Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die Ihnen in der vorliegenden Liste aufgeführte Vorlage ergänzt werden:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt— Drucksache 711719 — Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.Für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Arndt hat die Fraktion der SPD den Abgeordneten Dr. Schachtschabel als Mitglied des Europäischen Parlaments vorgeschlagen. — Sie sind mit diesem Vorschlag einverstanden. Der Abgeordnete Dr. Schachtschabel ist damit zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt.Ich mache Sie noch darauf aufmerksam, daß entgegen dem im Ältestenrat vereinbarten Zeitplan die Bundesregierung heute um 13 Uhr aus der Kabinettsitzung berichtet. Anschließend findet die Fragestunde statt.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 15. Februar 1974 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen FilmsGesetz zur Änderung der ZivilprozeßordnungGesetz zur Anderung des Hypothekenbankgesetzes und des SchiffsbankgesetzesGesetz zur Änderung des Gesetzes über die Pfandbriefe und verwandten Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher KreditanstaltenGesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge
Bundespersonalvertretungsgesetz
Sechstes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes
Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch
Zum Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch hat der Bundesrat ferner eine Stellungnahme gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist.Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, hinsichtlich der folgenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird:Zweites Gesetz zur Änderung des Abzahlungsgesetzes Drittes Gesetz zur Änderung des BundessozialhilfegesetzesGesetz zur Weiterentwicklung des SchwerbeschädigtenrechtsSeine Schreiben sind als Drucksachen 7/1702, 7/1703, 7/1704 verteilt.Die Bundesregierung hat beschlossen, zu den vom Deutschen Bundestag am 6. bzw. 13. Dezember 1973 verabschiedeten GesetzenGesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und SchenkungsteuerrechtsGesetz zur Reform dies Vermögensteuerrechts und zur Änderung anderer Steuergesetze ,denen der Bundesrat in seiner Sitzung am 15. Februar 1974 nicht zugestimmt hat — Drucksachen 7/1710, 7/1711 —, gemäß Artikel 77 Abs. 2 Satz 4 des Grundgesetzes zu verlangen, daß der VermittlungsAusschuß einberufen wird.Ihr Schreiben ist als Drucksache 7/1697 verteilt.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 2 und 3 auf:2. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen— Drucksache 7/994 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1696 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmannb) Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 7/1694 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. BangemannAbgeordneter Dr. BirrenbachAbgeordneter Dr. Mertes
Abgeordneter Pawelczyk
3. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
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5254 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Präsident Frau Rengervom 5. April 1973 zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Internationalen Atomenergie-Organisation in Ausführung von Artikel III Absätze 1 und 4 des Vertrages vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen
— Drucksache 7/995 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1695 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmannb) Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 7/1693 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. BangemannAbgeordneter Dr. BirrenbachAbgeordneter Dr. Mertes
Abgeordneter Pawelczyk
Die Debatte über beide Tagesordnungspunkte wird verbunden.Zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Mertes das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der derzeitige Gesundheitszustand unseres Kollegen Dr. Kurt Birrenbach gestattet es ihm nicht, heute seine ergänzenden mündlichen Feststellungen zu den Ihnen vorliegenden schriftlichen Berichten zum Nichtverbreitungsvertrag und zum Verifikationsabkommen persönlich vorzutragen. Mit den übrigen Berichterstattern der Koalitionsfraktionen, Herrn Kollegen Pawelczyk und Herrn Kollegen Dr. Bangemann, bin ich mir wohl einig darin, daß die außerordentliche Sachkunde und Arbeitsleistung unseres Kollegen Dr. Birrenbach den Beratungen in allen Aspekten der beiden Zustimmungsgesetze im Auswärtigen Ausschuß und der Berichterstattung in unersetzlicher Weise zugute gekommen sind.
Ich bin gewiß, daß alle Mitglieder des Hohen Hauses gerade in der Stunde der abschließenden Beratung eines besonders schwierigen außen-, verteidigungs- und wirtschaftspolitischen Sachverhalts unserem verehrten Kollegen Dr. Birrenbach von Herzen baldige Genesung wünschen.
Ich verlese jetzt das Manuskript, das Herr Dr. Birrenbach mir übermittelt hat:Als Berichterstatter der der CDU/CSU-Fraktion angehörenden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses möchte ich zu den dem Hohen Hause vorgelegten Berichten zum Nichtverbreitungsvertrag und zum Verifikationsabkommen ergänzende Ausführungen machen.In der ersten Lesung hatte ich die grundsätzliche Auffassung meiner Fraktion zum NV-Vertrag im einzelnen dargelegt. Heute möchte ich noch einmal unterstreichen, daß auch nach den Beratungen im Auswärtigen Ausschuß eine Reihe der Bedenken, die ich in bezug auf den NV-Vertrag in der ersten Lesung dieses Vertrages vorgetragen hatte, nicht oder nicht voll ausgeräumt sind.Die von den Vereinigten Staaten angestrebte Universalität des NV-Vertrages ist nicht erreicht. Der Vertrag teilt die Welt in Kernwaffen- und Nichtkernwaffenstaaten nach Kriterien, die 29 Jahre nach Abschluß des Zweiten Weltkrieges ihre Berechtigung verloren haben. Die nukleare und weltweite Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle, Ausgangspunkt des Vertrages nach seiner Präambel — auch das ergab sich in den Beratungen des Ausschusses —, ist über die ersten Anfänge — ich denke insbesondere an die amerikanisch-sowjetischen Abkommen des Jahres 1972 — nicht hinausgekommen.Über die Qualifizierung der amerikanisch-sowjetischen Vereinbarung über die transitorische Begrenzung offensiver Nuklearwaffen kann man zudem gewiß geteilter Meinung sein. Der bisherige Stand der Verhandlungen über SALT II, MBFR und KSZE läßt auch nicht erkennen, daß der in der Präambel verankerte Wunsch, der Vertrag möge die internationale Entspannung fördern und das Vertrauen zwischen den Staaten stärken, seiner Erfüllung erkennbar näher gekommen wäre. Die außerordentliche Verstärkung des nuklearen Potentials einer der Supermächte seit der Ratifikation des Vertrages ,durch die Depositarmächte ist sicherlich keine Bestätigung dafür, daß diese Grundsätze der Präambel in erkennbarer Zukunft Aussicht haben, konkret verwirklicht zu werden.Damit komme ich zum Nichtverbreitungsvertrag selbst. Im Auswärtigen Ausschuß hat sich das Votum der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion geteilt. Die Differenzen zwischen den Mitgliedern meiner Fraktion im Auswärtigen Ausschuß sind weniger groß, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Sie liegen im wesentlichen in der Beurteilung der Gewichte möglicher eventueller sowjetischer Fehlinterpretationen des Vertrags.In den Debatten in diesem Ausschuß sind eine Reihe wichtiger Klärungen erfolgt. Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, im Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrages im Ratifikationsprozeß selbst, gleichzeitig mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden, eine interpretative Erklärung zur europäischen Option abzugeben, die für viele meiner Freunde in der Fraktion und mich selbst, wenn auch sicherlich nicht für alle, einen wichtigen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5255
Dr. Mertes
Fortschritt nach Prozedur und Inhalt darstellt, den wir anerkennen.Die schon in der ersten Lesung vorgetragene Grundauffassung der CDU/CSU, daß wir mit allen Parteien dieses Hohen Hauses eine nationale Kernwaffenoption für die Bundesrepublik entsprechend dem schon im Jahre 1954 ausgesprochenen Verzicht der Bundesrepublik ausdrücklich ablehnen, steht nach den Beratungen im Auswärtigen Ausschuß unverändert fest. Alle Mitglieder meiner Fraktion wären bereit, diesen Verzicht innerhalb des Bündnisses feierlich zu bekräftigen, allerdings — das ist die Auffassung eines gewichtigen Teils meiner Fraktion — gegenüber der Sowjetunion nicht ohne jede effektive Gegenleistung und nicht ohne eine eindeutige Klärung ,der Frage, ob angesichts der einander widersprechenden Äußerungen von Vertretern der Sowjetunion und der USA vor Festlegung des Textes der Art. I und II im Herbst 1966 ein Dissens zwischen beiden Mächten über die Bedeutung des Kernstücks des Vertragswerks, nämlich der Frage der direkten oder indirekten Verfügungsmacht über Kernwaffen, besteht. Für ,dieses Argument haben diejenigen Mitglieder meiner Fraktion, die dem Vertrag zustimmen wollen, Verständnis. Alle Mitglieder meiner Fraktion im Auswärtigen Ausschuß sind der Auffassung, daß der Vertrag als solcher der Sowjetunion keine rechtliche Handhabe gibt, in den Prozeß der europäischen Einigung — welche Bereiche sie auch immer umfassen wird — einzugreifen.Einigkeit besteht auch darüber, daß die nuklearen Sicherheitsvorkehrungen im Bündnis, die durch die Interpretationen der Vereinigten Staaten 2 bis 5 abgedeckt sind, nicht in einem Widerspruch zum Vertrag stehen, und zwar ihrem Inhalt nach und nicht nur weil die Vereinigten Staaten dies der Sowjetunion und den Partnern des Bundnisses in völkerrechtlich relevanter Form erklärt haben. Die Sowjetunion hat in Kenntnis der Bedeutung, die die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner den Interpretationen zumessen, diese in einer offiziellen Delegationssitzung in Genf am 28. April 1967 widerspruchslos entgegengenommen. Auch im Ratifikationsverfahren selbst hat die Sowjetunion keinen Widerspruch erhoben.Durch die Erklärungen des amerikanischen Außenministers und des Staatssekretärs des Verteidigungsministeriums in den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses des amerikanischen Senats im Juli 1968 sind diese Interpretationen Teil der „legislative history" des Vertrags geworden. Daher kann die Sowjetunion die rechtliche Position der Vereinigten Staaten nach wohl allgemeiner Auffassung nicht in Frage stellen, es sei denn, sie benutzte ihre früheren Ausführungen zum Profilerationsproblem als reinen, unbegründeten Vorwand. Das wäre dann aber kein Problem des NV-Vertrags, sondern ein politisches Problem.Der Auswärtige Ausschuß hat darüber hinaus zur Kenntnis genommen, daß die Vereinigten Staaten im NATO-Rat am 20. April 1967 ihren Verbündeten die Interpretationen des Vertrags, die sich sowohl mit den Sicherheitsvorkehrungen innerhalb des Bündnisses als auch mit der hier erörterten europäischen Option befassen, in einer Weise bekanntgegeben haben, die sie gegenüber ihren Bündnispartnern und damit auch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eindeutig völkerrechtlich verpflichtet.Diesen Interpretationen kommt nach Erklärung der Bundesregierung und wohl auch nach allgemeiner Auffassung des Ausschusses jedenfalls im Verhältnis der USA zu den europäischen Partnern der hohe Rang eines Auslegungsinstruments im Sinne von Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention zu, d. h. eines „instrument related to the treaty".Die Schaffung einer europäischen politischen Union unter der Voraussetzung, daß sie über eine zentrale Entscheidungsstruktur für die Fragen der äußeren Sicherheit verfügt, erfüllt nach der Meinung des Ausschusses nicht den Tatbestand der Weitergabe nuklearer Waffen im Sinne der Art. I und II des NV-Vertrags. Sie stellt nach der Doktrin der Staatensukzession einen zulässigen Fall der Rechtsnachfolge dar und berührt danach den Vertrag nicht. Dies ist auch die Grundlage der sechsten amerikanischen Interpretation, die nur einen Tatbestand bestätigt, der bei den gegebenen Voraussetzungen selbstverständlich ist.Wenn, so wurde im Ausschuß argumentiert, nach der auf universale Geltung gerichteten Zielsetzung des NV-Vertrags nicht angenommen werden kann, daß sich Vertragsparteien durch Zukammenschluß den Verpflichtungen aus dem Vertrag entziehen können, dann gelte das gleiche im umgekehrten Sinne auch für die Rechte, zumal damit auch eine Reduzierung und keine Vermehrung der Zentren der unabhängigen Verfügung über Kernwaffen eintreten würde. Alle etwaigen anderslautenden Interpretationen der Sowjetunion hätten nichts mit dem Vertrag zu tun, sondern wären das Produkt einer willkürlichen Rückkehr zu inzwischen nicht wiederholten, früher, vor der Ratifikation des Vertrags, vertretenen Auffassungen zur Nichtverbreitungsproblematik.In diesem Zusammenhang spielte auch die Frage der europäischen nuklearen Zusammenarbeit unterhalb der Ebene einer europäischen politischen Union mit zentraler politischer Entscheidungsstruktur bei den Beratungen im Auswärtigen Ausschuß eine Rolle. Es bestand im Auswärtigen Ausschuß Einverständnis darüber, daß ein nuklearer Verbund zwischen den beiden europäischen Nuklearwaffenstaaten Frankreich und Großbritannien mit dem Vertrag nicht im Widerspruch steht. Andere Formen der nuklearen Zusammenarbeit, die durch die amerikanischen Interpretationen 2 bis 5 nicht mehr gedeckt werden, schienen der Bundesregierung nicht in Betracht zu kommen. Soweit sie mit dem Vertrag nicht vereinbar sind, scheitern sie, wie aus der Mitte des Ausschusses vorgetragen wurde, schon an der Tatsache, daß die hier in Frage stehenden möglichen europäischen Partner als Vertragsstaaten des NV-Vertrages durch ihre Zugehörigkeit zum Vertrag an der Mitwirkung an solchen Kooperationsformen verhindert sind.
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5256 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. Mertes
Die entscheidende politische Stütze für eine die Sicherheit im Bündnis und die europäische Option garantierende Anwendung des Vertrages sind nach einhelliger Meinung des Ausschusses der Zusammenhalt des Bündnisses, die Festigkeit der einzelnen europäischen Nationen und ihr Wille zur europäischen Einheit, insbesondere aber die volle und auch jüngst erneut bestätigte Bereitschaft der Vereinigten Staaten, zu ihren Bündnisverpflichtungen zu stehen. Die kraftvolle Rolle der Vereinigten Staaten in den großen Fragen der Weltpolitik in den letzten Monaten ist hierfür ein eindrucksvoller Beweis. Damit wird auch den amerikanischen Interpretationen zum NV-Vertrag — das war die einhellige Meinung aller Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses — ein besonderes Gewicht gegeben. Was nun die europäische Option anlangt, so steht ein die Option wahrnehmendes Europa heute in noch weiterer Ferne, als bei der ersten Lesung des Vertrages erkennbar war.Da in bezug auf die Vorschriften des NV-Vertrages zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, wie sich aus meiner Stellungnahme zum Verifikationsabkommen ergeben wird, keine entscheidenden Bedenken von Vertretern meiner Fraktion im Auswärtigen Ausschuß geltend gemacht worden sind, war die europa- und sicherheitspolitische Problematik des Vertrages die Grundlage für die Entscheidung der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß. Ein Teil der Mitglieder, darunter ich, hat sich trotz schwerer Bedenken für die Ratifizierung des Vertrages ausgesprochen, ein anderer Teil gegen die Ratifizierung, und zwar aus den Gesichtspunkten, die ich im einzelnen in meiner Rede dargelegt habe und die sich aus der unterschiedlichen Bewertung der Haltung der Sowjetunion zum Vertrage ergeben.Nun zur Frage der friedlichen Verwendung nuklearer Energie. Auf diesem Gebiet ergab sich im Auswärtigen Ausschuß eine nahezu vollständig übereinstimmende Meinung. Das Verifikationsabkommen erscheint als ein bedeutsamer Fortschritt gegenüber der Periode unmittelbar nach der Ratifikation des NV-Vertrages durch die Depositarmächte. Der Auswärtige Ausschuß unterwarf das Abkommen, das von den sieben Mitgliedern Euratoms, die Nicht-Kernwaffenstaaten sind, und Eurotom einerseits und der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien andererseits am 5. April 1973 abgeschlossen worden war und das uns heute ebenfalls zur Entscheidung vorliegt, einer eingehenden Prüfung. Das Abkommen wurde im Ausschuß unter den Gesichtspunkten der künftigen Wettbewerbssituation der deutschen Kernindustrie, der Kontrollverfahren, der Kontrollkosten, der Versorgung der Bundesrepublik mit spaltbarem Material und der Freiheit der Nuklearforschung und -technik im einzelnen untersucht. Dabei kam der Ausschuß wohl einmütig zu der Überzeugung, daß die Voraussetzungen für eine wettbewerbsneutrale Wirkung der Sicherheitskontrollen und der sonstigen Verpflichtungen aus dem Abkommen wenn auch nicht völlig, so doch im wesentlichen gegeben sind.Der wichtigste Punkt in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß die amerikanische Regierung seit Mai vorigen Jahres mit der IAEO über ein Ab-
Großbritannien ist am 1. Januar 1973 Mitglied der Euratom geworden und ist im Begriff, Gespräche mit der IAEO über die Verifizierung dieser EurotomSicherungsmaßnahmen aufzunehmen, die sich nach Erklärungen der Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuß eng an das Verifikationsabkommen anlehnen werden.Frankreich hat sich, abgesehen von Belieferungen mit angereichertem Uran durch die USA, weder der Kontrolle der Euratom noch der IAEO unterworfen. Frankreich hat aber, wie im Auswärtigen Ausschuß festgestellt wurde, den Partnern der Europäischen Gemeinschaft erklärt, daß es aus seiner besonderen Position keine Wettbewerbsvorteile ziehen will, worüber der EG-Rat zu wachen hat. Frankreich hat gleichzeitig in den Vereinten Nationen zugesichert, daß es, obwohl nicht NV-Vertragspartei, beim Export von nuklearen Materialien und Ausrüstungen von den Empfängerländern deren Unterstellung unter Sicherungsmaßnahmen der IAEO fordern wird. Von Mitgliedern des Ausschusses wurde die integrationspolitisch ungünstige Auswirkung der französischen Sonderstellung im EG-Rahmen bedauert, die aber insofern nicht neu ist, als sie mit der erwähnten Ausnahme auch für Euratom gilt.Die Sowjetunion unterwirft sich ebensowenig den IAEO-Sicherungsüberwachungen. Sie ist aber als Konkurrent auf dem Weltmarkt bisher nicht in Erscheinung getreten. Ihre Preisgestaltung unterliegt ohnehin anderen Gesichtspunkten als die der westlichen Staaten. Ähnliches gilt für China.Japan — so stellt der Ausschuß nach Erklärungen der Bundesregierung fest — plant den Aufbau eines nationalen Systems für die Kontrolle seiner Kernanlagen, die dann ihrerseits durch die IAEO kontrolliert werden soll. Die japanische Regierung hat nach Erklärungen des japanischen Ministerpräsidenten am 11. Dezember 1973 in Aussicht gestellt, die Ratifikation des NV-Vertrages einzuleiten und mit der IAEO Verhandlungen aufzunehmen. Nach Auffassung der Bundesregierung wird ein nationales Sicherungssystem Japan keine Wettbewerbsvorteile bieten können. Auch darüber wird künftig zu wachen sein.Die übrigen Schwellenmächte werden noch auf längere Sicht keine wesentlichen Wettbewerbsprobleme darstellen.Was das Kontrollverfahren anbelangt, so hat der Auswärtige Ausschuß festgestellt, daß das bisher
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5257
Dr. Mertes
von Euratom angewandte Kontrollverfahren durch das System des Verifikationsabkommens objektiviert und rationalisiert wird. Der Auswärtige Ausschuß war mit der Bundesregierung der Meinung, daß das Verifikationsabkommen keine Doppelkontrolle einführt, sondern lediglich die Verifizierung der Kontrolle der Euratom beinhaltet, daß die Kontrollen nur an bestimmten strategischen Punkten des Spaltstoff-Flusses und im wesentlichen in instrumentaler Form durchgeführt werden. Die Gefahr von Doppelkontrollen und Werkspionage besteht deshalb kaum. Was die Auswahl der IAEO-Inspektoren anbelangt, haben die Vertragspartner des Verifikationsabkommens das Recht, diese abzulehnen.Zur Frage der Kosten, die in Art. 15 des Verifikationsabkommens eine grundsätzliche Regelung erfahren hat, erklärte die Bundesregierung, daß sie deren Entwicklung noch nicht voll übersehen könne. Die Vertragspartner des Abkommens seien aber gemeinsam daran interessiert, diese so niedrig wie möglich zu halten. Sofern es sich um kostspielige Instrumente zur Durchführung der Sicherungsmaßnahmen handelt, blieb die Frage, wer die Kosten für ihre Anschaffung zu tragen habe, offen. In diesem Zusammenhang sagte die Bundesregierung dem Ausschuß zu, sich für Lösungen einzusetzen, die den Kernanlagen möglichst geringe Lasten aufbürden.Im Rahmen der Frage der Versorgung der Bundesrepublik mit spaltbarem Material sind zwei Bereiche zu unterscheiden, einerseits die Lieferungen von angereichertem Material aus anderen Staaten, insonderheit der Vereinigten Staaten und neuerdings auch der Sowjetunion, und andererseits die Schaffung eigener Anreicherungsanlagen, zur Zeit im Rahmen einer trilateralen Zusammenarbeit mit Großbritannien und den Niederlanden. Die Vereinigten Staaten haben auf Grund einer nicht schriftlich fixierten „rule of reason" trotz des Widerspruchs der Sowjetunion an die Bundesrepublik Deutschland angereichertes Material bisher in der Erwartung geliefert, daß das Verifikationsabkommen innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen und ratifiziert wird. Die Ratifizierung des NV-Vertrages ist zwar nicht ausdrücklich zur Bedingung für den Fortgang der amerikanischen Lieferungen gemacht worden; die USA sehen aber nach den Erklärungen der Bundesregierung zwischen NV-Vertrag und Verifikationsabkommen zumindest eine politische Einheit.In diesem Zusammenhang hat die Energiekrise der Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit angereichertem Material ein besonderes Gewicht gegeben. Die Bundesrepublik, ein Land, das abgesehen von Kohlevorkommen nur über beschränkte Energiereserven verfügt und in einem gefährlichen Umfang von unsicheren und teueren Ölimporten abhängt, ist im besonderen Maße auf die Entwicklung nuklearer Energie für friedliche Zwecke angewiesen. Dementsprechend hat der Ausschuß der Frage der Urananreicherung im Rahmen der trilateralen Kooperation besondere Bedeutung beigemessen.Nach der Erklärung der Bundesregierung ist vorgesehen, daß die Bundesrepublik, Großbritannien und die Niederlande zunächst in Capenhurst und Almelo zwei Anreicherungsanlagen auf der Grundlage des Gaszentrifugenverfahrens bauen mit zunächst beschränkten Kapazitäten, die bis zum Jahre 1985 auf 10 000 t Trennarbeitseinheiten erweitert werden sollen. Die Bundesregierung hat auf Fragen aus der Mitte des Ausschusses versichert, daß es keinerlei rechtliche und politische Hindernisse gebe, daß auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik im Rahmen der trilateralen Zusammenarbeit Urananreicherungsanlagen gebaut würden. Sie war aber der Meinung, daß die eigenè Produktion sich den bestehenden Möglichkeiten anpassen und der Zugang der europäischen Abnehmer zu Lieferquellen außerhalb der Gemeinschaft erhalten bleiben solle.Zur Frage der Freiheit der Kernforschung und -technik erklärte die Bundesregierung im Ausschuß, daß Art. IV Abs. 1 klarstelle, daß die Forschung für friedliche Zwecke vom NV-Vertrag nicht berührt werde. Auch die Sicherungsmaßnahmen des Verifikationsabkommens dienten nur dem Zweck, nachzuprüfen, daß keine Mittel für Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper abgezweigt würden. Die Verbotsnormen in diesem Zusammenhang seien restriktiv zu interpretieren, wie sich dies aus der ersten der sechs amerikanischen Interpretationen ergebe.Abschließend befaßte sich der Ausschuß intensiv mit der Problematik des Zusammenhangs zwischen NV-Vertrag und Verifikationsabkommen. Einigkeit bestand darüber, daß zwischen beiden Verträgen ein enger Zusammenhang besteht, daß aber bei der Bewertung streng zwischen rechtlichen und politischen Aspekten zu unterscheiden ist. Über die Frage des rechtlichen Zusammenhangs der beiden Verträge konnte im Ausschuß keine Einigkeit erzielt werden. Die Mehrheit war der Meinung, der Beitritt zum NV-Vertrag stelle die Geschäftsgrundlage für das Verifikationsabkommen dar, während eine Minderheit der Meinung war, es handelte sich um zwei selbständige Verträge, so daß es rechtlich zulässig sei, den NV-Vertrag abzulehnen, dem Verifikationsabkommen aber gleichwohl zuzustimmen. Die Bundesregierung erklärte, im Verifikationsabkommen sei eine besondere Bestimmung dahin gehend, daß das Abkommen für die beteiligten Staaten auch rechtlich nur zusammen mit dem NV-Vertrag in Kraft treten könne, lediglich deshalb nicht enthalten, weil dies während der Vertragsverhandlungen als selbstverständlich angesehen worden sei.Von seiten der Vertreter der parlamentarischen Opposition wurde der Bundesregierung eine Reihe von Vorschlägen im Auswärtigen Ausschuß vorgetragen, die in dem dem Hohen Hause vorgelegten Bericht unter Ziffer 5 im einzelnen dargelegt sind. Insbesondere wird die Bundesregierung aufgefordert, Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der deutschen Industrie zu verhüten, eine Präzisierung und Harmonisierung der Sicherungsabkommen zu erreichen und die deutsche Industrie auch im investiven Bereich von Belastungen ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu befreien, sie an dem für zivile Zwecke relevanten technologischen „spinoff" der Entwicklung von Kernsprengkörpern in Kernwaffenstaaten zu beteiligen, den Aufbau von Urananreicherungsanlagen im Rahmen der trilate-
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5258 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. Mertes
ralen Zusammenarbeit zu beschleunigen und den Aufbau von Anreicherungsanlagen auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft sicherzustellen.Angesichts der im wesentlichen positiven Bewertung des Verifikationsabkommens waren sich die Vertreter der Opposition im Auswärtigen Ausschuß in der Zustimmung zum Verifikationsabkommen einig.Soweit der Bericht des Kollegen Dr. Birrenbach.
Herr Abgeordneter, das Haus dankt Ihnen, daß Sie diesen Bericht von Herrn Dr. Birrenbach verlesen haben. Schließen Sie Ihre eigene Berichterstattung jetzt gleich an?
Ja! — Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nun meine Aufgabe, das Nein der Minderheit des Auswärtigen Ausschusses zum Atomsperrvertrag, nämlich von acht der 15 Abgeordneten der CDU/CSU dieses Ausschusses, über die Ihnen vorliegende schriftliche Darstellung hinaus zu erläutern.Der gedruckte Bericht bedarf übrigens einer Korrektur. Auf Seite 5, in der rechten Spalte, Zeile 36 muß es nach dem Wort „erzielen" heißen:IIIEine Minderheit von acht Abgeordneten ...Im übrigen bitte ich um Verständnis dafür, daß meine mündliche Darstellung eingehend sein wird, da alle übrigen Berichterstatter und Sprecher das Ja in diesem Hohen Hause vertreten.Die Sachlichkeit und der Respekt vor der gegenteiligen politischen Schlußfolgerung aus dem vielschichtigen Sachverhalt, welche die Ausschußberatungen in erfreulicher Weise kennzeichneten, sollen auch meine Darstellung bestimmen.Der Minderheit etwa mangelnden Entspannungswillen, mangelnde Solidarität mit unserem amerikanischen Verbündeten, ungenügendes Vertrauen in die Macht und Verläßlichkeit des Bündnisses oder versteckte nationale Atomwaffenambitionen zu unterstellen, wäre nach Niveau und Inhalt unserer Beratungen schlechterdings Verleumdung. Um allen Mißverständnissen und Böswilligkeiten gleich entgegenzutreten, wiederhole ich deshalb auch hier, was die Minderheit im Ausschuß festgestellt hat:Auch wir sind aus Gründen der politischen Vernunft— für die Beibehaltung des Atomwaffenverzichts der Bundesrepublik Deutschland von 1954,— für einen internationalen Nichtverbreitungsvertrag, der nach Leistung und Gegenleistung fair ausgewogen, eindeutig formuliert und tatsächlich universal ist.Obwohl wir die auch moralisch positive Funktion der bestehenden Kernwaffen als Sicherheitsfundament unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Lebensordnung sowie als machtpolitische Voraussetzung der Friedensaufgabe der Großmächte ansehen, teilen wir nicht die Auffassung, wie sie z. B. laut „International Herald Tribune" Ministerpräsident Tschu En-lai kürzlich gegenüber französischen Parlamentariern ausgedrückt hat:Je mehr Länder die Atombombe besitzen, um so entfernter ist die Kriegsgefahr; die Atombombe bedeutet Frieden.Vielmehr bejaht die Minderheit die vertraglich gesicherte Nichtverbreitung im Sinne der deutschen Friedensnote vom 25. März 1966, der deutschen Abrüstungsmemoranden von 1967 und 1968 sowie der Ausführungen der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion vor der Unterzeichnung des NV-Vertrages.Das Nein der Minderheit richtet sich erstens gegen den fragwürdigen Zeitpunkt des Zustimungsverfahrens und der Ratifikation des Atomsperrvertrages, nicht also des Verifikationsabkommens, zweitens gegen die außerordentliche Unausgewogenheit und den diskriminierenden Charakter des Vertrages, drittens und vor allem gegen die Mehrdeutigkeit der zentralen Verbotsbestimmungen der Vertragsartikel I und II, d. h. gegen das Entspannung und Sicherheit gefährdende Risiko künftiger Auslegungskonflikte mit der Sowjetunion.Zu Punkt 1: Fragwürdigkeit des Zeitpunkts der Ratifikation. Der NV-Vertrag darf nicht aus den Umständen seiner Entstehungsgeschichte gelöst bewertet werden; sie spielten auch in den Beratungen eine wichtige Rolle. Die Administration Johnson vereinbarte im Herbst 1966 nach langen ergebnislosen öffentlichen Verhandlungen in Genf über Inhalt und Grenzen eines atomaren Nichtverbreitungsverbots mit der Sowjetregierung in geheimer, bilateraler Absprache die beiden grundlegenden Verbotsartikel des NV-Vertrages zu Lasten Dritter. Diese Dritten sollten im Vertrauen auf Fairneß und Eindeutigkeit der amerikanisch-sowjetischen Geheimabsprache zum Zwecke der Minderung der atomaren Kriegsgefahr in vertraglicher Form freiwillig zustimmen, ohne jedoch noch Einfluß auf die Formulierung der von ihnen zu unterschreibenden Selbstverpflichtung zu haben. Auf den Geheimcharakter dieser grundlegenden Absprache, deren Unterlagen sie nicht kenne, hat die Bundesregierung im Ausschuß selbst mehrfach hingewiesen. Die beiden Großmächte ließen nach ihrer Einigung, die auch auf dem Hintergrund der damaligen amerikanischen Vietnam- und Innenpolitik gesehen werden muß, wie gesagt, keinerlei Änderung der Art. I und II mehr zu.An dieser Stelle sei bemerkt, daß die Rußlandpolitik der Administration Nixon vertragliche Beteiligungsersuchen vergleichbarer Art an ihre Bündnispartner nicht praktiziert. Dies ist ein wesentlicher Unterschied.Der Vertrag wurde am 1. Juli 1968 geschlossen. Vorher waren wichtige deutsche Wünsche nach Sicherung der zivilen Verwendung der Kernenergie gegen mißbräuchliche Auslegung des Vertrags erfüllt worden. Einige schwerwiegende deutsche Besorgnisse sicherheits- und europapolitischer Art waren jedoch geblieben. Der Vertrag wurde geschlossen in einer Atmosphäre starker Hoffnung der Nichtatommächte auf Nichtverbreitung und
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5259
Dr. Mertes
Nichtvermehrung der Atomwaffen sowie auf eine substantielle politische Entspannung des Ost-West-Konflikts, der den sicherheitspolitischen Maßnahmen der Bündnisse zugrunde liegt.Im Ausschuß habe ich daran erinnert, daß auf das Risiko einer Erosion des Atlantischen Bündnisses, und zwar noch vor einer authentischen und dauerhaften Entspannung im Gefolge der amerikanischen NV-Vertragspolitik, schon 1965 der amerikanische Chefverhandler und Architekt des NV-Vertrages, Botschafter William Foster, öffentlich selbst in der Zeitschrift „Foreign Affairs" hingewiesen hat.Die Invasion in der CSSR kurz nach Abschluß des NV-Vertrages durch die Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968 dies war die erste militärische Gewaltmaßnahme gegen ein europäisches Nachbarland nach dem Zweiten Weltkrieg, an dem deutsche Militärverbände aktiv mitwirkten —, entwertete wesentliche Prämissen der damaligen europäischen Entspannungshoffnung. Der Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt zur Erzwingung politischer Ziele wurde nicht eingehalten. Es kam nicht zu der allgemein erwarteten Humanisierung des politischen Systems der Tschechoslowakei. In der sogenannten Breschnew-Doktrin — gemeint ist der bekannte „Prawda"-Artikel vom 26. September 1968 — wurde das allgemeine Völkerrecht einschließlich des Gewaltverbots der politischen Zielsetzung des sowjetisch geführten Lagers erneut und ostentativ untergeordnet.Als der Deutsche Bundestag am 12. November 1969 den NV-Vertrag erörterte und die Bundesregierung gegen den dringenden Rat aller Sprecher der Opposition den Vertrag am 28. November 1969 unterzeichnete, waren zwei schwerwiegende Erwartungen noch nicht erfüllt, nämlich a) die Ausräumung der Risiken eines amerikanisch-sowjetischen Dissenses über das Ausmaß der Verbotsbestimmungen für die Europa- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, b) die zweifelsfreie Sicherstellung der europäischen Option. Die Minderheit hat im Ausschuß betont, daß bei der Frage der europäischen Option nicht die derzeitige Entbehrlichkeit, Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit der verteidigungspolitischen und damit auch nuklearpolitischen Einigung Europas zur Debatte stehe, sondern die künftige Möglichkeit einer solchen Einigung und ihrer verschiedenen Vorstufen, damit aber auch umgekehrt die Möglichkeit der Instrumentierung des NV-Vertrags gegen den europäischen Einigungsprozeß durch jene, die ihn ablehnen und aus ihrer Interessensicht mit allen Mitteln bekämpfen, die ihnen zur Verfügung stehen.In den Jahren 1970 bis 1973 schlossen die Bundesrepublik Deutschland und die drei Westmächte mit dem Ziel der Entspannung weitere bilaterale und multilaterale Verträge mit der Sowjetunion ab. Wieweit diese Abkommen dauerhafte Entspanungsergebnisse gezeitigt haben, ob und wieweit sie die sowjetischen Interessen einseitig begünstigt haben, ist in Europa und in den USA Gegenstand heftiger Diskussionen. Alles in allem aber kann man sagen: Die internationale Landschaft von heute ist gegenüber der vom 1. Juli 1968 — dem Datum der Unterzeichnung des Vertrags durch die Depositarmächte — und der vom 28. November 1969 — dem Datum der deutschen Unterschrift — in vielem wesentlich geändert. Wir leben nach den Erfahrungen der letzten Jahre hinsichtlich der Beurteilung der Wirkungen des NV-Vertrages unter anderen politischen Voraussetzungen.Wie verhielten sich von 1968 bis 1974 nun die sogenannten Schwellenmächte? Diese Frage muß hier gestellt werden, weil der NV-Vertrag auf Universalität, auf weltweite Annahme und Geltung angelegt ist. An dieser Stelle sei folgendes vermerkt: Bei allem Respekt vor Staaten wie etwa Afghanistan, Bolivien, Dahome und auch dem Vatikan mußte die Minderheit feststellen, daß Staaten, die in keiner Weise über potentielle nukleare Macht verfügen, im NV-Vertrag auf etwas verzichten, was sie ohnehin nicht haben. Sie bringen weder rechtlich noch politisch das Opfer einer Option, denn sie haben keine Option. Insoweit findet die Minderheit den Hinweis auf die große Zahl von Staaten, für die der Vertrag bereits gilt, politisch unfair.
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5260 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5261
Ein Kardinalpunkt, dessen man sich stets bewußt bleiben muß, ist das Erfordernis präziser Formulierung jeglicher Vereinbarung mit den Sowjetführern. Das bedeutet in der Praxis eine fast totale Achtung von Abmachungen, die in sich die Möglichkeit verschiedener Interpretationen tragen.Die Autoren bezeichnen es übrigens auch als eine Vernunftregel, die Dauer von. politischen Vereinbarungen mit der Sowjetunion kurz zu halten. Der NV-Vertrag gilt jedoch zunächst für 25 Jahre, in Wirklichkeit auf Dauer.Der NV-Vertrag stellt für die Sowjetunion ganz offenkundig eine Art weltweiten Rahmens für einen politischen Kern dar, nämlich für einen uneingeschränkten bilateralen Nuklearverzicht der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Sowjetunion, d. h. gegenüber der Führungsmacht des Warschauer Paktes, deren politische Zielstrebigkeit und militärische Macht die westlichen Sicherheitsprobleme überhaupt erst schaffen. Diese sowjetische Sicht ergibt sich nicht nur aus der sowjetischen Gleichgültigkeit gegenüber der Nichtunterzeichnung durch andere Schwellenmächte, aus der wiederholten Betonung der Wichtigkeit gerade der deutschen Unterschrift durch die Sowjetunion und aus dem Drängen der Sowjetunion auf baldige deutsche Ratifizierung, sondern auch aus dem sowjetischen Gewaltverzichtsmemorandum vom 21. November 1967 an die Regierung Kiesinger. Die Sowjetregierung schlägt darin der Bundesregierung folgende Erklärung vor:In Übereinstimmung mit den internationalen Vereinbarungen, die die Nachkriegsregelung in Europa betreffen, wird die Bundesrepublik Deutschland die notwendigen wirksamen Maßnahmen treffen, um die Entwicklung des Militarismus und Nazismus im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik nicht zuzulassen, weil sie eine Gefahr für den Frieden und für die Sicherheit in Europa darstellen. Im Zusammenhang damit erklärt die Bundesrepublik Deutschland ihren Verzicht auf den Erwerb und auf die Herstellung von Kernwaffen sowie auf den Zugang zu diesen in direkter oder indirekter Form.Sowjetische Anmerkung hierzu:Die sowjetische Seite ist einverstanden, die Schlußbestimmung des Punktes 5 zu den Atomwaffen fortzulassen, falls sich die Bundesrepublik dem internationalen Vertrag über die Nichtverbreitung der Kernwaffen anschließt.Dieser Text zeigt, daß in sowjetischer Lesart der NV-Vertrag jegliche Art des Zugangs zu Kernwaffen verbietet, d. h., daß das Verbot der Annahme von Verfügungsgewalt das Verbot des Zugangs einschließt, was immer das auch sei.Im übrigen vertritt die UdSSR die Auffassung, es bestehe auf Grund der Demilitarisierungsvorschriften des Potsdamer Abkommens eine deutsche Rechtspflicht zur Ratifizierung des NV-Vertrags. In diesem Sinne erklärte Ministerpräsident Kossygin 1967 — ich zitiere —:Die Bundesrepublik Deutschland muß diesenVertrag unterzeichnen, ob sie will oder nicht.Nach sowjetischer Auffassung hat der deutsche Kernwaffenverzicht von 1954 nämlich zwei Fehler: Er enthalte keinen Erwerbsverzicht, und — das sei besonders schwerwiegend — er gelte nur gegenüber unseren Verbündeten. Die Sowjetunion könne aber — so betonen die Vertreter der UdSSR — die Möglichkeit nicht ganz ausschließen, daß sich die Haltung unserer Verbündeten im Laufe der kommenden Jahre und Jahrzehnte einmal ändert.
Angesichts der nicht auszuschließenden Gefahr, daß unsere Verbündeten, insbesondere die Europäer, die Bundesrepublik Deutschland bei veränderter internationaler Lage und gewandelter sicherheitspolitischer Interesseneinschätzung später einmal teilweise oder ganz aus dem Verzicht von 1954 entlassen sollten oder ihr sogar, wie im Falle MLF, von sich aus Zugang zu Kernwaffen gewähren könnten, müßte die Sowjetunion über das Potsdamer Abkommen hinaus — dies ist erklärte sowjetische Auffassung — über eine von uns selbst unterzeichnete rechtliche Handhabe verfügen können, mit der sie sich einer solchen, angeblich friedensgefährdenden Politik der Bundesrepublik und des Westens entgegenstellen kann. Der Wert des NV-Vertrages bestehe gerade darin, daß er mit deutscher und westlicher Unterschrift den deutschen Nuklearverzicht auch gegenüber der Sowjetunion völkerrechtlich fixiere, d. h., daß es der Sowjetunion die vertragliche Möglichkeit gebe, die Verbündeten Deutschlands auf einen immerwährenden und umfassenden, lükkenlosen deutschen Nuklearverzicht festzulegen, der jedes, aber auch jedes Schlupfloch zu irgendwelchem deutschen Kernwaffenzugang wasserdicht schließt, auch das der europäischen Option.
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Dr. Mertes
Die Moskauer Besorgnisse in dieser Frage würden sich — so argumentiert die Sowjetunion zwar primär gegen die Bundesrepublik Deutschland richten, letzten Endes aber gegen denkbare künftige Änderungen der westlichen Sicherheits-, Europa-und Deutschlandpolitik. Der NV-Vertrag sei für die Sowjetunion eine wesentliche rechtliche und politische Sicherung gegenüber den nicht vorhersehbaren politischen Risiken der künftigen Entwicklung.Berufungsmöglichkeiten auf Verträge, aber auch das Offenbleiben von Optionen sind bekanntlich — jedenfalls in russischer Sicht — wesentlicher Bestandteil politischer Macht, weil mit ihrer Hilfe andere Instrumente machtpolitischen Einflusses auf die Willensbildung des Gegners zu gegebener Zeit ergänzt und öffentlichkeitswirksam unterbaut werden können.Die Sowjetunion scheint also unter Berufung auf Wortlaut und Vorgeschichte der Artikel I und II von der für uns unannehmbaren Auffassung auszugehen, daß der Vertrag für sie eine Art Mitbestimmung, d. h. einen politischen Beteiligungsanspruch begründet, der die Möglichkeiten russischer Mitsprache in Fragen der deutschen Sicherheitspolitik —in erster Linie gegenüber der Bundesrepublik, dann aber auch gegenüber Westeuropa und dem Atlantischen Bündnis — für alle Eventualitäten der unübersichtlichen künftigen Entwicklung substantiell verbessern soll.Die Mitglieder des Atlantischen Bündnisses gehen zu recht davon aus, daß die deutsche Beteiligung an der nuklearen Planungsgruppe der NATO mit dem NV-Vertrag vereinbar ist. Demgegenüber ist festzustellen, daß der Sprecher der Sowjetregierung, Samjatin, am 22. April 1968, also gut zwei Monate vor der Unterzeichnung des Vertrages, öffentlich folgende Erklärung abgab:Ich glaube, daß dieser Ausschuß sich nicht mit Fragen der Verbreitung von Kernwaffen befaßt und daß die dort erörterten Fragen, soweit bekannt, nicht die Verbreitung von Kernwaffen betreffen. Somit liegt hier keine direkte Verletzung der Verpflichtungen vor, die sich aus der Prüfung des Vertragsentwurfs durch die Beteiligten ergeben. Eine Sitzung dieses NATO-Ausschusses oder irgendeines anderen Ausschusses, die im Zeitpunkt der Abrüstungsverhandlungen stattfindet und auf eine Ankurbelung des Wettrüstens abzielt, dient natürlich in keiner Weise der Festigung des Friedens; so gesehen, sind die Sitzungen des NATO-Ausschusses kein die Entspannung fördernder Faktor.Im Hinblick auf die doppelte Notwendigkeit klarer Vertragsverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion und der Sicherung unserer künftigen europa- und verteidigungspolitischen Interessen sieht sich die Minderheit auch nach eingehender Würdigung der Argumente der Mehrheit und der Bemühungen der Bundesregierung um eine Sicherstellung der Europäischen Option außerstande, sich dem positiven Votum der Mehrheit anzuschließen, zumal die Reaktion der Sowjetunion als Depositarmacht wie als Vertragspartei auf diese Bemühungen noch völlig ungewiß ist.Für die Minderheit spielt auch die Sorge eine Rolle, der NV-Vertrag schaffe nach sowjetischer Auffassung eine sicherheitspolitische Sonderzone, welche Italien, die Benelux-Staaten, Dänemark und Irland, vor allem aber die Bundesrepublik Deutschland, einschließt, Frankreich und Großbritannien hingegen ausschließt; d. h. eine von der Sowjetunion seit langem gewünschte und von ihr angeblich mitgarantierte sicherheitspolitische Grenze innerhalb Westeuropas, um deren Vermeidung sich die westeuropäischen Staaten in den MBFR-Verhandlungen so intensiv bemühen.Die Minderheit erinnerte auch an die amtliche Feststellung des NATO-Generalsekretärs Ende 1968: Die Sowjetunion verstehe den NV-Vertrag als Instrument, mit dem Deutschland in eine permanent inferiore Position versetzt wird. Selbstverständlich lehnte der Ausschuß geschlossen diese Auffassung ab.Die Minderheit erinnerte auch daran, daß mit dem NV-Vertrag ein fast zwanzig Jahre lang geltendes Prinzip der westlichen Entspannungs- und Sicherheitspolitik in hohem Maße aufgegeben worden ist, an das die deutsche Friedensnote vom 25. März 1966 noch einmal erinnert hatte, nämlich an das Junktim zwischen westlichem Entgegenkommen im sicherheitspolitischen Bereich einerseits und sowjetischem Entgegenkommen in der politischen Substanz der Deutschlandfrage andererseits. Irgendeine sowjetische Gegenleistung für die Erfüllung ihrer Forderung nach dem deutschen Nuklearverzicht ihr gegenüber ist nicht zu erkennen.Der Zustand der innerdeutschen Beziehungen und des Berlinproblems, die beharrlich offensive Zielstrebigkeit der sowjetischen Diplomatie in Richtung auf so heißt es in den östlichen Zeitungen fast täglich — Ausweitung des Einflusses der sozialistischen Staatengemeinschaft, die ostentative Verstärkung des sowjetischen Machtpotentials in Deutschland sprechen eine beredte Sprache. Daß die Sowjetunion nicht aus Legalismus, sondern zwecks Anreicherung ihres Einflußarsenals auf die Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa den Rechtstitel des NV-Vertrages, und zwar desjenigen mit der deutschen Unterschrift auf das intensivste begehrt, liegt auf der Hand.In den Ausschußberatungen hat die Bundesregierung bei der Erörterung des Rücktrittartikels X des NV-Vertrages auf die Bedeutung der clausula rebus sic stantibus für die künftige Wahrung deutscher Interessen hingewiesen. Übrigens hat auch das Organ der Bonner Sowjetbotschaft im Jahre 1971 den Anspruch der Sowjetunion bekräftigt, sich auf den völkerrechtlichen Grundsatz — er steht auch dort lateinisch — „omnis conventio intelligitur rebus sic stantibus" — zu deutsch etwa: „jede Abmachung ist unter den so gegebenen Umständen zu verstehen" — berufen zu können.Was besagt diese Norm und welche Bedeutung könnte sie einmal für den Schutz unserer wesentlichen Interessen im Zusammenhang mit dem NV-Vertrag erhalten? Die Klausel ist ein Grund für die einseitige Auflösung eines Vertrages, wenn sich des-
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5264 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. Mertes
sen Geschäftsgrundlage, nämlich diejenigen maßgeblichen Umstände in grundlegender Weise verändert haben, die beim Vertragsabschluß als im wesentlichen unverändert fortdauernd unterstellt wurden oder — um mit dem österreichischen Völkerrechtler Verdross zu sprechen — wenn sich die bei Vertragsabschluß gegebenen Umstände so wesentlich geändert haben, daß den Vertragsparteien die Erfüllung des Vertrages bona fide nicht mehr zugemutet werden kann.Bei einem mehrdeutigen Vertrag, für dessen maßgebliche Begriffe es keine völkerrechtlich verbindlichen Definitionen gibt, gehört im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, die bekanntlich die unumschränkte souveräne Gleichheit aller Mitgliedstaaten bekräftigt, zur Geschäftsgrundlage auch, daß keine fremde Macht das Recht zur einseitigen Interpretation eines solchen Vertrages hat, dem ein bestimmter Staat in einer anders gearteten, durchaus völkerrechtsgemäßen Interpretation beigetreten ist. Ein Wegfall der Grundlage eines Vertrages muß den Vertragspartnern also nach Treu und Glauben die Befugnis vermitteln, sich von dem Vertrag einseitig zu lösen. Die Sowjetunion hat diese Befugnis verschiedentlich in Anspruch genommen.Bei der Erwähnung der clausula rebus sic stantibus durch die Bundesregierung betonte die Minderheit jedoch die Bedeutung der Norm „pacta sunt servanda", also: „Verträge sind einzuhalten", die das beherrschende Prinzip des Völkerrechts sei und, so betonte die Minderheit, nach den Vertragsbrüchen des nationalsozialistischen Deutschlands für das rechtsstaatlich-freiheitliche Deutschland nicht nur rechtlich, sondern auch außenpolitisch tragendes Prinzip sein müsse. Die Minderheit räumte jedoch ein, daß angesichts der einmaligen machtpolitischen und vertragsgeschichtlichen Voraussetzungen — sie erinnerte dabei vor allem an die verschiedenen Formen sowjetischer Pression zur Erzielung des deutschen Vertragsbeitritts, aber auch an andere Belastungen unserer Entscheidungsfreiheit — der Hinweis der Bundesregierung auf die clausula rebus sic stantibus zweckmäßig ist, dies um so mehr, als sich der NV-Vertrag mit einer Materie befaßt, die Gegenstand des in der Charta der Vereinten Nationen verbrieften unveräußerlichen Rechts auf individuelle und kollektive Verteidigung ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, so weit der eigentliche Bericht.Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf etwas hinweisen, was wahrscheinlich der tiefere Grund der dieses Haus durchziehenden Meinungsverschiedenheit ist. Der jetzige amerikanische Außenminister Henry Kissinger hat in seinem Buch „Troubled Partnership" auf eine amerikanische — ich würde sagen: westliche — Denkweise hingewiesen, die optimistisch und sympathisch ist, möglicherweise aber den langfristigen Notwendigkeiten nicht gerecht wird. Kissinger schreibt — ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin —
— Ich danke für den Zuruf, Herr Kollege Wehner.
Wir Amerikaner leben in einer Umgebung, die wie keine andere dazu geeignet ist, politische Entscheidungen technisch anzugehen. Dann erscheinen Probleme vorzugsweise als getrennte Sachverhalte ohne inneren Zusammenhang; man glaubt, daß man „jedes für sich" der Reihe nach lösen könne. Daß die „Lösung" eines Problems einen Wechsel auf die Zukunft darstellen könnte, wird nur sehr selten begriffen, zumal da der allgemeine Optimismus bereit ist, zu glauben, daß es in einem solchen Fall immer noch möglich sein werde, mit dem neuen Problem fertig zu werden, sobald es sich zeigt.In seinem Buch „Necessity for Choice" hat Kissinger außerdem auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vertragsdenken des Ostens und dem des Westens hingewiesen. Ich zitiere:Für uns hat ein Vertrag rechtliche und nicht nur Nützlichkeitsbedeutung, eine moralische und nicht nur eine praktische Kraft. In sowjetischer Sicht ist eine Vereinbarung lediglich eine Phase in einem sich fortsetzenden Kampf— ich möchte hinzufügen: in einem Kampf, von dem der überzeugte Kommunist glaubt, er diene dem letzten Menschheitsglück und dem endgültigen Weltfrieden —.Ich äußere hier ein Anliegen der Minderheit, wenn ich folgendes sage: Niemand kann der Sowjetunion den Vorwurf machen, daß sie die Ziele und Maßstäbe ihrer Politik nicht offen darlegt — bei allem gekonnten taktischen Raffinement. Die Verantwortlichen der Sowjetunion sagen, was sie meinen, und sie meinen, was sie sagen. Dies gilt auch für die Vorgeschichte und die Funktion des NV-Vertrags im Gesamtzusammenhang der russischen Deutschland-und Europapolitik. Gerade weil wir den sowjetischen Vertragspartner — auch in seinen Fehlinterpretationen — politisch ernst nehmen, weil wir aber auch erfahren haben, daß es 1973 beim Auslegungsstreit deutsche Politiker gab, welche sich der sowjetischen Auslegung keineswegs entgegenstellten, sehen wir uns außerstande, einem Vertrag zuzustimmen, der auch eine rechtliche Verpflichtung gegenüber der mächtigen Sowjetunion begründet; eine Verpflichtung, von der in diesem Hause niemand weiß, wie der russische Vertragspartner sie auslegt und zur Beeinflussung der politischen Willensbildung in diesem Land künftig verwenden wird.
Für die daraus resultierende Sorge hat die Minderheit bei Mitgliedern und Vertretern der jetzigen amerikanischen Administration Verständnis und Respekt gefunden, zumal diese Sorge ausschließlich einer auf das Bündnis und auf Europa orientierten Grundeinstellung entspricht.Meine Damen und Herren, niemand in diesem Hause kann sagen, ob sich die optimistischere Wertung des Vertrags, die den entsprechenden Kollegen ein Ja nahelegt oder gestattet, als richtig erweisen wird oder die kritischere Bewertung, die der Minderheit ein solches Ja nicht gestattet. Ob wir durch diesen Vertrag in den Bereichen der Ost-
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Dr. Mertes
West-Entspannung und der europäischen Einigung in Zukunft mehr entlastet als belastet werden, wird eben diese Zukunft zeigen.Es ist gut, daß wir uns in diesem Hause Ernsthaftigkeit in Bündnisfragen und Friedenswillen bei gegenteiligem Votum nicht absprechen. Doch meinen wir, daß es angesichts der Unübersichtlichkeit der künftigen Entwicklungen durchaus gut ist, daß eine Minderheit in diesem Hause den Risiken, die 'dieser Vertrag zweifellos in sich birgt, mit guten Argumenten ein Nein entgegensetzt. Jeder, der guten Glaubens ist, muß die positiven Beweggründe unserer Haltung anerkennen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort in der Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Dr. Bangemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der schriftliche Bericht liegt Ihnen vor. Deswegen kann ich mich auf einige kurze Bemerkungen beschränken,
die noch einmal die wichtigsten Fragen herausstellen sollen. Ich spreche dabei zugleich im Namen des Kollegen Pawelczyk.Ich darf mich zunächst einmal — und das darf ich mit Sicherheit auch im Namen des Kollegen Pawelczyk sagen — dem Dank an Herrn Birrenbach anschließen, den der Kollege Mertes hier ausgesprochen hat. Es ist in der Tat so, daß nicht nur die Arbeit, sondern vor allen Dingen auch die profunde Sachkenntnis des Kollegen Birrenbach den Berichterstattern die Arbeit, um nicht zu sagen: ganz abgenommen, aber doch ganz wesentlich erleichtert hat. Insofern ist ihm zu danken.Allerdings füge ich hinzu: Diese Einschätzung des Kollegen Birrenbach und seiner Sachkenntnis macht sein zustimmendes Votum zu diesem Gesetz natürlich besonders schwer.
— Schwerwiegend, Herr Marx, gewichtig, für jedermann, auch für alle Mitglieder der Opposition.Wir haben drei wesentliche Fragen zu behandeln, einmal die sogenannte europäische Option, zum andern die Frage, inwieweit ein Dissens, offen oder versteckt, vorliegt, und drittens einige allgemeine außenpolitische Fragen, die sich mit der Ratifikation oder Nichtratifikation dieser beiden Verträge verbinden.Lassen Sie mich zunächst zur europäischen Option einiges sagen, d. h. zu der Frage, ob das Verbreitungsverbot des Art. I und das Annahmeverbot des Art. II des Nichtverbreitungsvertrages den Prozeß der europäischen Einigung hindert oder, anders gewendet, ob die Mitgliedsländer der EuropäischenGemeinschaft bei der weiteren Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur europäischen Union auch nach Ratifikation des Nichtverbreitungsvertrages ihre volle Entscheidungsfreiheit behalten.Diese Frage hat bei den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses einen breiten Raum eingenommen, und ich glaube, zu Recht; denn der gegenwärtige Stand der europäischen Einigungsbemühungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir hier in jedem Fall eine Aufgabe von großer Bedeutung vor uns haben, so daß jedes politische Element, das diese Aufgabe noch mehr erschweren könnte, als die Situation im Augenblick das schon tut, selbstverständlich einer großen Aufmerksamkeit bedarf. Deswegen lassen Sie mich zuerst einmal die Auffassung, ich glaube: des gesamten Ausschusses betonen, daß alles, was nicht vom Nichtverbreitungsvertrag erfaßt wird, völlig unberührt bleibt. Das ist nicht bloß eine Selbstverständlichkeit. Es ist eine politische Notwendigkeit, darauf hinzuweisen, daß eine Einwirkung auf den Prozeß der europäischen Einigung, soweit sich dieser Prozeß ausschließlich aus nicht vertragsspezifischen Elementen zusammensetzt, auf den Nichtverbreitungsvertrag nicht zu stützen ist. Im Klartext: Es kann niemand irgendeinen Einwand gegen die europäische Einigung aus Elementen herleiten, die mit dem Nichtverbreitungsvertrag nichts zu tun haben.Damit beschränkt sich die Frage der europäischen Option also auf die Frage nach einer möglichen, denkbaren atomaren Bewaffnung des zukünftigen europäischen Staates. Hierzu möchte ich zunächst ebenfalls unmißverständlich feststellen, daß die Mehrheit des Ausschusses davon ausgegangen ist, daß diese Frage wohl mehr oder weniger einen theoretisch-rechtlichen Charakter hat, daß sie also im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Frage ist, die politisch zu entscheiden wäre oder deren Notwendigkeiten politischer Art sind, „politisch" in einem Bezug zu aktueller Entscheidung gesehen. Dennoch muß sicher sein oder jedenfalls sichergestellt werden, daß ein denkbarer politischer Wille der zukünftigen europäischen Union nicht an rechtlichen Barrieren scheitert oder durch solche Barrieren behindert wird, falls sich einmal die Frage einer europäischen Option in diesem Sinne stellen sollte. Eine derartige Gefahr besteht aber nach Ansicht der Mehrheit des Ausschusses nicht.Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, daß der Begriff des Transfers im Vertrag voraussetzt, daß es sich um eine Handlung zwischen zwei Völkerrechtssubjekten handelt, also zweier selbständiger, im Völkerrecht als Subjekte gegenseitigen völkerrechtlichen Handelns anerkannter Staaten, die hier verbreiten oder annehmen müssen, so daß eine Einigung, die den Weg der Staatensukzession beschreitet, von diesem Vertrag in keinem Fall — schon rechtlich nicht — erfaßt werden kann.Es hat dann in der Diskussion eine große Rolle gespielt, ob die europäische Einigung in jedem Fall in diesem Sinne den Begriff einer klassischen Staatensukzession erfüllt oder ob es denkbar sei, daß Zwischenformen auftreten, bei denen Zweifel entstehen können. Die Mehrheit hat sich mit der Bun-
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5266 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. Bangemanndesregierung darin einig gewußt, daß jedenfalls dann, wenn es zu einem Zusammenschluß dergestalt kommt, daß die Völkerrechtsfähigkeit der einzelnen, an diesem Zusammenschluß beteiligten Staaten entweder ganz oder jedenfalls insoweit ausschließlich und ohne Zurücklassung eines Restes auf das neue europäische Staatengebilde übergeht, als der Bereich der Verteidigung und der äußeren Sicherheit berührt ist, eine Staatensukzession im Sinne des Vertrages vorliegt, so daß in diesem Fall eine Einwirkungsmöglichkeit irgendeines Staates rechtlich durch die Ratifikation dieses Vertrages nicht begründet wird.Diese Interpretation der Bundesregierung und der Mehrheit des Ausschusses wird gestützt durch den Vertragszweck selbst. Ich glaube, der Hinweis ist von Bedeutung, daß mit dem Nichtverbreitungsvertrag die Proliferation von Kernwaffen an Nichtkernwaffenstaaten verhindert werden soll, daß jedoch nicht die Zahl der vorhandenen Kernwaffenstaaten reduziert werden soll. Der Nichtverbreitungsvertrag bezweckt, die Zahl der Träger direkter Verfügungsgewalt nicht größer werden zu lassen. Da wir nun aber in der Europäischen Gemeinschaft zwei Mitgliedsländer haben, die bereits Atomwaffenstaaten sind, kann natürlich ein solcher europäischer Zusammenschluß in dem vorhin angegebenen Sinne, der ja sogar zu einer Verminderung der Zahl der Atomwaffenstaaten führen würde, dem Vertragszweck selbst nicht widersprechen, er liegt vielmehr geradezu im Sinne dieses Vertrages. Von da her kann bei jeder Interpretation ein sehr wichtiges Argument gewonnen werden. Denn eine Interpretation, wie immer sie auch angestellt werden mag, muß ja in erster Linie versuchen, den Vertragszweck zu realisieren. Von dem Vertragszweck wird sich natürlich jede denkbare Interpretation leiten lassen, und zwar in einem Sinne, der uns im Bereich der europäischen Option zugute kommen wird.
