Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich bitte um wenige Minuten Geduld. Anscheinend ist der Minister im Verkehr steckengeblieben.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden:Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes
zu dem Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechtszu dem Gesetz zur Reform des Vermögensteuerrechts und zur Änderung anderer Steuergesetze
— Drucksache 7/1799 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Becker
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Konkursausfallgeld
— Drucksache 7/1750 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung , Ausschuß für Wirtschaft, RechtsausschußBeratung des Antrags der Abgeordneten Müller , Katzer, Dr. Blüm, Russe, Franke (Osnabrück), Härzschel, Burger, Mick, Schröder (Detmold), Orgaß, Dr. Götz, Ziegler, Zink und der Fraktion der CDU/CSU betr. Fernsehübertragungen der kommenden Fußballweltmeisterschaften— Drucksache 7/1725 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sportausschuß— Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Bericht der Bundesregierung zum Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1974 bis 1977— Drucksache 7/1538 —zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , HaushaltsausschußEmpfehlungen und Entschließungen der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates vom 21. bis 25. Januar 1974 in Straßburg— Drucksache 7/1701 —zuständig: Auswärtiger AusschußBetr.: Verbilligte Veräußerung von bundeseigenen GrundstückenBezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 1. März 1972 — Drucksache 7/1706 —zuständig: Haushaltsausschuß , Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und StädtebauBericht des Europäischen Parlaments über die Entschließung zur derzeitigen Lage der Gemeinschaft— Drucksache 7,1749 —zuständig: Auswärtiger AusschußBetr.: Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik Bezug: § 21 Abs. 2 des Gesetzes über eine Bundesstatistik für das Hochschulwesen— Drucksache 7/1751 —zuständig: Ausschuß für Bildung und WissenschaftBetr.: Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 08 06 Tit. 831 02
Bezug: § 37 Abs. 4 der Bundeshaushaltsverordnung— Drucksache 7'1746 —zuständig: Haushaltsausschuß— Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vorm 12. März 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Gölter, Frau Benedix, Dr. Fuchs, Hauser , Dr. Hornhues, Frau Hürland, Hussing, Dr.-Ing. Oldenstädt, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU,' CSU betr. Erarbeitung von Ausbildungsordnungen im Rahmen der Reform der beruflichen Bildung — Drucksache 7/1717 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1802 verteilt.Überweisung von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnungen des Rates zur Festsetzung des Beginns des Wirtschaftsjahres 1974/75 für Rindfleisch und zur Festsetzung des Beginns des Milchwirtschaftsjahres 1974/75— Drucksache 7/1727 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1388/70 über die Grundregeln für die Klassifizierung der Rebsorten— Drucksache 7/1728 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung (EWG) Nr. 2142/70 bezüglich der Einfuhrregelung für Karpfen und Forellen— Drucksache 7/1729 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
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5478 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Präsident Frau RengerVerordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte raffinierte Erdölerzeugnisse— Drucksache 7/1745 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur zeitweiligen und teilweisen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für frische Süßorangen der Tarifstelle ex 08.02 A Ia) sowie für Pampelmusen und Grapefruits der Tarifstelle 08.02 D— Drucksache 7/1755 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte ein Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Ergänzung der Liste der Waren, die Gegenstand von Maßnahmen privater Lagerhaltung im Rindfleischsektor sein können— Drucksache 7/1756 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1968/73 und EWG Nr. 2737/73 zur Festlegung der im Falle von Störungen auf dem Getreidesektor bzw. auf dem Reissektor anzuwendenden Grundregeln— Drucksache 7:1757 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Begrenzung des Schwefelgehaltes bestimmter flüssiger Brennstoffe— Drucksache 7'1758 -überwiesen an den Innenausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnungen des Rates zur Festsetzung der einheitlichen Interventionspreise für Gerste, Roggen, Hartweizen und Mais sowie der wichtigsten Handelsplätze für Weichweizen und zur Festsetzung der entsprechenden abgeleiteten Interventionspreise für das Wirtschaftsjahr 1974/75 und zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zu den Preisen für Getreide und Mehl, Grütze und Grieß von Weizen oder Roggen für das Wirtschaftsjahr 1974/75— Drucksache 7/1764 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Einführung eines Genehmigungsverfahrens für die Einfuhr von Baumwollgarnen aus dritten Ländern in das Vereinigte Königreich— Drucksache 7/1772 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Einführung einer Genehmigungspflicht für die Einfuhr von Tonbandgeräten nach Italien mit Herkunft aus Taiwan— Drucksache 7/1771 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatÜberweisung einer ZollvorlageDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:Aufhebbare verkündete Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 7/1759 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig dem Plenum am 19. Juni 1971Ich rufe Punkt 5 der heutigen Tagesordnung auf:Beratung des Agrarberichts 1974 der Bundesregierung — Drucksachen 7/1650, 7/1651, 7/1652 —Das Wort hat der Herr Bundesminister Ertl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie in jedem Jahr gibt mir die Einbringung des Agrarberichts die Gelegenheit, über die Lage und die voraussichtliche Entwicklung unserer Landwirtschaft zu berichten. Zugleich kann ich diesem Hohen Hause die Ziele und die Schwerpunktaufgaben darlegen, die sich die Bundesregierung in der Agrar- und Ernährungspolitik setzt.Ich tue dies in diesem Jahr zu einem Zeitpunkt, wo dies wirtschaftlich und politisch von besonderer Bedeutung ist. Denn auf der einen Seite ist die Landwirtschaft durch die Situation im Energiebereich besonderen Belastungen ausgesetzt. Das gilt weltweit und wird sich möglicherweise auch langfristig auf die gesamte Agrarproduktion auswirken. Auf der anderen Seite strahlen auf die Landwirtschaft als den am meisten integrierten Bereich in der Europäischen Gemeinschaft die derzeitigen Schwierigkeiten der Integrationspolitik aus. Hinzu kommt, daß die Weltagrarmärkte noch nie so labil waren wie jetzt.Diese besonderen Gegebenheiten machen es erforderlich, daß wir an die Beurteilung der Lage mit einem hohen Maß an Sachlichkeit herangehen und uns dabei der großen Verantwortung der Stunde voll bewußt werden. Lippenbekenntnisse zu Europa zählen in diesen Tagen nicht mehr. Es zählen wohl nur politische Einsicht und der Wille zur Tat.Wenn man nüchtern Bilanz zieht, so ist das Ergebnis der bisherigen europäischen Politik dank Zollunion und gemeinsamem Agrarmarkt viel positiver, als es dem oberflächlichen Betrachter auf Anhieb erscheinen mag: ein bei aller Unterschiedlichkeit der wirtschaftspolitischen Gegebenheiten in den einzelnen Partnerländern noch vor einem Jahrzehnt kaum erträumtes Maß an gemeinsamem Wohlstand und sozialem Fortschritt. Dabei soll nicht verkannt werden, daß der gemeinsame Agrarmarkt durch Währungsveränderungen, durch einzelstaatliche Maßnahmen — sei es Preisstopp oder Eingriffe in das Marktgeschehen — in seiner Funktionsfähigkeit zunehmend erheblich beeinträchtigt wird. Die fehlende Harmonisierung im Bereich der Wirtschaft und Währung bringt von Tag zu Tag neue Schwierigkeiten. Die Energiekrise hat sicherlich die Wettbewerbsverhältnisse zusätzlich besorgniserregend verändert.Wer aber dennoch heute den gemeinsamen Agrarmarkt in Frage stellt, stellt möglicherweise auch die Zollunion auf dem wirtschaftlichen und gewerblichen Sektor und damit die Zusammenarbeit in Europa in Frage. Die Enttäuschungen der Vergangenheit wie auch die Schwierigkeiten des Augenblicks dürfen uns nicht in unserer Überzeugung beirren, daß nur die Fortentwicklung einer gemeinsamen Politik in Europa für Europa uns allen letzten Endes Unabhängigkeit und Freiheit sichert.Angesichts der innenpolitischen Probleme in einigen Partnerländern sind Aufgabe und Verantwortung der Ratsmacht Deutschland heute größer denn je.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5479
Bundesminister ErtlIn einigen Tagen stehen insbesondere bei derVerhandlungen über die Neufestsetzung der Agrarpreise in Brüssel wichtige Entscheidungen an, derenweiterer Aufschub nur als Beweis für die Handlungsunfähigkeit Europas gedeutet werden könnte Insoweit bedarf der deutsche Landwirtschaftsmini ster und derzeitige Präsident des EG-Agrarministerrats der geschlossenen Unterstützung nicht nur des Parlaments, sondern darüber hinaus unserer ganzen Bevölkerung.Lassen Sie mich jetzt auf den Agrarbericht und zunächst auf seine grundsätzliche Bedeutung eingehen. Der Agrarbericht, zu dessen Vorlage die Bundesregierung auf Grund des Landwirtschaftsgesetzes verpflichtet ist, hat die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft auszuweisen, die Einkommenssituation zu analysieren und Schlußfolgerungen für die weiteren Schwerpunktaufgaben in der Agrarpolitik aufzuzeigen. Er gibt eine Darstellung der Ist-Situation und versucht, unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung vorliegenden wirtschaftlichen Rahmendaten eine Projektion der Entwicklung in der Landwirtschaft zu geben. Darüber hinaus gibt er einen Überblick über die Ergebnisse der Agrar- und Ernährungspolitik in den verschiedenen Bereichen und stellt damit die Grundlage für künftige politische Entscheidungen dar.Diese gründliche Analyse der Situation kann man nicht einfach vom Tisch kehren, indem man sagt, in den letzten Wochen habe sich die Situation verändert und der Agrarbericht habe dadurch nur „historischen" Wert. Schlimmer noch: Es wurde verschiedentlich sogar behauptet, im Agrarbericht 1974 werde die tatsächliche Einkommenssituation der Landwirtschaft nicht wirklichkeitsnah wiedergegeben. Einige sind sogar so weit gegangen, uns zu unterstellen, daß dem Agrarbericht vorsätzlich falsche Zahlen zugrunde gelegt worden wären.
Ich muß mich mit aller Entschiedenheit dagegen verwahren, wenn der Bundesregierung hier Irreführung der Öffentlichkeit oder gar Manipulation vorgeworfen wird.
Wer solches tut, setzt sich im übrigen über die Tatsache hinweg, daß die Auswahl der Testbetriebe und die Methode der Einkommensermittlung in enger Zusammenarbeit mit dem Berufsstand und der Wissenschaft erfolgen. Zweifellos muß die neueste Entwicklung in der politischen Landschaft diskutiert werden. Dies bedeutet aber nicht, daß man sich über die Aussagen des Agrarberichts einfach hinwegsetzen kann.An dieser Stelle habe ich Veranlassung, nach zwei Seiten Dank und Anerkennung auszusprechen: einmal den Mitarbeitern meines Hauses, die auch diesen in Form und Aussage weiter verbesserten Agrarbericht 1974 wieder mit viel Fleiß und großer Gewissenhaftigkeit erstellt haben, und zum anderen allen Testbetrieben, die ihre Buchführungsergebnisse zur Verfügung gestellt und damit wiederum eine in Europa einzigartige Bestandsaufnahme ermöglicht haben.Nach diesen Vorbemerkungen will ich auf die Lage der Agrarwirtschaft eingehen, wie sie im Agrarbericht 1974 dargestellt ist.Für das Wirtschaftsjahr 1972/73 kann ich ein recht erfreuliches Ergebnis vorlegen. Das Reineinkommen je Arbeitskraft in der Landwirtschaft nahm 1972/73 gegenüber dem Vorjahr um 19,8 % auf 20 031 DM zu, wobei sich selbstverständlich von Betrieb zu Betrieb erhebliche Unterschiede ergeben. Im Durchschnitt der letzten vier Wirtschaftsjahre erhöhte sich das Reineinkommen jährlich um 13 %.Das Reineinkommen — lassen Sie mich das hier erläutern — ist der Betrag, der dem Unternehmer und seiner Familie als Entgelt für die Arbeitsleistung, den Einsatz des Eigenkapitals und die unternehmerische Tätigkeit zufließt. Das Reineinkommen steht nicht ausschließlich für den privaten Verbrauch zur Verfügung. Daraus muß auch das einzelbetriebliche Wachstum finanziert werden. Dies ist notwendig, damit die im landwirtschaftlichen Betrieb Tätigen auch künftig an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen können.Im Wirtschaftsjahr 1972/73 wurden Nettoinvestitionen in Höhe von 25 % des Reineinkommens getätigt. Diese sind überwiegend aus Eigenmitteln finanziert worden. Aus diesem Grunde ist ein Vergleich der Höhe des Reineinkommens in der Landwirtschaft mit dem Arbeitnehmereinkommen in der übrigen Wirtschaft außerordentlich problematisch. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die durchschnittliche Arbeitszeit in der Landwirtschaft erheblich höher liegt als in der übrigen Wirtschaft.Die positive Einkommensentwicklung im abgelaufenen Wirtschaftsjahr ist durch folgende Faktoren unterstützt worden: durch günstige Witterung und gute Ernteergebnisse, durch die Preisentwicklung auf wichtigen Weltmärkten und durch die — zum Teil zyklisch bedingten verhältnismäßig hohen Erzeugerpreise für tierische Veredlungsprodukte.Aber auch die Landwirte selbst haben ein weiteres Mal ihre Leistungs- und Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Durch die weitere Rationalisierung ihrer Betriebe haben sie die Möglichkeiten der Einkommensverbesserung über Kostensenkungen mit Erfolg genutzt. Gerade dies möchte ich vor diesem Hohen Hause einmal ausdrücklich hervorheben.Nicht zuletzt glaube ich aber feststellen zu können: Die günstige Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft in den letzten Jahren ist sicherlich zu einem wesentlichen Teil auch ein Erfolg der Agrarpolitik dieser Regierung.
Wie die Landwirte selbst ihre Lage unter dieser Regierung beurteilen, kommt 1972/73 insbesondere im kräftigen Anstieg der Nettoinvestitionen um rund 47 % gegenüber dem Vorjahr zum Ausdruck. Die günstige Eigenkapitalentwicklung zeigt, daß es im abgelaufenen Wirtschaftsjahr möglich war, ausreichend Rücklagen für ein zukunftsorientiertes Unternehmenswachstum zu bilden. Können und unter-
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5480 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundesminister Ertlnehmerische Initiative, die insbesondere auch bei unseren jungen Landwirten in ausreichendem Maße vorhanden sind, bieten nach meiner Auffassung auch in Zukunft die Gewähr dafür, daß die gut geführten Betriebe mit der allgemeinen Einkommensentwicklung Schritt halten werden.Gleichwohl führt uns der Agrarbericht auch vor Augen, daß es nicht allen Betrieben und allen Betriebsleitern gelingt, sich den rasch ändernden technischen und wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Ein deutlicher Beweis dafür ist, daß die Einkommensunterschiede auch innerhalb einheitlicher Betriebsgruppen vergleichbarer Größe und Standortbedingungen besonders groß sind. Hieran zeigt sich der überragende Einfluß der Betriebsleiterqualität auf den Wirtschaftserfolg. Zugleich wird aber auch die Richtigkeit unserer Politik bestätigt, die darauf abzielt, das Bildungs- und Beratungsangebot auf dem Lande fortlaufend zu verbessern und die einzelbetriebliche Entwicklung durch gezielte Maßnahmen zu fördern.Wo ungünstige strukturelle und natürliche Standortbedingungen die Ursache für eine unbefriedigende Einkommenslage sind, gewinnt die Einkommenskombination zunehmend an Bedeutung. Daß diese Möglichkeit auch von größeren Betrieben genutzt wird, können Sie dem Agrarbericht 1974 entnehmen. Aus der Einkommensanalyse III geht hervor, daß von den erfaßten Betrieben die Hälfte Einkünfte von mehr als 1000 DM aus nichtlandwirtschaftlichen Quellen erzielten. Im Durchschnitt aller Betriebe belief sich die Höhe der nichtlandwirtschaftlichen Einkünfte auf immerhin 4870 DM je Familie.Ich möchte hier jedoch darauf hinweisen, daß die nichtlandwirtschaftlichen Einkünfte nicht überbewertet werden dürfen. Einerseits bereitet die exakte Erfassung dieser Einkünfte noch statistische und methodische Schwierigkeiten. Zum andern bestehen gerade in Gebieten, die bereits auf Grund ihrer Marktferne und der teilweise ungünstigen natürlichen Standortvoraussetzungen benachteiligt sind, häufig keine Möglichkeiten zur Aufnahme einer außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage durch Einkommenskombination vielfach zu einer stärkeren Arbeitsbelastung — ganz besonders der Frauen — in den landwirtschaftlichen Betrieben führt.Der Agrarbericht gibt aber nicht nur Auskunft über die vergangene Entwicklung, sondern enthält auch eine Vorschätzung für 1973/74. Im laufenden Wirtschaftsjahr 1973/74 wird die Einkommensentwicklung — wie übrigens im Agrarbericht im einzelnen dargelegt — ungünstiger als im zurückliegenden Wirtschaftsjahr verlaufen. Die mengenmäßig guten Ernteergebnisse bei Getreide, Obst und Gemüse und das stark angestiegene Angebot an Schlachtrindern lassen zwar ein mengenmäßiges Ansteigen der Produktion erwarten; die Erzeugerpreise werden im laufenden Wirtschaftsjahr jedoch voraussichtlich erheblich weniger ansteigen als 1972/73. In den letzten Wochen hat sich der Anstieg der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise spürbar abgeflacht. Aufder anderen Seite erhöhten sich im laufenden Wirtschaftsjahr die Einkaufspreise für landwirtschaftliche Betriebsmittel beträchtlich, wozu vor allem der starke Preisauftrieb als Folge der Energieverknappung und -verteuerung sowie die weiterhin angespannte Lage auf den Märkten für Eiweißfuttermittel beitragen.Nach vorsichtiger Schätzung dürfte deshalb im Wirtschaftsjahr 1973/74 nur eine Verbesserung des Betriebseinkommens je Arbeitskraft von 6 bis höchstens 10 % zu erwarten sein, wobei von einer weiteren Verminderung der Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte um 4 % ausgegangen wird. Die Vorschätzung für die verschiedenen Betriebsformen zeigt, daß bei den Futterbaubetrieben möglicherweise mit einem Rückgang des Betriebseinkommens je Arbeitskraft gerechnet werden muß. Dies muß bei den noch laufenden Preisverhandlungen entsprechend berücksichtigt werden.Vielfach wird in der Öffentlichkeit die Meinung vertreten, die Agrarpolitik sei in den letzten zehn Jahren zu Lasten der Verbraucher gegangen. Diese Auffassung halte ich für falsch. Im Gegenteil, die Verbraucher sind mit der Agrarpolitik der Bundesregierung nicht schlecht gefahren.Das zeigt z. B. ein Blick über unsere Grenzen hinaus: Während in der Bundesrepublik 1973 der Anstieg der Nahrungsmittelpreise im Durchschnitt 7,6 % betrug, machte er z. B. in Frankreich 8,7 %, in Italien 12,1 % und in den USA 13,4 % aus; ich könnte diese Liste beliebig fortsetzen. Das zeigt sich aber auch darin, daß die Palette des Nahrungsmittelangebots ständig verbreitert worden ist und die Kaufkraft des Stundenlohnes der Industriearbeiter für die landwirtschaftlichen Produkte zugenommen hat. Während 1960 für den Bruttoverdienst einer Arbeitsstunde z. B. nur 412 g Butter oder 413 g Kotelett erworben werden konnten, waren es 1972 immerhin 923 g Butter oder 855 g Kotelett. Die Weltmarktpreise für Weizen, Mais, Futtergetreide und Zucker, die gegenwärtig weit über den EG-Preisen liegen, werden vielfach zum Anlaß genommen, eine stärkere Ausdehnung der eigenen Produktion zu fordern.Ich leite daraus für uns keinen Freibrief dafür ab, nunmehr eine nationale Autarkie anzustreben. Angesichts der derzeitigen Verknappungserscheinungen auf den Weltmärkten für wichtige Rohstoffe ist es aber notwendig, daß wir eine leistungsfähige Landwirtschaft erhalten und eine angemessene Vorratspolitik betreiben. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, daß es uns mit Hilfe des EG-Agrarmarktsystems gelungen ist, den EG-Binnenmarkt gegen die starken Weltmarktpreissteigerungen weitgehend abzusichern. Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft und vorausschauende Vorratspolitik bedeuten jedoch nicht, daß unsere Agrarpolitik nur Erzeuger- und Verbraucherinteressen Rechnung zu tragen hat; sie muß darüber hinaus auch die Notwendigkeiten des Weltagrarhandels berücksichtigen.Die deutsche und die gemeinschaftliche Agrarpolitik können nicht isoliert gesehen werden. Sie sind eingebettet in die weltweiten wirtschaftlichen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5481
Bundesminister Ertlund politischen Interdependenzen. Eine 'international abgestimmte Anpassung der Erzeuger an die Bedarfsentwicklung ist notwendig. Die Bundesregierung wird deshalb mit ihren Partnern innerhalb der Gemeinschaft im Rahmen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, abgekürzt FAO, und auf der für den Herbst 1974 von den Vereinten Nationen einberufenen Welternährungskonferenz ihre Bemühungen aktiv fortsetzen, wirksame Mittel und Wege zur besseren Sicherung der Welternährung zu suchen und so einen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilität in der Welt zu leisten.Aus der Analyse der Lage und der voraussichtlichen Entwicklung der Landwirtschaft ergeben sich eine Reihe von Schlußfolgerungen für ,die künftige Gestaltung der Agrarpolitik.Die jüngsten Entwicklungen im Welternährungssystem und im Energiebereich, aber auch die rückläufigen Wachstumsraten der Weltagrarproduktionen werden nicht ohne Rückwirkungen auf die Entwicklung der Landwirtschaft bleiben. Besondere Schwierigkeiten sind zu erwarten, wenn sich nicht nur kurzfristig, sondern auch auf längere Sicht eine merkliche Abschwächung des Wirtschaftswachstums einstellen sollte. Denn einmal müßte dann mit einer fühlbaren Abschwächung der Nachfrage nach hochwertigen Veredelungsprodukten gerechnet werden. Dies würde eine entsprechende Verminderung der Absatz- und damit auch Einkommensmöglichkeiten der Landwirtschaft bedeuten. Zum anderen müßte mit einer Verlangsamung des Strukturwandels in der Landwirtschaft gerechnet werden, weil ein geringeres und weniger sicheres Angebot an außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen zu erwarten wäre.Weder die Entwicklung auf den Weltmärkten noch die voraussichtlich längerfristige Entwicklung des Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik lassen sich aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit hinreichender Sicherheit überschauen. Aus diesem Grunde erscheint eine Änderung der agrar- und ernährungspolitischen Konzeption der Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig sinnvoll.Es ist aber wichtig, die weitere Entwicklung genau zu beobachten, um gegebenenfalls rechtzeitig geeignete Schritte einzuleiten.Besonderes Augenmerk wird vor allem der Markt- und Preispolitik zukommen müssen. Sie bleibt nach wie vor der Eckpfeiler der landwirtschaftlichen Einkommenspolitik. Diese Notwendigkeit ergibt sich insbesondere aus den zu erwartenden Kostensteigerungen bei landwirtschaftlichen Betriebsmitteln. Die Landwirtschaft wird von dem Preisanstieg bei Erdöl z. B. durch Verteuerung von Dieselkraftstoff, Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln stark betroffen. Dies werden wir bei den Preisverhandlungen in Brüssel gebührend zu berücksichtigen haben.Bei den Preisbeschlüssen wird aber den konjunktur- und verbraucherpolitischen Zielsetzungen genauso Rechnung zu tragen sein, wie dem Ziel einer Stabilisierung der Märkte.Es wird daher in den bevorstehenden Verhandlungen — wie ich hoffe, Ende nächster Woche — darauf ankommen, alle diese unterschiedlichen Vorstellungen zu einem fairen Kompromiß zusammenzufügen.Die Markt- und Preispolitik bedarf auch weiterhin vor allem der Ergänzung durch die Struktur- und Sozialpolitik. Diese Erkenntnis, meine Damen und Herren, hat ja die Bundesregierung veranlaßt, im Jahre 1970 das Einzelbetriebliche Förderungs- und soziale Ergänzungsprogramm zu verabschieden. Dieses Programm, das die Neuorientierung der Brüsseler Agrarstrukturpolitik maßgeblich beeinflußt hat, hat sich aller Kritik zum Trotz in der Vergangenheit grundsätzlich bewährt.Ehe ich hierauf weiter eingehe, erlauben Sie mir zunächst einige Worte zur Anwendung des Gemeinschaftsaufgabengesetzes, das immer wieder zu scharfen Vorwürfen gegen die Bundesregierung führt. Hierbei wird häufig verkannt, daß Entscheidungen im Rahmen des Gemeinschaftsaufgabengesetzes nur gemeinsam von Bund und Ländern getroffen werden können. Die Gemeinschaftsaufgabe ist kein Instrument des bloßen Geldverteilens, sie soll vielmehr die gemeinsame Verantwortung für eine Aufgaben- und Finanzplanung 'beinhalten. Diesen Weg möchte ich als Koordinator und Vermittler der verschiedenen Interessen mit den Ländern gehen. Genau das gilt auch für die Übernahme von EG-Maßnahmen in die Gemeinschaftsaufgabe. Hier gilt es vor allem, Finanzierungskompetenzen klarer zu definieren als bisher.Ich freue mich, daß ich mitteilen kann, daß das Einzelbetriebliche Förderungsprogramm von der Kommission als EG-konform anerkannt worden ist. Es geht dabei nicht nur darum, daß wir Erstattungen aus dem Gemeinschaftsfonds erhalten werden, und zwar als bisher einziger Mitgliedstaat, wichtig ist vor allem, daß unser Konzept richtig war und daß wir die Brüsseler Strukturrichtlinien bewußt in dieser Richtung beeinflußt haben. Allen Kritikern sei noch einmal versichert: Das Programm läuft, und es läuft, wie 'ich meine, sogar ganz gut. Wir werden es dennoch, wie bei der Einführung angekündigt, weiter ausbauen, insbesondere im Bereich der Hilfen für nichtentwicklungsfähige Betriebe. Wir müssen allerdings darauf achten, daß das ganze System strukturpolitisch sinnvoll und finanziell tragbar bleibt.Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch ein Wort zur Nebenerwerbslandwirtschaft. Die Erhaltung ihrer Funktionsfähigkeit liegt im unbestrittenen Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft. Auch den nebenberuflich bewirtschafteten Betrieben stehen heute alle agrarpolitischen Förderungsmaßnahmen offen mit gewissen Einschränkungen im Bereich der einzelbetrieblichen Investitionsförderung. In enger Zusammenarbeit mit den Ländern wird aber zu prüfen sein, inwieweit künftig auch dem einzelnen Nebenerwerbsbetrieb die arbeitswirtschaftliche Anpassung im Ausnahmefall erleichtert werden soll. Dabei kann es nur um Maßnahmen gehen, die im Rahmen des gewünschten Arbeitsteilungsprozesses in der Landwirtschaft der Betriebsvereinfachung und Arbeitsentlastung, ganz besonders der Entlastung der Land-
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Bundesminister Ertlfrau, dienen. Sie müssen dem gewünschten arbeitsteiligen Prozeß in der Landwirtschaft dienlich sein. Für den Agrarbericht 1975 wird die Bundesregierung erstmals über rund 1000 Buchführungsergebnisse nebenberuflich bewirtschafteter Testbetriebe verfügen. Mit Hilfe dieser Datengrundlage wird es möglich sein, die geplanten Maßnahmen gezielter einzusetzen.Obwohl der Bund im Rahmen seiner regionalpolitischen Maßnahmen versucht, die ungünstige Ausgangslage vieler Gebiete zu verbessern, lassen sich die Probleme der benachteiligten Gebiete damit häufig nicht lösen, weil z. B. selbst bei hohen Förderungsanreizen eine stärkere Industrialisierung vielfach auf Grenzen stößt. Vielfach sind auch unter dem Aspekt der Landschaftspflege besondere Maßnahmen erforderlich.Um den differenzierten natürlichen und wirtschaftlichen Bedingungen solcher benachteiligten Gebiete in der Förderung besser Rechnung zu tragen, haben wir uns deshalb Ende vergangenen Jahres in der Gemeinschaft über die Grundsätze einer besonderen Förderung von Berggebieten und benachteiligten Gebieten geeinigt. Die EG-Förderungsgrundsätze zeichnen sich — nicht zuletzt aufgrund der Bemühungen der deutschen Verhandlungsdelegation in Brüssel — durch eine relativ große Flexibilität aus. Diese ist erforderlich, um die Förderung auf die vielfach sehr problematischen und nicht gleichartigen Räume ausrichten zu können. Wir werden uns dafür einsetzen, daß die Richtlinie noch in diesem Jahr in Kraft tritt. Sollte sich die endgültige Verabschiedung verzögern, so ziehe ich in Erwägung, in der Bundesrepublik die Förderung .der Berggebiete und anderer benachteiligter Gebiete vorzuziehen.Bei der Ausgestaltung der nationalen Durchführungsbestimmungen für die Ausgleichszulage ist zu überlegen, ob für diesen Bereich nicht die Schaffung eines Bundesgeldleistungsgesetzes unter der Mitwirkung der Länder angestrebt werden sollte. Ohne stärkere Mitverantwortung des Bundes können wir auch nicht sinnvoll über Gebiete oder Änderungen der Ausgleichszulage in Brüssel verhandeln.Im Bereich der Umweltpolitik gilt es, nicht nur partiell Umweltschäden zu verhindern, sondern verstärkt ökologische Umweltplanung zu betreiben. Dazu bedarf die Landschaftsplanung einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Verankerung und einer methodischen Weiterentwicklung. Die Voraussetzung dafür ist die Verabschiedung des Gesetzentwurfs über Naturschutz und Landschaftspflege. Damit würde außerdem ein wirkungsvoller Schutz der Pflanzen- und Tierarten geschaffen. Große Anstrengungen für gemeinsame Umweltschutzregelungen sind auch in der Europäischen Gemeinschaft erforderlich. Nur so ist es möglich, den Umweltschutz effektiv zu gestalten und — das ist für die Agrarwirtschaft besonders wichtig — Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern.Was die deutsche Agrarpolitik angeht, so habe ich in der Zielstruktur meines Hauses die ökologischen Ziele gleichrangig neben die ökonomischen gestellt. Damit muß jede auf ein ökonomiches Ziel gerichtete Maßnahme auch hinsichtlich ihres ökologischen Zielbeitrags bewertet werden.Erlauben Sie mir nur einige Ausführungen zur Bodenpolitik. Wie Sie wissen, werden gegenwärtig Überlegungen zur Änderung des Bundesbaugesetzes angestellt, die darauf abzielen, ein neues Baubodenrecht zu schaffen. Ich möchte zu diesen Überlegungen nicht ausführlich Stellung nehmen. Da die bodenpolitische Ordnung jedoch auch für die ländlichen Gebiete von Bedeutung ist, darf ich zu diesem Thema aber doch einiges sagen.Die Agrarpolitik dieser Bundesregierung, die sich bei allen Überlegungen im Bereich der Bodenpolitik von dem im Grundgesetz verankerten Recht auf das Eigentum mit seiner Sozialpflichtigkeit leiten läßt, möchte in zweierlei Hinsicht zur Entspannung des Bodenmarktes in ländlichen Gebieten beitragen: Einerseits wird in meinem Hause der Entwurf eines Bodenbevorratungsgesetzes vorbereitet, in dessen Vollzug finanzielle Mittel für den Zwischenerwerb von Grundstücken eingesetzt werden, die sodann für alle Entwicklungszwecke im ländlichen Raum zur Verfügung stehen sollen. Zum anderen berät die Bundesregierung zur Zeit den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Flurbereinigungsgesetzes, mit dem u. a. angestrebt wird, daß die Flurbereinigung in Zukunft noch stärker als bisher dem Ausgleich aller landwirtschaftlichen und außerlandwirtschaftlichen Bodenansprüche im ländlichen Raum dient.Die Sozialpolitik ist ein weiterer Schwerpunkt unserer agrarpolitischen Bemühungen. Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung in diesem Bereich bewußt. Der ständige Ausbau des Versicherungsschutzes der Landwirte und ihrer Familien zeigt dies sehr deutlich. Mit dem am 1. Januar 1974 in Kraft getretenen Gesetz über die laufende Anpassung der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte ist ein neuer Meilenstein in der Agrarsozialpolitik gesetzt worden. Auch wenn 1972 mit Einführung der Krankenversicherung eine umfassende soziale Sicherung der Landwirte und ihrer Familien eingeleitet wurde, so ist die Agrarsozialpolitik doch noch nicht am Ende ihrer Entwicklung angelangt. Insbesondere bei der Alterssicherung der Landwirte sind noch strukturelle Verbesserungen notwendig, so z. B. die Einführung von Waisengeldern oder eine günstigere Regelung der Witwenversorgung. Aber auch das Ziel einer vom Betrieb unabhängigen Sicherung des Landwirts im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit ist weder in der Altershilfe noch in der Unfallversicherung erreicht.Das Hauptproblem der Weiterentwicklung der sozialen Sicherung liegt in der Finanzierung; denn der Aufbringung der erforderlichen Mittel allein durch Beiträge sind noch auf längere Zeit Grenzen gesetzt. Der aus dem Haushalt des Bundesernährungsministeriums bereitgestellte Zuschuß zu den agrarsozialen Maßnahmen betrug im Jahre 1973 bereits 1,8 Milliarden DM; er wird 1974 erstmalig die Zwei-Milliarden-Grenze überschreiten. Außerdem soll ein Teil der ursprünglich für den flächenbezogenen Aufwertungsausgleich, vorausgesetzt, daß das Parlament zustimmt, vorgesehenen Mittel in Höhe von 400 Millionen DM zur Minderung der Belastungen, die sich aus den gestiegenen Beiträgen zur sozialen Sicherung ergeben, verwendet werden. Über die
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5483
Bundesminister Ertlendgültige Verteilung der 400 Millionen DM wollten wir, wenn es sich zeitlich ermöglichen läßt, erst dann entscheiden, wenn die Preisverhandlungen in Brüssel für das Wirtschaftsjahr 1974/75 zu Ende geführt sind. Wir werden nächste Woche zu entscheiden haben, ob wir hier nun endgültig einen Vorschlag machen können.Um den engen Zusammenhängen zwischen Verbraucherinteressen und landwirtschaftlicher Erzeugung im vollen Umfang Rechnung tragen zu können, habe ich bei der Umorganisation meines Hauses im Frühjahr letzten Jahres eine neue Abteilung „Ernährungspolitik" geschaffen, in der nun erstmalig alle Angelegenheiten der agrarischen Erzeugung, des Veterinärwesens und der Verbraucher zusammengefaßt sind. Durch diese Regelung, die sich bereits heute gut bewährt hat, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß in einem fairen Interessenausgleich die Belange von Erzeugern und Verbrauchern gleichermaßen berücksichtigt werden. Eine solche ressortbezogene, in sich geschlossene Konzeption der Ernährungspolitik muß sich konsequenterweise in der Zuordnung der mit der Ernährungsinformation und -beratung befaßten Institutionen fortsetzen.Neue Produktionsmethoden, die Eingang in der Tierhaltung gefunden haben, stehen heute oft im Kreuzfeuer einer vielfach emotionsgeladenen und daher nicht immer sachlichen Kritik. Dabei ist es gerade diese Regierung gewesen, die mit an der Unterstützung aller Fraktionen die für den Durchbruch des Tierschutzgedankens erforderlichen legislativen Voraussetzungen geschaffen hat: erstens die Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch eine entsprechende Grundgesetzänderung; zweitens die Einbringung eines modernen Tierschutzgesetzes, das vom Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedet wurde. Durch zahlreiche zur Zeit laufende Forschungsvorhaben sollen immer noch fehlende wissenschaftliche und fachtechnische Grundlagen für künftige Durchführungsverordnungen zum neuen Tierschutzgesetz geschaffen werden. Dabei muß aber im Interesse der Landwirte der Aspekt der Harmonisierung im EG-Bereich besondere Beachtung finden.Lassen Sie mich nun noch einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Die Erfahrungen des vergangenen Jahres sollten uns allen deutlich vor Augen geführt haben, daß eine leistungs- und funktionsfähige Landwirtschaft ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist. Die Sicherung der Versorgung unserer Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisenist, wie die Entwicklung auf den Weltmärkten gezeigt hat, längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Zum anderen möchte ich die bedeutenden Leistungen der Landwirtschaft erwähnen, die mit dem traditionellen Maßstab des Sozialprodukts nicht erfaßt werden. Die Sicherung und Erhaltung der Kulturlandschaft als Nebenprodukt der Landbewirtschaftung ist mir eine davon. Sie ist, wie ich meine, immer noch die billigste Form der Pflege der Kulturlandschaft. Die Erhaltung eines freien Unternehmertuns und eines breit gestreuten Eigentums, wie es durch die heutige Struktur unserer Landwirtschaftgewährleistet ist, halte ich für eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Stabilität unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.Ziel unserer Politik ist und bleibt eine leistungsfähige Landwirtschaft mit dem Kern leistungsfähiger Vollerwerbsbetriebe, umgeben von dem ergänzenden Kranz der Nebenerwerbsbetriebe. Dort, wo die Einkommenskapazität der Betriebe zu gering ist, tragen wir dafür Sorge, daß den Landwirten die Chance zur Einkommenskombination eröffnet wird. Dabei helfen wir, daß sich die Betriebe zu gut organisierten Nebenerwerbsbetrieben entwickeln können.Noch nicht befriedigend gelöst sind die aktuellen Probleme im Bereich der Marktstrukturpolitik. Sowohl im Interesse der Verbraucher als auch unter dem Aspekt des ständig zunehmenden innergemeinschaftlichen Wettbewerbs sind hier weitere Fortschritte unerläßlich, wobei auch der Berufsstand zu einer stärkeren Mitarbeit aufgerufen ist. Der Staat kann hierbei wie überhaupt — nur subsidiär helfen. Angesichts des anhaltenden Leistungstrends in der Landwirtschaft besteht hier aber kein Anlaß zur Sorge.Die große Leistungsfähigkeit der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft dokumentiert sich besonders deutlich in der Agrarexportentwicklung der letzten Jahre. Allein 1973 ist die ernährungswirtschaftliche Ausfuhr der Bundesrepublik gegenüber dem Vorjahr um insgesamt 35 % auf nunmehr 8 Milliarden DM gestiegen. Trotz dieser überaus günstigen Ausfuhrentwicklung ist jedoch zu vermuten, daß noch gar nicht einmal alle Chancen auf den Auslandsmärkten genutzt worden sind. Die Erschließung neuer Märkte und ihr Ausbau muß daher auch künftig von Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft und staatlicher Verwaltung weiter forciert werden.Aber auch die aktive Mitarbeit der Verbraucher ist zur Vermeidung unerwünschter Entwicklungen bei den Nahrungsmittelpreisen künftig notwendiger denn je. Bei den Verbrauchern liegt es, künftig noch mehr als bisher das Warenangebot kritisch zu prüfen und preisbewußt zu kaufen.Den Landwirten möchte ich allen aktuellen Schwierigkeiten und Problemen zum Trotz, die im Augenblick sicherlich nicht einfach sind, doch sagen: Auch in Zukunft lohnt es sich, Landwirt zu sein. Der Staat wird den Landwirten auch weiterhin bei der Anpassung ihrer Betriebe an die sich ändernden wirtschaftlichen Bedingungen helfen. Ob es gelingt, eine leistungsfähige Landwirtschaft im Interesse der gesamten Gesellschaft zu erhalten, hängt aber nicht nur von der staatlichen Agrarpolitik, sondern vor allem von den Menschen selbst ab. Es hängt davon ab, ob und in welchem Ausmaß die gebotenen Chancen genutzt werden. Oberstes Ziel unserer Bemühungen ist, den Menschen auf dem Lande die gleichen Chancen zu eröffnen wie allen anderen Bürgern unseres Landes.
Ich danke dem Herrn Bundesminister und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ritz.
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5484 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aussprache über den Agrarbericht 1974 sollte auch in diesem Jahr mit einem Dank an die Mitarbeiter und Beamten beginnen, die diesen Bericht erstellt haben, aber auch mit einem Dank vor allem an jene Bäuerinnen und Bauern, die in sehr mühevoller Arbeit die Ergebnisse ihrer Testbetriebe zur Verfügung gestellt haben, damit der Bericht erarbeitet werden konnte.
Wer mehr unkritisch als kritisch die Einbringungsrede des Bundeslandwirtschaftsministers verfolgt hat, der mag zu dem Ergebnis kommen, daß trotz einiger Schwierigkeiten in der deutschen und europäischen Agrarpolitik die Welt der Landwirtschaft und der Agrarpolitik eigentlich doch recht heil ist. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus, und ich werde mich bemühen, dies in meinen Ausführungen zu verdeutlichen.
Der Agrarbericht 1974 gibt Auskunft über die Wirtschaftsergebnisse unserer Landwirte im Wirtschaftsjahr 1972/73, einem Wirtschaftsjahr also, das 81/2 Monate hinter uns liegt. Daher hat es etwa den Begriff vom „historischem Wert" gegeben. Nun, Herr Bundesminister, wenn Ihnen dieser Begriff nicht gefällt, verständigen wir uns auf ,,zeitgeschichtlichen Wert". Was ausgedrückt werden soll, ist doch, daß die Situation 1972/73 — und hier sind wir uns ja einig — nicht als die tatsächliche Entwicklung der Landwirtschaft heute mißgedeutet werden kann. Eine der wichtigen Aufgaben dieser Debatte wird und muß es sein, Fehlinterpretationen zu verhindern, indem man etwa die Ergebnisse des Jahres 1972/73 auf die Lage der Landwirtschaft heute überträgt.
Nun haben Sie dies sicher nicht getan. Aber, Herr Kollege Löffler, ich habe gelesen, daß Ihr Kollege Nölling im SPD-Pressedienst vom 21. Januar 1974 folgendes schreibt — ich zitiere —:
Von 1971/72 bis 1972/73 stieg das Einkommen der Landwirte sogar um 19,8 %, das der Arbeitnehmer aber nur um 11,3 %. Den Landwirten geht es entsprechend besser. Neben dieser beträchtlichen Verbesserung ihrer Einkommen erhalten sie aus dem Staatssäckel unter anderem Subventionen für ihre Alters- und Krankenversorgung, die die Bauern zu der privilegiertesten Gruppe unserer Gesellschaft machen.
Wenn man dies im Jahre 1974 schreibt, ist das genau das, was ich meine, wenn ich davor warne, hier Fehlinterpretationen aus den Ergebnissen des Jahres 1972/73 vorzunehmen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Ich gestatte.
Herr Kollege Ritz, wollen Sie diesem Hause bestätigen, daß die Agrarberichte seit Bestehen des Landwirtschaftsgesetzes immer acht bis neun Monate nach Ablauf des jeweiligen Wirtschaftsjahres hier in diesem Hohen Hause diskutiert worden sind?
Lieber Herr Kollege Gallus, mir tut es jetzt wirklich leid, daß Sie mir nicht zugehört haben. Das ist doch nicht der Kern. Der Kern ist, daß es Kräfte und auch etwa einzelne Kollegen gibt — ich habe einen zitiert —, die dieses Wirtschaftsergebnis, das für die heutige Lage nicht mehr repräsentativ ist, für die heutige Situation der Landwirtschaft mißdeuten. Ich meine, das sollten wir im gemeinsamen Interesse verhindern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Ich gestatte noch eine Zwischenfrage, Frau Präsident.
Bitte, Herr Abgeordneter!
Sehr geehrter Herr Kollege Ritz, würden Sie bestätigen, daß man die Situation der Landwirtschaft gegenwärtig nicht allein aus einem Artikel, der in einem Pressedienst erschienen ist, ermessen kann, sondern daß dies schon eher anhand der Prognosen, die im Agrarbericht gegeben worden sind, geschehen kann? Würden Sie weiterhin bestätigen, daß Sie bisher in jedem Jahr diese Prognosen bestritten haben und sie dann nachher doch weitgehend erfüllt worden sind?
Verehrter Herr Kollege Löffler, Sie machen es mir jetzt sehr schwer, noch künftig Zwischenfragen zuzulassen, weil das Fragen sind, die sich auf das beziehen, auf das ich natürlich noch einzugehen habe. Aber ich fasse zusammen. Es bleibt entscheidend für diese Debatte, daß wir alle uns mühen, die Wirtschaftsergebnisse von 1972/73 nicht fehlzuinterpretieren und sie nicht auf die Lage der Landwirtschaft heute zu übertragen. Über alle Fragen, die die Einkommensentwicklung angehen, werde ich jetzt noch im einzelnen reden.Die Ursachen für die relativ günstige Einkommensentwicklung, die für das Jahr 1972/73 niemand bestreitet,
werden im Agrarbericht verdeutlicht. So sind die Erzeugerpreise 1972/73 um 11,4 % gestiegen, und zwar durch eine Angebotsverknappung bei Kartoffeln, Obst und Gemüse und durch eine lebhafte Nachfragesteigerung bei Fleisch bei zugleich knap-
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Dr. Ritzpem Angebot. Insofern informiert der Bericht sehr korrekt, und der Hinweis des Bundeslandwirtschaftsministers in diesem Zusammenhang auf die erfolgreiche Agrarpolitik wird auf das richtige Maß reduziert.Die Betriebsmittelpreise weisen zwar im Jahr 1972/73 mit 9,1 % die höchste Jahressteigerungsrate seit 1951/52 aus, aber sie liegt noch etwas unter der Steigerungsrate der Erzeugerpreise. Die günstige Einkommensentwicklung wird aber auch in diesem letzten Wirtschaftsjahr wieder durch die Abwanderungsrate in der Größenordnung von 5 % beeinflußt, und — das hat der Bundesminister selbst gesagt — der Einkommenszuwachs wird durch die beträchtlichen Nettoinvestitionen in der Größenordnung von 25 % der Betriebseinkommen und durch eine überhohe Arbeitszeit unserer Bäuerinnen und Bauern relativiert.Aber es kann auch nicht übersehen werden, daß die Ergebnisse auf einen Erfassungsbereich von 387 230 Betrieben abstellen; das sind 35 Prozent der vorhandenen Betriebe. Dies ist nun gar kein Vorwurf, den ich hier erhebe. Nur: Auch die Verfasser des Agrarberichts empfinden diese Situation als unbefriedigend, wenn sie im Materialband auf Seite 35 schreiben:Nach und nach soll das Testbetriebsnetz auf den gesamten Bereich Landwirtschaft abgestellt werden, so daß ein vollständiger Überblick über die Einkommenssituation dieses Sektors auf der Grundlage von Buchführungsergebnissen neben den Ergebnissen aus der Gesamtrechnung möglich wird.Mit anderen Worten, meine Damen und Herren, die Einkommensentwicklung war zwar insgesamt befriedigend, wir sollten aber Globalzahlen wie 19,8 % Einkommenssteigerung nicht dahin gehend fehldeuten, daß es nun allen Landwirten in diesem vergangenen Jahr so gut gegangen ist.Alles in allem begrüßt die CDU/CSU, daß es im Jahre 1972/73 für die Landwirtschaft eine positive Entwicklung und positive Aspekte gegeben hat.
Aber, meine Damen und Herren — und jetzt komme ich zu Ihrer Frage, Herr Kollege Löffler —, schon die Prognose für 1973/74 muß, wir wir meinen, auf Bedenken stoßen — nicht soweit sie im Agrarbericht steht; denn hier konnte man sich nur auf die Zahlen und die Entwicklung bis zum November/Dezember vorigen Jahres berufen —; aber ich glaube, auch die Einbringungsrede des Ministers, der ja an der Prognose von 6 bis 10 % festhält, erscheint uns zu optimistisch, nämlich dann, wenn man gerade die Entwicklung in der Jahreswende 1973/74 mit zur Beurteilung der Wirtschaftslage 1973/74 heranzieht.So haben sich vom Dezember 1973 bis Januar 1974, also in einem Monat, die Erzeugerpreise um 3,3 % verringert,
während im gleichen einen Monat die Betriebsmittelpreise um 1,6 % gestiegen sind. Während also dieErzeugerpreise etwa auf dem Stand vom Januar 1973 stehengeblieben sind, erleben wir bei den Betriebsmittelpreisen eine geradezu explosionsartige Steigerung, nicht zuletzt, wenn Sie die Preiserhöhung für Handelsdünger ab 1. Februar in der Größenordnung von 20 bis 30 % und natürlich die exorbitanten Preissteigerungen auf dem Sektor der Mineralölprodukte, vor allem des Dieselkraftstoffs, hinzunehmen.Diese ganz wenigen Zahlen, meine Damen und Herren, machen zweifelsohne sichtbar, wie schwierig die Lage der Landwirtschaft tatsächlich ist. Sie zeigen aber auch, wie sehr die Landwirtschaft zunehmend in den Strudel der Inflation gerät,
einer Inflation, meine Damen und Herren, für die eben auch und entscheidend diese Regierung Verantwortung trägt.
Es ist nicht Aufgabe und kann nicht Aufgabe dieser Debatte sein, die Ursachen und die Fehler der Regierung im Hinblick auf die Inflationsentwicklung darzustellen. Aber, meine Damen und Herren, wer mit simplifizierenden Sprüchen wie: „5 % Preissteigerung sind mir lieber als 5 % Arbeitslose"
die Inflation verniedlicht, darf sich nicht darüber wundern, daß sich inzwischen in diesem Lande eine entsprechende Inflationsmentalität breitmacht.
Neben den für alle sichtbaren Folgen der Inflation, meine Damen und Herren, ist gar nicht zu verkennen — hierauf verweist erfreulicherweise auch der Agrarbericht —, daß wir etwa durch die derzeitige Abschreibungspraxis — Abschreibung auf den Anschaffungswert — zusätzliche Vermögensverluste in allen Bereichen der investierenden Wirtschaft, aber eben auch in der Landwirtschaft, hinnehmen. Das ist eine Frage, von der ich meine, daß sie uns noch sehr gründlich beschäftigen muß; denn hier entstehen Vermögenssubstanzverluste, über deren Ausmaß wir uns oft gar nicht genug Klarheit verschaffen. Wir müssen dieser Frage mehr Aufmerksamkeit widmen, wenn wir in Zukunft hier nicht beachtliche Vermögensverluste hinnehmen wollen.Aber, meine Damen und Herren, die inflationäre Entwicklung hat gerade aus der Sicht der Landwirtschaft noch weitere negative Aspekte. So kann gar nicht verkannt werden, daß die Landwirtschaft zu den Wirtschaftszweigen gehört, die kaum oder gar nicht in der Lage sind, auch nur einen Teil der Preissteigerungen auf der Kostenseite über die Erzeugerpreise abzuwälzen und weiterzugeben.
Es kommt eine zweite Zangenbewegung hinzu. Bei einer wachsenden Beunruhigung über die wirtschaftliche Lage in unserem Land zeichnet sich schon
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Dr. Ritzheute ein gewisser Rückgang der Nachfrage nach hochveredelten Produkten ab. Mit anderen Worten: auch hier eine Zangenbewegung, welche die Landwirtschaft in eine besonders schwierige Lage bringt.Ich kann nur jedem empfehlen, sich in diesem Zusammenhang einmal mit einem Artikel von Professor Hesse in der „Agrarwirtschaft" über die Folgen der Inflation auf die Landwirtschaft zu befassen. Professor Hesse weist dort unzweifelhaft nach, daß in dem durch die Inflation ausgelösten Verteilungskampf die Landwirtschaft in der Regel immer den kürzeren zieht. Zusammengefaßt: Inflation und drohende Stagnation stellen die schlechtesten Aspekte für die Entwicklung unserer Landwirtschaft dar.In diesem Zusammenhang schon jetzt ein Wort zur Preispolitik. Meine Damen und Herren, angesichts dieser Sachlage ist es verständlich, daß der Vorschlag, das Erzeugerpreisniveau in Brüssel um 7,2 % anzuheben, von den betroffenen Landwirten als Zumutung empfunden wird,
vor allem auch deshalb, weil Sie, Herr Minister Ertl, ja selbst zu Recht unterstrichen haben, daß diese Anhebung des Erzeugerpreisniveaus um 7,2 % in Brüssel einer tatsächlichen Steigerung der Erzeugerpreise um zwei bis drei Prozent entspräche.Lassen Sie mich folgendes in Klammern sagen. Es ist für mich nicht uninteressant festzustellen, daß es nach Presseberichten über die bisher abgelaufefenen Ministerratssitzungen über die Preisverhandlungen offensichtlich nur Belgien, Frankreich und Italien waren, welche die Vorschläge der Kommission als unzulänglich zurückgewiesen haben. Ich habe in diesem Zusammenhang von der deutschen Delegation nichts gehört,
auch nichts davon, daß sich die Bundesregierung für wesentliche Verbesserungen eingesetzt hat.
Ich muß nachher noch auf die Frage der Preispolitik zurückkommen, wenn es um die Europapolitik geht. Daher an dieser Stelle nur dies: Die Vorschläge der Kommission sind aus der Sicht der CDU/CSU unhaltbar und unzulänglich.
Wir aber müssen vor allem auch durch diese Debatte dazu beitragen, daß die komplizierten Zusammenhänge von Erzeugerpreisniveau und tatsächlichen Erzeugerpreisen in ihren Auswirkungen auf die Verbraucherpreise nicht immer zu Lasten von Landwirtschaft und Verbrauchern mißdeutet werden; denn dieses ist doch eines der kardinalen Probleme, mit denen wir zur Zeit zu ringen haben.Verzeihen Sie, wenn ich noch einmal darauf zurückkomme. Wenn z. B. der Kollege Nölling im selben Pressedienst schreibt, daß diese Anhebung des Erzeugerpreisniveaus um 7,2 % die Lebenshaltungskosten um ein bis zwei Prozent verteuere, dann istdies nicht nur sachlich falsch, sondern jene Art von Brunnenvergiftung — vielleicht ungewollt und durch Unwissenheit —, die das Verhältnis von Verbrauchern und Erzeugern unerträglich belastet.
Wir haben gestern aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einen Vermerk über die Verhandlungen des EG-Ministerrats über die Agrarpreise bekommen. In Ziffer 2 steht, daß sich ein möglicher Kompromiß in der Preisfestsetzung in einer Größenordnung bewegen würde, der zu einer Erhöhung der Lebenshaltungskosten um 0,75 % im Wirtschaftsjahr 1974/75 führte. Ich unterstelle, daß dies richtig ist und daß man diesen Kompromiß auch von seiten der Regierung anstrebt; nur soll man dann deutlich sagen, meine Damen und Herren, daß dies eine Anhebung des Erzeugerpreisniveaus in der EG in der Größenordnung von 10 bis 12 % erforderlich machte. Das muß man deutlich sagen, um Mißverständnissen von vornherein aus dem Wege zu gehen.
Denn, meine Damen und Herren, es kann doch niemand verkennnen, daß das Erzeugerpreisniveau in Brüssel nur ein Richtniveau ist — für die Marktentwicklung zweifelsohne von Bedeutung —, daß es aber in seinen Auswirkungen auf die Erzeugerpreise wesentlich andere Aspekte hat. So würde z. B. bei einer mittleren Berechnungsgrundlage eine Erzeugerpreisniveauanhebung von 12 % den Landwirten etwa 5 % Preiserhöhung bringen. Dies würde die Lebensmittel um 2,5 % verteuern und den Lebenshaltungskostenindex um 0,7 bis 0,75 % anheben. Meine Damen und Herren, bemühen wir uns doch alle, dies überall zu sagen! Es hat doch keinen Sinn, daß wir in Bauernversammlungen sagen: Wir brauchen höhere Preise!, um dann vor Verbrauchern zu sagen: Um Gottes willen, die Folgen auf die Lebenshaltung sind ja schrecklich!
Nein, meine Damen und Herren, hier müssen wir überall, gleichgültig vor wem, mit einer Zunge und einer Sprache sprechen,
denn nur so werden wir den berechtigten Interessen von Erzeugern und Verbrauchern dienen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch dies sagen: Es gilt, deutlich zu machen, daß das Agrarpreisstützungsniveau letztlich auch der Sicherstellung der Ernährung der europäischen Verbraucher zu angemessenen Preisen dient. Das Hin und Her um die Rindfleischpreise im Jahre 1973 hat doch gezeigt, daß eine Politik, die nur einseitig orientiert ist, dazu führt, die notwendige Produktion aus eigenen Beständen in Frage zu stellen. Schauen Sie sich doch die Beunruhigung gerade unter den Rindfleischproduzenten im Lande an, die nicht mehr wissen, was nun richtig ist, ob sie tatsächlich mehr
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Dr. Ritzproduzieren sollen oder ob der Preisdruck nicht zur Folge hat, daß sie diese Produktion wieder einstellen müssen. Das geht natürlich letztlich zu Lasten der Verbraucher.Wir registrieren, meine Damen und Herren, die Tatsache — dies hat der Herr Minister erfreulicherweise gesagt , daß am Weltmarkt viele Preise weit über dem europäischen Preisniveau liegen. Der Agrarkommissar Lardinois hat in der vergangenen Woche in London einige Zahlen genannt; ich will sie hier wiederholen. Zur Zeit liegen die Preise für Weichweizen am Weltmarkt um 56 % über dem Stand der EWG,
für Gerste um 20 %, für Durumweizen um 100 %, für Reis um 200 % und für Zucker um 100 %.
Ob Sie es wissen oder nicht, ich glaube, daß es nützlich ist, meine Damen und Herren, sichtbar zu machen,
daß diese Zahlen beweisen, daß die gemeinsame Agrarpolitik und auch die Politik der gemeinsamen Agrarpreise nicht eine einseitige Bevorzugung und ein Schutz für die Erzeuger sind, sondern letztlich auch den Verbrauchern dienen, nämlich dazu, ihnen eine angemessene Versorgung zu angemessenen Preisen sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, wir können im Frühjahr 1974 keine Agrardebatte führen, ohne uns offen und ehrlich mit dem desolaten Zustand der Europäischen Gemeinschaften zu befassen. Sowohl der Agrarbericht als auch die Einbringungsrede scheinen uns und mir zum Thema Europa oberflächlich und unzulänglich zu sein. Dies mag Absicht sein.
Wir aber meinen, meine Damen und Herren — ich sage dies mit großem Ernst —, daß nur durch eine offene und schonungslose Analyse ein wirklicher Ausblick auf die Zukunft der Gemeinschaft möglich ist.Dabei lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen:Erstens. Die CDU/CSU steht zu den Europäischen Gemeinschaften, zum gemeinsamen Agrarmarkt und zur Zollunion und sieht zu dieser Politik keine Alternativen. Im Gegenteil, wir sind überzeugt, daß ein Auseinanderbrechen der Europäischen Gemeinschaft den größten Erfolg der sowjetischen Außenpolitik seit Kriegsende darstellen würde.
Zweitens: Wir machen nicht die Bundesregierung allein verantwortlich für den beklagenswerten Zustand der Gemeinschaft.
Wir können aber, Herr Kollege Löffler, nicht verhehlen, daß die Bundesregierung eben eine Politik mitgetragen hat, die seit 1969 ,die tatsächlichen Probleme mit wohlklingenden und blumigen Formulierungen zugedeckt hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Ritz?
Bitte schön, Herr Löffler! Präsident Frau Renger: Herr Löffler!
Sehen Sie, so schnell reagieren wir.
Herr Kollege Dr. Ritz, hätten Sie die Freundlichkeit, zuzugeben, daß gerade diese Bundesregierung kurz nach ihrem Amtsantritt auf der Konferenz in Den Haag die wichtigen europäischen Probleme, die jahrelang liegengeblieben sind, wieder flottgemacht hat und ihr damaliger Fraktionsvorsitzender dies hier in diesem Hause ausdrücklich als positiv bestätigt hat?
Herr Löffler, Sie greifen mit Ihren Zwischenfragen immer vorweg. Ich habe jetzt nur zwei Vorbemerkungen gemacht. Lassen Sie mich doch dies jetzt deutlich fortführen.Auch vor 1969 damit wir uns hier nicht mißverstehen, meine Damen und Herren — gab es Krisen in der Gemeinschaft. Es wäre töricht, so zu tun, als sei dies nicht so gewesen. Es gab Krisen, nur ist um Lösungen gerungen worden, und wir haben auch Lösungen gefunden. Aber seit 1969 mit dem im Grunde Höhepunkt der Gipfelkonferenz von Den Haag ging es doch von Gipfelkonferenz zu Gipfelkonferenz bergab.
Das ist doch überhaupt nicht zu bestreiten, meine Damen und Herren. Die rasante europäische Talfahrt
— verzeihen Sie, ich wiederhole: die rasante europäische Talfahrt wurde der Weltöffentlichkeit dochspätestens mit der Mineralölkrise bewußt. Ich habemich heute im wesentlichen mit den agrarpolitischrelevanten Problemen der Gemeinschaft zu befassen. Wir werden in 14 Tagen hier eine große Europadebatte zu führen haben.Meine Damen und Herren, seit 1969 tritt die Währungs- und Wirtschaftsunion auf der Stelle. Dies ist sicher nicht mehr als eine Feststellung. Auch hier wäre es töricht, von der Schuld der Bundesregierung zu sprechen. Doch kann man und muß man fragen, meine Damen und Herren: Wo ist das deutsche Konzept? Wo hat es z. B. einmal einen
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5488 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Dr. RitzPlan zur Verklammerung währungs- und wirtschaftspolitischer Probleme mit anderen, etwa denen der Regionalpolitik gegeben?
Meine Damen und Herren, eine klare deutsche Europapolitik ist nicht erkennbar.
— Vielen Dank für den Beifall, aber das war nicht mein Satz, das war ein Zitat von Herrn Mansholt.
Ich wiederhole, eine klare deutsche Europapolitik ist nicht erkennbar.Herr Bundesminister Ertl, Sie sind nach der Wechselkursfreigabe des französischen Franc von einem deutschen Journalisten in Brüssel gefragt worden, ob wir eine Krise hätten. Ihre Antwort— ich habe sie an dem Abend mitgeschrieben —: Wir haben seit 1969 eine Krise. In der Tat! Doch, meine Damen und Herren, was haben wir wirklich zur Bewältigung dieser Krise getan, was haben Sie konkret zur Bewältigung der Agrarkrise getan?
— Darf ich das jetzt einmal zu Ende führen, Herr Kollege Gallus. Sie wollen hier ja selbst noch reden. Sie haben später noch Gelegenheit, Ihre Meinung hier zum Ausdruck zu bringen.
Dann kommen wir später darauf zurück, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, im Kern unserer europäischen Agrarprobleme geht es doch um diese Fragen, die Herr Ertl auch verklausuliert angesprochen hat, die wir aber doch offen ansprechen müssen. Da gibt es ein Memorandum zur Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft. Dieses Memorandum enthält u. a. Vorschläge zur Eindämmung von Überschüssen, Vorschläge übrigens, die sich zum Teil mit Vorschlägen decken, die auch die Bundesregierung gemacht hat. Nur müssen wir doch fragen, meine Damen und Herren, welchen Sinn solche europäischen Bemühungen haben, wenn sie ständig durch nationale Alleingänge und nationale Maßnahmen unterlaufen werden.
Einige Beispiele: Da gibt es ein britisches Programm in der Größenordnung von 900 Millionen zur Förderung der Milchproduktion. Begründung: Wir müssen Devisen sparen. Ich kann das alles verstehen. Nur, meine Damen und Herren, was hat dies mit einer gemeinsamen Politik zu tun, die sich bemüht, gerade in diesem wichtigen Produktionsbereich Milch eine neue Linie zu entwickeln? — Oder: Wir stellen fest, daß durch währungspolitisch bedingte Entscheidungen in Italien das Erzeugerpreisniveau um 13 % angehoben wird, vielleicht demnächst auch in Frank-reich; das steht sicher auch ins Haus. — Oder: Da gibt es seit 14 Tagen in Frankreich, Italien, Belgien und Luxemburg einen Rindfleischeinfuhrstopp, übrigens mit Zustimmung des Ratspräsidenten, Herrn Bundesminister Ertl.
— Was heißt „na und"? Wissen Sie, was die Folge ist, Herr Kollege Löffler? Die Folge ist, daß eben die Mengen, die sonst auch in diese Länder hineingegangen wären, nun auf den deutschen Markt noch zusätzlich drücken.
— Verzeihen Sie, Herr Kollege Löffler! Sie können ja nachher reden.Ich will Ihnen die gestern in „Agrar-Europe" veröffentlichten Zahlen für die Erzeugermarktpreise für Rinder am 11. März vorlesen. Ich rechne die Zahlen in D-Mark um. Die Preise betrugen in der Bundesrepublik Deutschland 302 DM je 100 kg, in Belgien 330 DM, in Frankreich 336 DM, in Italien 324 DM und in Großbritannien ebenfalls 324 DM je 100 kg.
Mit anderen Worten: Allein bei den Franzosen liegt der Erzeugerpreis zur Zeit um 10 % über dem der Deutschen. Die Frage, die uns unsere Landwirte draußen stellen Ihnen genauso wie uns —, ist doch, wie wir unter diesen Voraussetzungen noch überzeugend eine gemeinsame europäische Agrarpolitik vertreten wollen.
Hierum müssen wir ringen, damit es besser wird.Diese Politik der Alleingänge verstärkt sich zunehmend durch die Folgen der Mineralölkrise. Ich denke da an die Subventionen etwa in den Niederlanden im Bereich Gartenbau. Schauen Sie sich die Unterschiede im Gartenbau zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik an! Wir haben das Problem in den letzten Tagen ja wiederholt debattiert. Und gestern hat es auch einen Kabinettsbeschluß in dieser Richtung gegeben. Wir meinen allerdings, daß er etwas spät kam. Man hätte die Kutterfischer ihre Boote nicht erst anbinden lassen sollen,
sondern man hätte dafür Sorge tragen sollen, daß die Schiffe auch im Interesse der Verbraucher weiter hätten ausfahren können.
Ein weiterer Hinweis. Ich war in der vergangenen Woche an der deutsch-niederländischen Grenze, um mich z. B. über die Geflügelwirtschaft zu informieren. Dazu nenne ich Ihnen nur folgendes Beispiel. Die Deutschen bekommen ein Angebot holländischer Futtermittelfirmen. Es beinhaltet, daß die Preise in Holland für einen Doppelzentner Futtermittel um 5 DM niedriger liegen als in der Bundesrepublik. Man bestellt also in Holland, erlebt aber zu seinem Erstaunen, daß der Transport an der Grenze zwei Tage zwecks Untersuchung des Futters hängenbleibt. Das Geflügel, das aus dem gleichen Futter erzeugt
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Dr. Ritzworden ist, ging aber ohne jede Verzögerung über die Grenze in die Bundesrepublik hinein.Meine Damen und Herren, wir müssen doch über die Dinge sprechen, um endlich einmal den Ansatz zu finden, daß wir in der Gemeinschaft wirklich zu mehr Gemeinsamkeit und nicht immer zu mehr Auseinanderfließen kommen.
Kurzum, meine Damen und Herren, das Bemühen um die Erhaltung der Einheitlichkeit und gleicher Wettbewerbsvoraussetzungen im EWG-Agrarmarkt wird zunehmend durch nationale Alleingänge unterlaufen. Lassen Sie mich dies auch ernsthaft sagen: Auf diesem Hintergrund erscheint das Ringen um gemeinsame Agrarpreise manchmal wie ein Schattenboxen, bei dem allerdings die deutschen Erzeuger die Tiefschläge bekommen.
Nun, meine Damen und Herren, die Analyse, die ich hier geben konnte, ist sicher nicht vollständig. Sie reicht aber, glaube ich, aus, um einige Schlußfolgerungen daraus ziehen zu können.Erstens. Ein Stagnieren oder gar eine weitere Rückentwicklung im Bereich der Währungs- und Wirtschaftsunion macht bei der engen Verflechtung von Landwirtschaft und übriger Wirtschaft und Währungspolitik Fortschritte im gemeinsamen Agrarmarkt letztlich illusorisch, auch etwa im Bereich der Regionalpolitik. Nur diese Erkenntnis kann zu einem heilsamen Solidaritätszwang führen.Zweitens. Für eine an der Entwicklung der Währungs- und Wirtschaftsunion orientierte Übergangsphase müssen die im nationalen währungspolitischen Alleingang entstandenen Wettbewerbsnachteile der aufwertenden Länder durch ein besseres Grenzausgleichssystem aufgefangen werden, und die dreiprozentige Anhebung der Mehrwertsteuer muß, wie dies offensichtlich abgesichert ist, auch unbefristet beibehalten werden.
Wir bleiben dabei, daß durch den Grenzausgleich in seiner jetzt praktizierten Form die deutsche Landwirtschaft nur unzulänglich gegen den durch Währungsparitätsänderung entstandenen Wettbewerbsdruck abgeschirmt wird.
Wir sehen uns in dieser unserer Auffassung bestärkt durch die Aussagen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, des Beirats. der in seinem Herbstgutachten 1973 in Ziffer 40 selber feststellt — ich zitiere —:Das bisher bestehende Grenzausgleichssystem wäre also aufrechtzuerhalten und, um Preisverzerrungen zwischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu vermeiden, auf alle Agrarerzeugnisse auszudehnen.Um so unverständlicher ist es, daß diese Bundesregierung dem Problem der Verbesserung des Grenzausgleichs entweder gar nicht oder nur negativ Aufmerksamkeit geschenkt hat, etwa dadurch, daß der Bundesminister der Finanzen in der Bundestagssitzung vom 23. Januar auf meine diesbezügliche Frage unmißverständlich erklärt hat, daß die Bundesregierung nicht bereit sei, für eine Verbesserung und Ausweitung des Grenzausgleichs einzutreten.
Dagegen gibt es Äußerungen von Ihnen, Herr Minister Ertl, etwa in der Fragestunde dieses Hauses, daß Sie sehr wohl der Meinung seien, daß man zumindest für den Sektor Obst und Gemüse den Grenzausgleich ausweiten sollte. Das ist wieder so ein Punkt; ich weiß, daß wir in Brüssel nicht alles durchsetzen können. Aber wie wollen wir in Brüssel überhaupt etwas zur Entscheidung stellen, wenn es zuvor an dem geschlossenen Willen des Bundeskabinetts fehlt? Dann können Sie mit Sicherheit nichts erreichen!
Drittens. In der von mir eben skizzierten Übergangsphase müssen alle nationalen Maßnahmen, die die gemeinsame Preispolitik und einheitlichen Wettbewerbsvoraussetzungen unterlaufen und sprengen — einige davon habe ich ja vorhin genannt —, kritisch geprüft und gegebenenfalls mit eigenen Maßnahmen beantwortet werden.So stellt sich mir z. B. die Frage — und ich will hier ein ganz anderes Thema anschneiden —, ob unsere nationalen Marketinginstrumente in ihrer jetzigen Form ausreichen, um der offensiven Marktstrategie unserer Partner begegnen zu können,
ob wir nicht auch Instrumente brauchen, wie sie die Holländer und die Franzosen haben, mit anderen Worten: ob wir unsere Marketinginstrumente, Absatzfonds und Marketinggesellschaft, nicht auch mit weitergehenden Aufgaben betrauen müssen.
Viertens. Die Bundesregierung muß endlich ein Konzept für die Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaften vorlegen. Dabei müßten die einzelnen Schritte der Entwicklung der Währungs- und Wirtschaftsunion genauso klar dargestellt werden wie der institutionelle Ausbau und die Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments. Auch vor dem Einstimmigkeitsprinzip wird man in dieser Debatte einfach nicht haltmachen können, — eine Frage, über die wir ja in 14 Tagen noch miteinander diskutieren werden.Der Agrarbericht gibt auch diesmal wieder Auskunft über die Fortentwicklung des landwirtschaftlichen Strukturwandels. Erstmals seit 1949 ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe auf unter 1 Million abgesunken. Damit hat sich auch seit 1949 die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe halbiert. Nimmt man weiterhin die abnehmende Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten hinzu, so kann man nur voller Respekt und Anerkennung registrieren, daß sich hier ein revolutionärer Strukturwandel vollzogen hat, in seinem Ausmaß und Umfang größer
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Dr. Ritzals in allen anderen Strukturbereichen, der sich diszipliniert, ja fast stillschweigend und damit von der Öffentlichkeit fast unbemerkt vollzogen hat.Dies, so meinen wir, verdient um so mehr Respekt, als hinter den toten Zahlen Hunderttausende schwere Einzelschicksale und Einzelentscheidungen stehen.
— Nun, kommen Sie, Herr Kollege Saxowski!Die Rufe, die der CDU/CSU, nicht zuletzt von der SPD, jahrelang entgegengeschleudert wurden, wir betrieben eine statische, nur auf Erhaltung ausgerichtete Agrarpolitik, sind verstummt, und zwar nicht, weil man in den letzten Jahren eine bessere, effektivere Zielvorstellung verfolgt hätte, sondern aus der richtigen Erkenntnis, daß im Interesse der Gesamtentwicklung des ländlichen Raumes eine breit gefächerte landwirtschaftliche Struktur auch in Zukunft notwendig ist.So offensichtlich es in den Zielvorstellungen der Agrarstrukturpolitik im Hinblick auf das Miteinander von Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben keine gravierenden Gegensätze mehr gibt, so sehr muß doch gefragt werden, ob diese Übereinstimmung nicht nur formaler Natur ist. Meine Damen und Herren, ich weiß, ich sage jetzt einen harten Satz, aber ich sage ihn trotzdem, weil uns das zwingt, uns mit dieser Sache auseinanderzusetzen: Der Mansholt-Plan gilt zwar offiziell als überholt — und damit die Ausrichtung der Agrarstruktur auf nur flächengroße und viehstarke Betriebe —, wir müssen aber hier und heute darüber sprechen, ob nicht die offizielle Förderungspolitik der Bundesregierung ähnliche Ziele, nur mit anderen Formeln, anstrebt.
Wenn die einzelbetriebliche Förderung in manchen Regionen nur 10 % der Betriebe erfaßt, wenn die von der Bundesregierung vorgelegte Novelle zur Höfeordnung, die wir allerdings ändern werden, beinhaltet, daß in einigen Gebieten 80 % aller vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe aus der Höferolle herausfliegen werden, dann darf man sich doch nicht wundern, daß eine solche Politik von den Betroffenen verstanden wird als eine offizielle Verabschiedung aus dem Kreis der Bauern und Landwirte. Das kann doch gar nicht mehr verkannt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Frau Präsidentin, ich komme zeitlich ein wenig in Verdrückung. Der Kollege Löffler wird ja sicher noch Gelegenheit haben, in dieser Debatte zu sprechen. Aber bitte, Herr Kollege Löffler!
Herr Kollege Ritz, würden Sie im Hinblick auf Ihre Bemerkung über Agrarstrukturpolitik in Europa, Fortführung der Ideen des Mansholt-Plans, hier in diesem Hause bestätigen wollen, daß die jetzige Agrarstrukturpolitik, wie es Herr Minister Ertl vorhin ausgeführt hat, eigentlich die große strukturpolitische Alternative zum MansholtPlan ist und nicht dasselbe wie der Mansholt-Plan?
Ich habe nicht vom selben gesprochen, sondern von einer im Grunde ähnlichen Zielrichtung.
Zweitens werde ich sehr wohl darauf eingehen, daß Herr Minister Ertl immerhin einen sehr interessanten zusätzlichen Aspekt in seiner Einbringungsrede hier genannt hat, soweit es um die Nebenerwerbsbetriebe geht. Darauf komme ich noch zurück. Aber im Grundsatz sage ich noch einmal: Die einzelbetriebliche Förderung, wie sie jetzt betrieben wird, und andere Entwicklungen — ich habe von der Novelle zur Höfeordnung gesprochen — müssen bei den Betroffenen den Eindruck aufkommen lassen, daß sie von der offiziellen Agrarpolitik abgeschrieben sind, obwohl dies sicher nicht so gemeint ist.Ich will ein anderes sagen. Es gibt natürlich in dem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm und in dem sozialen Ergänzungsprogramm, Herr Kollege Löffler, sogenannte Übergangsbetriebe mit Übergangshilfen. Aber ich muß Ihnen offen gestehen: Diese Übergangshilfen für die Übergangsbetriebe müssen so, wie sie jetzt deklariert sind, von den Betroffenen, wie ich fürchte, als betriebliche Sterbehilfe verstanden werden, nicht aber als einen Beitrag zur Erhaltung dieser Strukturen.
Meine Damen und Herren, auch wir gehen davon aus, daß nicht zuletzt im Interesse der Landwirtschaft insgesamt die staatliche Förderung auf die sogenannten entwicklungsfähigen Betriebe konzentriert werden muß, soweit es sich um produktions-und produktivitätssteigernde Wachstumsinvestitionen handelt. Aber wenn es uns mit dem Selbstverständnis
der Neben- und Zuerwerbsbetriebe ernst ist, ja wenn wir aus gesellschaftspolitischen, eigentumspolitischen und raumordnungspolitischen Gründen — ich bin sicher, daß Herr Ertl dies genauso sieht —diese Betriebe auch für die Zukunft als gewünschte Betriebsform erhalten wollen, dann müssen wir eben auch in jenen Betrieben Investitionen fördern, die der Arbeitsentlastung, der Kapitalerhaltung und der Extensivierung dienen. Insoweit, meine ich, hat Ihre Einbringungsrede in der Tat einen Akzent enthalten, den wir voll unterstreichen.Meine Damen und Herren, wir befinden uns mit der Strukturpolitik in einem Dilemma. Selbst wenn alle drei Fraktionen dieses Hauses mit der Bundes-
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Dr. Ritzregierung zu der Überzeugung kämen, wir müßten und sollten die einzelbetriebliche Förderung und das Förderungsprogramm in wesentlichen Teilen ergänzen, erweitern oder ändern, so sind wir darin gar nicht mehr frei. Durch die Zustimmung zu den europäischen Strukturrichtlinien im Mai 1972 sind wir in der Strukturpolitik ganz von dem abhängig, was uns Kommission und Ministerrat konzedieren oder nicht konzedieren.
Dies ist um so bedauerlicher, als alle drei Faktionen dieses Hauses darin übereinstimmten, daß die Strukturpolitik immer stärker regionalisiert werden muß und wir von daher der EG
zwar eine Rahmenkompetenz, aber keine Richtlinienkompetenz zugestehen sollten.
