeskanzler freundlicherweise darüber unterrichten, daß beispielsweise in Schleswig-Holstein über die Osterfeiertage einschließlich Gründonnerstag sechs Verkehrstote gezählt worden sind, die aber alle nicht auf den schleswig-holsteinischen Autobahnen zu Tode gefahren worden sind, sondern auf Straßen, für die schon lange eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt, oder in Städten?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709512700
Ich sagte schon, statistische Auswertungen brauchen eben ihre Zeit. Leider Gottes ist das so; ich wäre froh, wenn wir die Ergebnisse früher hätten.

(Abg. Dr. Marx: Die sind ja klar! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich kenne bisher nur die Zahlen der Verkehrspolizeien der Länder, die gegeben worden sind, die jedoch statistisch noch nicht vergleichbar sind. Aber, Herr Kollege, es gibt eben nicht nur Autobahnen in Schleswig-Holstein.

(Abg. Dr. Marx: Da sieht man, wie schwach diese Antworten sind!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709512800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0709512900
Herr Staatssekretär, empfinden Sie es nicht selbst, daß es sachgemäßer und nicht parteitaktisch wäre, wenn Sie auf den entscheidenden Punkt eingingen, nämlich daß im diesjährigen Osterverkehr ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen wesentlich weniger tödliche Unfälle zu verzeichnen waren als in der Vergangenheit?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709513000
Herr Kollege, nach den Zählungen trifft dies nicht zu.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709513100
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Spies von Büllesheim.

(Zuruf des Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Ist das Bundeskanzleramt so schlecht informiert? — Abg. Dr. Marx: Darauf kommen wir noch einmal zurück! — Abg. Dr. Czaja: Lesen Sie die Zahlen einmal durch! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/ CSU) : Herr Staatssekretär, dürfen wir nach den Ausführungen und Erklärungen nunmehr davon ausgehen, daß die Meldung des „Spiegel" in Nr. 17, die Koalition gestalte die Auseinandersetzung um die Geschwindigkeitsbegrenzung zu einer „propagandistischen Knallnummer", nicht zutrifft?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709513200
Der „Spiegel" ist kein Organ der Regierung.

(Zurufe von der CDU/CSU: Nicht mehr!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709513300
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dreyer.

Nicolaus Dreyer (CDU):
Rede ID: ID0709513400
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß Versuche mit Höchstgeschwindigkeiten beispielsweise auf der Strecke Walsrode Bremen uns in dieser Angelegenheit echte und zuverlässige Ergebnisse bringen? Ich frage Sie, weil Sie diese Autobahn vor der Haustür haben und aus persönlicher Erfahrung kennen.

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709513500
Herr Kollege Dreyer, soweit ich informiert bin, hat das Bundesamt für Straßenwesen eine Expertengruppe eingesetzt, die in Ausfüllung des Beschlusses des Bundesrates die Kriterien für die Festlegung von Höchstgeschwindigkeiten auf bestimmten Autobahnstrecken erstellt. Hier sind Experten zusammengesetzt worden, die unterschiedliche Kriterien erarbeitet haben. Eine erste Besprechungsrunde hat stattgefunden. Eine weitere wird folgen. Ich denke, wir sollten dies in jenem Kreis diskutieren lassen, und zwar nach den Kriterien, die dort aufgestellt werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709513600
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Marx.

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0709513700
Herr Staatssekretär, da hier die Rede von rein parteitaktischen Interessen ist: Würden Sie glauben, daß der Herr Bundeskanzler bei seinem Streben nach gerechten Urteilen auch dann von rein parteitaktischen Interessen sprechen würde, wenn es im Bundesrat Mehrheiten aus SPD-geführten Ländern gäbe?




Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709513800
Herr Kollege, ich darf zitieren, was der Bundeskanzler gesagt hat:
Es kann hier nicht um Rechthaberei gehen, aber die von Ihnen dargestellte Entwicklung zeigt,
— d. h. die Unfallhäufigkeit an den Osterfeiertagen und in den zurückliegenden Wochen —
daß es eine gefährliche Politik ist, die von rein parteitaktischen Interessen gelenkt wird und wenig Rücksicht nimmt auf die Solidarität und die Interessen der Bürger. Der Vorschlag des Bundesverkehrsministers eines zeitlich begrenzten Großversuches mit einer relativ hoch angesetzten Beschränkung der Spitzengeschwindigkeit auf Autobahnen, nämlich 130 Stundenkilometer, war vernünftig und ausgewogen, auch unter Berücksichtigung der Interessen der Automobilhersteller. Das Lehrgeld, das wir nun zahlen, ist teuer. Menschenleben sind für unsachliche Polemik zu kostbar.

(Abg. Dr. Marx: Aber das ist doch keine Antwort auf meine Frage!)

— Ich habe zitiert, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat.

(Abg. Dr. Marx: Das ist keine Antwort!)

— Er hat hier auf die Gefahr der rein parteitaktischen Auseinandersetzung in dieser Frage hingewiesen.

(Abg. Dr. Marx: Das ist auch keine Antwort! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709513900
Meine Damen und Herren, wir haben noch so viele Fragen, daß ich mit Rücksicht auf die Fraktionssitzungen hier jetzt abbrechen muß. Ich stelle anheim, ob wir die Frage nachher wieder aufgreifen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl!)

— Dann bleiben die betreffenden Wortmeldungen bestehen. Wir müssen jetzt aber mit Rücksicht auf die Fraktionen unterbrechen. Herr Staatssekretär, ich darf Sie bitten, nachher wieder zur Verfügung zu stehen.
Die Sitzung wird um 14 Uhr fortgesetzt.

(Unterbrechung von 13.29 bis 14.03 Uhr.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709514000
Meine Damen und Herren, wir setzen die Fragestunde fort.
Es sollten noch einige Zusatzfragen zu der Frage 101 des Abgeordneten Höcherl gestellt werden. Zu einer Zusatzfrage hatte sich Herr Kollege Jobst gemeldet. Bitte schön!

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0709514100
Herr Staatssekretär, halten Sie die Erklärung des Bundeskanzlers vom Ostermontag für verantwortungsbewußt und für ihm geziemend, wenn er die Verkehrsunfallsituation zu Ostern parteipolitisch bewertet, obwohl der Osterverkehr noch nicht beendet war und dem Kanzler offensichtlich keine genauen Tatsachen vorlagen? Oder stimmen Sie mir, zu, wenn ich sage, daß ein solches Verhalten nicht verantwortungsbewußt ist?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709514200
Herr Kollege, ich halte das für verantwortungsbewußt und für richtig, da der Bundeskanzler nicht nur die Osterfeiertage, sondern auch die Entwicklung der zurückliegenden Wochen einbezogen hatte. Er war in dem Zusammenhang nach seiner Haltung zu einem Tempolimit der Bundesregierung gefragt worden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709514300
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0709514400
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die Zahlen, die Ihnen vorhin Herr Kollege Schulte überreicht hat, zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls Ihre vorhin genannten Zahlen daraufhin zu korrigieren?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709514500
Ja.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709514600
Herr Kollege Kunz.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0709514700
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin im Zusammenhang mit den Toten auf den Autobahnen von Zählungen gesprochen, aus denen hervorgehen soll, daß diese Entwicklung ungünstiger verlaufen sei als 1973. Um welche Zählungen handelt es sich, und beziehen sich die Zahlen, die Sie genannt haben, tatsächlich auf die Autobahnen?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0709514800
Es gibt inoffizielle Zählungen bei den Länderverkehrsbehörden, bei den Polizeistellen. Es gibt noch kein statistisches Material. Darauf hat erst gestern auch Herr Staatssekretär Wittrock hingewiesen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709514900
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 105 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Trifft die Meldung der „Welt" vom 16. April 1974 zu, die in Ausführung des Grundlagenvertrags im Ostberliner Herrschaftsbereich zugelassenen Korrespondenten aus dem freien Teil Deutschlands würden in den dortigen Telefonbüchern nicht verzeichnet, was die Korrespondenten durch die Mitteilung erfuhren, einem — nicht gestellten — Antrag auf Nichteintragung sei stattgegeben worden, und was wird die Bundesregierung -bejahendenfalls — gegen diese zusätzliche Beeinträchtigung freier Berichterstattung unternehmen?
Herr Staatssekretär von Wechmar!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709515000
Herr Abgeordneter, die Meldung in der „Welt" vom 16. April 1974 bezieht sich offenbar auf den in Ost-Berlin akkreditierten Korrespondenten der Deutschen Presseagentur. Auf Anfrage hat uns dieser Korrespondent folgende Sachdarstellung gegeben:



Staatssekretär Freiherr von Wechmar
Nachdem er die Einrichtung von zwei Telefonanschlüssen für Wohnung und Büro beantragt hatte, erhielt er vor etwa vier Wochen von der Ostberliner Postbehörde ein Vordruckschreiben mit dem Inhalt, daß sein Antrag auf Nichteintragung in das örtliche Fernsprechbuch bewilligt worden sei. Bei einer fernmündlichen Anfrage erfuhr der Korrespondent zunächst, daß die Nichteintragung in das Telefonverzeichnis auch für den Büroanschluß gelten solle. Auf seine Vorhaltung, daß er eine Nichteintragung gar nicht beantragt habe, wurde ihm geraten, schriftlich Einspruch einzulegen. Das hat er getan, und daraufhin bekam er sehr bald die Mitteilung, daß sowohl sein privater als auch der Büroanschluß in das örtliche Telefonbuch eingetragen werden würden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709515100
Eine Zusatzfrage.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0709515200
Herr Staatssekretär, halten Sie diesen ganzen Vorgang, gelinde gesagt, nicht für eigenartig?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709515300
Absolut. Ich teile Ihre Meinung. Dennoch kann ich ein Mißverständnis, das sich ja auch in anderen Ländern in bürokratische Vorgänge einschleichen könnte, nicht ausschließen. Ich darf hier an dieser Stelle noch bemerken, daß der bisher einzige in Ost-Berlin tätige westliche Korrespondent, nämlich der Vertreter von Reuter, seit vielen Jahren mit Büro- und Privatanschluß im Telefonbuch Ost-Berlins verzeichnet ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709515400
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0709515500
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Journalisten erheblich in ihrer Arbeit beschränkt würden, wenn sie nicht in die Telefonbücher eingetragen würden, und was würde die Bundesregierung gegebenenfalls unternehmen, wenn diese Tatsache eintreten sollte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709515600
Selbstverständlich, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung ist mit Ihnen der Auffassung, daß eine Nichteintragung eines dort tätigen Korrespondenten aus der Bundesrepublik in das Telefonbuch eine Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit darstellen würde, und wenn auf den — in dem hier behandelten Fall offenbar erfolgreichen — Einspruch eines solchen Korrespondenten keine Abänderung von seiten der Behörden der DDR festzustellen ist, dann wird die Bundesregierung sich dafür verwenden, daß die DDR den Praktiken folgt, die in anderen Hauptstädten der Welt üblich sind, nämlich daß auf Antrag eine Eintragung in das Telefonbuch vorgenommen werden kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709515700
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet. Ich danke den Herren Staatssekretären von Wechmar und Ravens.
Wir kommen zur Beantwortung der restlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe die Frage Nr. 76 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die deutsche Delegation im EG-Agrarministerrat nicht energisch darauf hingewirkt hat, daß in den Grundsatzbeschluß zur Wettbewerbspolitik auch der Sachverhalt der beträchtlichen Wettbewerbsverzerrungen aufgenommen wurde, der sich aus den Konditionen für die Erntefinanzierung zwischen den Partnerländern ergibt?
Zur Beantwortung hat Herr Bundesminister Ertl das Wort.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709515800
Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß sie sich nicht energisch eingesetzt hat. Der Grundsatzbeschluß des Agrarrates zur Wettbewerbspolitik vom 23. März 1974 ist auf deutsche Initiative gefaßt worden. Die EG-Kommission ist aufgefordert worden, bis zum 1. Juli 1974 einen umfassenden Bericht über die Wettbewerbslage in allen Produktbereichen im Hinblick auf nationale Hilfsmaßnahmen vorzulegen, damit der Rat noch vor dem 30. Juni 1974 über entsprechende Vorschläge beschließen kann. Die Absicht der deutschen Initiative war eine baldige umfassende Erörterung aller im Landwirtschaftsbereich bestehenden Wettbewerbsverzerrungen, und zwar zeitlich noch innerhalb der deutschen Präsidentschaft. Die Benennung einzelner wettbewerbsverzerrender Maßnahmen, z. B. auch unterschiedliche Konditionen, war daher gar nicht notwendig, weil die Kommision den gesamten Fragenkomplex untersuchen muß. Durch die entstandene Situation infolge der unterschiedlichen Entwicklung der Energiepreise erschien es uns aber sinnvoll, auf die besondere Problematik im Zusammenhang mit der entstandenen Situation infolge der Entwicklung der Energiepreise generell hinzuweisen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709515900
Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0709516000
Da nun die Energiekrise nicht unbedingt etwas mit der Erntefinanzierung zu tun hat, Herr Minister, möchte ich doch fragen, ob Sie nicht aus der schon bekannten Tatsache, daß die Franzosen mit einem revolvierenden Fonds eine sehr viel günstigere Erntefinanzierung haben — das wissen wir beide seit einem Jahr ganz genau —, Konsequenzen für die Erntefinanzierung des Jahres 1974 ziehen werden, bevor die Kommission die Wettbewerbsverzerrungen eruiert hat? Bei diesen kennen Sie sie ja schon.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709516100
Zunächst darf ich sagen: es sind in der letzten Ernte keine Schwierigkeiten aufgetaucht, und zwar auf Grund des zur Verfügung gestellten Kontingents in Höhe von, glaube ich, etwas mehr als 200 Millionen. Dadurch ist der Verlauf der Erntefinanzierung reibungslos gestaltet worden. Die rechtsstaatlichen Möglichkeiten der Bundesregie-



Bundesminister Ertl
rung lassen eine Einrichtung ähnlich dem revolvierenden Fonds nicht 'zu.
Im übrigen, verehrter Herr Kollege Eigen, wissen Sie so gut wie ich, daß die Erzeuger sich in Frankreich an diesem revolvierenden Fonds beteiligen wollen. Mir ist bis heute nicht bekannt, daß der Berufsstand mir Vorschläge zur Schaffung eines ähnlichen Fonds unter Beteiligung der Erzeuger gemacht hat. Dazu kommt, daß ich dann erst die verfassungsrechtlichen und rechtsstaatlichen Probleme zu prüfen hätte. Im übrigen ist Frankreich, soweit ich das übersehen kann, das einzige Land, das eine solche Form innerhalb der Gemeinschaft hat. Es ist zweifelsohne so, daß im Zuge der Gesamtentwicklung der EWG-Politik diese Fragen eines Tages grundsätzlich geklärt werden müssen.
Weil wir Sondersituationen haben, hat sich bisher die Bundesbank immer bereit erklärt, zu besonderen, zinsgünstigen Konditionen Zusatzkontingente zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich werde ich mich darum bemühen, soweit notwendig, vor der neuen Ernte mit der Bundesbank in Verhandlung zu treten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709516200
Zweite Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0709516300
Sind Sie mit mir einer Meinung, Herr Minister, daß die Zinsdifferenz — 3% bei den von Ihnen bezeichneten Mitteln der Bundesbank und 6 % bei den übrigen Kapitalmitteln — letzten Endes eine echte Wettbewerbsverzerrung ist, und sind Sie mit mir der Meinung, daß die schon früher praktizierte Intervention B ein klein wenig diese Wettbewerbsverzerrung hätte aufheben können?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709516400
Das bedarf einer sehr genauen Analyse und Prüfung, und ich kann mit Ihnen nicht so ganz übereinstimmen, Herr Kollege.

(Abg. Eigen: Wie schade!)

Das würde in der Fragestunde zu weit führen. Aber ich bin gerne bereit, diesen Komplex, insbesondere die Intervention B und ihre Funktion und auch ihre Problematik, zu diskutieren. Sie werden möglicherweise auf Grund des Gespräches mit mir zu einer kritischeren Betrachtungsweise kommen, als Sie sie jetzt vielleicht noch haben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709516500
Keine Zusatzfrage?
Dann rufe ich die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Trifft es zu, daß sich die Bundesregierung weigert, angesichts des starken Verfalls der Erzeugerpreise für Rindfleisch entsprechende Schutzmaßnahmen einzuführen?
Bitte, Herr Minister!

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709516600
Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung hat ihre Auffassung zu der Frage der Einführung von Schutzmaßnahmen auf dem Rindfleischsektor gegenüber ihrer in der Fragestunde am 13. März 1974 — Drucksache 7/1766, Frage 66 — abgegebenen Stellungnahme nicht geändert. Es ist damit zu rechnen, daß wegen der ab 1. April 1974 eingetretenen erheblichen Einfuhrbelastungen bei Rindern und Rindfleisch die Drittlandseinfuhren auch weiterhin niedrig sein werden. Die Bundesregierung verkennt keineswegs die schwierige Marktlage auf dem Rindfleischsektor. Sie ist aber der Auffassung, daß ein Einfuhrstopp schwerwiegende handelspolitische Probleme aufwerfen würde, ohne daß durch eine solche Maßnahme eine nachhaltige Verbesserung der inländischen Marktsituation zu erreichen wäre. Das hat auch die Anwendung vorübergehender Schutzmaßnahmen in einigen anderen Mitgliedstaaten gezeigt. Die Bundesregierung wird auch weiterhin bestrebt sein, alle Möglichkeiten, die zu einer Normalisierung des Rindermarktes führen, auszuschöpfen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709516700
Eine Zusatzfrage bitte!
Eigen (CDU/CSU) Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Differenz von 11 Rechnungseinheiten je 100 kg zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland zum Teil darauf zurückzuführen ist, daß eben in Frankreich die Sperre für Drittlandeinfuhren durchgeführt worden ist? Ist die Tatsache, daß wir uns anders verhalten haben als andere europäische Länder, nicht mit ein Grund dafür, daß die Bundesregierung jetzt so außerordentliche Schwierigkeiten hat, die permanente Intervention wirklich auch permanent und ausreichend durchzuführen?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709516800
Da bin ich nicht Ihrer Meinung. Das beweisen auch die Erfahrungen. Unter anderem ist der Fleischexport nach Italien in der Zeit der Anwendung der Schutzklausel gestiegen.

(Abg. Eigen: Logisch!)

Er ist gestiegen. Das zeigen die Erfahrungen. Im übrigen dürfen Sie nicht vergessen, daß bei allen diesen Maßnahmen die berühmten handelsrechtlich gesicherten Wegefristen einzuhalten sind. Eine Schutzmaßnahme mit sechs Wochen steht auf dem Papier. Ich möchte aber nicht verhehlen, daß dabei eine große Unruhe ausgelöst werden kann, nicht zuletzt auch bei den Verbrauchern, weil auf Grund solcher Maßnahmen möglicherweise Preiserhöhungen vorgenommen werden, die vom Marktgeschehen her nicht zu rechtfertigen sind. Im Augenblick geht es auch darum, den Rinder- und den Fleischmarkt wieder in Funktion zu bringen. Denn nicht zuletzt auch durch den Rückgang des Fleischkonsums bei den Verbrauchern haben wir heute erhebliche Marktprobleme. Wie Sie wissen, müssen wir immerhin mit einem Rückgang um 2 kg pro Kopf rechnen. Es ist also viel wichtiger, offensive Marktmaßnahmen zu ergreifen. Eine dieser Maßnahmen ist die Intervention. Aber ich gebe zu, daß sie uns im Augenblick Sorgen macht.




Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709516900
Zweite Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0709517000
Kann ich Ihre Aussage so verstehen, Herr Minister, daß Sie eine Anhebung des Rindfleischerzeugerpreises gar nicht wollen, und können Sie mir sagen, auf welche Art und Weise Sie die Differenz von 12 Rechnungseinheiten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft — das macht mehr als 40 DM je 100 kg — ausgleichen bzw. verändern wollen?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709517100
Es gibt auch Differenzen zwischen Deutschland und z. B. den Niederlanden. Es gibt sehr verschiedene Differenzen. Das liegt einmal an den unterschiedlichen Währungen, wobei sich natürlich das Floaten besonders gravierend bemerkbar macht. Es liegt weiter daran, daß wir unterschiedliche Konsumgewohnheiten haben. Es ist ja nicht so, daß das alles in toto vermarktet wird, sondern es wird in Teilstücken vermarktet. Das muß man einmal so sehen. Im übrigen bemüht sich die Bundesregierung sehr nachdrücklich, den Erzeugerpreis wieder zu stabilisieren. Wenn sie das nicht vorgehabt hätte, hätte sie nicht in diesem Umfang die Intervention eingeleitet und im Einvernehmen mit der Kommission zur Zeit Maßnahmen zum Export von Rindfleisch ergriffen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709517200
Eine Zusatzfrage, des Herrn Abgeordneten Früh.

Dr. Isidor Früh (CDU):
Rede ID: ID0709517300
Herr Bundesminister, wie gedenkt sich die Bundesregierung gegenüber stärker werdenden Bestrebungen zu verhalten, eventuell auch innerhalb der EWG den grenzüberschreitenden Verkehr für Rindfleisch zu unterbinden?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709517400
Hier kann ich nur sagen: Das würde eine Grundsatzfrage für den Bestand des gemeinsamen Agrarmarktes bedeuten. Jedermann, der mit einer solchen Absicht Politik machen wollte, müßte wissen, daß das erhebliche Konsequenzen für die Europapolitik insgesamt und auch für die Position der Bundesregierung haben würde.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709517500
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Wagner auf:
Was hat die Bundesregierung im Hinblick auf die Ereignisse am Brenner unternommen oder gedenkt sie zu unternehmen, um den freien Warenaustausch zwischen den Ländern der EWG zu gewährleisten?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709517600
Herr Kollege Wagner, die vorgesehenen Demonstrationen italienischer Landwirte am 18. April 1974 waren mir bereits vorher bekanntgeworden, und zwar durch Fernschreiben des italienischen Kollegen. Daraufhin ist unverzüglich mit italienischen Regierungsstellen Verbindung aufgenommen worden. Die italienische Regierung hat zu-
gesichert, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine Beeinträchtigung und Schädigung des innergemeinschaftlichen Handels zu verhindern.
Ich habe weiterhin veranlaßt, daß die Lage auf dem Rindermarkt und die jüngsten Vorfälle am Brenner auf die Tagesordnung der nächsten Agrarministerratssitzung gesetzt werden; dies mit dem Ziel, daß Maßnahmen ergiffen werden, die künftig derartige Ausschreitungen verhindern.
In einem Fernschreiben an den italienischen Landwirtschaftsminister habe ich ferner vorgeschlagen, daß umgehend deutsch-italienische Beamtengespräche auf hoher Ebene mit dem Ziel stattfinden sollen, Schwierigkeiten im Handelsverkehr entgegenzuwirken. Ich darf hinzufügen, daß bereits für den nächsten Montag ein Gespräch mit meinem italienischen Kollegen vereinbart ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709517700
Eine Zusatzfrage.

Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0709517800
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, nach diesen Gesprächen dem Bundestage zu berichten, ob Aussicht besteht, eine Regelung zu treffen, durch die diese Unterbrechungen des freien Warenverkehrs unterbunden werden?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709517900
Herr Kollege Wagner, die Bundesregierung ist nur in der Lage, darüber zu berichten, was sie in Gesprächen mit der italienischen Regierung vereinbart hat und welche Maßnahmen ergriffen oder nicht ergriffen worden sind. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage bezüglich dessen etwas zu unternehmen, was im Bereich von politischen oder von berufsständischen Kräften liegt. Es war ja eine Demonstration, und die italienische Regierung hat in ihrem Fernschreiben darauf hingewiesen, daß sie wegen der rechtsstaatlichen Ordnung nicht in der Lage ist, eine Demonstration zu verbieten; sie werde aber alles tun, daß der Verkehr ungehindert vonstatten geht. Und ich muß auch anerkennend über die italienischen Behörden sagen: sie haben alle unsere Exporteure vorgewarnt, so daß es möglich war, daß der größte Teil oder fast alle Lieferungen vor dem Zeitpunkt des Beginns der Demonstration abgefertigt wurden; dabei haben auch die italienischen Behörden sehr unbürokratisch mitgeholfen.
Des weiteren wissen Sie, daß die italienische Regierung, als es — und zwar auch gegenüber Personenkraftwagen — zu Ausschreitungen kam, Ordnungskräfte mit Wasserwerfern eingesetzt hat. Ich muß sagen, die italienische Regierung hat das in ihrer Macht Stehende getan, um für Ordnung zu sorgen. Darüber hinaus kann mir die italienische Regierung, glaube ich, keine Garantie geben, wie sich einzelne Bürger in ihrem Lande verhalten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709518000
Zweite Zusatzfrage.




Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0709518100
Herr Bundesminister, konnten Sie aus diesen Gesprächen mit der italienischen Regierung irgendeinen Eindruck in der Frage gewinnen, ob die italienische Regierung diesen Protest — nicht von der rechtlichen Seite, sondern vom Anlaß her — als gerechtfertigt ansieht oder nicht?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709518200
Ich kenne die Motive nicht. Mir hat die italienische Regierung nur mitgeteilt, daß sie darüber informiert worden ist, daß eine Demonstration stattfindet — übrigens, wie Sie wissen, nicht nur am Brenner, sondern auch an anderen Grenzübergängen —, und daß sie auf Grund ihrer rechtsstaatlichen Ordnung nicht in der Lage ist, eine Demonstration zu verbieten; sie wird aber alles tun, um dafür zu sorgen, daß es zu keinen Ausschreitungen kommt. — Soweit ich es bisher übersehen kann, haben sich die Behörden darum auch bemüht.

(Abg. Dr. h. c. Wagner [Günzburg] : Danke!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709518300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0709518400
Herr Bundesminister, sind der Bundesregierung Berichte aus italienischen Zeitungen bekannt, wonach bei den kürzlich durchgeführten und sehr gut vorbereiteten Bauerndemonstrationen am Brenner die organisatorische Hand der Democrazia Christiana spürbar gewesen sei und sich außerdem prominente Parlamentarier dieser Partei an den Demonstrationen beteiligt haben sollen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709518500
Herr Abgeordneter, ich kenne wie Sie diese Presseberichte. Ich habe das aber von der italienischen Regierung nicht bestätigt bekommen. Berichte der italienischen Presse wie auch der deutschen Presse darüber sind für jedermann nachlesbar.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709518600
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0709518700
Herr Bundesminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die italienischen Behörden am Brenner die Eisenbahnladungen so schleppend abfertigen, daß die Deutsche Bundesbahn auf Grund des Rückstaues auf deutscher Seite insbesondere für Holzexporte nach Italien keine Wagen mehr stellt, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709518800
Solche Probleme tauchen von Zeit zu Zeit immer wieder auf; sie konnten aber bisher immer in bilateralen Gesprächen geklärt werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709518900
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Eigen.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0709519000
Sind Ihnen, Herr Minister, Äußerungen von prominenten italienischen Bauernführern bekannt, daß es sich bei der Demonstration gar nicht um die Einfuhr von Fleisch aus Westdeutschland drehte, sondern um die Einfuhr von Ringtauschfleisch aus billigen Ostimporten, die durch die liberale Haltung der Bundesrepublik in bezug auf die Osthandelspolitik entstanden sind, weil nämlich die Italiener dagegen sind, daß ein Land, das in Wirklichkeit einen riesigen Bedarf an Fleisch hat, nun zusätzlich noch den italienischen Markt mit Importen beliefert?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709519100
Herr Kollege Eigen, auf Grund Ihrer Frage muß ich annehmen, daß Sie sich eine solche Behauptung zu eigen gemacht haben. Und das, so muß ich sagen, ist falsch. Denn soweit es sich um Importe aus osteuropäischen Ländern handeln soll, haben mir alle Exporteure glaubhaft versichert — das wird übrigens auch von den deutschen Behörden untersucht —, daß derlei Unterstellungen nicht zutreffen.
Als bedeutendes Mitglied des Berufsstandes, Herr Eigen, haben Sie die Möglichkeit, sich in Ihrem Lande mit den entsprechenden verantwortlichen Persönlichkeiten über dieses Thema zu unterhalten, und ich würde Ihnen empfehlen, diese Frage auch einmal im berufsständischen Kreis zu klären; Sie werden dann sehr interssante zusätzliche Informationen bekommen.
Im übrigen will ich, damit hier keine Mißverständnisse auftauchen, nur ein Problem ansprechen: Aus der DDR z. B. sind ungefähr in der letzten oder vorletzten Woche 700 Rinder importiert worden. Es wird bei dem Marktvolumen in der Bundesrepublik niemand glauben, daß ein großes Interesse daran besteht, von diesen 700 Rindern auch nur einen Teil weiter zu exportieren. Das beweisen allein schon die Zahlen. Im übrigen wäre es nützlich, sich darüber mit den beteiligten Wirtschaftskreisen zu unterhalten.
Etwas ganz anderes ist, daß Italien selbst erhebliche Importe aus Osteuropa getätigt hat — das liegt auf einem ganz anderen Gebiet —, wobei es in der Natur der Sache liegt, daß ein Teil der Viehtransporte z. B. über Rosenheim/Kufstein via Brenner abgefertigt wird. Hier handelt es sich aber um den normalen Transitverkehr im Auftrag von italienischen Käufern.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709519200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher.

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0709519300
Herr Minister, teilen Sie im Zusammenhang mit der Frage nach der mutmaßlichen Beteiligung von Vertretern der Democrazia Christiana, die mein Kollege Engelhard stellte, meine Meinung, daß unter diesen Umständen die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, die ja in dieser Woche unter Beteiligung des Ministerpräsidenten Goppel und des Präsidenten der christdemokratisch regierten Region Lombardei tagt, eigentlich doch eine vorzüglich geeignete Ebene wäre, um



Hölscher
durch das Gespräch und die Zusammenarbeit zwischen den christlichen Schwesterparteien CDU und Democrazia Christiana Mißverständnisse aus der Welt zu schaffen und Ausschreitungen zu verhindern, die ja in erster Linie der bayerischen Landwirtschaft und dem bayerischen Agrarexport — und darüber hinaus natürlich auch der Gemeinschaft — abträglich sind?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0709519400
Herr Kollege, ich kann dazu nur sagen: ich könnte mir vorstellen, daß dieses Treffen eine nützliche Plattform wäre, um solche Dinge zu besprechen und möglicherweise der Bundesregierung sogar Unterstützung für den Fall zu geben, daß solche Vorkommnisse in Zukunft wieder geplant und durchgeführt werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709519500
Keine Zusatzfragen? — Dann sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister Ertl.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht zunächst Herr Staatssekretär Apel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 108 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 109 des Herrn Abgeordneten Gierenstein soll auf seine Bitte hin schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Beantwortung der nächsten Fragen übernimmt Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Ich rufe die Frage 110 des Herrn Abgeordneten Gerlach (Obernau) auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Dies gilt auch für seine Frage 111. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Zoglmann auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Rainer auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, desgleichen seine Frage 114. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Dr. Franz auf. — Der Abgeordnete ist ebenfalls nicht im Saal. Auch diese Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das kommunistische Spaniertreffen in Kassel im Hinblick auf die deutsch-spanischen Beziehungen und im Hinblick auf die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland?
Bitte schön!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709519600
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung beobachtet derartige Veranstaltungen sehr sorgfältig. Die Tätigkeit oppositioneller Ausländergruppen in unserem Staatsgebiet beeinflußt selbstverständlich unsere Beziehungen zum jeweiligen Herkunftsland. Das gilt auch für den von Ihnen genannten Fall in Kassel. Die spanische Regierung weiß jedoch, daß ein generelles Verbot solcher Aktivitäten mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung und den geltenden Gesetzen unvereinbar wäre. Unser Versammlungsgesetz erlaubt ein Verbot nur, wenn sich Tatsachen feststellen lassen, die auf einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Veranstaltung schließen lassen. Bei der von sportlichen, folkloristischen und laienkünstlerischen Beiträgen umrahmten Kasseler Veranstaltung ergaben sich weder Anhaltspunkte für die Planung von Gewaltakten in der Bundesrepublik Deutschland oder in Spanien noch Anhaltspunkte für Aktivitäten gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik Deutschland.
Sie können sicher sein, Herr Kollege, daß die Bundesregierung bei allen ähnlichen Unternehmungen gerade diese Aspekte mit besonderer Gründlichkeit prüft.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709519700
Eine Zusatzfrage.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0709519800
Herr Staatssekretär, welchen Einfluß hat hei dieser Veranstaltung die spanische kommunistische Partei. gehabt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709519900
Soweit uns bekannt ist, war an der Vorbereitung und Durchführung des Treffens diese Partei, die PCE, beteiligt. Den Mittelpunkt des Treffens bildete aber eine Festveranstaltung in der Stadthalle aus Anlaß der Wiederkehr der Gründung der zweiten spanischen Republik am 14. April 1931. Prominentester Redner dabei war ein Mitglied des Zentralkomitees der PCE. Gegenstand der Reden waren ausschließlich innerspanische Vorgänge. Den Grundtenor der Ansprachen bildete die Forderung nach „Demokratie in Spanien".

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709520000
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0709520100
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß bei dieser Veranstaltung nicht die offizielle spanische Flagge gehißt wurde, sondern eine Flagge aus einem früheren Staat, im Hinblick auf die Beziehungen zu diesem heutigen spanischen Staat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709520200
Herr Abgeordneter, das hängt sicher damit zusammen, daß, wie ich schon gesagt habe, dort oppositionelle Gruppen ihre Forderungen vertreten haben.




Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709520300
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter Böhm!

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID0709520400
Herr Staatssekretär, halten Sie Veranstaltungen mit Kommunisten, gleich welcher Nationalität, dann in der Bundesrepublik für gerechtfertigt, wenn diese dort scheinbar die Forderung nach Demokratie in irgendwelchen Teilen der Welt erheben?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709520500
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat hier nicht über Rechtfertigungen zu sprechen, sondern ich habe Ihnen die Rechts- und Gesetzeslage dargelegt, wie sie durch die Gesetze, die in diesem Hause beschlossen wurden, gegeben ist. Wertungen irgendwelcher Art hat die Bundesregierung nicht vorzunehmen. Sie kann auch niemandem vorschreiben, welche Fahnen er bei irgendwelchen Gelegenheiten zeigen will. Es gibt ja auch Phantasieflaggen, wie Sie wissen, die ebenfalls gezeigt werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709520600
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Niegel wird auf seine Bitte hin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Windelen auf:
Ist die Bundesregierung bereit, am 5. Mai 1975, der 20jährigen Wiederkehr des Inkrafttretens der Pariser Verträge, die das Besatzungsstatut aufhoben, der Bundesrepublik Deutschland die Souveränität verliehen, die Bundesregierung als allein berechtigt anerkannten, für Deutschland als Vertreter des deutschen Volkes zu sprechen und ein wiedervereinigtes Deutschland mit einer freiheitlich-demokratischen Verfassung zum gemeinsamen Ziel der Politik der Unterzeichnerstaaten erklärten, in gebührender Form zu gedenken?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709520700
Herr Abgeordneter, darf ich Ihre Fragen 118 und 119 wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten?

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709520800
Bitte schön, dann rufe ich auch noch die Frage 119 des Abgeordneten Windelen auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung gegebenenfalls im einzelnen vorgesehen, um die nationale und internationale Öffentlichkeit über den wesentlichen Inhalt der Pariser Verträge — insbesondere des Deutschlandvertrags -- und ihren Stellenwert in der deutschen Politik zu unterrichten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709520900
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich bereits mit der Frage befaßt, wie der 20jährigen Wiederkehr des Inkrafttretens der Pariser Verträge gedacht werden soll, und wird sie zu gegebener Zeit mit den Bündnispartnern aufnehmen. Es kann bereits heute gesagt werden, daß der kommende Gedenktag zu den Pariser Verträgen als ein politisch bedeutsames Datum begangen werden wird. Dabei wird das Vertragswerk selbstverständlich in all seinen wesentlichen Inhalten gewürdigt werden. Über einzelne Maßnahmen der
Bundesregierung zur Unterrichtung der nationalen und internationalen Öffentlichkeit wird noch im einzelnen zu entscheiden sein.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709521000
Zusatzfrage.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0709521100
Ist die Bundesregierung bereit, dabei auch die Herausgabe von Informationsmaterial zu erwägen, um besonders die jüngere Generation über die Bedeutung dieser Verträge zu unterrichten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709521200
Herr Abgeordneter, das würde sicherlich mit zu diesen Vorbereitungen gehören. Ich kann das im einzelnen hier jetzt nicht voraussagen. Es sind, wie ich schon dargelegt habe, Überlegungen allgemeiner Art im Gange.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709521300
Zweite Zusatzfrage.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0709521400
Wäre die Bundesregierung bereit, in diesem Zusammenhang auch die Herausgabe einer Sondermarke und die Unterrichtung auch des Auslandes — auf dem Wege über unsere Missionen — über die auch heute noch unveränderte Bedeutung dieser Verträge zu erwägen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709521500
Herr Abgeordneter, zum letzten Teil der Frage kann ich feststellen, daß das Auswärtige Amt wie in all solchen Fällen, auch jetzt zum Verfassungstag, entsprechende Veranstaltungen, d. h. Einladungen interessierter Persönlichkeiten im Ausland vornimmt, wobei auch Mitglieder dieses Hohen Hauses, und zwar von allen Fraktionen, als Festredner willkommen sind, soweit ihre bisherige Betätigung besonderes Interesse für ein bestimmtes Land erwarten läßt.
Wie weit Sonderbriefmarken in Frage kommen, könnte das zuständige Ressort beurteilen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709521600
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß der Warschauer Vertrag in beiden Ländern „völlig unterschiedlich aufgefaßt und interpretiert" wird, und stimmt es, daß der polnische Vertragspartner aus dem Warschauer Vertrag die Berechtigung der Forderung von Wiedergutmachungsleistungen ableitet?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709521700
Herr Abgeordneter, beide Teile Ihrer Frage sind mit Nein zu beantworten. Es kann nicht davon die Rede sein, daß der Warschauer Vertrag in beiden Ländern völlig unterschiedlich aufgefaßt und interpretiert wird. Wie ich in meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Rainer, die allerdings schriftlich beantwortet werden mußte, schon erklärt habe — ich bin gern bereit, das hier noch vorzutragen —, trifft es ebensowenig zu, daß die polnische Regierung ihre Forderung auf Wiedergutmachung aus dem Warschauer Vertrag



Parl. Staatssekretär Moersch
ableitet. Die polnische Regierung begründet solche Forderungen damit, daß unter dem nationalsozialitischen Regime Unrechtstaten gegen die polnische Bevölkerung begangen worden sind.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709521800
Eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0709521900
War diese Auffassung, Herr Staatssekretär, auch Gegenstand der jüngsten Unterredungen, die Herr Ministerialdirektor van Well gestern und vorgestern in Warschau geführt hat, nämlich daß es hier keine rechtliche Ableitung seitens der polnischen Regierung aus dem Warschauer Vertrag bezüglich der Wiedergutmachungsforderungen gibt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709522000
Herr Abgeordneter, ich habe noch keinen Bericht über den Inhalt dieser Gespräche. Aber ich kann Ihnen versichern, daß die Bundesregierung in allen Gesprächen, bei denen dieses Thema jemals von polnischer Seite offiziell oder inoffiziell aufgegriffen worden ist, unverändert an dem Standpunkt festgehalten hat und weiter festhält, daß darüber von unserer Seite aus politischen und rechtlichen Gründen keine Verhandlungen geführt werden können. Ich möchte hinzufügen, daß ich davon ausgehe, daß auch alle Kollegen dieses Hauses in Gesprächen mit den Partnern den gleichen Standpunkt vertreten mögen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709522100
Eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0709522200
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich dann aber, daß ständig seitens der offiziellen polnischen Stellen — und vor allem auch in Presse, Rundfunk und Fernsehen — ein Zusammenhang zwischen den Forderungen auf Wiedergutmachungsleistungen und den Verhandlungen über den Warschauer Vertrag hergestellt wird?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709522300
Herr Abgeordneter, soweit mir solche Äußerungen bekannt sind — ich habe das schon gesagt —, handelt es sich nicht um eine Bezugnahme auf den Warschauer Vertrag. Presseäußerungen sind ja auch anders zu bewerten als offizielle Äußerungen. Der Kommentar im Warschauer Rundfunk, auf den Sie möglicherweise anspielen, hat dabei nicht auf den Warschauer Vertrag Bezug genommen, wenn ich mich recht erinnere.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709522400
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0709522500
Herr Staatssekretär, wie ist es mit Ihrer Antwort an den Kollegen Hupka in Einklang zu bringen, daß schon im vergangenen Sommer — ich glaube, im August oder September -- ein prominentes Mitglied der polnischen Regierung erklärt hat, man befinde sich jetzt im Kampf um die richtige Auslegung dieser Verträge? Ist das wirklich noch mit Ihrer Antwort in Einklang zu bringen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709522600
Das ist sicherlich damit in Einklang zu bringen. Ich möchte noch einmal sagen, Herr Kollege Jäger, daß ich erwarte, daß auch alle Mitglieder dieses Hauses, wenn Sie Besuche machen, den gleichen Standpunkt vertreten, den die Bundesregierung immer vertreten hat.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709522700
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 121 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Schlußfolgerungen gedenkt die Bundesregierung für ihr eigenes Verhalten gegenüber der Regierung der Sowjetunion aus den Nachrichten zu ziehen, die besagen, daß aussiedlungswillige sowjetische Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit durch Demonstrationen und Hungerstreik auf die Ablehnungen ihres berechtigten Begehrens auf Aussiedlung nicht nur die sowjetischen Behörden, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit aufmerksam machen, und wie beurteilt sie die seitens der sowjetischen Regierung dagegen unternommenen Maßnahmen wie Verhaftungen und Einlieferungen in psychiatrische Kliniken?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709522800
Die Bundesregierung hat bereits vor diesen Vorfällen, Herr Kollege, die sowjetische Regierung auf die Notwendigkeit hingewiesen, das Problem der Familienzusammenführung in seiner Gesamtheit zu bereinigen. Die Protestaktionen der Ausreisewilligen sind in diesem Zusammenhang ein weiterer Hinweis auf die der Bundesregierung sehr wohl bewußte und nie in Abrede gestellte Tatsache, daß trotz der positiven Entwicklung der jüngsten Zeit eine befriedigende Lösung dieser Frage noch nicht erreicht worden ist. Sie wird daher ihre Bemühungen fortsetzen, eine solche Lösung in einem für die Betroffenen vertretbaren Zeitraum herbeizuführen. Daß Herr Minister Bahr im März dieses Jahres, also nach den Demonstrationen vom Januar und Februar, das Thema der Familienzusammenführung in seinen Gesprächen in Moskau an hoher Stelle erneut aufgegriffen und die Zusicherung erhalten hat, die Familienzusammenführung werde kontinuierlich fortgesetzt, dürfte Ihnen bekannt sein.
Wegen des zweiten Teils Ihrer Anfrage darf ich auf die Antwort zu der Frage des Kollegen Gierenstein und auf meine Antwort auf Ihre Fragen vom 28. März in diesem Hause verweisen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709522900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0709523000
Stimmen Sie mit mir darin überein, Herr Staatssekretär, daß die Bemühungen von Herrn Sonderminister Bahr offenbar nicht gerade sehr erfolgreich gewesen sind? Die jüngsten Nachrichten, die wir über diejenigen bekommen haben, die jetzt protestieren, weil ihr Antrag abgelehnt worden ist, stammen ja aus der Zeit nach dem Besuch von Herrn Sonderminister Bahr.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709523100
Herr Kollege, es ist nicht möglich, das jetzt in der Fragestunde im einzelnen aufzuklären. Ich darf Ihnen sagen, daß nach unseren Beobachtungen eine solche generelle Bewertung, es sei kein Erfolg eingetreten, nicht zutreffen kann. Ich bin aber gern bereit, das im einzelnen an Hand von Einzelfällen, die Sie mir vortragen, darzulegen.




Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709523200
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0709523300
Herr Staatssekretär, verfügt die Bundesregierung über genaue Informationen, so daß man beurteilen könnte, wie die Aussiedlungswilligen behandelt werden, wenn sie den Mut aufbringen, in einer Diktatur ihr Anliegen — ein Anliegen der Menschenrechte — durch Proteste zu vertreten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709523400
In einigen Fällen haben ja die Betroffenen hinterher wieder mit uns Kontakt aufgenommen. Ich bin bereit, Ihnen die Berichte zur Kenntnis zu bringen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709523500
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Damm.

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0709523600
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in ihr Bemühen, deutschstämmigen Sowjetbürgern die Ausreise zu ermöglichen, auch die Absicht einbeziehen, bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ein entsprechendes Dokument nur dann zu unterzeichnen, wenn sich die Sowjetunion zu Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen — in diesem Fall also für Menschen — entschließt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709523700
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung verhandelt — und zwar auf einer gemeinschaftlichen Position aller westlichen Staatengruppen, der Staaten der Europäischen Gemeinschaft und der Vertragspartner der NATO — auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Bereich des sogenannten Korbes drei. Ich darf darauf hinweisen, daß bei diesem Punkte besondere Schwierigkeiten darin bestehen, daß über die Grundlagen dessen, was staatliche Hoheit in diesem Bereich ist, aus ideologischen Gründen, wie Sie sicherlich wissen, bis jetzt kein Einvernehmen bestanden hat; übrigens auch nicht in den Vereinten Nationen, um auf einen Irrtum, der hier gelegentlich sichtbar wird, hinzuweisen.
Die Bundesregierung hat in all ihren Handlungen bisher nicht nur deutlich gemacht, sondern auch erreicht, daß in bestimmten Fällen eine veränderte Betrachtungsweise in den osteuropäischen Staaten in diesem Punkte Platz gegriffen hat. Das geht allein daraus hervor, daß ja mehrere Tausend Menschen in den letzten Jahren gerade aus Sowejetrußland ausreisen konnten, die früher keine Ausreisegenehmigung bekommen hatten. Wir hoffen, daß unsere gemeinsamen Bemühungen auch weiterhin Erfolg haben werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709523800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0709523900
Herr Staatssekretär, setzt die Bundesregierung ihre Bemühungen in den in
der Frage angesprochenen Einzelfällen über eine generelle Intervention hinaus für diese Demonstranten fort, die sich jetzt in einer außerordentlich schwierigen Lage befinden? Werden hier im Sinne des diplomatischen Schutzes Schritte vorgenommen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709524000
Herr Abgeordneter, eine Berufung auf den Schutz nach diplomatischen Regeln ist in diesem Falle deswegen nicht möglich, weil es sich ja nicht um deutsche Staatsbürger handelt. Ich habe auch heute wieder in der Antwort auf die Frage des Kollegen Gierenstein, die nachher schriftlich verteilt werden wird, darauf im einzelnen Bezug genommen.
Ich bitte Sie doch zu beachten, daß die Rechtsposition einer Regierung einem anderen Staat gegenüber eben durch die internationalen Regeln beschränkt ist, was nicht ausschließt, daß wir alle Gesprächsmöglichkeiten nutzen — und gerade in diesen Fällen auch genutzt haben —, um auf diese Härtefälle besonders hinzuweisen. Aber die andere Seite hat ihre eigene Ansicht über die Frage, wie sie sich verhält, wenn diese Dinge in der Öffentlichkeit behandelt werden. Und nicht jede öffentliche Behandlung ist im Sinne der Betroffenen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709524100
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes (Gerolstein) auf:
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung — erforderlichenfalls zusammen mit den drei Westmächten, die Rechte und Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes und Berlin innehaben und am Internationalen Militärtribunal von Nürnberg beteiligt waren — zu unternehmen, um zu erreichen, daß aus humanitären Gründen der am 26. April 1974 sein 80. Lebensjahr vollendende Rudolf Hess nach 33 Jahren ununterbrochener Haft an seinem Lebensabend zu seiner Frau und seinem Sohn zurückkehren kann, und ist sie bereit, dabei die Tatsache der Strafverschärfung seit 1966 (Einzelhaft) nachdrücklich zur Geltung zu bringen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709524200
Herr Abgeordneter, zu den bisherigen Bemühungen der Bundesregierung, Rudolf Hess aus humanitären Gründen freizulassen, erlaube ich mir, Sie auf meine Ausführungen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 8. Juni 1973 sowie auf mein Schreiben an Sie vom 6. September 1973 zu verweisen. Die Bundesregierung wird dieses Bemühen auch in Zukunft fortsetzen und jede geeignet erscheinende Gelegenheit hierzu nutzen. Auch der bevorstehende 80. Geburtstag von Rudolf Hess ist in diesem Zusammenhang nicht außer acht geblieben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709524300
Bitte schön!

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0709524400
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause mitteilen, mit welch hohem Betrag die weitere Haft von Rudolf Hess den Bundeshaushalt jährlich belastet?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709524500
Herr Abgeordneter, ich bin



Parl. Staatssekretär Moersch
nicht in der Lage, darauf zu antworten. Das müßte ich Ihnen schriftlich geben. Das ist nicht Gegenstand der Frage gewesen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709524600
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0709524700
Herr Staatssekretär, würden Sie, wie hoch immer dieser hohe Betrag ist, mir zustimmen, wenn ich sage, daß es sinnvoller wäre, die Geldbeträge, die heute noch für die Haft von Rudolf Hess ausgegeben werden, für Opfer des nationalsozialistischen Regimes zu verwenden, die noch auf Wiedergutmachung warten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709524800
Herr Abgeordneter, es wird niemanden in der Welt geben, der diese Frage, die Sie stellen, verneinen könnte. Aber generelle Fragen haben es an sich, daß sie eben auch generelle Antworten hervorbringen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709524900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0709525000
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, man greife jede Gesprächsmöglichkeit auf: Bedeutet das auch, daß diese Frage bei der nächsten Begegnung des Bundeskanzlers mit Herrn Breschnew einmal behandelt wird?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709525100
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich hier keine Einzelheiten mitteile. Ich bin aber bereit, Ihnen nachher einige Hinweise zu geben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709525200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haase.

Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0709525300
Herr Staatssekretär, unabhängig von der Höhe des Betrages, der aus Steuermitteln der Bundesrepublik Deutschland für die Bewachung von Herrn Hess gezahlt werden muß: Wäre es nicht möglich — und könnte die Bundesregierung das nicht in Erwägung ziehen —, die Frage dieser Zahlungen in Verhandlungen mit den Westalliierten und auch mit der Sowjetunion einmal zur Diskussion zu stellen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709525400
Herr Abgeordneter, ich glaube, es würde dem geschichtlichen Hintergrund nicht gerecht, wenn wir jetzt eine hypothetische Zahlendiskussion anfingen. Ich habe dem Kollegen Mertes soeben auf seine Frage geantwortet. Ich möchte aber doch sagen, daß wohl niemand außer acht lassen kann, daß das, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist und was an Ursachen zum Zweiten Weltkrieg geführt hat, natürlich überhaupt nicht in Zahlen in irgendeiner Dimension auszudrücken ist und daß es ein merkwürdiger Zusammenhang mit dem gesamten historischen Geschehen wäre, wenn wir jetzt über Haushaltszahlen hier diskutierten.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709525500
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Jobst auf:
Teilt die Bundesregierung etwa die Auffassung, daß Nordatlantische Bündnis müsse sein Verhältnis zu Portugal überprüfen, und welche Nachteile würden sich für die Verteidigung der im Nordatlantischen Bündnis zusammengeschlossenen Staaten ergeben, sollte Portugal als Ergebnis einer solchen Politik aus dem Nordatlantischen Bündnis ausscheiden?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709525600
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat bereits in der Drucksache 7/1010 im August 1973 festgestellt, daß sie ihre bilateralen Beziehungen zu Portugal insbesondere im Interesse der Geschlossenheit des Atlantischen Bündnisses und der Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft gestaltet. Dabei berücksichtigt die Bundesregierung vor allem auch die erhebliche strategische Bedeutung Portugals für die Atlantische Allianz. Die Frage eines Ausscheidens Portugals aus dem Bündnis stellt sich nach Ansicht der Bundesregierung nicht.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709525700
Eine Zusatzfrage.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0709525800
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß dem Lande Portugal im Rahmen des Nordatlantischen Bündnisses eine wichtige Funktion zukommt? Stimmen Sie mir zu, daß Erklärungen, wie sie jüngst vom Herrn Kollegen Wischnewski abgegeben worden sind, Lissabon sei für den Nordatlantikpakt eine noch größere Belastung geworden, diesem Nordatlantischen Bündnis erheblich schaden?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709525900
Herr Abgeordneter, es ist ,der Bundesregierung nicht möglich, Äußerungen von Kollegen hier im Dreiecksverkehr zu bewerten. Das ist auch nicht beabsichtigt. Das kann Herr Kollege Wischnewski sicherlich Ihnen gegenüber tun. Ich kenne diese Äußerungen nicht. Aber Sie haben eine Frage gestellt, und ich habe Ihnen bereits vorhin eine Antwort gegeben. Wir haben von der erheblichen strategischen Bedeutung gesprochen. Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie in bestimmten Fällen die Frage des Selbstbestimmungsrechtes etwa in afrikanischen Gebieten anders sieht als die portugiesische Regierung, ungeachtet der Verbundenheit in der Atlantischen Allianz. Wir müssen hier zwischen militärstrategischer Bedeutung und dem, was offensichtlich an politischen Qualifikationen auf Grund einer anderen Beurteilungsweise abgeleitet wird, doch wohl unterscheiden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709526000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.




Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0709526100
Herr Staatssekretär, sind nicht doch Auswirkungen in bezug auf die Glaubwürdigkeit des Bündnisses zu befürchten, wenn ein NATO-Mitglied Waffen in einem schmutzigen Kolonialkrieg gegen ein Volk einsetzt, das um sein Recht auf Selbstbestimmung kämpft?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709526200
Herr Abgeordneter, ich habe den Antworten, die ich in diesem Hause dazu gegeben habe, nichts hinzuzufügen. Ich möchte aber doch ausdrücklich darauf verweisen, daß der Bündnisbereich nicht durch den Bereich gekennzeichnet ist, den sie soeben in Ihrer Frage erwähnt haben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709526300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schinzel.

Dieter Schinzel (SPD):
Rede ID: ID0709526400
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung nach wie vor die Auffassung, daß Mitglied der NATO nur Länder sein können, die nach der Präambel entschlossen sind, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709526500
Herr Abgeordneter, diese Frage in 'dieser Allgemeinheit gestellt, könnte zu mancherlei Betrachtungen Anlaß geben. Das Atlantische Bündnis ist zu einem bestimmten Zweck gebildet worden, nämlich ein Verteidigungsbündnis zu sein, und in Kenntnis der Tatsache, daß nicht alle Bündnispartner den freiheitlich-demokratischen Vorstellungen entsprechen, die etwa in unserem Lande kraft der Verfassung heute gegeben sind. In Kenntnis dieser Umstände sind 15 Bündnispartner dieses Bündnis eingegangen, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709526600
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Spranger soll auf seine Bitte hin schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 125 des Herrn Abgeordneten Seefeld auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung der Deutschen Schule Brüssel die Einrichtung eines vierten Grundschulzugs aus finanziellen Gründen verweigert, obwohl die infolge der wachsenden Bedeutung Brüssels als Zentrum der europäischen Integration stark gestiegene und weiter steigende Schülerzahl (1959: 200 — 1973: 930), in der die allseits anerkannte Sonderstellung der Deutschen Schule Brüssel gegenüber den anderen deutschen Auslandsschulen zum Ausdruck kommt, eine solche Erweiterung dringend erforderlich macht?
Bitte schön!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709526700
Herr Abgeordneter, die Bedeutung Brüssels als Zentrum der europäischen Integration wird auf dem Gebiet der schulischen Versorgung für Kinder deutscher Staatsangehöriger durchaus anerkannt. Die deutsche Schule in Brüssel
und die europäische Schule in Brüssel werden jährlich mit über viereinhalb Millionen DM darin sind Baukosten nicht inbegriffen — gefördert. Damit ist Brüssel der teuerste Platz im Auslandsschulwesen der Bundesrepublik Deutschland.
Die Höhe der hier eingesetzten Steuermittel zwingt die Bundesregierung, an alle Erweiterungswünsche einen strengen Maßstab anzulegen. Die deutsche Schule Brüssel kommt mit drei Grundschulzügen aus, wenn die Kinder, die Anspruch auf Zulassung zur europäischen Schule haben, diese auch besuchen und im übrigen den deutschen Kindern bei der Aufnahme in die Schule Priorität von Kindern ausländischer Staatsangehörigkeit eingeräumt wird.
Sollte die Zahl der Kinder, deren Eltern in einem irgendwie gearteten öffentlichen Interesse in Brüssel tätig sind und die keine Bediensteten der Europäischen Gemeinschaft sind, in Zukunft stark zunehmen, dann besteht die Möglichkeit, den der Deutschen Schule Brüssel zugesagten Erweiterungsbau durch einen Anbau zu ergänzen. Dies ist in die Planung bereits einbezogen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709526800
Eine Zusatzfrage, bitte!