— Es geht hier nur darum, Herr Kollege, daß wir uns — daran möchte ich noch einmal erinnern —über die Frage unterhalten — wir haben das auch im Ausschuß getan —, wieweit dieser Vertrag rechtliche Argumentationsgrundlagen für irgend jemanden, auch für die Sowjetunion, geben könnte, ,den Prozeß ,der europäischen Einigung zu behindern. Der Kollege Mertes hat ja auch, wenn ich ihn richtig verstanden habe, darauf verwiesen, daß das eine Rechtsfrage ist und daß die Politik etwa der Sowjetunion, die Politik etwa der NATO, die Politik im Verhältnis zu den USA durch einen solchen Vertrag nicht behindert, sondern allenfalls unterstützt wird. Es kommt also darauf an, wie sehr man ,der Sowjetunion hier eine rechtliche Handhabe zu geben glaubt. Eine ganz wesentliche Sicherung unserer Interpretation besteht nun aber einmal — das ist unbezweifelbar, Herr Kollege — darin, daß der Vertragszweck die Verhinderung einer Erweiterung ist, nicht aber die Behinderung eines Prozesses, der gar nicht zu einer Erweiterung führt.Ich darf an diesem Punkt erwähnen, daß im Ausschuß auch mit der Minderheit Einigkeit darin be-stand, daß jede unnötige Erörterung solcher Interpretationsschwierigkeiten unseren eigenen Standpunkt schmälern könnte und wir deswegen mit solchen Äußerungen sehr vorsichtig sein sollten.
Im übrigen ist ja durch die amerikanischen Interpretationen — in diesem Zusammenhang insbesondere durch die sechste der sogenannten klassischen amerikanischen Interpretationen zum Nichtverbreitungsvertrag — die Frage ,der europäischen Einigung auch in dem Sinne angesprochen worden, wie ich ihn gerade dargelegt habe.Die Mehrheit des Ausschusses sah vor dem Hintergrund dieses Vertragszweckes, insbesondere unter Berücksichtigung dieser sechsten amerikanischen Interpretation, keinen Anlaß zu der Sorge, die Ratifikation des Nichtverbreitungsvertrages könne den Prozeß der europäischen Einigung behindern oder erschweren. In diesem Zusammenhang hat sie mit Genugtuung von der Absicht der Bundesregierung Kenntnis genommen, durch geeignete Maßnahmen — etwa eine entsprechende Erklärung -- diesen Standpunkt noch einmal zu verdeutlichen.Zu diesem Punkt der europäischen Option möchte ich zum Schluß auf eines verweisen, was im Ausschuß, wenn ich das richtig gesehen habe und richtig werten kann, einen gewissen Ausschlag auch für einige Mitglieder der Opposition gegeben hat, dem Vertrag doch zuzustimmen, nämlich — jedenfalls was diesen Punkt der europäischen Option betrifft — folgende Überlegung: Da wir in der Europäischen Gemeinschaft Mitgliedsländer haben, die den Vertrag bereits ratifiziert haben, können selbst für den Fall, daß man einmal unterstellt, die Ratifikation dieses Vertrages würde irgendwelche Hindernisse für die europäische Einigung aufbauen, diese Hindernisse durch unsere Ratifikation nicht neu entstehen; sie wären dann schon entstanden. Wenn also dieser Vertrag eine europäische Einigung behinderte, dann wäre die Ratifikation des Vertrages durch Mitgliedsländer schon jetzt ein entscheidendes Hindernis, und deswegen würde unsere Ratifikation unter diesem Gesichtswinkel irrelevant werden. Aus diesem Grunde waren diese Mitglieder des Ausschusses der Meinung, daß, wenn man einmal fingiere, daß eine solche Schwierigkeit auftreten könnte, sie inzwischen schon aufgetreten ist. Das ist eine Überlegung — das möchte ich ausdrücklich betonen —, die natürlich nur hilfsweise angestellt wird, die aber, Herr Mertes, wie jede hilfsweise Erwägung sicherlich einen gewissen Wert hat. Sie ist ein Argument, das man zweifellos nicht in den Vordergrund seiner Entscheidung und seiner Entscheidungsmotivation stellen kann, aber es ist ein Argument, an dem man nicht ganz vorbeigehen kann, vor allen Dingen dann nicht, wenn man sehr breite rechtliche Erörterungen anstellt. Ich habe Ihre Ausführungen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, Herr Mertes, weil ich überzeugt davon bin, daß sie mindestens die Grundlage einer Habilitationsschrift sein können, und ich wünsche Ihnen dazu viel Glück.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5267
Dr. Bangemann— Ich nehme den Vertrag auch ernst. Ich nehme übrigens auch den Kollegen Mertes ernst, wie er sehr wohl weiß, und nur dieser Ernst hat mich dazu befähigt, ihm so lange zuzuhören, Herr Kollege Stücklen.In der zweiten Frage, wieweit man hier auf Interpretationsschwierigkeiten stößt, ist die Meinung im Ausschuß geteilt gewesen. Die Mehrheit war in der Tat nicht der von Herrn Mertes vertretenen Auffassung, daß eine Interpretation, wie er sie sich wünscht, überhaupt denkbar und möglich ist. Die Frage ist doch einfach die, Herr Mertes, ob klare Abmachungen in der Eindeutigkeit, die Sie fordern, überhaupt erreicht werden können, d. h. ob Dinge klarer werden können, wenn man möglichst lange über sie spricht. Die Frage ist auch, bis zu welchem Grad menschliche Sprache — und in einen Vertrag geht menschliche Sprache ein — so weit getrieben werden kann, daß jede denkbare unterschiedliche Interpretation ausgeschlossen ist. In diesem Punkt war die Mehrheit des Ausschusses — bei aller Anerkennung Ihres Standpunktes — skeptischer als Sie selbst. Sie sagen, man müsse den Grad der Klarheit— vielleicht gerade im Verhältnis zur Sowjetunion— so weit treiben, daß man ihn nach Menschenmöglichkeit bis an die Grenze des äußersten gebracht hat. Bei aller Würdigung dieses Standpunktes war die Mehrheit dennoch der Meinung, daß es übertrieben wäre, wenn man über das, was wir bisher schon an Interpretationen erreicht haben, hinausgehen würde und noch weitere Klarstellungen verlangen wollte, vor allen Dingen deshalb, weil un-) sere Interpretation durch die amerikanischen Interpretationen, durch die Erklärung der Bundesregierung bei der Unterzeichnung des Vertrages und durch die geplante Erklärung der Bundesregierung etwa bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde noch weiter abgesichert werden könnte. Die Mehrheit des Ausschusses ist deswegen der Meinung, daß ein möglicher Dissens, der natürlich theoretisch nie ausgeschlossen werden kann, praktisch ausgeräumt ist, daß man sich auf einer Grundlage befindet, von der aus man in der Tat diesen Vertrag als Grundlage für weitere politische Schritte der Entspannung nehmen kann.Der dritte und letzte Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, ist ein mehr allgemein außenpolitischer Gesichtspunkt, der aber nicht ganz außer acht gelassen werden darf. Das ist die Frage: Wie würde denn außenpolitisch ein Verhalten der Bundesrepublik gewertet, das darauf hinausliefe, den Vertrag abzulehnen? Denn wir stehen jetzt ja nur vor der Alternative, ihm zuzustimmen oder ihn abzulehnen. Sich der Stimme zu enthalten, ist zweifellos eine Möglichkeit, die hier ausgeschlossen werden sollte. Wir können, meine ich, den Vertrag ablehnen, oder wir können ihn annehmen. Und nun müssen sich diejenigen — die Minderheit im Ausschuß —, die den Vertrag ablehnen wollen —auch diejenigen, die nur den Nichtverbreitungsvertrag ablehnen, das Verifikationsabkommen aber annehmen wollen —, die Frage stellen, und zwar auch allen Ernstes: Wie würde ein solches Verhalten nicht nur bei der Sowjetunion, sondern gerade auch bei unseren Verbündeten außenpolitisch gewertet?Ich glaube, meine Damen und Herren, jemand, der bei den zuvor erwähnten Punkten — europäische Option oder Interpretationsschwierigkeiten — wirklich noch Bedenken hat, muß einräumen, daß bei der Entscheidung dieser letzten Frage das Schwergewicht eindeutig bei der Befürwortung des Vertrages liegen muß. Denn eine Ablehnung gerade des Nichtverbreitungsvertrages würde in einem Maße gedeutet — möglicherweise auch mißdeutet —, das selbst der Opposition nicht gefallen könnte.
— Herr Stücklen, hier liegt sehr nahe — ich denke, daß das noch Gegenstand der Diskussion sein wird —, daß mögliche Mißdeutungen — etwa in dem Sinne, die Bundesrepublik oder die Bundesregierung strebe nach der Mitverfügung über atomare Waffen — dann jedenfalls von uns, selbst bei allen Beteuerungen, nicht ausgeräumt werden können. Je länger Sie diese Beteuerungen vorbringen, Herr Mertes — das wissen Sie —, um so eher erregen Sie den Zweifel, hinter dem Schwall aller dieser guten Zusicherungen verberge sich in Wahrheit eine Motivation, die wir beide ja nicht haben. Es ist nun einmal in der Außenpolitik wie in der Politik überhaupt so: Manchmal ist nicht die Wirklichkeit, sondern der Schein entscheidend.
Und der böse Schein, der böse Anschein, den wir dadurch hervorrufen würden, wäre für uns außenpolitisch ein viel schwerwiegenderes Handikap als 1 alles, was wir möglicherweise dadurch positiv erreichen könnten.
Herr Stücklen, das geht jetzt nicht, da es sich noch um die Berichterstattung handelt; Zwischenfragen sind jetzt noch nicht möglich; ich bitte um Entschuldigung.
Ich habe schon gesagt, Herr Stücklen, daß das sicher noch Gegenstand der Diskussion sein wird.
Würden Sie dann bitte in der Berichterstattung fortfahren, Herr Kollege.
Selbstverständlich, Frau Präsidentin. — Ich meine also, daß bei der Entscheidung über den Nichtverbreitungsvertrag diese außenpolitische Erwägung ganz in den Vordergrund gestellt werden sollte. Jedermann sollte sich darüber im klaren sein, daß mit einer Ablehnung dieses Vertrages gleichzeitig eine Gefährdung unserer außen-
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Dr. Bangemannpolitischen Situation, auch wohl unserer sicherheitspolitischen Lage, eintreten kann.Deswegen möchte ich zum Schluß in diesem Zusammenhang zwei Gesichtspunkte klar hervorheben.Erstens. Mit der Ratifikation verzichten wir zwar auf die Verfügung über Atomwaffen, wir verzichten aber nicht auf einen Anspruch, sicher und in gesicherten, friedlichen Grenzen zu leben; dieser Anspruch wird nicht tangiert, er wird durch unsere Mitgliedschaft in der NATO und insbesondere durch unser Verhältnis zu den USA gewährleistet.Zweitens. Nur — und deswegen ist das Erstgesagte so wichtig — mit der Ratifizierung dieses Vertrages können wir Zweifel ausräumen oder ausschließen, die über eine denkbare Haltung der Bundesrepublik Deutschland entstehen könnten, und nur in dieser Weise können wir unseren eigenen Sicherheitsansprüchen Genüge leisten.Deswegen, meine Damen und Herren, empfiehlt Ihnen die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses die Annahme der Gesetzentwürfe zur Ratifikation beider Abkommen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Pawelczyk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung, die wir heute zu fällen haben, ist meines Erachtens zu bedeutend, als daß man Schadenfreude darüber empfinden kann, daß Sie, Herr Kollege Dr. Carstens, sich sowohl in Ihrer Fraktion als auch bei Ihren Kollegen im Auswärtigen Ausschuß eine Niederlage eingehandelt haben.
— Nein, die Aussprache.
Ich habe die Aussprache eröffnet, meine Herren. — Herr Kollege, wünschen Sie schon eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, Sie sprachen von der Bedeutung dieses Vertrages. Glauben Sie, Herr Kollege Pawelczyk, daß die Bundesregierung die diesem Vertrag zukommende Bedeutung beimißt? Denn sie glänzt durch Abwesenheit; bis auf drei Staatssekretäre ist niemand anwesend.
Sie sind nicht ganz informiert; Mittwoch vormittag tagt das Kabinett regelmäßig.
Hier ist Plenum!
Das müssen Sie dann mit dem Ältestenrat erörtern.
Ich will noch ein Zweites sagen. Wenn Herr Kollege Dr. Jaeger — er ist im Augenblick nicht hier — sagt: „Warum soll in Gottes Namen ein Fraktionsvorsitzender, der in hundert Abstimmungen die Fraktion hinter sich hat, nicht auch einmal in einer Frage in einer Minderheit sein?", so ist das eine völlig falsche Bewertung der Bedeutung dieses Vertrags. Dies ist nicht irgendein Gesetz, sondern dies ist ein Vertrag von zentraler Bedeutung. Nur so ist es auch zu verstehen, daß die Auffassungen in Ihrer Fraktion so weit auseinandergehen.
Ich muß allerdings sagen, wenn Herr Dr. Jaeger recht damit hat, daß Herr Dr. Carstens in keiner Weise seine Autorität in dieser Angelegenheit ausgespielt habe,
sondern zuerst vier Stunden lang die Diskussion habe laufen lassen, bevor er am Ende seine Meinung gesagt habe — das andere will ich Ihnen ersparen —, dann ist dies in Anbetracht der Bedeutung dieses Vertrags ein politisches Versagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ?
Nur noch eine letzte Bemerkung.
Ich will drittens sagen, daß sich mit Ihrer Leidensgeschichte mein Kollege Wischnewski auch noch beschäftigen wird.
Bitte schön!
Herr Kollege Pawelczyk, wenn Sie sich hier so über die Position eines Fraktionsvorsitzenden äußern, wie finden Sie dann die Stellung eines Bundeskanzlers, der in entscheidenden Fragen nicht einmal den Vorsitzenden seiner eigenen Fraktion hinter sich hat?
Wissen Sie, das ist Politik im Rundschlagverfahren. Sie lassen konkrete Beispiele aus, weil Sie keine haben!
Ich habe Ihnen ein konkretes Beispiel gegeben.
Seit über sieben Jahren diskutieren wir über den Atomwaffensperrvertrag; wir kommen heute zum
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PawelczykAbschluß. Ich darf für meine Fraktion sagen, warum wir einstimmig diesen Vertrag begrüßen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Formulierung dieses Vertrags offiziell seit 1966 beschäftigt, als der Bundesregierung der erste Entwurfstext ,der Art. 1 und 2 überstellt wurde.
Inzwischen haben über 100 Staaten unterzeichnet,
über 80 Staaten 'sind ihm beigetreten. — Herr Kollege Stücklen, Sie werden es Wirklich nicht erreichen, daß wir uns die zusammenhängende Darstellung und die zusammenhängende Würdigung der Vorteile dieses Vertrags in dieser Form kaputtmachten lassen. Das werden Sie nicht erreichen.
Mit dem Verifikationsabkommen und dem NV-Vertrag sind inzwischen Erfahrungen gesammelt worden; die Erfahrungen sind positiv.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jaeger?
Ja, bitte!
Herr Kollege, glauben Sie wirklich, daß die Ratifizierung durch Somaliland oder Nicaragua vergleichbar ist mit der Ratifizierung durch eine Schwellenmacht? Wieviel Schwellenmächte haben eigentlich schon ratifiziert?
Ich habe nicht gesagt, daß drei oder vier Staaten ratifiziert haben, sondern über 80. Ich werde an einer anderen Stelle zum Ausdruck bringen, in welcher außenpolitischen Situation die Bundesrepublik sich in Europa befindet.
--Äußern Sie sich zur Verkehrspolitik!
Ich bitte, den Redner fortfahren zu lassen. Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte in Ihrer Rede fort.
Meine Damen und Herren, die Gegner des NV-Vertrages begründen ihre Ablehnung im wesentlichen damit, daß die europäische Option gefährdet würde und die Sowjetunion einezusätzliche Einwirkungsmöglichkeit auf Westeuropa bekomme. Dies ist doch exakt wiedergegeben?
Wir haben uns in zwei ganztägigen Sitzungen im Auswärtigen Ausschuß vor allem über diese Frage unterhalten. Wir sind der Auffassung, daß durch Note und Erklärung der Bundesregierung im November 1969 und auch in der Pressekonferenz des Bundeskanzlers zum selben Zeitpunkt, aber vor allem durch die sechs amerikanischen Interpretationen eine Lage geschaffen wurde, die uns zu der Auffassung kommen läßt, daß eine Ablehnung nicht mehr gerechtfertigt ist.Der Vertragsunterzeichnung gingen ausführliche Diskussionen gerade um die Frage der sechs amerikanischen Interpretationen voraus. Dies hat dazu geführt, daß im Frühjahr 1967 die Vereinigten Staaten diese sechs Interpretationen offiziell der Sowjetunion übergeben haben. Sie wurden ohne Widerspruch entgegengenommen.
Herr Kollege Mertes, Sie wissen auch, daß der Akt der Übergabe eine Vorgeschichte hatte.
Wahrscheinlich hat die Sowjetunion daraufhin ohne Widerspruch entgegengenommen.
Nun darf ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus der sechsten Interpretation zumindest einige Sätze zitieren, damit dieser Punkt, um den es hier geht, ganz klar wird:Und er behandelt nicht das Problem der europäischen Einheit und würde die Rechtsnachfolge eines neuen föderierten europäischen Staates in den Nuklearstatus eines seiner schon vorher vorhandenen Bestandteile nicht ausschließen.Es heißt weiter:Ein neuer föderierter europäischer Staat müßte die Kontrolle über alle Aufgaben im Bereich seiner äußeren Sicherheit ausüben, einschließlich der Verteidigung und aller die äußere Sicherheit betreffenden außenpolitischen Angelegenheiten, brauchte aber nicht so zentralisiert zu sein, daß er sämtliche Regierungsaufgaben übernähme.Dieses Problem hat in einer Fragestunde am 27. November 1969 — mit dem Herrn Außenminister Scheel — eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Er wurde um eine Bewertung der Gromykoschen Aussage gebeten. Gromyko hat sich dagegen gewandt, daß Nuklearwaffen an andere Staaten oder Bündnisse weitergegeben werden dürfen.
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5270 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Pawelczyk— Ja: Gruppierungen. — Das Bemerkenswerte an Gromykos Aussage oder Stellungnahme ist nach meiner Auffassung, daß er in seinem Katalog der Verbote gerade das, was die sechste Interpretation erlaubt, nicht aufgenommen hat, nämlich das ihm bekannte Modell eines föderierten europäischen Staates, also genau das, was wir die europäische Option nennen. Gromyko hat seine Aussage getroffen, nachdem im Frühjahr 1967, also zweineinhalb Jahre vorher, der Akt der Übergabe der sechs Interpretationen erfolgt war. Es ist also völlig klar, daß die sowjetische Regierung über unser politisches Einigungsbestreben auch in Fragen der Sicherheitspolitik überhaupt nicht in Zweifel sein kann und auch nicht war. Die Sowjetunion kennt die Entstehungsgeschichte; sie hat zu der Interpretation geschwiegen.Dies hat völkerrechtliche Konsequenzen, und ich will Ihnen sagen, welche.
Erklärungen dieser Art bedürfen nicht der ausdrücklichen Bestätigung oder Genehmigung desjenigen, der sie annimmt. Bei diesen Erklärungen reicht nachweisbar der völkerrechtlich relevante Zugang in Gestalt einer Notifizierung oder einer nachweisbaren Übergabe unter Stillschweigen aus. Wir stimmen überein, daß beides erfolgt ist und daß es sich exakt so verhält.
Wer sich daraufhin verschweigt, kann sich nicht mehr darauf berufen, daß diese Interpretation vertragswidrig sei; auch das ist klar. Er kann sich nicht darauf berufen, daß die Interpretation, wie sie in den sechs amerikanischen Interpretationen wiedergegeben worden ist, vertragswidrig sei. Er kann zwar immer noch zum Ausdruck bringen, daß er selber eine andere Auslegung des Vertrages hat, aber die Vertragswidrigkeit kann er uns selber, die wir ratifizieren, nicht vorwerfen. Dies, glaube ich, ist jetzt auch klar.
Hier ist also auch völkerrechtlich einwandfrei klargestellt, daß wir die nötigen Sicherheiten behalten. Wir wollen jetzt nicht in völkerrechtlichen Erörterungen steckenbleiben, denn wir haben eine politische Entscheidung zu treffen. Die politische Entscheidung trifft ein Land, das sich dem NATO-Bündnis verpflichtet fühlt, keine Ambitionen hat, dieses Bündnis zu verlassen und politisch alle Anstrengungen unternimmt, die Vereinigten Staaten als Garantiemacht für Europa zu halten.In dieser Situation sind wir. Das ist unsere politische Perspektive, und in diese Landschaft müssen wir auch den Vertrag und seine Ratifizierung einpassen.
— Ich weiß! Wir haben uns darüber des öfteren unterhalten.
Nun muß man sehen, daß es im Bereich der EG-Staaten keine Konstruktion geben wird, die dazu führt, daß England oder Frankreich sich darauf einlassen wird, außen- und sicherheitspolitisch eine Vereinigung zustande zu bringen, bevor die Modalitäten insgesamt geklärt sind. Die Vereinigung in außen- und verteidigungspolitischen Fragen wird ein abschließender Prozeß sein.
Dies alles würde dazu führen, daß wir uns Widerspruch im eigenen Lager einhandeln und zu den Erschwernissen weitere hinzukämen.Ich will auch mit aller Deutlichkeit feststellen, daß die Spezifizierung in Wirklichkeit einen ganz anderen Grund hat. Mit dieser Spezifizierung würden Sie — das kann ich aus der Sicht der Opposition verstehen eine Übereinstimmung in der Fraktion erreichen. Sie wären aus dieser Patt-Situation heraus: eine Hälfte dafür, die andere Hälfte dagegen.
— Das ist doch völlig klar! Sie versuchen diesen Weg zu beschreiten; das verstehe ich auch.
Nur sind mir die Situation der Bundesrepublik und die Weiterentwicklung des europäischen Einigungsprozesses viel wichtiger als eine Handlung, die es Ihnen erlaubt, einen Konsens in Ihrer Fraktion herzustellen. — So viel aus der Sicht meiner Fraktion zur sechsten Interpretation, die nach unserer Auffassung die Anliegen des eigenen Landes berücksichtigt.Nun gibt es einen anderen Vorbehalt, die ersten fünf Interpretationen, Herr Kollege Carstens. Sie be-
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Pawelczykfassen sich mit den nuklearen Arrangements. Sie wissen, daß der NV-Vertrag seit sechs Jahren existiert, daß die Bundesrepublik an der Nuklearpolitik der NATO beteiligt ist und daß sie in Gremien mitarbeitet. Sie arbeitet z. B. mit im Verteidigungsplanungsausschuß, im Ausschuß für Fragen der nuklearen Verteidigung, in der nuklearen Planungsgruppe und in verschiedenen Studiengruppen, die ich hier gar nicht im einzelnen aufzählen will. Dies geschieht ohne einen Widerspruch durch die Sowjetunion. Wir sollten inzwischen alle aus dem MLF-Projekt gelernt haben. Es ist politisch richtig und realistisch, ein Mitspracherecht zu erhalten. Wir haben es und üben es seit Jahren aus. Wir sollten gelernt haben, daß es falsch ist, den Mitbesitz anzustreben. Ich warne die Neinsager der Opposition, in diesen Vertrag Schwächen hineinzureden, die es in ihm nicht gibt. Dies wäre ein leichtfertiges Beschädigen. Es hilft niemandem.In diesem Zusammenhang muß ich nun doch die Frage stellen, ob es ausschließlich darum geht, die europäische Option offenzuhalten, oder ob es unter den Neinsagern nicht auch diejenigen gibt, die der Meinung sind: man muß aus welchen Gründen auch immer die nationale Option offenhalten.
— Ja, ja, das ist eine Unterstellung! Dann sollen doch der Herr Kollege Carstens und auch Herr Kollege Strauß sich hier endlich präzise zu den Seidlschen Forderungen äußern.
— Die Verantwortlichen in der Fraktion sind Strauß und Carstens.
Der Kollege Seidl fordert: Kommt es in angemessener Frist nicht zu einer solchen Streitmacht, dann muß jede Bundesregierung ihrerseits die Ausrüstung der Bundeswehr mit Kernwaffen in Erwägung ziehen. Auch der Straußsche Brief — Empfehlungsbrief an die Fraktion — äußert sich nicht in der nötigen Klarheit gegen Dr. Seidl. Wenn wir uns die Stellungnahmen Straußens der letzten Zeit anhören, dann muß man befürchten, daß Seidl für Strauß spricht.
— Nein, nein, ich verwechsle nicht. Wissen Sie, wir kennen den Kollegen Strauß seit den 50er Jahren aus sicherheitspolitischen Diskussionen. Alle seine Äußerungen lassen diese Betrachtungsweise zu. Das kann hier ausgeräumt werden. Es wäre doch in Ordnung, wenn sie zum Ausdruck bringen, daß die nationale Option nicht gemeint ist und für sie auch nicht in Frage kommt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Sehr geehrter Herr Kollege, sind Sie bereit, hier anzunehmen, daß Strauß niemals — zu keiner Zeit und selbstverständlich auch nicht heute — eine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen verlangt oder angestrebt hat?
Wenn Sie mir ein Zitat bringen, in dem er die Auffassung Seidls als dessen ureigenste bewertet und nicht zuläßt, daß sie auch als die Auffassung seiner Partei interpretiert werden kann, dann natürlich sofort. Aber das ist an keiner Stelle geschehen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Sehr geehrter Herr Kollege, —
Was ist denn einfacher, als dies zu tun, worum ich eben gebeten habe?
Herr Kollege — —
Herr Abgeordneter Stücklen, Sie haben das Wort.
Aber wenn das erfolgt wäre, dann wird das Herr Stücklen doch sofort darstellen können.
Herr Abgeordneter Stücklen hat das Wort zur Zwischenfrage!
Meine Erklärung, die in vollem Umfang von Strauß gebilligt wird, ist ohne jeden Vorbehalt und gilt so umfassend, wie ich hier vorgetragen habe. Das sollte auch Ihnen genügen.
Gut! Dann sind Sie also der Meinung, daß Ihr Kollege Dr. Seidl in seinem Artikel nicht die Auffassung seiner Partei, sondern nur seine ganz persönliche wiedergegeben hat?
— Nein, Moment! Das sollte Herr Stücklen beantworten.
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5272 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stücklen?
Bitte!
Ich darf noch einmal fragen — —
Beantworten Sie mir doch diese Frage! Dann sind wir fertig.
Herr Kollege, Sie haben in Ihren Ausführungen zu unterstellen versucht, daß die Äußerungen, die Herr Kollege Seidl in seiner eigenen Verantwortung schriftlich niedergelegt hat, auch die Auffassung des Kollegen Strauß sei, und ich habe Sie gebeten — —
Präisdent Frau Renger: Herr Abgeordneter Stücklen, Zwischenfrage!
Jawohl, jetzt kommt die Frage.
Aber keine Vorrede, bitte!
Ich habe Sie gebeten, sich bereit zu erklären, davon Kenntnis zu nehmen, daß das nicht der Fall ist.
Nein, Moment! Wenn Sie die Frage, die ich an Sie gestellt hatte, mit einem Ja beantwortet hätten, wäre doch alles klar gewesen.
Meine Damen und Herren, es hat gar keinen Zweck, daß Sie in dieser entscheidenden Frage, die seit 17 Jahren die Diskussion erschwert, immer wieder mit langen Ausführungen ausweichend antworten. Sagen Sie doch klar: Nein, der Dr. Seidl hat die Auffassung der CSU nicht wiedergegeben!
— Gut! Das ist klar.
— Nein, Sie gehören ja noch nicht zur CSU. Sie gehören zwar zu denen, die nein sagen, aber noch nicht zur CSU.
Meine Damen und Herren, die Gegner des NV-Vertrages haben eine Alternative zu dem, wozu hier eine abschließende Aussage zu treffen ist, nicht anzubieten. Diese Frage wird vielleicht noch beantwortet; nein, sie kann ja nicht beantwortet werden, wenn Herr Kollege Carstens spricht, der nach meiner Meinung ein Befürworter des Vertrages ist. Die Situation in Westeuropa ist dadurch gekennzeichnet, daß es sieben Nichtkernwaffenstaaten gibt. Davon haben zwei ratifiziert; drei werden demnächst ratifizieren. Die Bundesrepublik ist der sechste Staat. Wenn wir den Ratifizierungsprozeß nicht durchführen, verbessern wir überhaupt nichts zugunsten der Situation in Europa; wir schaffen lediglich zusätzliche Schwierigkeiten für das eigene Land.Wir, die wir uns heute zu entscheiden haben, haben uns auch die eigentlich Frage zu stellen, die Hauptfrage ins Blickfeld zu richten, nämlich was passiert, wenn wir die Ratifizierung nicht durchführen. Auch wenn man unterstellt, Herr Kollege Mertes, daß der Beitritt zum NV-Vertrag die europäische Option erschwert, bleibt immer noch die Frage, ob sich unsere Lage durch Nichtratifizierung auch nur um einen Deut verbessern würde. Diese Frage muß eindeutig mit Nein beantwortet werden. Wir würden uns zwar theoretisch bilaterale oder multilaterale Möglichkeiten offenhalten;
andererseits aber hat dieses Offenhalten überhaupt keine praktische Bedeutung. Niemand, weder ein Staat in Westeuropa noch die Vereinigten Staaten, würde uns unterstützen.
Wir würden uns außenpolitisch in die Isolierung drängen. Die Unterstützung durch die Verbündeten, die wir für unsere Außenpolitik brauchen, würde reduziert.
Neue Gefahrenpunkte würden entstehen.Sinn des Vertrages ist es, die Zahl der Kernwaffenstaaten so klein wie möglich zu halten. Wir sind der Auffassung, daß die Nichtweiterverbreitung die Sicherheit in dieser Welt verbessert. Je mehr Staaten Kernwaffen besitzen, desto schwieriger wird die Kontrolle dieser Waffen und desto mehr Schwierigkeiten bereitete es, Sicherheitsabkommen zu treffen,
die für alle Staaten mehr Sicherheit bringen.
Meine Damen und Herren, ich darf meinen verehrten Kollegen Erler zitieren, der am 10. Mai 1957 hier gesagt hat:Ich glaube, die Atomwaffen bekommt man nichtmehr aus der Welt. Deshalb müssen sie unterKontrolle gehalten werden. Ernsthafte Abrü-
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Pawelczykstungsvereinbarungen können nur zustande kommen, wenn Atomwaffen nicht allgemein auf dem Erdball verteilt werden.
Er hat 1957 präzise das gesagt, was uns heute beschäftigt und was auch der Grund für unser Ja zu diesem Vertrag ist. SALT-, KSZE- und MBFR-Konferenzen sind Ergebnisse, die sich aus diesem Ansatz entwickelt haben.
Seit dem Ende der fünfziger Jahre sind auf dem Gebiet der Abrüstung und Rüstungskontrolle sieben multilaterale Abkommen und sieben bilaterale Abkommen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten abgeschlossen worden. Wir sollten auch nicht übersehen, daß Erler zu jener Zeit — weit vorausschauend — eine Abrüstungsabteilung in der eigenen Bundesregierung gefordert hat. Wir haben uns dadurch intellektuell in den Stand versetzt, dieses Gebiet theoretisch zu durchdringen,
— das bestreite ich auch gar nicht —, so daß die Bundesregierung heute in der Lage ist, qualitative Beiträge zu dem Gesamtkomplex der Rüstungskontrollpolitik beizusteuern. Sie sehen hier eine kontinuierliche Entwicklung der Politik der Sozialdemokratischen Partei und Fraktion, ausgehend von den Erlerschen Überlegungen von 1957.Der NV-Vertrag ist ein wichtiger Baustein der Entspannungspolitik. Die Nichtratifizierung würde das Ende der Entspannungspolitik zumindest für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten.Meine Damen und Herren, Sie werfen der Bundesregierung vor, daß ihre Politik antiamerikanische Züge trage. Dies ist ein Vorwurf aus dem Lager der Neinsager. Antiamerikanische Tendenzen werden genau durch die Argumente produziert,
— ja, ich rede jetzt auch —, die Sie beisteuern.
Die Sicherheit der Bundesrepublik beruht auf der amerikanischen Nukleargarantie und darauf, daß die Vereinigten Staaten mit Truppen in Europa anwesend sind. Wenn Sie in Ihren Reihen den alten Streit zwischen Gaullisten und Atlantikern provozieren, beschwören Sie erneut die Diskussion herauf, die unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten erschweren muß. Herr Kollege Mertes, in allem Ernst: Das können Sie doch wirklich nicht bestreiten.
Wenn Sie diese Diskussion hier erneut heraufbeschwören, werden all die Schwierigkeiten, die die Bundesrepublik mit den Vereinigten Staaten in vielen Jahren hatte, immer wieder aufbrechen. Washilft uns das? Dies erschwert unsere Lage zusätzlich.Ich meine, die Neinsager haben auch nicht die Konsequenzen bedacht, die das Nein auf das Verifikationsabkommen hat.
Dieses Nein hat nämlich auch Konsequenzen für unsere Energiepolitik. Das Verifikationsabkommen ist so angelegt, daß es voraussetzt, man sei Vertragspartei. In der Präambel des Verifikationsabkommens steht, daß „Vertrag" im Sinne von „NV-Vertrag" zu definieren ist. Die Erörterungen im Auswärtigen Auschuß haben auch Klarheit darüber geschaffen, daß die Verbindungen zwischen den beiden Verträgen so eng sind, daß die Ratifizierung des Verifikationsabkommens bei gleichzeitiger Ablehnung des NV-Vertrages den Beitritt zum Verifikationsabkommen nicht zuläßt.
— Ja, das war die Mehrheitsauffassung. Für die Bundesrepublik Deutschland könnte dies eine Gefährdung der Kernbrennstoffzufuhr mit sich bringen. Was das angesichts der Energieknappheit bedeutet, brauche ich hier nicht näher auszuführen.Ich sehe im übrigen die Schwierigkeiten im Hinblick auf eine europäische Option weniger im NV-Vertrag als vielmehr in Vertragsabschlüssen begründet, die über MBFR-Verabredungen zustande kommen können.
— Ja, da stimmen ich Ihnen sofort zu. Hier müssen wir aufpassen. Ich brauche die Einzelelemente nicht zu erwähnen.
— Nein, ich habe ihn nicht zitiert.
Ich zitiere die Regierung. Da bewege ich mich dann wirklich auf fundiertem Boden.Ich will Sie beruhigen: Der Verhandler für die Bundesrepublik, Botschafter Behrends, hat für die Bundesregierung erklärt — ich zitiere —:Die Ergebnisse müssen mit den Ansichten für den Ausbau und die Vertiefung einer Europäischen Gemeinschaft in Einklang stehen.Das heißt also, die Gefahr, die durch MBFR entstehen kann, wird gesehen.
Ich möchte zum Schluß folgendes für meine Fraktion bemerken:Erstens. Der NV-Vertrag verbietet die nationale Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen. Wir streben sie nicht an. Deshalb stimmen wir zu.
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5274 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
PawelczykZweitens. Der Vertrag hält die europäische Option offen. Deshalb werden wir dem Vertrag zustimmen.Drittens. Der Vertrag gibt der Sowjetunion kein zusätzliches einseitiges Mitspracherecht gegenüber Westeuropa. Deshalb stimmen wir zu.Viertens. Das Verifikationsabkommen sichert die Belieferung der Bundesrepublik mit Kernenergie. Das Verifikationsabkommen ist fair; darüber gibt es auch keine unterschiedlichen Auffassungen. Deshalb stimmen wir ihm zu.Ich bin der Meinung, die Gegner haben Anlaß, ihren Standpunkt zu überprüfen. Denn lehnt die Bundesrepublik die Ratifizierung ab, gewinnt sie zugunsten einer europäischen Option überhaupt nichts; sie setzt aber alles das aufs Spiel, was sie in den europäischen Einigungsprozeß bis heute investiert hat.
Genau das wäre der Tatbestand, der uns den Gefahren aussetzt, die Sie befürchten.Meine Damen und Herren, das sind die Gründe, die meine Fraktion dazu veranlassen, zum NV-Vertrag und zum Verifikationsabkommen ungeteilt ja zu sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Heller als tausend Sonnen" — so hat Robert Jungk sein bekanntes Buch über das Schicksal der Atomforscher überschrieben. Ich meine, es lohnt sich, in einem Augenblick, wo wir über den Atomwaffensperrvertrag sprechen, sich einzelne Abschnitte zu vergegenwärtigen; sich zu vergegenwärtigen, wie die Atomforscher selbst zu Beginn die tödlichen Gefahren für die Menschheit, die aus der Atomwaffenerfindung entstehen, gesehen haben. Es lohnt sich, in einem Augenblick, wo wir das in einen kontrollierbaren Griff bekommen wollen, nachzulesen, wie schon zu einer Zeit, als die ersten bahnbrechenden Versuche noch nicht erfolgreich beendet waren, Vermutungen darüber angestellt wurden, welche „Kettenreaktion" und welche Folgen daraus entstehen könnten. Wir wissen ja, was der Begriff „Kettenreaktion" inzwischen für die Atomwaffen bedeutet. Die meisten von uns haben die Meldungen über den Abwurf der A-Bombe in Japan miterlebt, und sie haben miterlebt das Vorantreiben der Entwicklung der H-Bombe, deren Einsatztest uns zum Glück erspart geblieben ist. Aber allein die zahlreichen Versuche mit Atomwaffen haben bereits so große Gefahren für die Menschheit heraufbeschworen, daß ein Teststopp immer dringender wurde; nicht nur ein Stopp für die Versuche, sondern auch für die weitere Verbreitung der Waffen.Die Verabschiedung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ist nach unserer Überzeugung überfällig. Über seinen Zweck, über den Nutzen für die Bundesrepublik Deutschland gibt es so gut wie keine Diskussion mehr, weder in der allgemeinen Öffentlichkeit noch in der Wirtschaft noch auf wissenschaftlicher oder militärischer Ebene. Nur in einem einzigen Gremium wurde und wird noch gestritten, werden längst ausgeräumte Bedenken immer wieder aufs neue erhoben und hat man keine einheitliche Haltung gefunden; das ist die CDU/CSU.Diese Koalition, diese Bundesregierung hat bereits kurz nach dem Regierungswechsel 1969 die Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag gesetzt und damit Schluß gemacht mit der Unentschlossenheit, die gerade in dieser Frage in der letzten CDU-geführten Regierung unter dem Kollegen Kiesinger spürbar war.Meine Damen und Herren, gute Worte gab es allerdings schon seinerzeit in ausreichender Zahl, so den Satz aus der Regierungserklärung des Jahres 1966 — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Wir streben keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen an.
Ich gehe davon aus — —
— Also, lieber Herr Kollege Stücklen, wenn Sie ausgerechnet die Tatsache, daß einzelne Ihrer Kollegen den Besitz nationaler Atomwaffen wollen, als ein liberales Zeichen ansehen, dann würde ich es bedauern, wenn das die einzige Liberalität ist, die Sie haben.
Wir haben zur Kenntnis genommen: Die CSU-Führung ist gegen den nationalen Besitz von Atomwaffen.
— Nein, ich stelle ja gerade fest: Die CSU-Führung ist gegen den nationalen Besitz. Und ich stelle weiterhin fest, daß Sie erklärt haben: Alle Kollegen sind gegen den nationalen Atomwaffenbesitz. Das ist eine erfreuliche Feststellung. Ich hoffe, daß sich das auch bei den Entscheidungen, die in den Abstimmungen zu treffen sind, niederschlagen wird.
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Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stücklen?
Herr Kollege Mischnick, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich mein Zuruf „Es muß doch noch eine Partei geben, die liberal ist, und die sind jetzt wir!" einzig und allein darauf bezieht, daß jedes Mitglied der CSU, ganz gleich, in welcher Funktion es sich befindet, seine eigene Meinung haben darf, auch wenn sie von der Mehrheitsmeinung der CSU abweicht? Lediglich das ist gemeint.
Herr Kollege Stücklen, daß Sie das so genau richtigstellen mußten, macht mir natürlich deutlich
— nein, absolut nicht falsch interpretiert —, wie sehr wir zu Recht die Sorge haben müssen, daß Liberalität bei Ihnen immer nur dann im Mund geführt wird, wenn es zu kaschieren gilt, daß Sie in wichtigen Fragen unterschiedlicher Meinung sind; sonst bedeutet das gar nichts.
Meine Damen und Herren, vorhin hat der Berichterstatter schon darauf hingewiesen, daß andere Länder — Frankreich, China — glauben es sich leisten zu können, bei diesem Vertragswerk nicht mitzumachen. Diese Entscheidung kann nach meiner Überzeugung für uns kein Maßstab sein. Im übrigen
— ich darf wiederholen, was hier zum Teil schon gesagt wurde — würde es allzu leicht dazu führen, daß uns unterstellt würde, wir strebten in Wahrheit eben doch etwas anderes an, wenn wir den Beitritt verweigern. Dies war und kann nicht das Ziel unserer Politik sein.
Bereits die Regierung Kiesinger, der ja auch Herr Kollege Strauß als Minister angehörte, hat im April 1967 ausdrücklich — ich zitiere — von einem „deutschen Beitrag zur Entspannung in Europa und nicht von Diskriminierung" gesprochen. Auf die Frage, ob sie, die damalige Regierung, das „als Teil ihrer Politik der Friedenssicherung betrachte, hat sie geantwortet, daß es gelte, „den Abschluß eines Atomwaffensperrvertrages zu fördern", und mitgeteilt: „Diese Frage ist positiv zu beantworten". Soweit die damalige Regierung Kiesinger unter Einschluß von Franz Josef Strauß.
In einer 18seitigen umfassenden Reaktion auf eine Große Anfrage ist noch sehr viel Konstruktives dargestellt worden. Es wurde dabei festgestellt
— ich zitiere wieder —: „Der Vertrag formuliert das, was verboten ist. Alles andere ist und bleibt erlaubt." Damit wurde auch die Frage nach den bündnispolitischen Auswirkungen offensiv beantwortet und nicht regressiv.
Dennoch ließ sich der CDU-Vorsitzende Strauß später, als er nicht mehr im Regierungsamt war — vielleicht hatte er vergessen, was damals festgestellt worden war, vielleicht erinnerte er sich nicht daran; eine Bewußtseinsänderung oder was es auch immer war —,
zu der monströsen Behauptung — anders kann ich es nicht sagen — hinreißen, ein Beitritt zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen sei ein „Versailles von kosmischem Ausmaß". Meine Damen und Herren, diese von nationalem Ressentiment triefende Phrase ist bis zur Stunde nicht zurückgenommen worden. Ich darf daraus schlußfolgern, daß diese Gedankenverbindung zu jener destruktiven Radikalität bestimmter Kräfte kein Versehen war, sondern daß es Absicht war, und jeder möge sich aus dieser Absicht seinen Reim machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Bitte.
Herr Kollege Mischnick, da Sie jetzt schon Archivkunde betreiben: Ist Ihnen auch in Erinnerung, daß der jetzige Bundesminister des Auswärtigen noch vor wenigen Jahren die Bildung einer europäischer Atomstreitmacht gefordert hat und daß er vor kurzem gesagt hat, er sehe die Dinge jetzt anders?
Lieber Kollege Mertes, mir ist natürlich bekannt, was im Laufe der Entwicklung an Möglichkeiten dargestellt worden ist.
Aber ich füge gleichzeitig hinzu: Die Diskussion ging doch darüber, ob durch diesen Vertrag diese Möglichkeit ausgeschlossen wird oder nicht, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß sie nicht ausgeschlossen wird. Eine andere Frage ist, ob es jemals dazu kommt, ob wir es für richtig oder für notwendig halten, dann auch auszufüllen, was der Vertrag ermöglicht.
— Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, daß das möglich ist. Das haben wir bei vielen oft erlebt.
Aber hier ging es doch um die Bewertung, ob das in diesem Augenblick oder in der zukünftigen Entwicklung möglich sei oder nicht möglich sei. Nur diese Frage stand zur Debatte, nicht, ob es tatsächlich dazu kommt.
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Mischnick— Das müssen Sie über Ihre Kollegen sagen, „Weltrekord im Meinungsändern" ! Da sind Sie unübertroffen. Da wird keine Statistik helfen, um das aus der Welt zu schaffen, Herr Kollege.
Was aber bei den Diskussionen, die Sie führen und bei denen die Kollegen aus der CDU/CSU ihre Ablehnungsgründe verteidigen, auffällt, ist, daß diejenigen von Ihnen, die die Treue dieser Koalition, die Treue der Bundesregierung zum Bündnis ständig in Frage stellen, bei einer, wie wir wissen, für unsere Bündnispartner entscheidenden Frage gegen unsere Partner votieren. Ich bin fest überzeugt, daß eine Ablehnung des Atomwaffensperrvertrages erhebliche Zweifel an unserer Bündnisbereitschaft und an unserer Bündnisfähigkeit insbesondere bei den Vereinigten Staaten wecken würde. Es kann doch wohl nicht so sein, daß die Bündnispolitik und die enge Partnerschaft mit unseren Freunden im Westen beschworen wird, wenn es darum geht, die mit unseren Verbündeten abgesprochene Entspannungspolitik in Zweifel zu ziehen, gleichzeitig aber Bemühungen unserer Bündnispartner wie beim Atomwaffensperrvertrag konterkariert werden. Zweifel in unsere Bündnistreue säen nicht die, die die Entspannungspolitik auch mit dem Atomwaffensperrvertrag unterstützen, sondern diejenigen, die in einem kraftmeierischen Anfall glauben, atomare Weltmacht spielen zu können. Die säen Zweifel in die Bündnispolitik, niemand anders.
— Entschuldigen Sie, Sie wollen doch mit ihrem Nein deutlich machen, daß Sie diesen Vertrag nicht unterstützen wollen, und damit säen sie Zweifel in die Bündnispolitik und nicht diejenigen, die zustimmen.
— Das ist gar nicht unter Niveau. Unter Niveau ist, wenn die gleichen Leute, Herr Kollege Mertes — und das wollen Sie nicht wahrhaben —, uns Bündnisuntreue unterstellen, die in diesem Falle mit Nein stimmen. Da ist der entscheidende Unterschied.
— Natürlich, wenn Sie jetzt behaupten, Sie hätten uns nie Bündnisuntreue oder Gefährdung des Bündnisse unterstellt, muß ich Sie fragen: Haben Sie denn völlig vergessen, was Ihr Redner von dieser Stelle soundso oft gesagt haben? Jetzt wollen Sie es nicht wahrhaben. Das ist ja die Art, die Sie immer wieder haben: je nach Debatte, je nach Ort etwas anderes zu sagen und damit nach draußen einen Ein-druck zu erwecken, der den Tatsachen nicht entspricht. Das ist leider der Tatbestand.
— Herr Kollege Carstens, wenn Sie behaupten, daß ich an dieser Stelle etwas anderes sage als draußen oder umgekehrt, dann bringen Sie mir den Beweis! Sie werden diesen Beweis nicht liefern können, daß ich unterschiedlich spreche.
Meine Damen und Herren, jeder, der lesen kann, der sowohl den Text des Vertrages als auch den Text des Verifikationsabkommens zwischen Euratom und der Wiener Atombehörde sowie die dazugehörigen Erläuterungen — etwa die der amerikanischen Regierung, aber auch die des Deutschen Atomforums — kennt, dem muß die immer noch bestehende Abwehrhaltung von Teilen der CDU/CSU nach meiner Überzeugung rational nicht mehr erfaßbar vorkommen. Die Koalition hatte sich — wie sich inzwischen erweist: mit Recht — auf den Standpunkt gestellt, daß es erst nach vollzogener Unterschrift, aber vor der Ratifizierung möglich sei, berechtigte eigene Interessen abzusichern. Das sogenannte Verifikationsabkommen gelte einer Regelung der Kontrolle des spaltbaren Materials zwischen Euratom und der Wiener Atombehörde.Die lange und ausführliche Behandlung der vorliegenden Vertragstexte hat die Zweifel beseitigt, die Verträge könnten den deutschen Belangen widersprechen. Gerade das Verifikationsakommen verhindert, daß die deutsche Wirtschaft entweder durch Industriespionage oder durch Diskriminierung in ihrer Entwicklung benachteiligt wird. Die behauptete Möglichkeit zu gigantischer russischer Industriespionage — so auch Sie wieder, Herr Kollege Strauß — war wohl immer nur als Propagandaknüller gedacht.
— Vorher natürlich.Ich darf daran erinnern, daß inzwischen ein Abkommen auch über die Lieferung von Kernbrennstoffen zwischen Firmen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion abgeschlossen worden ist. Fest steht folgendes:Erstens. Die durch die NATO-Mitgliedschaft gewährleistete Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird durch den Vertrag in keiner Weise negativ tangiert.Zweitens. Eine nukleare Bedrohung eines Nichtkernwaffenstaates ist mit dem Vertrag nicht vereinbar, im Gegenteil: die Unterzeichnerstaaten, also auch die USA, Großbritannien und die Sowjetunion, sind zur Hilfe verpflichtet.Drittens. Der europäische Einigungsprozeß wird durch den Vertrag nicht berührt. Ich füge hinzu:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5277
MischnickWenn überhaupt, kann er nur positiv davon beeinflußt sein.Viertens. Auch die Bildung einer europäischen Nuklearstreitmacht bleibt möglich — unabhängig von der Frage, ob man sie will oder nicht. Darum geht es doch bei dem Vertragstext.Fünftens. Im wirtschaftlichen und wissenschaftlichtechnischen Bereich entstehen keine Nachteile für die Bundesrepublik Deutschland, vielmehr wird die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Kernmaterial durch den Vertragsbeitritt überhaupt erst sichergestellt.
Umgekehrt erhielten unsere Kernkraftwerke von keinem der Unterzeichnerstaaten das zum Betrieb notwendige Uran, wenn der Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag unterbliebe.
Das wäre dann zwar kein Versailles, aber nach meiner Überzeugung eine energiepolitische Dummheit von abenteuerlichem Ausmaß. Wenn der Bundestag auf die Linie der politischen Unvernunft — man kann sie auch die Strauß-Dregger-Linie nennen — einschwenkte. Auf die verheerenden außenpolitischen Folgen, wie sie außer den genannten Herren nun bemerkenswerterweise doch eine ganze Reihe von — wir werden es ja endgültig bei der Abstimmung erleben — Mitgliedern der CDU/CSU riskieren, will ich überhaupt nicht mehr eingehen.Ich befürchte, daß diese Trotzhaltung in der CDU/ CSU durch Fakten und Argumente nicht mehr korrigierbar ist. Dennoch appelliere ich an Sie, gerade in diesem Punkt, in dieser Frage um der Geschlossenheit des Deutschen Bundestages willen, die in dieser wichtigen Frage unserem Ansehen doch nur förderlich sein kann, noch einmal die Entscheidung zu überdenken, sich aus dieser mehr emotionalen Verkrampfung zu lösen und zu einem deutlichen, geschlossenen Ja zu kommen.Selbst die CSU würde mit einem Ja doch nur alte Versprechungen einlösen. Ich erinnere dazu an eine schriftliche Presserklärung des Kollegen Stücklen vom 7. Februar 1967. In ihr nannte er — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren — vier Voraussetzungen, die erfüllt sein müßten,
um der Bundesregierung die Unterzeichnung eines solchen Vertrages empfehlen zu können. Die Voraussetzungen waren:1. Die friedliche Nutzung der Atomenergie darf nicht im geringsten beeinträchtigt werden. Auch eine Industrie- und Forschungskontrolle, womöglich durch sowjetische Spezialisten, kann nicht gewährt werden.2. Auf die Mitbestimmung über den Einsatz von Atomwaffen von deutschem Boden kann nicht verzichtet werden.3. Einer europäischen Autorität muß die Verteidigung auch mit atomaren Waffen ermöglicht werden.4. Auf eine ausreichende und wirkungsvolle Sicherheitsgarantie durch die USA kann derzeit nicht verzichtet werden.
Meine Damen und Herren von der CSU und von der CDU, diese vier Punkte können Sie nach meiner Überzeugung heute getrost alle als völlig erfüllt abhaken. Das ist der Tatbestand.
Was hindert Sie denn noch, aus Ihren oft gehörten Beteuerungen, an der Entspannung und der Friedenssicherung ebenfalls mitwirken zu wollen, Taten werden zu lassen und nun endlich in diesem Fall auch einmal geschlossen zu handeln und nicht nur darüber zu reden, wie das immer geschehen ist?
Wenn Sie das nicht tun, werden Sie das Gewicht Ihrer Worte, Ihrer Bedingungen, wie Sie sie hier gestellt haben, für die Zukunft mindern. Sie werden sich dann schließlich unglaubwürdig machen.
Das ist dann der dritte Akt in einem, wie ich meine, Trauerspiel, das in der vergangenen Legislaturperiode mit der Enthaltung der CDU/CSU zu den Ostverträgen begann,
sich in dieser Legislaturperiode bei der Abstimmung über den UNO-Beitritt zur Aufspaltung der Unionsfraktion steigerte und nun die Paralyse der CDU/CSU in essentiellen nationalen und internationalen Fragen eindrucksvoll noch einmal variiert. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, daß die von der CDU/CSU so gern beschworene Geschlossenheit und Entschlossenheit gerade auf sie selbst nicht zutrifft, dann würde er hiermit wiederum erbracht.
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, erinnern Sie sich daran, daß es kein einheitliches Votum der FDP-Fraktion bei der Abstimmung über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gegeben hat und daß zu den abweichend Votierenden auch der heutige Bundesminister des Auswärtigen gehörte?
Ich erinnere mich sehr genau daran.
Es hat sich inzwischen natürlich sehr deutlich gezeigt, daß die Bedenken berechtigt waren. Da ging es ja nicht darum, daß die EWG oder die Europäische Gemeinschaft als Ganzes verurteilt wurde,
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5278 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Mischnicksondern sie war uns zu diesem Zeitpunkt nicht weitreichend genug, sie war für uns in ihren Bestimmungen nicht weitgehend genug. Das war der Grund.
Hier ging es doch nicht um ein grundsätzliches Nein zu dieser Europäischen Gemeinschaft.
— Wenn das so wäre, Herr Kollege Mertes, dann könnten Sie über Ihren Schatten springen. Daß Sie nicht darüber springen, ist für mich der Beweis, daß Sie im Grundsatz und nicht nur in Details anderer Meinung sind;
denn daß Sie es in Details sind, können Sie nicht darlegen.
Natürlich, meine Damen und Herren, geben wir uns nicht der Illusion hin, daß mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland allein die Gefahr eines Atomwaffenkrieges in der Welt für immer gebannt sein könnte. Die Hauptverantwortung liegt selbstverständlich bei den Kernwaffenstaaten — und da vor allem natürlich bei den Supermächten.Um aber überhaupt Ordnung in ein sich anbahnendes Atomwaffenchaos zu bringen,
sind internationale Absprachen unerläßlich. Wir halten die Ratifizierung dieses Abkommens für ein praktikables Werkzeug, um dieses Ziel zu erreichen. Deshalb gehört auch die Bundesrepublik Deutschland nach meiner Überzeugung als Schwellenmacht, wie es so schön heißt, unbedingt in die Reihe der Länder, die den Vertrag bereits ratifiziert haben.Das deutsche Volk— so erklärte die bereits mehrfach zitierte Regierung der Großen Koalition —weiß sich mit allen Völkern einig, die dauerhaften Frieden wünschen. Seine Sicherung und Festigung ist übergeordneter Gesichtspunkt unserer Politik.Genau darum, meine Damen und Herren, geht es hier und heute, und eben deshalb auch stimmen wir Freien Demokraten dem Vertrag über die Nichtverbreitung und über das Verifikationsabkommen zu.Sie bezweifeln immer die Regierungsfähigkeit und die Geschlossenheit: die Koalition hat die Geschlossenheit, die Opposition hat sie nicht; deshalb ist sie nicht regierungsfähig.
Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat heute eine sehr wichtige Entscheidung zu fällen. Lassen Sie mich bitte deshalb noch einige wenige Feststellungen treffen.Bei den beiden Verträgen, über die heute entschieden wird, geht es darum, daß die Zahl der Atommächte in der Welt so klein wie möglich gehalten wird. Es geht darum, uns dafür zu entscheiden, daß die Basis der Sicherheit in der Welt erweitert wird. Wir wünschen für uns keine nationale Verfügungsgewalt über Kernwaffen; die Bundesrepublik hat das bereits im Jahre 1954 in den Brüsseler Verträgen so festgelegt.
Es geht um die ungehinderte Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke, es geht darum, daß Forschung, Entwicklung und die Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke nicht beeinflußt werden, und es geht darum, daß die Vorteile, die die Kernwaffenstaaten aus der Entwicklung und der Produktion von Kernwaffen für die friedliche nukleare Tätigkeit ziehen, auch den Nichtkernwaffenstaaten zugute kommen. Es geht darum, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir in einer wichtigen Frage nicht in eine weltweite Isolierung geraten, und es geht darum, daß wir in dieser Frage insbesondere mit unserem wichtigsten Verbündeten, nämlich mit den Vereinigten Staaten, übereinstimmen. Es hat eine besonders sorgfältige parlamentarische Beratung gegeben, praktisch seit sechs Jahren. Denn sie hat am 27. April 1967 begonnen, als der damalige Bundesaußenminister der Großen Koalition, Brandt, hier vor dem Hause eine Große Anfrage von CDU/CSU- und SPD-Fraktion beantwortet hat. Ich glaube auch, daß die Ausschußberatung sehr sorgfältig war und in einer sehr sachlichen Atmosphäre stattgefunden hat. Ich möchte sagen, daß die Opposition eine Reihe von wichtigen und guten Gedanken zu dieser Ausschußberatung beigetragen hat.
Die Bundesregierung hat im Laufe der Jahre durch erfolgreiche Verhandlungen und große Anstrengungen beide Verträge annehmbar gestalten können; denn niemand wird bestreiten können, daß im Laufe der Jahre entscheidende Veränderungen eingetreten sind.Die Opposition hat keine einheitliche Haltung. Dieses ist für uns nichts Neues.
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WischnewskiAuch die Bemühungen der letzten Tage haben nicht zum Erfolg geführt.Bei der Abstimmung über die Ostverträge haben Sie durch Stimmenthaltung die Differenzen verdeckt. Bei der Entscheidung über den UNO-Beitritt haben Sie Ihren früheren Fraktionsvorsitzenden gestützt.
Bei der neuen Entscheidung über den Atomsperrvertrag ist die Mehrheit Ihrer Fraktion der Meinung des Fraktionsvorsitzenden nicht gefolgt. Einige Kollegen von Ihnen sagen schon ganz offen, sogar in den Zeitungen: Bei dem Vertrag mit der Tschechoslowakei wird etwas Ähnliches eintreten;
auch hier wird die Opposition auseinanderfallen.
Die Opposition beweist mit Ihrer Haltung wieder einmal, daß sie in den großen außenpolitischen Fragen handlungsunfähig ist.
Wie groß insbesondere in dieser Frage die Differenzen sind, sehen Sie, wenn Sie z. B. die Meinung des außenpolitischen Sprechers des CDU-Parteipräsidiums mit der Meinung des CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag vergleichen, der sich insbesondere zu dieser Frage in der Zeitung, in welcher der Kollege Strauß als Herausgeber verantwortlich zeichnet, besonders produziert hat.
Hier gibt es vier Differenzen.
— Ich meine den Bayernkurier.
In den letzten Tagen sind noch vier Gründe angegeben worden, mit denen diejenigen, die nicht zustimmen wollen, ihre Haltung begründen. Der Kollege Strauß hat gesagt: „Deutsche Atomwaffen oder nicht, diese Frage stellt sich überhaupt nicht." Ich akzeptiere das, stelle hier aber eindeutig fest, daß es mit der Auffassung des Fraktionsvorsitzenden der CSU im Bayerischen Landtag nicht übereinstimmt, der dazu aufgefordert hat, hier sollten Bundestag und Bundesrat dagegen stimmen.
Zweitens. Es ist gesagt worden, seit den Jahren 1966/1967/1968 hat sich die Weltlage verändert. Das stimmt, aber welche Veränderungen sind denn eingetreten?
Im September 1971 ist das amerikanisch-sowjetische Abkommen zur Verminderung der Gefahr un-beabsichtigter Kernwaffenkriege vereinbart worden. Im Mai 1972 sind die beiden Verträge über die Begrenzung von Systemen zur Abwehr ballistischer Raketen und die Begrenzung von strategischen Offensivwaffen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion abgeschlossen worden. Im Mai 1972 ist es zu der Grundsatzerklärung über die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen gekommen, und im Frühjahr 1973 ist zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion das Abkommen über die Verhütung eines Atomkrieges geschlossen worden. Ich will gar kein Wort über KSZE und MBFR sagen. Dieses sind die Veränderungen, die seit die- sen Jahren eingetreten sind.
Es ist als nächstes gesagt worden, das Verhältnis Europas zu den USA hätte sich verändert, verschlechtert. Hier möchte ich sagen, wer glaubt, diesen beiden wichtigen Verträgen nicht zustimmen zu können, muß wissen, daß er entscheidend zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen uns und den Vereinigten Staaten beiträgt.
Als letztes: Wer dem Vertrag nicht zustimmt, muß sich auch darüber im klaren sein, daß das automatisch eine Abwertung der Interpretationen der Vereinigten Staaten bedeutet.