— Herr Kollege Gallus, Sie können doch nicht verkennen, daß so, wie innerhalb der Bundesrepublik die Strukturen unterschiedlich sind und wir im Zusammenwirken mit den Ländern entsprechend eine regionale Strukturpolitik entwickeln müssen, so auch etwa die Franzosen, die Holländer, die Briten verständlicherweise andere strukturelle Leitbilder haben. Deshalb wird es schwer sein, immer gemeinsam mit allen Neun, solange das Einstimmigkeitsprinzip besteht, die Politik zu entwickeln und zu entfalten, die wir für notwendig erachten.
Ob es uns auch in Zukunft gelingt, breit gestreute bäuerliche Eigentumsstrukturen zu erhalten, wird nicht zuletzt davon abhängen, welchen Erfolg wir in der gesamtwirtschaftlichen Erschließung der ländlichen Räume erzielen können. Hier sind wir in den letzten Jahren nicht nur auf der Stelle getreten, sondern wir haben Rückschläge hinnehmen müssen. Herr Kollege Kunz wird gleich noch über die regionale Strukturpolitik und die Agrarstruktur sprechen. Klar muß aber sein, daß wir, wenn wir nicht alle Kräfte stärker als in den letzten Jahren zur Gesamtentwicklung der ländlichen Räume mobilisieren, einen vernünftigen, einen sozial und ökonomisch zumutbaren Konjunkturwandel im ländlichen Raum nicht verwirklichen können.Nun hören wir, daß von den 400 Millionen DM, über deren Verteilung man sich offensichtlich noch nicht so ganz einig ist, ein Teil benutzt werden soll, um die Streckung der Maßnahmen für die Agrarstruktur in diesem Jahr 1974 zu bedienen. Wir sagen ganz offen: das halten wir nicht für einen zumutbaren Weg. Wir haben diese Streckung schon im vorigen Jahr kritisiert, weil wir der Überzeugung waren, daß strukturpolitisch und konjunkturpolitisch die falschen Räume getroffen wurden. Wenn man das aber erzwungen hat, sollte man diese Mittel jetzt aus den Titeln nehmen, aus denen sie genommenwerden müssen, nämlich aus denen der Konjunkturausgleichsrücklage.
Meine Damen und Herren, ich sehe leider die rote Lampe und muß deshalb zum Ende kommen.
Zwei Minuten haben Sie noch zusätzlich, Herr Kollege.
Vielen Dank. Ich werde mich bemühen, zu Ende zu kommen, Frau Präsidentin.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich doch noch eine Bemerkung zum Stil der Agrarpolitik in den letzten zwei Jahren machen. Ich habe vorhin schon gesagt, daß etwa beim Grenzausgleich und bei der Strukturpolitik doch nicht verkannt werden kann, daß in der Agrarpolitik des Bundesministers zwischen Wort und Wirklichkeit Widersprüche bestehen. Ich will das mit einigen Beispielen vervollständigen:
Herr Minister Ertl, in Gebieten, die von der Natur besonders benachteiligt sind, beklagen Sie mit den Landwirten die schwierige Einkommensentwicklung in den Grünlandgebieten. Gleichzeitig aber verhindern Sie im Dinklager Agrarkabinett einen Beschluß nicht, der praktisch die Beteiligung der Erzeuger an der Beseitigung von Butterüberschüssen vorsieht, um dann nachher wiederum zu sagen, Sie seien natürlich gegen solche Maßnahmen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dies ist einfach ein Stil, der nicht dem entspricht, woran gerade Sie gemessen werden wollen, wenn es um Wahrheit und Klarheit geht.
Dasselbe gilt z. B. auch für die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstrukturverbesserung. Herr Minister Ertl, es war Ihr gutes Recht, gegen diese Gemeinschaftsaufgabe zu votieren und hier im Plenum dagegen zu sprechen, und Sie zitieren dies ja auch immer wieder sehr gern. Nur erleben wir gleichzeitig, daß durch Ihre Intervention Maßnahmen, wie etwa die Nichtvermarktungsprämie, aufgenommen werden, die vom Gesetz her überhaupt nicht in die Gemeinschaftsaufgabe hineingehören, sondern die zusätzlich die Mittel der Länder für Agrarstrukturmaßnahmen beschneiden.
Ich bitte Sie, jetzt zum Schluß zu kommen, Herr Kollege.
Ich will jetzt zusammenfassen, Frau Präsidentin.Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, daß bei der derzeitigen agrarpolitischen Situation folgendes notwendig ist.Erstens. Solange Fortschritte auf dem Gebiet der Währungs- und Wirtschaftsunion auf sich warten lassen, müssen wir die Nachteile nationaler Wäh-
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Dr. Ritzrungspolitiken durch ein verbessertes Grenzausgleichssystem überbrücken.Zweitens. Wir brauchen die Einsicht aller, daß ohne angemessene Anhebung des administrativen Erzeugerpreisniveaus gerade auch leistungsfähige Vollerwerbsbetriebe in ihrer Einkommenssicherung gefährdet sind.Drittens. Wir brauchen eine Strukturpolitik, die den auf Wirtschaftswachstum angewiesenen Vollerwerbsbetrieben entsprechend der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angemessene Förderung zuteil werden läßt und Zu- und Nebenerwerbsbetriebe so weit in Förderungsmaßnahmen einbezieht, daß sich diese Betriebsform als ein gewollter Bestandteil der Agrarstruktur begreifen kann.Viertens. Wir müssen nach Ablehnung unserer agrarsozialen Anträge vom 8. November 1973 darauf bestehen, wenigstens die strukturellen Verbesserungen im Bereich der Krankenversicherung und Altershilfe durchzusetzen.Im übrigen wird der Kollege Susset unsere Entschließung erläutern.
Herr Abgeordneter, jetzt müssen Sie zum Schluß kommen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Wir beraten heute einen Agrarbericht, der mit seinen Wirtschaftsergebnissen nur allzu leicht die heutigen negativen Entwicklungstendenzen überlagert. Wir alle haben die Aufgabe, dieser Fehlbeurteilung zu begegnen. Nur wenn sich die Landwirtschaft ihren Anpassungswillen bewahrt und die Agrarpolitik entschlossen ist, das für sie Notwendige und ihr Mögliche zu tun, werden wir die vor uns liegenden Schwierigkeiten meistern können. Die CDU/CSU wird alles unterstützen, was diesen Zielen dient. Sie wird aber genauso ihre Kritik und ihre eigenen Vorschläge einbringen, wo sie diese Ziele gefährdet sieht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben mit der Rede des Kollegen Ritz einen Vorgeschmack davon bekommen, wie die Opposition draußen im Lande über Agrarfragen sprechen und dabei ohne Rücksicht auf Tatbestände und historische Ereignisse die Dinge so darstellen wird, wie es ihr gerade paßt.
Die Einlassung des Kollegen Ritz war sehr wortreich. Aber wenn ich auf die Suche nach konkretenVorstellungen und konkreten Vorschlägen zur Bereinigung der Probleme gehe,
so ist dort wenig zu finden. Ich erinnere mich an ein Wort aus dem Berliner Jargon. Dort hieß es einmal: Viel Geschrei und wenig Wolle.
Nun, Herr Kollege Ritz, das ist noch zu ertragen. Aber nicht zu ertragen ist, daß Sie die Landwirtschaft von heute in dieser Weise verunsichern. Das haben Sie früher schon einmal getan. Denken Sie nur an Ihre Rede im Jahre 1972. Damals haben Sie den Untergang der deutschen Landwirtschaft an die Wand gemalt. Sie haben aber vorhin selber feststellen müssen, daß die beiden darauf folgenden Jahre doch sehr erträglich und gut waren. Nun kritisieren Sie schon wieder die Vorschau für das Jahr 1973/ 1974 in dem Bericht. Ich muß Ihnen und der Landwirtschaft sagen: Von einer Krise kann in der gegenwärtigen Zeit doch überhaupt keine Rede sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nunmehr auf das zurückkommen, was ich hier heute in diesem Hause sagen wollte. Ich habe mich mit meinen Parteifreunden in der Fraktion darüber verständigt, daß ich mich speziell mit den europäischen Anliegen befasse. Mein Kollege Saxowski wird nachher zu vielem von dem Stellung nehmen, Herr Kollege Ritz, was Sie hier gesagt haben. Eingangs möchte ich sagen, daß wir mit den Feststellungen des Bundesministers Ertl über die Tatbestände von heute einverstanden sind. Wir gehen auch mit seinen Prognosen hinsichtlich der politischen Zielsetzungen einig. Das, was der Minister gesagt hat, brauche ich also nicht noch einmal zu wiederholen; ich will es nur unterstreichen.Lassen Sie mich einiges zu den Fragen der Europapolitik sagen. Ich möchte diese Fragen sogar in den Mittelpunkt meiner Betrachtungen stellen. Die Öffentlichkeit wurde vor einigen wenigen Wochen auf Grund einiger Begebenheiten hellhörig. Sie wurde fast schockiert, daß diese Begebenheiten auf dem Gemeinsamen Markt passiert sind. Ich erinnere daran, daß an der deutsch-italienischen Grenze beladene Milchtankwagen angeschossen worden sind. Ich erinnere daran, daß in Frankreich Lastwagen mit Fleisch verbrannt worden sind. Ich erinnere auch daran, daß unsere Kutterfischer nicht mehr ausfuhren und die Anlandungen von Fischen aus anderen europäischen Ländern verhindert haben. All dies macht doch hellhörig. Jeder muß sich fragen: Ist alles noch in Ordnung, wenn wir vom Gemeinsamen Markt sprechen?
Da stimmt doch etwas nicht! — Insoweit sind wir gar nicht unterschiedlicher Meinung. Herr Kollege Ritz, Ihre Darstellung zum Thema „Europa" kann ich allerdings nicht akzeptieren. Wie gesagt, in den Feststellungen sind wir uns wahrscheinlich alle einig; ich sage es später noch detaillierter. Wir diffe-
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rieren doch nur insoweit, als Sie dies alles der Bundesregierung zur Last legen
— ich habe genau zugehört — und an der Bundesregierung kein gutes Haar lassen. Ich werde beweisen, daß die Bundesregierung in diesem Rahmen das Maximale getan hat.Die große Prognose über die europäische Entwicklung haben wir vor einigen Tagen den Zeitungen entnehmen können. Es war die Rede davon, daß die politische Gemeinschaft in der EG im Jahre 1980 verwirklicht werden könnte. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Es kann sein, daß man die Welt vom Hochsitz eines gelben Wagens ein bißchen anders ansieht.
Vielleicht bin ich inzwischen auch betriebsblind geworden. Wenn man nämlich 18 Jahre lang jede Phase der europäischen Entwicklung auf dem Agrarmarkt sehr genau verfolgt und mit jedem Tag die Schwierigkeiten erlebt, die ,dabei entstehen, kann man betriebsblind werden. Mir sind solche Prognosen ein bißchen zu weit vorgetrieben. Unsere Lage in der Gemeinschaft ist nicht so, daß man sagen könnte: Wir werden in absehbarer Zeit die politische Gemeinschaft haben.Die Entwicklungen auf den Weltmärkten haben doch die Gemeinschaft nicht mehr zusammengeschweißt, sondern eher mehr zerstritten gemacht. Das muß man bedauern. Wir wissen aber auch, daß die Bundesregierung gegen diesen Verfall mit allen Kräften angegangen ist. Sie hat Hilfen angeboten, die leider nicht in Anspruch genommen worden sind. Daher kommt es, daß wir von Krise zu Krise stolpern. Ich erinnere mich noch ganz genau — ich war damals ja auch hier in diesem Hause und habe das aktiv miterlebt —, wie unsere Jugend 1958 mit Begeisterung die Schlagbäume niederrieß. Heute steht sie völlig uninteressiert beiseite. Man kann nur mit Schaudern vermerken, daß es trotz der hervorragenden und beschwörenden Gipfelkonferenzen nicht einmal gelungen ist, einige Stepschritte zu tun. Die Ursachen dafür, daß dies nicht möglich war, können Sie, Herr Kollege Ritz, aber nicht bei dieser Regierung suchen. Es gibt nach meiner Ansicht keine europafreundlichere Regierung in den neun Ländern als die Bundesregierung.
In dieser Zeit, da in allen Ländern die konjunkturelle Wirtschaftsentwicklung, die Preissteigerungen, die Zahlungsbilanzen und die Maßnahmen zur Behebung dieser Schwierigkeiten ganz unterschiedlich sind, sind wir in der Tat an einem Punkt angelangt — und da bestätige ich Ihr Wort —, an dem gemeinsame agrarpolitische Entscheidungen fragwürdiger werden, ja vielleicht fragwürdiger werden müssen.Wenn der gemeinsame Agrarmarkt das einzige Bein ist, auf dem die Gemeinschaft steht, dann mußman wohl sagen, daß dieses Bein mit Pflastern überklebt, teilweise sogar geschient ist und daß man das eigentliche Bein kaum noch erkennen kann. Man muß sich fragen, warum das so ist. Da muß man eine Bestandsaufnahme machen, und bei dieser Bestandsaufnahme darf man natürlich nicht die gesamteuropäischen Auswirkungen der europäischen Politik übersehen. Das hat Herr Minister Ertl in seiner Rede eingangs ausdrücklich unterstrichen. Das kann man nicht negieren, das ist auch unser Ja zu Europa.Ich möchte jedoch neben dieses eindeutige Ja ein Aber stellen, — nicht dagegenstellen, sondern danebenstellen. Wenn ich das einmal ganz kurz erläutern darf, dann will ich sagen, wieso es zu dieser Entwicklung ganz allgemein gekommen ist. Wir haben Dutzende von Verordnungen in der Agrarwirtschaft; sie reichen vom Getreide über das Fleisch bis hin zu Blumenzwiebeln und Seidenraupen und andere Verordnungen über die Anpassung der Strukturen, darauf aufgebaut Tausende und aber Tausende von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen. Ich würde mich über diesen Perfektionismus gar nicht einmal aufregen, wenn man nicht manchmal den Eindruck haben könnte und haben muß, daß hier seitens der europäischen Behörden Haarspalterei getrieben wird. Was dieses ganze System, das wir heute in der Agrarpolitik in Europa haben, inzwischen unleidlich macht, was dem Anspruch an einen gemeinsamen Markt einfach nicht entspricht und diesem Anspruch sogar ins Gesicht schlägt, das sind einerseits die Praktiken in diesen Ländern und dann natürlich die finanziellen Belastungen.Ich habe mir einmal einige Punkte zusammengestellt, was dabei in den Ländern alles möglich ist. Ich will nur einige Kostproben von den acht Punkten vortragen; sie besagen deutlich genug, warum wir uns in dem gemeinsamen Agrarmarkt von Tag zu Tag mehr auseinanderleben. Was ist möglich? Die Besteuerung der vor- und nachgelagerten Stufen sowie der Produkte mit dem Ziel, das Einkommen, die Warenströme und Marktpreise und damit die Wettbewerbsstellung bestimmter Anbieter zu beeinflussen, ferner die Anwendung parafiskalischer Abgaben und deren Ausgleich im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, Beförderungsentgelte, die nach Produkten, Zeiträumen und Bestimmungsorten differenziert werden, und sonstige Vergünstigungen bei den Transportkonditionen. So könnte ich einen Punkt nach dem anderen vortragen, alles Möglichkeiten, die die Länder in Anspruch nehmen können und mehr oder weniger in Anspruch nehmen und die uns den gemeinsamen Agrarmarkt nicht gerade in bestem Licht erscheinen lassen.Wenn ich das sage, dann weiß ich, daß das auch praktiziert wird. Es wäre ein abendfüllendes Programm, wenn ich all das vortragen könnte — ich habe ein paar Punkte in meinem Papier —, was dabei konkret passiert. Aber das will ich mir verkneifen.Ich will nur eines hinzufügen. Ich hätte beinahe vergessen, die möglichen Beihilfen, die im Rahmen der Europapolitik gewährt werden können, zu er-
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Dr. Schmidt
wähnen. Ich habe hier zwei dicke Bände mitgebracht, in denen Seite für Seite von Beihilfen für das eine oder andere Land die Rede ist. Da werden alle Bereiche erfaßt. Damit könnte man fast Bibliotheken zusammenstellen, und da macht die Bundesrepublik keine Ausnahme. All das ist auf Grund der gegenwärtigen Ordnung möglich.Ich meine, hier gilt es, einiges zu überlegen. Die Sache wird mit den Ereignissen plastischer, die sich hier im Zusammenhang mit der Ölkrise aufgetan haben. Wir haben eine Spaltung in Teilmärkten bereits durch die Änderungen der Währungsparitäten gehabt, und wir haben in diesen Tagen erlebt, wie die einen die Energiepreise für bestimmte Bereiche einfrieren und damit das Kostengefüge manipulieren. Ich denke dabei an das Heizöl für den Unterglasbau, ich denke dabei an das Dieselöl für die Kutterfischer.Was sich sonst noch auf dem europäischen Markt in den letzten Tagen getan hat, kann zur Stunde noch niemand übersehen. Ich denke auch daran, daß andere Länder die Fleischzufuhr aus dritten Ländern gesperrt haben. Möglicherweise werden sie bald die Grenzen gegenüber der Gemeinschaft sperren oder Subventionen in ungeheurem Ausmaß für die Milch bereitgestellt haben, weil ihre Zahlungsbilanz und die Steigerung der Energiekosten das scheinbar erforderlich machen. Da haben andere Länder das Stützungsniveau verändert, ohne auf die kommenden Beschlüsse von Brüssel zu warten. Möglicherweise geschah das sogar um diese Beschlüsse zu präjudizieren. Ich meine, hier werden in der Tat in einigen Ländern Erzeugungsschlachten angekurbelt,
die schon heute — das ist das Wichtige — das Desaster von morgen ahnen lassen.
Alle diese den fairen Wettbewerb von Jahr zu Jahr stärker belastenden Maßnahmen und Tätigkeiten haben mit der gemeinsamen Zielsetzung kaum noch etwas zu tun. Für mich ergibt sich die Frage, ob man all diese Vorgänge noch hinnehmen kann, weil sie in der Tat geeignet sind, das Wenige, das wir in Europa an gemeinsamer Politik zustande gebracht haben, in kurzer Zeit zu zerstören.
Lassen Sie mich einen anderen kritischen Punkt auch nur ganz kurz ansprechen, der nicht unerwähnt bleiben darf. Ich meine die Sonderregelungen, die im Ministerrat für das eine oder andere Land beschlossen werden.
Ich weiß, von Anfang an war das nicht zu umgehen. Wir waren aber der Meinung, daß diese Sonderregelungen zumindest nach der Übergangszeit 1972 nicht mehr Platz greifen sollten, und wir sind enttäuscht. Die Ausnahmen für die Länder werden am laufenden Band genehmigt, die Ausnahme ist fast zur Regel geworden. Die jährlichen Verhandlungen um feste Agrarpreise werden von den Mitgliedstaaten in zunehmendem Maße genützt, um einzelstaatliche Interessen auf Kosten der Gemeinschaft durchzusetzen. Oft kommen dabei Kompromisse zustande, die die Vorteile der größeren Wirtschaftseinheit in keiner Weise berücksichtigen. Überprüft man einmal diese Beschlüsse der letzten Jahre auf ihre kommunitäre Haltung, kann einem in der Tat Angst und Bange werden. Aber wer kontrolliert das alles schon? Allein in den letzten zwei Jahren hat der Rat ein Dutzend Beschlüsse gefaßt, um dem einen oder anderen Land Ausnahmen zu gewähren. Lassen Sie mich aus der Liste von 13 Punkten nur die ersten vier vortragen.Erstens. Am 24. März 1972 bestätigt der Ministerrat die sogenannte Hafenprämie für Italien, d. h. eine Vergütung der italienischen Einfuhren für Futtergetreide.Zweitens. Am 20. Juni 1972 verlängert der Rat eine zusätzliche Verarbeitungsprämie für in Italien verarbeitete Ölsardinen.Drittens. Am 18. Juli 1972 gewährt der Rat Frankreich eine sogenannte Umlagerungsprämie für überschüssigen Tafelwein.Viertens. Im Juli 1972 beschließt der Rat einen Kostenzuschuß für Eisenbahntransporte von Frankreich nach Italien für das Futtergetreide.Sie ersehen daraus, meine Damen und Herren, die Liste ist unendlich, sie spricht für sich und kennzeichnet die Situation, in der wir uns befinden. Das muß man wohl — ohne bissige Polemik gegen den einen oder anderen — darstellen.
— Herr Kollege Ritz, ich erinnere Sie heute auch nicht daran, was Sie in Ihrer Regierungszeit vom Jahre 1958 bis zum Jahre 1969 in der Europapolitik getan haben. Da könnten wir eine Liste, aufstellen; aber es hat doch keinen Zweck, uns hier im Bundestag über diese Fragen zu zerstreiten. In der Sachdarstellung sind wir uns wahrscheinlich völlig einig.Warum sage ich das so deutlich und so drastisch? Ich tue es deshalb, weil vor lauter Ausnahmen und Sonderregelungen die Gemeinschaft nicht mehr zu sehen ist. Für mich ist die Frage: Wie lange noch wird das bepflasterte, geflickte Bein der EWG das aushalten. Ich bin in tiefer Sorge, in wirklich tiefer Sorge, und dabei lasse ich die bedrückende Problematik hinsichtlich der künftigen Rolle Englands mal ganz außer acht.Aber es stimmt mich noch sorgenvoller, meine Damen und Herren, wenn ich an die im Herbst stattfindenden GATT-Verhandlungen denke, die von existentieller Bedeutung sein werden. Wie will die Europäische Gemeinschaft im GATT noch eine einheitliche Position einnehmen, wenn sie sich agrarpolitisch auseinanderdividiert?! Allein die USA haben eine zusätzliche Produktion von 8 Millionen Hektar; das entspricht fast der Ackerfläche der Bundesrepublik. Zusammen mit den in der EG mobili-Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14, März 1974 5495Dr. Schmidt
sierten Reserven kann das uns allen zum Verhängnis werden.Das ist doch die nüchterne, ernste Lage. Man muß sie bedauern.Aber wir müssen auch sagen: So können wir in der Gemeinschaft in Zukunft nicht weiter operieren.
Wir müssen versuchen, dagegen anzugehen. Herr Lardinois, den auch Sie schon mit zitiert haben, hat am Schluß seiner Londoner Rede mit Deutlichkeit gesagt, daß die Agrarpolitik der Gemeinschaft einer ständigen Überprüfung bedarf. Wir schließen uns dem an, ja, wir meinen, es wäre gut, wenn alle darüber nachdenken würden.Natürlich müssen wir den Vertrag von Rom im Auge behalten. Natürlich kann es nicht darum gehen, den Vertrag von Rom zu ändern. Wir müssen an den drei Grundprinzipien des Vertrags von Rom festhalten, als da sind: das Prinzip des freien Warenverkehrs, das Prinzip der Präferenz mit dem gemeinsamen Außenschutz — darüber kann es, meine ich, auch mit England keine Verhandlungen geben — und das Prinzip der finanziellen Solidarität. Dieses letzte Prinzip darf trotz der üblen Butteraffäre nicht aufgegeben werden. Es muß auf die Machbarkeit und Zumutbarkeit abgestellt sein. Dabei dürfen wir die Grenzen der Belastbarkeit keineswegs überschreiten.Dieses Nachdenken über die künftige Agrarpolitikder Gemeinschaft können wir doch nicht der Kommission mit ihrem völlig verkrusteten Apparat überlassen! Wir müssen alle an dem Denkprozeß mitwirken — nicht nur die Agrarpolitiker, sondern alle, die an Europa ein Interesse haben. Und dabei, Kollege Ritz, darf es keine Tabus, keine „heiligen Kühe" geben. Das Problem muß transparent gemacht werden. Wir bitten die Bundesregierung — wir wissen, daß sie es ist —, dabei der drängende Partner zu sein, gerade schon deshalb, weil sie jetzt die Präsidentschaft in der Gemeinschaft innehat.
In einer Woche sollen nun im Rat die gemeinsamen Preise beschlossen werden. Was macht diesen Kompromiß so schwierig, was macht überhaupt die Verhandlungen so schwierig? Wir sind der Meinung, Bundesminister Ertl steht dabei vor einer außerordentlich schwierigen Aufgabe.
— Er hat Vollmachten.
— Natürlich, er hat alle Vollmachten, im Rahmen der Gemeinschaft einen Kompromiß herbeizuführen, und nur um einen solchen kann es sich handeln,
es sei denn, Sie setzen die Gemeinschaft aufs Spiel.
Wir wissen, daß die Interessenlage in den einzelnen Ländern außerordentlich divergierend ist, unterschiedlicher als je zuvor. Wir wissen auch, daß gerade in der gegenwärtigen Lage die Bedeutung, die die Preise für den einzelnen Landwirt gewinnen in jedem anderen Land verschieden ist.
Daher ist das Ganze so schwierig. Daher läßt sich auch kaum eine Prognose stellen, wie diese Verhandlungen ausgehen werden.
Jedenfalls ist das Kabinett mit uns der Meinung, daß wir hierbei einen Kompromiß suchen müssen. Wir werden sehen, was am Ende dieser Verhandlungen herauskommt. Wir sollten dann auch zufrieden sein; ich bin überzeugt, Bundesminister Ertl tut das Notwendigste.
Wir sind uns auch mit der Bundesregierung einig, daß neben den unmittelbaren Preisfestsetzungen andere Kernfragen, die sich aus dem Memorandum der Kommission vom 30. Oktober 1973 ergeben, mit angesprochen weiden müssen, auch wenn sie noch nicht entscheidungsreif sind. Ich nehme an, wir werden in diesem Hause über dieses Memorandum sogar noch eine Debatte haben.Wir sind uns mit Bundesminister Ertl darüber einig — das scheint mir für die Gegenwart der wichtigere Punkt zu sein —, daß im Zuge der Preisbeschlüsse ein Grundsatzbeschluß zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen — positiv ausgedrückt: ein Grundsatzbeschluß zur Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen — gefaßt werden muß. Wenn uns das gelänge, wäre dies das erste Mal, daß der Rat einen solchen Schritt tut. Ein solcher Beschluß befände sich auch in Übereinstimmung mit der Re- gierungserklärung vom 18. Januar 1973, in der es heißt: „Die Bundesregierung wird sich in der Europäischen Gemeinschaft im Interesse unserer Landwirte um bessere Wettbewerbsbedingungen bemühen" .Soviel zu dieser Seite. Ich bin auch der Meinung, daß wir mit dem Anfang, mit der Bereinigung der Wettbewerbsfragen, der europäischen Sache den größten Dienst erweisen. Die Regierung kann davon ausgehen, daß sie alle politischen Kräfte und den gesamten Berufsstand hinter sich hat, wenn sie an diese Frage herangeht und den Ministerrat dazu bringt, einen solchen Beschluß zu fassen.
Ich bin der Meinung: Der Anfang muß gemacht werden.
— Ich weiß auch, Herr Kollege Eigen: Aller Anfang ist schwer.Lassen Sie mich zum Schluß einige Bemerkungen an die Adresse unserer Bauern und Landwirte machen. Sie hegen heute — ein Teil sitzt sicher auf der
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Tribüne — eine große Erwartung in die Preisbeschlüsse von Brüssel,
weil ihre Kosten teilweise beträchtlich gestiegen sind. Die Landwirte schauen mit Recht darauf. Ich muß Sie daran erinnern, daß es dabei nur einen Kompromiß gibt.
Die Beschlüsse — das muß hinzugefügt werden — beziehen sich nur auf das Stützungsniveau. Nur darüber wird entschieden, nicht über die Preise. Das ist zwar sehr wichtig, aber für die Einkommen, für die Erlöse der Bauern sind nach wie vor die Marktpreise entscheidend.
Gerade die letzten Jahre geben ein ganz entscheidendes Beispiel dafür; das können Sie auch im Agrarbericht nachlesen.Aber wenn es um den Marktablauf geht, Herr Kollege Eigen, dann sind die Möglichkeiten der Politik erschöpft, dann fängt die Verantwortung der Landwirtschaft an. Wir haben vor vielen Jahren gemeinsam noch mit Ihnen in der Großen Koalition
der Landwirtschaft Gesetze und Hilfen an die Hand gegeben. Sie hat leider davon nur in sehr geringem Umfang Gebrauch gemacht. Wir sind enttäuscht darüber, aber — lassen Sie mich das sagen —
wir werden Mittel und Wege finden, um die Landwirtschaft etwas näher an die Realitäten auf dem Markt heranzubringen. Sie muß nämlich wissen, daß unsere Nachbarn teilweise heute bereits marktorganisatorisch einen Stand erreicht haben,
mit dem wir uns in absehbarer Zeit werden auseinandersetzen müssen.Meine Damen und Herren, in der letzten Legislaturperiode haben wir uns in der Koalition vorgenommen, die Grundfragen der landwirtschaftlichen Sozialpolitik zu Ende zu bringen. Das ist geschehen. Was heute auf diesem Gebiet noch zu geschehen hat, sind Feinheiten und die Bereinigung von Ungereimtheiten, die sich inzwischen herausgestellt haben.
Wir haben die Absicht, in dieser Periode die Marktfragen, soweit wir dafür noch national zuständig sind, anzupacken. Das ist gewiß tausendmal schwieriger, aber ich bin überzeugt, daß wir auch dabei genauso erfolgreich sein werden
wie in der ländlichen Sozialpolitik.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin im Grunde genommen froh darüber, daß diese Aussprache über den Agrarbericht hier zu einer grundsätzlichen Bestandsaufnahme auch der europäischen Agrarpolitik geworden ist. Hier sehe ich einen der entscheidenden Ausgangspunkte.
Aber ehe wir zu den Einzelfragen dieses Berichts kommen und ehe wir uns darüber unterhalten, was seine Zahlen denn im einzelnen bedeuten, Herr Kollege Ritz, muß nun einfach noch einmal die Frage nach dem Aussagewert der Zahlen und Darstellungen dieses Berichtes aufgeworfen werden. Sie haben vorhin die These von dem „historischen Wert" zurückgenommen und auf „zeitgeschichtlich" reduziert. Ich warne, Herr Kollege Ritz, auch vor einer solchen Aussage. Wir, die agrarpolitisch Interessierten, und die Landwirtschaft in der Bundesrepublik müssen daran interessiert sein, daß der Agrarbericht, dieses von uns allen begrüßte Instrument aus dem Landwirtschaftsgesetz, nicht etwa in einem Jahr, in dem gewisse Aussagen des Agrarberichts möglicherweise nicht in die eine oder andere Darstellungslinie hineinpassen, in Frage gestellt wird. Es ist ja kein neuer Zustand, daß der Agrarbericht — —
— Augenblick, Herr Kollege Susset, lassen Sie mich diesen Satz noch zu Ende sprechen! — Es geht mir um folgendes: Wenn wir jetzt sagen, der Agrarbericht habe nur für einen zurückliegenden Zeitraum Bedeutung, dann stellen wir nicht nur in Frage, was die Agrarberichte in den vergangenen Jahren ausgesagt haben, sondern — und hier liegt die große Gefahr —, wir stellen auch in Frage und ziehen in Zweifel, was die Agrarberichte der nächsten Jahre auch der nichtlandwirtschaftlichen Offentlichkeit darlegen werden. Ich warne hier davor, dieses Instrument der sachlichen, nüchternen Darstellung zu entschärfen und möglicherweise zu zerstören.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Susset?
Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Kollege Ronneburger, es geht doch nicht darum, den Agrarbericht in Zweifel zu ziehen, es geht um die Zukunftsprognose für 1974,
und wenn hier heute von einem Dreivierteljahr die Rede war, dann muß man doch fragen: Ist es ein Unterschied, ob in dem Zeitraum von einem Dreivierteljahr die Preissteigerungsraten 1, 2 oder 3 % oder 10 % betragen? Deshalb wird doch diese Zukunftsprognose in Frage gestellt.
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Verehrter Herr Kollege, durch das Ausmaß, um das sich zwischen dem Ende des Wirtschaftsjahres und der Erstattung des Berichts und der Debatte über den Agrarbericht die gesamtwirtschaftliche und insbesondere die agrarwirtschaftliche Situation verändert, ergibt sich immer nur ein relativer Unterschied. Ich muß Ihnen sagen, auch in der Vergangenheit konnte man den Agrarbericht als solchen nicht als eine Darstellung der akuten Situation im Frühjahr des nächsten Jahres nehmen. Man mußte ihn vielmehr auch damals in Verbindung mit den inzwischen gelaufenen Entwicklungen nehmen und daraus die entsprechenden Folgerungen ziehen. Das ist heute nicht anders als in den vergangenen Jahren, und in Zukunft wird es genau dasselbe sein.
Insofern, meine ich, ist es eines der Verdienste von Herrn Bundeslandwirtschaftsminister Ertl, daß er diesem Vorbericht, dieser Prognose im Gesamtagrarbericht, einen sehr viel höheren Wert eingeräumt und damit die Beurteilungsmöglichkeiten entscheidend verbessert hat.
Ich sage bewußt und sage das auch gegenüber dem, was hier von seiten der Opposition ausgeführt worden ist: eines der Verdienste des Bundeslandwirtschaftsministers, denn es gibt eine ganze Reihe, die wert wären, in die Debatte eingeführt zu werden. — Das zunächst einmal zu der Frage, welchen Aussagewert dieser Agrarbericht hat.
Ich meine, wir sollten jetzt einmal versuchen, den Blick sehr nüchtern auf zwei bestimmte Bereiche zu richten. Dabei stellt sich die Frage, wie sich erstens die agrarpolitische Situation in der Bundesrepublik verändert hat und wie zweitens die Entwicklungen in Europa laufen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß gerade dieser Hinweis auf Europa zugleich ein Hinweis auf die Tatsache sein muß, daß unsere Kompetenzen im nationalen Bereich außerordentlich eingeschränkt sind und daß unsere Möglichkeiten, selbständige, eigenständige Agrarpolitik zu treiben, auf ein Minimum zusammengeschrumpft sind.
Die Ausschöpfung des verbleibenden nationalen Rahmens für eigene Maßnahmen ist in überzeugender Weise durch das Bundeslandwirtschaftsministerium und durch die Politik dieser Bundesregierung geschehen. Ich verweise im Moment nur auf zwei Beispiele, auf die Agrarsozialpolitik, die Sie, Herr Kollege Niegel, auch mit Zwischenrufen nicht aus der Welt reden können,
und auf den Bereich der Strukturpolitik. — Wenn Sie von Beiträgen reden, sollten Sie auf der anderen Seite auch von den Leistungen der Bundesrepublik für diese Bereiche reden.
Sie können doch nicht allein von Beiträgen reden, sie müssen auch diesen Vergleich anstellen. Das ist ja das Simplifizierende an solchen Zwischenrufen.
Meine Damen und Herren, bei einem Blick auf die nationalen Möglichkeiten oder nationalen Entwicklungen in der Bundesrepublik, meine ich, sollte man auch an dieser Stelle in einem Augenblick, in dem nicht etwa nur Agrarpolitiker miteinander diskutieren, sondern wo vor dem Plenum und auch vor der Öffentlichkeit der Bundesrepublik eine Bestandsaufnahme der Agrarpolitik und der landwirtschaftlichen, der ernährungswirtschaftlichen Situation angestellt wird, einfach einmal aus dem Agrarbericht zitieren, und zwar die Zielsetzungen, die sich diese Bundesregierung auf den genannten Gebieten gesetzt hat. Ich bitte um die Genehmigung, diese wenigen Zeilen eben einmal verlesen zu dürfen. Die Zielsetzungen gliedern sich in vier Punkte:
Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum sowie die gleichrangige Teilnahme der in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei Tätigen an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung.
Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Produkten der Agrarwirtschaft zu angemessenen Preisen.
Beitrag zur Lösung der Weltagrar- und Welternährungsprobleme und Verbesserung der agrarischen Außenwirtschaftsbeziehungen.
Erhaltung, Wiederherstellung und Entwicklung der Leistungs- und Nutzungsfähigkeit von Natur und Landschaft, Verbesserung des Tierschutzes.
Von diesen Zielsetzungen her sollten wir einen Blick auf den Agrarbericht und auf den Vorbericht werfen, die nach meiner Meinung notwendig zwei unterschiedliche Prognosen erstellen. Die eine bezieht sich auf den restlichen Ablauf des laufenden Wirtschaftsjahres, die zweite Prognose wird einen Vorblick erfordern auf die Frage: Wie sehen jetzt die Tendenzen für das Wirtschaftsjahr 1974/75 aus? Hier gibt es ja einige entscheidende Unterschiede zwischen diesen beiden Wirtschaftsjahren.
Die genannten 6 bis 10 % erwarteter Steigerung der landwirtschaftlichen Einkommensentwicklung beziehen sich ja auf ein Jahr, auf das die gestiegenen Preisentwicklungen auf dem Energie- und Düngemittelsektor nur zum Teil durchschlagen. Das wird überzeugend deutlich, wenn man einmal darauf hinweist, daß sich z. B. die Preissteigerungen für Düngemittel, auf die auch Herr Kollege Ritz hier hingewiesen hat, für das laufende Wirtschaftsjahr nur auf einen Bruchteil der insgesamt verwendeten Düngemittelmenge beziehen, nämlich auf etwa 20 % des Mineraldüngers, der in diesem Wirtschaftsjahr aufzuwenden ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eigen?
Herr Kollege Ronneburger, erkennen Sie nicht an, daß es gleichgültig ist, wenn man Frühbezug macht, für welches Jahr das gemacht wird? Wer immer Frühbezug macht, der macht auch
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5498 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Eigenin diesem Jahr Frühbezug für das nächste Jahr und ist daher voll mit der Kostensteigerung belastet.
Herr Kollege Eigen, ich bin im Grunde genommen sehr davon angetan, daß ein Vertreter der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft mir diese Frage stellt; denn ich kann Sie in diesem Punkt auf eine Veröffentlichung der Betriebswirtschaftlichen Mitteilungen der Landwirtschaftskammer des Landes Schleswig-Holstein verweisen, wo einwandfrei dargelegt worden ist, daß in Schleswig-Holstein — und das wird sich weithin auf die gesamte Bundesrepublik übertragen lassen — Düngemittel bereits zu 75 bis 80 % zu alten Preisen eingekauft worden sind.
— Ich rede doch von dem laufenden Wirtschaftsjahr.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Ja, bitte sehr!
Herr Kollege, können Sie dem Herrn Kollegen Eigen sagen, daß Frühbezug von Handelsdünger im ersten Vierteljahr des jeweiligen Wirtschaftsjahres erfolgt, so daß Frühbezug des letzten Jahres sich entscheidend für dieses Wirtschaftsjahr auswirkt und der Frühbezug in diesem Jahr für das nächste Wirtschaftsjahr, eben weil das im ersten Vierteljahr des Wirtschaftsjahres — Juli, August und September — erfolgt?
Herr Kollege, Sie haben mich gefragt, ob ich das, was Sie soeben gesagt haben, dem Herrn Kollegen Eigen sagen kann. Das kann ich natürlich; aber ich glaube, er hat es gehört.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Herr Kollege Ronneburger, glauben Sie nicht, daß es doch etwas kleinliches buchhalterisches Denken ist, bezüglich des Düngemittelbezugs nur bis zum 30. Juni zu denken, und können Sie damit die 56 % Preissteigerung, insbesondere bei Phosphatmitteln, aus der Welt schaffen?
Ich verstehe überhaupt nicht mehr, was die Opposition hier eigentlich argumentiert.
Vielleicht wäre es ja gut, Herr Kollege, wenn Sie zwischen Ihren Zwischenrufen gelegentlich auch auf das hören würden, was der Redner hier vorn sagt.
Das wäre ein sehr lobenswertes Unterfangen.
Ich habe ausdrücklich dargestellt und wiederhole es Ihnen noch einmal, damit es nun vielleicht nicht an Ihnen vorbeigeht: Ich unterscheide zwischen der Prognose für die Zeit bis zum Ende des laufenden Wirtschaftsjahres und der weiteren Prognose für den Ablauf des kommenden Wirtschaftsjahres 1974/75. Es ist doch wohl nicht zu übersehen, daß es hier Unterschiede gibt.
— Vielleicht warten Sie einmal ab, bis ich zu dem entsprechenden Abschnitt meiner Ausführungen komme. Zunächst einmal stelle ich fest: für das lau- fende Wirtschaftsjahr. Es ist ja hier von Herrn Kollegen Ritz in Zweifel gezogen worden, ob 10 % Steigerung der landwirtschaftlichen Einkommen eigentlich real seien, und er hat diesen Zweifel unter anderem mit der Anführung der vollen Preissteigerung bei Düngemitteln begründet. Ich sage Ihnen: Diese Preissteigerung wird in diesem Jahr noch gar nicht voll wirksam, sondern nur für 20 % des aufgewendeten Mineraldüngers. Das ist einfach nicht zu übersehen.
— Herr Eigen, Sie sagen jetzt, das streitet niemand ab.
— Ja, dann wenden Sie sich an die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, Herr Eigen, um darüber eine Auskunft zu bekommen. Aber wir machen hier schließlich ja kein Zwiegespräch. Ich bin bereit, Zwischenfragen zuzulassen, aber nicht — —
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Ja, bitte sehr!
Herr Kollege Ronneburger, merken Sie denn nicht, daß er das gar nicht begreifen will? Der will doch nicht!
Ich möchte keinen Unterschied zwischen dem machen, Herr Kollege Schmidt, was jemand nicht begreifen will, und dem, was er möglicherweise nicht begreifen kann.
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RonneburgerIch stehe ja hier nicht, um etwa die Situation der Landwirtschaft in leuchtenden Farben zu schildern, sondern ich stehe hier, um eine möglichst sachliche und nüchterne Darstellung dieser Situation zu geben, weil nur mit einer solchen Darstellung dann auch die Forderungen der Agrarpolitik gegenüber der nicht agrarpolitisch interessierten Öffentlichkeit zu begründen und durchzusetzen sind. Da bitte ich nun allerdings auch um Ihre Unterstützung.
Was hat es für einen Sinn, daß wir uns hier in eine solche Auseinandersetzung einlassen, die offensichtlich weder den Interessen der Landwirte noch den Interessen der Agrarpolitik insgesamt dienlich sein kann?
— Ja, also, jetzt eine letzte Antwort: wenden Sie sich an Ihre Genossenschaft und den Landhandel, und lassen Sie sich eine Preisliste geben! Ich kann Ihnen sagen: die Düngemittel werden nicht teurer, die sind bereits teurer.
Aber darum handelt es sich ja nicht. Lassen wir die Geschichte! So können wir es sicherlich nicht weitermachen. Ich habe eine begrenzte Redezeit und möchte auch noch zu einigen anderen Punkten kommen, die ich für entscheidend halte.Ich bin der Überzeugung, daß wir sehr wohl zwischen dem Wirtschaftsjahr, das Ende Juni jetzt zu Ende geht, und dem Wirtschaftsjahr, das dann neu beginnt und das unter anderen Voraussetzungen beginnt, unterscheiden sollten. Man könnte jetzt noch einige Zahlen über die Entwicklung des Einkommens in der Landwirtschaft im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wiederholen, die hier schon genannt worden sind. Darüber gibt es, Herr Kollege Ritz, offenbar auch zwischen uns gar keinen Dissens. Es wird nicht bestritten, daß es sich bei dem vorliegenden Agrarbericht um einen günstigen handelt. Nur — das sage ich jetzt noch einmal — sollte man bei der Beurteilung solcher Agrarberichte und ihrer Aussagekraft keinen Unterschied danach machen, ob einem die Argumente jeweils passen oder nicht.
Es kommt darauf an, Agrarbericht und Prognose zu einer Beurteilung der Lage zusammenzufügen, und um diese Prognose sollten wir uns gemeinsam bemühen.Über die Situation der Landwirtschaft in der Bundesrepublik ist aber noch das eine oder andere Wort mehr zu sagen. Bei der Frage, wie es eigentlich auf dem Markt und mit unseren Preisen aussieht, ist nicht zu übersehen, daß wir für das am 1. Juli beginnende Wirtschaftsjahr nicht mit gleichen Preissteigerungen wie im Berichtsjahr zu rechnen haben, möglicherweise nicht einmal wie im jetzt laufenden Wirtschaftsjahr, daß dann aber bestimmte Unkostenerhöhungen voll wirksam werden, und zwar für das gesamte, vom 1. Juli an laufende Wirtschaftsjahr. Um diese Frage geht es mir entscheidend.Von daher muß man den Blick nach Brüssel richten und die entscheidende Frage stellen: Wie sieht es denn eigentlich mit den möglichen Preissteigerungen in Brüssel aus, wie wirken sie sich auf dem Hofe aus, aber auch in der Verteuerung der Lebenshaltungskosten?Dazu muß ich einleitend, wenn ich von Brüssel spreche, Herr Kollege Ritz, folgendes sagen. Sie haben hier Mansholt zitiert und auf seine Aussage hingewiesen, es fehle ihm eine europapolitische Konzeption der Bundesregierung. Ich meine, daß es in einer agrarpolitischen Debatte einige Schwierigkeiten machen sollte, den Namen Mansholt zu zitieren, gerade wenn man an den Mansholt-Plan und seine negativen Aspekte für unsere Landwirtschaft denkt. Man muß dann auch daran denken, mit wieviel Mühe es Bundeslandwirtschaftsminister Ertl gelungen ist, von diesem starren Konzept des Mansholt-Planes zu dem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm zu kommen,
dem Sie ja eine, wenn auch nur unterschwellig vorhandene, gleiche Zielrichtung wie dem Mansholt-Plan nachgesagt haben.Ich meine, Herr Kollege Ritz, hier übersehen Sie einen ganz entscheidenden Unterschied: Im Mansholt-Plan handelte es sich immer um starre Zahlen — Hektar-Zahlen, Kuh-Zahlen usw. —; dort wurde reglementiert bis zum letzten, während das einzelbetriebliche Förderungsprogramm mit den Aspekten, die Herr Minister Ertl — auch von Ihnen begrüßt — heute dazu genannt hat, eine sinnvolle Förderung derjenigen Betriebe vorsieht, die als entwicklungsfähig zu gelten haben.Über die Zahlen bin ich mit Ihnen nun allerdings durchaus nicht einer Meinung. Ich verweise auch auf das, was in „Agrareurop" zu dieser Frage veröffentlicht worden ist. Sie haben von etwa 10 % förderungsfähiger Betriebe gesprochen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritz? — Bitte!
Herr Kollege Ronneburger, damit wir uns hier nicht mit falschen Voraussetzungen abgeben, darf ich gleich fragen: Möchten Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich davon gesprochen habe, daß es Gebiete, also Regionen, in der Bundesrepublik gibt, in denen nur 10 % der Betriebe unter die Förderung fallen, und daß dort eben ein Impuls ausgelöst wird, der ähnlich den Mansholtschen Zielvorstellungen wirkt? Damit wir uns hier nicht mißverstehen: es geht nicht um das ganze Bundesgebiet.
Ich nehme diese Korrektur um so lieber an, als das, was ich jetzt Ihren Worten entnehme und was ich vorhin möglicherweise falsch verstanden habe, — —
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Ronneburger— Ich bestreite das gar nicht. Das kann ein Hörfehler oder eine Unaufmerksamkeit meinerseits gewesen sein. Das ist gar nicht auszuschließen. — In dieser Beurteilung der Lage jedenfalls sind wir uns einig. Insgesamt wird die Zahl der förderungsfähigen Betriebe natürlich weit höher liegen. Ich stimme Ihnen auch darin zu, daß eine Einbeziehung der Nebenerwerbsbetriebe in dem von Herrn Ertl genannten Sinne eine dringende Aufgabe der nächsten Zeit sein wird.Aber, meine Damen und Herren, wenn wir auf Europa kommen, muß ich einfach sagen: Es geht nicht an, in einer Rede zum Agrarbericht auf der einen Seite die Partner sozusagen zu loben, weil sie zugunsten ihrer eigenen Landwirtschaft nationale Maßnahmen durchführen — dieses Lob war unverkennbar aus Ihren Worten herauszuhören, Herr Kollege Ritz —, und auf der anderen Seite der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, sie tue nicht genügend für Europa. Das ist doch wohl ein Widerspruch, der so nicht stehenbleiben kann.
— Herr Kollege Ritz, Sie haben doch mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, mit welchen Mitteln beispielsweise die holländische Regierung im Augenblick mit Subventionen, die nicht EG-konform sind, die Situation der Gartenbauwirtschaft in Holland zu erleichtern sucht; es war ohne weiteres erkennbar — ich glaube, das kann von Ihnen nicht bestritten werden —, daß das in Richtung auf eine Aufforderung an die Bundesregierung gesagt wurde, ein Gleiches zu tun. — Bitte!
Herr Kollege Ronneburger, würden Sie mir recht geben, daß es jetzt auch aus der Sicht der deutschen Produzenten im Grunde doch nur eine Alternative gibt: Entweder die Holländer stellen solche nationalen Maßnahmen ein, oder wir versuchen wenigstens, die Wettbewerbsgleichheit dadurch zu erhalten, daß wir Ähnliches tun? Dabei wäre mir zweifellos das erste lieber.
Herr Kollege Ritz, in diesem Punkt sind wir ja völlig einer Meinung. Aber Sie haben auf der anderen Seite einen nicht unwesentlichen Teil Ihrer Rede darauf verwandt, der Bundesregierung zu sagen, sie tue zuwenig für Europa. In dieser Richtung kann man dann, meine ich, nicht argumentieren. Ich bin der Meinung, daß diese Bundesregierung für Europa mehr getan hat als andere Regierungen. Ich sehe das, Herr Kollege Schmidt, nicht nur vom Hochsitz des gelben Wagens, auch wenn ich an die zukünftigen Entwicklungen denke. Ich habe aus Ihrer Rede so etwas den Eindruck gehabt, daß man auch vom Hochsitz eines andersfarbigen Wagens unter Umständen sehr schwarzsehen kann.
— Lassen Sie mir doch meine Zurückhaltung! Ich habe ja Herrn Ritz 'auch nicht gesagt, daß er die Sache von einem schwarzen Wagen aus gesehen hätte.
Ich weiß, daß dieser schwarz-rote Vergleich immer Emotionen weckt, und deswegen habe ich ihn bewußt vermeiden wollen. Wenn Sie ihn aber unbedingt haben wollen, nun schön.
Meine Damen und Herren, es geht um die Frage, die in den letzten Monaten immer wieder aufgetaucht und aktuell gewesen ist, nämlich die Reform der europäischen Agrarpolitik. Ich möchte gern die Gelegenheit benutzen, auch vor der Offentlichkeit der Bundesrepublik einmal folgendes festzustellen: Gegen die europäische Agrarpolitik wird an Vorwürfen erhoben, sie sei protektionistisch, sie sei zu teuer oder zu wenig verbraucherfreundlich. Das alles trifft nicht den Kern der Dinge. Diese Vorwürfe hätten sich nicht gegen die Agrarpolitik und diejenigen, die sie machen, zu richten, sondern gegen diejenigen, denen es nicht gelungen ist, die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa entsprechend den ursprünglichen Vorstellungen bei der Einrichtung des gemeinsamen Agrarmarktes tatsächlich zu etablieren. Zwar wird von der zu teuren europäischen Agrarpolitik gesprochen; aber man muß doch sehen, daß ein Großteil der Aufwendungen für Ausgleichszahlungen geleistet wird, die nur deswegen erforderlich sind, weil allein die Agrarpolitik bisher integrierender Faktor in Europa geblieben ist. Die Aufgabe, die man ihr damit auftrug, konnte nun allerdings nicht von der Agrarpolitik erfüllt werden, nämlich Vorreiter für Europa zu sein und sozusagen die europäische Automatik einzuleiten.Ich bin deswegen der Meinung — vielleicht werde ich damit auch hier im Hause bei der einen oder anderen Seite auf Widerstand stoßen —, daß es heute gar nicht um eine grundlegende Reform der europäischen Agrarpolitik geht. Vielmehr ist nüchtern festzustellen, die Politik der Marktordnungen hat sich im Grundsatz bewährt. Wir sollten an dieser Politik im Grundsatz festhalten. Ich möchte für Herrn Ertl in diesem Zusammenhang, gerade wenn wir von einer solchen Reform sprechen, Herr Kollege Ritz, einen Vorwurf zurückweisen, nämlich in Richtung auf das Agrarkabinett in Dinklage. Vergleichen Sie einmal den Vorschlag der Kommission mit dem, was damals im Kabinett besprochen worden ist. Dann sollte Ihnen ein ganz entscheidender Unterschied aufgefallen sein. Im Kabinett war nämlich nur davon die Rede, daß bei Überschreiten bestimmter eingelagerter Mengen entsprechende Folgerungen bei den nächsten Preisbeschlüssen zu ziehen seien.Die Landwirtschaft kann letzten Endes eines nicht tragen, auch wenn es sich nicht mehr um den Butterberg oder um Überschüsse bei Milch und
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RonneburgerMilchprodukten handelt. Ich komme darauf nachher an einer anderen Stelle noch einmal zurück. Die Situation hat sich sehr viel schneller geändert, als landwirtschaftliche Produktionsrichtungen einer solchen Entwicklung zu folgen vermögen.Eine grundlegende Reform der europäischen Agrarpolitik wäre nur auf zwei Wegen möglich. Der eine Weg wäre sozusagen die Einführung des Verursacherprinzips. Das heißt, dasjenige Land trägt die Kosten für entstehende Überschüsse, in denen sie entstehen. Das wäre eine für die Bundesrepublik sehr interessante Möglichkeit, weil wir ein Agrarimportland sind. Aber es wäre eine Aufgabe Europas.Die andere Möglichkeit wäre, an die Stelle ausreichender Preise eine direkte Einkommensübertragung zu setzen, eine Möglichkeit, die ich schon wegen der dabei entstehenden Kosten und der Aufgabe der selbständigen Existenz eines Landwirtes für nicht anwendbar halte.Deswegen die Frage nach einer sinnvollen, vernünftigen Fortentwicklung Europas. Ich bin der Meinung, Herr Kollege Schmidt, hier sind noch Wege offen, hier sind noch Möglichkeiten, das mit aller Energie voranzutreiben. Auch bei Schwierigkeiten in der Agrarpolitik brauchte die Landwirtschaft der Bundesrepublik nicht weniger, sondern mehr Europa als heute. Ich vermag nur in der Richtung nach vorn, in dem Auf-Europa-Zugehen eine Möglichkeit zu sehen, bestimmte Probleme zu lösen. Das ist die eine Seite der Frage.Die andere Problematik aber ist die: Wie sieht es denn nun eigentlich mit den zu erwartenden Preisbeschlüssen aus? Hier sind mir eine ganze Reihe von Äußerungen Herrn Ertls bekannt, die ebenfalls in die Richtung gehen, daß die Preisvorschläge der Kommission in keiner Weise den Erwartungen und berechtigten Forderungen der Landwirtschaft entsprechen, zumal diese Vorschläge der Kommission — das muß man dabei noch sehen — zu einem Zeitpunkt erfolgt sind, als über das Ausmaß der inzwischen eingetretenen Preissteigerungen noch gar kein abschließendes Bild zu gewinnen war. Es ist also notwendig, bei den Preisverhandlungen, die hoffentlich in der nächsten Woche zu einem Abschluß führen werden, zum einen diese Preiserhöhungen neu in die Überlegungen einzubeziehen und zum anderen mit in diese Überlegungen einzubeziehen, daß es einen erheblichen Nachholbedarf auf dem Gebiet der europäischen Agrarpreise gibt.Ich brauche die Zahlen, die Herr Kollege Ritz hier über das Verhältnis zwischen Weltmarktpreisen und Inner-EG-Preisen genannt hat, nicht noch einmal aufzuführen. Aber ich habe natürlich die Möglichkeit, die der Bundeslandwirtschaftsminister an dieser Stelle und eine Woche vor den Preisverhandlungen vielleicht nicht hat, Ihnen darzulegen, in welche Richtung nach meiner Meinung ganz konkret diese Preisvorstellungen und Preisbeschlüsse gehen sollten. Ich möchte Ihnen nur der Vollständigkeit halber diese meine Vorstellungen ganz kurz nennen, wobei ich mir immer darüber im klaren bin, daß das Ergebnis in Brüssel letzten Endes einKompromiß sein wird. Nur sollte man hier nicht unterstellen, der Bundeslandwirtschaftsminister gehöre in Brüssel etwa zu denjenigen, die sich für die Vorschläge der Kommission einsetzten.
— Na, Herr Kollege Ritz, in diesem Punkt lasse ich mir aber nun kein Mißverständnis einreden; denn das ist so deutlich gesagt worden, daß ich meine, Sie können es jetzt auch nicht durch einen Hinweis auf das Protokoll wieder aus dem Raum schaffen.Herr Ertl hat sich sehr deutlich dafür ausgesprochen, daß die weitere Entwicklung bei Iden Preisbeschlüssen in Brüssel berücksichtigt werden sollte.
— Haben Sie ihn heute hier vielleicht zum erstenmal gehört oder nie etwas von dem gelesen, was er veröffentlicht hat, Herr Kollege Eigen? Wenn das der Fall sein sollte, bin ich gern bereit, Ihnen entsprechendes Material zur Verfügung zu stellen.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch eine Vorbemerkung notwendig. In Brüssel handelt es sich immer nur um die Richt- und Interventionspreise und nicht um die Marktpreise. Weder die Kommission noch die Agrarpolitiker in 'der Bundesrepublik sollten sich der Illusion hingeben, daß es etwa möglich wäre, mit diesen Preisen allein eine vernünftige Markt- und Agrarpolitik zu treiben.Bei Getreide sollten die Richt- und Interventionspreise um 5 bis 10 % angehoben werden. Bei Milch sollte es beim bisherigen Butterinterventionspreis bleiben. Ferner sollte eine Anhebung des Preises für Futtereiweiß um 16,5 %, für Lebensmitteleiweiß um 6,5 % erfolgen. Das würde eine Milcherzeugerpreiserhöhung um 7 % bedeuten. Die Erhöhung des Futtereiweißpreises — darüber bin ich mir allerdings im klaren — müßte durch Mittel des EG-Fonds abgedeckt werden. Aber dieser EG-Fonds wird ja auf anderen Gebieten im laufenden Jahr erhebliche Einsparungen erzielen können, so daß diese Möglichkeit absolut gegeben sein sollte. Lassen Sie mich noch ein drittes Gebiet nennen: der Rinderorientierungspreis sollte nach meiner Vorstellung um 12 bis 14 % zur Abschirmung nach außen und der Interventionspreis um 3 bis 5 % angehoben werden, weil ich der Meinung bin, daß der Binnenmarkt ohnehin nicht mehr hergeben wird.Meine Damen und Herren, ich will das auch gerne kurz begründen; denn die Situation auf den Weltmärkten hat sich ja entscheidend geändert. Wir hatten noch vor einem Jahr hohe Milchüberschüsse und daher auch hohe Überschüsse bei Milchprodukten. Jetzt hat sich die erstaunliche Entwicklung vollzogen, daß wir nach jüngsten Meldungen gegenüber einem Butterbestand im Vorjahr von 403 000 t im Augenblick einen Bestand von 127 000 t haben. Ehrlichkeitshalber muß nun natürlich hinzugefügt werden, daß von dieser Differenz von insgesamt 276 000 Tonnen 200 000 Tonnen in den Export in die Sowjet-
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Ronneburgerunion geflossen sind. Immerhin, es hat — insbesondere in der letzten Zeit — einen deutlichen Rückgang der Lagerbestände an Butter gerade durch Verbrauch und geringere Anlieferung gegeben. Hier hat sich die Entwicklung vollkommen umgekehrt. In gleicher Weise hat sich — nur in anderer Richtung — eine Umkehrung der Entwicklung auf den Rindermärkten ergeben. In der Bundesrepublik sind 130 000 Rinder von der Einfuhr- und Vorratsstelle eingefroren. Wir registrieren zwar im Augenblick, daß im Handel und in der Wirtschaft die Lagerbestände geschwunden sind, aber wir werden uns die ernsthafte Frage stellen müssen, wie das vorherzusehende höhere Angebot an Schlachtrindern in der EG und auf dem Weltmarkt aufgefangen werden kann. Deswegen auch die Preisvorschläge, die ich Ihnen eben genannt habe.Meine Damen und Herren, es ist in dieser Debatte schon mehrfach und, wie ich meine, mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft und die Agrarpolitik der Bundesrepublik sich nicht etwa nur an den Interessen der Erzeuger orientieren und orientieren können, sondern daß die Agrarpolitik ihre Zielsetzung sehr wesentlich auch darin sieht, den Verbrauchern zu dienen. An dieser Stelle wäre ein Blick auf die Abschirmung der Verbrauchermärkte in der Europäischen Gemeinschaft gegen die enormen Schwankungen der Weltmarktpreise reizvoll. Ich will mir dies angesichts der fortgeschrittenen Zeit im Augenblick jedoch ersparen und nur noch einmal diesen Hinweis geben. Allerdings möchte ich die Offentlichkeit der Bundesrepublik auch einmal darauf aufmerksam machen, in wie starkem Maße die Agrarpolitik und die Entwicklung der Erzeugerpreise zu stabilisierenden Faktoren im Gesamtpreisgefüge der Bundesrepublik geworden sind.Meine Damen und Herren, ich fasse noch einmal kurz zusammen, was ich zum Teil in Erwiderung auf bisher Gesagtes und zum Teil als ursprünglich geplante Aussage hier in diesen wenigen Minuten sagen konnte. Ich meine, wir sollten noch einmal hervorheben, daß der Agrarbericht in seiner Tendenzdarstellung belegt, daß die Agrarpolitik von Bundesminister Ertl und der Bundesregierung in die richtige Richtung läuft.
Es wird darauf ankommen, durch die Kombination der bisher angewandten Mittel und ihre Intensivierung an dem einen oder anderen Punkt, durch die Durchsetzung der notwendigen Beschlüsse in Brüssel diese Tendenz sich auch in Zukunft fortsetzen zu lassen. Es ist einfach nüchtern zu registrieren, daß sich die Einkommenslage in der Landwirtschaft von 1968/69 bis 1972/73 jährlich um durchschnittlich 11 % verbessert hat. Ich entnehme einer Veröffentlichung des Deutschen Bauernverbandes, daß auch die Disparität, der Einkommensabstand gegenüber vergleichbaren Berufsgruppen, in diesem Zeitraum relativ geringer geworden ist. Angesichts der Preissteigerungen kann das Schwergewicht ja nicht auf der Beurteilung der absoluten Zahlen, sondern nur auf der Beurteilung der relativen Abstände liegen. Ich kann nur hoffen, daß es in überzeugender Weisegelingt, diesen Abstand noch weiter schrumpfen zu lassen, und zwar auch deswegen, weil das, was auch Herr Ertl hier angeführt hat, einfach unübersehbar ist: Die Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft ist weit höher als in den vergleichbaren Berufsgruppen. Dies wird im Agrarbericht zwar genannt, in der Offentlichkeit aber mit Sicherheit zu wenig beachtet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Kollege Ronneburger, geben Sie mir recht, daß bei den Vergleichen der Einkommensverhältnisse die viel längeren Arbeitszeiten in der Landwirtschaft nicht mit berücksichtigt sind?
Ich stelle fest, Herr Kollege, daß der Agrarbericht auf diesen Umstand hinweist, daß er aber nach seiner ursprünglichen Konzeption nicht auf Arbeitslohn, also auf Stundenlohneinkommen abstellt, sondern auf das Gesamteinkommen und daß daher diese Differenz in den Abschlußzahlen nicht sichtbar wird, aber auch in der Vergangenheit nie sichtbar geworden ist, so daß der Vergleich in der Gesamtentwicklung heute auf gleichen Ausgangspositionen beruht.Ich sage noch einmal: Die Agrarsozialpolitik wird meines Erachtens in der Gesamtdarstellung dieser Situation zuwenig beachtet, auch schon deswegen, weil hier im umgekehrten Sinn gilt, Herr Kollege, daß sich die Zahlen der Agrarsozialpolitik in den Einkommenszahlen der Landwirtschaft nicht niederschlagen und nicht niederschlagen können und daß man das höhere Maß an sozialer Sicherheit, das die in der Landwirtschaft Tätigen heute umgibt, nicht in nackten Zahlen und Einkommenszuwächsen ausdrücken kann. Aber ich meine, es sollte in der Gesamtbeurteilung der Situation mit in Erwägung gezogen werden.Diese positive Entwicklung wird auf Grund außenwirtschaftlicher Einflüsse im Jahre 1973/74 nicht in gleichem Maße fortzusetzen sein; das ist unbestritten. Es geht darum, daß man jetzt im Grunde nur über Brüssel diese Tendenz so weit wie möglich positiv hält. Ich glaube, es wäre jedoch eine Illusion, zu glauben, wir könnten gleiche Zahlen, wie wir sie im vorliegenden Agrarbericht haben, auch im nächsten Jahr ausweisen, so sehr wir das begrüßen würden. Wir sind nicht enttäuscht darüber, daß die Agrarpreisverhandlungen um einige Wochen verschoben wurden. Wir hoffen, daß jetzt um so eher die Möglichkeit besteht, zu befriedigenden Agrarpreisbeschlüssen zu kommen. Diese Agrarpreisbeschlüsse sind mitentscheidend für das Fort- bestehen und die politische Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft. Die neuesten Entwicklungen im Agrarweltmarkt sollten nicht verhindern, daß das EG-Agrarmarktsystem vereinfacht und das Marktgleichgewicht für Agrarprodukte im EG-Markt angestrebt wird. Gerade die augenblicklichen Weltmarktverhältnisse bestätigen jedoch, daß das EG-Agrarsystem vom Prinzip her sowohl für die Erzeu-
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Ronneburgerger als auch für die Verbraucher sinnvoll ist und grundsätzlich nicht verändert werden sollte.Wir werden uns gemeinsam mit Bundeslandwirtschaftsminister Ertl und seinem Hause dafür einsetzen, daß die positiven Aspekte des zu debattierenden Agrarberichts in die Zukunft verlängert werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiechle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte mit einigen kurzen Vorbemerkungen beginnen. Herr Dr. Schmidt, Sie haben hier ein eindrucksvolles Sündenregister von Beschlüssen des Ministerrats hinsichtlich Ausnahmeregelungen verlesen, insbesondere zugunsten der Italiener. Ich darf ergänzen: das müssen wohl einstimmige Beschlüsse aus dem Jahr 1972 gewesen sein.
Herr Ronneburger, Ihre Rede war, wie ich glaube, bemerkenswert. Sie war der Versuch einer gewissen Objektivierung dessen, was an öffentlichem Eindruck aus dem Agrarbericht, mindestens bis zur Stunde, draußen entstanden und hängengeblieben ist. Aber ich möchte zu ein paar Einzelheiten etwas sagen. Sie haben sich darüber beklagt, daß mein Kollege Ritz Herrn Ertl unterstellt habe, er habe sich nicht genügend für Forderungen der Landwirtschaft hinsichtlich der Preise eingesetzt, im Gegensatz etwa zum französischen Landwirtschaftsminister. Ich erinnere mich auf alle Fälle an eine Aussage von Herrn Ertl, mit der er die Forderung des Deutschen Bauernverbandes vor wenigen Wochen auf 10 % Preiserhöhung — da war sie also noch niedriger als zur Zeit — als illusorisch bezeichnet hat. Da brauchen Sie sich nicht zu beklagen, wenn wir den Eindruck haben, daß Herr Ertl hier sehr zurückhaltend war.Sie haben sich auch darüber beklagt, daß man etwa Stimmen vernehme, die Zahlen des Agrarberichts würden hinsichtlich ihrer Objektivität bezweifelt. Herr Ronneburger, dies ist sicherlich nicht so. Die Zahlen sind objektiv; es geht aber darum, wie diese Zahlen und damit auch die Fragen der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit dargestellt worden sind. Es geht also um die öffentliche Darstellung. Wenn man mit den Menschen unseres Landes in diesen Tagen und Wochen über Fragen der Ernährung oder der Agrarpolitik diskutiert, hört man eigentlich als Echo nur noch eine einzige Zahl, und das sind rund 20 % Einkommenssteigerung bei den Landwirten; darüber wird diskutiert. Wenn das so ist, muß an der Art der Darstellung dieser Bundesregierung etwas nicht gestimmt haben, sonst könnte die öffentliche Reaktion nicht so sein.
Ich bin der Meinung, daß man hier von seiten der Bundesregierung und, konkret gesagt, von seiten Herrn Ertls diese Prozentzahl etwas leichtfertig und völlig ungeschützt in die Welt gesetzt hat und da-mit dazu beigetragen hat, daß hinsichtlich der Bauern und der Landwirtschaft in der Bevölkerung ein fataler Rückschluß entstanden ist, nämlich daß es sich bei dieser sogenannten Betriebseinkommenssteigerung um verfügbare Nettoeinkommen je Arbeitskraft handele. Die Schlagzeilen „Landwirtschaft hat voll aufgeholt" oder „Außergewöhnliche Einkommenssteigerungen der Bauern" stehen nun einmal im Raum, und es ist ein bißchen zu wenig, von dieser Stelle zur Objektivierung nur mit angehängten Sätzen, wie heute im Einbringungsbericht, Stellung zu nehmen.Wir haben uns nicht gewundert, daß die hinsichtlich der Landwirtschaft ohnehin blinde und taube Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände solche falschen Rückschlüsse zog; das sind wir mittlerweile gewohnt. Es war schon etwas trauriger, wenn auch vielleicht bezeichnend, daß die SPD, vertreten durch Herrn Dr. Nölling, von einer privilegierten Schicht hinsichtlich der Landwirtschaft gesprochen hat. Ich finde allerdings, es war noch schlimmer und es war schon fast — so möchte ich einmal sagen — der Gipfel von egoistischem Interesse, wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund, der für seine Mitglieder, die er zu Recht vertritt, zweistellige Einkommenssteigerungen verlangt, gegenüber dem Bundesernährungsminister erklärt, er möge sich gegen jede Preiserhöhung der Landwirtschaft wenden. Aber alle drei Genannten haben und können sich auf die soeben von mir als fatal bezeichnete Zahl von 20 % Betriebseinkommenssteigerungen beziehen, und sie haben es auch getan.Herr Bundesminister, Ihre Aussage heute in der Einbringungsrede, der Agrarbericht zeige eine Darstellung der Ist-Situation, stimmt nicht. Es war auch eine der kritischen Anmerkungen von Herrn Ronneburger, daß man hier nicht über das Gesamtpaket rede — natürlich tut man das —. Aber Herr Ronneburger, die Situation, die der Agrarbericht darstellt, ist die Ausgangslage für die heutige Diskussion, und die Diskussion muß sich natürlich schon mit der Ist-Situation von 1974 befassen, wenn sie überhaupt sinnvoll sein soll.Ich meine, die Darstellung, daß der Agrarbericht die Ist-Situation ist, stimmt wirklich nicht.
— Natürlich; lesen Sie es im Protokoll nach! Darin steht: Der Agrarbericht stellt die Ist-Situation der Landwirtschaft dar. Ich kann Ihnen nur sagen — um in einem Bild zu sprechen —: Dieser leichte Frühlingswind, der die Landwirtschaft zugegebenermaßen im Berichtsjahr 1972/73 gestreift hat, ist mehr oder weniger das, was man der Landwirtschaft 1974 vorhält, obwohl sie sich längst im Eisessturm der Inflation befindet und sich dagegen nicht mehr wehren kann.
Herr Minister, ich frage Sie: Warum haben Sie neben das Betriebseinkommen, als Sie mit Ihrem Bericht vor der Presse standen, nicht gleich groß und gleich deutlich das echt verfügbare Nettoeinkommen gesetzt, von dem man die getätigten Netto-
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5504 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Kiechleinvestitionen, die Sie selbst mit 25 % der Gesamtsumme, also von 20 000 DM, angeben, die Altenteilslasten, die Eigenkapitalzinsansprüche und den unbaren Wertzuwachs am lebenden Inventar abziehen muß. Dann liegt der Wert etwa um 6 000 bis 7 000 DM niedriger. Ich habe die Zahl leider nicht mehr ganz genau in Erinnerung, aber in dieser Größenordnung liegt das. Dann sind das nicht 20 000 DM Einkommen je Arbeitskraft, sondern dann sind es ungefähr 12 800 DM oder 13 000 DM verfügbares Einkommen. Darüber, Herr Minister, hätte sich niemand aufgeregt, im Gegenteil, man hätte nachgerechnet, was das dann pro Monat macht, und es wäre ein realistisches Bild entstanden. Von der Mehrarbeit, von den Arbeitsstunden wollen wir einmal schweigen. Die sind auch früher vorhanden gewesen — da gebe ich Ihnen recht —, und sie waren in der Hinsicht mindestens vergleichbar. Es wäre auf alle Fälle verständlicher und ehrlicher gegenüber allen, und zwar ,der ganzen Offentlichkeit gegenüber, gewesen, statt der Ergebnisse einer repräsentativen Statistik diese echte Zahl zu nennen.Wer sich nun mit 'der Realität befaßt, muß sich die Frage stellen: Was ist denn nun an dieser Aussage der Statistik wesentlich, wenn man sie auf die sogenannte Ist-Situation reduziert? Da ist z. B. wesentlich, daß eine Bauern-Familie, deren Arbeitskräfte — das ist wohl der große Durchschnitt — aus dem Bauern und der Bäuerin bestehen, wobei man die Bäuerin mit 0,4 Arbeitskraft rechnet, von einer Abwanderung von zirka 100 000 Menschen aus der Landwirtschaft überhaupt nichts hat. Ihre Statistik jedoch, Herr Minister, verbessert sich 'durch diese Abwanderung der 100 000 Menschen, die sich in dem laufenden Jahr in die Gesamtertragssumme teilen müssen, ganz erheblich.Sie selbst, Herr Minister, haben heute in Ihrer Einbringungsrede erklärt, daß die Futterbaubetriebe im laufenden Jahr mit einem Rückgang des Betriebseinkommens rechnen müssen. Das ist nicht das erste Mal. Die Gesamtlandwirtschaft hat 1970/71 minus 10 % gemacht, und die Futterbaubetriebe waren daran ganz 'besonders stark beteiligt. Das ist zwar Vergangenheit, nur soll man es der Vollständigkeit halber vielleicht noch mit sehen.Ich möchte jetzt einmal versuchen, an einem Einzelbeispiel — entgegen dieser statistischen Mischzahl, die von den Zuckerrübenbaugebieten Norddeutschlands bis zu den Bergbauern Süddeutschlands reicht — aufzuzeigen, wie sich diese Ist-Situation — weil Sie schon selbst die Futterbaubetriebe genannt haben — tatsächlich darstellt. Ich habe mir die Ergebnisse von mehreren Jahren eines guten, ich möchte fast sagen, eines Spitzenbetriebs in Süddeutschland geben lassen, konkret gesagt: eines Spitzenbetriebes im Allgäu, im absoluten Grünlandgebiet, eines Spitzenbetriebes sowohl hinsichtlich seiner Größe als auch seiner Leistung, um hier ja nicht in den Verdacht zu kommen, zu manipulieren.Der Landwirt hat mir mit seinen Rechnungen folgerndes nachgewiesen. Die Ausgaben sehen, bezogen auf ein und dieselbe Volldüngersorte — immer zum selben Zeitpunkt gekauft —, so aus: 1972 31 DM je Doppelzentner; im März 1974 44,40 DM je 'Doppelzentner.Für Futtermittel, die er gekauft hat, mußte er 1972 43 DM je Doppelzentner bezahlen, im Januar 1974 61 DM je Doppelzentner.Er hat Handwerker beschäftigt — ich habe leider nur noch 'die Zahl von 1970 bekommen können, vom selben Betrieb; ich wollte bei einem Betrieb bleiben —: 1970 hat er 9,20 DM bis 11 DM, 1973 18,50 DM bis 26 DM und für einzelne Dienstleistungen bis zu 31 DM bezahlt.Hat er 1972 Diesel gekauft, dann betrug der Literpreis 55 Pf, kauft er ihn jetzt, beträgt er 84 Pf. Hat er Heizöl benötigt, etwa für seine Heutrocknungsanlage, dann betrug der Literpreis 1972 12 bis 13 Pf, jetzt beträgt er 35 Pf.Ich habe mir einmal, meine Damen und Herren, seine Einnahmen-Belege angesehen. Er hat 1970, immer umgerechnet auf 3,85 % Fett, also nicht auf die statistischen 3,7 % — ich bin da fair; von Fairneß hat man heute schon öfter gesprochen —, 38,9 Pf — alle Zahlen einschließlich Mehrwertsteuer —, 1971 41,6 Pf, 1972 44,2 Pf und 1973 44,4 Pf — also 0,2 Pf Milchpreissteigerung von 1973 auf 1974 — für seine Milch bekommen. Im März 1974 — wenn ich die neueste Zahl noch hinzufügen darf — hat er wieder 44,3 Pf, also genau dieselben Preise aus seiner Haupteinnahmequelle bekommen. Denn bei einem Grünlandbetrieb bestehen die Einnahmen zu etwa zwei Dritteln aus dem Verkauf von Milch und zu einem Drittel aus dem Verkauf von Schlachtvieh und Kälbern.1956, meine Damen und Herren, habe ich von demselben Betrieb einen Beleg für Milchgeld vorgelegt bekommen; damals hatte er bereits 40,1 Pf pro Liter Milch erzielt.
— Für ihn waren es Einnahmen, Herr Kollege. Das war diese Agrarpolitik, von der Sie immer sagten, sie sei so hundsmiserabel gewesen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gallus?
Bitte sehr!
Herr Kollege Kiechle, wollen Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß auf Beschluß der EG-Kommission seit April 1968 keine Subventionierung des Milchpreises mehr vorgenommen werden darf und deshalb diese Bundesregierung alle Anstrengungen unternommen hat, damit über den Markt entsprechende Erlöse erzielt werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mein lieber Herr Kollege Gallus, leider muß ich hinzufügen: Die Bestrebungen dieser Bundesregierung waren relativ erfolglos.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5505
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Bitte, Herr Löffler!
Sehr geehrter Herr Kollege Kiechle, nachdem Sie eben das Jahr 1956 angesprochen haben: Können Sie mir erklären, weshalb Ihr früherer, von uns allen hochgeachteter Kollege Detlef Struve in der Agrardebatte am 24. Februar 1956 folgendes ausführte: „Nach wie vor schleichen sich auf den verschiedensten Gebieten, besonders auf dem Maschinen- und Bausektor immer wieder Preiserhöhungen ein. Diese Erscheinungen sind unerträglich" ?