Horst Seefeld (SPD):
Rede ID: ID0709526900
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland für die Europa-Schule in Brüssel höher liegen als für die Deutsche Schule?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709527000
Das kann ich im Augenblick nicht nachprüfen; das ist im Haushalt über den Wirtschaftsplan enthalten, den wir demnächst verabschieden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709527100
Eine Zusatzfrage.

Horst Seefeld (SPD):
Rede ID: ID0709527200
Herr Staatssekretär, würde denn der Ausschluß von Kindern etwa deutscher EG-Beamter zugunsten von Ausländer-Kindern, denen durch deutsche Steuermittel weiterhin der Besuch dieser Schule in Brüssel ermöglicht wird, nicht eine Verletzung auch staatsbürgerlicher Rechte deutscher Bürger darstellen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709527300
Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie bringen hier zwei Dinge durcheinander. Ich habe gesagt, daß Deutsche, deren Kinder an sich keinen Anspruch auf den Besuch der Europäischen Schule haben, in der Deutschen Schule mit Vorrang untergebracht werden müssen. Die Europäische Schule basiert auf einem Abkommen, an dem mehrere beteiligt sind; wir haben solche Abkommen selbstverständlich einzuhalten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709527400
Keine Zusatzfrage?
Ich rufe dann die Frage 126 des Herrn Abgeordneten Seefeld auf:



Vizepräsident Frau Funcke
Entspricht es den Tatsachen, daß das Auswärtige Amt zur Bewältigung des Schülerandrangs zu dem bedenklichen, integrationsfeindlichen und technisch untauglichen Mittel einer Zulassungsbeschränkung für Kinder von Ausländern vornehmlich deutscher Muttersprache und europäischer Beamter greift, indem es letztere auf die wegen des fremden Schulsystems und Uberfüllung überwiegend abgelehnte Europa-Schule verweisen will?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709527500
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß ihre Empfehlung an den Deutschen Schulverein Brüssel, die deutschen Kinder europäischer Bediensteter an die Europäische Schule Brüssel zu verweisen, integrationsfeindlich sei. Die europäischen Schulen, seinerzeit auf Wunsch der europäischen Bediensteten eingerichtet, dienen im Gegenteil der europäischen Integration im Schulwesen.
Es liegt in der Natur dieser Schulen, daß ihr Lehrplan nicht dem deutschen entsprechen kann; sonst hießen sie ja nicht europäische Schulen. Sie führen jedoch zu der von der Kultusministerkonferenz voll anerkannten Reifeprüfung und bieten den deutschen Kindern den Vorteil, schon vom ersten Grundschuljahr mit einer europäischen Fremdsprache neben der Muttersprache aufzuwachsen. Kinder, die Anspruch auf den Besuch der Europäischen Schule haben, müssen aufgenommen werden; sie können nicht wegen Überfüllung abgewiesen werden.
Die Deutsche Schule Brüssel hat neben der Europäischen Schule den Charakter einer Dienstleistungsinstitution des deutschen Staates für deutsche Kinder, die keinen Anspruch auf den Besuch der Europäischen Schule haben. Es entspricht internationaler Übung, daß bei Überfüllung solch einer Schule deutschen Kindern vor Ausländern die Priorität eingeräumt wird, was angesichts der Güte des belgischen Schulwesens in Brüssel auch durchaus vertretbar erscheint.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709527600
Eine Zusatzfrage.

Horst Seefeld (SPD):
Rede ID: ID0709527700
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß nach Möglichkeit beide Schultypen, also die Deutsche Schule und die Europäische Schule, für möglichst alle Kinder offen sein sollten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709527800
Diese allgemeine Frage kann ich nicht mit Nein beantworten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709527900
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 127 des Herrn Abgeordneten Damm auf:
Trifft der Bericht der Tageszeitung „Die Welt" vom 13. April 1974 zu, wonach der deutsche Wahlkonsul in Rönne auf Bornholm gegenüber deutschen Flüchtlingen aus der DDR ein „eigenartiges Verhalten" an den Tag lege, indem er ihnen erkläre, er sei nur für Bürger der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich, Bürger der DDR seien aus einem anderen Staat und dies sei schließlich „eine andere Sache", und wenn ja, was wird die Bundesregierung unternehmen, um ein solches Verhalten für die Zukunft auszuschließen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709528000
Herr Abgeordneter, der
deutsche Honorarkonsul in Rönne auf Bornholm ist vom Auswärtigen Amt aus gesundheitlichen Gründen Ende Januar dieses Jahres verabschiedet worden. Seitdem ist die Bundesrepublik Deutschland in Rönne konsularisch nicht mehr vertreten.
Ob der frühere deutsche Honorarkonsul in Rönne die ihm in den Mund gelegten Ausführungen gemacht hat, läßt sich zur Zeit leider nicht feststellen, weil sich dieser auf einer längeren Geschäftsreise befindet und mit ihm noch keine Verbindung aufgenommen werden konnte.
Die deutschen Auslandsvertretungen sind generell angewiesen, allen Deutschen im Sinne des Grundgesetzes im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten und der bestehenden völkerrechtlichen Grenzen Schutz und Hilfe zu gewähren, wenn sie darum nachsuchen. Auch der frühere deutsche Honorarkonsul in Rönne war angewiesen, nach diesen Grundsätzen zu verfahren.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709528100
Eine Zusatzfrage.

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0709528200
Herr Staatssekretär, ist auszuschließen, daß diplomatische Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere dann, wenn sie keine deutschen Staatsbürger sind, das deutsche Staatsbürgerrecht möglicherweise nur auf die Angehörigen der Bundesrepublik Deutschland beschränken?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709528300
Herr Abgeordneter, ich weiß jetzt angesichts der komplizierten Fragestellung nicht, ob man die Frage mit Nein oder Ja beantworten muß.
Jedenfalls ist hinsichtlich des Falles, um den es hier geht, also den eines Honorarkonsuls nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, aus den Akten ersichtlich, daß dieser Honorarkonsul unterrichtet worden ist, wie diese Staatsangehörigkeitsfrage von ihm zu behandeln ist.

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0709528400
Um das noch einmal ganz klar zu machen, Herr Staatssekretär: Er und alle seine vergleichbaren Kollegen wissen also, daß nach deutschem Recht auch die Bürger der DDR die deutsche, also unsere Staatsbürgerschaft haben?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709528500
Ja: Herr Abgeordneter. Wenn sie darum nachsuchen, werden sie konsularisch betreut. Das sieht der Erlaß, den wir an alle gegeben haben, vor, und die Botschaften sind veranlaßt worden, den jeweiligen Honorarkonsulaten das entsprechend mitzuteilen; ich gehe davon aus, daß das auch geschieht und geschehen ist.

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0709528600
Sonst sollten Sie es nachprüfen!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709528700
Bitte?




Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0709528800
Sonst sollten Sie es nachprüfen!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709528900
Ist geschehen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709529000
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja, bitte schön!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0709529100
Herr Staatssekretär, Sie sagten soeben, daß alle konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland durch generellen Erlaß darüber unterrichtet seien. Steht dieser generelle Erlaß eindeutig in vollem Einklang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973, oder ist im Jahre 1973, und zwar zu Beginn, ein Erlaß ergangen, der die deutschen Staatsangehörigen, die sich nicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes befinden, etwas anders behandelt, als es früher ,der Fall war?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709529200
Herr Abgeordneter, Sie können davon ausgehen, daß die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts nur im Einklang mit der Verfassung handelt.

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709529300
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0709529400
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, wenn die Ermittlungen nach Rückkehr dieses ehemaligen Honorarkonsuls zu dem Ergebnis führen sollten, daß er solche Änderungen tatsächlich getan hat, bereit, dies zum Anlaß dafür zu nehmen, den Erlaß, von dem Sie sprachen, noch einmal allen ausländischen Honorarkonsuln ausdrücklich in Erinnerung zu bringen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709529500
Herr Abgeordneter, auf eine hypothetische Frage kann ich Ihnen nur hypothetisch antworten. Nach unserer Meinung sind auch in diesem Fall alle unterrichtet. Wenn der Fall anders läge, wäre das eine Ausnahme.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709529600
Keine Zusatzfrage?
Die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Röhner soll auf seine Bitte hin schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe 'die Frage 129 des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen des weiteren Ausbaus unserer wissenschaftlich-kulturellen Beziehungen zur Volksrepublik China?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709529700
Herr Abgeordneter, der Kultur- und Wissenschaftsaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China hat sich trotz der Kürze des Bestehens diplomatischer Beziehungen und trotz der geographischen
Entfernung bereits positiv entwickelt. Eine Intensivierung dieser Beziehungen ist für die Zukunft zu erwarten.
Die bestehenden Möglichkeiten wurden und werden durch den Austausch von Fachdelegationen erkundet. Seit Herbst 1973 werden jährlich zehn Stipendiaten ausgetauscht. Außerdem befinden sich vier deutsche Lektoren in China. Zu erwähnen sind ferner ein regelmäßiger Schriftenaustausch zwischen wissenschaftlichen Bibliotheken beider Länder, eine Reihe von sportlichen Begegnungen und der Beginn kultureller Veranstaltungen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709529800
Zusatzfrage!

Prof. Dr. Carl-Christoph Schweitzer (SPD):
Rede ID: ID0709529900
Herr Staatssekretär, konnten zwischenzeitlich die gelegentlich in diesem Zusammenhang aufgetretenen Schwierigkeiten aus der Welt geschafft werden, die sich aus der Taiwanbzw. Formosa-Frage ergeben haben?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709530000
Mir sind aus der jüngsten Zeit solche Schwierigkeiten nicht bekannt. Ich werde das gerne nachprüfen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709530100
Keine Zusatzfragen? - Dann rufe ich als letzte die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, nach denen eine Staatsbürgerin der Bundesrepublik Deutschland von tunesischen Behörden gefoltert worden ist, wenn ja, was hat der deutsche Botschafter in Tunis bzw. was hat die Bundesregierung dagegen unternommen?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Bitte, Herr Staatssekretär!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709530200
Herr Abgeordneter, es handelt sich hier um die ehemalige Ortskraft der Zweigstelle des Goethe-Instituts in Tunis, Frau Maria Heichert. Dazu ist dem Auswärtigen Amt auf Grund von Recherchen folgendes bekannt:
Frau Heichert hat am 21. November 1973 die Botschaft Tunis um konsularischen Schutz gegen den Zugriff tunesischer Sicherheitsbehörden gebeten. Nach ihren eigenen Angaben habe _sie staatsfeindlichen Tunesiern aus humanitären Gründen Zuflucht gewährt. Nach der Festnahme Frau Heicherts hat sich die deutsche Botschaft unverzüglich und nachdrücklich bei den zuständigen tunesischen Behörden dafür eingesetzt, daß entweder nach einer kurzen Vernehmung von Frau Heichert das Ermittlungsverfahren gegen sie eingestellt oder bei stärkeren Verdachtsmomenten sie so schnell wie möglich abgeschoben werde. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben eindeutig, daß Frau Heichert nicht, wie sie zunächst gegenüber der Botschaft erklärt hatte, nur Sympathisantin, sondern aktives Mitglied einer auf den Sturz der tunesischen Regierung hinarbeitenden Gruppe gewesen war.
Der tunesische Innenminister hat daraufhin dem deutschen Botschafter am 28. November 1973 mitge-



Parl. Staatssekretär Moersch
teilt, daß Frau Heichert mit einer Verurteilung wegen Hochverrats hätte rechnen müssen, was eine langjährige Freiheitsstrafe zur Folge gehabt hätte. Er sagte dem deutschen Botschafter jedoch zu, daß mit Rücksicht auf die guten deutsch-tunesischen Beziehungen FrauHeichert sofort nach Abschluß der Ermittlungen abgeschoben werde. Diese Zusage hat der Innenminister eingehalten.
Durch den umsichtigen Einsatz der Botschaft ist Frau Heichert zumindest ein langwieriges Gerichtsverfahren, möglicherweise sogar eine langjährige Freiheitsstrafe erspart geblieben. Die Handhabung des Falles zeugt zudem von dem Bemühen der tunesischen Regierung, die guten und bewährten deutschtunesischen Beziehungen störungsfrei zu halten. Ein solches Entgegenkommen ist gegenüber Staatsangehörigen anderer Länder nicht immer gezeigt worden. Am Freitag, dem 7. Dezember 1973, ist Frau Heichert aus dem Untersuchungsgefängnis entlassen worden. Vorher wurde sie von zwei Botschaftsangehörigen besucht, die mit ihr die Modalitäten ihrer Abreise am Samstag, dem 8. Dezember 1973, besprachen.
Sie begab sich daraufhin in Begleitung eines tunesischen Polizeibeamten in ihre Wohnung. Dort war ein Botschaftsangehöriger zugegen, der mit ihr Fragen der Haushaltsauflösung besprach. Bei dieser Gelegenheit berichtete sie gesprächsweise, wie es ihr im Untersuchungsgefängnis ergangen sei. Sie erwähnte dabei, daß sie etwa in der Mitte ihrer Untersuchungshaft durch Fausthiebe ins Gesicht und Stockschläge auf die Füße mißhandelt worden sei.
1 Der Botschaftsangehörige konnte jedoch keine erkennbaren Anzeichen einer solchen Mißhandlung feststellen, obwohl erst sehr kurze Zeit vergangen war. Auch von einer Herrichtung Frau Heicherts durch Schminke und Puder konnte er nichts feststellen.
Sie hat sich überdies auch keinem Arzt zur Untersuchung gestellt, obwohl ihr in einer Anweisung ihrer Extremistengruppe ausdrücklich empfohlen worden war, sich sofort nach Freilassung von einem Arzt untersuchen zu lassen. In Tunis lebt zudem eine deutsche Ärztin. Frau Heichert hätte daher also Gelegenheit gehabt, sich von ihr untersuchen zu lassen. Da Frau Heichert keine entsprechende Bitte geäußert hat, sah die Botschaft auch keine Notwendigkeit, bei der tunesischen Regierung vorstellig zu werden.
In einem Schreiben an Botschafter Dr. Naupert vom 31. Dezember 1973, das ich Ihnen gern zur Einsicht überlasse, bedankte sie sich dafür, daß die Botschaft sie vor dem Schlimmsten bewahrt habe. Ihr Schreiben an den Botschafter schließt mit den Worten: Dafür danke ich Ihnen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709530300
Eine Zusatzfrage.

Hermann P. Reiser (SPD):
Rede ID: ID0709530400
Herr Staatssekretär, halten Sie es denn bei den besonderen politischen Verhältnissen des Landes für normal oder richtig, daß sich ein deutscher Botschafter und somit ein Kenner der jeweiligen Verhältnisse auf ein derartiges Geiselverfahren einläßt, wie es berichtet worden ist, in
dem eine Mutter aufgefordert wird, sich gegen ihre achtjährige Tochter austauschen zu lassen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709530500
Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie übersehen bei Ihrer Frage die Rechtssituation, in der sich eine Botschaft befindet. Es lag im wahlverstandenen interesse der Frau Heichert, daß die Botschaft so vorgegangen ist, wie sie es getan hat. Wäre anders vorgegangen worden, hätte Frau Heichert auf Grund der ihr zur Last gelegten Verfehlungen nach dem dort geltenden Recht mit einer vieljährigen Freiheitsstrafe rechnen müssen. Frau Heichert hat in einem Schreiben an den Botschafter dessen Verhaltensweise ausdrücklich lobend erwähnt. Daher vermag ich nicht einzusehen, wie sich der Widerspruch zwischen ihren späteren Äußerungen und den von ihr uns gegenüber schriftlich gemachten Äußerungen erklären kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709530600
Eine zweite Zusatzfrage.

Hermann P. Reiser (SPD):
Rede ID: ID0709530700
Herr Staatssekretär, warum wurde der Betroffene bei dieser Sachlage von dem der Botschaft angegliederten Goethe-Institut fristlos gekündigt, womit Frau Heichert praktisch, was Sie ja eigentlich bestreiten, zum Foltern freigegeben war, wie es der tunesische Leiter des Verhörs aber extra zugegeben hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709530800
Herr Abgeordneter, ich habe in meiner Antwort schon auf die Relativität der letzteren Behauptungen hingewiesen. Ich bitte Sie doch sehr, das zu beachten. Die Kündigung von Frau Heichert ist erfolgt, weil ihr die Verbindung zu einer regierungsfeindlichen Gruppe vorgeworfen wurde und diese Verbindung mit ihrer Tätigkeit an einem Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren ist. Das ist auch arbeitsrechtlich zweifellos nicht miteinander zu vereinbaren.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709530900
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0709531000
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß erst nach 16 Tagen Haft ein Botschaftsangehöriger die Betreffende besucht hat? Wenn ja: Sehen Sie darin nicht doch eine Verletzung der notwendigen Pflicht, deutschen Staatsangehörigen im Ausland Hilfe zu leisten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709531100
Herr Abgeordneter, ich muß die Chronik dieser Dinge noch einmal zur Hand nehmen, um feststellen zu können, ob die in der Frage aufgestellte Behauptung zutrifft. Aber eines kann ich Ihnen mit Entschiedenheit sagen: Wir haben den Fall nach allen Richtungen untersucht und dabei festgestellt, daß der Botschaft aus ihrem Verhalten keinerlei Vorwurf zu machen ist, daß aber Frau Heichert erst, nachdem sie in Deutschland war, der Botschaft mitgeteilt hat, daß sie die eigentlich



Parl. Staatssekretär Moersch
schwerwiegenden der gegen sie erhobenen Beschuldigungen dem Botschafter in Tunis selbst nicht zur Kenntnis gegeben hat. Sie werden mir zugeben, daß man kaum jemandem wirklich helfen kann, wenn er in einer solchen Lage die tatsächlichen Gründe seiner Verhaftung verschweigt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709531200
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Holtz.

Prof. Dr. Uwe Holtz (SPD):
Rede ID: ID0709531300
Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir doch noch eine Zusatzfrage. Hat die deutsche Botschaft ein vorgesehenes Interventionsgespräch mit dem tunesischen Ministerpräsidenten in dieser Affäre abgesagt? Falls ja: Welche Gründe hatte sie dafür?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709531400
Die Botschaft hat das Gespräch geführt, das ich Ihnen hier mitgeteilt habe. Dieses Gespräch war erfolgreich. Ich glaube, in solchen Fällen entscheidet der Erfolg.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709531500
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön!

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID0709531600
Sehen nicht auch Sie einen Widerspruch darin, daß Sie vorhin von einer unverzüglichen Hilfe der Botschaft gesprochen haben, nun aber auf die Zusatzfrage des Kollegen nicht angeben konnten, nach wieviel Tagen unmittelbarer Kontakt
) zu der inhaftierten Frau aufgenommen wurde?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0709531700
Nein, Herr Abgeordneter, ich sehe keinen Widerspruch. Ich werde gern nachprüfen, wieviel Tage es waren. Aber ich habe nachgeprüft, daß ohne schuldhaftes Zögern geholfen worden ist, und das heißt im Juristendeutsch „unverzüglich". Sie sind Jurist. Sie haben mir gegenüber insofern einen Vorzug. Aber soviel weiß ich noch.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709531800
Keine Zusatzfrage mehr. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die noch folgende Frage 131 sollte schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind damit auch am Ende der Fragestunden dieser Woche. Alle nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Die Fragen A 32, 33 und 38 sind von den Fragestellern zurückgezogen.
Meine Damen und Herren, ich bin gebeten worden mitzuteilen, daß auf Grund der Nr. 1 Abs. 2 der Richtlinien über die Aktuelle Stunde — Anlage 4 zu unserer Geschäftsordnung beantragt worden ist, morgen früh von 9 bis 10 Uhr eine Aktuelle Stunde abzuhalten. Ich bitte, dies in Ihre Dispositionen aufzunehmen.
Wir kehren nun zurück zur allgemeinen Aussprache zum Tagesordnungspunkt 2, zur zweiten Lesung über die eingebrachten Entwürfe zur Reform
des Strafrechts. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. de With.

(V o r s i tz : Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)


Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0709531900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne daß es mir zukommt, zum jetzigen Zeitpunkt eine Zwischenbilanz zu ziehen, darf man doch wohl sagen, daß die bisherige Debatte dem Thema angemessen — im Gegensatz zu dem, was sich in den letzten Tagen und Wochen oft in der Öffentlichkeit abgespielt hat —wohltuend sachlich verlaufen ist. Zwei Bemerkungen darf ich jedoch hierzu noch machen:
Erstens. Wenn Frau Neumeister sinngemäß meinte, daß die SPD die Fristenregelung als Wahlkampfthema eingebracht habe, so muß hierauf doch erwidert werden, daß es nach unserer Meinung Aufgabe der Parteien ist, Reformbewegungen, die sich noch dazu durch ganz Europa ziehen, aufzugreifen, um noch Schlimmeres zu verhindern.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0709532000
Einen Augenblick, Herr Kollege! Meine Damen und Herren, am Ende der Fragestunde werden die Unterhaltungen gelegentlich etwas stärker. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nähmen oder die Gespräche außerhalb des Hauses führten.

(Beifall.)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. de With.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0709532100
Wenn das Aufgreifen einer Reformbewegung auf Zustimmung in den betroffenen Bevölkerungskreisen, hier bei den Frauen, stößt, dann beweist das nur die Richtigkeit dieser Politik.
Zweitens. Wenn schon auf Auswüchse hingewiesen wird, die wir alle auch auf unserer Seite — verurteilen, dann darf nicht einseitig verfahren werden. Ich will hier nicht aufrechnen; aber was Vertretern der erweiterten Indikationenregelung und der Fristenregelung zum Teil zugemutet wurde — ich verweise auf das Zusenden von Föten bis zur ständig wiederholten Behauptung, wer für die Fristenregelung votiere, der wolle — der wolle! — den Mord an ungeborenen Kindern —, das hätte eigentlich in Ihrem Katalog der Verurteilungen — ich spreche Herrn Eyrich und Frau Neumeister an — nicht fehlen dürfen.
Unbedachte Emotionen, falsche Verdächtigungen und zur Vertiefung der ohnehin bestehenden Gräben geeignete Äußerungen helfen weder der Reform noch dem werdenden Leben noch dem Leid der Frauen und deren Familien, und ich sage: noch der Glaubwürdigkeit des demokratischen Staates. Nach der Reform müssen wir miteinander weiterleben. Wir müssen nicht nur miteinander weiterleben. Es gilt nach der Reform nach weiteren Möglichkeiten auf sozialpolitischem Gebiet zu suchen. Deswegen ist es gut, wenn hier im Bundestag die Meinungsverschiedenheiten auf die sachlichen Gegensätze



Dr. de With
zurückgeführt und dem Bürger die Alternativen offen dargelegt werden.
Dies sollte um so leichter fallen, als es zwischen allen Vorstellungen, zwischen allen vier im Bundestag vorliegenden Modellen, mehr Gemeinsamkeiten gibt, als den meisten wohl bewußt ist:
Alle erkennen den Wert der ergänzenden oder begleitenden Maßnahmen an, die nach unserer Auffassung ihrer Bedeutung nach gegenüber der Reform des Strafrechtsparagraphen das Wichtigere bringen. Denn Hauptquelle der Abtreibung ist die ungewollte Schwangerschaft. Es gilt deshalb zunächst, hier Maßnahmen zu ergreifen. Wir sind daher dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit ebenso wie dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung sehr dankbar für die insoweit bisher geleistete Arbeit.
Alle stimmen in dem Ziel überein, daß der Strafrechtsparagraph den Zweck haben muß, werdendes Leben zu schützen, d. h. die Zahl der kriminellen Abbrüche und dadurch auf die Dauer die Zahl der Abbrüche überhaupt zu senken. Wir Sozialdemokraten meinen freilich zusätzlich, es gehe auch darum, den Unterschied zwischen arm und reich aufzuheben und — das entspricht unserem Fraktionsvorschlag — der Schwangeren in ihrer Konfliktlage die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Entscheidung zugunsten des werdenden Lebens zu geben. Alle Entwürfe sichern die Gewissensfreiheit des Arztes und des Krankenhauspersonals, alle bringen ein Werbeverbot für Abtreibungen. Alle stellen sicher, daß es zu statistischen Erhebungen kommt, die den Gesetzgeber in den Stand setzen, auf Grund der Erfahrungen mehr zur Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen zu tun. Alle Modelle sehen eine umfassenden soziale und ärztliche Beratung vor. Alle Modelle sichern das Beratungsgeheimnis der Berater, und alle Modelle gewährleisten, daß der Eingriff in Krankenhäusern und solchen Einrichtungen vorgenommen wird, die eine Nachbehandlung ermöglichen. Ja, alle Entwürfe ziehen in den ersten 14 Tagen nach der Empfängnis die Strafbarkeit ersatzlos zurück, um „die Pille danach" zu ermöglichen. Das aber heißt, daß sich in allen Modellen eine Frist findet, in der werdendes Leben, wenn man so will, schutzlos ist, wenn man vom Zeitpunkt der Vereinigung von Samen und Ei ausgeht, wie die katholische Kirche es tut. Das aber heißt weiter da dem noch niemand im Deutschen Bundestag widersprochen hat —, daß dann, da es sich hier in jedem Modell gewissermaßen um eine Fristenregelung im Kleinen handelt, niemand im Bundestag wählbar wäre. Denn, wie gesagt, alle Modelle enthalten die Frist und in den ersten 14 Tagen die Rücknahme der Strafdrohung. Damit aber sollte dieser Vorwurf der Vorwurf nämlich, daß nicht wählbar sei, wer die Fristenregelung unterstütze — vom Tisch sein.
Noch eines in diesem Zusammenhang an die Adresse der katholischen Kirche und auch an einige Freunde aus der evangelischen Kirche: Niemand, vor allem niemand von der sozialdemokratischen Fraktion, will die gemeinsame Grundwerteposition verlassen. Herr Heck hat hier erläutert, warum in seinem im Grunde sehr geschlossenen Modell gleichwohl in den ersten 14 Tagen die Strafdrohung zurückgenommen wird, und dies mehr mit technischen Problemen erklärt. Ich meine, Herr Kollege Heck, damit gehen Sie doch an der Sache vorbei. Denn es ist nicht wegzuleugnen, daß auch in Ihrem Modell in den ersten 14 Tagen die Strafdrohung mit einer Befristung zurückgenommen wird.
Ein Weiteres zu Ihren Einwürfen in bezug auf den Satz in unserer Broschüre, wo es heißt, daß werdendes Leben grundsätzlich geborenem gleichzusetzen sei. Herr Heck, das ist selbstverständlich nur normativ, auf das Gesetz bezogen, gemeint, genauso wie Sie es auffassen; denn auch in Ihrem Modell wird dies so behandelt. Wäre es anders, dürften Sie die medizinische Indikation nicht unter die Rechtfertigungsgründe einreihen, sondern unter die Strafausschließungsgründe. Was das Biologisch-Existenzielle anlangt, sind wir selbstverständlich einer Meinung. Ich glaube, das dient der Klarstellung.
Ich möchte noch einmal die Grundposition der Fristenregelung erläutern: Die Strafe wird in den ersten drei Monaten keineswegs ersatzlos zurückgenommen. An die Stelle der Strafe tritt, wenn Sie so wollen, ein Beratungssystem. Die Schwangere nämlich, die in den ersten drei Monaten einen Abbruch will, kann dies erst tun, nachdem sie sich — ich zitiere wörtlich; das ist der Angelpunkt der Fristenregelung -
wegen der Frage des Abbruchs ihrer Schwangerschaft vorher an einen Arzt oder eine hierzu ermächtigte Beratungsstelle gewandt hat und dort über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder unterrichtet worden ist, insbesondere über solche Hilfen, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern, und 2. ärztlich beraten worden ist ...
Ich räume ein, daß wir von der ersten Lesung bis zur zweiten diesen Punkt nach langen Diskussionen verstärkt zum Ausdruck gebracht haben. Aber wer unterliegt nicht manch einem Lernprozeß? Wir sind denen, die uns hierauf hingewiesen haben, sehr dankbar.
Der Arzt, der ohne diese Unterrichtung und Beratung einen Eingriff vornimmt, wird bestraft. Die Frau, die den Eingriff von einem Nichtarzt vornehmen läßt, wird ebenfalls unter Strafe gestellt. Damit wird folgendes deutlich:
1. daß die Fortsetzung der Schwangerschaft gewollt ist und vornehmlich in diese Richtung beraten werden muß,
2. daß die Beratung nicht durch ein Formular oder einen bloßen Telefonanruf erledigt werden kann, denn das Wort „gewandt hat" bedeutet, daß die Frau ein Zwiegespräch Auge in Auge geführt haben muß, und
3. daß die Beratung nicht nur die Folgen des Eingriffs aufzeigen darf, sondern umfassend die ganze Lebenslage der Frau einbeziehen muß.



Dr. de With
Das heißt weiter, daß hier die bisherige bloß papierne Strafdrohung — wie wenig Wirkung sie gezeigt hat, wissen wir ja alle in diesem Haus --durch den für jede Frau gangbaren Weg zur Beratung ersetzt wird —, die eine Auseinandersetzung mit der Konfliktlage der Frau zugunsten des werdenden Lebens durch eine Begegnung mit einem verständigen Menschen ermöglicht. Dieses -- ich möchte es so nennen — Zu- und Eingehen auf die Probleme der Schwangeren wird ermöglicht durch die genannte strafrechtlich abgesicherte, freilich gegenüber dem ursprünglichen Entwurf, wie ich schon sagte, verbesserte Beratungsregelung. Mir scheint., daß dies und das, was wir als Ziel wollen, nämlich die Zahl der kriminellen Aborte und auf die Dauer die Zahl der Aborte überhaupt zu senken, bisher auch von kirchlicher Seite nicht genügend gewürdigt worden ist.
Nun wird eingewandt, warum denn keine Karenzzeit zwischen Beratung und Abbruch festgesetzt worden ist, um so der Frau die Umkehr zu erleichtern, und wieso eine Person, nämlich ein Arzt, gleichermaßen Unterrichtung und Beratung vorzunehmen und den Abbruch durchzuführen imstande sein kann. Einmal könnte eine feste Karenzzeit, also eine starre Regelung von vielleicht drei oder fünf Tagen, genau das Gegenteil von dem Gewollten bewirken, nämlich, daß die Schwangere sich überlegen wird, ob sie viermal den Weg kommt sie vom Lande, dann sogar in eine weiter entfernt liegende größere Stadt — machen soll, oder aber dort noch Hotelkosten für drei oder vier Tage auf sich zu nehmen hat. Es könnte deshalb der Fall sein, daß die Frau vom Lande dann lieber gleich zum Abtreiber geht.
Selbstredend gehe ich davon aus — das erlaubt unser Vorschlag ausdrücklich —, daß der Arzt je nach den Umständen des Falles eine entsprechende Karenzzeit vorsieht, um der Frau eine goldene Brükke zu bauen. Das Fehlen einer starren Karenzzeit soll damit lediglich mehr Flexibilität gewähren.
Die Schwangere muß nicht nur eine Person, den Arzt, aufsuchen; sie kann sich an zwei oder drei oder auch an mehrere Personen wenden. Ihr steht die Wahl frei, wo sie sich über soziale Hilfen unterrichten oder ärztlich beraten lassen will. Auch hier soll durch ein breit gefächertes Angebot der Frau die Möglichkeit zur Beratung weit offengehalten werden. Sie soll nicht in ein Prokrustesbett gezwängt werden; denn manch eine Frau könnte abgeschreckt werden, wird sie auf einen bestimmten Beraterweg gelenkt; manch eine könnte auch das Gefühl haben, daß sie, wenn hier zu bürokratisch vorgegangen würde, „weitergereicht" wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum wenden wir uns letztlich mit einem solchen Nachdruck an die Betroffene? Weil im Grunde allein stets sie es in der Hand hat, was mit dem werdenden Leben geschieht. Gegen die Schwangere ist nichts zu erreichen. Nur mit ihr, die wie kein anderer dem „in ihr" nahesteht, kann es ein „für das Kind" geben, was ihm wirkliche Fürsorge bringen wird. Da das innere „Für" Überzeugung voraussetzt, liegt es unserer Auffassung nach näher, es durch eine auf Gesprächen beruhende eigenverantwortliche Selbstentscheidung zu suchen, als es durch ein auf Grund einer Strafdrohung erhofftes Gehorchen erreichen zu wollen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nach dieser Grunddarlegung einige kurze Bemerkungen zu den anderen hier vorliegenden Modellen.
Der Gruppenantrag Heck bildet, wie ich schon ausführte, zugegebenermaßen im Grunde ein in sich geschlossenes Gedankenbild. Aber wird er -- und das ist doch immer die Frage --- den praktischen Gegebenheiten gemäß unseren gemeinsamen Zielen gerecht? Diese Frage kann nur mit Nein beantwortet werden, denn im Grunde kodifiziert diese Regelung den derzeit geltenden Rechtszustand lediglich, wenn man davon absieht, daß neben der Möglichkeit der „Pille danach" eine Absehensklausel eingebaut ist und die Bindungswirkung der notwendigen Gutachterstelle aufgehoben wurde. Die Kann-Bestimmung der Absehensklausel im Falle der Bedrängnis kann, meine ich, leicht durch § 153 StPO ersetzt werden und bietet kaum mehr als diese Möglichkeit. Und das Fallenlassen der Bindungswirkung der Gutachterstelle wird mehr als aufgewogen durch eine, wie ich meine, über die Maßen bürokratisierte Berater- und Gutachterstelle.
Zum Beleg dafür nur ein Beispiel. Es heißt bei Ihnen im Modell:
Zuständig für die Beratung nach Abs. 1 Nr. 2 ist die Gutachterstelle, in deren Bezirk die Schwangere zur Zeit des Antrages auf Begutachtung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Die Frage erhebt sich doch hier, ob clie Frau diese vorgeschriebene Gutachterstelle tatsächlich annimmt.
Der Entwurf der Opposition bringt demgegenüber — d. h. gegenüber dem Gruppenantrag Heck -
zwar als weitere Indikation die der aufgezwungenen Schwangerschaft mit der Zeitbegrenzung auf zwölf Wochen -- übrigens auch wieder eine Frist - und dazu, in der medizinischen Indikation versteckt, die kindliche Indikation, und dies -- darauf sollte hingewiesen werden — ohne eine Zeitbegrenzung, ja sogar mit einer positiven Regelvermutung.
Für die weitaus meisten kritischen Fälle aber - -das ist das Wichtige in der Kritik an dem Oppositionsmodell ebenso wie an dem Heck-Modell —sieht dieser Entwurf keine Regelung vor: nämlich für all die Konfliktfälle, die nicht unter die medizinische bzw. unter die kindliche oder unter die kriminelle Indikation zu subsumieren sind, und die Zahl dieser Fälle all der Frauen, die sich in einer Notsituation befinden — ist die bei weitern größte.
Einem Recht, das zwischen 70 000 und 300 000 kriminelle Abbrüche pro .Jahr und beinahe 100 an einem verbotenen Eingriff verschiedene Frauen hinnimmt, muß, meine ich, mit anderen Methoden als mit bloß derart erweiterten Indikationenmodellen begegnet werden.
Demgegenüber bringt -- und das soll festgehalten werden, auch von einem Vertreter der Fristenregelung — der Gruppenantrag Müller-Emmert unbe-



Dr. de With
streitbare Vorteile. Durch die vierte Indikation, die sogenannte Notstandsindikation, eröffnet er für die häufigsten Fälle — denen sich ja, wie geschildert, die Anträge der Union verschließen — die Möglichkeit zur Konfliktregelung zugunsten des werdenden Lebens wie keiner jener vorherigen Anträge. Allerdings bleibt zu bedenken, daß die durchgängige Straflosigkeit der Frau einem Mißbrauch Tür und Tor öffnen kann, insonderheit wenn man bedenkt, daß hier ja der Eingriff bis zum neunten Monat möglich ist. Des weiteren gewährt dieses Modell der Reichen die Möglichkeit, nach London zu reisen, ohne daß sie sich strafbar machte.
Wenn gegen das Fristenmodell vorgetragen wird, mit Rücknahme der Strafdrohung — es handelt sich, wie ich schon ausführte, nicht um eine ersatzlose Rücknahme gerate, wie man sich ausdrückt, der Wert des Lebens „ins Rutschen", so darf hier zurückgefragt werden, ob denn nicht dieser Wert trotz der derzeit durchgängigen Strafdrohung schon eigentlich seit Bestehen dieser Vorschrift „ins Rutschen" geraten ist und ob nicht noch dazu die Glaubwürdigkeit staatlicher Gesetze berührt wurde. Rücknahme der Strafdrohung zugunsten eines Beratungssystems bedeutet nicht weniger, sondern mehr Schutz. Man kann deshalb auch nicht von einer „Freigabe" der Abtreibung in den ersten drei Monaten reden.
Damit erledigt sich übrigens auch der Hinweis, wie man denn von einem Tag auf den anderen nach dem Ablauf von drei Monaten einen Strafschutz bringen könne. Bei der Fristenregelung wird das werdende Leben dauernd geschützt, nur mit unterschiedlichen Mitteln, zunächst mit einem Beratungssystem und dann nach Ablauf von drei Monaten mit einer Strafdrohung, von der wir glauben, daß sie erst dann „greift", angenommen und akzeptiert wird.
Es wird weiter das böse Wort eingewandt, daß die Fristenregelung — es ist in diesem Hause bisher von keinem vorgetragen worden, ich sage das nach draußen — den Weg zur Euthanasie ebne. Genau das Gegenteil ist der Fall. Eine in dem gemeinten Sinn verstandene Euthanasie erscheint nur regelbar — ich sage nicht, daß es in diesem Raume jemand will — nach Indikationen, aber nie nach einem Fristenmodell. Und noch einmal: die Fristenregelung will ja gerade das werdende Leben und damit das Leben besser schützen als bisher.
Nachdem auch Kardinal Döpfner in seiner Bundespressekonferenz behauptet hat, die Erfahrungen in anderen Ländern zeigten -- und das deckt sich mit einer Äußerung der Frau Kollegin Neumeister , daß eine Liberalisierung, insonderheit das Einbringen der Fristenregelung, ein Ansteigen der Zahl der Aborte bringe, so muß ich dem entgegenhalten, daß dies z. B. mit dem Material aus England, das wohl mit uns vergleichbar ist, keineswegs bewiesen werden kann. Im Gegenteil, dort ist bei gleichbleibender Zahl gebärfähiger Frauen durch die Liberalisierung keineswegs die Geburtenrate verändert worden. In Japan müssen wir verzeichnen, daß trotz praktischer Freigabe seit 1961 die Geburtenrate ständig und stetig zunimmt.
Durch die Erfahrungen in Großbritannien, in den USA und in Japan muß ferner der Vorwurf als widerlegt angesehen werden, daß eine weitgehende Liberalisierung einen Ersatz schwangerschaftsverhütender Maßnahmen durch die Benutzung der Möglichkeit von Abbrüchen bringe. Denn in diesen drei genannten Ländern hat es sich nach den uns vorliegenden Statistiken eindeutig erwiesen, daß genau das Gegenteil der Fall ist. Es nimmt die Zahl der Frauen zu, die sich schwangerschaftsregelnder Maßnahmen bedienen. Wenn es dann noch eines Belegs bedürfte, darf darauf verwiesen werden, daß in den genannten Ländern seit der Einführung der Liberalisierung ständig die Zahl der Frauen abnimmt, die mehrfach Aborte an sich vornehmen ließen. Ich kann es deswegen keineswegs verstehen, wieso Frau Neumeister das Wort von der Zügellosigkeit der Frauen in den Mund nehmen kann, wenn eine Liberalisierung erfolgt ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ein letztes zu den Argumenten, die gegenüber der Fristenregelung vorgetragen werden. Heute früh hat Kollege Eyrich den Vorsitzenden der SPD-Fraktion gefragt, was es denn bedeute, wenn dieser äußere, die Frauen könnten sich auf die SPD verlassen, nämlich in dem Fall, daß die Frau von dem zum Abbruch bedrängt werde, der sie geschwängert habe. Nun, hier kann ich klar und eindeutig folgendes antworten: Nur bei der Fristenregelung ist es für die Schwangere leicht, den, der sie bedrängt, mit zum Berater zu nehmen und diesen als Anwalt für das werdende Leben gegenüber dem, der sie bedrängt, zu verwenden; denn zum Berater kann sie bei Geltung des Fristenregelungsgesetzes leichter gehen, weil über dem Gang zur Beratung nicht das Damoklesschwert schwebt, vorgehalten zu bekommen: ihr beide wollt ja eine kriminelle Handlung. Bei jeder Indikationenregelung dagegen muß sich die Frau fürchten, den Mann mitzubringen, weil sie damit offenkundig machen würde, daß dieser sie zu einer Abtreibung anstiften will. Das ist die Antwort auf Ihre Frage zu diesem Punkt, Herr Eyrich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich aber noch darlegen, wo meiner Auffassung nach die Vorteile der Fristenregelung gegenüber jedweder Indikationenregelung liegen:
Erstens. Der Gang zur Beratung ist wie bei keinem Modell offen, denn niemals schwebt, ich sagte es schon, über dem Weg zur Beratung das Gefühl: „Du wirst abgewiesen werden, weil keine der erlaubten Indikationen vorliegt", oder daß man sagt: „Was du willst, macht dich strafbar". Außerdem läßt die Dreimonatsregelung der Frau genügend Zeit, in Ruhe abzuwägen: Sie wird in keine unbedachte Spontanhandlung getrieben, nämlich in eine solche zum Nachteil des werdenden Lebens.
Zweitens. Niemand kann daran vorbeigehen: das Fristenmodell ist einfach und klar. Es wird und kann beim Fristenmodell keine unterschiedliche Rechtsprechung geben, wann denn nun eine bestimmte Indikation vorliegt und wann nicht. Es wird keinen Gegensatz in der Beurteilung zwischen Nord und Süd und Ost und West geben. Auch die einfa-



Dr. de With
che Frau kann ohne Furcht und ohne Ducken zur Beratung gehen.
Drittens. Unserer Auffassung nach hat schließlich in unserer Zeit eher ein Gesetz die Chance, angenommen zu werden, das der Frau, wenn auch in begrenztem Raum, die Möglichkeit der freien eigenverantwortlichen Entscheidung gewährt, als ein Gesetz, das sie, wenn auch indirekt, zum Objekt einer fremden Entscheidung macht. Woher nimmt man denn eigentlich die Vermutung, daß die Frauen die ihnen gegebene Verantwortung mißbrauchen werden? Wir halten ein solches Mißtrauen unseren Frauen gegenüber für einfach ungerechtfertigt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dem, der einwendet: also doch Emanzipation ohne Rücksicht auf die Notwendigkeit eines Anwalts für das werdende Leben, sei entgegengehalten: Wer kann denn eigentlich ein besserer Anwalt für das werdende Leben sein, als die mit dem Kind am engsten verbundene Mutter und die, die als solche das Kind bejaht? Weder das Gleichberechtigungsgesetz noch die Reform des Unehelichenrechts haben das Verhältnis der Frau zu ihrem Kind geschwächt, im Gegenteil, zumindest in bezug auf die letzte Reform, gestärkt. Warum sollte die Frau —ich sage es noch einmal — ein schlechterer Anwalt sein gegenüber ihrem Kind, gegenüber dem, was in ihr wächst, als — ich sage auch dies — ihr Mann oder gar ein Dritter oder gar eine behördliche Institution?! Es geht darum, der Frau die ihr von Natur gegebene Verantwortlichkeit aktivieren zu helfen und auch rechtlich zuzugestehen zugunsten des werdenden Lebens.
Wir meinen, daß dazu am ehesten die Fristenregelung die Handhabe leistet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0709532200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Spranger.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0709532300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verlauf der bisherigen Debatte hat gezeigt, daß die Diskussion um den § 218 Grundlagen und Grundfragen der Weltanschauung, der menschlichen Existenz, unserer abendländischen Rechts- und Gemeinschaftsordnung erfaßt. Sie hat auch deutlich gemacht, wie groß die Unterschiede hinsichtlich dieser Grundlagen in diesem Hause bereits sind. Die Wertordnung eines Herrn von Schoeler kann nicht mehr die Wertordnung der CDU/CSU sein!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Den übrigen Sprechern für die Fristenlösung heute möchte ich eingangs eine Feststellung entgegenhalten. Wenn die Diskussion um den § 218 ein Gradmesser für die geistige Freiheit, für die Achtung des menschlichen Lebens und für den Stand der Kultur in diesem Lande ist, dann muß frei von Emotionen und Scheinargumenten eine klare, stichhaltige, rational begründbare Antwort auf die Frage gefunden werden: Kann und darf der Staat aus verfassungsrechtlichen, aus rechtspolitischen, sozialen und humanen Gründen auf den grundsätzlichen und zeitlich umfassenden strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens verzichten? In dieser Frage, meine Damen und Herren, steckt aber auch das Urteil über die Fristenlösung. Wenn Herr de With die Gemeinsamkeit aller Entwürfe hier betont hat, so muß ich allerdings sagen: Gerade in dieser Frage steckt auch der fundamentale Unterschied zwischen den Entwürfen.
Anders als beispielsweise in Amerika — und insofern ist der Bezugspunkt von Herrn Professor Maihofer falsch; denn dort herrschen ganz andere verfassungsrechtliche Bestimmungen — spricht unsere Verfassung auch dem ungeborenen Leben Recht auf Leben und Menschenwürde zu.

(Abg. Stücklen: Sehr richtig!)

Das verpflichtet die Staatsgewalt, alles zu unterlassen, was diese Rechte verletzen könnte. Sie muß außerdem diese Rechte durch eine geeignete Gesetzgebung auch gegenüber einer möglichen Verletzung durch private Dritte schützen, weil die Verfassung eine objektive allgemeinverbindliche Wertordnung enthält.
Zwar bedarf — und darüber sind wir uns alle einig nicht jede Verletzung sittlicher Normen strafrechtlicher Verfolgung. Aber immer ist die Grenze, an der der Staat seine Toleranz aufgeben muß, dort erreicht, wo die Rechte anderer und das Allgemeinwohl verletzt werden. Wenn wir dem Strafrecht eine Schutzfunktion zubilligen wollen und ich glaube, niemand in diesem Hause wird dies vernünftigerweise bestreiten —, dann ist es um so zwingender, einzusetzen, je höherwertig das Rechtsgut ist. Mit der Strafbarkeit bewertet der Staat ja nicht nur nach außen hin den tatsächlichen Rang eines Rechtsguts; er beschränkt auch den Bürger in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit. Die Fristenlösung entzieht dem ungeborenen Leben in den ersten drei Monaten den Schutz dieses Strafrechts und mißt damit im Ergebnis diesem Rechtsgut einen noch geringeren Schutzwert zu als den Eigentumsrechten an einer Tafel Schokolade oder den Vermögensinteressen eines Opfers eines Zechprellers.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Mir scheint dies ein unglaubliches Ergebnis angesichts der Tatsache zu sein, daß unter allen Rechten das Lebensrecht die zentralste und bedeutsamste Stellung einnimmt. Die zeitweise völlige Aufhebung des strafrechtlichen Schutzes läßt fragen, ob hier nicht der Wesensgehalt des Grundrechtes auf Leben angestastet wird, was absolut unzulässig wäre,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

kann doch das Lebensrecht nur eingeschränkt werden, wenn höherwertige Rechtsgüter wie die Gesundheit der Mutter, ihr Leben und ihre Persönlichkeit in Frage stehen. Dieses unantastbare Prinzip der Rechtsgüterabwägung im .Einzelfall in unseren Entwürfen, mit denen wir den Frauen in ihrer Not, in ihren Konflikten helfen wollen, ist menschlich, weil es den Menschen in seiner Individualität ernst nimmt, und es ist menschlicher als die sterile Automatik und die totale Parteilichkeit einer großen



Spranger
Generalerlaubnis zur Abtreibung, genannt Fristenlösung.
Daß wir dem Staat diese Rechtsgüterabwägung zumuten, zeigt, wie ernst wir es mit dem Schutz der Frauen und der Hilfe der Frauen in ihrer Not meinen. Man sollte deswegen, wie es oft geschieht, nicht die Not allein in den Dienst der Argumentation für die Fristenlösung stellen, wie es insbesondere heute morgen Herr von Schoeler getan hat. Herr von Schoeler, das von Ihnen heute früh genannte Beispiel wäre kein Problem für uns gewesen; auch das wäre von uns im gleichen Sinne der Straflosigkeit der Frau gelöst worden, wie Sie erkennen werden, wenn Sie unsere Entwürfe genau betrachten.

(Abg. von Schoeler: Woraus ergibt sich denn das?)

Vergessen wir doch nicht, daß aus der Reaktion auf die von schamloser Menschenverachtung geprägte nationalsozialistische Diktatur die absolute Achtung vor dem menschlichen Leben zu der fundamentalen Aufgabe dieses Staates wurde. Diese Achtung steht auch ich möchte sagen: vor allem — den Schwachen und den Minderheiten, also dem ungeborenen Leben in diesem Staate zu. Erst im Respekt vor diesen Minderheiten, vor diesen Ungeborenen, die für ihre Rechte nicht eintreten können, die der Herrschaft des Staates und der Lebenden absolut und wehrlos ausgesetzt sind, findet die Herrschaft der Mehrheit als demokratisches Prinzip seine ethische und humane Legitimation. Deshalb setzen sich gerade jene Befürworter der Fristenlösung nach meiner Auffassung ins moralische Zwielicht, denen sonst die Forderung nach allseitiger Demokratisierung, Mitbestimmung, Abbau von Abhängigkeit und Fremdbestimmung so leicht von den Lippen geht. Dieser Widerspruch führt zum Verlust der Glaubwürdigkeit sowohl im gesellschaftspolitischen als auch im strafrechtlichen Bereich.
Zu Recht hält sich der Staat, meine Damen und Herren, aus Humanitätsgründen zu keinem Zeitpunkt für befugt, über das Leben eines schuldig gewordenen Schwerverbrechers zu verfügen. Um so weniger darf der Staat dem unschuldigen Embryo seinen Schutz während eines bestimmten Zeitraumes vorenthalten. Was einerseits inhuman ist, kann beim werdenden Leben nicht plötzlich human sein.

(Abg. von Hassel: Sehr wahr!)

Herr de With hat gegen den umfassenden strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens erneut vorgebracht, daß hohe Dunkelziffern, geringwertige Verurteilungen und geringfügige Strafen die Unwirksamkeit des jetzigen § 218 beweisen würden. Meine Damen und Herren, es bestreitet doch niemand, daß § 218 verbesserungsfähig und verbesserungsbedürftig ist, auch wenn Pille, intensive Aufklärung und Wohlstand diesen Paragraphen längst von seinen dramatischsten Härten befreit haben. Aber das heißt doch nun nicht, daß man gleich ins andere Extrem fallen und ihn abschaffen müßte für einen bestimmten, und zwar den wichtigsten Zeitraum. Mit den zum Teil gezielt aufgebauschten, weitgehend unbekannten Dunkelziffern -- Herr von Schoeler hat heute vormittag wieder die nie bewiesene Zahl 300000 genannt — für die Fristenlösung zu plädieren hieße nach meiner Auffassung, die Rolle der Feuerwehr zu übernehmen, die den selbst gelegten Brand mit Benzin bekämpft, und bedeutet in Konsequenz, Herr von Schoeler, auch für die Abschaffung der Straßenverkehrsordnung und der §§ 242 und 263 des Strafgesetzbuches sein zu müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn auch diese Bestimmungen verhindern nicht, daß jährlich Tausende auf unseren Straßen sterben, Herr von Schoeler, und daß Tausende von Diebstählen und Betrügereien nicht aufgeklärt werden. Ich frage mich, warum diese Einsicht nicht auch für die Abtreibung gelten sollte.
Herr von Schoeler hat außerdem behauptet, die Fristenlösung verstärke den Schutz des ungeborenen Lebens. Ich glaube, hier wird der Boden der Realität wirklich verlassen. Hier werden die gegenteiligen Erfahrungen in vielen anderen Ländern mißachtet. Sie waren mit uns, mit dem Strafrechtsausschuß, unterwegs, Sie haben es erfahren können. Dort sagten Ihnen die Sachverständigen, daß die illegalen Abtreibungen nicht verschwunden sind. Nach wie vor werden die Frauen fürchten, daß die Diskretion in den Krankenhäusern nicht gewahrt wird, und sie werden den illegalen Weg wählen, weil sie die Abtreibung als moralisches Unrecht dem ungeborenen Leben gegenüber empfinden.
Zum anderen wird eine mögliche Abnahme der illegalen Abtreibungen mehr als kompensiert durch die Vervielfachung der Zahl der legalen Abtreibungen. Man muß doch folgende Zahlen des BundesJustizministeriums zur Kenntnis nehmen: Es stiegen, in abgerundeten Zahlen, die legalen Abtreibungen jeweils nach einer Liberalisierung zum Beispiel in England von 27 000 im Jahr 1967 auf 156 000 im Jahr 1972, in Finnland von 8 000 im Jahr 1969 auf bereits 20 000 im Jahr 1972, in Californien von 7 000 im Jahr 1968 auf 113 000 im Jahr 1971, in Jugoslawien von 54 000 im Jahr 1959 bei sozialmedizinischer Indikation auf 245 000 im Jahr 1968 bei weitgefaßter sozialer Indikation. So läßt es sich fortsetzen über Norwegen und Ungarn. Aber besonders Rumänien sei hier erwähnt, das den Schwangerschaftsabbruch 1965 beschränken mußte, weil nach der Freigabe der Abtreibung im Jahr 1957 die Zahl der Abtreibungen von 112 000 im Jahr 1958 auf 1 115 000 im Jahr 1965 stieg.
Meine Damen und Herren, die Zahl dieser Abtreibungen hat gar nichts mit der Zahl der Geburten zu tun; da besteht keine logische Verbindung, wie sie Herr de With hier aufgezeichnet hat. Aber diese Abtreibungsexplosionen beweisen, welch hohen Wert der umfassende strafrechtliche Schutz für ungeborenes Leben hat. Der Schutzwert des § 218 beweist sich nicht an der heutigen Zahl der illegalen Abtreibungen, sondern an der zu erwartenden Zahl der künftigen Abtreibungen, und diese Zahl wird mit absoluter Sicherheit unerträglich hoch sein. Ich frage mich, wie die Befürworter der Fristenlösung mit dieser Verantwortung fertig werden wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Spranger
Solange die Befürworter einer Fristenlösung nicht nachweisen können, daß sie bessere Schutzmöglichkeiten als den Erlaß von Strafnormen zur Verfügung haben, solange sie sich über solche Zahlen hinwegsetzen, solange die viel wichtigeren, vorrangigeren, entscheidenderen sogenannten flankierenden Maßnahmen ausbleiben, solange sind wir nach meiner Überzeugung zum Schutz des ungeborenen Lebens verpflichtet, eine zeitlich umfassende Strafbarkeit der Abtreibung aufrechtzuerhalten und eine Fristenlösung abzulehnen.

(Beifall bei. der CDU/CSU.)