Es ist als nächstes gesagt worden, der Auslegungsstreit mit der Sowjetunion trage dazu bei, daß man nicht zustimmen wolle.
Ich möchte mich auf das berufen, was Herr Gillessen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben hat.
Er hat der Opposition folgendes gesagt:Wenn die Opposition den sowjetischen Interpretationsversuchen des Vertrages, denen die Amerikaner widersprochen haben, zu viel Bedeutung beimißt, hilft sie unfreiwillig mit, sie zu verstärken.Genau dies ist auch unsere Meinung.
Meine Damen und Herren, das Entscheidende ist aber, daß ein Teil von Ihnen gegen den Vertrag stimmen will, aber für das Verifikationsabkommen. Eine solche Entscheidung ist politisch unlogisch.
WischnewskiDas Nichtverbreitungsabkommen ist die Geschäftsgrundlage für das Verifikationsabkommen. Beide müssen in einem engen Zusammenhang gesehen werden. Weil das so ist, beantrage ich namens der beiden Koalitionsfraktionen namentliche Abstimmung, und zwar getrennt über beide Verträge.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Carstens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Feststellung stimme ich dem Herrn Kollegen Wischnewski zu, daß dies nämlich eine wichtige Debatte ist, die wir führen. Ich bedauere es unter diesen Umständen außerordentlich, daß kein Mitglied des Bundeskabinetts an ihr teilnimmt.
Ich bin der Auffassung, daß die dafür gegebene Begründung, jetzt fände eine Kabinettssitzung statt, in keiner Weise ausreicht. Es wäre angemessen gewesen, wenn ein Mitglied des Kabinetts — ich meine zum Beispiel den Bundesminister des Auswärtigen — an dieser Debatte teilgenommen hätte. Ich rüge, daß dies nicht geschehen ist.
Meine Damen und Herren, ich gebe die nachfolgende Erklärung namens aller Mitglieder der CDU/ CSU-Fraktion ab,
sowohl namens derer, die gegen den Vertrag, wie namens derer, die für den Vertrag stimmen. Herr Kollege Wischnewski, nachdem Sie meine Erklärung gehört haben werden, wird sich vielleicht Ihre Sorge um mein weiteres Schicksal als Vorsitzender dieser Fraktion ein wenig vermindert haben.
Ich möchte zunächst eine Reihe von Feststellungen treffen, über die sich alle Mitglieder der CDU/ CSU-Fraktion in vollem Einvernehmen befinden:Alle Mitglieder der Fraktion bekräftigen den Herstellungsverzicht aus dem Jahre 1954, bei dem bekanntlich die Bundesrepublik Deutschland anläßlich ihres Beitritts zum WEU-Vertrag auf die Herstellung nuklearer, bakteriologischer und chemischer Waffen verzichtet hat. Es ist doch vielleicht erlaubt, daran zu erinnern, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, daß Sie damals gegen diesen Vertrag gestimmt haben.
Alle Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU bekräftigen die mehrfach von CDU/CSU-Regierungen in der Vergangenheit ausgesprochene Erklärung, daß die Bundesrepublik Deutschland keine nationale Verfügungsgewalt über Kernwaffen und keinen nationalen Besitz von Kernwaffen anstrebt.
Dritte gemeinsame Feststellung: Alle Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion treten für eine weltweite kontrollierte Abrüstung und insbesondere auch für eine Abrüstung auf dem nuklearen Sektor, auf dem Gebiet der Kernwaffen ein. Herr Kollege Mischnick, es bedurfte nicht dieses düsteren Kolossalgemäldes, das Sie vor unseren Augen hier entfaltet haben. Jeder von uns ist sich des Schreckens der nuklearen Waffen voll bewußt. Nur, Herr Kollege Mischnick, haben Sie gar nicht den Beweis zu führen versucht, daß der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Vertrag die Gefahr des Ausbruchs eines nuklearen Krieges wirklich vermindert.
Alle Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion stimmen darin überein, daß die Erhaltung des Friedens ein vorrangiges Ziel der Politik der Bundesrepublik Deutschland sein muß.Alle Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion haben gegen den Vertrag, der uns vorliegt, erhebliche Bedenken. Ich muß, an die Adresse der drei Herren, die für die Koalitionsfraktion gesprochen haben, gerichtet sagen: Ihre Ausführungen hätten auf mich einen größeren Eindruck gemacht, wenn Sie wenigstens zugegeben hätten, daß auch nach Ihrer Auffassung gegen diesen Vertrag Bedenken bestehen; denn sie sind vorhanden. Es hat keinen Sinn so zu tun, als wären diejenigen, die dafür stimmen, von dem Vertrage als einer in jeder Hinsicht vollkommenen Regelung und Lösung überzeugt. Davon ist er weit entfernt.
— Herr Kollege, ich spreche jetzt wieder als fünfter Redner, nachdem die Regierung und die Regierungskoalition ausführlich Gelegenheit gehabt haben hier zu sprechen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Gelegenheit gäben, ohne Unterbrechung zu sprechen.Meine Damen und Herren, ich möchte eine Reihe der Bedenken vortragen, hinsichtlich derer Einmütigkeit in der Fraktion der CDU/CSU besteht. Dieser Vertrag ist ein ungleicher Vertrag. Lassen Sie uns das doch einmal aussprechen!
Er gibt den Nationen, die Kernwaffen besitzen, im wesentlichen alle Rechte, und er erlegt den Nationen, die keine Kernwaffen besitzen, im wesentlichen alle Pflichten auf.
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, daß das unvermeidlich ist, und daß manche dieser Schwächen, die der Vertrag hat, durch spätere Vereinbarungen gemindert worden sind. Ich werde darauf noch eingehen. Aber die Grundtatsache kann niemand aus der Welt räumen, daß das — ich möchte fast sagen — der typische Fall, das klassische Beispiel eines ungleichen Vertrages ist. Das muß man doch auch vor dem Deutschen Bundestag bei der Debatte über diesen Vertrag sagen dürfen,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5281
Dr. Carstens
ganz einerlei, ob man ihm am Schluß zustimmt oder ihn am Schluß ablehnen will.
— Warten Sie ab, Herr Kollege Pawelczyk, Sie werden noch mehr von mir hören.Der Vertrag erhebt den Anspruch, ein universaler Vertrag zu sein. Das ist der wichtige Zweck, das wichtige Ziel, was mit diesem Vertrag verfolgt worden ist, und auf das der Herr Kollege Mischnick so stark abgehoben hat. Meine Damen und Herren, geben wir uns doch keinen Illusionen darüber hin: dieses Ziel wird nicht erreicht. Es mögen 80 Staaten den Vertrag ratifiziert haben, vier Schwellenmächte — Argentinien, Brasilien, Israel und Indien — haben ihn nicht einmal unterzeichnet und werden ihn nach Lage der Dinge nicht unterzeichnen. So müssen wir — leider, sage ich der Tatsache ins Auge sehen, daß dieser Vertrag seinen wichtigsten Zweck, nämlich die universale Geltung verfehlt.Dafür hat allerdings der Vertrag eine unmittelbare Wirkung im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion. Ich selbst habe in früheren Jahren an den Vorbereitungen und Vorverhandlungen dieses Vertrages intensiv teilgenommen, und ich werde nie den Augenblick vergessen, wo der damalige amerikanische Außenminister Rusk sagte: „Das einzige Ziel, welches die Sowjetunion mit diesen ganzen Vertragsverhandlungen verfolgt, ist die deutsche Unterschrift unter diesen Vertrag."
Meine Damen und Herren, das braucht nicht in sich unbedingt ein Argument gegen die Unterschriftsleistung zu sein. Nur muß man doch erkennen, daß im Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland durch diesen Vertrag eine wiederum vollkommen einseitige Bindung eintritt. Wir binden uns gegenüber der Sowjetunion, und die Sowjetunion ihrerseits übernimmt keinerlei wie immer auch geartete Verpflichtung in einer uns interessierenden Frage, von der man sagen könnte, daß sie uns nützt und uns dient.
Die Unterschrift der Bundesregierung unter den Atomsperrvertrag war der erste Schritt zu weiteren Verträgen, für die man alle etwa diese gleiche Charakterisierung wählen kann, die ich soeben gewählt habe. Sie sind alle dadurch gekennzeichnet, daß die deutsche Seite weitgehende Leistungen, weitgehende Verpflichtungen übernimmt, denen Leistungen oder Verpflichtungen der sowjetischen oder einer anderen östlichen Seite nicht gegenüberstehen.
Der Bundesminister des Auswärtigen hat vor einigen Tagen gesagt, die Regierung — oder er selbst war es wohl mehr — sei enttäuscht über die Entwicklung der Erwartungen, die man mit der Entspannungspolitik verknüpft habe. Dazu kann ich nur sagen: diese Erkenntnis kommt spät, ich würde sagen: sie kommt zu spät. Denn die Leistungen, diedie Bundesrepublik Deutschland inzwischen im Rahmen dieser Entspannungspolitik erbracht hat, sind endgültige und unwiderrufliche Leistungen.Nun will ich auf das Argument eingehen, das hier eben in einem Zwischenruf anklang, nämlich auf die Verpflichtungen, die die Atomstaaten selbst übernehmen. In der Tat wird in Art. VI des Vertrages gesagt, daß sich jede Vertragspartei verpflichtet, „in redlicher Absicht" — es ist schon einmal vorgelesen worden — „Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle".
Dieser Artikel trägt das Datum dieses Vertrages selbst: 1. Juli 1968. Aber sehen wir uns doch bitte einen Augenblick die Wirklichkeit und die Entwicklung an, die sich seitdem vollzogen haben, speziell hier auf dem europäischen Kontinent. Ich würde mich gern auf den Verteidigungsminister, Herrn Leber, berufen, wenn er hier wäre, weil ich hoffe, daß das auf Sie, meine Damen und Herren von der SPD- und von der FDP-Fraktion, immerhin doch noch einen gewissen Eindruck macht.
Das Kräfteverhältnis auf dem europäischen Kontinent hat sich verändert, und zwar zugunsten der Sowjetunion verändert. Die Sowjetunion betreibt seitdem eine massive nukleare Aufrüstungspolitik.
Die Sowjetunion hat ein gigantisches Flottenbauprogramm auf Kiel gelegt. Da können Sie mir doch nicht sagen, meine Damen und Herren, daß in dem von mir soeben verlesenen Art. VI ein irgendwie ins Gewicht fallendes Gegengewicht gegen die Pflichten liege, die die Bundesrepublik mit diesem Vertrag übernimmt.
Man muß sich auch weiter fragen, ob der Zeitpunkt, zu dem die Bundesregierung diesen Vertrag zur endgültigen Beschlußfassung dem Hohen Hause vorlegt, gut gewählt ist. Der Zustand der Atlantischen Allianz ist alles andere als befriedigend. Herr Kollege Mischnick, er ist alles andere als befriedigend nicht zuletzt durch das Verhalten der Bundesregierung selbst. Die Bundesregierung rafft sich ja, das gebe ich zu, in der allgemeinen Lethargie, in der sie sich sonst befindet, gelegentlich zu kraftvollen Äußerungen auf. Nur richten sich diese kraftvollen Äußerungen mit Sicherheit immer an die verkehrte Adresse.
Ich muß sagen, daß die Äußerung, der Protest der Bundesregierung an die Adresse der Vereinigten Staaten während des Nahostkonflikts ein schwerer, ein fundamentaler Fehler der deutschen Außenpoli-
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5282 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. Carstens
tik gewesen ist und natürlich mit Auswirkungen auf die Allianz.Aber auch die europäische Einigung, ein weiterer Eckstein der Politik unseres Landes, befindet sich in keinem guten Zustand. Beide sollen doch — die Allianz und die europäische Einigung — das Gegenstück zu diesem Vertrage bilden.
Es ist oft gesagt worden, daß die Ost-West-Entspannung einem Brückenschlage gleiche, der voraussetze, daß der westliche Brückenpfeiler, auf den man diese Brücke stützen wolle, intakt ist. Gut, ich bin bereit, dieses Bild zu akzeptieren. Aber wenn das richtig ist, dann ist dies doch der schlechteste Moment, den man sich vorstellen kann, um die endgültige Entscheidung über den Vertrag herbeizuführen.Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, an das Verhalten der italienischen Regierung und des italienischen Parlaments einschließlich Ihrer politischen Freunde im italienischen Parlament erinnern. Dort wird zur Zeit nur über das Verifikationsabkommen beraten und entschieden.
Die Entscheidung über den Nichtverbreitungsvertrag ist zurückgestellt worden,
Natürlich werden auch in Italien Überlegungen über diese Frage angestellt, wird darüber debattiert und diskutiert. Aber die Italiener stehen auf dem, wie ich meine, verständlichen Standpunkt: Laßt uns doch zunächst einmal das realisieren, was auf alle Fälle gut ist — Sie werden sehen, daß die Fraktion der CDU/CSU dem Verifikationsabkommen zustimmen wird —, und laßt uns das zweifelhafte und mit vielerlei Bedenken behaftete große Vertragswerk des Nichtverbreitungsvertrages vorerst zurückstellen.
Herr Kollege Bangemann, Sie haben davon gesprochen, daß wir Zweifel ausräumen, den bösen Schein vermeiden und deswegen diesen Vertrag unterschreiben und ratifizieren müßten. Erlauben Sie mir zu sagen, Herr Kollege Bangemann: Das reicht zur Begründung eines so weitreichenden Schrittes nicht aus.
— Ja, ich habe Sie angesprochen, Herr Kollege Bangemann. Ich muß Ihnen eine Zwischenfrage gestatten. Ich bin einverstanden. Bitte schön!
Ich danke Ihnen.
Wären Sie bereit zuzugeben, Herr Kollege Carstens, daß das eine Überlegung war, die ich angestellt habe, und zwar eine unter sehr vielen, die ich lediglich am Schluß meiner Überlegungen, wenn Sie so wollen, noch hilfsweise angeführt habe, um die ganze Spannweite dieser Entscheidung anzudeuten?
Das will ich gerne zugeben, Herr Kollege Bangemann. Nur war es eine sehr schwache Begründung. Daß Sie Zuflucht zu dieser Begründung nehmen mußten, war kein Ausdruck von Stärke für Ihre eigene Argumentation und Ihre eigene Position.
Und, Herr Kollege Bangemann — ich spreche jetzt wirklich in vollem Ernst —, darüber, ob jemand Zweifel an uns hat, entscheiden nicht wir, sondern andere. Wenn wir, um Zweifel anderer an uns auszuräumen, Verträge unterzeichnen und politische Schritte unternehmen müssen, kommen wir nie zu einem für uns ersprießlichen Ende. Wir sollten so viel Selbstbewußtsein in diesem Lande haben,
daß wir wissen, wofür wir einstehen, und daß wir die Dinge, für die wir einstehen, vertreten, auch wenn sie hin und wieder da und dort einmal ein Stirnrunzeln hervorrufen sollten.
Meine Damen und Herren, ich betone noch einmal: Die bisher von mir vorgetragenen Bedenken sind Bedenken, die alle Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion teilen. Wenn ein Teil der Mitglieder der Fraktion, zu denen ich selber auch gehöre, dem Vertrag dennoch ihre Zustimmung geben werden, so geschieht dies aus folgenden Gründen.Dieser Teil der Fraktion bewertet das Verifikationsabkommen positiv. Das tut die ganze Fraktion; aber für diesen Teil der Fraktion hat das Verifikationsabkommen, ich möchte sagen, einen höheren Stellenwert in der Gesamtbewertung, die man vornehmen muß.Hier muß ich Ihnen, Herr Kollege Mischnick, allerdings folgendes sagen. Sie haben davon gesprochen, daß die Erwähnung von Industriespionage in diesem Zusammenhang ein Propagandaknüller des Herrn Kollegen Strauß sei. Damit diskreditieren und desavouieren Sie die jahrelangen intensiven Bemühungen insbesondere der deutschen Wissenschaft, hervorragender deutscher Wissenschaftler,
die nämlich dahin gingen, Industriespionage, die im Zusammenhang mit diesem Vertrag von ihnen und von der deutschen Wirtschaft befürchtet wurde, nach Möglichkeit zu verhindern. Hier sind glänzende Leistungen erbracht worden, aber doch alle auf der Grundlage einer befürchteten Industriespionage. Insofern müssen Sie zugeben, daß dies ein zentraler Punkt bei der Bewertung des Ganzen ist.
Die dem Vertrag zustimmenden Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion sehen auch die Erklärung als ein positives Element an, die die Bundesregierung bei der Ratifizierung des Vertrages abgeben wird und die sich auf die europäische Option bezieht. Durch diese Erklärung soll sichergestellt werden, daß der Nichtverbreitungsvertrag die Entwicklung zu einer europäischen politischen Union in keinem Stadium und in keiner Phase behindern kann. Ich
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5283
Dr. Carstens
möchte ausdrücklich unterstreichen, daß für die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU, die dem Vertrag zustimmen, diese von der Regierung angekündigte Erklärung ein wichtiges Element für ihre Urteilsbildung gewesen ist. Sie legen — und das gilt sicherlich wiederum für die gesamte Fraktion der CDU/CSU — Gewicht darauf, daß diese Erklärung allen Signatarstaaten des Nichtverbreitungsvertrages in gehöriger Form zugeleitet wird. Das möchte ich hier noch einmal ganz deutlich unterstreichen.Schließlich erscheint den zustimmenden Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion die Tatsache von Bedeutung, daß voraussichtlich kein Partner in der NATO und in der Europäischen Gemeinschaft den Vertrag ablehnen wird, mit Ausnahme Frankreichs, welches in dieser Frage eine grundsätzlich andere, aber — darin stimmen wir sicherlich auch alle überein — auf die Lage der Bundesrepublik Deutschland wohl nicht übertragbare Position einnimmt. Die zustimmenden Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion sind der Auffassung, daß ein Nein der Bundesrepublik zum Atomwaffensperrvertrag, wenn es jetzt ausgesprochen würde, größere Nachteile mit sich brächte als eine Zustimmung. Da die Bundesregierung die Zustimmung im jetzigen Zeitpunkt herbeizuführen sucht — unnötigerweise, wie ich gesagt habe, unklugerweise, wie ich gesagt habe —, entscheidet sich dieser Teil der Mitglieder der Fraktion der CDU/ CSU für eine Zustimmung.Aus all dem geht aber, wie ich glaube, hervor, daß — wie immer man sich entscheidet — kein Grund zum Jubeln und kein Grund zu kraftvollen Reden besteht, wie sie hier soeben gehalten worden sind. Herr Kollege Mischnick und Herr Kollege Wischnewski, wenn Sie solche Reden halten, erwecken Sie den Verdacht, daß Sie sich des Ernstes der Situation, vor der wir hier stehen, gar nicht bewußt sind.
Dieser Vertrag ist bestimmt nicht so gut, daß er es verdiente, einstimmig in diesem Hohen Hause verabschiedet zu werden.
Wenn ein Teil der Mitglieder dieses Hohen Hauses mit Nein stimmt, so bringt er damit Bedenken und Zweifel zum Ausdruck, die viele von denen, die mit Ja stimmen werden, teilen. Beide Seiten sollten daher ihre Motive und die Motive der jeweils anderen Seite nicht in Zweifel ziehen. Weder dieser Vertrag noch die anderen Ostverträge reichen aus, um den Frieden zu sichern. Ja, wir müssen der ernüchternden Erkenntnis ins Auge sehen, daß es zweifelhaft geworden ist, ob diese Verträge auf dem Wege zur dauernden Sicherung des Friedens wirklich einen entscheidend en Fortschritt darstellen.Jedenfalls müssen wir erkennen, daß zur Sicherung des Friedens drei Dinge unerläßlich sind: Unsere Bereitschaft, uns selbst zu verteidigen, unsere Entschlossenheit, das Bündnis, das uns Schutz gibt, zu festigen, und unser fester Wille, die europäische Einigung voranzutreiben. Wenn wir in diesem Sinne auseinandergehen, dann mag es von Nutzen gewesen sein, die Debatte über den Atomwaffensperrvertrag zu beenden.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu den einzelnen Fragen des Vertrages namens der Bundesregierung noch einmal Stellung nehme, erlauben Sie mir, Herr Kollege Carstens, daß ich Ihnen persönlich eine Replik zu den Angriffen gebe, die Sie gegen Herrn Minister Scheel und gegen die Bundesregierung gerichtet haben.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Aufmerksamkeit für den Vertreter der Bundesregierung bitten.
Herr Kollege Carstens, es ist Ihnen doch sicherlich bekannt gewesen, wie die auswärtigen Terminverpflichtungen des Bundesaußenministers sind.
Das ist auch dem Hause mitgeteilt worden. Es ist ungewöhnlich, wie Sie wissen, und es ist nur durch diese besondere Woche zu erklären, daß am Mittwochmorgen während der Kabinettsitzung, die immer am Mittwochmorgen stattfindet, der Bundestag zu einer Plenardebatte zusammentritt.
— Ich verstehe Ihre Erregung nicht und verstehe vor allem nicht den Zwischenruf — —
Herr Staalssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Aber sicher! Vielleicht klärt sich dann auch der Sachverhalt leichter.
Herr Kollege Moersch, wenn es eine Terminkollision zwischen
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Dr. Lenz
der Bundesregierung und dem Bundestag gibt oder geben sollte, wer, meinen Sie, sollte dann wem weichen?
Herr Abgeordneter Dr. Lenz, zunächst darf ich einmal allgemein feststellen, daß die Verfassungsorgane gleichgewichtig und gleichberechtigt sind.
Zweitens, Herr Kollege Lenz, das wirkt sich auch--
— Meine Herren, der Blick ins Grundgesetz klärt Sie sicherlich auf.
Zweitens darf ich feststellen, daß aus diesem Grunde seit langer Zeit Absprachen bestehen — weil es eben keine Bevormundung und keine Bevorrechtigung zwischen Bundestag und Bundesregierung gibt —, wonach die Bundesregierung am Mittwochmorgen die Kabinettsitzungen abhält und die Plenarsitzungen des Bundestages am Donnerstag stattfinden.
Da aber morgen ein besonderer Donnerstag ist, hatte der Bundestag sich anders entschieden.
Diese Entscheidung nehmen wir hin. Die Bundesregierung, stelle ich fest, ist hier vertreten. Ob sie so vertreten ist, wie Sie das wünschen, ist eine ganz andere Frage, aber vertreten ist sie jedenfalls.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?
Herr Präsident, ich gestatte dazu keine Zwischenfrage mehr.
Es ist das Recht des Staatssekretärs, Zwischenfragen abzulehnen.
— Der Herr Staatssekretär hat Zwischenfragen doch gerade abgelehnt.
Ich bitte um Verständnis dafür, —
— Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so künstlich erregen in diesem Zusammenhang.
Das ist doch eine Tatsache, die ich hier soeben mitgeteilt habe. Ich hätte kein Wort dazu verloren — ich hatte eine völlig andere Wendung in meinem Manuskript —, wenn nicht der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU dies hier zum Gegenstand der Aussprache gemacht hätte.
Es ist mein Recht, meine Meinung dazu zu sagen.Herr Kollege Carstens, wer hätte kein Verständnis dafür, daß Sie heute morgen das Bedürfnis hatten, einen Konsensus an Beifall zu erzielen, wenn schon der Konsensus in der Sache in Ihrer Fraktion nicht zu erzielen war.
Ich hatte hier den Auftrag von Herrn Minister Scheel, seine Abwesenheit mit der Verpflichtung, die Sie kennen, zu entschuldigen und um Verständnis dafür zu werben.
Ich hatte den Eindruck, meine Damen und Herren, die Sie im Auswärtigen Ausschuß mitgearbeitet haben —
— Meine Damen und Herren, ich verstehe ganz offen gestanden die Zwischenrufe nicht, weil sie doch offensichtlich nicht sachlich, sondern als Störmanöver gemeint sind, und das muß ich hier doch ablehnen.
Ich hatte den Auftrag, den Minister zu entschuldigen,
und ich möchte doch bei dieser Gelegenheit, HerrProfessor Carstens, mit Entschiedenheit den Vorwurf an die Bundesregierung zurückweisen, sie
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5285
Parl. Staatssekretär Moerschhabe einen falschen Zeitpunkt für die Ratifikation dieses Vertragswerks gewählt
und habe das NATO-Bündnis vernachlässigt. Ich glaube, hier sind in anderen Debatten diese Vorwürfe bereits zurückgewiesen worden; solche Vorwürfe werden durch .die Wiederholung nicht richtiger.
— Herr Kollege Marx, Sie waren schon sehr viel einfallsreicher, muß ich Ihnen zugestehen.
Ich darf daran erinnern, daß Herr Scheel in der ersten Lesung zu diesen Gesetzentwürfen gesagt hat — das darf ich gerade auch denen in Erinnerung zurückrufen, die diesem NV-Vertrag nicht zustimmen wollen —:Unserer Überzeugung entspricht es, auf Atomwaffen zu verzichten. Diesen Verzicht vertraglich zu bestätigen, gebietet uns die Vernunft.In diesem Sinne hat ja soeben auch Herr Professor Carstens für das Ja plädiert.In der Zwischenzeit ist dieses Vertragswerk in den Ausschüssen des Bundestages mit großer Gründlichkeit beraten und gewissermaßen bis in die letzten Winkel ausgeleuchtet worden. Die Bundesregierung hat dabei auf drei umfangreiche Fragenkataloge umfassende und oft bis ins letzte technische und juristische Detail reichende Antworten gegeben.Die Grundlage für die Meinungsbildung der einzelnen Abgeordneten der Fraktionen ist nach Auffassung der Bundesregierung in einer umfassenden Weise geschaffen worden. Die Regierungsvertreter — das haben die Vertreter der Opposition und der Koalition anerkennend festgestellt — sind in diesem Verfahren keiner Frage ausgewichen.
Die umfassenden und präzisen Fragen der Abgeordneten beider Gruppen des Hauses haben dazu beigetragen, daß in den Ausschußberatungen manches Mißverständnis, vielleicht auch manche Unklarheit beseitigt werden konnte.Ich darf an dieser Stelle ganz besonders den Abgeordneten danken, die sich aktiv an den Beratungen beteiligt haben, nicht zuletzt den Herren Berichterstattern. An dieser Stelle wünsche ich unserem Kollegen Dr. Birrenbach von hier aus gute Genesung.
Aus dem vorliegenden Bericht der Berichterstatter geht deutlich hervor, daß alle Fraktionen dieses Hauses das Prinzip der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, das dem NV-Vertrag zugrunde liegt, entschieden bejahen. Es besteht also Einigkeit darin, daß die Zahl der Staaten, die über das schrecklichste Massenvernichtungsmittel verfügen, nicht vermehrt werden soll.
— Herr Kollege Dr. Marx, gestatten Sie mir auf Grund Ihres Zurufs hier noch einen kleinen Einschub, und vor allem gestatten Sie, Herr Kollege Dr. Mertes, mir einen Hinweis auf einige Ihrer Ausführungen, die mir der Sache selbst — das ist nun meine Meinung im Gegensatz zu der Ihrigen — nicht ganz gerecht geworden zu sein scheinen. Es entsteht nämlich der Eindruck, daß es Ihnen bei Ihrem Bericht hier nur vordergründig um die Fragen des NV-Vertrags gegangen ist. Sie haben vielmehr, wie ich jedenfalls fand, den Vertrag zum Anlaß genommen, die gesamte westliche Entspannungspolitik indirekt in Frage zu stellen.
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5286 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Parl. Staatssekretär Moersch— Herr Kollege Mertes, ich habe sehr genau zugehört, und meine Mitarbeiter haben es auch getan. Dieser Eindruck ist ein allgemeiner Eindruck, den ich hier wiedergebe. Deshalb fühle ich mich verpflichtet, dazu einige allgemeine Bemerkungen vom Standpunkt der Bundesregierung zu machen. Es ist vergessen worden, Herr Kollege Mertes, daß die wichtigsten Linien unserer heutigen Entspannungspolitik bereits in den Zeiten der Großen Koalition gemeinsam mit unseren westlichen Verbündeten festgelegt worden sind; und, Herr Kollege, Sie wollen doch wohl nicht den Vereinigten Staaten von Nordamerika unterstellen, sie hätten mit der Sowjetunion einen Vertrag ausgehandelt, der den westlichen Sicherheitsinteressen zuwiderläuft.Das überragende Anliegen des Vertrages ist es doch, daß die Zahl der Kernwaffenmächte, also die Zahl der Entscheidungszentren für den Einsatz von Kernwaffen, nicht vermehrt wird. Dieses Ziel hat der Vertrag schon jetzt erreicht. Der Erfolg wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß gewisse Mächte in Krisengebieten den Vertrag noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben. Diese Mächte — das darf ich ausdrücklich sagen — gehören nicht zum westlichen Bündnis.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes?
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist auch Ihnen bekannt, daß in allen westlichen Ländern derzeit eine lebhafte, sehr ernst zu nehmende Diskussion über die Maßstäbe und die Erfolge der westlichen — der amerikanischen, der französischen, der deutschen — Entspannungskonzeption der letzten Jahre stattfindet?
Herr Kollege Mertes, das ist mir bekannt, und es wäre falsch, wenn eine solche Diskussion in freien Staaten nicht stattfände. Aber es geht hier um die gemeinsame Politik der Regierungen, die im westlichen Bündnis vereinigt sind. An dieser Politik hat sich auch die Position der Bundesrepublik Deutschland zu orientieren und nicht an dem, was dankenswerterweise überall diskutiert werden kann.Der NV-Vertrag ist aber auch ein Anliegen dieses Bündnisses aus den Gründen, die ich soeben hier genannt habe, Herr Kollege Mertes. Warum wohl sonst — da muß ich auf falsche Meldungen hinweisen, die in den letzten Tagen erschienen sind, in einem Fall von seiten der Opposition verursacht — hätte der hiesige amerikanische Gesandte uns noch vor wenigen Tagen erklärt — das bitte ich doch diejenigen, die den Vertrag ablehnen möchten, sehr zu beachten —, das Interesse der USA an der Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland sei unvermindert?Herr Kollege Mertes, Sie haben schließlich unsere Stellung im westlichen Bündnis meiner Ansicht nach etwas falsch oder schief eingeschätzt. Um es deutlich zu sagen: Die Bundesrepublik Deutschland kann nicht im Alleingang Sicherheitspolitik betreiben, und sie will es auch nicht.
— Wenn es selbstverständlich ist, freue ich mich, daß ich auf Ihren Zuruf hin ein Mißverständnis habe aufklären können, indem ich das hier noch einmal festgestellt habe.Die Verantwortung der Großmächte — Herr Kollege Mertes, ich muß hier auch auf Zitierungen von Ihnen hinweisen — für die Sicherheit der Welt geht auch aus dem amerikanisch-sowjetischen Abkommen zur Verhinderung eines Atomkrieges vom 22. Juni 1973 hervor.
Dieses Abkommen dient nicht allein der Festigung der bilateralen Sicherheitsinteressen, sondern schließt ausdrücklich die beiderseitigen Verbündeten und dritte Mächte ein. Vielleicht darf ich, damit das endlich klar wird, einmal die entsprechenden Artikel zitieren. In Art. 1 Abs. 2 heißt es:Dementsprechend vereinbaren die Vertragsparteien, sich so zu verhalten, daß die Entstehung von Situationen, die eine gefährliche Verschlechterung dieser Beziehungen verursachen könnten, verhindert wird, daß militärische Konfrontationen vermieden werden und daß der Ausbruch eines Atomkrieges zwischen ihnen sowie zwischen jeder der beiden Vertragsparteien und anderen Ländern ausgeschlossen ist.In Art. 2 des von Ihnen, Herr Kollege Mertes, zitierten Abkommens heißt es:Die Parteien vereinbaren, von der Voraussetzung auszugehen, daß jede Vertragspartei sich in Situationen, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefährden könnten, der Androhung und Anwendung von Gewalt gegenüber der anderen Vertragspartei, gegenüber den Verbündeten der anderen Vertragspartei und gegenüber sonstigen Ländern enthalten wird.Herr Kollege Mertes, ich habe den Eindruck gewonnen, daß unser Problem in der Diskussion vor allem darin besteht, daß die reale Einschätzung der Lage der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich nicht überall möglich ist. Ich glaube, daß das ein Gesamtproblem unseres Verhältnisses zur Umwelt darstellt und daß man von einer solchen nicht ganz realen Einschätzung unserer Lage natürlich zu Fehlbeurteilungen über unsere Möglichkeiten insgesamt kommen wird.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5287
Parl. Staatssekretär MoerschEin Zweites. Herr Kollege Dr. Strauß hat sich jüngst in München zu der Frage der Lieferung von Kernmaterial geäußert und gesagt, die USA würden diese nicht einstellen, falls die Bundesrepublik Deutschland den NV-Vertrag nicht ratifizieren sollte. Auch hier, glaube ich, muß ich zur Aufklärung einiger offensichtlich vorhandener Irrtümer noch einmal den Zusammenhang zwischen Verifikationsabkommen und NV-Vertrag so darstellen, wie er sich aus der Situation politisch ergibt. Wie Sie wissen, meine Herren von der CSU, sind die USA als Vertragsstaat des NV-Vertrages gemäß Art. III Abs. 2 dieses Vertrages verpflichtet, spaltbares Material dritten Staaten zur friedlichen Nutzung nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn das Material im Empfängerland den in Art. III Abs. 1 des Vertrages näher beschriebenen Sicherungsmaßnahmen unterliegt. Das Verifikationsabkommen entspricht, wie schon in seinem langen Titel ausgesagt wird, genau diesen Anforderungen.Nun werden Sie sagen, und das haben Sie ja getan —: Laßt uns doch das Verifikationsabkommen ohne NV-Vertrag ratifizieren! — Das ist zwar leichtsinnig gesagt, aber die Praxis sieht etwas anders aus, da unsere Interessenlage nicht automatisch auch die der übrigen Partner des Verifikationsabkommens ist.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Flämig?
Ja, bitte!
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß diejenigen, die dem Verifikationsabkommen zustimmen und sich damit den Nachteilen der Kontrollen unterwerfen, unlogisch handeln, wenn sie andererseits den Atomwaffensperrvertrag ablehnen, weil dieser nicht nur den Art. VI enthält, sondern auch den Art. IV Abs. 2, der Vorteile bringt, beispielsweise die Verpflichtung aller Unterzeichner, ihre friedliche Nutzung der Kernenergie allen zugänglich zu machen, und, Herr Staatssekretär, ist es eigentlich zutreffend, daß die Bezeichnung „Kontroll- und Überwachungsabkommen" besser wäre als die Bezeichnung „Verifikationsabkommen"?
Das letztere ist sicherlich richtig, aber die andere Bezeichnung ist eingeführt, und wir müssen uns an die Terminologie halten, die die Vertragspartner selbst gewählt haben.Ich darf in der Sache selbst das Problem, das Sie hier angesprochen haben, noch einmal darstellen: Für unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft, die das Verifikationsabkommen mit uns abgeschlossen haben, war die gemeinsame Ratifizierung des NV-Vertrages durch alle Signatarstaaten des Verifikationsabkommens eine selbstverständliche Voraussetzung. Das muß hier noch einmal gesagt werden, weil es von der Opposition offensichtlich nicht durchgängig so gesehen wird. Dieser enge Zusammenhang, meine Damen und Herren von der Opposition, drückt sich in verschiedenen Bestimmungen dieses Abkommens aus: im Titel, in der Präambel, in den Art. 1, 23 und 25, und ist im übrigen auch sachlich begründet.Ob unsere Partner bereit wären, ein Verifikationsabkommen ohne NV-Vertrag zu ratifizieren, ist eine offene Frage. Vieles spricht dafür, daß diese Bereitschaft nicht besteht. Dann müßte unter Umständen ein neues Sicherheitskontrollabkommen — der Kollege Flämig hat darauf hingewiesen — bilateral mit der IAEO beschlossen werden — ohne Euratom, ohne unsere Partner —, und das Ergebnis wären die Aushöhlung Euratoms als Kontrollbehörde, eine schwere Beeinträchtigung des Gemeinsamen Marktes auf dem Gebiet der Kernenergie und die Etablierung von Doppelkontrollen, die wir gerade hatten vermeiden wollen und mit dem Verifikationsabkommen noch erfolgreich vermieden haben.Meine Damen und Herren, eine wesentliche Sorge von Sprechern aller Fraktionen galt in früheren Jahren der Chancengleichheit der deutschen Kernindustrie. Das nun vorliegende Verifikationsabkommen räumt alle wesentlichen Bedenken der deutschen Kernindustrie aus, die für deren Entwicklungsmöglichkeiten durch einen Beitritt zum NV-Vertrag hätten entstehen können. Die einstimmige Zustimmung des Auswärtigen Ausschusses zum Verifikationsabkommen darf von der Bundesregierung als eine Bestätigung ihres beträchtlichen Anteils am Zustandekommen dieses Abkommens betrachtet werden. Mit Genugtuung registrieren wir hierbei die konstruktive Zusammenarbeit der beteiligten Mitgliedstaaten mit der EG-Kommission.Wir sollten dabei auch und gerade darauf verweisen, daß dieses Abkommen, das Euratom und die beteiligten Mitgliedstaaten mit der Internationalen Atomenergiekommission geschlossen haben, die Stellung der Gemeinschaft in einem wichtigen Teilbereich festigt und stärkt. In einer Zeit, in der aus Brüssel nicht nur gute Nachrichten kommen, verdient diese Tatsache, wie wir meinen, besondere Beachtung.Viele der beinahe hundert Fragen in den vier Ausschüssen galten gleichwohl den Auswirkungen der beiden Verträge auf die wirtschaftliche Lage der deutschen Kernindustrie und auf ihre Stellung im internationalen Wettbewerb. Die Bundesregierung hat im einzelnen die Gründe für ihre Überzeugung dargelegt, daß unserer Kernindustrie aus der Annahme des NV-Vertrages keine nennenswerten Nachteile erwachsen können. Unsere wichtigsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt für Kernmaterialien und Ausrüstungen sind — auch soweit sie Kernwaffenstaaten sind — an die Exportregelungen des NV-Vertrages gebunden.Frankreich, das den NV-Vertrag nicht unterzeichnet hat, hat bereits 1968 offiziell erklärt, daß es sich
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5288 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Parl. Staatssekretär Moerschso verhalten werde wie die Staaten, die dem Vertrag beitreten. Es wolle aus einer Sonderstellung keine wirtschaftlichen Vorteile ziehen. Frankreich hat diese Erklärung gegenüber den EG-Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Gemeinschaft anläßlich der Verabschiedung des Mandats für die Verhandlung über das Verifikationsabkommen ausdrücklich bekräftigt.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie noch einmal um Ruhe bitten und darum, daß Sie Gespräche außerhalb des Hauses verlegen.
Japan, das hier ebenfalls schon erwähnt worden ist, das anfangs zu zögern schien, hat sich inzwischen offensichtlich entschlossen, den NV-Vertrag zu ratifizieren. Wir entnehmen dies den eindeutigen Erklärungen des japanischen Ministerpräsidenten und des Außenministers vor dem Haushaltsausschuß des japanischen Oberhauses.
Gespräche mit der IAEO zum Abschluß eines Sicherheitskontrollabkommens sind bereits aufgenommen worden. Die Verpflichtung zur Annahme von Sicherungsmaßnahmen der IAEO, denen wir uns mit der Ratifizierung der beiden Verträge unterwerfen werden, galt zwar nicht für die Kernwaffenstaaten, aber immerhin haben die amerikanische und die britische Regierung schon 1967 verbindlich ihre Bereitschaft erklärt, ihre friedlichen Zwecken dienenden Kernanlagen den Sicherungsmaßnahmen der IAEO zu unterstellen. Beide Staaten verhandeln bereits seit einiger Zeit mit dieser Organisation. Wir können zuversichtlich erwarten, daß die entsprechenden Abkommen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Was Frankreich betrifft, so vertrauen wir auch hier auf seine Erklärung, aus einer Sonderstellung keine wirtschaftlichen Vorteile zu ziehen. Von der Sowjetunion hoffen wir, daß auch sie sich eines Tages bereit finden wird, dem Beispiel der USA und Großbritanniens zu folgen.Die Kosten, die den deutschen Kernanlagen entstehen werden, halten sich in vertretbaren Grenzen. Die Bundesregierung wird im Rahmen der Gemeinschaft dafür eintreten, daß bei den noch anstehenden Einzelregelungen für diesen Bereich die Interessen der deutschen Kernindustrie gebührend berücksichtigt werden.Alles in allem haben wir Grund zu der Annahme, daß uns die Annahme des NV-Vertrages und des Verifikationsabkommens in der künftigen Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie eher Vorteile als Nachteile bringen wird.Der Nichtverbreitungsvertrag, zu dem das Verifikationsabkommen in einem besonderen — ich habe es schon gesagt —, politisch nicht zu trennenden Verhältnis steht, stieß bei den Vertretern der Opposition auf eine Reihe von Bedenken mit unter-schiedlicher Gewichtung. Die Bundesregierung wiederholt daher an dieser Stelle, was von ihr schon einmal festgestellt worden ist. Sie hält diesen multilateralen Vertrag nicht für perfekt, aber sie übersieht auch nicht, daß bei seiner Konzipierung viele Staaten mitgewirkt haben. Es gab zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen über Ausformung und Wirkungsweise, insbesondere des Verbotstatbestandes der Art. II und III. Notwendigerweise war das Verhandlungsergebnis ein Kompromiß.Nun muß auch betont und beachtet werden, daß sich die Bundesrepublik Deutschland in bezug auf diesen Vertrag gegenüber vielen anderen Staaten in einer besonderen, wenn auch gewiß nicht einzigartigen Position befindet. Wir sind kein Kernwaffenstaat, verfügen jedoch über eine hockentwickelte Kernindustrie und gehören zur Spitzengruppe der Staaten, die Kernenergie für friedliche Zwecke nutzen. Auch verteidigungspolitisch befinden wir uns in einer exponierten Lage. Diese hinweisenden Gesichtspunkte können jedoch nicht dazu führen, daß wir uns unserer großen Verantwortung entziehen. Das Nichtverbreitungsprinzip wird von uns nicht nur befürwortet, sondern allen anderen Gesichtspunkten übergeordnet. Insofern ist der Vertrag — darauf habe ich schon verwiesen — eine zwingende Konsequenz aus der Haltung der Bundesrepublik Deutschland, die zugleich mit der Entwicklung eines eigenen Verteidigungsbeitrages gegenüber ihren Verbündeten auf die Herstellung von Kern- und anderen Massenvernichtungswaffen verzichtet hat.Herr Kollege Mertes und Herr Kollege Carstens, nachdem Sie den Bundesaußenminister mit seiner Rede in München zitiert haben,
darf ich mir erlauben, hier ein Zitat zu bringen, das Sie nicht gebracht haben, das aber möglicherweise doch einige Aufklärung gibt, auch über die tatsächliche Lage, in der wir uns befinden.
Herr Scheel hat dort ausgeführt:Die Strategie des Bündnisses und seine abschreckende Wirkung beruht auf dem Zusammenwirken der in der Masse in Europa bereitgestellten konventionellen Streitkräfte und der nuklearen Abschreckungsstreitkräfte.
Seit dem Projekt einer multilateralen Abschreckungsstreitmacht — MLF — haben wir einige zusätzliche Erkenntnisse gewonnen über die Probleme, die durch die Eigenartigkeit nuklearer Abschreckung gegeben sind.Wir haben beispielsweise erfahren, daß die Verfügung und Kontrolle im nuklearen Bereich in Wirklichkeit nicht teilbar sind. Keine souveräne Regierung wird sich die letzte Entscheidung über den Einsatz von Nuklearwaffen auch nur teilweise aus der Hand nehmen lassen, während ein gemeinsamer Oberbefehl über die konven-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5289
Parl. Staatssekretär Moerschtionellen Streitkräfte geradezu unerläßlich ist. Diese Feststellung ist durch den Nichtverbreitungsvertrag, den zu ratifizieren unser Land sich anschickt, zweifellos noch unterstrichen worden.Das ist auch in München ausgeführt worden, und ich meine, es widerlegt manche Befürchtungen, die hier immer wieder aufgekommen sind, obwohl sie längst widerlegt worden waren.Kein verantwortlicher Politiker, der sich intensiv mit unserer Lage befaßt, hat je die Forderung erhoben, wir sollten eine nationale Verfügungsgewalt über Kernwaffen anstreben oder wir sollten uns doch die Option dazu offenhalten. Der eigentliche Kern der von Oppositionsvertretern erhobenen Bedenken konzentriert sich denn auch auf zwei andere Fragen, nämlich auf die Frage: Erlaubt der NV-Vertrag dritten Mächten eine Einflußnahme auf Struktur und Arrangements des Atlantischen Bündnisses? sowie auf die Frage: Behindert der NV-Vertrag das europäische Einigungswerk? Diese Fragen, meine Damen und Herren von der Opposition, sind mit einem klaren Nein zu beantworten. Ich will das hier nicht im einzelnen wiederholen; Sie haben den Bericht der Berichterstatter gelesen und die ergänzenden Bemerkungen heute gehört.Ich darf noch zusammenfassend feststellen, daß der Vertrag in seinen Artikeln I und II das Verbot der Weitergabe bzw. das Verbot der Annahme von Kernwaffen enthält, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Innerhalb des Atlantischen Bündnisses hat keine Weitergabe von Kernwaffen an Nichtkernwaffenstaaten stattgefunden und wird auch künftig nicht stattfinden. Das Bündnis, von dessen Mitgliedern bekanntlich drei, nämlich die USA, Großbritannien und Dänemark, den Vertrag bereits ratifiziert haben, bleibt somit vom NV-Vertrag unbeeinflußt.Es kann auch keine Bestimmung des Vertrages so aus gelegt werden, als behindere sie die weitere Entwicklung der europäischen Einigung, insbesondere die Schaffung einer Europäischen Union mit entsprechenden Kompetenzen. Die Aussicht auf ein Europa, das mehr ist als die Summe seiner einzelnen Nationalstaaten, wird durch den Vertrag nicht verstellt. Die schwierigen, aber unausweichlichen Aufgaben, das neue Europa zu bauen, werden durch den Vertrag nicht behindert, die europäische Option bleibt also offen. Die Bundesregierung hat diese Prämisse bereits in der Erklärung und Note anläßlich der Unterzeichnung des NV-Vertrages am 28. November 1969 niedergelegt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie erneut um etwas mehr Ruhe.
In diesen beiden Dokumenten wies sie auch auf die entscheidende Bedeutung der NATO für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland hin. Sie rief die Verpflichtungen in Erinnerung, die insbesondere den Kernwaffenmächten aus Artikel VI des NV-Vertrages erwachsen, und sie unterstrich ihre Hoffnung, daß im Interesse derwirtschaftlichen und wissenschaftlichen Chancengleichheit
die Vereinigten Staaten, Großbritannien wie auch die anderen Kernwaffenstaaten ihre friedlichen nuklearen Anlagen den Sicherungsmaßnahmen der IAEO unterstellen würden. Die Bundesregierung bekräftigt heute diese Voraussetzungen, unter denen die Bundesrepublik Deutschland Vertragspartei wird; sie wird dies auch in geeigneter Weise nach außen tun.
Wie wir soeben gehört haben, sind Teile der Opposition trotz alledem nicht bereit, dem NV-Vertragsgesetz zuzustimmen. Diese Kollegen bitte ich, zu bedenken, daß uns eine Nichtratifizierung wirklich keinen Vorteil bringen würde. Wir können an der Ausgangslage der EG und NATO, die durch die Ratifikation des Vertrages durch jeweils drei unserer Partner vorgegeben ist, nichts ändern. Auch der Vertragstext, der nicht zuletzt durch unsere Bemühungen manche Verbesserungen gegenüber den ersten Entwürfen erfahren hat und inzwischen von 105 Staaten durch Unterzeichnung, Ratifikation oder Beitritt gebilligt wurde, steht nicht mehr zur Disposition.Dagegen könnte eine Nichtratifizierung des Vertragswerkes der Bundesrepublik Deutschland erhebliche Nachteile bringen. Dabei denke ich zunächst an unser Verhältnis zu den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und zu den NATO-Partnern, das ernsten Schaden nehmen könnte. Ich denke weiter an die empfindliche Schwächung der Europäischen Gemeinschaft selbst, vor allem Euratoms, dessen integrationspolitsche Bedeutung gerade durch den Abschluß des Verifikationsabkommens nachdrücklich unterstrichen wurde. Wir würden die Versorgung der deutschen Kernindustrie mit spaltbarem Material gefährden. Wir müßten auf jeden Fall ein neues Sicherungsabkommen — vermutlich allein — mit der IAEO aushandeln — mit allen nachteiligen politischen und wirtschaftlichen Folgen.Ich denke schließlich aber auch an eine Belastung unserer Beziehungen zu den Staaten des Warschauer Paktes und die Gefahr, daß wir uns in Ost und West dem Verdacht aussetzen, wir wollten uns vielleicht doch in den Besitz von Kernwaffen bringen. Auch die Politik der Entspannung, die wir gemeinsam mit unseren Verbündeten betreiben und die im Atlantischen Bündnis konzipiert worden ist, könnte dadurch einen erheblichen Rückschlag erleiden.
Die Nichtratifizierung des Vertragswerks würde unserem Ansehen in der Welt, unserer Glaubwürdigkeit im Bereich der Rüstungskontrollpolitik, unseren Sicherheitsinteressen und den wohlverstandenen außen- und wirtschaftspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland insgesamt schaden.
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5290 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Parl. Staatssekretär MoerschIch bitte Sie deshalb, meine Damen und Herren vom Deutschen Bundestag, um Ihre Zustimmung zu den beiden Vertragsgesetzen.
Wünscht noch ein Mitglied des Hauses das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die verbundene Aussprache.Zur Schlußabstimmung zu beiden Gesetzentwürfen ist von der Fraktion der SPD namentliche Abstimmung beantragt. Es sind für alle Abgeordneten drei Kästen aufgestellt. Zu meiner Linken steht der Kasten für Ja-Stimmen, zu meiner Rechten der Kasten für Nein-Stimmen, in der Mitte der für Enthaltungen. Die Berliner Abgeordneten werfen ihre Abstimmungskarten, die bekanntlich eine andere Form haben, in die gleichen Urnen ein wie die voll stimmberechtigten Mitglieder des Hauses.Ich komme nunmehr in zweiter Beratung zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift. Ich verbinde damit die Schlußabstimmmung. Ich eröffne die Abstimmung. Wir stimmen jetzt über den Nichtverbreitungsvertrag selbst ab, den Hauptvertrag.Meine Damen und Herren, das Abstimmungsergebnis ist folgendes. Von den uneingeschränkt stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 355 mit Ja gestimmt, 90 mit Nein; keine Enthaltung und keine ungültige Stimme. Das sind 445 abgegebene Stimmen.Von den Berliner Abgeordneten haben 15 mit Ja,7 mit Nein gestimmt; keine Enthaltung und keine ungültige Stimme. Das sind 22 Stimmen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 445 und 22 Berliner Abgeordnete; davonJa: 355 und 15 Berliner AbgeordneteNein: 90 und 7 Berliner AbgeordneteJa SPDAhlersDr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt AugsteinBaackBäuerle Barche BahrDr. BardensBatzDr. BayerlBecker Dr. Beermann BehrendtBerkhan BiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von BothmerBrandtBrandt BredlBrückBuchstallerBüchler Büchner (Speyer) Dr. von Bülow BuschfortDr. Bußmann ColletConradiCoppikFrau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi DürrDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersDr. EpplerEwenDr. Farthmann FiebigFlämigFrau Dr. FockeFranke FrehseeFriedrich GanselGeigerGerstl
GertzenDr. Geßner Glombig Dr. Glotz Gnädinger Grobecker Grunenberg Dr. Haack HaarHaase
Haase HaehserDr. Haenschke Halfmeier HansenHauckDr. Hauff HenkeHeroldHöhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau Huber Huonker ImmerJahn
JaschkeJaunichDr. Jens Junghans JunkerKaffkaKahn-AckermannKernKoblitzKonradKratzDr. Kreutzmann Krockert Kulawig Lambinus LattmannDr. LauritzenLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeLöbbertDr. Lohmar LutzMahneMarquardt Marschall Matthöfer Frau MeermannDr. Meinecke Meinicke (Oberhausen) MetzgerMöhringMüller Müller (Mülheim) Müller (Nordenham) Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert NagelNeumann Dr.-Ing. Oetting OffergeldFrau Dr. OrthFreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. PennerPensky Polkehn Rapp
Rappe RavensReiserFrau Renger ReuschenbachRichterFrau Dr. Riedel-Martiny RohdeSander SaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchonhofenSchreiberSchulte
Dr. SchweitzerDr. SchwenckeSeefeld Seibert Simon SimpfendörferDr. SlottaDr. SperlingSpilleckeStaak
Stahl
Dr. StienenSuckSundFrau Dr. TimmTönjes UrbaniakVahlbergVitVogelsangWalkhoffWaltematheWaltherDr. Weber
Wehner Wende Wendt Dr. WernitzWestphalDr. WichertWiefel WienandWilhelmWischnewskiDr. de WithWittmann .. WolfWolfram Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Dübber
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5291
Vizepräsident Dr. Jaeger EgertFrau GrützmannHeyenLöfflerMattickDr. SchellenbergFrau SchleiSchwedlerSieglerschmidtWurcheCDU/CSUDr. Arnold Dr. ArtzingerDr. Becker BergerDr. von BismarckDr. BlümBraunBreidbach BremerBremmDr. Carstens Dammvan Delden DreyerEigenEilers EntrupDr. Erhard ErnestiDr. Evers FerrangFranke
Dr. Frerichs Dr. FrühGerster
Dr. Gölter Dr. Gruhl Härzschel Dr. Hammansvon Hassel Hauser
Dr. HeckDr. HornhuesHorstmeier Frau HürlandDr. JenningerJostenKatzerKiepDr. Klein
Dr. Klein
Dr. Klepsch Dr. Kliesing Dr. Köhler
Dr. Köhler KrampeDr. Kraske Kroll-SchlüterLeichtLinkLöherDr. LudaDr. MarxMaucherMickDr. Mikat MilzMöller
Müller
Dr. Müller-HermannFrau Dr. Neumeister NordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaßPfeiferPierothPohlmann Dr. PrasslerRawe ReddemannFrau Dr. Riede
Dr. RitzRollmannRommerskirchenRoser Russe Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchmitt
Schmitz
Dr. Schröder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Seiters
SickSolkeDr. Stark
Dr. StavenhagenFrau StommelSusset Thürk TillmannDr. TodenhöferVeharFrau VerhülsdonkVogel
Vogt VolmerDr. Waffenschmidt ,Dr. Wagner
Frau Dr. WalzWawrzikWeber
Dr. Freiherrvon WeizsäckerWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WolfBaron von WrangelZinkBerliner AbgeordneteDr. Gradl Müller
FDPDr. BangemannBaumDr. BögerChristEngelhardErtlFrau FunckeGallusGeldnerGenscherGroß GrünerDr. HirschHölscherHoffieJung Kirst KleinertKrall LogemannFrau LüdemannDr. Dr. h. c. Maihofer MischnickMöllemannMoerschOlleschOpitzSchmidt
von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. Wendig WurbsZywietzBerliner Abgeordneter HoppeNeinCDU/CSUDr. Abelein Albervon Alten-NordheimDr. AlthammerBaierDr. Becher
Frau Benedix Bewerunge BiecheleBiehlevon BockelbergBöhm BurgerCarstens
Dr. CzajaDr. Dollinger Dr. Dregger EngelsbergerErhard Dr. EyrichFreiherr von FircksDr. FranzDr. FuchsGeisenhofer Gerlach GewandtGierenstein Dr. GötzHaase
Dr: Häfele HandlosHauser
Dr. Hauser (Sasbach) Höcherl
HöslDr. Hupka HussingDr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn Dr. JobstDr. KempflerKiechlekösterDr. KreileDr. Kunz LagershausenLemmrichDr. Lenz LenzerDr. MendeDr. Mertes
Dr. MiltnerDr. Müller
Dr. Narjes NiegelPfeffermann PicardDr. Probst RainerDr. Riedl
Dr. Ritgen RöhnerSauer
Sauter
Frau Schleicher SchmidhuberSchmöleDr. SchneiderFrau Schroeder Dr. Schulze-Vorberg SpilkerSprangerGraf StauffenbergStraußStücklen Frau TüblerWagner
Dr. Waigel Dr. WallmannDr. Warnke Windelen WissebachDr. Wittmann Dr. WörnerDr. Zeitel ZeyerZieglerDr. Zimmermann ZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Kunz
Frau PieserDr. Schulz Straßmeir WohlrabeDamit ist der Nichtverbreitungsvertrag angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über das Verifikationsabkommen unter Punkt 3 der Tagesordnung. Ich rufe Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf und verbinde diese Abstimmung mit der Schlußabstimmung. Sie ist wieder namentlich und wird in der gleichen Weise durchgeführt wie soeben.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über das Verifikationsabkommen bekannt. Von den uneingeschränkt stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben mit Ja gestimmt 444. Keine Neinstimme, keine Enthaltung, keine ungültige Stimme; insgesamt also auch 444 abgegebene Stimmen.
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5292 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Vizepräsident Dr. JaegerVon den Berliner Abgeordneten haben mit Ja gestimmt 21, mit Nein 1. Keine Enthaltungen, keine ungültige Stimme; insgesamt 22 abgegebene Stimmen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 444 und 22 Berliner Abgeordnete;davonJa: 444 und 21 Berliner AbgeordneteNein: 1 Berliner AbgeordneterJa SPDAhlersDr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt AugsteinBaackBäuerle Barche BahrDr. BardensBatzDr. BayerlBecker BehrendtBerkhan BiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt BredlBrückBuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von Bülow BuschfortDr. BußmannCollet CoppikFrau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi DürrDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersDr. EpplerEwenDr. FarthmannFiebig FlämigFrau Dr. Focke Franke FrehseeFriedrichGansel GeigerGerstl GertzenDr. GeßnerGlombigDr. GlotzGnädingerGrobeckerGrunenbergDr. Haack HaarHaase
Haase HaehserDr. HaenschkeHalfmeier HansenHauckDr. Hauff HenkeHeroldHöhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau Huber Huonker ImmerJahn
JaschkeJaunichDr. Jens Junghans JunkerKaffkaKahn-AckermannKernKoblitzKonradKratzDr. Kreutzmann Krockert Kulawig Lambinus LattmannDr. LauritzenLeberLemp.LendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeLöbbertDr. Lohmar LutzMahneMarquardt Marschall Matthöfer Frau MeermannDr. Meinecke Meinicke (Oberhausen) MetzgerMöhringMüller Müller (Mülheim) Müller (Nordenham) Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert NagelNeumann Dr.-Ing. Oetting OffergeldFrau Dr. OrthFreiherrOstman von der LeyePawelczykPeiterDr. PennerPensky Polkehn Rapp
Rappe RavensReiserFrau RengerReuschenbachRichterFrau Dr. Riedel-Martiny RohdeSander SaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchonhofenSchreiberSchulte
Dr. SchweitzerDr. SchwenckeSeefeld Seibert Simon SimpfendörferDr. SlottaDr. SperlingSpilleckeStaak
Stahl
Dr. StienenSuckSundFrau Dr. TimmTönjes UrbaniakVahlbergVitDr. Vogel VogelsangWalkhoffWaltematheWaltherDr. Weber
Wehner Wende Wendt Dr. WernitzWestphalDr. WichertWiefel WienandWilhelmWischnewskiDr. de WithWittmann WolfWolfram Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Dübber EgertFrau GrützmannHeyenLöfflerMattickDr. SchellenbergFrau Schlei Schwedler SieglerschmidtWurcheCDU/CSUDr. Abelein Albervon Alten-NordheimDr. AlthammerDr. Arnold Dr. Artzinger BaierDr. Becher
Dr. Becker
Frau BenedixBergerBewerunge BiecheleBiehleDr. von BismarckDr. Blümvon BockelbergBöhm
BraunBreidbach BremerBremmBurgerCarstens
Dr. Carstens Dr. CzajaDammvan Delden Dr. DollingerDr. Dregger DreyerEigenEilers EngelsbergerEntrupDr. ErhardErhard ErnestiDr. Evers Dr. Eyrich FerrangFreiherr von Fircks Franke
Dr. Franz Dr. Frerichs Dr. FrühDr. FuchsGerlach Gerster (Mainz) GewandtGierenstein Dr. Gölter Dr. GötzDr. Gruhl Haase
Dr. Häfele Härzschel Dr. HammansHandlosvon Hassel Hauser
Hauser (Krefeld)
Dr. Hauser
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5293
Vizepräsident Dr. Jaeger Dr. HeckHöcherl HöslDr. HornhuesHorstmeierFrau HürlandDr. HupkaHussing Dr. JaegerJäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJosten Katzer Dr. KempflerKiechle KiepDr. Klein
Dr. Klein
Dr. KlepschDr. KliesingDr. Köhler
Dr. Köhler KösterKrampeDr. KraskeDr. KreileKroll-SchlüterDr. Kunz LagershausenLeicht LemmrichDr. Lenz LenzerLinkLöher, Dr. LudaDr. MarxMaucherDr. MendeDr. Mertes MickDr. MikatDr. MiltnerMilzMöller
Dr. Müller Müller (Remscheid)Dr. Müller-HermannDr. NarjesFrau Dr. Neumeister NiegelNordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaß PfeffermannPfeifer Picard Pieroth PohlmannDr. PrasslerDr. ProbstRainer RaweReddemannFrau Dr. Riede
Dr. Riedl
Dr. RitgenDr. Ritz Röhner RollmannRommerskirchenRoser Russe Sauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchedlFrau Schleicher SchmidhuberSchmitt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderFrau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Dr. Schulze-Vorberg Seiters
SickSolkeSpilkerSprangerDr. Stark Graf Stauffenberg Dr. StavenhagenFrau StommelStraußStücklenSussetThürkTillmannDr. TodenhöferFrau TüblerVeharFrau Verhülsdonk Vogel VogtVolmerDr. Waffenschmidt Wagner Dr. Wagner (Trier) Dr. WaigelDr. WallmannFrau Dr. WalzDr. WarnkeWawrzikWeber Dr. Freiherrvon Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWindelenWissebachDr. Wittmann Dr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von Wrangel Dr. ZeitelZeyerZieglerDr. Zimmermann ZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. Gradl Kunz
Müller
Frau Pieser Straßmeir WohlrabeFDPDr. BangemannBaumDr. BögerChrist EngelhardErtlFrau FunckeGallusGeldnerGenscherGroß GrünerDr. HirschHölscherHoffie Jung Kirst KleinertKrall LogemannFrau LüdemannDr. Dr. h. c. Maihofer MischnickMöllemannMoerschOlleschOpitzSchmidt von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. Wendig WurbsZywietzBerliner Abgeordneter HoppeNein CDU/CSUBerliner Abgeordneter Dr. Schulz
Das Verifikationsabkommen ist angenommen.Nach Erledigung der Punkte 2 und 3 der Tagesordnung erteile ich das Wort zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Sitzung des Bundestages am 15. Februar 1974 hat der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Abgeordneter Günther Metzger, auf eine Zwischenfrage von mir folgendes erklärt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten drei kurze Zitate bringen —: Erstens:
... Sie sind ja bekannt dafür, daß Sie mit Fälschungen arbeiten.