Herr Kollege Löffler, ich kenne das Zitat zwar nicht, aber Ihnen unterstelle ich, daß es absolut stimmt. Dazu kann ich nur sagen: Sehen Sie, früher waren wir bei ein bis zwei Prozent Preissteigerung für die Bauern in Sorge. Sie haben bei fünf Prozent immer noch nicht gewußt, daß es eine Inflation überhaupt gab. Erst bei 10 % begannen Sie, sie zu bekämpfen. Das ist der Unterschied!
Lassen Sie mich in meinen Zahlen für diesen Betrieb X noch ein bißchen fortfahren. Herr Minister, mir scheint, daß man in den Ministerien manchmal vor lauter Statistik die Wirklichkeit ein bißchen vergißt. — Dieser Landwirt hat auch Kälber verkauft, ich sagte schon, daß ein Drittel der Erlöse aus dem Kälber- und Rinderverkauf stammt. Im Juni 1972 hat er für ein Kilo Lebendgewicht 7,20 DM bis 8,50 DM erhalten, im Juni 1973 7,30 DM bis 9,10 DM, im Dezember 1973 — also sechs Monate später — 4,80 DM, im Februar 1974 4,70 DM, und das alles bei den vorhin genannten Preissteigerungen.Hat der Mann seine Kühe zum Schlachten bringen müssen — Sie können davon ausgehen, daß rund 20 % im Jahr auf Grund spezieller Umstände abgehen —, so hat er — ich habe immer die Qualität B, immer dasselbe Gewicht der Kühe, denselben Markt und dieselbe Agentur zugrunde gelegt, damit mir niemand einen Vorwurf machen kann — 1970 2,90 DM je Kilo erhalten, 1971 2,30 DM, 1973 3,00 DM und 2,40 DM.Können Sie sich in die Situation dieses Mannes hineindenken, dessen Einnahmen sich zurückentwickeln und der seine Ausgaben davonrasen sieht? Es kommen drei Ausblicke hinzu, die der Mann für jetzt hat — und er ist ja nur ein Beispiel für alle Landwirte in der Bundesrepublik —: Seine Lebenshaltungskosten werden ebenso wie die aller anderen Menschen dieses Landes 1974 vermutlich um etwa zehn Prozent steigen, seine Betriebsmittel werden nochmals teurer werden, und die Agrarpreise werden sich zumindest in seinem Sektor kaum erhöhen. Das gilt nämlich ganz besonders für Milch. Das ist für diesen einzelnen Bauern das Resultat der Ge-samt- und Agrarpolitik. Das ist für ihn maßgebend und relevant.Ich möchte zu den Futterbaubetrieben — fast 40 % aller Betriebe in der Bundesrepublik sind davon betroffen — noch etwas anderes sagen. Im Agrarkabinett, das heute schon einmal zitiert wurde, gab es im Oktober 1973 den berühmten Beschluß der Erzeugerbeteiligung zur Überschußbeseitigung, den man in Brüssel anstreben wollte. Sie haben schon ein bißchen mehr beschlossen, Herr Ronneburger, als nur das; denn damals beschloß man auch noch ein eventuelles Einfrieren der Interventionspreise und verschärfte Qualitätsanforderungen für Rohmilch, um damit den Milchmarkt ein bißchen zu steuern. Herr Kollege Dr. Bangemann von der FDP — da meine ich besonders meinen Kollegen Gallus, den ich dort jetzt vermisse;
der sitzt auf der falschen Seite — hat schon am nächsten Morgen im FDP-Pressedienst, also nicht etwa für sich allein, eine großartige Presseerklärung veröffentlicht, in der er erklärt hat, er habe mit großer Befriedigung von diesem Beschluß Kenntnis genommen, und die deutschen Bauern sollten nicht glauben, daß die Verbraucher und die Steuerzahler ewig bereit seien, soviel Geld für die teuere Überschußverwertung aufzubringen.
Nun sagten Sie, Herr Minister, heute wieder, daß man für die Futterbaubetriebe besonders eintreten müsse. Der Preisvorschlag zur Einkommensverbesserung bei Milch steht aber immer noch — ich kann jedenfalls amtlich nichts anderes hören — bei 4 %. Ich hoffe nur, daß Sie mehr erreichen als das, was heute in Ihrer Rede anklang und was Ihr Fraktionskollege Ronneburger doch noch deutlicher sagte als Sie, der Sie immerhin der zuständige Minister sind. Denn von diesen 4 % werden höchstens 2 % für die deutschen Bauern relevant werden und von diesen 2 %o 0 % für alle diejenigen, die gar keine Interventionsprodukte, also weder Butter noch Magermilchpulver, herstellen; für diese ist dieser Vorschlag natürlich völlig indiskutabel. Ich möchte Sie davor warnen, Erzeugerbeteiligungsbeschlüssen zuzustimmen, wenn sie nicht präzisiert werden können, etwa sich mangels Präzisierung darauf zu verständigen, globale Beschlüsse zu fassen nach dem Motto, man wolle ab einer bestimmten Tonnagezahl von Butter etwas tun, aber man wisse noch nicht was, und man werde dann schon noch darüber reden. Ich kann davor nur warnen, denn wenn schon Beschlüsse gefaßt werden — ich lehne sie ab —, dann müssen sie ganz präzise sein, damit man weiß, woran man ist, und dann müssen sie vor allem so sein, daß nicht die Bauern, die die Überschüsse nicht produzieren, nämlich die deutschen, zum Schluß noch für 'die bezahlen, die sie willkürlich und ohne Rücksicht auf Verluste trotz aller Mahnungen der EG weiterhin hübsch brav pro Jahr mit Zunahme von Kuhbeständen und Milchleistungen auf den Markt werfen.
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5506 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
KiechleHerr Minister, ich wollte an dieser Stelle eigentlich ein Wort zu den Grünfuttertrocknungsanlagen sagen, weil sie mir erstens am Herzen liegen und weil sie zweitens etwas sind, was fortschrittliche Landwirte im Glauben, daß sie damit etwas Hochmodernes für eine verbesserte Futterkonservierung und Herstellung von Eiweiß aus eigenen Flächen tun können, geschaffen haben. Ich habe mittlerweile läuten hören — Sie haben dazu nichts gesagt —, daß die Bundesregierung einen Beschluß gefaßt habe, für diese Trocknungsanlagen etwas zu tun. Ich möchte abwarten, weil ich fair sein möchte, was der Beschluß nun bringt. Was Sie allerdings die letzten Monate hindurch auf meine wiederholten Anfragen selbst hier im Parlament gesagt haben, daß nämlich die Regierung hierfür keine finanzielle Möglichkeit sehe und höchstens die Zuschüsse nicht zurückverlange, hat einigen Staub aufgewirbelt. Ich möchte dazu nur sagen, wenn Sie hier etwas beschlossen haben, vergessen Sie nicht, daß 10 Pf Ölpreissteigerung je 3,50 DM Mehrkosten je Doppelzentner Grüngut bedeutet. Wenn Sie helfen wollen — ich hoffe das und begrüße das —, dann tun Sie es früher, als die Regierung dies bei den Kutterfischern getan hat, nämlich bevor die Anlagen stilliegen.
Im übrigen ist die Frage der Grünfuttertrocknungen auch für die Bergbauerngemeinden aktuell. Da möchte ich Sie, Herr Minister, auffordern und an Ihre Zusage erinnern, das Bergbauernprogramm 1974 notfalls auch national in Kraft zu setzen. Das, was Sie heute dazu gesagt haben — daß Sie in Erwägung ziehen wollen, dies zu tun —, nützt nichts. Sie dürfen das nicht erwägen, sondern Sie müssen das tun. Dann erst hat Ihre Aussage einen Wert.
Ich möchte noch ein erläuterndes Wort zur statistischen Erfolgszahl dieses Jahres sagen. Die Wertschöpfung in der Landwirtschaft — auch einer dieser Begriffe aus unserem Agrarbericht — war 1963/64 7 472 DM, in der übrigen Wirtschaft 12 459 DM. Damit betrug vor rund 10 Jahren der Abstand zwischen der Landwirtschaft und den übrigen Erwerbstätigen knapp 5 000 DM. Heute beträgt der Unterschied trotz der Steigerungen 10 205 DM. Das gilt natürlich auch für die Disparität, Herr Ronneburger. Sie ist zwar Gott sei Dank wieder geringer geworden, aber sie ist heute prozentual genauso hoch wie 1969/70, obwohl im Zeitraum 1969/70 bis zu Ihrem Agrarbericht, also Mitte 1973 über 16 % an Menschen aus der Landwirtschaft abgewandert sind. Die Disparität hat also gerade der Abwanderung entsprochen, mehr aber nicht.Ein Wort noch zu Ihrem Ertl-Programm, Herr Minister. Dieses einzelbetriebliche Förderungsprogramm hat immer schon unserer Kritik unterlegen. Ich verstehe Ihre Aussage nicht und ich widerspreche ihr hiermit, daß sich dieses Programm in der Vergangenheit grundsätzlich bewährt habe. Diese Förderschwelle wird von Jahr zu Jahr problematischer, weil sie sich am außerlandwirtschaftlichen Einkommen orientiert. Das heißt, immer weniger Betriebe sind in der Lage, sich dort hineinzurechnen oder hineinrechnen zu lassen. In der Konsequenz bedeutet es, daß Sie weniger Betriebe fördern können oder diese Betriebe immer größer machen müssen. Das hat eine Grenze von der Arbeitsbelastung her. In beiden Fällen, ob Sie die Betriebe nun hinauswerfen oder qua Vergrößerung hineinrechnen, ist es einfach so, daß das erste unrealistisch ist und das zweite strukturpolitisch falsch. Es ist eine ungute Sache, daß sich der Staat anmaßt, zu sagen: diese Betriebe sind förderungswürdig, und jene Betriebe sind nicht förderungswürdig, sie also in Kategorien einzuteilen, über die der einzelne Betriebsleiter ja wohl besser selbst entscheidet. Nach unserer Meinung ist es so, daß es entscheidend wäre, ob eine Investitionsmaßnahme betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, egal ob sie im Voll- oder Nebenerwerbsbetrieb gemacht wird.Meine Damen und Herren, im Agrarbericht findet sich die Formulierung vom bisher höchsten Stand des Erzeugerpreisindexes. Ich vermisse die Formulierung vom „höchsten Stand des Betriebsmittelpreisindexes".Weswegen, Herr Minister, wird auch dauernd durch Umstellungen der Berechnungsmethoden die Vergleichbarkeit mit früheren .Agrarberichten erschwert? Ich finde es auch zumindest ein bißchen bezeichnend, daß sich im Bericht 1974 der Satz findet; Die rechnerischen Ergebnisse wurden auf einem höheren Niveau ausgewiesen. Das muß man doch wohl auch sehen.Ich bezweifele auch die Richtigkeit Ihrer Aussage im Bericht, daß in Zukunft genau wie bisher die Einkommensentwicklung maßgeblich davon abhängig sei, in welchem Ausmaß sich der Strukturwandel fortsetze. Meine Damen und Herren, das ist ein Aspekt, aber nicht mehr.Nun haben wir bereits weniger als 1 Million land- wirtschaftlicher Betriebe, sind also langsam an eine Schwelle gekommen, wo nicht mehr nur Strukturwandel und Einkommen verglichen werden dürfen, sondern wo wir uns auch damit zu befassen haben, ob unsere Landschaft, ob unsere Flächen in Bewirtschaftung bleiben können. Da wird es manchmal notwendig sein, sich von der Ökonomie abzuwenden und sich der Ökologie zuzuwenden,
und das, Herr Minister, nicht nur die Einrichtung einer neuen Abteilung und auch nicht durch das Reden von schönen Sätzen, sondern dadurch, daß man das in Mark und Pfennig in einer geeigneten Form ausdrückt.
Sonst sind wir wieder bei der alten Ideologie der Denkweise vom Gesundschrumpfen, von der ich glaube, daß wir sie gemeinsam überwunden haben sollten.Die sozialliberale Koalition hat nach meiner Auffassung — und ich bemühe mich, das ganz nüchtern zu sagen — wenig Positives in den letzten vier Jahren in der Agrarpolitik geleistet. Selbst hier bei dem einzigen Glanzpunkt — das gebe ich zu, da sind wir gar nicht so —, den es gibt, nämlich der Sozialpolitik, fehlt immer noch die Wiedergutmachung für die
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5507
Kiechlekriegsbeschädigten Landwirte, die ich schon bei der Debatte über den letzten Agrarbericht von dieser Stelle aus angesprochen habe.
Wenn ich mich einmal ein bißchen damit befasse, Herr Minister, was Sie denn wirklich geleistet haben, so muß ich sagen: Sie haben entgegen dem einstimmigen Beschluß des Bundestages die Unterschrift zur gemeinsamen Strukturpolitik geleistet; unter Ihrer Regierung sind die finanziellen Beiträge der Bundesrepublik zur gemeinsamen Marktpolitik erhöht worden; eine fragwürdige Regelung der Aufwertungsfolgen liegt vor uns und zeigt schon die entsprechenden Schäden
— das ist fair, ich sage es Ihnen genau —; nicht einmal die Weitergewährung der 3 % Mehrwertsteuer ist voll abgesichert; selbst der Grenzausgleich hat keine vertragliche Absicherung; kleine und mittlere bäuerliche Betriebe sind aus der aktiven Förderung heraus; Teile der EWG-Beihilfen hat man mit der Mehrwertsteuer belegt — z. B. bei flüssiger Magermilch —; die mehrmalige Erhöhung der Mineralölsteuer hat insbesondere zu Transportpreiserhöhungen geführt; die Mehrwertsteuerbelastungen bei den Mineralölsteuererhöhungen und auf dem Dieselsektor sind an den Bauern hängengeblieben. Wo ist die einprozentige Erhöhung der Mehrwertpauschale? Ich sehe sie nirgends. Besonders kleinlich hat man sich gegenüber den Imkern und Binnenfischern in der Frage der Dieselsteuerrückerstattung gezeigt. Selbst bei den Obstbauern, die jetzt z. B. 30 % niedrigere Preise beim Obst haben als noch vor einem guten Jahr, bei den sogenannten Kleinbrennern hat man geglaubt, auch noch ihren Ausbeutesatz erhöhen zu müssen, weil sie sonst eventuell zuviel verdienen.
— Das ist doch wahr! Wir haben doch hier darum gestritten, und Ihr Minister hat selbst gesagt: Eine maßvolle Anhebung ist zu vertreten! Ich zeige es Ihnen schriftlich.
Es ist gar kein vollständiger Katalog, meine Damen und Herren. Die Absichten will ich gar nicht mehr bringen. Es reden noch mehr von uns.Lassen Sie mich noch einen Schlußsatz sagen,nämlich den: Dadurch, daß eine verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Konjunkturpolitik die realeKaufkraft unserer Bevölkerung einschränkt — soschön langsam, aber sicher — wird so ziemlich die ungünstigste Konstellation für die Landwirtschaft heraufbeschworen. Herr Minister, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen: Die Regierung, der Sie angehören, hat die Inflation ignoriert und nicht rechtzeitig bekämpft, und die Inflation ist der Todfeind der Landwirtschaft.
Jetzt sieht sich die deutsche Landwirtschaft in dieLage eines Zielläufers gebracht, dessen Ziel schneller davonläuft als der beste Läufer rennen kann. Esist das Rennen zwischen Hase und Igel geworden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Saxowski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Jahre
— alle Jahre wieder, ja — singt die CDU dem Bauern den Tod. Herr Kiechle hat in seinen letzten Worten einen Negativkatalog abgezogen, in dem er wohlweislich verschweigt, daß diesen Dingen auf der anderen Seite enorm positive Leistungen der Regierung gegenüberstehen.Aber wir sind beim Agrarbericht 1974, Ihm und den Damen und Herren, die mit Fleiß und Intelligenz seine Fertigstellung besorgt haben, widerfährt das gleiche Unrecht wie dem Bericht des Vorjahres: Beide, dieser und jener, haben Ergebnisse offengelegt, die jeder Kritik standhalten und deutlich machen, daß es der deutschen Landwirtschaft in den Berichtszeitraumen gut ging. Das wollen wir hier auch einmal festhalten: Es ging ihr nicht schlecht, wie Sie hier dauernd glauben machen wollen. Daß die Landwirte insgesamt als Berufsstand nichts zu klagen hatten, das liegt vor allen Dingen an ihrer Tatkraft, die einen Achtstundentag nicht kennt, an den guten Ernten — die können wir auch nicht verschweigen —, guten Preisen, trotz allen Unkenrufen, und — wir wollen schließlich auch das nicht verschweigen — an der Politik, die die Bundesregierung, Herr Minister Ertl und beide Koalitionsfraktionen gemeinsam tragen. Das hat auch dazu beigetragen.
Man kann nur staunen über die seltsame Allianz, die sich in den letzten Tagen zum Madigmachen des Agrarberichts gebildet hat. Da ist natürlich erst einmal die Christlich-Demokratische Union, die aus ihrem speziellen Mißverständnis oppositioneller Pflichten eifrig bemüht ist, ein denkbar gutes Ergebnis zu Makulatur zu zerreden. Da ist der Deutsche Bauernverband — Zufall oder nicht? —, der mit der Opposition Gleichschritt hält und in Flugblättern mitteilen läßt, die Zahlen, die der Bericht enthalte, seien gefälscht. Das sind doch Aussagen, die bald kriminell sind. Da ist schließlich die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, die eiligst in Umlauf setzt, daß der Bericht große Lücken aufweist.Sicher: Die Beweggründe der Kritik sind nicht die gleichen. Die Stoßrichtung kommt von verschiedenen Seiten. So durchgerüttelt kann dieser Bericht ein „Viel Feind, viel Ehr" für sich in Anspruch nehmen, und wir, die wir die Ergebnisse mittragen und verantworten, haben keine Scheu, uns dieser Kritik zu stellen. Auch das darf man einmal aussprechen.Der Agrarbericht ist eine Bilanz, die sich — so will es das Landwirtschaftsgesetz — auf ein Wirtschaftsjahr erstreckt. Davon müssen wir ausgehen.
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5508 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
SaxowskiDas Wirtschaftsjahr beginnt am 1. Juli und endet am 30. Juni des darauf folgenden Jahres. Natürlich können die Bilanzergebnisse den gegenwärtigen Zustand nicht widerspiegeln. Das ist technisch nicht möglich. Es ist unredlich von der Opposition, auf diesem wohlbekannten Umstand nun ein politisches Süppchen zu kochen.Der Agrarbericht enthält über eine Zustandsbeschreibung hinaus die Darstellung von Zielvorstellungen. Die stehen auch darin. Da steht nicht nur darin, was gewesen ist, sondern man geht auch schon der Zeit voraus. Hier werden Maßnahmen angesprochen, die verwirklicht werden sollen — das kenne ich, das grüne „Weißblatt" da —, und damit ist der Bezug zur Gegenwart und auch zur Zukunft in dem Bericht immer gegeben. Wir haben ein Instrument in der Hand, das die Richtung deutlich anzeigt, uns in die Lage versetzt, die nötigen Kurskorrekturen retchzeitig und frühzeitig vorzunehmen, und zwar durch Feinsteuerung und nicht wie bei der Opposition, die den Kompaß ganz zerschlagen will.Lassen Sie mich auf einige Einzelheiten zu sprechen kommen, die erwähnt werden müssen. Vorrangig — das ist allzu verständlich — stellt sich immer wieder die Frage, ob die Einkommensentwicklung günstig oder zufriedenstellend verläuft. Das Reineinkommen, der Gewinn je Familienarbeitskraft, ist um 19,8 % auf rund 20 000 DM angestiegen. Das können wir auch nicht wegreden. Ich meine, daß alle Einwände, die der Deutsche Bauernverband uns in diesen Tagen in seiner Stellungnahme zum Agrarbericht zugeleitet hat, wert sind, geprüft zu werden. Ich will an dieser Stelle nicht darüber streiten, ob sie sachlich begründet sind. Vielmehr ist anzunehmen, daß sie sachbezogen vorgetragen und damit diskutabel sind.Ganz anders, leider ist dieses aufreizende Flugblatt, das natürlich viel breiter gestreut ist und damit eine viel größere Publizität erlangt. Darin wird ganz undifferenziert der Bundesregierung schlicht Manipulation auf allen Gebieten unterschoben. Auch wir haben uns in einer ersten Stellungnahme zu diesem Bericht Mitte Februar zu den Fragen des Einkommens die Anmerkung erlaubt, daß ohne Berücksichtigung der außerlandwirtschaftlichen Einkünfte stichhaltige Aussagen über die tatsächliche Einkommenssituation der landwirtschaftlichen Familien nicht mehr möglich seien. Vor allem gilt das auch für die Einkommensvergleiche zwischen landwirtschaftlichen und nichtlandwirtschaftlichen sogenannten Erwerbspersonen. Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung bei der Erarbeitung des nächsten Agrarberichtes diesen Gesichtspunkt stärker als bisher in den Vordergrund stellen sollte.Die Kritik an der Einkommensberechnung läßt gern außer acht, daß das landwirtschaftliche Einkommen direkt oder indirekt durch eine steuerliche Bevorzugung gefördert wird, die es in keinem anderen Berufszweig in dieser Art und Weise und in dieser Höhe gibt. Im Gegensatz z. B. zur Besteuerung von Löhnen und Gehältern ist die Steuerleistung der Landwirtschaft — Betriebs- und Privatsteuern — in den letzten Jahren nicht gestiegen, sondern leichtgesunken, und das bei steigenden Umsatzzahlen. Von den letztlich auch einkommenswirksamen Zuwendungen des Bundes bei der sozialen Sicherung der Landwirte wird gleich noch die Rede sein. Auch sie tragen enorm zur Erhöhung des Einkommens bei. Das muß man hier auch einmal sehr deutlich sehen.Sorge macht uns allen die Einkommensentwicklung, jetzt und in der Zukunft. Gesicherte Zahlen liegen nicht vor; wer könnte das auch ernsthaft verlangen? Der Agrarbericht ist optimistisch, das gebe ich zu, und geht von einem Zuwachs von 6 bis 10 % aus. Hoffen wir, daß die Auguren recht behalten. Wir sind uns ebenso bewußt, daß die Preisverhandlungen in Brüssel, die unsere aktuelle agrarpolitische Diskussion beherrschen, zu einem gerechten Ergebnis führen müssen. Preisanhebungen sind notwendig, darüber gibt es keine Diskussion; sie dürfen aber nicht so ausfallen, daß sie zum Alibi für ungerechtfertigte Preissteigerungen bei Lebensmitteln mißbraucht werden können. Die Lebensmittelpreise dürfen sich in diesem Jahr nicht erneut als „Preisrenner" an die Spitze einer allgemeinen Teuerung stellen; Herr Kiechle hat ja ebenfalls von „Rennläufern" gesprochen. Eine solche Entwicklung würde unseren Bemühungen, eine vernünftige Agrarpolitik zu treiben, schweren Schaden zufügen. Die Preisverhandlungen in Brüssel werden am Ende nichts anderes als ein gerechter Kompromiß zwischen den verschiedenen Interessenlagen der einzelnen Mitgliedsländern sein können. Davon muß man auch ausgehen. Wir tun immer so, als ob wir national, alleine hier noch große Änderungen durchsetzen könnten.Es ist nicht meine Angelegenheit, in die Verhandlungen in Brüssel einzugreifen oder ihnen vorzugreifen. Aber lassen Sie mich bitte sagen, daß mir in der gegenwärtigen gesamten Lage des gemeinsamen Agrarmarkts eine Anhebung, wie sie die Kornmission vorschlägt, einfach zu niedrig erscheint. Das gebe ich auch zu. Andererseits kann der Forderung der COPA nicht gefolgt werden, weil sie über das Ziel weit hinausschießt. Diese administrative Erhöhung der Preise würde enorme Entwicklungen im Verbraucherpreissektor zur Folge haben. Man sollte die Gefahren hier bitte nicht unterschätzen.Die wahnwitzige und offenbar von niemandem kontrollierte Steigerung der Mineralölpreise macht uns allen zu schaffen. Hier haben wir große Sorgen für drei Produktionsbereiche. Es sind der Unterglasgartenbau, die Hochsee- und Kutterfischerei und schließlich die von Ihnen angesprochene Trockenfutterherstellung. Wir haben die Gefahren für diese Bereiche erkannt, und soviel ich weiß, hat die Bundesregierung, hat das Bundeskabinett gestern schon entsprechende Beschlüsse gefaßt, die möglichst schnell in Hilfe umgesetzt werden sollen, so daß also die Kutterfischer nicht mehr zu streiken brauchen, weil ihnen das Dieselöl verbilligt wird. Auch dem Unterglasgartenbau werden weitere Geldmittel zufließen, und auch die Trockenfutterherstellung ist bei diesem Beschluß, soviel ich weiß, berücksichtigt; das kommt aber erst im Mai/Juni zumDeutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5509SaxowskiTragen. Ihre Sorgen in dieser Hinsicht, Herr Kiechle,sind also völlig unbegründet. Das Geld ist schon da.
— Das werden wir ja sehen. Wir haben ja immer noch die 400 Millionen. Und von der Mehrwertsteuer sprechen Sie ja gar nicht, bei der ja mittlerweile auch mehr als 1 Milliarde DM aus der Landwirtschaft zufließen. Die werden immer verschwiegen. Das sollten ursprünglich einmal 780 Millionen DM sein, und wir sind mittlerweile über die Milliardengrenze hinaus. Darüber sprechen wir nicht; das läuft alles schön weiter.Die Schwierigkeiten, denen .unsere Landwirtschaft gegenwärtig gegenübersteht, haben — das hat unser Kollege Martin Schmidt schon ausgeführt — ihre Ursache auch in gewissen Wettbewerbsverzerrungen. Unsere Forderung ist, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirte, der Gärtner und der Fischer erhalten bleiben muß. Wir müssen da den ganzen Komplex sehen.Die SPD-Bundestagsfraktion hat vielfach die Forderung erhoben, daß Wettbewerbsverzerrungen in der Europäischen Gemeinschaft ausgeräumt werden müssen. Das sagen wir heute noch. Wir sehen deutlich, daß die europäische Agrarpolitik zur Zeit das einzig wirksame Instrument zum Zusammenhalten der Europäischen Gemeinschaft ist. Da bin ich mit Herrn Ronneburger voll einig. Es ist doch einsehbar, daß wir vor allem aus europapolitischen Gründen den gemeinsamen Agrarmarkt unter allen Umständen erhalten müssen. Das setzt voraus, daß dem einen oder anderen gewisse Präferenzen eingeräumt werden, damit der Prozeß des Auseinanderfließens eingedämmt werden kann.Lassen Sie mich jetzt zu dem Punkt kommen, den Sie überhaupt nicht ansprechen: zur Sozialpolitik, die ja in den letzten Jahren in dieser Koalition enorme Fortschritte gemacht hat. Sowohl der vorliegende Agrarbericht als auch die Einbringungsrede von Bundesminister Ertl haben erneut deutlich gemacht, in welch hohem Maße die sozialliberale Koalition für weite Bevölkerungskreise, d. h. in diesem Falle für die Menschen in der Landwirtschaft, soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit geschaffen hat. Das erklärt die Zurückhaltung der Opposition, mit der sie die Agrarsozialpolitik in der heutigen Debatte behandelt, wobei sie alle Anstrengungen macht, Gefechte auf anderen Gebieten zu führen. Nur, auf anderen Gebieten hat sie geplänkelt; sie hat nicht einmal richtige Gefechte geführt, weil sie das auf Grund des Berichtes gar nicht konnte. Was vorgebracht wurde, war sehr dürftig. Das ist zu verstehen, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß diese Bundesregierung das verwirklicht hat, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ankündigte, nämlich die Fortentwicklung der Agrarsozialpolitik, um dem Ziel näherzukommen, die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilnehmen zu lassen. Das ist Punkt für Punkt eingehalten worden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, wir müssen jetzt fertig werden wegen der Zeit, Frau Präsidentin. Sonst gehen die Plänkeleien wieder los.
— Ja bitte!
Herr Kollege Saxowski, sind Sie mit mir der Meinung, daß durch die inflatorische Entwicklung ausgerechnet die agrarsozialen Aufwendungen am meisten zu leiden haben?
Aber wir haben doch durch die entsprechenden Zulagen und Steigerungen diese inflatorischen Entwicklungen auch aufgefangen. Wir sollten doch auch einmal nachdenken und auf die Historie, die Geschichte, zurückblicken. Sie haben mit den 60 DM angefangen. Da waren wir in der Opposition. Damals war es bei Ihnen trotz entsprechender Entwicklungen äußerst schwierig, in diesen Bereichen auch nur einige Pfennige mehr zu bekommen. Das müssen Sie auch einmal sehr deutlich sehen. Man kann nur feststellen, daß sich in den letzten Jahren fast alles verdoppelt hat. Ich werde Ihnen gleich die Beträge nennen, die wir heute für die Agrarsozialpolitik aufwenden. Sie sind pro Landwirt ganz erheblich.
— Na ja, aber Gott sei Dank sitzen in dem Wagen Leute, die gut steuern können. Wir tun immer so, als ob wir hier in der Bundesrepublik wohlbehütet leben und die Welt draußen uns überhaupt nicht interessiert. Seien Sie doch einmal ehrlich! Sie tun immer so, als ob das nur in der Bundesrepublik so wäre. Es wäre schön, wenn es nicht wäre. Wir wären auch froh darüber. Aber machen Sie doch einmal praktikable Vorschläge, wie Sie das ändern wollen. Das tun Sie ja auch nicht.
Das Fundament dieser Säule ist stabil, nicht zuletzt auf Grund der beachtlich gestiegenen finanziellen Zuschüsse des Bundes.
Die Säule hat inzwischen eine Tragfähigkeit erhalten — das müssen wir auch einmal feststellen —, die dank der Entscheidung dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen die Landwirte und ihre Familien gegen die Risiken des Lebens absichert — das tut sie! —; den Strukturwandel in der Landwirtschaft erleichtert, indem sie den betroffenen Menschen sozialen Flankenschutz anbietet und den sozialen Status der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer verbessert, vor allem wenn ich in diesem Zusammenhang an die zur Zeit im Ausschuß laufenden Beratungen über eine Zusatzversorgung denke. Heute morgen ist über die Abgänge der Betriebe in der Landwirtschaft gesprochen wor-
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Saxowskiden. Aber man muß doch auch wissen, daß wir früher die Leute ins Ungewisse laufen ließen, während sie heute wissen, daß sie umgeschult werden können. Es gibt Renten, Zukauf und all das. Das gab es früher bei Ihnen nicht. Das müssen wir doch auch einmal sehen.
Im übrigen mögen das folgende Stichworte noch einmal umschreiben. Die Altershilfe hat sich vom sogenannten Tabakgeld, wie wir es früher nannten,
des Jahres 1957 zu einem dynamisierten Altersgeld mit Aufstockungen für die über 15 Jahre hinausgehenden Zahlungen entwickelt. Die Aufstockung ab 1. Januar 1975 ist bereits beschlossen und macht pro anno 3 % mehr aus. Ohne höhere Leistungen ist das auch eine ganz beachtliche Entwicklung.
Die Krankenversicherung für die bäuerliche Familie mit der beitragsfreien Versicherung für die Altenteiler kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ich denke noch daran, wie Sie in den Beratungen davor gewarnt haben oder andere Systeme wollten. 98 % der Bauern sind gefolgt und heute Mitglieder dieser Krankenversicherung. Hierin gehört weiter die Nachversicherungsmöglichkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung für die aus der Landwirtschaft ausscheidenden jüngeren Bauern.Um es kurz zu machen, der Sozialaufwand je Landwirt im Bundesgebiet erhöhte sich von 1971 — jetzt kommen Sie mit Ihrer Inflationsrate, passen Sie mal auf! — von 2 601 DM auf 5 600 DM im Jahre 1973. Davon werden aus Bundesmitteln 3 600 DM pro Kopf der landwirtschaftlichen Bevölkerung aufgebracht. Das ist eine enorme finanzielle Leistung, die diese Bundesregierung durchgesetzt hat.
Darüber wird nicht gesprochen.
— Das müssen wir alle, das muß jeder Arbeitnehmer draußen auch. Davon können wir die Landwirtschaft nicht ausnehmen.
— Wissen Sie, wie lange das noch geht? Machen Sie doch nicht immer in Prophetie! Wir müssen doch Realpolitiker sein. Wir gehen mit der Zeit, und sonst nichts.
— Egon, das ist so.Selbstverständlich ist die Entwicklung der Agrarsozialpolitik noch nicht abgeschlossen. Das sagen wir auch. Das bleibt kommenden Beratungen überlassen. Abschließend möchte ich davor warnen, bekannte Modelle, beispielsweise aus der gesetzlichen Rentenversicherung, schematisch auf das Sozialrecht übertragen zu wollen, das für die Landwirte geschaffen worden ist. Die anderen, die besonderen Voraussetzungen und Probleme in der Landwirtschaft lassen eine solche schematische Übertragung nicht zu.Noch kurz zum Eigentum! In diesem Hohen Hause sitzen einige, die über Land reisen und unverdrossen der ländlichen Bevölkerung einzureden versuchen, die Sozialdemokraten wollten das bäuerliche Eigentum antasten. Diese Art der Angstmache ist um so schäbiger, als sie wider besseres Wissen und gegen jede Wahrheit erfolgt. Niemand in meiner Partei und in dieser Fraktion will das Produktionsmittel Boden antasten oder so besteuern, daß der Landwirt zur Aufgabe gezwungen wäre. Wir wenden uns gegen Spekulationen jeder Art, natürlich auch gegen die, die mit Ackerland betrieben werden. Wer aber auf seinem Acker produziert, um Nahrungsmittel zu beschaffen und von dieser Produktion zu leben, der wird geschützt, dem werden wir immer helfen. Ich betone das von hier aus noch einmal nachdrücklich, um dieser „Unkerei" endlich einmal entgegenzuwirken. So haben wir es ins Godesberger Programm geschrieben, so ist es in zahllosen Reden bekräftigt worden, und so steht es in unserer Wahlaussage 1972, die Sie endlich einmal intensiver lesen sollten.
Daran wird nichts, aber auch gar nichts, geändert.Wir werden die Bundesregierung in all ihren Bemühungen, die Entwicklung des ländlichen Raums zu fördern, tatkräftig unterstützen. Wir werden unverdrossen daran mitwirken, daß die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilnehmen können, so wie es der Bundeskanzler in der Regierungserklärung 1973 als Ziel seines agrarpolitischen Bemühens beschrieben hat. Wir werden dafür eintreten, daß die Funktionsfähigkeit des Landes im Sinne der Wirtschaftlichkeit sowie der Landschaftsgestaltung und -erhaltung erhalten bleibt. Wir werden die Stellung der Landwirte am Markt trotz aller gegenteiligen Aussagen anderer Kreise weiter stärken und steuerliche Hemmnisse beseitigen, die die Bildung und die Tätigkeit von Kooperationen behindern. Dafür treten wir nach wie vor ein. Wir werden den Landwirten, die einen Teil ihres Einkommens außerhalb der Landwirtschaft erzielen, einen breiten Fächer sozialer und beruflicher Alternativen bieten. Wir, die wir entscheidenden Anteil an der Vollendung des Sozialschutzsystems für Landwirte haben, werden mit dafür Sorge tragen, daß dieses System weiter verbessert und der schwierigen Lage der in der Landwirtschaft tätigen Menschen gerecht wird.Wir werden niemanden im Stich lassen; denn Politik ist und bleibt für Sozialdemokraten immer Politik für die Menschen. Zu denen gehören die Bauern natürlich auch,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5511
Saxowskidie wir in unsere Bemühungen mit einbeziehen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, einiges von dem, was die beiden Herren von der Opposition hier zur Agrarpolitik gesagt haben, klarzustellen. Lassen Sie mich, Herr Kollege Kiechle, mit dem beginnen, was Sie dem Herrn Bundesminister Ertl in die Schuhe schieben wollen, nämlich mit der Frage des Ausbeutesatzes bei den Obstbrennern. Es ist Ihnen hoffentlich nicht entgangen, wie sehr sich gerade der Herr Landwirtschaftsminister bemüht hat, die Dinge noch einmal zurückzudrehen. Aber man muß gleichzeitig sagen, daß die Ausbeutesätze als solche, die bei den Probebränden herauskamen, leider für sich gesprochen haben. Ich meine, hier muß man sich als verantwortlicher Politiker auf dem Boden der Realität bewegen. Ich hätte mir gewünscht — ich habe selbst dafür gekämpft —, daß es anders gelaufen wäre.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Gallus, wären Sie so freundlich, davon Kenntnis zu nehmen, daß ich ein Schreiben, unterzeichnet von Herrn Minister Ertl, besitze, in dem er mir mitgeteilt hat, eine maßvolle Anhebung halte er für gerechtfertigt. Die Bemühungen waren also nicht überwältigend.
Ich kann Ihnen jedenfalls davon berichten, daß sich der Herr Minister sehr wohl um diese Dinge bemüht hat.
Das, was Sie aber hier dem Herrn Minister global angekreidet haben, nämlich daß er insgesamt nichts geleistet habe, war wohl nicht ernst gemeint; denn einen Vergleich mit den Herren Landwirtschaftsministern, die Sie hervorgebracht haben, hält er längst aus,
sei es nun Herr Schwarz oder Herr Höcherl, der heute gar nicht erst gekommen ist.
Die Art, wie Sie die Diskussion hier geführt haben, läßt, auch wenn die Schwierigkeiten in der Landwirtschaft heute sicherlich größer sind, nicht darauf schließen, daß Sie überhaupt irgendein Alternativprogramm für die Agrarpolitik haben. Sie haben esdeshalb nicht, weil es eben zu dieser Agrarpolitik keine Alternative gibt.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Herr Kiechle, ich muß Sie beim Wort nehmen. Gestern haben wir im Ernährungsausschuß über die 3 % Mehrwertsteuer gesprochen. Ihnen ist von Regierungsseite in vollem Umfang Aufklärung dahin gehend zuteil geworden, daß die Bundesregierung durch Herrn Minister Ertl in Brüssel alles getan hat, um zu verhindern, daß die Gewährung dieser 3 % zeitlich begrenzt wurde, wie es zunächst geplant war. Herr Kiechle, es kann doch vom Ministerrat einfach niemand verlangen, daß diese 3 % zum heutigen Zeitpunkt für die nächsten zehn Jahre beschlossen werden. Die Chance, daß es diese Regelung in zehn Jahren noch gibt, ist aber durchaus gegeben.Wenn Sie hier die Mehrwertsteuerpauschale von 1 % anziehen, so ist das Ihr gutes Recht.
— Sie ist deshalb nicht mehr in der Diskussion, weil sich in den beiden zurückliegenden Wirtschaftsjahren — vor zwei Jahren kam das Thema dieser Pauschale hoch — die Situation völlig gewandelt hat. Aber darüber streiten wir nicht.
Die Sache ist für uns nicht gestorben. Ist das, was Sie hier zum besten gegeben haben, etwa Ihr Alternativprogramm? Sie haben gesagt: Investitionen in der Landwirtschaft sind sinnvoll, gleichgültig, wo sie ansetzen.
— Aber so ähnlich!
— In der Tendenz, Herr Kollege, haben Sie das gesagt. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Gießkanne, die einmal von Ihnen betätigt worden ist, haben wir in unserer Agrarstrukturpolitik abgeschafft. Allerdings bin auch ich der Meinung, daß das Verfahren stetig verbessert werden kann. Insoweit sind wir uns einig. Ich komme nachher noch ganz kurz auf die Situation der Nebenerwerbslandwirte und Übergangsbetriebe zu sprechen.Ich muß hier auch noch ein Wort zu den Ausführungen meines Kollegen Bangemann sagen. Sie haben vermerkt, daß er sich hier positiv zu einer Mengenregulierung in größerem Rahmen in der EG geäußert hat.
Im Grundsatz sind ja alle dafür: der Bauernverband, die Bundesregierung und die Kommission.
Lediglich über die Wege, wie man hier vernünftigerweise zum Ziele kommen kann, ist man sich
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5512 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Gallusnicht einig. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß das Verursacherprinzip auch für die Milchproduktion seine Bedeutung hat und bei den zu treffenden Abmachungen eine entsprechende Rolle zu spielen hat. Wenn Sie dies alles mit dem Milchpreis in Zusammenhang bringen, so muß ich Sie daran erinnern, daß die Abschaffung der Subventionen für die Milch 1968, also noch unter Höcherl, vollzogen wurde und daß es seitdem wesentlich schwieriger war, den Preis über den Markt zu erwirtschaften. Ich vergesse ein Datum nicht: Als wir hier in diesem Hause den Trinkmilchpreis freigaben, hat eine Kollegin von der CDU/CSU sofort gefragt, was die Bundesregierung unternehmen werde, um zu verhindern, daß der Trinkmilchpreis steigt. Wo wären wir aber geblieben, wenn diese Entscheidung damals nicht getroffen worden wäre? Ich muß schon zur Ehre unseres Koalitionspartner, dieser großen Verbraucherpartei, sagen, daß er sich all diese Jahre hindurch sehr fair verhalten hat, was ich von Ihnen nicht sagen kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Früh?
Bitte schön, ich habe in dieser Hinsicht noch einiges auf Lager.
Herr Kollege Gallus, sind Sie bereit, zuzugeben, daß die damalige Anfrage von Frau Stommel darauf abzielte, was die Bundesregierung zu tun gedenke, um kinderreiche Familien in sozialer Hinsicht zu stützen, damit die Erhöhung des Trinkmilchpreises sie nicht besonders hart trifft? Ich glaube, insofern war die Frage von Frau Stommel wohl berechtigt.
Herr Kollege, diese Frage hat aus zwei Teilen bestanden.
— Nein, so machen wir das nicht, Herr Kollege Kiechle. Tatsache ist, daß im Grundsatz von der Bundesregierung gefordert worden ist, den Trinkmilchpreis eben nicht freizugeben.
Der zweite Teil der Frage bezog sich dann auf die kinderreichen Familien. Darüber sind wir uns wohl einig.
Ich bin mit dem Thema „Verbraucher" noch nicht fertig. Ich habe hier eine Pressemeldung vom 22. Dezember 1973, die Herr Ritz herausgegeben hat. Darin heißt es — ich zitiere mit der Genehmigung der Frau Präsidentin —:
Zu den Forderungen des Deutschen Bauernverbandes nach einer zweistelligen Preiserhöhung im Agrarbereich im kommenden Jahr meinte der Oppositionspolitiker, es gebe kaum Chancen, sie in diesem Maß zu realisieren. Vor allem Großbritannien werde hier im EWG-
Ministerrat kaum mitziehen,
— Eine sehr realistische Einschätzung! —
Dr. Ritz rechnet damit, daß der Landwirtschaft Preiserhöhungen etwa in der Größenordnung der Inflationsrate zugestanden werden.
Jetzt kommt aber das andere:
In diesem Zusammenhang distanzierte sich Dr. Ritz von der Äußerung des baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Merz, der der Bundesregierung vorgeworfen hatte, sie treibe die Preise in die Höhe, weil unter ihrer Mitverantwortung die Richtpreise in Brüssel wesentlich erhöht worden seien.
— Ich kenne mich doch aus, wie Sie das machen. Solche Wechselbäder versuchen Sie uns dauernd zu verordnen. Bei den Bauern reden Sie so und bei den Verbrauchern anders, und weil das jeweils eine Gruppe Ihrer Partei tut, übernimmt bei Ihnen niemand die Gesamtverantwortung für das, was gesagt wird. So sieht es doch in Wirklichkeit aus.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz?
Herr Kollege Gallus, da Sie gerade aus einem Interview zitieren, das ich dem Deutschlandfunk gegeben habe, wollen Sie nicht einräumen, daß dies gerade sichtbar macht, daß ich mich von einzelnen Aussagen, die einer Gesamtentwicklung in der Agrarpolitik, wie wir sie wünschen, entgegenstehen, öffentlich distanziert und sie abgewiesen habe?
Das bezweifle ich gar nicht. Nur, Ihre Gruppe als Agrarpolitiker, wie Sie hier sitzen, ist im Verhältnis zu Ihrer gesamten Partei viel zu schwach, um das zu eliminieren, was hier jeweils hochkommt. So muß man das doch sehen.
So sieht es in Wirklichkeit aus. Wir erleben das doch hier in diesem Hohen Hause laufend.Es war bezeichnend, daß jeder Redner der Opposition von Inflation gesprochen hat.
— Das wissen wir doch. Wir haben eine Preissteigerungsrate von 7,4 % im Februar gehabt. Wir mar-
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Gallusschieren damit nach wie vor am Schwanz der europäischen Entwicklung. So muß man die Dinge sehen.
Aber Sie vergessen eines: Wie immer, wenn die Entscheidungen politisch gefällt werden müssen, wie es weitergehen soll, so auch z. B. in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Da stellt sich dann Herr Ministerpräsident Filbinger aus Stuttgart hin und sagt: 12 % sind drin. Sie haben doch einen ganz gehörigen Anteil an der Entwicklung mit zu verantworten.Ich muß Ihnen eines bescheinigen: Zunächst einmal keine Alternativen der CDU in der Agrarpolitik auf der ganzen Front. Zum zweiten muß ich Ihnen als Opposition im Bundestag sagen, daß bei Ihnen als politischen Christen eines fehlt, nämlich der Glaube und das Vertrauen in unsere Agrarpolitik.
Da kann ich nur sagen: Oh, Ihr Kleingläubigen!
— Meine Zeit ist sehr knapp bemessen, jetzt nicht mehr.
— Ich habe nur noch ein paar Minuten. So gern ich den Herrn Kollegen Kiechle anhören würde, es geht nicht mehr.
Lassen Sie mich zum Agrarbericht kommen. Herr Ritz hat von 'den Fehlinterpretationen gesprochen, ,die draußen in bezug ,auf das abgelaufene Wirtschaftsjahr getätigt werden. Insoweit, Herr Ritz, stimme ich Ihnen zu und sind wir uns einig. Wir dürfen aber auch nicht in das andere Extrem verfallen. Ich glaube, wir sollten diesen Agrarbericht so behandeln, daß wir sagen: wir lassen die Kirche im Dorf. Wir wissen, daß beim Einkommen Investitionen drin sind. Wir wissen von der überhöhten Arbeitszeit in ,der Landwirtschaft, und wir wissen zum dritten, daß die Disparität keineswegs ausgeräumt ist, aber daß die Dinge im letzten Jahr günstiger gelaufen sind, als man zunächst angenommen hatte, was die Möglichkeit anging, aus dem Tief in bezug auf die EWG-Agrarpolitik, die Sie uns beschert haben, überhaupt herauszukommen. Am heutigen Tage nur in Schwarzmalerei verfallen zu wollen, das halte ich für völlig verfehlt, obwohl ich die Kosten keineswegs bestreite, weil ich selber Landwirt bin. Aber der Weltuntergang in der Agrar- und Wirtschaftspolitik steht heute so wenig bevor wie zu all den Zeiten, wo Sie ihn uns jeweils prophezeit haben.
Herr Dr. Ritz, ich muß Sie auf eines aufmerksam machen. Sie haben davon gesprochen, daß Sie es sehr begrüßen, daß in Zukunft, wie im Agrarbericht angekündigt, vielleicht nur noch Buchführungsergebnisse herangezogen werden sollen. Wenn das so sein soll, haben Sie mein Einverständnis. Ich bin aber der Meinung, es wird unter Umständen nach wie vor nicht ausreichen. Man kann Kritik an dem System üben. Das Landwirtschaftsgesetz ist 1956 erlassen worden. Nur eines können Sie nicht tun: rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Sie oder andere können nicht heute denken, das sei abzuschaffen, und wenn man es braucht — mein Kollege Ronneburger hat schon darauf hingewiesen —, muß das wieder eingeführt werden; das geht nicht. Deshalb bin ich der Auffassung, man muß diese Dinge sehr nüchtern betrachten. Das gilt auch für das Dieselöl, die Verteuerung des Handelsdüngers und all das, was damit im Zusammenhang steht.Nehmen Sie doch einmal folgendes zur Kenntnis. Ist diese Bundesregierung daran schuld, daß die Preise für Rohphosphate um 200 bis 300 % gestiegen sind?
Ja, aber der Herr Kollege Niegel hat hier dauernd Zwischenrufe gemacht, daß der Preis für Handelsdünger sehr stark gestiegen sei. Sie müssen doch einfach zugeben, daß die Rohprodukte auf der einen Seite in dieser Weise im Preis gestiegen sind und wir auf der anderen Seite mit den sich daraus ergebenden Problemen fertig werden müssen. Das werden Sie wohl zugestehen.Ich bin mit Ihnen, Kollege Dr. Ritz, darin einig, daß die Einkommensituation in diesem laufenden Kalenderjahr — ich möchte einmal nicht weitergehen — wesentlich mehr davon abhängig sein wird, was die Märkte hergeben, als davon, was in Brüssel an Preiserhöhungen beschlossen wird. Insofern kommen der Agrarpolitik die Bemühungen der Bundesregierung zugute, alles zu tun, die Arbeitslosigkeitsrate niedrig zu halten, die Kurzarbeit soweit wie möglich wieder zu beenden, damit wir ein entsprechendes Wirtschaftswachstum haben; denn nur wenn der Verbraucher Geld in der Tasche hat, ist er auch bereit, Fleisch zu kaufen.
Ich muß Ihnen folgendes sagen. Sie stellten fest, daß sich die Rinderpreise und andere Preise erhöht haben. Wir sind in der Bundesrepublik in der verteufelten Situation, daß der Verbrauch von Rindfleisch im vergangenen Jahr um 4 % abgenommen, die Bestände aber um 4 % zugenommen haben. Das ist die Zange, die auf dem Markt besteht.Herr Dr. Ritz, damit auch Sie es wissen,
ein Wort zu Ihrer Äußerung, eigentlich hätte auch die Bundesregierung die Grenzen dichtmachen müssen. Ich kann Ihnen nur sagen: Es wäre eine völlig mißverstandene Marktpolitik, wenn wir das, was im Augenblick in Frankreich und in Italien hochgespielt
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5514 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Galluswird, nachmachten, so daß einerseits die deutschen Kühlfahrzeuge mit Fleisch von französischen Jungbauern ausgeräumt werden, andererseits italienische Bauern mit scharfer Munition auf deutsche Milchtanks schießen.
— Darauf komme ich doch jetzt!
Wir haben in der Zwischenzeit einen Agrarexport, der die Acht-Milliarden-Grenze erreicht hat, und deshalb müssen wir Interesse an offenen Grenzen haben.
Ich komme aus einem Gebiet in Süddeutschland. Ich kann nur sagen, daß die Märkte in Süddeutschland zusammenbrechen würden, wenn der Export nach Italien in der Zukunft nicht mehr in der Weise fortgeführt werden könnte.
Insofern haben wir sogar ein Interesse daran, daß die Rinderpreise in Italien hoch und nicht niedrig sind.Sie sagen, es sei der desolate Zustand der EG-Agrarpolitik zu bedauern. Herr Kollege Dr. Ritz, ich folge Ihnen darin, daß die Schwierigkeiten in der EG-Agrarpolitik groß sind. Sie sind groß, aber wir wollen Europa als solches nicht dadurch gefährden, daß wir auf Grund dieser Schwierigkeiten noch dazu beitragen, daß der letzte Rest der europäischen Politik im Augenblick nämlich die Agrarpolitik, auch vollends in die Binsen geht;
das werden Sie von dieser Regierung nicht erleben, und insofern freut mich Ihr Bekenntnis zur EG. Nur haben Sie es im nachhinein zu sehr relativiert. Denn wenn man einerseits ein Bekenntnis zu Europa ablegt, aber hintendrein so viele Hürden, Schwierigkeiten usw. aufbaut, dann wird eben dieses Bekenntnis zu Europa aus meiner Sicht wieder fragwürdig.
Herr Kollege Gallus, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritz?
Nein.
— Herr Ritz, ich habe Ihnen bereits eine Zwischenfrage gewährt.
Herr Kollege Gallus hat das Wort.
Ich habe Ihnen die Zwischenfrage lediglich auf Grund der fortgeschrittenen Zeit verweigert; denn die Mittagspause soll eingehalten werden.
Da ich ohnehin nur eine verkürzte Redezeit habe, können Sie mir doch nicht zumuten, daß ich meine Zeit nur mit einem Frage- und Antwortespiel zwischen Ihnen und mir zubringe.
Sie bedauern hier in bezug auf die Strukturpolitik laufend, daß die Zahl der Betriebe abgenommen hat; das ist eine Tatsache. Sie haben schon vor Jahren in bezug auf eine agrarsozialpolitische Maßnahme in die Begründung hineingeschrieben, der Strukturwandel müsse verstärkt werden. Wohin wären wir gekommen, wenn es keinen Strukturwandel gegeben hätte! In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Ritz, nimmt Ihnen im Zusammenhang mit der Diskussion über die Höfeordnung im Ernährungsausschuß des Bundestages kein Mensch ab, daß wir eine zu große Zahl von Höfen abschreiben wollten.
— Doch. — Ich habe gestern im Ernährungsausschuß des Bundestages im Namen beider Koalitionsfraktionen beantragt, die Wertgrenze bei der Höfeordnung von 30 000 DM auf 20 000 DM herabzusetzen. Warum? Doch ganz einfach deshalb — und das spricht wieder gegen Sie —, weil die Einheitswertfestsetzung auf der Basis des Jahres 1964 in der Landwirtschaft in der Höhe wesentlich glimpflicher ausgefallen ist, als man es zunächst annehmen konnte; so sind wir den deutschen Bauern gegenüber, jawohl!
Das straft Sie auch Lügen in bezug auf Eigentum, Steuergesetzgebung und Bodenrecht. Sie sind nämlich laufend draußen herummarschiert und haben so getan, als ob das Eigentum in Gefahr sei;
das ist bei uns nicht in Gefahr. Aber Sie müssensehr aufpassen, daß Sie einen vernünftigen Kompro-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5515
Gallusmiß zwischen dem finden, was Sie als CDU in bezug auf Grund und Boden beschlossen haben, und dem, was die CSU beschlossen hat.
Ich weiß nicht, wie man hier tatsächlich einen Kompromiß herbeiführen kann. Denn die Situation ist ohne weiteres die, daß sich zur Zeit die Interessen dieser beiden Parteien in dieser Frage genau entgegengesetzt bewegen.
— Um noch einmal zu zitieren: Bei Ihnen ist kein Ding unmöglich.
Nun hätte ich noch ein sehr wichtiges Gebiet anzusprechen, und zwar die Nebenerwerbslandwirtschaft. Man kann die Dinge drehen und wenden, wie man will; man kommt nicht an der Tatsache vorbei, daß wir in der Zukunft — von der Zahl her — mehr Neben- und Zuerwerbslandwirte als Vollerwerbslandwirte haben werden. Wir nehmen hier keinen Vorwurf entgegen, vor allen Dingen ich nicht, weil ich mich schon seit mehr als fünf Jahren bemühe, die Nebenerwerbslandwirtschaft in unsere agrarpolitischen Vorstellungen gleichberechigt einzuordnen. Ich begrüße alle Initiativen, die von Herrn Bundesminister Ertl dahin unternommen werden — auch in bezug auf die Nebenerwerbslandwirtschaft, nachdem sich jetzt vieles abgeklärt hat —, die Frage zu prüfen, inwieweit der Übergangskredit von 30 000 DM in bestimmten Fällen auch Nebenerwerbslandwirten zugute kommen kann. Das begrüße ich, weil ich der Auffassung bin, daß wir schon Gebiete in der Bundesrepublik haben, in denen es nur noch Nebenerwerbslandwirte gibt.
Nun ein Wort zu den Preisfestsetzungen in Brüssel. Ich möchte hier keine großen Ausführungen machen.
Ich bin der Auffassung, daß wir einen Kompromiß bekommen werden, der wesentlich über dem liegt, was die Kommission vorgeschlagen hat. Dieser Vorschlag ist deshalb veraltet, weil die Berechnungen auf Grund der Ereignisse in den letzten Monaten - Ölkrise usw. — überholt sind. Mit diesen Problemen müssen wir fertig werden. Wir haben das volle Vertrauen zu Minister Ertl,
daß hier ein vernünftiger Kompromiß zustande kommt.
Sie werden uns nicht daran hindern, daß wir die Leistungen dieser Bundesregierung auch entsprechen in der Öffentlichkeit verkaufen.
Sie haben auch die Feststellung akzeptiert, daß in der Agrarsozialpolitik Erhebliches geleistet worden ist.
Sie müssen sich im Zusammenhang mit der Altershilfe einmal vor Augen führen, daß im Jahre 1978 ein normaler Landwirt, der von 1957 an dabei ist, eine Rente von 462 DM zu beanspruchen hat. Ich nehme an, daß Sie vielleicht gar nicht erwartet haben, daß wir so sozial sind.
Wir lassen uns hier nicht übertreffen.
Zur EG-Finanzierung — damit komme ich zum Schluß — kann ich nur sagen, daß ich die Dinge sehr nüchtern sehe.
Ich möchte davor warnen zu glauben, daß eine nationale Agrarpolitik für Landwirtschaft und Verbraucher besser und billiger würde. Ich kann hier nur feststellen: Sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Verbraucher kann uns nur daran gelegen sein, daß diese EG-Agrarpolitik in vernünftiger Weise fortgesetzt werden kann.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Die Debatte über die Agrarpolitik wird später am Nachmittag fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir treten ein die
Fragestunde
— Drucksache 7/1766 —
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Frage 102 des Abgeordneten Höcherl:
Welche „Falschmeldungen zum Thema Steuern" sind, wie der Bundeskanzler vor der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen behauptete, „vom politischen Gegner" und nicht von der Bundesregierung selbst verbreitet worden?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär Grabert, bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundeskanzler hat am 28. Februar, Herr Abgeordneter Höcherl, anläßlich einer Sitzung
Staatssekretär Grabert
des Bundesausschusses der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD u. a. davor gewarnt, Opfer gegnerischer Stimmungsmache zu werden. Man habe es dabei zu tun mit — so wörtlich — a) dem Versuch, die Entspannungspolitik zu diskreditieren, mit der Spekulation auf Ungeduld und Wunschdenken, b) Falschmeldungen zum Thema Steuern, c) mit einer Hysterie um das Thema Geschwindigkeitsbeschränkung, d) einer gezielten Kampagne gegen den Parteivorsitzenden und den Bundeskanzler.
Die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zum Thema Steuern sind also zu sehen im Gesamtzusammenhang einer Auseinandersetzung mit den aktuellen Angriffen gegen die Bundesregierung, die allesamt das Ziel verfolgen, die Politik dieser Regierung zu diskreditieren und die Bürger des Landes zu verunsichern. Es besteht daher keine Veranlassung, von den Ausführungen irgend etwas zurückzunehmen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Höcherl.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß gerade heute in diesem Hause das zweite Steuerpaket verabschiedet wird und daß die Opposition einen sehr erheblichen Beitrag geleistet hat, um der Regierung über diese Hürden zu helfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Höcherl, ich weiß, daß die Regierung mit starkem Widerstand der Opposition gerechnet hat und rechnen mußte, als es darum ging, die Fragen der Steuern in unserem Land neu zu regeln. Ich kann feststellen, daß die Regierung auf dem besten Wege dazu ist.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Höcherl.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht gut zur Entkrampfung der Polarisation, die sich herausstellt, wenn die Regierung eine Falschmeldung in einer ehrlichen Form zurücknähme?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Höcherl, dies ist keine Falschmeldung. Ich darf Sie beispielsweise an Ihre eigenen Ausführungen vom 18. Februar erinnern, wo Sie vor den vorhin zitierten Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers erklärt haben: „Diese Regierung ist und bleibt eine Regierung der Steuererhöhungen." Es gibt dieses Jahr keine Steuererhöhungen, wie Sie sehr wohl wissen, und ich würde das in die Gruppe der Falschmeldungen eingruppieren.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 103 des Abgeordneten Gierenstein auf. Sie wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 104 des Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Was hat die Bundesregierung veranlaßt, den Bundesminister für besondere Aufgaben beim Bundeskanzler mit der Führung der Gespräche in Moskau zu beauftragen, obwohl er für keine der zu besprechenden Fragen nach der Geschäftsverteilung innerhalb der Bundesregierung zuständig ist, sondern nur beratende und koordinierende Aufgaben wahrnimmt?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, bitte, Herr Minister Bahr!
Herr Kollege, der Herr Bundeskanzler hat mich, wie Ihnen bekannt ist, beauftragt, mich den Grundsatzfragen der Kooperation mit Staatshandelsländern zu widmen. Nachdem ich über diese Fragen in Washington gesprochen habe, habe ich nun auch in Moskau Gespräche darüber geführt. Fragen der Geschäftsverteilung haben sich dabei nicht als störend erwiesen. Der Kollege Friderichs hat mich im Gegenteil für meine Gespräche in Moskau durch zahlreiche Unterlagen hervorragend unterstützt.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Bundesminister, sind diese Geschäftsverteilung und der ganz besondere Auftrag, den Sie hier hinsichtlich der Gespräche in Moskau erhalten haben, eigentlich vereinbar mit Art. 65 des Grundgesetzes, wonach jeder Bundesminister seine Amtsgeschäfte selbständig und in eigener Verantwortung führt, greifen Sie damit nicht in die Kompetenz des Bundesministers des Auswärtigen ein, und ist diese Änderung der Geschäftsordnung vom Bundespräsidenten genehmigt?
Ich greife damit nicht in Geschäftsordnungsfragen ein. Außerdem ist es voll vereinbar mit der Organisationsmöglichkeit der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Minister, hat Ihnen das Kabinett für die Gespräche in Moskau — ich nehme hier Ihre Formulierung auf — bestimmte Richtlinien und einen ganz bestimmten Gesprächsauftrag gegeben?
Der Bundeskanzler hat einen Gesprächsauftrag zur Vorbereitung seines Besuches gegeben. Im übrigen habe ich mich an die Richtlinien des Bundeskabinetts, d. h. innerhalb der gegebenen Richtlinien des Bundeskabinetts gehalten.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.
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Herr Bundesminister, Sie werden doch zugeben, daß Art. 65 des Grundgesetzes und nicht nur die Geschäftsordnung der Bundesregierung für die Geschäftsverteilung verbindlich ist und sowohl der Herr Bundesminister des Auswärtigen wie auch Sie durch diesen Art. 65 gebunden sind.
Aber selbstverständlich, Herr Kollege. Das hat nie eine Bundesregierung oder einen Bundeskanzler gehindert, einigen Ministern Sonderaufträge zu geben, wie Sie genau wissen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, Sie haben in Ihrer ersten Antwort an Herrn Kollegen Wittmann Ihren Tätigkeitsbereich umschrieben, den Sie auf Grund eines Sonderauftrags des Bundeskanzlers ausfüllen. Ist beabsichtigt, für diesen Sonderauftrag ein Bundesministerium mit dieser Bezeichnung zu errichten?
Nein, diese Absicht besteht nicht.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger .
Herr Bundesminister, Sie sprachen vorhin davon, daß Ihr Aufgabenbereich die Koordination der Politik gegenüber Staatshandelsländern sei, Kraft welcher Interpretation des Begriffs „Koordination" sind Sie dann zuständig für Verhandlungen mit diesen Ländern, anstatt die Arbeit der einzelnen zuständigen Minister zu koordinieren?
Darf ich darauf aufmerksam machen, daß ich nicht von Koordination gesprochen habe. Das ist vielleicht bei Ihnen ein Hörfehler. Ich habe formuliert, ich sei beauftragt, mich den Grundsatzfragen der Kooperation mit Staatshandelsländern — und nicht der Koordination — zu widmen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 105 des Abgeordneten Engelsberger auf:
Worauf gründet sich die Äußerung von Bundesminister Bahr in Moskau, daß „durch die Fülle von Erklärungen von seiten der Opposition über Kreditzusagen hier Erwartungen geweckt worden sind, die ich einfach nicht erfüllen kann", und welche Rolle haben bei den Gesprächen sowjetische Forderungen nach finanziellen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland gespielt?
Der Abgeordnete ist anwesend. Bitte, zur Beantwortung, Herr Minister Bahr!
Herr Kollege, die Äußerung gründete sich auf die zahlreichen Erklärungen von Mitgliedern der Opposition, die bis nach Moskau drangen und die die Vermutung oder die Sorge, den Verdacht, die Erwartung aussprachen, daß ich finanzielle Verpflichtungen eingehen, Kreditzusagen geben würde, Zinsverbilligungen anbieten wolle und ähnliches mehr. Nach dem Sprichwort: „Wo Rauch ist, ist auch Feuer" hat die sowjetische Seite annehmen können, derartige Angebote würden erfolgen. Dadurch sind die Gespräche nicht erleichtert worden. Die sowjetische Seite hat die Erwartung ausgedrückt, was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, daß die Bundesrepublik Deutschland bei großen Anlagen nicht schlechtere Bedingungen, nicht höhere Zinssätze verlangen kann als bei entsprechenden Geschäften von Amerikanern, Engländern, Franzosen, Italienern und anderen westlichen Industriestaaten gefordert und gegeben werden. Ich möchte aber, um jedem Mißverständnis auszuweichen, noch unterstreichen: ich habe keinerlei Kreditzusagen oder Zinsverbilligungen angekündigt oder vereinbart.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Engelsberger.
Herr Bundesminister, sind die Erwartungen und Hoffnungen auf sowjetischer Seite nicht dadurch gefördert worden, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit bei Verhandlungen mit den Ostblockländern dann doch Erwartungen erfüllt hat, deren Erfüllung sie vorher auf Fragen der Opposition verneint hat, und nicht auf Grund der kritischen Bemerkungen zu Kreditforderungen, die die Opposition bei Ihrer Moskaureise von vornherein abgelehnt hat?
Es tut mir furchtbar leid; ich habe immer betont, daß ich keine Kreditgespräche in Moskau führen würde. Die Vermutung, daß es doch geschehen sei, ist nur von der Opposition gekommen, nicht von der Regierung.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Engelsberger.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß die Äußerungen der Opposition zu Ihrer Moskaureise und zur Kreditgewährung dort im Hinblick auf die Verhandlungsposition der Bundesregierung bei weitem nicht die schädliche Wirkung gehabt haben wie die Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner in Moskau, als er die Bundesregierung dazu ermahnte, die Hoffnungen und die Erwartungen nicht zu überziehen?
Nein, ich kann diese Auffassung überhaupt nicht teilen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Friedrich.
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5518 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Trifft dann, Herr Minister, auch nicht die Behauptung — bis heute undementiert — des Abgeordneten Schulze-Vorberg zu, daß Ihre Reise nach Moskau die Bundesrepublik 25 Milliarden DM kosten werde, die, wenn ich zitieren darf, „dem Aufbau einer gewaltigen Kugel- und Wälzlagerindustrie in der Sowjetunion dienen", und daß damit die Arbeitsplätze in Schweinfurt noch unsicherer würden?
Herr Kollege, diese Ausführungen sind von A bis Z falsch.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, da Sie gestern Ohrenzeuge einer meiner Erklärungen im Auswärtigen Ausschuß waren, darf ich insofern darauf verweisen und Sie fragen: Sind Sie bereit einzuräumen, daß die Tatsache, daß Sie wiederholt in Moskau entscheidende Verhandlungen unter Ausschluß jedes deutschen Fachbeamten und jedes deutschen Dolmetschers geführt haben, zu einigen Vermutungen Anlaß geben könnte, vor allem, nachdem Sie dieses Hohe Haus bei der Aushandlung des Vertrages hinters Licht geführt haben, wochenlang von Vorgesprächen geredet wurde und tatsächlich der fertige Vertrag auf dem Tisch lag?
Herr Kollege, es tut mir leid, daß ich Ihnen in gleicher Form widersprechen muß: Auch diese Behauptungen sind falsch, und zwar von A bis Z. a): Ich habe niemals in Moskau Verhandlungen ohne Anwesenheit von Beamten und Dolmetschern geführt; zu keiner Zeit. b) : Wir haben 1970 Gesprächsprotokolle mit Herrn Gromyko festgelegt, wie sich das gehört, und die Tatsache, daß sie unautorisiert veröffentlicht worden sind, hat in der Tat im Jahre 1970 die deutsche Verhandlungsposition sehr erschwert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kern.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg selbst mit Regierungsmitgliedern der Sowjetunion ohne deutschen Dolmetscher Gespräche geführt hat und daß er beispielsweise in diesen Gesprächen die Entspannungspolitik der Bundesregierung dadurch gelobt hat, daß er das Zitat des Bundeskanzlers von der guten Nachbarschaft brachte, die wir auch zur Sowjetunion wollten?
Herr Kollege, mir ist dies nicht bekannt. Aber ich würde daraus Herrn Schulze-Vorberg wegen der Art seiner Gesprächsführung noch keinen Vorwurf machen, wie er das offenbar beabsichtigt.
Eine Zusatzfrage, Abgeordnete Frau Bothmer.
Muß man nicht befürchten, daß diese Sorge um zugesagte Kredite, die Herr Schulze-Vorberg auch in einer anderen Versammlung geäußert hat, einfach daher rührt, daß er Ihre Reise, Herr Minister, diskreditieren will?
Ich darf darauf aufmerksam machen, Frau Kollegin, daß es hier im Hause Dreiecksfragen gegenüber Abgeordneten nicht gibt.
Ich darf mir die Antwort gestatten, verehrte Frau Kollegin, daß ich es mir versage, nach den Motiven von Fragen anderer Kollegen forschen zu wollen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Bundesminister, muß ich Ihre Ausführungen, daß Sie Verhandlungen in Moskau ohne Hinzuziehung von Dolmetschern und Fachbeamten nicht geführt haben, angesichts Ihrer anderen Feststellung, daß Sie dort überhaupt keine Verhandlungen, sondern nur Gespräche geführt haben, so verstehen, daß Sie diese Gespräche ohne Hinzuziehung von Fachbeamten und Dolmetschern geführt haben?
Herr Kollege, so können Sie das nicht verstehen. Selbst die meisten Gespräche habe ich in Anwesenheit von Fachbeamten und Dolmetschern geführt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hösl.
Herr Minister, haben Sie vorhin, als Sie von der Indiskretion sprachen — in der Auskunft hier war von „Notizen" die Rede —, zum Ausdruck bringen wollen, daß das doch amtliche Protokollunterlagen waren?
Nein. Ich beziehe mich auf die Ausführungen, die Herr Scheel damals in der Bundestagsdebatte gemacht hat, in der von Protokollnotizen die Rede war.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Professor Schweitzer.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5519
Herr Minister, wären Sie bereit, dem Hohen Hause zu bestätigen, daß es durchaus diplomatischen Gepflogenheiten entspricht, vertrauliche Gespräche — wohlgemerkt: nicht Verhandlungen — ohne Hinzuziehung von dritten Personen zu führen, und vielleicht dem Hause einmal über das Archiv des Auswärtigen Amtes entsprechende Aufzeichnungen über Gespräche zwischen Briand und Stresemann z. B. in Thoiry, zugänglich zu machen?
Das können wir sehr gern tun, Herr Abgeordneter. Die letzten Gespräche, die der Bundeskanzler hier mit ausländischen Gästen geführt hat, sind z. B. nur durch unsere Dolmetscher begleitet worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Bundesminister, könnte es nicht sein — weil Sie selbst wiederholt vor Ihrer Reise auf die Möglichkeit von Kreditsubventionierung hingewiesen haben —, daß dadurch in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen mußte, daß Sie nunmehr in Moskau über Kredite verhandeln?
Ich habe nicht über Kreditsubventionierungen gesprochen. Im Gegenteil, ich habe auch vor der Reise gesagt: ich beabsichtigte nicht darüber zu sprechen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Müller .
Herr Minister, halten Sie es für möglich, daß Herr Schulze-Vorberg diese falsche Behauptung deswegen aufgestellt und in Schweinfurt veröffentlicht hat, weil am Sonntag in Schweinfurt Oberbürgermeisterwahlen sind?
Ich kenne Herrn Schulze-Vorberg seit langem, und ich traue ihm sehr viel zu.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Riedl.
Herr Minister, Sie haben einmal gesagt, daß Sie kein Gespräch ohne Anwesenheit von Beamten und Dolmetschern geführt haben, und dann haben Sie in einer späteren Antwort gesagt, daß Sie die meisten Gespräche in Anwesenheit von Beamten und Dolmetschern geführt haben. Ich hätte nun einmal gewußt, ganz konkret gewußt: hat es ein Gespräch zwischen Ihnen und den sowjetischen Regierungsstellen gegeben, an dem außer Ihnen kein Beamter oder Dolmetscher von deutscher Seite teilgenommen hat?
Oh ja, das muß ich bestätigen. Erstens darf ich korrigieren: ich habe vorhin von Verhandlungen gesprochen. Ich habe keinerlei Verhandlungen jemals —nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch sonst in der Welt -- irgendwo ohne die Anwesenheit von Dolmetschern oder von anderen Mitarbeitern geführt. Aber selbstverständlich gibt es die Möglichkeit — auch in der Sowjetunion —, mit sowjetischen Regierungsstellen, wie Sie sich ausgedrückt haben, Vier-Augen-Gespräche zu führen. Ich habe z. B. zwei Vier-Augen-Gespräche mit Herrn Gromyko geführt, in englischer Sprache.
— Das waren wirkliche Vier-Augen-Gespräche. Und ich habe Vier-Augen-Gespräche mit ihm geführt, als es um Papiere ging, in Anwesenheit von zwei Dolmetschern.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Mertes.
Herr Minister. haben Sie in Moskau über Themen gesprochen, die in wirtschaftlich-politischer Konsequenz dazu führen können, daß sich das Thema Kreditsubventionen zugunsten von Staatshandelsländern neu stellt?
Nein.
Herr Kollege Engelsberger, Ihre Zusatzfragen sind erschöpft; Sie hatten zwei.
Keine weitere Zusatzfrage. — Ich danke für die Beantwortung, Herr Bundesminister Bahr und Herr Staatssekretär Grabert.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf.
Die Frage 106 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Gierenstein, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 107 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Räumt die Bundesregierung ein, daß ihre Antwort auf meine schriftliche Anfrage vom 18. Januar 1974 , die Belieferung der deutschen Botschaften mit Zeitungen und Zeitschriften betreffend, insoweit falsch war als sie. sowohl was den „Bayernkurier" als auch was den „Vorwärts" anbelangt, behauptete, die Belieferung erfolge auf Ersuchen der betreffenden Botschaften, was für den „Bayernkurier" überwiegend zutrifft, während die Belieferung mit dem „Vorwärts" auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes erfolgte, und welche Gründe waren gegebenenfalls für die einseitige Auswahl maßgebend?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Moersch zur Verfügung.
Herr Abgeordneter, lassen Sie mich der Klarheit wegen noch einmal den von
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5520 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Parl. Staatssekretär MoerschIhnen kritisierten Satz zitieren. Er lautete: „Die Vertretungen entscheiden über den Zeitungsbezug selbst." In der vom Auswärtigen Amt in mehr als 20 Jahren geübten Praxis bedeutet dies folgendes. Entweder erhalten die Auslandsvertretungen auf einen von ihnen selbst gestellten Antrag hin eine Zeitung übersandt — vorausgesetzt, daß die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen; jede Botschaft hat ja ihren eigenen Zeitschriftenetat —, oder die Zeitung wird auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes geliefert. Wenn eine Belieferung vom Auswärtigen Amt veranlaßt wird, so bleibt die Entscheidung in letzter Konsequenz jedoch stets bei den Vertretungen, weil diese darüber entscheiden, ob die Belieferung unbefristet oder befristet, also sozusagen auf Probe, erfolgen soll.Nun zu den beiden genannten konkreten Fällen! Die gegenwärtig gelieferten drei Exemplare des „Bayernkurier" gehen auf entsprechende Anträge und damit auf Bedürfnisse der Vertretungen zurück. Soweit der „Vorwärts" betroffen ist, hat sich das Auswärtige Amt im Jahre 1968 dafür entschieden, den Auslandsvertretungen zur Abrundung des gesamten Informationsspektrums, das offensichtlich bis dahin als einseitig angesehen werden mußte, zusätzlich 150 Exemplare dieser Wochenzeitung zur Verfügung zu stellen. Den Auslandsvertretungen bleibt es jedoch unbenommen, auf einen weiteren Bezug dieser Zeitung zu verzichten, wenn sie zu dem Ergebnis kommen, daß sie diese Zeitung als dienstliches Informationsmaterial für entbehrlich halten.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Riedl .
Herr Staatssekretär, ich wäre mit dieser Regelung völlig einverstanden, wenn Sie diese Regelung auch auf den „Bayernkurier" übertrügen.
Herr Abgeordneter, die Tatsache, daß mehrere Vertretungen, nämlich drei, den „Bayernkurier" beziehen, zeigt, daß es im Ermessen der Vertretungen liegt, ob sie ein Bedürfnis haben, verspüren oder verspüren werden, den „Bayernkurier" zu ihrer eigenen Information oder zu sonstigen Zwecken zu halten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, ich will mich jetzt nicht darüber auslassen, welche Bedürfnisse Auslandsvertretungen verspüren, über die innenpolitische Lage in unserem Lande informiert zu werden. Ich will Ihnen aber eine konkrete Frage stellen: Ist das Auswärtige Amt bereit, entsprechende Bestellungen der deutschen Auslandsvertretungen im Hinblick auf eine Belieferung mit dem „Bayernkurier" genauso zu behandeln wie Bestellungen des „Vorwärts"?
Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt entscheidet überhaupt nicht, was bestellt wird. Das machen die Auslandsvertretungen. Wenn es sich im Rahmen des Etats der Botschaft bewegt, kann die Botschaft jede Zeitung und jede Zeitschrift beziehen, selbstverständlich auch den „Bayernkurier". Wenn ich von Bedürfnissen gesprochen habe, so ist das ganz objektiv zu verstehen. Das ist einfach der Bedarf an Information, manchmal auch an psychologischer Unterrichtung, wie Sie verstehen werden. Es gibt viele Möglichkeiten. Es gibt auch den Bedarf, sich etwa zu amüsieren oder zu ärgern, was ja außerordentlich erfrischend sein kann.
Ich rufe die Frage 108 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung, wie Dieter Mahnke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in einem Kommentar der BBC London am 14. Februar 1974 mitteilte, der UdSSR in einem Gespräch auf hoher Ebene die Zusage gemacht hat, „dies sei das letzte Mal", womit die Errichtung einer Bundesbehörde — des Umweltbundesamts — in Berlin angesprochen wurde?