Herr Dr. Eyrich hat schon die Formung des sozialethischen Urteils der Bürger durch unser Strafrecht angeschnitten. Ich möchte nur eine Frage in den Raum stellen, und die lautet: Was sollte unsere Bürger bei einer Fristenlösung noch an der Auffassung hindern, daß für den vierten, fünften, ja, sechsten Monat schlecht verboten sein könne, was für den dritten erlaubt sei, zumal für die Zäsur des Lebensrechts des Ungeborenen nach dem dritten Monat kein einziger einleuchtender wissenschaftlicher Grund vorhanden ist. Was straffrei ist, ist auch erlaubt; was staatlich erlaubt ist, kann nicht schlecht sein; also ist es, wenn nicht gar gut, so doch zumindest richtig. So wird die Meinungsbildung verlaufen. Das gilt es zu verhindern, weil sie einfach falsch ist und weil sie vor allem gefährlich ist. Sie wäre nicht nur ein Schritt auf dem Weg, unsere Rechtsordnung ethisch und moralisch zu neutralisieren. Sie würde im Rechtsbewußtsein unseres Volkes Dämme einreißen — und die begonnene Diskussion zeigt das doch, Herr de With ---, weil sie Euthanasie wieder denkbar macht. Ein so untergrabenes Rechtsbewußtsein schwächt unmittelbar das Lebensrecht anderer Minderheiten in diesem Staate.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Herr Professor Maihofer heute vormittag von einer gemeinsamen Wertüberzeugung in diesem Lande gesprochen und gesagt hat, man wolle sich dem Wertkonflikt stellen, so muß man dem entgegenhalten: Die Wertordnung, die heute noch in diesem Lande dominiert, spüren Sie doch am Widerstand gegen die Fristenlösung. Diesen Widerstand werden Sie mit dieser Fristenlösung brechen und den Wertkonflikt dadurch beenden, indem Sie den absoluten Vorrang der Rechte der Mutter statuieren. Das ist die Lösung des Problemes, die aber von unserer Wertauffassung nicht getragen werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf eine Behauptung, auch von Herrn von Schoeler, eingehen. Herr von Schoeler 'hat wiederum den Kurpfuscher als Alibi für die Fristenlösung angeführt. Herr von Schoeler, dieser Kurpfuscher ist nach Auffassung des von Herrn de With in erster Lesung zitierten Direktors der Universitätsfrauenklinik Göttingen, Herrn Professor Kirchhoff, in einem Aufsatz in der „Medizinischen Klinik" 1973 so zu bewerten: Die einstigen Engelmacherinnen oder Laienabtreiber, die mit verbrecherischen Manipulationen die Abtreibung vornehmen, sind bis auf ganz geringe Ausnahmen ausgestorben. Die illegale Abtreibung, deren Dunkelziffer niemand weiß, die auch niemals aufgeklärt werden kann, wird heute vom Fachmann durchgeführt. Diese Tatsache ist allgemein bekannt und kann nicht geleugnet werden, auch wenn sie kein Ruhmesblatt für unsere Ärzte darstellt.

(Abg. von Schoeler: Das habe ich doch gesagt!)

Ich meine nicht, daß unter dem Begriff Kurpfuscher der fachlich ausgebildete Mediziner zu verstehen ist. Auch das haben Sie mit dieser emotinellen Argumentation sicherlich nicht zum Ausdruck bringen wollen, Herr von Schoeler.
Lassen Sie mich abschließend eingehen auf die Indikationsregelungen der CDU/CSU, denen immer vorgeworfen wird, sie trügen den Geboten der Rechtssicherheit und Rechstklarheit nicht genügend Rechnung. Ich bin der Meinung, sie tragen dem wesentlich besser Rechnung als die Fristenlösung. Sie sind undogmatische, situationsoffene Gesetzentwürfe, die unter Berücksichtigung humaner und sozialer Grundgebote die Bedürfnisse der Mutter und den Lebensanspruch des Kindes in Einklang bringen. Die Gefahr unterschiedlicher Interpretationen ist bei den Entwürfen der Union gering und nicht größer als bei anderen Gesetzen auch.
Mir sind diese Indikationsentwürfe jedenfalls um ein Vielfaches lieber als die scheinbar so liberale Fristenlösung, die sich elegant hinwegsetzt über das Gebot, Freiheit und Recht des anderen zu achten und in jeder Situation die Bedürftigkeit des Mitmenschen auch in Gestalt des extrem schutzbedürftigen, eben entstehenden Mitmenschen zu berücksichtigen. Sie sind mir lieber als diese starre, dogmatische, radikale Fristenformel, die pauschal, ohne Berücksichtigung wechselnder Situationen, eine moralisch weder begründete noch beschränkte Erlaubnis erteilt, auch ohne humane und soziale Rechtfertigung ungeborenes Leben zu töten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

So belastet nicht nur die Unbestimmbarkeit der Abtreibungsgründe die Glaubwürdigkeit der Fristenlösung, weil es bei ihr auch mutwillige und durch nichts zu rechtfertigende Abtreibungen geben wird. Das hat einfach nichts zu tun, Herr de With, mit einem unbegründeten Mißtrauen den Frauen gegenüber. Sie sind doch selbst Richter gewesen; Sie müssen doch die Realitäten kennen. Die sind nun einmal so, daß es so etwas geben kann. Mit diesen Realitäten müssen wir eben rechnen und fertig werden.

(Zuruf des Abg. Dr. de With.)

Auch die Unbestimmbarkeit der Fristen macht sie theoretisch und praktisch unbrauchbar. Wie will man begründen, daß der Schwangerschaftsabbruch bis zum 90. Tag ein legaler ärztlicher Eingriff ist, am 91., 93. oder 95. Tag soll aber derselbe Eingriff mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft wer-
den?

(Abg. Stücklen: Sehr richtig!)

Wer bei der Unsicherheit der Feststellung eines Schwangerschaftsabbruches ab dem 93. Tag ent-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974 6389
Spranger
sprechend dem Gesetz bestraft, bestrafen müßte, während er bei einer Abtreibung bis zum 90. Tag Straffreiheit erteilen könnte, der braucht nicht die Qualitäten eines Sachverständigen oder Richters, sondern die eines Hellsehers.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Kein Mensch vermag den prinzipiellen Unterschied zwischen der Tötung eines Embryos von 93 oder eines von 90 Tagen zu definieren. Warum soll eigentlich innerhalb von Stunden aus einem legalen ein verbrecherischer Eingriff werden? So schnell können sich doch nicht der Wert und die Qualität des Rechtsgutes ungeborenes Leben ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die medizinische Unmöglichkeit einer exakten Fristendefinition und die Gefahr, die Fristen um Wochen und Monate zu überziehen, sind zwischenzeitlich ohnehin allgemein bekannt.
Meine Damen und Herren, es gäbe sicherlich noch vieles vorzutragen, was gegen die Entwürfe der FDP, SPD und die der Union spräche. Dieses wird sicherlich im Verlauf der Debatte noch geschehen.
lch bin überzeugt, die Bürger in diesem Lande werden unsere Argumente verstehen, wie die letzten Meinungsumfragen beweisen, wonach 63 Prozent der Frauen und 61 Prozent der Männer nicht für die Fristenlösung eintreten.
Meine Damen und Herren, auch wenn die Mittel und die Argumente in ihrer Form vielleicht nicht immer die richtigen waren, so muß an dieser Stelle doch eines gesagt werden, nachdem hier verschiedene Vertreter der SPD und FDP jene im Lande kritisiert haben, die sich gegen die Fristenlösung engagierten: Des Zieles wegen und der Ehrlichkeit der Haltung wegen, die hinter diesem Engagement steckt, möchte ich an dieser Stelle jenen im Lande danken, die sich gegen die Fristenlösung ausgesprochen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gegen die Fristenlösung sprechen unwiderlegbare, zwingende Argumente und Bedenken. Sie sprechen ein vernichtendes Urteil. Sie ist ungerecht und unsozial. Die Fristenlösung ist nach meiner Auffassung eine als Reform getarnte Revolution unserer Wertordnung in diesem Staate mit unabsehbaren Folgen. Niemand kann Schadenfreude empfinden, weil die Fristenlösung endgültig und total das Wort „Reform" in hoffnungslosen Mißkredit gebracht hat. Sie ist die Kapitulation des Rechtsstaates, wie heute schon unter Berufung auf ein Zitat eines sozialdemokratischen Abgeordneten betont wurde.
Meine Damen und Herren, jeder in diesem Lande kann nur inständig hoffen, daß sie unserem Volke erspart bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0709532400
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709532500
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Niemand von uns kommt heute aus diesem Raum ohne Schuld, nicht die, die das Wagnis auf sich nehmen, nach Jahrtausenden der Strafandrohung gegenüber den Frauen diese zurückzunehmen und durch bessere Methoden zu ersetzen, nicht die unter uns, meine Damen und Herren, die meinen, bei der Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs sich allein in juristischen Kategorien bewegen zu müssen, aber auch nicht diejenigen unter uns, die meinen, wenn sie alles mehr oder weniger beim jetzigen Zustand beließen, wäre alles mehr oder weniger in Ordnung. Denn sie müssen auf ihr Gewissen nehmen, was Stunde um Stunde, Minute um Minute bei uns unter nicht hinreichend bekannten Umständen an Not, an Bedrängnis, an Unberatenheit, an Verzweiflung, an Drängen durch den Partner -- als wäre das eine Sache, die morgen erst anfinge! — und auch an Nötigung gegenüber Ärzten, die einmal zur Hilfe bereit waren, geschieht. Meine Herren und Damen, wir haben das alles auf dem Gewissen. Niemand von uns kann von einer Lösung sprechen, die keinen Rest läßt. Ich meine, dies unter uns zu wissen und auszusprechen wäre wichtig. Das würde vielleicht verhindern, Herr Kollege Spranger, mit solcher Selbstverständlichkeit von unverantwortlichem Urteilen zu sprechen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn wir uns untereinander und wenn uns die Kirchen zugerufen haben, wir sollten nach dem Gewissen jedes einzelnen entscheiden, meine Herren und Damen, dann kann es über dieses Gewissen unter der Wirkung unseres Grundgesetzes und der dort fixierten Gewissensfreiheit keine Beurteilung und keine Verurteilung des Gewissens anderer Leute geben. Das Gewissen kann weder hier drinnen noch von draußen befohlen werden, und es darf das Gewissen von draußen her nicht unter Drohung gestellt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es kann auch unter uns, drinnen oder draußen, keine Aufkündigung der Solidarität deswegen geben, weil wir verschiedener Meinung sind.
Die Meinungen, die uns hier über den Weg
nicht über die Sache trennen, trennen auch unser Volk. Die vielen, vielen Briefe, die wir alle hinüber und herüber bekommen haben, machen deutlich, was an unterschiedlichsten Beweggründen und Beratungen vorhanden ist, und was uns in diesem unendlich schwierigen Feld der vielfältigen Verstrickungen alles zu bedenken aufgegeben ist. Sie machen deutlich, wie der einzelne je nach dem Stand seines Wissens --- „Gewissen" hat auch etwas mit „Wissen" zu tun --, seiner Erfahrung, seiner unmittelbaren Erlebnisse und dessen, was er von anderen hört und in welcher Not er den anderen sieht, dazu steht. Dies alles müssen wir nun einmal miteinander tragen und dürfen uns nicht gegenseitig verdächtigen oder abqualifizieren. Das verträgt keine Emotionen und keine Diffamierung, und es verträgt drinnen und draußen keine Abqualifizierung des Gewissens des einzelnen.



Frau Funcke
Gemeinsam ist uns allen — dies gilt es festzuhalten —, daß wir den Schwangerschaftsabbruch als eine Schuld empfinden, die 'jedoch nicht die Frauen allein tragen müssen und für die die Frauen nicht allein verantwortlich sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Herren und Damen, diese Gesellschaft hat mitzutragen. Wo sich in unserer Welt noch genügend Menschen über die Nachbarn mit Kindern beklagen, da ist in der Gesellschaft etwas nicht in Ordnung und nicht allein bei der Frau, die nicht mehr weiß, wie sie weiterkommen soll.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU.)

— Doch, das gehört schon dazu.
Hier geht es doch nicht darum, daß irgend jemand den Schwangerschaftsabbruch erleichtern oder gar ethisch rechtfertigen will. Im Gegenteil, hier geht es nur darum, einen Weg zu finden, wie man dem Menschen, der da in Konflikt ist, und zugleich dem werdenden Leben auf die bestmögliche Weise hilft. Da gilt es nicht, den einen vor den anderen zu setzen. Herr Kollege Maihofer hat das heute schon ausgeführt. In dieser Grenzsituation des Lebens, in die sich offenbar viele von uns nicht voll hineindenken können, in dieser Grenzsituation von zwei Leben, die miteinander schicksalhaft verbunden sind, gibt es eben nicht die normalen Kategorien, meine Herren und Damen. Dies sollten wir doch sehen und in aller Selbstbescheidung anerkennen. Da ist es eben doch etwas anders als bei Diebstahl oder bei Schlägereien. Vielleicht verzichten wir deshalb besser auf solche Vergleiche.
Wir wollen schützen. Wir wollen das werdende Leben schützen. Aber die Frage ist doch, ob das Strafrecht dabei einen absoluten Rang hat oder ob es ein Mittel ist. An dieser Stelle sind wir nicht einig, hier nicht und draußen nicht. Es gibt Men schen, die halten das Strafrecht für einen absoluten Wert, für ein Dogma, von dem abzuweichen schon bedeutet, man würde die Sache ethisch freigeben. Man gibt ihm einen absoluten Rang. Gewiß, auch Gesetze sind eine gute Gabe Gottes, und sie mögen einem schwachen Menschen helfen und sollen es auch. Aber einen absoluten Rang hat das Strafrecht nicht. Ein ernsthafter Christ hat einmal mit Recht gesagt: Christus ist nicht in die Welt gekommen, um das Strafgesetz zu schreiben. Nein, dazu ist er nicht gekommen, und so sollten auch seine Vertreter nicht nur so nachdrücklich nach dem Staatsanwalt rufen, anstatt jene Bereiche des menschlichen Lebens zu aktivieren, die jenseits der Strafandrohung das moralische Gewissen in sich tragen. Als sei das ohne Strafandrohung eine Illusion! Unendlich viele Briefe, die mir geschrieben wurden, beweisen es, daß sich tapfere Frauen unabhängig von der Strafandrohung auch in schwierigsten Situationen sich nicht von dem Kind getrennt haben. Diese tapferen Frauen haben nicht die Strafandrohung nötig gehabt, eine Strafandrohung die mit einer Flugkarte nach London oder übrigens einer Eisenbahnkarte nach Österreich so leicht und so ungefährdet außer Kraft gesetzt werden kann. Nein, es war das Gewissen dieser Frauen, dieser unendlich vielen, die gesagt haben: Ich will auch in der schwersten Situation meinen Auftrag erfüllen! Das macht es deutlich, wie falsch es ist, den Frauen zu unterstellen, daß ein Dammbruch erfolgt, wenn man die wirkungslose Strafandrohung zurücknimmt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Im Namen so unendlich vieler Frauen möchte ich
diese Verdächtigung nachdrücklich zurückweisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist eine ungerechtfertigte Unterstellung, zu meinen, die Tatsache, daß man darf oder daß man nicht bestraft wird, führe massenhaft dazu, daß Frauen, die Schwangerschaft abbrechen. So ist es doch nicht. Es ist wirklich eine traurige Verdächtigung, wenn das immer wieder aufklingt.
Wir haben ein sehr nachdenkenswertes Wort heute oder gestern in der „Stuttgarter Zeitung" gefunden. Es geht um die Spannung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. In diesem Konflikt stehen wir als Abgeordnete nicht nur heute und es ist vielleicht gut, es bei dieser Gelegenheit einmal wieder vor Augen gestellt zu bekommen. Wenn zwischen Koalition und Opposition gelegentlich die Wogen der Ereiferung so hoch gehen, so sollten wir uns dieses Konfliktes bewußt sein: Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Wer hätte das in seinem Leben nicht schon an verschiedenen Stellen empfunden, daß er das, was er persönlich und für sich und im privaten entscheiden möchte, unter den Gegegebenheiten dessen, wofür er Verantwortung trägt, nicht voll durchhalten kann? Wir werden es in wachsendem Maße erleben beim Umweltschutz, bei sozialen Fragen, in der Wirtschaft und bei vielen anderen Dingen , daß die Verantwortung für andere uns nicht völlig frei läßt in der Entscheidung, wie man sich privat aus einer schwierigen Sache herausziehen kann. Wir haben die Verantwortung für das, was in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs tatsächlich geschieht. Wir können nicht einfach sagen: Das ist alles mit dem Strafrecht zugedeckt und abgedeckt, und was verboten ist, das kümmert uns nicht! Nein, meine Herren und Damen: Die weit mehr als 100 000 Abtreibungen im Jahr trotz des Strafgesetzes sind auf unsere Verantwortung gelegt, und hier haben wir etwas nachzudenken und nicht mehr oder weniger zu meinen, daß wir das mit der medizinischen und der sogenannten ethischen Indikation abdecken können oder mit der Nichtbestrafung einer bedrängten Frau, nachdem sie erst einmal auf der Anklagebank sitzt. Und es ist nicht damit getan — heute morgen ist es gesagt worden —, daß man ins Gesetz schreibt: Die Beratungsstellen unterliegen der Geheimhaltungspflicht. Was hilft das, wenn keiner dahingeht? Unter der Drohung der Strafe suchen die wenigsten die Beratung, denn nach aller Lebenserfahrung wollen sie sich nicht für den Fall verraten, daß sie doch den letzten Ausweg wählen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie mögen, Herr Kollege Eyrich, noch so viel Beratungsmöglichkeiten in Ihr Gesetz schreiben: Nur
die Fristenregelung macht die Pflicht daraus, aber



Frau Funcke
ohne die hindernde Strafandrohung. Das ist der entscheidende Ansatzpunkt all derer, die sich für die Fristenregelung aussprechen, sie wollen sicherstellen, daß die Frauen in ihrer Bedrängnis zur Beratung kommen, damit man ihnen sagen kann, was sie den Frauen alles sagen möchten, über die ethischen Bedenken, über die gesundheitlichen Risiken, über die möglichen Spätfolgen und auch darüber, was an psychologischen Folgen einer Frau möglicherweise auferlegt ist, wenn sie diesen Weg geht. Das wollen wir ihnen allen sagen können. Denn es sollte in einer Notsituation niemand un-beraten sein und plötzlich in eine Torschlußpanik hineingeraten. Was heute geschieht, ist doch, daß die vielen Menschen ohne Rat und Hilfe in Torschlußpanik in die nächstbeste Gelegenheit hineinlaufen.
Die Frage, was man persönlich meint und was man in Verantwortung für andere in diesem Hause zu entscheiden hat, durchzog und durchzieht die Diskussion in unserem Volk. Sie durchzog auch die Diskussion auf der evangelischen Synode, in der man schließlich mit aller Deutlichkeit feststellte — und das möchte ich hier zum Ausdruck bringen , daß die Fristenregelung nicht als sittlich nicht vertretbar verurteilt werden kann. Hier ist sehr deutlich ein Wort von der Zwiespältigkeit gesprochen worden, in der wir alle stehen, wenn wir die uns auferlegte Verantwortung ernst nehmen.
Was hilft, ist in dreifacher Hinsicht die Beratung. Sie ist es einmal, weil sie der Frau die Möglichkeit gibt, sich auszusprechen. Alleine dieses Sich-aussprechen-Können ist sehr wichtig. Wir wissen doch alle, daß mitunter bei. Dingen, über die wir nicht klar sind, in einem Gespräch mit einem Gegenüber Klarheit erwächst, egal mit wem, selbst wenn das Gegenüber überhaupt nichts sagt. Das Aussprechen an sich schafft schon eine gewisse Ordnung der Gedanken. Das ist wichtig. Und es ist wichtig, daß ein Berater mit der Frau spricht.
Aber Aussprache und Beratung ist nicht nur eine Sache des Arztes oder der Beratungsstelle; dies sage ich noch zu der Debatte heute morgen. Es hat auch etwas damit zu tun, daß die Betreffende in ihrer Umgebung über ihre Probleme sprechen kann. Unsere Strafandrohung verhindert ja nicht nur, daß die Frau etwa zum Arzt oder zur Beratungsstelle geht, sondern sie verhindert auch, daß sie mit der Nachbarschaft darüber spricht. Manchmal fragt man sich — und in manchen Briefen klingt es an —, ob unter diesem Schutz des Nicht-mit-der-Nachbarschaft-sprechen-Dürfens nicht die Männer ganz gut zurechtkommen und das auch nicht ungern erhalten möchten. Sie haben es nicht gern, daß man in der Nachbarschaft darüber etwas weiß. Diesen Einwand müssen wir uns auch einmal ernsthaft vornehmen. Aber wichtiger ist, daß Nachbarschaftshilfe bei dieser Gelegenheit aktiviert wird. In unserem Volk gibt es die latente Bereitschaft zum mitmenschlichen Engagement. Es gibt sie erstaunlich weit. Aber sie kann nur aktiviert werden, wenn man weiß, daß da jemand in Not ist, und man muß es wissen dürfen.
Das Dritte ist, daß endlich die Öffentlichkeit erfährt, warum denn eigentlich Frauen die Schwangerschaft abbrechen. In der Diskussion hier im Hause und draußen hat man oft den Eindruck, daß zwischen den Extremen äußerste materielle Not und Bequemlichkeit kaum Zwischenstufen gesehen werden. Aber genau in diesen Zwischenstufen liegt die ganze Problematik. Darin liegt auch die ganze Problematik jeglicher Indikationsregelung, weil niemand die Kombination an Problemen gerecht beurteilen kann. Es geht nicht nur um die Größe der Wohnung oder den Umfang des Geldbeutels. Eine Fülle von Fragen ist es, die diese Bedrängnis und Ausweglosigkeit herbeiführt. Wir wissen es nicht, und man will es vielleicht auch nicht so genau wissen. Nur über die Beratung kommen wir dazu, ein weniges mehr davon zu erfahren.
Wenn ich von der Gesinnungsethik und der Verantwortungsethik sprach, so meine ich: Dies trifft auch für die Frau zu. In der Diskussion wird immer wieder das Leben des Kindes gegen das — was weiß ich — Wohlbefinden der Frau ausgespielt. Das ist es doch nicht. Wer sich wirklich einmal mit den vielen, vielen, auch ungelenk geschriebenen Briefen aus der Öffentlichkeit befaßt, der weiß, wie viele Frauen im Blick auf das Kind diesen für die Frau sicherlich nicht sehr angenehmen Weg gehen. Die Frau denkt an das Kind, handelt in der Verantwortung für das Kind. Erklären Sie mir doch einmal die Diskrepanz, die darin liegt, daß wir auf der einen Seite die Tatsache bejahen und sogar gesetzliche Folgerungen daraus ziehen, daß ein Kind eben Liebe, Zuwendung und Kommunikation der Mutter braucht — ich würde sogar sagen: der Eltern; so einseitig ist das ja nicht —, d. h. eine Umwelt der Geborgenheit und des Sich-angenommen-Fühlens, daß Sie aber gleichzeitig allein von Ihrer rein biologistischen Vorstellung ausgehen: Das nackte Leben des Kindes und nicht mehr wird in die Betrachtung einbezogen.
Das Leben ist etwas sehr Wichtiges, meine Herren und Damen, aber dieses erst auf die Welt kommende Leben braucht unendlich viel an Zuwendung, an Hilfe, Liebe, an Nestwärme und das Gefühl des Angenommenseins. Wenn Sie Briefe von denjenigen lesen, die als ungeliebte Kinder aufgewachsen sind, können Sie ermessen, was das heißt und was wir einem Menschen antun, wenn wir ihn mit Strafandrohung auf die Welt zwingen, ohne ihm danach das zu garantieren, was zu seiner Entfaltung und Entwicklung wünschenswert ist. Sie wollen akzeptieren, daß physische Behinderung als Rechtfertigung gilt, aber nicht das, was möglicherweise an Umweltschäden auf das Kind wartet.
Herr Spranger, mit Rationalität ist in diesem Feld nichts getan. Wir müssen wissen, was aus der Sicht der Mutter an Problemen vor ihr steht, wir müssen wissen, ob sie dem Kind das geben kann, was es braucht, und wir müssen wissen — was uns viele Sozialarbeiter, Ärzte und Richter geschrieben haben , welches Leid und welche Not die ungeliebten und von Heim zu Heim gebrachten Kinder erfahren und welche Lebenschancen sie erwarten. Wollen 1 wir es der Frau verübeln und sie ins Gefängnis



Frau Funcke
bringen, weil sie in Sorge um dies alles und in Kenntnis all dieser psychologisch erfahrenen Dinge glaubt, dieses Kind nicht verantworten zu können?
Es gibt hier keine objektivierte Entscheidung. So wie wir hier unter uns unterschiedlicher Meinung sind, sind es auch die Ärzte und alle diejenigen, die da angeblich objektiv entscheiden wollen. Was heißt denn eine objektive Entscheidung, wenn in einem Gremium zwei dafür und einer dagegen oder zufällig zwei dagegen und einer dafür sind? Wollen Sie behaupten, daß das eine objektive Entscheidung ist? Oder glauben Sie — bei dem anderen Entwurf —, daß die Entscheidung eines Arztes, die dieser nach seinem Grad der Kenntnis und Erkenntnis und nach dem, was man ihm vorgetragen hat er kann das ja alles nicht nachprüfen —, trifft, und die Entscheidung des Gutachter-Arztes, der telefonisch auch nur wieder das erfährt, was der eine Arzt glaubt erfahren zu haben, soviel objektiver sind als das, was die Mutter entscheidet aus der Kenntnis all ihrer äußeren und inneren Umstände? Ich glaube das nicht.
Nun schreibt mir heute ein Arzt, daß die Fristenregelung u. a. deswegen nicht vertretbar sei, weil die Ärzte nach dieser Regelung nicht anders könnten, als der Frau immer zuzustimmen. Dies ist mir deutlich geschrieben worden. Das heißt doch mit anderen Worten, daß möglicherweise ein Arzt in Sorge um seine Praxis dann sogenannte objektivierte Entscheidungen oder Gewissensentscheidungen trifft. Wollen Sie das? Ich will das nicht verallgemeinern; ich sehe nur, daß nach dem erweiterten Indikationsmodell jeder Arzt zum Richter der Frau wird, zum Gutachter, d. h. zu dem, der über das Ja oder Nein einer Erlaubnis entscheidet. Hier habe ich die größten Bedenken. Wozu bringen wir denn dann einen verantwortungsbewußten Arzt? Sie sagen so schön — wie im alten Kinderlesebuch : da geht man zu seinem Hausarzt. Meine Herren und Damen, was ich aus manchen Gegenden unseres Vaterlandes erfahren habe, bringt mich sehr wohl zu der Meinung, daß viele Frauen aus diesen Gegenden nun ganz sicher nicht zum Hausarzt gehen, sondern mindestens 200 km fahren werden, um zu einem Arzt zu gehen, der sie nicht kennt, und sie werden ihm vortragen, was sie glauben vortragen zu müssen.
Und soll sich dieser Arzt dann die Verdienstbescheinigung des Ehemanns und eine Wohnungsskizze und das Familienbuch mitbringen lassen und möglicherweise noch ein ärztliches Attest über eine Teilbehinderung eines anderen Kindes oder was immer dazugehört? Oder soll dieser Arzt glauben müssen, was die Frau vorträgt, und soll er danach entscheiden, meine Herren und Damen, in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung, durch die er mit dem halben Bein im Gerichtssaal steht, denn der Entscheidungsauftrag nach staatlichen Maßstäben heißt „nachprüfbare Entscheidung"? Wo bringen wir den Arzt hin?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


(lies denn am besten gesichert? Doch sicherlich nicht dort, wo wir einen Arzt mit einer bestimmten weltanschaulich oder religiös geprägten weiteren oder engeren Auffassung dazu zwingen, an etwas mitzuwirken — nicht physisch, nicht mit den Händen, aber mit seinem Stempel und seiner Unterschrift unter einer „Genehmigung" —, was er von sich aus nicht verantworten kann, wozu ihn aber der Staat ermächtigt und deswegen ja wohl auch in Pflicht nimmt. Wenn Sie den Arzt zum Begutachter und zum Entscheider machen, zwingen Sie ihm staatliche Maßstäbe auf, und er muß dann, weil die Frau in vollem Vertrauen zu ihm kommt — sie muß ja zu ihm gehen im vollen Vertrauen darauf, daß er gerecht urteilt, und das heißt: nach den gesetzlich vorgeschriebenen Maßstäben —, nach diesen staatlichen Maßstäben entscheiden, auch wenn er dies vor seinem Gewissen nicht verantworten kann. Denn Sie erweitern mit dem Auftrag zur Entscheidung eindeutig den Katalog seiner ärztlichen Pflicht und fixieren den Inhalt. Oder soll er an seine Praxis schreiben: Ich bin für diese Fälle nicht zuständig, grundsätzlich nicht? Oder wollen Sie die Frau das Risiko eingehen lassen, daß sie zu einem Arzt geht und der ihr sagt: Ich kann zwar so entscheiden, und der Staat gibt mir auch das Recht und vielleicht auch die Verpflichtung dazu, aber so, wie der Staat will, entscheide ich nicht; nicht bei mir. Wohin soll denn das führen, meine Herren und Damen? Das trifft auch für die zu, die ausführen sollen. Es darf und es kann nach Auffassung der FDP nirgend' wo auch nur den Anschein einer Veranlassung für einen Arzt geben, etwas zu tun, was er vor seinem Gewissen nicht glaubt verantworten zu können. Hier darf ich eine Bemerkung richtigstellen, die heute morgen in bezug auf Frau Senator Elsner gemacht worden ist. Frau Elsner hat nirgendwo gesagt, daß derjenige, der sich aus Gewissensgründen nicht zu einer Mithilfe an einer Schwangerschaftsunterbrechung entschließen kann, etwa deswegen seine Stelle verlieren soll oder an solchen Stellen nicht angenommen werden kann. Sie hat nur gesagt, man würde ihn dann von dieser Tätigkeit entbinden. Dies ist genau das, was in voller Verantwortung von uns gewollt wird. Ja, die Ärzte müssen frei sein, frei sein von jeglichem staatlichem Maßstab, von jeglicher Bedrängung durch den Träger, und dies gilt für die Krankenschwestern in gleicher Weise. Hier ist heute morgen von der Hemmschwelle gesprochen worden, die das Strafgesetz aufrichtet. Das entspricht Ihrer Bewertung des Strafrechts. Aber daß Sie das im Zusammenhang mit den Finanzen gebracht haben, hat mich sehr betroffen gemacht. Meine Herren und Damen, es ist schon mit einem Zwischenruf gesagt worden: Moralische Kategorien, wenn Sie sie schon im Strafgesetz absolut absichern wollen, dann uns als „Hemmschwelle" für den Teil der Bevölkerung meinen, der sich finanziell nicht anders helfen kann, das kann ich schwer mit den Fragen des Gewissens in Einklang bringen. Frau Funcke Lassen Sie mich ein letztes sagen, meine Herren und Damen. In den vielen Schreiben, die wir bekommen haben und ich nehme an, jeder von uns —, ist immer wieder die Frage aufgeworfen worden: Kann es vertreten werden, daß überwiegend diejenigen über uns entscheiden, die dieses Gesetz nicht betrifft? Nun, sicherlich müssen wir das hier entscheiden, so wie der Bundestag nun einmal zusammengesetzt ist. Wir können kein besonderes Gremium schaffen, und das schreibe ich auch den Absendern. Aber, meine Herren, gibt es nicht in dieser Hinsicht so etwas wie Fairneß, die den Männern die kritische Selbstanfrage nahelegt, ob es so richtig ist, so sicher über eine Bestrafung anderer zu reden und zu entscheiden, wenn sie selbst nie betroffen sind? Sollten Sie nicht besser prüfen, ob nicht das Zurückziehen der Strafe der bessere Weg wäre, der Rückzug des Strafrechts, und ob es nicht besser wäre, dafür um so deutlicher im Raume des Moralischen, im Raume der Seelsorger, im Raume sozialer Hilfe, im privaten Bereich -jeder von uns kommt doch in die Verlegenheit, an irgendeiner Stelle mitmenschlich in diesen Problemkreis eingeschlossen zu werden — der Hilfe und dem Rat das Wort zu reden und praktisch zu helfen, anstatt ein bißchen beruhigt und distanziert zu sagen: Wir haben ein Gesetz, das die anderen strafrechtlich verfolgt; uns betrifft es Gott sei Dank nicht. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller-Emmert. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Befürwortern des von 27 Kollegen aus der SPD-Fraktion eingebrachten Entwurfes geht es darum, eine Regelung zu schaffen, die eine ausgewogene Berücksichtigung der Rechte des ungeborenen Lebens und gleichermaßen der Interessen der Frau zuläßt. Damit ist einerseits eine klare Absage an die Einstellung verbunden, die z. B. im Mehrheitsvotum der Entscheidung des amerikanischen Supreme Court vom 26. Januar 1972 zum Ausdruck kommt und die auch bei uns in der Öffentlichkeit teilweise vertreten wird, nämlich die Einstellung, daß der Wille der Frau allein alles und das ungeborene Leben dagegen nichts sei. Wer sich über die Entwicklung des menschlichen Lebens Gedanken gemacht hat, kann nicht die Vorstellung haben, daß ein schutzwürdiges Rechtsgut erst von der Geburt an vorhanden sei. Er wird sich außerdem darüber im klaren sein, daß auch die variable, sich mit dem Fortschritt der Medizin ständig nach unten verschiebende Grenze, von der an ein Kind außerhalb des Mutterleibes am Leben erhalten werden kann, kein Ansatzpunkt für die Schutzwürdigkeit sein kann. Er muß schließlich auch zu der Erkenntnis gelangen, daß die noch nicht einmal genau feststellbare Dreimonatsgrenze biologisch überhaupt nichts zu sagen hat. Ein von der Rechtsordnung anzuerkennendes Rechtsgut, um dessen strafrechtlichen Schutz sich der Gesetzgeber zu bemühen hat, liegt vielmehr ab der Nidation vor. Dieses Rechtsverständnis liegt unserem Entwurf und -ich möchte dies betonen — im übrigen auch allen drei anderen Entwürfen zugrunde. Andererseits ist ebenso sicher, daß die künftige Strafvorschrift die Interessen der Frau weit stärker berücksichtigen muß als bisher. Das Grundprinzip muß nach unserer Vorstellung sein, daß die Schwangere in echten, schwerwiegenden Konfliktsituationen die Freiheit haben muß, zu entscheiden, welchem der widerstreitenden Interessen sie den Vorrang geben will. Ich möchte aus den vier Indikationen unserer Regelung — der medizinischen, der kindlichen, der ethischen Indikation und der Indikation der allgemeinen Notlage — zwei Schwerpunkte herausgreifen. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich zum einen, daß die Schwangere ihre eigene Gesundheit über alles, auch über das ungeborene Leben stellen darf. So selbstverständlich dieser bereits vom bisherigen Recht anerkannte Grundsatz ist, so sehr muß klargestellt werden, daß wir den Begriff der Gesundheit umfassender sehen, als dies in der Vergangenheit in der Praxis der Gutachterstellen in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck gekommen ist. Die Gesundheit der Schwangeren ist nicht nur dann bedroht, wenn die Schwangerschaft für sich allein einen Körperschaden hervorriefe. Auch die Nerven und die psychische Konstitution haben etwas mit dem Gesundheitszustand zu tun. Nicht nur der körperliche und psychische Gesundheitszustand während der Schwangerschaft sind demnach relevant, sondern auch und erst recht \\der Zustand der Mutter nach der Geburt des zu erwartenden Kindes. Schließlich muß das Recht der Schwangeren auch in den Fällen anerkannt werden, in denen die Schwangerschaft nur als einer von mehreren Faktoren, nur im Zusammenwirken mit anderen nicht behebbaren Lebensumständen, eine schwerwiegende Gesundheitsgefahr darstellt. Das haben wir in unserem Entwurf klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Bemerkungen leiten zur Indikation der Notlage über. Sie steht ebenfalls unter dem Oberbegriff „schwerwiegende Konfliktsituation". Es muß die Gefahr bestehen, daß die Schwangere in eine schwere Notlage kommt, die nicht auf andere zumutbare Weise als durch den Schwangerschaftsabbruch abgewendet werden kann. Ich möchte auch an dieser Stelle deutlich machen, daß wir grundsätzlich eine andere Lösung derartiger Konfliktfälle anstreben müssen, nämlich die, daß der Staat, d. h. die Gemeinschaft, also wir alle, durch Einsatz aller verfügbaren Mittel und Möglichkeiten die Lebensbedingungen der in Frage kommenden Personengruppen verbessern und ihnen die Möglichkeit geben, auch diese Kinder unter angemessenen Verhältnissen anzunehmen und großzuziehen. Es wird sich aber doch niemand der Illusion hingeben, daß wir das in allernächster Zeit ausnahmslos schaffen würden. Mit Fällen, in denen eine sozial ungünstige Situation durch das Hinzutreten einer Schwangerschaft für die Mutter über die Dr. Müller-Emmert Grenze des Zumutbaren hinaus verschärft wird, werden wir es zu tun haben, soweit wir voraussehen und vorausplanen können. Das räumen selbst diejenigen Kolleginnen und Kollegen ein, die die Oppositionsentwürfe vertreten. Dies ergibt sich daraus, daß sie für derartige Fälle eine Bedrängnisklausel schaffen. Der Unterschied zwischen ihrer und unserer Regelung liegt in der rechtlichen Bewertung und in der Rechtskonstruktion. Wir wollen hier einen Rechtfertigungsgrund für die Frau und für ihre Helfer. Wir geben der Frau die Möglichkeit, den Eingriff ohne die Belastungen und Demütigungen, die die Illegalität mit sich bringt, fachgerecht durchführen zu lassen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, halten das Unwerturteil, d. h. den Vorwurf kriminellen Unrechts gegen die Frau und gegen jeden Helfer, aufrecht. Sie zwingen die Beteiligten in die Illegalität. Wenn die Frau dort den Eingriff überstanden hat, drücken Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr Verständnis dadurch aus, daß Sie den Richter anweisen oder ihm gar anheimstellen, von einer Bestrafung abzusehen. Ich kann beim besten Willen nicht ,die sachliche Rechtfertigung für diese Regelung erkennen. Die Konfliktsituation kann hier ebenso gravierend sein und das bedrohte Rechtsgut kann einen ebenso hohen Rang haben wie in den Fällen der medizinischen Indikation. Nehmen Sie doch den Fall, daß eine Frau wegen einer eigenen Behinderung oder wegen ihrer Belastung mit den Aufgaben gegenüber bereits vorhandenen eventuell kranken oder behinderten Kindern die Versorgung und Erziehung aller nicht mehr sicherstellen könnte, wenn noch ein weiteres Kind hinzukäme. Hier steht auch Gesundheit, nämlich die Gesundheit der Mutter und gleichermaßen der anderen Kinder, gegen ungeborenes Leben. Das Motiv der Schwangeren, ihre Sorge um das Gedeihen anderer, scheint mir mindestens ebenso anerkennenswert zu sein wie die Sorge um die eigene Gesundheit. Dieses Beispiel zeigt im übrigen, wie sehr die medizinische Indikation und die Indikation der Notlage ineinanderfließen. Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zu dem Problemkreis der Beratung und der Indikationenfeststellung machen. Im Hinblick auf die Beratung der Schwangeren haben wir unseren Entwurf gegenüber der Ursprungsfassung erheblich verbessert. Er schreibt nunmehr vor, daß die Schwangere vor dem Eingriff über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder unterrichtet und daß sie außerdem ärztlich beraten werden muß. Unter „ärztlich" verstehen wir nicht nur die selbstverständliche Aufklärung über die Risiken eines Eingriffes, sondern auch die in den Schutz des ungeborenen Lebens einzubeziehende Beratung sowie die Beratung über die im konkreten Fall geeigneten Mittel und Methoden zur Empfängnisverhütung. Über die zur Verfügung stehenden Hilfen kann sich die Schwangere bei einer Beratungsstelle unterrichten. Sie kann aber nach unserem Modell — im Gegensatz zu den CDU/CSU-Entwürfen — sowohl diese Information als auch die ärztliche Beratung bei einem Arzt ihres Vertrauens erhalten. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß sie von einem Arzt beraten wird, der ihre persönlichen und familiären Verhältnisse mit großer Wahrscheinlichkeit kennt. In der Frage, wie wie Indikation festzustellen sei, sind die beiden CDU/CSU-Enwürfe leztlich unserem Prinzip gefolgt. Sie gewährleisten nunmehr, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, auch die ausschließliche eigenverantwortliche Entscheidung des eingreifenden Arztes und schreiben nur noch vor, daß er vorher fachlich beraten werden müsse. Die Kollegen von der CDU/CSU haben demnach ganz offenbar die Richtigkeit, die Folgerichtigkeit und Logik unserer Regelung anerkannt. Für unsere Entscheidung, sowohl die Unterrichtung und ärztliche Beratung der Schwangeren als auch die dem eingreifenden Arzt zu gewährende Fachberatung jeweils einzelnen Ärzten anzuvertrauen und nicht Gremien für zuständig zu erklären, wie dies die CDU/CSU-Entwürfe vorsehen, waren für uns folgende Gründe maßgebend: Wir haben aus der Vergangenheit gelernt; wir haben gelernt, daß es ganz entscheidend von der Ausgestaltung dieses Verfahrens abhängt, ob wir die Schwangere aus der IIIegalität herausund an die fachgerechte Beratung und gegebenenfalls Behandlung heranführen können. Aus diesem Grunde sind wir bestrebt, alles zu vermeiden, was einen behördlichen Anstrich haben könnte. Die Schwangere soll die Möglichkeit haben, sich ausschließlich von den Ärzten ihrer Wahl helfen zu lassen. Vorwiegend aus diesem Grunde geht unser Entwurf als einziger von den vier Entwürfen noch einen ganz entscheidenden Schritt weiter. Auf diese Tatsache sind leider die meisten Diskussionsredner bisher kaum oder nur am Rande eingegangen. Wir stellen die Schwangere in Form eines persönlichen Strafausschließungsgrundes auch dann straffrei, wenn sie den Abbruch ohne Vorliegen einer Indikation durchführen läßt, wenn sie also einen illegalen Abbruch erreicht. Durch diese uneingeschränkte Strafbefreiung gewähren wir ihr die absolute Sicherheit, durch die vorgeschriebenen Beratungen nicht in irgendeiner Weise festgelegt zu werden oder Nachteile zu erfahren, wenn sie von einem negativen Beratungsergebnis nicht überzeugt ist. Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß für die Schwangere für die Frau, die sich in einer schwerwiegenden Konfliktsituation befindet, die Beratung das bessere und wirksamere Mittel ist als die Strafandrohung. Aus diesem Grunde sind wir in unserer Regelung auch konsequent. Uns wird vorgeworfen, daß wir mit diesem Schritt der Straflosigkeit der Frau den Strafschutz illusorisch machen würden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Strafdrohung gegen die Helfer bleibt für den Fall des nicht indizierten Abbruches bestehen. Für diesen Fall heben wir die strafrechtliche Gefahrengemeinschaft zwischen der Schwangeren und dem Helfer auf. Ich halte dies für die schärfste Waffe gegen den Laienabtreiber. Er kann, insbesondere für den Fall einer Verletzung der Schwangeren, nach unserem Entwurf niemals vor einer AnDr. Müller-Emmert zeige aus dem Umkreis der Schwangeren sicher sein, weil mit einer solchen Anzeige keinerlei Risiko für die Schwangere selbst verbunden ist. Wenn es zu einem Strafverfahren gegen den Täter kommt, ist die Schwangere als Zeugin zur Aussage verpflichtet und kann gegebenenfalls mit den in der Strafprozeßordnung vorgesehenen Zwangsmitteln dazu angehalten werden. Ich bin davon überzeugt, daß dieses Risiko kaum noch jemand auf sich nehmen wird und daß das ohnehin im Augenblick kaum vorhandene Kurpfuschertum unter unserer Regelung in Zukunft nicht wieder aufleben kann. Meine Damen und Herren, ich wäre unvollständig, wenn ich nicht darlegen würde, warum ich mich nicht für die Fristenregelung entscheiden kann. Mir ist diese Entscheidung nicht leicht gefallen; davon können Sie überzeugt sein. Ich verkenne nicht, daß die Kritik an der Fristenregelung, die bisher erhoben worden ist, in einigen Punkten unsachlich ist. Es wird von den Gegnern des Fristenmodells behauptet, daß diese Regelung eine Zunahme der illegalen Eingriffe bewirke. Man hat dabei auf frühere Beobachtungen in Schweden und in der DDR verwiesen. Diese Beobachtungen — das möchte ich ausdrücklich feststellen — haben sich aber nach den neueren gesicherten Materialien aus Skandinavien, aus Osteuropa, aus England und den USA nicht bestätigt. Es wird weiter behauptet, daß die Fristenregelung zu einer Erhöhung der körperlichen Spätkomplikationen und der psychischen Komplikationen nach dem Schwangerschaftsabbruch führe. Dies, meine Damen und Herren -auch das möchte ich mit allem Nachdruck feststellen --, ist nicht hinreichend bewiesen. Wohl wurde in Ungarn eine Zunahme von Frühgeburten und in der Tschechoslowakei eine Zunahme von Extrauterinschwangerschaften festgestellt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß dies die Folge veralteter Eingriffsmethoden sein kann und daß die moderne Absaugemethode die Zahl der Spätkomplikationen bei der Frau und den nachgeborenen Kindern zurückdrängen kann. Jedenfalls ist der bisherige Beobachtungszeitraum zu kurz, so daß eindeutige wissenschaftliche Ergebnisse in diesem Punkt noch nicht vorliegen. Andererseits muß ich aber genauso sachlich feststellen, daß die Anhänger der Fristenregelung in manchen Punkten zu übertriebene Hoffnungen an ihre Vorschläge knüpfen. So ist die Dunkelziffer der kriminellen Abortrate sicher nicht so hoch, wie sie meinen. Die Sachverständigen, die wir angehört haben, haben Ziffern zwischen 75 000 und 300 000 pro Jahr genannt. Die Beobachtungen, auf denen diese Schätzungen beruhen, stammen allerdings durchweg aus den sechziger Jahren. Seitdem hat sich bei uns auch manches geändert. Seitdem ist bei uns die Geburtenzahl erheblich zurückgegangen und damit wohl auch die Zahl der Schwangerschaften. Dabei muß auch der verhältnismäßig hohe Stand der Empfängnisverhütung in der Bundesrepublik berücksichtigt werden. Man wird deshalb bei der Dunkelziffer von einer Größenordnung von 65 000 bis 150 000, allenfalls noch von 200 000, ausgehen können. Von den Anhängern der Fristenregelung wird außerdem fraglos auch das Gesundheitsrisiko illegaler Eingriffe überschätzt. Dies hat seine Ursache darin, daß nach allgemeiner Ansicht heute ganz überwiegend Ärzte — Ärzte also! — den illegalen Eingriff vornehmen. Nach der letzten Todesursachenstatistik der Bundesrepublik aus dem Jahre 1970 sind in der Bundesrepublik 21 Frauen an den Folgen eines illegalen Eingriffs gestorben. Der Bericht zu dem Entwurf der Fraktionen der SPD und FDP irrt — ich stelle auch dies fest —, wenn er feststellt, daß pro Jahr knapp 100 Frauen an einem verbotenen Eingriff sterben würden. Ein Vergleich mit Ländern, in denen der Abbruch bereits liberalisiert ist, wie England, Dänemark und New York, ergibt, daß dort die Todesrate nach legalen Eingriffen sich auf etwa gleicher Höhe bewegt. Man kann also feststellen, daß eine Legalisierung des Abbruchs die gesundheitlichen Risiken zwar ein wenig verringert, aber keineswegs völlig beseitigen kann. Die Anhänger der Fristenregelung stellen nach meiner Meinung auch zu sehr auf die sozialen und psychologischen Auswirkungen des derzeitigen Rechtszustands ab. Hierzu ist folgendes zu sagen: Es kann nicht bestritten werden, daß mit der Verbreitung der Empfängnisverhütung die Zahl der Fälle zurückgegangen ist, in denen durch unerwünschte Schwangerschaften persönliche oder soziale Not entstanden ist. Weiter ist darauf hinzuweisen, daß die nichtehelichen Mütter fraglos auch auf Grund der von uns vollzogenen Gesetzesänderungen und wegen der gesamten veränderten Einstellung der Gesellschaft nicht mehr in dem Maße diskriminiert werden wie früher. Auch steht fest, daß finanzielle Hilfen — ich erinnere an das Sozialhilfegesetz und an die Änderungen in der Krankenversicherung — heute viel leichter verfügbar sind. Schließlich muß man auch zu dem Ergebnis kommen, daß es unbestritten ist, daß es heute mehr adoptionswillige Bürger gibt als für die Adoption freigegebene Kinder. Wir alle, ganz gleich, welche Regelung wir für richtig halten, nennen als Ziel der Reform erstens, ungeborenes Leben wirksamer zu schützen, und zweitens, damit verbunden, die Zahl der Abtreibungen zu senken. Ob die Fristenregelung diesem Anspruch gerecht werden kann, ist nach meiner Meinung zumindest zweifelhaft. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und Tatsachen deuten darauf hin. Man kann nämlich von der gesicherten Annahme ausgehen, daß bei einer Fristenregelung die Zahl der dann legalen Eingriffe die derzeitige geschätzte Gesamtzahl illegaler und legaler Eingriffe erheblich übertreffen wird. Ein Vergleich mit Ländern, die die Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch de jure oder de facto im Sinne einer Fristenregelung geändert haben, wie die Sowjetunion, Ungarn, Bulgarien, die DDR oder auch New York, macht dies deutlich. Auch wenn man dabei die unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnisse in diesen Ländern im Vergleich zur Bundesrepublik berücksichtigt, kommt man zu dem klaren Ergebnis, daß die Zahl der legalen Aborte bei Einführung der Fristenregelung erheblich steigen wird. Dr. Müller-Emmert Selbstverständlich erwarte ich an dieser Stelle den Einwand, daß die von mir getroffene Feststellung in gleicher Weise für unser erweitertes Indikationenmodell gelten müsse. Herr Kollege Müller-Emmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger Bitte sehr! Herr Kollege Müller-Emmert, weil Sie die Feststellung treffen, die Sie soeben getroffen haben, daß nach Ihren Befürchtungen bei Einführung einer Fristenregelung die Zahl der legalen Aborte die Zahl der von Ihnen geschätzten derzeitigen illegalen möglicherweise übertrifft, frage ich Sie, ob Sie eine Möglichkeit sehen, im Falle der Ablehnung des von Ihnen verfochtenen Entwurfs für eine Regelung zu stimmen, die diesen Effekt hat? Ich glaube, Sie stellen diese Frage sehr verfrüht. Ich würde Ihnen anheimstellen, diese Frage nach Durchführung der zweiten Lesung an mich zu stellen. Ich darf fortfahren. -Ich habe darauf hingewiesen, daß ich auf den Einwand eingehen muß, der wohl zu erwarten ist, daß möglicherweise auch bei unserem erweiterten Indikationenmodell die Gesamtzahl der Eingriffe zunehmen würde. Ein Vergleich mit Ländern, in denen eine ähnliche Regelung gilt, wie wir sie mit unserem erweiterten Indikationenmodell vorschlagen, wie die Tschechoslowakei, Kalifornien vor dem berühmten Supreme Court-Urteil, Finnland, Dänemark und sogar England — ich betone es ausdrücklich: und sogar England —, bestätigt diesen Einwand aber nicht. Rechnet man die dort festgestellten Abortzahlen unter Berücksichtigung der Zahl der Bevölkerung auf die Bundesrepublik um, dann liegen diese Zahlen eindeutig unter den entsprechenden Vergleichswerten bei Ländern mit Fristenregelung. Ich komme daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu dem Ergebnis, daß unter einer Fristenregelung mit Sicherheit mehr legale Eingriffe durchgeführt werden als bisher legale und illegale zusammen. Das heißt, daß die Fristenregelung das ungeborene Leben weniger schützen wird als der von mir vertretene Vorschlag. Unter Schutz des ungeborenen Lebens kann man sicher — das möchte ich feststellen — nichts anderes verstehen als die Vermeidung möglichst vieler Eingriffe, ganz gleich, ob sie legal oder illegal sind. Nun könnte zugegebenermaßen diese unausweichliche Erhöhung der Zahl der Eingriffe im Falle der Fristenregelung ihre innere Berechtigung und Rechtfertigung darin finden, daß damit andere hohe Rechtsgüter geschützt würden, so daß man also die hohen Abortzahlen als geringeres Übel in Kauf nehmen könnte. Man könnte dabei an die Verringerung des gesundheitlichen Risikos bei der Frau durch Legalisierung der Eingriffe denken; ich habe hierzu schon Ausführungen gemacht. Es steht fest, daß bei uns die illegalen Eingriffe nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt werden und daß die Todesrate verhältnismäßig niedrig ist. Das heißt: die durch eine Legalisierung gewonnenen gesundheitlichen Vorteile sind nicht so groß, als daß sie den Nachteil der erheblichen Zunahme der Fallzahlen rechtfertigen könnten. Man könnte zur Rechtfertigung der Fristenregelung vielleicht auch daran denken, daß durch sie die Frau die völlig freie Selbstbestimmung und das Recht auf Respektierung ihrer Privatsphäre erringen würde. Aber die Kehrseite der Medaille wäre, daß damit der Gesetzgeber völlig auf staatlichen Rechtsgüterschutz und auf die Möglichkeit staatlicher Intervention in den ersten drei Monaten verzichten würde. Dieses Ergebnis kann aber in Anbetracht der dann auf jeden Fall steigenden Fallzahlen nach meiner Überzeugung keineswegs hingenommen werden. Lassen Sie mich noch einen weiteren Gesichtspunkt anführen. Das vom Bundestag vor einigen Wochen verabschiedete Strafrechtsreformergänzungsgesetz bezeichnet den Eingriff im jeweiligen Umfang der heute zu beschließenden strafrechtlichen Vorschriften als erlaubt, d. h. also vom Recht völlig gedeckt. Die Frau hat einen Rechtsanspruch auf Förderung des Eingriffs durch die gesetzliche Krankenversicherung oder die Sozialhilfe. Sie erhält selbstverständlich auch Lohnfortzahlung. Dieses soziale Konzept halte ich für völlig richtig; ich betone dies ganz besonders. Ich habe ihm auch zugestimmt, allerdings in der Überzeugung, daß das entsprechende strafrechtliche Pendant das erweiterte Indikationenmodell sein müsse, das in jedem Einzelfall eine der vier von uns vorgeschlagenen ärztlichen Indikationen vorsieht. Eine Kombination von Fristenmodell und Strafrechtsreformergänzungsgesetz würde etwas ganz anderes bedeuten, nämlich daß der völlig grundlose Abbruch, der bei der Fristenregelung keinesfalls ausgeschlossen werden kann, rechtlich, nämlich im Bereich des Sozialrechts, geduldet wird. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich in diesem Punkt auf gewisse Bedenken hinweisen muß, die allerdings dann bei mir ausgeräumt wären, wenn unser erweitertes Indikationenmodell Gesetz würde; denn dann würde jeder Eingriff auf der Grundlage einer ärztlichen Indikationsstellung erfolgen. Sie werden in diesem Zusammenhang sofort auf das Beratungssystem hinweisen, das Sie als Instrument zum Lebensschutz benutzen. Dies ist fraglos ein ganz wesentlicher Fortschritt. Bestreiten kann man aber nicht, daß die Beratung allenfalls ein außerrechtlicher und kein rechtlicher Mechanismus ist. Demgegenüber geht unser Entwurf nicht nur in seiner grundsätzlichen Entscheidung vom durchgängigen Rechtsgüterschutz aus, sondern entspricht auch insofern dem sozialen Konzept des Strafrechts ergänzungsgesetzes, als er einen Zusammenhang zwischen der Notlagenindikation und sozialen Hilfsmöglichkeiten herstellt. Nur dort, wo eine Notlage nicht in zumutbarer Weise durch soziale Hilfen abDr. Müller-Emmert gewendet werden kann, soll der Eingriff zulässig sein. Das Strafrecht schreibt damit selbst die Suche nach sozialen Alternativen zum Schwangerschaftsabbruch vor. Die Fristenregelung hingegen überläßt trotz des vorgesehenen Beratungssystems letztlich die Entscheidung der Frau allein. Ihr wird der Abbruch sehr oft als der einfachste Ausweg erscheinen müssen. Dies hat Gustav Radbruch, der erste sozialdemokratische Reichsjustizminister, der 1920 einen Änderungsantrag in Form der Fristenregelung in den Reichstag eingebracht hatte, erkannt. Auf einer Tagung der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung am 12. und 13. September 1932 in Frankfurt erklärte er zu diesem Problem: Damit stelle ich mich in Gegensatz zu dem früher von mir gestellten Antrag von 1920. Ich glaube jetzt, daß die völlige Freigabe der Abtreibung ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer Indikation, wenn auch nur innerhalb der ersten drei Monate, ein mehr individualistischer als sozialer Gedanke ist. Diesen Worten habe ich in diesem Punkt nichts hinzuzufügen. Gegen die Fristenregelung spricht außerdem das gewichtige Argument, daß sie unabhängig von der Situation der Frau eine Phase menschlichen Lebens völlig ohne Strafrechtsschutz läßt. Damit wird die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens bedroht; mit Sicherheit stärker bedroht als durch jede auch noch so großzügige Entscheidung von Konfliktslagen zugunsten der Frau. Diese Entwicklung gilt es zu bremsen. Ich sage es mit Nachdruck: Wir müssen selbst um den Preis bestimmter Härten an dem Grundsatz der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens festhalten. Ein weiteres Argument, das gegen die Fristenregelung spricht, ist die Tatsache, daß es eine Regelung, die ein so hohes Rechtsgut wie das Leben sogar unser höchstes Rechtsgut — zur freien Disposition stellt, bisher in unserer Rechtsordnung noch nicht gibt. Wir finden eine solche Regelung auch nicht bei minder hohen Rechtsgütern, wie körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder gar Eigentum. Ich weiß, daß Sie dagegen einwenden, daß Ihre Regelung nicht auf einen Abbau, sondern auf eine Verstärkung des Schutzes des ungeborenen Lebens hinziele. Dabei denken Sie an Beratung und soziale Hilfen für die Schwangere. Wie ist es aber letztlich mit der Beratung? Ich wiederhole noch einmal, daß das System der Beratung und der sozialen Hilfen für uns alle ein entscheidender Fortschritt ist, den wir alle begrüßen. Gleichwohl müssen meiner Meinung nach einige kritische Anmerkungen zu der Beratung gemacht werden. Wir kennen wissenschaftliche Arbeiten aus den USA, Skandinavien und der DDR. Hiernach steht fest, daß eine Beratung oder auch eine soziale Hilfe — wie beispielsweise finanzielle Unterstützung, Wohnungsfürsorge, Vermittlung eines geeigneten Arbeitsplatzes oder eines Kindergartenplatzes — von den Schwangeren — und dabei oft von jungen, unverheirateten Frauen — in nicht wenigen Fällen nicht angenommen wird und ohne Einfluß auf den Entschluß der Schwangeren bleibt. Das hängt einfach damit zusammen, daß durch das Kind, wenn es geboren würde, der Lebensplan der betreffenden Frau, nämlich ihre Berufsausbildung, ihre Heiratschancen, geändert würde. Eine Beratung oder eine soziale Hilfe hat demnach in manchen Fällen nur dann Erfolg, wenn die Schwangere zur Änderung ihrer Vorstellungen veranlaßt werden könnte. Die Beratung muß aber letztlich eine freiwillige, unverbindliche sein. Sie soll keine Wertungen aufdrängen. Im übrigen muß bedacht werden, daß mit der Einführung einer Fristenregelung zwangsläufig bei den Frauen und gleichermaßen auch bei den Beratern ein Bewußtseinswandel dahin gehend einträte, daß ein Abbruch sehr leicht verfügbar sei. Das wird mit Sicherheit Auswirkungen in der Weise haben, daß ein Abbruch dann von der Frau und dem Berater nicht mehr als eine echte Konfliktentscheidung, sondern praktisch als normaler Vorgang empfunden wird. Demnach bleibt bei Abwägung der vorgetragenen Umstände festzuhalten, daß von einer erheblichen Verstärkung des Lebensschutzes durch Beratung allein, ohne daß nicht auch grundsätzlich der strafrechtliche Schutz des werdenden Lebens dahintersteht, nicht so ohne weiteres die Rede sein kann. Auch aus biologischen Gründen ergeben sich erhebliche Einwände gegen die Fristenregelung. Die 12-Wochen-Frist ist biologisch nicht zu begründen, da die Ausdifferenzierung der menschlichen Organe eindeutig früher eintritt. Es ist auch unverständlich und unlogisch, daß beim Fehlen einer biologisch erheblichen Zäsur ein Verhalten in der 12. Woche erlaubt sein soll, in der 13. Woche dagegen nicht. Hinzu kommt noch die Schwierigkeit, den genauen Schwangerschaftstermin festzustellen. Schließlich ist es auch wenig überzeugend, mit der Strafdrohung ab der 13. Woche einzusetzen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die natürlichen körperlichen und seelischen Bindungen der Frau zum Kind immer fester und ihre Hemmungen, einen Abbruch durchzuführen, immer größer werden. Ab diesem Zeitpunkt ist daher eine Strafdrohung eigentlich nicht nötig. Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt nennen. Nach meiner Überzeugung, die durch ausländische Erfahrungen bestätigt wird, setzt die Fristenregelung die Frau einem starken Druck Dritter — des Schwängerers, der Eltern und anderer naher Personen — aus, den Eingriff durchführen zu lassen. Zwar kann sich die Schwangere bei einem Berater, gegebenenfalls auch unter Heranziehung von Angehörigen, offen aussprechen. Das ändert nichts daran, daß der Druck nach der Beratung gleichwohl fortgesetzt werden kann, da sich ja sowohl die Schwangere als auch der Anstifter oder Gehilfe Dr. Müller-Emmert nicht strafbar machen. Dies ist bei unserem Entwurf anders. Die Schwangere ist bei uns immer straffrei, während dritte Personen immer unter Strafdrohung stehen. Zum Abschluß möchte ich auf ein letztes Argument eingehen. Die Anhänger der Fristenregelung behaupten, daß die Frau die Belange des ungeborenen Lebens ebenso wie ihre Belange am besten selbst erkennen und vertreten könne. Dieser These widersprechen wir mit unserem Vorschlag in keiner Weise. Deshalb haben wir auch kein Gutachtergremium vorgesehen. Es ist aber nach unserer Überzeugung mit dieser Selbstverantwortung der Frau vereinbar, wenn das Gesetz Normen setzt, an denen sich verantwortliches Handeln orientiert. Wir meinen, daß es legitim sei, wenn der Gesetzgeber sich mit seinem Normanspruch auch Geltung verschafft. Es gibt kein Verbot staatlicher Intervention in die Privatsphäre der Frau oder ihrer Familie hinein. Dies ist z. B. bei der Kindesmißhandlung, deren hohe Dunkelziffer von allen Gruppen unseres Volkes mit Recht beklagt wird, selbstverständlich. Ein jeder von uns würde es als absurd bezeichnen, wenn die Kindesmißhandlung wegen der hohen Dunkelziffer als Straftatbestand gestrichen würde. Im Gegenteil: Jeder von uns fordert im Interesse der betroffenen Kinder nachdrückliches Vorgehen, auch auf die Gefahr hin, daß der Staat in diesem Falle durch das Strafrecht in die Familie hinein interveniert. Diese Tendenz ist im übrigen auch in unseren Vorstellungen zum Kindschaftsund zum Jugendhilferecht vorgezeichnet, das in Kürze vom Bundestag reformiert werden soll. Die von mir begrüßte Entwicklung dieser Reform ist eindeutig diejenige, daß staatliche Eingriffe in die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern hinein nicht abgebaut, sondern im Interesse der Kinder vermehrt werden. In gleicher Weise macht die enge Verbundenheit der Mutter mit dem in ihr werdenden Leben eine staatliche Intervention in Form von strafrechtlichen Regeln in keiner Weise unzulässig. Ich bin der Überzeugung, daß diese kritische Würdigung der Fristenregelung notwendig war. Bei dieser wichtigen Frage müssen nun einmal die Sachfronten eindeutig abgesteckt werden. Es müssen alle Argumente eingehend und gründlich geprüft werden, bevor eine endgültige Entscheidung zu treffen ist. Gerade aus diesen Erwägungen heraus haben wir unseren Entwurf vorgelegt, weil wir der Überzeugung sind, daß er in besonderer Weise dazu geeignet ist, als Kompromißentwurf Anerkennung und eine breite Mehrheit in diesem Hause zu finden. Ein jeder von uns ist zu einer besonders schwierigen und verantwortungsvollen Entscheidung aufgerufen, die für die Zukunft unseres Volkes von eminenter Bedeutung ist. Ich hoffe und wünsche, daß wir alle die richtige Entscheidung treffen werden. (Beifall bei Teilen der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)