Zweitens:
Was Sie eben gesagt haben, ist genau so eine Fälschung.
Drittens:
Ich weiß genau, daß Sie sehr empfindlich sind, wenn man Ihnen nachweist, daß Sie Fälschungen begehen oder Verleumdungen — —
Diese Behauptungen entsprechen in keinerlei Hinsicht der Wahrheit, sondern sind aus der Luft gegriffene Erfindungen, die auf den zurückschlagen müssen, der sie ausgesprochen hat.
Die in meiner Zwischenfrage angesprochene Tatsache, daß sechs Elmshorner Sozialdemokraten, davon drei Vorstandsmitglieder und ein Kandidat für die Kommunalwahl, einen Wahlaufruf der Deutschen Kommunistischen Partei unterschrieben haben, ist in vollem Umfang zutreffend. Ich werde mir erlauben, Herrn Kollegen Metzger im Anschluß an meine Darstellung eine Notiz zu geben, einen Artikel der „Kieler Nachrichten" vom 2. Februar 1974, aus dem hervorgeht, daß selbst Sozialdemokraten aus Elmshorn diesen Sachverhalt genau bestätigen.
5294 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Gerster
Ich halte es für eine Ungeheuerlichkeit — meine Achtung vor diesem Hohen Hause verbietet es mir, deutlicher zu werden —, mir ohne die Spur eines Beweises das Arbeiten mit Fälschungen nachzusagen und sogar den Eindruck zu erwecken, daß mir bereits Fälschungen nachgewiesen worden seien. Diese Anschuldigungen sind so absurd und gleichzeitig ehrabschneidend, daß ich nicht verstehen kann, daß sich ein Politiker, der ein verantwortlicher Politiker sein will, zu solchen Äußerungen hinreißen lassen kann.
Ich fordere Herrn Abgeordneten Metzger mit aller Entschiedenheit auf, seine nicht beweisbaren Behauptungen zurückzunehmen. Der Schutz, der Herrn Abgeordneten Metzger durch die Verfassungsgrundsätze der Immunität und Indemnität gewährt ist, verpflichtet ihn, wie ich meine, in besonderer Weise, seine Anschuldigungen unverzüglich, und zwar hier an dieser Stelle, in vollem Umfang zurückzunehmen.
Auf Wunsch der Frau Bundestagspräsidentin wird die Sitzung bis 13.30 Uhr unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Punkt auf:
Bericht der Bundesregierung aus der Kabinettsitzung
Dazu darf ich Ihnen zunächst folgendes mitteilen. Sie erinnern sich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß wir, durch eine Regelung vom 21. Januar 1974 bekanntgemacht, die Berichterstattung der Bundesregierung aus der Kabinettsitzung eingeführt haben und dabei vorsahen, daß e i n Komplex behandelt wird, für den dann in der gesamten Abwicklung eine Zeit von etwa 55 Minuten benötigt wird.
Auf Wunsch der Bundesregierung werden heute drei Komplexe behandelt. Über die Frage der dadurch geänderten bisherigen Regelungen hat das Präsidium in der kurzen Mittagspause beraten und sich mit der Erweiterung der bisherigen Regelung befaßt. Für das Präsidium darf ich Ihnen mitteilen, daß wir der Meinung sind, daß sich infolge der wesentlichen Änderung der bisherigen Regelung der Ältestenrat mit dieser Frage möglichst bald erneut befassen muß, daß wir aber infolge der interfraktionellen Verständigung, die im Laufe des späten Vormittags erzielt worden ist, die heutige Berichterstattung ohne Präjudiz auf der Grundlage der am späten Vormittag getroffenen Vereinbarung durchführen.
Dabei ist folgendes vorgesehen. Die Bundesregierung wird zu drei Themen Bericht erstatten, und zwar der Bundesminister Arendt zur Frage der Mitbestimmung, der Herr Bundesminister Professor Maihofer zur Frage der Vermögensbildung und der
Herr Bundesminister Jahn zur Frage des Kündigungsschutzes. Die Bundesregierung hat ihre Berichte insgesamt in 20 Minuten zusammen zu erstatten, wobei es ihre Sache ist, wie sie diese 20 Minuten aufteilt. Danach werde ich jeden einzelnen dieser drei Komplexe mit jeweils zehn Minuten Fragemöglichkeit für das gesamte Plenum an die Bundesregierung aufrufen. Danach wird die Opposition die Möglichkeit haben, Stellung zu nehmen, danach die Regierungsparteien. Die Gesamtzeit für die Stellungnahme der Opposition zu allen drei Komplexen beträgt 20 Minuten. Sie kann davon 15 Minuten im ersten Komplex konsumieren, dann bleiben für die anderen beiden nur noch fünf Minuten; gleiches gilt für die Regierungsparteien.
Ich darf Sie bitten, dem amtierenden Präsidenten die Durchführung dieser etwas komplizierten Stunde zu erleichtern, und darf zunächst einmal den ersten Teil unseres Unternehmens, nämlich die Berichterstattung der Bundesregierung, aufrufen.
Ich erteile dazu das Wort Herrn Bundesminister Arendt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Kabinett hat in seiner heutigen Sitzung den Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer verabschiedet. Damit hat die Bundesregierung die Verwirklichung eines ihrer wichtigsten innenpolitischen Vorhaben für diese Legislaturperiode eingeleitet.
Sie hat mit der Vorlage zugleich ihre Ankündigung in ihrer Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 erfüllt. Mit der Einführung einer gleichberechtigten und gleichgewichtigen Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen von Kapitalgesellschaften mit mehr als 2 000 Arbeitnehmern soll nach dem Willen der Bundesregierung nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und dem Personalvertretungsgesetz aus dem Jahre 1974 ein dritter Eckpfeiler für den Ausbau unseres freiheitlichen Sozialstaates gesetzt werden.Die neue Mitbestimmungsregelung soll den Arbeitnehmern über den innerbetrieblichen Bereich hinaus auch eine verantwortliche Teilnahme an den Willenbildungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen ermöglichen. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes wird in den Bemühungen um mehr Mitbestimmung im Unternehmensbereich, die mehr als 20 Jahre lang keinerlei greifbare Ergebnisse gebracht haben, endlich ein Durchbruch erzielt sein.Die tragenden Gesichtspunkte der vom Bundeskabinett verabschiedeten Mitbestimmungsregelung sind: 1. eine gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern. Dieser Grundsatz, der in der paritätischen Besetzung von Vertretern beider Seiten im Aufsichtsrat zum Ausdruck kommt, wird unter Beachtung der Funktionsfähigkeit der Unternehmen auch bei der Gestaltung der Einzelregelungen gewahrt.2. An der Ausübung der Mitbestimmung werden auch die Vertreter der überbetrieblich organisierten
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Bundesminister ArendtArbeitnehmerschaft, die Gewerkschaften nämlich, beteiligt.3. In die Mitbestimmungsregelung werden alle Arbeitnehmer des Unternehmens einbezogen. Dazu gehören neben den Arbeitern und Angestellten auch die leitenden Angestellten.4. Die Mitbestimmung wird unter weitgehender Beibehaltung des geltenden Gesellschaftsrechts eingeführt. Die angestrebte umfassende Neugestaltung des Gesellschafts- und Unternehmensrechts ist eine längerfristige Aufgabe, die zur Zeit durch eine beim Bundesminister der Justiz gebildete Sachverständigenkommission vorbereitet wird.Meine Damen und Herren, die Konzeption des Entwurfs sieht in ihren wichtigsten Punkten folgendes vor. In Unternehmen mit mehr als 2 000, aber weniger als 10 000 Arbeitnehmern wird sich der Aufsichtsrat aus 12 Mitgliedern zusammensetzen, darunter sechs Vertretern der Arbeitnehmer, vier unternehmensangehörigen Arbeitnehmern und zwei Vertretern der Gewerkschaften. In Unternehmen bis zu 20 000 Arbeitnehmern wird der Aufsichtsrat aus 16 Mitgliedern bestehen, darunter acht Vertretern der Arbeitnehmer, sechs unternehmensangehörigen Arbeitnehmern und zwei Vertretern der Gewerkschaften. In Unternehmen mit mehr als 20 000 Arbeitnehmern wird der Aufsichtsrat 20 Mitglieder haben, darunter 10 Vertreter der Arbeitnehmer, nämlich sieben unternehmensangehörige und drei Vertreter der Gewerkschaften.Alle Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden gewählt. Die Wahl erfolgt nach dem bewährten Vorbild des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes von 1956 durch Wahlmänner der Belegschaft. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates und sein Stellvertreter können nicht beide derselben Seite im Aufsichtsrat angehören. Falls sie nicht mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitgliedern des Aufsichtsrats gewählt werden, wechseln sie sich alle zwei Jahre im Vorsitz und im stellvertretenden Vorsitz ab.Aus Gründen der Gleichgewichtigkeit wird auf ein neutrales Mitglied im Aufsichtsrat verzichtet. Die Mitglieder des Vorstands werden vom mitbestimmten Aufsichtsrat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln gewählt. Falls diese Mehrheit nicht erreicht wird, genügt in einem zweiten Wahlgang die einfache Mehrheit.Im allgemeinen werden nach diesen beiden Wahlgängen die Mitglieder des Vorstands bestellt sein. Sofern dies ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, sieht der Entwurf im Interesse der Funktionsfähigkeit des Unternehmens noch zwei weitere Wahlgänge vor. Dadurch soll auf alle Fälle sichergestellt werden, daß das Unternehmen nicht ohne Leitung ist. Nach zwei erfolglosen Wahlgängen hat der Vorstand einen Vorschlag für die Bestellung zu machen. Findet auch dieser Vorschlag im Aufsichtsrat keine Mehrheit, so haben der Vorsitzer des Aufsichtsrates und der Stellvertreter einen gemeinsamen Vorschlag oder je einen Vorschlag für die Bestellung zu machen. Über diese Vorschläge entscheidet in einemnotwendig werdenden vierten Wahlgang schließlich die Hauptversammlung.
Ein Mitglied des Vorstandes muß vorwiegend für Sozial- und Personalangelegenheiten zuständig sein.
Dieses Vorstandsmitglied hat im übrigen die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Vorstandsmitglieder.Die Montan-Mitbestimmung und auch die EinDrittel-Mitbestimmung für kleinere Unternehmen nach dem Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahre 1952 bleiben erhalten.
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Maihofer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat in seiner heutigen Sitzung außerdem die Grundlinien eines Vermögensbeteiligungsgesetzes beschlossen, mit dem, getreu der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973, breitere Schichten unserer Bevölkerung am Zuwachs des Produktivvermögens der Großunternehmen beteiligt werden sollen. Dieses Vermögensbeteiligungsgesetz müssen Sie einerseits im Zusammenhang mit den schon bestehenden Vermögensbildungsgesetzen sehen, die zwar zu erheblichen Ansammlungen von Geldvermögen, vor allem auch in Arbeitnehmerhand, geführt haben, nicht aber zu einer nennenswerten Beteiligung breiterer Schichten am Produktivvermögen unserer Wirtschaft. Sie müssen dieses Gesetz andererseits aber auch im Zusammenhang mit der Körperschaftsteuerreform sehen, durch die den Altbesitzern von Beteiligungswerten über 1 Milliarde DM Steuererleichterungen verschafft werden sollen um zusätzliche Anreize durch die Abschaffung der Doppelbesteuerung von Aktien für die Anlage von Vermögen in Beteiligungswerten, vor allem etwa in Belegschaftsaktien, zu schaffen.Alle diese Wege der Vermögensbildung erscheinen der Bundesregierung unzureichend. Deshalb hat sie zusätzlich zu diesen Lösungen in einem solchen Vermögensbeteiligungskonzept den Anfang gesetzt für einen Einstieg aller der Schichten unserer Bevölkerung, die weder aus den Margen ihres Einkommens noch aus der Mentalität ihres Herkommens den Einstieg in Beteiligung am Produktivvermögen und in daraus fließende Besitzeinkommen finden würden. Die Bundesregierung will durch eine gesetzgeberische Lösung diesen Zugang zum Kapitalbesitz in unserer Wirtschaft vermitteln. Ihre Lösung sieht erstens vor, daß jährlich ein Aufkommen von etwa 5 Milliarden DM ab 1976 an einen Berechtigtenkreis — zweitens fließen soll, der mit dem Begriff der
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5296 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer„Erwerbstätigen" umschrieben ist, also die Arbeitnehmer einschließlich der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die Freiberuflichen und die Selbständigen umfassen soll, und zwar unterhalb einer Einkommensgrenze von 36 000 DM für jeden Erwerbstätigen und 54 000 DM für Verheiratete, von denen nur ein Ehepartner erwerbstätig ist, zuzüglich 9 000 DM für jedes nicht erwerbstätige Kind, sofern die Berechtigten keine Vermögensteuer zahlen.Drittens: Bemessungsgrundlage ist der gewerbliche Gewinn von Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und Einzelunternehmen, und zwar mit einem Abgabesatz — viertens — von 400 000 DM des nach Betriebsteuern verbleibenden gewerblichen Gewinns unter Einräumung eines zusätzlichen Freibetrages von 100 000 DM für Personengesellschaften und Einzelunternehmen als einer Art Rechtsformenausgleich für derartige Unternehmen.Durch eine solche Lösung werden von den etwa eineinhalb Millionen Betrieben in der Bundesrepublik nicht ganz 30 000 erfaßt. Das sind etwa 1,8 % der Unternehmen unserer Wirtschaft, wobei 98,2 % frei bleiben, frei auch für innerbetriebliche Vermögensbeteiligungen auf freiwilliger Grundlage.Die Abgabe auf Grund solcher Bemessungen soll — fünftens — auf zweifache Weise erfolgen, einmal durch die Ablieferung börsennotierter Aktien, zum anderen durch Leistung in bar, wobei durch eine Bonus-Malus-Regelung ein hoher Anreiz geschaffen werden soll, daß die Abführung von Beteiligungswerten die Regel, die Ablösung in bar die Ausnahme bleibt. Hier wird die Bundesregierung, wie Sie einer Fußnote der Grundlinien entnehmen können, noch zusätzliche Anstrengungen unternehmen und bis an die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen gehen, um die Naturalabgabe von börsennotierten Aktien für die in Frage kommenden Unternehmen festzulegen und zugleich eine Bonus-Malus-Regelung zu finden, die auch für den übrigen Bereich der erfaßten Unternehmen die Abführung von Beteiligungswerten zum Regelfall macht.Sechstens: Eine Anrechnung von Leistungen etwa nach dem 624-DM-Gesetz oder von innerbetrieblichen Vermögensbeteiligungen ist nicht vorgesehen.Siebentens. Die Verteilung der aufkommenden börsennotierten Aktien und der Barmittel läuft über eine Clearingstelle, die reine Durchlauffunktionen haben wird, weiter in dezentrale, in das Bank- und Sparkassensystem eingegliederte Fonds, die als Vermögensanlagegesellschaften den Vorschriften über die Kapitalanlagegesellschaften unterliegen werden und bei denen jeder Bezugsberechtigte das Recht hat, sein Bezugsrecht nach freier Wahl wahrzunehmen, und diese Fonds, die in Konkurrenz untereinander stehen, in gewissen Zeiträumen zu wechseln. Für die Verwaltung der Beteiligungswerte sind Sperrfristen, absolute bis sieben Jahre und relative bis zu zwölf Jahren vorgesehen. Das heißt, daß für die letzten fünf Jahre zwar ein Umtausch oder eine Einlösung dieser Beteiligungswerte möglich ist, dann aber ein Verfall der weiteren Bezugsrechte auf fünf Jahre eintreten wird.Die aufkommenden Barmittel, die in diesen Fonds zusammenfließen, sollen — achtens — vorrangig wiederum zur Anlage in fest verzinslichen Wertpapieren, vor allem aber zur Anlage in Beteiligungswerten verwandt werden, um der Zielsetzung dieses gesamten Vermögensbeteiligungsgesetzes gerecht zu werden. Darüber hinaus soll unter dem Vorzeichen marktgerechter Rendite aber auch eine Finanzierung öffentlicher Infrastrukturinvestitionen und die Finanzierung von Investitionen der Wirtschaft, jedoch auch hier nur über die Anlage in festverzinslichen Werten möglich sein.Diese Vermögensanlagegesellschaften sollen — neuntens — durch Teilhabervertretungen kontrolliert werden, die bei jeder dieser Gesellschaften einzurichten sind. Aus diesen Vermögensanlagegesellschaften sollen Teilhabervertreter in die Aufsichtsräte eintreten, die einmal die demokratische Kontrolle über die Geschäftsführung, zum anderen aber auch die Bestimmung der Richtlinien für die Anlagepolitik und die Stimmrechtsausübung durch die Vermögensanlagegesellschaft vornehmen sollen. Diese Teilhabervertreter sollen zwei Drittel der Stimmen in den Aufsichtsräten haben.Der letzte Punkt: Durch diese Lösung fließen dem einzelnen Bezugsberechtigten jährlich Beträge von etwa 212 DM zu. Man hat natürlich immer wieder dazu vermerkt, daß das kein nennenswerter Betrag sei, was hier jährlich für den einzelnen herauskommt. Entscheidend aber ist nicht, was hier für jeden einzelnen im Jahre anfällt. Denn das Ziel dieser Vermögensbeteiligung ist nicht etwa, viele schnell reich zu machen, sondern eine wirklich breite Beteiligung unserer Bevölkerung am Produktiveigentum dieser Wirschaft in einem Prozeß von Generationen zu erreichen. Dadurch — durch ein solches Konzept ehrlicher Systemreform — soll ebenso das Ziel einer Demokratisierung unserer Gesellschaft wie das Ziel der Reform des Kapitalismus angesteuert werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das geltende Wohnraumkündigungsschutzgesetz tritt mit dem Ablauf dieses Jahres außer Kraft. Die Regelungen dieses seinerzeit gegen den entschiedenen Widerstand der Opposition beschlossenen Gesetzes — damals mußte zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Einspruch des Bundesrates zurückgewiesen werden — haben sich im Grundsatz bewährt. Die Zahlen der Mieträumungsprozesse wie auch die der Mieterhöhungen sind zurückgegangen. Die Mietenbewegung hat sich sowohl bei Altbauwohnungen als auch bei freifinanzierten Wohnungen beruhigt. Das Bundeskabinett hat daher den Entwurf eines Zweiten Gesetzes über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum heute beschlossen. Das Gesetz hat das Ziel, die bisher befristeten Regelungen als Dauerrecht auszugestal-
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Bundesminister Jahnten. Der Gesetzentwurf rieht dabei von folgenden Grundsätzen aus.Erstens. Angesichts der überragenden Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunkt menschlichen Daseins gebietet es die Sozialstaatsverpflichtung des Grundgesetzes, den vertragstreuen Mieter vor willkürlichen Kündigungen, die zudem Kosten und Unzuträglichkeiten mit sich bringen, zu schützen.Zweitens. Die Miete soll sich am Markt orientieren. Deshalb muß verhindert werden, daß Mieterhöhungen unter dem Druck einer drohenden Kündigung zustande kommen. Die Kündigung zum Zweck der Mieterhöhung muß ausgeschlossen bleiben.Drittens. Mieterhöhungen müssen in angemessenem Rahmen zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes und zur Anpassung an die allgemeine Marktentwicklung möglich sein, ohne daß dazu der Bestand des Mietverhältnisses in Frage gestellt werden darf. Als Maßstab der Angemessenheit hat sich die ortsübliche Vergleichsmiete im Prinzip bewährt.Zur Verwirklichung dieser Grundsätze sieht der Gesetzentwurf vor: Die Vorschriften des Wohnraumkündigungsschutzgesetzes über den Kündigungsschutz werden in das Bürgerliche Gesetzbuch übernommen. Die Regelungen über die Mieterhöhungen werden in einem zeitlich unbefristeten Gesetz zur Regelung der Mieterhöhung zusammengefaßt. Am Prinzip der Vergleichsmiete wird festgehalten. Schwierigkeiten, die sich in der praktischen Handhabung ergeben haben, werden durch weiterentwickelte Regelungen beseitigt. Der Vermieter kann die Kosten einer Modernisierung der Wohnung in angemessenem Umfange auf die Mieter umlegen. Der Vermieter ist berechtigt, bei Kapitalkostenerhöhungen die Miete in begrenztem Umfange zu erhöhen. Der Kündigungsschutz, der Schutz des sozialen Mietrechts und die Regelung für Mieterhöhungen sollen auf solche möblierten Wohnungen ausgedehnt werden, die in keinem räumlichen Zusammenhang mit der vom Vermieter selbst bewohnten Wohnung stehen.Durch diese Vorschläge wird die Rechtsstellung des Mieters dauerhaft gefestigt. Die Rentabilität des Hausbesitzes bleibt gewahrt. Ein angemessener Interessenausgleich zwischen Mietern und Vermietern wird so auf die Dauer sichergestellt.
Meine Damen und Herren, das Haus hat die Berichte der Bundesregierung entgegengenommen.
Wir treten in den Teil ein, bei dem das Haus Fragen an die Regierung richten kann. Zunächst rufe ich nur den Komplex Mitbestimmung auf. Die Fragen sind also nur darauf und nicht auf die beiden anderen Bereiche zu konzentrieren. Insgesamt stehen dem ganzen Hause dafür 10 Minuten zur Verfügung. Bevor die 10 Minuten beginnen, darf ich darauf aufmerksam machen, daß nachher die Redner beider Seiten, der Regierungsparteien und
der Opposition, je 20 Minuten haben werden. Ich bitte, sich darauf einzurichten, daß der erste Redner dann nicht die Zeit der beiden anderen konsumiert und nichts mehr übrigläßt.
— Jede Seite, die Regierungsparteien und die Opposition, hat 20 Minuten.
Ich rufe die Fragen auf. Zunächst hat sich der Abgeordnete Franke gemeldet. Meine Damen und Herren, Sie würden uns das Ganze sehr erleichtern, wenn Sie einmal den Versuch unternähmen, die Taste zu drücken und Ihre Namen in den Computer einzuspeisen. Dann hätten wir sie hier auf dem Monitor. Es ist sehr schwer, die vielen Wortmeldungen jetzt so zu sortieren, daß wirklich alle Seiten des Hauses gleichmäßig berücksichtigt werden.
Herr Kollege Franke!
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5298 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Die nächste Frage stellt Herr Vogt.
Herr Minister, nachdem feststeht, daß im Falle des Patts bei der Wahl der Vorstandsmitglieder letztlich doch die Hauptversammlung entscheidet, also keine echte Parität vorliegt, möchte ich Sie fragen: Wie begründen Sie, daß das Montan-Mitbestimmungsrecht eine paritätische Mitbestimmung beinhaltet? Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Montan-Mitbestimmung ja im Prinzip von den Gewerkschaften gefordert worden ist.
Herr Vogt, zunächst einmal müßten Sie wissen, daß auch nach der Montan-Mitbestimmung von 1951 dann, wenn es keine Einigung gibt, der sogenannte elfte Mann die Hauptversammlung anrufen kann. Insofern ist dies gar kein Novum. Was die Patt-Situation bei der Wahl der Vorstandsmitglieder angeht, so ist Ihnen bei meiner Darstellung sicherlich nicht entgangen, daß der Anrufung der Hauptversammlung vier Wahlgänge vorgeschaltet sind. Wer die Praxis einigermaßen kennt, wird mir sicher beipflichten, wenn ich sage, daß es dann wahrscheinlich keinen Kandidaten für ein solches Amt mehr geben wird.
Die nächste Frage stellt Herr Müller .
Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, daß das einzige Kriterium für die Einbeziehung in diese Mitbestimmung die Beschäftigtenzahl 2000 ist und daß beispielsweise die Bilanzsumme oder die Umsatzsumme dabei keine Rolle spielt?
Das ist völlig richtig. Wir haben uns in den Erörterungen — ausgehend von der Regierungserklärung, daß die Mitbestimmung auf der Grundlage von Gleichgewichtigkeit und Gleichwertigkeit zwischen Arbeit und Kapital erreicht werden sollte — zu der Auffassung durchgerungen, daß der beste Indikator für die Beurteilung des Faktors „Arbeit" die Belegschaftsziffer ist. Ich will das im Rahmen dieser kurzen Ausführungen jetzt nicht im einzelnen erläutern. Herr Abgeordneter, Sie wissen aber, daß uns gerade im Mitbestimmungsergänzungsgesetz — um jetzt einmal eine Gesellschaft anzusprechen -die Lex Rheinstahl sehr zu denken gegeben hat. Wir mußten das Mitbestimmungsfortgeltungsgesetz hier ja leider ohne Ihre Zustimmung verabschieden.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5299
Die nächste Frage stellt der Herr Abgeordnete Grobecker.
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß dann, wenn das Kriterium der 2000 Beschäftigten durchgehalten wird, das Sie jetzt in Ihrem Entwurf haben, mehr Betriebe unter die Mitbestimmungsregelung fallen, als wenn von den drei Kriterien ausgegangen wird, die der Kollege eben genannt hat?
Herr Abgeordneter, es kommt darauf an, welche Rechtsform man zugrunde legt. Wenn ich mich auf bekanntgewordene Modelle aus der Vergangenheit beziehe, ergibt sich, daß der Katalog der Rechtsformen weniger erschöpfend war, als er es in unserem Gesetzentwurf sein wird. Ich kann hier eine allgemeine Zahl nennen: Nach unseren Unterlagen werden etwa 650 Unternehmen von dieser Regelung betroffen.
Die nächste Frage stellt der Herr Abgeordnete Höcherl.
Herr Bundesminister, wurde bei dieser überstürzten Lösung auch an die gesellschaftspolitische Einigung in Europa und an die ausländischen Kapitalanlagen in der Bundesrepublik gedacht?
Es war keine überstürzte Lösung, Herr Abgeordneter Höcherl, sondern wir haben das sehr sorgfältig und sorgsam behandelt. Außerdem haben wir das getan, was die CDU auf ihrem Parteitag in Hamburg auch getan hat: Sie hat auf die große Unternehmensrechtsreform verwiesen. Wir haben inzwischen eine Kommission eingesetzt, die sicher bald Ergebnisse vorweisen kann.
Die nächste Frage stellt der Herr Abgeordnete Geiger.
Herr Minister, ist mit dieser Kabinettsvorlage das zwanzigjährige Bemühen um eine paritätische Mitbestimmung jetzt erledigt, oder gehen die Bemühungen um diese Art der Mitbestimmung auch im Bereich des Montan-Mitbestimmungsmodells und im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes weiter?
So ist es. Wir haben in diesem Gesetzentwurf, der heute vom Kabinett verabschiedet worden ist, drei Mitbestimmungsmodelle, nämlich einmal die Montan-Mitbestimmung im eisen-, stahl-und kohleerzeugenden Bereich, wir haben diese neue Mitbestimmung und die Drittelbeteiligung nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952. Im übrigen, Herr Abgeordneter, teile ich Ihre Auffassung: Es ist zwar in den letzten 23 Jahren sehr viel diskutiert worden, aber es ist kein praktischer Versuch gemacht worden, die Mitbestimmung in der Montan-Industrie auf andere Bereiche auszudehnen.
Die nächste Frage stellt der Herr Abgeordnete Schröder .
Herr Minister, in welcher Weise läßt sich die von Ihnen vorgetragene Regelung für die leitenden Angestellten mit der von Teilen dieser Regierung so intensiv vorgetragenen Forderung nach Einbeziehung der leitenden Angestellten als eigenständiger dritter Bank vereinbaren, und wie ist gewährleistet, daß die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch das Vertrauen der Mehrheit ihrer jeweiligen Gruppen legitimiert sind?
Herr Abgeordneter, uns kommt es darauf an, die Leitungsorgane eines Unternehmens funktionsfähig zu halten. Ich glaube, alle Gruppen in unserem Volke haben ein fundamentales Interesse daran, daß der Sachverstand in den Aufsichtsräten Platz findet.
Die nächste Frage, Herr Abgeordneter Breidbach.
Herr Minister, können Sie eine Begründung dafür geben, daß das Montan-Mitbestimmungsrecht auch nach dem jetzt von Ihnen vorgelegten Konzept weiter bestehenbleibt?
Wir waren der Meinung, daß Bewährtes nicht unbedingt aufgegeben werden muß.
— Natürlich! Ich weiß nicht, warum Sie da lachen, meine Damen und Herren.
Das ist eine bewährte Einrichtung. Vor Tische habe ich das oft anders gehört. — Wir waren der Auffassung, daß das Montan-Mitbestimmungsgesetz beibehalten werden soll, weil eben keine Notwendigkeit der Änderung besteht.
Die nächste Frage, Herr Abgeordneter Sander.
Herr Minister, ist sichergestellt, daß die Vertreter der Anteilseigner genauso einem Wahlverfahren unterworfen werden wie die Vertreter der Arbeitnehmer?
Das haben wir in unserem Gesetzentwurf vorgesehen. Die Vorschriften, die sich auf die Arbeitnehmervertreter beziehen, gelten analog auch für die Vertreter der Anteilseigner.
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5300 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der zehn Minuten in diesem Bereich angelangt.
Nunmehr ist die Möglichkeit gegeben, daß die Fraktionen des Hauses Stellung nehmen. Zunächst hat der Abgeordnete Franke für die Fraktion der CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Arendt hat gesagt, 20 Jahre sei nichts geschehen. Und jetzt, Herr Minister, legen Sie uns „das" vor! Ich kenne den Unmut, der bei Ihnen in der Fraktion herrscht. Da mir nur sieben Minuten zur Verfügung stehen, will ich dazu im einzelnen nicht Stellung nehmen. Wir werden bei anderer Gelegenheit darauf zurückkommen.Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen machen zu dem, von wo aus die Koalitionsfraktionen in die Verhandlungen gegangen sind, um ein neues Mitbestimmungsrecht zu konzipieren. Sie haben also vor einigen Wochen ein neues Mitbestimmungsrecht vorgelegt. Dazu sagte Herr Mischnick vor einigen Tagen — wenn ich den „fdk-tagesdienst", das ist die Freie Demokratische Korrespondenz", vom 12. Februar 1974 zitieren darf „Wir stehen zu den Grundsatzvereinbarungen, die die FDP und SPD zum Ausbau der Mitbestimmung und Vermögensbeteiligung erarbeitet haben. Wer argwöhnt— wir waren es ja nicht —oder hofft, daß die FDP nachträglich nach der einen oder anderen Seite hin Änderungen verlangt, der irrt sich." Das erklärte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Mischnick, auf der heutigen Fraktionssitzung.Wir stellen fest, daß Sie in den letzten Tagen etwas anderes auf den Tisch gelegt haben. Mir stellt sich jetzt — um Herbert Wehner zu zitieren — die Frage: Wer hat denn jetzt wen reingelegt?
Ist es in der ersten Phase die von Herrn Wehner sehr straff geführte SPD-Fraktion gewesen, die Sie reingelegt hat, oder sind Sie es gestern gewesen, die die SPD reingelegt haben? Denn wenn ich die Überschriften heute in den Zeitungen lese, steht da drin: „Die FDP hat sich durchgesetzt".Aber untersuchen wir einmal, von welchen Voraussetzungen Sie — die FDP — ausgegangen sind: vom Freiburger Programm. Ich fand, es war für Sie und für die gesamte innerpolitische Diskussion ein sehr beachtenswerter Beitrag, der in Freiburg getätigt worden ist.
— Lieber Herr Hölscher, als zugewanderter Baden-Württemberger würde ich jetzt nicht klatschen; klatschen Sie erst, wenn ich mich damit auseinandergesetzt habe. Was haben Sie denn von Freiburg bei Ihrem Koalitionspartner durchgesetzt?
Ich nenne die Stichworte. Im Freiburger Programm steht: Urwahl. Herr Mischnick, nichts davon ist dringeblieben, sondern Sie haben dem Manipulationsinstrument Wahlmännergremium zugestimmt.
Im Freiburger Programm steht: keine Externen. Sie müssen hier drei Externe schlucken — immer aus der Sicht des Freiburger Programms betrachtet —,
Sie haben sich auch in diesem Punkt nicht durchgesetzt.Dann haben Sie bei der ganzen Diskussion um 6 : 4 : 2 oder 4 : 4 : 2 — und ich gestehe ganz freimütig, daß diese Diskussionen ja auch in meiner eigenen Partei stattgefunden haben — gesagt: Die leitenden Angestellten, die dann nachher auf das Verhältnis 6 : 4 : 2 reduziert worden sind, sind eine eigenstände Gruppe und sollen als dispositiver Faktor insgesamt, eben auch in diesem Aufsichtsorgan, wirken. Das findet ja gar nicht statt. Die haben Sie untergebügelt. Sie haben sich nicht einmal mit der Forderung durchgesetzt, daß die leitenden Angestellten durch eine eigenständige, neu definierte Gruppe frei gewählt werden können.
Ich habe immer noch vor Augen, was der hier sehr oft auftretende und von mir hin und wieder auch gelobte — ich bin mit ihm nicht immer einverstanden — Kollege Graf Lambsdorff vor einiger Zeit einmal im „Spiegel" geschrieben hat: Die Eigenständigkeit der Gruppe der leitenden Angestellten ist für uns nicht kompromißfähig. Graf Lambsdorff ist hier in Ihrer Fraktion und durch die Koalition völlig untergebügelt worden, meine Damen und Herren.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Herrn Maihofer machen. Herr Maihofer ist, glaube ich, in der ersten Phase derjenige gewesen, der — immer laut Herbert Wehner — übers Ohr gehauen worden ist. Ich würde mir an Ihrer Stelle überlegen — diese kleine Polemik kann ich mir hier nicht verkneifen —, ob dieser Mann das Geld wert ist, das wir ihm aus Bundesmitteln zahlen.
Nun wende ich mich an die linke Seite. Ich habe eine ganze Menge Zitate. An den Anfang will ich folgendes stellen.Auch in meiner Fraktion und in meiner Partei gibt es heftige Auseinandersetzungen über diese Frage. Sie sind noch nicht zu Ende. Mit Hamburg haben wir z. B. für den Teil der CDU einen vorläufigen Abschluß gefunden.
— Lieber Herr Schellenberg, machen wir das morgen privat; ich habe nicht viel Zeit! — Es gibt unter-schiedliche Auffassungen, und es gibt eine weitere
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5301
Franke
Diskussion in meiner Partei. Darum schätze ich z. B. unter diesem Gesichtswinkel das, was Herr Kollege Farthmann in den letzten Wochen und Monaten ausgedrückt hat. Ich würde sagen, das ist eine Position, die hin und wieder auch ich in meiner Partei einnehme. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist bei uns die Zahl derjenigen, die an den Mehrheitsbeschlüssen der eigenen Partei Kritik üben und sie weiterzuentwickeln versuchen, auch in unserer eigenen Fraktion viel größer. Bei Ihnen hat sich die Kritik auf den von mir immer sehr geschätzten und auch im Hause sehr geschätzten Kollegen Farthmann — politisch bin ich mit ihm nicht einer Meinung — reduziert. Alle anderen Kollegen bei Ihnen — ich sehe hier Adolf Schmidt, den Vorsitzenden der Bergarbeitergewerkschaft, den Kollegen Gansel, den Kollegen Ehrenberg — haben im Grunde genommen ihrer eigenen politischen Kastration auch noch Beifall geklatscht; denn von ihren Ansichten ist nichts hier hineingekommen.
Lassen Sie mich folgendes nennen: Sie verzichten auf den elften Mann. Streiten Sie mit mir darüber; auch das können Sie! Aber Sie haben ihn in Ihrem 68er-Papier gefordert. Sie wollten die Existenz und die Wahl der leitenden Angestellten leugnen. Sie mußten aber einen Teil davon schlucken. Und der Stichentscheid in der Hauptversammlung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist so, wie ihn Walter Arendt hier soeben gerade erläutert hat, etwas, was Ihrer eigenen Ansicht diametral entgegensteht.Ich möchte sagen: Zuerst hat die Fraktion Herbert Wehners die FDP aufs Kreuz gelegt, und gestern und vorgestern hat die FDP die SPD aufs Kreuz gelegt, und das nach 20 Jahren Diskussion, Walter Arendt! Das ist dabei herausgekommen!
Von den 20 Minuten sind 61/2 Minuten verbraucht worden. Das Wort hat Herr Abgeordneter Buschfort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Franke, ich glaube, es gehört schon Mut dazu, hier nach links und rechts zu kritisieren, obwohl man selber weiß, was Hamburg für die CDU bedeutet hat, und die CDU über 20 Jahre Zeit gehabt hat, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen.
Ich darf aber auch sagen: Ich bewundere Sie noch mehr, wenn ich eine Mitteilung in der NRZ vom 14. Februar 1974 lese, wo Herr Biedenkopf sagt:Falls die CDU an die Regierung kommt, dann würde dieses Gesetz abgeschafft, sofern dies dann noch möglich ist.
Ich gehe davon aus, daß Sie an dieser Gesetzesberatung vernünftigerweise mitarbeiten wollen und unsbeflügeln werden, hoffe aber nicht, daß Sie HerrnBiedenkopf folgen und sagen werden: Wir gehen von Anfang an in eine Obstruktionspolitik.
Nun darf ich zu meinen Ausführungen kommen und für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zunächst einmal feststellen, daß wir es begrüßen, daß sich das Bundeskabinett auf einen Entwurf zu einem Mitbestimmungsgesetz verständigt hat. Bundeskanzler Brandt hat in der Regierungserklärung festgestellt, daß der Ausbau der Mitbestimmung eine unserer Hauptaufgaben ist.Hier darf ich, wie vorhin bereits mehrfach geschehen, ausführen, daß die CDU 20 Jahre lang Zeit gehabt hat, ein Mitbestimmungsgesetz vorzulegen. Noch 1950 wollte die CDU die von der Treuhandverwaltung eingeführte Montan-Mitbestimmung wieder abschaffen. Der Entwurf der Adenauer-Regierung vom 31. August 1950 sah vor, die Aufsichtsratssitze der Arbeitnehmer generell auf ein Drittel zu beschränken. Wir wissen alle, daß nur der damalige Widerstand der Gewerkschaften dies verhindert hat.Die CDU ist auch auf ihrem Hamburger Parteitag ihrer Rolle als Partei der Paritätsverweigerer treu geblieben. Zwar wurde das Modell etwas frisiert und aufgemöbelt. Mehr als eine Kaschierung kam dabei aber nicht heraus. Wenn man sich das CDU-Modell ansieht, stellt man fest, daß immer die Kapitalseite das Sagen hat.
— Wir gehen davon aus, daß mit diesem Mitbestimmungsgesetz eine Gleichgewichtigkeit, ja eine Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit eintreten wird.
Bei der CDU sollen die Arbeitnehmer durch Anteilseigner und Unternehmensleitung partnerschaftlich umarmt werden. Die CDU will eine scheinparitätische Lösung als Alibifunktion.
Jetzt will ich auf Ihre Frage eingehen, wo der Unterschied liegt. Ich habe noch sehr gut Ihre Kritik am Betriebsverfassungsgesetz und Ihre Kritik am Personalvertretungsgesetz im Ohr. Fragen Sie heute einmal draußen, was die Arbeitnehmer sagen, ob diese Regierungskoalition mit den genannten Gesetzen zwei gute oder zwei schlechte Gesetze verabschiedet hat!
Fragen Sie einmal draußen, und warten Sie doch ab, ob es nicht möglich ist, daß die Koalitionsparteien aus dem jetzt vorliegenden Entwurf ebenfalls ein Gesetz machen werden, das den Ansprüchen der Arbeitnehmer gerecht wird!
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5302 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
BuschfortDie Koalitionsfraktionen werden entsprechend dem Kabinettsbeschluß die Mitbestimmung auf der Grundlage der Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit verwirklichen. In den Aufsichtsräten der großen Unternehmen werden die Arbeitnehmer die gleiche Stimmenzahl haben wie die Kapitaleigner. Wir realisieren eine Lösung, mit der die Kontrolle des Vorstandes durch das Kontrollorgan Aufsichtsrat — erreicht wird, das paritätisch besetzt ist. Für uns gibt es im Gegensatz zur CDU keinen Freibrief für den Vorstand bei zustimmungspflichtigen Geschäften.Erinnern wir uns an den Bericht der noch von der Großen Koalition eingesetzten Mitbestimmungskommission. Sein analytischer Teil hat ohne jeden Zweifel bestätigt, daß sich die paritätische Mitbestimmung außerordentlich bewährt hat. Im Gegensatz zur Meinung der Mehrheit der Biedenkopf-Kommission werden wir jetzt die gebotenen gesellschaftspolitischen Konsequenzen ziehen. Die Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 wird jetzt auch im Bereich der Mitbestimmung auf Unternehmensebene konkretisiert.
Minister Arendt hat es eben bereits gesagt: Neben dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Personalvertretungsgesetz ist dies der dritte Mitbestimmungsbereich, den wir lösen. In einem weiteren wichtigen Bereich werden die Arbeitnehmer aus ihrer Objektrolle gelöst.Mit dem Kabinettsbeschluß zur Mitbestimmung ist eine weitere wichtige Reform der sozialliberalen Koalition auf den Weg gebracht. Wir sind aufgerufen, die Beratungen so zügig zu führen, daß das Gesetz am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten kann und werden uns gegen diejenigen wehren, die für eine Hinauszögerung eintreten. Wir danken der Bundesregierung und all denen, die die schwierigen Verhandlungen zu dem jetzigen Abschluß geführt haben. Wie jedermann weiß, sind die Regierungsparteien mit unterschiedlichen Auffassungen angetreten. Dies hat nicht zuletzt die Reaktion derjenigen gezeigt, die uns unfreundlich gegenüberstehen. Die Unternehmer haben weder Mühen noch Kosten gescheut, die Verhandlungen, wo immer sie eine Chance sahen, zu stören. Wir haben uns davon nicht beirren lassen. Jetzt aber wird es darum gehen, dieses Gesetz zügig zu verabschieden. Die MontanMitbestimmung wird fortbestehen, wie Minister Arendt bereits vorhin ausführte. In einigen Jahren werden wir erneut Bilanz ziehen können. Wir werden dann über weitere Erfahrungen verfügen. Die Kommission zur Weiterentwicklung des Unternehmensrechts beim Bundesminister der Justiz wird ihre Arbeit bis dahin abgeschlossen haben. Und dann wird man über die Vereinheitlichung des Unternehmensrechts beraten können. Bereits jetzt kommt es aber darauf an, die Weichen richtig zu stellen.
Sieben Minuten sind verbraucht. Das Wort hat Herr Abgeordneter Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu diesem Thema komme, muß ich eine Minute opfern für die Debatte, die wir vorhin hatten. Herr Kollege Carstens, Sie hatten klagend gesagt, daß Sie erst als fünfter Sprecher zu Wort gekommen seien.
Ich möchte feststellen, daß es Ihr Wunsch war, nach mir und nach dem Kollegen Wischnewski zu sprechen.
Im Sport nennt man das Foul.
Nun zu dem Thema, das wir hier behandeln.
Verzeihung, Herr Kollege Mischnick, ich glaube, daß es sich hier nur um die Fragen handeln kann, die in der Berichterstattung der Bundesregierung zur Debatte stehen. Sie hätten nachher das Wort zu einer persönlichen Erklärung nehmen können.
Ich habe das bewußt vermieden, um die Debatte nicht zu verlängern.
Sie haben einen Ton in diesen Teil der Debatte gebracht, der eigentlich dort nicht hingehört.
— Ich lasse keine Zwischenfrage zu. Ich darf Sie bitten, zu dem Thema zurückzufinden, das wir gegenwärtig zu behandeln haben.
Herr Kollege Franke, Sie haben soeben zu der Frage Mitbestimmung deutlich versucht, zwischen die Koalitionsparteien einen Keil zu treiben. Daraus wurde der ganze Ärger deutlich, daß es entgegen Ihren Erwartungen zu einer Verständigung zwischen den beiden Koalitionspartnern gekommen ist.
Das ist der entscheidende Unterschied. Natürlich ist es gar kein Problem, hier eine Reihe von Punkten auf den Tisch zu legen, die nicht den Grundsatzbeschlüssen der Freien Demokraten oder der Sozialdemokraten auf ihren Parteitagen entsprechen oder Punkte zu nennen, die nicht Eingang in den Gesetz-
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Mischnickentwurf gefunden haben. Das liegt in der Natur derSache, das gehört zu den Kompromissen, die ineiner Koalition um der Sache willen notwendig sind.Aber wir können genauso gut feststellen, daß es uns gelungen ist, hier eine Basis zu finden, die ein neues, ein drittes Modell der Mitbestimmung schafft und damit neben dem Montan-Modell und neben der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz eine neue Möglichkeit eröffnet. Wir werden sehen, welches von diesen drei Modellen sich auf die Dauer als das bessere bewährt, und danach zu entscheiden haben, ob anderes an dieses angepaßt wird oder nicht. Diesen Versuch haben Sie nicht unternommen; den konnten Sie nicht unternehmen, weil Sie gar nicht fähig sind, sich in diesen Fragen auf eine gemeinsame Haltung zu einigen. Herr Biedenkopf hatte angekündigt, daß Ihr Gesetzentwurf so schnell im Parlament eingebracht würde, daß wir gar nicht nachkämen. Bis zur Stunde gibt es keinen Gesetzentwurf der CDU/CSU. Sie können sich nicht einigen, die Koalition konnte sich einigen, das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns.
Mit diesem Gesetzentwurf wird ein wesentlicher Schritt gesellschaftspolitischer Art getan, der genau dem Ziel entspricht, das in der Regierungserklärung genannt worden ist, nämlich die Gleichwertigkeit und die Gleichgewichtigkeit von Arbeit und Kapital zu bringen. Wenn Sie, Herr Kollege Franke, über das Verfahren der Wahl sagen, daß das Wahlmännergremium ein Manipulationsgremium sei, dann muß ich mich wundern, wieso es Ihre Freunde 1956 für möglich hielten, ein solches Manipulationsinstrument in ein Gesetz hineinzunehmen. Es kann doch nicht wahr sein, daß es immer dann Manipulation ist, wenn es sich um einen Gesetzentwurf der Koalition handelt, daß es aber, wenn es ein Gesetz ist, das die Opposition früher zu verantworten hat, ein gerechtes Verfahren ist. So kann man doch die Dinge nicht beurteilen.
Wenn Sie, Herr Kollege Franke, einmal eine der Fragen, die von Ihren Kollegen hier gestellt worden sind, ein wenig vertieften, nämlich die Frage, ob radikale Elemente daran gehindert werden können, in einen Aufsichtsrat zu kommen, würde ich Sie bitten, einmal zu prüfen, ob unsere Überlegungen mit den Wahlmännern diesen Gedanken nicht viel mehr entsprechen als andere Modelle.
Aber das sind doch Fragen, die man, wenn man will, in aller Ruhe und Offenheit in den Ausschußberatungen bis zum letzten ausleuchten kann. Sie hier polemisch darzustellen, macht doch nur deutlich, daß man in der Sache selbst nichts entgegenzusetzen hat.
Wir begrüßen diesen Entwurf. Wir werden ihn unterstützen, und das steht nicht im geringsten im Widerspruch zu der Erklärung, die Sie, Herr Kollege Franke, zitiert haben und die ich vor der vorletzten Fraktionssitzung abgegeben habe.
Die Grundzüge waren am 19. Januar vereinbart. Sie sind nicht verändert worden.
Daß bei der Ausformulierung eines Gesetzentwurfs immer wieder einzelne Fragen auftauchen, ist selbstverständlich. Die haben wir im Geiste der Partnerschaft geklärt, und dazu stehen wir.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende des Abschnittes Mitbestimmung angelangt.
Ich rufe jetzt den Abschnitt Vermögensbildung auf und teile vorher mit, daß die Opposition von ihren 20 Minuten sechseinhalb und die Regierungsparteien zusammen zwölf Minuten in Anspruch genommen haben.
Die erste Frage in diesem Bereich hat Herr Abgeordneter Vogt.
Herr Minister, nachdem Sie erklärt haben, daß das Aufkommen aus der Gewinnabgabe jährlich etwa 5 Milliarden DM betragen soll, muß sich angesichts der Tatsache, daß ja die Gewinnhöhe bei den Unternehmen jährlich schwankt, fragen, ob die Bundesregierung beabsichtigt, die Abgabesätze jährlich neu festzusetzen, und/oder ob sie beabsichtigt, die Gewinngrenze jährlich neu festzusetzen, von der ab die Unternehmen gewinnabführungspflichtig sind.
Die Antwort ergibt sich aus meinem Vortrag von selbst. Ich habe einmal gesagt, daß es etwa 5 Milliarden DM jährlich sein sollen, und ich habe zudem gesagt, daß 400 000 DM Gewinn die unterste Anwendungsgrenze sind. Daraus ergibt sich von selbst: Wenn die Gewinne auf und ab schwanken, dann schwankt auch das Gesamtaufkommen. Das ist auch so gewollt.
Nächste Frage, Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Minister, wie ist die Möglichkeit des Einflusses der Zertifikatinhaber auf die Geschäftspolitik des Fonds durch die Teilhabervertretung gesichert?
Herr Abgeordneter, das Problem war, den Gesichtspunkt effektives Management auf der einen Seite und den Gesichtspunkt demokratische Kontrolle auf der anderen Seite zu einem an-
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5304 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofergemessenen Ausgleich zu bringen. Das ist so geschehen, daß in den Aufsichtsräten der Vermögensanlagegeselischaften, die als Gesellschaften mit beschränkter Haftung errichtet werden, zwei Drittel der Teilhabervertreter bei der Bestimmung der Richtlinien sowohl für die Anlagepolitik wie für die Stimmrechtswahrnehmung mitwirken. Dadurch ist in der Tat erstmals — und, ich glaube, das ist möglicherweise auch ein Reformmodell für andere Bereiche — eine starke demokratische Kontrolle durch die hier Bezugsberechtigten verwirklicht. Ich glaube, das ist auch ganz im Sinne beiderseitiger Parteibeschlüsse, endlich auch einmal denen, deren Gelder hier verwaltet und deren Stimmrechte ausgeübt werden sollen, anders als in der Depotstimmrechtspraxis eine effektive Mitsprache und Mitbestimmung zu gewährleisten.
Die nächste Frage, Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Bundesminister, wäre es nicht besser gewesen, wenn die Bundesregierung zunächst für eine Stabilitätspolitik gesorgt hätte, bevor Sie dieses Gesetz vorlegte, damit nicht ein so großer Vermögensverfall eingetreten wäre, und zwar bei allen Schichten, nicht zuletzt bei den kleinen oder mittleren Schichten des Volkes?
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß gerade die Pläne sowohl zur überbetrieblichen Vermögensbeteiligung über diesen gesetzlichen Einstieg als auch zur innerbetrieblichen Vermögensbeteiligung über die zusätzlichen Anreize der Körperschaftsteuerreform wie wenig anderes zu einer Stabilitätspolitik in den nächsten Jahren beitragen wird. Sie können nun nicht mit dem Inflationsargument gerade Reformen, die — wenn überhaupt welche — auch antizyklische und stabilisierende Wirkungen haben, hier vom Tisch wischen. Mit Inflation kann man natürlich jede Reform ad absurdum karikieren.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Ehrenberg.
Herr Minister Maihofer, sind Sie mit mir der Meinung, daß diese Konstruktion sicherstellen wird, daß die Mehrzahl der Aufbringung in Beteiligungswerten stattfinden wird und daß Beteiligungswerte Substanzwerte darstellen und damit — im Gegensatz zu einem Aufkommen aus Investivlohn --- inflationsgesichert sind?
Herr Abgeordneter, es ist in der Tat so, daß sich nicht nur die Kostenfrage dann nicht stellt — jedenfalls so nicht stellt —, wenn Beteiligungswerte abgeführt werden, sondern sich auch, wie Sie mit Recht sagen, das ganze Problem der Belassung dieser Beträge im Eigenkapital und damit im Investivkapital der Betriebe ganz anders stellt, wenn wir zur Naturalabgabe im Regelfall kommen.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete von Bockelberg.
Herr Minister, Sie haben als flankierende Maßnahme eine Maßnahme bei der Körperschaftsteuer — Sie meinen wohl ohne Zweifel die Körperschaftsteuerreform und hier das Anrechnungsverfahren — angeführt. Sie haben auch gesagt, daß den Anteilseignern dort dann eine Milliarde DM zugute kommt. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, daß in der Europäischen Kommission unter Anrechnungsverfahren etwas anderes verstanden wird als hier, nämlich das Teilanrechnungsverfahren, und darf ich die Zahl von 1 Milliarde DM so verstehen, daß sich die Bundesregierung zum Voll-anrechnungsverfahren entschlossen hat?
Die von mir genannte Zahl beruht auf einer Hochrechnung aus der von der Regierung verabschiedeten und dem Parlament vorliegenden Körperschaftsteuerreform.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Geiger.
Herr Minister, gibt es zu diesem Gesetz Vorausberechnungen, wie hoch etwa der Betrag ist, der nach der Freigabe nach 12 Jahren auf den einzelnen Berechtigten entfällt?
Wir haben in der Tat — denn das ist viel wichtiger als das jährliche Aufkommen — diesen Grundlinien am Ende eine Aufstellung beigefügt, aus der sich ergibt, daß nach 12 Jahren auf jeden einzelnen Bezugsberechtigten bereits ein Betrag von 5 300 DM und nach 25 Jahren sogar von 27 700 DM entfällt.
Das viel Wichtigere aber ist, daß wir durch den Zukauf von Beteiligungsrechten durch die einzelnen Bezugsberechtigten hier auch die Möglichkeit schaffen, daß etwa in einer Familie mit zwei Erwachsenen und mit zwei Kindern nicht nur ein, sondern zwei, drei oder gar vier Bezugsrechte anfallen. Insoweit haben wir hier auch eine familien- und kinderfreundliche Lösung vorgeschlagen.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Pieroth.
Herr Minister, Sie selbst haben betont, daß es Aufgabe des jetzigen Stadiums der Vermögenspolitik sei, die Arbeitnehmer am Produktionsmittelvermögen der Wirtschaft zu beteiligen. Ich möchte Sie daher fragen: Wie können Sie dann diese Mittel auch verwenden, um in die öffentliche Infrastruktur zu investieren?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5305
Ganz klar muß für die anfallenden Barmittel, soweit sie nicht selbst wiederum in Beteiligungswerte verwandelt werden können, die Frage der Anlagepolitik geklärt werden. Und da sind ja zwei Zielsetzungen, wie ich sie auch genannt hatte, vorgesehen: zum einen Industriefinanzierung, zum anderen Infrastrukturinvestitionen. Und Ihnen ist ebenso bekannt wie mir, daß über die Infrastrukturinvestitionen, die ja die Attraktivität für die Betriebe entscheidend mit beeinflussen, mittelbar diese Baraufkommen immer auch wieder Verwendungen zufließen, die zur Steigerung der Attraktivität, aber auch der Produktivität unserer Wirtschaft mit beitragen.
Die nächste Frage hat der Abgeordnete Müller .
Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, daß ein Anspruchsberechtigter, der nach Ablauf der Sperrfrist von sieben Jahren seinen Anteil veräußern will, weitere fünf Jahre von einem neuen Anspruch ausgeschlossen bleibt?
Herr Abgeordneter, Sie haben in der Tat richtig verstanden: Wir haben eine absolute Sperre bis zu sieben Jahren und anschließend eine relative Sperre dadurch, daß derjenige, der danach seinen Anteil — ich darf es einmal so salopp sagen — versilbert, das zwar tun kann, aber auf fünf Jahre von weiteren Bezugsrechten ausgeschlossen wird. Nach 12 Jahren allerdings tritt eine völlige Freigabe ein. Wir haben geglaubt, daß über einen solchen stufenweisen Abbau der Sperre am besten dem Ziel entsprochen wird, nämlich: Beteiligung am Produktivvermögen, nicht aber Schaffung von neuem Konsumkapital.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Pieroth.
Herr Minister, warum glauben Sie, dem Arbeitnehmer die Verfügung über seine Mittel bis zu 12 Jahren vorenthalten zu dürfen?
Zum einen sind die Mittel nur für sieben Jahre wirklich gesperrt, wie Sie ja aus den „Grundlinien" entnehmen können. Sie wissen auch sehr genau: Wenn man diese Mittel schon nach wenigen Jahren in großem Umfang einfach in den Konsum weiterfließen läßt, dann ist dieses ganze Konzept ad absurdum geführt. Das ist ja in Ihren eigenen Lösungen — ganz anderer Art — ebenso klar gesehen und dort fest vorgesehen gewesen.
Die letzte Frage stellt der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Minister, kann bei einer zügigen Beratung damit gerechnet werden, daß den Bezugsberechtigten die Zertifikate bereits im Jahre 1975 zugestellt werden können?
Schon im Jahre 1975 sollen durch Gründung der Vermögensanlagegesellschaften und durch Schaffung der Kapitalbeteiligungsgesellschaften die Anstalten dafür getroffen werden, daß die Aufkommen ab 1976 dann tatsächlich verwaltet werden und die Bezugsberechtigten jeweils die Fonds ihrer Wahl aussuchen können. Wir glauben also, daß schon 1975 die ersten Maßnahmen auf diesem Gebiet erfolgen werden, wenn auch klar ist, daß erst ab 1976 mit dem Anfall jährlicher Aufkommen zu rechnen ist.
Wir sind am Ende der zehn Minuten angelangt. Bevor ich zur Abgabe der Stellungnahme der Fraktionen aufrufe, darf ich anregen, daß Sie uns hier oben das Leben etwas dadurch erleichtern, daß Sie Ihren Namen einspeichern. Ihre Namen haben auf der Stimmkarte eine Nummer. Wenn Sie diese mit den drei Rädchen einstellen, haben wir hier oben auf unserer Scheibe direkt Ihren Namen. Sie erleichtern uns dadurch bei der großen Zahl der Fragen sehr die Abwicklung.
Wir kommen jetzt in die zweite Runde, nämlich zur Abgabe der Stellungnahmen der Fraktionen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pieroth für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den neuesten Plan zur Vermögensbildung nannte Minister Maihofer „Grundlinien eines Vermögensbeteiligungsgesetzes". Nach den vielen Ankündigungen einer vermögenspolitischen Aktion: des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung 1969, der vier Staatssekretäre im Oktober 1970, Eckwertbeschluß Sommer 1971, Bundeskanzler: noch im Oktober 1971, Bundeskanzler dann: noch im Jahre 1971, Bundeskanzler dann: noch im Januar 1972, dann Regierungserklärung 1973, dann der jüngste Plan — drei Wochen alt — vom Januar 1974, — nach allen diesen Ankündigungen begrüßt die CDU/CSU jeden „neuesten Plan".
Wir möchten aber die Regierungskoalition ermuntern, Plänen Gesetzesinitiativen zur realen Vermögensbildung folgen zu lassen, und zwar zum einen deshalb, weil Sie dem deutschen Arbeitnehmer als Sparer 30 Milliarden DM im Jahr nehmen
— die Sparer sind nicht alle Arbeitnehmer —, zum anderen deshalb, weil die SPD die Nagelprobe in der Vermögenspolitik noch schuldig ist. Denn in 17 Jahren ihrer Opposition, in drei Jahren der Beteiligung in der Großen Koalition und in viereinhalb Jahren der Regierungsverantwortung hat die SPD noch keinen einzigen eigenständigen Gesetzes-
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Pierothantrag zur breiteren Vermögensbildung in diesen Deutschen Bundestag eingebracht.