Zur Beantwortung der Herr Staatsseketär, bitte!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich gegenüber der UdSSR nicht in dem von Ihnen genannten Sinne geäußert.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie mir sagen, warum die Bundesregierung es dann nicht für notwendig gehalten hat, das richtigzustellen — obgleich das vor dem Vortrag von Professor Mahnke und seinen Äußerungen bereits am 22. Januar in zwei deutschen Zeitungen, in einer Berliner Zeitung und in der FAZ, so berichtet wurde —, um spätere Interpretationen, wie sie dann durch den Vortrag von Professor Mahnke erfolgt sind, zu vermeiden?
Herr Abgeordneter, mir sind solche Berichte nicht bekannt, was nicht ausschließt, daß sie erschienen sind. Vielleicht verwechseln Sie das aber auch mit Kommentaren redaktioneller Art. Ich kenne keinen Vortrag von einem Herrn Professor Mahnke, ich kenne auch keinen Kommentar von Herrn Professor Mahnke. Ich habe hier lediglich die Niederschrift eines Interviews, das Herr Mahnke, der früher der Gesellschaft für Auswärtige Politik, die ja keine Gesellschaft der Bundesregierung ist, wie Sie wissen, angehörte, gegeben hat. Es ist jedem Staatsbürger unbenommen, eigene Wertungen oder Meinungen zu äußern, aber das sind ja deswegen noch keine Informationen. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, jede Spekulation presserechtlich richtigzustellen — nach dem alten Grundsatz: Wer eine Falschmeldung hat, der hat auch ganz exklusiv das Dementi.
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Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
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Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie nicht meinen, daß nur Sie, aber nicht auch die Offentlichkeit das so auf die leichte, lächerliche und zynische Schulter nimmt, wenn gerade wenige Tage vorher, am 8. Februar 1974 — abgedruckt in den Informationen des Bundespresse- und -informationsamtes Radio Moskau fast wörtlich die gleiche Behauptung aufgestellt hat: daß das der Bundesregierung nach den bestehenden Vereinbarungen untersagt ist? Meinen Sie nicht, daß demnach die politische Situation doch sehr viel ernster ist, als Sie sie hier verbal und visuell darzustellen versuchen?
Herr Abgeordneter, ich verstehe den Sinn Ihrer Frage nicht. Sie sprechen jetzt von einer sowjetischen Sachdarstellung. Das ist bei dem Punkt, um den es hier geht, eventuell eine Sache der Vier Mächte, wie Sie wissen. Ich stelle noch einmal fest: Den von Ihnen behaupteten Kommentar gibt es nicht, sondern es gibt hier in meinen Unterlagen ein Interview. Das ist schon einmal ein Unterschied. Zweitens ist das Interview bei BBC gewesen. Ich bedaure, sagen zu müssen, daß das eine Sendung ist, die normalerweise in Deutschland gar nicht gehört wird. Wir hatten Mühe, die Quelle überhaupt zu verifizieren, auf Grund deren Sie Ihre Frage gestellt haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mattick.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß die Auseinandersetzung, die mit dieser Frage hier heraufbeschworen wird, auf alle Fälle für Berlin schädigend ist und uns in keiner Weise hilft? Würden Sie mir zustimmen, daß Ihre Nichtbeachtung solcher Polemik in der Presse Berlin dient und nicht, wie der Vorsprecher sagte, leichtsinnig ist?
Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß gerade in der Frage Berlin eine besondere Verantwortung nicht nur bei der Regierung, sondern auch bei Abgeordneten liegt. Gerade deswegen hat die Regierung ja keinen Anlaß gesehen, von sich aus ein Thema zu vertiefen, das offensichtlich von interessierter Seite in die Welt gesetzt worden ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, an welche konkreten Projekte denkt die
Bundesregierung, wenn sie zu Recht betont, daß auch in Zukunft die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik Deutschland weiterhin entwickelt werden?
Herr Abgeordneter, Ihre langjährige berufliche Praxis sagt Ihnen sicher, daß die Beantwortung einer solchen Frage in der Offentlichkeit, selbst wenn die Bundesregierung daran dächte, sie zu beantworten, sicher der Sache weder nützen würde noch sonst jemandem nützen könnte.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann .
Herr Staatssekretär, wie kommt es dann, daß das Presse-und Informationsamt, Abteilung Nachrichten, dieses Interview des Herrn Mahnke abdruckt, wenn es für die Bundesrepublik Deutschland schädlich ist? Ich darf Ihnen die Quelle sagen es ist der 14. Februar 1974, BPA-Nachrichten Referat II/4, Europagruppe.
Herr Abgeordneter, die Tatsache, daß das Bundespresseamt eine Fülle von Meldungen aus der ganzen Welt aufnimmt und sie Abgeordneten zur Verfügung stellt, heißt ja noch nicht, daß die Abgeordneten deshalb verpflichtet wären, daraus politische Debatten im Bundestag zu machen.
Ich rufe die Frage 109 des Herrn Abgeordneten Hösl auf:
Treffen Pressemeldungen zu, die drei Westmächte beabsichtigen, sich in Zukunft an der Deutschen Industrieausstellung in Berlin unter anderem auch deshalb nicht zu beteiligen, weil die immer wieder in Aussicht gestellten Kontakte mit interessanten osteuropäischen Handelspartnern bisher ausblieben, und sind insoweit die Voraussetzungen der von der Bundesregierung betriebenen Ostpolitik falsch gewesen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
— Meine Damen und Herren, ich habe die Frage 109 des Abgeordneten Hösl aufgerufen. — Bitte, zur Beantwortung der Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, es trifft nicht zu, daß sich die drei Westmächte an der Industrieausstellung in Berlin nicht mehr beteiligen wollen, weil angeblich in Aussicht gestellte Kon-
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5522 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Parl. Staatssekretär Moerschtakte zu osteuropäischen Handelspartnern ausgeblieben seien.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Hösl.
Herr Staatssekretär, wenn es so ist, wie Sie sagen — das würde uns alle sicherlich sehr beruhigen —, warum hat die Regierung solche Meldungen auf der ersten Seite einer deutschen Tageszeitung dann nicht dementiert?
Herr Abgeordneter, ich vermag nicht ganz zu sehen, welches Dementi gegeben werden soll, wenn feststeht — das ist allen Sachkundigen klar —, daß wirtschaftliche Gründe zur Beschickung oder Nichtbeschickung von Messen führen. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir Gelegenheit geben zu sagen, wie es sich wirklich verhält. Es handelt sich um wirtschaftliche Gründe.
Eine weitere Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Hösl.
Herr Staatssekretär, darf ich bitten, diese wirtschaftlichen Gründe offenzulegen.
Ja. Wenn die Firmen der Meinung sind, daß Aufwand und Ertrag in einem unangemessenen Verhältnis stehen, pflegen sie Messen nicht zu beschicken. Das sind die Gründe, welche die Firmen angegeben haben.
Ich rufe die Frage 110 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Treffen Pressemeldungen zu, die deutsche Ausstellung „Leben in der Stadt" in Sofia werde unter Ausschaltung der Berliner Beiträge gezeigt, und welche Erwägungen waren gegebenenfalls dafür maßgebend, diese Beiträge zu eliminieren und so der sowjetkommunistischen Drei-Staaten-Theorie Vorschub zu leisten?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, diese Pressemeldungen treffen nicht zu.
Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Dr. Kunz!
Können Sie dann, Herr Staatssekretär, eindeutig sagen, daß es sich bei der Meldung in der „Welt" vom 26. Februar 1974 um eine Falschmeldung handelt? Dort wird festgestellt:
Auf Drängen der bulgarischen Gastgeber wurden sämtliche ursprünglich vorgesehenen Baubeispiele aus West-Berlin aus den Ständern entfernt.
Herr Abgeordneter, ich darf Ihnen den Sachverhalt darlegen. Dann werden Sie selber beurteilen können, wie wenig zutreffend offensichtlich die von Ihnen zitierte Behauptung war, die Sie in der Frage selbst nicht zitiert hatten.
Die Ausstellung „Wohnen in der Stadt — Aspekte städtischen Lebens" wurde im März 1972 konzipiert, im Oktober des gleichen Jahres in Belgrad und vom 18. Februar bis 6. März 1974 in Sofia gezeigt. Im Vordergrund stehen kulturelle Probleme der Ballungszentren Rhein-Ruhr, Rhein-Main und Rhein-Neckar. Berliner Exponate waren in der Ausstellung von ,der Konzeption her von Anfang an nicht vorgesehen. Sie konnten daher auch nicht eliminiert werden.
Vielleicht kläre ich den Tatbestand auf, wenn ich folgendes hinzufüge: In der Broschüre zu der Ausstellung befand sich in einer der vier aufgeführten Statistiken zunächst der Zusatz „einschließlich West-Berlins". Alle Statistiken, auch die ohne diesen Zusatz, schließen das Zahlenmaterial von Berlin-West ein. Dies entspricht unserer Praxis im internationalen Bereich. Aus diesem Grunde war es nicht erforderlich, auf diesem Zusatz zu bestehen, als die bulgarische Seite hiergegen Bedenken angemeldet hatte. Die in der Broschüre enthaltenen Statistiken schließen nach wie vor die Berliner Zahlenangaben ein. Sie unterstreichen damit also, daß es keine Besonderheiten gibt.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 111 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Welche Erfolge kann die Bundesregierung hinsichtlich der von polnischer Seite zugesagten Aussiedlungsmöglichkeit Deutscher aus den Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße dem Bundestag mitteilen, seit sie am 15. Juni 1973 eine Frage des Kollegen Wischnewski bestätigte, sie werde die „Behandlung dieses wichtigen Themas bei dem Besuch des stellvertretenden Außenministers Polens" zu einem „bedeutenden Beratungspunkt" machen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat das Problem der Umsiedlung nicht nur bei der von Ihnen zitierten Gelegenheit, sondern bei allen deutsch-polnischen Gesprächen der letztten anderthalb Jahre zu einem bedeutenden Beratungspunkt gemacht. Im Ergebnis ist festzustellen, daß sich die polnische Regierung im Kommuniqué von Warschau vom Oktober 1973 bereit erklärt hat, das Problem in den nächsten drei bis fünf Jahren umfassend zu lösen. Sie hat sich beim Besuch des polnischen Außenministers Olszowski im Dezember 1973 in Bonn außerdem bereit erklärt, was zunächst das Jahr 1974 angeht, 50 000 Personen ausreisen zu lassen. Beide Regierungen bemühen sich zur Zeit um eine Vereinbarung über die Gesamtabwicklung der Umsiedlung in dem vorgesehenen Zeitraum.
Keine Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 112 des Abgeordneten Rainer auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5523
Vizepräsident von Hasselwird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 113 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:Kann die Bundesregierung bestätigen, daß sie in den Verhandlungen mit der Volksrepublik Polen keine Rechtsposition deutscher Staatsangehöriger mindert oder verkürzt, insbesondere aber deutsche Staatsangehörige nicht nur als deutsche Volkszugehörige, Deutschstämmige, Rückkehrer u. a. unter Abweichung von der tatsächlichen Rechtslage bezeichnet?Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt Rechtspositionen deutscher Staatsangehöriger gemindert. Sie wird es auch künftighin nicht tun.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Freundlichkeit haben, die Frage so, wie sie gestellt worden ist, zu beantworten: „... insbesondere aber deutsche Staatsangehörige nicht nur als deutsche Volkszugehörige, Deutschstämmige, Rückkehrer u. a. unter Abweichung von der tatsächlichen Rechtslage bezeichnet?" Diese Frage ist nicht beantwortet.
Die Bundesregierung hat eine solche Bezeichnung, wie sie in Ihrer Frage erwähnt worden ist, nicht vorgenommen.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordente Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, wollen Sie mir dann sagen, wie diese deutschen Staatsangehörigen in der Vertragsgrundlage für den Warschauer Vertrag, in der „Information", bezeichnet sind und ob die Bundesregierung wegen der unzureichenden Bezeichnung dieser deutschen Staatsangehörigen einen Rechtsvorbehalt gemacht hat.
Herr Abgeordneter, der Vorgang ist Ihnen, soweit mir jedenfalls bekannt ist, in der Ratifizierungsdebatte deutlich gemacht worden. Das hat dort eine Rolle gespielt und steht auch, soweit ich weiß, in dem Bericht zu dem Gesetz. Ich darf darauf verweisen, daß es sich um eine polnische „Information" handelt und daß die Bundesregierung zur Rechtsfrage der Staatsangehörigkeit selbst einen Vorbehalt zu Protokoll gegeben hat, der auch in den Papieren des Bundestages abgedruckt ist.
Ich rufe die Frage 114 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Ist die Bundesregierung bereit, alle legalen Maßnahmen zum wirksamen aktiven Schutz der Grund- und Menschenrechte deutscher Staatsangehöriger, sei es derer, die ausreisen, sei es derer, die in der Heimat verbleiben wollen, einzusetzen, insbesondere aber dem Vertragspartner, der bisher das Minimum an Zusagen in der „Information" nicht erfüllt, keine neuen Vorteile und Kredite zu gewähren, solange die bisherigen Vertragszusagen im humanitären Bereich nicht erfüllt sind?
Bitte, zur Beantwortung!
Herr Abgeordneter, zum ersten Teil Ihrer Frage darf ich bestätigen, was ich auf Ihre entsprechende Frage in der 58. Sitzung am 19. Oktober letzten Jahres geantwortet habe. Die Bundesregierung wird allen Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die sich an eine Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland mit der Bitte um wirksame Unterstützung in der Verteidigung ihrer Rechte, insbesondere ihrer Grundrechte, wenden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten und in den Grenzen des völkerrechtlich Zulässigen nach wie vor Schutz gewähren und Hilfe leisten. Das gilt auch für Deutsche in Polen.
Sofern Sie im zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, voraussetzen, daß die Bundesregierung bisher Polen Vorteile und Kredite gewährt hat, möchte ich feststellen, daß das nicht der Fall ist. Im übrigen habe ich in diesem Hohen Hause bereits festgestellt, daß zwischen der Lösung des Problems der Umsiedlung und unseren Verhandlungen über einen ungebundenen Finanzkredit an Polen kein Zusammenhang im Sinne eines do ut des besteht. Aber ich habe auch festgestellt und darf das wiederholen, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß die künftige Entwicklung der Zusammenarbeit in einem Bereich nach Auffassung der Bundesregierung geeignet ist, Lösungen von Problemen in anderen Bereichen zu fördern.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung nicht zuletzt auf Grund des Karlsruher Urteils die verfassungsrechtliche Pflicht, deutschen Staatsangehörigen in jedem Fall Schutz zukommen zu lassen, bejaht, darf ich Sie fragen, wie viele Verbalnoten die Bundesregierung wegen der in ihren Grundrechten behinderten deutschen Staatsangehörigen, die sich in den Oder-Neiße-Gebieten befinden, an die Warschauer Regierung gerichtet hat, wie es früher die Regierung Adenauer beispielsweise für deutsche Volkszugehörige in Moskau getan hat.
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen die genaue Zahl nicht sagen. Aber ich kann Ihnen sagen, daß diejenigen, die den Vertrag mit Warschau ratifiziert und ihn in diesem Hohen Hause zur Annahme verholfen haben, es uns überhaupt erst ermöglicht haben, Verbalnoten zu übergeben.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.
Darf ich Sie, da Sie sich auf einen Rechtsvorbehalt berufen, der zu der Behandlung der Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten
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5524 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Dr. Czajaentgegen Ihrer hier getroffenen Feststellung keinen Bezug hat, fragen, wie viele mündliche Demarchen für deutsche Staatsangehörige in besonderes schwierigen Fällen unternommen worden sind.
Herr Abgeordneter, Sie werden einsehen, daß diese Zusatzfrage nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Ihrer ersten Frage steht. Statistische Erhebungen kann ich jetzt nicht anstellen. Ich werde sie später anstellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatssekretär, sind während der Zeit, in der die Schutzmächte unsere Interessen gegenüber Polen wahrgenommen haben, der polnischen Regierung also keine Verbalnoten in der üblichen Form über diese Schutzmächte zugänglich gemacht worden?
Herr Abgeordneter, dies betrifft den Geschäftsbereich einer früheren Regierung, die Ihnen näherstand als mir. Ich bin gern bereit, dies in den Akten nachzuprüfen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, daß nach Auffassung der Bundesregierung zwischen der Gewährung von wirtschaftlichen Vorteilen an die Volksrepublik Polen und der Aussiedlung Deutscher aus den Oder-Neiße-
Gebieten kein Zusammenhang besteht. Muß ich dieser Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, dieses einzig wirksame Mittel zum Schutz der deutschen Menschen in diesen Gebieten einzusetzen?
Herr Abgeordneter, es steht noch eine Fülle von Fragen zu einem ähnlichen Sachverhalt an. Ich glaube, daß Sie meine Antwort nicht genau zitiert haben; ich kann es jetzt freihändig nicht feststellen. Ich bitte Sie, sich zu gedulden, bis die von Ihnen und Ihren Kollegen gestellten Fragen beantwortet sind. Dann können Sie auf diesen Sachverhalt gern zurückkommen.
Ich rufe die Frage 115 des Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Ist die Bundesregierung bereit, zusammen mit den polnischen Gesprächspartnern eine Methode zu entwickeln, die sie in den Stand setzt, über die polnischen Gründe einer Absage des Aussiedlungsbegehrens eine zutreffende Auskunft zu erhaben?
Herr Staatssekretär, bitte schön!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung strebt ein Verfahren an, das es nach der Wiederaufnahme eines verstärkten Fortgangs der Umsiedlung erlaubt, verbleibende offene Zweifelsfälle zu klären.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, wie erklärt sich die Bundesregierung die hartnäckige Weigerung der polnischen Regierung, dem Deutschen Roten Kreuz die jeweiligen Gründe für die Ablehnung des Aussiedlungsbegehrens zu nennen?
Herr Abgeordneter, auch das ist eine Frage, die im weiteren Verlauf der Fragestunde sicherlich noch viertieft werden kann.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Diese Art der Beantwortung ist ungehörig!
Nein, Herr Abgeordneter, Sie haben hier schließlich eine Fülle von Schriftlichen Fragen gestellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist in der Tat eine große Zahl von Fragen zu diesem Bereich eingereicht worden. Ich schlage vor, daß wir abwarten, ob zu einem späteren Zeitpunkt auf eine ähnliche Frage zurückgegriffen wird. Sie haben dann jederzeit die Möglichkeit, noch einmal eine zusätzliche Frage zu stellen.
Bitte schön, eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser !
Herr Staatssekretär, würde es denn das Aussiedlungsprozedere nicht erleichtern und könnte den Aussiedlungswilligen nicht besser geholfen werden, wenn die Ablehnung einer Aussiedlung nicht immer wieder mit dem stereotypen Hinweis auf einen bestimmten Artikel einer bestimmten Anordnung — ebenso nichtssagend wie folgenschwer — erfolgte, sondern die Ablehnung konkret begründet würde?
Herr Abgeordneter, ich habe in der ersten Antwort schon gesagt, daß wir genau über diese Fragen im Gespräch sind und daß wir versuchen, eine Vereinbarung mit der polnischen Seite zu finden, die exakt erreicht, daß wir diese Gründe im einzelnen kennenlernen. Die Gespräche sind im Gange, und ich kann nicht mehr sagen, als daß sie noch nicht abgeschlossen sind.
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Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5525
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich, daß es - die „Information" zum Warschauer Vertrag ist im Dezember 1970 abgefaßt worden; seitdem sind fast vier Jahre vergangen -- bis heute immer noch nicht möglich war, in einem Verfahren zu klären, daß auch die deutsche Seite über die Ablehnungsgründe informiert wird?
Herr Abgeordneter, dies hängt mit der Schwierigkeit zusammen, die „Information" so zu verwirklichen, wie wir uns das vorgestellt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, räumen Sie ein, daß das Ergebnis Ihres Bestrebens in Richtung auf einen verstärkten Fortgang der Aussiedlung, das Sie in Ihrer Antwort eben angeführt haben, im Lichte der Zahlen der Aussiedlung als ein eklatanter Mißerfolg bezeichnet werden muß? Früher kamen im Durchschnitt 2 100 Personen pro Monat, im Juni 1972 noch 1 000 Personen, während jetzt nur noch 350 Personen kommen.
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen sagen, daß durch die Antwort auf Ihre Frage ein Teil der Antworten vorweggenommen wird, die Ihre Kollegen erwarten. Ich räume ein, daß die Aktion unbefriedigend ist, aber ich räume nicht ein, daß es ein eklatanter Mißerfolg sei, wenn 51 000 Personen, die zu dem Zeitpunkt, als wir die „Information" bekamen, ganz offensichtlich davon ausgehen mußten, daß sie kaum eine Chance hatten, in die Bundesrepublik Deutschland auszureisen, inzwischen in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Hat die polnische Regierung die in der „Information" enthaltene Zusicherung, dad sie die Familienzusammenführung beschleunigen und verbessern werde und daß außerhalb der Familienzusammenführung deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen können, eingehalten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, ich habe an dieser Stelle mehrfach Gelegenheit gehabt, dem Hohen Hause die Auffassung der Bundesregierung darzulegen, daß die Umsiedlung auf der Grundlage der „Information" seit Herbst 1973 nach deutscher
Auffassung unbefriedigend verläuft. Dein Hohen Hause ist auch bekannt, daß sich die Bundesregierung seit Sommer 1973 in zahlreichen Gesprächen darum bemüht, die aufgetretenen Schwierigkeiten zu überwinden und das Problem der Umsiedlung umfassend zu lösen. Die polnische Regierung hat ihre Bereitschaft zu einer derartigen umfassenden Lösung auf der Grundlage der „Information" in den nächsten drei bis fünf Jahren erklärt. Bei dieser Sachlage geht die Bundesregierung davon aus, daß zwar bedauerliche zeitliche Verzögerungen eingetreten sind, daß die polnische Regierung jedoch beabsichtigt, die Information zu erfüllen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Ist es richtig, Herr Staatssekretär, daß sich zumindest zwei Fünftel der Aussiedlungswilligen auf die deutsche Volkszugehörigkeit und nicht auf die Familienzusammenführung berufen könnten?
Herr Abgeordneter, auch diese Frage wird nachher noch im einzelnen zu erörtern sein. Soweit mir in Erinnerung ist, haben Sie selbst schon danach gefragt, und ich habe damals dargelegt, daß es nicht immer einfach ist, dies in der Praxis zu unterscheiden, da im Regelfall die deutsche Volkszugehörigkeit auch familiäre Bindungen an Verwandte in der Bundesrepublik Deutschland einschließt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, wie erklärt sich die Bundesregierung, daß die Zahl der Aussiedler, die sich auf ihre deutsche Volkszugehörigkeit berufen können, weit unter 10 % liegt, und ist das nicht ein weiterer Verstoß gegen Text und Inhalt der Information zum Warschauer Vertrag?
Herr Abgeordneter, dazu darf ich auf die Antwort verweisen, die ich Ihnen schon einmal gegeben habe, und auf meine eben gegebene Zusatzantwort, daß die Dinge in der Praxis durcheinandergehen und daß es in den meisten Fällen opportun ist, sich auf die verwandtschaftlichen Bindungen zu berufen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß es die Bundesregierung als einen besonderen „Erfolg" verzeichnet und propagiert hat, daß auf Grund der ausgehandelten „Information" endlich Deutsche nicht nur im Zuge der Familienzusammenführung, sondern
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5526 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Dr. Hupkaauf Grund unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit herauskommen können?
Das war zweifellos eine Verbesserung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, Sie sagten eben, es sei opportun, sich auf die Familienbande im Westen zu berufen. Können Sie uns sagen, ob es dann leichter für die Antragsteller ist?
Deswegen habe ich das ausgeführt.
Ich rufe die Frage 117 des Abgeordneten Jäger auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die ,.Information" zu den Vertragsgrundlagen des Warschauer Vertrags gehörte und die Nichterfüllung der Verpflichtungen zur Familienzusammenführung und Ausreise Deutscher als Täuschung des deutschen Vertragspartners angesehen werden müßte?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, die „Information" ist im Rahmen der Verhandlungen zum Warschauer Vertrag mit der polnischen Regierung abgestimmt worden. Sie steht mit dem Vertrag in einem engen sachlichen Zusammenhang. Die polnische Seite hat der Bundesregierung wiederholt bestätigt, daß sie sich an die in der „Information" enthaltenen Zusagen gebunden hält. Im gemeinsamen Kommuniqué über den Besuch des Bundesministers des Auswärtigen in Warschau im Oktober 1973 hat die polnische Regierung erneut bekräftigt, daß die Frage der Umsiedlung in Einklang mit der „Information" in umfassender Weise gelöst werden soll. Sie hat ferner zugesichert, daß die Ausreisezahlen wieder ansteigen sollen, und hat im Dezember 1973 erklärt, daß 1974 50 000 Personen die Ausreisegenehmigung erhalten sollen. Bei dieser Sachlage — ich muß mich hier wiederholen, weil die Frage von Herrn Hauser fast ähnlich lautete — geht die Bundesregierung davon aus, daß zwar bedauerliche zeitliche Verzögerungen eingetreten sind, die polnische Regierung jedoch beabsichtigt, die „Information" zu erfüllen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, muß ich aus .der Tatsache, daß Sie auf meine Frage nur von einem engen Sachzusammenhang gesprochen haben, nicht aber davon, daß diese „Information" zu den Vertragsgrundlagen gehöre, schließen, daß die Bundesregierung selber nicht davon ausgeht, daß es sich hier um ein Stück der Vertragsgrundlagen handelt?
Herr Abgeordneter, Sie müssen das daraus schließen, was ich hier gesagt habe: ein enger sachlicher Zusammenhang. Es ist exakt dies, was bei der Ratifizierung des Vertrags im Bundestag von der Bundesregierung dargelegt worden ist. Die Bundesregierung sieht den politischen Zusammenhang; das habe ich ebenfalls betont. Ein politischer Zusammenhang ist sicherlich mehr als irgendwelche Feinheiten juristischer Art, die Sie dabei ganz sicherlich noch aufspüren werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, dieser politische Zusammenhang habe noch größeres Gewicht als die Qualifizierung bzw. Charakterisierung als Vertragsgrundlage, hat dann ,die Bundesregierung die polnische Regierung nach über drei Jahren mangelhafter und schlechter Vertragserfüllung darauf hingewiesen, welche Wirkungen ein solches Verhalten der polnischen Regierung für den Rechtsbestand des gesamten Vertragswerks haben muß?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat bis zum heutigen Tage, diese Fragen nicht eingeschlossen, allein in dieser Wahlperiode 66 schriftliche und mehrere hundert Zusatzfragen zu diesem Thema beantwortet. Ich bin sicher, ich kann Ihnen keine neue Antwort mehr geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Würden Sie, Herr Staatssekretär, aber dann nicht, nachdem bei den Ratifizierungsdebatten immer wieder darauf abgehoben wurde, daß eine arglistige Täuschung vorliegt, wenn ein Minimum nicht erfüllt wird, endlich im Sinne der Schutzpflicht danach handeln und dies gegenüber der polnischen Regierung gelten machen und nicht immer wieder auf verbale Bekräftigungen hinweisen, während die Tatsachen der Zahlen beweisen, daß nicht ein Minimum der Vertragsgrundlagen erfüllt wird?
Herr Abgeordneter, Sie waren gestern Zeuge im Auswärtigen Ausschuß, als ich einzelne Daten und Inhalte dargelegt habe, zu denen die Bundesregierung vorstellig geworden ist. Der Bundesregierung hier zu unterstellen, sie hätte nicht gehandelt, weise ich mit Entschiedenheit zurück. Falls Sie unter dem Begriff „handeln" etwas anderes verstehen sollten, bitte ich, mir das deutlicher zu erklären.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5527
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben die vielen Anfragen während dieser Legislaturperiode erwähnt. Ist daraus der Schluß erlaubt, daß hier offenbar eine Sache nicht in Ordnung ist, weshalb es notwendig ist, von der Bundesregierung eine Auskunft zu erhalten?
Herr Abgeordneter, ich habe das Recht der Fragestellung überhaupt nicht bestritten. Ich habe nur festgestellt, daß ich keine Neuigkeiten beitragen kann, weil ich schon ein ganzes Jahr lang dieselben Antworten geben muß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß man sich in dieser Frage vor einseitigen Betrachtungen hüten muß, da wir es dreißig Jahre nach Kriegsende mit Tausenden von Mischehen mit polnischen Staatsangehörigen zu tun haben, und daß hier eine einvernehmliche Regelung besser wäre, weil sie den Menschen a111 ehesten dient, und daß der Stil und die Methode, mit der das hier angegangen wird, in absolutem Gegensatz zu den Erklärungen von Unionsabgeordneten bei ihren Reisen in Polen stehen?
Herr Abgeordneter, ich will Erklärungen, die von Mitgliedern dieses Hauses, die sich allerdings bei diesem Komplex an der Fragestunde gewöhnlich nicht beteiligen, an anderer Stelle abgegeben worden sind, hier ganz gewiß nicht qualifizieren. Ich darf Ihnen aber voll bestätigen, daß alle Fragen, die der Lösung menschlicher Probleme dienen, überhaupt nur einvernehmlich gelöst werden können. Irgend etwas anderes kommt ohnedies nicht in Frage. Deswegen ist es eine sehr zähe Arbeit, die wir vornehmen. Es ist sicherlich leichter, verbale Kraftakte als praktisches Handeln zu vollziehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Da, wie wir wissen und Sie selbst sagten, Herr Staatssekretär, in dem Kommuniqué nach dem Besuch des Außenministers in Warschau ausdrücklich die polnische Bereitschaft, die Sache in Ordnung zu bringen, bekräftigt worden ist, würde ich gern Ihre Einschätzung wissen, inwieweit diese dort gemachte und auch hier, während Herr Olszowski hier gewesen ist, vorgenommene Bekräftigung im Lichte der mittlerweile eingetretenen Tatsachen und Enttäuschungen noch ernst genommen werden kann.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung geht davon aus, daß die gemachten Bekräftigungen ernst zu nehmen sind.
Ich rufe die Frage 118 des Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Mit welcher Größenordnung des Aussiedlungsproblems hatten wahrend der Warschauer Verhandlungen 1970 die deutsche Seite einerseits und die polnische Seite andererseits gerechnet?
Zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär das Wort.
Herr Abgeordneter, ich darf auf die Beantwortung der Frage von Herrn Dr. Hupka vom 15. Juni 1973 verweisen und hier noch einmal folgendes feststellen. Die Bundesregierung hat mit der Größenordnung der Umsiedlung gerechnet, die sich aus der Zahl der damals beim Deutschen Roten Kreuz registrierten Umsiedlungswünsche ergab. Diese Zahl belief sich auf etwa 270 000. Die polnische Seite hat demgegenüber — das habe ich hier in diesem Hause wiederholt dargelegt — in der Information erklärt — ich zitiere —:
Die zuständigen polnischen Behörden verfügen nicht einmal annähernd über solche Zahlen von Anträgen auf Ausreisen in die Bundesrepublik Deutschland, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland angegeben werden.
Die polnische Regierung erklärte indessen gleichzeitig, sie werde das Polnische Rote Kreuz ermächtigen, vom Deutschen Roten Kreuz Listen von Personen entgegenzunehmen, deren Anträge sich im Besitz des Deutschen Roten Kreuzes befinden, um sie mit einer entsprechenden polnischen Zusammenstellung zu vergleichen und sorgfältig zu prüfen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann .
Wäre die Bundesregierung bereit, in Zukunft angesichts des Ernstes dieser Probleme einen anderen Vertreter zu entsenden, der auch den Stil wahrt, der es einem ermöglicht, sachliche Zusatzfragen zu stellen, die dann auch sachlich beantwortet werden?
Es reißt ein bißchen ein, meine Damen und Herren, daß wir von den Regeln der Fragestunde abweichen, die besagen, daß Antworten, Fragen und Zusatzfragen keinen wertenden Charakter haben dürfen. Ich darf Sie bitten, sich auf allen Seiten — auf seiten des Hauses, aber auch auf seiten der Regierung — an diese Richtlinien zu halten.
Auf Ihre Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wittmann, gibt es keine Antwort.Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hupka.
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5528 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Herr Staatssekretär, wieso hat sich dann die Bundesregierung angesichts der unterschiedlichen Größenordnung der Zahlen bereit erklärt, zuzustimmen, daß in der „Information" von einigen Zehntausenden die Rede sein kann?
Das darf ich Ihnen erklären, Herr Dr. Hupka, obwohl auch das in diesem Hause schon wiederholt dargestellt worden ist.
Die polnische Seite hat sich bei ihren Erklärungen auf Ermittlungen bezogen, die sie bis dahin angestellt hatte. Sie war im übrigen, wie ich soeben zitiert habe, bereit, die entsprechenden Listen des Deutschen Roten Kreuzes, auf denen die von uns vorgetragenen Zahlen beruhen, entgegenzunehmen und zu prüfen. Eine zahlenmäßige Beschränkung — auch das darf ich hier feststellen — der Umsiedlung ist in der „Information" nicht vorgesehen.
Angesichts dieses Umstandes und der Tatsache der polnischen Bereitschaft, unsere Zahlen entgegenzunehmen, ist die Bundesregierung nach wie vor der Auffassung, daß eine pragmatische Formel gefunden war, die es erlauben würde, zu einem die Interessen der betroffenen Menschen befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Im Interesse der betroffenen Menschen mußten wir so handeln, wie wir gehandelt haben.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Marx. — Er verzichtet. Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, müssen Sie nicht zugeben, daß die Bundesregierung bereits durch eine Antwort auf die Kleine Anfrage — Drucksache VI/2056 — vom 2. April 1971 festgestellt hat, daß sich in den Oder-Neiße-Gebieten nicht Personen in Mischehen, sondern 1,1 Millionen deutscher Staatsangehöriger befinden, die aller Menschen- und Grundrechte als Deutsche entkleidet sind?
Herr Abgeordneter, ich verstehe, offen gestanden, den Zusammenhang zwischen Ihrer Frage und der Ausgangsfrage nicht. Ich möchte hier nur ausdrücklich betonen, daß von Anfang an unterschiedliche Meinungen zwischen beiden Seiten über die Gesamtproblematik bestanden haben.
Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Wie haben sich die Zahlen der deutschen Aussiedler jenseits von Oder und Neiße bis heute entwickelt, seit der Parlamentarische Staatssekretär Moersch am 15. Juni 1973 im Bundestag mitgeteilt hat: „Die Zahl der Aussiedler . . . aus Polen ist bereits seit dem Herbst 1971 rückläufig. Sie ist in den letzten Monaten leider noch weiter zurückgegangen. Die Bundesregierung hofft, daß dies kein Dauerzustand sein wird."?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, die monatlichen Ziffern der Umsiedler ab Juli 1973 lauten folgendermaßen: Juli: 625; August: 795; September: 544; Oktober: 820; November: 837; Dezember: 610.
In diesem Jahr: Januar: 536; Februar: 368. Vizepräsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Trifft es zu, daß eine zunehmend restriktive Praxis der polnischen Behörden gegenüber den Hunderttausenden von Ausreisebegehren Deutscher zu verzeichnen ist, und wenn ja, welches sind nach den sorgfältigen Recherchen der Bundesregierung die Ursachen dafür?
Zur Beantwortung bitte, Herr Staatssekretär!
Es trifft zu, Herr Abgeordneter, daß die Praxis der polnischen Behörden gegenüber den Ausreisewünschen Deutscher zunehmend restriktiver geworden ist.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, wären Sie bitte bereit — ich nehme an, Sie haben es auf Ihrem Blatt stehen —, uns auch die der Bundesregierung zugänglichen Ursachen für dieses restriktive Verhalten mitzuteilen?
Herr Abgeordneter, damit müßte ich mich in den Bereich der Spekulation begeben; davon möchte ich im Interesse der Betroffenen absehen.
Eine zweite Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, ich wollte Sie auf keinen Fall auffordern, zu spekulieren; ich denke, Sie tun das oft genug. Aber das Auswärtige Amt hat doch Berichte unserer Mission in Warschau und kennt doch auf Grund dieser Berichte sicher sehr gut die Gründe. Wären Sie dann bereit, dies zumindest in zusammenfassender Form dem Hause mitzuteilen?
Ich bin nicht in der Lage, hier erhärtete und erweisbare Gründe zu nennen; deswegen nenne ich das Spekulation.
Im übrigen darf ich mir doch erlauben, zu sagen, daß Sie mir beweisen müßten, wo ich in Antworten in der Fragestunde spekuliert habe.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauer.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5529
In welchem Umfang, Herr Staatssekretär, bedient sich die Bundesregierung bei ihren Recherchen der Informationen der Heimatvertriebenen, die diese selber durch die verwandtschaftlichen Beziehungen haben, bzw. der Sachkunde der Organisationen der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge?
Wir bedienen uns der Sachkunde des Deutschen Roten Kreuzes, wo die Anträge gesammelt sind und von dem wir laufend unterrichtet werden, genau wie die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses, die Ihnen in Ihrer Fraktion darüber sicherlich noch nähere Aufschlüsse geben können.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, liegt hier nicht ein offener Widerspruch vor, wenn einerseits seitens der polnischen Regierung erklärt wird, daß die Aussiedlung nun in umfassender Weise gelöst werden soll, Sie aber andererseits gleichzeitig von einer zunehmend restriktiven Praxis dieser Umsiedlung hier berichten müssen?
Das ist in der Tat ein Widerspruch, der hier festzustellen ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren Antworten entnehmen, daß die Warschauer Mission keinerlei Gründe für die restriktive Aussiedlungspraxis der polnischen Behörden an das Auswärtige Amt gegeben hat?
Das können Sie dem nicht entnehmen. Aber Sie können von mir auch nicht verlangen, daß ich nicht bestätigte Informationen hier ausbreite.
- Das können Sie lesen. Ich habe es hier; aber das trage ich nicht vor.
Ich rufe die Frage 121 des Abgeordneten Windelen auf:
Gehen die Aussiedlungszahlen weiter zurück, und kann die Bundesregierung gegebenenfalls die Behauptung der Denkschrift zum Warschauer Vertrag, Drucksache VI/3157, Seite 12, noch aufrechterhalten, wonach die in der „Information" der Regierung der Volksrepublik Polen enthaltenen Erklärungen „wesentliche Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Zustand darstellen"?
Der Abgeordnete ist anwesend. Bitte, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung!
Herr Abgeordneter, ich darf auf die Antwort, die ich eben dem Kollegen Dr. Marx gegeben habe, verweisen und Ihnen zusätzlich sagen: Die Bundesregierung ist weiterhin der Auffassung, daß die „Information" eine wesentliche Verbesserung darstellt; denn sie ermöglicht es ihr, sich mit der polnischen Regierung um die Regelung des Problems zu bemühen. Sie geht weiter davon aus, daß diese Bemühungen auf längere Sicht innerhalb einiger Jahre zu einer umfassenden Lösung des Umsiedlungsproblems führen werden.
Ich gehe davon aus, Herr Staatssekretär, daß Sie die Frage 122 beantwortet haben, nicht die Frage 121.
Entschuldigung!
Das spielt keine Rolle.
Ich darf Sie fragen, ob nicht die „Information", die von einigen zehntausend Betroffenen spricht, insoweit sogar eine Verschlechterung des Zustands gegenüber der Zeit vor dem Vertragsabschluß bedeutet, als eine solche Zahlenbegrenzung nicht genannt war.
Herr Abgeordneter, es tut mir leid, ich vermag Ihnen hier nicht zu folgen; denn in den Gesprächen mit der polnischen Seite, die auch Ihre Kollegen in Warschau geführt haben, ist doch klar gewesen — vor der Aushandlung des Vertrages —, daß die polnische Seite die Umsiedlungsaktion ganz offensichtlich als beendet betrachtet hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mattick.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, diese Berichterstattung, die hier gefordert worden ist, auf alle deutschen Bundesregierungen auszudehnen, um einen Überblick zu verschaffen?
Herr Abgeordneter, ich kann gern die Zahlen aus den vergangenen Jahren nennen. Ich kann aber hier nicht die Zahl der Demarchen, die auf Umwegen gemacht worden sind, erwähnen; die kenne ich nicht. Aber eines weiß ich ganz sicher: daß diese Gespräche und Verhandlungen gar nicht notwendig gewesen wären, wenn die polnische Seite von sich aus nicht damals der Meinung gewesen wäre, es seien auf diesem Gebiet keine Probleme mehr zu lösen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Windelen.
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5530 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Herr Staatssekretär, Sie haben in Beantwortung der Frage des Kollegen Dr. Wittmann darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung von über 270 000 Betroffenen ausging. Ist es unter dieser Prämisse nicht doch eine Verschlechterung, wenn in der Information nunmehr von polnischer Seite von einer Begrenzung auf einige Zehntausend, d. h. auf 30000 bis 40000, gesprochen wird, während es vorher eine solche Begrenzung nicht gab?
Herr Abgeordneter, ich glaube, man muß hier den Gesamtzusammenhang sehen, um den richtigen Maßstab zu finden. Es kann ja gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die polnische Seite in sehr vielen Fällen und insgesamt davon ausgegangen war, daß eine weitere Umsiedlung nicht mehr nötig sei und nicht mehr in Frage komme, daß es sich hier um polnische Staatsbürger handele, die für Polen optiert hätten, unter welchen Umständen auch immer.
Wir haben sozusagen diese Frage erneut zur Diskussion stellen können, nachdem sie für Hunderttausende von Menschen nach deren eigener Auffassung damals praktisch zu ihrem eigenen Nachteil als erledigt angesehen worden war. Das war der Ausgangspunkt, den Sie bitte beachten sollten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, woher nehmen Sie eigentlich die Begründung für diese Behauptung, daß gar keine Aussiedlung mehr hätte erfolgen können, wenn nicht diese Information zum Warschauer Vertrag abgeschlossen worden wäre? Dafür gibt es nicht einmal eine polnische Behauptung.
Aus dem Stand der damaligen Gespräche, Herr Dr. Hupka. Sie wissen ja selbst, wie die Zahlen in den Jahren vorher zurückgegangen waren, daß es nur geringe Zahlen gewesen sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, steht Ihre Auskunft, es handele sich um polnische Staatsangehörige, die Sie unkorrigiert getan haben, nicht im krassen Widerspruch zur Aussage der Bundesregierung auf Drucksache VI/2056 vom 2. April 1971, die ausdrücklich besagt „Zum überwiegenden Teil handelt es sich dabei um deutsche Staatsangehörige" ? Gemeint sind die 1,1 Millionen Menschen.
Herr Abgeordneter, ich darf doch davon ausgehen, daß Sie gemerkt haben, daß ich die polnische Auffassung hier wiedergegeben habe und nicht die deutsche.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Kollege Moersch, ich möchte gerne fragen, ob Sie sich daran erinnern, daß wir uns zu einer früheren Zeit einmal darüber klar waren, daß die Zahl der Aussiedler nach der Begründung Ihrer Regierung bis zum Abschluß des deutsch-polnischen Vertrages absichtlich von der polnischen Seite immer kleiner gehalten worden ist, also ein Stau entstand, so daß die danach erreichte höhere Zahl insoweit eine leichte Erklärung findet.
Herr Abgeordneter, ich muß darauf aufmerksam machen, daß bereits vor der Bildung dieser Regierung nur noch eine sehr niedrige Zahl aus Polen ausgereist war, so daß es sehr wohl denkbar ist, daß eine gewisse Zurückhaltung bestand; aber feststeht jedenfalls, daß zu dem Zeitpunkt, als diese Regierung ins Amt kam, die polnische Seite die Auffassung vertreten hat, daß ein wirkliches Umsiedlungsproblem nicht mehr existiere.
Ich rufe die Frage 122 des Abgeordneten Windelen auf:
— 122!
Herr Präsident, ich hatte versehentlich die Frage 122 schon beantwortet. Jetzt sind wir bei Frage 121. Wir haben aus Versehen die Reihenfolge der beiden Fragen umgedreht!
Der Präsident hat davon nichts gemerkt. Sind Sie mit der Aussage einverstanden, daß soeben Frage 122 beantwortet wurde?
— Was alles hier vereinbart wird, ist interessant.
Dann rufe ich jetzt die Frage 121 des Abgeordneten Windelen auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine vollständige und wahrheitsgemäße Dokumentation über alle Schritte, die sie zur Erfüllung der Schutzpflicht für deutsche Staatsangehörige in den deutschen Ostgebieten unternommen hat, dem Bundestag und dem Bundesrat zuzuleiten?
Bitte schön, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat dem Hohen Hause sowohl bei zahlreichen Gelegenheiten innerhalb der Fragestunden als auch in ihren Berichten über das deutsch-polni-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5531
Parl. Staatssekretär Moerschsehe Verhältnis vor dem Auswärtigen Ausschuß seit Jahren laufend und detailliert Auskunft über das erteilt, was sie für die Deutschen, die in Polen leben, unternommen hat. Diese Auskünfte legten sowohl einzelne ihrer Bemühungen dar als auch ihre Anstrengungen im Laufe der deutsch-polnischen Gespräche der letzten Zeit, um zu befriedigenden Regelungen und insbesondere zu einer umfassenden Lösung des Problems der Umsiedlung zu gelangen. Angesichts dessen ist ein besonderes Bedürfnis nach einer schriftlichen Dokumentation der Schritte, die die Bundesregierung unternommen hat, nicht zu erkennen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Windelen.
Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung von einer Dokumentation in dieser Frage absehen will, wäre es denn nicht wenigstens angemessen und angebracht, die Öffentlichkeit in anderer Weise umfassend über die Situation zu unterrichten,
um deutlich zu machen, daß sie ihre grundgesetzliche Schutzpflicht zu erfüllen beabsichtigt?
Herr Abgeordneter, ich wüßte nicht, wo der Ort der Handlung sonst wäre als im Deutschen Bundestag. Die Bundestagsprotokolle sind zweifellos eine Dokumentation, und sie sind öffentlich. Sie haben auch Kleine Anfragen dazu gestellt; auch diese sind der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Eine bessere Form der öffentlichen Darstellung gibt es doch wohl nicht.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Windelen.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, da hier nicht nur der Inhalt der „Information" berührt wird, sondern auch Menschenrechte verletzt werden, in geeigneter Form die Menschenrechtskommission der UNO darauf hinzuweisen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird all die Schritte unternehmen, die sie für geeignet hält, den Menschen wirklich zu helfen. Ich bin gern bereit, Ihnen einmal in schriftlicher Form darzulegen, wie die Funktion der Menschenrechtskommission in der UNO ist. Wir haben das gestern im Auswärtigen Ausschuß vorgetragen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Gerster.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir nicht zustimmen, daß die besondere Schutzpflicht der Bundesregierung gerade in diesem Bereich eine eigene Informationsschrift notwendig erscheinen ließe, zumal die Bundesregierung ansonsten auch nicht sehr zaghaft mit eigenen Informationsschriften ist?
Herr Abgeordneter, ich bin der Auffassung, daß das, was die Bundesregierung der Öffentlichkeit hier laufend mitteilt, den Bedürfnissen der Unterrichtung in vollem Umfang genügt, aber es besteht kein Grund, die hier gegebenen Antworten nicht in einer eigenen Broschüre des Bundestages zusammenzufassen, was in anderen Fällen auch geschieht.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Kollege Moersch, da die Frage 121 von der wahrheitsgemäßen Dokumentation handelt und Sie die Drucksachen dieses Hauses völlig zu Recht als solche bezeichnen, glauben Sie nicht, daß es in eine solche Dokumentation dann auch gehörte, festzustellen, daß die Zahl der Aussiedler im Jahre 1966 17 300, im Jahre 1969 9 500 und im Jahre 1970 5 600 betrug?
Herr Abgeordneter, ich bin bereit, Ihnen auch die Zahlen von 1967 und 1968 zu nennen; ich habe sie bei einer der nächsten Fragen vorbereitet. Diese zwei Jahre sollten Sie, glaube ich, nicht auslassen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 123 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um an Hand des uns hier vorliegenden Zahlenmaterials die Volksrepublik Polen davon zu überzeugen, daß nicht „einige Zehntausende", wie die Volksrepublik Polen zuzugeben bereit ist, sondern über 280 000 aussiedlungswillige Deutsche auf die Erfüllung der „Information" zum Warschauer Vertrag warten?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär, 'bitte sehr!
Die Bundesregierung hat die polnische Regierung während der Verhandlungen des Jahres 1970, die zur „Information" führten, auf die beim Deutschen Roten Kreuz registrierte Zahl von etwa 270 000 Ausreisebewerbern hingewiesen. Die polnische Regierung bezog sich auf diese Hinweise, wenn sie in der „Information" erklärte, daß die polnischen Behörden nicht einmal annähernd über solche Zahlen von Anträgen verfügten, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland angegeben werden. Während sie in der „Information" von einer geringeren Zahl sprach, erklärte sie sich gleichzeitig bereit, die Listen des Deutschen Roten Kreuzes entgegenzunehmen, auf denen unsere Zahlenangaben bruhten, und sie zu prüfen. Die Bundesregierung hat dann in den Gesprächen, die sie mit der polnischen Regierung zur Umsiedlung führte, insbesondere seit
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5532 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Parl. Staatssekretär MoerschSommer 1973, immer wieder die tatsächliche Größenordnung des Problems der Umsiedlung, die sich für eine umfassende Lösung stellt, klargemacht. Die Bereitschaft der polnischen Regierung, das Problem in den nächsten drei bis fünf Jahren umfassend zu lösen und, was das Jahr 1974 betrifft, zunächst 50 000 Personen die Ausreisegenehmigung zu erteilen, zeigt, daß die Bemühungen der Bundesregierung nicht ohne Wirkung geblieben sind.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär Moersch, besteht vielleicht jetzt nach drei Jahren eine gewisse Übereinstimmung zwischen der polnischen Regierung und der Bundesregierung bezüglich der tatsächlichen Zahlen, nachdem nun alle Unterlagen unsererseits der polnischen Regierung zugänglich gemacht worden sind?
Es ist gar keine Frage, daß die polnische Seite von unseren Zahlen zunehmend Kenntnis genommen hat.
Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hupka.
Wie erklären Sie sich aber, wenn die polnische Regierung „zunehmend Kenntnis genommen hat", daß immer noch, laut öffentlicher Verlautbarungen, eine Diskrepanz besteht? Wir haben laut Information des Bundesverwaltungsamtes in Köln von mindestens 283 000 Aussiedlern auszugehen; die polnische Regierung findet sich aber offenbar nicht bereit, auch nur einige Zahlen über 100 000 zu nennen.
Herr Abgeordneter, ich möchte hier keine Zahlen nennen, die die polnische Seite genannt hat. Ich bitte Sie um Verständnis dafür.
Ich rufe die Frage 124 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Trifft es zu, daß die Zahlenangaben der Bundesregierung über die Aussiedlung mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen, sondern um zehn bis dreißig Prozent differieren, und welches sind hierfür gegebenenfalls die Gründe?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Die Zahlenangaben der Bundesregierung über Aussiedler entsprechen grundsätzlich der Zahl aller in den Grenzdurchgangslagern Friedland und Nürnberg als Aussiedler im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes registrierten und in die Verteilung auf die Bundesländer einbezogenen Personen. Abweichungen von den in den Grenzdurchgangslagern festgestellten Zahlen sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, haben Sie keinen Einblick in die Statistiken, die seitens verschiedener amtlicher Stellen der Bundesregierung veröffentlcht werden, in denen immer eine Diskrepanz erscheinen muß zwischen den wirklichen Aussiedlern, die auf Grund der „Information" zu uns kommen, und denjenigen, die aus Protest hierbleiben, weil sie als Besucher hierbleiben, weil ihr Aussiedlungsbegehren zum zehnten oder fünfzehnten Mal nicht befriedigt worden ist?
Herr Abgeordneter, ich glaube, wir gehen von verschiedenen Voraussetzungen aus. Ich bin bisher davon ausgegangen, daß es darum geht, daß die Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland bleiben wollen, bei ihren Verwandten in der Bundesrepublik Deutschland bleiben können. Es gibt nur eine Statistik, die dies ausweist. Die Aufnahme der Aussiedler erfolgt sowohl im mündlichen wie im schriftlichen Verfahren. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Verteilung im Grenzdurchgangslager Friedland ist nicht in der Lage, bei den im schriftlichen Verfahren Registrierten festzustellen, ob sie legal oder auf welchem Wege auch immer das Herkunftsland verlassen haben. Die Feststellung der Ausreisearten ist bei diesem Personenkreis nicht möglich. Deswegen kann ich keine Aufschlüsselung geben.
Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich vielleicht kundig machen, um zu erfahren, daß es den Dienststellen in Friedland durchaus möglich ist, zwischen denen, die als Aussiedler zu uns kommen, und denen, die als Besucher hierbleiben, weil sie keine Chance erhalten haben, sich hierher aussiedeln zu lassen, zu unterscheiden? Allein für Januar und Februar beträgt die Differenz zwischen den offiziellen Zahlen, die von der Bundesregierung als Aussiedlerzahlen gemeldet werden, und der tatsächlichen Zahl der Aussiedler bis zu 40 %.
Herr Abgeordneter, ich muß feststellen, daß die Menschen offensichtlich eine Chance hatten, hierzubleiben, sonst wären sie doch nicht hier, und zwar haben sie von der polnischen Seite Reisegenehmigung erhalten, sonst wären sie doch nicht hier.
— Als was auch immer, sie sind jedenfalls hier.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5533
Ich rufe die Frage 125 des Abgeordneten Dr. Wallmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland seit 1971 bis heute eingetroffenen Aussiedler in der Statistik aufzugliedern nach Aussiedlern auf Grund der Familienzusammenführung und auf Grund „unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit"?
Zur Beantwortung, bitte Herr Staatssekretär!
Ich hatte bereits Gelegenheit, Herr Kollege, die entsprechende Frage des Kollegen Dr. Hauser in der 43. Sitzung am 15. Juni 1973 zu beantworten. Die Kriterien der Familienzusammenführung und der „unbestreitbar deutschen Volkszugehörigkeit" treffen in der Regel beide auf die Aussiedler zu. Die Bundesregierung sieht sich daher nicht in der Lage, die seit 1971 eingetroffenen Umsiedler, wie Sie es wünschen, in einer Statistik aufzugliedern. Die komplexen persönlichen Gründe, die im Einzelfall die Entscheidung zur Umsiedlung beeinflußt haben, lassen sich ohnedies statistisch kaum erfassen.
Eine Zusatzfrage, Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wieso läßt sich das nicht statistisch erfassen, nachdem es ja ausdrücklich in der „Information" heißt, daß zwei unterschiedliche Personengruppen von der Möglichkeit, sich aussiedeln zu lassen, Gebrauch machen können?
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen vorhin dargelegt, daß hier die Grenzen sehr fließend sind, daß es eben in den meisten Fällen auch Verwandte gibt, wo unbestreitbar die deutsche Volkszugehörigkeit gegeben ist.
ich rufe auf die Frage 126 des Abgeordneten Dr. Wallmann:
Trifft es zu, daß die polnische Regierung immer noch nicht gerade diejenigen Deutschen aussiedeln läßt, die sich auf eine „unbestreitbar deutsche Volkszugehörigkeit" berufen können?
Zur Beantwortung, bitte Herr Staatssekretär!
Die polnische Regierung hat erneut bekräftigt, daß sie insbesondere auch das Kriterium der deutschen Volkszugehörigkeit berücksichtigt. Eine Aufgliederung ist schwierig, weil die meisten Umsiedler auch Verwandte in der Bundesrepublik Deutschland haben. Allerdings sind der Bundesregierung auch Fälle bekanntgeworden, in denen polnische Behörden — ich habe vorhin schon darauf hingewiesen — den Antragstellern geraten haben, sich eher auf Familienangehörige als auf das Kriterium der deutschen Volkszugehörigkeit zu berufen. Ich habe das, wie gesagt, schon in der 43. Sitzung einmal erläutert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wallmann.
Wie ist es, Herr Staatssekretär, wenn es Familienangehörige in der Bundesrepublik nicht gibt?
Dann gibt es als Kriterium nur die unbestreitbare deutsche Volkszugehörigkeit.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wallmann.
Darf ich daran erinnern, daß wir in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses dazu sehr andere Ausführungen gehört haben von dem Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes?
Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, auf welche Ausführungen Sie anspielen. Aber das müßte dann im einzelnen im Auswärtigen Ausschuß erörtert werden.
Ich habe hier lediglich eine Frage zu beantworten gehabt, die Sie gestellt haben.
Die Fragen 127 des Herrn Abgeordneten Böhm , 128 und 129 des Herrn Abgeordneten Schröder (Lüneburg) und 130 des Herrn Abgeordneten Biehle werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß viele Besucher von jenseits der Oder-Neiße-Linie aus Verzweiflung und in einer Kurzschlußhandlung nicht mehr in die Heimat zurückkehren, weil sie damit gegen die ständigen Absagen auf ihre Aussiedlungsanträge protestieren wollen und obwohl sie zugleich für viele Jahre von ihren Angehörigen getrennt leben müssen?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, bitte Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, ja, dies ist der Bundesregierung bekannt. Es gehört gerade zu den von der Bundesregierung in den Gesprächen mit der polnischen Regierung verfolgten Zielen, die regulären Ausreisemöglichkeiten zu erweitern, damit derartige Notsituationen für die einzelnen vermieden werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, können Sie hierzu Zahlenangaben machen?
Nein. Sie haben noch eine zweite Frage gestellt. Wenn ich die gleich beantworten darf? Vielleicht klärt das den Fall.
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5534 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Schön, ich rufe die Frage 132 des Herrn Abgeordneten Gerster :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß viele Aussiedlungswillige nach wiederholter Absage ihres Aussiedlungsbegehrens Selbstmord begangen haben oder in Nervenkliniken eingeliefert werden mußten, und hat sie darüber mit den polnischen Unterhändlern gesprochen?
Nein. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß viele Umsiedlungsbewerber Selbstmord begangen haben oder in Nervenkliniken eingeliefert werden mußten. Es sind hier lediglich ein oder zwei Selbstmordfälle bekanntgeworden, wobei selbstverständlich die Gründe für eine derartige Reaktion komplex und im einzelnen schwer zu entschlüsseln sind. Sie wissen, daß solche Fälle besonders dann eintreten, wenn man in eine völlig fremde Umgebung kommt, der man sich eben in einem gewissen Alter schwer anpassen kann.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Ich darf noch einmal fragen, Herr Staatssekretär: Sind über derartige Vorgänge keinerlei Ermittlungen angestellt worden, die mit Zahlen hier Ausdruck finden könnten?
Herr Abgeordneter, es war mir nicht möglich, andere Angaben zu finden. Sie wissen, daß die Bundesregierung keine eigene Verwaltung hat, daß also detaillierte Rückfragen in den Ländern notwendig werden. Ich wüßte nicht, daß es darüber eine besondere Statistik gibt. Das ist auch gar nicht mein Ressort, entschuldigen Sie.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht vielleicht die Frage meines Kollegen ein wenig mißverstanden? Es handelt sich nicht um Selbstmorde, die sich eventuell hier ereignet haben, nachdem die Menschen haben aussiedeln können, sondern es handelt sich um Selbstmorde bei denen, denen immer wieder die Aussiedlung bis heute verweigert worden ist.
Ich habe die Frage so beantwortet, wie sie schriftlich gestellt war. Ich habe die Zusatzfrage vielleicht mißverstanden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, darf ich dann doch noch einmal den Versuch machen, den Sinn der Frage herzustellen? Es ist gesprochen worden von Aussiedlungswilligen, deren Begehren abgelehnt worden ist. Darauf hätte ich gerne Ihre Antwort.
Nun, Herr Abgeordneter, dann kann ich mich nur noch auf diese Antwort beziehen. Uns sind ein oder zwei Fälle bekannt, und nach Lage der Dinge ist es unmöglich, darüber statistische Angaben zu erhalten in einem fremden Land. Wir können uns nur auf die Nachrichten verlassen, die wir von anderen bekommen. Und hier sind keine anderen registriert als die, die ich genannt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die polnische Regierung es ablehnt, diese Fälle zu behandeln, d. h. die zurückgelassenen Familienangehörigen eher herauszulassen, weil sie die Meinung vertritt, die Betroffenen, die ihre Ausreisegenehmigung benutzt haben, um hierzubleiben, hätten sich freiwillig von der Familie getrennt und wollten keine Aussiedlung der Zurückgelassenen?
Es ist der Bundesregierung bekannt, daß die Genehmigung dafür oft sehr lange hinausgezögert wird. Es ist aber auch bekannt, daß Genehmigungen gegeben worden sind. Es ist bekannt, daß es deswegen auch zu Scheidungsklagen gekommen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung in den ein, zwei Fällen von Selbstmorden, die der Bundesregierung bekannt sind, Demarchen bei der polnischen Regierung unternommen, um sie darauf hinzuweisen, daß solche tragischen menschlichen Konsequenzen aus der starren Haltung der polnischen Regierung erwachsen müssen?
Herr Abgeordneter, Sie dürfen davon ausgehen, daß in den vielen Gesprächen, die wir geführt haben, alle Aspekte der menschlichen Existenz behandelt worden sind.
Ich rufe die Frage 133 des Abgeordneten Handlos auf:
Welche Folgerungen beabsichtigt der Bundeskanzler aus der Feststellung des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch am 21. Februar 1974 vor dem Bundestag zu ziehen, wonach nur „ein zentral gelenktes Erziehungswesen und geringe Auswahl von Schulbüchern" — also das im Ostblock übliche Erziehungssystem — für den deutsch-polnischen Ausgleich günstige Voraussetzungen schaffe, nicht aber das unserer Verfassungslage entsprechende „sehr komplexe, um nicht zu sagen sehr komplizierte" Erziehungswesen?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Präsident, ich möchtegern die Fragen 133 und 134 zusammen beantworten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5535
Keine Bedenken. Ich rufe auch die Frage 134 des Abgeordneten Handlos auf:
Mit welchen allgemein anerkannten pädagogischen Grundsätzen oder Erfahrungen will der Parlamentarische Staatssekretär Moersch beweisen, daß „ein zentral gelenktes Erziehungswesen" in einem kommunistisch-totalitären System der Völkerverständigung besser dient als die angeblich zu komplizierte freiheitliche Rechts- und Lebensordnung der Bundesrepublik Deutschland, und welche Beispiele und Beweise für Korrekturen in den in polnischen Schulen tatsächlich verwendeten Büchern kann er auf Grund der deutschpolnischen Schulbuchempfehlungen nennen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich muß feststellen, daß der Kollege Handlos meine Ausführungen in der Fragestunde vom 21. Februar nicht richtig verstanden hat. Ich zitiere die Formulierung:
Im Gegensatz zu den relativ günstigen Voraussetzungen der Durchsetzbarkeit der Empfehlungen in Polen — ein zentral gelenktes Erziehungswesen und geringe Auswahl von Schulbüchern — ist die Situation in unserem Lande sehr komplex, um nicht zu sagen kompliziert.
So hatte ich hier ausgeführt. Das kann sicher nicht dahin gedeutet werden, mir erscheine ein zentral gelenktes Erziehungswesen in einem kommunistischtotalitären System für die Völkerverständigung besser geeignet als die freie, wenn auch kompliziertere Rechts- und Lebensordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es ging, wenn ich das noch einmal klarstellen darf, Herr Abgeordneter, in jener Bemerkung um Fragen technischer und organisatorischer Abläufe, um Kompetenzen bestimmter Instanzen hier, nicht um ideologische Systemvergleiche.
Damit ist auch die Frage nach der Folgerung des Herrn Bundeskanzlers gleichwohl beantwortet; sie ist nämlich gegenstandslos.
Zum zweiten Teil Ihrer ersten Frage ist zu bemerken, daß ein konkretes Beispiel für in Polen vorgenommene Korrekturen das polnische Schulbuch „Vom Ersten zum Zweiten Reich" von Frau Dr. Maria Wawzykowa, Dozentin für deutsche Geschichte am Institut für Geschichte der Universität Warschau, liefert. Eine Übersetzung dieses Buches ins Deutsche steht vor dem Abschluß. Die Autorin hat sich mit Erfolg bemüht, den für das deutschpolnische Verhältnis relevanten Zeitabschnitt sachlich abzuhandeln. Die Autorin hat auch in anderen Arbeiten zur Versachlichung des Deutschlandbildes in Polen wesentlich beigetragen. Ihr Schulbuch soll inzwischen nahezu Standardcharakter für den polnischen Geschichtsunterricht erhalten haben. Ich könnte die Reihe der Beispiele hier fortführen. Aber ich glaube, das würde der Geschäftsordnung widersprechen, die ja kurze Antworten fordert.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Handlos.
Darf ich also davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß Sie das föderalistische Erziehungssystem für genauso gut halten wie das zentralistische?
Ich halte das föderalistische für ausgezeichnet, wenn es von kooperativem Geist erfüllt ist.
Herr Abgeordneter Friedrich zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß man bei diesen Fragen davon ausgehen, daß der Opposition unbekannt geblieben ist, daß die Arbeit der Schulbuchkommission auch in der UNESCO und weitgehend im internationalen Bereich als vorbildlich betrachtet wird für den Abbau nationaler Vorurteile? Und muß man nach der Art und nach dem Stil, wie Fragen der polnisch-deutschen Aussöhnung hier behandelt werden, nicht davon ausgehen, daß die Union von der Erklärung ihres früheren Kanzlers Kiesinger abgerückt ist, daß die polnisch-deutsche Aussöhnung den Rang der französisch-deutschen Aussöhnung hat?
Was die Schulbücher betrifft
und nur darauf möchte ich hier antworten —, glaube ich, kann es nur verdienstvoll sein, wenn die Kollegen durch solche Fragen ihren eigenen Informationsstand verbessern.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, müssen Sie nicht zugeben — an Hand dessen, was Sie eben erklärt haben —, daß nicht der Kollege Handlos Sie nicht richtig verstanden hat, sondern Sie sich unrichtig ausgedrückt haben, als Sie, wie Sie eben bestätigten, erklärten, daß für eine Verständigung eine relativ günstige Ausgangslage bei einem zentral gelenkten Erziehungswesen und einer geringen Auswahl von Schulbüchern gegeben sei — im Gegensatz zum „sehr komplexen, um nicht zu sagen komplizierten" deutschen Schulwesen?
Herr Abgeordneter, wenn das, was ich gesagt habe, so mißverständlich gewesen wäre — ich habe von der Durchsetzbarkeit gesprochen --, dann würde ich mich bei Ihrer Bereitschaft zu Zusatzfragen geradezu gewundert haben, wenn Sie damals keine Zusatzfragen gestellt hätten.
5536 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Merz 1974
Die Fragen 135 und 136 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Seefeld, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 137 des Abgeordneten Engelsberger auf:
Trifft es zu, daß Bundesminister Bahr bei seinen Verhandlungen in Moskau einen großen Teil seiner Gespräche ohne Hinzuziehung eines weiteren Deutschen, nicht einmal eines deutschen Dolmetschers, geführt hat, und ist hei einer solchen Verhandlungsführung, die internationalen Gepflogenheiten widerspricht, nicht die Gefahr gegeben, daß keine schriftlichen stichhaltigen Aufzeichnungen von deutscher Seite vorhanden sind?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, Bundesminister Bahr hat zu allen Fachgesprächen mit Vertretern der sowjetischen Regierung Angehörige seiner Delegation und den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Moskau sowie Fachreferenten der Deutschen Botschaft hinzugezogen. Bei den beiden Gesprächen mit Generalsekretär Breschnew handelte es sich um einen Meinungsaustausch, der abredegemäß als Vier-Augen-Gespräch stattfand. Bei derartigen Gesprächen, die keine Verhandlungen darstellen, ist es international üblich, daß die gastgebende Seite einen Dolmetscher zur Verfügung stellt, wenn das notwendig ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie soeben die Behauptung aufgestellt haben, daß zwischen Bundesminister Bahr und Parteisekretär Breschnew keine Verhandlungen stattgefunden haben und nachdem auch der Regierungssprecher von Wechmar das gleiche behauptet hat, darf ich Sie fragen, wie dann die Äußerung von Herrn Bundesminister Bahr zu verstehen ist, der am 5. März abends im Zweiten Deutschen Fernsehen erklärt hat — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —: „Ich habe es hier als einen sehr seltsamen Stil empfunden, daß man einen Minister, der im Ausland schwierige Verhandlungen zu führen hat, zu Hause während dieser Zeit angreift." Also hat Minister Bahr davon gesprochen, daß er verhandelt hat.
Ich finde diese Feststellung, die Herr Bahr hier getroffen hat, sehr berechtigt, denn er hat in einem Punkte schwierige Verhandlungen geführt und dabei die entsprechende fachkundige Begleitung des Auswärtigen Amtes gehabt, und er hat andererseits hier auf den Meinungsaustausch hingewiesen. Da ist überhaupt kein Widerspruch.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatssekretär, welcher Art waren dann die mit Parteisekretär
Breschnew in Moskau zu besprechenden Themen, die die Anwesenheit von vereidigten deutschen Zeugen untunlich erscheinen ließen, und welche besonderen Gründe lagen vor, daß Sonderminister Bahr, der der russischen Sprache nicht mächtig ist, sich dem Risiko eines Alleinverhandelns ausgesetzt hat?
Herr Abgeordneter, da dies ein vertrauliches Gespräch war, werden Sie ja wohl zunächst einmal keine inhaltliche Antwort erwarten. Der Auswärtige Ausschuß besitzt nach seiner Sitzung von gestern abend Ihnen gegenüber einen Vorsprung. Aber Sie können davon ausgehen, daß es eben der Wunsch des anderen Gesprächspartners war, ein Vier-Augen-Gespräch zu führen. Das ist in der internationalen Politik nichts Ungewöhnliches. Es geht in solchen Fällen darum, in einem Gespräch bestimmte Positionen darzulegen, damit sich später in den Verhandlungen andere Positionen verändern können. Außenminister Scheel hat in schwierigen Phasen der deutsch-sowjetischen Beziehungen damals genauso Vier-Augen-Gespräche — übrigens wirkliche Vier-Augen-Gespräche, nämlich auf Englisch — mit Außenminister Gromyko geführt. Jeder Bundeskanzler hat das in der Vergangenheit gemacht. Herr Bahr hat vorhin schon dargelegt, daß dann, wenn ausländische Besucher hier bei uns diesen Wunsch haben, eben der deutsche Dolmetscher, der deutsche Beamte, zugezogen wird. Im Ausland wird der ausländische Beamte zugezogen. Ich weiß gar nicht, wie man einen solchen Vorgang in dieser Weise mystifizieren kann, wie das hier geschieht.
Ich rufe die Frage 138 des Abgeordneten Rainer auf. Der Abgeordnete ist nicht anwesend; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 139 des Abgeordneten Zoglmann auf:
Nach welchen wissenschaftlich anerkannten und nach welchen politischen Maßstäben und auf Grund welcher wissenschaftlichen Beratung entscheidet das Auswärtige Amt, welche Vorhaben von Schulhuchinstituten als „politisch geboten und operativ möglich" aus Mitteln des Schulfonds des Auswärtigen Amts gefördert werden?
Die Akivität des Internationalen Schulbuchinstituts wird wesentlich von der Tatsache bestimmt, daß sich die Bundesrepublik Deutschland in zahlreichen Kulturabkommen zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Schulbuchliteratur mit dem Partnerstaat verpflichtet hat. Diesem politischen Gebot muß das Auswärtige Amt Rechnung tragen. Dementsprechend kommt der Förderung vertraglich vereinbarter Vorhaben Priorität zu.Nichtdestoweniger hat das Auswärtige Amt in der Vergangenheit darüber hinaus Projekte finanziell gefördert, soweit ihre Durchführung dem Institut im Rahmen seiner personellen operativen Möglichkeiten zugemutet werden konnte.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5537
Parl. Staatssekretär MoerschEiner wissenschaftlichen Beratung bei der Entscheidung über die prioritäre Durchführung eines Projekts bedurfte es bisher nicht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Zoglmann.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nach Ihrer soeben gemachten Aussage, daß es einer wissenschaftlichen Beratung bisher nicht bedurfte, vielleicht für objektiv, wenn in den Empfehlungen mit keinem Wort auf die Ergebnisse der Volksabstimmungen in Schlesien und Ostpreußen hingewiesen wird, die unter internationaler Kontrolle stattgefunden und in den Abstimmungsgebieten überwältigende Mehrheiten für Deutschland gebracht haben?
Herr Abgeordneter, die Frage, die Sie gestellt haben, weshalb wir dieses Institut fördern, habe ich dahin gehend beantwortet, daß wir gegenüber bestimmten Staaten vertragliche Verpflichtungen haben und daß es sich um wissenschaftliche Einrichtungen handelt. Sie wissen, der Art. 5 GG schreibt genau vor, wie frei Wissenschaft ist, nämlich ganz frei. In diesem Falle haben wir, wenn dieses Institut sich um Fragen gekümmert hat, die wir mit dem anderen Partner vertraglich vereinbart haben, wo wir also ein wissenschaftliches Institut brauchten, die Mittel für die Durchführung von uns geschlossener Abkommen zur Verfügung gestellt. Da brauchen Sie keine besondere wissenschaftliche Beratung; da müssen Sie einen Auftrag an ein wissenschaftliches Institut geben.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Zoglmann.
Herr Staatssekretär, in den Verhandlungen wurden, wie Sie selber wissen, Empfehlungen an die Schulbuchkommission ausgearbeitet und den Schulbuchkommissionen, besonders in der Bundesrepublik, zur Verfügung gestellt. Was halten Sie von der Objektivität solcher Empfehlungen, die beispielsweise für die deutsch-polnische Zusammenarbeit im 19. Jahrhundert lediglich die „Rheinische Zeitung" unter ihrem damaligen Chefredakteur Karl Marx anführen und z. B. die großen Sympathiewellen des liberalen deutschen Bürgertums anläßlich der polnischen Aufstände in den dreißiger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts völlig außer acht lassen?
Herr Abgeordneter, ich nehme an, Sie sprechen jetzt von der Frage 140. Ich habe die Frage 139 beantwortet. Vielleicht darf ich die Frage 140 beantworten?
Ich rufe die Frage 140 auf:
Trifft es zu, daß deutscherseits nur verschwindend wenige unmittelbare, kompetente und mit den Quellen in beiden Sprachen vertraute Sachkenner und Wissenschaftler der deutsch-polnischen Beziehungen an den deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen teilnahmen und die veioffentlichtcn kleinen Broschüren einerseits vollig bruchstückhaften, vorläufigen, ohne erwartete Kommentare kaum brauchbaren Charakter haben, andererseits aber fast alle wirklich strittigen Probleme vorerst ausklammern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Antwort lautet nein. Das Gegenteil ist richtig. Zu den deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen werden stets die führenden Experten aus den jeweils in Frage stehenden Wissenschaftsbereichen hinzugezogen. Zu den reinen Fachwissenschaftlern kommen, vor allem auch zur Erleichterung der Umsetzung der Verhandlungsergebnisse, Schulbuchautoren und -verleger sowie Vertreter der Kultusverwaltungen der Länder, die hier ein ganz besonderes Wort mitzureden haben.
Die Zusammensetzung der deutschen Delegationen wird jeweils veröffentlicht, u. a. in den Sonderdrukken des Internationalen Schulbuchinstituts. Die deutsche Delegation für die zweite deutschpolnische Schulbuchkonferenz umfaßte beispielsweise 50 Personen. Davon waren 26 Wissenschaftler, 7 Pädagogen und Autoren, 8 Verlagsvertreter und 4 Vertreter der Kultusverwaltungen. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Zusammensetzung der Delegationen von Mal zu Mal je nach der vorliegenden Thematik variiert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, müssen Sie nicht zugeben, daß gerade bei der letzten Konferenz, die Sie nannten, nur drei deutsche Wissenschaftler, die auch die Quellen in der Primärsprache überhaupt beherrschen, anwesend waren und daß nach Berichten der Teilnehmer die polnischen Tagungsteilnehmer verzweifelt nach deutschen Fachleuten für die einzelnen Unterkommissionen gesucht haben?
Herr Abgeordneter, es ist selbstverständlich, daß Historiker zunächst einmal Historiker und nicht Slawisten sind. Die Slawisten sind bei einem solchen Unternehmen Hilfstruppen. Die Historiker sind die Hauptsache. Sie sollten die Historiker nicht unterschätzen.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zoglmann!
Sie haben eben von 50 deutschen Teilnehmern gesprochen. Wie halten Sie diese Feststellung mit der veröffentlichten Teilnehmerliste der letzten Konferenz vereinbar, in der genau 11 deutsche Teilnehmer gegenüber 29 polnischen Teilnehmern aufgeführt werden?
Herr Abgeordneter, vielleicht sprechen wir von verschiedenen Dingen. Ich nehme an, das zuständige Referat hat die Antwort auf
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5538 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Parl. Staatssekretär MoerschGrund der Spesenaufstellung erarbeitet. Die ist im allgemeinen zuverlässig.
Noch eine letzte Zusatzfrage. Ich darf Sie aber bitten, sich kurz zu fassen. Wir müssen sehen, daß die beiden nächsten Fragen noch in dieser Fragestunde beantwortet werden können. Bitte schön, Herr Zoglmann!
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, daß in diesen Verhandlungen nicht die Slawisten, sondern die Historiker die ausschlaggebende Rolle spielen. Darf ich Sie fragen, wie Sie zu der Behauptung in den Empfehlungen stehen, daß große Gebiete in Pommern und Schlesien ihre ethnische und kulturelle polnische Komponente bis 1945 erhalten haben? Können Sie mir die Frage beantworten, um welche Gebiete in Schlesien und Pommern es sich dabei handelt?
Herr Abgeordneter, ich habe ,die Unterlagen hier zur Hand. Ich bin gern bereit, sie Ihnen zu geben. Sie sind natürlich stichwortartig. Sie müssen dazu die Referate kennen, die dabei gehalten worden sind. Ich kann auf Ihre Frage inhaltlich nicht antworten, weil mir ein derartiger Auszug hier nicht vorliegt.
Ich rufe die Frage 141 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Wie beurteilt das in der Bundesregierung für die auswärtigen Beziehungen zuständige Auswärtige Amt die Tatsache, daß Bundesminister Bahr in der Sowjetunion wiederholt entscheidende Gespräche ohne deutschen Dolmetscher geführt hat?