(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0709532600
Dr. Adolf Müller-Emmert (SPD):
Rede ID: ID0709532700









Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0709532800
Dr. Adolf Müller-Emmert (SPD):
Rede ID: ID0709532900
Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0709533000
Dr. Adolf Müller-Emmert (SPD):
Rede ID: ID0709533100

(Abg. Wehner: Lächerlich!)





(V o r s i t z : Präsident Frau Renger.)


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)





(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709533200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Köster.

Gottfried Köster (CDU):
Rede ID: ID0709533300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der absolute Rang, den das individuelle menschliche Leben in unserer Rechtsordnung gefunden hat, ist das Ergebnis eines langen geschichtlichen Prozesses, in dem die christliche Religion unsere Kultur um das Prinzip der unabhängigen Person, ihrer subjektiven Freiheit, ihren unendlichen Wert wesentlich bereichert hat. Der Wert, den menschliches Leben in unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung nun erreicht hat, ist jedoch in anderen gesellschaftlichen oder politischen Ordnungen noch nicht anerkannt und auch bei uns gefährdet. Besonders groß ist diese Gefahr der Mißachtung des menschlichen Lebens in der heutigen Zeit, in der Entführungen, Folterungen, Geiselnahmen und Vernichtung menschlichen Lebens als politische Demonstration an der Tagesordnung sind. Daher zielen alle unsere Bemühungen um gerechtere Lebensordnungen letztlich doch darauf ab, das menschliche Leben, sei es jung oder alt, krank oder gesund, vor Angriffen und Gefährdung zu schützen.
Wir sind uns in diesem Parlament darüber einig, daß der hohe Rang menschlichen Lebens in gleicher Weise dem ungeborenen wie dem geborenen zukommt. Das war für uns alle, glaube ich, die gemeinsame Ausgangsbasis für die Beratung der Novellierung des § 218 des Strafgesetzbuches. Eine Novellierung dieser Vorschrift ist notwendig, denn nach dem Wortlaut des geltenden Gesetzes ist keine Ausnahme von dem umfassenden Verbot des Schwangerschaftsabbruchs vorgesehen, nicht einmal für den Fall, daß durch die Schwangerschaft das Leben der Mutter bedroht wird. Eine Novellierung aber, die zur Lösung dieses Konflikts in das andere Extrem fiele und das ungeborene Leben als zu schützendes Rechtsgut aufgäbe, es für rechtlos erklärte, kann nicht akzeptiert werden. Auch darin stimmen — jedenfalls nach ihren Worten — wohl alle an der Gesetzgebung Beteiligten überein. Wir sind also auf der Suche nach einer Lösung für den Fall des Konflikts zwischen dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes und dem der Mutter,
Von einer echten Konfliktsituation kann man aber erst dann sprechen, wenn das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben eine ernste Bedrohung des Lebensrechtes der Mutter darstellt. Das neue Gesetz muß sicherstellen, daß eine Entscheidung, die zwischen diesen Lebensrechten gewissenhaft getroffen wurde, nicht inhuman ist. Die Glaubwürdigkeit aller Lösungsvorschläge entscheidet sich an diesem Punkt, nämlich ob bei der Entscheidung in der Konfliktlage im Grundsatz ungeborenes Leben in seinem Wert dem geborenen tatsächlich gleich erachtet wird.
Wer das Lebensrecht der Mutter und ihr Recht, die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit von sich abzuwenden, als Grund für die Tötung ungeborenen Lebens mit anderen Gründen auf eine Stufe stellt, verneint die Gleichwertigkeit der Rechtsgüter des ungeborenen und des geborenen Lebens von vornherein. Unsere ganze Glaubwürdigkeit als Rechtsstaat hängt nach meiner Meinung davon ab, was als zumutbare Belastung der Schwangeren bei der Ab-



Köster
wägung der Rechtsgüter in diesem Konflikt vertreten werden kann oder muß.
Es ist für uns, die wir den Entwurf des Kollegen Heck vertreten, nicht leicht, zu wissen, daß auch unser Entwurf nicht in letzter Konsequenz das Rechtsgut des ungeborenen Lebens in der gleichen Weise schützen kann wie das Rechtsgut, das das Leben der Mutter darstellt.
Unsere Inkonsequenz und unser Kompromiß, den wir eingehen müssen, wird daran erkennbar, daß wir es immer ablehnen, ein geborenes krankes Kind zu töten, auch dann, wenn die Mutter in der Erkenntnis der Krankheit des Kindes einen schweren gesundheitlichen Schaden hinnehmen muß. Wenn aber andererseits ein ungeborenes Kind unheilbar krank ist und die Mutter in diesem Wissen bereits vor der Geburt in die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder psychischen Gesundheit gerät, sind wir bereit, die Tötung des ungeborenen Menschenlebens als therapeutische Maßnahme für die Mutter nicht als strafbar anzusehen.
Das einzige, was diese Inkonsequenz nicht als unerträglich erscheinen läßt, ist der Gedanke, daß das Strafrecht in analogen Situationen auch sonst Strafbarkeit verneint. Nur das einer Notwehr gleich zu wertende Verhalten der Mutter zur Erhaltung ihres Lebens oder zur Vermeidung eines schweren Gesundheitsschadens erlaubt es, von Strafbarkeit abzusehen. Jeder von uns darf in Notwehr sein Leben und seine Gesundheit aus so verteidigen, daß notfalls das Leben des Angreifers vernichtet wird. Die Notwehrsituation des täglichen Lebens und ihr Recht finden also für uns eine gewisse Analogie im Konflikt zwischen Mutter und ungeborenem Kind, obwohl dieses kein Angreifer ist. Niemand anders als Herr Maihofer hat uns heute morgen attestiert, daß dies ein von anderen Meinungen unabhängiger Standpunkt ist.
Der Entwurf, über den ich berichte, ist geeignet, jeder Notlage einer Frau, die diese in die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder seelischen Gesundheit bringt, angemessen zu begegnen. Das wird kaum für möglich gehalten. Presse, Rundfunk, Fernsehen und andere Sachverständige sind bezüglich dieses Entwurfs fast immer der Gefahr erlegen, fleißig über ihn zu berichten, ohne ihn zu kennen.
Was ist nun der Kern unseres Entwurfs? — Wir sind der Überzeugung, daß eine durch strafbare Handlung entstandene Schwangerschaft oder die Gefahr einer Gesundheitsschädigung des Kindes und soziale oder andere Umstände nicht schon allein die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs rechtfertigen können, sondern nur dann, wenn infolge dieser Umstände eine Lebens- oder schwere Gesundheitsgefahr für die Mutter dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes entgegensteht. Umgekehrt betrachtet, an einer praktischen Situation verglichen: Wir wollen also nicht, daß einer Mutter, die der Geburt eines schwer geschädigten Kindes entgegensieht und glaubt, aus der Kraft ihres Glaubens oder ihrer Persönlichkeit dieses Leid annehmen zu können, von irgend jemandem in Zukunft gesagt werden könnte, das Gesetz gebe ihr aber die Möglichkeit zur Tötung des Ungeborenen und es sei doch verantwortungsbewußter, der eigenen Familie dem Staat gegenüber, diesen die Last nicht zuzumuten. Meine Damen und Herren, wir wollen nicht zurückfallen in die Rechts-, Sozial- und Lebensverhältnisse des alten Sparta. Nur eine so verstandene Indikation, die einen Schwangerschaftsabbruch als therapeutische Maßnahme angezeigt erscheinen läßt, ist ein Grund für den Ausschluß der Strafbarkeit. Für alle anderen Fälle bleibt der Schwangerschaftsabbruch im Grundsatz strafbar, weil sonst das Recht auf Leben für den ungeborenen Menschen vernichtet würde.
Wer hat das Recht, diesen Entwurf „eng" zu nennen, der wirklich alle Situationen des menschlichen Lebens, etwa die soziale Lage, die Furcht vor einem kranken Kind, die Not einer Vergewaltigten oder andere, gar nicht mehr formulierbare Sachverhalte und Nöte, wenn sie tatsächlich eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen Gesundheit der Mutter bewirken, berücksichtigt? Eine so verstandene medizinische Indikation hat mit den anderen Indikationen nur den Namen gemeinsam. Während die medizinische Indikation dem Arzt einen Freiheitsraum für seine Entscheidungen öffnet, sind die anderen Indikationen eher Wegleitungen — wie die Schweizer sagen würden — des Gesetzgebers an den Arzt, Leben straffrei zu töten, obwohl medizinisch keine hinreichenden Gründe vorliegen, die Schwangerschaft abzubrechen.
Werden nicht alle nichtmedizinischen Indikationen — die kriminologische, die kindliche und die soziale — unbewußt deswegen als berechtigt angesehen, weil man bei ihnen immer eine medizinisch feststellbare schwere Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit der Mutter als gegeben hinzudenkt und ihnen damit eine Berechtigung zuerkennt, die sie aus sich nicht haben? Eine Indikation, die nicht eine medizinische ist, die also keine hinreichende Auswirkung der Schwangerschaft auf Leben und Gesundheit der Mutter erkennen läßt, erlaubt es, ein Kind zu töten, weil z. B. im Einzelfall soziale oder andere Hilfen fehlen.
Eben ist von Frau Kollegin Funcke gesagt worden, das Fristenmodell sei einfach und klar. Einfach und klar für die Frau, aber auch einfach und klar für das ungeborene Leben: es wird einfach und klar getötet.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Die von uns vorgeschlagene Lösung unterscheidet sich vom Fristenmodell prinzipiell dadurch, daß wir sagen:
Erstens. In einer Konfliktsituation zwischen Frau und ungeborenem Kind kann nicht die Frau allein über das ungeborene Leben verfügen. Wir legen diese Entscheidung in die Hände von Ärzten. In einem Rechtsstaat darf kein Konflikt kraft Recht des Stärkeren gelöst werden.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße]: Sehr richtig!)

Zweitens. Der Ermessensspielraum und das Motiv für eine Abtreibung dürfen bei den Ärzten nur the-



Köster
rapeutisch begründet sein. Das heißt, es ist ein Bestandteil eines Heilverfahrens für die Mutter, das das Lebensrecht des Ungeborenen als gleichrangig im Auge behält.
Meine Damen und Herren, wir sehen, daß auch Ärzte gegen ihren hippokratischen Eid, gegen ihr Berufsethos handeln können und dadurch im einzelnen, illegalen Ausnahmefall ungeborenes Leben töten. Das ist aber etwas grundsätzlich anderes, als das ungeborene Leben in den ersten drei Monaten seiner Existenz kraft Gesetzes ungeschützt zu lassen. Unser Entwurf mutet also keinem Arzt in keinem Falle zu, die Grundrichtung seines Berufes — nämlich zu heilen — zu verleugnen. Wir würden das Vertrauen in einen ganzen Berufsstand zerstören, wenn wir von den Ärzten verlangten, gelegentlich auf Verlangen Dritter ohne hinreichenden Grund zu töten.
Unser Entwurf sieht weiter vor, daß die Schwangere vor einem Schwangerschaftsabbruch insbesondere über die zur Verfügung stehenden Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder beraten wird. Die dann erforderliche Begutachtung durch die Gutachterstelle ist kein Verwaltungsakt, so daß die Schwangere nicht gezwungen wird, wegen des Inhalts des Gutachtens den Rechtsweg zu beschreiten. Wenn der ausführende Arzt die medizinische Indikation im Einzelfall als gegeben erachtet, kann er nämlich unter zusätzlichen Auflagen den Eingriff auch dann vornehmen, wenn die Gutachterstelle zu einem anderen Ergebnis gekommen sein sollte. Diese Freiheit läßt sich bei diesem Entwurf rechtfertigen, weil wir nur die medizinische Indikation in u n s er e r Ausprägung anerkennen.
Die Vorschriften weiterer Artikel des Gesetzentwurfes wollen die Geheimhaltung dessen gewährleisten, was die Schwangere den in diesem Gesetz vorgesehenen Beratungs- und Gutachterstellen anvertraut. Nur wenn diese Geheimhaltung gesichert ist, kann damit gerechnet werden, daß die Schwangere, statt in die Illegalität zu gehen, die angebotenen Beratungsmöglichkeiten nutzt. Das Zeugnisverweigerungsrecht eines Angehörigen einer Beratungsstelle ist dem Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes gleichzustellen.
Für Fälle, in denen der Schwangerschaftsabbruch zwar ohne Voraussetzungen einer medizinischen Indikation, aber auf Grund einer außergewöhnlichen Bedrängnis der Schwangeren vorgenommen wurde, kann die Schwangere straffrei gelassen werden. Im Falle eines ärztlichen Eingriffs gibt der Entwurf dem Richter die Möglichkeit, auch bei den Helfern von Strafe abzusehen, wenn diese in Kenntnis der außergewöhnlichen Bedrängnis der Schwangeren handeln. Wir verurteilen also ausdrücklich eine unangemessene Härte gegenüber einer Frau, die in außergewöhnlicher Bedrängnis falsch gehandelt hat.
Nach unserem Entwurf ist weiterhin niemand zu einer Mitwirkung beim Schwangerschaftsabbruch verpflichtet. Die Freiheit eines jeden, in dieser Frage nach seinem Gewissen zu entscheiden, ist bereits durch Artikel 4 des Grundgesetzes anerkannt. Die Freiheit, eine Mitwirkung bei einem Schwangerschaftsabbruch zu verweigern, muß aber für jedermann auch unabhängig von seinem Motiv gelten. Entsprechendes gilt auch für Krankenhäuser und Kliniken. Sie sollen grundsätzlich nicht gezwungen werden, Patientinnen zum Zweck des Schwangerschaftsabbruches aufzunehmen.
Die Diskussion über den § 218 wird bei vielen Befürwortern des Fristenmodells mit dem Motiv der Selbstbestimmung der Frau geführt. Wir bejahen die Selbstbestimmung und fordern sie mit allen staatlichen gesellschaftlichen Mitteln, soweit es die Freiheit der Frau betrifft, wie etwa die Freiheit und ihr Freiheitsrecht, nicht ungewollt Mutter werden zu müssen. Die Emanzipation der Frau, verstanden als die Bestimmung der Frau über sich selbst, kann jedoch nicht die Bestimmung über das ungeborene Leben mit umfassen. Die Selbstbestimmung eines Menschen findet dort ihre Grenzen, wo die Selbstbestimmung zur Fremdbestimmung über anderes menschliches Leben wird.
Im übrigen sei angemerkt, daß auch ein freiheitliches Zusammenleben in einem Rechtsstaat ohne eine Fremdbestimmung durch Gesetze nicht denkbar ist. Eine durch Gesetz auferlegte Fremdbestimmung ist nicht abzulehnen, wenn sie den Freiheitsraum Gleichwertiger sichert. Vom Standpunkt dessen, der ungeborenes Leben schützen will, ist deshalb das Fristenmodell ein Beispiel für eine gesetzliche Regelung, die eine unerträgliche, willkürliche Fremdbestimmung im Sinne des ungeborenen Lebens ermöglicht. Ist nicht Tötung die negativste Form von Fremdbestimmung?!
Herr Kollege Dr. Bardens hat heute morgen gesagt, daß die Freiheit von unserer Rechtsordnung leider erkauft werden könne. Lassen Sie mich also in diesem Zusammenhang noch ein paar Worte zu der angeblichen Privilegierung reicher Frauen gegenüber armen bei der Durchführung eines illegalen Schwangerschaftsabbruches sagen. Das Argument, daß es eine wenig begüterte Frau bei der Durchsetzung ihrer Rechte schwerer hat als eine reiche und vielleicht geistig wendigere Frau, kann nicht geleugnet und auch nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wir alle sind verpflichtet, uns darum zu bemühen, vermeidbare Benachteiligungen, die in einem Unterschied der Begabungen oder der gesellschaftlichen Verhältnisse begründet liegen, für alle Mitglieder zu beseitigen. Sollen wir aber die Möglichkeit der reichen Frau, illegal zu handeln, zum Maßstab machen für die Chancengleichheit der weniger wendigen, der weniger begüterten? Chancengleichheit für die Vernichtung von Rechtsgütern herzustellen, ist kein Sozialstaatsprinzip.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Die kindliche Indikation birgt große Gefahren für das Wertbewußtsein gegenüber menschlichem Leben in unserer Gesellschaft. Das moralische Ansehen, das die kindliche Indikation zum Teil hat, stützt sich auf das Bewußtsein von der schweren psychischen und körperlichen Belastung, die eine Mutter hinnehmen muß, wenn sie ein körperlich oder geistig behindertes Kind erwartet. Gerade dann aber wird die kindliche Indikation mit der medizinischen verwech-



Köster
seit. Wenn bei der kindlichen Indikation tatsächlich aber die die Gesundheit der Mutter beeinträchtigenden Gesichtspunkte alle fehlen, ist sie dann noch von der Euthanasie zu unterscheiden? Ist es erlaubt, menschliches Leben zu töten, weil ihm angeblich ausreichende Qualitäten fehlen, ohne daß es anderes Leben bedroht? Stellt man dann nicht Lebensunwertigkeit fest? Abtreibung unterscheidet sich nach meiner Meinung in diesem Falle nicht mehr von Euthanasie.
Meine Damen und Herren, mein Gewissen läßt es nicht zu, anzuerkennen, daß eine kindliche Indikation „in der Regel" der medizinischen untergeordnet sein kann. Man darf, wenn ich mein Gewissen befrage, auch nicht nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit töten. Gibt es denn ein Recht, das es erlaubt, ein krankes Kind wegen seiner Krankheit zu töten? Schon gar nicht kann es erlaubt sein, es zusammen mit einer Anzahl gesunder Kinder zu töten, nur weil man das kranke Kind nicht sicher von den gesunden Kindern unterscheiden kann.
Kollege Ostman von der Leye hat recht, wenn er im „Vorwärts" schreibt — ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin :
wenn der Gesetzgeber inhaltliche Güterabwägungen zum Nachteil des Lebensrechts zugunsten minderer Güter plakativ im Gesetz vornehmen soll, dann ließe sich dies auf einen bestimmten Zeitraum nicht begrenzen. So z. B. bei der kindlichen Indikation, bei der die psychische Belastung der Mutter und der Familie erst recht nach der Geburt auftritt. Wäre eine kindliche Schädigung vor der Geburt, also einmal übersehen worden, so würde der schon inhaltlich bestimmte Rechtfertigungsgrund unweigerlich zur Euthanasie eines geborenen Lebens führen.
So weit, so gut.
Was über die kindliche Indikation und ihre moralische Verbindung zur medizinischen Indikation gesagt worden ist, gilt im Prinzip auch für die soziale Indikation. Wer im Deutschland der 70er Jahre eine soziale Indikation für berechtigt hält, sagt indirekt, daß es nicht möglich ist, daß Staat und Gesellschaft der Mutter ausreichende Hilfen geben, ihr Kind großzuziehen.

(Abg. Dr. Ritz: Sehr wahr!)

Hier wird erlaubt, menschliches Leben zu töten, weil der Staat glaubt, dem Kind einen Mindestlebensstandard nicht garantieren zu können. Wer setzt dann eigentlich die Maßstäbe fest, wonach sich ein Leben lohnt? Muß man töten, weil man einem Kind die sozialen Verhältnisse der Eltern nicht zumuten will, obwohl man helfen könnte? Soll man einem Kind die Lebenschance nehmen, wenn man glaubt, die Chancengleichheit nicht verwirklichen zu können? Meine Damen und Herren, es ist brutal unsozial, wenn man einer armen Frau zwar die Kostenerstattung für einen Schwangerschaftsabbruch staatlicherweise zuerkennt, ihr aber nicht hilft, die Aufwendungen für die Erziehung ihrer Kinder bereitzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist oft über die Einflußnahme der Kirchen, der Ärzteschaft und anderer Gruppen auf die Abgeordneten bezüglich dieser Gesetzgebungsproblematik gesprochen worden, also von Gruppen, auf deren Engagement auch unser Staat angewiesen ist, um ein Sozialstaat zu bleiben. Ich meine, daß es nicht unangebracht ist, auch deren Meinung, insbesondere die Meinung des Ärztetages 1973, in die Entscheidung über § 218 mit einzubeziehen.
Meine Damen und Herren, nur Mitglieder der FDP und SPD, also der Koalitionsfraktionen, können mit uns die Fristenregelung verhindern. Ich erkläre unsererseits die Bereitschaft, in letzter Minute einer Regelung zur Mehrheit zu verhelfen, die den Beschlüssen des Deutschen Ärztetages zur Novellierung des § 218 nicht widerspricht. Niemand darf also nach unserer Meinung sagen, er sei deswegen für die Fristenregelung gewesen, weil bei der CDU/ CSU keine Bereitschaft zu einem Kompromiß im Sinne der Beschlüsse des Ärztetages vorhanden gewesen sei.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709533400
Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Focke.

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0709533500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Entscheidung, um die wir hier miteinander ringen, müssen wir uns davor hüten, den Vorwurf zu erheben, als kündigten die Anhänger eines der vier vorliegenden Gesetzentwürfe den Grundkonsens „Du sollst nicht töten" auf. Weder die Befürworter der Fristenregelung noch die von Indikationen über die engst gefaßte medizinische hinaus stellen diese Norm in Frage. Es geht im Gegenteil gerade auch ihnen darum, wie dieser Norm zu mehr Geltung verholfen werden kann,

(Zustimmung bei der SPD)

wie werdendes Leben und das vieler Frauen und Mütter besser beschützt werden kann als bisher. Keiner — um das sehr deutlich zu sagen — hat hier einen Gesetzentwurf zur Förderung des Schwangerschaftsabbruchs eingebracht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es geht um die Frage, was ein Strafgesetz, was Strafandrohung zu leisten vermag und ob nicht andere Maßnahmen besser helfen als Strafandrohung. Bei der Suche nach der relativ besten Antwort auf diese Frage müssen wir den Mut und die Ehrlichkeit haben, uns mitten hineinzustellen in das Spannungsfeld, in den Gegensatz, in den Widerspruch zwischen Norm oder Sittengesetz oder Gebot Gottes — wie jeder von uns das nennen möchte — auf der einen Seite und der Tatsache, der Wirklichkeit, der Not von Hunderttausenden von Abtreibungen auf der anderen Seite, bei uns oder in Ländern mit vergleichbarer Gesetzgebung und vergleichbarer gesellschaftlicher und sozialer Situation. Beides, meine Damen und Herren, sind die Markierungspunkte, die uns im Ringen um die beste Regelung gegeben sind: die Norm und das massenhafte



Bundesminister Frau Dr. Focke
Elend illegaler Abtreibung trotz — oder vielleicht wegen? — Strafandrohung.
Strafgesetz und Sittengesetz sind zwei verschiedene Dinge und haben doch miteinander zu tun. Kardinal Döpfner hat recht. Im Falle des geltenden § 218 haben sie aber in einem unbefriedigenden Sinn miteinander zu tun. Das Strafgesetz hat sich als unfähig erwiesen, das Sittengesetz zu unterstützen. Es steht wie eine Barriere zwischen der Not und dem Rat; es verhindert die Beratung. Hier liegt einer der gravierenden Unterschiede bei der Suche nach der — ich betone es noch einmal — relativ besten Regelung.
Ist Ratsuchen und Erteilung von Rat und Hilfe — und daß wir dies bejahen, unterstelle ich als einen weiteren Grundkonsens in diesem Hause —bei harter Strafandrohung möglich, oder muß nicht die Strafandrohung wenigstens teilweise oder zeitweise zurückgenommen werden, damit Beratung und Hilfe sich entfalten können? Die Antwort derjenigen, die, wie ich, die Fristenregelung unterstützen, heißt — um ein Zitat des Präsidenten des Kirchenausschusses der Bremischen Evangelischen Kirche, mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, zu benutzen —: „zeitlich befristeter Verzicht des Staates auf seinen Strafanspruch", um so füge ich hinzu — ein Mehr an Beratung und Hilfe zum Schutz des Lebens zu erreichen.
Führende Schweizer Katholiken — und wir sollten bei der Suche nach Antworten, wie es heute auch schon geschehen ist, den Blick auch immer wieder über die Grenzen werfen; denn nicht nur das Problem, sondern auch seine Auswirkungen haben grenzüberschreitende Qualität haben als ihre Antwort einen Gesetzentwurf über den Schutz bei Schwangerschaft und über die teilweise Straflosigkeit bei Abtreibung dem Schweizer Justizminister vorgelegt. Sie haben sich für eine soziale Antwort entschieden und relativieren dabei die Rolle des Strafgesetzes. Im Vordergrund stehen bei ihnen die obligatorische Beratung, Beratungszentren, Hilfsangebote.
Meine Damen und Herren von der Opposition, die Konzeption der Befürworter der Fristenregelung ist die gleiche, auch wenn sie hier nicht in einem einzigen Gesetz in Paragraphenform gegossen ist, sondern das Ganze sich in einem Bündel von Gesetzen und Maßnahmen niederschlägt. Die obligatorische Beratung, sozial und medizinisch, durch Arzt und / oder Beratungsstelle ist in unserem Gesetz unmißverständlich im Sinne des Schutzes und der Hilfe verankert, vor allem nachdem nun noch auf Initiative unseres Kollegen Rapp eine letzte Klarstellung in den § 218 c hineingekommen ist.
Der kostenlose Zugang zu dieser Beratung ist für alle Sozialversicherten und Sozialhilfeempfänger durch das sogenannte Strafrechtsreformergänzungsgesetz in dritter Lesung hier vor kurzem verabschiedet worden. Auch dieses Gesetz — das sage ich nun vor allen Dingen an die Adresse der Bundesratsmehrheit — ist ein Gesetz für umfassende Beratung, vor allem auch zur Familienplanung und zur Empfängnisregelung und nicht ein Gesetz zur Förderung des Abbruchs. Die Länder sind aufgerufen — ich selbst habe das nun mehrfach auf Konferenzen z. B. der Gesundheitsminister oder der Jugendminister getan —, ein Netz von Beratungsstellen zu schaffen. Der Bund hilft mit seinen Möglichkeiten. Mit einem Aufwand von 31/2 Millionen DM pro Jahr fördert er in den nächsten drei Jahren 50 Modellberatungsstellen — zu mehr reicht seine Zuständigkeit nicht —; die ersten haben ihre Arbeit aufgenommen.
Wirksamer Schutz für das werdende Leben kann vor allem durch wirksame Hilfen für die Mutter und für die ganze Familie gewährleistet werden. Ich glaube, auch darin sind wir uns alle einig, auch wenn wir die Effizienz, die Auswirkungen, die Möglichkeiten, die z. B. gerade in finanziellen Hilfen liegen, vielleicht unterschiedlich einschätzen. Aber unklar ist offenbar dieser Eindruck hat sich mir in den vergangenen Wochen vor allen Dingen in der Diskussion draußen aufgedrängt — für viele noch, daß wir in den letzten Jahren nicht wie gebannt auf die bevorstehende Reform des § 218 gewartet haben, sondern daß wir die Zeit genutzt haben mit einer Vielzahl von Gesetzesinitiativen, Maßnahmen und Anstößen, daß wir Verbesserungen für die Familien, für die Frauen, für die Kinder — keineswegs nur im Zusammenhang mit dem § 218 geplant und vorangetrieben haben.
Dazu gehört z. B. eine Änderung unseres bis voi kurzem noch sehr schwerfälligen Adoptionsrechts. Es ist in einer ersten wichtigen Novelle sehr viel flexibler geworden. Weitere Gesetze zu dieser Materie folgen. Dazu gehört eine familiengerechte und zeitnahe Sozial-, Wohnungs- und Steuerpolitik. Sie ist durch diese Bundesregierung in vielfacher Weise gefördert worden. Dazu gehört sicher vor allem auch die Reform des Familienlastenausgleichs. Ab 1. Januar 1975 soll es für alle Familien unabhängig vom Einkommen und schon vom ersten Kind an eine einheitliche Kinderentlastung geben. Der Staat wird sich dann an den Kosten, mit denen Kinder Familien belasten, monatlich beim ersten Kind mit 50 DM, beim zweiten mit 70 DM, beim dritten und bei jedem weiteren Kind' mit 120 DM beteiligen.
Aber das Kindergeld ist nur ein Beitrag in einem ganzen Bündel von Hilfsangeboten, mit denen der Staat die Familien unterstützt. So sind z. B. in den letzten drei Jahren folgende Angebote im wesentlichen auf Initiative von Regierung und Koalitionsfraktionen geschaffen worden: staatliche Förderung bei der Ausbildung für Schüler und Studenten, kostenfreier Unfallschutz für alle Kindergartenkinder, Schüler und Studenten in Kindergärten, Schulen und Hochschulen oder auf dem Weg dorthin, kostenlose Vorsorgeuntersuchungen für werdende Mütter und Kleinkinder bis zu vier Jahren, Freistellung von Vater oder Mutter, wenn beide berufstätig sind, zur Pflege eines erkrankten Kindes, Stellung und Kostenübernahme einer Haushaltshilfe, wenn die Mutter in einer Klinik zur Entbindung oder ins Krankenhaus muß oder wenn sie eine Kur nötig hat. Das Sozialhilfegesetz wurde verbessert, das Pflegegeld für Behinderte wurde wesentlich erhöht, die Kosten bestimmter Eingliederungshilfen für behinderte min-



Bundesminister Frau Dr. Focke
derjährige Kinder übernimmt der Staat; Wohnungshilfe wird von allen mit Recht gefordert, kinderreiche Familien aber liegen an der Spitze der Haushaltungen, die Wohngeld erhalten. Auch die Anhebung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau kommt vor allem kinderreichen Familien zugute.
Mehr Kinderfreundlichkeit in unserem Lande ist nicht nur eine Forderung der Familienverbände. Mehr für Kinder zu tun, ist das Ziel dieser Regierung. Dazu soll unter anderem die schon erwähnte Reform des Jugendhilferechts mit Rechtsansprüchen für Kindergartenplatz, Erziehungsberatung, Erziehungshilfe und die Reform der elterlichen Sorge mit besserem Schutz für gefährdete Kinder und mehr Mitwirkungsmöglichkeiten im persönlichen Bereich für alle Kinder und Jugendliche beitragen. Auch die Tagesmutter, die vielumstrittene, soll ein Beitrag zur Lösung des Problems sein, wie kleine Kinder, deren Mütter sich aus schwerwiegenden Gründen tagsüber nicht um sie kümmern können, bestmöglich versorgt und betreut werden. Dieser Modellversuch knüpft an die längst vorhandenen und keineswegs umstrittenen Tagespflegestellen an und wird selbst da, wo es Erziehungsgeld im ersten Lebensjahr eines Kindes gibt wie zum Beispiel in Osterreich, keineswegs überflüssig.
An dieser Stelle ein Wort zum Gesetzentwurf über das Erziehungsgeld, meine Damen und Herren von der Opposition. Er erinnert mich an den etwas dürftigen Bestand an staatlichen Leistungen für die Familie, die Sozialdemokraten und Freie Demokraten 1969 vorgefunden haben. Damals, als sie noch in der Regierung war, sprach die CDU weder von Erziehungsgeld noch von Familiengründungsdarlehen oder Unterhaltsvorschußkassen.

(Beifall bei der SPD.)

Von einem familienpolitischen Programm, wie es die SPD vor zwei Jahren vorgelegt hat, war keine Rede. Übrigens hat dieses familienpolitische Programm der SPD ganz offensichtlich als Ideenlieferant für die familienpolitischen Vorschläge der CDU gedient. Ich will es mir nun nicht so leicht machen, nur den mangelnden Nachweis zu kritisieren, wie die 1,4 Milliarden DM zusätzlich zum Familienlastenausgleich zum ersten Januar 1975 finanziert werden sollen.

(Abg. Franke anderen Ton in die Debatte!)

Wichtiger scheint mir dies: Ist der Milliardenaufwand, der sich mit 300 DM, im Einzelfall ausnahmsweise mit 700 DM im Monat, auswirkt, ein wirklich effizienter Beitrag im Sinne dessen, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mit diesem Gesetz wollen und was ich unterstützen kann, wenn man Kosten und das, was dabei herauskommt, miteinander vergleicht?

(Abg. Köster: Was schlagen Sie vor?)

Weder ist die Einstellung der Eltern, insbesondere der Mutter, in der Abwägung zwischen Selbstverwirklichung durch Erwerbsbetätigung — diesen Faktor muß man auch sehen — und den Erfordernissen der Kindererziehung genügend erforscht, noch die Wirkung finanzieller Anreize auf die Bereitschaft der Mutter, Erwerbsbetätigung zugunsten von Erziehungsaufgaben aufzugeben oder einzuschränken. Ich glaube, daß dies Fragen neben anderen sind, die noch einer sehr sorgfältigen Prüfung bedürfen, unabhängig von der im übrigen natürlich erheblichen Finanzierungsfrage. Ich selbst bin längst an dieser Prüfung, aber ich bedarf dazu noch verstärkter Aufschlüsse vor allen Dingen über die Bedürfnis- und Motivationssituation bei Frauen, die für dieses Erziehungsgeld in Frage kommen.
Ich komme zurück auf den Schweizer Gesetzentwurf für den Schwangerschaftsschutz. Ich meine, die Rolle und die Verankerung von Beratung und das Angebot sozialer Hilfen, das wir geschaffen oder in Aussicht genommen haben, entspricht jenem Anliegen und zeigt, daß wir eine soziale Regelung suchen und schaffen, bei der das Strafgesetz relativiert werden kann. Die soziale Antwort bleibt eine langfristige Aufgabe. Zu ihr gehört auch, wie Frau Funcke sagte, mehr von der Wirklichkeit der Abtreibungsgründe zu wissen; und hei ihr geht es gewiß um die Zusammenarbeit vieler.
Die Kirchen wurden schon genannt. Ihre normative und helfende Kraft gewinnt erhöhten Spielraum, wenn der Hauptakzent nicht auf einem ineffizienten Strafgesetz liegt, das allzulange zu einer falschen Beruhigung tätigen Gewissens verleiten konnte.
Ich denke vor allem an die Ärzte. Für den Erfolg der Reform des § 218 — da sind wir uns sicher auch wieder einig — wird die Qualität der ärztlichen Beratung von ausschlagebender Bedeutung sein; sie schließt auch die Beratung über soziale Hilfen ein. Es ist nicht so, daß die Beratung über den sozialen Bereich für die Ärzte eine völlig neue Aufgabe darstellt oder eine Aufgabe, die von Ärzten nicht mit wahrgenommen werden könnte. Der moderne Gesundheitsbegriff, von dem heute auch viel die Rede war, der neben dem körperlichen und seelischen Wohlbefinden auch soziale Belange mit einbezieht, bedeutet insoweit eine Wiederaufnahme oder Fortsetzung alter ärztlicher Aufgaben.
Die zuständigen Stellen in Bund und Ländern sowie bei den Organisationen werden die Ärzte hierbei in weitestmöglichem Umfang unterstützen; die Maßnahmen hierzu sind bereits seit längerem angelaufen, z. B. die Fortbildung der Ärzte, die von den Ärztekammern durchgeführt wird und die sich in diesem Jahr als Schwerpunkt mit den Fragen der Familienplanung und der gesamten ärztlichen Beratung in diesem Zusammenhang befaßt. Die Ärzte werden durch kein Gesetz gezwungen, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Ihre freie Entscheidung wie die aller Mitwirkenden — und auch der Krankenhausträger — ist gesetzlich garantiert. Das Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz, die Beratungsstellen, die sozialen Angebote in Verbindung mit der Fristenregelung helfen den Ärzten, das umfassender und wirkungsvoller tun zu können, wozu ihr Beruf sie bestimmt: zu beraten. Und wo sie sich mit einer Frau zusammen für einen Abbruch entscheiden, können sie dies offen und in jedem Fall — das ist bis heute ganz sicher nicht gegeben —



Bundesminister Frau Dr. Focke
unter medizinisch einwandfreien Bedingungen, auch der Nachsorge, tun. Die Erfahrung in Ländern mit liberalisiertem Strafrecht zeigt, daß die Ärzte dies erkennen und wahrnehmen. Ich hoffe, es wird auch bei uns so sein.
Es ist in der Diskussion behauptet worden, daß trotz einer Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung die illegalen Abbrüche nicht abnähmen; gelegentlich wird sogar von einem Ansteigen illegaler Abbrüche gesprochen. Für diese Behauptung, meine Damen und Herren, gibt es keinerlei Beweis. Es ist selbstverständlich, daß nach einer Liberalisierung die Zahl der legalen Abbrüche zunächst steigt, vor allem, wenn dabei auch Schwangerschaftsunterbrechungen an im Ausland wohnenden Frauen mitgezählt werden. Aus diesen Zahlen lassen sich aber keine Schlüsse hinsichtlich der Gesamtrate der Schwangerschaftsabbrüche ziehen..
Der englische Lane-Bericht, der gerade herausgekommen ist — die beste bisher vorliegende Auswertung des längsten Erfahrungszeitraumes mit einem liberalen Strafgesetz, das sich in der Praxis wie die Fristenregelung auswirkt —, stellt wörtlich fest:
Es erscheint dem Komitee, daß die Zahl der illegalen Abbrüche zurückgegangen ist, seitdem das Gesetz in Kraft getreten ist, aber es ist unmöglich, irgendeine verläßliche Schätzung über das Ausmaß des Rückgangs zu machen. Zu keiner Zeit war es praktisch möglich, genau die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu ermitteln, die vor oder nach Inkrafttreten des Gesetzes durchgeführt worden sind.
Die Schwierigkeit, meine Damen und Herren, liegt dort wie hier natürlich darin, daß die Zahlen über illegale Abbrüche in weitem Umfang auseinandergehen.
Soweit bestimmte Abbrüche auch bei Liberalisierung weiterhin strafbar bleiben, wird es auch weiterhin natürlich eine bestimmte Rate krimineller Abbrüche geben. Das beeinträchtigt aber die begründete Vermutung und Feststellung nicht, daß illegale Abrüche mit der Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes reduziert werden.
Dieser Lane-Bericht, der Bericht einer englischen Regierungskommission, gibt übrigens noch manchen wichtigen Aufschluß, so über die hohe Bedeutung der Einsetzung und Arbeit einer solchen Regierungskommission — dieser Bundestag hat sie vor kurzem auch für dieses Land beschlossen; die Vorbereitungen sind angelaufen —, so über die Rate der Frauen mit wiederholtem Abbruch. Sie ist sehr viel kleiner, als oft und auch heute wieder hier behauptet worden ist, nämlich 8 %, und auch dies sind meist psychosoziale, besonders labile Problemfälle. Auf einen Abbruch folgt bei entsprechender Beratung meist die verstärkte Anwendung von Verhütungsmitteln.
Der Bericht zeigt übrigens, daß die Hälfte aller ungewollten Schwangerschaften auf unzuverlässigen Verhütungsmethoden beruhen, ein Viertel auf nicht regelmäßiger oder unsachgemäßer Anwendung und ein Viertel darauf, daß überhaupt keine Empfängnisregelung zu der Zeit praktiziert wurde. Entsprechend betont der Bericht die Bedeutung von Aufklärung und Familienplanung und bestätigt den Akzent, den wir darauf setzen.
Das Bedürfnis nach Aussprache und Beratung ist nach diesem Bericht enorm. Nach dem Lane-Bericht entspricht das Angebot dem keineswegs. Seine Schlußfolgerung heißt: bessere Ausbildung von Ärzten und anderen Beratungspersonen und die Entwicklung von Beratungsstellen. Diese Schlußfolgerung haben wir auch vorher schon gezogen.
Schließlich: die Zuwachsrate der legalen Schwangerschaftsabbrüche nimmt ab, der Stau vor den Krankenhäusern fand nicht statt, die medizinischen Kenntnisse im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch nehmen zu, die gesundheitlichen Gefahren für die Frauen nehmen ab, und die Müttersterblichkeit infolge unsachgemäßer Schwangerschaftsabbrüche wird entscheidend gesenkt. Das ist die nüchterne Statistik eines seriösen Erfahrungsberichts. Aber wenn wir von Schutz von Leben und Gesundheit sprechen, gehört sie bestimmt dazu.
Meine Damen und Herren, mein Kollege Professor Maihofer hat heute vormittag eine große Rede mit einer Begründung für die Fristenregelung gehalten, die, wie ich beobachtet habe, viele in diesem Hause beeindruckt hat, auch manche, die seinen Standpunkt nicht teilen. Die andere Begründung, die Frau Schlei heute morgen einleitend und überzeugend gegeben hat und die ich zu unterstützen versuche, lautet zusammengefaßt — der Herr Bundeskanzler hat das einmal gesagt — „Beraten ist besser als Bestrafen". Beide Denk- und Handlungsansätze schließen sich nicht aus. Im Gegenteil, sie verbinden sich zu der gemeinsamen Konzeption und Handlungsmotivation des Mehrheitsentwurfs der Koalitionsfraktionen der eine Fristenregelung im Zusammenhang auch mit anderen Maßnahmen befürwortet. Sie verbinden sich zu der — ich wiederhole Professor Maihofer bewußt— relativ menschlichsten Antwort auf das Problem der Abtreibung, wie sie nach gewissenhaft geprüfter Meinung der Koalitionsmehrheit unserem heutigen Sozial- und Rechtsstaat angemessen ist. Sie zielt auf die Vernunft und auf die Würde der Frau bei gleichzeitiger verstärkter Anstrengung zum Schutz von Leben und Gesundheit von Frau und Kind durch Beratung und soziale Hilfe.
Ich bitte diejenigen, die diesen Standpunkt nicht teilen können, um Achtung auch vor seiner moralischen Qualität.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709533600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt (Grolsheim).

Hugo Brandt (SPD):
Rede ID: ID0709533700
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich hier mit einigen Argumenten auseinanderzusetzen, die in der vorangegangenen Debatte eine Rolle gespielt haben, und bitte um Entschuldigung, wenn dies notwendigerweise hier nicht in so wohlvor-



Brandt (Grolsheim)

bereiteten und wohlgesetzten Worten geschehen kann.
Wir haben heute morgen mehrfach von Grundwerten und Grundwertüberzeugungen gesprochen. Dabei hat beispielsweise auch die Frage der Freiheit eine Rolle gespielt. Sicherlich ist es richtig, meine Damen und Herren: wir wollen mehr Freiheit. Es ist die Aufgabe des Staates, Freiheit zu sichern, Freiheit zu schaffen, einen größeren Freiheitsspielraum für alle Menschen in diesem Staat zu schaffen. In diese Überlegung gehört aber auch, daß man sich Gedanken darüber macht, welche Rolle dabei das Strafrecht spielen kann und welche Rolle die Strafe dabei zu spielen hat.
Freiheit war in der Vergangenheit und ist weitgehend auch heute noch aber Freiheit des Mannes. Weder Freiheit der Frau noch Freiheit des Kindes war damit voll in das Bewußtsein — ich rede nicht von der Verfassung — eingeschlossen. Wenn wir aber davon ausgehen, daß die Frau selber und selbstverantwortlich handeln kann, weshalb glaubt man denn dann eigentlich, daß die Selbstverantwortung grundsätzlich der Kontrolle bedarf, ob die Frau aus ihrer Selbstverantwortung auch die richtige Entscheidung getroffen habe, richtig nach den Maßstäben, die ihr von anderen gesetzt werden? Das ist eine Verkehrung von Subjekt- und Objektsituation in dieser Frage. Freilich ist unbestritten, daß Verantwortung zur Freiheit mit dazugehört. Dieser Zusammenhang ist völlig unauflösbar. Wir bestreiten nicht, daß jeder beim rechten Einsatz von Freiheit und Verantwortung auch auf Hilfe zurückgreifen können muß.
Aber an dieser Stelle, Herr Heck, haben Sie das Wort von dem sozialen Dienst eingefügt. Das hat mich etwas betroffen, aber nicht, weil ich gegen diesen sozialen Dienst der Frau etwas einzuwenden hätte; das ist soweit ganz in Ordnung. Aber Sie haben, wenn ich es richtig mitbekommen habe, ungefähr formuliert: das Ja zur Last der neun Monate, das Ja zur Geburt und das Ja zu den tausend kleinen Diensten und Entbehrungen. Sie binden das an die Würde der Frau, meinen aber gleichwohl, dies alles sei doch nicht ganz so zu meinen, weil es dann auch noch strafrechtlich abgesichert werden muß. Ich bin sehr wohl für soziale Dienste, aber ich bin gegen Dienstverpflichtung, auch gegen soziale Dienstverpflichtung. Wir brauchen den Willen der Frau, diesen Dienst zu leisten. Ohne ihn werden wir in dieser Sache nichts schaffen.

(Beifall bei der SPD.)

Freiheit, meine Damen und Herren, ist aber auch die Freiheit desjenigen, der geboren werden soll. Dies ist Leben von Anfang an. Dies wird von uns überhaupt nicht bestritten und ist im übrigen von uns auch nie bestritten worden. Es ist ein Fehler, wenn es beispielsweise in einer Verlautbarung seitens der Kirche heißt, nun hätten auch die Fristenregler begriffen und gäben zu, daß Leben von Anfang an besteht. Ich sage noch einmal: Wir haben das nie bestritten. Es ist ein Fehler, wenn das behauptet wird. Und wenn es von einem Kardinal
gesagt wird, ist es eben ein kardinaler Fehler; aber ein Fehler bleibt es.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709533800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0709533900
Herr Kollege Brandt, Sie sprechen von Freiheit und von Grundsätzen. Da im Godesberger Programm Ihrer. Partei der Satz steht — ich zitiere —:..

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709534000
Sie müssen eine Frage stellen, Herr Kollege!

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0709534100
... ich zitiere: Das Leben des Menschen ist dem Staat vorgegeben — ich widerhole: vorgegeben —, habe ich die Frage an Sie, wie Sie die Fristenregelung mit dem Godesberger Programm vereinbaren wollen.

Hugo Brandt (SPD):
Rede ID: ID0709534200
Diese Frage ist leicht zu beantworten, wenn ich es mir leicht mache. Dann könnte ich nämlich einfach sagen: Gerade weil es dem Staat vorgegeben ist, muß er nicht mit seinen Mitteln in jedem Fall eingreifen, sondern den Menschen ihre Entscheidung in diesem Staat frei belassen und den Staat so einrichten, daß diese Entscheidung für das Kind möglich ist. Aber wenn Sie das allein an das Strafrecht binden wollen, meine Damen und Herren, dann halte ich das für den Gipfel der Einfallslosigkeit.

(Beifall bei der SPD.)

So war das von uns auch nie gemeint. Wir suchen ja gerade deshalb — darin sollten wir uns doch einig sein — den bestmöglichen Schutz für das werdende Leben und die Schwangere, für den Freiheitsspielraum und für den Spielraum der Verantwortung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das können Sie doch gar nicht glauben!)

Dabei geht es nicht darum, der Frau Verantwortung zu geben oder Verantwortung zu nehmen. Wir haben festzustellen: Faktisch hat sie diese Verantwortung. Sie kann ihr nicht genommen, sie kann ihr nicht gegeben werden. Und gerade, weil Sie das Godesberger Grundsatzprogramm zitieren: Ich komme auf einen Grundwert zurück, der für uns eine große Rolle spielt, nämlich den der Solidarität. Ich glaube, Solidarität besteht auch — nicht nur, aber auch — und vor allem in der Hilfe. Solidarisch sein heißt helfen wollen, und das eben nicht nur aus einer christlichen Nächstenliebe heraus, so wichtig die ist, auch nicht nur — was noch viel weniger wäre — aus Mitleid heraus, sondern aus der Solidarität aller Menschen heraus. Aber ich habe etwas dagegen, das Strafrecht als Schutzschild zu verwenden, hinter dem man sich dann verstecken kann, hinter das man sich dann zurückziehen kann.
Herr Eyrich hat heute morgen gesagt — und er hat ja völlig recht; insofern gibt es gar keine Differenz —: Da geht es um die Frage von Erziehungs-



Brandt (Grolsheim)

geld und Kindergeld und all die vielen Maßnahmen, die zum Teil getroffen sind und die noch zu treffen sind. Die lange Liste dessen, was Sie da vorgelegt haben, zeigt uns gerade, was noch zu tun ist. Es zeigt aber auch, was in der Vergangenheit noch nicht getan worden ist. Und das sollten wir zusammen sehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709534300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen)? — Bitte!