Die CDU hat das Ziel ihrer Eigentumspolitik noch nicht erreicht, aber ihre Richtung stimmte. Es war richtig, in den Jahren 1952 und danach zuerst mit der Bildung von Geldvermögen und Wohnungseigentum zu beginnen. Hätte die Koalition im April 1970 unserem Antrag zum Beteiligungslohngesetz zugestimmt, wären seit 1971 jährlich zusätzlich 6 Milliarden DM an Produktivvermögen der Arbeitnehmer gebildet worden. Man hat abgelehnt. Ich möchte sagen, man hat bisher nur Neid gesät und darf sich deshalb über soziale Zwietracht nicht mehr wundern.
Wir werden das Konzept, das Sie vorlegen werden, sehr gründlich prüfen, und zwar im Hinblick auf unsere drei Hauptbedingungen:1. Es muß Eigentum für alle Erwerbstätigen geschaffen werden.2. Das Eigentum muß am Produktivkapital der Wirtschaft gebildet werden, und dazu war Ihre Antwort, Herr Minister, wirklich nicht befriedigend.3. Es muß persönliches Eigentum sein, d. h. in Anlage und Ertrag persönlich verfügbar sein.Wir befürchten, daß jetzt schon die Konturen deutlich werden, daß man nur von einer sogenannten Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen sprechen kann.Meine Damen und Herren in der Regierungskoalition, wenn Sie die Arbeitnehmer verschaukeln, wenn Sie lediglich Ihre Neidkomplexe in Gesetzesparagraphen bringen, ohne daß Sie dem mündigen Bürger wirklich persönlich verfügbares Privateigentum verschaffen, versäumen Sie wahrscheinlich die letzte Chance, die Bereitschaft der deutschen Arbeitnehmer zur aktiven Teilhabe als Wirtschaftsbürger partnerschaftlich zu nutzen.
Ich spreche von sogenannter Vermögensbildung aus drei wesentlichen Gründen. Einmal: Wenn Sie, Herr Minister Maihofer, Infrastrukturmaßnahmen bezahlen wollen, tun Sie das doch ehrlich mit Steuern und nicht mit dem Geld der Arbeitnehmer.
Der zweite Grund — Sie sind mir da in der Antwort ausgewichen —: Wenn Sie bis zu zwölf Jahren sperren — Sie sprachen von relativer Sperre für zwölf Jahre — und wenn Sie die Gelder in Fonds anlegen, dann ist die Parallele zum Wahlmännergremium in der Mitbestimmungsproblematik gegeben, und wir fragen: Fürchten Sie den mündigen Bürger, der selbst verwalten kann, oder wollen Sie ihn nicht?
Ich möchte gar nichts dazu sagen, ob 212 DM im Jahr viel oder wenig sind. Jeder Anfang ist besser, als wenn unter Ihrer Regierungstätigkeit weiterhin nichts passiert. 212 DM mal 24 Millionen Arbeitnehmer gibt 5 Milliarden DM, die doch letztlich zentral gesteuert werden. Es waren auch die sogenannten rechten Sozialdemokraten, die in Hannover von einer Gesellschaftspolitik sprachen, die durch diese Vermögenspolitik möglich würde, deren Ausmaße man sich noch gar nicht vorstellen könne.Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Ernst Günter Vetter aus der FAZ zitieren, der, wie ich meine, richtig schrieb:Der politisch richtige Ansatz zur Vermögensbildung, nämlich jedem Bürger mit der Chance und der Anregung zur Vermögensbildung einen Begriff von Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit zu geben, ist damit verschüttet worden.
Meine Damen und Herren, wir meinen deshalb, daß auch kein Grund .vorliegt, zu streiten, wer nun der Vater dieser Mißgeburt ist, die FDP oder die SPD. Trotz Ihres Wortes, Herr Wehner, in Hannover, daß dieses Vermögensbildungskonzept, wie auf dem Parteitag beschlossen, so in die Koalition übernommen werden wird oder eben gar keines: Offiziell ist Ihr Konzept aus Hannover nicht beschlossen worden, aber durch die Hintertür droht praktisch wieder der Eintritt der gleichen zentralistischen Gefahren, so daß eigentlich die FDP gar nicht der Vater der Vorlage sein kann. Herr Maihofer wird es gelesen haben, was Dieter Stolze -- wenn ich noch einmal zitieren darf — am 1. Februar in der „Zeit" schrieb: daß in Wahrheit die Beschlüsse zur Vermögensbildung in fast allen Punkten eine Kapitulation der Liberalen vor dem Sozialismus bedeuteten.Aber selbst diese sogenannte Vermögensbildung ist ja noch umstritten. In Hannover wollte die SPD anders. Der DGB-Beschluß mit 55 : 52 wollte den zentralen Fonds. Die größte Einzelgewerkschaft und Herr Frister sagen ganz klar nein. Ich kann das Buch „Das Nein zur Vermögenspolitik" nur empfehlen. Dann weiß man, wo die Mehrheiten zur Vermögensbildung stehen.Meine Damen und Herren, es sähe schlecht um eine gerechtere Beteiligung am Produktivvermögen aus, wenn die Vermögenspolitik auf diese heterogenen Kräfte und auf diesen kümmerlichen Plan allein angewiesen wäre. Eine gerechtere Verteilung persönlich verfügbaren Eigentums wäre dann in diesem Hause bald in der Minderheit. Es gibt aber auch noch andere Gruppierungen, die eine Mehrheit für persönliches Eigentum bilden könnten, und die stärkste politische Kraft in dieser Mehrheit ist die CDU/CSU. Die CDU/CSU hat ein Gesamtkonzept, keinen schmalbrüstigen Plan. Diese Vorstellung der CDU/CSU gefährdet nicht die soziale Marktwirtschaft, sondern stärkt sie. Der Regierungsplan schließt marktwirtschaftssprengendes, funktionärsgesteuertes Kollektiveigentum zumindest nicht aus.
Die CDU/CSU tritt für persönlich verfügbares Privateigentum für alle ein, und mit diesem CDU/CSU-Konzept werden Sie sich in diesem Hause noch auseinanderzusetzen haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5307
Das Wort hat der Abgeordnete Rosenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe manchmal das Gefühl — das gilt auch für die vorige Diskussion um die Mitbestimmung —, daß wir zu sehr ins Haus und nicht nach draußen und nach anderen Ländern schauen und bei allen parteipolitischen Gegensätzen vergessen, welcher weitere Fortschritt in der Beteiligung unseres Volkes am Sagen — das ist die Mitbestimmung, so oder so im Detail — und im Besitzen — das ist die Vermögensbildung, so oder so im Detail — in dieser heutigen Stunde einsetzt.
Ich will hier keine parteipolitische Rede halten; denn auch in dieser Frage gibt es viele Väter: von Karl Marx bis Burgbacher. Karl Marx mit seiner Analyse, und Burgbacher hatte die Courage zu sagen, daß Karl Marx lange genug tot ist, um zuzugeben, daß er in dieser Frage recht gehabt hat.Auch was die FDP betrifft, so wird mir der Kollege Maihofer nicht böse sein, wenn ich bei allem Engagement, das er in dieser Sache bewiesen hat, sage: Die FDP von früher, die FDP vor Scheel und Maihofer hat in dieser Sache nichts getan, sondern die Vermögensbildung ist auf Grund der sozialdemokratischen Analyse und sozialdemokratischer Aktionen in Fahrt gekommen.Herr Pieroth, wenn wir über das 624-DM-Gesetz reden, dann wissen Sie genauso gut wie ich, daß in der CDU-Zeit sogar nach der Novellierung nur eine Million Arbeitnehmer tariflich am Geldvermögen teilgenommen haben; heute sind es an die 20 Millionen.Ein paar einfache Punkte zur Koalitionsvereinbarung zu einem Vermögensbeteiligungsgesetz:Dieses Gesetz wird für große Teile auch dieses Hauses — mit Detailkritik, darüber wird man reden können — ein freundliches Gesetz. Diejenigen von Ihnen, die denken und rechnen können, sollten über der Parteipolitik das nicht ganz vergessen.Es wird ein arbeitnehmerfreundliches Gesetz,
weil nämlich von den 23,6 Millionen Bezugsberechtigten 22,25 Millionen oder 94 % Arbeitnehmer sind.Es wird ein mittelstandsfreundliches Gesetz, weil die Abgabe erst bei mindestens 400 000 DM, bei Personengesellschaften und Einzelunternehmen sogar mit einem zusätzlichen Freibetrag von 100 000 DM, ansetzt.Es wird ein investitionsfreundliches Gesetz, weil der Zwang zur Abgabe von Beteiligungswerten dazu führt, daß jetzt zum ersten Mal nicht in Geld abgeführt wird. Die Abgaben von Beteiligungspapieren läßt den Gewinn der Unternehmen völlig gleich. Deshalb werden die Investitionen, die Unternehmen brauchen — in Deutschland, wie in China oder in Amerika — nicht gestört. Ich finde es ein bißchen unwürdig, wenn hier von Konfiskation geredet wird — von Ihrer Seite und auch von gewissen Wirtschaftsunternehmen. Wenn ich ganz konservativ rechne, dann ist der Vermögenszuwachs in den großen Unternehmen 4 %. Wenn dann an die Altbesitzer 3 % und an die Arbeitnehmer 1 % gehen, ist es ein bißchen unwürdig, von Enteignung zu reden.
Es wird ein infrastrukturfreundliches Gesetz. Das gilt nicht nur deshalb, weil, wie auch Herr Maihofer gesagt hat, dieser Fonds mit Baraufkommen auch in der Infrastruktur investieren kann. Es wird ein infrastrukturfreundliches Gesetz auch dadurch, daß nicht etwa vom Gewinn etwas weggenommen, sondern nur der Besitzzuwachs anders verteilt und so die Besteuerungsfähigkeit der Unternehmen für öffentliche Investitionen gleichbleibt.Letzten Endes wird es ein stabilitätsfreundliches Gesetz. Denn wie lange braucht es noch, bis wir endlich begriffen haben, daß man über Nominallöhne und andere Geldleistungen nur konsumierbares Einkommen verteilen kann.
— Vom Bier über Ihren Anzug oder Ihren Wein, Herr Pieroth, bis zu den Autos —,
daß wir aber über Nominallöhne nicht verteilen können die Brauhäuser, die Textilmaschinen und die Hochöfen. Gerade in dieser Zeit appelliere ich an Sie, über die Differenzen nicht das zu vergessen, was gemeinsam sein sollte. Hier ist der erste Durchbruch, die Arbeitnehmer auch an dem investierten Einkommen zu beteiligen.Letztlich wird es ein demokratiefreundliches Gesetz. Sie haben es ja selber gesagt: durch die Teilhabervertretung, die über die Anlagepolitik entscheidet und darüber, wer in den Unternehmen die Vertretung der Fonds ausübt. Das sind die Anteilseigner, die mündigen Bürger, Herr Pieroth; die sind gerufen. Wir können nur demokratische Türen öffnen. Der mündige Bürger muß auch in dieser Frage selbst durchgehen. Herr Pieroth, machen Sie es nicht nur uns, sondern machen Sie es auch sich selbst nicht zu schwer. Es muß heute einerseits ein schöner und andererseits ein schlechter Tag für Sie sein. Es muß ein Tag sein, an dem die Trauben für Sie sauer geworden sind.
Denn in Hamburg haben Sie die Vermögensbeteiligung am Produktivkapital negativ verabschieden müssen, statt unserer auch von Ihrer Jungen Union und Ihren Sozialausschüssen gewünschten überbetrieblichen Abgabe haben Sie sich zurückziehen müssen auf „freiwillig" und „angemessen". Wenn Sie es den Unternehmern anheimstellen, was sie den Arbeitnehmern freiwillig und angemessen überlassen wollen, dann kommt mir das so vor, als wenn Sie sagen, Sie wollen es im Verkehr der Vernunft der Autofahrer überlassen, ob sie freiwillig und angemessen bei Rot nicht über die Ampeln fahren.
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5308 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
RosenthalZum Abschluß: Ich finde, daß wir diesen Tag nicht nur im Gegensatz vorübergehen lassen sollten. Ich schließe die Mitbestimmung ein. Denn schauen wir doch einmal nüchtern nach anderen Ländern! Wir brauchen nicht nach Chile oder der Tschechoslowakei zu schauen. Schauen wir nur nach der Kluft im westeuropäischen Italien oder im westeuropäischen England, erkennen Sie, wohin es führt, wenn der Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in das Sagen — Mitbestimmung — und in das Besitzen — Vermögensbeteiligung — einbezogen wird. Dann würde auch klarer, daß hier ein großer Schritt auf einem deutschen Weg einer sozialen Demokratie und des inneren Friedens gegangen wird, auf den wir eigentlich alle miteinander — auch Sie! — stolz sein sollten.
Meine Damen und Herren, die Gesamtredezeit für die Regierungsparteien von 20 Minuten ist mit dieser Rede konsumiert.
Ich rufe jetzt den letzten Bereich, nämlich die Frage des Mietrechts, auf. Für die Fragen stehen 10 Minuten zur Verfügung.
Die erste Frage hat Herr Dr. Schneider. Bitte schön!
Der Grundsatz der Sozialpflichtigkeit des Eigentums beherrscht auch das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter. Wird Ihr Gesetzentwurf diesem Grundsatz insoweit gerecht, als er die Interessen des Mieters ebenso berücksichtigt wie die Interessen des Vermieters? Das gilt insbesondere im Zusammenhang mit der Bemessung einer gerechten, sozial zumutbaren und wirtschaftlich vernünftigen Miethöhe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Gesetzentwurf baut auf den Erfahrungen auf, die wir seit etwa drei Jahren mit dem neuen Mietrecht gemacht haben. Diese Erfahrungen besagen, daß wir ein durchaus ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Interesse des Mieters an einem ausreichenden, aber gegenüber dem bis ,dahin geltenden Recht verstärkten sozialen Schutz und dem Interesse des Vermieters an einer angemessenen wirtschaftlichen Nutzung seines Eigentums gefunden haben. Dieses werden Sie im neuen Entwurf unverändert als Leitlinie finden.
Die nächste Frage, Herr Abgeordneter Gnädinger.
Herr Minister, konnten Sie bei der Überprüfung des bisherigen Mietrechts feststellen, ob die Voraussage der Opposition in diesem Hause, dies sei ein Gesetz zur Beschleunigung des Mietanstiegs, richtig oder falsch war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie häufig, hat sich auch hier die Voraussage der Opposition, nach der Sie mit Recht und aus guten Gründen fragen, als unrichtig erwiesen. Es hat sich im Gegenteil herausgestellt, daß die Regelung, die wir damals
gefunden haben, zu einer spürbaren, erkennbaren, von allen Beteiligten anerkannten Beruhigung gerade auch im Bereich der Mieten geführt hat und daß wir heute, verglichen mit dem Zustand von vor drei Jahren, in der Tat davon reden können, ,daß in diesem wichtigen Bereich Ruhe eingetreten ist.
Nächste Frage, Herr Abgeordneter Dr. Jahn .
Herr Minister, warum wird im Regierungsentwurf die gemeinnützige Wohnungswirtschaft gegenüber einem privaten Vermieter insofern einseitig bevorzugt, als die gemeinnützige Wohnungswirtschaft bei freifinanzierten Neubauwohnungen die günstigere Kostenmiete, der private Vermieter aber lediglich die Vergleichsmiete erheben darf?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine solche einseitige Begünstigung ist im Regierungsentwurf nicht vorgesehen.
Die nächste Frage, der Abgeordnete Henke.
Herr Minister, die Bundesregierung hat der Modernisierung des Althausbesitzes in ihrem Programm eine besondere Bedeutung beigemessen. Im geltenden Mietrecht hat es hier einige Schwierigkeiten gegeben. Hat die Bundesregierung jetzt Vorsorge dafür getroffen, daß diese Modernisierung in den nächsten Jahren durch das Mietrecht nicht mehr behindert wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung mißt der Modernisierung des Althausbesitzes in der Tat eine besondere Bedeutung bei. Es ist jetzt vorgesehen, daß Kosten, die der Vermieter für die Modernisierung einer Wohnung aufwendet, in angemessenem Umfang in der Miete ihren Niederschlag finden können, daß also entsprechende Erhöhungen der Miete erfolgen können. Das ist, wenn es so durchgeführt wird, letztlich eine Regelung, die auch dem Mieter zugute kommt. Deswegen erschien sie uns angemessen und zweckmäßig. Sie wird in der Tat praktisch zur Folge haben, daß es eine Anregung sein wird, Modernisierungen vorzunehmen.
Nächste Frage, der Abgeordnete Erhard .
Herr Minister, trifft es zu, daß die ursprünglich vorgesehene Zusammenbindung von Mietschutz und Mietpreis nicht mehr einheitlich im BGB geregelt werden soll, sondern daß die Mietpreisregelungen in einem eigenen Gesetzentwurf enthalten sein sollen, und trifft es weiter zu, daß zur Zeit in der Bundesrepublik mindestens 150 000 Wohnungen als nicht vermietbar Leerstehen, und zwar zu einem erheblichen Teil auch Sozialwohnungen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5309
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es hat sich als richtig erwiesen, die Kündigungsschutzbestimmungen im engeren Sinne dort unterzubringen, wo sie eigentlich klassischerweise auch hingehören, nämlich im Bürgerlichen Gesetzbuch, und zwar nicht nur, um deutlich zu machen, daß es sich hier um Dauerrecht handeln soll, sondern auch, um zu verdeutlichen, daß in diesem wichtigen Zivilrechtsgesetzbuch eine entsprechende klare Antwort auf diesen Sachverhalt gegeben wird. Demgegenüber sind die Regelungen für die Mieterhöhungen zum Teil sehr kompliziert. Das ergibt sich aus dem Gegenstand, den sie betreffen. Es erschien nicht zweckmäßig, sie im Bürgerlichen Gesetzbuch unterzubringen. Hier wird es eine besondere gesetzliche Regelung — aber auch als Dauerrecht — geben.
Die Frage nach den leerstehenden Wohnungen ist wie folgt zu beantworten. Es ist in der Tat so, daß eine große Zahl — ich rechte mit Ihnen nicht darüber, ob die von Ihnen genannte Zahl richtig ist — von nicht vermieteten Wohnungen vorhanden ist. Es handelt sich dabei aber um Wohnungen, die wegen des hohen Aufwandes, der in ihnen zu finden ist, auch eine entsprechend hohe Miete erfordern. Ich finde, es ist eine vernünftige Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt darin zu sehen, daß Luxuswohnungen eben nicht mehr so ohne weiteres absetzbar sind.
Die nächste Frage stellt der Herr Abgeordnete Gnädinger.
Herr Minister, hat sich die Bundesregierung bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfes auch von dem Gedanken leiten lassen, daß in Zeiten, in denen keine Wohnungsknappheit herrscht, Mieterschutz gleichfalls notwendig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine der wesentlichen Ausgangsüberlegungen für dieses Gesetz ist, daß die Bedeutung, die die Mietwohnung für den einzelnen Bürger und für seine persönliche Existenz hat, so groß ist, daß hier ein klassicher Fall der Anwendung der Sozialbindung des Eigentums nach dem Grundgesetz vorliegt, dem nun endlich auch in unserer Gesetzgebung klar Ausdruck verliehen werden muß.
Die nächste Frage stellt der Herr Abgeordnete Mick.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß bei einer Bejahung des Mieterschutzes ein ausreichendes Wohnungsangebot mehr zur Entspannung auf dem Wohnungsmarkt beigetragen hat als alle sonstigen Maßnahmen und daß wir unsere Politik auch weiter darauf ausrichten müßten, ein ausreichendes Wohnungsangebot zu schaffen bzw. zu erhalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Niemand wird bestreiten, daß die Bedürfnisse der Mieter nur durch
ein ausreichendes Wohnungsangebot befriedigt werden können. Dies ändert nichts daran, daß es dringend geboten ist, jeden Mieter in der Möglichkeit, die Wohnung zu bewahren, die er zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht hat, so zu schützen, wie es durch dieses Gesetz geschieht. Ich muß auf die Tatsache zurückkommen, daß wir jetzt erstmals eine dauerhafte, auch im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerte Regelung vorsehen und damit einen fast fünfzig Jahre lang dauernden Zustand von Ersatzgesetzen und Sondergesetzen zur Sicherung der Rechte des Mieters hinter uns lassen, einen Zustand, der alles andere als befriedigend war.
Die nächste Frage stellt Herr Abgeordneter Schmude.
Herr Minister, hat nach den Erkenntnissen der Bundesregierung das seit 1971 festgelegte Verfahren der Mieterhöhung das damals verfolgte Ziel erreicht, unter Wahrung der wirtschaftlichen Interessen beider Seiten jede Machtausübung des wirtschaftlich Stärkeren auszuschließen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieses Ziel ist nach allen Erfahrungen, die wir haben machen können, in vollem Umfang erreicht worden. Der Bestand der Wohnung, der Schutz des Wohnrechts sind in vollem Umfang gewährleistet. Dennoch sind die wirtschaftlichen Interesesn der Hauseigentümer in angemessener Form gewahrt worden.
Die nächste Frage stellt der Herr Abgeordnete Dr. Jahn.
Herr Minister, im Anschluß an meine vorige Frage bitte ich noch einmal um Auskunft, ob Art. 2 des Referentenentwurfs in der Fassung, wie er offiziell der CDU/CSU-Fraktion zugeleitet worden ist — diese Fassung enthält eine einseitige Bevorzugung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft —, zwischenzeitlich geändert worden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann im Augenblick keine Vergleiche anstellen über die Entwürfe, die Sie in der Hand haben. Ich kann Ihnen nur sagen: In dem heute vom Kabinett beschlossenen Entwurf ist eine solche Sonderregelung nicht vorgesehen.
Eine letzte Frage, Herr Abgeordneter Dr. Schneider .
Herr Minister, nachdem das Bundeskabinett heute offensichtlich einen anderen Gesetzentwurf als den beschlossen hat, den Sie den Fraktionen zugeleitet haben, frage ich Sie: Bietet der nunmehr beschlossene Entwurf Gewähr dafür, daß der Vermieter bei der Anwendung des Vergleichsmietverfahrens in Zukunft in der Lage ist, im Prozeßfalle seiner Beweispflicht auch zu genügen? Denn bekanntlich sind die Prozesse ja daran
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5310 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. Schneidergescheitert, daß der Vermieter wegen schlechter Fassung des Gesetzes seiner Beweispflicht von Rechts wegen nicht genügen konnte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schneider, zunächst: Im allgemeinen ist es natürlich üblich, daß Referentenentwürfe nicht unverändert zu Kabinettsvorlagen werden. Das nur zur Klarstellung.
Im übrigen ist die Frage, die Sie anschneiden, in der Tat ein Problem gewesen. Prozesse sind allerdings nicht gescheitert; sie waren gelegentlich nur etwas schwieriger zu führen. Es ist vorgesehen, daß wir zu einem vereinfachten Beweisverfahren kommen, indem wir sagen, daß etwa drei bis fünf Vergleichswohnungen angegeben werden müssen. Darüber hinaus wird aber auch ausdrücklich geregelt, daß etwa Mietspiegel oder Sachverständigengutachten zugelassen werden. Im Gesetz wird also eine klare Regelung der Beweisführung ausdrücklich vorgesehen.
Wir sind am Ende des für diesen Abschnitt vorgesehenen Fragenzeitraumes.
Wir kommen jetzt zur Stellungnahme der Fraktionen. Es stehen noch insgesamt fünfeinhalb Minuten zur Verfügung. Das Wort hat der Abgeordnete Erhard .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter der Voraussetzung, daß sich durch die Kabinettsentscheidungen erhebliche Änderungen des bisherigen Gesetzentwurfes ergeben haben und auf jeden Fall in verschiedenen Gesetzen Preisvorschriften und Mietrechtsschutzvorschriften geregelt werden sollen -das ist ja neu und soviel ich weiß, liegt für den zweiten Teil auch überhaupt noch gar keine gesetzliche Formulierung vor; es kann sich da nur um Grundsatzentscheidungen des Kabinetts handeln —, können wir nur Stellung nehmen zu dem, was uns bis jetzt bekannt ist.Wir sind der Meinung, daß das Mietrecht seine soziale Komponente auf jeden Fall behalten muß. Das Mietrecht muß aber auch Vertragsrecht bleiben. Was soll es sonst an der Stelle im Bürgerlichen Gesetzbuch?
Die Unzulänglichkeiten des Wohnraumkündigungsschutzgesetzes sind so offenkundig, daß der neue Entwurf darauf an mehreren Stellen eingeht. Die Rechtsprechung hat sich von Landgericht zu Landgericht unterschiedlich entwickelt. Es gibt keine einheitliche Rechtsprechung zu den hier streitig gewordenen Fragen, und wir müssen hinzusetzen, Herr Minister, daß sich die gesetzlichen Bestimmungen über die Vergleichsmiete nicht bewährt haben; und zwar deshalb nicht bewährt haben, weil sie so formalistisch aufgebaut sind, daß die Prozesse, die anhängig geworden sind, zu fast 100 0/o an dieser Stelle, im rein formalen Bereich, gescheitert sind. Es gibt so gut wie keinen materiell-rechtlichen Prozeß über die Berechtigung einer Mieterhöhung. Alle Prozesse sind im formalen Bereich hängengeblieben. Sie wissen das ja auch auf Grund der Stellungnahmen der Landgerichte, die als Berufungskammern mit Mietprozessen befaßt sind, die Ihnen, Herr Minister, zugegangen sind. Darüber brauchten wir nicht zu streiten. Es gibt also gar keinen Beweis dafür, daß sich diese Vorschriften bewährt hätten.Ich sagte: Das Ganze muß Vertragsrecht bleiben. Damit muß es auch ein Recht zur Verfügung über Sachen bleiben, und zwar in den abgestuften Grenzen, die die Sozialbindungen der Sachen enthalten. Hier weise ich darauf hin, daß das Bundesverfassungsgericht in einer verfassungsbeschwerlichen Entscheidung die Regelungen des Wohnraumkündigungsschutzgesetzes „nur wegen der Befristung" — so wörtlich in der Begründung —, „die nicht zu unverhältnismäßigen Beschneidungen der Handlungsfähigkeiten im Bereich der Eigentumsordnung" führt, nicht als verfassungswidrig angesehen hat.Weiter sind, wenn wir die Vertragsgestaltungsrechte und auch die Vertragsrechte selbst in einer hinreichenden Weise erhalten wollen, die Abgrenzungen, die der Erhaltung und Sicherung des sozialen Friedens dienen, notwendig. Diese Bindung darf aber nicht dazu führen, daß die Unwirtschaftlichkeit vor allen Dingen des Althauswohnungsbestandes eintritt, und sie darf auch nicht dazu führen, Herr Minister, daß Vermieter Wohnungen nicht vermieten, weil sie den potentiellen Mieter nicht mehr loswerden. Wir wissen, daß die Vermietungsbereitschaft erheblich zurückgegangen ist. Damit werden Wohnungen dem Mieter vorenthalten, die zur Regulierung des Marktes erforderlich wären.
Die Modernisierung, die Sie gerade im Hinblick auf Altwohnungen nunmehr kostenmäßig einbinden und ermöglichen wollen, soll durch gewisse Abwälzungen der Kosten auf den Mieter ermöglicht werden. Sie führen aber im Entwurf, soweit wir ihn kennen, eine Obergrenze ein, so daß die ganze Modernisierung für den Vermieter eine unwirtschaftliche Belastung und deswegen Illusion bleiben wird.Es hat keine Orientierung am Markt stattgefunden, und sie wird auch nicht stattfinden; denn die vorhandenen Bestimmungen haben nach übereinstimmender Meinung der Beobachter und der Wohnungswirtschaft dazu geführt, daß wir im Bereich der Altwohnungen und des bisher vorhandenen Wohnungsbestandes, der unter das Gesetz fällt, praktisch eine Mietstoppregelung gehabt haben. Das wird bei der Perpetuierung dieser Bestimmungen auf jeden Fall in die Beratungen und die Betrachtungen einzubeziehen sein.Glauben Sie, Sie könnten mit Ihrer zehnprozentigen Abwälzung der Modernisierungskosten auf den Mieter die Inflation bremsen? Die eigentlichen Ursachen für die Kostenerhöhungen im Wohnungsbau, aber auch bei den Reparaturen liegen doch in der galoppierenden Inflation. Sollen etwa im wesentlichen wieder die Althausbesitzer die Inflationslasten tragen müssen, was zum Verfall des Althaus-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5311
Erhard
besitzes führen würde? Ich meine, die Inflation der früheren Zeit und die Belastungen des Hausbesitzes aus den 20er Jahren sollten hier ein sehr deutliches Mahnmal sein.Sie sagten jetzt, gewisse Bestimmungen seien in dem Gesetzentwurf nicht mehr enthalten. Soweit wir ihn kennen, wird eine Begünstigung für rund 880 000 Wohnungen vorgenommen, die im Besitz gemeinnütziger Wohnungsgesellschaften sind. Wir halten es für völlig untragbar, daß hier andere Preisvorschriften als für den privaten Teil vorgesehen sind.
— Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.Wir sollten auch sehen, wo die eigentlichen Schwierigkeiten liegen. Wir haben in Hamburg die höchsten Mieten, wir haben in Hamburg das größte Kontingent der von Wohnungsgesellschaften verwalteten und in ihrem Eigentum angesiedelten Wohnungen. Ein Blick nach Hamburg lehrt uns, was hier eigentlich passiert.
Das Mietrecht darf nicht zu einem Recht werden, das vom privaten in das öffentliche Recht hinübergenommen wird.
Zum Abschluß hat als Vertreter der Bundesregierung noch Herr Bundesminister Jahn das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Bemerkungen. Es ergibt sich in der Diskussion natürlich ein schwieriges Verfahren, Herr Kollege Erhard, wenn ich hier auf Fragen zweimal sage: „Bestimmte Vergünstigungen, die Sie angesprochen haben, sind in dem Gesetz nicht mehr enthalten", Sie aber das immer noch zum Gegenstand Ihrer Erklärungen hier machen. Ich frage mich, welche Art von Debatte das eigentlich sein soll. Aber das ist Ihr Problem, wie ich überhaupt den Eindruck habe: Die ganze Politik auf dem Gebiet des Mieterschutzes ist für Sie ein Problem, mit dem Sie nur schwer fertig werden.
— Oh ja, denken Sie mal drei Jahre zurück, denken Sie an die damals geführten Diskussionen. Vieles von dem haben Sie ja immer noch nicht abgestreift. Das hat Ihr soeben gemachter Diskussionsbeitrag gezeigt. Sie bewegen sich immer noch in denselben Denkbahnen. Damit müssen Sie fertig werden.
Sie können sich jedenfalls auf eines verlassen: Es gibt sicher eine ganze Reihe von Fragen, über die im Ausschuß im einzelnen noch gesprochen werden muß. Insgesamt beinhaltet die Regelung, die hier vorgelegt worden ist — das muß ich noch einmal eindeutig betonen — die Sicherung des Mieterschutzes auf der einen und die angemessene Berücksichtigung der Interessen der Hauseigentümer auf der anderen Seite.
Niemand kann bestreiten und nicht einmal von sei- ten der zuständigen Verbände wird ernsthaft bestritten, daß seit der Geltung dieses neuen Rechts in den vergangenen zweieinhalb Jahren im Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern Ruhe eingekehrt ist.
Dies ist die eindrucksvollste Bestätigung dafür, daß sich der damals eingeschlagene Weg insgesamt so bewährt hat, daß er auch die Grundlage für eine dauerhafte Regelung sein wird.
Wenn Sie sagen, daß auf diesem Gebiet nicht zuviel öffentliches Recht gelten sollte, dann sage ich Ihnen: Lenken Sie bitte nicht vom Thema ab! Die soziale Seite unserer Rechtsordnung ist gerade auf diesem Gebiet durch Jahrzehnte hindurch so zu kurz gekommen, daß es jetzt höchste Zeit wird, diesen Pflock in unsere Rechtsordnung endgültig einzuschlagen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende des Tagesordnungspunktes Bericht der Bundesregierung aus der Kabinettssitzung.Bevor ich den nächsten Punkt, die Fragestunde, aufrufe, möchte ich noch folgendes amtlich mitteilen.Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 20. Februar 1974 vorgeschlagen, in Abänderung der in der 74. Sitzung vom 18. Januar vorgenommenen Wahl den Abgeordneten Offergeld zum Stellvertreter des Abgeordneten Dr. h. c. Möller im Vermittlungsausschuß zu machen und den Abgeordneten Dr. Schellenberg zum Stellvertreter des Abgeordneten Dürr zu bestellen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann haben wir so beschlossen.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksachen 7/1700, 7/1718Ich muß dazu zunächst einmal bekanntgeben, daß wir im Ältestenrat in Abänderung der Richtlinien für die Fragestunde für eine Übergangszeit festgelegt haben, daß wir jeweils zwei Fragestunden mit 90 Minuten Dauer haben. Nach § 127 unserer Geschäftsordnung muß diese Abweichung von der Geschäftsordnung hier beschlossen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.Nunmehr treten wir in die Fragestunde ein.Ich rufe zunächst die Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Porzner anwesend.Frage 1 des Abgeordneten Höcherl:Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der in dieser Woche vorgesehenen öffentlichen Anhörung zur Steuerreform, noch rechtzeitig vorher zu klären, ob die Äußerung des Bundesfinanzministers zutrifft, es sei „sehr fraglich", ob die Steuerreform, wie angekündigt, für die große Zahl der Steuerpflichtigen eine Steuersenkung mit sich bringen könne, seine weiteren Äußerungen über die Notwendigkeit eines „Gemisches" von zusätzlichen
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5312 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Vizepräsident von HasselKreditaufnahmen, Ausgabeneinschränkungen und Steuererhöhungen, oder das Dementi des Parlamentarischen Staatssekretärs des Bundeskanzleramtes, daß eine Steuerreform mit Steuererhöhungen für die Regierung nicht aktuell sei?Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung hält an ihrem Willen fest, die strukturelle Reform unseres Steuersystems zur Herstellung größerer Steuergerechtigkeit zum 1. Januar 1975 in Kraft zu setzen. Damit werden gegenüber dem bisherigen Recht Steuersenkungen von netto bis zu 10 Milliarden DM verbunden sein. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, zu entscheiden, ob oder in welchem Umfang ab 1975 diese Einnahmeausfälle teilweise zu kompensieren sind. Die Notwendigkeit zu größerer Kreditaufnahme über die bisherige Planung hinaus steht außer Frage. Ebenso werden sich Bundesregierung und Bundestag Beschränkungen gegenüber zusätzlichen Ausgaben auferlegen müssen, insbesondere gegenüber den Ausgabenvorschlägen der Opposition.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, wie es möglich ist, daß eine Bundesregierung, die eine so hohe Meinung von sich hat, so widersprüchliche Äußerungen zu einem ganz klaren Sachverhalt der Öffentlichkeit anvertrauen kann?
Es hat von der Bundesregierung aus keine widersprüchlichen Äußerungen zu diesem Sachverhalt gegeben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höcherl.
Eine zweite Zusatzfrage: Sind Sie trotz des Abschlusses im öffentlichen Dienst mit all seinen Konsequenzen nach wie vor optimistisch, daß Sie das Versprechen einhalten können, 10 Milliarden DM Steuersenkungen für das Jahr 1975 zu bschließen?
Herr Höcherl, ich habe das in der Antwort auf Ihre Frage beantwortet.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kreile.
Herr Staatssekretär, da Sie eben das Wort „insbesondere" für bestimmte Gesetzesvorhaben der Opposition benutzt haben, frage ich Sie und frage ich mich: Gehen Sie wirklich davon aus, daß das „insbesondere" nur bei Anträgen der Opposition gilt und nicht in gleicher Weise bei Anträgen jeder Gruppe in diesem Hause? Und weiterhin: Wenn Sie erklärt haben,
daß bei der Einkommensteuer ein Einnahmeausfall von 10 Milliarden DM eintrete, wie verstehen Sie dann die Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers vom 17. Februar 1974, in der er von der Steuerreform gesagt hat, daß sie zum 1. Januar 1975 kommen solle, daß aber fraglich sei, ob sie in demselben Maße für die große Zahl der Steuerzahler Steuersenkungen mit sich bringen werde?
Verehrter Herr Kollege, bevor die Antwort kommt, darf ich Sie darauf aufmerksam machen: Die Frage muß kurz sein, die Antwort muß kurz sein, die Zusatzfrage muß kurz sein, und es muß eine Frage sein.
Herr Kreile, der Bundesfinanzminister hat gestern erklärt: Die Bundesregierung plant für 1974 weder Steuererhöhungen noch Steuersenkungen; der Stabilitätszuschlag läuft, wie gesetzlich festgelegt, am 30. Juni 1974 aus. Auf die starke Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte durch die Tariferhöhung im öffentlichen Dienst mit Steuererhöhungen zu reagieren, wäre konjunkturpolitisch verfehlt. Für Steuersenkungen besteht, wie bereits im Jahreswirtschaftsbericht 1974 die Bundesregierung festgestellt, kein Spielraum. Die Bundesregierung hält an ihrem Willen fest, die strukturelle Reform unseres Steuersystems zur Herstellung größerer Steuergerechtigkeit zum 1. Januar 1975 in Kraft zu setzen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wagner .
Herr Staatssekretär, darf man dann die Äußerungen des Herrn Bundesfinanzministers, verbunden mit den von Ihnen hier gegebenen Erläuterungen, so verstehen, daß die mit der für den 1. Januar 1975 geplanten Steuerreform verbundenen Steuersenkungen in jedem Fall, wie vorgesehen, in Kraft treten sollen und daß zur Zeit lediglich noch überlegt wird, ob der Steuerausfall durch Steuererhöhungen auf anderen Feldern kompensiert werden könnte?
Herr Dr. Wagner, die Bundesregierung legt großen Wert darauf, daß die Steuerreform so, wie sie konzipiert wurde, in ihren wesentlichen Teilen — die Koalitionsfraktionen haben ja einen Beschluß darüber gefaßt, welche Teile vorrangig behandelt werden sollen, nämlich der materielle Inhalt der Steuerreform — zügig beraten wird, damit diese Teile am 1. Januar 1975 in Kraft treten können.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage darf ich wiederholen: Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, zu entscheiden, ob und in welchem Umfang ab 1975 die Einnahmeausfälle teilweise zu kompensieren sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Becker .
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5313
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, halten Sie es für sinnvoll, daß der Finanzausschuß den Entwurf für eine große Steuerreform behandelt, ohne zu wissen, wie die Steuerausfälle kompensiert werden können? Ist das nicht ein ganz ungewöhnliches Verlangen der Regierung gegenüber diesem Hause?
Es ist nicht Sache der Regierung, darüber zu rechten, was der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens beschließt. Die Bundesregierung hat ein vollständiges Konzept für die Steuerreform vorgelegt. Sie wird alles tun, damit der Deutsche Bundestag diese große Aufgabe bewältigen kann.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Bockelberg.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben mitgeteilt, was der Bundesminister der Finanzen zur Klarstellung erklärt hat. Halten Sie es für möglich, daß diese Klarstellung des Herrn Bundesfinanzministers nach den widersprüchlichen Meinungsäußerungen von Mitgliedern der Regierung durch die Dringlichkeitsfragen der Opposition hervorgerufen worden ist?
Der Bundesminister der Finanzen hat für die Bundesregierung das erklärt, was ich Ihnen soeben vorgelesen habe.
Ich habe keinerlei Interpretation angeschlossen; ich habe sie auch nicht anzuschließen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Huonker.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Frage von Herrn Dr. Becker, wie auf Grund der Steuerreform mögliche Steuerausfälle kompensiert werden, etwas merkwürdig klingt, wenn die CDU den Entwurf für ein Inflationsentlastungsgesetz vorlegt, das Steuerausfälle in Höhe von ebenfalls 10 Milliarden DM zur Folge haben würde?
Die Oppositionsparteien haben im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, der mit Steuermindereinnahmen in Höhe von rund 10 Milliarden DM verbunden ist, ohne auch nur anzudeuten, wie sie diese Steuermindereinnahmen ausgleichen wollen. Ich möchte aber dieses Verfahren nicht als „merkwündig” bezeichnen. Diese Beurteilung steht mir nicht zu.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Becker .
Herr staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion, die Steuern ab 1. Januar 1974 zu senken, in unmittelbarem Zusammenhang mit den Lohnverhandlungen steht, während Ihr Reformgesetz ein Gesetz ist, das an sich einnahmeneutral gedacht war, bei dem wir aber heute nicht wissen, wie die Einnahmeausfälle gedeckt werden können?
Herr Dr. Becker, die Steuermindereinnahmen, die 1974 schon entstehen würden, würden die öffentlichen Haushalte vor die Frage stellen, wie schon in diesem Jahr der Ausgleich geschaffen werden soll. Insofern würden sich die Probleme, von denen in den Fragen aus Ihrer Fraktion eben die Rede war, nicht erst für das Jahr 1975, sondern schon für das Jahr 1974 stellen. Für den Bundeshaushalt und für die Haushalte der Länder und der Gemeinden käme es auf das gleiche hinaus, unabhängig davon, aus welchen Gründen Sie Steuersenkungen und Steuermindereinnahmen in Höhe von 10 Milliarden DM vorschlagen. Wir können nicht, Herr Dr. Becker, mehr öffentliche Aufgaben als bisher erfüllen, wie von allen Seiten des Hauses und der Öffentlichkeit gefordert wird, und zugleich Steuermindereinnahmen dieses Ausmaßes schon vor einer Steuerreform in Kauf nehmen, die mit sozialen Änderungen des Steuerrechts verbunden ist. Herr Dr. Becker, Steuersenkungen sind nur zu rechtfertigen im Zusammenhang mit sozialen Korrekturen des Steuerrechts. Steuersenkungen auch für Bezieher größter Einkommen, wie sie von der CDU/CSU-Fraktion vorgesehen sind, wären nicht zu verantworten.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Rapp.
Herr Staatssekretär, haben Sie einmal prüfen lassen, ob das Rezept der Opposition, Mehrausgaben aus Mindereinnahmen zu finanzieren, nicht wenigstens in diesen Faschingstagen größere Beachtung verdient hätte.
Sie haben diese Frage schon selbst beantwortet.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß sich nach den Vorschlägen der Opposition, die Steuermindereinnahmen von 8 bis 10 Milliarden DM noch dadurch nennenswert erhöhen, daß im Gegensatz zu dem Regierungsentwurf, der auch die
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5314 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Frau Funcke) Erhöhung des Kindergeldes und verschiedener Freibeträge umfaßt, dies aber bei den Vorschlägen der CDU/CSU nicht der Fall ist, so daß die wirklichen Mindereinnahmen oder Mehrausgaben beim CDU-Vorschlag bei Berücksichtigung einer Verbesserung des Kindergeldes und einer Verbesserung bei den Freibeträgen und anderen Dingen sich auf 15 bis 16 Milliarden DM beziffern würden?
Frau Funcke, die Steuersenkungen und die Steuermindereinnahmen, die mit dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion verbunden wären, würden es unmöglich machen, danach noch eine Reform des Kindergeldes durchzuführen und Kindergeld vom ersten Kind ab auch für diejenigen zu zahlen, die nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Es wären dann auch andere wesentliche soziale Korrekturen des Steuerrechts nicht mehr zu finanzieren, es sei denn, man würde zusätzlich mehrere Milliarden DM an Steuermindereinnahmen in Kauf nehmen, was aber nicht möglich wäre. Deswegen ist der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion, Steuersenkungen jetzt vorzunehmen, nicht vereinbar mit dem Ziel einer sozialen Steuerreform.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete von Bockelberg.
Liege ich richtig in der Annahme, Herrr Staatssekretär, daß der Mut der Bundesregierung, 10,2 Milliarden DM Steuermindereinnahmen hinzunehmen, in engem Zusammenhang mit den heimlichen Steuererhöhungen durch ,die Tarifabschlüsse steht?
Nein, da liegen Sie nicht richtig.
Darf ich bitten, sich bei den nächsten Fragen nur an den Grundtenor der Frage zu halten. Zuweilen geht es schon ein bißchen durcheinander. Außerdem mache ich darauf aufmerksam, daß es nur eine Zusatzfrage für jeden Kollegen gibt, der nicht die Frage gestellt hat.
Die letzte Zusatzfrage hat daher der Abgeordnete Offergeld.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung angesichts der plötzlichen Sorgen der CDU über die Haushaltsausfälle im nächsten Jahr eine Vorstellung davon verschafft, welche Haushaltslücken entstehen durch die Anträge der Opposition auf Mehrausgaben auf der einen Seite und Mindereinnahmen auf der anderen Seite im jetzigen Jahr?
Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß ich nicht glaube, daß diese Frage in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausgangsfrage steht. Beantworten Sie sie dennoch, bitte schön! Aber ich bitte, in Zukunft darauf zu achten. Es ist sehr schwer für den Präsidenten, zu wissen, was zur Frage gehört und was nicht.
Herr Offergeld, die Vorschläge aus den Reihen der CDU und CSU in Form von Gesetzentwürfen und anderer Art, die zu Mehrausgaben der öffentlichen Hände und zu Mindereinnahmen führen würde, summieren sich auf mehr als 35 Milliarden DM. Es wäre mit den Grundsätzen einer gesunden öffentlichen Finanzwirtschaft nicht zu verantworten, auf solche Forderungen einzugehen.
Eine letzte Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Huber.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß unter der Voraussetzung, daß 1974 keine Steuersenkungen erfolgen, die Verwirklichung der Steuerreform, so wie sie in den Eckwerten vorgeschlagen worden ist, und insbesondere die neue Kindergeldlösung durch die Überlegungen, die im Zusammenhang mit den Tarifabschlüssen aufgekommen sind, überhaupt nicht in Frage gestellt werden?
Die Steuerreform ist durch die Tarifabschlüsse und durch die wirtschaftliche Entwicklung nicht in Frage gestellt.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Höcherl auf:
Trifft es weiter zu, daß entgegen dem Stabilitätszuschlagsgesetz und der im Jahreswirtschaftsbericht bekräftigten Absichtserklärung über eine Beibehaltung des Stabilitätszuschlags „schon seit einiger Zeit diskutiert wird" , oder stimmt die Erklärung des Regierungssprechers am 18. Februar 1974, daß die Bundesregierung zur Zeit keine Erwägungen über eine Verlängerung des Stabilitätszuschlags anstelle?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Herr Höcherl, der Stabilitätszuschlag läuft, wie gesetzlich festgelegt, am 30. Juni 1974 aus.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Staatssekretär, sind Sie auch der Auffassung, daß sich die Zahl der An-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5315
Höcherlgehörigen der Bundesregierung mehrt, die den Journalisten die Fähigkeit absprechen, eine Meldung richtig wiederzugeben?
Herr Höcherl, ich sehe keinen sachlichen Zusammenhang zu der Frage vorher. Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht nochmals bekräftigt, daß sie daran festhält, daß der Stabilitätszuschlag Mitte dieses Jahres, am 30. Juni 1974, ausläuft. Eine Verlängerung könnte übrigens nicht durch eine Willenserklärung der Bundesregierung geschehen, sondern müßte durch einen Gesetzentwurf, der in erster, zweiter und dritter Lesung im Bundestag und im Bundesrat behandelt werden müßte, beschlossen werden. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß im Schoß der Bundesregierung an einer neuen Ersatzabgabe gebastelt wird und daß man, damit man das Wort „Stabilitätszuschlagsgesetz" vermeidet, ein anderes Etikett draufklebt und den Steuerzahler in anderer Form, aber mindestens in derselben Höhe schröpfen kann?
Diese Vermutung trifft nicht zu. Er fehlt dafür jede sachliche Grundlage.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Aussage, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, den Stabilitätszuschlag zu erneuern, folgern, daß die Aussage des Bundestagskollegen Graf Lambsdorff in der „Welt am Sonntag", daß an eine Verlängerung der Stabilitätsabgabe gedacht sei, als eine private Meinung des Kollegen Lambsdorff anzusehen ist?
Die Bundesregierung hat sich hier nicht zu Erklärungen zu äußern, die ein Mitglied des Deutschen Bundestags abgibt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wagner .
Herr Staatssekretär, nachdem Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf laut Zeitungsmeldungen erklärt hat, daß über die Frage einer Beibehaltung des Stabilitätszuschlags seit geraumer Zeit diskutiert wird, frage ich, ob diese Äußerung des Herrn Staatssekretärs Hermsdorf nicht zutrifft. Für den Fall, daß sie zutrifft, daß also darüber diskutiert wurde, frage ich, ob diese Diskussion im Rahmen der Bundesregierung inzwischen eingestellt wurde.
Weder im Bundesministerium der Finanzen noch in der Bundesregierung wurde diskutiert, den Stabilitätszuschlag zu verlängern, d. h. einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hermsdorf.
Herr Staatssekretär, könnten Sie vielleicht den Kollegen klarmachen, daß es durchaus möglich ist, daß ein Telefongespräch durch eine Zeitung falsch interpretiert wird?
Dies ist durchaus möglich, Herr Hermsdorf, ich will das nicht bestreiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kreile.
Herr Staatssekretär, gehen nicht auch Sie davon aus, daß es unter Beachtung sämtlicher Aspekte die Pflicht der Bundesregierung wäre, immer auch Ersatzmodelle zumindest zu diskutieren? Wenn das so ist, warum schließen Sie dann gerade in diesem Falle aus, daß solche Steuerprobleme im Bereiche der Bundesregierung diskutiert werden?
Die Bundesregierung diskutiert nicht Ersatzmodelle. Sie legt Gesetzentwürfe vor und überläßt es anderen, über Ersatzmodelle zu reden und zu denken.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Dringliche Frage 3 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der in dieser Woche vorgesehenen öffentlichen Anhörung zur Steuerreform, noch rechtzeitig vorher zu klären, ob sie einen Gesetzentwurf zur Steuerreform vorlegen wird, der ihre Absichten exakt wiedergibt, nachdem bereits das Dritte Steuerreformgesetz praktisch nur als Steueränderungsgesetz zum Einkommensteuergesetz im Finanzausschuß beraten wird, und in den letzten Tagen Regierungsmitglieder haben erkennen lassen, daß die durch die jüngsten Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst entstandenen Mehrkosten eine erneute Änderung der Steuerreform zur Folge haben?
Die Bundesregierung hat ihr Gesamtkonzept und damit ihre Absichten zur Steuerreform exakt dargelegt. Sie weist dazu auf die von ihr eingebrachten Gesetzentwürfe, insbesondere auf den Entwurf des 3. Steuerreformgesetzes, Bundestagsdrucksache 7/1470, hin, der unter anderem die Reform der Einkommensteuer und der Lohnsteuer beinhaltet und am 25. Januar 1974 im Deutschen Bundestag in erster Lesung behandelt worden ist. Der Entwurf des 3. Steuerreformgesetzes ist Gegenstand der Beratung im Finanzausschuß. Das Bundesfinanzministerium hat auf Bitte des Finanzausschus-
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5316 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Parl. Staatssekretär Porznerses Formulierungshilfe geleistet. Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, einen neuen Gesetzentwurf zur Steuerreform vorzulegen, zumal es sich bei der Formulierungshilfe um inhaltlich unverändert gebliebene Vorschriften des Regierungsentwurfs handelt, zu dem der Bundesrat bereits gemäß Art. 76 des Grundgesetzes Stellung genommen hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Häfele.
Herr Staatssekretär, 'halten Sie es für richtig, daß wir zur Zeit das 3. Steuerreformgesetz, also die Reform der Einkommensteuer beraten und womöglich bald verabschieden, ohne die Belastung für den einzelnen Steuerbürger zu kennen, die ja nach den Ausführungen des Finanzministers höher werden kann, weil er Steuererhöhungen im nächsten Jahr nicht ausschließen kann?
Nach dem Konzept der Steuerreform wird es für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen Steuerentlastungen geben, für Bezieher sehr hoher Einkommen wird es Steuerbelastungen geben. Dies ist aus dem Entwurf zu entnehmen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Häfele.
Herr Staatssekretär Porzner, halten Sie es für richtig, daß wir über diese Reform der Einkommensteuer beraten, ohne daß die Bundesregierung oder die Regierungskoalition sagt, wie der bisher vorgesehene Ausfall von über 10 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Gemeinden ersetzt werden kann?
Herr Dr. Häfele, ich bin vorhin schon wiederholt auf diese Frage eingegangen. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, über die Kompensation dieser Steuermindereinnahmen — über den Umfang und den teilweisen Ausgleich — zu entscheiden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker .
Herr Staatssekretär, war nicht das gesamte Steuerreformpaket aufkommensneutral geplant? War es nicht der Wille der Bundesregierung und auch der Koalitionsfraktionen, diese große Steuerreform aufkommensneutral zu verabschieden? Sind nicht die uns jetzt bekannten Entwürfe insgesamt nicht aufkommensneutral?
Porzner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen. Das ganze Steuerreformkonzept ist mit den vorher genannten Steuermindereinnahmen verbunden. Wir halten diese Steuermindereinnahmen für vertretbar. Es ist eine Aufgabe für die Zukunft, die Finanzierung der öffentlichen Aufgaben sicherzustellen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Huber.
Herr Staatssekretär, nachdem Herr Dr. Häfele hier gefragt hat, ob eine erneute Änderung der Steuerreform nach diesen Tarifabschlüssen jetzt vorgelegt wird, möchte ich Sie fragen, ob Sie bestätigen können, daß die Regierung dem Parlament nur eine einzige Vorlage überwiesen hat.
Ja. Ich möchte dazu noch folgendes bemerken: Das Außensteuergesetz ist verabschiedet und in Kraft. Die neue Grundsteuer ist beschlossen und in Kraft. Der Deutsche Bundestag hat die Reform der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer verabschiedet. Das Vermittlungsverfahren, so hoffe ich, kann in Kürze beendet werden. Einkommensteuerreform, Lohnsteuerreform, Körperschaftsteuerreform und Reform der Sparförderung liegen dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit vor. Die Regierung hat ein geschlossenes Reformkonzept vorgelegt. Es kann beraten werden. Die Beratung wird allerdings dadurch nicht erleichtert, daß es innerhalb der Opposition verschiedene Vorstellungen über Steuerreform gibt.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, wie die Opposition die Einnahmeausfälle, die auf Grund ihres Gesetzentwurfes in der Größenordnung von 10 Milliarden DM entstehen würden, bei Bund, Ländern und Gemeinden decken will?
Das ist der Bundesregierung nicht bekannt.
Herr Kollege Kreile, Sie hatten schon eine Zusatzfrage. Ich kann nur eine zulassen.
Noch eine Wortmeldung? — Herr Kollege Dr. Wagner .
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Ihre Antworten auf die Fragen des Kollegen Häfele definitiv so zu verstehen, daß die Bundesregierung bei den Beratungen im Finanzausschuß und im Plenum des Bundestages nicht anregen wird, den Entwurf eines Gesetzes zur
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5317
Dr. Wagner
Reform der Einkommensteuer zu ändern, sondern daß sie im Gegenteil darauf beharren wird, diese vorgesehenen Änderungen der Einkommensteuer in der jetzt vorliegenden Form durchzusetzen?
Es gehört zum Alltag der Gesetzgebung, daß der Bundestag oder daß Ausschüsse des Bundestages Gesetzentwürfe verändern. Es steht dem Deutschen Bundestag und dem Finanzausschuß frei, bestimmte Teile vorweg zu beraten, wesentliche Teile vorweg zu beraten, andere später zu behandeln. Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß die ganze Steuerreform im Deutschen Bundestag beraten wird. Über den zeitlichen Ablauf der Beratungen entscheidet allein das Parlament.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie soeben sagten, die Opposition habe es versäumt darzulegen, wie sie die Mindereinnahmen ausgleichen wolle, angesichts der Tatsache, daß die Opposition in ihren Vorschlägen lediglich die Mehreinnahmen des Bundes kappen will?
Ich habe auf die Frage, ob der Regierung bekannt ist, wie die Mindereinnahmen ausgeglichen werden könnten, die durch Vorschläge der Opposition entstehen würden, geantwortet, dies sei der Regierung nicht bekannt.
Eine letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie soeben ausführten, daß die Bundesregierung nicht davon ausgeht, eine Änderung zum Steuerreformgesetz vorzulegen: Darf ich das so interpretieren, daß Sie es aber für wahrscheinlich halten, daß die Regierungskoalition die hier angesprochene Änderung der Entwürfe für die Steuerreform von der Bundesregierung erwartet?
Herr Abgeordneter, Sie gehen von völlig falschen Voraussetzungen aus. Die Bundesregierung hat die Gesetzentwürfe vorgelegt.
Ich rufe die Dringliche Frage 4 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Ist weiterhin die Äußerung von Bundesfinanzminister Schmidt im ZDF-Fernsehinterview am 17. Februar 1974, es sei fraglich, ob die Steuerreform Steuersenkungen mit sich bringen könne, dahin zu verstehen, daß ein Abbau der jahrelangen inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen für die Bundesregierung nicht mehr aktuell ist?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, zur Beantwortung dieser Frage beziehe ich mich auf meine Antwort
auf die erste Frage des Herrn Abgeordneten Höcherl und verweise auf das, was ich dort schon gesagt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Häfele.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, halten Sie die Äußerungen des Herrn Bundesfinanzministers vom letzten Sonntag, daß im nächsten Jahr unter Umständen Steuererhöhungen notwendig werden könnten, angesichts der bevorstehenden Tarifverhandlungen, etwa im Metallbereich, für glücklich?
Die Gewerkschaften führen ihre Tarifverhandlungen unabhängig von den Vorschlägen der Bundesregierung zur Steuerreform und unabhängig davon, was der Deutsche Bundestag bei der Steuerreform beschließen wird. Es besteht kein unmittelbarer und kein mittelbarer Zusammenhang zwischen den Tarifabschlüssen in den kommenden Wochen und dem Konzept der Bundesregierung, ein soziales Steuersystem zu verwirklichen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Häfele.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Porzner, ist aus der Tatsache, daß die Bundesregierung in diesen Tagen den Obleuten des Haushaltsausschusses, wie von Zeit zu Zeit üblich, eine Ubersicht über die ausgabewirksamen Anträge überreicht und darin die Einnahmeausfälle von über 10 Milliarden DM durch das Steuerreformgesetz nicht berücksichtigt hat, zu schließen, daß im Schoße der Bundesregierung schon Erwägungen sind, diese Steuersenkung, diesen Abbau der heimlichen Steuererhöhungen im nächsten Jahr nicht vorzunehmen?
Nein.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Becker .
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie sprachen eben über die Auswirkungen unserer Steuerpläne auf die Abschlüsse mit den Gewerkschaften. Sind Sie nicht der Auffassung, daß durch eine Verwirklichung der Vorschläge der Opposition, die Steuern schon ab 1. Januar 1974 wesentlich zu senken, die Ausgaben des Staates für die Bediensteten der öffentlichen Hand erheblich geringer geworden wären, weil dann eine Möglichkeit bestanden hätte, diese Lohnsteuersenkung bei den Verhandlungen mit zu berücksichtigen?
Nein, der Auffassung bin ich
5318 Deutscher Bundestag — 7, Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Parl. Staatssekretär Porzner
nicht. Es läge auch nicht im Interesse der Tarifhoheit der Gewerkschaften, der Tarifpartner, Steuersenkungen und Steuergesetze mit Tarifabschlüssen in Verbindung zu bringen. Das hätte zur Folge, daß künftig jeweils bei Tarifverhandlungen die Verknüpfung mit Forderungen nach Steuersenkungen den Tarifpartnern die Freiheit nehmen würde, die sie brauchen, um im Interesse der Arbeitnehmer, der Beschäftigten in der Bundesrepublik Einkommenserhöhungen und -verbesserungen durch Tarifabschlüsse zu erzielen. Die Bundesregierung möchte davor warnen, daß Steuergesetzgebung jetzt und zu einem späteren Zeitpunkt mit Tarifabschlüssen verquickt wird. Das ist mit den Vorstellungen, die wir von der Freiheit der Tarifpartner haben, nicht vereinbar. Im übrigen handelt es sich dabei um Größenordnungen, die ich hier nicht im weiteren erläutern kann. 1 °/o Nettolohn- und Gehaltssumme entspricht ungefähr 31/2 Milliarden DM. Das zeigt, daß allein schon der Größenordnung wegen auf Tarifabschlüsse und -verhandlungen durch Steuersenkungen kein Einfluß ausgeübt werden kann; denn nehmen Sie z. B. 2 %, dann wären das schon Mindereinnahmen von 7 Milliarden DM für den Staatshaushalt. Ich halte es für abwegig, und die Gewerkschaften selbst haben es abgelehnt, ihre Tarifverhandlungen mit dem Thema der Steuerreform verquicken zu lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, ist die Äußerung des Bundesfinanzministers so zu verstehen, daß die Verpflichtung, die der Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung übernommen hat, den Arbeitnehmerfreibetrag unverzüglich zu verdoppeln, um die soziale Symmetrie zu erreichen, immer noch nicht erfüllt werden soll?