Darf ich Sie bitten, daß wir jetzt die Sache ganz kurz machen. Sonst müßte ich vor der nächsten Frage abbrechen. Ich bitte also um eine kurze Antwort: Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Die Frage 141 beantworte ich, wie gewünscht, kurz durch Verweis auf die Antwort zur Frage des Kollegen Engelsberger.
Wir haben wohl die Frage 141 in einer ganzen Reihe von Fragen und Zusatzfragen erschöpfend behandelt. — Bitte schön, dazu eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, da es um Verhandlungen von Herrn Bundesminister Bahr, wie allgemein bekannt ist, immer wieder Differenzen gegeben hat und wir in diesem Hause — ich habe es vorhin schon gesagt — wiederholt hinter das Licht geführt worden sind, möchte ich Sie fragen:
ist das Auswärtige Amt bereit, weiterhin dafür die Verantwortung dafür zu tragen, daß der Minister Bahr ohne jeden deutschen Zeugen Gespräche führt und verhandelt?
Herr Präsident, ich bin nicht bereit, eine Frage zu beantworten, die wiederum mit falschen Wertungen versehen worden ist.
Meine verehrten Kollegen, wir haben dieses Thema eingehend unter dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes behandelt. Ich lasse noch eine Zusatzfrage zu, Herr Kollege Mertes; dann muß ich abbrechen, weil wir sonst die letzte Frage nicht mehr behandeln können.
Herr Staatssekretär, in der Annahme, daß Herr Minister Bahr über seine Gespräche mit höchsten sowjetischen Persönlichkeiten eine sehr eingehende Aufzeichnung gemacht hat, möchte ich fragen, ob diese Aufzeichnung auch allen kompetenten Stellen der Bundesregierung zur Einsichtnahme vorliegt.
Sicherlich!
Sie haben von Herrn Bahr selbst gehört, daß er darüber ein genaues Stenogramm angefertigt hat.
Ich rufe die Frage 142 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Wie hoch beziffert die Bundesregierung derzeit die Gesamtsumme der den Staatshandelsländern gewährten und in Aussicht gestellten Kredite — einschließlich der Lieferüberschüsse aus der Bundesrepublik Deutschland in diese Staaten?
Bitte schön, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär! Das ist die letzte Frage, die ich heute aufrufe.
Die Bundesregierung selbst gewährt keine Kredite. Über einen lieferungebundenen Finanzkredit an Polen ist noch nicht entschieden.Ich darf hinzufügen, Herr Kollege, damit Kommafehler in Veröffentlichungen nicht wieder passieren: Das deutsche Obligo aus Ausfuhrbürgschaften gegenüber Staatshandelsländern belief sich Ende 1973 auf 6,5 Mrd. DM, was 21 % des deutschen Ausfuhrbürgschaftsvolumens ausmacht. Die Ausfuhrüberschüsse beliefen sich 1972 auf 2,2 Mrd. DM, 1973 auf 3,7 Mrd. DM, wohlgemerkt: in der Handelsbilanz, nicht in der Zahlungsbilanz. Diese Außenhandelsüberschüsse haben sich zum Teil in den vorerwähnten verbürgten Exportkrediten — finanziert von den Banken, nicht von der Bundesregierung — niedergeschlagen, soweit es sich um Investitionsgüterlieferungen handelt. Bei kurzlebigen Wirtschaftsgütern werden die nicht durch eigene Exporte der Staats-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5539
Parl. Staatssekretär Moerschhandelsländer gedeckten Importe zu Lasten ihrer Devisenreserven, also beim Ausgleich der Zahlungsbilanz, geregelt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, da Sie die Gesamtziffer aller Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, nicht genannt haben, da man Kredite auch anders nennen kann und da es andere Formen der Beteiligung gibt, darf ich Sie fragen: Wie hoch beziffert die Bundesregierung diese Beteiligungen, wenn man nur das berücksichtigt, was in der internationalen Presse an Projekten allein in der Sowjetunion veröffentlicht worden ist, angefangen von Kursk über die Atomreaktoren, zwölf Chemiekombinate, Erdgas, Erdöl usw.? Wie hoch ist eigentlich die Ziffer, von der die Bundesregierung bei solchen Projekten insgesamt ausgeht? Sie haben die Zahl leider nicht genannt.
Doch, ich habe die Zahl genannt. Verbürgt sind gegenüber allen Staatshandelsländern insgesamt 6,5 Mrd. DM.
— Nein, das ist das Bürgschaftsvolumen für die Staatshandelsländer. Es sind insgesamt 21 % unseres gesamten Bürgschaftsvolumens zur Förderung des Exportes in alle Welt einschließlich der Entwicklungsländer. Das Bürgschaftsvolumen für Polen beträgt genau 3,3 % unseres gesamten Bürgschaftsvolumens.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, da Sie hier offenbar nur die Zahl der abgeschlossenen Verträge genannt haben, darf ich noch einmal fragen: Wie hoch beziffert die Bundesregierung die Projekte insgesamt, soweit sie bisher bekanntgeworden sind?
Herr Abgeordneter, meinen Sie die Wünsche der anderen oder die Projekte, die als abgeschlossen gelten? Wenn die Statistik ehrlich sein soll, dürfen Sie überhaupt nur Projekte nennen, die bereits abgeschlossen sind, weil es andere nicht gibt. Andere sind erst im Gespräch.
Zu einer letzten Zusatzfrage der Abgeordnete Mertes.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es viele und mannigfache Formen der In-Aussicht-Stellung besonderen wirtschaftlichen Entgegenkommens und der Weckung entsprechender Erwartungen gibt und daß sich deshalb hochrangige deutsche Gesprächspartner in amtlichen Unterredungen mit höchsten sowjetischen Persönlichkeiten nachweisbar einer völlig zweifelsfreien Ausdrucksweise zu bedienen haben —auch um das Risiko späterer Unzuverlässigkeitsvorwürfe seitens einer Großmacht zu vermeiden, die in Fragen dieser Art besonders sensibel und für unsere nationalen Interessen besonders wichtig ist?
Herr Abgeordneter, das ist ein genereller Leitsatz, der immer gilt. Er gilt aber ganz besonders auch für eine verantwortliche demokratische Opposition bei der Verbreitung von Tatarennachrichten.
Zur allerletzten Zusatzfrage der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß Vertreter der Opposition in Gesprächen mit Vertretern von Staatshandelsländern immer wieder sagen, daß sie, wenn sie regierten, bereit wären, viel mehr für diese Länder zu tun als diese Regierung?
Mir sind Einzelheiten nicht bekannt. Aber wir haben zuweilen den Eindruck, daß manche Kollegen großzügig auf Kosten anderer sind.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatssekretär.Die Fragen A 24 und B 87 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen zum Stenographischen Bericht abgedruckt.Wir haben die Fragestunde um ein paar Minuten überzogen, damit wir alle Fragen behandeln konnten. Wir verlassen diesen Tagesordnungspunkt jetzt.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des AbzahlungsgesetzesDrucksache 7/1739 —Als Berichterstatter hat der Herr Abgeordnete Dürr das Wort.
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5540 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Meine Damen und Herren, namens des Vermittlungsausschusses gebe ich Ihnen folgenden Bericht. Der Bundesrat hat in seiner 401. Sitzung am 15. Februar 1974 beschlossen, zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Abzahlungsgesetzes den Vermittlungsausschuß anzurufen, und zwar mit folgenden fünf Begehren.
Mit seinem ersten Begehren beabsichtigte der Bundesrat, in dem neu vom Bundestag beschlossenen § 1 b des Abzahlungsgesetzes den Abs. 5 zu streichen. Nach der vom Bundestag beschlossenen Regelung soll das dem Käufer bei Abzahlungsgeschäften zustehende Widerrufsrecht entfallen, wenn ein Versandhandelsunternehmen dem Käufer schriftlich ein uneingeschränktes Rückgaberecht nach Erhalt der Ware einräumt. Diese Ausnahmevorschrift sollte nach Meinung des Bundesrates gestrichen werden, weil das Rückgaberecht dem Widerrufsrecht nicht gleichwertig sei. Der Vermittlungsausschuß hat sich diesem Begehren des Bundesrates nicht voll angeschlossen, sondern empfohlen, das Rückgaberecht nur gelten zu lassen, wenn der Käufer das auf den Vertragsabschluß gerichtete Angebot ohne vorherige mündliche Verhandlung mit dem Verkäufer auf Grund eines Verkaufsprospektes abgibt. Diese Ausnahmeregelung wird damit auf den echten Katalogversandhandel eingeschränkt. Bei Vertragsabschlüssen etwa im Zusammenhang mit Vertreterbesuchen oder bei sogenannten Kaffeefahrten bleibt die Widerrufsklausel voll bestehen.
In seinem zweiten Vermittlungsbegehren verlangte der Bundesrat die Streichung des vom Bundestag in das Gesetz aufgenommenen § 1 c. Nach dieser Regelung sollen beim finanzierten Abzahlungskauf Kreditvertrag und Kaufvertrag für die Anwendung des Gesetzes wie ein einheitlicher Vertrag behandelt werden, wenn ein Kreditvertrag mit Wissen des Darlehensgebers und des Verkäufers der Abwicklung eines bestimmten Kaufvertrages dient. In der Begründung des Bundesrats wird darauf hingewiesen, daß die vom Bundestag beschlossene Regelung für den finanzierten Abzahlungskauf zu eng sei und deshalb zu Mißverständnissen führen könne. Der Bundesrat wies darauf hin, daß nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ohnehin gewährleistet ist, daß die Vorschriften des Abzahlungsgesetzes, insbesondere das neu begründete Widerrufsrecht, auch in den Fällen des finanzierten Abzahlungskaufs angewendet werden, die § 1 c besonders vorsieht. Der Vermittlungsausschuß folgte dem Antrag des Bundesrates und empfiehlt die Streichung des § 1 c.
Mit seinem dritten Begehren wollte der Bundesrat in § 1 d eine inhaltliche Klarstellung erreichen. Es erschien dem Bundesrat zweifelhaft, ob mit der vom Bundestag beschlossenen Fassung des § 1 d Nr. 2 alle Verträge auf wiederkehrende Leistungen, insbesondere solche auf den Erwerb von Mitgliedschaften in Buchgemeinschaften, Schallplattenringen oder ähnlichen Organisationsformen, erfaßt werden. Entsprechend dem Begehren des Bundesrats empfiehlt der Vermittlungsausschuß daher, in § 1 d folgende Nr. 3 aufzunehmen:
3. die Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb oder Bezug von Sachen zum Gegenstand hat.
Der Vermittlungsausschuß geht davon aus, daß durch diese Formulierung die aufgezeigten Zweifel beseitigt sind.
Mit seinem vierten Begehren wollte der Bundesrat Abs. 1 des § 1 d expressis verbis nicht auf Verträge angewandt wissen, die die öffentliche Versorgung mit Gas und Wasser zum Inhalt haben. Es sollte in einem gesonderten Abs. 2 klargestellt werden, daß sich das Gesetz nicht auf derartige Verträge bezieht. Der Vermittlungsausschuß ist diesem Begehren aber nicht gefolgt, weil er diese Ergänzung nicht für erforderlich hielt.
Mit seinem fünften Begehren wollte der Bundesrat in Art. 2 das Wort „Abzahlungsgeschäfte" durch das Wort „Rechtsgeschäfte" ersetzt wissen, weil die Vorschriften des Art. 1 nicht nur auf Abzahlungsgeschäfte, sondern auch auf Verträge Anwendung finden, die auf wiederkehrende Leistungen gerichtet sind. Der Vermittlungsausschuß hat sich diesem Begehren angeschlossen und empfiehlt die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung.
Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Ich bitte Sie, den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zu folgen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses — Drucksache 7/1739 —. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes
— Drucksache 7/1740 —
Berichterstatter: Senator Dr. Heinsen
Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter Professor Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den verhinderten Berichterstatter, Herrn Dr. Heinsen, berichte ich aus dem Vermittlungsausschuß.Der Bundestag hat am 18. Januar 1974 einstimmig den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes beschlossen. Der Bundesrat rief am 15. Februar dieses Jahres den Vermittlungsausschuß an. In seiner Sitzung am 21. Februar hat der Vermittlungsausschuß folgenden Einigungsvorschlag beschlossen:1. Für Heimbewohner, die einen Teil der Heimkosten selbst tragen, ist das übliche Taschengeld
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5541
Dr. Schellenbergum 25 vom Hundert des Einkommens des Hilfeempfängers, höchstens jedoch um einen Zuschlag bis zu 20 vom Hundert des Regelsatzes eines Haushaltsvorstands zu erhöhen.2. Das Vermittlungsbegehren des Bundesrates zur Streichung der Bestimmungen über die Einbeziehung des Förderschulbesuchs in die Ausbildungshilfe wurde angenommen. Damit werden diese mit der Spätaussiedlung verbundenen Folgewirkungen vom Bund, und zwar zu Lasten des sogenannten Garantiefonds zur Eingliederung junger Zuwanderer, getragen.3. Das Vermittlungsbegehren zur Koppelung des Pflegegeldes an die Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz wurde angenommen.Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, über die Abänderungsanträge gemeinsam abzustimmen. Im Namen des Vermittlungsausschusses bitte ich um Zustimmung zu dem Einigungsvorschlag, damit das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, das wichtige Anpassungen an die soziale Entwicklung bringt und die Stellung des Hilfesuchenden wesentlich verbessert, wie vorgesehen am 1. April dieses Jahres in Kraft treten kann.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Zur Abgabe einer Erklärung hat Herr Abgeordneter Geisenhofer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den vom Vermittlungsausschuß beschlossenen Änderungen des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes darf ich namens der CDU/CSU-Fraktion folgende Erklärung abgeben:Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses, insbesondere zu den §§ 21 und 69 BSHG. Die wesentliche Verbesserung des Gesetzes bei § 21 Abs. 3 besteht darin, daß dem Hilfeempfänger dann, wenn er einen Teil der Kosten des Heimaufenthalts selbst trägt, das Taschengeld um 25 vom Hundert seines Einkommens, jedoch höchstens um 20 vom Hundert des Regelsatzes eines Haushaltsvorstands erhöht wird. In der praktischen Auswirkung bedeutet das, daß .der Vermittlungsausschuß dem von der CDU/CSU-Fraktion geforderten Renten- und Einkommensfreibetrag für Heimbewohner in Höhe von monatlich ca. 50 DM zusätzlich zum Taschengeld zugestimmt hat.Die CDU/CSU-Fraktion erkennt diese Verbesserung um so mehr an, als noch bei der zweiten Lesung des Gesetzentwurfes am 18. Januar 1974 unser diesbezüglicher Antrag, ,den ich hier in diesem Hohen Hause eindringlich begründet habe, von der SPD/FDP-Koalition mit den Argumenten der Systemwidrigkeit und der finanziellen Schwierigkeiten abgelehnt wurde. Wir freuen uns, daß die von der CDU/CSU regierten Länder unter Führung ides Landes Rheinland-Pfalz sowie der Vermittlungsausschuß die dringend notwendige Hilfe für den Sozialhilfeempfänger in Heimen höher als 'die System- und Finanzprobleme bewertet hat.Meine Damen und Herren, hier ist eine Entscheidung zugunsten der Sorge für die Sozialhilfeempfänger gefällt worden, die den Menschen in den Mittelpunkt der sozialpolitischen Überlegungen gestellt hat. Dafür bringen wir unseren Dank und unsere Anerkennung zum Ausdruck. Damit findet ein Teil der Forderungen unseres diesbezüglichen CDU/CSU-Gesetzentwurfs, den wir bereits in der 6. Legislaturperiode am 16. Oktober 1970 eingebracht haben, seine Erledigung. Ich sage: ein Teil unserer Forderung. Offen bleibt noch die Forderung auf Ausdehnung des Einkommensfreibetrags auch auf Sozialhilfeempfänger außerhalb von Heimen und Anstalten. Die CDU/CSU-Fraktion sieht in dem im Vermittlungsausschuß gefaßten Kompromiß einen Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit in unserem Lande. Damit kommen jenen Sozialhilfeempfängern in Heimen und Anstalten, die eigene Vorsorge für ihr Alter getroffen haben, wenigstens in geringem Maße die Früchte ihrer Altersvorsorge zugute. In Zukunft wird die Eigenvorsorge nicht mehr vollständig ignoriert, sondern in etwa auch honoriert, und das ist gut so.Die heute zur Entscheidung anstehende Regelung wird von der CDU/CSU-Fraktion auch deswegen begrüßt, weil die bei der Schaffung des Bundessozialhilfegesetzes 1961 erhoffte Entwicklung, daß immer mehr Sozialhilfeempfänger durch Einkommenserhöhung und durch Stabilitätspolitik aus der Sozialhilfe herausgeführt werden können, sich nicht nur nicht erfüllt, sondern ins Gegenteil verkehrt hat. Durch eine verfehlte Wirtschafts- und Währungspolitik dieser Bundesregierung werden immer mehr Bürger unseres Landes Sozialhilfeempfänger bzw. fallen einkommensmäßig unter das Niveau der Sozialhilfe ab. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger aus den genannten Gründen von Jahr zu Jahr zunimmt. Es ist auch unbestreitbar, daß die Personal- und Verwaltungskosten und somit die Altenheimpflegesätze von Jahr zu Jahr steigen.Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses, die freie Verfügbarkeit von Geldmitteln des Heimbewohners, die durch die steigenden Heimsätze in unerträglicher Weise eingeschränkt sind, nunmehr zu erweitern, wird die Belastung der Heimbewohner, so glauben wir, etwas mildern. Wir begrüßen auch dankbar, daß die Verbesserung bei § 69 Abs. 4, wonach den in § 24 Abs. 2 genannten Schwerbeschädigten nunmehr auch Pflegegeld in Höhe des Mindestbetrages der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz gewährt wird, vom Vermittlungsausschuß beschlossen wurde. Wir freuen uns, daß dieses Anliegen der CDU/CSU, das wir im zuständigen Ausschuß bei der Beratung des BSHG leider ohne Erfolg vertreten haben, nun nachträglich doch noch Erfüllung gefunden hat.Es ist besonders bemerkenswert — damit darf ich schließen —, daß die Verbesserungsvorschläge vom Bundesrat, vom Organ der Länder, aufgegriffen wurden, wissend, daß damit die Länder und die Träger der Sozialhilfe eine finanzielle Mehrbelastung erfahren. Um so mehr würdigen wir, daß man hier der Hilfe für die bedrängten Sozialhilfeempfänger
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5542 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Geisenhofermehr Rechnung getragen hat als den Sorgen über die finanzielle Belastung der Träger.Die CDU/CSU-Fraktion stimmt den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zu, da sie die langjährigen Forderungen der CDU/CSU erfüllen und mehreren hunderttausend Sozialhilfeempfängern ab 1. April 1974 die dringend notwendigen erhöhten Hilfen vermitteln.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig zur Abgabe einer Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, wenn ich eingangs sage, daß sich die besonderen Probleme der Sozialrentner und Behinderten nach dem Bundessozialhilfegesetz schlecht dafür eignen, bei dieser Gelegenheit einen politischen Blumentopf zu gewinnen.Um hier etwas richtigzustellen, sieht sich auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion genötigt, in diesem Zusammenhang eine Erklärung abzugeben. Vorerst stelle ich fest, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion den Antrag des Vermittlungsausschusses zur dritten Novelle des Bundessozialhilfegesetzes, so wie er vorliegt, begrüßt. Dieser Antrag bezweckt die Erhöhung des Pflegegeldes für Schwerstbehinderte und des Taschengeldes bei Heimaufenthalt. Wir werden diesem Antrag zustimmen; darüber gibt es überhaupt gar keinen Zweifel.
Aber, meine Damen und Herren — und jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Geisenhofer —, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion weist die Versuche der Opposition, die hier aus Ihrem Munde und aus dem Munde der Bundesratsmehrheit laut wurden — auch im Hinblick auf die demnächst stattfindenden Wahlen — zurück, das Ergebnis des Vermittlungsausschusses als eine sozialpolitische Großtat der CDU.' CSU darzustellen.
— Das ist es nicht; ich werde Ihnen gleich einmal erklären, was das hier ist. Die Tatsache, daß der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen hat, um weitere Leistungsverbesserungen durchzusetzen, kann nicht über folgende Vorgänge hinwegtäuschen, die ich Ihnen jetzt in Erinnerung rufen möchte.Der urspüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung bedeutete für die Länder und die Kommunen jährliche Mehrausgaben von zirka 159 Millionen DM. Mit den Stimmen der CDU/CSU-regierten Länder beschloß der Bundesrat am 23. Februar 1973 — ich bitte, sich daran zu erinnern — zahlreiche Änderungswünsche, die zusammen Einsparungen — nicht Mehrausgaben, Einsparungen — von ungefähr 60 Millionen DM bedeutet hätten; das ist ein ganz anderer Vorgang. Der Bundesrat drohte seinerzeit — ich habe das hier im April 1973 an dieser Stelle gesagt — sogar mit der Ablehnung der gesamten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz. Ich zitiere aus der Stellungnahme des Bundesrates, damit Ihnen das wieder in die Erinnerung kommt:Der Bundesrat stellt fest, daß Länder und Gemeinden diese Mehraufwendungen bei der derzeitigen Finanzausstattung und Haushaltslage nicht werden aufbringen können, zumal die Bundesregierung auf eine Einschränkung der Kreditaufnahme drängt. Hinzu kommt, daß die öffentlichen Haushalte für 1973 mindestens konjunkturneutral gestaltet werden müssen. Neue finanzielle Belastungen der Länder und Gemeinden sind daher ohne eine vorherige mit ihnen abgestimmte umfassende Gesamtplanung nicht vertretbar.Weiter sagt der Bundesrat:Der Bundesrat kann daher seine Zustimmung zum Gesetzentwurf im zweiten Durchgang nur in Aussicht stellen, wenn im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens durch Übernahme von Lasten auf den Bund oder eine Verbesserung der Finanzausstattung der Länder sichergestellt wird, daß die sozialpolitisch wünschenswerten Leistungsverbesserungen ohne Beeinträchtigung der Investitionskraft der Länder und Gemeinden realisiert werden können.Und dennoch, meine Damen und Herren, waren die Koalitionsfraktionen nicht bereit, sich vom Bundesrat einschüchtern zu lassen. Obwohl sie die angespannte Finanzlage insbesondere der Gemeinden vor Augen hatten, setzten sie auf Initiative der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zahlreiche wesentliche Leistungsverbesserungen durch, die, wie ich sagen kann, Herr Kollege Geisenhofer, der 3. Novelle zum Bundessozialhilfegesetz ein neues Gesicht gegeben haben — nicht Ihre Anträge. Wir haben die Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen durch die Sozialhilfe durchgesetzt, den Personenkreis ausgeweitet, der in den Genuß der Mehrbedarfsregelung für Behinderte und in den Genuß des Pflegegeldes kommt; wir haben das Pflegegeld erhöht; wir haben die Erstattung und die Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für Pflegepersonen eingeführt; wir haben die individuellen Voraussetzungen für die Ausbildungshilfe gelockert; wir haben den Katalog der verschiedenen Maßnahmen zur Eingliederungshilfe für Behinderte um Hilfen zur Teilnahme am Leben der Gemeinschaft und um Hilfen zur Beschaffung und Erhaltung einer den Bedürfnissen des Behinderten angemessenen Wohnung erweitert.Das alles ist in den Ausschußberatungen geschehen. Nachdem die Koalitionsfraktionen diese Änderungen durchgesetzt hatten, war das Finanzvolumen der dritten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz auf 230 Millionen DM gestiegen. Für die Länder und die Kommunen bedeutete dies Mehrausgaben von zirka 54 Millionen DM gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf.Die Koalitionsfraktionen hatten noch zahlreiche weitere Änderungswünsche, darunter auch die Anhebung des Pflegegeldes auf den vollen Betrag der Pflegezulagestufe III des Bundesversorgungsgesetzes
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Glombigund eine Erhöhung des Taschengeldes bei Heimaufenthalt, wobei wir allerdings eine Freibetragsregelung, wie sie die CDU/CSU-Fraktion und der Bundesrat ursprünglich verlangt haben und heute noch verlangen, wie wir aus dem Munde von Herrn Geisenhofer gehört haben, ablehnen, weil sie auf eine Wiedereinführung der gehobenen Fürsorge, die damals die CDU/CSU abgeschafft wissen wollte, und auf eine Privilegierung derjenigen, die über ein eigenes Einkommen verfügen, gegenüber denjenigen, die kein eigenes Einkommen haben, hinausgelaufen wäre.Das, was hier als Antrag des Vermittlungsausschusses vorliegt, ist nicht der Antrag der CDU/ CSU,
auch nicht der Antrag des Bundesrates, sondern ein Formulierungsvorschlag, der von den Koalitionsfraktionen kommt. Dieser Antrag entspricht der Systematik des Bundessozialhilfegesetzes. Es gibt keinen Freibetrag bei der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt, es gibt einen Freibetrag zum Taschengeld. Das ist allerdings etwas ganz anderes.
Darüber haben Sie hier heute abzustimmen. Sie müssen nicht so tun, als stünde Ihr Antrag zur Debatte.
— Sie haben doch gar keine Ahnung von diesen Dingen. Ich würde mich dazu an Ihrer Stelle überhaupt nicht äußern! Wissen Sie, was hier gelaufen ist? Eine völlig neue Weichenstellung, an die Sie Jahrzehnte überhaupt nicht gedacht haben,
die erst in dieser sozialliberalen Koalition möglich wurde. Was haben Sie in diesem Hause denn vor 1969 in dieser Beziehung für die Behinderten und die Sozialrentner getan? Zählen Sie das doch einmal auf, und reden Sie nicht über Dinge, von denen Sie in der Tat keine Ahnung haben!
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang noch etwas anderes sagen. Auf weitere Leistungsverbesserungen verzichteten wir — ich darf Ihnen das in Erinnerung rufen —, um auf die Finanzsituation der Länder und Kommunen Rücksicht zu nehmen. Dabei haben wir keinen Zweifel daran gelassen, daß uns einzig die finanzpolitischen Notwendigkeiten, die uns der Bundesrat in seiner Stellungnahme so dramatisch vor Augen geführt hatte, davon abgehalten haben, das durchzusetzen, was wir schon lange vor Ihnen als dringend notwendig betrachteten. Nachdem der Bundesrat nun aber selber weitere Leistungsverbesserungen fordert, sind die Bedenken, die uns seinerzeit zur Zurückhaltung bewogen haben,
gegenstandslos geworden. Deshalb werden wir dem Antrag des Vermittlungsausschusses mit Freuden zustimmen.Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat nach unserer Meinung einen finanzpolitischen Salto mortale vollzogen, indem er zuerst ein Gesetz mit einem Finanzvolumen von 159 Millionen DM aus finanzpolitischen Gründen ablehnen wollte, jetzt aber ein auf über 230 Millionen DM angewachsenes Finanzvolumen noch aufstocken will. Aber das kennen wir ja vom Bundesrat und von der Opposition; das hat nicht immer etwas mit sachlichen Überlegungen, sondern einfach mit Politik so, wie Bundesrat und Opposition Politik verstehen, etwas zu tun.
Im übrigen wird, meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion aus der Geschichte der dritten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz den Schluß ziehen, daß sie künftig mit größerer Bereitschaft bei der Berücksichtigung der Belange der Behinderten und Sozialrentner durch den Bundesrat wird rechnen können. Wir werden uns dessen gern erinnern.
Das Wort zur Abgabe weiterer Erklärungen wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache 7/1740. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts
— Drucksache 7/1741 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schellenberg
Das Wort hat der Herr Berichterstatter Professor Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat am 25. Januar den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts einstimmig verabschiedet. Der Bundesrat dagegen hat am 15. Februar die Anrufung des Vermittlungsausschusses beschlossen, dies aus Gründen, die sich im wesentlichen auf drei Anliegen zurückführen lassen.Erstens. Das Aufkommen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe sollte zwischen Bund und Ländern nicht, wie vom Bundestag beschlossen, im Verhältnis 50 : 50, sondern im Verhältnis 30 : 70 — zugunsten der Länder 70 — aufgeteilt werden.Zweitens. Die Anerkennung der Werkstätten für Behinderte sollte nicht von der Bundesanstalt für Arbeit, sondern von den Länderministern ausgesprochen werden.
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Dr. SchellenbergDrittens. Bei den Hauptfürsorgestellen sollte neben dem Beratenden Ausschuß für Behinderte auch ein Widerspruchsausschuß gebildet werden.Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 21. Februar folgenden Einigungsvorschlag beschlossen.Im ersten Bereich — Aufteilung des Aufkommens aus der Ausgleichsabgabe — hat sich der Vermittlungsausschuß auf eine mittlere Linie verständigt. Der Vermittlungsausschuß schlägt eine Aufteilung zwischen Bund und Ländern im Verhältnis 40 : 60 zugunsten der Länder vor.Im zweiten Bereich — Zuständigkeit zur Anerkennung der Werkstätten für Behinderte — hat der Vermittlungsausschuß die vom Bundestag beschlossene Regelung bestätigt, wonach die Entscheidung über die Anerkennung die Bundesanstalt für Arbeit im Einvernehmen — so steht es auch im vom Bundestag beschlossenen Gesetz — mit dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe trifft.Im dritten Bereich — Errichtung einer Widerspruchsstelle neben dem Beratenden Ausschuß für Behinderte — ist der Vermittlungsausschuß dem Änderungsvorschlag des Bundesrates gefolgt. Dieser Beratende Ausschuß soll die Aufgabe haben, die Hauptfürsorgestelle bei der Durchführung des Gesetzes zu unterstützen und insbesondere bei der Vergabe der Mittel der Ausgleichsabgabe mitzuwirken. Der Widerspruchsausschuß, jene zweite Instanz neben dem Beratenden Ausschuß, soll über den die Hauptfürsorgestelle bindenden Widerspruchsbescheid entscheiden.Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen. Im Namen des Vermittlungsausschusses bitte ich, dem Einigungsvorschlag zuzustimmen. Dadurch wird sichergestellt, daß dieses sozialpolitisch bedeutsame Gesetz, das die Behinderten in unserem Lande ungeduldig erwarten, nach Zustimmung durch den Bundesrat nunmehr rasch in Kraft treten kann.
Ich danke dem Berichterstatter für seine Berichterstattung. Wortmeldungen zur Abgabe von Erklärungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/1741. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um ,die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Zusatztagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes
zu dem Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer und Schenkungsteuerrechts
zu dem Gesetz zur Reform des Vermögensteuerrechts und zur Änderung anderer Steuergesetze
— Drucksache 7/1799 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Becker
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Dr. Becker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Bundesrat die beiden Gesetzesbeschlüsse des Bundestages zur Erbschaft-, Schenkung- und Vermögensteuerreform auch in seiner Sitzung am 15. Februar 1974 nicht passieren ließ, hatte die Bundesregierung den Vermittlungsausschuß angerufen. In seiner gestrigen Sitzung hat der Vermittlungsausschuß unter anderem folgende wichtige Änderungen der Beschlüsse des Hohen Hauses vom 6. und 13. Dezember 1973 zur Schenkung- und Erbschaftsteuer einstimmig beschlossen:Zur Erbschaft- und Schenkungsteuer:1. Die Familienstiftungen sollen nach der Mehrheit des Bundestages in Zeitabständen von je 30 Jahren, beginnend am 1. Januar 1978, einer Ersatzerbschaftsteuer unterliegen. Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, diese Steuer erst am 1. Januar 1984 entstehen zu lassen.2. Die Freibeträge für Kinder und Kinder verstorbener Kinder werden auf 90 000 DM erhöht, während sie nach dem Beschluß des Bundestages nur 70 000 DM betragen sollten. Für die Personen der Steuerklasse II wird der Freibetrag von 40 000 auf 50 000 DM erhöht. Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, die Stundungsmöglichkeit bei Betriebsvermögen auf 7 Jahre zu erhöhen. Voraussetzung ist, daß dieses zur Erhaltung des Betriebes notwendig ist.Von besonderer Bedeutung ist der neue § 3 in Art. 10. Danach sollen die Steuersätze nur für die Einheitswerte nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 gelten. Sie müssen also nach Anwendung neuer Einheitswerte neu festgesetzt werden.Der Vermittlungsausschuß ist einstimmig der Auffassung, daß eine Regelung für die Arbeitnehmerstiftungen in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit einer gesetzlichen Regelung zur breiten Streuung von Vermögen vorbereitet werden soll. Dazu erklärte der Vertreter der Bundesregierung vor dem Vermittlungsausschuß, daß sie einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeiten werde.Zur Vermögensteuer:Für die Vermögensteuer wird bei Körperschaften und natürlichen Personen ein Steuersatz von 0,7 % vorgeschlagen. Dazu hat der Vermittlungsausschuß seiner Auffasung Ausdruck gegeben, daß die Steuersätze bei der Beratung des Einkommen- und Körperschaftsteuerreformgesetzes überprüft werden müssen. § 3 bestimmt das Außerkrafttreten der Steuersätze nach der Einführung neuer Einheitswerte.Im Vermittlungsausschuß wurde erneut das Sparkassenprivileg bei der Vermögensteuer angespro-
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Dr. Becker
chen. Der Vermittlungsausschuß hat jedoch die Auffassung vertreten, daß diese Frage ohnehin bei der Körperschaftsteuerreform nochmals behandelt werden wird.
Der Bundestag hat heute darüber zu beschließen, ob er mit dem Vermittlungsausschuß der Auffassung ist, daß die vorgeschlagenen Vermögensteuersätze bei der Beratung des Einkommen- und Körperschaftsteuerreformgesetzes überprüft werden sollen, und ob er den Änderungen der beiden am 6. und 13. Dezember 1973 verabschiedeten Gesetze im Sinne des einstimmigen Votums des Vermittlungsausschusses zustimmt. Ich verweise dazu auf die Ihnen vorliegende Drucksache 7/1799, in der die Vorschläge des Vermittlungsausschusses im einzelnen dargestellt sind.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Abgeordnete Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach zähem und langwierigem Ringen zwischen Bundesrat und Bundestag kann das von der Regierungskoalition bereits im vergangenen Jahr im Bundestag verabschiedete Paket zur Reform der einheitswertabhängigen Steuern nun endlich in Kraft gesetzt werden.Die SPD-Fraktion begrüßt, daß die von der Bundesratsmehrheit zunächst vorgeschlagene Lösung, ein sogenanntes Vorschaltgesetz in Kraft zu setzen, nicht mehr länger ernsthaft diskutiert wurde. Die Reformgesetze der Regierungskoalition sehen eine sozial gerechtere Ausgestaltung der Vermögen-, der Erbschaft- und der Gewerbesteuer vor. Sie sind durch den Vermittlungsvorschlag in ihrer Substanz nicht verändert worden. Es ist also sichergestellt, daß die vielen Schlupflöcher und Steuerumgehungsmöglichkeiten, die bisher insbesondere im Erbschaftsteuerrecht bestanden, nunmehr verschwinden.Bei den Beratungen im Finanzausschuß des Bundestags wurde beschlossen, Familienstiftungen künftig einer Erbersatzsteuer zu unterwerfen. Eine turnusmäßige Erbschaftsbesteuerung von Familienstiftungen entspricht der Forderung nach Gleichmäßigkeit der Besteuerung und stellt auf keinen Fall eine Diskriminierung dieser Stiftungen dar. Diese Regelung beseitigt eine in den letzten Jahren immer öfter genutzte Steuerumgehungsmöglichkeit für Größtvermögen. Bei der Gründung von vier Familienstiftungen z. B. sind vor einem Jahr allein in Nordrhein-Westfalen Vermögen mit Steuerwerten — also sehr viel höheren Verkehrswerten — von ca. 650 Millionen DM übertragen worden. Dennoch sind betroffene Unternehmen und Oppositionspolitiker gegen die vorgeschlagene Erbersatzsteuer Sturm gelaufen. Die SPD begrüßt es, daß sich hier schließlich die besseren Argumente durchgesetzt haben.Die turnusgemäße Besteuerung soll nach den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses erstmals zum 1. Januar 1984 erfolgen. Da die Stiftungen, um die es hier vor allem geht, im wesentlichen erst in den 60er und 70er Jahren gegründet worden sind und die erstmalige Besteuerung frühestens 30 Jahre nach der Gründung erfolgt, ergeben sich durch das Hinausschieben des ersten Besteuerungstermins gegenüber den Vorschlägen der Koalition im Bundestag im Ergebnis kaum Veränderungen.Die Vorschläge der Opposition, Arbeitnehmerstiftungen bei der Erbschaftsteuer zu begünstigen, waren nicht ausgereift. Die SPD sperrt sich nicht grundsätzlich gegen diese Forderung, doch meinen wir, daß über diese Frage nur im Zusammenhang mit dem gesamten Problem der Vermögensbildung entschieden werden kann.Nach den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses soll nunmehr im Erbschaftsteuer- und im Vermögensteuergesetz auch formell sichergestellt werden, daß bei der Anwendung neuer künftiger Einheitswerte die Besteuerungsmaßstäbe — also Steuersätze und Freibeträge — neu festgelegt werden müssen. Eine solche Anpassung hält meine Fraktion — dies wurde auch schon im Plenum erklärt — politisch für selbstverständlich. Sie kann daher auch dem Vorschlag zustimmen, dies ins Gesetz aufzunehmen, obwohl sie eine ausdrückliche Festschreibung im Gesetz an und für sich nicht für notwendig gehalten hat.Auch den Vorschlägen, die Freibeträge für Kinder, Enkel und andere Verwandte noch geringfügig zu erhöhen, können wir zustimmen, zumal sich die dadurch bewirkten Mindereinnahmen in engen Grenzen halten.Offener Dissens besteht weiterhin in der Frage des Vermögensteuersatzes für juristische Personen ab 1. Januar 1975. Die SPD hat Wert darauf gelegt, bereits jetzt im Gesetz festzulegen, daß der Vermögensteuersatz für juristische Personen ab 1975 von 0,7 auf 1,0 v. H. erhöht wird. Eine stärkere Belastung der Unternehmen gegenüber den natürlichen Personen ist deshalb erforderlich, weil ab 1. Januar 1975 die Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei der Einkommensteuer für natürliche Personen beseitigt werden soll. Die juristischen Personen werden also durch die Erhöhung des Vermögensteuersatzes im Vergleich zu natürlichen Personen nicht schlechtergestellt. Auch die Bundesratsmehrheit und die Opposition werden sich nicht einer Differenzierung des Vermögensteuersatzes bei Wegfall der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer bei natürlichen Personen verschließen können. Ihr Bestreben ist jedoch offenkundig darauf ausgerichtet, die Steuersätze so festzusetzen, daß die ohnehin schon vorgesehenen Einnahmeausfälle bei der Steuerreform noch vergrößert werden. Wir werden über diese Frage noch ausführlich im Sommer, wenn es um die Reform der Einkommensteuer geht, zu diskutieren haben.Die SPD-Fraktion stellt mit Befriedigung fest, daß nunmehr nach der Reform des Außensteuerrechts und der Grundsteuer auch das Inkrafttreten der reformierten Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer rückwirkend zum 1. Januar 1974 und der Gewerbesteuer zum 1. Januar 1975 gewährleistet ist. Damit
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Offergeldkönnen endlich die Einheitswerte 1964 bei der Vermögensteuer und Erbschaftsteuer angewendet werden. Die Ungleichheit in der steuerlichen Behandlung verschiedener Vermögensarten wird in einem ersten Schritt abgebaut.Die neue Erbschaftsteuer beseitigt zahlreiche Mißbrauchsmöglichkeiten und Mängel des geltenden Rechts, die vor allem bei Groß- und Größtvermögen zu ungerechtfertigten Steuervorteilen führten. Die erheblich höheren Freibeträge der Erbschaftsteuer bewirken, daß weniger Bürger als bisher Erbschaftsteuer zu zahlen haben. All diejenigen, die Greuelmärchen über die Absichten der Sozialdemokraten bei der Erbschaftsteuer verbreitet haben, werden Lügen gestraft.Die neue Gewerbesteuer bringt ab 1. Januar 1975 für die mittleren und kleineren Gewerbebetriebe wesentliche Entlastungen bei der Gewerbeertragsteuer. Etwa 50 °/o aller Gewerbebetriebe werden durch den höheren Freibetrag ab 1975 frei von Gewerbeertragsteuer sein.Mit der endgültigen Verabschiedung dieser Reformgesetze wird die Steuerreform in drei weiteren wichtigen Teilbereichen abgeschlossen. Die Zustimmung zum Vorschlag des Vermittlungsausschusses markiert für die SPD-Fraktion damit einen weiteren wichtigen Schritt zu einem sozial gerechteren und einfacheren Steuersystem.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wagner .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU gebe ich zu dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses folgende Erklärung ab. Die CDU/CSU im Deutschen Bundestag begrüßt es, daß jetzt ein Vorschlag für die Reform der Erbschaft- und der Vermögensteuer vorliegt, dem alle Seiten des Hauses zustimmen können. Meine Fraktion wird zustimmen, weil in dem jetzt vorliegenden Ergebnis die entscheidenden Anliegen, die wir von Anfang an zum Ausdruck gebracht haben, weitgehend berücksichtigt sind.
Zu diesem Ergebnis ist es erst nach einer wechselvollen Auseinandersetzung gekommen. Hierdurch ist eine Verzögerung um mehr als drei Monate eingetreten. Die Koalitionsparteien hätten diese Verzögerung vermeiden können. Wir hätten das jetzt erreichte Ergebnis schon früher haben können. Es ist erst jetzt dazu gekommen, weil SPD und FDP vorher zu einer vernünftigen Verständigung nicht bereit waren. Statt dessen haben zuvor die Bundesregierung und die Regierungsparteien ihr Heil in einem starrköpfigen Festhalten an ihren eigenen Vorstellungen und gleichzeitig in scharfer Polemik gegen die CDU/CSU gesucht. Ich erinnere hier unter anderem an die Rede von Herrn Staatssekretär Porzner, den ich heute hier leider vermisse; ichhoffe, es wird ihm ausgerichtet, was ich hier an seine Adresse sage.
— Das war mir nicht bekannt, Herr Wehner. Dann nehme ich das mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück und wünsche dem Herrn Kollegen Porzner von hier aus alles Gute und gute Genesung.
— Herr Kollege Wehner, weniger Aufregung!
Ich muß dennoch, Herr Kollege Wehner, an die Rede von Herrn Porzner im Dezember hier erinnern, weil diese ein Musterbeispiel für einen Geist und für einen Stil darstellte, mit dem die Gemeinsamkeit in der Steuerpolitik, die auch der Bundeskanzler gewünscht hat, bestimmt nicht erreicht werden kann. Inzwischen sind die Vorwürfe, die man gegen uns erhoben hat, zusammengebrochen. Die CDU/CSU hat die Reform der Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer nicht verhindert, sondern sie hat dafür gesorgt, daß sozial und wirtschaftlich vertretbare Gesetze zustande gekommen sind.
Dies ist ein eindeutiger Erfolg unserer Politik, den wir mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen.Wir haben insbesondere die Erkenntnis durchsetzen können, daß Steuerreform in der gegenwärtigen Lage nicht mit massiven Steuererhöhungen identisch sein darf. Die Vorstellungen der SPD/FDP hätten eine Erhöhung der Erbschaftsteuer um knapp 50 % und ein Jahr später eine Erhöhung der Vermögensteuer um 30 % bedeutet. Dies ist nur durch das Verhalten der CDU/CSU im Bundestag und Bundesrat verhindert worden.Im einzelnen verweise ich auf folgende Punkte. Bei der Erbschaftsteuer werden die Freibeträge für Kinder von 70 000 auf 90 000 DM erhöht. Hierdurch wird insbesondere sichergestellt, was wir wollten, daß nämlich ein Einfamilienhaus in allen Fällen bei der Vererbung auf Kinder von der Erbschaftsteuer verschont bleibt. Es wurde eindeutig festgelegt, daß die Steuersätze und Freibeträge nur für die jetzt eingeführten Einheitswerte gelten, bei neuen Einheitswerten also geändert werden müssen. Die von der CDU/CSU gewünschte Arbeitnehmerstiftung soll Gegenstand eines Entwurfs sein, der im Zusammenhang mit den Vorschlägen für die Vermögensbildung vorgelegt wird. Die Erbersatzsteuer für Familienstiftungen soll erstmals am 1. Januar 1984 anfallen. Dies begrüßen wir insbesondere deshalb, weil diese Verlängerung der Frist zu einer Sicherung der Arbeitsplätze in den Betrieben, die betroffen sind, beiträgt.Bei der Vermögensteuer war für meine Fraktion entscheidend, daß die in das Gesetz ursprünglich eingebaute automatische Erhöhung des Vermögen-
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Dr. Wagner
steuersatzes für Körperschaften von 0,7 auf 1 v. H., die am 1. Januar 1975 eintreten sollte, unterbleibt. Diese Erhöhung sollte nach dem Willen der Koalitionsparteien schon jetzt auf den 1. Januar 1975 fixiert werden, obwohl zur Stunde absolut unklar ist, ob und welche weiteren Teile der Steuerreform zum 1. Januar 1975 in Kraft treten können. Daß wir nach den bisherigen Erfahrungen mit den Steuerreformplänen der Bundesregierung diesen Blankoscheck nicht ausstellen konnten, müßte jedem Denkenden einleuchten. Die jetzt vom Vermittlungsausschuß gefundene Formel wahrt die Freiheit des Gesetzgebers, zu gegebener Zeit neu zu entscheiden; sie findet unsere Zustimmung.Zusammenfassend stelle ich fest:Erstens. Die CDU/CSU hat durch ihr Verhalten bei der Beratung dieser beiden Gesetze bewiesen, daß sie die Steuerreform nicht verhindert, sondern konstruktiv an ihr mitarbeitet.Zweitens. Die CDU/CSU hat gleichzeitig klargestellt, daß sie keinen Lösungen zustimmt, die von den Regierungsparteien einseitig und ohne Abstimmung mit der Opposition diktiert werden.Drittens. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist — ich möchte sagen: Gott sei Dank — die Verabschiedung von Steuerreformgesetzen gegen die CDU/CSU nicht möglich.
Es ist zu wünschen, daß die Bundesregierung und die Regierungsparteien aus diesen drei Erkenntnissen für die weitere steuerpolitische Arbeit Konsequenzen ziehen. Bisher sieht es leider nicht so aus, als ob sie hierzu bereit wären. Noch haben die Regierungsparteien, wie mir scheint, sich nicht mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß die Steuerreform nur als Gemeinschaftswerk oder überhaupt nicht zustande kommen wird. Es ist zu wünschen, daß die Verkrampfung und Verhärtung bei den Regierungsparteien sich löst und besserer Einsicht Platz macht.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP-Fraktion begrüßt es, daß nunmehr der Weg endlich frei ist für einen
wichtigen Abschnitt der Steuerreform, und zwar ohne die von der Opposition angestrebte Form unvollständiger Vorschaltgesetze. Die FDP-Fraktion stimmt dem Vermittlungsergebnis zu.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Sie soll nach dem Beschluß des Vermittlungsausschusses gemeinsam vorgenommen werden. Ich lasse also über den Antrag gemäß Drucksache 7/1799 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Der Antrag des Vermittlungsausschusses ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kehren zurück zu Punkt 5 der Tagesordnung: Agrarbericht 1974. Das Wort hat der Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte eigentlich noch etwas ausführlicher auf die Ausführungen des Kollegen Gallus eingehen, aber alles in allem, glaube ich, lohnt es sich nicht, auf das einzugehen, was er hier gesagt hat.
Ich möchte zunächst einmal ein Wort zu den Ausführungen von Herrn Saxowski sagen. Herr Saxowski, Sie haben die Entscheidung des Bundeskabinetts herausgestellt, die gestern getroffen worden ist, nun endlich den Kutterfischern wie auch den bedrängten Gartenbauern eine Hilfe zukommen zu lassen. Ich möchte Ihnen im Namen meiner Fraktion dazu sagen: Auch wir begrüßen es sehr, daß endlich eine Entscheidung getroffen worden ist. Wir vermögen im einzelnen noch nicht zu übersehen — das müßte erst nachgeprüft werden —, ob die Hilfsmaßnahmen, die in Aussicht gestellt worden sind, ausreichend sein werden. Aber wir sind froh, daß sich das Kabinett nach langen Wochen und Monaten überhaupt zu einer Entscheidung durchgerungen hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte an die Bundesregierung appellieren, daß sie nun aber auch einen Weg findet, so schnell und so unbürokratisch wie möglich den betroffenen Kreisen zu helfen, damit nicht noch weitere Existenzen gefährdet werden.
Ich möchte in dieser Situation vor allem eines herausstellen. Wir können es in unserer Fraktion nicht verstehen, daß die Bundesregierung Wochen und bei den Gärtnern sogar Monate gebraucht hat, um endlich zu einem Beschluß zu kommen. Man wird doch den Eindruck nicht los, daß die Bundesregierung erst dann bereit ist, etwas zu tun, wenn sie massiv unter Druck gesetzt wird. Mußte es denn erst zu einer solchen Demonstration in Bad Godesberg kommen? Mußte es erst so weit kommen, daß sämtliche Kutterfischer ihre Tätigkeit einstellen? Meine Damen und Herren, ein solcher Regierungsstil provoziert doch geradezu in Zukunft andere Gruppen, ihre Forderungen nur noch mit Druck und Kampfmaßnahmen durchzusetzen. Ob das dann immer Forderungen sein werden, die so berechtigt sind, wie das bei diesen Kreisen der Fall ist, vermag ich nicht zu übersehen.
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5548 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Bitte sehr!
Herr Schröder, ist Ihnen nicht klar und nicht bewußt, daß Sie die Unwahrheit sagen? Der erste Beschluß zur ersten Hilfe ist Mitte Dezember vergangenen Jahres gefaßt worden. Gestern sind zusätzliche Mittel in Höhe von 23 Millionen DM beschlossen worden.
Herr Kollege Schmidt , ich muß Ihnen dazu sagen, daß insbesondere bei den Kutterfischern die Forderungen schon sehr lange laufen und sie von Mal zu Mal und von Woche zu Woche vertröstet worden sind, bis endlich eine Entscheidung getroffen worden ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu meinem eigentlichen Thema kommen, zum Agrarbericht. Ich möchte mich, gerade weil der Kollege Saxowski einen so wunderschönen Schlußsatz geprägt hat, daß die SPD Politik für die Menschen betreibe und sie erfreulicherweise die Bauern dazurechnet, mit einem Kreis von Landwirten beschäftigen, der in seiner wirtschaftlichen Entwicklung leider schon seit Jahrzehnten immer am Ende der Einkommensskala gelegen hat, nämlich mit den Futterbaubetrieben. Herr Kollege Kiechle hat dazu schon einige Ausführungen gemacht. Ich will darum versuchen, das so kurz wie möglich zu machen. Der Agrarbericht gibt ein durchschnittliches Einkommen je Familienarbeitskraft in Höhe von 18 336 DM an. Diese Zahl klingt im ersten Moment ganz gut. Das hat vielleicht Herrn Nölling veranlaßt, den heute morgen zitierten Kommentar dazu zu geben. Ich muß hier aber doch etwas korrigieren. Wir alle wissen — die Kollegen haben schon darauf hingewiesen —, daß die gut 18 000 DM doch nicht für den Privatverbrauch des Bauern zur Verfügung stehen, sondern davon günstigstenfalls etwa 10 000 DM. Meine Damen und Herren, 10 000 DM als real verfügbares Einkommen für eine Arbeitszeit von 60 Stunden in der Woche, und das 52 Wochen lang im Jahr, ist doch wohl weiß Gott kein hohes Einkommen. Dann von einer privilegierten Schicht zu sprechen, meine Damen und Herren, ist doch wohl absurd.
Das einzige Privileg, das diese Bauern gehabt haben, war, daß sie bisher stets am Ende der Einkommensskala gestanden haben. Auf dieses Privileg werden die Grünlandbauern gern zu verzichten bereit sein.Nun ein Wort zur Einkommensvorausschau! Von dem Kollegen Ronneburger und verschiedenen anderen wurde so ungefähr der Versuch unternommen zu behaupten, wir wollten die Landwirte verunsichern, da ist nicht unsere Absicht. Die Bundesregierung rechnet mit einer Einkommensverbesserung von 6 % bis 10 N. Diese Zahlen können gar nicht mehr stimmen. Ich darf das an sachlich und wirklich belegbaren Zahlen der Landwirtschaftskammer Weser-Ems beweisen. Unsere Experten rechnen dort nicht mit einem Wachstum von 6 % bis 10 %, sondern im Durchschnitt aller Betriebe günstigstenfalls von 3,5 %. Entscheidend ist aber — das hat Minister Ertl in gewisser Weise bestätigt —, daß man bei den Futterbaubetrieben davon ausgehen muß, daß sie wahrscheinlich sogar eine Einkommensminderung in Höhe von 3,3 % haben werden. Aber selbst wenn sich eine Verbesserung um 3,5 % für den Durchschnitt der Betriebe ergäbe, würde das bedeuten, daß dort, gemessen an der Inflationsrate, eine echte Stagnation einträte, und nicht nur das: gemessen an den Inflationsraten würde das bedeuten, daß wir real sogar eine Einkommensminderung hinnehmen müßten.Nun, meine Damen und Herren, weshalb sagen wir das? Wir sagen das nicht, um in Pessimismus zu machen, sondern weil in der nächsten Woche die Preisverhandlungen in Brüssel anstehen. Ich meine, es ist richtig, daß wir unserem Minister vorher sagen, was wir für notwendig halten, damit es nicht noch einmal zu Druck- und Kampfmaßnahmen der deutschen Landwirtschaft kommen muß.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber noch ein Wort zur Einkommensentwicklung und zu den Ursachen sagen, die dazu geführt haben, daß das Einkommen in den Grönlandbetrieben rückläufig ist. Das ist nicht nur eine Frage der explosionsartig gestiegenen Kosten, sondern das ist auch eine Frage der Rinderpreise, und darauf, Herr Minister, muß ich Sie jetzt einmal ansprechen.Wir haben im vorigen Frühjahr feststellen müssen, daß die Preise für Rindfleisch drastisch herabgesetzt wurden. Nun wollen wir Ihnen sicherlich nicht die Schuld dafür in die Schuhe schieben, daß die Italiener abgewertet haben und damit der süddeutsche Markt, jedenfalls der Export von Tieren aus Süddeutschland nach Italien, zum Erliegen kam. Aber, Herr Minister, zu dem Zeitpunkt hätten Sie doch erkennen müssen, daß das Angebot in der Bundesrepublik größer wurde und daß es zu dem Zeitpunkt angemessen gewesen wäre, die sogenannte Mangelverordnung aufzuheben.
Wir wissen aber auf Grund von Meldungen, die wir durch „agrar-europe" und andere Informationsdienste bekommen, daß gerade Sie es gewesen sind, der dem Wunsch seines französischen Kollegen nicht nachgegeben hat, diese Mangelverordnung zum 30. Juni, d. h. also vorzeitig, aufzuheben, sondern Sie haben bewußt gefordert, sie bis zum 15. September beizubehalten. Ich will Ihnen dabei keine böse Absicht unterstellen, Herr Minister. Aber Sie haben damals — so habe ich es jedenfalls in Erinnerung — in einer Sendung gesagt: „Wir können andere Maßnahmen nicht eher einleiten, als bis die Ladenpreise heruntergegangen sind." Was haben Sie nun erreicht? Die Ladenpreise sind nicht heruntergegan-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5549
Schröder
gen, aber den Schaden haben die deutschen Bauern davongetragen.
Die Kostenseite will ich nicht noch einmal beleuchten; die Kollegen haben das alles schon sehr deutlich gesagt. Wir müssen befürchten, daß die Grönlandbetriebe, wenn es nicht zu drastischen Preisanhebungen in Brüssel kommt, in ihrer Entwicklung noch weiter absacken werden, als es bisher schon der Fall gewesen ist.Darum meine ich — hier stimmen Sie ja in gewisser Weise sogar mit mir überein —: die Preisvorschläge von Brüssel sind völlig indiskutabel; denn 4 O/0 wären etwa 1,6 Pf pro Liter Milch. Alle Experten sagen uns heute schon, allein die Verarbeitungskosten seien derartig gestiegen, daß von den 1,6 Pf für den Bauern frei Hof allenfalls 1/2 Pf übrigbleibe. Also muß die Preisforderung eindeutig darüber liegen. Herr Ronneburger hat heute davon gesprochen, daß 7 °'o Preisanstieg notwendig seien. Ich fürchte, daß auch das bei der jetzigen Kostenexplosion nicht mehr ausreichen wird, um die Einnahmeverluste bei den Grünlandbetrieben auszugleichen. Ich will mich aber hier gar nicht auf eine Zahl festlegen. Ich möchte mich in dieser Hinsicht lieber an das halten, was der Deutsche Bauernverband in dieser Richtung gesagt hat.Nun, meine Damen und Herren, der eine oder andere wird natürlich sagen: Wie kann man sich heute hinstellen und gerade auf dem Milchsektor noch höhere Preise fordern? Sicherlich sind ein Butterberg und ein Magermilchpulverberg, von dem zeitweilig auch schon gesprochen wurde, Gefahren, die wieder auf uns zukommen können; wir wollen das nicht leugnen. Das Problem der Betriebe, von denen ich hier spreche, besteht aber doch darin, daß diese Betriebe einfach keine Einkommensalternativen haben. Sie sind zum Melken verurteilt. Alle Versuche, ihnen anzuraten, auf die Fleischerzeugung umzustellen, sind eindeutig gescheitert. Wir haben wissenschaftliche Versuche in der Grünlandlehranstalt Infeld, also in der Wesermarsch, anstellen lassen. An Hand von Buchführungsergebnissen konnte nachgewiesen werden, daß selbst Betriebe mit über 50 ha Grünland und mit besten Weiden sogar in dem sonst sehr günstigen Wirtschaftsjahr 1972/73 Vermögensverluste haben hinnehmen müssen, weil dieser Produktionszweig, d. h. die Rindfleischproduktion allein, in diesen Betrieben nicht funktioniert. Darum, so meine ich, gibt es keine andere Möglichkeit, als das Einkommen vor allen Dingen über einen hohen Milchpreis zu sichern. Die Überschußprobleme, die damit zwangsläufig wieder auftauchen werden, müssen auf andere Art und Weise gelöst werden.
— Ich komme darauf zu sprechen, Herr Kollege.Ich bedaure zunächst einmal, daß die Abschlachtungsprämie, die vor einigen Jahren eingeführt wurde, aufgehoben worden ist. Ich kenne die Hintergründe, warum man es damals gemacht hat. Man fürchtete, daß wir in eine Rindfleischmangelsituation hineinkämen. Im vorigen Jahr hat es eine solche Situation ja auch gegeben, aber sie war mehr durch die Erscheinungen auf dem Weltmarkt als durch die innerdeutsche oder die europäische Produktion ausgelöst. Ich habe in die Statistiken und Vorausschauen, die uns in den letzten Jahren in dieser Hinsicht gegeben worden sind, kein allzugroßes Vertrauen mehr, denn alle Marktprognosen und -vorausschauen für dieses Jahr haben sich — das wissen Sie selbst — nicht bewahrheitet. Deshalb, so meine ich, sollte man für die Zukunft auch die Abschlachtungsprämie wieder in die Diskussion einbeziehen.Ich halte auch die sogenannte Umstellungsprämie für ein vernünftiges Programm. Diese Prämie soll Betrieben gezahlt werden, die bereit sind, die Milcherzeugung aufzugeben und statt dessen in die Rindfleischerzeugung einzusteigen. Ich möchte allerdings klarstellen, daß dies nur bei Betrieben funktioniert, die ihre Haupteinnahmequelle in anderen Bereichen haben, etwa in der Ackerwirtschaft. Ich möchte hier aber auch die Nebenerwerbsbetriebe einbeziehen, bei denen das Haupteinkommen aus einem gewerblichen Arbeitsplatz gesichert ist. Ich habe zunächst Bedenken gegen dieses Programm gehabt. Das möchte ich hier in aller Offenheit sagen. Ich entnehme aber dem Marktbericht der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen die Meldung, daß bereits in den ersten sechs Wochen dieses Jahres 838 Landwirte in Niedersachsen einen entsprechenden Antrag gestellt haben; danach würden 12 750 Milchkühe aus der Produktion ausscheiden. Dies macht, glaube ich, deutlich, daß diese Maßnahme zu einem echten Erfolg führen kann. Herr Minister, insoweit begrüße ich diese Maßnahme.Was ich allerdings nicht verstehen kann, ist die Tatsache, daß man diese Maßnahme von einigen Ausnahmen abgesehen — auf Betriebe begrenzt hat, die mindestens elf Kühe haben. Dies ist mir allein schon aus sozialen Erwägungen unverständlich. Sind die Bauern, die weniger als elf Kühe haben, denn schlechter als die, die mehr haben? Ich verstehe die Motive nicht recht. Herr Minister, vielleicht können Sie uns dazu etwas sagen.
Vielleicht glauben die Erfinder dieses Programms, daß eine Einbeziehung kleinerer Betriebe nicht wirkungsvoll genug ist. Wir wissen doch aber, daß auch heute noch fast 50 % aller Milchkühe in Betrieben stehen, die weniger als zehn Kühe haben. Es wäre also durchaus sinnvoll, diese Betriebe mit einzubeziehen. Ich meine, man sollte vor allen Dingen auch die Betriebe mit einbeziehen, die heute schon den überwiegenden Teil ihres Einkommens außerhalb der Landwirtschaft erzielen. Es wäre eine echte Alternative, diese Nebenerwerbsbetriebe aus der Intensivproduktion heraus- und in die Extensivproduktion hineinzuführen. Ich glaube, das wäre in jeder Hinsicht sinnvoll. Das wäre auch für die Familien sinnvoll, damit die Frauen nicht mehr so viel arbeiten müssen. Vor allen Dingen wäre es auch vom Markt her eine absolut richtige Entscheidung.
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5550 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Schröder
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß die Zeit schon so weit fortgerückt ist, daß ich meine Ausführungen gar nicht in dem Umfang zu Ende bringen kann, wie ich es vorhatte. Nach all dem, was hier heute gesagt worden ist, ist es, so glaube ich, wohl auch nicht mehr notwendig, noch einmal ein eindeutiges Bekenntnis zum Nebenerwerbsbetrieb abzulegen. Herr Gallus, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß mehr und mehr Betriebe den Nebenerwerb als erstrebenswertes Ziel ansehen. Unter diesem Gesichtspunkt -- dies ist eine Kritik, die ich dem Minister schon vor vier Jahren entgegengehalten habe — halte ich die strukturpolitischen Maßnahmen, die bisher getroffen worden sind, nicht für ausreichend. Als man damals das einzelbetriebliche Förderungsprogramm, das für einen Teil der Betriebe sicherlich greift, verabschiedete, hätte man in Ergänzung sofort auch ein Programm für die Nebenerwerbsbetriebe starten müssen, um echte Alternativen für die Landwirte aufzuzeigen.Ich möchte dies auch noch an Hand der Tendenz, die in der Höfeordnung liegt, belegen. Ich will dieses Thema nur noch mit einem Satz streifen. Wenn dieses Gesetz in dieser Form verabschiedet wird, dann erklären Sie z. B. im Emsland 80 % aller Betriebe für nicht mehr entwicklungsfähig. Wenn man das tut, Herr Minister, dann muß man aber auch gleichzeitig sagen, was mit diesen Betrieben dann geschehen soll. Ich meine, da ist bislang ein ausreichendes Angebot an Entwicklungsmöglichkeiten nicht gegeben.Ich möchte damit schließen, daß ich Ihnen sage,Herr Minister: Im Bereich der Agrarstrukturpolitik muß noch manches aufgeholt werden. Wir erleben ja jetzt, daß ein Minister dieses Kabinetts sich selbst Zensuren zulegt; ich meine Herrn Bahr. Im agrarstrukturellen Bereich ist noch manches mangelhaft, weil unvollständig. Ich möchte Ihnen sagen: Wenn Sie für Ihre gesamte Agrarpolitik nicht eines Tages die Note „mangelhaft" bekommen wollen, dann müssen Sie in Brüssel sehr, sehr hart werden und für die deutschen Bauern kämpfen und sollten nicht in erster Linie ein liebenswürdiger Ratsvorsitzender sein.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Büchler .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, auf ein paar Aspekte der Agrarpolitik hinweisen und einige Feststellungen treffen. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie wissen es natürlich: Seit diese sozialliberale Koalition besteht, ist die Agrarpolitik auf eine neue Basis gestellt worden. Die Agrarpolitik hängt nicht mehr wie zu Ihrer Zeit in einem freischwebenden Zustand. Dies ist die grundlegende Tatsache. Sie ist jetzt in ein Gesamtkonzept eingebunden. Die Wechselwirkungen dieses Gesamtkonzepts wurden Ihnen heute vormittag von den Rednern der Koalition deutlich aufgezeigt.
Diesem Konzept — ich komme darauf zurück — der integrierten Agrarpolitik, das einfach heißt: Integration in die Wirtschaftspolitik, in die Sozialpolitik, ja, in die gesamte Gesellschaftspolitik, haben Sie im Grunde keine Alternative entgegenzusetzen. Dies ist auch eine Feststellung, die hier gemacht werden muß. Es bleibt Ihnen also nichts anderes übrig, als zu kritisieren und schwarz in schwarz zu malen. Dies wiederholen Sie Jahr für Jahr, immer das gleiche Spiel. Und Jahr für Jahr werden Sie widerlegt, wie es auch dieses Jahr wieder geschehen mußte. Aber es wäre auch ganz vorteilhaft — das möchte ich hier betonen —, wenn die Opposition neben dem Kritisieren, das Sie sicher tun müssen, auch einige Alternativen in die Agrarpolitik einbringen würde. Wir von den Koalitionsfraktionen wären gern bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Nur, diese Alternativen müssen wir auch wirklich sehen können.Herr Kiechle hat hier betriebswirtschaftliche Berechnungen angestellt, die es wert wären, in einem betriebswirtschaftlichen Seminar behandelt zu werden. So problematisch die Einkommensberechnungen der Landwirtschaft für den Außenstehenden sind — darüber sind wir uns doch klar —, so darf doch der Erfolg nicht verwischt werden. Auch dies muß deutlich gesagt werden. Minister Ertl hat doch die damit zusammenhängenden Probleme dieser Einkommensberechnung deutlich angesprochen. Sie dürfen auch nicht vergessen, Herr Dr. Ritz und Herr Kiechle, daß das Aktivkapital pro AK von 1968/69 mit 91 164 DM auf 136 577 DM im Berichtszeitraum angestiegen ist. Das muß man doch auch bei dieser gesamten Diskussion berücksichtigen.
— Es besteht überhaupt keine Veranlassung, Herr Kiechle, von einem Eissturm zu sprechen. Das muß auch deutlich gesagt werden.Aber der Leidensweg der CDU/CSU in der Agrarpolitik ist ja bekannt.
— Herr Dr. Ritz, ich werde es Ihnen jetzt vorhalten. Es hat sehr lange gedauert, bis Sie mit dem Hektarschieben aufgehört haben, vor allem im süddeutschen Raum.
— Ich werde Ihnen das jetzt erläutern; natürlich bleibe ich Ihnen das nicht schuldig. Was verstehe ich darunter? Politiker Ihrer Couleur sind in den vergangenen Jahren durch die Lande gezogen und haben in regelmäßigen Abständen den sogenannten Familienbetrieb mit einer immer höheren Hektarzahl angesetzt. Das war doch dieses Spiel in der Agrarpolitik. Unter anderem sind Sie dadurch in der Agrarpolitik bei den Bauern unglaubwürdig geworden; das wissen Sie ganz genau.
Von Ihrem Verhalten in der Agrarsozialpolitik in den früheren Jahren brauche ich hier wohl überhaupt nicht zu sprechen. Vielleicht kommt mein Kollege Schonhofen noch darauf zurück.
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Büchler
Nur mit Ihren Aussagen über die Familienbetriebe — auch dies muß deutlich gesagt werden — haben Sie viele Hoffnungen geweckt, die dann nicht gehalten werden konnten und immer, aber auch immer zu Lasten der Betroffenen gegangen sind. Auch dies muß herausgestellt werden. Heute ist das anders; ich darf das betonen.
Es gibt keine leeren Versprechungen mehr; das ist eine Tatsache.
Wir arbeiten mit konkreten Programmen.
Dies darf und kann nicht bestritten werden. Sicher sagen viele draußen, also nicht nur Sie hier, die Förderungsschwelle im einzelbetrieblichen Investitionsförderungsprogramm sei zu hoch. Aber was nützt es dem einzelnen Landwirt, wenn er viel investiert, sich hoch verschuldet und doch nicht zu einem halbwegs vergleichbaren Einkommen gelangt. Mehr noch: Die Nichtbeachtung der wirtschaftlichen, Möglichkeiten führt unweigerlich dazu, daß die gesamte Familie letzten Endes darunter leiden muß. Die Förderungsschwelle kann deshalb nur in bestimmtem Umfang flexibel gestaltet werden; sonst hätten wir wieder eine ähnliche Situation wie beim „Hektarschieben", und ich glaube, dies muß auch einmal erkannt und zur Kenntnis genommen werden.Deshalb muß man auch klar sagen, daß unsere heutige Förderung der Landwirtschaft, die aus vielfachen Gründen notwendig ist und sich wohltuend von manchen anderen Subventionen unterscheidet, realistisch ist und wirklich dem bäuerlichen Berufsstand hilft und nicht verführt; das ist nämlich die Grunderkenntnis daraus.Die Bundesregierung hat selbstverständlich erkannt, daß der nebenberuflichen Landbewirtschaftung in vielfacher Hinsicht eine besondere Bedeutung zukommt. Sie stellt im Agrarbericht fest, daß bis zum Jahr 1980, also in sechs Jahren, der prozentuale Anteil der nebenberuflich bewirtschafteten Betriebe mit steigenden Tendenzen die 50 %-Marke, gemessen an der Gesamtzahl der Betriebe, übersteigen wird. Sie werden von dieser Regierung nicht als Stiefkind behandelt, sondern mit Ausnahme der einzelbetrieblichen Investitionsförderung in alle Förderungsmaßnahmen voll einbezogen. Die Gründe dieser Ausnahme sind wohl einleuchtend. Ich verweise auf das, was ich zur Förderungsschwelle gesagt habe.Ohne Zweifel erfüllt diese Landwirtschaft im Nebenberuf wichtige Funktionen, so z. B. erstens Ausgleich und Sicherung im Rahmen des Strukturwandels nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für außerlandwirtschaftliche Wirtschaftsbereiche im ländlichen Raum, zweitens Schutz und Erhaltung der Kulturlandschaft, drittens Breitenstreuung des Eigentums im ländlichen Raum und viertens in der überbetrieblichen Organisation der Landwirtschaft, die noch sehr verbesserungswürdig ist. Aber wir müssen über diesen Betriebstyp noch mehr nachdenken, als das bis heute geschehen ist. Das gilt natürlich auch gerade für die bayerische Agrarpolitik.Vor allem müssen wir über eine Betriebsorganisation nachdenken, damit diese Art der Landbewirtschaftung nicht zu Lasten der Frau oder anderer Familienangehöriger geht. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir verhindern können — das geht sicher nur durch eine entsprechende Beratung —, daß das Geld, das außerlandwirtschaftlich verdient wird, zu unrentablen Investitionen im Betrieb eingesetzt wird. Noch mehr müssen wir darüber nachdenken und Untersuchungen anstellen, wie die Entwicklung beim Generationswechsel in Zukunft vonstatten gehen wird; denn hier könnten wir agrarpolitisch natürlich ganz große Fehler machen.Das sind nur ein paar Stichpunkte, die ich in der Kürze der Zeit anführen möchte. Ich habe eingangs von der integrierten Agrarpolitik gesprochen. Es wäre wirklich reizvoll, dies einmal voll auszuschöpfen und auf einzelne Punkte näher einzugehen, die ganze Palette unserer Reformpolitik und ihre Bedeutung für die Landwirtschaft hier aufzuzeigen. Dies würde erst richtig verdeutlichen, meine Herren von der Opposition, was diese Regierung für die Landwirtschaft alles getan hat.
Eines möchte ich aber noch herausgreifen: Die Zahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft hat in den letzten zehn Jahren um 1,27 Millionen abgenommen.
Dies ist ohne Zweifel ein enormer Prozeß; diesen Prozeß hatten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in Ihrer Regierungszeit überhaupt nicht im Griff.
— So ist das. — Die vom Strukturwandel Betroffenen wurden einfach ihrem Schicksal überlassen; das war doch die Tatsache.
Ich komme jetzt nicht auf die Sozialpolitik, die sicher eine wichtige Funktion in dieser Palette darstellt, sondern möchte ein paar Worte zur regionalen Wirtschaftsförderung, zur Strukturpolitik sagen. Seit 1969 sind in der regionalen Wirtschaftsförderung mehr ais 400 000 Arbeitsplätze neu geschaffen bzw. abgesichert worden. Die regionale Wirtschaftsförderung hat damit ihren Auftrag auch für die Landwirtschaft voll erfüllt. Darüber, wie wir das Instrumentarium verbessern können, haben wir sicher noch nachzudenken. Daß der Strukturwandel in der Landwirtschaft ohne wesentliche wirtschaftliche und soziale Härten ablaufen konnte, war dank dieser konsequenten Strukturpolitik möglich.Darüber hinaus hat diese Regierung ein Hauptgewicht ihrer Förderung im ländlichen Raum auf die
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Büchler
Verbesserung der gesamten Infrastruktur gelegt. Sie wissen, daß wir die Gewichte hier entscheidend verlagert haben. Damit wurde das Leben im ländlichen Raum lebenswerter gestaltet. Dies ist doch auch eine Tatsache, die heute festgestellt werden kann.
— Kommen Sie bloß nicht so! Vielleicht sind Sie nicht auf dem Bauernhof aufgewachsen, ich schon. — Ich erinnere mich noch an die Diskussion über das sogenannte Schwerpunktprinzip. Als Sie damals in den Diskussionen auf diesen 20 000 Einwohnern im Einzugsbereich eines Schwerpunktortes herumgeritten sind — was waren das für harte Diskussionen!
— Natürlich, ich habe sehr viele führen müssen. — Heute ist diese Diskussion verschwunden, weil auch Sie einsehen mußten, daß ohne eine bestimmte Konzentration der Bevölkerung und der Förderungsmaßnahmen im ländlichen Raum die Lawine der Abwanderung und die damit verbundene Aufblähung und Überfüllung unserer Ballungsräume nicht zu stoppen sind.Ich brauche in diesem Zusammenhang auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der großen Zusammenballungen hier nicht näher einzugehen.
— Ich bin gleich zu Ende.
Konsequent, wie diese Bundesregierung arbeitet, hat sie deshalb auch für die Raumordnung Vorschläge erarbeitet, die eindeutig dahin zielen, daß für alle Teilräume des Bundesgebietes gleichwertige Lebensbedingungen geschaffen werden.
— Moment! — Wir werden sicher noch viel über die Instrumente, die dieses ermöglichen sollen, diskutieren. Ich darf Sie schon heute auffordern, dies ohne Scheuklappen zu tun.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz?
Nein, ich komme gleich zum Ende.
Wenn wir unser Ziel erreichen wollen, den Menschen im ländlichen Raum wirklich zu helfen und die Verödung unser schwachstrukturierten Räume zu verhindern, werden wir sicher nicht nur mit den herkömmlichen Instrumenten arbeiten können, sondern zu neuen Instrumenten greifen müssen.
In dem neuen Bundesraumordnungsprogramm sind viele Aspekte enthalten, die der Landwirtschaft und der Bevölkerung im ländlichen Raum helfen werden. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition — um das abschließend zu sagen —, sind aufgefordert, konstruktiv mitzuarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kunz.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die heutige Agrardebatte müßte ihren Sinn verfehlen, würde nicht ein Wort zur Situation der Landwirtschaft in den benachteiligten Gebieten gesagt werden. Ihr Anteil ist erheblich und beträgt in der Bundesrepublik etwa 22 %, in einzelnen Bundesländern bis zu 40 %. Für dieses Gebiet hat sich das von Ihnen, Herr Minister, konzipierte einzelbetriebliche Förderungsprogramm im Gegensatz zu Ihrer heute früh getroffenen Feststellung nicht bewährt, sondern es wirkt sich für diesen Raum verheerend aus.Das will ich am Beispiel des Großlandkreises Neustadt erläutern, den ich für durchaus repräsentativ für benachteiligte Gebiete halte. Nach den vom Ihrem Haus erlassenen Richtlinien ist nur derjenige landwirtschaftliche Betrieb förderungswürdig, der für seine Arbeitskräfte ein Einkommen erreicht, das dem außerlandwirtschaftlicher Einkommen vergleichbar ist, d. h. das sich anpaßt an die inflationsbedingte Einkommensentwicklung. Bei zurückgehenden oder stagnierenden realen Agrarpreisen geht das nicht ohne eine laufende Mehrproduktion.Für 1973 bedeutete diese erforderliche Einkommenssteigerung von etwa 1 400 DM, daß ein Milchbetrieb rein rechnerisch jährlich eineinhalb Milchkühe mehr halten mußte. Das bedeutete auch, daß ein Ferkelerzeugerbetrieb 2,6 Zuchtsauen, ein Mastbetrieb 40 Mastschweine mehr halten mußte. Das muß man sich einmal praktisch vorstellen; das erfordert Investitionen in einer Größenordnung von 10 000 bis 15 000 DM, Jahr für Jahr — und das nur, um den Anschluß nicht zu verpassen.Diese Zahlen galten für 1973. Heute sind sie längst überholt. Je schneller das außerlandwirtschaftliche Einkommen steigt und je geringer die Gewinnspanne ist, desto größer muß die jährliche Produktionssteigerung werden. Die Folge ist, daß unter den wenig günstigen Bedingungen der benachteiligten Gebiete, seit Sie, Herr Minister Ertl, für die Agrarpolitik verantwortlich sind, die Zahlen der genehmigten Betriebsentwicklungspläne drastisch auf jährlich nur noch 0,7 % aller bisher hauptberuflich bewirtschafteten Betriebe in diesem Raum zurückgefallen ist. Das heißt, daß von über 1 500 Betrieben des Landkreises Neustadt mit über 15 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche in den letzten drei Jahren nach diesen Richtlinien nur noch zehn Vollerwerbsbetriebe jährlich gefördert werden konnten, und zwar im intensiven Bereich.Das bedeutet, daß 1973 zahlenmäßig nur noch ein Zehntel der Fälle gefördert wurde, deren Förderung 1968 noch möglich war. Wenn Herr Logemann in
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Dr. Kunz
den Informationen Ihres Hauses vom 11. März die Zahl der Betriebe, welche die Förderungsschwelle erreichen können, mit 60 bis 78 % aller Betriebe über 10 ha angibt, ist das ein Beispiel dafür, wie aus Zweckoptimismus Irreführung wird.