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0709534400
Herr Kollege Brandt, würden Sie zugestehen, daß die Schutzfunktion des Strafrechts für die schwangere Frau jedenfalls in dem Fall, der auch von Ihrem Parteifreund, unserem Kollegen Müller-Emmert, vorhin angesprochen worden ist, eine ganz eminente Rolle spielt, wo das Strafrecht der Frau die Möglichkeit gibt, sich einem Druck von außen zur Beseitigung der Leibesfrucht zu widersetzen?

Hugo Brandt (SPD):
Rede ID: ID0709534500
Herr Kollege, nein, dies glaube ich nicht. Ich glaube, daß viel eher die Möglichkeit besteht, sich dieses Drucks von außen zu widersetzen, wenn die Frau nicht den Rückzug auf das Strafrecht antreten muß, wo jedermann weiß, daß man es trotzdem umgehen kann, sondern wenn sie sich gerade auf die Solidarität der vielen anderen verlassen kann, die ihr helfen wollen, die ihr raten wollen, daß sie in eine Beratung hineinkommt und dann dieser Fall dort besprochen wird. Das stärkt den Willen, und das kann sie mehr schützen als eine papierne Formel.

(Beifall bei der SPD.)

Aber ich bin mir klar darüber: das ist unsere Gesellschaft, die so ist, wie sie ist, aber die ja so, wie sie ist, nicht durch einen göttlichen Ratschluß geworden ist, auch nicht durch Einbruch der Transzendenz in die Immanenz, sondern dies ist das Ergebnis von Politik, ist das Ergebnis der Grundanlage einer Gesellschaft. Und deshalb, glaube ich, sind wir uns einig darüber, daß gerade im sozialen Bereich und in der Gesamtgesellschaft eine Vielzahl von Reformen nötig ist. Wenn wir uns dann doch wenigstens einig wären, diese elende „Hast du was, bist du was"-Gesellschaft zu überwinden, einig wären in dem Bemühen, eine Gesellschaft anzustreben, in der alle Menschen sich als Freie und Gleiche in Solidarität begegnen können. Das bringt natürlich den Gedanken der Gerechtigkeit mit hinein. Gerechtigkeit muß nicht identisch sein mit dem kodifizierten Recht. Es ist erst recht nicht identisch mit dem kodifizierten Strafrecht. Gerechtigkeit besteht aus einem vielfältigen Beziehungsgeflecht.
Herr Heck, noch einmal zu Ihnen: Sie sprachen von der Unantastbarkeit des Lebens. Aber diese Unantastbarkeit des Lebens gerade in diesem Rahmen kann doch nicht nur mit den Mitteln des Strafrechts gesichert werden. Darin sind wir uns völlig einig. Sie haben einen Aufbau gebracht beispielsweise von Sexualerziehung, Empfängnisverhütung, sozialen Maßnahmen, Beratung plus Strafrecht, so, als sei das einfach nur kumulativ zu sehen und als bringe jede weitere Situation — schließlich auch das Strafrecht — dann zusätzlich einen weiteren Schutz. Wir haben vielmehr ja gerade die Befürchtung — und ich glaube, wir werden darin Recht behalten —, daß dieser eine Punkt alle anderen in seiner Wirksamkeit beeinträchtigen kann

(Beifall bei der SPD)

und sie teilweise außer Kraft setzt. Deshalb mein fast unüberwindliches Mißtrauen gegen diese Art von Einsatz des Strafrechts.
Nun hat es eine Vielzahl von Argumenten gegeben, die eine Rolle gespielt haben. Ich kann nur einige herausnehmen, mit denen ich mich noch einmal kurz auseinandersetzen möchte. Herr Eyrich hat davon gesprochen, wir sollten außenstehenden Gruppen doch nicht das Recht absprechen, sich zu äußern. Dies, Herr Kollege Dr. Eyrich, ist nie unsere Absicht gewesen. Wir haben das auch nie getan. Aber wir wehren uns natürlich gegen bestimmte Diffamierungen —davon war schon die Rede —, und wir wehren uns auch gegen Tendenzen wie beispielsweise die folgende, die ich für außerordentlich gefährlich halte. Da hat das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken uns allen eine Entschließung zukommen lassen. In einem Begleitbrief heißt es, die Strafrechtsreform lasse Abtreibung zur Selbstverständlichkeit werden und schwäche den Willen, notwendige soziale Maßnahmen mit Nachdruck zu verwirklichen. Erstens einmal: diejenigen, die das schreiben, wissen doch, daß das Gegenteil richtig ist.

(Beifall bei der SPD.)

Sie wissen, daß Abtreibung unter der Herrschaft des gegenwärtigen § 218 mehr eine Selbstverständlichkeit geworden ist, weil sie sich im Dunkeln abspielt und viele sich offensichtlich damit abgefunden haben und mit dem Strafrecht nicht wesentlich eingreifen wollen. Sie wissen auch, daß die Strafrechtsbinde in der Vergangenheit sehr oft den Blick auf die notwendigen sozialen Maßnahmen verwehrt hat. Wenn wir über so viele zusätzliche soziale Maßnahmen heute diskutieren — und sie hoffentlich auch Stück für Stück verwirklichen —, ist dennoch festzustellen: diese Diskussion in dieser Heftigkeit und in dieser Konzentraton hätte es nicht gegeben, wenn es nicht die Diskussion um den § 218 gegeben hätte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Das ist eine positive Funktion.

Aber etwas anderes ist viel schlimmer. In diesem Schreiben wird erklärt, daß viele Bürger in diesem Staat — gemeint ist die Bundesrepublik Deutschland — nicht mehr vorbehaltlos die gemeinsame Lebensordnung der Freiheit und des Rechts sehen könnten, wenn das Strafrecht geändert werde. Der Präsident des Zentralkomitees formuliert dann auch noch in seinem Begleitschreiben: dieser Staat werde für viele Menschen dann zu einem fremden Haus.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß diejenigen, die das formulieren, wissen, was die Konsequenz einer solchen Einstellung schließlich sein kann: daß nämlich jeder — und dieses Recht können auch an-



Brandt (Grolsheim)

dere Gruppen für sich in Anspruch nehmen — diesen Staat zu einem fremden Haus erklärt, wenn ein aus demokratischer Willensbildung gefaßter Beschluß ihnen nicht gefällt und wenn aus ihrer Sicht noch so viele Gründe dagegen sprechen.

(Beifall bei der SPD.)

Dann können wir auch sagen: wird die Mitbestimmung Gesetz, dann können die Unternehmer dem Staat die Loyalität kündigen. Dann können wir auch sagen: gibt es ein neues Bodenrecht, dann gehen die Spekulanten ins Exil. Will man eine neue Berufsausbildung, kündigt die davon belastete Gruppe Staat und Gesellschaft die Mitarbeit.
Eine Änderung des § 218 im Sinne einer Fristenregelung oder einer erweiterten Indikationsregelung verlangt von niemandem etwas, was er zu tun nicht bereit ist.

(Zustimmung bei der SPD.)

Aber die Seligsprechung des Strafrechts nützt niemandem. Ein Strafrecht, das in einem Teilbereich mehr schadet als nützt, bedarf der durchgreifenden Reform. Es muß tauglicheren Formen des Lebensschutzes Raum lassen. Eine weiße Strafrechtsweste, unter der es schwärt und eitert, ist eine verlogene Reinlichkeit, und es schadet nichts, wenn durch ein Loch in der Weste des Strafrechts Luft 'rein kann, damit Wunden heilen können. Mit finsteren Kündigungsdrohungen an den Staat wird kein einziges Leben gerettet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich, so sehr es sich vielleicht lohnen könnte, noch auf einige andere Gesichtspunkte einzugehen, abschließend sagen: Wir wollen eine Reform dieses § 218. Wir wollen nicht § 2171/2 oder § 2173/4 oder welchen Bruch auch immer, sondern eine echte Reform, die helfen kann. Dabei — das weiß ich sehr wohl — stehen wir alle vor einer tragischen Entscheidung, die wir zu tragen haben. Ich kann nur hoffen: Das Herz der Reformer ist mehr als nur eine Pumpe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709534600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Wex.

Dr. Helga Wex (CDU):
Rede ID: ID0709534700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der heutigen Debatte des § 218 werden wir, wie immer die Entscheidung auch ausfallen mag, sicher nicht mehr ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen können, als wenn hier einfach nur ein Gesetz geändert worden wäre. Der Ausgang dieser Debatte wird uns mit Konsequenzen konfrontieren, die wir heute nur schwer absehen können. Das gilt vor allem, wenn die Fristenlösung von diesem Hause etwa mit der denkbar knappsten Mehrheit verabschiedet werden sollte. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, er finde es sehr wichtig, daß diese bedeutende Reform nicht mit knappen Mehrheiten verabschiedet werde. Wir fragen, Herr Bundeskanzler: Was haben Sie getan, um diese Entwicklung zu verhindern? Wo bleibt Ihr Wort? Wo bleibt Ihre Entscheidung? Was ist vor
allen Dingen aus den Überzeugungen geworden, die hinter dem Regierungsentwurf der vorigen Legislaturperiode standen

(Beifall bei der CDU/CSU) und keine Fristenlösung beinhalteten?

Der Schutz des geborenen und ungeborenen Lebens gehörte bislang zu den Grundwerten und Grundüberzeugungen, die ein Ansporn für alle in diesem Hause vertretenen Parteien waren, diesen Staat auf- und auszubauen, um den Bürgern ein Leben ohne Furcht und ohne wirtschaftliche Not zu ermöglichen. Wenn diese Grundüberzeugungen mit der Änderung des § 218 zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik in die Gefahr geraten, durchlöchert zu werden, bedeutet dies eine Kapitulation vor der wichtigsten Aufgabe des Staates: die Schwächsten und Schwachen dieser Gesellschaft zu schützen. Und ich möchte Sie noch einmal mit altem Ernst fragen: Wer in unserer Gesellschaft ist wohl schwächer als das ungeborene Kind? Diese Frage konnte bisher noch kein Vertreter der Fristenlösung schlüssig beantworten. Statt dessen hat gerade die Diskussion um eine Änderung des § 218 eine erstaunliche Umdeutung und Fehldeutung von Begriffen gebracht.
Eines der am meisten angeführten Argumente berief sich auf die Emanzipation: Die Fristenlösung müsse eingeführt werden, um das Recht der Frau auf eigene Entfaltung zu gewährleisten; ihrer Entscheidung müsse es unterliegen, ob und wann sie ein Kind haben wolle. Wir dürfen bei dieser Debatte doch nicht so tun, als seien Schwangerschaften heute einzig und allein von einer schicksalhaften Fügung abhängig. Hier gibt es doch Mittel für die Planung genug. Woran es fehlt, ist die groß angelegte Beratung über den Gebrauch dieser Mittel.
Aber auch die beste Aufklärung über Verhütungsmittel wird nicht alle unerwünschten Schwangerschaften verhindern können. Darüber besteht ja gar kein Zweifel. Ich halte es aber für einen ganz zweifelhaften Interpretationsversuch von Emanzipation, wenn nun etwa einer in Not geratenen Frau oder einem jungen Mädchen allein die Entscheidung aufgebürdet werden soll, ob diese Schwangerschaft ausgetragen oder unterbrochen werden soll. Dies ist kein Beweis vor der Achtung der freien Entscheidungsfähigkeit der Frau, sondern eine Flucht vor der Verantwortung, dieser Frau in der notwendigen Weise zu helfen; denn wer will ernsthaft behaupten, daß eine solche Entscheidung immer in voller Freiheit gefällt wird? Ist es nicht so, daß gerade in diesen Fällen die Umwelt, die kinderfeindliche Seiten hat, das Drängen oder oftmals sogar die Erpressung des Freundes oder des Mannes eine entscheidende Rolle spielen — Gründe, die übrigens auch bereits heute einen großen Teil der Frauen zum illegalen Schwangerschaftsabbruch treiben?
Wird eine Fristenlösung nicht die Unfreiheit der Frau in ganz neuen, anderen Dimensionen verstärken? Werden nicht gerade jene, die der Fristenentwurf vor der Mitentscheidung eines unabhängigen Gremiums angeblich schützen will, diese Unfreiheit am ehesten zu spüren bekommen? Wird



Frau Dr. Wex
nicht die Zahl der bedauerlichen Fälle auch dadurch zunehmen, daß der Gebrauch von Verhütungsmitteln nicht zunimmt, sondern abnimmt, weil der Ausweg eines legalen Schwangerschaftsabbruchs immer noch offensteht?
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat durch die Vorlage ihres Indikationsmodells die Hilfe für die in Not geratene Frau in den Mittelpunkt gestellt und deutlich gesagt, daß ihr geholfen werden muß. Eine solche Hilfe darf jedoch nicht dazu führen, daß aus einer angeblichen Hilfe neues Elend entsteht, so wie es bei der Fristenlösung erwartet werden muß.
Emanzipation kann auch in diesem Zusammenhang nicht gleichgesetzt werden mit einem übersteigerten Egoismus. Unsere Gesellschaft macht es erforderlich, und zwar auf allen Gebieten und in allen Bereichen, daß die Freiheit des einzelnen nicht absolut gesetzt werden kann, so daß Grenzen nicht sichtbar werden. Diese Grenzen sind da und müssen beachtet werden, wenn diese Gesellschaft nicht in einen bereits überwundenen Zustand zurückfallen soll. Hierüber besteht doch wohl kein Zweifel bei den Parteien. Das ist nicht umstritten. Aber das heißt doch für unsere Diskussion, für die Problematik des § 218: Emanzipation ist nicht ohne Verantwortung und ist nicht ohne Solidarität denkbar, nicht ohne die Verantwortung der Frau dem Kind und der Gesellschaft gegenüber, aber auch umgekehrt nicht ohne Solidarität der Gesellschaft der Frau und dem Kind gegenüber.
Diese Debatte ist nicht zuletzt ein Zeichen dafür, inwieweit auch diese Begriffe wie Verantwortung und Solidarität in Gefahr sind, unter Wert gehandelt zu werden. Wäre nicht die Einführung der Fristenregelung ein unzweideutiger Beweis dafür, daß man diesen gesellschaftlichen Tugenden in unserer Gesellschaft keine Chance mehr einräumt? Haben die Anhänger der Fristenlösung schon vor 'der Aufgabe kapituliert, diese Gesellschaft menschlicher zu machen, menschlicher für alle Menschen? Mir scheint, die Frauen können sich auf die SPD wohl nicht verlassen; denn wie ist es anders zu erklären, daß die in der Praxis vorherrschenden Gründe hinter einer angeblichen Freiheit der Frau immer wieder zurückgedrängt werden?
Diese Gründe hat die „Frankfurter Rundschau" gestern in erstaunlicher Offenheit dargelegt. Sie schreibt — ich zitiere mit Erlaubnis —:
Die Wirklichkeit ist, daß dieser § 218 geändert werden muß. Das ist notwendig, weil es gilt, unsere unvollkommene Gesellschaft ein klein wenig menschlicher und gerechter zu machen. Wäre diese Gesellschaft anders, dann brauchte niemand über die Reform zu diskutieren. Hätte jedes ungeborene Kind in jedem Fall die berechtigte Aussicht darauf, menschenwürdig heranzuwachsen, dann gäbe es keinen Streit.
Die Abgeordnete Frau Schlei hat heute morgen die Tradition der SPD bei der Änderung des Paragraphen 218 begrüßt und darauf hingewiesen, daß die Diskussion heute unter anderen Gesichtspunkten als in den 20er Jahren stattfinde. Ich möchte fragen: Kann man diese Gesellschaft humaner machen, indem man eine inhumane Lösung anstrebt, indem man wirtschaftlichen Belangen ein Übergewicht gegenüber dem Schutz des ungeborenen Lebens einräumt? Diese humane Gesellschaft kann doch ernsthaft nur dadurch erreicht werden, daß dieses Parlament die sozialen Maßnahmen wirklich in den Mittelpunkt stellt und ihnen die erforderliche Priorität einräumt. Man kann doch wohl ernsthaft nicht die Meinung vertreten, daß ein kostenloser Schwangerschaftsabbruch hier eine entscheidende dauerhafte Hilfe sei.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bei der Debatte um die begleitenden Maßnahmen einen Entschließungsantrag mit einem umfassenden Sozialprogramm eingebracht. Wir haben dieses Programm gestern in einem ersten Gesetzentwurf zum Erziehungsgeld dem Parlament vorgelegt. Dieser Entwurf kann nach unserer Meinung in der Tat einen ersten Schritt darstellen, die Erziehungsleistung gesellschaftspolitisch anzuerkennen, und 'damit viele materielle Gründe, die einen Schwangerschaftsabbruch auslösen, überflüssig machen. Hier liegt der Weg, um Schwangerschaftsabbrüche auf die Gründe zu reduzieren, die allein maßgebend sein mögen.
Frau Focke ist eben auf diesen Erziehungsgeldentwurf eingegangen. Ich kann nur eines sagen, Frau Focke, wenn Sie der Meinung sind, daß die Beträge für das Erziehungsgeld zu niedrig sind, dann können wir doch das Parlament und die Regierung nur auffordern, hier selbst ein Angebot für erhöhte Leistungen zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Als Sie von all den Maßnahmen gesprochen haben, die begleitende Maßnahmen zur Reform des Paragraphen 218 sein sollen, dann haben Sie ganz vergessen, sich festzulegen, daß das Kindergeld auch wirklich zum 1. Januar 1975 erhöht wird. Vor allen Dingen aber haben Sie vergessen, daß die Familien die Teile der Gesellschaft sind, die in der letzten Zeit am meisten unter den inflationären Maßnahmen zu leiden gehabt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Frau Focke, Ihre Stellung zu unserem familienpolitischen Programm im Vergleich zu einem familienpolitischen Programm der SPD hat insofern doch mehrere ganz schwache Punkte. Wir haben ein familienpolitisches Programm, das in allen entscheidenden Gremien der Partei und mit dem ersten Schritt Erziehungsgeld von der Fraktion verabschiedet ist. Ihr familienpolitisches Programm ist ein reiner Entwurf, und Sie haben davon hier überhaupt noch nichts eingebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Wir haben uns mit unserer Entscheidung gebunden. Wir haben den Weg aufgezeigt, den wir gehen wollen. Wir wollen die Erziehungsleistung in der Familie stärken, und das auch im Zusammenhang mit dem Paragraphen 218, damit eine Frau auch den Mut haben kann, der ihr das Austragen des Kindes ermöglicht.



Frau Dr. Wex
Wenn Sie, Frau Focke, von dem SPD-Programm als einem Ideenlieferanten für die CDU sprechen, so kann ich es mir nicht versagen, Sie doch einmal auf Ihr Wahlprogramm aus dem Jahre 1972 hinzuweisen. Was steht denn da drin? Wo steht denn da die Familie? Da steht: „Die zwischenmenschlichen Beziehungen bestehen aus den Beziehungen zwischen Freunden und Bekannten, Familie und Betrieb." So etwas schreiben wir nicht ab. Die Familie steht bei uns an erster Stelle und nicht erst nach den Freunden und Bekannten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Abgeordnete Maihofer hat heute morgen. den Versuch unternommen, die Fristenlösung sozusagen als eine wahre Vollendung unserer Verfassung hinzustellen, indem sie im richtigen Verhältnis das Recht des Kindes auf Leben und das Recht der Frau auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit abwägt. Dies ist, so meine ich, ein Trugschluß, denn es handelt sich bei dieser Gegenüberstellung eben nicht um gleichrangige Werte, die gegeneinander aufgerechnet werden könnten. Herr Maihofer kommt der Sache nach meiner Meinung wesentlich näher, wenn er von einer Umwertung der Werte spricht und eine Veränderung großer Teile der öffentlichen Meinung dafür anführt. Ich möchte aber die Frage stellen, ob diese Meinung einer sicherlich großen Minderheit für den Gesetzgeber Anlaß sein kann und darf, den Schutz des werdenden Lebens außer Kraft zu setzen. Müßte hieraus nicht vielmehr der Schluß gezogen werden, daß vom Gesetzgeber Maßnahmen eingeleitet werden müßten, die die Priorität des Schutzes des werdenden Lebens ausdrücken und es der Frau ermöglichen, das Kind als einen Teil ihrer Selbstverwirklichung und nicht als Hemmnis ihrer freien Entfaltung zu begreifen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, daß die Worte „Menschlichkeit" und „Selbstverwirklichung der Frau" selten mehr und so zu Unrecht strapaziert worden sind wie bei der Begründung der Fristenlösung. In Wirklichkeit ist diese Lösung ein Schritt in Richtung auf eine Gesellschaft, die die Verantwortung für den anderen scheut. Ich glaube, unsere Gesellschaft hat schon zu viele inhumane Züge, als daß wir ihr unbedingt noch einen neuen hinzufügen müßten. Meine Damen und Herren, es kann in einer pluralistischen Gesellschaft bei der Reform des § 218 — wie auch bei vielen anderen gesellschaftlichen Problemen — keine Lösung geben, die alle gleichermaßen befriedigt. Wir sollten uns aber gemeinsam bemühen, eine Neuformulierung des § 218 zu finden, die von der überwiegenden Mehrheit unseres Volkes auch innerlich bejaht werden kann. Allein dieser Gesichtspunkt macht schon deutlich, daß eine extreme Lösung nicht in Frage kommen kann. Die Achtung vor der demokratischen Toleranz, vor der Meinungsvielfalt in unserem Lande sollte es ermöglichen, einen für alle gangbaren Weg zu gehen. Diesen Weg hat die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Mehrheitsbeschluß aufgezeigt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709534800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Hassel.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709534900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige parlamentarische Auseinandersetzung läßt nur wenige Menschen in Deutschland unbewegt. Gestatten Sie daher, daß auch ich ein paar Minuten Ihrer Zeit in Anspruch nehme. Zu den einzelnen Aspekten des Themas, das uns heute beschäftigt, haben sich Theologen, Juristen, Mediziner, Soziologen und andere Gruppen draußen in der öffentlichen Diskussion und in unzähligen Zuschriften an uns Abgeordnete geäußert.
Meine Damen und Herren, ich gewinne den Eindruck, daß man sich bei den Befürwortungen der Fristenlösung und in den Kreisen der sogenannten Aktion 218 das Erscheinungsbild einer neuen Frauenbewegung gibt und daß man sich als Signal gegen die gesellschaftliche Unterdrückung und Ausbeutung der Frau als eine Emanzipationsbewegung schlechthin verstanden wissen will.
Um nicht mißverstanden zu werden: Niemand kann und darf die große innere Not und die seelische Zwangslage jener Frauen unbeachtet lassen, die — aus welchen Gründen auch immer trotz heutiger Möglichkeiten der Schwangerschaftsverhütung ein Kind erwarten, das für sie eine Belastung darstellt, der sie sich gleichfalls aus welchen Gründen auch immer — nicht gewachsen fühlen oder gewachsen wissen.
Hier sind Staat und Gesellschaft gleichermaßen gefordert, und es ist als eines der Ergebnisse der heftigen Diskussion um die Reform des § 218 bereits heute festzustellen, daß dem Bereich der vielfältigen sozialen Hilfen für in Not geratene Frauen ungleich mehr tätige Aufmerksamkeit zugewandt wird, als das in früheren Jahren der Fall war. Auch der damit einhergehende Abbau der Diffamierung lediger Mütter und unehelicher Kinder wie aber auch die immer umfangreichere Aufklärung über Verhütungsmethoden sind aufrichtig zu begrüßen. Das gilt auch für unsere Kirchen, in denen ein beachtlicher Prozeß der kritischen Selbstbesinnung auf diesen Aspekt der Nächstenliebe zu beobachten ist.
Als ein Politiker, der zugleich als Christ in dieser Gesellschaft und für diese Gesellschaft verantwortlich zu sein sich bemüht, sehe ich jedoch die Gefahr, daß die Gleichsetzung von Fristenlösung und Emanzipation der Frau die Perspektive unzulässig verschoben hat. Dagegen möchte ich ein Wort vom Grundsätzlichen her sagen.
Es führt keine Propaganda an dem naturwissenschaftlichen Tatbestand vorbei, daß mit der Verschmelzung von Samen und Ei der Prozeß einer geradezu nach Netzplan ablaufenden Entfaltung eines einmaligen und unverwechselbaren menschlichen Individuums beginnt,

(Beifall bei der CDU/CSU)

dessen Beseitigung durch menschlichen Eingriff nichts anderes als Tötung ist. Das aber hat mit Befreiung der Frau nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




von Hassel
Ich mache mir zu eigen, was der Rat meiner eigenen Evangelischen Kirche in Deutschland dazu sagt. Er sagt, es gehe in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs um nichts Geringeres als um das Verständnis von Leben, das nach christlicher Verkündigung von Gott gegeben ist und vor ihm verantwortet wird. Schutz und Förderung des Lebens sind ein allgemeines menschliches Grundgebot. Das eigene Leben zu verantworten und das Leben anderer zu schützen, fordert von jedem einzelnen — so sagt der Rat — die Bereitschaft, Opfer zu bringen und Gefahren zu bestehen. Von diesem Verständnis menschlichen Lebens darf das ungeborene Leben nicht ausgenommen werden. Der Rat schließt: Es ist einem eigenmächtigen Zugriff nicht verfügbar. In meiner Kirche und mit meiner Kirche bin ich also mit großer Entschiedenheit für den Schutz des ungeborenen Lebens als eines im Grundsatz unverletzlichen Rechtsgutes.
Frau Kollegin Schlei hat heute morgen aus dem Brief eines Chefarztes in Süddeutschland zitiert, der erklärt, er habe kein Verständnis, wenn gerade die Kirchen am lautesten nach Strafe rufen. In den vielen Stellungnahmen meiner eigenen evangelischen Kirche oder der katholischen Kirche habe ich keine einzige Formulierung gefunden, in der auf Strafe abgehoben wird, sondern ethische Grundsätze, moralische Prinzipien, christliche Gedanken sind uns in Erinnerung gerufen worden, und nicht der Ruf nach Strafe.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich persönlich trete für die Indikationslösung ein, wie sie die CDU/CSU-Fraktion vorgelegt hat. Der Indikationsbereich muß sich auf die Lösung besonders schwerer Konfliktfälle beschränken. Ich halte es aber, wie ich schon andeutete, für unerträglich, wenn die Frage nach legalisierter Tötung unter anderem dargestellt wird als eine Wendemarke der Frau auf dem steinigen Weg zur Gleichberechtigung. Die extreme Linke hat uns vor Jahren die Verquickung von sogenannter sexueller Befreiung und sogenannter politischer Befreiung beschert. Gleichsam als Nebenprodukt dieser Theorien entstand die Parole „Mein Bauch gehört mir" mit der Forderung nach der legalisierten Abtreibung in der Form der Fristenlösung.
Mit dieser moralischen Perversion wird den echten und nicht nur ethisch unanfechtbaren, sondern sogar zu unterstützenden Forderungen nach echter Partnerschaft zwischen Mann und Frau auf allen Ebenen des privaten und des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens und Handelns ein Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die angestrebte volle Partnerschaft zwischen Mann und Frau in allen Lebensbereichen muß ganz anders ansetzen als ausgerechnet bei einer Umformung unseres ethischen Rechtsempfindens, denn wer über Leichen geht, schafft keinen Fortschritt im Namen der Humanität, sondern das Gegenteil.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir wollen die Emanzipation der Frau verwirklichen
als Verwirklichung eines Menschenrechtes, welches
das Zeitalter der Revolution in Europa leider noch
nicht im Auge hatte, sonst hätte das Motto „Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit" bereits damals auch schon für Frauen gegolten und unsere demokratischen Verfassungsentwürfe von damals mitprägen helfen. Es geht hier also nicht um Emanzipation, nicht um ein reines Frauenproblem. Die Verantwortung für den Nachwuchs haben der Vater und die Mutter gemeinsam. Hier kann sich nicht ein Partner vom anderen gewissermaßen befreien wollen. Es ist ein Unrecht, eine sogenannte Fremdbestimmung der Frau durch den Mann einzutauschen gegen eine Fremdbestimmung auf Leben und Tod des Fötus durch die Frau.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der christliche Politiker kann und darf von seinem an der christlichen Verkündigung und nicht an gesellschaftspolitischen und gesellschaftlichen Zeiterscheinungen orientierten Gewissen her nicht schweigen, wenn es darum geht, daß eine Fremdbestimmung auf Leben und Tod von Menschen durch Menschen legal wird. Im Bereich der Abtreibung muß es auf der Basis des Indikationenkatalogs im Bereich medizinischer Sonder- und Grenzfälle bleiben, sonst machen wir uns in Deutschland abermals schuldig an der Humanität.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich persönlich bin — ich betone es nochmals — für die Verbesserung des bestehenden Zustandes, aber ich wäge ab zwischen dem Schutz und dem Recht des ungeborenen Lebens auf das Leben und der Situation der gesundheitlich und psychisch gefährdeten Frau und Mutter. Sinn einer Rechtsordnung, für die ein Parlament die Verantwortung trägt, muß doch sein, das Rechtsgut zu schützen, und für mich gehört das Recht auf das Leben zum Leben selbst.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

So kann eine Rechtsordnung nicht e i n Rechtsgut beachten, das andere aber nicht, und die Pflicht für die Fristenlösung nimmt nach meinem Darfürhalten eine solche Güterabwägung nicht vor.
Ich möchte schließen mit einem Blick auf die Frau Kollegin Schlei von heute morgen, die am Schluß ihrer Rede als Christ zu uns sprach, und ich möchte mit einem Satz enden aber ihm noch einen anderen vorschalten. Ich habe heute wie meine schleswig-holsteinischen Bundestagskollegen wohl allesamt einen offenen Brief der Jungdemokraten und Jungsozialisten Schleswig-Holsteins bekommen, in dem uns als Schlußsatz mit auf den Weg gegeben wird:
Sie als gewählte Volksvertreter und Repräsentanten dieser parlamentarischen Demokratie werden aufgerufen, Ihren Auftrag wahrzunehmen, ohne sich bei Ihrer Entscheidungsfindung von demokratisch nicht legitimierten Institutionen oder Interessenvertretern beeinflussen zu lassen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Ich wehre mich gegen eine solche Unterstellung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich weiß mich einig mit allen Kollegen aus der
Fraktion der CDU/CSU, die ihre Entscheidung allein



von Hassel
vor dem Gewissen verantwortet haben, und auf der Grundlage unserer lang überlegten Entscheidungen möchte ich sehr darum bitten, Frau Kollegin Schlei, daß Sie sich als Christ wie ich als Christ uns darüber klar sind, daß wir nur einem sehr sensiblen Gewissen folgen und keiner Weisung von außerhalb.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709535000
Das Wort hat Herr Abgeordneter Groß.

Rötger Groß (FDP):
Rede ID: ID0709535100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Eyrich hat heute morgen mit Recht darauf hingewiesen, daß einige Vorgänge außerhalb dieses Hauses diese Diskussion hier und die Diskussion draußen über dieses Thema belasten. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß wir jene schlichten oder primitiven Argumente, die er meinte, insgesamt ablehnen. Ich meine aber, daß Herr Kollege Eyrich in dieser Feststellung überzeugender gewirkt hätte, wenn er auch die andere Seite der Medaille mit ebenso deutlichen Worten qualifiziert hätte.

(Beifall bei der FDP.)

Wir alle haben in den letzten Wochen und Monaten eine Fülle von Briefen und Postkarten bekommen, über deren sehr unterschiedliches Niveau man zum Teil überhaupt nicht mehr streiten kann. Wir haben Äußerungen in der Presse gelesen, die weit über das hinausgehen, was wir in diesem Hause akzeptieren können, bis hin zu jenen Bemerkungen, die den Rechtsstaat bei einer Annahme der sogenannten Fristenlösung in Gefahr sehen. Herr Kollege Dr. de With hat hierzu das Nötige gesagt.
Herr Kollege Eyrich glaubte des weiteren feststellen zu müssen, daß durch eine gesetzliche Formulierung im Sinne der sogenannten Fristenlösung der Frau der Schwangerschaftsabbruch außerordentlich erleichtert würde. Meine Damen und Herren, ich fürchte, daß einen solchen Satz nur ein Mann sprechen kann. Ich würde mich als Mann jedenfalls nicht dazu hergeben, einen solchen Satz zu sagen. Denn nach dem, was ich weiß, gibt es wenige Frauen, die, unter welcher gesetzlichen Bestimmung auch immer, diese Entscheidung, die sie glauben fällen zu müssen, leichten Herzens fällen.
Mich überkommt gelegentlich ein bitteres Gefühl, wenn ich heute innerhalb und außerhalb dieses Hauses hören und lesen muß, wie wichtig es sei, in einem verstärkten Maße Verhütungsmittel anzuwenden, damit jene Situation, die überhaupt nur zu dieser Diskussion führen kann, nicht entstehe. Aber sind nicht diejenigen, die heute so beredt auch für diese Verhütungsmittel eintreten, auch diejenigen gewesen, die Jahrzehnte und bis zum heutigen Tage den Gebrauch dieser Verhütungsmittel verketzert haben?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und sind nicht diejenigen, die heute mit Recht — darüber besteht in diesem Hause auch Einigkeit — auch feststellen, daß wir eine Fülle von gesetzlichen sogenannten flankierenden Maßnahmen treffen müssen, auch diejenigen, die bis in die jüngste Vergangenheit — ichdarf hier an manche Wahlkämpfe erinnern — sich nicht davor gescheut haben, die uneheliche Mutter zu diskreditieren und zu diskriminieren?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was ist das für eine Moral, die sich nicht scheut, unter der Hand das geborene Leben und die Mutter dieses Kindes zu diskriminieren, und im gleichen Augenblick mit Vehemenz für das ungeborene Leben eintritt? Ich meine, daß hier ein Zwiespalt offenliegt, der geschlossen werden muß, der aber sicher nicht dadurch geschlossen wird, daß hier manchmal — entschuldigen Sie die Feststellung — mit einer gewissen doppelten Moral gearbeitet wird.
Ich will hier nicht die Frage aufrühren, ob all diejenigen, die sich heute so leidenschaftlich für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzen, sich zu allen Zeiten beispielsweise für den Schutz des geborenen Lebens in der Weise eingesetzt haben, daß sie zu allen Zeiten mit Vehemenz gegen die Todesstrafe eingetreten sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Diese Diskussion, meine Damen und Herren, werden wir ja in der Zukunft wahrscheinlich bei irgendwelchen unglücklichen Anlässen wieder erleben.
Ich glaube, meine Damen und Herren, man muß es nach der abgelaufenen Diskussion — weniger innerhalb des Hauses als außerhalb des Hauses — in aller Einfachheit sagen: Es soll bei dieser Reform des § 218 des Strafgesetzbuches die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten nach Beginn der Schwangerschaft aufgehoben werden — so jedenfalls der Vorschlag der Anhänger der Fristenlösung. Es ist unseriös, meine Damen und Herren — entschuldigen sie, Herr Kollege Spranger, daß ich das hier in aller Deutlichkeit sage —, dann so schlicht auch hier im Hause von einer Freigabe der Abtreibung zu sprechen. Denn das ist doch jene Primitiv-Argumentation außerhalb des Hauses, daß hier diejenigen, die sich nach sorgfältiger Prüfung der Argumente für die Fristenlösung einsetzen, nun der Meinung sein sollten, daß die Abtreibung, der Schwangerschaftsabbruch generell freigegeben werden sollte. Dies ist nicht der Fall, dies will niemand in diesem Hause.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es grenzt an Brunnenvergiftung, wenn dies denjenigen, die hier etwas anderes wollen als Sie, Herr Spranger, immer wieder unterstellt wird.
Die Beseitigung der Strafbarkeit, meine Damen und Herren, innerhalb einer bestimmten Frist heißt nicht, daß damit der Schwangerschaftsabbruch religiös oder moralisch in irgendeiner Weise gerechtfertigt oder gutgeheißen werden soll. Und die Beseitigung dieser Strafbarkeit heißt auch nicht, daß damit derjenige, der z. B. dieser Fristenlösung zustimmt, auch persönlich bereit sein muß, einem Schwangerschaftsabbruch zuzustimmen. Ich möchte annehmen, daß ein großer Teil der Mitglieder dieses Hauses nicht bereit wäre, in seinem persönlichen Bereich einem solchen Schwangerschaftsabbruch zuzustimmen, aber diese Mitglieder des Hauses sind



Groß
auch nicht bereit, diese aus ihren privaten, ihren religiösen oder ethischen Vorstellungen begründete Einstellung grundsätzlich allen vorzuschreiben, die ihr aus anderen Erwägungen nicht folgen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir wissen alle, meine Damen und Herren, daß der § 218 des Strafgesetzbuches nicht den Schutz des ungeborenen Lebens garantiert. Die Frage ist ganz einfach, ob er bestehen bleiben soll, ob man ihn aufheben soll — was hier niemand will und beantragt hat — oder ob man ihn in einer anderen Fassung bestehen lassen soll. Es bleibt also nur die Frage der Änderung.
Und nun, meine Damen und Herren, haben der Kollege Eyrich, der Kollege Spranger sowie auch andere — auch in Briefen stand es zu lesen — das Wort vom Dammbruch in die Diskussion geworfen, wenn hier die Strafbarkeit für einen bestimmten Zeitraum nach dem Beginn der Schwangerschaft beseitigt werden soll. Meine Damen und Herren, können Sie denn eigentlich beweisen, daß dieser Dammbruch eintritt? Ich meine, Sie können es nicht. Ich kann natürlich auch das Gegenteil nicht beweisen. Bloß, wenn wir beide dies nicht beweisen können, dann, meine Damen und Herren, sollten wir dieses Argument lieber aus der Diskussion herauslassen; denn es ist kein Argument.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Gegner der Fristenlösung, meine Damen und Herren, wollen die Strafbestimmung im wesentlichen unverändert lassen; sie setzen dabei ihre christlichen Moralvorstellungen und Strafrechtsbestimmung gleich. Aber, meine Damen und Herren, stimmt denn diese Gleichung heute eigentlich noch, hat sie eigentlich über die ganze Zeit des Christentums gestimmt? Wenn ich es recht sehe, ist das nicht der Fall. Ich beziehe mich hier auf die Ausführungen, die Pater Anselm Hertz, immerhin Professor der Katholischen Theologie, gemacht hat, der darauf hingewiesen hat, daß diese Gleichsetzung von christlicher Moral und Strafrecht nicht von Urbeginn an eine Sache des Christentums gewesen sei, sondern daß sie sich erst im Mittelalter entwickelt habe. Ich meine, daß diese Erkenntnis insofern wichtig ist, als es sich hier offenbar um eine nicht notwendigerweise aus dem Christentum ableitbare Vorstellung handelt.
Die Gegner der Fristenlösung argumentieren auch, daß mit der zeitlichen Einschränkung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs dieser in der allgemeinen Meinung des Volkes moralisch gerechtfertigt oder gutgeheißen werden könne. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß auch die Evangelische Kirche in Deutschland dieses Argument nicht akzeptiert. Ich meine, daß jene schlichte Vorstellung, daß etwas, was verboten sei, normalerweise auch moralisch verwerflich sei und umgekehrt, in dieser Schlichtheit einfach nicht gelten kann. Wo steht geschrieben, daß etwas, weil es nicht verboten ist und weil es nicht unter Strafandrohung steht, nun deswegen moralisch oder religiös erlaubt sei? Ich glaube, kein Geringerer als Thomas von Aquin hat darauf hingewiesen, daß es sehr nützlich sein könnte,
nicht alle sittlichen Verstöße unter Strafandrohung zu stellen.

(Abg. Vogel [Ennepetal] : Können Sie mal sagen, wo' das bei Thomas von Aquin steht?)

Ich meine, ein solcher Hinweis ist gerade in einem Jahr, in dem man Thomas von Aquin gedenkt, sicher ganz natürlich.
Ich will hier nicht die Diskussion wieder heraufbeschwören, wann denn das Leben beginne; sie führt uns nicht weiter, weil wir alle gemeinsam der Auffassung sind, daß der Schutz des Lebens eine sehr wichtige Aufgabe des Staates mit all seinen Möglichkeiten ist. Aber wir tun gelegentlich so, als ob der Zeitpunkt, zu dem Leben entsteht, absolut eindeutig, für alle verbindlich festgestellt sei. Geht man der Sache nach, wird man feststellen, daß der Beginn des Lebens je nachdem, ob man juristisch, naturwissenschaftlich oder theologisch argumentiert, durchaus anders angesehen wird, daß es hier selbst im Bereich der katholischen Theologie umstrittene Definitionen gibt. Ich halte auch diese Feststellung, die hier als unumstößlich dargestellt wird, für zumindest bezweifelbar.
Meine Damen und Herren, der Tenor vieler Briefe, die uns vor allem aus dem katholischen Bereich erreicht haben, lautet: Abgeordnete, entscheidet euch nach eurem Gewissen! Dem wird jeder in diesem Hause zustimmen; dem wird sicher jeder auch völlig unabhängig davon zustimmen können, Herr Kollege Spranger, wieviel Prozent für diese oder jene Lösung sind. Wenn ich der Meinung bin, daß hier das Gewissen zu entscheiden habe, dann muß das Gewissen des einzelnen Abgeordneten entscheiden und nicht die Prozente irgendwelcher möglicherweise problematischer Umfragen.

(Beifall bei der FDP.)

Bei näherer Betrachtung jener Apelle an das Gewissen, wie wir sie täglich mehrfach lesen müssen, wird aber festzustellen sein, daß nur eine Gewissensentscheidung akzeptiert wird, die gegen die Fristenlösung ist. Es mag sein, daß die katholische Theologie eine Entscheidung in dieser Frage dem einzelnen nicht gestattet, obwohl es auch im katholischen Bereich andere Stimmen gibt. Aber, meine Damen und Herren, wenn das so ist, dann muß ich als Liberaler und als Protestant sagen, daß ich für mich individuell in Anspruch nehme, nach meinen Vorstellungen zu entscheiden, nach Vorstellungen, die ich glaube verantworten zu können, und daß ich mir diese Entscheidung nicht von einer überindividuellen Instanz abnehmen lassen kann.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Miltner: Sagen Sie mal, verstehen Sie eigentlich etwas von der katholischen Theologie?)

Dieses Gewissen, von dem wir auszugehen haben, ist nicht das vorformulierte Gewissen irgendeiner Kraft oder Instanz, sondern ausschließlich das Gewissen, wie es das Grundgesetz meint. Das Grundgesetz meint die individuelle Gewissensentscheidung, und ich nehme für mich in Anspruch, danach zu handeln. Ich respektiere die Gewissensentschei-



Groß
dung all derer, die anderer Auffassung sind. Ich erwarte aber auch den Respekt derer, die meiner Entscheidung für die Fristenlösung nicht folgen können.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch dies noch einmal sagen: Eine eindeutige und einhellige Stellungnahme zu dieser Frage aus christlicher Sicht gibt es nicht und kann es nicht geben. Es gibt im katholischen Bereich unterschiedliche Stimmen, es gibt im evangelisch-protestantischen Bereich unterschiedliche Stimmen. Das ist gut so, wenn wir uns individuell zu entscheiden haben.
Die Gewissensfreiheit hat auch eine andere Seite. Ärzte, Schwestern und alle anderen, die an der Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs beteiligt sind oder sein können, verdienen unseren Schutz. Durch uns, durch den Gesetzgeber, muß festgelegt werden, daß denjenigen, die aus ihrer Gewissensentscheidung heraus einen Schwangerschaftsabbruch nicht vornehmen können, weder arbeitsrechtlich noch dienstrechtlich daraus irgendwelche Nachteile erwachsen dürfen.

(Beifall bei der FDP.)

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Ich bin für die Fristenlösung, aber nicht, weil sie etwa alle Probleme löst; das kann keine Lösung. Ich bin für die Fristenlösung, obwohl sie nicht in jeder Hinsicht befriedigend ist. Aber sie ist besser als alle anderen Lösungen, die keine Ideallösungen sind.

(Vorsitz: Vizepräsident von Hassel.)

Wir sprechen vom mündigen Bürger. Wenn wir konsequent sind und den mündigen Bürger auch wirklich wollen und akzeptieren, meine Damen und Herren, dann können wir uns weder vor dieser Gewissensnentscheidung drücken noch dem Bürger, sei er Frau oder Mann, diese Gewissensentscheidung abnehmen; e r muß sie fällen.
Ich meine, hier ist die beste der angebotenen und denkbaren Lösungen diejenige, die man Fristenlösung nennt, der ich und eine ganze Reihe meiner Freunde zustimmen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709535200
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat die Abgeordnete Frau von Bothmer.

Lenelotte von Bothmer (SPD):
Rede ID: ID0709535300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über weite Strecken dieser Debatte schien es fast so, als wenn wir über eine ganz verfremdete Sache sprächen. Ich hoffe doch, wir alle haben nicht vergessen, daß es sich hierbei eigentlich um die menschliche Beziehung, um die menschliche Verwirklichung, um Liebe zwischen Mann und Frau, um Liebe zu den Kindern handelt.
Wenn nun einfach gesagt wird, daß von Frauen das Opfer verlangt wird, so kann ich dem nicht ohne weiteres folgen. Ich habe dieses Opfer, wenn es eines war, allerdings selbst sehr gern gebracht, indem ich meine sechs Kinder geboren und erzogen habe. Aber ich glaube, man macht sich die
Sache damit zu leicht. Die eine Hälfte der Menschheit kann nicht einfach eine Aufgabe im Opfer haben. Man müßte das dann doch irgendwie auf breitere Schultern verlagern.
Von Frau Kollegin Wex wurde sehr warmherzig der Schutz des ungeborenen Lebens gefordert. Dazu hat Herr Kollege Groß schon einiges gesagt. Aber ich möchte doch die Frage wiederholen: Wo bleibt dann und wo blieb dann gerade aus der engagierten Hälfte dieses Hauses der Schutz des ungeborenen Lebens? Noch heute sind die Kinder, die in Heimen aufwachsen, eigentlich ungeschützt, weil ungeliebt und unwillkommen.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Die Mehrzahl der Frauen in der Bundesrepublik wünscht und erwartet von uns, daß wir in ihrem Sinne die Fristenregelung beschließen. Sie sind nicht so unvernünftig, daß sie die Fristenregelung als Regulativ der Empfängnisverhütung ansehen. Wer gibt uns eigentlich das Recht, ihnen so viel Begrenztheit zuzutrauen und davon auszugehen, daß sie dann unweigerlich dem — wie vorhin einer der Kollegen gesagt hat — „Anstifter" in seiner Forderung zur Abtreibung unterlegen sind? Solche Fälle kann man gewiß nie ausschließen; aber sie zur Norm zu machen halte ich für absolut unzulässig.

(Beifall bei der SPD.)

Geringschätzig oder in einem ganz falschen Sinne spricht man von der Forderung, daß die Frau selber entscheiden darf — denn das ist ja bei der Fristenregelung eigentlich das Allerentscheidenste —, daß sie nicht einer Fremdentscheidung unterworfen ist, und man sagt, das dürfe nicht sein, weil das Emanzipation wäre. Meine Damen und Herren, offensichtlich sind Sie sich nicht darüber im klaren, was Emanzipation ist. Emanzipation hat die ganze Gesellschaft nötig, nicht nur die Frauen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaube, daß gerade die Männer, die sich hier so sehr gegen Emanzipation wehren, einmal darüber nachdenken sollten, wie sehr wir alle der Emanzipation bedürfen, nämlich der Loslösung von Vorurteilen und von Zwängen, die uns von außen her auferlegt sind.

(Beifall bei der SPD.)

Alle gesellschaftspolitischen oder sozialpolitischen Gesetze, die wir beschließen, sind emanzipatorisch. In diesem Sinne ist natürlich auch das Gesetz, das wir wünschen, die Fristenregelung, emanzipatorisch. Die Frau darf nicht länger dem Zwang ausgesetzt sein, gebären zu müssen. Wer darf sich das Recht anmaßen, über sie zu bestimmen und einfach zu sagen: sie muß? Das ist eine so wichtige Entscheidung, daß sie diese Entscheidung selber treffen muß. Ich sage nicht: ganz alleine, sondern selbstverständlich mit ihrem Mann und mit ihrem Freund. Aber sie muß sie treffen. Wer kann denn immer noch daran festhalten, daß ein Mensch, wenn er Theologe, Jurist oder Arzt ist, immer die bessere Weisheit hat als eine Frau, die vor der Aufgabe steht, Mutter zu werden?

(Beifall bei der SPD.)




Frau von Bothmer
Ich glaube, wir sollten diesen sehr menschlichen Standpunkt nicht aus den Augen verlieren. Das ist keine Überforderung, das ist keine Ideologie, sondern das ist das, was ich unter Menschenwürde verstehe.

(Beifall bei der SPD.)

Ich sehe einfach nicht ein, warum das den Frauen nicht zugebilligt werden sollte!
Viele Kollegen haben es sich einfach gemacht, indem sie sagen, ein Arzt könne sehr leicht darüber entscheiden. Einer der Kollegen sagte heute: Um die Fristenregelung exakt durchzuführen, brauche man hellseherische Fähigkeiten. Meine Damen und Herren, ein Arzt bedarf wohl der hellseherischen Fähigkeit, um zu wissen, ob ein junges Mädchen oder eine Frau vergewaltigt worden ist oder nicht. Ich möchte wissen, wie Sie dieses Problem zu lösen gedenken.
Im übrigen: man soll die Frauen nicht in Angst versetzen und sie nicht mit Drohungen verschrekken; denn das ist kein Mittel, die Bürger dem Staat zu verpflichten.

(Beifall bei der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709535400
Das Wort hat der Abgeordnete Sieglerschmidt.

Hellmut Sieglerschmidt (SPD):
Rede ID: ID0709535500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht als offizieller Sprecher jener Gruppe von 27 Kollegen aus der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, die den Antrag für eine erweiterte Indikationenregelung eingebracht haben. Aber ich glaube sagen zu können, daß ich mit vielen von ihnen einig bin in dem, was ich zu sagen habe.
Zunächst einmal: Wir haben mit diesem Antrag nicht etwa, wie man gelegentlich in der öffentlichen Diskussion hören konnte, eine Alibifunktion wahrnehmen wollen. Wir haben nicht — Sie kennen ja das Wort, daß die Franziskaner das gute Gewissen der Kirche seien — das gute Gewissen der SPD gegenüber den Kirchen spielen wollen, sondern es war und ist uns sehr viel ernster. Wir wünschten nichts mehr, als daß dieser Antrag eine Mehrheit fände.
Ich habe vom guten Gewissen gegenüber den Kirchen gesprochen. Hier ist, glaube ich, Gelegenheit, ein Wort zu der Stellung der Kirchen in diesen Fragen zu sagen, zumal sich der Kollege von Hassel — ich spreche den Kollegen von Hassel an, nicht den Präsidenten — vorhin auch mit dieser Frage befaßt hat. Es geht mir dabei nicht so sehr um den Öffentlichkeitsauftrag der Kirche. Das Recht der Kirchen, in diesen Fragen öffentlich Stellung zu nehmen, ist in unserer Staatsordnung und auch bei meinen Freunden unbestritten.
Aber etwas anderes ist es, daß die betroffenen Politiker natürlich auch das Recht haben, sich mit solchen Stellungnahmen auseinanderzusetzen. Ich will es hier jetzt nicht tun. Vielmehr will ich diejenigen unter uns, die wie ich versuchen, Christen zu sein, noch einmal auffordern, sich mit mir die Frage zu stellen, ob es womöglich vom christlichen
Glauben her geboten sei, für den einen oder den anderen der vier Anträge einzutreten, oder ob es gar geboten sei, auf keinen Fall für einen der Anträge einzutreten. Hier, Herr Kollege von Hassel, wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann ich Ihnen nicht folgen. Als christlicher Politiker kann man durchaus nicht nur einen Weg gehen; es gibt sehr viele verschiedene Möglichkeiten.

(Beifall bei der SPD.)

Die Kollegin Funcke hat heute schon die Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Kassel erwähnt. Als wir dort über diese Frage berieten, hat sich die Synode eben nicht die Stellungnahme des Rates zu eigen gemacht, die Sie, Herr Kollege von Hassel, zitiert haben. Sie hat sich sehr viel differenzierter geäußert. Sie hat deutlich gemacht, daß man als Christ — nach evangelischem Verständnis jedenfalls — auch für die Fristenregelung eintreten kann, ohne damit ein schlechterer Christ oder gar ein Antichrist zu sein.

(Zustimmung bei der SPD.)

Nur wer die Ansicht verträte, daß das staatliche Recht der verlängerte weltliche Arm sei, um Forderungen der christlichen Ethik durchzusetzen, deren Befolgung die Kirchen von ihren Gliedern anders nicht erreichen können, nur wer die Grenzen so setzt, der könnte zu anderen Ergebnissen kommen. Dann aber verläuft die Grenzlinie nicht etwa vor der Fristenregelung, sondern sie verläuft — wenn man die Grenzen so setzt — haarscharf hinter dem Antrag des Kollegen Heck und vor dem Entwurf der CDU/CSU. Ich glaube aber zu wissen, daß das rechtstheologische Staatsverständnis, das sich in dieser Gleichsetzung von christlicher Ethik und dem Recht des Staates ausdrückt, nicht einmal in weiten Teilen der katholischen Kirche geteilt wird. Würde das nämlich der Fall sein, dann würde sich für uns nur die Frage stellen, ob wir als Christen uns so oder so entscheiden müssen. Da wäre es dann ähnlich wie etwa bei der Kriegsdienstverweigerung. Bei der Frage der Kriegsdienstverweigerung, bei der es ja auch um das Töten geht, kann man bekanntlich als Christ sowohl für die Ableistung des Kriegsdienstes und ebenso aus seiner christlichen Überzeugung heraus für die Kriegsdienstverweigerung eintreten.
Nun, warum ist diese Entscheidung für mich dennoch eine Gewissensentscheidung? Hier muß ich noch einmal auf das zurückgreifen, was heute schon mehrfach erörtert worden ist, daß nämlich das werdende Leben im Gegensatz zu dem, was Redner von seiten der Union gesagt haben, in unserer Rechtsordnung eben nicht mit dem gewordenen Leben gleichgesetzt wird. Hier gibt es Unterschiede. Aber sicherlich kommt das werdende Leben in seinem verfassungsrechtlichen Rang dem geborenen Leben sehr nahe. Und weil das so ist, darf das Gesetz nicht der Mutter allein die Verfügung über das werdende Leben überlassen. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, daß wir der Meinung waren, daß die Regelung, die wir mit dem erweiterten Indikationenmodell vorgeschlagen haben, notwendig ist.