Die Bundesregierung will den Arbeitnehmerfreibetrag nicht nur verdoppeln, sondern von 240 DM auf 600 DM erhöhen. Die Vorschläge der gesamten Steuerreform würden sich z. B. auf einen Arbeitnehmer, der im Monat 1600 DM zu versteuern hat, verheiratet ist und drei Kinder hat, so auswirken, daß dieser Arbeitnehmer — das Kindergeld einbezogen — 125 DM monatlich weniger Steuern zu zahlen oder mehr Geld netto zur Verfügung hätte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meinike.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, daß das Ziel der Steuerreform nach wie vor nicht vorrangig die Kappung der heimlichen Steuererhöhung ist, sondern daß es das Ziel der Steuerreform ist, eine Umverteilung der Steuerbelastung dahin gehend vorzunehmen, daß die unteren Einkommensschichten entlastet und die Bezieher größerer Einkommen belastet werden sollen?
Ich stimme dem zu. Ich habe das vorhin mit anderen Worten ausgedrückt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bremer.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nachdem Sie vorhin den angeblichen Steuerausfall durch Initiativen der Opposition auf 35 Milliarden DM beziffert haben, habe ich die Frage an Sie: Halten Sie es für zulässig, die nach den Worten auch des Bundesfinanzministers Schmidt darin enthaltenen Präsidiumsbeschlüsse der CDU, die also keinen Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden haben, mit einzubeziehen, ebenso wie die Alternativvorschläge, die Sie gleichfalls addiert haben? Halten Sie dieses Verfahren für zulässig, während es in Wirklichkeit, wenn man das alles berücksichtigt, nur etwa ein Drittel der von Ihnen genannten Gesamtsumme ausmacht?
Die Öffentlichkeit ist nicht nur mit Gesetzentwürfen befaßt, sondern mit Vorschlägen aus den Reihen der Oppositionsparteien oder vom Präsidium der CDU, die zu vielen Milliarden Mark Steuermindereinnahmen oder Mehrausgaben führen würden. Damit werden Schlagzeilen in der Presse gemacht. Damit wird der Eindruck erweckt, als ob man dies wolle. Dies zu addieren und darauf aufmerksam zu machen, wohin Vorschläge der Oppositionsparteien und der Oppositionsfraktion im Bundestag führen würden, nämlich in der Summe bis zu mehr als 35 Milliarden DM kosten würden, halte ich für zulässig, vor allem dann, wenn Sie die Regierung fragen, wie sie eine Steuermindereinnahme ab 1975 in Höhe von 10 Milliarden DM ausgleichen will.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Breidbach.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie keinen Zusammenhang zwischen Steuersenkungen und Tarifabschlüssen sehen, möchte ich Sie fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß die Gewerkschaften mit einer Vielzahl von Stellungnahmen ebenso wie die Konferenz der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sofortige Steuerkürzungen für die inflationsgeschädigten Arbeitnehmer verlangt haben?
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die einzelnen Gewerkschaften sind vor allem an einer Steuerreform interessiert, wie sie die Bundesregierung vorgelegt hat. Die Gewerkschaften haben absichtlich Wert darauf gelegt, zwischen den Tarifverhandlungen jetzt und der Steuerreform, die beschlossen werden soll, keinen Zusammenhang herzustellen.
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Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5319
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Rapp.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung nachrechnen lassen, bis wann der Bundeshaushalt auf Null gebracht wäre, wenn die Bundesregierung sich alle Jahre wieder als dritter Mann an den Tariftisch setzte, was wohl unvermeidlich wäre, wenn jetzt dieser Präzedenzfall geschaffen worden wäre?
Herr Abgeordneter, wir rechnen das nicht nach, weil das abseits jeglicher realistischer Politik ist.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Staatssekretär, lassen wir es dahingestellt, ob Sie dies nicht nachrechnen; aber haben Sie nachgerechnet, wie es sich mit den 10 Milliarden Steuerentlastung bei der Einkommensteuer, die doch weitergerechnet auf der Basis 1972 - wenn überhaupt schon 1972, möglicherweise auf der Basis 1971 — berechnet worden sind, verhält angesichts der nunmehr zweistelligen Inflationsrate, die jetzt angekündigt worden ist? Präzise gefragt: wie hoch ist nach Ihrer Berechnung dann die Steuerentlastung, wenn sich gleichzeitig das Lohnsteueraufkommen und das Einkommensteueraufkommen durch die Inflationsrate in diesem Maße erhöht?
Die finanziellen Auswirkungen der Steuerreform sind gerechnet auf der Basis der Zahlen, die uns derzeit zur Verfügung stehen. Wir haben nicht die Zahlen von 1971 oder 1972 verwandt. Es sind also Zahlen, die ungefähr auch zutreffen werden. Man kann sich allerdings nicht auf ein oder zwei Prozent festlegen lassen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zugeben, daß den Arbeitnehmer vornehmlich der Nettoinhalt seiner Lohntüte interessiert, und würden Sie mir angesichts dieser Tatsache bestätigen, daß es abwegig ist, anzunehmen, daß kein Zusammenhang zwischen den Steuerabzügen und den Nettolöhnen besteht?
Herr Zoglmann, die Steuerreform wird für die Arbeitnehmer und für andere Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen beträchtliche Steuerentlastungen bringen. Wenn der Bundestag dies rechtzeitig beschließt, werden viele Millionen Arbeitnehmer ab 1. Januar 1975 in den Genuß dieser Steuerentlastungen kommen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Ansicht, daß der CDU/CSU-Antrag mit Steuerentlastungen in der Größenordnung von 10 Milliarden DM für 1974 auch gar nicht in die konjunkturelle Landschaft paßt, wo wir jetzt noch Inflationsraten in der Größenordnung von 8% haben?
Steuerliche Entlastungen und Steuermindereinnahmen in diesem Jahr von 10 Milliarden DM würden große finanzielle Probleme für Bund-, Länder- und Gemeindehaushalte aufwerfen.
Eine letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Lagershausen.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage des Kollegen Breidbach nicht beantwortet haben, frage ich Sie: Hält die Bundesregierung die Forderung der Gewerkschaften nach einer sofortigen Senkung der inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen für gerechtfertigt?
Die Bundesregierung zensiert nicht Forderungen, die die Gewerkschaften stellen. Die Bundesregierung hat hier Fragen zu beantworten, die die Bundesregierung selber betreffen.
Wir sind am Ende der Liste der Dringlichkeitsfragen angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär Porzner, für die Beantwortung danken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Frage 1 stellt Herr Abgeordneter Dr. Sperling. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, daß Sie zur Beantwortung zur Verfügung standen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Haack.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Matthöfer zur Verfügung.
Frage 3 des Herrn Abgeordneten Spranger:
Ist es zutreffend, daß durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit der militanten Terroristenorganisation SWAPO eine halbe Million DM zur Verfügung gestellt wird, und ist der Bundesregierung bekannt, daß mit diesen Geldern Waffen aus dem Ostblock angekauft werden sollen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, bei der SWAPO, der South West African People's Organization, handelt es sich nach
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5320 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Parl. Staatssekretär Matthöferder Meinung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die in ihrer Resolution Nr. 3111 vom 12. Dezember 1973 zum Ausdruck gebracht wurde, um die — ich zitiere — „rechtmäßige Vertretung des namibischen Volkes".Ihre Frage beantworte ich mit Nein. Wie Herr Minister Eppler bereits auf eine Frage des Herrn Abgeordneten Höcherl feststellte, hat die SWAPO vielmehr ein Hilfeersuchen, welches sie ursprünglich durch die Vermittlung der UNO an die Bundesregierung gerichtet hatte, an die Friedrich-EbertStiftung herangetragen. Es handelt sich dabei um Hilfe beim Ausbau eines Lagers von Flüchtlingen aus Namibia, das sich in Sambia befindet und mit Unterstützung der dortigen Regierung eingerichtet wurde. Dabei sollen Unterkünfte, ein Sozialzentrum, Werkstätten für Erwachsene und eine Schule errichtet werden, um für die Flüchtlinge eine menschenwürdige Existenz zu schaffen und sie von Hilfe von außen unabhängig zu machen. Die Friedrich-EbertStiftung prüft zur Zeit, ob und inwieweit sie dieses Anliegen der SWAPO im Rahmen ihrer gesellschaftspolitischen Entwicklungshilfe unterstützen kann.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Spranger.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob maßgebende Führer dieser Organisation eine Schulung in Moskau mitgemacht haben und ob sie eine Organisation darstellt, die sich um die Abschaffung der Mandatsverwaltung Südafrikas in diesem Gebiet unter Umständen auch mit Gewalt bemüht?
Herr Abgeordneter, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sich die UNO in vielen Beschlüssen zu der Art und Weise geäußert hat, in der Südafrika die Mandatsverwaltung ausübt. Der Bundesregierung mag vielleicht bekannt sein, was Sie gefragt haben. Das ist aber irrelevant, weil ein solcher Antrag nicht an die Bundesregierung gerichtet worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Spranger.
Herr Staatssekretär, ist auch zukünftig nicht auszuschließen, daß seitens der Bundesrepublik Deutschland dieser Organisation irgendwelche Steuergelder zur Verfügung gestellt werden?
Herr Abgeordneter, ich muß Ihre Frage zurückweisen und auf die Beantwortung Ihrer ursprünglichen Frage hinweisen.
Die Bundesregierung unterstützt diese Organisation nicht. Der Antrag wurde an die Friedrich-Ebert-Stiftung gerichtet.
Keine Zusatzfragen. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung der Frage danken, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold zur Verfügung.
Die Frage 89 des Abgeordneten Dr. Riedl wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Dr. Stavenhagen auf:
Hält die Bundesregierung es für vereinbar mit dem Grundvertrag, daß die DDR-Behörden Rentnern, die im Wege der normalen Familienausreise in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, die zugesagte Angestelltenversicherung aus Einzelverträgen verweigert, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, im Rahmen ihrer Verhandlungen mit der Regierung der DDR, auf die Erfüllung dieser Versorgungsansprüche zu drängen?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, der Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, ich darf Ihrer Frage entnehmen, daß Sie mit der „zugesagten Angestelltenversicherung aus Einzelverträgen" die in der DDR gewährte sogenannte Intelligenzrente meinen, d. h. die Ansprüche auf eine zusätzliche Altersversorgung nach den Bestimmungen der Verordnung vom 17. August 1950 über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben sowie nach der Verordnung vom 12. Juli 1951 über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR.
Die Besonderheit bei dieser zusätzlichen Altersversorgung der Intelligenz der DDR besteht darin, daß die betreffenden Arbeitnehmer im Gegensatz zu dem Bereich der Sozialversicherung selbst keinerlei eigene Leistungen zu erbringen haben, daß die Mittel vielmehr ausschließlich von den Betrieben bzw. den Institutionen aufzubringen sind.
Die Berechtigten, die bis Ende Februar 1962 die DDR legal verlassen haben, erhielten und erhalten noch immer die monatlichen Bezüge aus der in Rede stehenden Zusatzversorgung auf ein Sperrkonto bei einem Kreditinstitut in der DDR. Hingegen ist gemäß § 1 Abs. 2 der „Verordnung über die Neuregelung von Ansprüchen auf zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz" vom 1. März 1962 die Zahlung der monatlichen Bezüge an die Versorgungsempfänger eingestellt worden, die nach dem 1. März 1962 aus der DDR verzogen sind.
Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, dieses spezielle Problem der Altersversorgung im Rahmen der laufenden Verhandlungen mit der DDR zur Sprache zu bringen, dies vor allen Dingen aus folgenden Gründen: Bekanntlich werden in der Bundesrepublik bei der Berechnung der Renten für ehe-
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Parl. Staatssekretär Herold
malige Arbeitnehmer aus der DDR die Beitragszeiten angerechnet, die nach dem 30. Juni 1945 in der gesetzlichen Rentenversicherung der DDR zurückgelegt worden sind. Grundlage hierfür sind die Bestimmungen des Fremdrentengesetzes vom 25. Februar 1960. Durch dieses Gesetz werden die Betreffenden in Verwirklichung des Eingliederungsgedankens so gestellt, als ob sie ihr Arbeitsleben und damit ihr Versicherungsleben in der Bundesrepublik Deutschland verbracht hätten.
Konsequenterweise werden die systembedingten Vergünstigungen bei der Altersversorgung für gewisse Gruppen von Arbeitnehmern in der DDR bei der Rentenberechnung in der Bundesrepublik Deutschland nicht berücksichtigt. Wollte man sie — z. B. in Form der Anrechnung der von Betrieben oder Institutionen in der DDR erbrachten Leistungen für die zusätzliche Altersversorgung — einbeziehen, so wäre die Folge, daß einem Arbeitnehmer, der sein Arbeitsleben weitgehend oder ausschließlich in der DDR verbracht hat, in der Bundesrepublik Deutschland eine weit höhere Rente zuzubilligen wäre als einem Arbeitnehmer, der bei völliger Gleichstellung in der beruflichen Qualifikation und der rentenrechtlichen Aspekte seit 1945 in der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist. Daß dies nicht Rechtens sein kann, liegt nach unserer Auffassung auf der Hand.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die ungefähre Zahl der davon Betroffenen in der Bundesrepublik bekannt?
Nein, die Zahl ist mir nicht bekannt. Es kann sich hier, glaube ich, auch nicht um die Zahl der Betroffenen handeln, es geht hier vielmehr um eine grundsätzliche Frage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es auch Fälle, in denen derart Betroffene in besondere Notsituationen gekommen sind, und gewährt die Bundesregierung in diesen Fällen irgendeine Hilfe?
Mir sind solche Fälle nicht bekannt. Man müßte Notsituationen am Beispiel eines Falles einmal durchprüfen. Ich sagte aber bereits: Es handelt sich hier um eine grundsätzliche Frage. Im übrigen gibt es ja andere Möglichkeiten, jemandem aus diesem Personenkreis in der Bundesrepublik zu helfen, etwa über die Sozialhilfe.
Vizepräsident Dr. 'Schmitt-Vockenhausen: Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen die DDR die sogenannte Abschußprämie für die Grenzsoldaten an der Demarkationslinie zur Bundesrepublik Deutschland auf 5000 Mark erhöht hat, und hält die Bundesregierung bejahendenfalls eine solche Maßnahme für vereinbar mit den Verpflichtungen zu gutnachbarlichem Verhalten, welche auch die DDR mit dem Grundlagenvertrag übernommen hat?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Jäger, der Bundesregierung liegen bestätigte Meldungen über den in der Frage angeschnittenen Sachverhalt nicht vor.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es Pressemeldungen über diesen Sachverhalt gibt, und ist die Bundesregierung bereit, in Vorbereitung der Fragestunde künftig etwas eingehender zu recherchieren, um uns dann hier Auskunft geben zu können?
Ich habe das getan. Die Pressemeldungen sind mir bekannt. Ich sprach deswegen ausdrücklich von nicht bestätigten Meldungen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, verfügt die Bundesregierung außer den Pressemeldungen nicht auch über andere Unterlagen, die ihr eine Erkenntnis über diesen Sachverhalt hätten liefern können?
Natürlich, aber auch aus diesen Quellen waren keine Informationen zu bekommen, die diese Zeitungnsmeldungen bestätigen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Zoglmann.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort, daß Ihnen die Pressemeldungen als nicht bestätigt erscheinen, entnehmen, daß Sie sich nicht bemüht haben, die Wahrhaftigkeit dieser Meldungen zu überprüfen?
Herr Kollege Zoglmann, jeder, der mich kennt, weiß, daß ich mich sehr darum bemühe, meinen Kollegen aus dem Parlament das zu geben, was sie verlangen können. Ich
Parl. Staatssekretär Herold
kann ihnen freilich nicht jeweils das bestätigen, was sie von Fall zu Fall bestätigt wissen wollen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung aber dahin gehend informiert, daß es bisher derartige Abschußprämien in einer Höhe von 3000 Mark gegeben hat?
Auch dies ist durch Pressemeldungen bekanntgeworden. Es gab hierzu Einzel-, aber keine generellen Erkenntnisse.
Die letzte Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Abelein.
Herr Staatssekretär,
wie beurteilen Sie den Wahrheitsgehalt dieser Pressemeldungen?
Es ist nicht meine Aufgabe, den Wahrheitsgehalt von Pressemeldungen hier zu beurteilen.
Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Welche Initiativen hat die Bundesregierung seit dem Inkrafttreten des Grundlagenvertrags im Juli 1973 ergriffen, um die DDR zur Aufhebung des unmenschlichen Schießbefehls an der Grenzlinie zur Bundesrepublik Deutschland zu bewegen, der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 den Grundlagenvertrag auf das schwerste verletzt, und welche Initiativen gedenkt sie künftig zu ergreifen?
Herr Kollege Jäger, ich darf auf Ihre Frage zunächst auf die Antwort verweisen, die ich am 16. Mai 1973 auf eine entsprechende Frage des Herrn Kollegen Schröder gegeben habe.
Alle Bemühungen der Bundesregierung, bei den Verhandlungen mit der DDR und im Rahmen der Vertragspolitik dienen dazu, die Verhältnisse im geteilten Deutschland zu normalisieren und einen Zustand herbeizuführen, der es auch der DDR nicht mehr notwendig erscheinen läßt, auf Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl zu beharren. Es kann nicht allein damit getan sein, Proteste zu erheben und die alten, wenn auch unbestritten berechtigten Forderungen zu wiederholen. Es ist deshalb das Ziel der praktischen Politik der Bundesregierung, in Deutschland eine Lage zu erreichen, die Gewaltanwendung und Schießbefehl hinfällig macht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Aufhebung des Schießbefehles einschließlich der Beseitigung der automatischen Tötungsanlagen und der Minenfelder Gegenstand der innerdeutschen Gespräche zwischen dem Staatssekretär Gaus und Nier in den letzten Wochen gewesen?
Gespräche über diese Probleme fanden bei jeder Gelegenheit statt, und zwar unabhängig davon, ob irgendwie ein Unglück passiert ist. Die Bundesregierung hat diese Dinge seit Anbeginn der Verhandlungen gegenüber der DDR zur Sprache gebracht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist beabsichtigt, daß der Herr Bundesminister Bahr bei seiner Reise, die er nach Moskau unternehmen wird, diese Frage ansprechen wird, da sich ja ein Teil des Schießbefehls im Viermächtebereich von Berlin auswirkt, oder wird Herr Bahr auf seiner bisherigen Ansicht beharren, daß es im Grunde unseriös sei, die Aufhebung des Schießbefehls zu verlangen?
Herr Kollege Jäger, ist es tatsächlich Ihr ernstes Verlangen, Verhandlungsthemen in aller Öffentlichkeit zu behandeln, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben? Ich glaube, das kann nicht Sinn einer Fragestunde sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Wrangel.
Herr Staatssekretär, da Sie gesagt haben: „irgendwie ein Unglück passiert ist", würden Sie mir recht geben, wenn' ich sage, daß die innerdeutsche Grenze für uns alle ein großes Unglück ist?
Aber natürlich, darauf haben wir vielfach hingewiesen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Abelein.
Herr Staatssekretär, sind Sie wie Ihr Kollege Staatssekretär Gaus der Ansicht, daß es, wenn bei einem solchen Unglücksfall ein Mensch getötet wurde, nichts mehr zu verhandeln gibt?
Aber natürlich gibt es etwas zu verhandeln. Ich weiß im übrigen nicht, wo Herr Kollege Gaus das von Ihnen zitierte Wort gesagt hat. Die Verhältnisse an der Grenze
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Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5323
Parl. Staatssekretär Heroldzur DDR werden immer wieder zu behandeln sein, solange die bekannten Probleme bestehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Herr Staatssekretär, besteht die Möglichkeit, daß die Bundesregierung Informationen zusammenträgt, um die deutsche Öffentlichkeit über die Handhabung des Schießbefehls und alle gesetzlichen Begleitumstände zu unterrichten?
Ich glaube, über dieses Thema wird sehr viel geredet — zu Recht —, wird sehr viel geschrieben — auch zu Recht --. Daneben äußern sich die Mitglieder der Bundesregierung bei jeder Gelegenheit zu diesen Problemen. Für Information ist mithin gesorgt.
Ich rufe die Frage 93 des Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Wie verträgt sich nach Auffassung der Bundesregierung die Aufstellung und Ausbildung des 5. Fallschirmjägerbataillons der Ministerreserve der DDR auf der Insel Rügen in Bundeswehruniformen mit dem Artikel 1 des Grundvertrags, demzufolge die Bundesrepublik Deutschland und die DDR „normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander entwickeln."?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Abelein, erlauben Sie mir bitte zunächst eine Vorbemerkung. Ich glaube nicht, daß es möglich ist, Einzelprobleme der Aufstellung und Ausbildung von Verbänden der DDR-Streitkräfte in dieser Fragestunde zu behandeln. Nach meiner Auffassung müßte das gegebenenfalls in den zuständigen Ausschüssen geschehen. Ich bitte daher um Ihr Verständnis, daß ich zu dem Sachverhalt, auf den Sie sich in Ihrer Frage beziehen, im einzelnen hier nicht Stellung nehmen kann.
Unabhängig davon, ob der in der Frage angenommene Sachverhalt eine hinreichende Basis bietet, um der zugrunde gelegten Voraussetzung zu genügen, möchte ich jedoch folgendes feststellen: Wir dürfen nicht vergessen, daß sich auf beiden Seiten der Grenze zwischen den deutschen Staaten die beiden größten und mächtigsten Militärbündnisse der Welt gegenüberstehen. In diese Bündnisse sind beide deutschen Staaten eingebunden. Im Rahmen der allgemeinen Bemühungen um Entspannung in Europa ist es das Ziel der Bundesregierung, Schritte zur Entspannung auch im Verhältnis zum anderen deutschen Staat zu tun und damit dazu beizutragen, den Frieden sicherer zu machen.
In Art. 1 des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ist die Entwicklung normaler gutnachbarlicher Beziehungen der beiden deutschen Staaten zueinander als Ziel fixiert. Wer meint, daß dieses Ziel mit dem Abschluß des Vertrages bereits erreicht sei, geht an den harten Realitäten leider vorbei.
Im übrigen muß festgestellt werden, daß Sachverhalte, die Fragen ,der Sicherheit betreffen, auf Grund von Verpflichtungen, die beide deutsche Staaten gegenüber ihren ehemaligen Besatzungsmächten haben, nicht Gegenstand direkter Verhandlungen zwischen ihnen sein können.
Ich möchte ferner darauf verweisen, daß Fragen der Sicherheit, der Zusammenarbeit und des Truppenabzugs in Europa gegenwärtig Gegenstand der Verhandlungen in Genf und Wien sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung im Zuge der Entwicklung dieser gutnachbarlichen Beziehungen die Absicht, der DDR den kriegsvölkerrechtswidrigen Charakter des 5. Fallschirmjägerbataillons der Ministerreserve zu notifizieren und angesichts der Tatsache, daß die Existenz ,dieses Verbandes Geist und Buchstaben des Grundvertrages verletzt, seine Auflösung zu verlangen?
Herr Kollege Dr. Abelein, ich würde sehr darum bitten — Sie haben sicher gemerkt, daß ich in meiner Antwort sehr vorsichtig war —, diese Frage von Ihren Kollegen im Verteidigungsausschuß im Rahmen der nächsten Ausschußsitzung behandeln zu lassen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 94 des Abgeordneten Kunz auf:
Ist die Bundesregierung bei allen derzeit mit der DDR geführten Verhandlungen über Folgeverträge des Grundvertrags entschlossen, dem Gebot des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 nachzukommen, „bei jedem Abkommen und hei jeder Vereinbarung mit der DDR, die ihrem Inhalt nach auf das Land Berlin und seine Bürger ausgedehnt werden können, auf der Ausdehnung auf Berlin zu bestehen und nur abzuschließen, wenn der Rechtsstand Berlins und seiner Bürger gegenüber dem für den Geltungsbereich des Grundgesetzes geltenden Rechtsstand nicht verkürzt wird"?
Herr Staatssekretär, vielleicht wollen Sie diese Frage gemeinsam mit der nächsten beantworten, wenn der Fragesteller einverstanden ist. — Herr Kollege Kunz wäre einverstanden. Sein Zusatzfragerecht wird dadurch nicht verkürzt. Ich rufe daher auch die Frage 95 des Abgeordneten Kunz auf:
Wie ist der Sachstand in dieser Frage bei den genannten laufenden Verhandlungen mit der DDR?
Herr Kollege Kunz, was Ihre Frage 94 betrifft, so hat die Bundesregierung wiederholt erklärt, daß sie beabsichtigt und in den Verhandlungen bemüht ist, bei jedem Abkommen und jeder Vereinbarung mit der DDR, die ihrem Inhalt nach auf das Land Berlin und seine
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5324 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Parl. Staatssekretär HeroldBürger ausgedehnt werden können, auf der Ausdehnung auf Berlin zu bestehen und nur abzuschließen, wenn der Rechtsstand Berlins und seiner Bürger gegenüber dem für den Geltungsbereich des Grundgesetzes geltenden Rechtsstand — vorbehaltlich des für Berlin geltenden alliierten Vorbehalts und in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen vom 3. September 1971 nicht verkürzt wird.Zu Ihrer Frage 95. Es widerspricht den Gepflogenheiten, über laufende Verhandlungen in der Öffentlichkeit zu berichten. Aus diesem Grund bitte ich Sie sehr inständig, vorerst nicht auf einer Beantwortung dieser Frage hier im Plenum zu bestehen; schließlich hat Bundesminister Franke ja bereits im Innerdeutschen Ausschuß Bericht erstattet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, wenn Ihre Antwort auf meine erste Frage so ist, wie sie gelautet hat, frage ich Sie: Warum hat die Bundesregierung in einem vergleichbaren Fall die Vereinbarung mit der CSSR über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten vom 11. Dezember 1973 abgeschlossen, obwohl hierbei die konsularische Vertretung des Landes Berlin einschließlich des Rechtshilfeverkehrs für Berliner Gerichte, Behörden und öffentlich-rechtliche Institutionen durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag nicht sichergestellt worden ist.
Nach meiner Auffassung, Herr Kollege Kunz, ist mit dem Abschluß des Vertrags mit der Tschechoslowakei erreicht worden, daß die Rechte Berlins und seiner Bürger gewährleistet sind.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem ich noch einmal feststellen darf, daß ich anderer Meinung bin, frage ich Sie weiter — —
Herr Abgeordneter, im Rahmen der Fragestunde können Sie nur Zusatzfragen stellen, keine Feststellungen treffen.
Herr Präsident, ich glaube, daß ich einen kleinen Spielraum habe.
Nein, Herr Abgeordneter, den haben Sie nicht. Vor allem haben Sie nicht den Spielraum der Kritik am amtierenden Präsidenten.
Herr Staatssekretär, nach diesem Monitum des Herrn Präsidenten frage ich Sie nunmehr: Wie rechtfertigt die Bundesregierung diese Vereinbarung mit Prag angesichts der Tatsache, daß sich die Behörden der CSSR seit August 1973 weigern, Rechtshilfeersuchen von Berliner Gerichten, Behörden und öffentlich-rechtlichen Institutionen entgegenzunehmen?
Ich kann hierzu nichts sagen. Mir ist diese Sache nicht bekannt.
Keine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Der Herr Abgeordnete Abelein hat noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,, wie rechtfertigt die Bundesregierung diese Vereinbarungen mit Prag im Hinblick auf die Sätze des Bundesverfassungsgerichts, wonach bei „jedem Abkommen und bei jeder Vereinbarung ..., die ihrem Inhalt nach auf das Land Berlin und seine Bürger ausgedehnt werden können, auf der Ausdehnung auf das Land Berlin zu bestehen und nur abzuschließen ist, wenn der Rechtsstand Berlins und seine Bürger gegenüber dem für den Geltungsbereich des Grundgesetzes geltenden Rechtsstand nicht verkürzt wird"?
Herr Kollege Abelein, ich darf noch einmal auf meine Antwort zur Frage von Herrn Kollegen Kunz hinweisen. Es wäre meines Erachtens fair gewesen, wenn Sie Ihre Fragen zum Vertrag mit Prag gleich so deutlich gestellt hätten, daß man hätte erkennen können, wohin Sie wollen. Dann wäre es mir auch möglich gewesen, Ihnen eine ganz klare Antwort zu geben.
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Lagershausen auf:
Für welche Personen gilt nach Ansicht der Bundesregierung das Transitabkommen, und bestehen zu dieser Auffassung der Bundesregierung gegensätzliche Auffassungen von seiten der DDR?
Sehr geehrter Herr Kollege, ich darf Ihre Frage folgendermaßen beantworten: Das Transitabkommen, das auf dem Viermächteabkommen vom 3. Dezember basiert, gilt für alle Transitreisenden ohne Rücksicht darauf, woher sie kommen oder welche Nationalität sie haben.
Eine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5325
Herr Staatssekretär, wie ordnet demgemäß die Bundesregierung die Ostberliner Forderung ein, Angehörige des Bundesumweltamtes von der Benutzung der Transitwege auszuschließen?
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß hierzu bereits im innerdeutschen Ausschuß Fragen gestellt worden sind. Dabei ist vereinbart worden, daß sich die drei Fraktionsvorsitzenden zusammen mit einem Vertreter der Regierung mit diesem Sachverhalt befassen. Deshalb kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben.
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung denn einen Zusammenhang zwischen den Verletzungen des Transitabkommens durch die DDR und dieser jüngsten von mir genannten Forderung?
Nein, da sehe ich keinen Zusammenhang, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten .Jäger .
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das Transitabkommen für irgendeine Einschränkung des Personenkreises im Transitverkehr eine rechtliche Stütze für die DDR bieten würde?
Das mag von der DDR so ausgelegt werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die nächste Frage auf, die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka:
Kann die Bundesregierung mitteilen, wieviel Fluchthelferprozesse seit Inkrafttreten des Transitabkommens in der DDR geführt, wie viele Fluchthelfer verurteilt worden sind und wie hoch das bisher ausgesprochene Strafmaß im Durchschnitt pro Verurteilten gewesen ist?
Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege Hupka, wie folgt beantworten.
Die Anzahl der Fluchthelferprozesse seit Inkrafttreten des Transitabkommens am 4. Juni 1972 ist insgesamt nicht bekannt.
Nach mir vorliegenden Erkenntnissen sind auf den Transitstrecken seit diesem Zeitpunkt 91 Personen gemäß § 105 des Strafgesetzbuches der DDR — „staatsfeindlicher Menschenhandel" — verhaftet worden, von denen bisher 48 Personen verurteilt sind. Das durchschnittliche Strafmaß pro Verurteiltem beträgt 6,7 Jahre.
Darüber hinaus erfolgten weitere 53 Festnahmen gemäß § 213 in Verbindung mit § 22 des Strafgesetzbuchs der DDR — „Beihilfe zum ungesetzlichen Grenzübertritt", sprich: „Republikflucht" —. Von diesen Betroffenen sind bisher 27 verurteilt worden. Das durchschnittliche Strafmaß dieses Personenkreises liegt gegenüber den Strafen für die nach § 105 des Strafgesetzbuchs der DDR Verurteilten erheblich niedriger und beträgt 2,7 Jahre.
Das durchschnittliche Strafmaß beider Gruppen beträgt 51/2 Jahre.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung diese Urteile nicht billigt, weil sie unserer Rechtsauffassung widersprechen.
Eine Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung diesen Sachverhalt bereits in der Kommission, die im Transitabkommen vorgesehen ist, vorgetragen und erörtert?
Dieses Thema ist mehrmals besprochen und erörtert worden.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Wie erklärt sich die Bundesregierung die Häufung der Verhaftungen und der Prozesse in den letzten Wochen?
Das Transitabkommen ist ja noch nicht so lange in Kraft. Es ist klar, daß sich Vorfälle nach einer Anlaufzeit und gewissen Erfahrungen häufen können.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welchen Rechtsschutz konnte und kann den wegen Fluchthilfe angeklagten und verurteilten Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland seitens der Bundesregierung erwirkt werden, und wie gedenkt die Bundesregierung in Zukunft zum Schutz der Betroffenen tätig zu werden?
Herr Kollege Dr. Hupka, ich kann Ihnen die Frage nur sehr einfach beantworten: Die Bundesregierung nützt alle Möglichkeiten, um Rechtsschutz zu ermöglichen. Darüber hinaus möchte ich nichts sagen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Gehört zu diesem Rechtsschutz auch, daß die Bundesregierung durch Verhandlungen zu erreichen sucht, daß diese Prozesse öffentlich geführt werden und daß Anwälte
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5326 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. Hupkaaus der Bundesrepublik Deutschland die Verteidigung der Bürger der Bundesrepublik Deutschland übernehmen?
Ich habe bereits gesagt, daß die Bundesregierung alle Möglichkeiten voll ausschöpft.
Herr Abgeordneter, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Hat das zu bedeuten, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung es immer lediglich bei einem verbalen Protest bewenden läßt und daß in zunehmendem Maße Menschen verhaftet, verurteilt werden, wogegen wir entschieden Protest erheben müßten, schon auf Grund des Transitabkommens, aber auch auf Grund unserer Rechtsauffassung?
Herr Kollege Dr. Hupka, Ihnen sind doch die Proteste bekannt, die laufend durch die Bundesregierung erhoben werden. Nur nützt es auf die Dauer wirklich nichts, immer nur zu protestieren, sondern man muß versuchen, die Dinge im Gespräch zu behandeln und
das tun wir , z. B. im Wege über die Verhandlungen zum Rechtshilfeabkommen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spranger.
Was hat die Bundesregierung bisher an konkreten Schritten unternommen — beispielsweise in den Verhandlungen oder durch die Androhung von Gegenmaßnahmen — , um eine Vollstreckung der Urteile zu verhindern?
Wir haben in allen Gremien, die uns zur Verfügung stehen und auf allen Ebenen, auf denen das möglich ist, diese Probleme angesprochen. Von Gegenmaßnahmen kann im Augenblick nicht die Rede sein. Die müßten Sie mir zunächst einmal vorschlagen, damit wir eine Diskussionsbasis haben.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für zulässig, auf Fragen aus diesem Bundestag nach einzelnen Maßnahmen der Bundesregierung lediglich darauf zu verweisen, daß die Bundesregierung alles in ihren Kräften Stehende und Mögliche getan habe, ohne zu spezifieren?
Herr Kollege
Jäger, es gab seit mehr als 20 Jahren eine alte Übung, gerade diese Probleme, die in letzter Zeit so oft im Mittelpunkt der Fragestunden stehen,
nicht öffentlich zu behandeln. Im Interesse der Menschen, Herr Kollege Dr. Marx, für die wir gemeinsam arbeiten und einstehen müssen.
Bitte verstehen Sie so auch die Antworten, die ich gegeben habe, Herr Kollege Jäger.
Meine Damen und Herren, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Die Frage 106 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Pfeifer auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht des niedersächsischen Kultusministers von Oertzen, im Hochschulrechtsrahmengesetz des Bundes müsse ein Ordnungsrecht mit einem abgestuften Katalog von Maßnahmen verankert werden?
Zur Beantwortung der Fragen Herr Bundesminister von Dohnanyi.
Herr Kollege Pfeifer, die Annahme, die aus Ihrer Frage klingt, entspricht nicht ganz den Tatsachen. Der niedersächsische Kultusminister hat eine Auffassung, wie Sie sie hier wiedergeben, nicht vertreten. Ich darf mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, kurz zitieren, was der niedersächsische Kultusminister nach dem Protokoll des Landtags in Hannover tatsächlich gesagt hat. Er hat dort gesagt:
Über die Frage, ob im Rahmen des in der Vorbereitung befindlichen Gesamthochschulgesetzes
-- des niedersächsischen nämlich —
ein sogenanntes Ordnungsrecht aufgenommen werden soll, hat die Landesregierung als solche noch nicht entschieden. Ich stehe aber nicht an, Ihnen meine persönliche Meinung dazu zu sagen: Ich halte die Einbeziehung rechtlicher Regelungen, die den verantwortlichen Organen der Hochschule eine Handhabe geben, für die Aufrechterhaltung eines geregelten Lehr- und Forschungsbetriebes zu sorgen, in einem solchen Hochschulrahmengesetz für sinnvoll.
Zusatzfrage.
Herr Minister, teilen Sie denn diese Meinung des niedersächsischen Kultusministers?
Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 81 Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5327
Herr Kollege Pfeifer, ich bin der Auffassung, daß zur Bekämpfung von Gewalttaten an den Hochschulen besondere Voraussetzungen notwendig sind. Diese besonderen Voraussetzungen können u. a., aber müssen nicht in Form eines Ordnungsrechts hergestellt werden.
Bitte schön!
Wenn Sie sie nicht in Form eines Ordnungsrechtes herstellen wollen, welche Möglichkeiten sehen Sie dann, dem Votum des niedersächsischen Kultusministers gerecht zu werden?
Es gibt, Herr Kollege Pfeifer, z. B. die Möglichkeit der Durchsetzung der strafrechtlichen Bestimmungen. Mit anderen Worten: die Alternativen, die hier bestehen, sind vielfach, und die Bundesregierung prüft im Augenblick, welchen Weg man hier zweckmäßigerweise gehen sollte.
Ich rufe die Frage 108 des Herrn Abgeordneten Dr. Gölter auf:
Hat die Bundesregierung die Absicht, den für die Beratungen des Hochschulrechtsrahmengesetzes zuständigen Bundestagsausschüssen einen Formulierungsvorschlag für ein Ordnungsrecht mit einem abgestuften Katalog von Maßnahmen unverzüglich zu unterbreiten?
Herr Minister!
Herr Kollege Gölter, die Bundesregierung ist bisher von den Fraktionen des Bundestages — das Hochschulrahmengesetz ist ja jetzt in den Händen dieses Hauses — nicht zu einem Formulierungsvorschlag aufgefordert worden. Die Bundesregierung hat im übrigen in dieser Frage nie eine dogmatische Position bezogen.
Nach dem Beginn der Reformen im Jahre 1969/70 und einer einkehrenden Ruhe an den Hochschulen bestand allgemein die Auffassung, daß Ordnungsrechte möglicherweise nicht der zweckmäßigste Weg sind. Ich erinnere daran, daß auch die damalige Vorlage der CDU/CSU-Fraktion zu einem Hochschulrahmengesetz keine ordnungsrechtlichen Vorschriften enthielt. Aber schon 1972 haben wir zu erkennen gegeben, daß wir zum Schutze gegen Gewalttaten an den Hochschulen bereit sind, Ordnungsfolgen im Zusammenhang z. B. mit einem Schlichtungsrecht in Erwägung zu ziehen. Sie wissen, daß der damalige Entwurf nicht verabschiedet werden konnte, weil der Bundestag frühzeitig aufgelöst wurde. Damals war die Westdeutsche Rektorenkonferenz gegen jede ordnungsrechtliche Lösung, und die Kultusminister der Länder waren unterschiedlicher Auffassung.
In der Zwischenzeit muß man angesichts der Gewaltaktionen politisch verbrämter krimineller Gruppen feststellen, daß z. B. die Westdeutsche Rektorenkonferenz ihre Auffassung zu dieser Frage offenbar zu ändern bereit ist. Noch gibt es keine entsprechen-
den Beschlüsse. Die Kultusminister sind jetzt, wie ich neulich feststellen konnte, offenbar einheitlich der Meinung, daß eine ordnungsrechtliche Lösung gesucht werden sollte.
Die Bundesregierung ist hier gegen vorschnelle Schlußfolgerungen und wird sich auch nicht in eine vorschnelle Schlußfolgerung hineintreiben lassen; sie ist aber dabei, mit den Sachverständigen die zweckmäßigste Lösung sorgfältig zu prüfen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, darf ich Sie bitten, die in der Frage 108 der Drucksache zum Ausdruck kommende Frage zu beantworten. Ich bedanke mich für die historischen Ausführungen, aber diese sind uninteressant.
Herr Abgeordneter, eine Wertung ist nicht Gegenstand einer Zusatzfrage.
Der Minister hat das Wort zur Antwort.
Ich habe, Herr Kollege Gölter, Ihre Frage beantwortet. Ich könnte das natürlich noch einmal für Sie wiederholen. Ich will feststellen, daß ein Formulierungsvorschlag für ein gestuftes Ordnungsrecht, also ein abgestufter Katalog, bisher nicht unterbreitet worden ist, weil wir den Sachverhalt gegenwärtig prüfen. Ich will auch noch einmal unterstreichen, daß wir keine Entscheidung fällen werden, ehe wir nicht geprüft haben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
- Keine weitere Zusatzfrage. Der Herr Abgeordnete Glotz.
Herr Bundesminister, können Sie mir bestätigen, daß die Fassung des Tatbestandes der heute an Universitäten gegebenen Kriminalität sehr große Schwierigkeiten bereitet und daß zudem die Hauptkriminalität an den Universitäten von entschlossenen kleinen Gruppen begangen wird, die normalerweise durch ordnungsrechtliche Maßnahmen wie Relegierung und ähnliches kaum getroffen werden dürften?
Ich kann Ihnen, Herr Kollege Glotz, bestätigen, daß die Fassung des Tatbestandes schwierig ist. Ich möchte aber zugleich dabei unterstreichen, daß nach Auffassung der Kultusminister und offenbar der Mehrheit der Präsidenten und Rektoren dennoch eine ordnungsrechtliche Vorschrift hilfreich sein würde.
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5328 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeifer.
Herr Bundesminister, nachdem Sie hier angedeutet haben, daß statt des Ordnungsrechtes möglicherweise auch eine Änderung des Strafrechts in Betracht kommt, möchte ich Sie fragen: Haben Sie einmal mit dem Bundesjustizminister angesichts der Entwicklung der Strafrechtsreform darüber gesprochen, ob es überhaupt sinnvoll ist, das Strafrecht in der von Ihnen angedeuteten Form auszuweiten, oder würde das nicht gerade der Strafrechtsreform widersprechen?
Herr Kollege Pfeifer, selbstverständlich haben wir an Hand sorgfältiger Vorlagen über diese Fragen auch mit dem Justizminister beraten, und ich will nicht verhehlen, daß eine Lösung, die Strafrechtsnebenfolgen einführen würde, im Konflikt mit gewissen Vorstellungen zur Strafrechtsreform stehen würde.
Aber was ich vorhin sagte, war etwas anderes. Ich habe nicht auf die Strafrechtsnebenfolgen als Lösung allein hingewiesen, sondern ich habe darauf hingewiesen, daß auch die Möglichkeit besteht, das bestehende Strafrecht härter durchzusetzen, statt neue, zusätzliche Ordnungsvorschriften einzuführen; auch das muß geprüft werden.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Bundesminister, nachdem Sie soeben in Frage gestellt haben, daß der sogenannte harte Kern durch ein Ordnungsrecht abgehalten werden kann, an den Universitäten Straftaten zu begehen, möchte ich Sie fragen: Würden Sie mir zustimmen, daß durch ein Ordnungsrecht zumindest die Sympathisanten abgehalten werden können, solche Rechtswidrigkeiten zu begehen?
Herr Kollege Fuchs, es tut mir leid, daß Sie Ihre Nachfrage offenbar schon präpariert hatten, bevor ich dem Kollegen Glotz geantwortet hatte; denn meine Antwort war nicht die, die Sie soeben wiedergegeben haben.
Ich habe dem Kollegen Glotz klar gesagt, daß zwar die Formulierung des Tatbestandes krimineller Handlungen schwierig ist. Auf der anderen Seite könne aber nicht bestritten werden, daß die Kultusminister und die Mehrheit der Präsidenten und Rektoren heute offenbar der Auffassung sind, eine ordnungsrechtliche Vorschrift sei hilfreich. Und ich unterstreiche: hilfreich gerade wegen der Sympathisanten.
Ich rufe die Frage 109 des Herrn Abgeordneten Pfeifer auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung eine Anhebung des Grundstipendiums und eine Erhöhung der Familienzuschläge sowie des Ehegattenfreibetrags nach dein Graduiertenförderungsgesetz?
Herr Kollege Pfeifer, die Bedarfssätze in der Graduiertenförderung sind in der Durchführungsverordnung zum Gesetz geregelt. Die inhaltliche Novellierung des Graduiertenförderungsgesetzes wird eine Novellierung der Durchführungsverordnung erforderlich machen. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Anhebung der Bedarf ssätze zu prüfen sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer.
Da die Bundesregierung angedeutet hat, daß sie eine Erhöhung der Förderungshöchstsätze und der Einkommensfreigrenzen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz noch in diesem Jahr verwirklichen will, möchte ich Sie fragen: Wäre es da nicht konsequent, daß die Bundesregierung jetzt nicht „prüft, ob", sondern eine Erklärung abgibt, daß eine entsprechende Maßnahme auch beim Graduiertenförderungsgesetz vorgesehen wird?
Man muß, Herr Kollege Pfeifer, hier erkennen, daß die Sätze sehr unterschiedlich sind. Der Höchstsatz bei Studenten beträgt, wie Sie wissen, heute 420 DM und ist damit unter den gegebenen Verhältnissen ganz unbestritten zu knapp. Der Höchstsatz im Graduiertenförderungsgesetz liegt bei 800 DM. Dieser Satz — es ist ein fester Satz — ist also fast doppelt so hoch und stellt natürlich nicht die Minimalbedingungen, die mit dem Satz von 420 DM heute gestellt werden. Insofern ist eine solche Prüfung zwar notwendig, es kann aber nicht eine Folgerung aus der Entscheidung zur Ausbildungsförderung abgeleitet werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Bundesminister, wird die Bundesregierung im Zusammenhang mit dieser Prüfung unter hoffentlich baldiger Vorlage einer entsprechenden Gesetzesnovellierung insbesondere die verheirateten Studenten mit einer Erhöhung bedenken?
Wir werden sicherlich auch diese Frage prüfen, Herr Kollege Fuchs. Ich möchte aber nicht den Eindruck entstehen lassen, als könnte und würde ich hier irgendwelche Zusagen machen. Ich muß in diesem Zusammenhang noch einmal auf meine Antwort an den Kollegen Pfeifer verweisen.
Ich rufe die Frage 110 des Herrn Abgeordneten Dr. Gölter auf:Bis wann ist mit der Vorlage einer Novelle zum Graduiertentorderungsgesetz zu rechnen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5329
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen— Wer Zusatzfragen stellen will, muß sich rechtzeitig melden und an das Mikrophon treten, Herr Kollege.Bitte, Herr Bundesminister!
Herr Kollege Gölter, die Vorlage der Novelle zum Graduiertenförderungsgesetz ist inhaltlich und zeitlich vom Fortgang der weiteren Beratungen zum Hochschulrahmengesetz abhängig. Nach dem derzeitigen Stand gehe ich davon aus, daß der Regierungsentwurf einer Novelle zum Graduiertenförderungsgesetz nach der Sommerpause vorgelegt werden kann. Die Finanzierungsfrage allerdings, d. h. der Finanzierungsschlüssel zwischen Bund und Ländern in dieser Frage, wird vorab in einer gesonderten kleinen Novelle geregelt. Mit einer entsprechenden Vorlage ist in Kürze zu rechnen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, da Sie schon den Finanzierungsschlüssel angesprochen haben, frage ich Sie: In welchem Sinne beabsichtigt die Bundesregierung das Bund-Länder-Verhältnis in Zukunft zu regeln?
Herr Kollege Gölter, Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich diese Frage erst dann in diesem Hause beantworten kann, wenn ich einen entsprechenden Kabinettsbeschluß zu dieser Frage herbeigeführt habe.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist es Ihnen vielleicht möglich, hier eine Meinung für das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, dem Sie ja verantwortlich vorstehen, zu äußern?
Herr Kollege Gölter, ich werde doch hier jetzt nicht eine Meinung für das Ministerium äußern; ich stehe hier nicht für das Ministerium, sondern für die Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer.
Herr Bundesminister, haben Sie die Absicht, bei der Novellierung des Graduiertenförderungsgesetzes die Förderung künftig auf die sogenannte Graduiertenphase II umzustellen, oder wird das Graduiertenförderungsgesetz auch in der Zukunft — möglicherweise neben einer Graduiertenphase II — die Förderung im Rahmen der Graduiertenphase I, d. h. die Förderung durch Promotionsstipendien, weiter vorsehen?
Herr Kollege Pfeifer, auch diese Frage ist noch nicht entschieden. Aber wir haben wiederholt darauf hingewiesen — in Gesprächen und, ich glaube, auch schon einmal im Ausschuß —, daß wir im Zusammenhang mit der Vorlage des Hochschulrahmengesetzes an eine Zweistufigkeit im Graduiertenförderungsgesetz denken. Ob das durchgesetzt wird, ob das nachher auch Kabinettsvorlage und Kabinettsbeschluß sein wird, kann ich natürlich hier heute nicht sagen.
Herr Bundesminister, ich danke Ihnen.
Die Fragen 113 und 114 des Herrn Abgeordneten Dr. Probst werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Die Frage des Herrn Abgeordneten Spranger wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet, ebenso wie die Frage des Herrn Abgeordneten Baier. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Fragen Nr. 6 und 7 wurden vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen beantwortet. Die Frage Nr. 8 wird vom Auswärtigen Amt beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jung zur Verfügung. Die beiden von Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble eingebrachten Fragen 9 und 10 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Die nächste Frage ist von Herrn Abgeordneten Urbaniak eingebracht. Ich frage, ob der Herr Abgeordnete im Saal ist. — Er ist nicht im Saal, so daß die von ihm eingebrachten Fragen 11 und 12 schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Meinike auf:
Hält die Bundesregierung es mit den Bestimmungen des Parteigesetzes, insbesondere mit § 25, für vereinbar, daß anzeigepflichtige Spenden an Parteien nur in ihrer Höhe, nicht aber unter Angabe des Spenders öffentlich bekanntgegeben werden, und wird sie gegebenenfalls die Notwendigkeit der Angabe des Spenders durch eine Novellierung des Parteiengesetzes sicherstellen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Meinike, die von Ihnen gestellte Frage läßt sich unmittelbar aus dem Grundgesetz und aus dem Parteiengesetz beantworten. Danach sind Spenden an eine Partei, deren Gesamtwert in einem Kalenderjahr 20 000 DM übersteigt, unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders im Rechenschaftsbericht der Partei zu verzeichnen. Diese Regelung des § 25 des Parteiengesetzes ist die Konkretisierung der sich bereits aus Art. 21 Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes ergebenden allgemeinen Verpflichtung der Parteien, über die Herkunft ihrer Mittel — und dazu gehört auch die Namensnennung — Rechenschaft zu
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5330 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Parl. Staatssekretär Junggeben. Die Spende eines nicht bekannten Geldgebers kann, sofern sie über die Parteikasse läuft, auch nur als anonymer Eingang in den Rechenschaftsbericht einer Partei einfließen. Ist der Partei der Spender bekannt, ist sie nach § 25 des Parteiengesetzes verpflichtet, den Namen des Spenders im Rechenschaftsbericht anzugeben.Ich gehe davon aus, daß die Parteien bei ihrer Rechenschaftslegung für das Jahr 1972, wie sie im Bundesanzeiger veröffentlicht worden ist, entsprechend dieser gesetzlichen Regelung gehandelt haben. Da die Pflicht zur Angabe des Namens des Spenders bereits gesetzlich fixiert ist, hält die Bundesregierung eine Gesetzesänderung für nicht erforderlich.Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß das Parteiengesetz und die hierzu ergangenen Änderungsgesetze auf Grund von Initiativen des Hohen Hauses beschlossen worden sind. Deshalb wäre auch hier, wenn eine über das jetzige Verfahren hinausgehende Regelung angestrebt werden sollte, primär an eine Initiative aus der Mitte des Hauses zu denken.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich im Hinblick auf Ihren letzten Satz und auf den Ausschußbericht bei der Schlußberatung des Parteiengesetzes im Bundestag darauf aufmerksam I machen, daß ja gerade die Namensnennung bei großen Zuwendungen der Parteien als ein Wesensmerkmal dafür betrachtet worden ist, ob die Ordnungsmäßigkeit der für 1972 mitgeteilten Rechenschaftslegungen doch in Frage gestellt werden muß und sich möglicherweise daraus die Konsequenz ergibt, den § 23 des Parteiengesetzes anzuwenden, der dann eine Wahlkampfmittelzuführung für diese Parteien nicht mehr zuläßt?
Herr Kollege, ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß dies ja gesetzlich fixiert ist, daß die Namensnennung also erfolgen muß, und daß wir davon ausgehen müssen, daß die Parteien bei ihrer Rechnungslegung 1972 dieser Verpflichtung nachgekommen sind.
Herr Abgeordneter, Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie mit mir darin übereinstimmen, daß es in Anbetracht der doch vorhandenen Undurchsichtigkeit von Spendenleistungen auch mittelbarer Art — indem man sich der Einschaltung von Vereinen bedient, die dann diese Beträge, bei unterschiedlicher steuerlicher Absetzbarkeit, an Parteien weiterleiten — notwendig erscheint, die Frage der steuerlichen Behandlung von Spenden an Parteien und Vereine im Rahmen der Steuerreform noch einmal ernsthaft zu überprüfen?
Herr Kollege, ich glaube, diese Frage müßte der Kollege aus dem Finanzministerium beantworten.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Breidbach auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die beiden von ihm gestellten Fragen, die Fragen 14 und 15, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Geisenhofer auf:
In wieviel Fällen wurden — aufgegliedert nach Geschäftsbereichen Arbeitern und Angestellten des unmittelbaren Bundesdienstes wegen Beteiligung am Streik oder wegen Arbeitsausfalls infolge des Streiks Löhne bzw. Gehälter gekürzt, und um welche Summen handelt es sich dabei?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Geisenhofer, in einem Rundschreiben meines Hauses, das am 7. Februar 1974 im Einvernehmen mit den hauptbeteiligten Ressorts herausgegeben wurde, sind die obersten Bundesbehörden darauf hingewiesen worden, daß die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Lohnzahlung während des Arbeitskampfes entfällt, und zwar sowohl gegenüber Streikenden als auch gegenüber Arbeitswilligen, die von streikbedingtem Arbeitsausfall betroffen sind. Ein Überblick darüber, in wie vielen Fällen eine Minderung von Lohn bzw. Vergütungen eintritt, wird sich erst im Zuge der I Auswertung von Verlauf und Auswirkung des Arbeitskampfes gewinnen lassen, die zur Zeit in Angriff genommen wird. Das liegt auch daran, daß die Arbeitslöhne und Angestelltenvergütungen für den Monat Februar 1974 zum Zeitpunkt des Streikbeginns in den meisten Fällen bereits angewiesen waren und somit nur eine Verrechnung bei der nächsten Lohnzahlung in Frage kommt.
Zusatzfrage!
Ist die Bundesregierung bereit und in der Lage, mir die Summe der durch den Streik verursachten Gehälterkürzungen mitzuteilen, wenn die Unterlagen vorliegen?
Selbstverständlich, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Zoglmann auf:
Ist der Bundesregierung die statistisch genaue Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer bekannt, wie und wo wird diese erhoben und veröffentlicht?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Zoglmann, nach den Unterlagen des Ausländerzentralregisters betrug die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland leben-
Deutscher Bundestag ---- 7. Wahlperiode -- 81, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5331
Parl. Staatssekretär Jung
den Ausländer am 30. September 1973 3 966 200. Die Angaben des Ausländerzentralregisters basieren auf den Meldungen der Ausländerbehörden in den Bundesländern. Weitere statistische Angaben über Ausländer fallen auf Grund verschiedener amtlicher statistischer Erhebungen an. Es handelt sich dabei um die Volkszählung vom 27. Mai 1970, die Statistik über die Fortschreibung des Bevölkerungsstands sowie um die Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens, den sogenannten Mikrozensus. Die Veröffentlichung dieser Ergebnisse erfolgt durch das Statistische Bundesamt in der Zeitschrift „Wirtschaft und Statistik" sowie in der Fachserie „A. Bevölkerung und Kultur". Darüber hinaus werden in den „Amtlichen Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit" in Nürnberg laufend statistische Übersichten über die in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Ausländer veröffentlicht.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich mit der von Ihnen soeben genannten Zahl von Ausländern am 1. September 1973 in der Bundesrepublik die Aussage des neuen Leiters des Bundesamtes für Bevölkerungsstatistik in Wiesbaden, der in einer Fernsehsendung erklärt hat, daß im Augenblick niemand wisse, wie viele Ausländer in der Bundesrepublik vorhanden seien, und daß die Dunkelziffer möglicherweise zwei Millionen betrage?
Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, daß die Bundesregierung sich nur auf die Angaben stützen kann, die von den Ausländerbehörden der Länder zu den von mir angegebenen vier oder fünf statistischen Veröffentlichungen gegeben werden. Hier ist die Zahl von 3 966 200 die amtlich festgestellte Zahl. Ich räume ein, daß es eine gewisse Dunkelziffer geben kann. Haben Sie aber bitte Verständnis, daß die Bundesregierung hier nicht in irgendwelche Spekulationen eintreten kann.
Bitte!
Würden Sie es-vor-
ausgesetzt, daß diese Dunkelziffer von zwei Millionen zutrifft — für sinnvoll halten, daß die Bundesregierung diesen Dingen nachgeht?
Die Bundesregierung wird im Rahmen der Möglichkeiten dieser Sache nachgehen, um eine Aufklärung zu erhalten. Dabei muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß die Registrierung durch die Länder geschieht und Sache der Länder ist, daß die Bundesregierung also auf deren Angaben angewiesen ist.
Ich rufe die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten
Schäfer auf. Der Abgeordnete ist nicht. im Saal, so daß die beiden von ihm gestellten Fragen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Herr Abgeordneter Schröder hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage Nr. 20 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Freiherr Spies von Büllesheim auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 22 wird von dem Abgeordneten Niegel gestellt. — Auch der Abgeordnete Niegel ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Dr. Miltner hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen Nr. 23 und 24 gebeten. Das wird erfolgen. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage Nr. 34 von Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Buschfort auf
Wird die Bundesregierung der Absicht zahlreicher Versicherungsunternehmen und Verbände der Versicherungswirtschaft entgegentreten, sich vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Prämienanpassungsklauseln genehmigen zu lassen, die eine automatische Steigerung der Versicherungsbeiträge gemäß der Erhöhung von Preisindizes bewirken würde?
Herr Kollege Buschfort, dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen liegen, soweit es die Versicherungssparten im Massengeschäft mit breitem Publikum betrifft, Anträge auf Genehmigung von Prämienanpassungsklauseln, die eine Erhöhung von Prämien auf Grund von Preisindizes vorsehen, nicht vor. Die Versicherungswirtschaft würde bei solchen Klauseln auch nicht mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde rechnen können. Eine Ausnahme bildet ein Antrag, eine bereits früher genehmigte indexbezogene Anpassungsklausel für die gewerbliche Maschinenversicherung, die ganz überwiegend eine Reparaturkostenversicherung ist, auf einen weiteren Industriebereich auszudehnen. Darüber hinaus liegen dem Bundesaufsichtsamt verschiedene Anträge auf Genehmigung von Prämienanpassungsklauseln vor, nach denen die Versicherungsunternehmen selbst entscheiden wollen, ob und in weichem Ausmaß eine Prämienanpassung erforderlich ist. Die vorgeschlagene Fassung dieser Klauseln trägt den Belangen der Versicherten nicht ausreichend Rechnung. Eine Genehmigung dieser Anträge ist daher nicht zu erwarten.
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Keine Zusatzfrage? — Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Zur Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Seiters das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen der nach unserer Auffassung ausweichenden Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des innerdeutschen Ministeriums beantrage ich eine Aktuelle Stunde.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob der Antrag genügend unterstützt wird. Ich muß auszählen lassen.
— Entschuldigen Sie, nach der Geschäftsordnung müssen mindestens 26 Abgeordnete anwesend sein. Ich bitte die Schriftführer, auszuzählen. — Der 26. Abgeordnete hat den Saal soeben betreten. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antworten der Bundesregierung auf unsere Fragen waren gekennzeichnet durch Ratlosigkeit, Nichtwissen, Fehlbeurteilung und Geheimniskrämerei.
Sie sind eigentlich nur ein Eingeständnis dessen, was diese Bundesregierung zu sagen hat auf die neuesten Störungen seitens der DDR auf den Transitwegen. Wir nehmen auch an, daß hier der eigentliche Grund für die Reise Bahrs nach Moskau liegt. Weil die Bundesregierung in ihren Verhandlungen mit der DDR nämlich nicht weiterkommt, muß jetzt Bahr zur Schutzmacht der DDR nach Moskau reisen. Bahr wird dort wahrscheinlich die Bitte aussprechen, Moskau möge der Bundesregierung bei ihren schwierigen Verhandlungen mit der DDR helfen. Wir sehen hier eine größere Strategie, die auf West-Berlin gerichtet ist. Sie zeigt sich seit längerer Zeit, und sie zeigt sich auf den verschiedensten Ebenen. Im gesamtdeutschen Sportverkehr ist die Situation in der Zwischenzeit schlechter als vor diesen Verträgen und Abkommen. Die Vertreter des Sportbundes, die gegenwärtig verhandeln, werden in ihrer schwierigen Lage von der Bundesregierung im Stich gelassen. Der Bundesregierung ist es auch nicht gelungen, eine befriedigende Einbeziehung West-Berlins in das Abkommen mit Prag zu erreichen. Sie ist auch in dieser Frage dem Verfassungsauftrag, den das Bundesverfassungsgericht erneut herausgestellt hat, nicht nachgekommen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, dem Redner die Möglichkeit zu geben, die Aufmerksamkeit des Hauses zu erreichen.