Können Sie mir sagen, Herr Minister, wie diese Betriebe bei stagnierenden Erlösen und stark steigenden Kasten jetzt überhaupt noch Eigenkapital bilden können? Bisher schnallten viele bäuerliche Familien ihre Gürtel enger und arbeiteten länger als die übrige Bevölkerung, im Durchschnitt — das wurde heute schon einmal angeführt — 60 Stunden in der Woche. Nach Untersuchungen von Professor Heidhues und Tangermann führte in der Bundesrepublik ein Preisanstieg bei den Lebenshaltungskosten von 1 % zu einem Rückgang des landwirtschaftlichen Einkommens um 1,6 %. Von dieser Konsequenz werden die Betriebe im benachteiligten Gebiet überproportional stark betroffen. Das zeigen die bisherigen Betriebsentwicklungspläne aus diesem Raum deutlich.War eine ausreichende Eigenkapitalbildung bisher schon schwierig, so ist sie jetzt, nach den Ereignissen der letzten Monate, praktisch ausgeschlossen. Das heißt, es ist zu erwarten, daß schon in einigen Jahren selbst die wenigen, heute noch geförderten Betriebe keinerlei Aussicht mehr haben, weitermachen zu können. Es wird dann in diesen Räumen keine Vollerwerbsbetriebe mehr geben.Mit diesem Ihrem Programm, Herr Minister, schicken Sie demnach die hier geförderten Landwirte in einen Wettlauf, der im Grunde genommen, trotz aller Anstrengungen, völlig aussichtslos, ja heute bereits verloren ist. An seinem Ende steht nicht nur die Aufgabe des Hofes, sondern in den meisten Fällen der Verlust eines Großteils des unter härtesten Bedingungen erarbeiteten bescheidenen Vermögens.Aus diesem Dilemma können nur die Rückgewinnung der Stabilität und eine ausgewogene Strukturpolitik führen, in der die Vollerwerbsbetriebe, die Zu- und die Nebenerwerbsbetriebe einen Platz haben, bei der auch in den landwirtschaftlich schwierigen Räumen das Kulturland im wesentlichen bewirtschaftet bleibt und in dem, wenn schon nicht aus betriebswirtschaftlichen, so doch wenigstens aus landeskulturellen Gründen ein Netz von Vollerwerbsbetrieben das Rückgrat der Landbewirtschaftung darstellt. Selbst wenn die ökonomischen Fakten eine solche Entscheidung nicht gerade unterstützen, muß politische Vernunft einen Ausweg suchen. Aber diese Möglichkeit haben Sie, wie mir scheint, mit der allzu frühen und allzu bereitwilligen Kompetenzabtretung der Strukturpolitik an die EG leichtfertig verschenkt.Wie glaubwürdig ist das Ziel dieser Regierung, die Voraussetzungen für außerlandwirtschaftliche Einkommen in zumutbarer Entfernung vom Wohnort zu schaffen, wenn in ihrer Wirtschaftspolitik Ballungsräume und Schwerpunktorte den Vorzug verdienen? Oder zählen Sie sich in diesem Falle nicht zu dieser Regierung, Herr Minister? Es wäre nicht das erste Mal, daß das Kabinett etwas beschließt und Sie draußen, wo man die Kabinettsbeschlüsse nicht kennt, treuherzig versichern: „Ich bin nicht dafür gewesen." Wie gehabt!Welcher Gewerbe- und Industriebetrieb wird überhaupt noch bereit sein, in diese marktfernen ländlichen Räume zu gehen, wenn z. B. in zentraleuropäischer Lage des Ruhrgebiets die gleichen oder fast die gleichen Förderungssätze gelten wie in benachteiligten Gebieten? Wie sollen Unternehmer bereit sein, in das benachteiligte und marktferne Zonenrandgebiet zu gehen, wenn diese Bundesregierung Eisenbahnstrecken stillegt, die Mittel für die Bundesfernstraßen gleichzeitig kürzt und die Mineralölsteuer innerhalb von 16 Monaten gleich zweimal einschließlich Mehrwertsteuer um 10 Pf erhöht?
Das geht in erster Linie zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit dieser Räume.Wie glaubwürdig ist die Bundesregierung in ihrer Aussage, die ländlichen Räume zu fördern, wenn die Bundesbahn sich aus der Flächenbedienung zurückzieht und diese den in der Regel teureren privaten Spediteuren überträgt, wenn sie in ihrer Frachttarifpolitik den dünner besiedelten Räumen eindeutig Nachteile gegenüber den Ballungszentren zumutet? Wie verträgt sich Ihr agrarpolitisches Ziel, die Lebensverhältnisse im ländlichen Raum zu verbessern, mit dem Vorhaben Ihres Kabinettskollegen Ehmke, den Zeitungs- und Zeitschriftenversand drastisch einzuschränken und damit wesentliche Bildungsmöglichkeiten des ländlichen Raumes zu unterbinden?Was ist von einer Regierung zuhalten, die vorgibt, die Arbeitsplätze sicherer machen zu wollen, und dann wie im Textilbereich, der gerade in strukturschwachen Räumen eine besondere Bedeutung hat, die Kontingentierung aus den Billigstpreisländern aufhebt und die einsetzende Krise und die nachfolgende Arbeitslosigkeit auf Strukturmängel zurückführt?
Wie glaubwürdig ist eine Regierung, deren Abgesandte und Abgeordnete nicht müde werden, wie Wanderprediger die Wohltaten dieser Regierung für ländliche Räume zu preisen, die sich bis vor kurzem hartnäckig geweigert hat, die Notwendigkeiten einer von uns immer wieder geforderten verstärkten regionalen Wirtschaftspolitik für strukturschwache Räume einzusehen,
obschon in ganzen Bereichen wie z. B. bei Porzellan und Glas und in der Bauwirtschaft und im Textilbereich dort heute noch bis zu 8 und 12 % Arbeitslosigkeit herrscht?Welche Chancen haben dann die Landwirte, Herr Minister, in den benachteiligten Gebieten, denen Sie mit Ihrem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm nicht nur zu 50, nein, fast zu 100 % die Entwicklungsfähigkeit absprechen?
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Dr. Kunz
Auch das Bergbauernprogramm wird daran nichts grundlegend ändern. Obwohl höchstens 15 % der Fläche einbezogen werden sollen, verkaufen Sie es landauf, landab. Es würde mich nicht wundern, wenn Sie demnächst dieses Bergbauernprogramm auch in Niederungsgebieten anbieten.Die Inflationspolitik dieser Regierung hat den Verteilungskampf in unserem Volk erheblich verschärft. Er wird auf dem Rücken der Schwächsten, insbesondere auf der Landwirtschaft in den benachteiligten Gebieten, ausgetragen.
Sie, Herr Ertl, besitzen weder den Willen noch die Kraft, eine solche Politik zu ändern. Nein, Sie machten sie bisher wacker mit. Ihr Förderungsprogramm ist für diese Räume nicht weniger verhängnisvoll, als es die Politik des Herrn Mansholt gewesen wäre. Ihr Name wird deshalb bei den betroffenen Landwirten in den benachteiligten Gebieten, wenn nicht in Bälde Entscheidendes geschieht, stets mit Hoffnungslosigkeit verbunden bleiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schonhofen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Nachsicht, daß ich mich auch noch zu Wort gemeldet habe. Ich teile Ihre Meinung, daß wir uns langsam zu einer gut besetzten Ausschußsitzung hin entwickeln,
daß wir uns langsam mit Themen befassen, die landwirtschaftlichen Seminaren besser angemessen wären.
Ich halte die Bemerkung, die mein Kollege Heinz Saxowski heute vormittag gemacht hat, für gerechtfertigt,
wonach sowohl der vorliegende und zu debattierende Agrarbericht als auch die Einbringungsrede des zuständigen Bundesministers erneut deutlich gemacht haben, in welch hohem Maße diese Koalition für die Menschen in der Landwirtschaft soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit geschaffen habe und daß das wohl auch gleichermaßen die Zurückhaltung der Opposition erkläre, mit der sie die Agrarsozialpolitik in der heutigen Debatte behandle und alle Anstrengungen, wie er sich ausdrückte, mache, die Gefechte auf anderen Gebieten zu führen. Wie gesagt, meine Damen und Herren, ich halte diese Bemerkung für durchaus gerechtfertigt.Das kann auch nicht dadurch überspielt werden, daß Sie in Ihrem Entschließungsantrag bruchstückhaft drei soziale Detailfragen einbeziehen, Detailfragen, die sich auf das beziehen, was von der Bundesregierung und heute erneut vom Bundesernährungsminister hier vorgetragen worden ist, daß der Ausbau der Alterssicherung noch vervollständigt werden müsse und daß es dabei auch um die Unfallversicherung gehe. Schließlich geht es drittens in Ihrem Entschließungsantrag auch um das Problem der kriegsbeschädigten Landwirte, das ja — und das ist uns allen bekannt und Ihnen deswegen nicht unbekannt — ein Problem aller Kriegsbeschädigten ist, die zu irgendeinem Zeitpunkt in eine Pflichtversicherung hineinkommen.Wie gesagt, man muß das wohl verstehen, daß dieses Thema von Ihnen nicht gern behandelt wird. Um so mehr erfüllt es uns mit Befriedigung, daß diese Bundesregierung auf eine erfolgreiche Politik auf dem Gebiete der Sozialpolitik hinsehen kann. Wir erinnern uns dabei zwar nicht sehr gern, aber doch mit einer gewissen Befriedigung an die vergangenen Zeiten, wo Sie den Bemühungen der sozialdemokratischen Fraktion, die Sozialpolitik als eine dritte Stütze der Agrarpolitik zu fundamentieren — beispielsweise im Landwirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1957 —, mit Hohn und Spott entgegengetreten sind, und daran, daß es lediglich die langsam fortschreitende ideologische Entkrampfung auf Ihrer Seite gewesen ist, die es uns dann schließlich im Zusammenhang mit der Großen Koalition gelingen ließ, den Anfang über das sogenannte Tabakgeld von 1957 hinaus — Herr Kollege Ey, Sie werden sicherlich bestätigen, was ich hier sage — mit der Einführung der sogenannten Landabgaberente zu machen.Die gleichen Erscheinungen traten uns noch entgegen, als wir 1962, vertreten durch Heinz Frehsee in diesem Hause, das Landwirtschaftliche Sozialwerk propagierten. Auch diese Absicht der Sozialdemokraten ist mit sehr viel Widerstand verhindert worden.Wenn man heute auf die Entwicklung zurückschaut, muß man wohl objektiv feststellen, daß der Durchbruch mit der Bildung der sozialliberalen Koalition erzielt worden ist, und zwar mit der Einführung der Krankenversicherung der Landwirte während der ersten Regierungszeit der Regierung Brandt/ Scheel. Damit sowie mit dem Ausbau der Alterssicherung und des sozialen Flankenschutzes für den Strukturwandel ist die Agrarsozialpolitik tatsächlich zur dritten, zur tragenden Säule der allgemeinen Agrarpolitik — neben der Markt- und Preispolitik, neben der Strukturpolitik — geworden.Ich will nicht von den verschiedenen Fakten reden, die hier zu nennen wären, sondern nur noch einmal in Erinnerung rufen, daß die Krankenversicherung anerkanntermaßen das Kernstück unserer Sozialpolitik für die bäuerliche Bevölkerung ist und daß sie diesen Rang auch im Bewußtsein der Beteiligten einnimmt. Dazu, über das zu reden, was nach den Erfahrungen des ersten Jahres zu entscheiden sein wird, werden wir Gelegenheit haben, sobald
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Schonhofender Bericht der Bundesregierung vorliegt, den wir ja für April dieses Jahres angefordert haben.Das gleiche Positive wird zu der Entwicklung der Altershilfe zu sagen sein, von der diese Bundesregierung, unterstützt von den sie tragenden Parteien, erklärt, daß sie zu einer angemessenen Alterssicherung auszubauen ist. Gerade die Siebente Novelle, die am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, hat noch einmal unterstrichen, wie nahe wir bereits an dieses Ziel herangekommen sind. Ich will in diesem Zusammenhang noch einen Gesichtspunkt hinzufügen:Wenn wir die Höhe des landwirtschaftlichen Altersgeldes — selbstverständlich gleiche Versicherungszeiten vorausgesetzt — mit den tatsächlich zu zahlenden durchschnittlichen Altersrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichen, dann fällt dieser Vergleich nicht etwa zuungunsten des landwirtschaftlichen Altersgeldes aus; denn es übersteigt die vergleichbare Altersrente aus der Arbeiterrentenversicherung ganz beachtlich, und es kommt — soweit es die absoluten Zahlen angeht — bis auf 3 % an die vergleichbare Durchschnittsrente aus der Angestelltenversicherung heran. Erst nach einer mehr als 15jährigen Versicherungszeit, erst also bei dieser längeren Versicherungszeit, bleibt nach der bisherigen Konzeption das landwirtschaftliche Altersgeld hinter der vergleichbaren Angestelltenrente zurück, und im Verlauf der folgenden zehn Jahre, vom 15. bis zum 25. Versicherungsjahr, nähert sich das Altersgeld der vergleichbaren Durchschnittsrente aus der Arbeiterrentenversicherung. Das bleibt auch in dieser Stunde festzuhalten. Dabei sagen wir, daß der weitere Ausbau notwendig bleibt. Aber es bleibt gleichwohl festzuhalten, daß hier die Politik dieser Regierung im Grundsatz bereits jetzt sehr nahe an dieses Ziel einer angemessenen Alterssicherung herangeführt hat.In diesem Zusammenhang wird des öfteren der Eindruck hervorgerufen, als ob man nicht mit aller Sicherheit davon ausgehen könne, daß die Sozialdemokraten und damit auch die sozialliberale Koalition willens seien, diese Sondersysteme für die landwirtschaftlichen Sozialbereiche weiter auszubauen. Bitte schön, Herr Kollege Horstmeier, ich bin bereit, die Zwischenfrage zu beantworten.
Herr Kollege Schonhofen, Sie haben uns hier die Erfolge genannt. Halten Sie es auch für einen Erfolg, daß die Renten für landwirtschaftliche Unfälle heute bei 42 % der Durchschnittsrenten anderer Bereiche liegen?
Herr Kollege Horstmeier, wenn Sie sich Sozialpolitiker im Rahmen der Agrarsozialpolitik nennen wollen, können Sie nicht verschweigen, daß wir seit einer geraumen Zeit dabei sind, diesen tatsächlich vorhandenen Nachholbedarf der landwirtschaftlichen Unfallrentner aufzuholen. Wir sollten auch nicht verschweigen, daß der gegenwärtige Zustand doch wohl auf Tatbestände zurückzuführen ist, die ihre Geburtsstunde schon vor einigen Jahrzehnten gehabt haben, als es darum ging, Beiträge und Leistungen nach Ortslöhnen usw. festzusetzen. Damals hatte man — das darf man ja wohl so sagen — ein sehr beträchtliches Interesse daran, diese Ortslöhne möglichst niedrig zu halten, nicht so sehr wegen der Rentenleistungen, sondern wegen der Beiträge. Entschuldigen Sie, daß ich das in dieser Offenheit sage, aber das muß ja wohl sein. Wir sind dabei — und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns da helfen würden —, beispielsweise aus der, ich sage ganz bewußt: Vielzahl der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften eine erträgliche geringere Zahl zu machen. Denn wenn wir für den gesamten Bereich der übrigen Wirtschaft 32 oder 33 Berufsgenossenschaften haben, und wir haben allein für den Bereich der deutschen Landwirtschaft 19, dann scheint mir das ein Mißverhältnis zu sein, dem wir ja wohl gemeinsam in absehbarer Zeit zu Leibe rücken müssen.
Zurück zu der Frage, die ich noch kurz erörtern möchte: wir halten das Sondersystem sozialer Sicherheit für die Landwirtschaft für gerechtfertigt, mindestens so lange, wie erstens der Strukturwandel in der Landwirtschaft sich fortsetzt — dabei bleibt es bei dem erklärten Ziel der Bundesregierung, diesen Strukturwandel sozial abzusichern, um Härten zu verhindern —; und das Sondersystem ist zweitens notwendig und erforderlich, so lange die Einkommensdisparität im Vergleich zur übrigen Bevölkerung besteht und deswegen ebenfalls besondere staatliche Hilfen notwendig bleiben. Drittens wird dieses Sondersystem erforderlich bleiben, weil und so lange die europäische Einigung noch auf dem Wege ist, auf dem vor allem vom Agrarsektor und damit von der bäuerlichen Bevölkerung Vorleistungen gefodert werden, die ebenfalls ohne staatliche Hilfen nicht erbracht werden können.
Das ist die Politik der Bundesregierung, die von diesen Erfordernissen ausgeht. Von diesen Grundsätzen werden wir uns auch künftig leiten lassen. Denn uns liegt tatsächlich daran, Politik für den Menschen zu machen. Dabei wird es auch bleiben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich ausdrücklich bei allen bisherigen Diskussionsrednern sehr bedanken. Ich darf auch sagen, daß ich inzwischen weiß, daß ich dadurch nicht unbedingt mehr weiß. Das gilt insbesondere für die letzten Ausführungen eines Berufskollegen aus Bayern. Verehrter Herr Berufskollege, ich glaube, Sie waren noch vor kurzem Oberlandwirtschaftsrat. Da hätte ich eigentlich erwartet, daß Sie mehr Kenntnisse über das einzelbetriebliche Förderungsprogramm hätten. Aber ich bin gern bereit, Ihnen von Kollege zu Kollege Nachhilfeunterricht zu geben.
— Das will ich gern tun, Herr Waigel, für Sie auch. Ich habe nämlich inzwischen
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5556 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundesminister Ertl— das habe ich dann von Ihnen gelernt, da bin ich dann ein gelehriger Schüler — vor mir das Ergebnis der Regionalanalyse, welche wohlgemerkt, und damit möchte ich gleich das Problem „Einzelbetriebliches Förderungsprogramm" abhaken, in Zusammenarbeit mit den Ländern erstellt wurde. Ich werde Ihnen bei Gelegenheit die Karte herüberschicken. Dann werden Sie nämlich sehen, mit wieviel Bösartigkeit hier permanent auf Grund falscher Sachbehauptungen Polemik betrieben wird. Ich will Ihnen einmal die Analyse vorlesen, damit Sie wissen, wie hier wider besseres Wissen, einfach um Gefühle aufzuputschen, falsche Politik vertreten wird. Die Regionalanalyse auf der Basis der Landwirtschaftszählung 1971 kommt zu folgenden Ergebnissen, wenn man davon ausgeht, daß die Schwelle für mindestens eine AK erreicht werden muß: 34,9 % aller Betriebe über 1 ha bzw. mehr als 4 000 DM Produktion, 41,7 % Betriebe über 2 ha, 78 % über 10 ha. In Bayern sind nach dieser Rechnung entwicklungsfähig 34,8 % der Betriebe über 1 ha und 76,0 % über 10 ha. Das ist der Vermerk, den mir meine Mitarbeiter aufgeschrieben haben — das ist nicht die politische Meinung —; aber Sie können sich mit meinen Mitarbeitern darüber unterhalten, sie werden es Ihnen erläutern. Und mit den Ländern ist eine Karte der Gebiete über 50 % und über 20 bis 35 % erstellt worden.Sicherlich — hier stimme ich Ihnen zu — mag der Landkreis Neustadt an der Waldnaab ein besonders schwieriger sein. Aber ich bin gern bereit, den persönlich zu analysieren. Ich bin auch gerne bereit, auf Grund meiner betriebswirtschaftlichen Vorstellungen Vorschläge zu machen. Denn offensichtlich, Herr Kollege Kunz, haben Sie noch nicht einmal den Zusammenhang zwischen Überbrückungskredit und einzelbetrieblicher Investitionsförderung erkannt. Oder Sie wollen ihn nicht erkennen. Ich habe Ihnen mildernde Umstände zugebilligt, weil Sie gesagt haben, Sie haben es nicht erkannt. Nur wenn Sie es nicht erkennen wollten, müßte ich sagen: Sie sind nicht fair in der Diskussion. Das will ich Ihnen gar nicht unterstellen, sondern ich will davon ausgehen, daß Sie es nicht erkennen. Damit diese bösartige Diskussion über die Förderschwelle zu Ende kommt, lege ich die Fakten auf den Tisch: Die Umrechnung von der in Arbeitseinkommen je AK festgelegten Förderschwelle auf das vergleichbare Standardbetriebseinkommen wurde wie folgt vorgenommen: Arbeitseinkommen für 1 AK
14 696,— DM
/ genereller Abschlag vo 10 % 1 470,— DM
/ 10 % Entwicklungsmarge 1 470,— DM
+ Zinsansatz für das Eigenkapital 2 000,— DM= Vergleichbares Standardbetriebseinkommen 13 756,— DMWenn, dann muß man den Dingen schon auf den Grund gehen. Diese Bitte hätte ich wirklich.Ich habe nie behauptet, daß dieses Programm ein Patentprogramm ist. Es wird auch niemals ein Patentprogramm geben. Aber eines nehme ich für mich in Anspruch: daß es den einzelbetrieblichen Erfordernissen wesentlich mehr entgegenkommt und den sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten wesentlich mehr entspricht als jedes Programm vor diesem Programm.Ich habe eine bescheidene Frage: Wer hat denn mehr Arbeitsplätze in diesen Gebieten gefördert, Herr Kunz, diese Bundesregierung oder die Regierung vorher?
Wir können doch die Zahlen auf den Tisch legen. Ich muß mich wirklich wundern, wenn ich das alles so höre.Ich sehe gerade meinen Freund Schröder. Er hat einen so schönen Satz gesprochen. „Da muß man in Brüssel hart auftreten", habe ich in markiger norddeutscher Sprache — mit „spitzem Stein" — gehört. Nun, wo war denn die harte Sprache, als Sie die Regierung übernommen hatten?
Ich bin nicht eingebildet, aber den Vergleich mit Ihren Handlungen in der Zeit, wo Sie verantwortlich waren, kann ich doch aushalten, meine sehr verehrten Freunde. Das muß ich hier doch einmal sagen, damit man nicht so tut, als wäre man selbst derjenige gewesen, der dort überhaupt initiativ gewesen wäre. Herr Schröder, ich werde das Thema Europa noch einmal abhandeln. Nicht ich habe die Getreidepreise gesenkt, nicht ich habe im Jahre 1969 die D-Mark freigegeben und vieles andere mehr getan. Ich werde dieses Thema noch ansprechen. Das muß man hier doch einmal sagen, damit nicht ununterbrochen in Erinnerungsverklärung gemacht wird. Ich hätte das gar nicht getan, wenn hier nicht so markige Worte gefallen wären. Das muß man doch ein klein wenig zurechtstellen. Daß vieles ungereimt geblieben ist, kommt noch hinzu.Ich will jetzt so einige Punkte en passant abhaken.Es gibt ja dieses schöne Lied „Alle Jahre wieder"; das haben auch einige Vorredner schon gesagt. Ich habe sogar die Protokolle nachgelesen, einschließlich der Erklärungen des Bauernverbandes. In allen Erklärungen — mit Ausnahme von 1970/71 — kommt zum Ausdruck: Alles, was gesagt wird, ist nicht richtig, ist Schönfärberei; nur im Jahre 1970/71, wo ein Rückgang um 10 % zu verzeichnen ist, hat die Bundesregierung die ganz lautere Wahrheit gesprochen!Und dann das Land Bayern! Jetzt komme ich „historisch", verehrter Herr Kollege Kiechle. Ich lese so gern Ihren „Agrarstrukturbrief". Wissen Sie, das ist auch so ein Tugendpfad lauterer Wahrheit,
die reine Wahrheit christsozialer Prägung. Da sind wir uns ganz einig, verehrter Herr Kiechle.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5557
Bundesminister ErtlDa habe ich gelesen, daß Sie gesagt haben, welch bedeutsames Werk der Agrarbericht der Bayerischen Staatsregierung sei. Ich möchte gar nicht verkennen, es ist eine beachtliche Leistung einer Landesregierung. Nur, sie hat mit den Zahlen von 1971/72 gearbeitet. Ich hätte dann erwartet, daß der Kollege Kiechle in seinem „Agrarstrukturbrief" in Übereinstimmung mit dem Bauernverbandspräsidenten und seinem Parteifreund Feury gesagt hätte: „Aber die Zahlen sind prähistorisch."
Das wäre dann die reine Wehrheit gewesen. Nur so kann man die Dinge darstellen.Nun, ich will Ihnen wiederum sagen, was mir meine Mitarbeiter mitgeteilt haben. Ich gebe zu, ich habe einen Vorteil, weil ich gute Mitarbeiter habe und mich auf deren Mitarbeit verlassen kann. Bei der Vorausschätzung für 1973/74 in Höhe von 6 bis 10 °/o beim Betriebseinkommen, 4 % Rückgang der Arbeitskräfte, ist die derzeitige Preis-Kosten-Relation bereits berücksichtigt worden. Die Vorausschätzung ist noch im März 1974 überprüft worden. Meine Damen und Herren, wenn wir uns im nächsten Jahr wiedersehen — es ist ja das Schöne, daß wir nächstes Jahr wieder miteinander reden —, entschuldige ich mich, wenn ich mich getäuscht haben sollte. Wenn Sie sich getäuscht haben, bitte ich im nächsten Jahr wenigstens nicht wieder dieselbe Platte aufzulegen, die ich bis jetzt immer wieder gehört habe.Ich will zu dem Problem investive Förderung der Nebenerwerbslandwirte nichts mehr sagen, sondern nur noch etwas zu den Einzelbetrieben sagen. Für alle jene, die das bisher noch nicht erkannt haben, muß ich mich einmal ganz deutlich festlegen: Von wegen hartes Verhandeln! Offensichtlich meinen Sie, meine verehrten Freunde von der Opposition, wir seien erinnerungsschwach. Vielleicht meinen Sie auch, wir leben in einer totalen Arteriosklerose. Als ich im Jahre 1969 das Amt übernommen habe, hatte ich mit der Währungssituation zu tun. Darauf komme ich später noch zurück. Aber da lag auch ein fertig ausgearbeiteter Mansholt-Plan vor, der für die damalige Bundesregierung Diskussionsgrundlage war. Ich bitte Sie, doch endlich einmal mindestens dies zuzugeben. Ich weiß nicht, wie oft ich es noch sagen muß. Es ist wirklich so. Es wird einem leid, daß man sich einfach dadurch, daß man mit falschen Behauptungen konfrontiert wird, immer wiederholen muß. In der Strukturpolitik ist es bei einer Rahmenkompetenz geblieben. Es gibt nur Richtlinien für die Strukturpolitik, es gibt keine Verordnung. Es ist sogar verankert, daß darüber alljährlich ein Bericht vorgetragen wird. An Hand dieses Berichts wird die neue Konzeption weiter entwickelt.Ich muß jetzt noch einen Erinnerungspunkt nachtragen, weil Sie das vergessen haben. Damals war von der Bundesregierung eine Erzeugerabgabe bei Milch zugesagt. Das war sogar ein Vorschlag der damaligen Bundesregierung. Das haben Sie wohl vergessen, Herr Kiechle. Vielleicht lesen Sie einmal all die Pläne nach, die damals auf dem Tisch lagen.Es ist auch zu Situationen gekommen, wo es Preissenkungsvorschläge und dergleichen mehr gab. Ich will gar nicht die Vergangenheit aufwühlen. Aber bitte sehr, wenn Sie in dieser Form immer kommen, dann müssen wir auf Heller und Pfennig abrechnen. Da kann ich mich mit der Rechnung per Saldo sehen lassen.Ich komme noch auf einen anderen Punkt zurück. Der Mansholt-Plan ist auch von deutschen Fachleuten mitgestaltet worden. In ihm war in meinen Augen ein ganz falsches Prinzip verankert, nämlich die Entwicklungsfähigkeit der Betriebe an Größen und Kuhzahlen zu messen. In einem einzigen Fall werden Förderungsmaßnahmen auf Grund von Kuhzahlen festgelegt, nämlich im bayerischen Förderungsprogramm mit 25 Kühen.
— „Da funktioniert's!" Wenn ich es gemacht hätte, wäre es wahrscheinlich eine Ausschaltung der Kleinen gewesen.
Wenn zwei dasselbe tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Je nachdem, zu welcher Partei jemand gehört, ist es die richtige oder falsche Methode. Das nenne ich dann „Sachbezogenheit" ! Das ist eine besondere Art.Aus dieser Konzeption heraus haben meine Mitarbeiter und ich — das sei gar nicht verhehlt; ich war damals in der Opposition und habe die Höcherlsche Konzeption als Oppositionsredner, anders als Sie es tun, im Prinzip begrüßt und unterstützt — in Fortentwicklung der Höcherlschen Vorstellungen eine einzelbetriebliche Konzeption entwickelt, die lautet: investive Förderung für diejenigen Betriebe, die langjährig als Vollerwerbsbetriebe ein entsprechendes Einkommen erwirtschaften können — ich halte das auch für richtig — Überbrückungskredite für die Betriebe der grauen Zone und soziale Maßnahmen in vielfältiger Form für Betriebe, die einen Umstellungsprozeß durchmachen oder sich in einem Ausscheidungsprozeß befinden.Sicherlich gibt es einen Punkt, weswegen ich gesagt habe: man wird das Programm immer erst im Vollzug lernen. Möglicherweise muß der Überbrückungskredit auch dann gewährt werden, wenn der Betrieb bereits in die Nebenerwerbsphase eingetreten ist und sich erst im Laufe der Zeit, d. h. nach vier, fünf Jahren, umstellen will. Das ist der einzige Punkt. Aber wer Nebenerwerbsbetriebe generell investiv fördern will, der muß zugeben, daß er Landwirte bewußt zu falschen Investitionen verleiten will. Herr Ritz, Sie wollen das nicht. Ich habe nur aus Bemerkungen von Herrn Kunz geschlossen, daß er das offensichtlich will. Er hat mir auch keine Alternative angeboten, sondern er hat nur gesagt: Das stimmt alles nicht. Ich wollte ihm das erläutern. — Sie brauchen gar nicht abzuwinken. Sie haben mein Redemanuskript gründlich gelesen und daraus einige Punkte abgeschrieben. Verehrte Freunde, über diese Dinge sind Sie gut informiert!
— Herr Kiechle, Sie winken ebenfalls ab.
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5558 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundesminister ErtlSehen Sie, ich könnte viele Punkte abhaken, Sie haben z. B. in Ihrer Rede gesagt, wir hätten in der Pressekonferenz darauf hinweisen sollen, daß das Reineinkommen der Landwirte mit den Arbeitnehmereinkommen nicht vergleichbar ist. Ich habe hier den Originaltext. Ich hoffe, daß Sie gleich den Mut haben werden zu sagen: Es tut mir leid; ich habe das wider besseres Wissen behauptet. Das kann einmal passieren. „Das landwirtschaftliche Reineinkommen", so heißt es wörtlich in diesem Manuskript, „kann nicht direkt mit dem Arbeitnehmereinkommen der übrigen Wirtschaft verglichen werden, weil es nicht voll für den privaten Verbrauch zur Verfügung steht." So lautet der Text. Das hindert Sie aber nicht, etwas anderes zu behaupten.Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt abhaken. Ich bin weit davon entfernt zu sagen: agrarpolitisch ist alles meisterlich gelaufen. Wenn man, wie ich in den letzten vier Jahren, die Verantwortung trägt, weiß man erst, wie beschränkt die Möglichkeiten sind, etwas zu tun. Nur eines nehme ich für mich in Anspruch: ich will die vier Jahre meiner Amtszeit an den vier Jahren vorher gemessen haben, und zwar einschließlich der Einkommenssituation.
Dafür habe ich Zahlen. Sie gestatten, daß ich das vortrage.1965/66 betrug das Betriebseinkommen je AK 9 544 DM. Das ist dann auf 12 458 DM im Jahre 1968/69 gestiegen. 1969/70 betrug es 13 661 DM, und zwar entsprechend der Einkommensentwicklung nach dem Landwirtschaftsgesetz, und es ist dann weiter auf 20 504 DM gestiegen. Das ist der Maßstab. Dabei gebe ich durchaus zu, daß dies für mich kein vollbefriedigender Maßstab ist; aber es ist ein vergleichbarer. Wenn Sie mir nachweisen könnten, daß Sie es in Brüssel viel sinnvoller und viel effektiver gemacht hätten, würde ich möglicherweise daraus sogar Konsequenzen ziehen. Solange ich aber das Gefühl habe, daß ich politisch in Relation zu dem, was vor mir war, mehr bewegen kann, bin ich bereit, die Verantwortung auch für die Zukunft zu tragen.
Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, zur Einfuhrsperre, Herr Ritz, und zwar im Zusammenhang mit der Mangelverordnung. Ich gebe zu und habe volles Verständnis dafür, daß das alles Probleme sind, die man, wenn man sie nicht im Detail beherrscht — das kann man eigentlich gar nicht; ich könnte es als Abgeordneter auch nicht —, möglicherweise nicht voll ausloten kann. Ein wichtiger Punkt ist, daß man, wenn man eine Einfuhrsperre aufhebt, nach internationalem Handelsrecht verpflichtet ist, Wegefristen einzuhalten. Das heißt, wenn man solche Sperren für vier Wochen aufhebt, bewegt man in der Sache gar nichts; aber man erzeugt vielleicht Unruhe auf dem heimischen Markt und gibt anderen Leute ein Alibi, die Preise, obwohl am Markt gar nichts passiert, heraufzusetzen. Von dieser Art von Politik halte ich nichts. Ich halte etwas von einer Politik, die etwas bewegt.Einer der Vorredner — ich glaube, es war Herr Schröder — hat gesagt, ich hätte bewußt die Geltungsdauer der Mangelverordnung verlängert. Sie haben zum Teil recht, Herr Schröder. In einem Punkt haben Sie nicht recht: Ich habe im Agrarrat — ich war damals sogar Präsident, in diesem Fall sozusagen belgischer Präsident, weil mein belgischer Kollege bei der Hochzeit seiner Tochter war — den Kollegen vorgeschlagen, die Mangelverordnung spätestens am 1. Juli aufzuheben. Als sie darauf nicht eingingen, habe ich gesagt: spätestens am 1. August. Daraufhin hat der französische Kollege gesagt: Das kommt gar nicht in Frage; das braucht man alles nicht usw. Am 15. August kam er dann wegen dieser vier Wochen. Ich wollte nun aber niemandem ein Alibi dafür geben, zu sagen: Jetzt sind die Grenzen dichtgemacht worden; jetzt können wir die Preise heraufsetzen.Im übrigen muß ich sagen: Wenn mein Appell befolgt worden wäre, den ich im Juni letzten Jahres, nachdem die Rindfleischpreise seit über einem halben Jahr zurückgegangen waren, an alle Betelligten, Produzenten und Verarbeiter, gerichtet hatte - ich habe an sie appelliert, bei den Verbraucherpreisen etwas nachzugeben —, hätten wir uns das leidige Schicksal der Verbraucherstreiks ersparen können. Leider ist diesem Appell nicht gefolgt worden. Hier ist der Minister handlungsunfähig. Ich frage mich: Wo bleibt die Erfüllung der Aufgabe derjenigen, die vom bäuerlichen Bereich und vom bäuerlichen Kapital her in der Ernährungswirtschaft mit im Geschäft sind?
Hier kann man nicht nur unbedingt den Minister anklagen. Hier muß sich der Berufsstand überlegen, was er tun kann, um seine Marktposition selbst zu sichern.Herr Ritz, Sie haben natürlich recht, wenn Sie sagen, der Verdacht dränge sich auf, daß die Importsperre möglicherweise das Fleisch umlenkt, denn die Importsperre gilt ja nur für frisches und gekühltes Fleisch. Vom 25. Februar bis zum 10. März sind 152 Tonnen Fleisch in die Bundesrepublik importiert worden. Wenn Sie mich fragen: Das ist gleich null. Ich sage dies nur zur Verdeutlichung.Hier wurde überhaupt an dem Marktgeschehen Kritik geübt. Es wurde gefragt, ob die Mittel, die im Rahmen des Absatzfonds der CMA zur Verfügung gestellt werden, richtig eingesetzt werden. Ich will mich eines Urteils darüber enthalten. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen. Wenn Sie wissen wollen, was dieser Bundesminister als Abgeordneter erreichen wollte, so lesen Sie sich einmal seinen Gesetzentwurf zum Absatzfonds durch. Sie werden sehen, daß ich auch viel mehr aktive Marktpolitik betreiben wollte. Es ist politisch unter Ihrer Verantwortung aber anders gelaufen. Korn-men Sie also jetzt nicht zu mir und sagen Sie nicht, ich trüge dafür die Verantwortung. So geht das nicht. Ich halte es für richtig, daß Marktpolitik vorwiegend von der Wirtschaft und von den Erzeugern gemeinsam betrieben wird. Hier ist nicht der StaatDeutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5559Bundesminister Ertlprimär gefordert; dies ist vielmehr eine Aufgabe des Berufsstandes.
Ich sage sogar: Es ist auch eine Aufgabe der COPA. Hier geht es um die europäische Zusammenarbeit des Berufsstandes. Wenn diese Zusammenarbeit nicht gelingt, werden Sie, meine verehrten Kollegen, sehen, daß die Marktposition der Landwirtschaft von Jahr zu Jahr schwächer sein wird. Die Folge wird sein: Der Anteil der Erzeugerpreise an den Verbraucherpreisen wird zusehends schrumpfen.
Ich frage mich z. B.: Was ist denn auf dem Getreidemarkt geschehen? Wie war denn das mit dem Getreidepreis nach der Ernte? Wie schaut es jetzt aus? Ich gebe zu, daß niemand voraussehen konnte, daß sich die Lage auf dem Weltmarkt so anspannen würde und daß man dies mit einberechnen müßte. Aber auch hier bleiben Fragen offen. Die Sache wäre es wirklich wert, in diesem Hohen Hause miteinander nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Ich muß hier aber wiederum sagen: Die Initiative kann nicht von den Politikern ausgehen; die Initiative muß beim Berufsstand liegen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es fiel das Stichwort „Höfeordnung". Ich bin dafür aufgeschlossen. Ich will mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen und Sie auch in Ihrer Zeit nicht überbeanspruchen. Herr Kollege Ritz, in der Frage der endgültigen Höhe der Höfeordnung sollten wir einen vernünftigen Kompromiß finden. Das habe ich auch in meinem Hause gesagt. Insoweit könnten wir hier durchaus eine vernünftige Basis finden.
Nun lassen Sie mich meinen Kollegen Eisenmann zu dem ganzen Kapitel Landwirtschaft aus seiner Rede zum Agrarbericht zitieren, weil ich das alles unterstreichen kann, was der Kollege Eisenmann in seinem Agrarbericht sagt. Insoweit begrüße ich es sehr, wenn es so etwas auch in einem Landesparlament gibt. Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, darf ich zitieren; hier heißt es unter anderem:Hierbei haben wir bewußt auf einen zahlenmäßigen Vergleich zwischen den landwirtschaftlichen und den außerlandwirtschaftlichen Einkommen verzichtet. Denn die Paritätsrechnung, wie sie von der Bundesregierung auf Grund des Landwirtschaftsgesetzes jährlich vorgenommen wird, ist recht problematisch.— Dem stimme ich vollauf zu.Das gilt besonders für den Vergleich der Einkommen Selbständiger und Unselbständiger. Auch ist es nicht möglich, bestimmte Gegebenheiten wie z. B. die Nähe des Wohnhauses zum Arbeitsplatz wertmäßig zu berücksichtigen.Im übrigen halte ich die Einkommensunterschiede innerhalb von Regionen und zwischen den einzelnen Wirtschaftsgebieten und Betrieben für Ausdruck unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die Einkommensunterschiede geben die Impulse für die Fortschritte,die wir in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten auf wirtschaftlichem Gebiet erzielt haben. Nicht übersehen dürfen wir, daß es sich bei jeder Einkommenstatistik um Mittelwerte handelt. Ein Blick in die rund 2 000 bayerischen Buchführungsergebnisse zeigt, daß die Einkommen innerhalb des gleichen Wirtschaftsgebietes von Betrieb zu Betrieb als Folge unterschiedlicher Tätigkeit der Familie erheblich schwanken.
Ich kann nur sagen: dem stimme ich vollauf zu. Nun frage ich mich, Herr Kollege Kiechle und Herr Kollege Kunz: Wäre es nicht gut, wenn Sie sich mit meinem Kollegen Eisenmann unterhielten, bevor Sie in dieser Form hier diskutieren?
— Ich zitiere wenigstens ausführlich. Sie zitieren immer nur in Bruchteilen, wo die Ergänzung fehlt; das ist der Unterschied.Nun will ich noch einige Bemerkungen zu dem Thema „Inflation und Europa" machen. Es gibt gar keinen Zweifel, daß die Landwirtschaft in eine inflationäre Entwicklung, in eine ganz bedrängte Phase kommt oder sich darin befindet, weil durch das Marktgeschehen zwangsläufig der Spielraum für Überwälzung von Kosten relativ beschränkt ist und auch der Marktraum beschränkt ist. Nur, wer glaubt, daß sich die Bundesrepublik isoliert von allen anderen Volkswirtschaften im Westen national zurückziehen könnte, der vergißt, daß damit der Wohlstand in dieser Bundesrepublik gefährdet ist; denn die Interdepedenz mit der Sicherung der Arbeitsplätze in Form unseres Exports ist gravierend in bezug auf die Sicherung der politischen und sozialen Stabilität in unserem Lande. Das ist ein Faktum.Niemand kann mir abstreiten — und das ist auchim Interesse der Landwirtschaft und der Agrarpolitik —, daß die Bundesrepublik, gemessen an anderen EWG-Staaten, mit Ausnahme Luxemburgs die niedrigste Rate hat, und zwar um erhebliche Punkte. Die Kostenklemme, in der sich die französische Landwirtschaft und die italienische Landwirtschaft auf Grund eines wesentlich stärkeren inflationären Trends, den ich sehr bedaure, infolge der negativen Relation und der höheren Inflationsrate befinden, ist viel schwerwiegender als bei uns. Das soll nichts beschönigen, das soll auch gar nichts bagatellisieren. Aber hier gibt es nur eines: daß es letzten Endes der Bemühungen aller in diesem Lande bedarf.Es bedarf auch unserer Bemühungen, den zusätzlichen Schub aus den Energiekosten gemeinsam bewältigen zu helfen. Denn niemand wird sagen können, daß die durch die Energiekosten verursachten Preissteigerungen ihre Ursache in der Politik dieser Bundesregierung haben. Da muß man einfach einmal zugeben — ich bin jetzt sehr bescheiden —, daß man von allen Sachverständigen bestätigt bekommt, daß die energiekostenbedingte Preissteigerungsrate mindestens 2 % beträgt, d. h. wir wären sonst bei 5,6 %, wenn ich den neuesten Index nehme. Damit
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5560 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundesminister Ertlist die Behauptung gerechtfertigt: Wir wären im Grunde über den Berg gewesen. Ich weiß, damit müssen wir gemeinsam fertig werden, und dafür trägt auch die Bundesregierung die Verantwortung, und sie muß sie tragen. Nur halte ich es für nicht richtig, dieser Bundesregierung zu unterstellen, sie bemühe sich nicht, das in ihrem Bereich Mögliche zu tun.Ich möchte auch hinzufügen, daß es mir Sorge macht, wie in diesem Lande der Gruppenegoismus zunimmt, was letzten Endes den Druck aus dem vor-parlamentarischen Raum ins Parlament verstärkt und was möglicherweise Leuten, die die Demokratie in diesem Lande abschaffen wollen, nur weiteren Auftrieb geben kann. Aber lassen Sie mich diese generellen Bemerkungen beenden. Aber ich bin wirklich der Meinung, daß hier eine große Herausforderung an unser gesamtes Volk, an jeden besteht. Jedermann muß wissen: Wir haben sehr viel an Werten zu verteidigen, wir haben möglicherweise auch sehr viel an Werten zu verlieren. Das gilt für jedermann, auch für die Landwirtschaft.Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen zu Europa machen. Es wurde behauptet, diese Regierung hätte sich dadurch ausgezeichnet, daß sie mehr zahlt und weniger durchsetzt. So ähnlich habe ich es verstanden; ich will es nicht genau wiedergeben. Ich bin bereit, hier Zahlen zu nennen: Im Halbjahr 1969/70 haben wir 3 543 Millionen eingezahlt und 3 373 Millionen zurückbekommen. 1968/69 haben wir 2 054 Millionen eingezahlt und 1 527 Millionen zurückbekommen. 1971 haben wir 1 942,6 Millionen eingezahlt und 1 792 Millionen zurückbekommen. Ich greife ein Jahr zurück: Im Jahr 1967/68 haben wir 1587,9 Millionen eingezahlt und 1 196,5 Millionen zurückbekommen. Ich könnte die Zahlenreihe beliebig fortsetzen. Ich wollte das nur punktuell anzeichnen, um zu zeigen, wie wenig manche Behauptung in dieser Debatte auf tatsächlichen Grundlagen beruhte.Jetzt kommen wir zu Europa. Lassen Sie mich hier zu diesem Europa einige prinzipielle Bemerkungen machen und dann auch auf einige spezielle Themen eingehen. Ich kann mich jetzt nicht mehr mit Problemen, die einzelne Betriebsbeispiele betreffen, befassen; ich bin aber gern bereit, wenn mir die Zahlen schriftlich vorgelegt werden, zu all diesen Zahlen auch schriftlich Stellung zu nehmen, und zwar einschließlich Mehrwertsteuer und allem. Ich bin gern bereit, mit meinen Mitarbeitern eine ganz sachliche Antwort zu geben.Zu Europa möchte ich folgendes feststellen. Im Augenblick kristallisiert sich der Bestand Europas auf zwei wesentliche Fakten: das ist der gemeinsame Agrarmarkt und das ist die Zollunion. Ich habe in meiner Rede nicht ohne Grund gesagt: Ich halte beide Fakten für einen bedeutsamen politischen Schritt. Wer nämlich vor 20 Jahren geglaubt hätte, daß wir uns in dieser Form wirtschaftlich in dieses Europa integrieren, der wäre wahrscheinlich als Phantast verschrien worden. Nichtsdestoweniger bedarf die gesamte europäische Szenerie einer ganz nüchternen, realistischen Betrachtung und damit auch nüchternen und realistischen Analyse.Nur meine ich, politisch folgendes sagen zu müssen. Zwischen diesen beiden Fakten, gemeinsamer Agrarmarkt und Zollunion, gibt es für einen großen Teil der Länder ein unveränderbares Junktim. Wer dieses Junktim verändern will, muß wissen, daß er damit möglicherweise die letzten beiden Säulen gefährdet und damit auch die Basis der bisherigen Zusammenarbeit für Europa auf Null reduziert. Mit anderen Worten: Wer meint, man könne bei allen Mängeln, die der gemeinsame Agrarmarkt hat, die auch ich zu beklagen habe, den Versuch machen, jetzt sozusagen in eine mehr koordinierte Phase einzutreten, der muß wissen, daß dann auch die Zollunion für die gewerbliche Wirtschaft von unseren Partnern möglicherweise in Frage gestellt wird; er muß sich der gesamten wirtschaftlichen und politischen Folgen dieses Tatbestandes bewußt sein. Ich sage das einmal ganz bewußt, meine sehr verehrten Damen und Herren; denn jeder kann meine Reden nachlesen, auch über das Thema gemeinsamer Agrarmarkt.Ich glaube, für mich beanspruchen zu können, als einer der ganz wenigen in diesem Hohen Hause — damals zum Teil auch unter Gelächter der damaligen größten Regierungspartei — gesagt zu haben: Ob die Hypothese richtig ist, daß ein gemeinsamer Agrarmarkt automatisch zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur politischen Union führt, halte ich für mehr als zweifelhaft. Das können Sie in allen meinen Reden nachlesen. Aber diese Hypothese war der Grundstein, und an diesem Grundstein war die Bundesregierung vor dieser Bundesregierung aktiv mitbeteiligt. Ich sage das gar nicht als Vorwurf, sondern ich finde es merkwürdig, wenn heute Vertreter dieser Parteien landauf und landab so tun, als falle diese EWG nicht auch mit in ihre politische Verantwortung;
denn damit leidet die Glaubwürdigkeit der Demokratie in Deutschland.
— Das will ich gar nicht sagen, da gab's viele Dinge. Ich will auf einige Dinge gar nicht eingehen, sondern nur sagen: Die politische Verantwortung für das Konzept hat die CDU/CSU für alle Zeiten zu tragen.
— Herr Niegel, nur haben wir uns in dieser Form noch nie aus der Verantwortung weggeleugnet, wie Sie es tun; das ist nämlich der Unterschied.
Selbst in der Zeit, in der wir in der Opposition waren, haben wir gesagt, über dieses Faktum können wir nicht hinweg.Aus dieser Situation heraus kann es nur eines geben: pragmatische Lösungen zu finden — auch für diesen Agrarmarkt —, bis in Europa möglicherweise ökonomisch wieder eine andere Phase eingeleitet wird, die in der Tat wiederum neue Schritte zu mehr Harmonisierung im wirtschaftlichen und Währungs-
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Bundesminister Ertlbereich zuläßt. Dazu gehört auch, Herr Kollege Ritz, selbstverständlich das Problem der politischen Verantwortlichkeit. Ich verhehle nicht, daß einer der tragischen Irrtümer in meinen Augen der war, daß deutscher Idealismus in Europa ganz anders geredet hat als gaullistischer Realismus. Diese Frage hätte man viel früher konkret ausdiskutieren müssen.
Aber Sie können nicht diese Regierung dafür verantwortlich machen, die zum erstenmal permanent den Dialog mit Frankreich sucht, wobei es — das darf ich jetzt einmal mit aller Bescheidenheit sagen — diesem Agrarminister immerhin gelungen ist, trotz zuweilen vieler Streitigkeiten ein einigermaßen erträgliches Verhältnis zu schaffen, weil für mich — das sage ich Ihnen ganz offen — das deutsch-französische Verhältnis entscheidend für das größere Europa ist, das ich will und das die Freiheit in Europa und die Fortentwicklung unserer Gesellschaft in Europa braucht.
Dennoch: Jedermann — ich sage das hier einmal bewußt — mußte wissen, daß ich einen gemeinsamen Agrarmarkt nicht ohne Reibereien, ohne Wettbewerbsverzerrungen machen und auf die Dauer betreiben kann, wenn es keine gemeinsame Lohnpolitik, keine gemeinsame Steuerpolitik, keine gemeinsame Verkehrspolitik, und was noch alles hinzukommt, gibt. Und, meine verehrten Freunde: Ich habe die damaligen Minister rechtzeitig gewarnt und gesagt: Seien Sie sich darüber im klaren. Der Kollege Mischnick weiß, was ich in Koalitionsgesprächen dem damaligen Bundeskanzler gesagt habe. Ich könnte hier manches zur Aufklärung historischer Tatbestände beitragen, wo einem Leute geantwortet haben: Ich verstehe davon sowieso nichts; hier muß man eben etwas machen. Das war keine Europapolitik, sondern das war Versagen in der Europapolitik.Nun, daß sich daraus, wenn dann noch das Problem der Währungsveränderungen kommt, zunehmende Unterschiede ergeben und bemerkbar machen, ist selbstverständlich. Nur bin ich immer gezwungen, mich bei allen deutschen Maßnahmen an die völkerrechtlich eingegangenen vertraglichen Bindungen zu halten. Hier gibt es eben gewisse Rechtsnormen, die zu beachten sind.Das Problem des Grenzausgleichs betrifft die Frage: Gibt es einen festgelegten europäischen Preis oder nicht? Denn sonst fällt schon die Berechnungsmethode und vieles andere. Ich habe die Rechnungseinheit nicht erfunden, aber ich habe bis heute auch keine Ersatzlösung dafür gefunden. Infolgedessen muß ich mit dieser Situation fertig werden, wenn ich nicht politisch einen Scherbenhaufen in Europa anrichten will.Hier in dieser Debatte wurde mit Recht gesagt: Man muß noch mehr als bisher den Fragen der Wettbewerbsverzerrungen und der unterschiedlichen Beihilfepolitik sein Augenmerk schenken. Ich stimme dem zu. Ich muß allerdings sagen: Diese Bundesregierung hat nicht erst jetzt, sondern schon vor Jahren in dieser Frage initiativ gewirkt. Ich darf hier einen Teil eines Entschließungsantrags vom 8./9.März 1971 verlesen, dessen Annahme an unsere Zustimmung zu einer Entschließung zur Strukturpolitik gebunden war:Sobald die Gemeinschaftsbestimmungen über die gemeinsamen Maßnahmen erlassen sind, werden bestimmte Arten von Beihilfen, die den Zielsetzungen der gemeinsamen Maßnahmen zuwiderlaufen, verboten sein. Der Rat nimmt den Beschluß der Kommission zur Kenntnis, gemäß Art. 93 des Vertrages sämtliche Beihlifen unter Zugrundelegung folgender Leitlinien zu überprüfen: Harmonisierung der Investitionsbeihilfen, Abschaffung aller anderen Beihilfen, die sich auf die Produktionskosten auswirken, Ausarbeitung gemeinsamer Kriterien, die bei der Beurteilung der allgemeinen Beihilfensysteme unter Berücksichtigung der Ausrichtung und Entwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik, anzuwenden sind. Vor Ablauf der ersten Stufe prüft der Rat unter Berücksichtigung der Fortschritte bei der Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion das weitere Vorgehen auf strukturellem Gebiet.Soweit der Antrag der Bundesregierung im Jahre 1971. Dieser Antrag fand auch seinen Niederschlag in der Entschließung des Rats vom 25. Mai. Hier heißt es unter anderem:Es ist erforderlich, daß rasche Fortschritte in der Entwicklung der Politik der Gemeinschaften auf anderen Gebieten erzielt werden, und zwar insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion, der Regionalpolitik, der Sozialpolitik. Diese Fortschritte würden in spürbarem Maße zur Verwirklichung der Reform der Landwirtschaft beitragen.Dann werden Einzelheiten zur Regionalpolitik usw. festgelegt.
Ich sage hier nur: Diese Bundesregierung hat zu allen Zeiten diesem Komplex ein ganz großes Augenmerk geschenkt. Inzwischen gibt es eine ganze Aktensammlung über unterschiedliche Beihilfen. Ich sage hier mit aller Vorsicht: Wir werden dabei feststellen, daß es auch bei uns Beihilfen gibt, die es in anderen Ländern nicht gibt. Man soll sich keine Illusionen machen, daß das eine Einbahnstraße sei oder daß, wie es draußen landläufig immer heißt, wir dadurch nur Nachteile hätten. Es könnte sich auch herausstellen, daß wir irgendwo Vorteile haben. Ich sage das sehr vorsichtig und auch nur deshalb, damit mancher Diskussionsredner wenigstens von heute an vorsichtig ist, damit er nicht etwas bewirkt, wozu er hinterher sagt: Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte geschwiegen!
Das gehört nämlich auch dazu. Wenn, dann bitte zunächst bei meinem Haus anfragen, damit wir sachkundig informieren können.Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Ich erinnere mich noch sehr genau an die schwierige
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Bundesminister ErtlSituation 1969 und auch an die damaligen Diskussionen. Ich war damals in einer bitteren Situation. Wie war denn damals die Lage? Herr Kollege Kunz, auch das gehört zum Thema Inflation, über das Sie so leichtfertig geredet haben. Sie müssen das Urteil der Sachverständigen über das unrichtige Verhalten der Großen Koalition in Sachen Konjunkturanheizung nachlesen. Dort können Sie etwas über das Versagen eines Landsmannes von Ihnen nachlesen, als es auf dem Währungssektor 1968 um rechtzeitiges Handeln ging. Damals ist zuviel gespritzt worden, und dann sind zu spät die Bremsen gezogen worden. Auf dem Währungssektor hat man den richtigen Zeitpunkt verschlafen. Das hat nämlich den Anstoß für einen neuen Boom gegeben. Nur nimmt man das nicht zur Kenntnis.Und was hat man auf meinem Sektor gemacht?
Herr Kollege Schröder, jetzt darf ich Ihnen nachhelfen, denn Sie hätten früher einmal einen Kollegen von Ihnen auf hartes Auftreten aufmerksam machen müssen.
— Lesen Sie einmal nach, Herr Kiechle, warum die Franzosen abgewertet haben: um den Zugzwang zur Aufwertung auszulösen. Den Franzosen wurden von der alten Bundesregierung alle Sondermaßnahmen für ihre Abwertung zugestanden, und man hat sich kein Reservat für das Freigeben der eigenen Währung vorbehalten, so daß dieser Minister gar nichts mehr auszuhandeln hatte. Wer inzwischen Europa kennengelernt hat, weiß: hart verhandeln kann ich nur dann, wenn ich etwas zu bieten oder etwas wegzunehmen habe. Das hatte ich nicht. Ich sage das hier nur noch einmal, weil hier so große Worte von harten Verhandlungen geführt worden sind.Ich sage es noch aus einem ganz anderen Grund, meine sehr verehrten Kollegen. Damals habe ich mit Herrn Mansholt, der plötzlich offensichtlich Ihre Freundschaft gefunden hat, ein Gespräch geführt. Einmal ist er verteufelt worden, jetzt besitzt er Ihre Freundschaft, weil er sehr klug geredet hat. Ich habe übrigens immer erlebt, daß er sich nicht unbedingt sehr angestrengt hat, der deutschen Position hilfreich zu sein. Aber das will ich ihm verzeihen; er ist in Pension, und darüber soll man nicht mehr reden. Ansonsten habe ich mich mit ihm nach viel Streit sehr gut vertragen. Als ich im Jahre 1969 Herrn Mansholt fragte: „Herr Mansholt, glauben Sie, daß das die letzte Währungsveränderung in Europa war?", antwortete er: „Natürlich." Darauf meinte ich: „Dann muß ich sagen, dann habe ich offensichtlich von wirtschaftlichen und währungspolitischen Zusammenhängen keine Ahnung. Aber ich sage Ihnen, ohne Prophet spielen zu wollen, es wird noch mehrere geben." Ich habe damals allerdings gedacht, die nächste kommt erst in zwei, drei oder vier Jahren. Daß sie dann so rasch kam, konnte niemand voraussehen. Damals bekam ich von Herrn Mansholt zur Antwort: „Das läßt der Gemeinsame Agrarmarkt nicht zu." Sehen Sie, das war diese Verblendung, daß man glaubte, wenn man einen Gemeinsamen Agrarmarkt mit Rechnungseinheiten macht, dann gibt es keine ökonomischen Veränderungen für Europa, sondern der Zug steht auf der Einbahnstraße und fährt automatisch zur Wirtschafts- und Währungsunion. Ich muß das hier noch einmal sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.Dennoch sage ich Ihnen bei allen sachlichen Bedenken, die ich im Augenblick habe: Es wäre politisch geradezu gefährlich, in dieser Frage eine Position einzunehmen, die in Europa die Meinung aufkommen lassen würde, diese Bundesregierung sei an der Fortsetzung des Gemeinsamen Agrarmarktes nicht interessiert. Das darf uns allerdings nicht daran hindern, Lösungen zu suchen, die diesen Agrarmarkt auf die Dauer gerechter und praktikabler machen; aber das kann immer nur Schritt für Schritt und im Kompromißwege mit allen geschehen. Das wollte ich sagen. Ich bin überzeugt, daß unser Volk und die Völker Europas nur eine Chance haben: entweder politisch gemeinsam eine Rolle in der Welt zu spielen oder zu Randfiguren in der Welt zu werden. Das möchte ich unserem Volk und den anderen Völkern in Europa nicht zumuten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eigen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Entschuldigen Sie bitte, Herr Minister, Sie hören wieder jemanden, der „über den spitzen Stein stolpert". Mir macht allerdings Ihre bayerische Ausdrucksweise überhaupt nichts aus, ich mag diese sogar außerordentlich gern.
Eines wundert mich allerdings sehr: daß jemand, der vier Jahre als Minister im Amt ist und damit diese hohe Verantwortung in Europa trägt, eine halbe Stunde erregt darüber spricht, was Vorgänger vor ihm möglicherweise falsch gemacht haben könnten. Wie lange wollen Sie eigentlich noch Minister bleiben, Herr Minister Ertl, damit Sie einmal über Ihre Politik hier im Deutschen Bundestag berichten können und nicht über Fehler vergangener Zeit?
Ich finde es auch sehr eigenartig, in welcher Weise Sie mit dem Herrn Kollegen Kunz hier verfahren sind, nachdem er doch sehr sachlich, meine ich, über die Probleme des ländlichen Raums, der schwach strukturierten Gebiete gesprochen hat. Eigentlich sollte doch gerade Ihnen diese Sache ganz besonders am Herzen liegen.Herr Saxowski, ich muß auch zu Ihnen ein Wort sagen, weil Sie in Ihrer Rede einen Berufsverband angesprochen haben, der mir sehr nahesteht. Wenn Sie hier die Aussagen von Verbänden zum Agrarbericht verunglimpfen, dann lesen Sie doch bitte die Rede des jetzigen Bundesministers zum Agrarbericht 1968 nach, als er noch Oppositionspolitiker war. Sie werden dann alle Schwächen dieses Agrarberichts im einzelnen erfahren können.
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EigenIch mache nur darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, daß allein durch die Bewertung des § 4 des Landwirtschaftsgesetzes in einem Jahr 701 Betriebe von 7 200 aus der Bewertung herausgenommen worden sind, weil sie nach dem Stand der Standardbetriebseinkommen als nicht mehr in der Lage sind, eine landwirtschaftliche Familie zu ernähren. Nur soviel dazu. Über die Arbeitszeit ist hier schon gesprochen worden.Meine Damen und Herren, ich hatte mir vorgenommen, über das Memorandum der Europäischen Gemeinschaft über die Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik hier zu referieren und zu diskutieren.
— Herr Schmidt, ich nehme den Ball gerne auf. Ich bin sehr damit einverstanden, daß wir diese außerordentlich differenziert zu betrachtenden Vorschläge im Ernährungsausschuß debattieren, aber, bitte schön, hoffentlich sehr bald, so schnell wie es möglich ist, damit wir vor den Verhandlungen in Brüssel noch unseren Sachverstand einbringen können.Meine Damen und Herren, nicht umsonst hat Präsident Ortoli am 31. Januar sozusagen einen Hilfeschrei, schon keinen Ruf mehr, an die Regierungen, Parlamentarier und Völker Europas gerichtet, nun endlich etwas zu tun, damit dieses Europa auch wirklich zu dem werden kann, was es werden muß. Ich sage hier zu diesem Memorandum nur soviel, meine Damen und Herren, Herr Minister Ertl, damit Sie nachher nicht wieder sagen können, Sie hätten rechtzeitig gehandelt: Wir haben Ihnen frühzeitig sowohl beim Gartenbau wie bei den Kutterfischern durch Anfragen im Bundestag, durch Anträge der CDU/CSU-Fraktion immer wieder klar gesagt, wo die Schwerpunkte in der Wettbewerbsverzerrung liegen. Wir sagen jetzt klar und deutlich zu diesem Memorandum, daß bei allen Produktbereichen Vorsicht am Platze ist und die Vorschläge von Lardinois in diesem Memorandum zur Benachteiligung der deutschen Landwirtschaft führen müssen.Ich werde mich jetzt auf die Problematik Europa konzentrieren. Herr Minister Ertl, Sie haben gesagt, man müsse jetzt in den Verhandlungen zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen einen fairen Kompromiß zustande bringen. Ich sage Ihnen, Sie müssen in diesen Verhandlungen erreichen, daß die tatsächlichen notwendigen Preisveränderungen durchgesetzt werden. Das ist genauso dringend erforderlich für die Verbraucher in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland wie für die Erzeuger, denn letztlich sind die Verbraucher auch hier in der Bundesrepublik Deutschland am meisten auf eine leistungsfähige Landwirtschaft angewiesen. 256 Millionen Menschen in der Neunergemeinschaft brauchen eine Absicherung durch eine eigene leistungsfähige Landwirtschaft.Wie Sie es mit den Vorschlägen der Kommission oder mit leichten Veränderungen erreichen wollen, die 200 bis 300 DM je Hektar Kostensteigerung dieses Jahres aufzufangen, werden wir dann erleben, wenn Ihre Verhandlungen in Brüssel gelaufen sind. Ich habe nur mit Schrecken festgestellt, daß beispielsweise Herr Ronneburger hier vorgetragen hat, man solle den Orientierungspreis für Rinder um 12 bis 15 % und den Interventionspreis nur um 4 bis 5 % heraufsetzen.Nun zum entscheidenden Problem, meine Damen und Herren! Es wird immer wieder gesagt — auch von Ihnen, Herr Bundesminister Ertl —, die Landwirtschaft solle — und das sei Sache des Berufsstandes und der genossenschaftlichen Organisationen — sich am Markt das holen, was Sie in Brüssel über die Preisverhandlungen nicht durchsetzen könnten. Ich gebe Ihnen im Grundsatz recht. Aber man kann am Markt nur das durchsetzen, was im Rahmen der politischen Gegebenheiten möglich ist. Wir haben keine Chance, am Markt etwas durchzusetzen, wenn Sie diesen Markt durch Mangelverordnungen stören, wenn Sie diesen Markt über einen mangelhaften Grenzausgleich stören, so daß in Italien die Rinderbestände von 8,5 auf 7,5 Millionen zurückgegangen sind und wir aus Bayern und Frankreich eben nicht die Abflüsse nach Italien hatten, um unseren Markt in Ordnung zu halten.Und jetzt das entscheidende Problem, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland Warenstromveränderungen bei den Agrarprodukten, die wirklich ein Alarmzeichen sind. Wir haben bei Konserven, bei Schweinen, bei Obst diese Alarmzeichen. Ich will nur diese drei Bereiche nennen und das gar nicht weiter erläutern, weil die Zeit dazu nicht reicht. Aber jeder, der es wissen möchte, kann es von mir schriftlich bekommen. Das sind Alarmzeichen, die zu beachten sind.Deswegen müssen wir eine neue Politik in Europa anlegen. Wer Europa wirklich will — und ich bin ein leidenschaftlicher Vertreter Europas —, der kann nicht diesen Torso weiterfahren. Er muß neu anfangen, und da muß das erste ein frei gewähltes europäisches Parlament sein, mit Kompetenz. Vielleicht ist das ein neuer Anfang für Europa.
Auf keinen Fall ist diese desolate Agrarpolitik heute noch ein Integrationsfaktor.
Das ist der volle Grenzausgleich auf den Bruttowarenwert aller Agrarprodukte. Nur so kann man die Wettbewerbsverzerrung innerhalb der europäischen Gemeinschaft durch die Veränderungen der Währungsparitaten beseitigen, Veränderungen, die alle erst in Ihrer Regierungszeit geschehen sind: 1969, 1971, 1972 und 1973.
8,5 %, 4,61 %, 3 % und 5,5 %. Das summieren Sie einmal, und dann nehmen Sie dazu die Abwertungen in anderen Ländern. Dann erkennen Sie, wie weit sich die europäische Wirtschaft auseinanderentwickelt hat. Denn Veränderungen der Währungsparitäten sind nur die monetäre Folge von wirtschaftlich unterschiedlicher Entwicklung. Das ist
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Eigenhier das wirkliche Problem. Es sage mir niemand, das sei nicht durchsetzbar. Auch heute ist kein Zollbeamter innerhalb Europas entlassen. Was machen Sie? Sie erheben Umsatzsteuer-Ausgleich, weil die Steuer nicht harmonisiert ist. Warum kann man nicht genauso gut einen entsprechenden Ausgleich in bezug auf die Währungsparitäten für Europa durchführen?Herr Bundesminister Ertl, Sie trifft — Sie haben es selbst gesagt — ein ganz großes Maß an Verantwortung. Sie können ganz sicher sein: Wir werden Ihnen in der Ausschußarbeit konstruktiv helfen, diese große, schwere Verantwortung zu tragen. Denn nach dem Reglement der Europäischen Gemeinschaft sind Sie im Ministerrat der einzige, der dieses ganze Parlament, alle Länderparlamente und das ganze deutsche Volk im Ministerrat in Agrarfragen vertritt. So groß ist diese Ihre Verantwortung, und ich will Ihnen wünschen, daß Sie sich dieser Verantwortung auch tatsächlich würdig erweisen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Grunenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man soll nicht zuviel über einige Dinge sprechen, von denen man nichts versteht, und vor allen Dingen wollen wir auch nicht die Debatte hier ausweiten. Aber ganz kurz noch einmal das, was im Augenblick immer wieder hochgespielt worden ist: die Fischerei.
Man muß mit Erstaunen feststellen, daß die CDU/ CSU vor einigen Wochen plötzlich ihr Herz für die Fischerei entdeckt hat. Das war ja nicht immer so, wenn man in die Vergangenheit sieht. Ich will nichts Besonderes dabei hochbringen; aber wenn Sie es wünschen, dann kann man es einmal machen. Diese Hilfen für die Fischerei sind seit 1969 im besonderen Maße von dieser Bundesregierung gefördert worden, 1969, 1970, insbesondere 1971 ganz deutlich gemacht und vor allen Dingen ermöglicht worden. Das muß man dabei einmal berücksichtigen. Was vorher gewesen ist, ist ja eine zweite Sache.
Spaßig war die Presseerklärung, die am 5. Februar 1974 von Ihnen herausgekommen ist, in der Herr Eigen, Herr Sick und Herr Dreyer sich noch einmal auf den Antrag vom Dezember 1973 bezogen haben, den sie wegen der Unterstützung für einige Gewerbezweige — Sie haben aber damals nicht gesagt, für wen speziell — eingebracht haben. Spaßig war das nur für denjenigen, der damals den Fischern empfohlen hat, möglichst alle Fraktionen zu dieser Erörterung einzuladen. Und warum waren nur Sie von der Opposition, nicht aber die anderen Fraktionen dabei? Das ist — wenn ich das einmal so sagen darf, Herr Eigen — ein echtes, knallhartes Eigentor gewesen, zumindest für Sie und auch für die anderen Beteiligten, die dabei waren.
Ich möchte nicht noch einmal auf das Ausschußprotokoll vom 24. Januar hinweisen. Es zeigt, daß bei Ihnen von der Fischerei keine Rede war, von allem anderen, aber nicht von der Fischerei; lesen Sie es bitte nach. Erst am 14. oder 13. Februar ist überhaupt die Fischerei in Ihren Überlegungen für Stützungsmaßnahmen aufgetaucht. Die Aufstockung der Struktur- und Konsolidierungshilfen um zusätzliche 7 Millionen, die die Bundesregierung gestern für die Kutter- und Küstenfischerei beschlossen hat, ist meiner Meinung nach ein echter Beweis für eine ganz gezielte Mittelstandspolitik dieser Bundesregierung; ich betone: eine ganz gezielte Mittelstandspolitik. Ich bin überzeugt davon, daß diese sozialliberale Bundesregierung die Küsten- und Kleine Hochseefischerei weiterhin unterstützen und eine optimale Fischereipolitik insgesamt betreiben wird.
Zum Abschluß noch folgendes. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im Ernährungsausschuß die Fischerei nicht mehr so als Fremdkörper zu betrachten, wie es mir jedenfalls in der Vergangenheit in meiner Tätigkeit in diesem Ausschuß erschienen ist.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Riedel-Martiny.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist das gute Recht der Opposition, zu sagen, daß die Regierung schlecht ist und daß die Opposition das alles sehr viel besser könnte. Wenn ich in der Opposition wäre, würde ich das vielleicht auch so versuchen. Ich würde mich allerdings bemühen, das Ganze ein bißchen breitschichtiger anzulegen, weil es dann intelligenter wirkt. Denn die Opposition erweckt ja bei dieser Debatte den Anschein, als sei die Agrarpolitik im wesentlichen das Problem von Erzeugung und Absatz agrarischer Produkte nach der guten marktwirtschaftlichen Devise: Möglichst billig erzeugen und möglichst teuer verkaufen. Dabei wird das Problem vorwiegend national begrenzt und so gut wie gar nicht in gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge einbezogen. Soweit ich sehen kann, ist von Ihren führenden Wirtschaftspolitikern niemand hier. Es fehlen beispielsweise auch weitgehend konkrete Aussagen zur regionalen Strukturpolitik, zum Europäischen Regionalfonds, zur Nebenerwerbslandwirtschaft und damit zur Arbeitsmarktsituation usw. Hier hat man dann gut fordern, wenn man so tut, als vollzöge sich die Agrarpolitik in einem Zoo, so nach dem Motto: Gut pflegen, gut nähren, gut einzäunen, damit der scharfe Wind freien Wettbewerbs ja nicht allzu heftig durch die Ritzen pfeift.
Gar nicht angesprochen waren bisher Fragen, die sozusagen die Sonnenseite der Landwirtschaft ausmachen, etwa die auch Ihnen vermutlich nicht unbekannte Fruchtfolge „Kartoffeln, Kiesgrube, Bauland".
Damit meine ich die recht stattlichen Vermögen,über die große Teile der deutschen Landwirtschaftdoch verfügen. Wir in der Region München wissen
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Frau Dr. Riedel-Martinydavon ein Lied mit vielen Strophen zu singen. Kürzlich war eine Veranstaltung in Dachau, wo Baron Heereman zu sehen war, eingerahmt von vielen mir persönlich bekannten und recht wohlhabenden Landwirten, die dort wieder einmal das Lied der notleidenden Landwirtschaft sangen.Gar nicht die Rede war von seiten der Opposition auch davon, daß wir hier den Bericht eines Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu behandeln haben, d. h. daß also auch Aspekte berücksichtigt werden müssen, die gewissermaßen die Kehrseite des Erzeugens, nämlich das Verbrauchen von Agrarerzeugnissen, den Verbraucherschutz betreffen. Der verbraucherpolitische Teil des Agrarberichts ist überhaupt nicht behandelt worden. Dabei zeigt er viele begrüßenswerte Tendenzen auf. Was hinsichtlich der Sicherung von Qualität, Gesundheitsunschädlichkeit, Preiswürdigkeit der Nahrung hier ausgeführt worden ist, ist sicherlich akzeptabel und bedenkenswert. Es finden sich auch Hinweise darauf — das halte ich für wichtig —, daß wir einige Gesetze bereits in der letzten Zeit verabschiedet haben — Fleischbeschaugesetz, Geflügelfleisch-Hygienegesetz das Margarinegesetz ist nahezu fertig, dazu die Gesamtreform des Lebensmittelrechtes —, die diesen Gesundheitsschutz, der schon ziemlich gut ist, noch weiter ausbauen
— ausbauen beispielsweise auch, was die Kontrolle bei Importen angeht. Das ist etwas, womit Sie sich immer schmücken, bei dem Sie aber immer so tun, als gäbe es das noch gar nicht und als täte die Regierung nichts. Dabei passiert etliches, und wir sind hier im Wettbewerb in keiner Weise gegenüber den anderen EG-Ländern benachteiligt. Wenn Schwierigkeiten vorliegen, betreffen sie die Lebensmittelkontrolle der Bundesländer. Hier ist sicherlich noch einiges zu verbessern, was wir vom Bund aus nur anregen, nicht aber selber tun können.Auf zwei Gebieten aber müßte noch mehr getan werden. Das hätten Sie jetzt hier konstruktiv ansprechen können. Die Aufklärung über Verbraucherfragen, über gesunde Ernährung erreicht bisher nur die Leute, die das ohnehin fast alles wissen, da sie eine einigermaßen akzeptable Schulbildung haben und sich für solche Sachen interessieren. Wer sich nicht dafür interessiert, wird von dieser Verbraucheraufklärung eben auch noch nicht erreicht, die Landbevölkerung weitgehend nicht, die alten Menschen nicht und sozial schwache, nicht gut ausgebildete Leute auch nicht. Hier muß etwas passieren. Die Modellvorhaben des Ernährungsministeriums müssen hier ausgebaut werden.Ein zweiter Punkt, den ich in meinem kurzen Beitrag im letzten Jahr auch schon angesprochen hatte, betrifft die Versorgung im ländlichen Raum, wo sich die Dinge ebenfalls nicht zum besten entwickeln, sondern eher in die negative Richtung. Wir haben dort eine zweigleisige Entwicklung, einmal in Richtung auf Cash-&-Carry-Betriebe, die als massive Konkurrenz die kleinen Läden eher kaputtmachen, zum anderen in Richtung auf die Läden des täglichen Bedarfs, die in weiten Bereichen des Landes nicht mehr konkurrenzfähig sind, weil die Bevölkerung ihren Bedarf anderwärts deckt.Der letzte Aspekt, zu dem ich etwas sagen möchte, ist der des Weltagrarhandels und — was wir ja kürzlich im Ausschuß angesprochen haben — der „sensiblen Produkte". Hier wird von Ihnen in dieser Debatte auch wieder so getan, als bestünde praktisch kein Zusammenhang zwischen der EG-Agrarpolitik und der Entwicklungspolitik. Dabei haben Sie alle vermutlich das umfangreiche Interview mit Herrn Burma, dem Präsidenten der FAO, in „Agra Europe" gelesen, der weitgehende Erwartungen gegenüber der Europäischen Gemeinschaft hegt: daß sie einen größeren Beitrag zur Vorsorge bei Hungerkatastrophen und zur Hilfe, wenn sie eingetreten sind, leisten soll.Abschließend: Die Agrarpolitik ist vielschichtig. Ich meine, die Opposition sollte erkennen, daß sich die Qualität einer agrarpolitischen Debatte nicht an ihrer Länge erweist, sondern an der Differenziertheit der Sichtweise.
Von der Agrarpolitik betroffen werden weit mehr Menschen in der ganzen Welt, als die Opposition in ihre Rechnung einbezogen hat.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gallus.