Sieglerschmidt
Ich möchte hier ganz deutlich sagen, daß ich in diesem Zusammenhang dem nicht folgen kann, was der Kollege Maihofer hier ausgeführt hat. Er hat, wenn ich das richtig verstanden habe, im Gegensatz zu dem, was die Kollegin Funcke gesagt hat — sie hat davon gesprochen, hier habe niemand eine ethische Rechtfertigung für die Abtreibung gegeben —, doch so etwas wie den Versuch zur grundsätzlichen ethischen Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs unternommen.
Der Gesetzgeber kann die Abwägung, die wir mit unserem Indikationenmodell erreichen wollen, sicherlich nicht erzwingen. Es wird auch bei anderen Regelungen immer wieder ein Ausweichen in die Illegalität oder andere Ausweichmöglichkeiten geben. Aber der Gesetzgeber kann mit einer solchen Regelung die Güterabwägung, die für mich unverzichtbar ist, wenigstens ermöglichen.
Ich weiß, daß meine Freunde, die für die Fristenregelung eintreten, mir jetzt — das ist heute auch schon einmal gesagt worden — entgegenhalten werden: Wir sind der Meinung, daß das werdende Leben durch die Fristenregelung schließlich besser geschützt wird als durch ein erweitertes Indikationenmodell oder durch andere Regelungen. Aber sie können ebensowenig beweisen, daß das der Fall sein wird, wie ich beweisen könnte, daß es mit einem erweiterten Indikationenmodell der Fall sein wird. Sicherlich werden es auch die anderen Kollegen hinsichtlich ihrer Anträge nicht beweisen können. Aber selbst wenn diejenigen recht hätten, die gelegentlich sagen, bei dem erweiterten Indikationenmodell würde im statistischen Ergebnis der Schwangerschaftsabbrüche schließlich etwa das gleiche herauskommen wie bei der Fristenregelung, bleibt immer noch ein entscheidender Unterschied.
Heute ist hier schon der Satz zitiert worden, daß das Recht ein ethisches Minimum sei. Nun, man kann es sicherlich an anderer Stelle ansetzen, als es der Kollege Heck getan hat. Aber dieser Satz ist meiner Meinung nach richtig. Es ist Sache der Kirchen und der Religionsgemeinschaften, von den Menschen mehr zu verlangen als dieses ethische Minimum, und es ist Sache des einzelnen, mehr zu verwirklichen als dieses ethische Minimum. Aber der Staat hat die Aufgabe, dieses ethische Minimum verbindlich zu machen — nicht durch Programmsätze, sondern durch Normen, selbst wenn sie nicht immer eingehalten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Das bedeutet in diesem Fall, daß die Beseitigung von ungeborenem Leben ohne zureichenden Grund mit Strafe bedroht sein muß.
Sollte dies alles, was ich soeben hier ausgeführt habe — so frage ich mich —, Herr Augstein nicht erkannt haben, der die Vertreter der erweiterten Indikationenregelung als Heuchler bezeichnet hat? — Herr Augstein ist nicht kompetent, zu sagen, was ich auf mein Gewissen nehmen kann oder nicht. Er ist weder Praeceptor Germaniae, noch ist er der Obersittenrichter der Nation.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Worum geht es hierbei uns im Kern? — Es geht darum, welche Funktion man nach seinem Staatsverständnis diesem Staat und dem Recht in diesem Staate in diesem Zusammenhang beimißt. Und dennoch, meine Damen und Herren: Letztlich geht es auch in dieser Frage — wie auch sonst in der Politik — nicht darum, daß man die Menschen für die Politik einspannt, sondern darum, daß die Politik für die Menschen dazusein hat. Und da meine ich, daß für die Menschen keine Reform des § 218 — ich sage das ganz deutlich — noch schlechter ist als die Fristenregelung. Sie alle — oder wenigstens ein Teil von Ihnen — kennen jenen alten römischen Rechtssatz — —

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709535600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch?

Hellmut Sieglerschmidt (SPD):
Rede ID: ID0709535700
Gerne!

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID0709535800
Herr Kollege Sieglerschmidt, aus welcher Verfassungsstelle leiten Sie, wenn Sie die These vertreten, daß der Staat rechtlich oder verfassungsrechtlich verpflichtet ist, werdendes Leben mit den Mitteln des Rechts zu schützen, eigentlich die Pflicht des Staates her, dieser seiner Verpflichtung mit Mitteln des Strafrechts nachzukommen?

(Beifall bei der FDP.)


Hellmut Sieglerschmidt (SPD):
Rede ID: ID0709535900
Herr Kollege Hirsch, ich kenne diese Frage sehr gut; sie ist sehr oft erörtert worden. Meine Antwort lautet: Ich sehe kein anderes Mittel des Rechts in diesem Zusammenhang,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

um dieses deutliche Grenzzeichen aufzurichten.

(Abg. Wehner: Hört! Hört! — Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Sie können mir kein anderes Mittel nennen! Ich habe eben gesagt, es gebe

(Abg. Frau Däubler-Gmelin meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— ich will den Satz noch zu Ende führen, und ich komme jetzt im Grunde genommen auch zum Schluß
— ein altes römisches Rechtssprichwort, das da lautet: fiat justitia, pereat mundus; es geschehe das Recht, und wenn die Welt darüber zu Grunde ginge. Weil ich der Meinung bin, daß man zur Maxime des politischen Handelns in diesem Hause eben nicht dieses Sprichwort machen darf, daß es nicht so sein kann, daß man die Rechtssätze schließlich höher stellt als das Schicksal von Hunderten, Tausenden oder Hunderttausenden von Menschen, darum, meine Damen und Herren, werden Sie mich, wenn es keine brauchbare Alternative für mich gibt, am Ende nicht bei jenen finden, die die Fristenregelung verhindern helfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709536000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger.




Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709536100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist im Zusammenhang mit der Frage, die wir heute behandeln, mit Recht des öfteren von der ernsten Gewissensentscheidung gesprochen worden, vor der wir hier stehen. Ich empfand es deshalb als etwas bedrückend, daß meine verehrte Kollegin Frau Funcke hier die Meinung vertreten hat, das Gewissen der Abgeordneten des Hohen Hauses sei von außen bedroht, und dabei die Blickrichtung auf eine oder auf mehrere christliche Kirchen genommen hat.
In den nahezu 25 Jahren, die ich diesem Hause anzugehören die Ehre habe, habe ich nur zweimal erlebt, daß man eine gewisse Bedrohung von außen sichtbar wurde: damals, als die Aktion „Kampf dem Atomtod" eine Abstimmung in diesem Hause beeinflussen wollte, und damals — es ist noch nicht lange her , als wir über ein konstruktives Mißtrauensvotum zu entscheiden hatten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Damals war die Polizei gezwungen, Barrikaden zu bauen. Barrikaden baut man nicht gegen eine christliche Kirche, denn die kann man mit Barrikaden und mit Divisionen nicht bekämpfen, und sie pflegt auch nicht mit den Mitteln dieser Welt zu wirken.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709536200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709536300
Bitte sehr!

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID0709536400
Herr Dr. Jaeger, sollten Ihnen tatsächlich die Entgleisungen entgangen sein, die auf Kreise der katholischen Kirche zurückgehen, z. B. die Herodes-Plakate?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Das ist ein Druck auf die Entschließungsfreiheit der Abgeordneten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Quatsch! — Ich habe keins gesehen!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709536500
Wenn Sie so zart besaitet sind, daß Sie sich in Ihrer Entschließungsfreiheit durch ein Plakat bedroht fühlen, was sollen dann die Gegner der Fristenlösung sagen, wenn sie die Schmierereien an den Münchener Kirchen betrachten müssen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709536600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank? — Bitte!

Bertram Blank (SPD):
Rede ID: ID0709536700
Herr Jaeger, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Hinweis auf ein Abstimmungsverhalten als sündhaftes Verhalten durch die Kirchen oder durch Vertreter einer Kirche ein Versuch der Einflußnahme auf das Gewissen ist?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709536800

(C Kollege, ich habe ja Verständnis für Ihre Haltung von Ihrem Standpunkt aus, wenn Sie an Ihre Wähler denken. Sie sind ungefähr in der Lage, in der ich mich befinde, wenn Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes sagen, man dürfe nur Kandidaten wählen, die für die paritätische Mitbestimmung sind. Das bin ich zufällig nicht. Ich fühle mich da aber auch nicht bedroht. Sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn ich nicht einer christlichen Kirchen angehörte, wenn ich in den christlichen Kirchen nichts anderes sähe als reine weltliche Vereinigungen, würde ich Ihnen doch mindestens dasselbe Recht wie dem Deutschen Gewerkschaftsbund einräumen. Ich finde es legitim, daß gesellschaftliche Gruppen ihre Meinung sagen und daß Abgeordnete durch diese Gruppen kontrolliert und danach gewählt oder nicht gewählt werden, ob sie zu einer bestimmten Frage ja und zu einer anderen nein sagen. Das ist nun einmal die Demokratie. Gesatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin? Herr Präsident, wenn Sie mir das nicht auf meine Redezeit anrechnen, gern. Wir ziehen das dann noch dazu. Herr Dr. Jaeger, ich werde mich kurz fassen. Sind Sie mit mir der Meinung, daß Sie ganz offensichtlich die Mittel nicht kennen, mit denen hier gearbeitet wird? Sie sollten hier nicht so nonchalant urteilen. Wer eigentlich nonchalant in der Frage des menschlichen Lebens, des ungeborenen Lebens usw. ist, das wollen wir hier doch nicht erörtern. Wir wollen doch, wie ich glaube, hier auf dem Niveau bleiben, auf dem wir bisher die Diskussion geführt haben. Wir stehen — und ich sehe es auch daran, daß ich noch niemals zu einer Frage so viele Briefe bekommen habe wie zu dieser — vor einer Entscheidung, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten die bedeutsamste ist, seit das Grundgesetz in diesem Lande verabschiedet worden ist. Es geht nicht, meine Damen und Herren, um irgendwelche Fragen der Moral, in denen in diesem Lande legitimerweise ein Pluralismus besteht. Ich finde es zu schlicht, hier zu erklären, Jesus Christus sei nicht. gekommen um ein Strafgesetzbuch einzuführen; natürlich nicht. Er ist auch nicht gekommen, um Dr. Jaeger ein Zivilgesetzbuch einzuführen oder um Sozialreformer zu sein, was wir vielleicht den Jusos sagen müssen. Trotzdem glaube ich, daß die Sozialstruktur eines christlichen Volkes anders aussieht als etwa der Manchester-Liberalismus und daß sich das Zivilgesetzbuch eines christlichen Landes zumindest durch die Einehe von manchen anderen Ländern unterscheidet und daß auch im Strafgesetzbuch bestimmte Wirkungen spürbar sein mögen. Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert? Glauben Sie, Herr Kollege Dr. Jaeger, daß die Zahl der Posteingänge, daß die Zahl der im übrigen meistens vervielfältigten Briefe entscheidend für die Bedeutung eines Problems ist, das hier im Deutschen Bundestag zur Beratung ansteht? Da haben Sie es etwas schief verstanden, Herr Kollege Kleinert. Es ist ein Zeichen dafür, wie ernst das Volk die Sache nimmt. Sie können sicher sein, ich habe nicht die Unterschriften gezählt, die manchmal sehr zahlreich auf den Dokumenten standen, sondern mich bloß mit der Zahl der Dokumente selbst befaßt. Wenn ich weder bei der Frage der Wiederbewaffnung, die in den 50er Jahren den meisten Posteingang brachte, noch bei der Frage der Freigabe der Pornographie, die seither das meiste Echo aus dem Volke ergab, so viel Zuschriften bekam, sondern eben hierzu, dann ist jedenfalls das Volk an dieser Frage auch mehr interessiert. Vielleicht sollten sogar wir beide uns darüber freuen, nicht nur ich. Es ist nun zu wiederholtem Male, wahrscheinlich wegen des Jubiläumsjahres, der Satz von Thomas von Aquin zitiert worden, daß nicht alles sittlich Unerlaubte verboten werden soll. Ja, meine Damen und Herren, ich glaube, rund um die Welt gibt es kein Land, jedenfalls kein demokratisches Land, in dem alles, was nach sittlichen Vorstellungen etwa der christlichen Kirchen unerlaubt ist, verboten ist. Das wäre ja auch Unsinn. Ich darf an das erinnern, was etwa Herr Kollege Dr. Heck heute früh über die Zeit vor der Nidation gesagt hat. Aber es gibt eben Dinge, die nicht nur Fragen der Moral, sondern des Rechts sind, und es geht bei der Frage, über die wir heute entscheiden, um die Tötung menschlichen Lebens. Dieser Paragraph steht nicht unter der Überschrift „Sittenstrafrecht". Er steht unter der Überschrift „Verbrechen und Vergehen gegen das menschliche Leben" in unserem Strafgesetzbuch. Der Staat schlechthin hat seinen Sinn darin, Grundwerte und Grundrechte zu schützen, und das Leben ist nun einmal das erste Recht, weil es die Grundlage aller weiteren Rechte, gegenwärtiger und künftiger Rechte, bildet. Darum ist der Schutz des menschlichen Lebens auch durch das Strafrecht eine fundamentale Aufgabe, auch wenn ich durchaus mit Herrn von Liszt und in diesem Falle auch mit Herrn Maihofer der Meinung bin, daß das Strafrecht nicht die prima ratio ist. Ich bin auch der Meinung, daß die sogenannten flankierenden Maßnahmen das Zentrum der gesetzgeberischen Arbeit sein sollten. Aber auf die Flankierung durch das Strafgesetzbuch kann man in dieser unvollkommenen Welt nun einmal nicht verzichten. Meine Damen und Herren, ein Staat, der das Leben nicht schützt, verfehlt seine Aufgabe. Man kann sogar die Frage aufwerfen, ob er noch das Recht hat, in anderen, weniger wichtigen Dingen Strafen zu verkünden. Der bayerische evangelische Landesbischof Dietzfelbinger hat vor seiner Synode im März dieses Jahres gesagt, es sei die Grundfrage für einen Staat, ob es einen Zeitraum und einen Bereich des menschlichen Lebens geben könne, der generell ohne Rechtsschutz gelassen werde. Die Antwort ist ihm von Laien außerhalb seiner Kirche schon vorher gegeben worden, nämlich durch den Deutschen Ärztetag von 1973, der erklärt hat: „Es gibt keine Frist in der Entwicklung des menschlichen Lebens . . . , vor deren Ablauf das werdende Leben keinen oder einen geringeren Schutz verdient". Nach seiner Meinung ist die Abtreibung nur als therapeutische Maßnahme möglich. Demgemäß ist die medizinische Indikation die einzige Ausnahme. Sie ist ja die logische Konsequenz dessen, daß gegenüber dem geborenen Leben die Grenze für seinen Schutz nach unserem Recht in Notwehr und Notstand liegt. Wenn gegenüber dem ungeborenen Leben das Leben der Mutter oder die schwerste Gefährdung dieses Lebens steht, ist ein objektiv-allgemeingültiger Grund gegeben, die Abtreibung nicht als rechtswidrig anzusehen. Ich habe manchmal den Eindruck, als wenn diejenigen, die in der Frage der Abtreibung allzu großzügig sind, noch der alten Meinung huldigten, der Embryo sei sozusagen eine Sache. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich jemals von einem Fachmann der Embryologie haben informieren lassen -etwa von Professor Dr. Blechschmidt, den Sie ja auch in diesem Hause kennen —, werden Sie so interessante Sätze wie den gehört haben, daß er unter den Tausenden von Embryos, die er gesammelt hat, auch nicht zwei gleiche gefunden hat, weil die menschliche Individualität bei ihnen schon ausgedrückt ist. Professor Blechschmidt hat berichtet, seine Studenten werden, wenn sie die Bilder von Embryos wenige Wochen nach der Zeugung sehen, eventuell von Anhängern — wenn sie solche waren — zu Gegnern der Freigabe der Abtreibung, weil der Mensch eben schon vor der Geburt leibhaftig existent ist. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scheu? Herr Dr. Jaeger, ich freue mich sehr über Ihr starkes Wort zum Leben des Embryos. Ich bin von Ihrer Auffassung gar nicht so weit entfernt. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang nur fragen, ob man Ihre Ausführungen im Sinne einer Bekehrung hinsichtlich der Todesstrafe für erwachsene Menschen auffassen darf? Verehrter Herr Kollege, ich glaube, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Es ist mir unverständlich, daß jemand, der selbst das Leben eines mehrfach schuldigen Mörders für so heilig hält, daß er es nicht auslöscht, das Leben des Unschuldigsten, was es gibt, nämlich das Leben des nicht geborenen Kindes, freigeben will. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Da sieht man, wie Sie wirklich sind!)


(Zurufe von der SPD. — Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709536900
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709537000
Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709537100
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID0709537200

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709537300

(Beifall bei der CDU/CSU.)





(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709537400
Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0709537500
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709537600

(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709537700
Adolf Scheu (SPD):
Rede ID: ID0709537800

(Zurufe von der CDU/CSU.)




Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709537900

(Beifall bei der CDU/CSU.)

— Herr Kollege Wehner, über die Gesetze der Logik läßt sich doch schwer streiten.

(Abg. Wehner: Ja!)

Darf ich fortfahren und als Jurist festhalten: Gerät ein Nasciturus, ein zu gebärendes Kind, durch irgendwelche Maßnahmen, z. B. durch eine mißglückte Abtreibung, außerhalb des Mutterleibes und lebt es noch, so ist seine Tötung Totschlag. Auch die Tötung eines Siebenmonatskindes, das man in einen Brutkasten gelegt hatte, ist Totschlag. Wenn aber die Mutter ein Siebenmonatskind in ihrem Leib umbringt, ist dies nach dem Entwurf meines Kollegen Dr. Müller-Emmert eine straffreie Handlung der Mutter. Ich frage mich: Ist eigentlich der Unrechtsgehalt beider Taten so fundamental verschieden, daß man so fundamental verschiedene Rechtsfolgen festsetzen kann?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Jedenfalls wird durch die Abtreibung ein individuelles Menschenleben zerstört, ähnlich wie beim Totschlag. Wenn in diesem Lande Millionen DM für die Rettung Frühgeborener ausgegeben werden und Ärzte und Pflegepersonal Tage und Nächte daran arbeiten, dann ist es unverständlich, wenn man nicht eine ähnliche Sorgfalt dem nichtgeborenen Kinde zuwendet.
Meine Damen und Herren, der Staat ist dazu da, die Schutzlosen und Hilfsbedürftigen zu schützen. Die Sozialdemokraten haben das immer als besondere Aufgabe betrachtet, was ich gar nicht bestreite, obwohl es andere Parteien auch getan haben und vor allem tun.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer aber ist hilfsbedürftiger und schutzloser als ein ungeborenes Kind?! Darum verstehe ich die sozialdemokratische Haltung in dieser Frage gar nicht. Sie sind für die Unterprivilegierten! Aber wer ist denn in der Wahrnehmung seiner Rechte mehr unterprivilegiert als das nichtgeborene Kind?!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Sehr gut!)

Sie sind wie wir für die Chancengleichheit. Ist das Chancengleichheit, wenn das eine Kind geboren werden darf und das andere nicht? Nein, meine Damen und Herren! Wer über die Inhumanität im Strafrecht klagt, der muß vor allem einmal jene sogenannte Humanität anklagen, die nicht an das Opfer denkt.
Das heißt nicht, daß die Schwierigkeiten vieler Frauen irgendwie verkleinert und verschwiegen werden sollen. Aber daß Töten grundsätzlich ein Ausweg aus einer schwierigen Situation sein soll, das vermag ich nicht zu glauben. Für Fälle einer verzweifelten Lage, für besondere Bedrängnis sind in den beiden Entwürfen aus den Reihen der CDU/ CSU Bedrängnisklauseln geschaffen, wonach von Strafe abgesehen werden darf, obwohl die objektive Rechtswidrigkeit nicht bestritten wird. Aber daß man grundsätzlich eine Belastung von der Mutter dadurch abwenden kann, daß man den Vorrang des Lebens des Kindes opfert, das halten wir nicht für möglich.
Meine Damen und Herren, wenn eine Mutter ihr Kind vernachlässigt, nennt man sie eine Rabenmutter. Wenn eine Mutter ihr Kind mißhandelt, stellt man sie vor Gericht. Wenn sie das Leben des ungeborenen Kindes auslöscht, dann ist das weniger als ein Kavaliersdelikt und wird auch noch von der Gemeinschaft der Versicherten bezahlt. Das scheint mir unlogisch zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was für ein Bild der Familie und des Kindes bringen Sie in dieses Land, wenn Sie Kinder als Krankheit betrachten und von der Sozialversicherung die Fristenlösung bezahlen lassen!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD.)

Wie soll die Zukunft eines solchen Volkes aussehen?
Man spricht hier von der Kinderfeindlichkeit, die wir bestimmt bedauern. Aber meine Damen und Herren, die Fristenlösung ist ebenso Ausdruck der Kinderfeindlichkeit dieser Zeit, wie sie zur Folge haben wird, daß die Kinderfeindlichkeit steigt; denn eine Mentalitätsänderung wird ganz gewiß eintreten.
Es ist hier gesagt worden, über diese Frage könnte nur beschließen, wer selbst betroffen sei, oder es sei zumindest problematisch, daß jemand mit beschließe, der nicht betroffen sei. Meine Damen und Herren, im Deutschen Bundestag und in jedem Parlament pflegen alle über alles zu entscheiden, damit auch Männer über Abtreibung und Frauen über die Homosexualität, von der sie ja auch nicht betroffen sind.

(Lachen.)

— Von der, die im Strafgesetzbuch steht, ganz gewiß nicht! Meine Damen und Herren, wir beschließen über Lehrlinge und Studenten, obwohl wir das alle nicht mehr sind. Wer die gleiche. Zuständigkeit aller Abgeordneten für alle Fragen unseres Volkes bezweifelt, legt doch irgendwie die Axt an die Wurzeln des Parlamentarismus!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich meine, mit dem, was hier vorgeschlagen wird, wird doch das Vertrauen in den Arzt als den Hüter des Lebens und den Heiler von Leib und Seele des Menschen beeinträchtigt.




Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709538000
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709538100
Wenn Sie die Uhr anhalten, Herr Präsident, gern!

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709538200
Das wird alles zugezählt.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0709538300
Herr Kollege Dr. Jaeger, glauben Sie nicht, daß zur Zeit bereits ein ungeheurer Prozentsatz von Frauen auf Kosten der von Ihnen zitierten Gemeinschaft ,der Versicherten wegen Krankheiten behandelt werden muß, weil sie durch Kurpfuscher in eine krankheitswertes Stadium getrieben worden sind, das ihnen erspart geblieben wäre, wenn sie beizeiten durch einen Arzt Hilfe bei ihrem Problem gefunden hätten?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0709538400
Herr Kollege, nach dem, was hier von anderen Kollegen ausgeführt worden ist, nimmt in den Ländern, in denen man die Abtreibung mehr oder minder freigibt, der illegale Abbruch leider nicht ab und damit auch nicht das Werk der Kurpfuscher; denn die pflegen die Dinge im allgemeinen illegal zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Arzt ist nicht ein Vollstrecker, sondern er ist ein Mann oder eine Frau, der oder die selber frei zu entscheiden hat. Der Nobelpreisträger Le Jeune hat mit Recht gesagt: „Selbst wenn die Natur verurteilt, besteht die Aufgabe des Arztes nicht darin, zu vollstrecken, sondern darin, nach Kräften den Vollzug zu mildern." Soll dieses aufgeklärte 20. Jahrhundert sich wirklich durch den Eid des Hippokrates beschämen lassen?
Nein, meine Damen und Herren, ich habe Sorge, daß sich der Mensch sowohl bei der sozialen Indikation als auch ganz besonders bei der Fristenlösung zum Herrn des Lebens aufwirft, was ihm nicht zusteht. Dieses Parlament ermächtigt, wenn es die Fristenlösung annimmt, jede Frau zum Töten. Deshalb vor allem halte ich die Fristenlösung für verfassungswidrig. Vor allem deshalb vermag ich der Fristenlösung meine Stimme nicht zu geben.
Herr Kollege Dr. Maihofer hat davon gesprochen, daß innerhalb und außerhalb Deutschlands eine Veränderung des Wertbewußtseins eingetreten sei und daß das nun eben die Grundlage für eine neue Gesetzgebung bilde. Ich will gar nicht bestreiten, daß eine solche Veränderung des Wertbewußtseins an allen möglichen Ecken und Enden spürbar ist. Aber, meine Damen und Herren, das ist doch kein Maßstab für unsere Gesetzgebung. Ich habe leider eine Veränderung des Wertbewußtseins erlebt, die zu ganz furchtbaren Folgen geführt hat,

(Abg. Dr. Marx: Sehr wahr!)

nämlich zu der Beseitigung des sogenannten lebensunwerten Lebens. Ich sage das nicht — und ohne jede Polemik spreche ich hier —, weil ich eine Identität zwischen der Tötung des sogenannten lebensunwerten alten Lebens und des ungeborenen Lebens behaupte; nein! Und daß eine andere Motivation vorliegt, weiß ich auch. Aber, meine Damen und Herren, ich sage es, um zu zeigen, daß ein verantwortlicher Gesetzgeber nicht eine angebliche oder wirkliche Veränderung des Wertbewußtseins, das heute so und morgen so sein mag, zur Richtlinie seiner Abstimmung machen darf. Ich sage es auch deshalb, weil ich meine, bei dem liegt jedenfalls eine unvollkommene Erkenntnis vom Wert des menschlichen Lebens zugrunde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, einer der bedeutsamsten Richter in Karlsruhe, der Bundesrichter Dr. Wilms, hat kürzlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben, nach der schrankenlosen Menschenverachtung des Nationalsozialismus sei die uneingeschränkte Achtung vor dem Menschenleben geradezu als das Urerlebnis des Parlamentarischen Rates zu bezeichnen. Damals sei es undenkbar gewesen, das menschliche Leben auch nur zeitweise und vor oder nach bestimmten Fristen disponibel zu machen. Das, meine Damen und Herren, dürfte für uns auch heute, da wir auf dem Boden desselben Grundgesetzes stehen, maßgebend sein.
Am 15. Mai 1972 hat der Herr Bundeskanzler, der eben noch an seinem Platze saß und jetzt bedauerlicherweise gerade gegangen ist, in einem Brief an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages — mit seiner Unterschrift — den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts übermittelt — die Bundestagsdrucksache V1/3434; ich darf nun den Herrn Präsidenten bitten, etwas länger als sonst zitieren zu dürfen — und darin nun folgendes ausgeführt — oder ausführen lassen :
Wenn die Gesellschaft das werdende Leben als schutzwürdiges Rechtsgut von vergleichsweise hohem Rang anerkennt, dann kann sie nicht, ohne in Widerspruch zu dieser Prämisse zu geraten, die Vernichtung dieses Rechtsguts von dem freien Belieben des einzelnen abhängig machen.

(Abg. Dr. Marx: Ein gutes Wort des Bundeskanzlers!)

An anderer Stelle heißt es:
Ist der Abbruch vor Ablauf des dritten Monats erlaubt, so ist es nicht plausibel zu machen, warum er einer Schwangeren allein deswegen versagt werden soll, weil sie die Dreimonatsfrist versäumt hat.

(Abg. Dr. Marx: Hört! Hört!) An einer dritten Stelle heißt es:

Die Fristenlösung würde dazu führen, daß das allgemeine Bewußtsein von der Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens während der ersten drei Schwangerschaftsmonate schwindet. Sie würde der Ansicht Vorschub leisten, daß der Schwangerschaftsabbruch, jedenfalls im Frühstadium der Schwangerschaft, ebenso dem freien Verfügungsrecht der Schwangeren unterliegt wie die Verhütung der Schwangerschaft. Eine



Dr. Jaeger
solche Auffassung ist mit der Wertordnung der Verfassung unvereinbar.

(Abg. Dr. Marx: Hört! Hört! — Zuruf von der CDU/CSU: Vor der Wahl!)

Meine Damen und Herren, sind diese Argumente heute nicht mehr gültig? Ist das Grundgesetz am Ende durch die Wahl vom 19. November 1972 geändert worden? Oder tritt an die Stelle der Wahrheit wieder die so oft zitierte „Bahrheit", weil damals die Mehrheitsverhältnisse noch nicht so waren, daß man hätte aussprechen können, was man jetzt vielleicht aussprechen will? Ich weiß es nicht,

(Abg. Rawe: Das ist aber eine sehr berechtigte Frage!)

aber wir warten darauf, daß der Herr Bundeskanzler als Chef eines Kabinetts, das bewußt einen Entwurf gegen die Fristenlösung verabschiedet hat, hierzu Stellung nimmt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Sein Justizminister, der sich gerade mit seinen vorzüglichen Beratern unterhält, ist offensichtlich noch derselben Meinung wie damals. Das findet meine Anerkennung.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Der schüttelt das geplagte Haupt!)

— Vielleicht ist das Herrn Jahn gar nicht angenehm,
wenn er so von der Opposition beklatscht wird.
Meine Damen und Herren, ich möchte gern wissen, was der Herr Bundeskanzler heute noch dazu sagt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber es ist nicht nur so, daß ich die Fristenlösung für verfassungswidrig halte und daß ich ernsthaft überlegen würde, ob man ihretwegen nach Karlsruhe gehen soll, sondern ich frage mich überhaupt, ob ein Staat, der tatsächlich die Freigabe des menschlichen Lebens für eine bestimmte Zeit vornimmt, noch als Rechtsstaat angesprochen werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich weiß, daß das manche als ein sehr hartes Wort empfinden.

(Abg. Wehner: Eine Anmaßung ist das! Gegenruf von der CDU/CSU: Eine Anmaßung ist Euer Antrag!)

-- Sie werden hören, Herr Wehner, wie ich das jetzt darlege.
Ich kann auch verstehen, daß diejenigen diese Frage überzeugt verneinen, also der Meinung sind, der Rechtsstaat sei nicht tangiert, die im Rechtsstaat nicht den Staat der materiellen Gerechtigkeit, sondern, wie Radbruch in jungen Jahren und wie Kelsen, nur den Staat der Rechtssicherheit sehen. Es entspräche der Tradition des politischen Liberalismus und des Rechtspositivitismus, an der materiellen Gerechtigkeit zu verzweifeln und allein die Rechtssicherheit als Inhalt des Rechtsstaates zu bezeichnen. Ja, meine Damen und Herren, ich bezweifele nicht, daß durch die Fristenlösung die
Rechtssicherheit nicht erschüttert wird. Im Gegenteil: die Tötung des ungeborenen Kindes wird damit für drei Monate absolut rechtssicher.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer aber im Rechtsstaat die materielle Gerechtigkeit sucht, in dem sozialen Rechtsstaat, wie ihn die CDU/CSU weithin in 20 Jahren verwirklicht hat

(Oho-Rufe bei der SPD)

und wie ihn die Sozialdemokraten doch auch in ihrem Programm haben, der muß wirklich den Zweifel aussprechen, ob es sich noch um einen Rechtsstaat handelt, wenn hier das menschliche Leben zeitweise freigegeben wird.
Meine Damen und Herren, es geht darum, ein geplantes Unrecht zu verhindern. Es geht darum, den Rechtsstaat zu retten und die Gerechtigkeit zu wahren.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709538500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ostman von der Leye.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0709538600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Herr Kollege Jaeger, zunächst eine Vorbemerkung vor dem, was ich eigentlich sagen wollte: daß ich mich über Ihre und ausgerechnet Ihre Gleichstellung der Stellungnahmen des DGB und der Kirchen wundere, wenn die Kirche nämlich von der Sünde durch die Abstimmung spricht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kann nämlich den Eintritt in das ewige Leben nicht verwehren.

(Abg. Vogel [Ennepetal] : Die Kirche auch nicht!)

Diesen Unterschied hätten Sie doch zumindest als Christ klarmachen können.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD. — Abg. Rawe: Primitiver geht's wohl kaum! Abg. Dr. Althammer: Eine schwache Theorie!)

Zu einigen anderen Fragen werde ich gleich noch kommen.
Gestatten Sie mir bitte, meine Damen und Herren, einige wenige Bemerkungen zur Gefährlichkeit der über die medizinische Indikation im engeren Sinne hinausgehenden, gesetzlich fixierten Indikationen, wie sie fast alle hier vorliegenden Entwürfe vorsehen.
Die Vertreter der Indikationenregelungen gehen nämlich von der Theorie der Einheit des Lebens aus. Sie setzen den biologischen Lebensbegriff mit dem normativen Begriff gleich, ohne 'daraus nun aber die logische Schlußfolgerung zu ziehen, den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruches mit dem des Totschlags oder gar des Mordes gleichzusetzen oder von der Nidationsfrist, die in allen Gesetzentwürfen enthalten ist, abzusehen. Und da nutzt, Herr Kollege Dr. Heck, auch nicht der Hinweis auf den Beweisnotstand; denn dies ist keine Frage des Prinzips.



Freiherr Ostman von der Leye
Im theologischen Raum ist ebenfalls nicht die Konsequenz gezogen worden, wenn z. B. aus medizinischen Gründen abgetriebene Föten nicht der Nottaufe unterzogen und auch nicht christlich beerdigt werden. Angeblich entspricht diese Übung der naturwissenschaftlichen Unwissenheit der Scholastiker über die Entwicklung des Fötus. Nun waren es aber gerade die Scholastiker auf die ich mich hier gar nicht berufen will —, die von der Potenz in der Sache ausgingen; demnach war ihnen die Potenz des eigenständigen menschlichen Lebens vom ersten Tage an bekannt, gleichgültig wie die Entwicklung im einzelnen verlaufen würde. Es muß sich also bei Ihrer Theorie, die dann in der Vergangenheit zur Frist geführt hat, um eine normative Entscheidung gehandelt haben — und dies natürlich ebenso bei der viel späteren, engeren Ausgestaltung des Strafgesetzbuches.
Wenn die Vertreter der Indikationenregelung nunmehr aber an der Theorie von der normativen Einheit des Lebens festhalten und somit inhaltlich bestimmte Güterabwägungen im Gesetz selbst festschreiben wollen, wobei — und das müssen Sie ja sehen — das minderrangige Rechtsgut dem höherrangigen Rechtsgut Leben vorgezogen wird, so läßt sich diese Güterabwägung nicht auf die Zeit vor der Geburt beschränken. Die gesetzlich fixierten Güterabwägungen haben dann dem Grunde nach eine Weiterwirkungstendenz.
Lassen Sie mich das bitte an einem Beispiel verdeutlichen, das der Herr Kollege Köster soeben schon angeführt hat. Wenn bei einer Untersuchung die Schädigung des Fötus im Sinne der kindlichen Indikation übersehen worden ist und das Kind nun als Monstrum zur Welt kommt, dann fangen ja die Gesundheitsbelastung der Mutter und die Anforderung an die Zumutbarkeit erst richtig an; dem Grunde nach besteht der Rechtfertigungsgrund also weiter fort. Wir hätten damit — und das muß man logisch sehen — im Prinzip also der Euthanasie zugestimmt. Dies gilt natürlich entsprechend auch bei anderen weitergehenden Indikationen, insbesondere auch bei der der Notlage und erweiterten medizinischen Indikationen; das muß man sehen. Praktisch — und das will ich hier gern zugeben würde ich in diesen Fällen durch die Anwendung der Regeln des übergesetzlichen Notstandes zu helfen versuchen. Dabei gebe ich zu, daß dies auch nicht systemgerecht ist; aber ich würde es aus humanitären Gründen tun.
Die Fristenregelung, die selbstverständlich keine Lösung ist ich habe nie von „Lösung" gesprochen; ich finde, das beste Wort, das heute gesprochen wurde war das Wort von Frau Funcke, daß wir, wie wir auch immer entscheiden werden, heute hier schuldig werden; ich nehme das sehr ernst, und ich hoffe, daß wir alle das sehr ernst nehmen , nimmt ihren normativen Bezugspunkt aus der entwicklungsspezifischen Frist selbst. Diese liegt möglichst weit von der im Extremfall festgestellten selbständigen Lebensfähigkeit entfernt. Sie bezeichnet einen gewissen anthropologischen Entwicklungszustand, sie entspricht einer uralten Tradition, die schon lange bestanden hat, und sie bezeichnet den Beginn eines risikoreichen Eingriffs bei der Schwangeren selbst. Eine solche Frist ist nicht wiederholbar, insbesondere auch nicht am Ende des Lebens, wie von einigen behauptet worden ist, weil es allein schon an der existentiellen, entwicklungsbedingten Verbindung zur Schwangeren mangelt. Es gibt also hier keine Weiterwirkungstendenz, und gerade das ist ein besonderer Vorteil.
Im übrigen dies muß ich noch einmal betonen,
weil es soeben auch von Herrn Kollegen Jaeger wieder vorgebracht worden ist — handelt es sich bei der Fristenregelung nicht um Beliebigkeit und Freigabe der Tötung das stimmt einfach nicht , sondern wegen des Beratungszwangs und wegen des Weigerungsrechts des Arztes um eine situationsethische Entscheidung der Frau und des Arztes. Wenn der Gesetzgeber diese situationsethische Entscheidung inhaltlich generalisieren wollte, müßte dies zu den vorhin beschriebenen Folgen führen. Das ist eine ganz wichtige Frage, weil hiermit das Argument, es handle sich um eine Freigabe, aus der Welt geschafft wird. Hier handelt es sich nicht um eine Freigabe, sondern bestenfalls um einen Schutz mit anderen Mitteln als dem des Strafrechts.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist gesagt worden, der Schwängerer werde die Frau zum Abbruch zwingen. Dazu darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß gerade durch den Beratungszwang das Gespräch unter vier Augen ermöglicht und erzwungen wird, daß sich die Frau in diesem Gespräch unter vier Augen offenbaren kann und dann den besten Schutz genießt, den sie überhaupt gegenüber dem Schwängerer genießen könnte.
Daraus ergibt sich, meine Damen und Herren, daß die Fristenregelung nicht das größere Übel gegenüber der Indikationenregelung darstellt, sondern daß gerade umgekehrt die weitgehenden Indikationenregelungen das weitaus größere Übel im scholastischen Sinne sind. Für mich sind sie ethisch, rechtspolitisch und verfassungsrechtlich, Herr Kollege Jaeger, wegen der Weiterwirkungstendenz auf das geborene Leben bedenklich. Ich werde deshalb keiner dieser Indikationenregelungen zustimmen. Meine Zustimmung zur Fristenregelung schließt deswegen auch die Zustimmung zu § 218 b Nr. 2 nicht ein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709538700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0709538800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Debatte zur Änderung des Strafgesetzbuches und nicht etwa in der Behandlung eines Gesetzes über die Verpflichtung, unter bestimmten Umständen einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Ich sage das, ich wiederhole das, und dies wird zumindest jeder dritte Redner wiederholen müssen, um dem fortdauernden Mißverständnis entgegenzutreten, daß dem nicht so sei. Ich habe auch den Eindruck, daß dieses Mißverständnis zum Teil gepflegt und gehätschelt wird, weil es ganz einfach leichter ist, sich auf dieser Grundlage sittlich zu empören und davon Abstand
6422 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 95. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 25. April 1974
Engelhard
zu nehmen, etwas tiefer in die Problematik der Dinge einzudringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun sind der Mangel an kritischer Auseinandersetzung besonders bezeichnend für die falschen Freunde in dieser Sache, und die gibt es auf beiden Seiten. Nur liegt der Unterschied darin, daß wir uns stets von jenen distanziert haben, die mit billigsten Schlagworten glaubten auftreten zu können, und uns von jenen distanziert haben, die ihre verkürzten Gedankengänge auf öffentliche Gebäude oder Kirchen glaubten pinseln zu müssen. Aber wo bleibt — das ist eine sehr wichtige Frage, weil hier von draußen her das Klima dieser Diskussion vergiftet wird -- die Distanzierung bei Ihnen? Damit wir uns nicht mißverstehen, füge ich hinzu: Niemand will die Vertreter der CDU/CSU hier in eine Art parlamentarischen Anklagezustand versetzen. Deswegen sage ich es so: Wo bleibt auch nur ein aufklärendes oder klärendes Wort in dieser Richtung von Ihnen?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das haben wir bis heute vermißt. Ja, es ist sogar versucht worden, hier im Sinne der Bagatellisierung einige Anmerkungen zu machen.
Von kirchlicher Seite ist gesagt worden, ein Teil der Bevölkerung würde, würde die Fristenlösung Gesetz, in einen schweren Loyalitätskonflikt zu diesem Staat gestürzt werden. Ich will das nicht näher untersuchen. Aber hält man es für normal, daß von kirchlicher Seite, von Verbänden initiiert, Tausende von Zuschriften eingehen, in denen ein Großteil, wenn nicht die Mehrheit dieses Hauses — es wird sich herausstellen -- als Mörder und ähnliches bezeichnet wird?
Wir haben heute — das ist oft gesagt und geschrieben worden — über eine Gewissensfrage zu entscheiden. Wir Liberalen nehmen es mit dieser Gewissensentscheidung sehr ernst. Nur glauben wir, wenn man diesem Gewissen freien Raum geben will, muß man auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Dazu gehört einmal, daß man überhaupt Gewissen als ein dem einzelnen Menschen höchstpersönliches eigenes Gewissen anerkennt und es nicht durch irgendein Kollektiv- oder ein verordnetes Amtsgewissen zu ersetzen versucht. Es ist notwendig, daß man, wenn man diese Entscheidung treffen will, vor der Meinung des Andersdenkenden Respekt hat und, was noch wichtiger ist, daß man die Freiheit gibt, die zur Gewissensbildung und zur anschließenden Gewissensentscheidung notwendig ist.
So betrachtet, ist es natürlich ein 'ganz grundlegendes Mißverständnis des Wesens des Gewissens, wenn einerseits Tausende an Parlamentarier herantreten und sie auffordern, nach ihrem Gewissen zu entscheiden, und im nächsten Satz fortfahren, wer etwa für die Fristenregelung eintrete, werde nie mehr gewählt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Dr. Jaeger, Sie haben hier versucht, die Dinge herunterzuspielen. Es geht auch gar nicht um unzulässigen politischen Druck. Keinesfalls! Niemand ist gezwungen, den wiederzuwählen, der politisch nicht so handelt, wie er es erwartet. Aber es geht darum — und das ist ein Verstoß gegen die Freiheit des Gewissens —, daß man nicht beides machen kann: jemandem zu sagen, er sollte nach seinem Gewissen, dessen Inhalt man noch nicht kennt, entscheiden, und ihm auf der anderen Seite zu sagen, wenn er aber soundso abstimme, dann habe das bestimmte politische Folgen für ihn. Hier gibt es nur eines. Diejenigen, die das Wort „Gewissen" so groß zu schreiben und so groß zu nennen pflegen, werden sich sehr deutlich hier entscheiden müssen.
Uns wird es in diesem Zusammenhang wichtig sein, das Gewissen — es ist gesagt worden — insbesondere bei den Ärzten und dem medizinischen Personal zu schützen. Nur sollten wir sehr darauf achten, daß auch hier das Einzelgewissen geschützt wird und nicht Überzeugungen, die dazu dienen sollen, sollte die Fristenlösung Gesetz werden, ihre praktische Durchführung draußen zu boykottieren.
Ich habe es bei der Lesung des Strafrechtsergänzungsgesetzes vor Ostern als ausgesprochen peinlich und zwiespältig empfunden, als die Vertreterin der Fraktion der CDU/CSU sagte: Schwangerschaftsabbruch müsse stationär durchgeführt werden; es würde natürlich sehr schwer sein, den Frauen ein Bett zu besorgen, weil sich ja so viele Krankenanstalten weigern würden, derartiges durchzuführen. Folge: Man müsse den Frauen sagen, wie, weil das dann ambulant durchgeführt werden müsse, ungesund das sei. Das ist genau die Art, wie nicht argumentiert werden darf; sondern hier muß das Gewissen des einzelnen Arztes, der einzelnen Schwester geschützt werden und nicht das Kollektivgewissen irgendwelcher Institutionen, welcher Art immer sie sein mögen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Nordlohne: Gibt es überhaupt ein Kollektivgewissen?)

Nun hat Herr Professor Maihofer heute morgen den Versuch unternommen, auf der Ebene des materiellen Rechts und des Verfassungsrechts eine Begründung dafür zu geben, daß alle vier Entwürfe, die wir zu behandeln haben, strafrechtlich gesehen in werdendes Leben eingreifen. Jede Indikationsregelung, die nicht alles beim alten belassen will, muß in irgendeiner Weise extensiv sein. Sie muß — wie Herr Professor Maihofer dargelegt hat — über das Minimum dessen, was an sich strafrechtlich bereits relevant wäre, hinausgehen. Eine derartige Indikationsregelung nähert sich damit bereits der Fristenregelung.
Nun will ich einmal auf der Ebene des Verfahrens und der Methode die Frage stellen, was Befürworter der Indikationsregelungen, insbesondere Herr Dr. Müller-Emmert und seine politischen Freunde, veranlassen kann, trotz aller dargelegten praktischen Nachteile auch während der ersten Monate an einer Indikationsregelung festzuhalten, obwohl absehbar ist, daß das — das Günstigste aus Ihrer Sicht unterstellt — vom strafrechtlichen Schutz her ähnlich wie die Fristenregelung zu bewerten ist. Ich meine — ich will das sehr deutlich sagen — diese Frage gar nicht polemisch, sondern es handelt sich um die



Engelhard
Schwierigkeiten, mit denen auch ich selbst bei der Entscheidung dieser Frage sehr zu kämpfen hatte.
Wir sollten einfach einmal der Frage nachspüren: Welcher Grund besteht, die angeblich so verwerfliche Freiheit der Fristenregelung in Gegensatz zu setzen zu einem Indikationsmodell, wo durch Ordnung der Ablauf angeblich gerechtfertigt sein soll? Wie kommen einzelne Kollegen, die sich in der Sache bemühen, um nach dem richtigen Weg zu suchen, dazu, die Welt des Schwangerschaftsabbruchs etwa bei einer Indikation der besonderen Notlage plötzlich in Ordnung zu finden, aber zu meinen, daß alles zusammenbräche, wenn eine Fristenregelung Gesetz würde: Sie wissen doch genauso gut wie wir, daß Maßstäbe fehlen, die dazu dienen könnten, am Einzelfall orientiert die richtige Entscheidung zu treffen.
Ich habe mich mit der Frage etwas befaßt. Fast scheint es mir, als sei es unsere historische Tradition, unsere staatliche, unsere gesellschaftliche und insbesondere — für den, der hier das Unglück hat, ein Jurist zu sein — unsere juristische Tradition, die es uns beinahe unmöglich macht, vom Methodischen her den sachgerechten und den notwendigen Weg zu gehen. Methodisch die Eigenentscheidung der Frau in dieser Frage zu akzeptieren, das können sich viele ganz einfach nicht vorstellen. Warum? Weil nach unserer Tradition wenn auch im Ergebnis noch so weitgehend man immer der Erlaubnis bedarf, der gesetzlich eingeräumten Befugnis, einer amtlichen oder quasiamtlichen Mitwirkung. Man glaubt, dann seien die Dinge in Ordnung.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Nein, Herr Kollege, das steht im Grundgesetz!)

Deswegen kommt wohl auch so häufig das Argument, man dürfe die Frau — bei dem Modell der Fristenregelung sei dies die Gefahr — mit ihrer Entscheidung nicht allein lassen. Man meint hier nicht mangelhafte Beratung, sondern man meint, wie es ausgesprochen ist: daß die Frau letztlich die Entscheidung selber treffen muß. Ich meine, das führt zum Kern der Dinge: man glaubt, hier amtlich etwas erlauben zu müssen. Das führt letztlich dann dazu, daß der Frau in ihrer Entscheidung natürlich ein Ausweichen erlaubt ist. Denn es wird ihr amtlich oder halbamtlich etwas bescheinigt. Sie erhält eine Bescheinigung, daß sie nicht Unrecht tue. Das ermöglicht ihr das Ausweichen. Sie wird nicht voll in die Verantwortung gestellt.
Wir sollten uns alle diese Frage noch einmal überlegen. Wir sollten feststellen, ob es nicht so ist, daß man — in der Sache auf dasselbe herauskommend — ungeachtet all der Nachteile, die eine Indikationsregelung sonst haben mag, aus rein methodischer Tradition nicht bereit ist, einen Schritt zu tun, der dann allerdings bei der Frau sittliche Kräfte bei der Entscheidung freisetzt.

(Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Warum dann nur für drei Monate?)

— Das ist, Herr Kollege, eine Frage, über die ja
nun oft gesprochen worden ist. Ich möchte nicht
das wiederholen, was andere Kollegen bereits gesagt
haben und was insbesondere Herr Professor Maihofer heute morgen auszuführen versucht hat, um auch hierfür eine Begründung zu geben, vom Zeitablauf her.

(Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Warum dann die Gutachterstelle und sonst nichts?)

Ich darf fortfahren und feststellen, daß der Frau bei einer Fristenregelung nicht nur Rechte eingeräumt werden, wie man häufig glauben machen will, sondern daß ihr eine Pflicht obliegt und überbürdet wird, die gleichzeitig eine schwere Last bedeutet: sie hat die Entscheidung zu treffen. Die sittliche Grundlage für diese Entscheidung -- daran müssen wir festhalten — wird durch das Strafrecht weder geschaffen noch erhalten, und sie wird durch eine Änderung des Strafgesetzbuches im Sinne der Fristenregelung auch nicht beseitigt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709538900
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blüm.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0709539000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen und Wochen waren wieder die politischen Landvermesser am Werk und haben das Feld um den § 218 in Rechts und Links eingeteilt. Ich weiß nicht, ob die alten Feldzeichen noch sehr viel Erkenntniswert haben. Für die Diskussion um die Reform des § 218 taugen sie ganz gewiß nichts. Wenn jedoch „links" in Anspruch genommen werden soll für eine besondere soziale Verpflichtung, so ist von meinem Standpunkt aus die Fristenlösung die am weitesten rechts stehende Lösung in diesem Hause.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein sozialer Staat — nicht der Machtstaat, an dem sich vergangene Zeiten in Bewunderung aufgerichtet haben — muß es mit den Schwachen, Hilflosen und Ohnmächtigen halten. Und ohne Macht ist das ungeborene Kind. Reform ohne Rücksicht auf die Rechte von Machtlosen ist sozialer Rückschritt. Ein Staat, der das ungeborene Kind, und sei es auch nur für drei Monate, des Rechtsschutzes entblößt, ist kein Sozialstaat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir leben nicht mehr im Neandertal. Freiheit 1974 ist im Unterschied zu ihren eiszeitlichen Vorformen mehr denn je Freiheit unter sozialen Bedingungen, nämlich Abstimmung, Vermittlung der eigenen Freiheitsrechte mit denen anderer. Wer nur den eigenen Kopf durchsetzen will, gefährdet mehr als nur die Wand, gegen die er anrennt; er gefährdet die soziale Freiheit als Bedingung des humanen Miteinander.
Herr Maihofer, Sie haben heute morgen von der Selbstbestimmung gesprochen. Selbstbestimmung verwirklicht sich nicht allein in individuellen Räumen, sondern auch in sozialen Dimensionen; sonst wäre Mitbestimmung sinnlos. Freiheit heißt also immer, auf das Mitbestimmungsrecht anderer, auf das Mitbestimmungsrecht der Schwachen Rücksicht



Dr. Blüm
nehmen. Wer dem ungeborenen Leben das Recht auf diese Rücksichtnahme bestreitet, gefährdet das Recht aller derjenigen, die sich nicht selber wehren können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist die Parole „Der Bauch gehört mir" die Proklamation einer Neandertal-Philosophie moralischer Eiszeit. Es gibt eben auch einen schicken Materialismus, und eine Emanzipation, die diesem Bahn bricht, kann nicht sozial sein. Emanzipation kann nicht Rücksichtslosigkeit bedeuten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was ist sozial an der Fristenlösung? — Ich glaube, daß die Kampagne für die Fristenlösung auch — nicht nur — mobilisiert wurde von den Wünschen einer Oberschicht, die ihre liebgewonnenen Konsumgewohnheiten nicht opfern oder auch nur einschränken wollte.

(Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

— Ich will das gern begründen. Immerhin hat Frau Helge Pross, eine der leidenschaftlichsten Anhängerinnen der Fristenlösung, als Grund für den Schwangerschaftsabbruch die Anschaffung eines Automobils angegeben. Ich frage mich: Was ist an einer solchen Entscheidung sozial? Vor allem aber: Was ist an einer solchen Politik fortschrittlich, die sonst immer von Konsumterror spricht, aber offenbar liebgewonnenen Konsumgewohnheiten das Vorrecht vor dem ungeborenen Leben gibt?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709539100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Groß?

Rötger Groß (FDP):
Rede ID: ID0709539200
Herr Kollege Blüm, wären Sie, wenn Sie sich hier gegen diese Parole „Der Bauch gehört mir" wenden, bereit, festzustellen, daß hier im Hause niemand ist, der geneigt wäre, dieser Parole zu folgen?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Das können Sie nicht, Herr Blüm; hier gibt es Leute, die in Frankfurt mitdiskutiert haben!)


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0709539300
Herr Groß, ich glaube, daß die parlamentarische Auseinandersetzung die Aufgabe hat, nicht nur die Argumente dieses Hauses aufzugreifen, sondern auch die Argumente, die hinter den Vorschlägen stehen, die in diesem Hause vorgelegt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, muß es nicht uns allen zu denken geben, daß die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche keineswegs in wirtschaftlichen Krisenzeiten am höchsten war, sondern daß offenbar, wie eine Schweizer Untersuchung beweist, mit steigendem Wohlstand auch die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche steigt?

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr wahr!)

Meine Damen und Herren, die Sie die Fristenlösung vertreten: Sie sollten nicht so tun, als ginge es Ihnen nur um die Interessen einer minderbemittelten Schicht, der Unterschicht, und als sei die bei Ihnen am besten aufgehoben. Wenn heute morgen Herr Kollege von Schoeler das Beispiel von der Mutter mit sieben Kindern angeführt hat, die das achte Kind abtreiben wollte, was ihr nicht erlaubt worden sei, so finde ich in diesem Beispiel nicht die Spur einer Begründung für die Fristenlösung, weil man fragen könnte: hat denn das achte Kind einer armen Mutter weniger Lebensrecht als das achte Kind einer reichen Mutter?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ihm — diesem Kinde — die gleiche Lebenschance zu geben wie dem Kind der Reichen, ist die Aufgabe der Gesellschaftspolitik. Mit der Fristenlösung ist das nicht zu schaffen.
Niemand in diesem Hause bestreitet, daß es Not und Leid gibt, und es wäre Zynismus, Eltern, die in Not sind, sich selbst zu überlassen. Aber ich glaube nicht, daß die Not durch die Fristenlösung gemeistert werden kann. Ein Staat, der die Fristenlösung zuläßt, schafft bequeme Auswege. Umgekehrt: Eine Gesellschaft, welche die Fristenlösung ablehnt, nimmt sich selber in soziale Pflicht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier müßte man noch auf das eingehen, was der Kollege Brandt vorgetragen hat. Es ist ja nicht so, daß eine Seite dieses Hauses zur Lösung aller Fragen das Strafrecht und die andere Seite des Hauses nur die Sozialpolitik in Anspruch nehmen wollte. Auch Sie nehmen das Strafrecht in Anspruch — allerdings erst nach einer Frist von drei Monaten —, und auch wir möchten sozialpolitische Maßnahmen und zwar nicht als flankierende, sondern als zentrale Maßnahmen, um das Problem der Not zu lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unsere Gesellschaft trägt noch immer Züge von Kinderfeindlichkeit. Dabei sind zufriedene Kinder eine Bedingung für das Glück einer zukünftigen Gesellschaft.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr gut gesagt! — Zuruf von der SPD: Gewollte Kinder!)

Die Fristenlösung, so fürchte ich, trägt nichts dazu bei, die Zustimmung zum Kind zu unterstützen.
Die Versuchung zur Abtreibung muß vor allem — vor allem! — durch eine Gesellschaftspolitik eingedämmt werden die Not gar nicht entstehen läßt. Das Strafrecht hat lediglich flankierende Funktion. Die Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs dagegen entlastet die Gesellschaft vom Zwang, eine soziale Politik zu betreiben. Meine Fraktion hat deshalb den Gesetzentwurf für ein Erziehungsgeld eingebracht. Frau Funcke, Sie haben heute nachmittag eine Darstellung gegeben, als hätten wir in 20 Jahren CDU-Politik keine Familienpolitik betrieben, als seien Sie die Erfinder der Familienpolitik. Das hört sich merkwürdig an aus dem Munde von Vertretern



Dr. Blüm
einer Regierung, die doch, solange sie im Amt ist, unsere familienpolitischen Initiativen blockiert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei Abgeordneten der SPD. — Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

Aber ich weiß, daß auch das Thema „kinderfreundliche Gesellschaft" nicht mit materiellen Leistungen für den einzelnen zu erledigen ist, sondern daß es auf unsere Einstellungen ankommt, auf unsere produktive Phantasie, die Probleme zu erkennen. Es ist schon merkwürdig, daß in den Städten mehr Platz für parkende Autos als für spielende Kinder ist.
Zu den zentralen Themen gehört meines Erachtens auch die Familienplanung. Verantwortliche Elternschaft kann die Frage nach dem Wunschkind nicht mit Hilfe des' Schwangerschaftsabbruchs lösen, sondern nur mit Hilfe einer sinnvollen Familienplanung, die Schwangerschaft verhütet, wenn diese nicht gewollt ist.
Wer die Fristenlösung ablehnt, dessen soziale Einstellung wird auf die Probe gestellt. Man kann nicht die ledige Mutter, die ihr Kind abtreibt, gerichtlich bestrafen, und die, die es austrägt, durch gesellschaftliche Diskriminierung. Scheinheiligkeit wäre ein schlechtes Mittel gegen die Fristenlösung. Es geht auch nicht, für den Schutz des behinderten ungeborenen Kindes einzutreten, das behinderte geborene Kind aber an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Der Mutter zuzumuten, ein behindertes Kind auszutragen, sich aber dagegen zu wehren, mit behinderten Kindern unter einem Dach — und sei es auch nur das eines Urlaubshotels — zu leben.
Ich bin überzeugt, daß wir die Not in dieser Gesellschaft vermindern können, wenn wir wollen; und wir wollen es alle. Doch das Bild einer Gesellschaft ohne Leid gehört in den Bereich der gefährlichen Utopien, die nur um den Preis einer totalen Manipulation erreichbar wären.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer maßt sich an, über den Wert des Lebens eines Behinderten das Urteil zu sprechen? Ich finde es auch merkwürdig und unverständlich, wenn diejenigen, die ansonsten die Leistungsgesellschaft verdächtigen, den Lebenswert des ungeborenen behinderten Kindes offenbar von der möglichen Leistungsfähigkeit des geborenen Kindes abhängig machen. Lebenswert hat nichts mit leistungsfähig zu tun.

(Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer Leidlosigkeit mit Tüchtigkeit identifiziert und die Fähigkeit zum Glück mit Leistungsfähigkeit, hat offenbar das Idealbild einer technokratischen Robotergesellschaft vor Augen. Sie mag effizient sein, sozial ist sie nicht.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Human auch nicht! — Abg. Dr. Marx: Und nicht menschlich!)

Der Traum von der totalen Machbarkeit der Welt
schickt sich an, auch das Leben in die Hand zu neh-
men. Es ist aber die Frage, ob es in unserem auf-
geklärten Industriezeitalter noch immer so etwas geben muß erschrecken Sie nicht wie Tabu-zonen, die der Verfügbarkeit einer prometheischen Lebensmeisterung entrissen werden. Ich bin sicher, daß das Leben selbst diesen Anspruch auf Unantastbarkeit hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Insofern wird heute und hier über mehr entschieden als nur über Leibesfrucht, obwohl dieses „nur" schon ausreichen würde, um der Fristenlösung Widerstand entgegenzusetzen. Ich glaube, daß wir hier und heute einen Damm gegen mögliche weitergehende Manipulationen des Lebens setzen müssen. Schon in der Fristenlösung liegt ein Ansatz zur Willkür. Warum denn drei Monate? Warum nicht vier Monate? Beantworten Sie die Frage! Warum nicht sechs Monate?

(Abg. Frau Dr. Timm: Man kann noch lernen! Weitere Zurufe von der SPD.)

Auch hier ist schon ein Ansatz zur Willkür.
Eine soziale Gesellschaft steht nicht nur unter der Verpflichtung der Solidarität mit den Mitmenschen, die jetzt leben, sondern auch mit den Mitmenschen, die unsere Nachkommen sind. Sozial schließt die Verantwortung für die Zukunft ein. Ich glaube, daß vom Schutz des ungeborenen Lebens nicht nur die Gegenwart betroffen ist. Wir entscheiden auch über die Konsequenzen für die Zukunft. Lassen Sie mich nur als ein Beispiel am Rande — ich will es nur als solches anführen — auf die Bedenken des Zukunftsforschers Hermann Kahn hinweisen, der darauf aufmerksam gemacht hat, daß die Fristenlösung, verbunden mit der Möglichkeit der Früherkennung des Geschlechts des ungeborenen Kindes, wahrscheinlich zu einem Männerüberschuß in unserer Gesellschaft führen wird, da das Wunschkind vieler Familien ein Junge ist. Ich erwähne das Beispiel nur, um den Verdacht zu äußern, daß nicht alle Konsequenzen der Fristenlösung bedacht sind. Politische Kurzsichtigkeit aber kann nicht der Ausweis sozialer Gesinnung sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es geht hier nicht darum, daß eine spezielle kirchliche Moral für alle verbindlich sein soll. Diesen Anspruch könnte in einer pluralistischen Gesellschaft niemand erheben. Aber auch in einer weltanschaulich so bunten Gesellschaft wie der unsrigen muß es noch etwas wie einen Grundbestand moralischer Überzeugungen geben, und dazu zählt die Unantastbarkeit des Lebens.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich deshalb, meine Damen und Herren, mit einem Zitat des von uns allen hoch angesehenen sozialdemokratischen Kollegen Adolf Arndt schließen. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:
Keimendes Leben ist Leben. Jede Unterbrechung der Schwangerschaft ist Tötung schuldlosen Lebens. Der Rechtsstaat hat die Aufgabe, Leben zu schützen. In der Regel wird er sein letztes Mittel, die Strafe androhen müssen, um sich als Staat des Rechtes zu bewähren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)





Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709539400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0709539500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Platz der Sozialdemokratie war historisch immer an der Seite des Schwächeren. Der Schwächere in der uns hier bewegenden Frage wird in der Vielzahl der Fälle das ungeborene Kind sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die SPD glaubte viele Jahrzehnte, durch Abschaffung des § 218 der Frau in der auch vielfach von allen gesehenen Schwäche helfen zu müssen und helfen zu können. Heute haben wir einfache und sichere empfängnisverhütende Mittel, die damals nicht bekannt waren. Die Situation der Frau — das wird niemand bestreiten — war früher oft ausweglos. Durch die Entwicklung leicht zu handhabender kontrazeptiver Mittel aber haben sich die Gewichte in dieser Frage entscheidend verschoben.
Als katholischer Sozialdemokrat bekenne ich mich daher zu einem Modell, das meines Erachtens das Lebensrecht des Kindes umfassender gewährleistet als das von der Mehrheit meiner Fraktion und den Kollegen in der Koalition vorgeschlagene Modell der Fristenlösung. Der von mir unterstützte Entwurf des Kollegen Müller-Emmert enthält sich zugleich jedes unangemessenen Rigorismus, indem er anerkennt, daß auch heute noch die Situation der Schwangeren so verzweifelt sein kann, daß die Austragung des Kindes von ihr staatlicherseits nicht verlangt werden kann.
In der Öffentlichkeit und auch in diesem Hohen Hause wird die Fristenlösung oft als eine der heutigen Zeit und dem mündigen Bürger angemessene Form der Lösung der Problematik dargestellt. Ich vermag nicht einzusehen, daß die wenn auch legitimierte Preisgabe des strafrechtlichen Schutzes ungeborenen Lebens der aufgeklärten Vernunft mehr entsprechen soll als ,die Beibehaltung der Strafbarkeit unter Berücksichtigung bestimmter Notlagen der Frau.
Wir leben in einer der Aufklärung verwandten Zeit. Das Aufbegehren gegen Zwänge, falsche Autoritäten und Unmündigkeit, aber auch die Forderung nach Selbstverwirklichung und Emanzipation finden im Prinzip unser aller Zustimmung. Der Rationalismus der Aufklärung von damals ist aber nie so weit gegangen, das Lebensrecht der Nichtgeborenen in Frage zu stellen. So heißt es im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794, dem Ergebnis der Aufklärung: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängnis an." — Folgerichtig war die Abtreibung unter Kriminalstrafe gestellt. Eine gleichartige Regelung galt nach dem Strafgesetzbuch Josephs II., des Sohnes Maria Theresias, für die österreichischen Staaten, obwohl — das wissen ja alle hier — Joseph II. ein glühender Anhänger der Aufklärung und alles andere als ein kirchenhöriger Mann war. Die Edikte über die Auflösung der Klöster sprechen eine beredte Sprache; sie weisen aus, wie es damals wirklich war.
Wer nun stets das verfassungskräftige Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit vertritt, darf nicht verschweigen, daß dieses Grundrecht —das ist hier ja heute auch vielfach gesagt worden — durch die Rechte anderer begrenzt wird. Auch der Nasziturus hat ein Recht auf Selbstverwirklichung. In der Aufklärung findet also die Fristenlösung auch keine Stütze. Sie findet sie — das ist in unserer wissenschaftsbezogenen, oft auch wissenschaftsgläubigen Zeit gewiß schwerwiegender — vor allem auch nicht in der medizinischen Wissenschaft. Kein bedeutsames Vorhaben würde heute in diesen Hause gegen das überwiegende Votum der betreffenden Fachwissenschaft verwirklicht. In der Frage des Schwangerschaftsabbruches muß daher nach meiner Meinung auch auf die Stimme der großen Mehrheit der deutschen Gynäkologen gehört werden.

(Sehr richtig! und Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber auch in der Rechtswissenschaft sind Bedenken gegen eine auch nur partielle Legalisierung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruches geltend gemacht worden. Meines Erachtens ist die Auffassung vom Wert des ungeborenen Lebens und seiner Schutzbedürftigkeit Teil jenes ethischen Minimalkonsenses, auf den auch ein pluralistischer Staat nicht verzichten kann und soll.

(Sehr richtig! und Beifall bei der CDU/CSU.)

Daß diese Grundüberzeugung nicht nur, aber auch durch die jahrhundertelang. geltende Strafbarkeit geprägt worden ist, steht außer Frage. Auch die Befürworter der Fristenlösung wollen natürlich das Bewußtsein der Bevölkerung nicht in eine andere Richtung drängen.

(Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Na, na, na!)

Die bemerkenswert relativierten Formulierungen in der Antragsbegründung, wonach aus der Änderung einer Strafnorm — ich zitiere wörtlich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — „nicht stets notwendig eine Änderung der Wertvorstellungen" resultiere, versetzen mich allerdings in Sorge. An anderer Stelle heißt es — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten weiter —:
Gerade eine so grundlegende Moralvorstellung wie die vom Wert des Lebens löst sich auch dann nicht einfach kurzfristig auf, wenn die Strafvorschrift aufgehoben würde.
Meine Damen und Herren! Auch wenn mit einer solchen Entwicklung, die Sie nicht wollen, nur langfristig zu rechnen wäre, so müßten wir doch alles unternehmen, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Wer die Geltung des Satzes „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde" auch für das ungeborene Kind anerkennt, für den geht selbst das Eintreten für eine Indikationslösung nicht ohne ernste Gewissensprüfung und -nöte ab.

(Sehr richtig! und Beifall bei der CDU/CSU.)

Andererseits sind aber auch die Realitäten des politischen Lebens und der politischen Entscheidung zu berücksichtigen. Eine Regelung jedoch, die die Entscheidung im ersten Drittel der Schwangerschaft auch dann der Mutter überläßt, wenn keine



Dr. Schmitt-Vockenhausen
anerkennenswerte Indikation vorliegt, ist für mich aus meinen Grundwertüberzeugungen nicht akzeptabel.
Primäres Ziel aller vier vorliegenden Entwürfe, auch der Fristenlösung, ist der Schutz des ungeborenen Lebens und der Gesundheit der Frau. Die Freigabe des Schwangerschaftsabbruches für die ersten drei Monate würde aber, für mich jedenfalls, mit großer Sicherheit zu einem erheblichen Anstieg der Abtreibungsrate führen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Diese Prognose wird durch im Ausland gemachte Erfahrungen und auch durch Aussagen vieler Ärzte gestützt. Mit der Zahl der Abtreibungen steigt zwangsläufig auch die Zahl der gesundheitlichen Schädigungen der betroffenen Frauen. Das Ziel der Fristenlösung wird also meines Erachtens nicht nur nicht erreicht; vielmehr wird sich der durch sie herbeigeführte Zustand von jenem Ideal noch weiter entfernen, als dies heute schon der Fall ist.

(Abg. Mertes [Gerolstein] : Völlig richtig!)

Es kann meines Erachtens auch nicht ernsthaft bestritten werden, daß bei Verwirklichung unseres Entwurfs — des Müller-Emmert-Entwurfs — im Vergleich zur Fristenlösung mit weniger Schwangerschaftsabbrüchen zu rechnen wäre. Vor allem aber würde es zu machen Schwangerschaften gar nicht erst kommen, da durch die Kriminalisierung des unzureichend motivierten Abortes die Empfängnisverhütung und die Familienplanug wesentlich ernster genommen werden als ohne sie.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Der bisherige § 218 ist seiner Aufgabe -- und da stimme ich mit allen Rednern überein --, ungeborenes Leben zu schützen, nicht gerecht geworden. Ihn aber deshalb partiell aufzuheben, ist für mich nicht die richtige Schlußfolgerung.
Bei der Anhörung vor dem Strafrechtssonderausschuß wies der damalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie, Professor Kepp, darauf hin, daß die Liberalisierung der Abtreibung zur Aushöhlung des Gedankens der Kontrazeption, in der allein die Zukunft der Geburtenbeschränkung zu sehen sei, führe. In Englang z. B. sei die Verwendung antikonzeptioneller Mittel mit der Erleichterung der Abtreibung sehr stark zurückgegangen. Ich muß mich auf das beziehen, was Professor Kepp gesagt hat; wer ihn widerlegen will, kann das hier tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Ich muß bei dem bleiben, was dieser anerkannte Wissenschaftler vor diesem Hohen Hause gesagt hat.
Meine Damen und Herren, Ausschabung und Absaugung halte ich nicht für Mittel der Familienplanung und der geschlechtlichen Selbstverwirklichung, denn das wäre Selbstverwirklichung auf Kosten anderen Lebens;

(Beifall bei der CDU/CSU)

sie sind heute aber möglich mit den Mitteln der Pharmazie. Mit weiteren Fortschritten auf dem Gebiet der Empfängnisverhütung kann gerechnet werden, so daß es schon in Kürze noch wesentlich leichter sein wird als heute, eine unerwünschte Schwangerschaft zu verhindern. Hier liegt die eigentliche Freiheit der Entscheidung. Ich meine, daß man von einem mündigen Bürger auch verlangen kann, daß er von dieser Freiheit in diesem Sinne rechten Gebrauch macht. Wenn vorhin der Herr Kollege Groß darauf hingewiesen hat, daß möglicherweise auch mancher, der heute Kritik an der Fristenlösung übt, mit Recht sich fragen lassen muß, ob er hier in den vergangenen Jahren nicht mutiger für antikonzeptionelle Mittel hätte eintreten sollen, dann ist das sicher ein Vorwurf, den ich akzeptiere und über den man ernsthaft auch hier in diesem Hause nachdenken muß.

(Abg. Nordlohne: In Ordnung!)

Eine vor allem von jungen Leuten immer wieder vorgebrachte Begründung für die Aufhebung des Strafrechtsschutzes oder zumindest seine Beschränkung auf die fortgeschrittene Schwangerschaft ist der Hinweis, daß wohlhabende Frauen leichter eine Abtreibung vornehmen lassen können als arme. Diese Festellung ist leider ebenso richtig wie betrüblich. Nur frage ich mich, welche Schlußfolgerungen hieraus zu ziehen sind.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Solange es soziale Unterschiede auf dieser Welt gibt, so lange wird der vermögende Straftäter gegenüber dem weniger begüterten benachteiligt sein, und dagegen müssen wir vorgehen. Das sehe ich als die Aufgabe der Politik an.
Die Therapie des bestehenden Mißstandes kann nicht darin liegen, den sozial Schwachen die Abtreibung zu erleichtern, sondern sie den Privilegierten zu erschweren, besser aber noch für alle Frauen eine Situation zu schaffen, die den Wunsch nach Schwangerschaftsabbruch gar nicht erst aufkommen läßt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich verkenne keineswegs, daß sich die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht senken läßt ohne eine Fülle von ergänzenden Maßnahmen auf gesundheits- und sozialpolitischem Gebiet sowie durch eine umfassende Reform des Ehe- und Familienrechtes. Für besonders wichtig halte ich hierbei eine durchgreifende Änderung des Adoptionsrechtes, um unerwünschte Kinder, vor allem jene, die in Heimen aufwachsen, vor psychischen Dauerschäden durch erleichterte Zulassung ihrer Adoption zu bewahren. Ich möchte Sie bitten, die Bemühungen der Koalition nicht nur abzuwerten, sondern auch die positiven Entscheidungen, die die gesamte Koalition trägt, anzuerkennen und diese hier nachdrücklich zu unterstützen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und umgekehrt!)

Die Vorkehrungen des Sozialstaates zur Erhaltung des Lebens einzusetzen, wie Adolf Arndt es formuliert hat — er ist eben von dem Kollegen Dr. Blüm zitiert worden , ist sicherlich wichtiger und auch



Dr. Schmitt-Vockenhausen
effizienter als jede Strafdrohung. Trotzdem muß nach meiner festen Überzeugung die Unantastbarkeit menschlichen Lebens von seinem Anbeginn an und sein absoluter Vorrang auch durch eine strafrechtliche Aussage abgesichert werden. So schwer es fällt, überhaupt Eingriffe in die Unversehrtheit des werdenden Lebens zuzulassen, so müssen diese doch nach Normen erfolgen, die sie nicht als eine allgemeine Freigabe erscheinen lassen. In diesem Sinne unterstütze ich mit Nachdruck das, was der Kollege Müller-Emmert und andere Kollegen meiner Fraktion hier vorgetragen haben und im Antrag 7/1982 niedergelegt haben.
Es liegt mir sehr am Herzen, meine Damen und Herren, auf den bemerkenswerten Beitrag des Kollegen Professor Maihofer von heute morgen einzugehen. Vielen der Prämissen des Herrn Kollegen Maihofer stimme ich zu. Auch ich wehre mich gegen jede Verabsolutierung des einen oder anderen Rechtsgutes, die wir hier gegeneinander abzuwägen haben. Auch ich anerkenne durchaus, daß es ein Gebot der Menschenwürde der Frau sein kann, ihr in bestimmten Situationen selbst zu überlassen, ob sie ein Kind zur Welt bringen will oder nicht. Der Herr Kollege Maihofer spricht davon, daß die Menschenwürde der Frau nur in freier Selbstbestimmung verwirklicht werden könne, wobei für ihn die freie Selbstbestimmung mit verantwortlicher Selbstbestimmung gleichbedeutend ist. Ich frage mich aber, wie man in der Realitätsbezogenheit, die der Herr Kollege Maihofer dafür in Anspruch genommen hat, darüber hinwegsehen kann, daß von diesem Selbstbestimmungsrecht auch unverantwortlich Gebrauch gemacht werden kann und sicherlich auch gemacht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Hintansetzung des ungeborenen Lebens zum Beispiel gegenüber bestimmten Vorstellungen vom Leben halte ich nicht nur für eine moralisch falsche Einstellung — dem haben die Frau Kollegin Funcke und der Herr Kollege Maihofer hier eindeutig zugestimmt, wenn ich das richtig verstanden habe —; aber ich meine, es ist auch eine mit den Mitteln der Strafrechtsordnung möglichst zu verhindernde Haltung.
Der Herr Kollege Maihofer hat einigen Rednern des heutigen Vormittags vorgeworfen, daß in ihren Ausführungen vom Selbstbestimmungsrecht der Frau mit keinem Wort die Rede gewesen sei. Das mag in der Tat eine Schwäche einiger Beiträge aus Ihrem Bereich, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, gewesen sein. Ich meinerseits komme aber nicht umhin, dem Herrn Kollegen Maihofer vorzuhalten, daß er mit keinem Wort auf die Möglichkeit eingegangen ist, das Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht erst auszuüben, wenn es zur Schwangerschaft gekommen ist, sondern eine biologische Phase vor dieser Entscheidung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier müßten die Mittel der Sozialpolitik und alle anderen Möglichkeiten eingesetzt werden, um den so unendlich schwer zu lösenden Konflikt zwischen dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes und dem
Selbstbestimmungsrecht der Frau nach Möglichkeit zu vermeiden.
Hier haben wir es noch mit einem weitgehend unbearbeiteten Feld zu tun. Ich stimme der Frau Kollegin Funcke auch darin zu: Da ist niemand in diesem Saal, der nicht sagen kann, daß wir alle in der Vergangenheit schon längst hätten dieses Problem stärker in die Überlegungen einbeziehen müssen. Wir haben ja gesehen, bei dem Nichtehelichenrecht mußte uns das Bundesverfassungsgericht mahnen. Hier gibt es eine Fülle von Aufgaben, bei denen wir alle uns fragen müssen, ob wir nicht mehr hätten tun können. Denken Sie beispielsweise nur an die Menschen auf dem Lande, was da für Aufklärung notwendig ist — wer geht da gern in eine Apotheke? —, und vieles andere, was getan werden muß, um diese Dinge in Ordnung zu bringen.
Als Anhänger der Lösung des Indikationsmodells, wie es in der vorgetragenen Drucksache vorliegt, trete ich für das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht für Mann und Frau bei der Empfängnisverhütung ein. Ich bin auch bereit, der schwangeren Frau in schwerwiegenden Fällen eine legale Abtreibung zu ermöglichen. Nur eine solche Regelung wird auch nach meiner Meinung einem ganz wesentlichen Grundsatz unserer Rechtsordnung, nämlich dem der Verhältnismäßigkeit, gerecht, der doch geradezu mit einem Verfassungsrang von uns verlangt, jeden Eingriff in geschützte Rechtspositionen so gering wie eben möglich zu halten.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Hat die Rechtsposition aber gar einen so hohen Rang, wie er dem ungeborenen Kind zukommt, so ist mit besonderem Nachdruck zu fordern, daß erst alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die das Lebensrecht des Ungeborenen nicht berühren.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß ich trotz der späten Stunde auch aus der Position der deutschen Sozialdemokratie, die immer wieder um das Recht des Schwächeren gekämpft hat, politisch deutlich gemacht habe, daß man diese Dinge auch aus einer anderen Sicht betrachten und durchaus hier so begründen kann, wie ich das versucht habe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Rufer in der Wüste! — Zuruf von der CDU/CSU: Wo bleiben die Konsequenzen?)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709539600
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort.
Die Geschäftslage sieht zur Zeit so aus, daß noch vier Wortmeldungen vorliegen. Ich sage das nicht, um weitere Kollegen anzureizen, sich noch zu melden, sondern damit man sich ungefähr darauf einstellen kann, daß wohl in etwa einer Stunde die Aussprache nach dem bisherigen Stand der Wortmeldungen abgeschlossen werden könnte.
Das Wort hat nunmehr Frau Abgeordnete Verhülsdonk.




Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID0709539700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Brandt hat heute den Satz gesagt: „Wir stehen vor einer tragischen Entscheidung." Ich teile diese Meinung. Aber ich muß hier doch an folgendes erinnern: Die Verantwortlichen der SPD haben es von vornherein darauf angelegt, daß am Ende einer fast einjährigen Beratung im Strafrechtssonderausschuß kein Kompromiß zwischen den kontroversen Standpunkten zustande kam. Dadurch steht der Deutsche Bundestag heute tatsächlich vor einer bedrückenden Situation.
Über 70 Prozent der Bevölkerung erklären nach neuesten Repräsentativumfragen, daß sie großes Interesse an dieser Gesetzgebung haben. Aber 79 Prozent aller wahlberechtigten Bundesbürger halten die Frage zum jetzigen Zeitpunkt für nicht entscheidungsreif. Keiner der vier im Parlament vorliegenden Entwürfe hat eine eindeutige Mehrheit der Abgeordneten auf sich vereinigen können. Einer der vier Gesetzentwürfe, der die weitestgehende Reform vorsieht, die Fristenlösung, hat bemerkenswerterweise gerade bei den Frauen im Alter von über 16 Jahren keine ausreichende Zustimmung. 53 Prozent der Frauen, denen doch die Wortführer dieser Regelung angeblich mit diesem Gesetz helfen wollen, sind gegen eine solche einseitige Konfliktlösung. Nur 35 Prozent sprachen sich dafür aus.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Was soll das denn?)

Auch die Männer sind mehrheitlich dagegen, sicherlich nicht aus Emanzipationsneid.
Eines ist sicher: Unzähligen Menschen hat sich im Laufe der Diskussion der Blick dafür geöffnet, daß zahlreichen sozialen Problemen schwangerer Frauen, kinderreicher Mütter und ihrer Familien mit anderen Mitteln als denen des Strafrechts abgeholfen werden muß. Sehr viele sind bereit, nicht nur auf den Staat zu warten. Bei den Kirchen, kirchlichen Verbänden, bei Gruppen und vielen einzelnen unserer Gesellschaft ist die Bereitschaft groß, Frauen in Not zu helfen.
Wenn man von der SPD hört: „Der § 218 ist in Blut und Tränen praktiziert worden, er hat Frauen zu seelischen Krüppeln gemacht, er hat die Kluft zwischen arm und reich vertieft, er hat skrupellose Ärzte reich gemacht, er hat unzählige Frauen frühzeitig ins Grab gebracht, er hat das Strafrecht in diesem Bereich zur Knute nur gegen die Armen gemacht", dann muß man sich fragen, ob Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, nicht heute mit Argumenten, die in der Weimarer Zeit und früher einmal zutreffen mochten, eine Gesetzgebung begründen, die im Jahre 1974 in einem sozialen Rechtsstaat, in einer Wohlstandsgesellschaft und bei sicheren Verhütungsmitteln nur noch als ideologische Verblendung oder als Mittel zur Veränderung der Gesellschaft zu begreifen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Über folgendes besteht kein Zweifel: Der Informationsstand der Bevölkerung für und gegen die Fristenlösung ist in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Die zunehmend qualifizierteren Briefe
und Resolutionen, die uns Abgeordnete in großer Zahl erreichten, beweisen es. Die Bundesbürger erwarten mit Recht vom Deutschen Bundestag, daß er in einer Frage, die so viele Menschen ernstlich bewegt, die ihr Verhältnis zu diesem Staat, in dem sie leben, die ihr Demokratieverständnis berührt, fähig ist, eine gesetzliche Regelung zu treffen, die von breiten Schichten toleriert werden könnte.
Meine Damen und Herren von der Koalition, die öffentlichen Exzesse der letzten Tage, die an Hysterie grenzenden Kampagnen, die von radikalen Gruppen, aber auch von einer bestimmten Meinungspresse

(Zuruf von der SPD)

und sogar von Eiferern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen geschürt werden, müßten Ihnen eine ernsthafte Warnung sein, mit einem Fristenlösungsgesetz den ersten entscheidenden Schritt in eine Entwicklung zu gehen, die 'dem Menschen unter Berufung auf einen mißverstandenen verabsolutierten Freiheitsbegriff Gewalt über den Menschen einräumt, d. h. der Mutter die alleinige Entscheidung über Leben und Tod des ungeborenen Kindes überläßt.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0709539800
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID0709539900
Bitte schön.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID0709540000
Frau Verhülsdonk, meinen Sie mit der „an Hysterie grenzenden Kampagne der letzten Wochen" das von der katholischen Kirche in diesem Land inszenierte Trommelfeuer auf die so sehr beschworene Gewissensfreiheit der Abgeordneten dieses Hauses?

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID0709540100
Herr Kollege Kleinert, ich kann beim besten Willen nicht finden, daß sich irgendein Repräsentant der Kirchen hysterisch geäußert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. Oho-Rufe bei der SPD.)

Ich kann allerdings sagen, daß diejenigen, die Kirchenwände 'beschmieren und in Gottesdiensten Zwischenrufe machen, durchaus der Hysterie zu bezichtigen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist doch unbestreitbar, daß ungeborene Kinder der biologischen Gattung Mensch angehören. Der Streit darüber, ob und wann menschliches Leben in personales Leben übergeht, ist müßig. Die Embryologie kann die Frage nicht beantworten; niemand kann sie beantworten. Aber wenn erst einmal mehrheitlich von einem Parlament darüber entschieden worden ist, wann der Mensch Menschenrechte in Anspruch nehmen darf — und das Recht auf Leben ist doch die Grundlage aller Menschenrechte —, dann geraten die Fundamente unseres Rechtsstaats ins Wanken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Verhülsdonk
In der Nr. 3/1974 der Zeitschrift für Rechtspolitik schreibt Prof. Dr. Robert Spaemann, München:
Die Fristenlösung würde erstmals seit 1949 in den Augen vieler Bürger unseres Landes die Legitimität des Staates in ihren Grundlagen antasten. Die Legitimität des neuzeitlichen Staates gründet in erster Linie auf seiner Schutzfunktion für das Leben. Dieser Schutz resultiert nicht aus einem Mehrheitsbeschluß, sondern ist die Voraussetzung dafür, daß der Minderheit die Unterwerfung unter den Mehrheitsbeschluß zugemutet wird. Wo Minderheiten rechtlos gemacht werden, kann auch die Mehrheit nicht legitimieren. Mit der Freigabe der Fristenlösung würde erstmals seit 1949 der Fundamentalkonsens, auf dem unsere Republik ruht, angetastet.
Bundeskanzler und Bundesregierung müssen sich vorwerfen lassen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist der Kanzler?)

daß sie keinen Versuch gemacht haben, einen dieser pluralen Gesellschaft zumutbaren Kompromiß zu finden, in dem sich der Respekt der Regierungsmehrheit vor dem Rechtsverständnis und dem ethischen Bewußtsein der Bevölkerungsmehrheit widerspiegelt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Ich möchte hier noch einmal als Frau gegen die Fristenlösung Stellung nehmen. Mir ist wegen meines Standpunktes Zynismus und Frauenfeindlichkeit von Kollegen dieses Hauses, zuletzt in der Debatte am 21. März über die flankierenden Maßnahmen zum § 218, vorgeworfen worden.

(Zuruf von der SPD: Warum wohl?)

Journalisten erklärten es für absolut unverständlich, daß eine Parlamentarierin sich gegen die Emanzipation der Frau und für deren Fremdbestimmung durch veraltete und unmenschliche Normen aussprechen könne. Aber die Reform des § 218 ist eben nicht ein bloßes Emanzipationsproblem der Frau. Abtreibung ohne rechtfertigenden Grund bedeutet doch, daß die Frau, die sich emanzipatorisch auf ihr Selbstbestimmungsrecht und den Anspruch auf wunschgemäße Lebensgestaltung beruft, Fremdbestimmung an dem ungeborenen Kind vollzieht, indem sie über dieses wie über ein Eigentum verfügt und ihm kein Recht auf Entfaltung einräumt.
Es wird eingewandt, der Fall der leichtfertigen, egoistischen Entscheidung komme nicht vor, man könne sich auf die Moral und Gewissenhaftigkeit der Frauen verlassen. Ich will weiß Gott nicht der ganz großen Mehrzahl der deutschen Frauen Moral und Gewissenhaftigkeit absprechen; aber was das Strafrecht an praktischen Problemen zu regeln hat, kann immer nur deren rechtliche und nicht deren ethische oder religiöse Seite betreffen. Der § 218 hat als Teil des Strafrechts ein bestimmtes Recht anderer, nämlich das Lebensrecht des Ungeborenen, zu schützen und darf diese Aufgabe nicht allein der Moral der Mutter überlassen.
Aber sehen wir uns die Praxis an, die durch die Fristenlösung eintreten würde! Mit dem weitgehenden Rückzug des Staates aus der Verantwortung für das werdende Leben wird der Schwangeren eine Entscheidung zugemutet, der sich viele Frauen einfach nicht gewachsen fühlen oder die sie gar nicht verantworten wollen. Sie müssen aber gegenüber den divergierenden Meinungen von Ärzten oder Beratern, des Kindesvaters, der Eltern, ihrer persönlichen Umwelt eine selbständige Entscheidung treffen. Sie müssen es, weil man sie zu „mündigen Staatsbürgerinnen" erklärt. Ob sie sich gegenüber einer solchen Entscheidung für hinreichend mündig halten, ob sie es überhaupt sein wollen, danach fragt sie niemand. Die in Entscheidungsnot befindliche schwangere Frau wird sich dem stärkeren Willen beugen, wer auch immer ihn zum Einsatz bringt. Frauen, die keiner durchschlagenden Fremdbestimmung aus ihrer Umwelt unterliegen, mögen sich vielleicht daran orientieren, daß ja die Krankenkasse den Abbruch bezahlt. Warum also so viele Gedanken über einen, wie sie es gerade auch deshalb glauben müssen, harmlosen Eingriff, der angeblich in aller Welt zum Lebensablauf ungezählter Frauen gehört? Vielleicht kann man beim nächstenmal das Kind austragen oder auch nicht.
Den emanzipierten Verfechterinnen der Fristenlösung, zumeist in qualifizierten Berufen tätig und sozial gesichert, kann man wohl zutrauen, daß sie sich einem Druck von außen entziehen. Die Mehrzahl der Frauen wird in einer so kritischen Phase physischer und psychischer Belastung, wie sie in den ersten Schwangerschaftsmonaten nun einmal häufig gegeben ist, mit einer Entscheidung überfordert, die oft unter dem Vorzeichen momentaner Panik vollzogen werden soll. Schon wenige Wochen später würde sich ihre Einstellung zu dem wachsenden Leben vielleicht geändert haben. Dann bleiben ihr Reue und Gewissensbisse.
Nun wird eingewandt, das alles sei deshalb ja nicht zu befürchten, weil gerade die Fristenlösung der Frau die Möglichkeit eröffne, sich ohne den Druck einer Strafandrohung beraten und eventuell von ihrem Entschluß zur Abtreibung abbringen zu lassen. Schwangerenberatung ist auch schon bisher geleistet worden. Sie wurde trotz der Strenge des Gesetzes mit großem Erfolg praktiziert und vielfach in Anspruch genommen. Ausgezeichnetes Material darüber, was Beratung, wenn sie richtig angelegt ist, leisten kann, kommt von Frau Dr. Mall-Haefele von der Baseler Universitätsfrauenklinik, wo man auf zwanzigjährige Erfahrung zurückblicken kann. Darüber ist heute ja schon einiges gesagt worden.
Bei einem Hearing im November über Beratung wurde sehr deutlich, daß sich eine Beratung bei Schwangerschaftskonflikten auf viel mehr als auf das Problem des ungewollten Kindes beziehen muß, daß Abtreibung die Probleme der Frauen und ihres Partners oft nur scheinbar löst, daß gerade auch der Mann einbezogen und für seine Verantwortung der Mutter und dem Kind gegenüber geöffnet werden müsse, daß eine Vielzahl der Frauen das Kind austragen wolle, wenn ihnen die nötigen Hilfen vermittelt würden. Das alles haben uns die Berater ge-



Verhülsdonk
sagt. Aber das Angebot solch qualifizierter Beratungsstellen reicht heute trotz der Intensivierung der Beratungsdienste durch Kirchen und freie Träger bei weitem nicht aus. Es ist auch nicht in kürzester Zeit zu erstellen, schon deshalb nicht, weil das Personal dafür nicht sofort zu haben wäre.
Da aber der Beratung gerade bei der Fristenlösung eine solche Bedeutung zugemessen wird, muß man folgendes Dilemma kommen sehen. Ein großer Andrang schwangerer Frauen kommt auf Ärzte und Beratungsstellen zu. Diese können bestenfalls eine medizinische Beratung im Hinblick auf den beabsichtigten Schwangerschaftsabbruch leisten, d. h. es bleibt zumeist eine Pro-forma-Beratung. Ärzte mit übervollen Sprechzimmern und Berater mit langen Wartelisten werden sich um die gesamte Lebensproblematik der Frau beim besten Willen nur oberflächlich kümmern können. Umfassende Hilfe in sozialen Notlagen können die beratenden Ärzte schon gar nicht vermitteln, weil sie dazu fachlich nicht in der Lage sind.
Was bleibt dann von dieser von den Verfechtern der Fristenlösung als so überaus wichtig dargestellten Bremse? Ein Alibi, das im Gesetzbuch steht.
Wahrscheinlich werden Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, jetzt bestreiten, daß es solchen Andrang geben wird. Alle Erfahrungen der Länder, die liberalisiert haben, beweisen das aber eindeutig. Überall haben sich sehr schnell das ethische Bewußtsein sowie die Verhütungsmoral geändert, ist eine Abtreibungsmentalität entstanden. Bei Altersgruppen, die früher an den illegalen Abtreibungen nur in geringem Umfang beteiligt waren, wie z. B. junge Mädchen unter 16 Jahren — in England ist ihre Zahl von 1968 bis 1971 von 553 auf 2 531 gestiegen

(Abg. Dr. Mertes sind sogar mehrfach im Jahr Abtreibungen erforderlich. Frauen mit mehreren Kindern sind dagegen in der Minderzahl. Das soziale Argument, daß Abtreibung nicht ein Privileg wohlhabender Schichten sein dürfe, setzt stillschweigend voraus, daß Abtreibungen auch ohne ernsthafte Gründe grundsätzlich nicht zu mißbilligen sind. Wem das Lebensrecht des Kindes gleichgültig ist, wer sich um die Motive der abtreibungswilligen Frauen nicht kümmern will, wer gar das Recht auf Abtreibung als ein Statussymbol betrachtet wie manche Emanzipationsfanatikerinnen, der wird sich natürlich davon beeindrucken lassen, daß sich Wohlhabende das Privileg, zu töten, auch ohne Rechtfertigungsgrund verschaffen. Wer aber davon ausgeht, daß Tötung ungeborenen Lebens aus nichtigen Gründen Unrecht ist — und das muß der Gesetzgeber auf Grund des Verfassungsauftrags des Art. 2 des Grundgesetzes —, kann in der Verhinderung solchen Unrechts keine Diskriminierung sehen. Nachdem Abtreibungen auf Krankenschein in Zukunft von der Solidargemeinschaft der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden sollen und zwar in allen Fällen, die das Strafrecht legalisiert —, müßte eigentlich selbstverständlich sein, daß nur ein Indikationsgesetz die soziale Problematik lösen und verfassungsgerechte Ansprüche auf finanzielle Leistungen der Allgemeinheit bei Schwangerschaftsabbrüchen begründen kann. Ich weiß, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie bestreiten das. Aber gerade die flankierende Gesetzgebung, die Sie beschlossen haben, macht die verfassungsrechtliche Position der Fristenlösung so schwach. Das Grundgesetz gestattet es dem Gesetzgeber nicht, die Tötung menschlichen Lebens ohne rechtfertigenden Grund, d. h. ohne tragfähige Indikation, durch Bereitstellung von finanziellenn Hilfen durch die Steuerzahler und die Pflichtversicherten zu erleichtern. Die Fristenlösung geht davon aus, daß sie Abbrüche nicht erlaubt, sondern nur auf Frist von Strafe absieht. Im Ergänzungsgesetz werden aber erlaubte Abbrüche in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen einbezogen. Folglich kann nur bei einem Indikationsgesetz eine Kostenübernahme erfolgen. Die Fristenlösung zwingt geradezu dazu, den Frauen die Kosten anzulasten. Die Fristenlösung wird die Menschen mit Sicherheit nicht sozialer machen. Sie wird aber Zwänge und Gewissenskonflikte in Massen zur Folge haben. Gerade hier, wo Konfliktlösung als Hauptmotiv dieses Gesetzentwurfs ins Feld geführt wird, entstehen neue Konflikte in Fülle: in den ehelichen und partnerschaftlichen Beziehungen, wenn die Eltern I des Kindes unterschiedlicher Meinung sind, ob das Kind ausgetragen werden soll oder nicht; bei Ärzten und Pflegepersonal, die unter öffentlichen Meinungsterror geraten und ihre Gewissensentscheidung gegen Abtreibung mit beruflichem Nachteil bezahlen müssen; (Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Daran denken viele gar nicht!)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Abg. Katzer: Sehr wahr!)


(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein]: So ist es!)

und nicht zuletzt bei den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen, die finanzielle Beihilfe zum Töten leisten sollen auch da, wo es sich um nichtige Gründe handelt.
Meine Damen und Herren von der Koalition: Herr Wehner hat sich und Sie festgelegt, die Reform nicht scheitern zu lassen, eine Reform, der die große Mehrheit von fast vier Fünfteln unserer Bürger mit Sorgen entgegensieht. Ich appelliere an Sie: Stürzen Sie unser Volk nicht in schwere Konflikte durch eine Gesetzgebung, von der gerade Sie behaupten, daß sie human sei und Konflikte löse.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709540200
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0709540300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle sind davon überzeugt, daß wir heute vor einer Entscheidung stehen, wie



Werner
sie wohl kaum zuvor in diesem Hohen Hause von uns gefaßt werden mußte. Wir entscheiden heute über das Leben ungeborener Menschen; ich meine, über die kommenden Jahre hinaus gesehen über Millionen Leben von Menschen. Gerade wir Deutschen haben, so glaube ich, leidvoll erfahren, wie leichtfertig mit Menschenleben umgegangen wird. Deshalb kann für uns alle doch nur die oberste Richtschnur des Handelns die Erkenntnis sein, daß niemand von uns über Wert und Sinn menschlichen Lebens Richter sein kann und sein darf. Die Väter der Deklaration der Menschenrechte zogen aus einer langen Entwicklung der Menschheit den Schluß, daß jeder Mensch ein Recht auf Leben, auf Unversehrtheit und Selbstentfaltung, auf Wohlfahrt und Glück besitzt, und zweitens, daß es die Urfunktion und Legitimation des Staates ist, sicherzustellen, daß diese Rechte niemandem durch einen anderen geraubt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Heute sind diese Rechte allgemein anerkannte Grundrechte und bilden die Grundlage auch unserer Verfassung. Auch unsere Verfassung stellt das menschliche Leben ohne Einschränkung unter seinen besonderen Schutz. Ein Staat, besonders ein Rechtsstaat wie der unsere, bezieht die wesentliche Rechtfertigung seiner Existenz aus der Wahrnehmung und Erfüllung der Aufgabe, Schutz zu bieten, insbesondere Schutz für die Minderheiten,

(Beifall bei der CDU/CSU)

für die Schwachen und Wehrlosen. Wer ist wehrloser, wer argloser und wer ist schutzwürdiger als ein ungeborenes Kind?
Im Godesberger Programm, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, heißt es doch noch, das Leben des Menschen, seine Würde und sein Gewissen seien dem Staat vorgegeben. Wie steht es denn heute damit? Wie stehen Sie alle heute noch dazu?
Wenn Sie die Frage stellen „Wer ist denn der Staat, von dem ich hier spreche?", antworte ich: wir alle sind der Staat, wir alle, die Bürger dieses Landes, die sich auf der Grundlage einer Grundordnung zusammenfinden, die die Menschen- und Grundrechte respektiert. Wenn dieser Staat Ordnung und Schutz bieten will, muß er Maßstäbe des Handelns setzen und Instrumente zur Durchsetzung seiner Aufgaben haben und auch anwenden. Diese Maßstäbe, die Gesetze, können nicht beliebig sein oder die konkrete Wirklichkeit nur ordnend zu erfassen versuchen, sondern sie müssen sich an den Menschenrechten orientieren, ja mit diesen in Einklang stehen. Als Maßstäbe des Handelns sind die gesetzlichen Normen für jedermann eine Orientierungshilfe zur Entscheidungsfindung im Konfliktfall und dadurch durchaus geeignet, das Rechtsbewußtsein zu schärfen und das Gewissen eines jeden einzelnen wachzuhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie können aber gegebenenfalls auch dazu beitragen, die Bewußtseinslage in bedenklicher Weise zu
verändern und das Gewissen zu beruhigen, ja geradezu zuzuschütten im Laufe der Zeit. Hierüber, meine Damen und Herren von der Koalition, sollten Sie doch noch einmal nachdenken.
Das Strafrecht des Staates hat den Sinn, den einzelnen zur Einhaltung der vereinbarten Ordnung, d. h. des Rechts, vor allem der Grund- und Menschenrechte, zwingen zu können. Insofern haben strafrechtliche Sanktionen eine durchaus sittenbildende Kraft. Das hat, Herr Engelhard, mit einem Amtsgewissen gar nichts zu tun.
Sicherlich ist nicht absolut alles und immer justitiabel. Doch verbergen wir alle denn nicht allzuoft hinter dieser Aussage die Tatsache, daß wir das Funktionieren von Gesetzen zuweilen in der Praxis nicht so vorfinden, wie wir das gern würden? Aber kann diese Tatsache ein echter Grund dafür sein, daß die davon berührten Bereiche aus der gestaltenden Mitverantwortung des Staates entlassen werden könnten, insbesondere dann, wenn das Recht des Lebens involviert ist?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Das soll nicht heißen, daß der Staat überall mitreden soll und kann. Es geht nicht um eine Lückenlosigkeit des Strafrechts oder um eine Seligsprechung des Strafrechts, wie Herr Brandt heute gesagt hat. Aber ich meine: wo es um das menschliche Leben und dessen Schutz geht, um ein Naturoder Grundrecht, dort kann und darf der Staat sich nicht aus seiner Verantwortung herauswinden und herausschleichen.
Wenn hier gesagt wurde, daß nur die Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs eine echte sittliche Entscheidung der Frau ermögliche, dann muß ich doch fragen: Was ist das für eine Sittlichkeit, von der diejenigen, die das sagen, ausgehen? — Eine Sittlichkeit, die die Entscheidung über das Rechtsgut ungeborenes Leben ausschließlich dem Willen eines einzelnen, nämlich der Frau, ja oftmals dem des Zeugers, anheimgeben würde. Gerade dieses Rechtsgut ist es doch, das einen besonderen Schutz, unser aller Schutz, verdient! Das Ungeborene hat einen existentiellen Anspruch auf diesen Schutz, der nur dem existentiellen Anspruch der Mutter vergleichbar ist.
Die etwaige Bereitschaft des Staates, für eine gewisse Zeit auf seine Straffähigkeit zu verzichten, würde und könnte doch nichts daran ändern, daß der unmittelbar Betroffene, das Ungeborene, überhaupt nicht gefragt werden kann und hinsichtlich seiner eigenen Existenz in den Entscheidungsprozeß überhaupt nicht hineingenommen wird. Deshalb, meine ich, darf und kann ein Rechtsstaat hier nicht eine generell befristete Straffreistellung vornehmen, wie das in einzelnen Entwürfen, die hier vorliegen, vorgesehen ist.
Aus diesen Gründen sind wir, die Befürworter des sogenannten Heck-Entwurfs, der Auffassung, daß Abtreibung prinzipiell unter Strafandrohung stehen muß und davon nur der Fall der medizinischen Indikation ausgenommen werden darf. Denn hier handelt es sich um eine echte Rechtsgüterabwägung im Falle echter Not zwischen Lebensrecht der Frau und Lebensrecht des Kindes.



Werner
Über die Fälle der Freistellung von Strafe nach unserem Entwurf hat Kollege Köster heute nachmittag bereits gesprochen. Die Abtreibung prinzipiell — auch nur für einen gewissen Zeitraum — nicht unter Strafe zu stellen, würde letztlich bedeuten, daß die Tötung des menschlichen Lebens den Charakter des Unrechts und der Unmenschlichkeit verlieren könnte. Niemand in diesem Hause hat das im Sinn; doch jeder muß sich fragen, ob er alles tut, um dies langfristig tatsächlich zu verhindern!
Sie mögen einwenden, daß moralische Vorstellungen dem Wandel unterliegen. Doch wir, die wir hier tagen, bestimmen diesen Wandel ganz entscheidend mit und können uns keinesfalls zu irgendeinem Zeitpunkt aus irgendeinem Grunde über die allgemein anerkannten sitttlichen Grundwerte und das Naturrecht hinwegsetzen!
Sie haben recht, wenn Sie einwenden: wir leben ja gar nicht in einer idealen, in einer heilen Welt von Menschlichkeit und Liebe. Natürlich, Sie haben recht: die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Doch darf uns dies denn entmutigen, einem jeden Menschen zumindest die Chance zu verschaffen, zu überleben und sich zu verwirklichen? Muß es uns deshalb nicht vorrangig darauf ankommen, die Beratung schwangerer Frauen allgemein einzuführen und soziale Maßnahmen zugunsten der Schwangeren und zugunsten der geborenen Kinder auszubauen, so daß eben niemand abtreiben muß?
Sie sagen: selbstverständlich, auch dazu sind wir bereit. Doch, meine sehr geehrten Damen und Herren, warum lassen Sie dann nicht zuvor auch dem ungeborenen Kind allen Schutz angedeihen, der ihm gebührt?
An diesem Punkt möchte ich doch auch noch einmal anführen, daß ich bis zu diesem Zeitpunkt immer noch die Aussage des Herrn Bundeskanzlers vermisse,

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Katzer: Der ist doch fast nie da!)

der vor den Wahlen noch ganz anders sprach. Seine Sprache hatte zumindest einen ganz anderen Tenor als das, was aus der Mehrheitsfraktion, aus seiner eigenen Partei, auf uns zukommt und uns hier zur Abstimmung vorgelegt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Mertens [Gerolstein]; Das war vor den Wahlen!)

Deswegen bedarf es hier der Stellungnahme des Bundeskanzlers nicht nur vor, sondern auch nach Wahlen, und zwar gerade, meine Damen und Herren, zu diesem Problem.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein sozialer Staat, in dem sich ein Mehr an Menschlichkeit verwirklichen soll, kann sich, wie Kollege Blüm zu Recht gesagt hat, nicht um die Pflicht herumdrücken, soziale und finanzielle Probleme eben nicht unter Mißachtung des Grundrechts der Schwächsten zu lösen! Tut dies der Staat dennoch, so muß er sich fragen lassen, ob er tatsächlich
gedenkt, sich fernerhin einen sozialen Rechtsstaat zu nennen.
Meine Damen und Herren, wir folgen nicht irgendwelchen klerikalen Wünschen. Wir verkennen nicht und geringschätzen nicht die Menschenwürde, die Nöte und die Wünsche der betroffenen Frauen. Wir wissen um die Grenzsituationen und um unsere Verantwortung. Wir sind davon überzeugt, daß zu jedem Zeitpunkt das ungeborene und das geborene Kind den uneingeschränkten Schutz des Staates und der Gesellschaft genießen müssen. Wir glauben, daß das Recht auf Leben vor allen Dingen steht. Dies befiehlt uns die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben. Und wenn ich das sage, dann glauben Sie mir bitte, meine Damen und Herren, daß wir es in aller Bescheidenheit und ohne jeden Anflug von Selbstgerechtigkeit tun.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, bitte ich Sie alle, sich noch einmal zu überlegen, wie Sie Ihre eigene Entscheidung hier heute fällen mögen, und nochmals zu überdenken, ob menschliches Leben durch eine Befristung oder durch Umweltbedingungen welcher Art auch immer zur Disposition gestellt werden darf.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist die Frage!)

Die Gesetzentwürfe der Koalition werden meiner Auffassung nach in keiner Weise dem Schutzrecht des Kindes, der Schutzwürdigkeit des Kindes und dem Schutzauftrag eines Rechtsstaates gerecht. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, laufen sehenden Auges der Gefahr entgegen, daß sich individuelles und gesellschaftliches Bewußtsein verändern könnte — nicht zu mehr Freiheit und zu mehr Humanität, sondern gegebenenfalls zu mehr Fremdbestimmung und mehr Unmenschlichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709540400
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schuchardt.

Helga Schuchardt (FDP):
Rede ID: ID0709540500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal auf einige Argumente der letzten Redner eingehen. Frau Verhülsdonk begann mit dem Hinweis auf die Umfrageergebnisse. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir uns in diesem Hause einig, daß dies eine Frage des Gewissens ist und nicht eine Frage der Opportunität.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

Was soll sonst der Hinweis auf die Stimmung in der Öffentlichkeit?

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Wie Umfragen zu werten sind, wissen wir einerseits, und zweitens würden wir uns danach nicht richten, weil es für uns tatsächlich eine Gewissensfrage ist.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)





Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709540600
Frau Kollegin Schuchardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Helga Schuchardt (FDP):
Rede ID: ID0709540700
Bitte!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0709540800
Frau Kollegin, haben Sie noch in Erinnerung, wie Ihr Kollege, Herr Bundesminister Maihofer, seine Rede damit begann, daß er auf die allgemeine Rechtssituation hinwies?

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Na und?)


Helga Schuchardt (FDP):
Rede ID: ID0709540900
Herr Maihofer hat auf die allgemeine Rechtslage deshalb hingewiesen, weil sich das Rechtsempfinden im Laufe eines Jahrhunderts sehr wesentlich geändert hat.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Professor Maihofer hat nicht darauf hingewiesen, daß ein kurzfristiges Interesse in kurzfristig veranstalteten Umfragen ausgedrückt wurde.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das war doch kein zentrales Argument! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, Herr Blüm hat ein Argument eingeführt, das eine gewisse Komik enthält. Er hat uns mitgeteilt, daß man in absehbarer Zeit wahrscheinlich sehr früh erkennen kann, ob ein Embryo männlicher oder weiblicher Art sei. Er hat uns weiterhin mitgeteilt, daß heute noch vorwiegend das Wunschkind ein Junge sei. Beidem will ich nicht widersprechen. Nur hat er daraus die für mich sehr unzulässige Schlußfolgerung gezogen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat doch Kahn zitiert!)

daß man deshalb gegen die Schwangerschaftsunterbrechung sein müsse, weil man auf diese Art und Weise in den ersten drei Monaten sein Wunschkind bestellen könne.
Nun bin ich bisher immer davon ausgegangen, daß Herr Blüm ein gewisses gesellschaftspolitisches Gespür habe. Einer, der dies hat, wird eine solche Ungerechtigkeit innerhalb unserer Gesellschaft, d. h. eine ungleiche Bewertung männlicher und weiblicher Art, sicherlich nicht dadurch bekämpfen können, daß er die Fristenregelung verhindert, sondern viel eher dadurch, daß er die Gesellschaft dahin verändert und aufklärt, daß zukünftig Mädchen ebenso gewollt sind wie Jungen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709541000
Frau Kollegin Schuchardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blüm? — Bitte schön, Herr Blüm.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0709541100
Frau Kollegin Schuchardt, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß ich den amerikanischen Futurologen Kahn zitiert habe, der von möglichen Konsequenzen gesprochen hat, über die wir nicht diskutiert haben, und daß es mein Anliegen war, nicht nur die aktuelle Situation heute und hier zu diskutieren, sondern mögliche Zukunftsfolgen, mehr nicht?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Helga Schuchardt (FDP):
Rede ID: ID0709541200
Herr Blüm, ich möchte darauf antworten, daß die Futurologie sicher dazu da ist, Politiker zu beraten, nicht dazu, Entscheidungen zu ersetzen.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

— Es ist immer sehr erfreulich, wenn man zu den Rednern gehört, die häufig Zwischenfragen provozieren. Das erleichtert etwas die eigene Position hier oben.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, Herr Schmitt-Vockenhausen hat die Selbstbestimmung der Frau vorverlagern wollen, d. h. er hat darauf hingewiesen, daß die Selbstbestimmung der Frau doch dann nicht in Anspruch genommen werden soll, wenn sie schwanger sei, sondern vorverlegt sein soll. Man solle doch die Frau an ihre Selbstbestimmung davor erinnern. Nun möge es mir als Frau bitte gestattet sein, daß diese Verantwortung, ob eine Frau schwanger wird oder nicht, heute natürlich nicht mehr allein nur von den Frauen getragen werden muß. Es gibt auch Pillen für Männer. — Die lächelnden Gesichter in den Reihen der Opposition zeigen natürlich, daß Sie selbst befürchten, daß dadurch Ihre Männlichkeit beeinflußt würde

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU)

und Sie deshalb sicherlich zu denjenigen gehören, die sich dieser Pillen nicht bedienen. Damit entziehen Sie sich auch gleichzeitig der Verantwortung, die darauf folgt.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Wir haben hier doch keinen Karneval! — Abg. Leicht: Wir sind doch nicht auf der Reeperbahn! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, nun zu dem, was ich zu einigen Punkten des Gesamtthemas hinzufügen wollte. Es ist in den letzten Monaten besonders deutlich geworden, daß denjenigen, die sich für die Fristenregelung einsetzen, sehr häufig vorgeworfen wird, sie seien für die Abtreibung. Dies ist eine schlimme Argumentation, zumal sie meist von jenen kommt, die auch noch für sich in Anspruch nehmen, für sich allein die gültige moralische Kategorie des Gewissens zu haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Wer so tut, als ob erst durch die Fristenregelung das Problem der Abtreibung überhaupt entstehe, leugnet die Hunderttausende von Abtreibungen, von illegalen Schwangerschaftsunterbrechungen, die heute Jahr für Jahr geschehen. Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über einen Strafrechtsparagraphen, der von der Öffentlichkeit nicht an-



Frau Schuchardt
genommen wurde, und dieses sollten wir zur Kenntnis nehmen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Jetzt sprechen Sie selbst von der Öffentlichkeit!)

Meine Damen und Herren, das Strafrecht hat werdendes Leben nicht schützen können.

(Abg Dr. Mertes [Gerolstein] : Sie widersprechen sich selbst!)