In diesen Zusammenhang gehört auch der neue Störungsversuch der DDR gegen die Sitzungen, die der innerdeutsche Ausschuß morgen und übermorgen in Berlin abhalten wird und auf diese Linie gehört die letzte Störung der Transitwege. Ich möchte daran erinnern, daß diese Sorge neuerdings auch vom Bundespräsidenten geteilt wird, wie sich aus seiner letzten Rede in Berlin ergibt.Die Reaktion der Bundesregierung ist in unseren Augen in keiner Weise geeignet, diese Störungsversuche in Zukunft zu unterbinden. Im Gegenteil, sie erweckt den Anschein, als ob sie sogar für die Motive der DDR Verständnis habe. Sie treibt Motivforschung, anstatt ohne Wenn und Aber die Rechtsverletzungen in eindeutiger Weise anzuprangern.
Diese Art der Reaktion, die Unrecht nicht Unrecht nennt, wird, wie alle Erfahrungen in der Vergangenheit zeigen, neues Unrecht von seiten der DDR provozieren. Anstatt die Schuldigen beim Namen zu nennen, sucht die Bundesregierung die Schuldigen anderswo:
bei den Bayern, bei der Opposition und bei der Presse. So sagte der Regierungssprecher, es sei „merkwürdig", daß die Nachrichten über die neuerlichen Verletzungen des Transitabkommens allein aus Bayern kämen. Der SPD-Sprecher Wischnewski sagte es noch deutlicher, indem er meinte, es dränge sich der Eindruck auf, daß hier das CSU-regierte Bayern die Bonner Opposition munitionieren wolle.
Das sind die Schuldigen für die Bundesregierung, die bereits eifrig an einer Legende webt, an der Legende, daß das Scheitern ihrer Deutschland-Politik durch die Opposition herbeigeführt worden sei.Es ist auch eine erschütternde Antwort, die heute Herr Staatssekretär Herold auf die Frage, ob die DDR einen Anhaltspunkt für die Einschränkung des Personenkreises auf den Transitwegen im Transitabkommen habe, gegeben hat, als er meinte, das könne möglich sein. Damit unterstützen Sie doch neue Störungsaktionen der DDR, anstatt ihnen entgegenzutreten.
Ich halte eine solche Verhaltensweise für haarsträubend.Lassen Sie mich zum Abschluß noch folgendes sagen. Ihr Interesse, die ganze Sache nach Möglichkeit zu vertuschen, ist mit Fingern zu greifen. Sie informieren nicht das Parlament, weder in den Ausschüssen noch hier im Plenum. Ihre Informationsbereitschaft gegenüber der Presse und gegenüber Journalisten ist größer als gegenüber uns. Sie sagen in der Zeitung eher etwas, als daß Sie es uns sagen. Uns sagen Sie wenig oder gar nichts, — und das auch noch unter dem Siegel des Vertrauens. Sie erinnern uns an die Praxis der Geheimkabinette absolutistischer Landesherren. Lassen Sie mich deshalb den Vorschlag machen, es möge für die Mitglieder
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5333
Dr. Abeleindieser Bundesregierung eine neue Amtsbezeichnung eingeführt werden, wenigstens für die Herren Bahr und Gaus, nämlich die des Geheimen Rates.
Ganz zum Schluß möchte ich noch folgendes sagen. Letztlich liegen die tieferen Ursachen für alle die Schwierigkeiten in der Fehlbeurteilung der politischen Voraussetzungen. Sie haben weder Ihre Partner noch ihre Absichten richtig eingeschätzt. Ich vermute sogar, daß Sie nicht nur uns hinters Licht geführt haben, sondern auch die Vertragspartner, die Sie über die rechtlichen Möglichkeiten im unklaren gelassen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viermächtevereinbarung, Grundvertrag und Transitabkommen hatten und haben den Zweck, die gefährlichste Grenze in Europa so weit wie möglich zu entspannen und menschliche Erleichterungen für die Deutschen auf beiden Seiten zu schaffen. Weder die mit uns verbündeten Mächte noch die Bundesregierung haben erwartet, daß sich die Regierung der DDR mit den Verträgen und Vereinbarungen demokratisieren werde. Dieses hat niemand versprochen und niemand erwartet.
Seit 1946 haben die Westmächte darauf verzichtet, sich in die inneren Verhältnisse des sowjetischen Machtbereichs einzumischen. Dies hat sich nach der Gründung der DDR über die Aufstände 1953 bis zum Bau der Mauer fortgesetzt. Fünf Tage nach dem Bau der Mauer hat der deutsche Bundeskanzler Adenauer den sowjetischen Botschafter zur Audienz empfangen und in einer Presseerklärung danach festgestellt, daß es zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik keine besonderen Probleme gebe. Das war, wie gesagt, fünf Tage nach dem Bau der Mauer. Erst die Bundesregierung Brandt hat die Mauer durchstoßen, hat die ersten Voraussetzungen dafür geschaffen, daß menschliche Erleichterungen auf beiden Seiten entstanden sind und neue Begegnungen möglich wurden.
Was die Alliierten und die Bundesregierung nicht können das haben Sie ebenso wie wir gewußt —, ist, das System der DDR zu beseitigen. Bei den Verhandlungen, die geführt wurden, und bei den Ergebnissen, die erzielt wurden, wußte jeder von Ihnen hier — wir alle wußten es —, es sind Vereinbarungen mit einem System, mit dem wir das System selbst nicht ändern. Es galt vielmehr; unter den Machtbedingungen, mit denen wir es hier zu tun haben, so weit wie möglich die Voraussetzungen für Erleichterungen und Veränderungen im Interesse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands zu entwickeln.
Sie schaffen mit Ihrer Polemik, die Sie jetzt Woche für Woche hier vortragen, angesichts der Schwierigkeiten, die es augenblicklich gibt, alle Voraussetzungen dafür, daß sich diese Schwierigkeiten
vergrößern. wohl, Herr Professor Dr. Abelein, Sie
sorgen dafür.
Jedes Wort, das Sie hier sagen, löst auf der anderen Seite logischerweise Freude aus. Sie erwähnten den Bundespräsidenten. Lesen Sie einmal die Rede des Herrn Bundespräsidenten daraufhin durch, ob er seine eigene Regierung und die Allierten beschuldigt und beschimpft hat oder ob er nicht Anklage erhoben bzw. Forderungen an die andere Seite gestellt hat! Was Sie hier machen, ist doch nichts weiter als sich an der Bundesregierung aufzugeilen, die alle Möglichkeiten prüft.
Sehen Sie sich doch einmal die „Süddeutsche Zeitung" von heute an, Herr Professor Dr. Abelein!
Ich nehme an, es stimmt, was dort steht, daß Sie sich zur Tollwut entwickeln könnten, wenn Sie an Herrn Gaus dächten.
Meine Damen und Herren, so können Sie mit den Problemen nicht umgehen,
wo es darum geht, auch die geringsten Möglichkeiten wahrzunehmen, um etwas zu erreichen, das angesichts der besonderen Bedingungen zu erreichen ist. Mit Grinsen allein haben Sie noch keine Politik gemacht, auch nicht mit ständiger Erhabenheit über Bemühungen, die Sie, solange Sie regierten, nicht unternommen haben, sondern die erst durch unsere Politik entstanden sind. Sie zerstören die Grundlagen der Entwicklung, anstatt der Regierung, wie es eigentlich sein sollte, zu helfen.
Ich will Ihnen eines sagen: Wir sind nicht mehr bereit, uns jede Woche einmal in einen ungerechtfertigten Anklagezustand versetzen zu lassen.
Wir wissen, wo die Schwierigkeiten liegen, und Sie wissen es auch. Wir werden es Ihnen überlassen, sich hier noch eine Weile auszutoben. Wir werden uns an dieser Diskussion vorläufig nicht mehr beteiligen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
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5334 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Politik dieser Bundesregierung, die von den Koalitionsfraktionen getragen wird, soll jenen Schießbefehl überwinden helfen, mit dem die Opposition immer wieder so vordergründig argumentiert und Stimmung zumachen versucht. Auf dem Wege dahin gibt es Schwierigkeiten, Probleme und immer wieder neue Ärgernisse durch das Verhalten der DDR, wobei der Begriff „Ärgernisse" noch eine sehr vornehme Umschreibung der tatsächlichen Vorgänge ist.
Daß Sie aber ausgerechnet am Vortag einer Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses morgen und übermorgen in Berlin dazu die Begleitmusik mit dieser Aktuellen Stunde liefern, bleibt ein fragwürdiges Unternehmen.
Der Herr Kollege Abelein mußte seine Kritik an der Bundesregierung, um sie wirkungsvoll vorzutragen, dann auch gleich mit einer Unterstellung anreichern. Aus Anlaß der bevorstehenden Reise des Bundesministers Bahr nach Moskau sieht er schon wieder schreckliche Dinge auf uns zukommen.
Meine Damen und Herren, so sollten Sie diese wichtigen Fragen nicht behandeln.
Herr Kollege Abelein hat dann, um dem Beitrag noch etwas Würze zu geben, über die Schwierigkeiten der Verhandlungen auf dem Gebiete des Sports gesprochen. Dies war nun in der Tat das Gegenteil von geheimer Kabinettspolitik, aber es war kein guter Einfall. Er hat damit nämlich ein Beispiel für jene parlamentarische Praxis geliefert, die wir uns endlich miteinander abgewöhnen sollten.
In dem zuständigen Ausschuß dieses Parlaments ist über den Stand der Sportverhandlungen referiert worden. Dort konnte im Einvernehmen mit den Sportverbänden, deren Klage Herr Abelein hier noch einmal tremolierend in die Öffentlichkeit hinausposaunt, festgestellt werden, daß gerade dieser Teil der Verhandlungen nach sehr schwierigen Erörterungen in der Vergangenheit endlich auf einen guten Weg gebracht ist. Wir dürfen hoffen, hier in Kürze zu vernünftigen Ergebnissen zu gelangen. Man hat den Eindruck, Herr Abelein mußte seine Vorwürfe offenbar deshalb noch schnell loswerden, weil er von seinen Kollegen aus dem zuständigen Ausschuß erfahren hatte, daß es in dieser Hinsicht bald nichts mehr zu kritisieren geben wird.
Meine Damen und Herren, Sie werden nicht erleben, daß ich über Gebühr optimistische Betrachtungen pflege. Ich werde deshalb auch die Angriffe der DDR auf das Transitabkommen nicht verniedlichen oder geringschätzen. Was diesen Teil des Viermächteabkommens angeht, so werden die SignatarMächte bald selbst aufgerufen sein, ihre Verantwortung und ihre Glaubwürdigkeit nicht durch eine Politik des rechtsverletzenden Spiels mit den Transitwegen in Frage stellen zu lassen. Natürlich ist das Transitabkommen ein ausführender deutscher Teil des Viermächteabkommens; aber die Freizügigkeit der Verkehrswege ist von den Vier Mächten bereits in ihrem Abkommen abschließend vereinbart und geregelt worden. Deshalb, so glaube ich, ist der Hinweis auf die unmittelbare Verantwortung der Vier Mächte durchaus berechtigt. Wir selbst sollten im übrigen wissen, daß der Protest der Bundesregierung gegen die Rechtsverletzung der DDR klar und konsequent gewesen ist und in angemessener Weise an der richtigen Stelle vorgebracht wurde.
Sicherlich hat der Vertreter der Bundesregierung — vielleicht aus taktischen Gründen seine eigene Position in ,der Öffentlichkeit nicht so klar gemacht, wie sie hätte dargestellt werden können.
Diesen Nachteil hat er selbst zu tragen. Aber auch die Bundesregierung muß sich diesen sicher vermeidbaren Mangel anrechnen lassen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Der Protest der DDR gegen die Sitzung des Innerdeutschen Ausschusses in Berlin verdient als I-Tüpfelchen grotesker Agressionspolitik
gegen das Viermächteabkommen die schärfste Zurückweisung.
So wie dies vom Senat von Berlin geschehen ist und die Unterstützung aller Fraktionen des Abgeordnetenhauses gefunden hat, muß dies auch von uns konsequent beantwortet werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Stauffenberg.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie, daß ich zunächst ein Wort zu den Ausführungen von Herrn Mattick sage. Herr Mattick, hätte die Bundesregierung und hätten die sie tragenden Parteien von Anfang an die Erwartungen so niedrig geschraubt, wie Sie es heute tun, wäre es in vielen Fällen nicht zu den Auseinandersetzungen und zu
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5335
Graf Stauffenbergden Enttäuschungen im Lande gekommen, wie es sie heute gibt.
Wenn Sie heute schon für die Zukunft in Aussicht stellen, daß Sie sich an solchen Diskussionen nicht mehr beteiligen wollen,
dann entnehme ich daraus nur, daß Sie in der Zukunft zu diesen Dingen nichts mehr zu sagen haben,
dort, wo Ihre Politik gescheitert ist. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Zu den Störungen und Behinderungen im Berlin-Verkehr in letzter Zeit hat die Bundesregierung viel gesagt, mündlich und schriftlich. Trotz allem hat sie bis jetzt und auch nach dieser Fragestunde — ich möchte sagen: gerade nach den Nichtauskünften des Herrn Staatssekretärs Herold — die entscheiden Fragen offengelassen.
Tatbestand ist: Die Bundesregierung — ihre Mitglieder und ihre Sprecher — hat die abkommenswidrigen Behinderungen heruntergespielt und verharmlost, und die SPD hat sie dabei kräftig unterstützt. Herr Mattick hat das heute auch getan.Dem Regierenden Bürgermeister und dem Senat von Berlin blieb da die unangenehme Aufgabe, der bitteren Wahrheit den notwendigen Ausdruck zugeben. Wir stimmen Herrn Schütz völlig zu, wenn er sagt: Es darf kein Herunterspielen und Beschwichtigen geben. Wir stimmen ihm zu, wenn er sagt, man sei in der Stadt Berlin gewohnt, offen über Schwierigkeiten zu sprechen, auch wenn das dem einen oder anderen nicht passe, Herr Mattick. Und wir ergänzen: Was der Regierende Bürgermeister über die Berliner sagt, das gilt für alle Deutschen.Die hohen Worte von mehr Demokratie und mehr Transparenz sind keine Tarnworte für mehr Geheimniskrämerei und mehr Illusion. Für die Wahrheit braucht der mündige deutsche Bürger auch nicht ein Reifezeugnis von Herrn Bahr, seligen Angedenkens.Herr Staatssekretär Gaus findet „keinen Anlaß", die Behauptungen von Herrn Nier zu bezweifeln. Der Sprecher der Bundesregierung findet die Aussagen von Herrn Nier ebenso wie Herr Gaus „plausibel". Als aber am 1. Februar 1974 Beamte der bayerischen Grenzpolizei pflichtgemäß weitere Kontrollen und Behinderungen auf der Autobahn Berlin—Hof meldeten, wurden plötzlich ganz andere Maßstäbe angelegt, weil — so beliebte sich Herr von Wechmar auszudrücken — sich diese Fälle merkwürdigerweise ausgerechnet auf der Strecke nach Bayern abgespielt haben. Da will er plötzlich eine Reihe von Fragezeichen setzen; die Berichte seien unbewiesen und müßten erst nachgeprüft werden. Er greift sogar Herrn Wischnewskis deplazierte Polemik auf, daß das CSU-regierte Bayern die Bonner Opposition munitionieren wolle. Hier Vertrauensseligkeit und willige Gläubigkeit den DDR-Funktionären gegenüber, dort abwertende Vorbehalte gegen die Berichte aus Bayern — das ist eine unerhörte Zumutung.
Das sind unerträgliche, beleidigende Verdächtigungen gegenüber den Beamten, die auf der Grundlage von Recht und Grundgesetz ihre Pflicht tun. Das sind diffamierende Unterstellungen gegenüber der frei gewählten Regierung eines deutschen Bundeslandes. Beides weisen wir hier mit aller Entschiedenheit und allem Nachdruck zurück. Es wäre angebracht und ein Gebot des Anstandes, daß sich die Bundesregierung von jenen Behauptungen und Wertungen distanziert und sich bei den Betroffenen entschuldigt.
Andernfalls muß sich eine ganz andere Frage stellen als die von Herrn von Wechmar und Herrn Wischnewski: Wer spielt in der Deutschlandpolitik eigentlich mit wem und für wen und gegen wen?Meine Damen und Herren, wir müssen uns hier — ich würde sagen: wieder einmal, — leider — mit den Mitteilungen von Herrn Bahr befassen. Ich meine vor allem die Meldung über Herrn Bahrs Erklärung, die Forderung der Opposition nach einer Berichterstattung im Innerdeutschen Ausschuß sei ein unerlaubter Versuch, aus diesen oder jenen Motiven. Wäre es ein Einzelfall, dann könnte man sagen: Es war ein Versprecher oder ein Versehen. Aber wir haben ja in der Vergangenheit Herrn Bahr schon des öfteren nicht nur als Minister für besondere Aufgaben erlebt, sondern auch als Minister für sonderbare Rechtsauffassungen. Die Aufforderung an Herrn Bahr, den Innerdeutschen Ausschuß zu informieren, ist unter keinerlei Umständen unbillig oder gar unerlaubt. Sie entspricht den selbstverständlichen Pflichten und den selbstverständlichen Aufgaben eines Ministers der Bundesregierung.Was nützt es denn, wenn man sich hier feierlich zu den Prinzipien des Grundgesetzes und der parlamentarischen Demokratie bekennt und der Herr Bundesinnenminister in dankenswerter Klarheit richtigstellt, daß die Organe des Bundes auch beim Transitabkommen dem Grundgesetz unterliegen?!Herr Bahr hat seine seltsamen Ansichten nicht zurückgenommen. Er redet weiter, weiter wie vordem. Er amtiert weiter, wie auch immer und wo auch immer. Wie lange eigentlich noch?
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zu den Merkwürdigkeiten einer solchen Diskussion, daß es die
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5336 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Jäger
Bundesregierung bis jetzt noch nicht für notwendig gehalten hat, die überaus seltsamen Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Herold vorhin in der Fragestunde, die Herr Kollege Abelein moniert hat, richtigzustellen und aufzuklären, nämlich die Bemerkung, daß das Transitabkommen offenkundig eine Auslegung zulasse, nach der es eine Einschränkung des Personenkreises geben könne, die diese Transitwege benützten nach der Auslegung der DDR —. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wenn das nicht klargestellt wird, leisten Sie der Politik der SED bei der Beschränkung der Transitwege massiven Vorschub.
Im zweiten Jahr des Berliner Grundvertrags, der die Pflicht zur Entwicklung „normaler, gutnachbarlicher Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten" begründet hat, ist der seit zwölf Jahren in diesem Land geltende unmenschliche Schießbefehl an der Mauer und der Demarkationslinie für die Grenztruppen der Nationalen Volksarmee der DDR eine unverändert geltende brutale Realität. 1973 sind mindestens 7 Tote und 14 Verletzte festgestellt worden. Nach vergeblichen Fluchtversuchen sind 366 Verhaftungen erfolgt. Meine Damen und Herren, diese erschütternde Bilanz zeigt, daß der Grundvertrag und die Entspannungshoffnungen, die an ihn geknüpft worden sind, an dieser bitteren und erschütternden Realität nicht das mindeste zu ändern vermocht haben.
Gleichwohl haben über 6500 Flüchtlinge, darunter rund 1800 sogenannte Sperrbrecher, die DDR verlassen. Das ist eine Erhöhung um 50 °/o und mehr gegenüber 1972. Dies scheint der Grund dafür zu sein, daß die DDR die Kopfprämie, die Abschußprämie für ihre Grenztruppen von 3000 auf 5000 Mark erhöht hat. Meine Damen und Herren, was hat das mit Normalisierung und Entspannung in Deutschland zu tun?!
Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. Sie tut so, als ob es da gar keine Meldungen gäbe. Meine Damen und Herren, dieses Spiel nehmen wir Ihnen nicht ab. Diese Dinge sind bekannt. Sie wurden nicht dementiert. Sie haben hier nur gesagt: Wir können das nicht bestätigen. Meine Damen und Herren, das sind Tatsachen.Wenn der Informationsweg dieser Regierung so schlecht ist, daß sie dem Parlament hierüber heute keine Auskunft geben kann, dann zeigt das erneut, auf welch gravierende Weise Sie heute die innerdeutsche Situation in diesem Land heruntergestuft haben, daß Sie es nicht für der Mühe wert halten, solche für die Menschen in diesem Land eminent wichtigen Fragen vor dem Deutschen Bundestag aufzuklären.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung findet es also nicht notwendig zu regieren. — Entschuldigung: zu reagieren.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Juli letzten Jahres wörtlich erklärt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren Schließlich muß klar sein, das mit dem Vertrag — gemeint ist der Grundvertrag —schlechthin unvereinbar ist die gegenwärtige Praxis an der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, also Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl. Insoweit gibt der Vertrag eine zusätzliche Rechtsgrundlage dafür ab, daß die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer grundgesetzlichen Pflicht alles ihr Mögliche tut, um diese unmenschlichen Verhältnisse zu ändern oder abzubauen.Meine Damen und Herren, das, was die Bundesregierung in der Fragestunde auf meine Fragen heute zum besten gegeben hat, beweist, daß die Regierung das ihr Mögliche nicht tut und daß sie sich insofern einer groben Verletzung ihrer verfassungsrechtlichen Pflichten schuldig macht.
Die 67 Toten allein in Berlin seit 1961 infolge des Schießbefehls klagen doch heute ein Regime drüben an, das von uns die äußersten und ernstesten Anstrengungen verlangt, um endlich diese eklatante Grundvertragswidrigkeit zu beseitigen.Meine Damen und Herren von der SPD, nicht immer haben Sie so leisetreterisch reagiert wie Ihre Regierung heute.
Im Jahre 1966 schrieb der SPD-Bundesvorstand auf einen offenen Brief des Herrn Ulbricht eine Antwort, in der es heißt — ich darf mit Genehmigung zitieren :Diesem Schießbefehl fallen immer wieder Menschen zum Opfer, die in ihrer Verzweiflung einen Ausweg aus der Sackgasse und Versteinerung der deutschen Spaltung suchen. Unsere Frage lautet deshalb: Wie soll in Deutschland offen und befangen diskutiert werden, wenn auf Menschen geschossen wird, weil sie aus dem durch Minenfelder, Mauer und Drahtverhaue abgetrennten Teil ihres deutschen Vaterlandes ausbrechen wollen?Das, meine Damen und Herren, können auch wir unterschreiben.Darum lassen Sie mich schließen: Wer es mit Entspannung in diesem Lande ernst meint, für den kann es nur eine Forderung geben, die Vorrang genießen muß: Dieser Schießbefehl an der unmenschlichen Todesgrenze durch Deutschland muß endlich weg!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5337
Jäger
Fordern Sie Ihre eigene Regierung auf, endlich in ernsthafte Verhandlungen darüber einzutreten!
Das Wort hat der Abgeordnete Kunz .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, sehr verehrter Herr Kollege Mattick, haben hier oben von der Tollwut und von der Polemik in jeder Woche und von der Geilheit gesprochen.
Ich muß mich eigentlich fragen: Wie können Sie als Berliner Kollege es verantworten, diese Worte nicht an das SED-Regime, sondern an die Opposition im Hause zu adressieren?
Herr Mattick, ich meine, Sie müßten genauso reden, wie ich es jetzt hier tun werde und wie es insbesondere die CDU/CSU insgesamt sieht. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir angesichts der Situation, wie sie in und um Berlin leider ist, einen Weg finden könnten, um solche Vokabeln wie die, die Sie heute gebraucht haben, nicht mehr zu verwenden. Ich bitte Sie wirklich darum.
Der Herr Bundespräsident hat festgestellt, daß, wer Minen in den Weg der Entspannung legt, dies weltweit tut, und der Herr Bundespräsident hat festgestellt, daß Berlin der Gradmesser einer weltweiten Entspannung ist. Dieses Wort des Bundespräsidenten zu dieser Zeit erachte ich als sehr hilfreich, und ich möchte dem Herrn Bundespräsidenten dafür danken.
Dieses Wort des Herrn Bundespräsidenten zeigt, in welcher Situation wir sind.
Wie sieht es aus? — Es sieht so aus, daß massive Eingriffe in den Verkehr von und nach Berlin vor einiger Zeit mit der Maul- und Klauenseuche begründet wurden; nunmehr werden Eingriffe mit Fahndungsmaßnahmen begründet. Ostberliner Zeitungen erklären, das Bundesverwaltungsgericht müsse abgezogen werden. Andere Zeitungen erklären, die Errichtung eines Umweltbundesamtes stelle eine Provokation dar. Der Innerdeutsche Ausschuß soll in Berlin nicht mehr tagen dürfen. Solidaritätskundgebungen für das bedrängte Israel dürfen nicht mehr stattfinden. Und als Gipfel dieser Dinge soll der Regierende Bürgermeister von Berlin in Israel nicht mehr das sagen dürfen, was wir alle empfinden, nämlich Solidarität mit dem bedrängten Land. Dies ist der Höhepunkt. Wir haben leider, Herr Kollege Mattick, eine Situation, in der sich die Angriffe gegen Berlin so häufen, daß es mit der bisherigen Verniedlichung und Verharmlosung genausowenig getan ist wie mit einem Stil, bei dem Sie sagen: Wir werden uns an diesen Debatten nicht mehr beteiligen.
Sollten Sie allerdings meinen, daß Sie sich an diesen Debatten deshalb nicht mehr beteiligen, weil Sie selber Herrn Bahr und Herrn Gaus in ihrer Verhandlungsführung nicht mehr verstehen können, hätte ich dafür Verständnis.
Meine Damen und Herren, wogegen richten sich die Angriffe? — Diese Angriffe richten sich gegen eine Stadt, die mehr ist als das Modell einer modernen Großstadt, gegen eine Stadt, die die ungelöste deutsche Frage ebenso symbolisiert wie die Freiheit.
Die Angriffe richten sich gegen die Freiheit selbst.
In dieser Situation muß endlich einmal gefragt werden: Warum wird es von der Bundesregierung selbst hingenommen, daß der jetzige Unterhändler, Herr Gaus, dieselben grundlegenden methodischen Fehler macht wie seinerzeit der Unterhändler Egon Bahr? Überhaupt zeichnet sich der Stil von Herrn Gaus dadurch aus, daß ihm Verharmlosung und Verniedlichung genauso eigentümlich sind wie mangelnde Festigkeit und mangelnde Grundsätzlichkeit. Ich bin erschrocken, in welchem Maße insbesondere Herr Gaus Verständnis für die Interessen der anderen Seite findet. Herr Gaus, ich bitte Sie eindringlich, Verständnis für unsere ureigenste Position zu fin- den, statt Verständnis für eine Situation, in der es zum Alltag gehört, daß Menschenrechte mißachtet und die Interessen des freien Berlin systematisch zertrampelt werden.
Die Angriffe sind größer geworden, und weil die Angriffe größer geworden sind, muß sich nunmehr endlich der Stil der Verhandlungen ändern. Ich fürchte nur, daß dies kaum zu erwarten ist. Deshalb könnte ich mir vorstellen, daß es unumgänglich ist, Herr Bahr, daß Sie sich heute an dieser Debatte hier beteiligen. Ich verlange dies.
Das Wort hat Herr Abgeordneter von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal muß ich sagen, Herr Kollege Mattick, ich finde es bestürzend, daß Sie jedesmal, wenn wir diese brennenden Probleme in dieses Parlament tragen, so tun, als müßte die Koalition beleidigt spielen. Ich glaube, das, was Sie hier machen, und das Schweigen der Regierung ist nichts anderes als der Versuch der Denaturierung dieses Parlaments.
Herr Bahr, wenn Sie das Verhandlungsgewicht derBundesrepublik Deutschland mehren wollen, dannist es doch die Aufgabe dieses Parlaments, so oft
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5338 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
von Wrangelwie möglich über diese Fragen zu diskutieren und vor allem auch ganz klar die skandalösen Attacken und die skandalösen Versuche, das Viermächteabkommen auszuhöhlen, zurückzuweisen und nicht eine Politik der Vertrauensseligkeit zu betreiben; denn Vertrauensseligkeit ist immer der schlechteste Ratgeber im Umgang mit totalitären Staaten.Ich möchte doch, weil dies vom Kollegen Abelein und meinen Freunden vorhin gesagt worden ist, hier noch einmal aufzählen, was uns bedrückt. Meine Damen und Herren, in der Berlin-Frage erleben wir es, daß nach allem, was wir wissen, die Bundesregierung in ihrer Verhandlungsführung hinter dem Viermächteabkommen zurückgeblieben ist.
In der Frage der Transitwege sagt der Regierende Bürgermeister Schutz, dies sei sehr ernst zu nehmen; von der Bundesregierung hören wir, es wird alles bagatellisiert.
Es sei alles nicht so schlimm. Wir hören Vertröstungen. Wir erleben eine Fülle von besorgniserregenden Attacken von Herrn Honecker, der offen sagt, er wolle Berlin isolieren. Aber wir hören von der Bundesregierung nicht mit aller Deutlichkeit, daß diese Versuche zurückgewiesen werden müssen. Meine Damen und Herren, wie wollen Sie denn eigentlich unsere westlichen Verbündeten für die deutsche Sache mobilisieren, wenn Sie selber in dieser Frage so zurückhaltend, ja so kleinmütig sind, wie Sie es die ganze Zeit waren?
Wir haben heute in der Fragestunde doch wohl zu Recht gefragt: Was ist denn eigentlich mit diesen furchtbaren Kopfprämien, was ist denn eigentlich los mit dieser Grenze, die immer schlimmer wird? Wir haben kein mutiges Wort von dieser Regierung vernommen. Läge es denn nicht im Interesse unseres Volkes, wie ich einmal sagen will, daß diese Regierung gerade hier im Hause diese Zustände an den Pranger gestellt hätte? Meine Damen und Herren, ich weiß genau — und Sie zeigen dies — daß Sie die Diskussion nicht wollen; Sie weichen ihr aus. Wir nehmen dies zur Kenntnis.
Aber glauben Sie nur nicht, daß Sie auf die Dauer mit dieser Methode dem Parlament dienen, und glauben Sie doch bitte auch nicht, daß Sie damit ihr ramponiertes Ansehen in der Öffentlichkeit verbessern werden! Genau das Gegenteil wird der Fall sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hätten es eigentlich nicht für möglich gehalten, daß nun der sechste Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion spricht, ohne daß ein Mitglied der Bundesregierung, die heute ausnahmsweise auf der Bank der Bundesregierung zahlenmäßig stärker vertreten ist als sonst, das Wort zu einer Erwiderung nimmt. Das um so mehr, als diese fünf Kollegen vor mir in ihren Aussagen und in ihrer Kritik an dieser Bundesregierung substantiiert gewesen sind und eine Fülle von Material und von Zahlen über die Schüsse an der Mauer und über die Flüchtlinge, die sich auch davon nicht haben abschrecken lassen, vor Ihnen ausgebreitet haben.
Sind eigentlich zwei hochbezahlte Bundesminister und ein Staatssekretär — hier sind ja wohl insgesamt drei Mitglieder der Bundesregierung für diese Fragen zuständig — nicht mehr in der Lage zu antworten und vor dem Parlament Rechenschaft zu geben, oder wollen sie nicht mehr Rechenschaft ablegen?
Dürfen wir uns die Frage erlauben, meine Herren von der Regierungsbank, ob Sie nur mehr mit Moskau und mit Herrn Nier sprechen, aber nicht mehr mit der Opposition?!
Herr Staatssekretär Herold, nach der Vorstellung, die Sie heute in der Fragestunde gegeben haben, nämlich entweder überhaupt nichts oder fast nichts zu sagen oder um den Brei herumzureden, hätten wir wenigstens erwartet, daß Sie bei den Angriffen, die diese Bundesregierung gegen bayerische Behörden gerichtet hat, als jemand, der selbst aus diesem Lande kommt, ein Wort zur Verteidigung bayerischer Beamter und bayerischer Polizisten sagen.
Von Ihnen, Herr Kollege Mattick, hätten wir allerdings mehr erwartet als diese Rede, die nichts anderes als ein Versuch — in Ihren Augen — war, abzuwiegeln — das kommt aus Ihrem Vokabular —, und die Sie dann zu einer Rede gemacht haben, die aufwiegeln sollte. Sie haben das Wort gebraucht, Bundeskanzler Brandt und diese Bundesregierung hätten „die Mauer durchstoßen". Man hat in diesem Hause schon allerhand hören müssen, aber selten etwas, was so neben der Sache war — bei einem Sachverhalt, den man ernst, sehr ernst betrachten sollte. Die Mauer haben bis jetzt allein die durchstoßen, die unter Gefahr für Leib und Leben in den freien Teil dieses Deutschlands gekommen sind, sonst niemand!
Und denen haben Sie bisher nicht helfen können,sondern die haben sich leider ganz allein selbst helfen müssen. Und es helfen sich sonderbarerweise
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5339
Dr. Zimmermannimmer mehr selbst, seitdem diese Verträge abgeschlossen worden sind. Woher kommt denn das, Herr Kollege Mattick?!
Wenn Sie sagen, jedes Wort, was wir hier in diesen Debatten und in diesen Aktuellen Stunden sagen, freue die andere Seite, muß ich antworten: das allerdings, Herr Kollege, glaube ich nicht. Die andere Seite wird freuen, daß eine Bundesregierung vor diesem Parlament so hilflos und schweigsam steht, wie das heute der Fall ist; das wird sie freuen.
Niemand verlangt von Ihnen — obwohl Sie es selbst wissen —, heute schon zuzugeben, daß die Ostpolitik dieser Regierung gescheitert ist, daß die andere Seite — Regierung der DDR und SED — im Gegenteil eine verschärfte Abgrenzungspolitik treibt. Aber: Eine Schande ist es, daß Sie sich heute durch Ihr Verhalten in den Geruch setzen, sich zum Komplizen dieser Vertuschungspolitik und dieser Spaltungspolitik zu machen.
Sie sollten sich — das ist mein letzter Satz — andas allein gültige Urteil des Bundesverfassungsgerichts halten, das — ich zitiere — gesagt hat:Schließlich muß klar sein, daß mit dem Vertrag schlechthin unvereinbar ist die gegenwärtige Praxis an der Grenze, also Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl. Insoweit gibt der Vertrag eine zusätzliche Rechtsgrundlage dafür ab, daß die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer grundgesetzlichen Pflicht ihr Möglichstes tut, um diese unmenschlichen Verhältnisse zu ändern und abzubauen.Meine Herren von der Bundesregierung, kommen Sie hier auf dieses Pult und sagen Sie, was Sie getan haben, um diese Grundsätze zu erfüllen!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marx.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir heute in diesem Hause erleben, ist eine Einmaligkeit. Die sozialdemokratische Fraktion unterläßt es, einer bedrängten und hilflos gewordenen, von ihr verantworteten Bundesregierung zu Hilfe zu eilen.
Meine Damen und Herren, das erinnert an gewisse Strategien, die der Kollege Wehner vor etwa eineinhalb Jahren erfunden hatte. Aber daß es ihm tatsächlich gelingt, gegen die Argumente der CDU/ CSU niemanden aus seiner Fraktion reden zu lassen, zeigt in der Tat, welche Form der Demokratie heute in dieser Aktuellen Stunde in diesem Hause praktiziert wird.
Der Kollege Mattick hat gesagt, wir versetzten seine Fraktion in einen ungerechtfertigten Anklagezustand. Herr Mattick, es wäre uns allen lieber, wenn wir über etwas anderes diskutieren könnten. Aber Sie werden doch, bitte, zugeben, daß Sie zum Beispiel vor der letzten Bundestagswahl überhaupt kein Ende finden konnten — Tag für Tag und Stunde für Stunde —, uns in einen Anklagezustand zu versetzen. Sie haben immer versucht, den Eindruck 'zu erwecken, jetzt, wenn diese Regierung zum Zuge komme, schreibe man eigentlich das Jahr Eins der deutschen Politik. Jetzt endlich würden sich die Fesseln lösen. Jetzt endlich würden Sie — wie Sie gesagt haben — die Mauer durchstoßen, zum friedlichen Nebeneinander kommen, Normalisierung erreichen, Versöhnung, Entspannung. Das waren doch alles Ihre auf den Wahlkampf gerichteten Formeln! Und heute müssen Sie doch zugeben — Sie genieren sich, es zuzugeben —, daß dies alles Illusionen, Hoffnungen, Wünsche waren, aber daß Ihre Politik nicht dazu geeignet war und daß die, die diese Politik vertreten haben, nicht fähig dazu waren, das vorher Angekündigte dann auch durchzusetzen.Meine Damen und Herren, ich selbst gehöre ja nicht dem Innerdeutschen Ausschuß an; ich versetze mich also in die Situation, in der der Bürger draußen im Lande ist, der nur die Zeitung liest. Der erfährt vor den Verhandlungen, um welche wichtigen Dinge es gehe. Nach den Verhandlungen sieht er 'hin und wieder ein verlegenes Gesicht abends im Fernsehen, und es wird gesagt: Wir haben ein interessantes Gespräch geführt, über den Inhalt darf ich nichts sagen. Dann erfährt man am nächsten Tag aus der Zeitung von dieser Regierung gezielte Indiskretionen über gewisse Inhalte, auch über manches, was einem nicht gefallen hat. Und wenn dann in diesem Hause oder im Ausschuß nach den konkreten Vorgängen gefragt wird, dann sagt die Regierung, dies sei alles so vertraulich, daß sie es nicht sagen könne.Herr Kollege Bahr, wir ertragen es auf die Dauer nicht, daß Sie draußen Propaganda machen, und wenn Sie dann der Unwahrheit dieser Propaganda überführt werden, im Ausschuß, hinter verschlossenen Türen, unter der Firmen- und Deckmarke, das sei alles vertraulich, kleine Stückchen der wirklichen Vorgänge, der wirklichen Wahrheit zeigen. Hier ist ein unerhörter Widerspruch in Ihrer politischen Arbeitsmethode. Das verträgt sich überhaupt nicht mit dem, was Sie als das Notwendige der parlamentarischen Demokratie bezeichnet und so oft beschworen haben.Sie haben uns gesagt, Herr Kollege Bahr, als Sie den Transitteil mit Herrn Kohl ausgehandelt hatten, jedes Wort sei mit den Alliierten abgesprochen. Herr Hoppe, ich muß sagen, vor allen Dingen der letzte Teil Ihrer Rede, der Protest gegen das Verhältnis, das die DDR erzwungen hat, findet unsere Zustimmung. Aber vielleicht können wir uns auch darüber einigen: Sie haben angedeutet, daß die Alliierten nun in der Sache selbst tätig werden sollten. Ich will dem gar nicht widersprechen. Aber ich möchte gerne sagen, daß wir Ihnen allen und der
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5340 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. MarxBundesregierung nicht erlauben, sich hinter dem breiten Rücken der Alliierten dann zu verstecken, wenn es um das notwendige offene Eingeständnis Ihrer eigenen schlechten Aushandlung dieser Verträge geht. Das kommt nicht in Frage.
Der Kollege Kunz hat gesagt, ein Angriff auf Berlin zeichne sich auf vielen Ebenen ab. Wir brauchen nur die letzte Rede von Herrn Honecker zu lesen, wir brauchen nur zu beobachten, was sich entwickelt. Die CDU/CSU-Fraktion hat sehr früh, nämlich im März 1970, in einem ihrer ersten Papiere zur Ost- und Deutschlandpolitik formuliert: Berlin ist der Prüfstein für das gesamte Verhalten. Das heißt, wenn die Sowjets sich in Berlin als entspannungsbereit zeigen, wird dies von uns verstanden als ein Prüfstein dafür, daß sie es auch auf anderen Gebieten so machen. Aber die Frage ist: Was ist jetzt mit diesem Prüfstein Berlin? Der Bundespräsident, der zitiert worden ist, nennt es einen Gradmesser. Er meint etwa das gleiche. Wir sehen, daß der Druck auf Berlin sich verstärkt und daß — —
Herr Abgeordneter Dr. Marx, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Ich möchte gerne nur noch folgende Bemerkung machen.
Meine Damen und Herren, der Regierende Bürgermeister hat, wenn wir die Zeitungen recht gelesen haben, vor etwa einem Vierteljahr eine Reise nach Moskau vorbereitet. Dann haben wir gehört, daß sich die sowjetische Botschaft weigert, ihm dabei zu helfen.
Herr Abgeordneter Marx, Sie kennen die strengen Regeln für die Aktuelle Stunde. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.
Ich bin bei meinem letzten Satz, Herr Präsident, wenn Sie mir das erlauben.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir alle sehen mit großen Bedenken und Sorgen die Tatsache, daß z. B. der Regierende Bürgermeister seine Reise nach Moskau bisher nicht antreten konnte, und wir sehen die Tatsache mit großen Sorgen, daß er und seine Freunde und der Senat von Berlin sich gegen eine Politik wehren müssen, die das Gegenteil von dem ist, was die Propaganda der Bundesregierung das Volk hoffen ließ.
Das Wort hat Herr Bundesminister Bahr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden es uns schließlich nicht übelnehmen, daß wir erst einmal zuhören, ob Sie etwas Neues zu sagen haben, um dann darauf zu antworten.
Ich muß Ihnen gestehen, so sehr viel Neues —
so sehr viel Neues — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe für Herrn Minister Bahr.
So sehr viel Neues ist es nicht, was hier an gestellten Fragen zu beantworten ist,
denn diese Fragen sind schon x-mal beantwortet worden.
Zunächst einmal möchte ich auf die Feststellungen, denn es waren ja keine Fragen,
— ja, selbstverständlich —
sondern nur in die Form von Fragen gekleidete Feststellungen, daß die Bundesregierung nämlich den Versuch gemacht habe, die Störungen auf den Transitstrecken einseitig zu einer Sache der Bayern oder der Meldungen von Behörden der bayerischen Landesregierung zu machen, folgendes sagen: Es lagen und liegen bis zur Stunde von nirgendwo sonst Meldungen vor. Die Vertreter der Bundesregierung haben sich erkundigt, ob es anderswo Meldungen gibt. Sie haben keine erhalten. Wir haben Vertreter der Opposition gefragt, ob sie zusätzliche Erkenntnisse haben. Sie konnten uns keine vermitteln. Bei dem einen Punkt, der vorhin genannt worden war bzw. wonach gefragt worden war — es geht da um
Bundesminister Bahr
den 1. Februar —, stellte sich heraus, daß da ein Mensch eine Adresse angegeben hatte, die es gar nicht gibt.
Die anderen beiden Punkte haben wir im Ausschuß genau behandelt. Es gab drei Fälle von Kontrollen an einem Tage, an dem 22 000 ungehinderte Hin-und Herfahrten stattgefunden haben. Das waren die Störungen auf den Zugangswegen, die Sie zur Beantragung dieser Aktuellen Stunde veranlaßt haben. Es tut mir eigentlich leid, dies wegen Ihrer Fragen feststellen zu müssen, denn ich glaube nicht, daß diese sachliche Feststellung geeignet ist, die Position unseres Verhandlungsführers bei seinen künftigen Protesten zu verstärken.
Ein zweites, das ich auf Ihre Fragen feststellen möchte, ist folgendes: Wenn Sie Ihre Fragen klarer stellten, könnten Sie auch Antworten erhalten, die dem Sinn der Fragen entsprechen. Ich meine das in folgendem Sinne: daß z. B. das Transitabkommen keinen Ausschluß von Personengruppen oder Kategorien von Personen kennt.
Wir sind uns mit allen Beteiligten völlig einig, daß das Transitabkommen nicht gestattet, Personengruppen oder Kategorien von Personen von der Benutzung der Transitwege auszuschließen.
Ich muß drittens folgendes sagen: Wenn der Herr Bundespräsident erklärt, Berlin sei ein Gradmesser der Entspannung, dann wird das nicht nur von Ihnen begrüßt. Es wäre aber, um es offen zu sagen, nett, wenn Sie, wenn der Bundeskanzler oder der eine oder andere Minister exakt das gleiche sagen, dies dann auch begrüßten nur der Fairneß halber.
Was die äußersten Anstrengungen angeht, um Unrecht in Deutschland zu beseitigen oder die Zustände an den Grenzen zu beseitigen oder die Zustände an der Mauer zu beseitigen meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können durch keine Aktuelle Stunde die Tatsache verwischen, daß Sie, gemessen an Ihren eigenen Forderungen, in 20 Jahren total versagt haben.
Was die Bundesregierung dazu zu sagen hat, ist, daß wir hier bisher leider nur Teilerfolge haben.
Was das Mauer-Durchstoßen angeht; die Millionen Menschen, die bisher durch die Mauer gehen konnten, um ihre Verwandten zu besuchen: Die Passierscheinregelung haben wir doch gegen den Widerstand Bonns in Berlin durchsetzen müssen.
Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen. Wir verstecken uns nicht hinter den drei Mächten,
aber ich möchte hier in aller Form feststellen, daß auch die drei Mächte erstens keine Erkenntnisse haben, die über das an Störungen auf den Transitwegen hinausgehen, was ich hier gesagt habe, zweitens daß sie bisher keine Veranlassung gesehen haben, den Vier-Mächte-Mechanismus in Gang zu setzen, den das Viermächteabkommen im Falle von ernsten Störungen vorsieht. Die Bundesregierung nimmt Störungen auf den Transitwegen sehr ernst, aber wenn es um „Komplizen" geht, so ist die Bundesregierung allein der Komplize der drei Mächte.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werte Ihr Ausscheiden aus dieser Diskussion nicht nur als bloße Taktik, denn Sie haben nichts mehr zu sagen, Sie sind am Ende.
Sie und die Bundesregierung sind mit Ihren Argumenten und mit Ihrer Politik, kaum daß Sie begonnen haben, ausverkauft, und das trifft auch für Herrn Bahr zu.
Anlaß für diese Aktuelle Stunde war das klägliche Auftreten des Vertreters der Bundesregierung. Ich unterstelle ihm noch nicht einmal schlechten Willen. Er konnte es gar nicht besser, er war schlecht vorbereitet. Teilweise wußte er auf unsere Fragen überhaupt keine Antwort, teilweise sagte er, andere Ressorts seien zuständig. Zu einer Frage haben Sie im Augenblick genau das Gegenteil von dem gesagt, was Herr Herold gesagt hat, nämlich über die Einschränkungen auf den Transitwegen für Bedienstete des Umweltbundesamtes und Ausländer.Welches ist denn die Situation? Ihre Reaktion auf die ständigen Rechtsverletzungen war schwach und widersprüchlich.
-- Wir werden das ständig vorbringen, bei jeder neuen Rechtsverletzung.
Sie haben bei den Fluchthelferprozessen eine höchst widersprüchliche Erklärung von sich gegeben, Herr Bahr. Sie haben doch gemeint, das Transitabkommen gehe dem Menschenrecht und dem Grundrecht auf Freizügigkeit vor. Sie haben damit zu dieser Unsi-
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Dr. Abeleincherheit beigetragen. Glauben Sie nur nicht, daß Ihre Politik ein Beitrag zur Herbeiführung der menschlichen Erleichterungen im gesamten Deutschland war. Jeder, der heute die Gelegenheit hat, mit Flüchtlingen zu sprechen — eine Kommission, zusammengesetzt aus Vertretern aller Parteien, hat es getan —, ist erschüttert darüber.Lassen Sie sich sagen: Ihre Reputation auf der Ebene einer gesamtdeutschen Politik ist nicht nur in der Bundesrepublik am Boden, sie ist auch in der DDR am Boden.
Herr Bundeskanzler Brandt — wobei ich in Parenthese hinzusagen muß: ob er noch die Richtlinien der Politik bestimmt, das weiß ich überhaupt nicht; derjenige, der die Richtlinien der Politik bestimmt, sitzt hier, infolgedessen können wir auf Herrn Brandt als Gesprächspartner in solchen Diskussionen leicht verzichten —, Herr Brandt hat das Ansehen, das er auf Grund der von ihm erweckten Hoffnungen in der DDR einmal hatte, längst nicht mehr. Diese Hoffnungen sind längst einer grausamen Ernüchterung gewichen. Denn Sie haben ja die Freizügigkeit in Deutschland nicht verbessert. Im Gegenteil, Sie haben die Regierung drüben durch Ihre Politik noch legitimiert. Der Druck auf die Bevölkerung der DDR hat seit Ihrer Politik zugenommen.
Realität ist nach wie vor eine Mauer mitten durch eine Stadt. Das gibt es nur einmal auf der ganzen Welt. Wir haben das größte Minenfeld und den längsten Stacheldraht in Deutschland, und Sie haben ihn nicht durchlöchert. Sie müßten doch in Ihrer Bilanz hier auch angeben, daß in der Zwischenzeit die Besucherzahlen alle wieder rückläufig geworden sind. Die Zahlen haben sich doch durch die Verdoppelung des Zwangsumtausches erheblich verschlechtert, und Sie haben letztlich nichts Entscheidendes dagegen getan.Sie treiben — und dabei bleiben wir — Motivforschung für angeblich verständliche Motive der anderen Seite. Sie erwecken den Anschein, wenn auch nicht der Billigung — so weit gehe ich nicht —, so doch immerhin des Verständnisses für die Politik der anderen Seite. Damit schwächen Sie — nicht wir — die Position Ihrer eigenen Unterhändler.
Lassen Sie mich hier am Schluß noch einmal wiederholen — ich meine es gar nicht als persönlichen Angriff, unabhängig davon, daß es von Ihnen ohnehin in Zukunft ständig unterstellt werden wird —: Die Position von Herrn Gaus braucht man nicht zu schwächen, er schwächt sie sich ständig selbst. Ich bleibe dabei: ich halte ihn für einen ungeeigneten Unterhändler für diese Fragen, und ich muß noch hinzufügen: er führt hier eigentlich die Tradition seines Vorgängers fort.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten
Hoppe, dem noch vier Minuten bis zum Ende der Aktuellen Stunde zur Verfügung stehen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem letzten Beitrag stellt sich für den kritischen Zuhörer die Frage, wer denn eigentlich jetzt die Politik der Opposition bestimmt. Bei Ihnen hat man doch den Eindruck, Sie haben einen Fraktionsvorsitzenden, mehrere Geschäftsführer und offenbar neu dazu einen Regisseur für Aktuelle Stunden.
— Hier muß ich nicht vermuten, Herr Marx, die Selbstdarstellung ist ja überzeugend.
Bei der Abgrenzungspolitik der DDR und ihrem Bemühen, das Viermächteabkommen in seinem Gehalt zu unterlaufen und zu schmälern, bekommen wir dort Konflikte genug. Wir werden sie in der nächsten Zeit durchzustehen haben — mit Anstand und hoffentlich mit Erfolg. Weil die Bundesregierung für diese Aufgabe Kraft und jede Unterstützung benötigt, sollten wir bestehende Konflikte nicht noch zusätzlich in innenpolitische Konflikte umfunktionieren und gewaltsam in den Bundestag bringen.
Das sollten wir uns ersparen. Dieser schwierige Teil deutscher Politik verdient und verlangt mehr Gemeinsamkeit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.Wir fahren in der Tagesordnung der 81. Sitzung fort. Ich rufe Punkt 4 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 7/1483 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1682Berichterstatter: Abgeordneter Krampeb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/1642 Berichterstatter: Abgeordneter Biermann
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch frage zunächst die Herren Berichterstatter, ob das Wort gewünscht wird. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern für die vorgelegten Berichte.Wir treten in die zweite Beratung ein. Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß die allgemeine Aussprache zu Beginn der dritten Beratung stattfindet.Ich rufe die §§ 1 bis 19 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Ich stelle einstimmige Annahme in der zweiten Beratung fest.Wir treten in diedritte Beratungein. Dazu liegt eine Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Franke vor.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Fraktion stimmt dem Siebzehnten Rentenanpassungsgesetz selbstverständlich zu. Aber einige kritische Bemerkungen seien mir doch noch gestattet.Bei einer durchschnittlichen Rentenhöhe von 578,80 DM bei Renten aus der Arbeiterrentenversicherung nach 35 bis 40 Beitragsjahren kann man nicht von sozialen Großtaten sprechen. Eine Rentnerin erhält nach 35 bis 40 Versicherungsjahren eine Rente von 315,90 DM, und das in einem Lande, in dem in diesem Jahr die Preise um über 10 5 steigen werden. Das heißt, real wird es für die Rentner 1974 keinen Zuwachs geben. Die Rentner sind neben den Sozialhilfeempfängern, neben den kinderreichen Familien, neben den Sparern, neben den Arbeitern und Angestellten, Arbeitslosen und Kurzarbeitern, d. h. etwa 85% unserer Bevölkerung, die Hauptleidtragenden der Inflationspolitik dieser Regierung.
Ich habe noch gut im Ohr, wie der Bundeskanzler — ich glaube, es war 1971 — sagte: „Bei 4% Inflation wird es ernst." Heute sind wir bei 10% und mehr. Wenn es schon bei 4 % ernst wurde, was muß der Bundeskanzler dann erst heute bei 10 % sagen und vor allem tun, meine Damen und Herren?
Die sozial Schwachen und hier insbesondere die Rentner sind diejenigen, die bei der Inflationspolitik dieser Regierung unter den Inflationsschlitten geraten.Sie können sich nicht einmal damit brüsten, daß Sie sagen, 11,2% Rentenerhöhung seien das Ergebnis der besonderen sozialen Einstellung dieser Bundesregierung. Nein, die Rentenerhöhung der Bestandsrenten um 11,2 % geht auf ein Gesetz zurück, das im Jahre 1957 mit Hilfe der CDU/CSU in diesem Bundestag beschlossen worden ist. Sie ziehen lediglich die gesetzlichen Konsequenzen aus diesem Beschluß von 1957. Daß die Renten am 1. Juli 1974 erhöht werden, ist auch nicht ihr Verdienst; dennSie haben dem Vorziehen der Rentenerhöhung vom 1. Januar auf den 1. Juli jeweils eines Jahres nicht zugestimmt. Sie haben dem widersprochen.Das heißt also, die 11,2%, die jetzt auf dem Tisch liegen, gehen auf eine Initiative der CDU, auf die Rentenversicherungsgesetze von 1957, zurück, und die Tatsache, daß der Anpassungszeitraum gegen Ihren Willen um ein halbes Jahr auf den 1. Juli vorgezogen wurde, ist ebenfalls einer Initiative der CDU/CSU-Fraktion zu verdanken.
— Ja, verehrter Herr Marquardt, ich glaube, daß Ihnen das unangenehm ist. Ich habe noch genau im Ohr — ich habe es gestern noch einmal nachgelesen—, was der verehrte Kollege Schellenberg 1972 zu dieser Frage gesagt hat. Sie können sich nicht damit brüsten. Mich stört die Gesinnung, die Sie damals, im Jahre 1972, dabei gehabt haben. Aber heute konsumieren Sie das u. a. als Ihre Leistung, obwohl Sie 1972 dagegen waren.
Wenn wir das Vorziehen auf den 1. Juli nicht beschlossen hätten, ginge es den Rentnern heute noch schlechter, als es ihnen ohnehin schon geht.Walter Arendt, der Bundesarbeitsminister, hat bei der ersten Lesung von der besonderen Sozialstaatlichkeit des Grundgesetzes und den Verpflichtungen gesprochen, die sich insbesondere für die Bundesregierung und das Parlament daraus ergeben. Dann haben Sie darauf hingewiesen, daß der Bundeskanzler zur Jahreswende insbesondere auf diese Sozialstaatlichkeit verwiesen hat. Dieser Sozialstaatlichkeit werden Sie bei Inflationsraten von 10 bis 11 % auch mit einer Erhöhung der Renten um 11,2 v. H. nicht gerecht, mein verehrter Herr Minister Arendt.
Es wird vielmehr keine reale Erhöhung für die Rentner in diesem Jahr stattfinden.Das Rentenniveau rund 41 bis 42 Prozent —ist niedriger als je zuvor. Nur durch eine Umstellung — ich sage: Manipulation —, durch eine andere Bezugszahl erreichen Sie das angegebene Rentenniveau: So konnten Sie in der ersten Lesung sagen, das Rentenniveau sei noch nie so hoch gewesen wie in diesem Jahr. Das konnten Sie nur auf Grund einer Manipulation sagen, indem Sie von dem Bruttolohnbezug auf den Nettolohnbezug umgestiegen sind. Es bleibt Ihnen leider nicht erspart, im Zusammenhang mit dem Rentenniveausicherungsgesetz, das als nächster Tagesordnungspunkt zu behandeln sein wird, zu dieser Frage etwas zu hören. Nur durch diese Manipulation bekommen Sie ein optisch günstigeres Bild, aber die Renter bekommen nicht einen Pfennig mehr. Die Wirklichkeit sieht also anders aus.Meine Damen und Herren, wir stimmen selbstverständlich der Erhöhung der Renten aus der Rentenversicherung, der Unfallversicherung und der Alterssicherung der Landwirte zu. Wir wollen aber mit anderen Gesetzesinitiativen versuchen, die soziale
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Franke
Position, die Einkommensposition der Rentner zu verbessern. Darum geht es im nächsten Tagesordnungspunkt, so daß ich aus geschäftsordnungsmäßigen Gründen jetzt nicht näher darauf eingehen kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sund.
Herr Präsident! Meine Damen und Meine Herern! Die Wiederholung von Schauerbildern, Herr Kollege Franke, die hier von seiten der CDU vor jedem sozialpolitischen Gesetz kommt, wird langsam zum Ritual.
Aber Sie machen damit die Sache, um die es geht, nicht madig. Trotz aller Vergleiche und aller Zahlenspiele — welche auch immer Sie anstellen mögen — können Sie nicht aus der Welt schaffen, daß die Steigerungsraten, die mit diesem Gesetz erneut erreicht werden, reale Einkommensverbesserungen bedeuten.
In der Debatte der vergangenen Woche ist hier von meinen Freunden manches über das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ausgeführt worden. Genau daran schließt der Gesetzentwurf der Bundesregierung an, über den wir hier heute befinden.Die Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen werden in der Tat zum 1. Juli 1974 um 11,2 % und die Renten aus der Unfallversicherung zum 1. Januar 1975 um 11,9 % erhöht. Erstmals seit der eben erst beschlossenen Dynamisierung der Altersgelder in der Landwirtschaft werden auch hier die Bezugsrenten ab 1. Januar 1975 um 11,2 % erhöht. Dadurch wird sichergestellt — Herr Kollege Franke; das kann doch von niemandem bestritten werden —, daß die Rentner an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilhaben, und zwar trotz einer Preisentwicklung, die für diesen Teil unserer Bevölkerung besonders nachteilig wirkt. Wir können feststellen, daß der Zuwachs der Renten seit 1969 nunmehr rund 65% beträgt. Sie können die Sache drehen und wenden, wie Sie wollen, Sie kommen nicht daran vorbei, daß hier unter dem Strich ein erheblicher realer Zuwachs übrigbleibt.Wir begrüßen diese Entwicklung um so mehr, als die Leistungen der Rentenversicherung auf solidem finanziellem Fundament stehen. Das ist und bleibt für uns unabdingbare Voraussetzung aller Sozialpolitik. Die Gewißheit für die Rentner, auch künftig an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilzuhaben, muß sich stets mit der Gewißheit darüber verbinden, daß die soliden finanziellen Grundlagen gewährleistet sind und bleiben.Die finanziellen Mehraufwendungen, die mit diesem Gesetz verbunden sind, sind erheblich. Allein für die Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen belaufen sie sich auf über 7,9 Milliarden DM, in der Unfallversicherung auf rund 400 Millionen DM, in der Altershilfe für Landwirte auf rund 170 Millionen DM. Von diesen Mehraufwendungen trägt der Bund 780 Millionen DM.Es mag den einen oder anderen langweilen, diese Zahlen von dieser Stelle aus noch einmal zu hören. Es ist aber nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion notwendig, diese enormen Aufwendungen und ihren Stellenwert für das Gebäude eines Sozialstaates nachdrücklich zu unterstreichen. Es entspricht unserem Parlamentarismusverständnis, Summen dieser Größenordnung durch die Beratung in diesem Haus auch in das öffentliche Bewußtsein zu heben. Nur so können wir deutlich und auch bewußt machen, welcher finanzielle Beitrag zur Erfüllung des Verfassungsauftrages im Sinne des Sozialstaatsgebotes geleistet wird und wie sich gesamtgesellschaftliche Solidarität in Heller und Pfennig ausdrückt.Doch Auftrag und Gestaltung des Sozialstaates vollziehen sich nicht nur in diesen Dimensionen. Wir haben daher die Gelegenheit des Siebzehnten Rentenanpassungsgesetzes genutzt, um mit einer Änderung des § 550 der Reichsversicherungsordnung einen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz für Fahrgemeinschaften auf dem Wege von und zur Arbeit einzuführen. Künftig ist sichergestellt, daß der Unfallversicherungsschutz auch dann erhalten bleibt, wenn Umwege gefahren werden müssen, weil andere Personen unterwegs aufgenommen und abgesetzt werden. Voraussetzung ist, daß es sich dabei um Berufstätige und Versicherte handelt.Dieser Schutz gilt nicht nur für regelmäßige Fahrgemeinschaften, sondern auch bei gelegentlicher Mitnahme von versicherten oder berufstätigen Personen und auch dann, wenn diese nicht im gleichen Betrieb oder in der gleichen Verwaltung tätig sind. Er gilt ebenfalls, wenn der berufstätige Ehepartner mitgenommen wird, und er gilt auch für die Beförderung von versicherten Kindern, Schülern und Studenten.Diese Regelung wird von vielen Menschen begrüßt werden, vor allem in den Gebieten mit noch nicht ausreichender Versorgung durch den öffentlichen Personennahverkehr. Diese Regelung bedeutet ein Mehr an Schutz und an Sicherheit im Arbeitsalltag.Soziale Sicherheit ist nicht nur Leistungsausbau. Soziale Sicherheit erfordert auch eine rasche und zeitige Leistungsgewährung. Wir begrüßen daher ausdrücklich den Beschluß des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, künftig regelmäßig darüber unterrichtet zu werden, welche Zeiträume zwischen der Antragstellung und der Gewährung einer Rente liegen. Wir werden uns darum sorgen, daß jeder Anspruchsberechtigte so schnell wie möglich zu seiner Rente kommt.Das Siebzehnte Rentenanpassungsgesetz unterstreicht einmal mehr den Satz unseres Freundes Ernst Schellenberg, daß sich die Fraktion der SPD in ihrer Sorge um die Rentner von keiner anderen Fraktion des Deutschen Bundestages übertreffen läßt. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Die sozialdemokratische Fraktion stimmt dem Gesetz zu.