— Herr Kollege Susset begründet nur noch den Entschließungsantrag der CDU/CSU. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu den Äußerungen von Frau Riedel-Martiny die Tatsache ergänzen, daß es im landwirtschaftlichen Bereich nicht mehr so einfach nach dem Motto „Kartoffeln, Kiesgrube, Bauland" geht. Ich darf Sie daran erinnern, daß der landwirtschaftliche Bereich der erste ist, in dem ein Gesetz zur Veräußerungsgewinnbesteuerung erlassen worden ist und der Mehrwert ab 1970 versteuert werden muß. Dieser steht allerdings im privaten Bereich noch aus. Ich glaube, das muß ich zur Ehrenrettung der Bauern sagen, die einen etwas höheren Preis für ihre Grundstücke bekommen haben.Nun aber zu Ihnen, Herr Eigen, zwei Anmerkungen.Erstens zu dem, was Sie zu Herrn Ronneburger gesagt haben in bezug auf Interventions- und Orientierungspreis bei den Rindern: ich glaube, man muß der Fairneß halber auch einmal feststellen, daß wir bei Rindern in der Bundesrepublik schon seit Wochen in einem Ausmaß intervenieren, wie es das bisher noch nicht gegeben hat,
und daß die Lagerkapazitäten beinahe erschöpft sind. Das muß man doch in die politischen Überlegungen einbeziehen. Nur würde ich hier sagen: Der Interventionspreis bei Rindern sollte so festge-
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Gallussetzt werden, daß die Belastung des Marktes erträglich bleibt und für die Landwirte die Produktion von Rindfleisch rentabel gemacht werden kann.Sie haben hier so bestimmt von der Veränderung der Warenströme und davon gesprochen, daß eine neue Politik beginnen muß und daß uns diese desolate Agrarpolitik Europas überhaupt nichts gebracht habe. Herr Eigen, Sie hängen Illusionen nach, die der Realität nicht entsprechen, auch wenn Sie hier markige und kantige Worte gebrauchen. Erstens stimmt es nicht, und zweitens gibt es das, was Sie sich denken, als politischen Weg nicht.Ich lese Ihnen einmal die Zahlen über die Warenströme allein des Jahres 1973 vor. Nach Fankreich gingen 30 000 t Rindfleisch; das sind umgerechnet 120 000 Rinder. Nach Italien gingen 57 000 t Rindfleisch; das sind 230 000 Rinder. In die EG insgesamt gingen 94 000 t Rindfleisch, das sind umgerechnet 400 000 Rinder. Auch hier möchte ich Ihnen sagen, was ich Ihnen schon heute morgen gesagt habe: Lassen wir in der EG-Agrarpolitik bitte die Kirche im Dorf. Unterschlagen wir nicht etwas, was wir auch unsererseits dringend brauchen, um mit unseren Überschüssen fertig zu werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben als Drucksache 7/1798 einen Entschließungsantrag vor sich. Er umfaßt neun Punkte. Heute ist ja sehr oft nach den Alternativen der Opposition gefragt worden. Er könnte für die derzeitige Situation sicherlich als Alternative angesehen werden.Unter Ziffer 1 nehmen wir zur Preis-Kosten-Situation Stellung. Wir fordern die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag auf, „den inflationären Preisauftrieb bei landwirtschaftlichen Betriebsmitteln auf ein erträgliches Maß zurückzuführen und im Zuge der Agrarpreisverhandlungen darauf hinzuwirken", daß die weit geöffnete Preis-Kosten-Schere geschlossen wird. Wir meinen, daß bei der Debatte über die Anhebung der Agrarpreise auch die erheblichen Kostensteigerungen bei den Verarbeitungs- und Produktionsbetrieben berücksichtigt werden müssen. Ich denke an die Lohnerhöhungen, an die Erhöhung der Preise von Verpackungsmaterial usw.Zum Grenzausgleich! Wir haben am vergangenen Dienstag bei einer Kundgebung von einem Wirtschaftszweig gehört, wie es um ihn stehen kann, wenn der Grenzausgleich als Schutzwirkung nicht vorhanden ist. Unser Wunsch an die Bundesregierung und das Parlament ist, für Abhilfe zu sorgen, bevor der letzte Obstbaubetrieb und die letzte Konservenfabrik in der Bundesrepublik die Tore schließen müssen.
Zum Aufwertungsausgleich haben verschiedene Kollegen meiner Fraktion schon einiges beigetragen, was die Verteilung der 400 Millionen DM aus dem Aufwertungsausgleich angeht. Wir haben seit gestern den Beschluß des Bundeskabinetts. Wir haben den Eindruck, daß versucht wird, mit diesen Mitteln alle möglichen Bedürfnisse zu befriedigen, aber nur nicht den Hauptzweck zu erfüllen, nämlich das landwirtschaftliche Einkommen anzuheben und eine Entlastung auf dem Produktionsmittelsektor herbeizuführen. Aus diesem Grunde halten wir es für das vernünftigste — das kommt in der Entschließung zum Ausdruck — dafür zu sorgen, daß „eine Entlastung bei den Beiträgen für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und durch erhöhte Beihilfen die Senkung der Preise von Dieselkraftstoff" erreicht wird. Dann haben wir Maßnahmen eingeleitet, die tatsächlich kostenentlastend wirken können.Zur Anhebung der Vorsteuerpauschale bei der Mehrwertsteuer! Herr Kollege Gallus hat heute gesagt, daß die Diskussion über die Anhebung der Vorsteuerpauschale um 1 % für uns noch nicht abgeschlossen ist. Wir haben den Wunsch, daß dies, wenn wir darüber in den Ausschüssen beraten, nicht vergessen wird. Mit dieser Anhebung der Vorsteuerpauschale um 1 % können wir die Belastung im Produktionsmittelbereich tatsächlich wesentlich mildern.In Ziffer 5 unseres Entschließungsantrags geht es um die Einbeziehung von Witwen und Waisen. Herr Kollege Schonhofen, der Kollege Saxowski und verschiedene andere Sprecher aller Koalitionsfraktionen haben gesagt: Wir suchen heute andere Kriegsschauplätze; wir wollen auf die Frage der Agrarsozialpolitik überhaupt nicht eingehen. Ich meine, wir bräuchten uns zu dieser Stunde zu dieser Frage nicht mehr zu Wort zu melden, wenn beispielsweise bei den Beratungen über das Altershilfegesetz unsere Forderung nach Einbeziehung von Witwen und Waisen durchgesetzt worden wäre.
Ich habe mich darüber gewundert, daß Herr Staatssekretär Logemann am 5. März in einer Veranstaltung in Wartenburg behauptet hat, die landwirtschaftlichen Unternehmer und ihre Familien seien heute gegen alle sozialen Risiken abgesichert. Ich könnte hier Briefe verlesen, meine sehr verehrten Damen und Herren — aber wir haben keine Zeit, weil wir unsere entwicklungspolitischen Freunde nicht allzu lange warten lassen wollen —, in denen Kinder anfragen, warum wir nichts täten, damit endlich auch die Mutter, die zusammen mit dem Großvater und den Kindern im Alter von 6, 9 und 13 Jahren auf einem Aussiedlerhof wirtschaftet, eine Rente bekomme.Gleichfalls bringen wir in unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck, daß das soziale Unrecht gegenüber kriegsbeschädigten Landwirten — Herr Kollege Schonhofen ist schon ganz kurz darauf eingegangen — beseitigt werden muß, indem wieder wie in der Vergangenheit die Möglichkeit geschaffen wird, beitragsfrei, d. h. ohne Krankenkassenbeiträge zu zahlen, auch Heilfürsorge zu erhalten.
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SussetIch erinnere in diesem Zusammenhang an den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 25. Oktober 1973. Dieser sollte rasch in den Ausschüssen endlich positiv behandelt werden.Bei den Berufsgenossenschaften wünschen wir eine Anhebung der Jahresarbeitsverdienste von 7 200 DM auf eine höhere Summe, wobei wir über die Höhe mit uns reden lassen. Wir sind nämlich der Meinung, daß die derzeitige Höhe der Jahresarbeitsverdienste von 7200 DM für denjenigen, der bei einem Unfall zu Schaden kommt, einfach keine reale Basis mehr für die Rente ist.
Weiterhin haben wir Vorschläge zur Frage des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms, auch was die landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebe anbelangt, unterbreitet. Ich möchte es mir aus Zeitgründen ersparen, darauf näher einzugehen, möchte aber darum bitten, auch die einzelbetriebliche Förderung für die Vollerwerbsbetriebe neu zu überdenken und als Förderkriterium statt der feststehenden Einkommen für die Förderschwelle den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.In unserem letzten Punkt kommen wir auf die Forstschäden zurück, die die Sturmkatastrophe in den Bundesländern Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein verursacht hat. Wir bitten die Bundesregierung, endlich die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit die Aktion abgeschlossen werden kann.Frau Kollegin Riedel-Martiny glaubte sagen zu müssen, die CDU wolle hier nur auf die Probleme der Erzeuger eingehen. Ich muß Ihnen sagen, Frau Kollegin: Frau Dr. Riede war vorbereitet; sie hat auf ihre Rede verzichtet, weil wir auf Grund der Länge dieser Debatte unter Zeitdruck geraten wären. Sie hätte sicherlich auch einiges zu den Verbraucherfragen gesagt. Wir meinen, die Agrarpolitik, die wir als CDU/CSU-Fraktion betreiben, ist angesichts dessen, was wir zur Zeit auf den Weltmärkten erleben, die beste Verbraucherpolitik.Ich bitte, daß der Entschließungsantrag unserer Fraktion an die hierfür zuständigen Ausschüsse -ich nehme an, das sind der Ernährungsausschuß, der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und der Haushaltsausschuß — überwiesen wird, und hoffe auf eine zügige Beratung.
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Agrarbericht 1974 der Bundesregierung — Drucksachen 7/1650, 7/1651, 7/1652 — dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion — Drucksache 7/1798 — soll dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend —, dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und dem Finanzausschuß — mitberatend — sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU
betr. Entwicklungspolitik der Bundesregierung
- Drucksachen 7/1160, 7/1375 —
b) Beratung des Berichts zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung
— Drucksache 7/1236 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine verbundene Debatte vor.
Zur Begründung der Großen Anfrage hat der Herr Abgeordnete Todenhöfer das Wort. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 40 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einigen Presseerklärungen an diesem Tage habe ich mit Erstaunen entnommen, daß die Bundesregierung nach der Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses von gestern der Ansicht ist, daß sämtliche Vorwürfe des Bundesrechnungshofes nun völlig entkräftet seien. Ich möchte diesem Hohen Hause daher mit Genehmigung des Herrn Präsidenten eine Stellungnahme der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Rechnungsprüfungsausschuß zu dieser Interpretation vorlesen. Sie lautet:Die Beratungen des Gutachtens haben ergeben, daß in einer Reihe von Einzelfällen im Bereich der technischen Hilfe gravierende organisatorische Mißstände bestehen. Die Feststellung des Rechnungsprüfungsausschusses, daß diese Mißstände nicht verallgemeinert werden dürfen, kann nicht so interpretiert werden, als seien sie nicht vorhanden.
Versuche von Mitgliedern der Regierung, die Feststellungen des Rechnungsprüfungsausschusses in dieser Richtung zu interpretieren, verfälschen den Sinn dieser Feststellung.Ich glaube, das sollte am Beginn dieser Debatte gesagt werden.Generell muß zum Gutachten des Bundesrechnungshofes und zu jener Sitzung, an der ich zeitweilig teilgenommen habe, folgendes gesagt werden. Alle Vorwürfe und kritischen Anmerkungen des Bundesrechnungshofes, die aus der schlechten organisatorischen Zuordnung von BMZ, BfE und GAWI resultieren — wie z. B. Doppelarbeit, mangelnde Koordination, Reibungsverluste —, werden vom Bundesrechnungshof aufrechterhalten. Die Argumentation, daß diese Organisationsform vom Bundesrechnungshof herbeigeführt worden sei, ist historisch falsch. Sie ist vor allem eine Flucht aus der ministeriellen Verantwortung. Vorwürfe — darauf weise ich besonders hin — im Hinblick auf Umgehung des Haushaltsplans und auf Abweichung von Vergabevorschriften werden gegenwärtig noch geprüft. Die
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Dr. TodenhöferBehauptung, daß diese Vorwürfe widerlegt seien, kann deshalb nicht aufrechterhalten werden.
Die Vorwürfe aus dem Prüfungsbericht vom Juli 1973 sind im Rechnungsprüfungsausschuß noch gar nicht behandelt worden. Ich könnte Ihnen hier noch eine ganze Reihe von Punkten vortragen, die in jenem Verfahren des Rechnungsprüfungsausschusses behandelt worden ist. Ich verzichte darauf. Wir werden darauf zurückkommen.
Herr Kollege, das ist auch gut, denn Sie müssen die Große Anfrage begründen.
Herr Minister Eppler hat der Opposition vor einigen Wochen an dieser Stelle vorgeworfen, indem sie ihn angreife, treffe sie die deutsche Entwicklungshilfe. Ich glaube, daß nicht derjenige der Entwicklungspolitik schadet, der die Unzulänglichkeit der Entwicklungspolitik dieser Regierung kritisiert, sondern der, der für diese Unzulänglichkeiten die Verantwortung trägt.
Ich meine, die beiden letzten Jahre waren für die deutsche Entwicklungspolitik nicht sehr erfolgreich. Manchmal schien es uns, als habe Minister Eppler früher mehr Zeit für die Dritte Welt gehabt. Wir meinen, er sollte sich in Zukunft etwas mehr um Entwicklungspolitik kümern und etwas weniger um Außenpolitik und Steuerpolitik und Gesellschaftspolitik.
Das täte der Entwicklungspolitik gut und sicher auch den anderen genannten Bereichen.Wir alle haben Anlaß zu außerordentlicher Sorge, wenn wir die augenblickliche Situation der Entwicklungsländer betrachten. 15 Milliarden Dollar müssen die Entwicklungsländer allein in diesem Jahr zusätzlich aufbringen, wenn sie die direkten und indirekten Auswirkungen der Ölpreiserhöhungen finanzieren wollen. Das ist fast das Doppelte der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe der westlichen Industrieländer des Jahres 1973. Viele Entwicklungsländer stehen vor der Frage, wie sie in diesem Jahr nicht nur ihre Energieeinfuhren, sondern auch ihre Nahrungsmittelimporte und damit ihr Überleben finanzieren sollen. Die meisten unter ihnen haben bereits begonnen, ihre Investitionen zu kürzen, Investitionen, die sie eigentlich erhöhen müßten, wenn der Kreislauf von Arbeitslosigkeit, Armut und politischen Unruhen durchbrochen werden sollte. Die arabische Ölpolitik hat in ganz besonderem Maße die Entwicklungsländer vor neue und sehr schwierige Aufgaben gestellt.Gleichzeitig sind in Deutschland unter dem Eindruck bisher unbekannter Abhängigkeiten von einzelnen Ländern der Dritten Welt Sinn und Ziel der deutschen Entwicklungspolitik ins Wanken geraten. Viele Bürger fragen sich heute, ob Entwicklungshilfe nicht eine sozialromatische Angelegenheit für frühere Schönwetterlagen war, und viele sehen nur noch in der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern einen Sinn, die für unsere eigene Rohstoffversorgung von Bedeutung sind. Die Bundesregierung muß auf diese Fragen der Bevölkerung klare, überzeugende Antworten geben. Sie muß diese Antworten vor allem durch eine glaubwürdige Politik jeden Tag unter Beweis stellen, wenn sie verhindern will, daß die Entwicklungshilfe in Zukunft nur noch die Brosamen bekommt, die der interne Verteilungskampf in unserem Lande und die Finanzierung der Ostpolitik übrig lassen.Für die CDU/CSU ist Entwicklungspolitik nicht nur eine humanitär-karitative Aktion, sondern gleichzeitig eine Investition in die Zukunft, ohne die langfristig auch unser Wohlstand nicht gesichert werden kann und ohne die jede noch so spektakuläre Außenpolitik einseitig und damit erfolglos bleiben muß. Gerade die Nahost- und die Erdölkrise haben dies mit aller Deutlichkeit gezeigt.Ich frage nur, ob die Bundesregierung aus dieser Lehre die richtigen Konsequenzen zieht. Wer sich nach der Ölkrise noch immer auf seine wirtschaftliche Macht oder gar auf die Buchstaben von Verträgen verläßt, gibt sich gefährlichen Illusionen hin. Es genügt nicht, daß wir in dieser Situation versuchen, aus der Erdölkrise herauszukommen. Wer die Entwicklungsländer dort zurückläßt, hat offensichtlich vergessen, worauf jetzt und in Zukunft unsere wirtschaftliche Sicherheit beruht. Die Bundesrepublik hat — anders als die Vereinigten Staaten — keine Alternative zur internationalen Arbeitsteilung. Das bedeutet immer und unabänderlich Abhängigkeit. Die Aufgabe, vor der wir heute stehen, lautet daher nicht, unsere Abhängigkeit von den Ländern der Dritten Welt aufzuheben, sondern ein internationales Klima zu schaffen, in dem diese Abhängigkeit erträglich wird.Wir haben zwei Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen. Das erste ist die Entwicklungspolitik. Sie hat die Aufgabe, die Entwicklungsländer zu leistungsfähigen und vollwertigen Partnern des internationalen Handels zu machen. Dies gilt heute mehr denn je. Das zweite Instrument ist die liberale Außenwirtschaftspolitik. Ihre Aufgabe ist es, den freien internationalen Handel und den Zugang aller zu 'den Weltmärkten zu sichern, damit nicht Macht oder Erpressung die internationale Arbeitsteilung regulieren.Beide Instrumente, Entwicklungspolitik und liberale Außenwirtschaftspolitik, hängen eng miteinander zusammen. Gerade dieser Zusammenhang scheint jedoch Minister Eppler nicht mehr klar zu sein. Seit Wochen nutzen er und sein Parlamentarischer Staatssekretär Matthöfer die Ölkrise und die unbefriedigende Transparenz der multinationalen Konzerne, um die Grundsätze einer liberalen Außenwirtschaftspolitik in Frage zu stellen.
Wir alle aber wissen, daß heute die größte Gefahr für den internationalen Handel und den internationalen Wettbewerb nicht von den multinationalen Gesellschaften ausgeht, sondern von der Neigung
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Dr. Todenhöfervieler Regierungen zum Protektionismus. Wir alle wissen, daß gerade diese Beschränkungen des freien internationalen Handels die Entwicklung der Dritten Welt besonders behindern. Minister Eppler und sein Parlamentarischer Staatssekretär sollten sich ,daher in Zukunft stärker der Mitarbeit am Abbau dieser Handelshemmnisse widmen, statt durch einen Feldzug gegen die multinationalen Konzerne von den eigentlichen Problemen ides internationalen Handels abzulenken. Die Frage der internationalen Kontrolle der multinationalen Konzerne, die auch ich für notwendig halte, sollte den Politikern dieser Koalition überlassen bleiben, deren marktwirtschaftliche Grundsätze krisenfester sind als die Minister Epplers und Staatssekretär Matthöfers.
— Sie haben wahrscheinlich gar keine.Es gibt neben der langfristigen Sicherung unseres eigenen Wohlstandes und unserer äußeren Sicherheit einen dritten Grund — er ist vielleicht der wichtigste —, der es uns verbietet, die Entwicklungsländer nunmehr der Mildtätigkeit der arabischen Staaten zu überlassen. Es ist der — auch für uns — entscheidende Grundsatz der sozialen Solidarität, der es uns auch heute verbietet, die Vorhänge vor den Problemen der Dritten Welt zuzuziehen.
— Wahrscheinlich schon vor Ihnen.Das bedeutet aber gleichzeitig, daß die Bundesregierung die tatsächliche Bedürftigkeit stärker zum Maßstab ihrer Entwicklungspolitik machen muß. Herr Kollege Stahl, hier liegt einer der entscheidenden Gründe für unseren Widerstand gegen den Milliardenkredit an Jugoslawien. Allein die erste Tranche von 300 Millionen DM, die 1973 ausgezahlt wurde, war größer als alle in demselben Zeitraum abgeschlossenen Kapitalhilfekredite an ganz Schwarz-Afrika. Herr Minister, dieser Kredit hat die gesamte deutsche Entwicklungshilfe im Bewußtsein unserer Bevölkerung in Mißkredit gebracht.
Wir sind nicht gegen freundschaftliche Beziehungen zu Jugoslawien, aber wir sind gegen Ihre Politik der heimlichen Vermengung von Außen- und Entwicklungspolitik.
Da Sie in letzter Zeit so häufig darauf hinweisen, dies sei in der Großen Koalition vereinbart worden, möchte ich Ihnen eine Erklärung des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger vorlesen, zu deren Zitat er mich ermächtigt hat. Sie lautet:Die Darstellung der SPD, der mit Jugoslawien vereinbarte Kapitalhilfekredit von 1 Milliarde DM gehe auf eine 1968 in Bad Dürkheim getroffene Vereinbarung zwischen mir und dem damaligen Außenminister Brandt zurück, ist falsch.
Von Entwicklungshilfe — zudem in der jetzigen Höhe von 1 Milliarde DM — war nicht die Rede. Das Kabinett wurde im übrigen mit dieser Frage nie befaßt.Kiesinger fährt fort:Meine Haltung ergibt sich unmißverständlich aus meinem im Februar 1969 geführten Gespräch mit dem jugoslawischen Außenhandelsminister Granfil. In diesem Gespräch habe ich auf die mir vorgetragenen Wünsche der jugoslawischen Seite nachdrücklich erwidert: Ich sehe keine Möglichkeit, sie zu erfüllen.
Dies war die Erklärung, die der damalige Bundeskanzler Kiesinger mich zu verlesen ermächtigte.
— Sicherlich, aber hier hat man eben mit verallgemeinernden Darstellungen versucht, den Eindruck zu erwecken, die Verantwortung dafür treffe eine andere Regierung.Eine der bedauerlichsten Fehlentwicklungen, seit Minister Eppler Entwicklungsminister ist,
ist die wachsende Kluft von Worten und Taten, die bei Ihnen, Herr Wischnewski, noch geringer war.
Sie hat zu zunehmenden Zweifeln an der Glaubwürdigkeit und der Leistungsfähigkeit der deutschen Entwicklungshilfe geführt. Herr Wischnewski, selbst für Sie gab es sicherlich nichts Eindrucksvolleres als die am 11. Februar 1971 beschlossene entwicklungspolitische Konzeption der Bundesregierung.
Hier wurde in einem „glänzenden", umfangreichen Konzept — angefangen von der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, der Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssysteme, von Strukturverbesserungen in ländlichen Räumen bis hin zur direkten Förderung des Handels und der Exportindustrie, um nur einige Punkte aus dieser Konzeption zu nennen — nichts ausgelassen, was in einem Entwicklungsland theoretisch getan werden könnte. Minister Eppler hatte im Vorwort zu dieser Konzeption gesagt: „Jeder kann nun nachlesen, was wir tun."Vor dem „glänzenden" Hintergrund dieses Konzepts sieht die entwicklungspolitische Praxis leider meist etwas blaß und dürftig aus. Sie muß auch blaß und dürftig aussehen. Denn das, was die Bundesregierung in dieser Konzeption ankündigt, führt
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Dr. Todenhöfersie doch nicht einmal in unserem eigenen Lande durch.
Wer die entwicklungspolitische Praxis betrachtet, muß feststellen, daß die früheren Entwicklungsminister und das Wirtschaftsministerium, dem bislang die Kapitalhilfe unterstand, auch keine schlechtere Entwicklungshilfe geleistet haben, auch wenn dort weniger Programme produziert wurden.Neu im Bereich der Kapitalhilfe ist im Grunde nur zweierlei: Erstens die offizielle Aufgabe der Lieferbindung, wobei ich allerdings mit Nachdruck darauf hinweisen muß, daß schon 1965 unter dem damaligen Wirtschaftsminister Erhard nur 25,8 % der deutschen Kapitalhilfe liefergebunden waren und daß auch heute noch mancher Kapitalhilfekredit liefergebunden vergeben wird — mit dem einen Unterschied, daß diese Regierung das nun heimlich tut; das ist der Unterschied zur damaligen Politik. Neu ist zweitens die Verringerung des Zinssatzes bei Kapitalhilfekrediten auf 2 %. Beides begrüßen wir ausdrücklich.Allerdings bedeutet diese Verbesserung der Konditionen deutscher Kredite nicht, daß die Qualität der deutschen Entwicklungshilfe verbessert wurde. Im Sprachgebrauch der OECD bestimmen zwar die Konditionen die sogenannte Qualität der Hilfe. Nach diesem Qualitätsbegriff, sehr verehrter Herr Brück, wäre jedoch beispielsweise eine völlig überflüssige und nicht funktionierende Düngemittelfabrik ein Beweis für die „Qualität" der deutschen Entwicklungshilfe, wenn nur der Kredit, mit dem sie finanziert wurde, ohne Lieferbindung und zu einem möglichst niedrigen Zinssatz gegeben wurde. Das muß man wissen, wenn die SPD — wie auch heute wieder häufig darauf hinweist, sie habe die Qualität der deutschen Entwicklungshilfe verbessert. Sie hat die Qualität der deutschen Entwicklungshilfe nicht verbessert, jedenfalls nicht, wenn man deutsche Qualitätsmaßstäbe zugrunde legt.
Das Gutachten des Bundesrechnungshofs hat hierzu in vielen Punkten Unwiderlegbares gesagt, auch wenn nicht alle Punkte verallgemeinert werden dürfen.
Das ändern Sie auch nicht dadurch, Herr Minister Eppler, daß Sie und Ihre Fraktionskollegen nun in bemerkenswerter Art und Weise die Autorität des Bundesrechnungshofs zu demontieren suchen.
— Das tun Sie schon seit einigen Wochen, seit dieses Gutachten bekannt ist.
Auch die quantitativen Ankündigungen Ihrer Bundesregierung, Herr Brück, sind nicht eingehalten worden.
Ich will nicht näher auf die Ankündigung der Verdoppelung der Expertenzahl bis 1975 und ähnliche spektakuläre Ankündigungen und ihr stilles Begräbnis eingehen. Ich will mich auf die öffentliche Ankündigung der Bundesregierung beschränken, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für deutsche Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen.1967 und 1968, als die CDU/CSU noch die Regierung führte, hatte der Anteil der deutschen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt 0,41 % betragen. Dann übernahm 1969 die SPD die Führung der Bundesregierung, Herr Eppler wurde Minister und ließ die Erfüllung des 0,7-%-Ziels verkünden, frei von christlich-demokratischen Koalitionszwängen. Das Ergebnis war folgendes: 1969 leisteten wir noch 0,38 %, 1970 0,32%, 1971 0,34 % und 1972 0,31 %.
— Wenn es nach uns ginge, sicher nicht.Mit 0,31 % hatte die deutsche Entwicklungspolitik quantitativ ihren absoluten Tiefpunkt erreicht
und lag, gemessen am Bruttosozialprodukt, an vorletzter Stelle unter den Mitgliedstaaten der EWG.Im Entwicklungshilfeausschuß der OECD kam es deshalb am 5. Oktober 1973 zu einem ungewöhnlich heftigen Eklat, als die beiden prüfenden Länder Frankreich und Holland die deutschen Leistungen sehr hart kritisierten. Der niederländische Vertreter drückte vor allem seine Enttäuschung darüber aus, daß die Bundesregierung jetzt offensichtlich nur noch das Ziel habe, gerade die jetzige Durchschnittshöhe der Hilfe der anderen EG-Länder bis 1978 zu erreichen. Der französische Vertreter wies darauf hin, daß das deutsche Bekenntnis zum 0,7-%-Ziel durch die tatsächlich getroffenen Vorkehrungen unglaubwürdig werde. Das war am 5. Oktober 1973.Die Bundesregierung und ihr Minister, der offensichtlich gehofft hatte, daß sich diese harte internationale Kritik nicht bis hierher herumsprechen würde, erklärte zu dieser Jahresprüfung eine Woche später, am 12. Oktober 1973, im Norddeutschen Rundfunk, die Bundesregierung habe in diesem Jahr nach dem Urteil des Entwicklungshilfeausschusses der OECD im sogenannten Länderexamen „noch ein bißchen besser abgeschnitten" als im letzten Jahr. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit verteilte die entscheidenden Passagen dieser ministeriellen Erfolgsmeldung an die deutsche Presse. Ich halte, Herr Minister Eppler, eine solche Öffentlichkeitsarbeit für unseriös.
Die Bundesregierung hat nun vor einigen Wochen eine neue Ankündigung gemacht. Sie hat versprochen, sie werde die öffentliche Entwicklungshilfe bis 1978 verdoppeln und damit den Anteil der öffent-
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Dr. Todenhöferlichen Hilfe am Bruttosozialprodukt auf 0,42 % erhöhen. Das würde bedeuten, daß sie etwa das Niveau erreichen würde, das die deutsche Entwicklungshilfe in den 60er Jahren unter den CDU-Regierungen hatte.Sieht man einmal davon ab, daß Staatssekretär Sohn wenige Wochen zuvor diese Verdoppelung nicht für 1978, sondern schon für 1977 angekündigt hatte, müssen doch einige Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Ankündigung und der dazu vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung angemeldet werden; denn in den vergangenen Jahren wurden die Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung bei den realen Leistungen doch nie erreicht.Was uns besonders mißtrauisch macht, ist, daß die höchsten Steigerungsraten nicht für 1974 oder 1975, sondern für 1976 und 1977 vorgesehen sind. Anstatt den Berg zu ersteigen, schiebt die SPD-Regierung ihn weiter vor sich her. Auf diese Art und Weise werden Sie die Diskrepanz zwischen Ankündigung und der Realisierung nie beseitigen, Herr Minister Eppler.Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten auf diese Kritik und auf unsere Anfrage immer neue Gründe gefunden, um zu begründen, warum die nationale und internationale Kritik an der Nichteinhaltung dieses Versprechens im Grunde unberechtigt sei.Die Bundesregierung verweist einmal auf das starke Ansteigen des Bruttosozialprodukts, das es so schwer mache, den zugesagten Anteil für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Ich muß Ihnen gestehen, ich vermag die Logik dieser Argumentation nicht nachzuvollziehen. Aber wenn die Bundesregierung schon so argumentiert, dann muß sie sich gefallen lassen, daß wir fordern, daß sie in Zukunft wie andere westliche Regierungen erst einmal nachdenkt und nachrechnet, bevor sie sich international festlegt. Die Bundesregierung hat die Tatsache, daß sie sich in den letzten Jahren immer weiter vom 0,7-%-Ziel entfernte, ferner damit herunterzuspielen versucht, daß sie darauf hinweist, daß die nominellen Leistungen stark angestiegen seien. Aber auch diese nominellen Leistungen sind insbesondere angesichts der inflationären Landschaft mehr als bescheiden. Die Steigerung der Haushaltsansätze von 1971 auf 1972 betrug 44 Millionen DM, das sind 1,4 %.Wir haben daher die Bundesregierung gefragt, welche Auswirkungen die Inflation auf die realen Leistungen der deutschen Entwicklungshilfe habe. Die Bundesregierung hat uns geantwortet, es gebe keinen brauchbaren Preisindex für Entwicklungshilfe. Der Versuch der OECD; einen solchen Index zu berechnen, sei wenig befriedigend verlaufen. Ich finde diese Antwort erstaunlich; denn die Bemühungen der DAC, Klarheit in das Verhältnis von Entwicklungshilfe und Inflation zu bringen, sind sehr wohl zu einem überzeugenden Abschluß gekommen. Zuzugeben ist allerdings, daß diese Untersuchung für die Bundesregierung wenig befriedigend verlaufen ist.Aus der Ausarbeitung der OECD geht hervor, daß die finanzielle deutsche Entwicklungshilfe von 1970 bis 1972, also in drei Jahren, mehr als 25 % ihres Wertes verloren hat. Aus den Berechnungen geht ferner hervor, daß die Entwertung unserer Entwicklungshilfe in drei Jahren SPD-Regierung größer war als in neun Jahren CDU-Regierung von 1961 bis 1969. Deutlich wird außerdem, daß das Inflationstempo der Bundesrepublik in der Entwicklungshilfe unter den westlichen Industrieländern eine traurige Spitzenstellung einnimmt; denn die durchschnittliche Verteuerung der Entwicklungshilfe der westlichen Industrieländer liegt bei 18 %, unsere bei 25 %.Nicht nur die öffentlichen Leistungen sind unter dieser Regierung relativ zurückgegangen, sondern auch die privaten Leistungen. Die Bundesregierung weist in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage darauf hin, daß dies weitgehend auf marktwirtschaftliche Gesichtspunkte zurückzuführen sei. Das ist im Kern richtig. Richtig ist jedoch auch, daß man den privaten Kapitaltransfer staatlich fördern kann. Die Bundesregierung weist selber in ihrer Antwort auf unsere Anfrage darauf hin, daß die privaten Direktinvestitionen in den letzten Jahren unter dem Einfluß der Förderung durch die Bundesregierung nominal gestiegen sind. Wir begrüßen diese Feststellung ausdrücklich, nicht nur, weil Staatssekretär Matthöfer seit Monaten das Gegenteil behauptet. Wir kritisieren aber mit Nachdruck, daß die Bundesregierung aus dieser Erkenntnis völlig unzureichende Konsequenzen gezogen hat.Die Bundesregierung hat gestern mit über dreimonatiger Verspätung eine Novellierung des Entwicklungshilfesteuergesetzes beschlossen. Wir werden die Vorschläge der Bundesregierung sorgfältig prüfen. Lassen Sie mich hier eine erste Stellungnahme abgeben.
Wir begrüßen, daß in Zukunft die sogenannten least developped countries in diesem Gesetz eine Sonderstellung einnehmen. Wir bedauern jedoch, daß diese Sonderstellung gegenüber anderen Ländern keine Sonderförderung im Vergleich zum bisherigen Zustand bedeutet; denn die Sonderstellung der „least developped countries" beruht in Zukunft im wesentlichen darauf, daß die steuerliche Förderung für Investitionen in nicht „least developped countries" wesentlich gekürzt wird. Ähnliches gilt für die Sonderstellung arbeitsintensiver Investitionen, wenngleich wir auch diese ausdrücklich begrüßen.Die CDU/CSU hat am 28. Juni 1973 Reformthesen zur Novellierung des Entwicklungshilfesteuergesetzes vorgelegt, auf deren Basis dieses Gesetz stärker entwicklungspolitisch orientiert werden sollte. Wir hatten eine Sonderförderung vorgeschlagen für Investitionen in „least developped countries", aber auch in strukturschwachen Regionen eines Entwicklungslandes.
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5572 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Dr. Todenhöfer— Meine Fraktion! Sie hat das beschlossen, und zwar für arbeitsintensive, aber auch für exportintensive Investitionen sowie für Investitionen kleinerer Betriebe. Herr Matthöfer, wenn Sie sich vergewissern wollen, am 28. Juni 1973. Die SPD hatte unsere Reformthesen seinerzeit als völlig unzureichend abgelehnt, und ihr Sprecher Holtz, hatte erklärt, die SPD könne keinem durch kosmetische Korrekturen aufpolierten Entwicklungshilfesteuergesetz zustimmen. Nun hat die SPD-Regierung einen Entwurf vorgelegt, der nicht nur weit hinter den Ankündigungen der SPD und der Bundesregierung zurückbleibt, sondern auch weit hinter unseren Reformvorstellungen. Das ist doch einer der vielen Fälle, in denen sich das Argument Minister Epplers, die Opposition habe keine Alternative, ad absurdum geführt hat. Dieser Regierungsentwurf, Herr Minister Eppler, ist keine Alternative zu den Vorschlägen der CDU/CSU.
— Herr Huonker, Sie haben sie wahrscheinlich genausowenig gelesen wie Herr Matthöfer.Der Hauptgrund für die unbefriedigenden Erfolge der deutschen Entwicklungshilfe ist neben der Verzettelung der Hilfe auf zu viele Länder und zu viele Vorhaben die geradezu abenteuerliche Organisation der deutschen Entwicklungshilfe.
Symbolischen Ausdruck hat diese Organisation imsogenannten Mond-Papier gefunden, in dem der organisatorische Leidensweg eines Projektes der Technischen Hilfe über 200 Stationen geschildert wurde. Dieses Mond-Papier und ähnliche Organisationsentscheidungen und nicht die sogenannte Dreistufigkeit waren es, die die deutsche Entwicklungshilfe so bürokratisch und so schwerfällig gemacht haben.Da Sie das nicht akzeptieren, schlage ich Ihnen vor, daß Sie dieses Mond-Papier einmal der deutschen Presse zur Einsicht geben. Das würde die Diskussion darüber, ob der Bundesrechnungshof im Kern mit seinen Vorwürfen recht hat, sehr schnell beenden.Die CDU/CSU ist der Ansicht, daß eine Neuorganisation der Entwicklungshilfe auf der Basis folgender Grundsätze durchgeführt werden sollte:Erstens. Die Aufgabenbereiche von BfE und GAWI müssen in einer einheitlichen Institution zusammengefaßt werden. Die Dreistufigkeit der Technischen Hilfe muß abgebaut werden.Zweitens. Zur Sicherung einer unbürokratischen und wirtschaftlicheren Abwicklung der Technischen Hilfe müssen die Durchführungsaufgaben stärker nach unten delegiert werden. Die neu zu schaffende Durchführungsinstitution muß weitgehend Eigenverantwortung erhalten. Sie darf deshalb auch nicht als nachgeordnete Behörde organisiert werden. Ich halte auch eine private Institution, ein privates Unternehmen, nicht für geeignet.
Ich halte die Rechtsform einer Körperschaft desöffentlichen Rechts für am besten geeignet. Auch dieKreditanstalt für Wiederaufbau ist in dieser Rechtsform organisiert, auch wenn dies der Bundesregierung nicht bekannt zu sein scheint.Drittens. Die Eigenverantwortlichkeit der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Bereich der Entwicklungshilfe muß verstärkt werden.Viertens. Die beiden Organisationen zur Abwicklung der Kapitalhilfe und der Technischen Hilfe müssen rechtlich voneinander unabhängig sein; sie sollten jedoch durch gemeinsame Organe miteinander verzahnt werden, um ihnen die Möglichkeit direkter Koordination zu geben.Fünftens. Soweit die Technische Hilfe als „Investitionshilfe" Kapitalhilfeprojekte unmittelbar vorbereitet, oder begleitet, sollte sie auf die Kreditanstalt für Wiederaufbau übergehen.Sechstens. Um dem Parlament in Zukunft die Möglichkeit stärkerer Kontrolle zu geben, muß die Bundesregierung in Zukunft dem Bundestag jedes Jahr einen detaillierten, nach Ländern und Projekten gegliederten Geschäftsbericht vorlegen. Der entwicklungspolitische Bericht, den die Bundesregierung uns heute vorlegt, erfüllt diese Aufgabe wegen seiner Allgemeinheit und Unverbindlichkeit nicht, so sehr wir es auch begrüßen, daß wir heute zum erstenmal einen entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung diskutieren können.Wir glauben, daß eine Neuorganisation auf der Basis dieser Grundsätze der deutschen Entwicklungshilfe wieder den Kredit verschaffen könnte, den sie in der deutschen Öffentlichkeit braucht.
Die deutsche Entwicklungshilfe — Herr Stahl, sagen Sie das Ihrem Minister — muß endlich einmal praxisnäher werden. Ihre theoretische Phase, die leider keine praktischen Auswirkungen hatte, hat lange genug gedauert. Die Opposition ist bereit, die Regierung bei der Neuorganisation zu unterstützen. Der Streit zwischen uns und der Regierung ging nicht darum und wird auch in Zukunft nie darum gehen, ob wir Entwicklungshilfe leisten sollen, sondern wie Entwicklungshilfe geleistet werden muß. Er wird um die besseren Konzepte und vor allem um die besseren Wege zu ihrer Realisierung gehen.
Denn heute mehr denn je haben wir Grund, den Anspruch der Bundesregierung zu bestreiten, Garant der richtigen Entwicklungspolitik zu sein.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Eppler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Todenhöfer zerfallen in zwei Teile: Ein Teil zeigt gewisse Ansätze zu einem eigenen Konzept, und die kommen uns gar nicht so unbekannt vor; wir
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Bundesminister Dr. Epplersind da nämlich gar nicht so weit. auseinander. Der zweite Teil ist jene Polemik, die dieses Haus jetzt wenigstens vier Jahre lang jedes Jahr mehrfach gehört hat und mit deren Widerlegung ich dieses Haus im Augenblick nicht zu langweilen gedenke.Noch nie in den letzten 15 Jahren haben sich die internationalen Fakten, von denen eine entwicklungspolitische Diskussion ausgehen muß, so rasch verschoben wie in den letzten Monaten. Das Kapitel, das in unserem Bericht mit „Die Entwicklungsländer in der Weltwirtschaft" überschrieben ist, müßte schon heute völlig anders abgefaßt werden. Länder, deren Erfolge im Export von Fertigwaren wir noch vor wenigen Monaten als hoffnungsvolles Zeichen registrierten, wissen heute nicht mehr, wie sie ihre Öl- und Düngemittelimporte zahlen sollen. Andere, deren totale Abhängigkeit vom Export von Rohstoffen und Naturprodukten uns Sorgen machte, können die höheren Ölpreise durch höhere Preise für Kupfer, Zinn, Phosphate oder Baumwolle mehr als ausgleichen. Und wieder andere, bevölkerungsreiche und rohstoffarme Länder, zumal wenn sie Nahrungsmittel importieren müssen, haben gegen den nackten Hunger zu kämpfen. Indien wird 1974 für die gestiegenen Ölkosten 27 % dessen auszugeben haben, was es 1973 für seine gesamten Importe zahlen mußte. Bei Burma werden es 30, bei Äthiopien 28 % sein. In Indien wird 1974 etwa ein Drittel des Düngemittelbedarfs nicht zu decken sein. Man rechnet allein deshalb mit einem Ausfall von 5 Millionen t Getreide. Was dies bedeutet, wenn die Weizenpreise auf dem Weltmarkt heute fast doppelt so hoch sind wie vor 14 Monaten, brauche ich hier niemandem zu sagen. Während also ausgeprägte Rohstoffländer — von Ölländern gar nicht zu reden — im Augenblick aus den gröbsten Sorgen heraus sind, geraten gerade fortgeschrittene Länder mit hohem Öl- und Rohstoffbedarf in beträchtliche Schwierigkeiten, und die bisher schon Armen sind in Gefahr, in ein Elend ungeahnten Ausmaßes gestoßen zu werden.Wir sind im DAC in ständiger Diskussion darüber mit anderen Industrieländern. Die erste Forderung des DAC, an den Finanzplanungen für Entwicklungshilfe nichts zu ändern, haben wir bereits positiv beschieden. Bei Umschuldungsverhandlungen mit den meistbetroffenen Ländern verfährt die Bundesregierung großzügig, ich darf hier sagen: großzügiger als andere. Wir werden unsere Düngemittellieferungen in diesem Jahr mindestens verdoppeln. Möglicherweise werden wir an den Haushaltsausschuß herantreten müssen mit der Bitte, zu diesem Zweck Kapitalhilfemittel in solche der technischen Hilfe umzuwandeln. Auch Umwandlung von Projekthilfe in rasch wirksame Warenhilfe könnte nötig werden, ebenso eine Erhöhung der Nahrungsmittelhilfe. An längerfristigen Maßnahmen nenne ich eine Zwei-Jahres-Zusage zur Finanzierung einer Düngemittelfabrik in Sri Lanka und Kohleförderungsprojekte, z. B. ein Braunkohleprojekt in Indien.Aber alles, was die Industrieländer, was die Weltbank, was der Internationale Währungsfonds tun können, wird nicht ausreichen. Wenn ich auch von dieser Stelle aus an die bevölkerungsarmen Ölländer appelliere, eigene Beiträge zu leisten, dann nicht, weil wir uns aus der Verantwortung stehlen wollten, sondern weil wir diese Verantwortung allein nicht mehr werden tragen können.
Ich verzichte ganz bewußt darauf, eigene Vorschläge dafür zu machen. Es ist Sache der Ölländer, zu sagen, was sie tun wollen. Einige davon haben sich bereits konstruktiv geäußert. Nur, auch wenn ich Verständnis für den Wunsch mancher Ölländer habe, eigene Entwicklungsbanken zu errichten, mit ihnen auch Politik zu machen, so bleibt doch die Frage offen, was geschehen soll, bis diese Banken große Summen sinnvoll einsetzen können.Aber nicht nur ökonomisch, sondern auch psychologisch hat sich die internationale Szene völlig verändert. Bei meiner Rückkehr von der Dritten Welthandelskonferenz habe ich gesagt, wenn die vierte nicht anders verlaufe als die dritte, werde es eine fünfte nicht mehr geben. Heute wissen wir, daß die vierte anders verlaufen muß. Wahrscheinlich werden schon vorher alle Beteiligten miteinander darüber sprechen müssen, wie die Preise für Rohstoffe; Nahrungsmittel und Industrieerzeugnisse in ein vernünftiges Verhältnis zueinander gebracht werden, ein Verhältnis, das den Entwicklungsländern eine faire Chance gibt. Die Zeiten, in denen Entwicklungsländer sich in die demütigende Position des abgewiesenen Bettlers gefügt haben, geht nun zu Ende. Ein neues Selbstbewußtsein ist sogar da spürbar, wo die wirtschaftlichen Fakten dies nicht vermuten lassen. Deshalb wird in diesen Monaten alle Entwicklungshilfe brüchig, die nach Methoden und Motiven allzu einseitig vom wirtschaftlichen oder gar militärstrategischen Eigeninteresse des Industrielandes ausgingen. Wir sehen nicht ohne Sorge, wie die japanische und die amerikanische Entwicklungshilfe im Innern wie nach außen in eine Krise geraten.Spätestens heute wird nun deutlich: Es war richtig, Schluß zu machen mit einer Entwicklungshilfe, die als Zuckerbrot und Peitsche zur Einübung einer außenpolitischen Doktrin mißbraucht wurde.
Es war richtig, Entwicklungshilfe nicht mehr als ökonomische Waffe im Ost-West-Konflikt zu mißbrauchen.
Es war richtig, Entwicklungshilfe nicht unter dem Aspekt der Exportförderung zu betreiben und die Lieferbindung abzubauen und nun auch die Warenhilfe aufzubinden.
Es war richtig, den Anteil der multilateralen Hilfe — und da habe ich genug Kritik von Ihnen bekommen — von Jahr zu Jahr zu steigern. Es war richtig, Entwicklungshilfe nicht als Flankierung für private Investitionen zu betreiben. Es war richtig, Entwicklungshilfe nicht, wie dies zu Ludwig Erhards Zeiten war, für den Export einer marktwirtschaftlichen oder
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5574 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundesminister Dr. Eppleraber auch irgendeiner anderen Ideologie einzuspannen.
Es war richtig, im Innern nicht auf kurzfristiges Eigeninteresse abzuheben.Und weil dies alles richtig war, meine Damen und Herren, kann sich unsere Entwicklungshilfe heute in der Welt noch sehen lassen.
Weil man uns mehr als anderen glaubt, daß wir vom Interesse des Entwicklungslandes ausgehen, hat unsere Entwicklungshilfe auch den internationalen Beziehungen dieses Landes genützt, was man nicht von der Entwicklungshilfe aller Länder sagen kann.
Nun ist es das Faszinierende an der Entwicklungspolitik, daß man jede Woche und jeden Tag dazulernen muß. Ich stehe zu dem, was ich 1969 zu jenem Bericht gesagt habe, der mit dem Namen des verehrungswürdigen Staatsmannes Lester Pearson verbunden ist. Und doch ist dieser Bericht heute schon ein Dokument der Geschichte. Das Denken in Wachstumsraten — ich freue mich, daß auch die Union durch ihren Sprecher dies jetzt feststellt — hatte sich überholt, schon ehe die Ölkrise hereinbrach.Schon 1972 hatte Robert McNamara formuliert:Es gibt in der Tat keine rationale Alternative zu einer Politik größerer sozialer Gerechtigkeit. Wo es eine Handvoll Privilegierter und ein Millionenheer verzweifelt Armer gibt und sich die Einkommensschere, statt sich zu schließen, immer weiter öffnet, ist es nur eine Frage der Zeit, wann eine Entscheidung zwischen den politischen Kosten einer Reform und dem politischen Risiko einer Rebellion getroffen werden muß.
Und McNamara schließt mit den Worten:
Soziale Gerechtigkeit ist nicht bloß ein moralischer, sondern eben ein politischer Imperativ.Und auch in der Bundesrepublik Deutschland sind die Zeiten vorbei, wo man solche Ansätze als ideologische Hirngespinste abtun konnte.
Wir haben in den letzten Jahren an einem internationalen Lernprozeß Anteil gehabt, bei dem oft nicht mehr feststellbar war, wer eigentlich der Gebende und wer der Nehmende war. Aus diesem Lernprozeß ist unsere Konzeption vom 11. Februar 1971 entstanden, die wir am 11. Juli 1973 fortgeschrieben haben. Daß dieses Konzept internationale Anerkennung gefunden hat, wird heute ja nicht einmal mehr von der Opposition bestritten.Nun weiß niemand besser als ich, daß es eine Sache ist, ein Konzept zu formulieren, und eine andere, es in Projekte und Programme umzusetzen. Dazu braucht ein Ministerium erst einmal die Kompetenzen. Der Wirrwarr, den wir hier von früherenRegierungen übernommen haben, war kaum vorstellbar. Landwirtschaftsprojekte wurden beim Landwirtschaftsministerium, Informationsprojekte — vom Landfunk bis zur Schulbuchdruckerei — beim Bundespresseamt, die gesamte bilaterale und multilaterale Kapitalhilfe, die zusammen etwa zwei Drittel unserer Entwicklungshilfe ausmacht, wurde beim Wirtschaftsministerium geführt.
Auf Grund eines Kanzlererlasses, Herr Carstens, von 1964 wurden Projektentscheidungen gefällt in den sogenannten IRAs, den interministeriellen Referentenausschüssen für Kapitalhilfe und technische Hilfe, wo bis zu 45 Beamte aus bis zu 10 Ministerien zusammensaßen, um über einzelne Projekte zu befinden. Dies war der Zustand, den wir übernommen haben.
Meine Damen und Herren, auch die sozialliberale Koalition hat das nicht im ersten Anlauf alles bereinigt. Aber heute können wir feststellen: Alle Instrumente der Entwicklungshilfe sind zum erstenmal in einem Ministerium zusammengefaßt.
Was die ministerielle Organisation angeht — da müssen Sie einmal hinausgehen —, wird dieses Land heute international beneidet.Nun ist in den letzten Wochen ein anderes Organisationsthema in die entwicklungspolitische Diskussion gekommen, das im Grunde nur ganz wenige Fachleute wirklich kennen, nämlich der Durchführungsbereich der technischen Hilfe. Seit die ministeriellen Kompetenzen geregelt sind, also seit etwa einem Jahr, wird in meinem Ministerium überlegt, wie jene Dreistufigkeit zu revidieren sei, die durch einen Kabinettsbeschluß der Großen Koalition mit einstimmiger Billigung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Grund von drei Gutachten des Bundesbevollmächtigten für Wirtschaftlichkeit der Verwaltung eingerichtet worden ist. Dazu, so wie dieses Land konstruiert ist, brauchten wir die Zustimmung von mindestens drei wichtigen Instanzen, einmal des Bundesfinanzministers, zum anderen des Haushaltsausschusses und zum dritten der Treuarbeit als der Muttergesellschaft der GAWI. Wir haben es deshalb begrüßt, daß der Haushaltsausschuß vom Rechnungshof ein Gutachten angefordert hat.Sie wissen nun, daß dieses Gutachten des Bundesrechnungshofs in diesem Hause anders behandelt worden ist, als es der Haushaltsausschuß vorgesehen hatte. Gestern hat sich nun der Rechnungsprüfungsausschuß des Bundestages nahezu zwölf Stunden lang mit diesem Gutachten beschäftigt. Ich darf hier dem Vorsitzenden und den Kollegen aller Fraktionen dafür danken, daß sie diesem Thema einen ganzen Tag gewidmet haben.Der Rechnungsprüfungsausschuß leitet als Ergebnis seiner Beratungen dem Haushaltsausschuß eine einstimmige Stellungnahme zu, die in ihren entscheidenden Teilen folgenden Wortlaut hat:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5575
Bundesminister Dr. EpplerDer Rechnungsprüfungsausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 13. März 1974 mit dem Gutachten des Bundesrechnungshofes zur verwaltungsmäßigen Durchführung der bilateralen technischen Hilfe befaßt. Er hat eine Reihe von Bemerkungen in Einzelheiten diskutiert. Dabei mußte er feststellen, daß einige pauschale Formulierungen auf Einzelfällen beruhen.
die auch ihrer Art nach verallgemeinernde Behauptungen nicht zu tragen vermögen. Formulierungen des Bundesrechnungshofes gaben zu Mißverständnissen Anlaß, daß dem Ministerium in bezug auf Aktenführung, Informationsfluß und Personaleinsatz schwere Vorwürfe zu machen wären.Während der Diskussion im Ausschuß wurde der mißverständliche Charakter dieser Formulierungen geklärt.
Der Rechnungsprüfungsausschuß hält es für angebracht, dem Bundesrechnungshof für die künftige Erstellung gutachtlicher Äußerungen zu Organisationsproblemen eine Empfehlung zu geben.— Übrigens ein erstaunlicher Vorgang! —Sie geht dahin, in Zukunft in solchen Gutachten Beanstandungen oder beanstandungsähnliche Begründungen für Ratschläge im Gespräch mit dem Ressort zu erhärten, bevor sie dem Parlament vorgelegt werden.
Nur so lassen sich Mißverständnisse und Fehleinschätzungen einer gutachtlichen Äußerung vermeiden.
Meine Damen und Herren, während der Sitzung hat der Bundesrechnungshof selbst folgende Erklärung abgegeben:1. Der Bundesrechnungshof bedauert, daß sein Gutachten und eine Prüfungsmitteilung als politisches Werkzeug benutzt wurden. Er sieht darin eine Erschwerung seiner Tätigkeit als Prüfungs- und Beratungsinstanz.
2. Der Bundesrechnungshof wollte keine Vorwürfe gegen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit erheben, sondern einen Vorschlag für die Umorganisation des Durchführungsbereiches der technischen Hilfe mit Beispielen aus den eingesehenen Akten begründen.— Beispiele aus den eingesehenen Akten begründen! Unseren Akten! —3. Der Bundesrechnungshof stand bei diesem Gutachten unter erheblichem Zeitdruck. Daraus erklären sich Mißverständnisse und als generalisierend aufgefaßte Formulierungen, die falsche Interpretationen zuließen.3. Der Bundesrechnungshof hat einen Vorschlag zur Umorganisation im Durchführungsbereich gemacht. Er schließt nicht aus, daß es auch andere Lösungsmöglichkeiten gibt.
Meine Damen und Herren, rückblickend mag es erscheinen, daß es bei diesem Mißbrauch eines Gutachtens durch die Opposition nur Verlierer gab und auch nur Verlierer geben konnte.
Ein Verlierer ist das Parlament, das von ganz wenigen Abgeordneten zu einer heftigen Diskussion über ein Gutachten gezwungen wurde, das 95 % der Abgeordneten gar nicht bekannt sein konnte, einer Diskussion, deren Protokoll sich spätestens seit gestern stellenweise liest wie eine bösartige Satire auf eine Parlamentsdebatte.
Verlierer war der Haushaltsausschuß, in dessen Interesse — das hat er bewiesen — eine emotionslose Behandlung lag.Verlierer war der Bundesrechnungshof, dessen Autorität nicht dadurch gestärkt wurde, daß die Regierung gezwungen war, viele seiner Behauptungen öffentlich zu widerlegen, ich füge hinzu: definitiv zu widerlegen.
Verlierer war die deutsche Entwicklungshilfe, die in einem ohnehin kritischen Zeitpunkt — das hat ja sogar Herr Kollege Todenhöfer zugegeben — polemisch und unsachlich ins Gerede gebracht wurde.
Verloren haben natürlich auch die Regierung und der zuständige Minister, an dem vieles von den Anwürfen der Opposition hängenbleiben wird, auch wenn von diesen Anwürfen gestern nichts, ich sage: nichts, mehr übrigblieb.
Ich möchte noch folgendes hinzufügen. Wir haben selber nie gesagt — darin liegt doch ein Unterschied, Herr Picard —, daß in diesem Gutachten nur Schlechtes stehe. Wir haben vielen Feststellungen dieses Gutachtens zugestimmt. Wenn Sie sagen, daß das Gutachten sozusagen nicht entkräftet worden sei, so sagen Sie damit etwas, was wir natürlich mit unterschreiben würden. Ich habe nur gesagt: das, was Sie an Kampagne aus diesem Gutachten gemacht haben, ist gestern widerlegt worden.
Deshalb hat verloren auch die Opposition, die in der Aktuellen Stunde Reden verlas, die sie vor der Fragestunde, also ehe die Regierung überhaupt Ant-
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5576 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundesminister Dr. Epplerwort geben konnte, verfaßt und teilweise sogar verteilt hatte und deren Sprecher sich heute sagen lassen muß, daß er selbst die Verschlußsache an die Öffentlichkeit gespielt
und damit all diesen Schaden in Gang gebracht hat, von dem wir im Augenblick reden.
— Herr Todenhöfer, bitte, setzen Sie sich! Ich bin gern dazu bereit.
— Herr Todenhöfer — —
Meine Damen und Herren, für die Debatte steht uns noch der ganze Abend zur Verfügung.
Herr Todenhöfer, wenn Sie es unbedingt haben wollen, können Sie bedient werden. Sie glauben doch wohl nicht, daß ein Minister hier aus dem hohlen Bauche redet.
— Ich darf Ihnen einmal, wenn Sie es unbedingt haben wollen, ein Protokoll vorlesen, das von Mitgliedern meines Ministeriums auf Grund eines Gesprächs angefertigt worden ist, das Sie mit einem Herrn geführt haben, dessen Namen ich hier jetzt nicht sagen werde, ich bin aber bereit, diesen Namen der Präsidentin des Deutschen Bundestages und den Vizepräsidenten mitzuteilen. Darin heißt es — ich sage jetzt Herr X —:Herr X berichtete, er habe am Montag, dem 14. Januar 1974, im Verlauf seiner Recherchen zu den Fragenkomplexen Jugoslawien-Kredit und Entwicklungshilfe für arabische Länder im Büro Todenhöfer angerufen und mit dessen Assistenten Baumhauer gesprochen. Bei diesem Gespräch habe Baumhauer ihn zum erstenmal auf das Rechnungshofgutachten hingewiesen.
Er habe ihm einige besonders „fette" Sätze daraus vorgelesen. X habe um Zusendung des Papiers gebeten, was Baumhauer zusagte. Ein oder zwei Tage später sei das Gutachten als Einschreibsendung beim ZDF eingegangen. Da der Absender sich im Namen geirrt habe und als Adressaten
— d. h. er wußte nicht mehr genau, wie der Mann heißt, dem er das geschickt hat —
Herrn Friedrichs angab, sei der verschlossene Umschlag zuerst zum Leiter der Sportredaktion, Heinz-Günther Friedrichs,
von dort weiterhin ungeöffnet an Friedrich Mönckmeier, einen der drei ZDF-Magazin-Leiter, gegangen.
— Augenblick, das kommt jetzt gerade. Herr Todenhöfer, darf ich Ihren jetzigen Zwischenruf so deuten, daß Sie das, was bisher gesagt wurde, eigentlich gar nicht bestreiten wollen, sondern daß Sie nur bestreiten wollen, daß Sie damit zu tun haben?
Ich werde jetzt den letzten Satz aus dem Protokoll vorlesen:Daß Todenhöfer selbst hinter der Auslieferung des Gutachtens an Journalisten stünde, gehe daraus hervor, daß er selbst am Tage des Eintreffens sich bei X erkundigt habe, ob die Sendung angekommen sei und was das „ZDF-Magazin" daraus machen wolle.
Meine Damen und Herren, ich will dies jetzt gar nicht weiter vertiefen. Ich bin hier aufgefordert worden, etwas dazu zu sagen, und ich habe dies getan.
Wenn es nach mir ginge, so könnten wir dieses trübe Kapitel der deutschen Entwicklungspolitik jetzt abschließen. Ich hielte dies für gut — und ich bitte diejenigen, die im Rechnungsprüfungsausschuß waren, hier festzustellen, ob das stimmt, was ich sage —, weil jede weitere Diskussion über dieses Gutachten nur noch auf Kosten einer Verfassungsinstitution gehen könnte, von deren Notwendigkeit und Nützlichkeit in diesem Hause alle überzeugt sind und an deren weiterem Autoritätsverlust niemandem gelegen sein kann.
Meine Damen und Herren von der Opposition, diesist von mir aus ein Angebot. Ihre Kollegen aus dem
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5577
Bundesminister Dr. EpplerRechnungsprüfungsausschuß wissen, daß dieses Angebot nicht aus einer Position der Schwäche heraus kommt. Herr Picard, Sie weisen auf Äußerungen hin, die Sie im Ausschuß gemacht haben. Was würde passieren, wenn ich hier zitierte, was Ihre eigenen CDU/CSU-Kollegen gestern an Äußerungen in diesem Ausschuß gemacht haben? Wo kämen wir da hin! Ich tue dies nicht, weil es der Autorität des Rechnungshofes in einer unverantwortlichen Weise Schaden zufügte.
Sollten Sie, meine Damen und Herren, dieses mein Angebot ausschlagen — die Rede von Herrn Todenhöfer deutet darauf hin —, dann muß hier bis zum bitteren Ende diskutiert werden, und dies wird dann auch das bittere Ende Ihrer Kampagne sein.
Wir haben uns durch alle Querschüsse nicht hindern lassen, die Entscheidungen zu treffen, die nötig waren. Vorbehaltlich der Zustimmung des Haushaltsausschusses geht die GAWI am 1. April, also in 14 Tagen, von der „Treuarbeit" auf den Bund, vertreten durch das BMZ, über. BfE und GAWI werden nun in einer GmbH zusammengeführt, die wohl den Namen „Gesellschaft für technische Zusammenarbeit" tragen wird. Wir haben uns bewußt — abweichend von dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes — für diese Lösung entschieden, weil sie ein Höchstmaß an Kontinuität und Flexibilität sichert. Wir wollen eine privatrechtliche — das bedeutet noch nicht: privatwirtschaftliche — Lösung, weil sie sich rascher an immer neue Aufgaben anpassen kann. Wir wollen auch weiterhin Consultings einsetzen, aber wir wollen nicht die totale Kommerzialisierung unserer technischen Hilfe, weil dies in einer wachsenden Zahl von Entwicklungsländern auf Argwohn stoßen müßte.
Ich möchte an dieser Stelle einmal den Mitarbeitern der Bundesstelle für Entwicklungshilfe und der GAWI für die unendlich schwierige Arbeit danken, die sie in den letzten Jahren geleistet haben, und zwar zur wachsenden Zufriedenheit unserer Experten draußen.
Ich möchte diese Mitarbeiter von dieser Stelle aus gleichzeitig bitten, in die neue Organisation ihre Erfahrungen und ihre Bereitschaft zum Engagement einzubringen.Alle organisatorischen Verbesserungen ändern nichts daran, daß Entwicklungspolitik in einem Spannungsfeld von Wünschen und Interessen stattfindet. Das beginnt bei den Regierungen der Entwicklungsländer. Oft sind es gegensätzliche Ressortinteressen im Entwicklungsland, die eine rasche und sachgerechte Entscheidung erschweren. Aber solche Interessen gibt es natürlich auch bei uns. Und schließlich werden alle Projekte von Menschen gemacht, von Menschen, die ihr Wissen und ihre Eigenheiten, ihr Engagement und ihre Empfindlichkeit einbringen, übrigens von Menschen, die alles in allem von uns viel mehr Dank als Kritik verdient haben, auch in diesem Haus.
Dies gilt für unsere Experten genauso wie für die Freiwilligen der Entwicklungsdienste.Nun ist es mir in der Tat nicht verborgen geblieben, daß ein Konzept in der Entwicklungshilfe nie zu 100 % zu realisieren ist. Schon der Versuch, es zu 90 % zu realisieren, hat mir den Vorwurf eingebracht, einer reinen Lehre nachzujagen. Es ist ein Erfolg für unsere Entwicklungspolitik, wenn mir die Opposition jetzt vorwirft, daß ich im einen oder anderen Fall von der reinen Lehre abgewichen sei. Dies zeigt, wie stark dieser Anpassungsprozeß trotz aller Polemik schon gediehen ist.Lassen Sie mich ein Beispiel für die Schwierigkeiten sagen. Gesundheitshilfe — beileibe nicht nur die deutsche — bestand lange Zeit darin, einzelne Krankenhäuser oder gar nur einzelne Röntgenapparate und Krankenwagen zu finanzieren, den einen oder anderen Arzt zu entsenden. Unsere Konzeption will das anders. Da heißt es:Die Bundesregierung wird die Gesundheitshilfe auf die medizinische Versorgung insbesondere der bedürftigen Gruppen und Regionen sowie auf präventive Maßnahmen konzentrieren.Was haben wir getan? Wir haben uns systematisch aus isolierten Krankenhausprojekten zurückgezogen, z. B. im Senegal, in Äthiopien und Algerien — übrigens dort unter dem Störfeuer der Opposition —, und wir haben in so armen Ländern wie Niger oder Obervolta mit sogenannten Flächenprojekten begonnen. Beispiel: In Gaoua, Obervolta, wird für eine Region von 17 000 qkm mit 400 000 Einwohnern von einer deutschen Ärztegruppe das Gesundheitswesen aufgebaut. Dabei ist der Leiter der Gruppe, ein besonders tüchtiger Arzt, als Distriktsamtsarzt in den einheimischen Gesundheitsdienst integriert. Dort werden jetzt einheimische Ärzte und medizinische Hilfskräfte ausgebildet, einfache Gesundheitsstationen oder Gesundheitszentren für Vorsorge und Fürsorge eingerichtet, es werden Brunnen gebohrt. Hier gelingt so etwas wie die Mobilisierung von Menschen zum Kampf gegen Krankheit, Durst und Hunger. Ich freue mich, daß dieses Projekt durch die Initiative von zwei großen Zeitungen im Ruhrgebiet den finanziellen und moralischen Rückhalt bekommen hat, den nur das direkte Engagement unserer Bürger geben kann.
Sicher wird es noch einige Zeit dauern, bis das letzte Gesundheitsprojekt unserer Konzeption entspricht. Aber es ist nicht wahr, daß wir nicht Schritt für Schritt diese Konzeption realisieren. Wasser entscheidet in vielen Ländern über Hunger oder Fülle, über Leben und Tod. Daher haben wir allein im Jahre 1973 im Bereich der Wasserwirtschaft 38 Projekte gefördert, davon allein 24 für die Trinkwasserversorgung. Dabei haben wir knapp 19 Millionen
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5578 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundesminister Dr. EpplerDM an technischer Hilfe und 254 Millionen DM an Kapitalhilfe aufgewandt. 18 dieser 24 Trinkwasserprojekte liegen in ländlichen Gegenden, meistens in Afrika. Das sind natürlich Projekte, über deren betriebswirtschaftliche Rentabilität man reden kann, die aber das Leben von Hunderttausenden von Menschen verändern.Nun will ich gar nicht leugnen, daß wir auch Kompromisse machen müssen. Ich hatte z. B. die Weisung gegeben, dáß Kapitalhilfe nicht zur deutschen Rohstoffsicherung zu verwenden sei. Das war gar nicht so einfach, wie es jetzt klingt. Wir waren bei der Rahmenplanung für die Kapitalhilfe nicht bereit, die zur Verfügung gestellten Verpflichtungsermächtigungen für solche Zwecke einzusetzen. Aber dann — ich erwähne es, weil wieder derselbe Abgeordnete dies aus einem vertraulichen Papier an die Offentlichkeit gebracht hat — hat der Bundesfinanzminister uns schließlich angeboten, zusätzlich 50 Millionen DM für den Fall zur Verfügung zu stellen, daß ein bestimmtes Raffinerieprojekt im Iran zum Zuge komme. Ich hätte es nun für Prinzipienreiterei gehalten, dieses Angebot des Finanzministers abzulehnen.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu Jugoslawien. Ich habe mich schon in der Großen Koalition an das gehalten, was schon mein Vorgänger, wie er hier erklärt hat, Herrn Kiesinger gesagt hat, nämlich Kapitalhilfe an das Entwicklungsland Jugoslawien zu leisten, wenn es nicht auf Kosten anderer Entwicklungsländer geht. Ich habe im Ausschuß vorgerechnet, wie dies bisher durchgehalten worden ist. Inzwischen kritisieren Sie übrigens — wenn ich Herrn Narjes richtig verstehe — nicht mehr den Kredit, sondern seine Höhe. Abgesehen davon stuft Herr Narjes Jugoslawien allen Ernstes als Ostblockland ein — als ob dieses Land nicht schon 25 Jahre lang gekämpft hätte, damit es kein Ostblockland sein muß!
Aber wir sind zu dieser Höhe nicht gekommen, weil uns dies besonderen Spaß gemacht hätte, auch nicht weil wir vorausgeahnt hätten, in welche Schwierigkeiten gerade dieses Land ähnlich wie Korea oder Brasilien durch die Ölkrise kommt. Wir sind dazu gekommen, weil wir wirklich wollen, daß die aus der Vergangenheit rührenden Probleme durch eine in die Zukunft gerichtete Kooperation aus der Welt geschaffen werden,
und weil wir nicht wollen, daß noch einmal ein Kanzler so wie Adenauer, so wie Kiesinger, so wie Willy Brandt mit diesem Thema belastet wird, und weil ich — entschuldigen Sie diese persönliche Bemerkung — auch möchte, daß die jüngere Generation, aus der die Polemik gerade besonders kam, sich gegenüber den Jugoslawen einmal freier bewegen kann, als wir dies bisher tun konnten.
Ich bitte hier auch, einmal diese sophistische Art der Argumentation etwas zu untersuchen. Man hat in der Großen Koalition zwar nicht von Kapitalhilfe, sondern im Finanzministerium von einem Kredit mit Kapitalhilfekonditionen gesprochen, und deshalb behaupten Sie jetzt, es sei nicht von Entwicklungshilfe geredet worden. Dies ist der Hintergrund. Absurd ist übrigens der Vergleich zwischen den Krediten an Jugoslawien und den Leistungen für die Sahel-Zone. Weder im letzten noch in diesem noch im nächsten Jahr fließt wegen der Sonderverpflichtungsermächtigung für Jugoslawien ein einziger Pfennig weniger in die Sahel-Zone. Nimmt man Äthiopien dazu, so sind 1974 für die Länder der Sahel-Zone aus Mitteln des Bundes mehr als 262 Millionen DM vorgesehen, und nimmt man unseren Anteil an den Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft dazu, so sind es etwa 317 Millionen DM. Dies ist ein Mehrfaches dessen, was irgendeine Regierung bisher für diese Zone getan hat.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch den Bürgern danken, die durch ihr Opfer viele Millionen DM zusätzlicher Mittel für die leidenden Menschen am Rande der Wüste aufgebracht haben. Ich habe mich davon überzeugt, daß diese Mittel — ob sie nun über die klassischen Hilfswerke oder über die Aktion „Rettet die Hungernden!" laufen — überlegt, gezielt und wirksam verwendet werden. Keine Mark aus öffentlichen Mitteln wird deshalb weniger zur Verfügung gestellt. Was hier geopfert wurde, ergänzt staatliches Handeln und macht es für die Menschen dort glaubwürdiger.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu jenem Immergrün des Volumens. Es ist richtig, daß der Anteil der öffentlichen Hilfe am Sozialprodukt, vor allem von 1969 auf 1970, gefallen und seither nicht wieder gestiegen ist. Ich gebe auch zu, daß ich vier Jahre lang um eine neue Finanzplanung zu kämpfen hatte. Es ist aber auch richtig, daß diese Finanzplanung, wie sie heute steht, Steigerungsraten vorsieht, wie wir sie, abgesehen von den Anfangsjahren, noch nie gehabt haben.
Es ist leider auch unbestreitbar, daß die Opposition zu alledem nie einen Finger gerührt, nie Erhöhungsanträge, wohl aber Streichungsanträge gestellt hat.
Die Opposition hat sich bis heute noch nie zum 0,7 Prozent-Ziel bekannt.
Der damalige Sprecher der Opposition hat vor der letzten Bundestagswahl — im „General-Anzeiger" — auf die Frage „Wie würde sich Ihre Politik von der Minister Epplers unterscheiden?" geantwortet:Am Anfang meiner Äußerungen muß die Erkenntnis stehen, daß wir gegenwärtig nicht in der Lage sind, die Mittel für die Entwicklungshilfe zu erhöhen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5579
Bundesminister Dr. EpplerSie wollten also weder absolut noch relativ erhöhen.
Sie müssen nun endlich einmal sagen, was Sie wollen.
Wollen Sie, daß die Bundesrepublik, wie die meisten übrigen europäischen Länder, das 0,7-Prozent-Ziel anstrebt, oder wollen Sie dies nicht?
Nur eines können Sie nicht tun: Sie können nicht noch einmal drei Jahre darüber jammern, unsere Steigerungsraten reichten nicht aus, und dann vor der nächsten Wahl wieder erklären, daß, wenn es nach Ihnen ginge, es überhaupt keine Steigerungsraten gäbe.
Und hier vielleicht noch eine kleine Nachhilfe für Ihren Sprecher. Es ist ja in der Entwicklungshilfe so, daß man, wenn man Steigerungen in den Baransätzen machen will, sie erst in den Verpflichtungsermächtigungen machen muß. Deshalb war es selbstverständlich, daß in dieser neuen Finanzplanung die Steigerungsraten nicht bei 1974 und entscheidend noch nicht einmal bei 1975, sondern bei 1976 und 1977 liegen. Jeder, der ein bißchen vom Haushalt des BMZ kennt, weiß, daß das gar nicht anders sein kann.
Im übrigen, meine Damen und Herren, wäre ich einem Mitglied der Opposition dankbar, wenn es nicht länger die Behauptung verbreiten wollte, ich hätte mich gegen das 1-Prozent-Ziel des gesamten Kapitaltransfers — so schwierig und wenig klar definierbar dieses Ziel ist — ausgesprochen. Ich weiß, daß eine Äußerung von mir in Bad Boll von einigen dort mißverstanden wurde. Dieses Mißverständnis ist im Anschluß an das Referat dort sofort geklärt worden — in Anwesenheit einer CDU-Kollegin dieses Hauses, die offenbar mit mir der Meinung ist, es sei besser, sich auf einer solchen Tagung der Diskussion zu stellen, als nachher auf Grund von herausgerissenen Zitaten zu polemisieren.
Meine Damen und Herren, wir haben gestern im Kabinett eine Entscheidung über das Entwicklungshilfesteuergesetz getroffen. Mancher in diesem Hause, auch ich, hätte eine frühere Entscheidung begrüßt,
und mancher wird nicht alle seine Wünsche in diesem Entwurf erfüllt sehen. Ich nehme mich da garnicht aus. Trotzdem haben wir einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Den Möglichkeiten des Mißbrauchs ist ein dreifacher Riegel vorgeschoben worden:1. Hotelinvestitionen werden nicht mehr gefördert.
2. Niemand kann das Gesetz in Zukunft in Anspruch nehmen, wenn nicht ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen seinem Betrieb und der Kapitalanlage im Entwicklungsland besteht.3. Die Steuervergünstigungen nach dem Entwicklungshilfesteuergesetz dürfen nicht zur Entstehung oder Erhöhung von Verlusten führen.Damit ist der ganze Unfug der Beteiligungsgesellschaften und der Verlustzuweisung ein für allemal zu Ende und damit auch die offene Verhöhnung des ehrlichen Steuerzahlers.
Zwei Ländergruppen sorgen dafür, daß Investitionen in den ärmsten Ländern in Zukunft wesentlich stärker als bisher, in allen anderen Ländern wesentlich weniger als bisher gefördert werden. Schließlich gibt das Gesetz die Möglichkeit, arbeitsintensive Investitionen zusätzlich zu begünstigen. Dieses Haus hat nun die Chance, wie ich glaube, ein gutes Gesetz zu machen.Meine Damen und Herren, die deutsche Offentlichkeit will heute von uns erfahren, wer was an Entwicklungspolitik will, wer welche Politik vertritt.Wir haben unsere Politik in der entwicklungspolitischen Konzeption, im entwicklungspolitischen Bericht, in der Antwort auf die Große Anfrage und auch in dem dargelegt, was ich heute hinzufügen konnte. Nun wird es endlich Zeit, daß die Opposition uns ihre Politik einmal ,darstellt.
Die deutsche Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, von der Opposition mehr zu hören als nur Polemik, und zwar eine Polemik, die wahllos von den verschiedenen Standorten aus geübt wird.
Es geht z. B. nicht an, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie uns einmal tadeln, weil wir Kapitalhilfekredite nicht an deutsche Lieferungen binden, und dann wieder, weil wir es in Ausnahmefällen tun.Der Opposition wird es nicht erspart bleiben, ihr eigenes Konzept vorzulegen, und sei es nur als eine solide Basis für ihre Kritik. Dabei stellen sich heute einige ganz simple Fragen:1. Ist die Opposition für oder gegen die neue Finanzplanung? Ist Sie bereit, sie politisch mitzutragen?
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5580 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundesminister Dr. Eppler2. Ist die Opposition für einen wachsenden Anteil an multilateraler Hilfe, oder ist sie nicht dafür?
3. Ist die Opposition bereit, eine Politik der Lieferaufbindung mitzutragen, aber auch mit allen Konsequenzen?
4. Wenn die Opposition unsere Vergabekriterien nicht für richtig hält, welche Vergabekriterien hat sie denn nun eigentlich?5. Ist die Opposition dafür oder dagegen, daß wir — wie die Kirchen dies übrigens seit Jahren tun — immer mehr Entscheidungen auf die Träger im Entwicklungsland verlagern, und ist sie bereit, das Risiko dafür mitzutragen? Oder wird sie, falls dabei die unvermeidliche Panne geschieht, uns hier wieder ein Spektakel aufführen, wie wir es im Januar erlebt haben?
Ist die Opposition dafür oder dagegen, daß wir eine wachsende Zahl von Experten in die Entscheidungsstruktur des Gastlandes integrieren?Vor allen Dingen muß einmal folgendes geklärt werden: Will die Opposition im Bereich der Entwicklungspolitik die Polemik um jeden Preis, auch um den Preis, von dem wir heute gesprochen haben, nämlich der Reduzierung der Autorität vieler Institutionen einschließlich des Rechnungshofs in diesem Land? Will die Opposition die Polemik um jeden Preis, auch um den Preis, daß die psychologische Basis zerstört wird, auf die die Entwicklungspolitik aller Parteien angewiesen ist,
oder ist sie bereit, zu jenem Mindestmaß an Kooperation in der Sache zurückzukehren, die so lange selbstverständlich war, als andere Fraktionen hier die Opposition gebildet haben?