Diejenigen, die immer so getan haben, als ob es diese Abtreibungen nicht schon lange gäbe, haben sich nicht nur daran schuldig gemacht, daß das werdende Leben nicht geschützt wird, sondern sie haben sich darüber hinaus an den betroffenen Frauen schuldig gemacht, denen man durch die Illegalität schwer Hilfe zuteil werden lassen konnte.
Meine Damen und Herren, es mag Menschen geben, die ruhiger schlafen, wenn das Unrecht unter Ausschluß der Öffentlichkeit geschieht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

Sie mögen dann vielleicht ruhig, vielleicht sogar mit sehr ruhigem Gewissen schlafen, nach dem Morgensternschen Motto: weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Wir tun dies nicht. Darum gibt es für uns nur die Möglichkeit, für das Modell — und dies ist das Fristenmodell — einzutreten, das dafür sorgt, daß das Gesamtproblem an die Öffentlichkeit tritt, um es dann bewältigen zu können. Vielleicht können dann auch diejenigen, die 100 Jahre lang ruhig geschlafen haben, nicht mehr ruhig schlafen, wenn wir diese Öffentlichkeit endlich hergestellt haben.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, aber ich möchte es noch einmal tun: Es gibt für mich nur zwei ehrliche Positionen. Die eine Position ist die, grundsätzlich gegen den Schwangerschaftsabbruch einzutreten und allenfalls unter der Voraussetzung dafür einzutreten, daß das Leben der Mutter in Gefahr sei. Letzteres wäre aber auch nur mit Großzügigkeit zu dulden, weil ja bereits eine Entscheidung zugunsten des Lebens der Mutter gefällt würde. Man kann wohl davon ausgehen, daß diese Position in diesem Hause kaum noch vertreten wird, wenn man alle vier Vorlagen betrachtet. In jeder der Vorlagen wird unter gewissen Umständen eine Schwangerschaftsunterbrechung für tragbar gehalten. Der Schutz werdenden Lebens wurde also bereits relativiert.
Die zweite ehrlich Position ist diese: Allein die Betroffenen können entscheiden, d. h. allein die Frau, die betroffen ist, und der Arzt, der berät und gegebenenfalls die Schwangerschaftsunterbrechung durchführt. Die Entscheidung der Betroffenen wird allein durch die Fristenregelung gewährleistet. Der Unterschied zwischen den Entwürfen liegt also im Grundsatz darin, ob die Frau bis zum dritten Monat selbstbestimmt ist oder fremdbestimmt wird.
Auch für uns ist das werdende Leben ein schätzenswertes Gut, nur vertrauen wir es in den ersten zwölf Wochen dem Gewissen seiner Mutter und nicht dem Strafrecht an. Die Position der Fremdbestimmung mag zwar den Eindruck der unabhängigen Entscheidung und damit der Objektivität bringen; aller-
dings handelt es sich hier natürlich auch um Willkür,
nämlich um die Willkür derer, die zu entscheiden
haben; dies ist dann eine Entscheidung über Fremde.
Die Abschaffung der Strafandrohung für die Zeit der ersten zwölf Wochen schafft unserer Meinung nach eine neue, eher gesteigerte moralische Kategorie. Die Verantwortung kann nicht mehr abgewälzt werden, sondern sie ist allein von denen zu tragen, die betroffen sind. Die Verwantwortung ist damit, zumindest wenn man unsere moralischen Kategorien zugrunde legt, eine sehr viel stärkere.
Herr Eyrich meinte, daß die Fristenregelung der Frau eher Unfreiheit bringe, da sie ja mehr denn je von ihren Angehörigen — zumeist wohl dem Mann — zur Abtreibung gezwungen würde. Nun läßt dies ja bemerkenswerte Rückschlüsse auf die Abhängigkeit der Frau innerhalb unserer Gesellschaft zu.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Es ist nur realistisch!)

Herr Eyrich, Ihr Indikationenmodell ist allerdings eher geeignet, diese Abhängigkeit noch zu verfestigen, als einen Schritt vorwärts in Richtung auf die Unabhängigkeit der Frau zu tun. Ich gehe ja wohl recht in der Annahme, daß diejenigen, die letztendlich über die Frau zu entscheiden haben, in der Regel Männer sind. Es ist unausgesprochen geblieben, aber man kann wohl davon ausgehen, daß es im Raume steht: Diese unabhängigen Gutachter sollen offenbar mehr Gewissen zeigen als die Frau, die selbst betroffen ist. Diesem kann ich mich nicht anschließen. Ich will natürlich die Möglichkeit nicht leugnen, daß eine Frau unter Druck gesetzt werden kann; das wird sie heute schon. Nur mit der Fristenregelung aber, d. h. mit dem Fortfall der Strafandrohung, kann sichergestellt werden, daß sich eine so bedrängte Frau an eine Person ihres Vertrauens wendet, um sich selbst stark genug zu machen, sich einem solchen Druck zu widersetzen.
Ein wie auch immer geartetes Indikationenmodell enthält das Risiko, diesen Vertrauten zum Mitwisser zu machen. Folglich werden gerade die Frauen mit ausgeprägtem Gewissen in der Isolation und in der ungeheuren Einsamkeit bleiben, aus der heraus sie heute in den meisten Fällen ihre Entscheidungen treffen.
Man kann sich vor seinen Freunden nicht schützen. Es ist schade, daß man in diesem Hause immer wieder darauf hinweisen muß, daß es einige Argumente für die Fristenregelung gibt, die natürlich von meiner Fraktion nicht getragen werden. Ich glaube, man sollte in diesem Zusammenhang der CDU/CSU sagen, daß auch sie sich vor ihren Freunden nicht schützen kann. Auch die CDU/CSU kann sich vor ihren Freunden nicht schützen.
Das bedeutet, daß wir davon ausgehen müssen, daß eine Reihe von Menschen in unserer Bevölkerung lieber die Anonymität der Abtreibung beibehalten will, um nicht selbst in der Öffentlichkeit bloßgestellt zu sein, damit der Mann z. B. dem Nachbarn nicht mitteilen muß, daß seine Frau abgetrieben hat. Dieser Anonymität werden alle diejenigen



Frau Schuchardt
weiterhin Vorschub leisten, die für ein Indikationenmodell eintreten. Das Herausgehen aus der Illegalität und der Anonymität ist nur mit einer Fristenregelung zu erreichen.
Meine Damen und Herren! Die Beratung — auch dieses ist häufiger gesagt worden; ich möchte es noch einmal betonen, weil dieses Argument ungern angenommen wird — ist für uns der wesentliche Grundgedanke der Fristenregelung. Daß auch eine Beratung bei einem Indikationenmodell angenommen würde, werden Sie uns nicht erzählen können, ohne unlogisch zu werden. Herr Eyrich ist bei den Zwischenfragen von Frau Funcke vorhin ja auch entsprechend ins Schwimmen gekommen. Wenn weiterhin die Möglichkeit besteht, daß eine Entscheidung in der Form gefällt wird, daß keine Schwangerschaftsunterbrechung vorgenommen werden kann, obwohl die Frau sie wünscht, wird sie sich, um der Anonymität nicht zu entrinnen, um sich die Illegalität offenzuhalten, sicherlich einer Beratung nicht stellen. Dies ist eine Frage der Logik und kann nicht mehr eine Frage der Meinung sein.
Meine Damen und Herren! Ich möchte schließen mit der Bemerkung, daß die sozialen Maßnahmen immer dann als besonders wichtig angesehen wurden, wenn eine mögliche Reform des § 218 anstand. Dieses war in der Weimarer Republik so, und dieses war auch in unserer Republik so, solange wir darüber diskutieren. Immer dann, wenn die Diskussion über den § 218 verflachte, verflachte auch die Diskussion über die sozialen Maßnahmen. Kinderspielplätze, Kindergärten, Teilzeitarbeit, Familienlastenausgleich, Erziehungsgeld — all dieses wird immer nur im Zusammenhang mit § 218 erwähnt. Aber was haben wir bisher erreicht? Ich kann nur hoffen, daß diese Diskussion nicht aufhört, wenn die Diskussion über den § 218 endlich abgeschlossen ist. Die Fristenregelung — so sie hoffentlich in diesem Hause die Mehrheit erhält — wird die Not in ihrer ganzen Breite offenlegen. Wir alle werden durch die ständige Konfrontation mit dieser Not in Pflicht genommen, sie zu lindern. Die FDP wird sich dieser unbequemen Verantwortung stellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709541300
Meine Damen und Herren, wir haben noch zwei Redner auf der Liste. Ich bitte doch alle Kollegen es diesen Rednern nicht so schwer zu machen, wenn sie zu dieser ungünstigen Zeit noch sprechen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Aigner.

Dr. Heinrich Aigner (CSU):
Rede ID: ID0709541400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben eine sehr engagierte Debatte an diesem Tag gehabt, und jeder, der sie von Anfang an mit verfolgt hat, ist sicher auch passiv mit demselben Engagement mitgegangen. Ich möchte nur die letzte Rede hier von dieser Aussage ausnehmen; sie war zwar teilweise sehr charmant, aber nicht sehr argumentativ, glaube ich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich hatte mich bemüht, wirklich zu verstehen, warum mit dieser Hartnäckigkeit von Teilen unseres Volkes zur Zeit für die Fristenregelung gerungen wird. „Fristenlösung" ist sowieso ein furchtbares Wort. Man bekommt Assoziationen aus einer schrecklichen Vergangenheit, wenn man das Wort „Lösung" in diesem Zusammenhang findet, aber gut.

(Zurufe von der SPD.)

— Ich glaube, daß wir doch alle irgendwie diese Assoziationen haben, wir sind doch nicht glücklich darüber. Das Hauptargument gegen diese sogenannte Fristenlösung ist doch — wir können noch zehn Tage diskutieren, ohne dieses Hauptargument hinwegdiskutieren zu können , daß sie unserem
Rechtssystem wesensfremd ist. Und warum? Weil hier zum erstenmal Rechtsgüter in einem Konflikt nicht mehr abgewogen werden.

(Zuruf von der FDP: Das stimmt doch nicht!)

— Natürlich! In dem Augenblick, wo Sie einer Frau das Recht geben, über menschliches Leben, auch wenn es noch nicht geboren ist, frei und willkürlich zu bestimmen, haben Sie das Rechtssystem — ich sage nicht, den Rechtsstaat, aber unser geltendes Rechtssystem — im Grunde illusorisch gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es gibt natürlich das Gesetz der Tragik auch in diesem Fall, und das Rechtssystem und vor allem das Schuldprinzip in unserem Strafrecht geht davon aus, daß das Gesetz der Tragik in der Konfliktsituation nur aufgelöst werden kann durch die Abwägung von Rechtsgütern gegeneinander. Herr Ostman von der Leye hat zum erstenmal in dieser Debatte versucht, eine quasi Rechtfertigung dieser Fristenregelung aufzuzeigen. Er sagte: Wir wollen über den Filter der Beratung — der Arzt muß ja nicht abtreiben — die Frau zur Rechtsgüterabwägung zwingen. Gut, das ist ein Argument. Aber, meine Damen und Herren, die Praxis zeigt leider — leider, sage ich -- ein anderes Ergebnis. Der Arzt, der abtreibt, wird auf jeden Fall gefunden, wenn Sie die Fristenregelung akzeptieren und wenn die Frau trotz gegenteiliger Beratung abtreiben will. Sie brauchen nur das Ergebnis in den Staaten und in den Ländern zu analysieren, die die Fristenregelung akzeptiert haben. Leider Gottes funktioniert dieser Filter meist nicht. Aber auch der soziale Staat wird in Frage gestellt.
Es war im Jahre 1950 in diesem Hause bei der ersten Debatte über das Abtreibungsdelikt, als der SPD-Kollege Adolf Arndt sagte, ein Staat, der sich außerstande sehe, einem Notstand anders als durch Freigabe der Tötung menschlichen Lebens zu begegnen, kapituliere und sei kein Sozialstaat mehr.

(Zuruf der Abg. Frau Meermann.)

— Frau Kollegin, das war damals die Auffassung Ihrer Fraktion. Und ich darf sagen, daß auch die Auffassung der FDP-Fraktion sich damals völlig mit unserer Auffassung gedeckt hat. Es gab keinen FDP-Justizminister, der etwa zur damaligen Zeit einer Fristenlösung nicht genauso leidenschaftlich widersprochen hätte wie wir heute. Dann ist doch die Frage erlaubt: Was hat sich eigentlich in unserem



Dr. Aigner
Volk in unserer Zeit geändert, daß diese selbstverständlichen Positionen plötzlich über Nacht verschwunden sind? Was ist die Ursache?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bitte um Verständnis, wenn ich hier ein Zitat aus der Zeitschrift für Rechtspolitik von Professor Dr. Robert Speemann aus München bringe, weil es meines Erachtens am treffendsten und kürzesten die eigentliche Bewußtseinslage, die zu diesem Denken führte, aufzeigt. Frau Präsidentin, ich darf kurz zitieren:
Es ist die veränderte Stimmungslage, nicht nur in unserem Volk, sondern auch in Europa. Es heißt, gewachsen sind die Ansprüche der Menschen auf individuelle Befriedigung; gewachsen ist die kritische Beurteilung aller traditionellen, moralischen und institutionellen Schranken solcher Befriedigung.
Jetzt kommt eine interessante Formulierung:
Das Ende der Bescheidenheit wurde proklamiert. Gewachsen ist die Sensibilität für Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Lebenschancen, von Lasten und Entschädigungen. Gewachsen ist die Bereitschaft,
positiv —
körperlich oder geistig Benachteiligten und gesellschaftlichen Randgruppen zusätzliche Hilfestellung zu geben. Gewachsen ist aber gleichzeitig die Neigung zur Brutalität gegenüber allem, was sich individuellen Ansprüchen in den Weg stellt. Und da dies oft individuelle Ansprüche anderer sind, hebt sich das emanzipatorische Bewußtsein vielfach selbst wieder auf. Emanzipation gibt es nicht ohne Solidarität.
Ich stimme der Kollegin zu — ich weiß nicht mehr, wer es war —, die davon sprach, daß wir es hier nicht nur mit der Emanzipation der Frauen zu tun haben, sondern mit der Emanzipation einer Gesellschaft. Aber diese Emanzipation setzt selbstverständlich auch die Solidarität der Generationen voraus, wenn wir in unserer eigenen Existenz der nächsten gegenüber wirklich gerecht und auch sozial sein wollen.

(Abg. Mertes [Gerolstein] : Eine sehr gute Feststellung!)

Es hat sich also die Bewußtseinslage geändert, aber nicht etwa die Aktualität des Konflikts. Denn darüber brauchen wir uns doch nicht zu unterhalten: Die materielle Notlage ist nicht mehr so wie in den fünfziger Jahren, auch nicht die gesellschaftskritische Notlage, all das, was psychologisch auf die Schwangere, durch das Kind einwirkt; nein, nicht durch das Kind, das Kind ist oft gar nicht das Angriffsobjekt, sondern die Gesellschaft im Verhalten diesem Kind gegenüber. Heute ist die Gesellschaftskritik wesentlich toleranter, vielleicht auch gleichgültiger geworden. Die echte Not ist nicht mehr vorhanden. Auch die Pille hat doch zweifellos ihre Wirkung in der Verhütung unerwünschter Schwangerschaften gezeigt.
Ich habe vor jetzt 20 Jahren meine Dissertation über das Thema Abtreibung geschrieben und mich dabei einer sehr mühsamen Arbeit unterzogen. Ich habe damals fast 2 000 Gerichtsakten wirklich analysiert, nach dem Tätertyp, nach den Motiven. Und, meine Damen und Herren, glauben Sie mir: Wer Richter war oder Staatsanwalt oder auch Rechtsanwalt, wer wirklich von der Praxis her dieses Delikt kennt, weiß, daß es sich anders präsentiert, als manche Grenzfälle es uns aufzeigen wollen.
Wir wissen, daß z. B. die eigentliche Kriminologie in diesem Delikt nicht bei der Schwangeren liegt, sondern — von der Praxis und von den Untersuchungsergebnissen her können wir das sagen -daß das treibende Element an erster Stelle der Erzeuger ist, der sich der Alimentenverpflichtung entziehen will, dem das Kind unerwünscht ist.

(Abg. Frau Meermann: Und wann wird der bestraft?)

— Frau Kollegin, glauben Sie mir, Sie lassen die Frau im Stich, wenn Sie ihr den strafrechtlichen Schutz nehmen; denn dieser strafrechtliche Schutz war und ist in der Praxis noch eine Wand, hinter der sie diesen Pressionen und diesem Drängen von Dritten, von der Gesellschaft usw. wirklich widerstehen kann. Sie lassen die Frau im Stich, wenn Sie den Straftatbestand beseitigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Natürlich gibt es Konfliktfälle. Aber, meine Damen und Herren, dieser Konfliktfall muß individuell überprüfbar sein. Wenn der Gesetzgeber den Konfliktfall als Basis seiner Gesetzgebung zugrunde legt, werden Tausende, die nicht einmal am Rande von solchen Konfliktfällen berührt werden, ihren Fall unter diese Regelung subsumieren wollen.
Frau Präsidentin, ich darf schließen mit der Feststellung, daß es heute sicher eine ernste Diskussion war. Aber — auch das möchte ich sagen —: Wer nicht im letzten in seiner Überzeugung zum Leben metaphysisch verankert ist, wird die ganze Tragik dieser Entscheidung nicht begreifen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Wir stehen heute — vielleicht darf ich das wirklich zum Schluß sagen in der Erinnerung an den Todestag eines der vielleicht größten Philosophen Europas, an den Immanuel Kants. Ich wollte, dieses Haus würde etwas von dein Kategorischen Imperativ dieser Philosophie erfassen. Ich glaube, dann würde die Tragik, die in einem Konfliktfall da und dort zweifellos vorhanden ist, anders empfunden und anders aufgelöst werden können, als durch neues Unrecht. Es gibt aber auch keine Statistik in dieser Welt, die aufzeigen würde, wie arm dieses Volk und Europa wäre, wenn es nicht Millionen von Frauen in allen Generationen gegeben hätte, die Leid und Schmerz ertragen haben, um das Mysterium des Lebens dabei nicht zu verletzen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709541500
Das Wort hat der Abgeordnete Klein (Stolberg).




Prof. Dr. Josef Klein (CDU):
Rede ID: ID0709541600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Grundsatz, das ungeborene Leben sei ein Rechtsgut, das dem geborenen grundsätzlich gleichzuachten ist, wird von den Initiatoren aller vier uns vorliegenden Gesetzentwürfe zum Schwangerschaftsabbruch jeweils für sich reklamiert. Es ist aber nachzufragen, wie ernst es den Verfassern der jeweiligen Gesetzentwürfe mit diesem von Art. 2 des Grundgesetzes geschützten und angeblich als wesentliches Ziel der Änderung der Abtreibungsbestimmungen angesehenen Lebensrecht des ungeborenen Kindes angesichts der juristischen und praktischen Auswirkungen der einzelnen Gesetzentwürfe tatsächlich ist.
Zur Fristenregelung haben die Initiatoren des Minderheitenentwurfs der SPD ja durchaus zutreffende Ausführungen gemacht, die wir von unserer Fraktion aus voll unterstreichen. So sagte Herr Kollege Müller-Emmert in der ersten Lesung — ich darf wörtlich zitieren —:
Als Ergebnis bleibt festzustellen, daß die Fristenregelung die uneingeschränkte Freigabe des ungeborenen Lebens innerhalb der ersten drei Monate bedeutet und damit den Embryo in dieser Zeitspanne strafrechtlich völlig schutzlos stellt. Mit anderen Worten: ob ein Eingriff vorgenommen werden darf, entscheidet nach der Fristenregelung nicht die Gesetzesnorm, sondern ausschließlich die Frau nach ihrem eigenen Gutdünken. Dies wäre nach meiner Überzeugung
— so Müller-Emmert
ein unerträglicher Rechtszustand, der der Tatsache, daß das Leben das höchste Rechtsgut ist, in keiner Weise gerecht wird.
Trotz dieser klaren grundsätzlichen Aussagen besteht nun, so hört man, bei Unterzeichnern des Minderheitenentwurfs der Koalitionsfraktionen die Tendenz, am Ende doch der Fristenregelung zuzustimmen. Dies, meine Damen und Herren, verrät wenig Glaubwürdigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich appelliere an alle diejenigen in der MüllerEmmert-Gruppe, denen es hier wirklich um eine Gewissensentscheidung geht, daß solche falsch verstandenen Kompromisse mit dem eigenen Gewissen im Interesse der zu schützenden wehrlosen Kinder im Mutterleib heute hier nicht stattfinden. Ich appelliere an das Gewissen der Vertreter des Indikationenmodells, bis zur letzten Abstimmung in diesem Hause doch dem Prinzip treu zu bleiben, das sie selbst klar als ihre Gewissensentscheidung zu erkennen gegeben haben, nämlich dem strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens, der nur im Interesse hoher Rechtsgüter versagt werden darf. -Auch den Herrn Bundeskanzler möchte ich daran erinnern, daß er ja mit dem Indikationenmodell in den Wahlkampf gezogen ist, und zwar unter Berufung auf sein Gewissen.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr! -Abg. Dr. Marx: Ja, nur das gilt hinterher nicht mehr!)

Meine Damen und Herren, es ist hier allerdings I auch zu fragen, ob der Müller-Emmert-Entwurf, mit dem wir uns in der Debatte heute vielleicht zuwenig auseinandergesetzt haben, der freien Entscheidung der Frau, nur nach ihrem eigenen Interesse zu handeln, wirklich in ausreichendem Maße strafrechtliche Sanktionen zugunsten des ungeborenen Lebens entgegensetzt. Ich meine, hier gibt es Einbruchsstellen für eine zu weitgehende Entscheidungsfreiheit, nämlich erstens die generelle Straffreiheit der Schwangeren und zweitens die schwammige Formulierung einer Indikation bei allgemeiner Notlage. Straffreiheit der Frau bedeutet vor allem, daß die Selbstabtreibung straffrei ist. Darauf hat Frau Kollegin Funcke schon in der ersten Lesung hingewiesen.
Die Unterzeichner des Müller-Emmert-Entwurfs erhoffen sich von ihrer Regelung eine wirkungsvollere Beratung der Schwangeren mit dem Ziel des Rückgangs der Abtreibung. Doch ist nach dem Müller-Emmert-Entwurf keineswegs gesichert, daß bei der Beratung dem Gesichtspunkt des Schutzes ungeborenen Lebens der ihm zukommende Stellenwert eingeräumt wird. Um die Schwelle der Leichtfertigkeit gegenüber dem Leben im Vergleich zur Fristenlösung höher zu setzen, sieht Müller-Emmert zwar die Hinzuziehung nicht von einem, sondern von zwei Ärzten, in der Regel Privatärzten, vor. Doch ist es nach den Erfahrungen im Ausland sehr wahrscheinlich, daß sich, ich möchte es einmal so nennen, Teamworks des Todes zwischen behandelnden und beratenden Ärzten bilden, daß auf der unteren Etage der Klinik dem auf der oberen Etage behandelnden Kollegen grünes Licht gegeben wird. Wer hindert also die Frau, rechtzeitig den sogenannten Arzt des Vertrauens aufzusuchen, bei dem sie allerdings darauf vertrauen kann, daß er auf jeden Fall zur Abtreibung rät, weil er nämlich selbst ein sehr handfestes Interesse an dieser Abtreibung hat? Hier besteht die große Gefahr, daß unversehens aus der sozialen Indikation die reine Wohlstandsindikation wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

An dieser Stelle sollte aber auch einmal ein Wort zu der Art und Weise gesagt werden, wie die politische Propaganda zugunsten von Fristenlösung und zugunsten weitgefaßter Indikationen betrieben wurde.

(Abg. Conradi: Dazu haben Sie gerade Grund!)

Dies war ein Musterbeispiel von Doppelstrategie. Hier im Parlament und überall dort, wo es opportun ist, Würde zur Schau zu tragen, sprechen Sie, meine Damen und Herren, davon, daß Sie, die Sie die Fristenlösung oder die weite Indikationslösung wollen, in erster Linie den Schutz des ungeborenen Lebens im Auge haben. Ich muß ehrlich sagen: Ich habe nie begriffen, wie man das guten Gewissens eigentlich sagen kann, wenn man ganz genau weiß, daß diese Gesetzesvorschläge dazu führen werden, daß nicht weniger, sondern in absoluten Zahlen mehr ungeborene Kinder getötet werden als bisher. Sie wissen das sehr genau, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP. Sie wagen es nur noch nicht zu sagen und überlassen es späteren Statistiken.



Dr. Klein (Stolberg)

Ich sprach von Doppelstrategie. Draußen gegenüber der Bevölkerung wurde die Propaganda vor allem mit Blick auf die junge Generation und insbesondere die jungen Frauen in einer ganz anderen Zielrichtung betrieben. Die Formel „Die Frau soll selbst entscheiden" trat an die Stelle des brutalen Slogans „Mein Bauch gehört mir". Wenn man allerdings einmal von der sprachlichen Stilebene absieht, so muß man fragen: Wo liegt eigentlich ein wesentlicher inhaltlicher Unterschied zwischen diesen beiden Formeln? Ich vermag keinen solchen wesentlichen Unterschied zu erkennen. Wer sich glaubwürdig von dem Slogan „Mein Bauch gehört mir" distanzieren will, darf ihn nicht bloß mit sinngleichen Formeln austauschen, die lediglich vornehmer klingen.
Wo erscheint bei der Formel „Die Frau soll selbst entscheiden" eigentlich noch der Anspruch, ja, das grundgesetzlich geschützte Recht des Kindes im Schoße eben dieser Frau, die, wie es heißt, selbst entscheiden soll? Und dies bei der Sozialdemokratischen Partei, einer Partei, die nicht müde wird, von sich zu behaupten, sie trete für die Interessen der sozial Schwachen und der Abhängigen ein! Ich frage: Gibt es eigentlich etwas sozial Hilfloseres, etwas Abhängigeres als ein Kind im Schoße einer Frau? Wie unglaubwürdig wird gerade diese Partei, wenn sie sich im Konflikt zwischen dem Interesse des abhängigen Kindes, überhaupt zu leben, und dem Interesse einer Frau an einem konfliktloseren oder auch nur bequemeren Leben eindeutig gegen das Lebensinteresse des Kindes entscheidet!
Zur Doppelstrategie in Sachen des § 218 gehört es auch, daß Sie, meine Damen und Herren, die Sie für die Fristenlösung und die weite Indikation waren und sind, draußen, dort, wo nicht sehr differenziert diskutiert wird, das ganze Problem in ein Wortfeld gestellt haben, wo es am allerwenigsten hingehört: modern, links, progressiv und Reform. Das waren die Etiketten, mit denen an der propagandistischen Basis die harten Tötungsfakten, auf die diese Vorschläge hinauslaufen, beklebt und verkleistert wurden. Wer auf die blutigen Realitäten in Abtreibungskliniken 'hinzuweisen wagte, betrieb nach Ihrer Sprachregelung Greuelpropaganda und Emotionalisierung. In Wirklichkeit aber liegt Emotionalisierung — sozusagen Emotionalisierung von der milden Sorte -- da vor, wo, um Adolf Arndt noch einmal zu zitieren, die „Kapitulation des sozialen Rechtsstaats", wo die Gleichgültigkeit gegenüber dem Lebensinteresse der Ungeborenen von der positiven Gefühligkeit überdeckt werden soll, die moderne Menschen bei Begriffen wie „progressiv", „links", „modern" und „Reform" nun einmal zu haben pflegen.
Es ist ja nicht das erste Mal, daß Sie hinter einem Schleier schöner Worte eine politische und gesellschaftliche Wirklichkeit zu schaffen versuchen, die um einiges schlimmer ist als die gegenwärtige mit all ihren Mängeln. Aber nirgendwo war und ist dieser Versuch, wie ich meine, weniger angemessen als in der Frage, die wir hier heute behandeln.
Eine Kapitulation des sozialen Rechtsstaats „Reform" zu nennen bedeutet nach unserer Auffassung
eine geradezu zynische Umfunktionierung des Sinngehalts des Wortes „Reform" zu so etwas wie „Neues um jeden Preis", selbst um die Preisgabe des Lebens selber.
Eine solche Reform, bei der — um eine weitere Koalitionsvokabel hier einmal aufzunehmen —„unter dem Strich" mehr getötete Kinder im Mutterleib das Ergebnis sein werden, bei der das Recht des Stärkeren an die Stelle des Strafschutzes für das schwächste menschliche Wesen, für das Kind im Mutterschoß, tritt, wird von uns — da können Sie sicher sein, — auch dann noch bekämpft werden, wenn eine hauchdünne Mehrheit sie hier gleich beschließen sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709541700
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen zur Generalaussprache liegen nicht mehr vor. Wir kommen nunmehr zu der Einzelberatung aller vier Entwürfe. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe nunmehr entsprechend der Verfahrensabstimmung von heute morgen alle vier Entwürfe der Reihe nach in den Einzelheiten auf. Die jeweilige Abstimmung erfolgt gemeinsam am Schluß.
Ich rufe auf aus ,der Drucksache 7/1981 (neu), Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, FDP, die Art. 1, 2, 2 a, 2 b, 2 c, 2 d, 2 e, 3, 3 a, 3 b, 4, 5, Einleitung und Überschrift.
Ich rufe weiterhin auf aus der Drucksache 7/1982, Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Müller-Emmert, Dürr, Dr. Bardens und Genossen, Art. 1, 1 a, 1 b, 1 c, 1 d, 1 e, 3, 3 a, 4, 5, Einleitung und Überschrift.
Ich rufe weiterhin auf aus der Drucksache 7/1983, Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, Art. 1,
1 a, 1 b, 1 c, 1 d, 2, 2 a, 2 b, 3, 4, Einleitung und Überschrift.
Ich rufe zum Schluß auf aus der Drucksache 7/1984 (neu), Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Heck, Köster, Dr. Unland, Dr. Becker (Mönchengladbach), Dr. Blüm, Dr. Jahn (Münster), Nordlohne, Carstens (Emstek) und Genossen, Art. 1, 1 a, 1 b, 1 c, 1 d, 2,
2 a, 2 b, 3, 4, Einleitung und Überschrift.
Meine Damen und Herren, das Wort zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Memmel. — Ich bitte um Ruhe.

Linus Memmel (CSU):
Rede ID: ID0709541800
Frau Präsidentin, bitte genehmigen Sie, daß ich nach § 59 der Geschäftsordnung eine Erklärung zur Abstimmung abgebe.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709541900
Meine Damen und Herren, ich bitte, dem Redner zuzuhören und sich hinzusetzen. — Wir kommen zu einem namentlichen Aufruf; es muß daher noch keiner in den Startlöchern stehen. Wir können uns alle noch eine Weile hinsetzen. — Ich bitte um Ruhe.

(Allgemeine Heiterkeit.)





Linus Memmel (CSU):
Rede ID: ID0709542000
Frau Präsidentin, ich fühle mich aus zwei Gründen verpflichtet, eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben.
Erstens. Ich stehe aus Gründen, die ich allein zu antworten habe, nicht auf der Liste der Unterzeichner des Entwurfes Heck auf der Drucksache 7/561. Das könnte zu Mißdeutungen führen. Ich möchte also hier in aller Öffentlichkeit erklären, daß ich voll und ganz hinter dem Entwurf Heck auf Drucksache 7/561 stehe.
Zweitens. Ich habe als ordentliches Mitglied des Strafrechtssonderausschusses nur bei der Abstimmung über die Drucksache 7/561 den Platz zugunsten des Kollegen Köster geräumt, weil sonst niemand von den Unterzeichnern des Entwurfes Heck diesen Entwurf hätte vertreten und für ihn hätte abstimmen können. Nur aus diesem Grunde habe ich mich an dieser Abstimmung nicht beteiligt, sondern für mich den Kollegen Köster auftreten lassen.
Ich erkläre also noch einmal in aller Öffentlichkeit, daß ich hinter dem Entwurf Heck stehe.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0709542100
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. — Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über alle vier Ent- ' würfe, wie es hier heute morgen vereinbart und abgestimmt worden ist. Sie finden den Abstimmungszettel in Ihrem Pult. Er ist mit Ihrem Namen versehen, weil namentliche Abstimmung vereinbart ist. Sollte jemand einen Zettel mit seinem Namen nicht vorfinden, dann bitte ich, sich zu melden; hier sind noch Reservezettel.
Wir werden diese Abstimmung mit einem Namensaufruf vornehmen müssen; es hat sich herausgestellt, daß das nachher mit dem Zählen übersichtlicher ist als anders.
Ich bitte nun, den Zettel auszufüllen. Die Schriftführer werden die Namen verlesen. Wir haben hier die große Urne für die Abgeordneten des Hauses — außer Berlin —, und wir haben dort drüben die Urne für die Berliner Abgeordneten.
Wir kommen zum Aufruf nach dem Alphabet mit drei Ausnahmen, die interfraktionell vereinbart worden sind. Ich bitte nunmehr um den Aufruf. —
Meine Damen und Herern, um Mißverständnisse zu vermeiden: Dies ist nicht unbedingt die letzte Abstimmung heute; es kann durchaus noch eine Stichwahl erfolgen. Ich wollte das für die Kollegen sagen, die disponieren wollen. Es sind außerdem gleich nach der Auszählung Fraktionssitzungen angesetzt. Ich wollte auch das vorsorglich mitteilen.
Meine Damen und Herren, sind alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses aufgerufen worden und haben alle ihren Stimmzettel abgeben können? — Ich schließe die Abstimmung.
Da ,die Auszählung etwas Zeit braucht, unterbreche ich die Sitzung.

(Unterbrechung der Sitzung: 22.53 Uhr bis 23.14 Uhr.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709542200
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Insgesamt abgegebene Stimmen: uneingeschränkt stimmberechtigt 492, Berliner Abgeordnete 22. Davon entfielen auf den SPD/FDP-Entwurf in Drucksache 7/1981 (neu) 233 Stimmen uneingeschränkt stimmberechtigter und 14 Stimmen Berliner Abgeordneter; für den Entwurf des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert und anderer in Drucksache 7/1982 haben 35 uneingeschränkt stimmberechtigte und 2 Berliner Abgeordnete gestimmt, für den Entwurf der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/1983 161 uneingeschränkt stimmberechtigte und 2 Berliner Abgeordnete, für den Entwurf des Abgeordneten Dr. Heck und anderer auf Drucksache 7/1984 (neu) 62 uneingeschränkt stimmberechtigte und 4 Berliner Abgeordnete. Keine Enthaltung, eine Nein-Stimme.
Namensliste
Von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachter Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG)

— Drucksachen 7/375, 7/1981 (neu)
SPD
Adams
Dr. Ahrens
Amling Anbuhl Dr. Apel
Arendt (Wattenscheid) Augstein
Baack Bäuerle Barche Bahr
Batz
Becker (Nienberge) Dr. Beermann Behrendt
Berkhan
Biermann
Blank
Dr. Böhme (Freiburg) Börner
Frau von Bothmer Brandt
Brandt (Grolsheim) Bredl
Brück Buchstaller
Büchler (Hof)

Büchner (Speyer)

Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Conradi Coppik Dr. Corterier
Frau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi Eckerland
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Frau Eilers (Bielefeld) Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm
Esters Ewen Fellermaier
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Franke (Hannover)

Frehsee Friedrich Gansel
Geiger
Gerstl (Passau)

Gertzen Dr. Geßner Glombig Dr. Glotz Gnädinger Grobecker Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase (Fürth)

Haase (Kellinghusen) Hansen
Hauck
Dr. Hauff Henke
Hermsdorf Herold
Höhmann Hofmann Dr. Holtz Horn
Huonker Immer
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans Junker
Kahn-Ackermann
Kater
Kern
Koblitz
Konrad
Kratz
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Lambinus Lange
Lattmann
Dr. Lauritzen
Lenders



Präsident Frau Renger
Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Löbbert
Lutz
Mahne
Marquardt Marschall Frau Meermann
Dr. Meinecke (Hamburg) Meinicke (Oberhausen) Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller (Bayreuth)

Müller (Nordenham)

Müller (Schweinfurt)

Nagel
Neumann Dr.-Ing. Oetting
Offergeld Frau Dr. Orth
Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner Pensky
Polkehn
Rappe (Hildesheim)

Ravens
Reiser
Frau Renger
Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Rohde
Rosenthal Saxowski Dr. Schachtschabel
Schäfer (Appenweier)

Dr. Schäfer (Tübingen) Scheffler
Frau Schimschok
Schinzel Schirmer Schlaga
Schluckebier
Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Würgendorf)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schonhofen Schreiber Schulte (Unna)

Schwabe
Dr. Schwencke
Seefeld
Seibert
Simpfendörfer
Dr. Slotta Dr. Sperling
Spillecke
Staak (Hamburg)

Stahl (Kempen)

Suck
Sund
Frau Dr. Timm
Tönjes
Urbaniak Vahlberg Vit
Vogelsang Walkhoff Waltemathe
Walther
Dr. Weber (Köln)

Wehner Wende
Westphal Dr. Wichert
Wiefel Wienand
Wischnewski
Dr. de With
Wittmann (Straubing) Wolf
Wolfram
Wrede Würtz Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Dübber
Egert
Frau Grützmann Heyen
Löffler Mattick
Dr. Schellenberg
Frau Schlei
Schwedler
Wurche
CDU/CSU
Sick
Berliner Abgeordnete
Frau Berger (Berlin) Dr. Schulz (Berlin)
FDP
Dr. Achenbach
Dr. Bangemann
Baum
Dr. Böger
Christ Engelhard
Frau Funcke
Gallus Geldner
Genscher
Graaff Groß
Grüner
Dr. Hirsch
Hölscher
Hoffie Jung
Kirst
Kleinert
Krall
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Frau Lüdemann
Dr. h. c. Maihofer Mertes (Stuttgart) Mischnick
Möllemann
Moersch
Opitz Ronneburger
Scheel
Schmidt (Kempten) von Schoeler
Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Vohrer
Dr. Wendig
Wurbs Zywietz
Berliner Abgeordneter Hoppe
Von den Abgeordneten Dr. Müller-Emmert, Dürr, Dr. Bardens und Genossen eingebrachter Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG)

— Drucksachen 7/443, 7/1982 —
SPD
Ahlers
Dr. Bardens
Dürr
Dr. Eppler
Dr. Farthmann Fiebig
Gerlach (Emsland) Haehser
Halfmeier
Frau Huber
Jahn (Marburg) Kaffka
Lautenschlager Leber
Lemp
Matthöfer
Metzger
Müller (Mülheim) Dr. Müller-Emmert Dr. Nölling Porzner
Rapp (Göppingen) Sander
Scheu
Schmidt (Wattenscheid) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schweitzer
Simon
Dr. Stienen
Dr. Vogel (München)

Wendt
Dr. Wernitz
Wilhelm
Wüster
Berliner Abgeordneter Sieglerschmidt
CDU/CSU
Berliner Abgeordneter Wohlrabe
FDP
Ollesch
Von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachter Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG)

— Drucksachen 7/554, 7/1983 —
CDU/CSU
Dr. Abelein Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Arnold
Dr. Artzinger Baier
Dr. Barzel
Dr. Becher (Pullach)

Frau Benedix Benz
Bewerunge Biehle
Dr. Dr. h. c. Birrenbach
Dr. von Bismarck Blumenfeld
Böhm (Melsungen)

Braun
Bremer
Burger
Dr. Carstens (Fehmarn) Damm
van Delden Dr. Dollinger Dr. Dregger Dreyer
Eigen
Eilers (Wilhelmshaven) Engelsberger
Entrup
Dr. Erhard
Erhard (Bad Schwalbach) Dr. Evers
Ey
Dr. Eyrich
Ferrang
Freiherr von Fircks
Franke (Osnabrück)

Dr. Franz
Dr. Frerichs Dr. Früh
Gerlach (Obernau)

Gerster (Mainz)

Gewandt Gierenstein Dr. Gölter Dr. Götz
Dr. Gruhl Haase (Kassel)

Dr. Häfele Härzschel von Hassel
Hauser (BN-Bad Godesberg) Hauser (Krefeld)
Dr. Hauser (Sasbach) Höcherl
Hösl
Horstmeier Frau Hürland
Dr. Hupka Hussing
Jäger (Wangen)

Dr. Jahn (Braunschweig)

Dr. Jenninger
Dr. Kempfler
Kiechle
Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Dr. Klein (Göttingen)

Dr. Köhler (Wolfsburg)

Dr. Kraske Dr. Kreile Kroll-Schlüter
Freiherr
von Kühlmann-Stumm Lagershausen
Lampersbach
Lemmrich Lenzer



Präsident Frau Renger
Dr. Luda
Lücker
Dr. Mende Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Möller (Lübeck)

Dr. Müller (München)

Dr. Müller-Hermann Mursch (Soltau-Harburg) Dr. Narjes
Frau Dr. Neumeister
Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Orgaß
Pfeifer
Picard
Pieroth
Pohlmann Dr. Prassler Rainer
Rawe
Reddemann
Frau Dr. Riede (Oeffingen) Dr. Riedl (München)
Dr. Ritgen Dr. Ritz
Rollmann Roser
Sauer (Salzgitter)

Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble
Schedl
Schmidhuber
Schmitt (Lockweiler) Schmöle
Dr. Schneider
Frau Schroeder (Detmold) Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte (Schwäbisch Gmünd Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger
Springorum
Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen)

Dr. Starke (Franken)

Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen Strauß
Stücklen
Susset
Thürk
Tillmann
Frau Tübler Vehar
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Dr. Waffenschmidt
Wagner (Günzburg)

Dr. Wagner (Trier)

Dr. Waigel
Dr. Wallmann Frau Dr. Walz Dr. Warnke Wawrzik
Weber (Heidelberg)

Dr. Freiherr von Weizsäcker Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld Wissebach
Dr. Wittmann (München)

Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf Baron von Wrangel
Dr. Zeitel
Zeyer
Ziegler
D. Zimmermann Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Kunz (Berlin) Straßmeir
Von den Abgeordneten Dr. Heck, Köster, Dr. Unland, Dr. Becker (Mönchengladbach), Dr. Blüm, Dr. Jahn (Münster), Nordlohne, Carstens (Emstek) und Genossen eingebrachter Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG)
— Drucksachen 7/561, 7/1984 (neu)
CDU/CSU
Dr. Aigner
Dr. Althammer
Dr. Becker (Mönchengladbach) Berger
Biechele Dr. Blüm
von Bockelberg Breidbach Bremm
Dr. Burgbacher Carstens (Emstek) Dr. Czaja
Ernesti
Dr. Fuchs Geisenhofer
Dr. Hammans Handlos
Dr. Heck
Dr. Hornhues
Dr. Jaeger
Dr. Jahn (Münster)

Dr. Jobst Josten
Katzer
Dr. Klein (Stolberg) Dr. Klepsch
Dr. Kliesing
Dr. Köhler (Duisburg) Köster
Krampe
Dr. Kunz (Weiden) Leicht
Dr. Lenz (Bergstraße) Link
Löher
Dr. Marx Maucher Memmel
Dr. Mertes (Gerolstein) Müller (Remscheid) Nordlohne
Pfeffermann
Dr. Probst Röhner Rommerskirchen
Russe
Sauter (Epfendorf) Frau Schleicher Schmitz (Baesweiler) Dr. Schulze-Vorberg Dr. Schwörer
Solke
Frau Stommel
de Terra
Dr. Todenhöfer
Dr. Unland
Vogt
Volmer
Werner
Windelen Dr. Wulff Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Dr. Gradl
Müller (Berlin) Frau Pieser
Ablehnung aller Entwürfe FDP
Ertl
Nach dem Ergebnis der namentlichen Abstimmung hat keiner der Gesetzentwürfe die absolute Mehrheit von 249 Stimmen erreicht. Es muß daher eine Stichentscheidung zwischen den beiden Gesetzentwürfen mit den höchsten Stimmenzahlen stattfinden; das sind die Gesetzentwürfe Drucksachen 7/1981 (neu) und 7/1983.
Wir unterbrechen nach einer interfraktionellen Vereinbarung für Sitzungen der Fraktionen die Sitzung bis 24 Uhr.

(Unterbrechung von 23.17 bis 0.13 Uhr.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0709542300
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir kommen jetzt zur Stichentscheidung zwischen den beiden Gesetzentwürfen auf den Drucksachen 7/1981 (neu) und 7/1983. Hierzu darf ich noch auf folgendes hinweisen. Die Abstimmung wird wiederum als namentliche Abstimmung mit Stimmzetteln durchgeführt. Aus diesem Grunde sind orangefarbene Stimmzettel in Ihre Pulte eingelegt; würden Sie bitte nachschauen, ob jeder einen Stimmzettel hat. —Der Stimmzettel ist selbstverständlich mit dem jeweiligen Namen versehen. Die Abgabe der Stimmzettel erfolgt wiederum nach Namensaufruf durch die Schriftführer. Die Namen werden wieder in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen. Auch bei dieser Abstimmung hat jeder Abgeordnete nur eine Stimme, die er durch Ankreuzen eines der drei Kreise abgeben kann. Stimmenthaltung wird dadurch zum Ausdruck gebracht, daß der Stimmzettel ohne Ankreuzung abgegeben wird. Werden mehr als ein Kreis angekreuzt oder werden sonstige Zusätze oder Zeichen gemacht, ist die Stimme ungültig.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie nun bitten, die auf Ihren Namen lautenden orangefarbenen Stimmzettel anzukreuzen und sich nach Aufruf Ihres Namens zu den beiden Urnen — einer großen und einer kleineren für die Berliner Abgeordneten — zu begeben. Wer keinen Stimmzettel hat, der melde sich.
Ich bitte die Herren Schriftführer, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Namensaufruf.)

Meine Damen und Herren, haben alle ihre Stimmzettel abgegeben? — Dann schließe ich hiermit die



Präsident Frau Renger
Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen.
Wir unterbrechen die Sitzung.

(Unterbrechung der Sitzung: 0.53 Uhr bis 1.05 Uhr.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0709542400
Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich darf, nachdem wir in dem neuen Tag schon ein Stück vorangekommen sind, zunächst die Gelegenheit benutzen, dem Kollegen Dr. Alex Möller sehr herzliche Glückwünsche zum Geburtstag auszusprechen.

(Beifall. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich weiß. Aber es gibt ein Reglement des Hauses hinsichtlich der Geburtstage, ab wann sie zu erwähnen sind. Daran muß ich mich auch morgens um 1.00 Uhr halten, nicht nur um 9.00 Uhr. Aber ich kann das in dieser Stunde ausnahmsweise tun. Der Kollege Scheu hat heute auch Geburtstag; ich will das nicht verschweigen.

(Beifall.)

Wenn ich das richtig sehe, haben wir noch ein weiteres Geburtstagskind. Ich sehe Blumen: Frau Kollegin Verhülsdonk, herzliche Glückwünsche zum Geburtstag!

(Beifall.)

Gnädige Frau, Sie sehen, Sie haben in dieser späten Stunde noch den Beifall des ganzen Hauses erhalten. Das ist Ihnen in den letzten Tagen nicht gelungen.
Ich komme nunmehr zur Bekanntgabe des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung. Insgesamt haben sich 492 stimmberechtigte Abgeordnete an der Abstimmung beteiligt und 22 Berliner Abgeordnete. Davon haben für den Antrag der SPD/FDP-Fraktion auf Drucksache 7/1981 (neu) 245 Kollegen und 14 Berliner gestimmt. Für den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/1983 haben 219 Kollegen und 6 Berliner Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 15 und 1 Berliner Abgeordneter gestimmt. Enthalten haben sich 13 und 1 Berliner Abgeordneter.
Namensliste
Von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachter Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG)

— Drucksachen 7/375, 7/1981 (neu)
SPD
Adams
Dr. Ahrens
Amling Anbuhl Dr. Apel
Arendt (Wattenscheid) Augstein (Hattingen) Baack
Bäuerle
Barche Bahr
Batz
Becker (Nienberge) Dr. Beermann Behrendt
Berkhan Biermann
Blank
Dr. Böhme (Freiburg) Börner
Frau von Bothmer Brandt
Brandt (Grolsheim) Bredl
Brück
Buchstaller
Büchler (Hof) Büchner (Speyer)
Dr. von Bülow Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Conradi Coppik Dr. Corterier
Frau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi Eckerland
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Frau Eilers (Bielefeld) Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Engholm
Dr. Eppler
Esters Ewen
Fellermaier
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke Franke (Hannover) Frehsee
Friedrich
Gansel Geiger
Gerstl (Passau) Gertzen
Dr. Geßner
Glombig
Dr. Glotz
Gnädinger
Grobecker Grunenberg
Dr. Haack
Haar
Haase (Fürth)

Haase (Kellinghusen) Halfmeier
Hansen Hauck Dr. Hauff
Henke Hermsdorf
Herold Höhmann
Hofmann
Dr. Holtz
Horn
Frau Huber
Huonker
Immer Jaschke Jaunich Dr. Jens
Junghans
Junker Kaffka
Kahn-Ackermann Kater
Kern
Koblitz Konrad Kratz
Dr. Kreutzmann Krockert
Kulawig
Lambinus
Lange Lattmann
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Lenders
Frau Dr. Lepsius
Liedtke Löbbert Lutz
Mahne Marquardt
Marschall
Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke (Hamburg) Meinicke (Oberhausen) Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller (Bayreuth)

Müller (Mülheim)

Müller (Nordenham)

Müller (Schweinfurt)

Nagel
Neumann
Dr.-Ing. Oetting
Offergeld
Frau Dr. Orth
Freiherr
Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Dr. Penner
Pensky Polkehn Porzner Rapp (Göppingen)

Rappe (Hildesheim)

Ravens Reiser Frau Renger
Reuschenbach
Richter
Frau Dr. Riedel-Martiny Rohde
Rosenthal
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel
Schäfer (Appenweier)

Dr. Schäfer (Tübingen) Scheffler
Frau Schimschok
Schinzel Schirmer
Schlaga Schluckebier
Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg)
Schmidt (München)

Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schonhofen
Schreiber
Schulte (Unna)

Schwabe
Dr. Schwencke
Seefeld Seibert Simon Simpfendörfer
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Staak (Hamburg)

Stahl (Kempen)

Suck
Sund
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vahlberg
Vit
Vogelsang



Dr. Schmitt-Vockenhausen Walkhoff
Waltemathe
Walther
Dr. Weber (Köln)

Wehner Wende Westphal.
Dr. Wichert
Wiefel Wienand
Wischnewski
Dr. de With
Wittmann (Straubing) Wolf
Wolfram
Wrede Würtz Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Dübber
Egert
Frau Grützmann
Heyen
Löffler
Mattick
Dr. Schellenberg
Frau Schlei
Schwedler
Wurche
CDU/CSU
Sick
Berliner Abgeordnete
Frau Berger (Berlin) Dr. Schulz (Berlin)
FDP
Dr. Achenbach
Dr. Bangemann
Baum
Dr. Böger
Christ Engelhard
Frau Funcke
Gallus Geldner
Genscher
Graaff Groß
Grüner
Dr. Hirsch
Hölscher
Hoffie Jung
Kirst
Kleinert
Krall
Dr. Graf Lambsdorff Logemann
Frau Lüdemann
Dr. h. c. Maihofer
Mertes (Stuttgart) Mischnick
Möllemann
Moersch
Opitz Ronneburger
Scheel
Schmidt (Kempten)

von Schoeler
Frau Schuchardt Spitzmüller
Dr. Vohrer
Dr. Wendig
Wurbs Zywietz
Berliner Abgeordneter Hoppe
Von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachter Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG)

— Drucksachen 7/554, 7/1983 —
CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner
Alber
von Alten-Nordheim Dr. Althammer
Dr. Arnold
Dr. Artzinger Baier
Dr. Barzel
Dr. Becher (Pullach) Dr. Becker

(Mönchengladbach) Frau Benedix

Benz
Berger
Bewerunge
Biechele
Biehle
Dr. Dr. h. c. Birrenbach Dr. von Bismarck
Dr. Blüm
Blumenfeld
von Bockelberg Böhm (Melsungen) Braun
Breidbach
Bremer Bremm Dr. Burgbacher
Burger
Carstens (Emstek)

Dr. Carstens (Fehmarn) Damm
van Delden
Dr. Dollinger
Dr. Dregger
Dreyer Eigen
Eilers (Wilhelmshaven) Engelsberger
Entrup
Dr. Erhard
Erhard (Bad Schwalbach) Ernesti
Dr. Evers
Ey
Dr. Eyrich
Ferrang
Freiherr von Fircks Franke (Osnabrück)

Dr. Franz
Dr. Frerichs
Dr. t ruh Dr. Fuchs Geisenhofer
Gerlach (Obernau)

Gerster (Mainz)

Gewandt Gierenstein
Dr. Gölter Dr. Götz Dr. Gruhl Haase (Kassel)

Dr. Häfele Härzschel Dr. Hammans
Handlos von Hassel
Hauser (BN-Bad Godesberg Hauser (Krefeld)

Dr. Hauser (Sasbach)

Dr. Heck Höcherl Hösl
Dr. Hornhues
Horstmeier
Frau Hürland
Dr. Hupka
Hussing Dr. Jaeger
Jäger (Wangen)

Dr. Jahn (Braunschweig) Dr. Jahn (Münster)
Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Katzer
Dr. Kempfler
Kiechle Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Dr. Klein (Göttingen)

Dr. Klein (Stolberg)

Dr. Klepsch
Dr. Kliesing
Dr. Köhler (Duisburg)

Dr. Köhler (Wolfsburg) Köster
Krampe
Dr. Kraske
Dr. Kreile Kroll-Schlüter
Freiherr
von Kühlmann-Stumm Lagershausen
Lampersbach
Leicht
Lemmrich
Dr. Lenz (Bergstraße) Lenzer
Link
Löher
Dr. Luda Lücker
Dr. Martin
Dr. Marx Maucher Memmel Dr. Mende
Dr. Mertes (Gerolstein) Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner
Milz
Möller (Lübeck)

Dr. Müller (München) Müller (Remscheid)
Dr. Müller-Hermann Mursch (Soltau-Harburg) Dr. Narjes
Frau Dr. Neumeister Niegel
Nordlohne
Dr.-Ing. Oldenstädt
Orgaß Pfeifer Picard Pieroth Pohlmann
Dr. Prassler
Dr. Probst
Rainer Rawe Reddemann
Frau Dr. Riede (Oeffingen) Dr. Riedl (München)
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Röhner Rollmann
Rommerskirchen
Roser Russe Sauer (Salzgitter)

Sauter (Epfendorf)

Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble
Schedl
Frau Schleicher Schmidhuber
Schmitt (Lockweiler)

Schmitz (Baesweiler) Schmöle
Dr. Schneider
Frau Schroeder (Detmold)

Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte (Schwäbisch Gmünd) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Seiters Solke Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger
Springorum
Dr. Sprung
Dr. Stark (Nürtingen)

Dr. Starke (Franken)

Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Frau Stommel
Strauß Stücklen
Susset
de Terra
Thürk Tillmann
Dr. Todenhöfer
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt
Dr. Waffenschmidt
Wagner (Günzburg)

Dr. Wagner (Trier)

Dr. Waigel
Dr. Wallmann
Frau Dr. Walz
Dr. Warnke
Wawrzik
Weber (Heidelberg)

Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Windelen
Wissebach
Dr. Wittmann (München)

Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf



Dr. Schmitt-Vockenhausen Baron von Wrangel
Dr. Wulff
Dr. Zeitel
Zeyer
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Zoglmann
Ablehnung beider Entwürfe
SPD
Fiebig
Gerlach (Emsland)

Leber Lemp Metzger
Dr. Müller-Emmert
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Stienen
Wilhelm
Berliner Abgeordnete
Dr. Gradl Kunz (Berlin)

Müller (Berlin)

Frau Pieser Straßmeir Wohlrabe
CDU/CSU
Dr. Czaja
Dr. Kunz (Weiden) Pfeffermann
Volmer
Berliner Abgeordneter Amrehn
FDP
Ertl Ollesch
Enthalten gegenüber beiden Entwürfen
SPD
Ahlers
Dr. Bardens Dürr
Dr. Farthmann Haehser
Jahn (Marburg) Dr. Nölling Scheu
Dr. Schweitzer
Dr. Vogel (München) Wendt
Dr. Wernitz
Wüster
Berliner Abgeordneter Sieglerschmidt
Meine Damen und Herren, damit hat nach dieser Stichentscheidung der Gesetzentwurf auf Drucksache 7/1981 (neu) die meisten Stimmen erhalten. Er bildet die Grundlage der heutigen dritten Beratung. Die anderen drei Gesetzentwürfe sind damit in zweiter Beratung abgelehnt.
Wir stehen am Ende der heutigen Beratungen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf den heutigen Tag, den 26. April 1974, 9.00 Uhr ein.
Ich schließe die Sitzung.