Meine Damen und Herren, dies wird eine harte Debatte werden, aber wenn es nach mir geht, muß sie nicht weiter verhärten. Sie könnte das reinigende Gewitter werden, das die keineswegs robuste Pflanze der deutschen Entwicklungspolitik braucht, wenn sie nicht in den giftigen Dämpfen ersticken soll, die in den letzten Wochen und Monaten die Luft verpestet haben.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann eigentlich nicht recht erkennen, welchem Sachverhalt nun der langanhaltende Beifall seitens der SPD gelten sollte. Etwa der Polemik von Minister Eppler? Das kann ich mir doch nicht recht vorstellen.Herr Minister Eppler, eines hat mich an dem, was Sie an die Adresse meines Kollegen Todenhöfer, der selber eine Erklärung abgeben wird, sagten, sehr verwundert: zunächst die Vorführung eines halb kriminalistischen Stückes und am Ende dann das Angebot großer Kooperation. Da frage ich mich einfach, wie es um die Glaubwürdigkeit dieses Verhaltens bestellt ist.
Sie haben uns die Frage gestellt, Herr Minister Eppler: Was wollen Sie nun eigentlich als Opposition, Polemik um jeden Preis? Wer Ihre Rede nachlesen wird — wir haben sie ja gehört —, der wird sich dazu ein eigenes klares Urteil bilden können: Das war Polemik in Verbindung vor allem mit einer Form der Selbstbeweihräucherung,
die eigentlich, wie mir scheint, jeden von uns mit zumindest sehr eigentümlichen Gefühlen erfüllen muß.
Herr Minister, wir haben nicht die Absicht, uns jetzt ausgiebig auf das Kapitel Bundesrechnungshofgutachten einzulassen.
— Nur langsam, nur keine Aufregung! Warum Ihrerseits eine Aufregung? — Sie haben erklärt, der Verlierer sei die Entwicklungshilfe gewesen. Herr Minister, ich frage: Woher kam eigentlich Ihre höchst bemerkenswerte Nervosität in der seinerzeitigen Aktuellen Stunde, wo Sie genau in den Stil jener Polemik ausgeglitten sind, den Sie auch heute hier praktiziert haben? Das muß doch einen Grund gehabt haben; das war doch nicht Ausdruck eines guten Gewissens.
Sie haben ein Zweites getan, und das kann hier nicht unerwähnt bleiben. Herr Kollege Stahl, ich spreche Herrn Minister Eppler an. Sie sagten, Verlierer war die deutsche Entwicklungshilfe, und Verlierer war auch — welch erstaunliche Parallele! —der Entwicklungsminister. Das erinnert mich an einen Artikel, der dieser Tage in einer entwicklungspolitischen Fachzeitschrift erschien und der die Überschrift trug: „Schüsse auf Eppler treffen die deutsche Entwicklungspolitik".
Das in diesem Artikel gewählte kriegerische Bild schmeckt mir nicht, ich nehme an, Ihnen auch nicht. Eines, Herr Minister, ist aber erstaunlich, nämlich der Gedankengang, der hinter diesem Artikel steht und von dem ich den Eindruck habe, daß er Ihnen auch subjektiv nicht fremd ist, der Gedankengang nämlich: Wer Eppler kritisiert, kritisiert die Entwicklungshilfe. Das scheint mir auf die Dauer nicht akzeptierbar zu sein,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5581
RoserHerr Minister, ich darf hier eines sagen: Wir anerkennen Ihr persönliches Engagement. Im übrigen ist das die Pflicht eines Ministers.
Wir anerkennen auch, daß Sie, Herr Minister Eppler, wie Ihre Vorgänger Scheel und Wischnewski, sich darum bemühen, die Bedeutung der Entwicklungspolitik stark ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, auch wenn die Formen der Darstellung und Selbstdarstellung oft nicht unseren Beifall finden — ich könnte mir denken, auch Ihren nicht immer. Zu einem darf es aber nicht kommen, nämlich zu einer falschen Identifizierung von Person und Sache. Das können Sie nicht wollen.
Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Minister, sich in aller Form von dem Gedankengang zu distanzieren: Wer Eppler kritisiert, kritisiert die Entwicklungshilfe schlechthin.Lassen Sie mich hier eine zweite Sache ansprechen,
die dieser Tage in der Presse stand. Da war in der „Frankfurter Rundschau" ein Artikel zu lesen, von einem Anonymus natürlich, auf dessen Namensnennung die „Frankfurter Rundschau" verzichtete, um, wie es dort heißt, ihn nicht zu gefährden. Der kommt zu folgendem Ergebnis — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wörtlich —:Die zu Recht kritisierten Unzulänglichkeiten in der Verwaltung der Entwicklungshilfe sind nicht so sehr das Ergebnis mangelnder Praxisnähe der Reformer, sondern weit mehr das Resultat phantasieloser und formalistischer Auslegung des Haushaltsrechts durch die Konservativen in der Verwaltung.Zuvor spricht der Verfasser vonden erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Progressiven und Konservativen (zumeist Verwaltungsjuristen und die ihnen nachgeordneten Haushaltssachbearbeiter) im Ministerium, seinen Oberbehörden und in den Projekten.An diesem Vorwurf interessiert mich gar nicht so sehr, daß er im Grunde die Bestätigung eines von uns nicht selten erhobenen Vorwurfes der lähmenden Auswirkungen bestimmter Ideologisierungstendenzen in Ihrem Haus ist. Das interessiert mich jetzt gar nicht so.
Was mich interessiert, ist die offenkundige Krise im Durchführungsapparat, die sicher noch andere Ursachen hat
als die hier erwähnte und auch nicht auf die Entwicklungshilfe zugeschneiderte Bundeshaushaltsordnung, die es aber gibt. Da kann ich nur fragen: Was ist eigentlich unternommen worden, um etwa für den Durchführungsbereich der Entwicklungshilfe zu geeigneten Modifizierungen der Bundeshaushaltsordnung zu kommen? Das muß sich doch machen lassen.
Wir fordern endlich auch hier praktische Schritte in einer zugegebenermaßen schwierigen Angelegenheit. Aber gerade weil dies schwierig ist, müssen sie getan werden.In diesem Zusammenhang ein anderer wichtiger Teil des Durchführungsbereiches, um den es hier ja geht. Ich kann mich, wenn ich die Organisations-und Reorganisationsmaßnahmen im BMZ verfolge, des Eindrucks nicht erwehren, daß hier etwas zu intensiv mit dem BMZ, mit dem Beamtenapparat dieses Hauses, umgegangen wird, wie auf dem Rangierbahnhof einer Spielzeugeisenbahn. Lassen Sie mich das an nur einem Beispiel, nämlich dem Kapitel der Zuständigkeit für die Projektbetreuung, illustrieren. 1969 wurde mit den Länderreferaten begonnen. Ihnen wurde zum Teil die Projektbetreuung übertragen. 1971 hat man dann die Zuständigkeit für die Projekte auf die Fachreferate verlagert, bei gleichzeitigem Ausbau der Länderreferate. Wir haben davor gewarnt. 1973 hieß es dann: Kommando zurück, das Ganze kehrt! Die Projektzuständigkeit ging wieder an die Länderreferate. Gleichzeitig aber wurden die Fachreferate zu Fachgrundsatzreferaten ausgebaut. Wir sehen auch hier eine der Ursachen für die Krise der Entwicklungshilfe, Herr Minister, die es auch bei uns gibt und nicht nur in den Vereinigten Staaten, auf die Sie eben abhoben, als ob uns das etwas anginge!
Wir fordern deshalb, um es präzise zu sagen, einen stärkeren organisatorischen Führungswillen der politischen Leitung des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Erwartung, daß es schnellstens dazu kommt, daß der Durchführungsapparat von der Lähmung befreit wird, in die er in letzter Zeit hineingeraten ist. Im übrigen, Herr Minister: Wir hielten es für sehr ratsam, wenn weniger Entscheidungen im „Küchenkabinett" Ihres Hauses fielen und die zuständigen Beamten Ihres Hauses stärker am Entscheidungsprozeß mitbeteiligt würden.Einige Dinge zum Grundsätzlichen:
Wir verlangen eine klare, eindeutige, widerspruchsfreie Entwicklungspolitik. Wir können der Bundesregierung den Vorwurf nicht ersparen, daß es an dieser Klarheit und Gradlinigkeit weithin fehlt, auch bereits im konzeptionellen Bereich, Herr Minister. Da heißt es einerseits in der Konzeption, die Bundesregierung wolle die Entwicklungshilfe in die internationale Entwicklungsstrategie für die zweite Dekade einordnen. Wir stimmen dieser Willensbekundung im Rahmen des Möglichen zu.
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Roser— Ich hoffe, Sie freuen sich darüber. Andererseits aber soll diese weltweite integrierte Entwicklungspolitik auf der Grundlage von Länderhilfsprogrammen geschehen, die die Bundesregierung selbst erstellt. Ich frage, ob hier nicht bereits der Keim des Widerspruchs liegt. Birgt diese starke konzeptionelle Betonung der Länderhilfsprogramme nicht die Gefahr — und lassen Sie mich auf diese Gefahr gerade in der Gegenwart hinweisen — der Renationalisierung der Entwicklungspolitik in sich? Ich stelle jetzt nur die Frage, und Sie müssen sich für die Zukunft mit uns Gedanken über diese Frage machen.Im übrigen stelle ich die weitere Frage, ob es eigentlich vernünftig ist, mit riesigem Verwaltungsaufwand, eigene, sozusagen national-bilaterale Länderhilfsprogramme, gewissermaßen schwarz-rot-goldene Länderhilfsprogramme, zu machen. Ist das vernünftig? Wäre es nicht sehr viel vernünftiger, wenn wir diese Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft etwa zur Ingangbringung einer verstärkten europäischen Entwicklungspolitik übertrügen, abgesehen davon, daß es sinnwidrig ambitionös ist, angesichts der oft marginalen Beiträge, die wir einzelnen Ländern, für die solche Programme entwickelt werden, überreichen können.Wie gesagt, mir geht es hier um die Darstellung eines Stückes der Widersprüchlichkeit, die bereits im Konzept angelegt ist.Lassen Sie mich ein anderes Beispiel aus dem im engeren Sinne politischen Bereich nennen. Da heißt es in der Konzeption der Bundesregierung: Entwicklungspolitik taugt nicht als Instrument kurzfristiger außenpolitischer Erwägungen. Einverstanden. Ich gebe sogar zu, daß es für jene Regierungen der Bundesrepublik, die mit der Entwicklungspolitik begannen, und für die sie tragenden Koalitionen — wie wollen ja nicht vergessen, wer die Minister gestellt hat — eines gewissen Erfahrungs- und Lernprozesses bedurft hat, um zu dieser Erkenntnis durchzudringen. Wenn Sie wollen: wir betrachten das Verhältnis zwischen Außenpolitik und Entwicklungspolitik in einer geläuterten Weise.
Aber gilt — und das ist jetzt die Frage — dieser lautstark propagierte Grundsatz eigentlich für die Bundesregierung selbst, oder ist sie nicht in dem Augenblick schon abgewichen, als sie ihn ihrerseits vollmündig verkündet hat? Die CDU/CSU jedenfalls kritisiert seit Jahren — ich sage: seit Jahren —, daß die Entwicklungspolitik zunehmend stärker in den Sog der Ostpolitik gerät. Wir sehen darin einen Prozeß der Denaturierung der Entwicklungspolitik.
Angefangen hat es mit dem Versuch, im Zuge der sogenannten neuen Ostpolitik gemeinsame Projekte zwischen Bundesrepublik und Ostblockstaaten zu finden. Dann kam als nächster Versuch die Gründung der deutsch-rumänischen Consulting-Firma, der RODECO. Ich will jetzt gar nicht davon sprechen, was da alles innerhalb kurzer Fristen angekündigt wurde, für kurze Fristen, und wie lange es dann gedauert hat, bis da etwas herauskam. Und jetzt leistet die Bundesrepublik eine überproportional hohe Entwicklungshilfe an Jugoslawien. Dabei ist es besonders bedauerlich, daß die eine Milliarde, die hier aufgebracht wird, anderen, klassischen Entwicklungshilfe-Partnerländern entzogen wird.
Das ist, wie uns scheint, Entwicklungspolitik im Dienste der Außenpolitik, im übrigen einer reichlich kurzfristigen und kurzlebigen Außenpolitik. Hier fordern wir Klarheit und Wahrheit. Ich gebe zu, daß es sehr schwierig ist, die Entwicklungspolitik im Koordinatensystem allgemeiner politischer Interessen richtig einzuordnen. In unserem Zusammenhang aber ist es an der Bundesregierung, zu antworten, wie sie zu dem von ihr verkündeten und auch von uns anerkannten Grundsatz steht.Niemand von uns kann leugnen, daß auch die Entwicklungspolitik auf dem Fundament interessenorientierter Überlegungen steht. Es gehört zum Wesen der Politik.
Das gehört auch zum Wesen der Partnerschaft. Diese Motivation macht im übrigen Entwicklungspolitik dauerhaft tragfähig und etwas unabhängiger von wechselnden Emotionen.In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Interessenmoment hinweisen, von dem wir leider nur sehr selten hören, von dem wir aber meinen, daß es gerade von uns als Zeitgenossen Solschenizyns und Sacharows besonders ernst genommen werden sollte: ich meine unser Interesse an den Menschenrechten. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, als bedeutsames Kriterium für entwicklungspolitische Leistungen, die Respektierung der Menschenrechte mitaufzunehmen, ausdrücklich. Organisationen und Staaten, die die Menschenrechte mit Füßen treten, können nicht gleichbehandelt werden mit jenen Ländern, in denen die Menschenrechte unbestreitbar voll in Geltung sind oder die sie voll in Geltung setzen wollen.Lassen Sie mich hier ein weiteres kritisches Petitum anmelden. Wir fordern die Bundesregierung auf, eine Politik entschlosseneren europäischen Integrationswillens auch in der Entwicklungspolitik zu verfolgen. Wir kennen die Schwierigkeiten. Sie zu überwinden, braucht man Zeit, Kraft, Geduld, Ideenreichtum.
Wir stellen mit Befriedigung fest — ich betone das —, daß die Bundesregierung auf einzelne Vorschläge und Vorstellungen, die die CDU/CSU wiederholt und drängend in diesem Hause und in der Öffentlichkeit dargelegt hat, nach und nach eingegangen ist. Aber wir fragen zugleich: hat sie das Konzept einer intensiveren europäischen Koordinierung und Harmonisierung der Entwicklungspolitik energisch, entschlossen und auch realistisch genug verfolgt? Welche bilateralen Bemühungen, etwa auf deutsch-französischer Ebene, mit dem Ziel, zu euro-
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Roserpäisch-multilateralen Fortschritten zu kommen, kann sie eigentlich nachweisen?Mit dem Zusammentritt der für die Entwicklungspolitik zuständigen Minister der Gemeinschaft im Herbst 1972 ist eine lange erhobene Forderung der CDU/CSU endlich verwirklicht worden. Wir erkennen das an. Dieses Gremium wird in wenigen Tagen wiederum zusammentreten, und ich frage den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit — denn er führt den Vorsitz —: Mit welchen Vorstellungen wird er nach Brüssel reisen? Welche Ziele hat er sich gesetzt? Welches Konzept wird er verfolgen? Und ich meine, es ist an der Opposition, zu fragen, und nicht umgekehrt. Womöglich dürfen wir dann das nächste Mal noch die Antworten auf die Fragen, die der Herr Minister hier stellt, schriftlich — mit seiner Erlaubnis — einreichen.Wir stellen weiter die Frage: Was ist geschehen, und was geschieht, um nach langen Jahren einen neuen Anlauf zur Schaffung eines weltweiten und weltoffenen europäischen Freiwilligendienstes zu nehmen? Ich frage diese Bundesregierung: Ist dieses Thema je auf die Tagesordnung der zuständigen europäischen Gremien und Arbeitsgruppen gesetzt worden? Wir hören hier immer wieder, das könne besser noch auf der Ebene der UNO geschehen. Ich kann nur sagen: Diese Antwort kam, mir jedenfalls, vom ersten Augenblick an etwas zu schnell.Im übrigen sind wir der Meinung, daß hier die Chance eines erneuten Anlaufes bestünde, Europa von einer anderen Seite her — nicht positivistischrechtlich — anzugehen mit dem Ziel, zu Fortschritten in unseren Integrationsbemühungen zu kommen.
Herr Kollege Roser, ich muß Sie auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam machen.
Ich komme zum Schluß.
Herr Minister, wir wären dankbar, wenn wir zu diesen und zu demnächst noch weiter zu stellenden Fragen von Ihnen Antworten erhalten können. Wir jedenfalls sind nach wie vor der Meinung, daß in der letzten Zeit die Entwicklungspolitik dieses Landes in die Krise geraten ist.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte findet zu einem Zeitpunkt statt, der für unser künftiges Verhältnis zu einer großen Zahl von Entwicklungsländern entscheidend sein kann. Was sich — Herr Kollege Eppler hat aus seiner Sicht schon darauf hingewiesen — in den letzten Monaten auf den Rohstoffmärkten abspielt, hat wohl vielen, wenn nicht den meisten von uns, zum Bewußtsein gebracht, wie sehr unsere eigene Zukunft verflochten ist mit derZukunft jener Länder, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus kolonialer Abhängigkeit gelöst haben und heute bemüht sind, ihrer politischen Eigenständigkeit die wirtschaftliche Eigenständigkeit hinzuzufügen.Wir wissen, daß zwischen den Ländern der sogenannten Dritten Welt ein Prozeß der starken Differenzierung in Gang gekommen ist, der für einige Länder neue Chancen, für andere Länder zusätzliche, zum Teil sehr ernste Gefahren mit sich bringt. Wir wissen, was hohe Preise für Öl, für Düngemittel oder Weizen für weite Bereiche der Dritten Welt und nicht zuletzt für den indischen Subkontinent bedeuten. Wir wissen, daß auch das, was man die Grüne Revolution genannt hat, manchen Ländern nur eine kleine Atempause verschafft hat und daß einige noch in diesem Jahr mit Hungersnot zu kämpfen haben werden. Wir wissen, wie weit die meisten Entwicklungsländer noch entfernt sind von einem Zeitpunkt, wo die Arbeitslosigkeit abnehmen oder gar verschwinden könnte.Ich will das jetzt nicht weiter ausmalen, sondern vier Feststellungen treffen, die sich auf unsere eigene Politik, die Politik der Bundesregierung, beziehen:Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich auf dem Hintergrund dessen, was ich eben skizzierte, nicht nach der Devise „Rette sich, wer kann" verhalten oder sich mit anderen Ländern oder Ländergruppen auf Kosten von Entwicklungsländern arrangieren. Das werden wir nicht tun.
Zweitens. Die Bundesregierung strebt eine weltweite Diskussion und eine weltweite Abstimmung darüber an, wie die Preise der Industrieprodukte, der Rohstoffe und der Grundnahrungsmittel so einander zugeordnet werden, daß die Lebensinteressen aller Beteiligten dabei gewahrt werden können.Drittens. Wir werden unsere Entwicklungshilfe fortsetzen und uns an der Finanzplanung orientieren, die für diesen Bereich angepaßt und in der angepaßten Form festgelegt wurde.Viertens. Die Bundesregierung wird sich in ihrer Entwicklungshilfe weiterhin von dem Gedanken der gleichberechtigten Partnerschaft leiten lassen. Dies bedeutet, daß wir Schritt für Schritt dazu übergehen müssen, Verantwortung für Projekte und Programme auf Träger im jeweiligen Entwicklungsland zu verlagern.Lassen Sie mich noch einige Worte zum Stellenwert der Entwicklungspolitik innerhalb unserer Gesamtpolitik sagen. Ihr — unserer Gesamtpolitik — gemeinsamer Nenner ist die Sicherung des Friedens. Dazu gehören die Einigung Europas, die Sicherung des europäisch-amerikanischen Verhältnisses, die Aussöhnung mit den Nachbarn im Osten. Dazu gehört ebenso die Partnerschaft mit den Ländern der Dritten Welt. Einen Gegensatz kann hier nur sehen, wer den gemeinsamen Nenner aus dem Auge verliert.Ich möchte meinem Vorredner zweierlei sagen.
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5584 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Bundeskanzler BrandtErstens. Wenn wir jetzt mehr Zeit hätten, würde ich gern im einzelnen darlegen — Kollege Eppler wird es sicher im Ausschuß tun, wenn hier heute oder morgen früh dazu die Zeit nicht mehr reichen sollte —, daß und wie nachdrücklich wir uns für die hier apostrophierte Koordinierung und Harmonisierung der Entwicklungspolitik im europäischen Rahmen eingesetzt haben. Ich kann dies um so leichter sagen, als eine Reihe meiner eigenen Gespräche mit dem Präsidenten der Französischen Republik auch diesem Thema gegolten haben.
Zweitens. Ich verstehe — auch dies an die Adresse meines verehrten Herrn Vorredners —nicht, was das Wort vom Sog der Ostpolitik bedeuten soll, in den unsere Entwicklungspolitik geraten sei
und wieso unsere Entwicklungspolitik hier denaturieren könnte. Für mich ist zumal Kooperation mit unseren östlichen Nachbarn, die notwendig ist, kein Gegensatz und kein Ersatz für unsere Partnerschaft mit Entwicklungsländern.
Für mich sind dies vielmehr zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beides gehört zusammen, weil beides für ein friedliches Zusammenleben auf dieser Erde unerläßlich ist. Deshalb soll die wirtschaftliche Kooperation zwischen Ost und West in Europa — ich sage es noch einmal — nicht zu Lasten der Entwicklungsländer in anderen Teilen der Welt gehen.
Ich habe nun mit einiger Sorge verfolgt, wie hier und da das Thema unserer Kredite an Jugoslawien behandelt worden ist. Ich möchte hier mit Nachdruck auf folgendes hinweisen. Die Grundsatzentscheidung für diese nach vorn orientierte Regelung ist — ich wiederhole dies trotz des Hinweises, der dazu gegeben wurde und auf den ich gleich zu sprechen komme — bereits im Frühsommer 1968 zwischen dem Bundeskanzler und dem Außenminister der Großen Koalition gefallen.
Ich sage: eine nach vorn orientierte Lösung, eine indirekte Lösung für Fragen, die noch aus der Vergangenheit herrühren.Nun tut es mir leid, nachdem der erste Redner der Opposition hierzu eine Erklärung meines Vorgängers im Amt des Bundeskanzlers vorgelesen hat, dazu ein paar Sätze sagen zu müssen. Ich hätte das lieber nicht getan, und ich will auch nicht mit Herrn Kollegen Kiesinger polemisieren, der nicht hier ist. Aber da er etwas hat verlesen lassen, kann der Bundeskanzler nicht darauf verzichten, hier vor dem Hohen Hause, vor der deutschen Öffentlichkeit und für das Protokoll des Deutschen Bundestages zwei Feststellungen ohne jede Polemik zu treffen.Die eine ist folgende. An jenem sonntäglichen Gespräch am 9. Juni 1968 in Bad Dürkheim — nicht, weil es dort guten Wein gibt, das war ein zusätzlicher Grund, sondern einfach deswegen, weil die Beteiligten dort vormittags anderes zu tun hatten und sich zum Mittagessen trafen — nahm als dritter neben den beiden, von denen schon die Rede war, der verstorbene damalige Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Duckwitz, teil. Es gibt bei den Akten des Auswärtigen Amts eine Niederschrift des damaligen Staatssekretärs des Auswärtigen Amts vom 10. Juni. Er hat diese Niederschrift also am Montag — Sonntag war die Besprechung — gemacht. Ganz gewiß will keiner die Richtigkeit dieser Niederschrift bezweifeln. Ich lese sie nicht vor, a) weil ich nicht polemisieren will, b) weil es eine vertrauliche Niederschrift ist, sondern ich gebe wieder, was der jetzt zuständige oder in der zuständigen Abteilung damit befaßte Beamte als nichtvertrauliche Niederschrift dem Bundeskanzler mit auf den Weg gegeben hat.Da heißt es, gestützt also auf diese Niederschrift vom 10. Juni 1968:Er— nämlich der damalige Bundeskanzler —erklärte sich im Grundsatz mit den Gedankengängen einverstanden, die sich u. a. auf Überlegungen bezogen, Jugoslawien einen zinsgünstigen Kredit zu— jetzt kommt es — Kapitalhilfekonditionen einzuräumen.Punkt eins. Zur Klarstellung, was diesen Punkt angeht: nicht im technischen Sinne Kapitalhilfe — das ist eine Lösung, die sich erst herausgebildet hat —, sondern zu Kapitalhilfekonditionen.Punkt zwei. In der Erklärung, die hier für Herrn Kiesinger vorgelesen worden ist, hat dieser sich auf ein Gespräch mit dem jugoslawischen Minister Granfil bezogen, das später stattgefunden hat, nämlich im Februar 1969. Er hat sich darauf bezogen, daß er, der damalige Bundeskanzler, diesem jugoslawischen Minister gegenüber eine ablehnende Haltung zu dem eingenommen habe, was der Minister ihm vorgetragen habe. Dem hat niemand widersprochen. Aber wenn man schon einen solchen Punkt in ,die Diskussion des Bundestages einführt, dann muß man natürlich damit rechnen, daß ein anderer in den Akten nachsieht, was sich, auf diesen Punkt bezogen, tatsächlich zugetragen hat.Zugetragen hat sich nun folgendes: daß diesem jugoslawischen Minister unmittelbar nach seinem Besuch in Bonn ein zwischen dem damaligen Bundeskanzler und dem damaligen Außenminister abgestimmtes Telegramm über seine hiesige Botschaft geschickt wurde. Unserer Botschaft wurde hiervon Kenntnis gegeben. Ich habe den Text da; die Kollegen von der Opposition, die sich dafür interessieren, können ihn einsehen. — Verzeihung, hier gilt gleiches Recht für alle Teile des Hauses, aber ich dachte, das Interesse sei in der Mitte — nicht neue Mitte, sondern alte Mitte —, sei bei der Opposition noch stärker als bei anderen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5585
Bundeskanzler BrandtAber Scherz beiseite. Ich muß auch heute noch, in diesem Stadium des Aushandelns dieser Frage Rücksichten nehmen, die mich daran hindern, etwa den vollen Text eines solchen Telegramms zu verlesen. Darum sage ich: Der volle Text steht den interessierten Mitgliedern des Hauses, zumal den Mitgliedern des Ausschusses zur Verfügung. In dem vom Außenminister mit dem Bundeskanzler abgestimmten Text heißt es — so der jugoslawischen Regierung über ihren Minister im Februar 1969 mitgeteilt —:Die Bundesregierung weiß, daß während Ihres Besuches in Bonn nicht alle Fragen, die unsere beiden Länder betreffen, in den Gesprächen vertieft werden konnten. Ich habe Ihnen jedoch, wie auch schon in meinen Gesprächen in Belgrad, eine gründliche Prüfung noch offenstehender Probleme zugesagt, allerdings auch gleichzeitig an die fortbestehenden rechtlichen und politischen Schwierigkeiten erinnert. Auch der Herr Bundeskanzler hat sich in gleichem Sinne Ihnen gegenüber geäußert. Die Bundesregierung bleibt bestrebt, eine Lösung der noch offenen Fragen zu finden.Ich sage noch einmal: Dieser Text ist zwischen den beiden abgestimmt, von denen hier die Rede war.
Wir haben die Grundsatzentscheidung, von der hier die Rede ist, damals gefällt, weil es den Regierungen vor uns — obwohl auch Konrad Adenauer einen zinslosen Kredit von 240 Millionen DM auf 99 Jahre gewährt hatte — noch nicht gelungen war, das Thema, um das es hier geht, zu regeln. Diese Bundesregierung wird — Polemik hin, Polemik her — weiter eine Politik zum guten Ergebnis hin führen, die zur Bereinigung unseres Verhältnisses zu diesem wichtigen Land nötig ist.
Wir werden das so tun, daß damit die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes gefördert wird, das jeden fünften Gastarbeiter in unserem Land stellt und für das die Energiekrise besondere Probleme geschaffen hat.Ich bedaure, daß die Diskussion über die Zusammenarbeit mit Jugoslawien von Teilen der Opposition so verkrampft geführt worden ist, wie wir dies erlebt haben. Nun mag man mir — gestützt auf das, was zurückliegt und was ich hier vorgetragen habe — hierzu vorwerfen, was man will, ich stehe für die damals und die dann viel zu spät danach getroffenen Entscheidungen.
Man sollte aber Herrn Eppler aus dieser Geschichte herauslassen. Die Vorwürfe gegen ihn sind in jeder Hinsicht ungerechtfertigt. Das habe ich erst kürzlich in einem Brief an Herrn Kollegen Carstens dargelegt, und ich schließe — trotz dessen Erwiderung — nicht aus, daß ich von ihm richtig verstanden worden bin.
Lassen Sie mich auf Grund meiner Erfahrungen aus manchen Auslandsreisen eine Bemerkung hinzufügen. Einige Male bin ich im Laufe der letzten Jahre in amtlicher Eigenschaft ja auch schon außerhalb der Grenzen unseres Staates gewesen. Die deutsche Entwicklungshilfe — das ist der Eindruck, den ich mehr als einmal mit nach Hause gebracht habe — hat draußen in der Welt keinen schlechten, sondern einen guten Ruf. Sie hat in vielen Ländern ein Klima vertrauensvoller Partnerschaft geschaffen, das auch der Außenpolitik unseres Landes zugute kommt.
Wo draußen Kritik laut wird, behauptet niemand, unsere Hilfe werde nachlässig verwaltet — wie man es hier unter Berufung auf nicht ganz zutreffendes Material in den letzten Wochen hat darstellen wollen —, sondern man hört umgekehrt verschiedentlich, es werde zu gründlich, zu umständlich geprüft, ehe wir mit einem Projekt anfangen.Unsere Entwicklungshilfe ist ein Aktivposten im Geflecht unserer .Außenbeziehungen. Ein Aktivposten ist auch der Ressortminister, der diese Politik seit mehr als fünf Jahren formuliert, geprägt und vertreten hat
und der viel unsachlicher und ungerechter Kritik ausgesetzt gewesen ist. Um dies noch einmal hier deutlich zu sagen und darauf hinzuweisen, daß ich diese Kritik für unsachlich, ungerecht und weithin sogar für unverantwortlich gehalten habe, ist auch der Grund, warum ich heute abend hier spreche.
Ich begrüße ausdrücklich, daß gestern abend im Rahmen des Rechnungsprüfungsausschusses klargestellt wurde, in wie unverantwortlicher Weise der Bundesrechnungshof gegen den Kollegen Eppler in Anspruch genommen worden ist. Gewiß, wir werden auch auf diesem Gebiet, von dem heute abend die Rede ist, unentwegt dazulernen müssen. Aber wir brauchen uns vor niemandem zu verstecken, weder nach außen noch nach innen.
Herr Abgeordneter Wehner, nach dem mir nunmehr vorliegenden Protokoll haben Sie dem Herrn Abgeordneten Roser zugerufen: „Der Grund war Ihre Perfidie!" Ich rüge diesen Zuruf.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Holtz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklungspolitik — da hat Herr Roser recht — ist wieder verstärkt in das Fadenkreuz der Kritik geraten, aber nicht nur in den Industrieländern, sondern auch in den Entwicklungsländern, und zwar angesichts der nur langsamen Fortschritte. Sie sind die Zeichen von Enttäuschung und wachsender Ungeduld. Die Entwicklungsländer sind die ewigen, meist nicht eingehaltenen Versprechungen der Industrienationen in vielen Fällen leid.
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5586 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974
Dr. HoltzWenn es aber hier in der Bundesrepublik eine akute Öfentlichkeitskrise der deutschen Entwicklungshilfe gibt, dann haben Sie, besonders der Sprecher der Opposition, dazu erheblich beigetragen.
Herr Todenhöfer, Sie sprechen seit einem Jahr von einer neuen entwicklungspolitischen Konzeption der CDU/CSU. Wir dachten, sie würde heute endlich einmal in einem großen Wurf vorgelegt werden. Aber weit gefehlt! Statt dessen bruchstückhaftes Rauschen durch den Blätterwald und hier wieder billige Polemik im Parlament. Das ist enttäuschend.
Sie haben der Presse ein vertrauliches Gutachten des Bundesrechnungshofes zugespielt. Und Sie haben hier etwas inszeniert — ja, was war es? Gestern hat es sich herausgestellt: nur ein Theaterdonner, sonst nichts. Dies alles haben Sie vor einem Parlament veranstaltet, das über den Inhalt des Bundesrechnungshof-Gutachtens bis heute noch nicht voll informiert ist. Es drängt sich bei mir der Eindruck auf, als habe das Parlament als Mittelpunkt sachlicher Diskussion, sachlichen Ringens um die bestmögliche Politik abgedankt und sei manchmal zur Tribüne marktschreierischer — allerdings, wenn ich an den heutigen Abend denke, auch immer blasser werdender — Profilierungstänze abgesunken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Lieber Kollege Holtz, leider hatte der Herr Minister keine Zwischenfrage gestattet. Bei dem Zitieren des Beschlusses des Rechnungsprüfungsausschusses hat er leider einen Absatz nicht mit zitiert, und ich frage Sie, ob Sie sich dessen bewußt sind, daß dies ebenfalls enthalten ist. Ich frage Sie, ob es richtig ist, daß der Rechnungsprüfungsausschuß auf der Grundlage des Rechnungshof-Gutachtens einstimmig vom Ministerium u. a. die Zusammenlegung der GAWI mit dem Amt für Entwicklungshilfe gefordert hat.
Sie haben das gefordert, was Minister Eppler seit Jahren selbst durchsetzen wollte.
Es verstärkt sich bei mir der Eindruck, besonders seit Ihren schrillen Tönen zu dem Entwicklungshilfekredit an das Entwicklungsland Jugoslawien, daß Sie mit solchen Methoden immer mehr die Staats- und Parlamentsverdrossenheit in diesem Lande provozieren. Aus diesem Kredit versuchen Sie ohne Rücksicht auf die Interessen der Bundesrepublik ebenfalls kleinkariertes, parteipolitisches Kapital zu schlagen. Daß Sie andererseits in einem Gastarbeiter-Programm die Bundesrepublik auffordern, einen wesentlichen Teil des künftigen Zuwachses bilateraler Entwicklungshilfe in die Heimatländer der ausländischen Wanderarbeiter zu lenken, also nach Jugoslawien, das Ihr Sprecher in der Novelle des Entwicklungshilfesteuergesetzes sogar nicht als relativ weit fortgeschrittenes Entwicklungsland eingestuft sehen möchte, stört Sie dabei überhaupt nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte den Gedankengang noch zu Ende führen.
Herr Todenhöfer, Sie haben gestern im Ausschuß selber gesagt: Wir haben eine gewisse Schuld gegenüber Jugoslawien abzutragen. Ich frage Sie hier: Verbirgt sich hinter dieser ganzen Jugoslawien-Diskussion nicht eine völlig andere Auffassung, und zwar die, wie Sie sie etwa in der Zeitschrift „Die Entscheidung" im Dezember 1973 dargelegt haben, als Sie nämlich schrieben, die soziale Marktwirtschaft sei das bisher erfolgreichste Modell wirtschaftlicher Entwicklungen und sich demokratisch vollziehenden Interessenausgleichs — so weit so gut —, aber deshalb dürfe das konkurrierende Modell im Ausland nicht demonstrativ prämiiert werden. Sind das die wahren Gründe für die Ablehnung des Entwicklungshilfekredits? Sagen Sie doch offen, daß Sie so denken!
Herr Abgeordneter Holtz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer?
Bitte schön!
Herr Holtz, erinnern Sie sich, daß wir bei unserem Gastarbeiter-Entwicklungsprogramm zwei Gruppen von Ländern gebildet hatten, einmal die Gruppe, in denen die Zahl der auswandernden Arbeiter zunimmt — das waren die Türkei, Algerien, Marokko und Tunesien —, die verstärkt öffentliche Hilfe bekommen sollten, und zweitens die Gruppe mit Jugoslawien, Spanien, Portugal und Griechenland, bei denen die Zahl der auswandernden Gastarbeiter rückläufig ist, und die deswegen nur mit privaten Investitionen gefördert werden sollten?
Ich erinnere mich daran. Deshalb treiben wir eine verstärkte wirtschaftliche Kooperation mit Jugoslawien und wollen dies auch in Zukunft tun.
Was lassen wir uns in der Bundesrepublik die öffentliche Entwicklungshilfe kosten? Es sind rund 3 Milliarden DM. Das ist etwas weniger als bei uns für die Sparförderung ausgegeben wird und ungefähr ein Drittel dessen, was die Tabaksteuer einbringt. Das sind magere 0,31 0/o unseres Bruttosozialprodukts.Der Tadel der Opposition in diesem Punkt klingt allerdings wenig glaubhaft, da sie zu keiner Zeit konkrete Anträge auf wesentliche Erhöhung der Etatmittel gestellt hat. Wie könnte sie außerdem eine Steigerung des Einzelplans 23 auf 6 Milliar-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. März 1974 5587
Dr. Holtzden DM in diesem Jahr, die einem erreichten 0,7 %Ziel entsprächen, glaubhaft vertreten, wenn sie auf der anderen Seite eine Kürzung des Gesamthaushaltes will? Man kann doch nicht auf der einen Seite überall Wein predigen und nachher nur noch Wasser trinken wollen.
Wir sollten dank der Ölkrise begriffen haben, daß eine fundamentale Änderung des die Dritte Welt immer noch in vielen Punkten benachteiligenden Welthandels- und Wirtschaftssystems unabdingbare Voraussetzung für eine gerechtere Verteilung des Weltreichtums und für die Schaffung und Erhaltung des internationalen Friedens ist. Die Weltgemeinschaft verbindet gemeinsame wirtschaftliche, politische, humanitäre und auch ökologische Interessen. Eine die gemeinsamen Interessen beachtende ausgewogene Politik, vor allem der sozialen Gerechtigkeit, ist notwendig geworden. Wenn man einen offenen internationalen Klassenkampf — wenn ich vom Weltproletariat ausgehe — mit der Perspektive eines dritten Weltkrieges vermeiden und die durch den Ausbeutungsprozeß sich verschärfende Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern überbrücken will, bedarf es eines überdimensionierten Wiedergutmachungsverfahrens ökonomischer Art. Manche mögen diesen politischen Warnungen ebensowenig Glauben schenken wie den allabendlichen Reklame-Fernsehspots. Aber die Industrieländer, besonders die „Profitlöwen" — um ein Wort von Böll aufzugreifen —, werden in Zukunft zu Opfern gegenüber den in Unterentwicklung gehaltenen Ländern bereit sein müssen, und zwar zu größeren Opfern, als sie sich etwa im Einzelplan 23 niederschlagen.Ich freue mich, daß der Kollege Wulff am 25. Januar des vergangenen Jahres in der Debatte über die Regierungserklärung ausgeführt hat: „Wenn die Opposition die Wahlen gewonnen hätte, wären wir bereit gewesen, unserem Volk zu erklären, daß es für diese Dritte Welt auch zu Opfern bereit sein müsse."
Machen wir uns gemeinsam an diese nötige, bittere Aufklärungsarbeit!Die Bundesrepublik ist hier bereits auf dem richtigen Wege. Dies hat der Bundeskanzler soeben klargemacht. Ich glaube, wir sollten dem Bundeskanzler dankbar sein, daß er sich hier und heute eindeutig zur Solidarität mit der Dritten Welt bekannt hat.
Die quantitative Steigerung des Volumens der öffentlichen Hilfe allein wird die Probleme der Dritten Welt nicht lösen. Es kommt darauf an, zu verhindern, daß die sogenannte Hilfe den Empfängerländern nicht mehr schadet bzw. deren Interessen zuwiderläuft. Deshalb heißt unsere entwicklungspolitische Strategie — schlagwortartig, weil mir die Zeit fehlt —: vor allem weniger Parforce-Industrialisierung als vielmehr Konzentration auf die Landwirtschaft; nicht Stabilisierung oligarchischer Herrschaftsgruppen in den Entwicklungsländern, sondern Unterstützung für sozialreformerische Kräfte;
nicht Förderung von bislang privilegierten, sondern benachteiligten Bevölkerungsschichten; erhöhte Anstrengungen für die am wenigsten entwickelten Länder; Massenmobilisierung und Arbeitsplatzbeschaffung; weniger Transfer unserer meist kapitalintensiven Industrie als vielmehr Hilfe beim Aufbau einer der jeweiligen Umwelt angepaßten Technologie.
Soeben wurde von der Opposition behauptet, es bestände bei der Aufstellung von Länder-Hilfeprogrammen ein Widerspruch zur internationalen Strategie. Das ist doch purer Unsinn! Das BMZ koordiniert mit anderen Geberländern diese Hilfe sowohl bilateral als auch multilateral. Bei der Aufstellung von Länder-Hilfeprogrammen stützt es sich auf die von internationalen Stellen angefertigten Analysen.
Dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Erhard Eppler, gebührt das international gewürdigte Verdienst, diese Neuorientierung der Entwicklungspolitik und ihres Instrumentariums eingeleitet und durchgesetzt zu haben.
Die Hallstein-Doktrin, das Gießkannenprinzip, das unkritische, optimistische Starren auf wirtschaftliches Wachstum, was ja auch Sie nicht sehen möchten — und da erweisen Sie sich als ein gelehriger Schüler des von Ihnen so oft attackierten Ministers —, eine starre Expertenideologie wurden ad acta gelegt.
— Die deutsche Entwicklungshilfe ist uneigennütziger geworden, Herr Todenhöfer; daran können Sie auch nichts ändern. Und hier hat die sozialliberale Koalition mit ihrem Entwicklungshilfeminister neue, entscheidende Weichen gestellt.Die entwicklungspolitische Strategie im weiteren Sinne muß die zu Lasten der Entwicklungsländer gehenden Ungerechtigkeiten des Weltwirtschafthandels und -währungssystems abbauen. Und hier bleibt noch Vieles zu tun.Der erstmalig von der Bundesregierung vorgelegte Bericht zur Entwicklungspolitik, der heute mitdiskutiert wird, geht auf diese Fragen einer Entwicklungspolitik im weiteren Shine, wie ich sie nennen möchte, ein und versucht auch, Lösungsvorschläge zu machen. Aber wir sollten ehrlich sein: Bei diesem im Vergleich zur sogenannten öffentlichen Entwicklungshilfe mindestens ebenso wichtigen Kapitel der Entwicklungspolitik stehen wir erst am Anfang. Es fällt Politikern aller Parteien schon schwer, unserer Bevölkerung reinen Wein einzuschenken und zu sagen, daß wir nicht auf ewig unseren Wohlstand in einem nicht unerheblichen Maße auf Kosten der Entwicklungsländer so stark
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Dr. Holtzmehren können. Noch schwerer fällt es den in Verantwortung stehenden Politikern, diese Einsicht auch in praktische Politik umzusetzen.Aber wenn Sie, Herr Todenhöfer, soeben gesagt haben, daß Herr Eppler und Herr Matthöfer die Ölkrise nutzen, um die Grundsätze einer liberalen Außenwirtschaftspolitik in Frage zu stellen, so ist das doch ein unglaublicher Vorwurf. Minister Eppler ist in Theorie und Praxis immer für eine Liberalisierung der Außenwirtschaft eingetreten. Das wissen Sie doch so gut wie ich. Und Herr Staatssekretär Matthöfer arbeitet in einer UN-Kommission, in die er vom UN-Generalsekretär berufen worden ist, um doch gerade die Macht der multinationalen Konzerne dort zurückzudrängen, wo sie gefährlich geworden ist.
Welchen Beitrag leistete und leistet die Opposition bei der umfassenden Reorientierung der deutschen Entwicklungspolitik? Der neue entwicklungspolitische Sprecher kündigte ein neues entwicklungspolitisches Alternativprogramm an.
Es liegt zwar noch nicht vor, aber lassen Sie mich kurz auf einige Novitäten eingehen, die bis jetzt bekanntgeworden sind.Erstens. Wer soll Entwicklungshilfe erhalten? Am Beispiel Chile möchte ich die „neue" Haltung der Opposition darstellen. Vor dem Putsch, am 20. Juli 1973, erklärte der Kollege Todenhöfer im Deutschland-Union-Dienst:Eine Gesellschaftspolitik, die wir für unser eigenes Land nicht wollen, können wir — ohne unglaubwürdig zu werden — nicht in dritten Ländern unterstützen wollen.
Das Experiment Allende bleibt in erster Linie ein sozialistisches Experiment, das wir als gesellschaftspolitisches Experiment nicht unterstützen können. Für sozialistische Experimente in der Dritten Welt ist die DDR zuständig.Und Sie haben noch hinzugefügt:Die offizielle deutsche Entwicklungshilfe soll sich darauf beschränken, technische Problemlösungen zu vermitteln.Nach dem Putsch war auf einmal in der „Zeit" vom 5. Oktober 1973 zu lesen, wir sollten uns ideologisch freihalten, das wichtigste Kriterium für die Entwicklungshilfe solle immer die Hilfsbedürftigkeit der Bevölkerung und nicht die Form der Regierung sein. Plötzlich ist Hilfe an Chile möglich, trotz des andauernden quasi-faschistischen Terrorregimes in Chile. Hauptsache, die Lage konsolidiert sich, es wird umgeschuldet und nicht mehr geschossen!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Holtz, ist Ihnen bekannt, daß die Überschrift in diesem „Zeit"-Interview den Inhalt richtig wiedergab und hieß „Kein Geld für Generale"?
Ich habe nicht die Überschrift zitiert, sondern aus dem Kontext.Aber ich frage Sie, Herr Todenhöfer, was gilt denn eigentlich? Ideologische Bevorzugung, ja oder nein? Vorher war anscheinend die DDR für das sozialistische Experiment in Chile zuständig. Fühlen Sie sich jetzt zuständig? Verläuft für Sie die Trennlinie nicht zwischen Demokratie und Diktatur, sondern zwischen Sozialismus und Kapitalismus?
Dieses verwirrende Hin und Her müssen Sie der deutschen Öffentlichkeit erst einmal erklären!Aber es kommt noch schlimmer, Herr Todenhöfer. Sie haben in einem „Zeit"-Artikel am 17. August 1973 eine klare Sprache gesprochen.
— Ich zitiere hier sachlich aus dem, was Herr Todenhöfer als neue entwicklungspolitische Konzeption darzustellen versucht hat.
Dort hat Herr Todenhöfer eine klare Sprache gesprochen. Es heißt:Um es kraß zu sagen: mit Diktatoren kann man keine Entwicklungshilfe treiben.Ich stehe hinter Ihrer wiederum vor dem Putsch gemachten Aussage; ich persönlich verstehe z. B. nicht, daß Brasilien in der Weltrangliste der deutschen Entwicklungshilfeempfänger den sechsten Platz einnimmt.Aber zurück zu Allende. War denn Allende ein Diktator, und sind in Chile jetzt Demokraten an der Macht? Ich bitte die CDU, doch durch verbindliche Erklärungen wieder ins Lot zu bringen, was ihr entwicklungspolitischer Sprecher an widersprüchlichen Aussagen in die Öffentlichkeit gebracht hat.
Zweitens. Welche neue Haltung nimmt die Opposition zum Verhältnis von öffentlicher Hilfe und Leistungen der Privatwirtschaft ein? Der Oppositionssprecher will „generell entwicklungspolitisch unbedenkliche" — was heißt das eigentlich? — „Direktinvestitionen durch Vergabe einer Mindestprämie gefördert" sehen, so in der „Zeit" vom 17. August. Technische und Kapitalhilfe sollen in den Entwicklungsländern möglichst schnell die notwendigen Voraussetzungen für ein rentables Engagement der deutschen Wirtschaft schaffen. In ihrer Sprache: Der Privatunternehmer sucht neben einem gewinnversprechenden Markt „eine passable Infrastruktur", die unter anderem durch die Entwicklungshilfe zu erstellen ist. Ihr Gastarbeiterprogramm, Ihre konzeptionellen Vorstellungen zum Entwicklungshilfesteuergesetz sind vorwiegend ein Programm zur
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Dr. HoltzFörderung der deutschen Industrie, wie es auch dem Interessencharakter eines erheblichen Teils Ihrer Partei entspricht.
In einem Widerspruch dazu steht der kürzlich von Herrn Todenhöfer erhobene Vorwurf, die Bundesregierung koppele Exportförderung und Rohstoffsicherung mit der Entwicklungshilfe. Handelt es sich hier nur um Scheingefechte? Oder wandeln Sie sich gar zu einem Vertreter der reinen Lehre, wenn Sie zwar eine staatliche Kreditförderung von Rohstoffund Exportzielen für manchmal unumgänglich halten, jedoch buchungstechnokratisch fordern so in der „Wirtschaftswoche" vom 8 März 1974, also letzte Woche —:Die hierfür notwendigen Mittel dürfen jedoch nicht aus dem Etat des Entwicklungsministeriums entnommen werden.
Sie mögen guten Glaubens die Feststellung im Pearson-Report „Das Privatkapital kann in der Tat, Dollar für Dollar, wirkungsvoller sein als die offizielle Auslandshilfe" absolut gesetzt haben. Klassische Ökonomen pflegten und pflegen zu argumentieren, daß Privatinvestitionen kumulative Beschäftigungseffekte auslösen, ebenso Einkommens-, Mobilitäts-, Zahlungsbilanzverbesserungs- und Neuerungseffekte, die in der Regel früher oder später im Entwicklungsland die Grundlagen für eine sich selbst tragende Entwicklung legen.Doch die Entwicklungshilfe hat diesen Erfolg nicht gezeigt. Wäre das Konzept richtig, hätten die Entwicklungsländer, die schon seit Jahrzehnten Privatinvestitionen erhalten, schon im ersten Entwicklungsjahrzehnt der UN einen hohen Entwicklungsgrad erreichen müssen. Übrigens habe ich noch nie den ungetrübten Wunderglauben an die Zauberkraft der Privatinvestitionen besessen.
Herr Abgeordneter, auch unter Berücksichtigung der Zwischenfragen bitte ich, auf die Redezeit zu achten.
Herr Präsident, ich werde mich daran halten und gleich zum Schluß kommen.
In diesem Zusammenhang ist der Bundesregierung nur zu empfehlen, daß sie der Auffassung von Minister Eppler folgen möge, die Rohstoffsicherung nicht mit Entwicklungshilfeleistungen zu koppeln.
Wegen der Kürze der Zeit kann ich jetzt nicht mehr viele Fragen ansprechen, z. B. die, was Sie sich, Herr Todenhöfer, unter dem „globalen Verteilungsproblem" vorstellen. Sie wollen die durch die Multis entstandenen Probleme durch Zusammenschlüsse von Entwicklungsländern lösen. Wissen Sie aber, daß die bestehenden Zusammenschlüsse wie der Andenpakt wenig ausgerichtet haben — das hat gestern Ihr Kollege Köhler im Ausschuß bestätigt — und zum Teil Voraussetzungen dafür selten gegeben sind? Sollen sich etwa die Türkei, Griechenland, Jugoslawien, Spanien und Portugal zusammenschließen können? Sie sprechen von neuen, arbeitsintensiven Technologien und erwähnen das chinesische Beispiel. Aber ist Ihnen denn nicht klar, daß man die Chinesen nicht als Vorbild hinstellen kann, ohne dabei zu erkennen, wie eng deren technische Problemlösungen durch ihr Gesellschaftssystem mitbedingt sind?
Meine Damen und Herren von der Opposition, in vielen Fragen der Entwicklungspolitik hat das gesamte Haus an einem Strang gezogen und tut es auch heute noch. Wir warten jetzt auf die neue Konzeption. Was bislang vorliegt, ist weitgehend enttäuschend, unausgegoren und sich widersprechend. Das Fazit lautet: Die Opposition stand und steht mit ihrem Sprecher im entwicklungspolitischen Abseits.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wulff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß diese Debatte viel Erregung gezeigt hat. Ich bin der Meinung, daß es die Aufgabe von Politikern ist, insbesondere bei einem so schwierigen Problem, wie es die Entwicklungshilfe darstellt, nüchtern und sachlich zu diskutieren.
Ich hatte manchmal den Eindruck, verehrter Herr Minister Eppler, daß man mit Ausdrücken wie „giftige Dämpfe", „Gewitter", „Donnergrollen" und dergleichen mehr ein wenig des Guten zuviel getan hat. Hier, glaube ich, sollte man zurückhaltend sein, und wie ich Ihre Art kenne, passen die Worte „Gewitter" und „giftige Dämpfe" auch gar nicht zu Ihrem Naturell.
— Verehrter Herr Kollege Stahl, beginnen Sie doch endlich einmal über sich selbst zu lächeln, sonst tuen es immer nur die anderen.Ich meine, man sollte hier einmal die entwicklungspolitische Konzeption der Regierung einer nüchternen Analyse unterwerfen. Hier wird davon gesprochen, daß die Regierung die Zuständigkeiten geregelt habe, daß sie durch eine Zusammenfassung der Entwicklungshilfe in einem Ministerium sehr viel zur Durchsetzung ihrer Hilfe getan hat. Aber ich frage nun einmal den Minister: Was nützen alle organisatorischen Feinheiten und Finessen, wenn sie nicht zu dem führen, was wir alle wollen, nämlich zu einer verstärkten Entwicklungshilfe und Hilfe für die Länder der Dritten Welt?
Wie sieht es da aus, Herr Minister?
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Dr. WulffWir sind seit 1969, gemessen am Bruttosozialprodukt, beständig weiter nach unten gegangen.
— Herr Matthöfer, hören Sie gut zu. Das ist natürlich eine Sache, die Ihnen unangenehm ist. Aber ich bin der Meinung, Entwicklungshilfe ist etwas anderes, als ein Ministerium darzustellen, als sei es in der Organisation gut. Ich bin der Meinung, zur Organisation gehört auch eine gute Politik, und diese vermisse ich eben. Ich will Ihnen sagen, woran es liegt und wie Sie es besser machen sollen.Ich glaube, daß ein Zurückgehen der Entwicklungshilfe auf 0,3 % — und das ist das Ergebnis seit 1969 — keine gute Politik gewesen ist. Wir hatten, verehrter Herr Minister Eppler, im Jahre 1962, gemessen am Bruttosozialprodukt, eine höhere Entwicklungshilfe als heute im Jahre 1974. Wir werden nach Ihren Berechnungen im Jahre 1978 prozentual, gemessen am Bruttosozialprodukt, noch nicht einmal das erreichen, was wir prozentual 1962 schon gehabt haben.Sie berufen sich nun darauf, wir lägen hinter den Franzosen an zweiter Stelle, was die absoluten Zahlen anbelangt. Das ist richtig, aber Sie müssen natürlich dem die Kapazitäten entgegensetzen, die wir haben, die die Franzosen, die Engländer, die Niederländer, die Belgier haben oder wer auch immer. Dort sind die wirtschaftlichen Möglichkeiten doch geringer, und Sie können doch nicht sagen, wir zahlen mehr für die Entwicklungshilfe als die Niederländer. Das sind meines Erachtens doch keineseriösen Vergleiche. So geht es nicht. Prozentual, verehrter Herr Minister Eppler, zahlen die Franzosen und die Niederländer mehr als das Doppelte von dem, was wir aufbringen. Die Engländer zahlen 25 % mehr als wir, und auch die Belgier kommen nahezu an das Doppelte von dem heran, was wir zahlen, selbstverständlich gemessen am Bruttosozialprodukt. Und hier sprechen wir weiter über Formen der Organisation, von Gewitter und dergleichen mehr und vergessen die Problematik, die da heißt: Was können wir mehr für die Drittländer tun?Ich habe mich eben darüber gefreut, daß der Herr Bundeskanzler in diese Debatte eingegriffen hat, und bin der Meinung, daß es eine gute Sache ist. Herr Wischnewski, darüber kann man lächeln, natürlich; aber es ist eine gute Sache, daß der Bundeskanzler in einer so wichtigen Frage auch einmal das Wort ergreift. Das muß man einmal klar erkennen, und ich bin eben dankbar dafür, daß er es getan hat.
Der Herr Bundeskanzler spricht nun davon, daß man die Entwicklungshilfe an der Finanzplanung orientieren müsse. Meine Damen und Herren, wie sieht die Finanzplanung aus? Die Finanzplanung sieht so aus, daß wir bis zum Jahre 1977 auf 5 Milliarden DM kommen, d. h. ungefähr auf das Doppelte von dem, was wir heute haben. Herr Minister, wenn Sie bis zum Jahre 1980, was Sie versprochen haben — das ist entscheidend —, auf 0,7 % kommen wollen, müssen Sie doch bis zu diesem Zeitpunktdas Dreifache von dem ausgeben, was Sie heute ausgeben. Das bedeutet, Sie wollen bis zum Jahre 19775 Milliarden DM aufbringen und brauchen, um auf0,7 % zu kommen, im Jahre 1980 9 Milliarden DM.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?
Natürlich, bitte schön.
Herr Dr. Wulff, wissen Sie nicht, daß die mittelfristige Finanzplanung bis 1978
6 Mrd. DM vorsieht, und ist Ihnen nicht bekannt, daß wir in diesem Jahr unsere Verpflichtungsermächtigung um rund 40 % steigern, und glauben Sie wirklich, daß man noch mehr vernünftig und leistungsfähig ausgeben könnte?
Herr Matthöfer, ich bitte doch, die eigene Antwort der Regierung — ich weiß nicht, ob Sie sie selbst formuliert haben — genau durchzulesen. Dort stehen bei der Finanzplanung des Bundes bis zum Jahre 1977 5 Mrd. DM, und davon bin ich ausgegangen.
- 1977 steht hier; per 31. Dezember 1977. Das isteindeutig und klar, daran gibt es nichts zu deuteln.Wenn der Bundeskanzler nun seine Entwicklungshilfe an diesen Zahlen orientieren will, so werden Sie nicht das erreichen, was Sie selber in der Welt versprochen haben. Man kann über Zahlen denken, wie man will. Aber ich meine, es ist ein Vertrauensbruch den Staaten gegenüber, denen man sich verpflichtet hat, etwas zu tun, und es dann nicht einhält, darum geht es. Ein nicht eingehaltenes Versprechen führt letztlich einen Vertrauensschwund herbei und wird uns außenpolitisch und außenhandelspolitisch selbstverständlich auch nicht die besten Noten einbringen. Das sei bei dieser Gelegenheit auch einmal dem Herrn Bundesaußenminister gesagt.Meine Damen und Herren, noch eines. Hier ist von dem Jugoslawien-Kredit gesprochen worden. Ich habe damals in der Debatte erklärt, daß die Fraktion der CDU/CSU auf eine optimale Kooperation mit Jugoslawien aus ist. Daran hält sie sich, und dazu kann sie auch gefordert werden.Nur, verehrter Herr Minister Eppler — ich hätte mir gewünscht, daß das auch der Bundeskanzler noch gehört hätte —, ich bin der Ansicht, daß bei einem solchen Thema wie der Hilfe für Jugoslawien die Regierung auf die Opposition hätte vorher zukommen sollen. Ich glaube, es hätten sich Möglichkeiten finden lassen, daß man sich nicht sogleich in Verhandlungen festgelegt hätte, um dann erst der Opposition mitzuteilen, es ist so und so gelaufen. Ich bin der Ansicht, es wäre gut für unsere Politik auch nach außen, wenn man, was diesen Kredit anbelangt, mit der Opposition vorher oder zu gegebener Zeit ein gutes Wort gewechselt hätte. Ich glaube, das hätte uns in der Außenpolitik ein wenig weiter geholfen.
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Dr. WulffMeine Damen und Herren, alle diese Probleme sind hier von der Regierung angeschnitten und meines Erachtens nicht in der rechten Weise behandelt und zumindest keinem Ergebnis zugeführt worden. Nur frage ich bei alle dem: Wir haben darüber gesprochen, daß die Regierung das Beste tun will, um die Entwicklungshilfe zu fördern. Sie hat sich selber Noten ausgestellt, die optimal und die besten sind. Sie hat sich Noten ausgestellt, die sie hier und da, wie sie sagt, im Ausland erfahren hat. Nur frage ich mich, ob es gute Noten sind, wenn die Entwicklungshilfe — nicht den Versprechungen gemäß — ständig bergab geht. Das ist für mich das Entscheidende: was effektiv getan wird und nicht, was versprochen wird. Und hier, Herr Minister Eppler, liegt des Pudels Kern. Sie werden mit ihrer Entwicklungspolitik unter den augenblicklichen Versprechungen, unter den Gegebenheiten unserer inflationären Entwicklung totalen Schiffbruch erleiden, wenn Sie sich weiter auf feste Zahlen festlegen und darüber hinaus den Entwicklungsländern ein 0,7-%-Versprechen machen auf das Jahr 1980. Das geht daneben.
— Natürlich; aber ich habe den Eindruck, Sie haben es nicht verstanden. Sie verstehen es immer noch nicht. Ich sage Ihnen: Sie werden bei diesen Zahlen Schiffbruch erleiden und nicht nur Sie allein, sondern wir als Parlament, auch unser Land insgesamt.Lassen Sie mich in aller Eindeutigkeit auch das noch hinzufügen: Es mag sein, daß in vielen Positionen der Parteien der Rang der Entwicklungshilfe nicht so hoch bemessen ist,
wie es diejenigen gern haben möchten, die darüber reden, debattieren und dafür eintreten. Aber eines sei zumindest der Regierung ins Stammbuch geschrieben: Sie muß Positionen setzen. Sie spricht von Opfern, sie spricht von außenpolitischen Komplikationen gleich welcher Art, die auf uns zukommen können, wenn wir hier und heute versagen. Aber um so mehr ist es ihre Aufgabe, Führungspositionen zu übernehmen, Daten zu setzen, das Notwendige zu tun, was möglich ist, und auch das Notwendige zu erklären, was durchsetzbar ist. Wenn das geschieht, wenn wir auf den Boden der Realität zurückkommen, wenn wir auf der anderen Seite feststellen, was zu machen ist, und wenn wir unter all diesen Gesichtspunkten berücksichtigen, daß ohne eine vernünftige, realistische Entwicklungspolitik eines Tages die Entwicklung uns selbst überrollen wird, dann, meine ich, hat die Regierung eine Aufgabe, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Ich kann namens der CDU/CSU-Fraktion erklären, daß wir nicht nur willens sind, sondern daß wir tätig sein werden, sie bei dieser Aufgabe zu unterstützen.
Lassen Sie mich eines bei aller Kritik, die ohnehin in solchen Debatten angebracht werden muß, noch sagen: Herr Minister Eppler, Sie haben keine Opposition von der Regierung Gnaden vor sich. Das bekäme Ihnen schlecht und mit Sicherheit auch diesem Staat. Wir kommen nicht zusammen, um uns gegenseitig zu loben, auch nicht, um in Gemeinsamkeiten zu schwelgen, sondern Zweck und Aufgabe insbesondere auch dieser Opposition CDU/CSU ist es, Ihnen zu sagen, was sie falsch machen, Ihnen bessere Vorschläge zu machen, die notwendig sind, und die Aufgabe dieser Opposition ist es, Daten zu setzen, die mithelfen, eine neue Epoche in der Entwicklungshilfe einzuleiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Brück.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann das, was ich in dieser Debatte eigentlich sagen wollte, zu dieser späten Stunde nicht mehr sagen. Ich habe auch die Aufzeichnungen, die ich mir gemacht habe, auf meinem Platz liegengelassen. Aber ich möchte ein Wort aus der Rede des Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgreifen, in dem er von dem reinigenden Gewitter gesprochen hat. Ich meine, daß nach diesem reinigenden Gewitter — und die Debatte war hart — die Luft sauberer sein sollte. Ich gehöre dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit seit 1965 an, seit ich dem Deutschen Bundestag angehöre. Wir haben seit dieser Zeit in dem Ausschuß — und wenn wir hier im Hohen Haus miteinander debattierten — dies in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit getan. Wir haben das getan in der Zeit, als der Kollege Kiep Vorsitzender des Ausschusses war. Ich bin sehr froh darüber, daß es auch in den Jahren seit 1969 möglich war, in denen ich die Ehre hatte, der Vorsitzende dieses Ausschusses zu sein.Hier sitzen eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die in dieser Zeit mit uns gearbeitet haben. Deshalb greife ich gern auch das auf, was der Kollege Wulff gesagt hat: daß wir zusammenarbeiten sollten; er hat das Angebot zur Kooperation gemacht. Aber Herr Kollege Wulff, ich möchte auch um eines bitten: wenn es vertrauliche Gespräche über Vorhaben der Bundesregierung im Interesse dieses Staates gibt, möchten wir nicht gern, daß über diese vertraulichen Gespräche dann am anderen Tag in der Zeitung zu lesen ist. Wenn das garantiert ist, wird eine Kooperation auch wieder möglich sein.
Deshalb sage ich — nicht nur als Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern auch für meine politischen Freunde —: wir brauchen für die Entwicklungshilfe die partnerschaftliche Zusammenarbeit. Wir wissen, daß es in dieser Zeit nicht leicht ist, dafür einzutreten, mehr Entwicklungshilfe zu gewähren, als wir jetzt schon gewähren. Wir wissen, das die Ölkrise — was das auch immer gewesen sein mag — ebenfalls die psycholo-
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Brückgische Situation für die Gewährung von Entwicklungshilfe geschwächt hat. Entwicklungshilfe braucht ein gutes politisches und ein gutes wirtschaftliches Klima, ein gutes politisches Klima zur Bereitschaft des Gebens und ein gutes wirtschaftliches Klima, um die Möglichkeit des Gebens zu haben.Der Herr Bundeskanzler und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben darauf hingewiesen, welche neuen Fragen doch die Energiekrise für uns alle aufgeworfen hat. Wir sollten uns gemeinsam an die Arbeit machen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Die Tatsache, daß es wirtschaftliche Schwierigkeiten in den Industrienationen gegeben hat, weil Länder, die man zu den Ländern der Dritten Welt zählt, wenn sie auch keine armen Länder sind, mit Boykott von Rohstoffen gedroht haben, diese Tatsache, daß es zu Krisen gekommen ist, hat doch bei den Menschen in unserem Land die Bereitschaft, Entwicklungshilfe zu gewähren, nicht gefördert.Ein weiteres ist hinzugekommen. Wir, die wir für Entwicklungshilfe eingetreten sind, haben stets eine bessere Weltarbeitsteilung gefordert. Ich meine, wir haben sie zu Recht gefordert. Nur: jetzt ist doch eine Situation eingetreten, da sich viele in unserem Lande sagen werden: Weil wir beispielsweise im Energiesektor auf einheimische Energie verzichtet haben, sind wir in Schwierigkeiten gekommen; sollen wir jetzt auch noch im Bereich der industriellen Fertigungsproduktion in Abhängigkeit kommen? Das heißt, es wird ein neues Autarkiedenken entstehen, und dem müssen wir doch entgegenwirken. Sie, Herr Todenhöfer, haben auch gesagt, daß wir unsere Märkte öffnen müssen. Ich habe das von dieser Stelle bei der letzten größeren Entwicklungshilfedebatte gesagt. Ich erinnere mich auch der Protestbriefe von Verbänden, die ich bekommen habe.
Ich weiß, Herr Kollege Todenhöfer, es ist einfach, zu fordern, die Märkte zu öffnen. Nur wissen wir auch, wie schwer das manchmal innenpolitisch durchzusetzen ist. Es wäre gefährlich für den Gedanken der Entwicklungshilfe, wenn bei den deutschen Arbeitnehmern der Eindruck entstünde, sie gefährde ihre Arbeitsplätze. Das können wir nicht wollen. Deshalb noch einmal meine Bitte: Lassen Sie uns nach dieser harten Debatte im Ausschuß und hier im Plenum des Deutschen Bundestages — hart in der Sachauseinandersetzung, aber ohne jede Polemik — darüber nachdenken, wie wir Entwicklungshilfe besser gestalten können, wie wir zu einer besseren Partnerschaft zwischen Ländern der Dritten Welt und uns kommen können.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordnete Köhler .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf in direkter Anknüpfung an Ihre Ausführungen,Herr Brück, für meine Freunde sagen: Diese Sprache, Herr Brück, verstehen wir. Es ist gut, daß Sie dies hier gesagt haben. Denn was wir bisher — auch heute — hier gehört haben, war eine uns wohlbekannte und uns immer wieder befremdende Mischung von Zuckerbrot und Peitsche, Zuckerbrot des Angebots der harten Sachdiskussion,
und Peitsche einer Kritik, wie sie leider auch — und das hat mir sehr wenig Freude gemacht, lieber Kollege Holtz — Herr Kollege Holtz vorgetragen hat. Eine ganze Menge unserer Positionen kennen Sie besser, als Sie sie hier auf Grund einer fleißigen Kompilierung von Zeitungsausschnitten vorgetragen haben.
— Ich sagte — und Sie erlauben mir, daß auch ich hier nicht ganz ohne eine gewisse Emotion stehe —: Diese Sprache verstehen wir; wir sind bereit, darauf einzugehen. Dabei bleibe es! Genug damit! Denn auch wir spüren und empfinden die ungeheure Verantwortung der Aufgabe, um die wir hier ringen: unseren Beitrag zu leisten zu dem gewaltigen und epochalen Werk einer neuen Aufteilung der Arbeit und der Güter unter den Völkern dieser Erde. Darum geht es letzten Endes. Und weil es eine so schwere Aufgabe ist, machen wir es uns vielleicht manchmal auch so schwer.Ich möchte zum Schluß — es sind mir für die Improvisation, die ich hier noch geben darf, nur sehr wenige Minuten gelassen — drei Punkte herausgreifen, von denen ich glaube, daß Klarheit zwischen uns sein muß, weil sie von großer Wichtigkeit sind.Erstens. Das Wort, daß die Entwicklungspolitik integraler Bestandteile der Politik dieser Bundesregierung ist, ist ein stolzes Wort, ist ein gutes Wort.
— Ja, das habe ich gern gehört. Es ist auch nicht das erste Mal, daß es gesprochen worden ist. Aber, Herr Minister, was Sie nun zu diesem Wort und zu diesem Begriffsbündel vorhin gesagt haben, hat mich nicht in vollem Umfang befriedigt. Ich möchte deswegen hierauf noch einmal eingehen. Sie erinnerten an die Zeit, als der Interministerielle Referentenausschuß— 45 Teilnehmer aus 10 Häusern — alles mühsam beriet. Sie sagten: Es ist ein großer Fortschritt, daß wir heute die nötigen Kompetenzen in einem Hause vereinigt haben. In der Tat! Ich denke, wir haben es unterstützt, daß es dahin gekommen ist.
— Ich danke für die Bestätigung. Aber, Herr Minister, ich meine, der Weg muß einen wesentlichen Schritt weitergehen, und das ist eine unserer entscheidenden Forderungen.Sie haben nicht geleugnet — und es kann niemand leugnen —, daß es immer wieder zwischen den verschiedenen Ressorts, sei es Wirtschaft, sei es Auswärtiges Amt, sei es Finanzministerium, divergie-
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Dr. Köhler
rende Zielsetzungen geben kann. Was wir fordern — wir tun das, weil wir den Eindruck haben, daß hier noch eine Menge zu fordern ist —, ist eine echte, fachübergreifende Zusammenarbeit, eine Abgleichung und Einbettung der Zielsetzungen in das Gesamtbild der Arbeit der interessierten Ressorts. Ich meine, das ist noch nicht bewältigt. Wir wollen weiter darüber sprechen. Hier kann noch sehr viel Wesentliches geschehen.Geschieht es nicht, laufen wir immer wieder Gefahr, in einem zu starken Maße — obwohl mir das weiß Gott auch am Herzen liegt — auf die sozialhumanitären Zielsetzungen der Entwicklungspolitik allein zu sprechen zu kommen. Unsere Sorge ist die, daß wir in einer Zeit der Finanzknappheit, in einer Zeit der Ölkrise, in einer Zeit von Rohstoffsorgen in einer Zeit wachsenden inneren Problemdrucks in unserem eigenen Lande mehr an nüchterner Überzeugungskraft brauchen, um unseren Mitbürgern diese Politik als eine der wichtigen großen Aufgaben ans Herz zu legen, die sie in Wahrheit ja auch ist — mehr, als es allein auf der Basis moralischer Begründungen — so wichtig und unbestreitbar sie auch sind möglich ist.Zweiter Gesichtspunkt. Es gibt einen Streit — wir haben ihn hier heute fleißig geführt, und ich will ihn nicht fortsetzen — zu der berühmten Frage von Schwächen im Durchführungsbereich, von Mißgriffen und dergleichen mehr. Ich sagte: ich will ihn nicht fortsetzen. Wir sind uns sicherlich an dem Punkte einig, daß es solche Schwächen gibt. Daß organisatorische Vorkehrungen usw. getroffen werden müssen, haben Sie ja nie in Zweifel gezogen, Herr Minister. Eben weil dem so ist, weil auch nicht erst seit Anfang dieses Jahres das Wort im Raum steht, daß es da Schwächen gibt, halten meine Freunde der CDU/CSU-Fraktion und ich es für eine wichtige Sache zu fordern — wir werden diese Forderung immer wieder erheben —, daß dem Parlament regelmäßig ein Bericht vorgelegt wird, der uns Auskunft gibt über Begründung, Zusammenhang, Durchführung und Auswertung der entwicklungspolitischen Maßnahmen in der Welt, damit dieses Parlament einen Durchblick hat.
Sie wissen genau, daß der Haushalt in seinen Pauschalierungen diesen Durchblick nicht gibt. Ich muß sagen, der uns vorgelegte Bericht zur Entwicklungspolitik, über den wir noch lange hätten diskutieren können und sollen, enthält ihn in seiner weitgehend deskriptiven Art auch nicht.Herr Präsident, ich bin ernstlich bemüht, sehr schnell zu Ende zu kommen. Ich hoffe, Sie glauben es mir.Dritter Punkt. Das leuchtende Bild, das Sie vorhin von der deutschen Entwicklungspolitik geschildert haben, Herr Minister, leuchtete auch, wenn Sie, wie ein geschickter Maler es tut, das Leuchten durch Abschattierungen hervorzuheben wußten. Wie das gemacht wird, kennen wir seit Leonardo da Vinci. Einigen wir uns also vielleicht an der Stelle: Das leuchtende Bild haben Sie zum Teil auf abgrenzenden Gegenüberstellungen aufgebaut, die nach unserer Ansicht Scheingegensätze sind. Ich halte z. B. nichts, um nur eines zu dieser Stunde herauszugreifen, von dem Scheingegensatz, wie es gesagt wurde, — ich bitte um Entschuldigung, wenn ich nicht in der Lage bin, ganz präzise zu zitieren —, daß sozialer Fortschritt, soziale Maßnahmen in Entwicklungsländern nicht nur Applikation zu privaten Investitionen sein sollten. Ich denke, so ähnlich ist es gesagt worden.
— Ich hoffe, es ist trotzdem kein Mißbrauch.Weshalb, meine Damen und Herren, treten wir mit solchem Nachdruck immer wieder auch für eine vernünftige Weiterentwicklung und Förderung der privaten Investitionen ein? Doch deshalb, weil wir meinen, daß alle Kräfte mobilisiert werden sollten, daß es wichtig ist, auch die in privater Hand befindlichen Ressourcen dieses Landes für die genannten Zielsetzungen anzuspannen. Wir kennen sehr wohl die Ambivalenz, die mit den privaten Investitionen verbunden ist. Wir erachten es aber für eine entscheidende Aufgabe der Politik, diese Dinge aus ihrem Widerspruch herauszulösen und zu einer wichtigen Gesamthilfeleistung zusammenzuführen.Wir haben es deswegen nicht verstanden, daß über das Entwicklungshilfesteuergesetz ein Jahr lang soviel zum Teil bewußt Falsches geredet werden mußte. Wir meinen, daß wir an dieser Stelle weiter diskutieren müssen, weil wir auch nicht überzeugt sind, Herr Minister, daß Ihr doch recht stark monistisches Konzept die Elastizität hat, den sich wandelnden Anforderungen der Entwicklungsländer, den wandelnden Bedürfnissen, über die diese autonom zu befinden haben, stets und in vollem Umfang zu entsprechen.Ich möchte zum Schluß meiner Ausführungen noch einmal klar herausstellen, daß unsere Fraktion, für die ich hier sprechen darf, nicht die Zielsetzung verfolgt — es ist fast lächerlich, das zu sagen —, der deutschen Entwicklungspolitik zu schaden. Unser Ziel ist angesichts der Aufgabenstellungen und Entwicklungen in dieser Welt eine umfassende, langfristig angelegte optimale Entwicklungspolitik. Herr Minister, wir üben die Aufgabe der Opposition aus, zu kritisieren und da zu mißbilligen, wo wir meinen, daß das unumgänglich ist. Aber wir tun dies, weil wir eine bessere deutsche Entwicklungspolitik wollen.
Meine Damen und Herren, ich stelle zunächst fest, daß im Rahmen der Großen Anfrage keine Wortmeldungen mehr vorliegen. Ich schließe die Aussprache und schlage Ihnen vor, den Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung unter Punkt 6 b der Tagesordnung dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit — federführend — und dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenMeine Damen und Herren, zu einer persönlichen Bemerkung hat nunmehr der Herr Abgeordnete Todenhöfer das Wort.
Herr Präsident! Erstens. Es ist unrichtig, daß von mir persönlich Journalisten das Gutachten des Bundesrechnungshofs erhalten haben.
Zweitens. Richtig ist, daß der Pressereferent Minister Epplers, Herr Röhrig, Exemplare dieses Gutachtens an die deutsche Presse weitergegeben hat, bevor Mitglieder des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit das Gutachten erhalten haben.
Herr Minister, wünschen Sie das Wort zu einer persönlichen Erklärung? Nur diese ist noch im Rahmen der Geschäftsordnung möglich.
Herr Präsident, ich habe zwei Bemerkungen zu machen.
Erstens. Meine Darstellung ist von Herrn Todenhöfer nicht widerlegt worden.
Zweitens. Sollte das richtig sein, was Herr Todenhöfer über meinen Pressereferenten gesagt hat, so würde dies selbstverständlich disziplinarische Folgen haben. Ich gehe davon aus, daß es nicht so ist.
Meine Damen und Herren, nach der Aussprache sind damit auch die persönlichen Bemerkungen erledigt. Wir stehen am Ende der heutigen Plenarsitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 15. März, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.