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Dasl Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Franke hat ja eigentlich wieder eine Art Debatte eröffnet, obwohl vorgesehen war — ich will mich auch daran halten —, zu diesem Tagesordnungspunkt nur Erklärungen abzugeben.
— Ich möchte sagen, eine Erklärung sieht etwas anders aus. Aber ich will mich trotzdem an den Tagesordnungspunkt so halten, wie wir das vorgesehen haben.
— Nein, sie war mir nicht zu kritisch. Aber sie bedeutet eigentlich, daß man sehr eingehend auf das antworten und auch kontern sollte — das haben wir ja sehr oft getan —, was natürlich bei Erklärungen, die verlesen werden sollen, wie es die Praxis dieses Hauses ist, nicht gut möglich ist. Aber wir werden beim nächsten Tagesordnungspunkt dazu noch einiges sagen können.
Ich darf zur Verabschiedung des Siebzehnten Rentenanpassungsgesetzes folgende Erklärung für die FDP-Fraktion abgeben. Wir stimmen dem Gesetz der Anpassung der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Juli 1974 um 11,2% und der gesetzlichen Unfallversicherung zum 1. Januar 1975 um 11,9 °/o zu. Ganz besonders begrüßen wir, daß dieses Mal auch in der Altershilfe für Landwirte die entsprechenden Vorstellungen der FDP einer dynamischen Anpassung zum 1. Januar 1975, ebenfalls um 11,2%, verwirklicht worden sind.
Diese Verbesserungen mit einem Mehraufwand von rund 8,5 Milliarden DM kommen mehr als 12 Millionen Empfängern zugute. Sie führen zu einer Steigerung der Renten seit Bildung der sozialliberalen Koalition — Herr Kollege Franke, hören Sie gut zu -- um 65 v. H. Der reale Zuwachs der Renteneinkommen wird damit wie in allen Jahren seit 1969 auch 1974 über der Steigerung der Lebenshaltungskosten im Rentnerhaushalt liegen. Herr Kollege Franke, falls Sie das trotzdem nicht glauben sollten, können Sie einmal nachlesen, was der Verband der Rentenversicherungsträger vor wenigen Tagen zu dieser Frage gesagt hat und worüber wir im Ausschuß auch noch debattieren werden.
Dabei ist die Finanzierung der Rentenversicherung — das begrüßen wir Freien Demokraten ganz besonders — auch weiterhin langfristig gesichert. Wir verweisen hier auf den Rentenanpassungsbericht 1974, aus dem sich ergibt, daß die Renten bis 1988 jährlich ohne Beitragserhöhungen angepaßt werden können, obwohl sich das Verhältnis von Rentnern und Beitragszahlern in diesem Zeitraum besonders ungünstig entwickelt. Daraus wird aber, meine Damen und Herren, ferner deutlich, daß die sozialliberale Koalition die künftige Entwicklung bei der Einführung der flexiblen Altersgrenze und den anderen Reformen des Vorjahres mit einer Inanspruchnahme durch etwa 70 v. H. der Berechtigten realistisch eingeschätzt hat und daß somit der Grenzwert 18% als Beitrag auch für die Zukunft gehalten werden kann und gehalten werden wird.
Ganz besonders begrüßen wir Freien Demokraten, daß der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung im Rahmen der Beratungen auf eine erste Initiative der FDP und eine gemeinsame Initiative der sozialliberalen Koalition hin eine Erweiterung des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung bei Wegeunfällen beschlossen hat und dem Hohen Hause vorschlägt. Damals haben wir diese Vorschläge im Zeichen der Energiekrise gemacht, als die FDP die Erwerbstätigen aufrief, bei Pkw-Fahrten zum Arbeitsplatz verstärkt Fahrergemeinschaften zu bilden. Für Umwege, die dazu dienen, einen Arbeitskollegen im Fahrzeug mitzunehmen, bestand bisher kein grundsätzlicher Unfallversicherungsschutz. Mit der vorliegenden Änderung — der Kollege Sund ist schon darauf eingegangen — ist dieser Schutz für die Zukunft gewährleistet. Von dieser Zielsetzung her ist die Neuregelung weit gefaßt; die Fahrergemeinschaft umfaßt auch die Mitnahme der berufstätigen Ehefrau, der Kinder bei der Beförderung zur Schule usw. Mit dieser ursprünglich aus der Energiekrise entstandenen Reaktion im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird in Zukunft vermieden werden, daß Burger, die aus Eigeninitiative bei Benzin sparen und in der Nachbarschaftshilfe hier etwas tun wollen, unfallversicherungsrechtliche Nachteile hinnehmen müssen. Ich möchte das Hohe Haus daher bitten, diesen zusätzlichen Vorschlägen des Ausschusses zuzustimmen.
Abschließend darf ich noch einmal erklären, daß die FDP der gesamten Gesetzesvorlage zustimmen wird.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Siebzehnte Rentenanpassungsgesetz, das diesem Hause zur abschließenden Beschlußfassung vorliegt, ist für einen großen Teil unserer Bevölkerung von erheblicher Bedeutung. Das Gesetz beweist erneut, daß die Rentner in unserem Land nicht zu kurz kommen. Deshalb freue ich mich ganz besonders, daß nach allem, was zu dieser Regierungsvorlage bisher gesagt worden ist, mit einer allseitigen Zustimmung zum Siebzehnten Rentenanpassungsgesetz gerechnet werden kann.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch im Namen der Bundesregierung all denjenigen danken, die den Gesetzentwurf in den Ausschüssen so zügig beraten haben. Mein Dank gilt sowohl den Mitgliedern des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung als auch den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie — nicht zu vergessen — den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, die den Gesetzentwurf mitberaten haben.
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5346 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Bundesminister ArendtAber auch die Verwaltung wird die heutige Verabschiedung des Siebzehnten Rentenanpassungsgesetzes dankbar registrieren; denn anders als in vergangenen Jahren wird die Verwaltung bei der Auszahlung der erhöhten Renten in diesem Jahr nicht unter Zeitdruck stehen.Meine Damen und Herren, durch die Erhöhung der Renten aus der Rentenversicherung urn 11,2 % vom 1. Juli dieses Jahres an, der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung um 11,9 % vom 1. Januar 1975 an und durch die erstmalig in dieser Form erfolgende Erhöhung der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte um 11,2 % ebenfalls vom 1. Januar 1975 an wird sichergestellt, daß die Leistungsempfänger auch in Zukunft am Ertrag unserer Volkswirtschaft in angemessener Weise teilhaben. Gerade die zurückliegenden Tage und Wochen haben uns wieder einmal deutlich vor Augen geführt, wie mühevoll dieser Verteilungsprozeß oftmals sein kann. Deshalb brauchen die Rentner, die auf die Einkommensverteilung keinen unmittelbaren Einfluß nehmen können, das Vertrauen in diese Bundesregierung, das Vertrauen in dieses Parlament. Dieses Vertrauen wollen wir nicht enttäuschen.Das finanzielle Volumen des Siebzehnten Rentenanpassungsgesetzes ist mit rund 8,5 Milliarden DM beträchtlich. Davon entfallen allein fast 8 Milliarden DM auf die Rentenversicherung.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen, daß die Finanzierung dieser Leistungen der Rentenversicherung voll gesichert ist. Der Ihnen vorliegende Rentenanpassungsbericht 1974 gibt darüber detailliert Auskunft.Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Verbesserung des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes. Die Bundesregierung begrüßt die Aufnahme der entsprechenden Vorschriften in den Gesetzentwurf durch den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Damit sollen die sogenannten Fahrgemeinschaften auf dem Weg von der Wohnung zum Arbeitsplatz gesichert werden. Der Gesetzentwurf dehnt den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz auf die Umwege aus, die gemacht werden, um mitfahrende Personen unterwegs aufzunehmen oder wieder abzusetzen. Damit will die Bundesregierung die Bildung solcher Fahrgemeinschaften fördern, die aus den bekannten Gründen in letzter Zeit erhöhte Bedeutung erlangt haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Siebzehnten Rentenanpassungsgesetz Ihre Zustimmung zu geben.
Ich schließe die Aussprache in der dritten Beratung.
Wer dem Gesetz in der dritten Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in der dritten Beratung einstimmig angenommen.
Kann ich noch die Zustimmung zu den Ausschußanträgen unter den Nrn. 2 und 3 feststellen? — Das ist der Fall.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rentenniveausicherungsklausel
— Drucksache 7/1567 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Ich frage, ob für den Bundesrat das Wort begehrt wird.
— Der Bundesrat verweist auf die Begründung.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rentenniveausicherung wurde 1972 im Rahmen der Beratung der Rentenreform von uns durchgesetzt. Nach der von SPD und FDP gewonnenen Wahl hat die Koalition das Rentenniveausicherungsgesetz geändert und damit die soziale Demontage in unserem Land begonnen.
Was wollten wir 1972? — Herr Kollege Buschfort, wenn Sie lachen, dann muß ich unterstellen, daß Sie nicht verstehen, was wir mit dem Rentenniveausicherungsgesetz schon erreicht hatten.
Wir wollten verhindern, daß das Rentenniveau nach 40 Versicherungsjahren bei einem allgemeinen Durchschnittsverdienst und 100% persönlicher Bemessungsgrundlage unter die 45%-Grenze absinkt. Als langfristiges Ziel war von uns ein Rentenniveau von 50% der Bruttobezüge angestrebt. Der Gesetzgeber sollte gezwungen werden, bei längerfristiger Unterschreitung der unteren Schwankungsgrenze von 45% automatisch die steigenden Überschüsse in der Rentenversicherung den Rentnern auszuzahlen. Sie haben dieses fortschrittliche Gesetz nach der von Ihnen gewonnenen Wahl geändert.Sie haben sich hierbei eines Tricks bedient. Sie haben das Rentenniveau statt auf das Bruttoeinkommen auf die Nettoeinkommen bezogen. Wie zweifelhaft ein solcher Nettobezug ist, zeigt vielleicht folgendes Beispiel. Beim Bezug des Rentenniveaus auf die Bruttoeinkommen ergab sich im Jahre 1973 ein Rentenniveau von 41,7% und wird sich für 1974 ein Rentenniveau von 42,5 % ergeben. Gehen Sie zum Nettobezug über, wie Sie das inzwischen beschlossen haben, brauchen Sie z. B. nur einen einzigen dieser beiden Faktoren zu ändern, nämlich die Nettoeinkommen durch gewaltige Steuererhöhungen zu senken, und schon haben Sie ein Rentenniveau hergestellt, welches in die Gegend von 80 % kommt. Dabei erhalten die Rentner nicht einen ein-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5347
Franke
zigen Pfennig mehr, sondern Sie haben nur den Faktor Nettoeinkommen verändert und damit die Bezugsgrößen — wie wir meinen, unzulässigerweise — verändert. Meine Damen und Herren, das halten wir für unsozial.Walter Arendt, der zuständige Minister — ich wiederhole das, was ich in 'der ersten Lesung gesagt habe: in der Zeit, als er noch nicht Minister war, ein auch von mir geachteter Gewerkschaftsführer; irgendwo hört die Sympathie dann einmal auf, Herr Minister —, hat sich mit seinen Kollegen dazu hergegeben, den Nettobezug herzustellen und den Bruttobezug abzuschaffen, um ein optisch besonders günstiges Bild zu bekommen. Das ist unzulässig, und das ist insbesondere im Zusammenhang mit der Änderung der Rentenniveausicherung unsozial.Sie haben jetzt eine Rentenniveausicherung eingeführt, die erst greift, wenn wir im allgemeinen eine Lohn- und Gehaltssteigerung um 22% haben. Nun, bei ,der von Ihnen betriebenen Wirtschaftspolitik werden die Gewerkschaften sicherlich bald gezwungen sein, für Kaufkraftverluste 20 % und mehr Einkommenssteigerung beizutreiben, damit auch bei den aktiv Beschäftigten wenigstens ein realer Einkommensüberhang erreicht wird. Unser Rentenniveausicherungsgesetz hätte schon bei einer Erhöhung der Löhne und Gehälter um etwa 8% gegriffen. Hier wären Sie als Koalition und wir insgesamt als Gesetzgeber gezwungen gewesen, die Überschüsse, die sich in der Rentenversicherung angesammelt haben, den Rentnern auszuzahlen, denenI sie jetzt durch Ihre Manipulation vorenthalten werden.Darum begrüßen wir die Initiative des zweiten Verfassungsorgans, des Bundesrates — und hier des Saarlandes , und wir bedanken uns herzlich, daß es diesen Entwurf vorgelegt hat. Wir werden im Ausschuß noch einmal alle Argumente vortragen, und wir hoffen sehr, daß Sie einer Verbesserung der sozialen Lage ,der Rentner zustimmen werden.Als letztes lassen Sie mich — damit der Kollege Schellenberg noch einen zusätzlichen Punkt hat, auf den er sich dann beziehen kann — bemerken: Wenn Sie es genau nachgelesen haben, haben Sie gesehen, daß wir die Mechanik, die Technik der Rentenniveausicherung geändert haben. Das ist ein Punkt der Kritik, auf den wir eingegangen sind. Aber im Grunde genommen erreichen wir mit diesem Rentenniveausicherungsgesetz das, was wir im Jahre 1972 durchgesetzt hatten und was durch Sie — ich wiederhole es — am Beginn der sozialen Demontage nachträglich und zum Schaden ,der Rentner geändert worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen hatten Erklärungen vereinbart, und ich möchte mich daran halten.Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab.Erste Bemerkung! Das soeben vom Hause — diesmal einstimmig — verabschiedete Siebzehnte Rentenanpassungsgesetz bringt finanzielle Mehraufwendungen von rund 8 Milliarden DM. Das ist die höchste jährliche Steigerung der Rentenausgaben seit Bestehen der gesetzlichen Rentenversicherung.
Dieser Gesetzesbeschluß, soeben einstimmig gefaßt, soll durch den Entwurf des Bundesrates sogleich wieder mit einem zusätzlichen Mehraufwand von 1,7 Milliarden DM über die 8 Milliarden DM hinaus geändert werden. Das ist der Inhalt des Entwurfes des Bundesrates. Ein solches Vorgehen der Bundesratsmehrheit ist einmalig in der Gesetzgebung dieses Hauses. Einstimmig wird ein Gesetz beschlossen und es wird dann gleichzeitig noch ein Zusatzgesetz vom Bundesrat vorgelegt, um den gefaßten Beschluß zu erhöhen.Zweite Bemerkung! Der Bundesrat, dessen Vertreter hier auf der Bundesratsbank sitzt, hat vor noch nicht einem Jahr, am 15. Mai 1973, der gegenwärtigen Rentenniveausicherungsklausel in Verbindung mit dem Sechzehnten Rentenanpassungsgesetz zugestimmt.
Wegen dieser Zustimmung — das ist der politische Hintergrund — gab es Streit unter den von der CDU/CSU geführten Ländern.
Diese Zustimmung ließ zudem die großspurig hier im Hause angekündigte Zangenbewegung von Opposition und Bundesratsmehrheit beim Sechzehnten Rentenanpassungsgesetz kläglich scheitern. Darüber gab es einen weiteren Krach zwischen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und dem Land, das hier auf der Bundesratsbank vertreten ist. Diese CDU-internen Streitigkeiten sind der eigentliche Grund für den heute von der Bundesratsmehrheit vorgelegten Gesetzentwurf.
Durch ihn möchte die CDU/CSU Geschlossenheit in der Frage der Rentenniveausicherungsklausel demonstrieren.Dritte Bemerkung! Ein sachliches Bedürfnis für eine erneute Änderung dieser Klausel besteht nicht. Seit Beginn der sozialliberalen Koalition wurden die Renten -- das wurde schon erwähnt — um 65% erhöht; im gleichen Zeitraum sind die Preise für Rentnerhaushalte um 27 °/o gestiegen.In den Jahren 1972 und 1973 war — das kann die Opposition nicht bestreiten — der Zuwachs der Kaufkraft bei den Rentnern höher als bei den Arbeitnehmern.
Das hat in diesen Tagen — das wurde bei Beratung des Siebzehnten Rentenanpassungsgesetzes vom Kollegen Schmidt bereits erwähnt — der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, die Selbstver-
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5348 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. Schellenbergwaltungsorganisation von Versicherten und Arbeitgebern, ausdrücklich bestätigt.Vierte Bemerkung. Rentner und Erwerbstätige bestreiten ihren Lebensunterhalt vom Nettoeinkommen. Deshalb muß auch die Rente mit dem Nettoeinkommen eines gleichartigen Arbeitnehmers verglichen werden.
Ein Rentner erhält heute nach 40 Versicherungsjahren eine Rente von 60%, nach einem vollen Arbeitsleben mit Einrechnung der Ausfall- und Ersatzzeiten eine Rente von 74 % des Nettolohnes und -gehaltes seines arbeitenden Kollegen; das sind die Fakten. Das ist das höchste Rentenniveau in der Geschichte unserer Rentenversicherung.
Deshalb gibt es für eine erneute Änderung der Rentenniveausicherungsklausel keinen sachlichen Grund.Fünfte Bemerkung. Die Rentenreform von 1972 brachte über die Erhöhung des Rentenniveaus hinaus für zahlreiche Rentner gezielte Leistungsverbesserungen. Mehr als 1 200 000 Rentner, vor allen Dingen Frauen, erhalten heute Rente nach Mindesteinkommen. Diese Rente nach Mindesteinkommen ist erheblich höher als die Sätze, die Herr Franke vorgelesen hat: nach 40 Jahren beträgt nämlich die Rente nach Mindesteinkommen ab 1. Juli dieses Jahres 557,70 DM und nach einem vollen Arbeitsleben 697,10 DM. Diese gesetzlichen Vorschriften über die Rente nach Mindesteinkommen sind auf Initiative der sozialliberalen Koalition in das Rentenreformgesetz eingebaut worden.
Eine gezielte Leistungsverbesserung, meine Damen und Herren, war und ist auch die flexible Altersgrenze, die die sozialliberale Koalition in die Rentenreform gegen den hinhaltenden Widerstand der CDU/CSU hineingebracht hat.
Die flexible Altersgrenze trägt-das ist ihr Sinn —zu mehr Gerechtigkeit und Humanität am Ende des Arbeitslebens bei. Heute erhalten bereits 130 000 ältere Arbeitnehmer flexible Altersrente. Ihr vorgezogenes Altersruhegeld beträgt — da hätten Sie einmal im Rentenbericht nachlesen sollen, Herr Franke— bei Erreichen des 63. Lebensjahres im Durchschnitt gegenwärtig 935 DM monatlich. Das jetzt verabschiedete 17. Rentenanpassungsgesetz wird die vorgezogenen Altersruhegelder vom 1. Juli dieses Jahres an im Durchschnitt auf 1040 DM monatlich erhöhen — steuer- und beitragsfrei.
— Lieber Herr Kollege, Sie müssen natürlich ein volles Arbeitsleben zugrunde legen und nicht jemanden als Beispiel heranziehen, der 15 Jahre den Mindestbeitrag von neunzig Pfennig wöchentlichgezahlt hat! Wir sprechen hier von denen, die voll im Arbeitsleben standen;
für sie gilt die flexible Altersgrenze, für sie gilt die Mindestrente; das ist der sozialpolitische Sinn dieser gesetzlichen Regelungen.
— Herr Kollege Franke, ich sage Ihnen, daß nach dem Rentenanpassungsbericht,
wenn Sie die Arbeiter- und Angestellenversicherung zusammenrechnen, gegenwärtig die flexible Altersrente 935 DM monatlich beträgt und daß sie ab 1. Juli dieses Jahres 1040 DM betragen wirdohne Steuern und ohne Beiträge. Diese Durchschnittssätze bei der flexiblen Altersgrenze sind ein Beweis für das beachtliche Rentenniveau von langfristig versicherten Arbeitern und Angestellten.Sechste Bemerkung. Selbstverständlich kennen wir Sozialdemokraten auch die Härten, die Schwächen und Ungerechtigkeiten des Rentenrechts. Deshalb muß nach unserer Auffassung die Rentenversicherung auch nach der Rentenreform von 1972 weiterentwickelt werden — im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten. Die von der Bundesratsmehrheit beantragte erneute Änderung der Rentenniveauklausel macht aber gezielte Leistungsverbesserungen für die Zukunft unmöglich. Deshalb ist dieses Änderungsgesetz auch sozialpolitisch höchst bedenklich.Siebente Bemerkung. Der Gesetzentwurf des Bundesrats widerspricht den Grundsätzen finanzieller Solidität. Er nennt auf dem Deckblatt einen Mehraufwand von 870 Millionen DM. Das sind lediglich Kosten für ein halbes Jahr. Dies ist eine unseriöse Methode. Die Rentenversicherungsgesetze schreiben zwingend Vorausberechnungen für 15 Jahre vor. Bei Erfüllung dieser gesetzlichen Vorschriften erfordert der Gesetzentwurf des Bundesrates mindestens 20, wahrscheinlich 40 Milliarden DM Mehraufwendungen. Ein Gesetzentwurf mit derartigen Aufwendungen widerspricht den Interessen der Versicherten und der Rentner, weil er nämlich die finanzielle Sicherheit der Renten von morgen beeinträchtigt.
Eine letzte Bemerkung. Der Gesetzentwurf des Bundesrates hat wegen der Knappschaftsversicherung, wegen der Alterssicherung für Landwirte und schließlich auch wegen der Kriegsopferversorgung erhebliche Auswirkungen auch auf den Bundeshaushalt und die Finanzplanung des Bundes. Von diesen Konsequenzen steht in dem Entwurf des Gesetzgebungsorgans Bundesrat nicht ein Wort.
Kein Wort! Aus diesen Gründen bietet nach Auffassung meiner Fraktion der Gesetzentwurf der Bun-
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Dr. Schellenbergdesratsmehrheit keine geeignete Grundlage für eine sinnvolle Weiterentwicklung unserer Rentenversicherung.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Franke hat es wieder sehr schwergemacht, nur eine Erklärung abzugeben, und ich sehe mich auch veranlaßt, zwei Vorbemerkungen zu machen.Herr Kollege Franke, Sie haben wieder einmal, und das nicht zum ersten Mal — auch andere Kollegen Ihrer Fraktion haben das schon ausgesprochen —, das Wort von der „sozialen Demontage" in den Raum gestellt, und Sie haben versucht, das dieser Koalition vorzuwerfen. Herr Kollege Franke, ich glaube, der Kollege Schellenberg hat mit den eben dargestellten Zahlen deutlich gemacht —, und ich bin der Ansicht, daß keine vorhergehende Bundesregierung, der Sie angehört haben, solche Zahlen in der Entwicklung aufweisen konnte —, daß von „sozialer Demontage" hier ganz und gar nicht die Rede sein kann.
Es wäre zweifellos richtiger, einmal Alternativüberlegungen, wenn Sie sie haben, hier vorzutragen, als immer wieder mit Schlagworten zu versuchen, die Rentner und auch die Beitragszahler zu verunsichern, während wir uns bemühen, auf 15 Jahre die Finanzierung der Renten immer klarzustellen.Ein Zweites, Herr Kollege Franke. Sie haben zur Begründung dieses Antrags des Bundesrates bzw. des Saarlandes den Satz gebraucht: Der Gesetzgeber sollte in eine gewisse Automatik gezwungen werden. Herr Kollege Franke, ich darf doch nicht annehmen, daß es Auffassung der Opposition ist, daß der Gesetzgeber, dem Sie als Opposition ja auch angehören, zu einem Automat werden und nicht mehr gesetzgeberisch darüber befinden soll, was zu geschehen hat und was zu verantworten ist. Oder sehen Sie uns als Automat an, wenn Sie von automatischen Anpassungen, die der Gesetzgeber durchführen will, sprechen?Nun aber zu dem, um was es hier geht. Wir Freie Demokraten lehnen ebenso wie die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses die von der Mehrheit des Bundesrates vorgeschlagene Änderung der Rentenniveausicherungsklausel ab. Nach diesem Gesetzentwurf soll das Rentenniveau, wie schon einmal vorgesehen, bestimmt werden als Verhältnis der in dem jeweiligen Jahr angepaßten Renten — mit einer kleinen Änderung gegenüber früher — und dem für dasselbe Jahr vorausgeschätzten — ich wiederhole: vorausgeschätzten durchschnittlichenBruttoarbeitsverdienst. Mit einer solchen Neufassung der Sicherungsklausel würde also im wesentlichen mit kleinen Abweichungen die Klausel wiederhergestellt, die die Koalitionsparteien aus guten Gründen mit dem 16. Rentenanpassungsgesetz durch die Sicherungsklausel des geltenden Rechts ersetzt haben. .Unsere Bedenken gegen diese Vorstellungen und die jetzt wieder vorgeschlagene Sicherungsklausel darf ich noch einmal deutlich machen und wie folgt zusammenfassen:Erstens die Wahl einer vorausgeschätzten Zahl als Bezugsgröße für die Sicherung des Rentenniveaus. Wir alle wissen, wie stark Schätzwerte gerade im Bereich der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von den späteren Ist-Werten der amtlichen Statistik abweichen. Auf Grund dieser Tatsache sind wir der Auffassung, daß bei der Rentenanpassung von statistisch gesicherten Ergebnissen ausgegangen werden muß. Die geltende Klausel entspricht diesen Anforderungen. Bei dem vorgeschlagenen Verfahren besteht dagegen die Gefahr — und die wird n der Opposition niemand von denen, die nüchtern über die Dinge nachdenken, verneinen können —, daß Rentenerhöhungen erfolgen, die durch die späteren tatsächlichen Ergebnisse der Lohn- und Gehaltsstatistik nicht bestätigt werden. Hinzu kommen die in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht nachteiligen Auswirkungen — auch das sollten Sie sich einmal überlegen — solcher Vorausschätzungen und die mit solchen Orientierungsdaten verbundenen Gefahren einer Aushöhlung der Tarifautonomie.Zweitens. Es liegt auf der Hand, welche politischen Kontroversen solche Vorausschätzungen auslösen würden, wenn sie auf dem Rücken der Rentner ausgetragen werden. Schließlich entspricht es den Interessen jeder Opposition — das gebe ich Ihnen zu, und nach den Erfahrungen der letzten Jahre und wie wir das immer wieder erleben, bin ich sicher, daß die CDU/CSU hier wieder vorbildlich reagieren würde —, der Regierung bei der Vorausschätzung, sofern nach dem Vorschlag der Opposition vorgegangen würde, Manipulationen zum Nachteil der Rentner vorzuwerfen. Im Interesse der Rentner und einer soliden Rentenversicherung für die Zukunft sollten wir uns die bei Verwirklichung Ihrer Vorstellungen unvermeidlichen Kontroversen ersparen.
Drittens. Die vorgeschlagene Sicherungsklausel kann ferner dazu führen, daß die anzupassenden Bestandsrenten vom Anpassungstermin an höher sind als die Zuwachsrenten. Nach unserem Rentensystem dienen die Rentenanpassungen aber gerade dazu, die Bestandsrenten den höheren Zugangsrenten anzupassen. Dieser Zweck, der doch wohl bisher systemgerecht war, könnte dann nicht mehr erreicht werden.Viertens. Nach der geltenden Rentenformel hängt das Rentenniveau von der allgemeinen Lohnentwicklung ab, wie sie in den jährlichen Steigerungsraten der Durchschnittsverdienste der Versicherten zum Ausdruck kommt. Dabei sind die allgemeinen
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5350 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Schmidt
Bemessungsgrundlagen gleitende Dreijahresmittelwerte der Entgeltentwicklung. Bei einer Anwendung der vorgeschlagenen Sicherungsklausel wäre dagegen die Entwicklung der Arbeitsentgelte in einem einzigen Jahr ausschlaggebend. Das würde eine kontinuierliche Entwicklung der Rentenerhöhungen praktisch unmöglich machen.Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen kommt für uns Freie Demokraten die vorgeschlagene Äußerung der Sicherungsklausel nicht in Betracht. Demgegenüber ist die Sicherungsklausel des geltenden Rechts — ich beziehe mich hier auf die Stellungnahme des Sozialbeirates — „sowohl statistisch wie auch im Hinblick auf die daraus folgenden Maßnahmen praktikabel" und vermeidet, „daß unterschiedliche Grundsätze für die Entwicklung der Bestands- und der Zugangsrenten anzuwenden sind".Soviel, meine Damen und Herren, zu unseren methodischen Bedenken gegen den Gesetzentwurf des Bundesrates, die sich aber auch gegen die vom Kollegen Schellenberg angesprochene souveräne, man könnte auch sagen: sehr leichtfertige Art wenden, mit der der Bundesrat die finanziellen Auswirkungen seines Gesetzentwurfs behandelt. Ich meine die schon eben angesprochenen 870 Millionen für die zweite Jahreshälfte 1974. Es war bisher guter Brauch in diesem Hause — hier waren sich die Sozialpolitiker und die Rentenfachleute aller Fraktionen einigdaß Rentenberechnungen immer im 15-JahresRhythmus des Rentenanpassungsberichtes vorgelegt, ausgerechnet und verantwortet werden müssen. Ich glaube, daß es sich hier der Bundesrat etwas zu leicht gemacht hat, es sei denn, er wollte den Eindruck erwecken, das koste nur einmal 870 Millionen und nicht mehr und würde dann keine Auswirkungen für die Zukunft haben. Das weitere hat der Kollege Schellenberg dazu bereits gesagt.Diese Methoden, meine Damen und Herren von der Opposition, machen es nach meiner Auffassung besonders notwendig, auch noch einige wenige Worte zur tatsächlichen Situation der Rentner zu sagen.Die CDU/CSU hält es — der Kollege Franke hat das heute wieder getan —, seitdem sie in der Opposition steht, für opportun, das frühere Bruttoeinkommen der Rentner in Beziehung zu ihrer Rente zu setzen und aus dieser Verhältniszahl eine Verschlechterung der Situation — vorhin wieder einmal das dumme Wort „soziale Demontage" — abzuleiten.
— Das ist mir gar nicht unangenehm; denn Sie können ja nachlesen — der Kollege Schellenberg hat es bereits gesagt; ich brauche es nur zu wiederholen! vielleicht merken Sie es sich dann besser --, daß im vorigen Jahr und im vorvorigen Jahr der Realzuwachs der Realeinkommen der Rentner vorhanden war und daß bei all den Anstrengungen, in diesem Jahr mit der Teuerungsrate unter 10 °/o zu bleiben, auch 1974 der Realzuwachs vorhanden sein wird. Das ist doch Tatsache. Das können Sie auch im Rentenversicherungsbericht nachlesen.Diese Rechnereien, meine Damen und Herren von der Opposition, sind nicht seriös. Zunächst erwekken sie den unzutreffenden Eindruck, als bestritten alle Rentner -- auch das muß man mal sagen — ihren Lebensunterhalt allein aus den Sozialversicherungsrenten. Man muß auch mal Rentenzahl und Rentenbezieher in Beziehung setzen.Ferner — ich habe hier schon oft genug dazu gesprochen— ist es unredlich, das frühere Bruttoeinkommen mit der Rente zu vergleichen, weil es für den Rentner — ich muß wiederholen, was Kollege Schellenberg gesagt hat, aber es muß vielleicht immer wieder deutlich gemacht werden — nun einmal darauf ankommt, und für jeden für uns, wenn er einmal in das Rentenalter kommt: Was habe ich vorher gehabt? Was habe ich jetzt? Wieviel Prozent von dem, was ich vorher hatte, habe ich jetzt für meinen Lebensstandard? Da haben Sie doch die Statistiken; Sie haben sie mir ja vorhin gezeigt.
— Ihre Begründung geht immer auf den Bezug Bruttoeinkommen zur Durchschnittsrente.
Sie müssen aber Nettoeinkommen zur Durchschnittsrente nehmen.
— Natürlich; denn vom Nettoeinkommen lebt doch der Arbeitnehmer. Der lebt doch nicht von seinen Beiträgen oder von seinen Steuern, sondern er lebt von dem, was er netto hat. Und wenn er in die Rente kommt, lebt er von der Rente, weil die gleich brutto ist?!
— Das können Sie einmal versuchen. Ich würde das nicht vorschlagen. — Da ergibt nun die Tabelle — Sie haben sie vorhin in der Hand gehabt — ganz klare Werte. Sie ergibt klar für 1972 — um nur das als Beispiel zu sagen — 58,1 %, für 1966 allerdings — und das war unter einem Arbeitsminister Ihrer Fraktion --- nur 53,9 %, für 1973 60,5 % und für 1974 63,3 %. Die Zahl dürfte sogar noch etwas hoch gehen, weil die Statistik aus dem Herbst vorigen Jahres ist. Das wissen Sie aber auch. Also nicht die Zahlen zwischen 40 und 55%, die Sie immer hier auf den Tisch legen!
-- Weil Sie einen falschen Vergleich ziehen.
— Ich habe dieselben Zahlen — Herr Kollege Franke, ich muß jetzt aus der Erklärung etwas ausbrechen — aus derselben Tabelle im Herbst vorigen Jahres im Bundestag vorgelesen.
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Schmidt
Die Tabelle hat sich nämlich seitdem nicht geändert.Ich fahre in meiner Erklärung fort. Ebensowenig haben nach unserem Dafürhalten die ständigen Behauptungen der Opposition über die Kaufkraftverluste der Rentner eine reale Grundlage. Ich wiederhole noch einmal: Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes betrug der Zuwachs der Realeinkommen der Rentner 1970 3%, 1971 als Folge der Rezession 1966/67 nur 0,8 %, 1972 5,3%, 1973 3,1%, und 1974 wird es wieder einen Realzuwachs für die Rentner geben, wenn es uns gelingt — und das ist wohl die Anstrengung dieses gesamten Hauses —, die Teuerungsrate unter der zweistelligen Zahl zu halten.Aus all dem ergibt sich, daß wir Freien Demokraten diese Vorstellungen ablehnen. Es ergibt sich aber auch, daß im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung die Opposition auch jetzt noch keine tragfähige Alternative zur sozialliberalen Koalition zu bieten hat.
Ich schließe die Aussprache in der ersten Beratung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes
— Drucksache 7/1364
a) Bericht des Haushaltsausschusse gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/1730 —
Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
b) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/1614 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Huber
Ich frage zunächst den Herrn Berichterstatter des Haushaltsausschusses und die Frau Berichterstatterin des Finanzausschusses, ob das Wort zu einer Ergänzung der Berichte gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Kollegen Grobecker und der Frau Kollegin Huber für die Berichte.
Wir treten in die Aussprache in der zweiten Beratung ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Zeyer.
Im Bericht des federführenden Finanzausschusses, der unsere Gesetzesvorlage mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt hat, wird dies auch unumwunden ausgesprochen. Unsere Fraktion hält das Verhalten der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen gegenüber den wirtschaftsschwachen Gebieten nicht für vertretbar.
In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiessen werden, daß durch das Steueränderungsgesetz 1973 eine wesentliche Einengung der förderungsbedürftigen Gebiete dadurch vorgenommen wurde, daß künftighin Investitionen regelmäßig nur noch dann als volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig anerkannt werden, wenn sie an einem sogenannten Schwerpunktort getätigt werden. Die damit verbundene Verringerung der Einnahmeausfälle ist beträchtlich. Dagegen kumuliert diese Neurege-
Zeyer
lung die Benachteiligung der wirtschaftsschwachen Gebiete. Nach den gestern veröffentlichten Untersuchungen des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung wird die volkswirtschaftliche Steuerquote in diesem Jahr 25 % überschreiten.
Das Argument, wegen einer bestehenden Finanznot des Staates die frühere steuerliche Vergünstigung in Höhe von 10 % nicht mehr gewähren zu können, erscheint daher unglaubwürdig.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hinzufügen: Der Haushalt des Jahres 1973 war immerhin so gut gepolstert, daß insgesamt 4 Milliarden DM nicht zu dem veranschlagten Zweck ausgegeben werden konnten.
Wir sind deshalb der Meinung, daß der frühere Investitionszulagensatz von 10% wiederhergestellt werden muß,
um auch weiterhin einen ausreichenden finanziellen Anreiz für Investitionen in den Fördergebieten zu bieten.
In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß gerade die Fördergebiete meist nur über eine unzulängliche Infrastruktur verfügen und mit der Investitionszulage auch infrastrukturelle Mängel bei der Entscheidung über die Standortwahl aufgewogen werden sollen. Es ist bekannt, daß die undifferenzierte Konjunkturpolitik des vergangenen Jahres vor allem in den strukturschwachen Regionen schwere Schäden hinterlassen hat,
und es kommt sicher nicht von ungefähr, daß die höchsten Arbeitslosenquoten dieses Winters in diesen Räumen zu verzeichnen sind,
wie aus der Antwort der Bundesregierung vom 12. Februar 1974 auf eine Kleine Anfrage von Kollegen meiner Fraktion hervorgeht.
Die Bundesregierung hat deshalb auch zur Behebung struktureller Schwierigkeiten und um sich abzeichnenden Beschäftigungsrisiken entgegenzuwirken am 6. Februar dieses Jahres ein Sonderprogramm beschlossen, das aus dem bei der Bundesbank stillgelegten Mineralölsteuermehraufkommen des Jahres 1973 in Höhe von 600 Millionen DM finanziert wird. Dieses Programm ist kein spezielles Programm für die Fördergebiete, soll aber auch oder gerade diesen Gebieten zugute kommen.
Unsere Fraktion hält aus den dargelegten Gründen vor allem im Hinblick auf eine langfristige Sicherung der Arbeitsplätze in den wirtschaftsschwachen Räumen die Wiederherstellung des Investitionszulagensatzes von 10 °%o, wie er vor dem Stabilitätsprogramm galt, für dringend geboten.
Wir bitten Sie deshalb, unserer Gesetzesvorlage zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Gesetzesvorlage der CDU/ CSU auf Drucksache 7/1614, welche auch als Punkt 2 in dem Arbeitsplatzsicherungsprogramm der Opposition wiederkehrt, gebe ich im Namen meiner Fraktion folgende Erklärung ab: Die Begrenzung der Investitionszulagen für die Errichtung, die Erweiterung und den Ausbau von Betriebsstätten im Zonenrandgebiet und in anderen Fördergebieten auf 71/2 % ist im Rahmen des Steueränderungsgesetzes 1973 beschlossen worden. Wir hatten damals hier eine große Auseinandersetzung, und es sind schon sehr viele Argumente gewechselt worden. Sie können im Protokoll der 135. Sitzung vom 23. Mai nachlesen, daß wir diesen Punkt schon damals haushaltspolitisch begründet haben. Dem Gesetzgeber hat vorgeschwebt, für diese Förderung — es handelt sich hier nicht um ein Sonderopfer, Herr Zeyer, sondern um Sonderzulagen; das wollen wir doch einmal festhalten —
800 Millionen DM auszugeben. Die Summe stieg sehr rasch auf 1,3 Milliarden DM. Sie zeigte dazu eine ansteigende Tendenz, weil die Fördergebiete noch ausgeweitet wurden. Deshalb war es die Absicht der Mehrheit dieses Hauses, die Förderung auf das vertretbare Maß zu begrenzen. Wir stellten schon damals fest, daß der Anreiz mit 71/2 % wohl als ausreichend betrachtet werden konnte.
Er kann sicherlich auch heute als ausreichend betrachtet werden.Diese haushaltspolitischen Gesichtspunkte sind unverändert. Darauf möchte ich hier hinweisen. Sie haben Ihre neue Gesetzesvorlage nun mit Arbeitsmarktschwierigkeiten begründet. Dies ist sicherlich ein gewichtiger Gesichtspunkt. Es ist jedoch unsere Ansicht, daß Arbeitsmarktschwierigkeiten jetzt nicht so sehr regional, sondern vielmehr sektoral begegnet werden muß. Wir wollen gezielte Hilfen. Wir begrüßen das Investitionsförderungsprogramm über 600 Millionen DM, das die Bundesregierung kürzlich verabschiedet hat.
Dieses Programm wird aus den bei der Bundesbank stillgelegten Mitteln des Mehraufkommens aus der Mineralölsteuer finanziert.
Das Programm setzt hauptsächlich in zwei Punktenan, bei Infrastrukturmaßnahmen und bei Hilfen für
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Frau HuberSektoren, d. h. Wirtschaftszweige in besonderen Schwierigkeiten.
— Ich habe das jetzt wieder mit Interesse gehört: Der Haushalt hatte ein fabelhaftes Polster; davon ist gar nicht genug ausgegeben worden. Das sagen Sie heute, da wir ein populäres Thema behandeln. Das Thema „Zonenrandgebiet" ist ja immer populär. Warum sagen Sie das aber nicht an den Tagen, wenn Sie uns gleichzeitig zur Sparsamkeit im Haushalt aufrufen? Das verstehe ich wirklich nicht.
— Wie Sie argumentieren, ist Ihre Sache. Ich argumentiere so, wie wir das für vernünftig halten.
Es ist ja im übrigen nicht nur der Finanzausschuß gewesen, auch der Wirtschaftsausschuß und der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen haben Ihre Gesetzesvorlage mit Mehrheit verworfen.
-- Ja, Gott sei Dank, unsere Mehrheit.
Ich möchte noch einmal betonen, daß wir das Investitionsförderungsprogramm sehr begrüßen, dadurch werden natürlich auch regional Wirkungen erzielt; die Regionen sind aber nicht mit denen deckungsgleich, von denen das Investitionszulagengesetz ausgeht. Wir wollen keine globale Förderung, sondern gerade jetzt — auch, weil es viel Geld kostet — eine gezielte Förderung. Aus diesen Gründen — wir haben all das ja schon im Bericht dargelegt — bitten wir die Gesetzesvorlage abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Antrag der CDU/ CSU-Fraktion, der eine Änderung ,des Investitionszulagengesetzes zum Inhalt hat, möchte ich für die FDP-Fraktion folgende Erklärung abgeben. Der Auftrag unseres Grundgesetzes, gleichwertige Lebensbedingungen für die Bevölkerung zu verwirklichen, wird von der FDP-Fraktion sehr ernst genommen.
Eine wesentliche Voraussetzung dafür sind ausreichende und sichere Arbeitsplätze. Diese Zielsetzungwird von der FDP-Fraktion mit Nachdruck verfolgt.
Die FDP-Fraktion ist darum der Auffassung, daß I insbesondere der optimale Einsatz öffentlicher Mittel zur Stärkung wirtschaftsschwacher Regionen sichergestellt werden muß.
— Warten Sie ab!Die FDP-Fraktion
geht dabei von der Erkenntnis aus, daß für die wirtschaftliche Situation aller Bürger sowohl die öffentliche als auch die private Investitionstätigkeit von nachhaltiger Bedeutung ist. Denn Investitionen schaffen sowohl Arbeitsplätze als auch Einkommen.
In unserem marktwirtschaftlichen System entscheiden Unternehmer über Investitionen entsprechend ihren unternehmerischen Zielsetzungen. Der Gesetzgeber bestimmt dabei die Rahmendaten für diese Investitionsentscheidungen einerseits und ist andererseits verantwortlich für die Erreichung einer sozial ausgewogenen Wirtschaftsstruktur im Sinne des Grundgesetzauftrages und gleichwertiger Lebensverhältnisse.Diesem Grundsatz entspricht das vorliegende Investitionszulagengesetz.
Das Gesetz gibt mit Steuermitteln — da irre ich nicht! — Anreize für private Investitionen zur Errichtung und Erweiterung von Betriebsstätten in wirtschaftlich schwachen Regionen. Es handelt sich dabei um Gebiete, in denen der beachtliche Teil von 33 % der Bevölkerung der Bundesrepublik lebt. Bei der Verabschiedung des Investitionszulagengesetzes im Jahre 1969 war allerdings eine 10%ige Förderung dieser privaten Investitionen vorgesehen.Es wurde aber auch geschätzt, daß dadurch jährliche Steuermindereinnahmen in Höhe von 300 Millionen DM einträten. Es ist festzustellen: Die bisherige Entwicklung zeigt, daß sich die tatsächlichen Mindereinnahmen des Bundes von 128 Millionen DM im Jahre 1970 rapide auf 664 Millionen DM im Jahre 1973 gesteigert haben. Die FDP-Fraktion stellt fest, daß auch der derzeitige Anreiz durch eine Investitionszulage in Höhe von 7,5 % zu der erwünschten Investitionstätigkeit in den wirtschaftsschwachen Gebieten führt.Die FDP ist für Abbau von Subventionen, wo möglich, und damit für Freisetzung von Haushaltsmitteln für andere Zwecke. Wir wenden uns aber gegen die irreale Politik, die da nach dem Motto getrieben wird: Steuern senken und gleichzeitig Subventionen erhalten oder erhöhen wollen.
Neben der Förderung privater Investitionen begrüßt die FDP Maßnahmen, die der Verbesserung
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5354 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Zywietzder Infrastruktur wirtschaftsschwacher Gebiete dienen. Die Verbesserung der Infrastruktur mit Haushaltsmitteln ist nach Auffassung der FDP-Fraktion in Zeitphasen konjunktureller Abschwächung besonders geeignet, Regionen für die Bevölkerung und damit auch für eine privatwirtschaftliche Investitionstätigkeit attraktiver auszugestalten. Beide Wege, sowohl die Investitionsförderung der privaten Wirtschaft mit 7,5 % als auch gezielte Infrastrukturverbesserung, sind nach Auffassung der FDP geeignet, die Wirtschaftskraft benachteiligter Regionen nachhaltig zu stärken.
Das gilt auch speziell für spezifische Branchenprobleme.Angesichts der investitionsfördernden Maßnahmen der Bundesregierung — die Aufhebung der Investitionssteuer, die Wiederzulassung der degressiven Abschreibung, eine flexible Handhabung der außenwirtschaftlichen Absicherung, ein gezieltes Infrastrukturprogramm, Wiederaufnahme des zinsgünstigen Mittelstandsprogramms — ist eine 10%ige Investitionssubvention weder konjunkturpolitisch noch haushaltspolitisch zu vertreten und auch als Investitionsanreiz in der Höhe von 10 °/o nicht erforderlich. Die FDP-Fraktion lehnt darum den Entwurf der CDU/CSU-Fraktion ab.
Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Damit entfällt auch die dritte Beratung.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes— Drucksache 7/1250 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/1617 —Berichterstatter: Abgeordneter Baack
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich rufe zur Abstimmung in der zweiten Beratung Art. 1, 2, 3, 4, 5 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ichum das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.Ich rufe Punkt 8 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. November 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Australischen Bund zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei einigen anderen Steuern— Drucksache 7/1139 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/1613 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung in zweiter Beratung und verbinden sie mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu dem Abkommen in der zweiten Beratung und der Schlußabstimmung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 130 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1969 über ärztliche Betreuung und Krankengeld— Drucksache 7/1134 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Ar-beit und Sozialordnung
— Drucksache 7/1615 —Berichterstatter: Abgeordneter Ziegler
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung in zweiter Beratung und verbinden sie mit der Schlußabstimmung. Wer in der zweiten Beratung und der Schlußabstimmung Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift die Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
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Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5355
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe Punkt 10 der Tagesordnung dut:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzübereinkommen vom 26. Februar 1966 zum Internationalen Übereinkommen über den Eisenbahn-Personen- und -Gepäckverkehr vom 25. Februar 1961 über die Haftung der Eisenbahn für Tötung und Verletzung von Reisenden sowie zu den Internationalen Übereinkommen vom 7. Februar 1970 über den Eisenbahnfrachtverkehr und über den EisenbahnPersonen- und -Gepäckverkehr— Drucksache 7/1453 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr
– Drucksache 7/1675 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? -- Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung und verbinden damit die Schlußabstimmung. Wer Art. 1, 2, 3, 4, 5 in der Schlußabstimmung die Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Januar 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Liberia über die Einrichtung und den Betrieb eines Fluglinienverkehrs zwischen den Hoheitsgebieten und darüber hinaus— Drucksache 7/1484 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 7/1676 —Berichterstatter: Abgeordneter Schmidt
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht, auch nicht das Wort zur Beratung.Wir kommen damit zur Abstimmung in zweiter Beratung und verbinden damit die Schlußabstimmung. Wer Art. 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift die Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. -- Gegenprobe! -- Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen zu Punkt 12 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft-- Drucksache 7/1366 —Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7'1619 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Miltner Abgeordneter Pensky
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Wir kommen damit zur Abstimmung in zweiter Lesung über Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich und das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten BeratungWünscht jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über den Ausschußantrag unter Nr. 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 13 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und über die Einrichtung eines Gewerbezentralregisters— Drucksache 7/626 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1686 — Berichterstatter: Abgeordneter Röhnerb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
– Drucksache 7/1685 Berichterstatter: Abgeordneter Gewandt
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? Auch das ist nicht der Fall.Wir kommen damit zur Abstimmung in zweiter Lesung. Wer den Art. 1 bis 7, der Einleitung und der Überschrift in zweiter Lesung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um, das Handzeichen. --Gegenprobe! -- Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
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5356 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Vizepräsident Frau FunckeWir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in dritter Lesung dem Gesetz seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir kommen zu Punkt 14 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes— Drucksache 7/1618 —Überweisungsvorsdilag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr InnenausschußWird zur Begründung das Wort gewünscht? — Das ist nicht ,der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? — Herr Abgeordneter Tillmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes enthält einige, wie die Bundesregierung ausführt, notwendige Ergänzungen des Ermächtigungskataloges in § 6 und darüber hinaus noch weitere nicht unwesentliche Ergänzungen der Regelungen ,des Straßenverkehrsgesetzes.Die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit, in Zukunft für den ruhenden Verkehr in unseren Städten gestaffelte Parkgebühren festzusetzen, hat im Rahmen dieses Gesetzgebungsvorhabens zweifellos die größte politische Relevanz, aber auch Brisanz, was das Echo in der Öffentlichkeit angeht.Bereits 1964 hatte die Sachverständigenkommission zur Verbesserung der innerstädtischen Verkehrsverhältnisse in ihrem Bericht gestaffelte Parkgebühren zu einer zentralen Forderung gemacht. Die Sachverständigen schlugen vor, die Gebühren nach den tatsächlichen Aufwendungen für die Erstellung und Unterhaltung des Parkraums und der Parkuhren, nach Idem zeitlichen und örtlichen Bedarf an Parkraum und nach dem Nutzen, den das Parken den Berechtigten jeweils erbringt, zu bemessen. Eine von den Stadtkernen zur Peripherie hin abfallende Parkgebühr sollte einen großen Anreiz für das park-and-ride-System bieten und damit den öffentlichen Nahverkehr in den Zentren der Ballungsräume attraktiv machen. Schließlich wurde von diesem Verkehrslenkungsinstrument erwartet, daß es einen schnelleren Wechsel innerhalb der vorgeschriebenen Höchstparkdauer und damit eine intensivere Nutzung des gerade in den Ballungskernen sehr knappen Parkraums herbeiführt.In der Tat stellt das System der gestaffelten Parkgebühren ein marktkonformes, flexibles und dabei wirksames Mittel dar, den knappen Parkraum optimal zu verteilen, den ruhenden Verkehr zu ordnen und in den Zentren der Städte unzuträgliche Verkehrsbelastungen zwar nicht zu beseitigen, aber doch zu mildern.Um so dringender stellt sich demnach die Frage,warm es zehn .Jahre dauern mußte. bis der Gesetzgeber dieses wichtige und wirksame Instrument zur Sanierung des Verkehrs in unseren Städten aufgreift. Wäre man der CDU/CSU gefolgt, so wäre schon seit langem diese gute Regelung verwirklicht.
Die Union hat in ihrem Alternativprogramm zum sogenannten Leber-Plan bereits am 1. Februar 1968 einen konkreten Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes in der Drucksache V/2524 vorgelegt.
Am Widerstand des damaligen Koalitionspartners, der Sozialdemokraten nämlich,
ist 1968 die Staffelung der Parkgebühren gescheitert.
Wenn heute die gleiche SPD keine Gelegenheit ausläßt, der CDU/CSU ungerechtfertigte Vorwürfe hinsichtlich der Versäumnisse bei der Verkehrssanierung unserer Städte zu machen, so muß man daran erinnern, daß die SPD hier sechs Jahre hinter der CDU/CSU herhinkt.
— Möglicherweise.
— Ich kann dem nicht widersprechen, Herr Kollege Mertes.Dabei handelt es sich diesmal tatsächlich einmal um eine echte innere Reform, um eine Reform im Innern unserer Städte nämlich.Nun ist es ja, wie jeder weiß, für bessere Einsichten natürlich nie zu spät.
Daher begrüßen wir diesen Teil des Gesetzentwurfes sehr. Bedauerlich ist nur, daß bei der zweifelhaften Politik dieser Bundesregierung gegenüber dem Individualverkehr, die manchmal den Anschein fast schon hysterischer Autofeindlichkeit hat, durch diese sinnvolle Maßnahme heute der Eindruck entstehen muß, dies sei ein weiterer Schritt auf dem Wege zur Problematisierung des Autos und ein weiterer Schritt auf dem Wege zur finanziellen Ausbeutung des Autofahrers. Wir fürchten, meine Damen und Herren, daß die Staffelung der Gebühren, die in den Ballungszentren ja notwendigerweise zu einer Erhöhung der Gebühren führen muß — einmal unter dem Eindruck der jetzigen Verkehrspolitik der Bundesregierung, aber auch wegen der rapide ansteigenden Kosten der Kraftfahrzeughaltung infolge von Inflation und Steuerbelastung —, die ihr zugedachte Ordnungs- und Lenkungsfunktion weitgehend verlieren könnte. Die inflationäre Kostenentwicklung und die verkehrs-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5357
Tillmannpolitischen Wechselbäder, mit denen sich der Autofahrer konfrontiert sieht, könnten ihn gegenüber einem derartigen marktwirtschaftlichen Feinregulierungsinstrument sehr wohl abgestumpft haben.
— Dafür! Ich hatte das schon gesagt, Herr Kollege.Die Maßnahme würde die beabsichtigte Wirkung verfehlen, und übrigbliebe lediglich der fiskalische Aspekt, der in diesem Zusammenhang eigentlich mehr im Hintergrund steht oder wenigstens stehen sollte.Lassen Sie mich zu einem zweiten Problem kurz Stellung nehmen! Die CDU/CSU begrüßt es auch, daß die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf anstrebt, das regelmäßige Parken von schweren Lkw, Kraftfahrzeuganhängern und Omnibussen in Wohngebieten über Nacht und an Sonn- und Feiertagen zu unterbinden. Zu fragen ist allerdings, ob die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung praktikabel ist. Es ist erfreulich, daß die Bundesregierung die Bedenken des Bundesrats aufgegriffen hat und eine verbesserte Formulierung in der Anlage zum Entwurf präsentiert. Es wird der Arbeit in den zuständigen Ausschüssen vorbehalten bleiben müssen, den neuen Vorschlag der Bundesregierung auf seine Praktikabilität hin unter die Lupe zu nehmen.Wir verkennen nicht die Berechtigung des angesprochenen Anliegens, doch ich weise z. B. auf das Problem kleinerer Gemeinden hin, die nicht über Industrie- oder Gewerbegebiete verfügen, in denen dann also für Lkw effektiv kein Parkraum zur Verfügung steht, und die diesen gegebenenfalls nur unter erheblichen finanziellen Opfern schaffen können. Auf großzügige Übergangsregelungen ist auf jeden Fall zu drängen. In diesem Zusammenhang sollte auch die Frage aufgeworfen werden, ob und wie z. B. die sogenannten Mischgebiete und Dorfgebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung in die Regelung einbezogen werden sollen. Das alles wird noch sehr sorgfältig zu beraten sein.Schließlich ein drittes und letztes Problem, meine Damen und Herren. Die CDU/CSU begrüßt es sehr, daß mit dem Gesetzentwurf erheblich Gehbehinderten in der Nähe ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstätte Parkplätze im öffentlichen Verkehrsraum zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir meinen jedoch, daß in diesem Zusammenhang unbedingt ein weiteres dringendes Anliegen eine zufriedenstellende Lösung erfahren muß. Es geht um Parkmöglichkeiten für Ärzte, deren Hilfe bei Krankheit oder Unfall ohne zeitliche Verzögerung erforderlich ist. Wir werden daher bei den Ausschußberatungen zusätzlich die Schaffung von Parkmöglichkeiten für Ärzte fordern, die darauf angewiesen sind, ihre Kraftfahrzeug in unmittelbarer Nähe ihrer Praxis oder ihrer Wohnung zur Verfügung zu haben.Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, daß ,der im Gesetzentwurf enthaltene Komplex derFahrverbote noch einer intensiven und eingehenden Erörterung bedürfen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist erfreulich — ich habe es jedenfalls so heraushören können —, daß ein Gesetzentwurf der Bundesregierung eine positive Aufnahme bei der Opposition findet.
— Ich wäre versucht, Herr Kollege Stücklen, dazu eine Bemerkung zu machen; ich will sie mir verkneifen.
Wir Freien Demokraten schließen uns der positiven Grundhaltung an, denn mit diesem Gesetz soll versucht werden, Belästigungen der Bevölkerung, die sich mit zunehmendem Kraftverkehr ergeben haben, auf ein Minimum zu reduzieren, so wie es unter Berücksichtigung berechtigter Interessen des Kraftverkehrs möglich ist. Darüber hinaus soll dem Bundesverkehrsminister in Absprache mit dem Bundesrat Gelegenheit gegeben werden, notwendige Maßnahmen nicht zur Städtesanierung — das Wort wäre etwas zu hoch gegriffen —, aber zur besseren Regelung der Verkehrsverhältnisse in den Kernzonen der Städte zu erreichen.
Lassen Sie mich gleich die Kritik der Opposition aufnehmen. Mit der Staffelung von Gebühren für Parkzeiten bei Parkuhren kann man sicherlich nicht die Sanierung der Kernzonen der Städte erreichen. Die Staffelung kann ein Mittel sein, den Parkplatzwechsel zu beschleunigen und mehr Kraftfahrern, als es in der Vergangenheit möglich gewesen war, Parkraum zur Verfügung zu stellen, der zur Erledigung kurzfristiger Aufgaben in den Kernzonen notwendig wird.
Dieses Gesetz gibt dem Bundesverkehrsminister größere Vollmachten, über Verordnungen Verkehrsprobleme zu lösen. Wir sind bereit, diese dort zu geben, wo es sinnvoll und zweckmäßig ist und wo die Regelung durch Gesetze eine zeitraubende und der Aufgabe nicht gemäße Regelung wäre. Ich glaube aber trotzdem, daß es für das ganze Parlament eine Aufgabe für die Zukunft ist, auf allen Gebieten einmal darüber nachzudenken, ob die Methode, über Rechtsverordnungen Probleme zu lösen, nicht einmal einer kritischen Würdigung unterzogen werden sollte. Wenn ich daran denke, wie groß die Auswirkungen beispielsweise durch das sogenannte Mehrfachtäter-Punktsystem auf Millionen unserer Bürger sind, wie groß auch die Auswirkungen bei der Festsetzung von Höchst- und Mindestgeschwindigkeiten sind — und diese Dinge gehen ja am Parlament vorbei —, so ist dazu doch zu sagen, daß sich die Parlamentarier in der Auseinandersetzung draußen der breiten Öffentlichkeit gegenüber zu
Ollesch
diesen Fragen zu äußern und sich der Kritik zu stellen haben.
Wir werden im Verkehrsausschuß sicherlich über das Parkverbot innerhalb geschlossener Ortschaften, mit Ausnahme von Industrie- und Gewerbebetrieben, zu reden haben, weil ich glaube, daß diese Bezeichnung nicht ganz die Wirklichkeit und die tatsächlichen Verhältnisse trifft. Denn was wird mit den Mischgebieten, die weder reine Wohngebiete noch Industrie- und Gewerbegebiete sind? Hier müssen wir nach einer Möglichkeit suchen, die den Zielen des Gesetzentwurfs und den zu erlassenden Verordnungen entspricht, die aber auch die Verkehrswirtschaft nicht über Gebühr beeinträchtigt und ihr das Wirtschaften und die Existenz überhaupt möglich macht. Es wird Aufgabe des Ausschusses sein, hier eine Lösung zu finden, die dem angestrebten Ziel adäquat ist.
Die besondere Bereitstellung von Parkmöglichkeiten für Gehbehinderte wird begrüßt; es ist eine Lösung, die in der Vergangenheit längst fällig gewesen wäre. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß es auch gewisse Berufsstände gibt, die von ihrer Berufsaufgabe her eine Bevorrechtigung bräuchten; ich denke beispielsweise an die Ärzte, die einbezogen werden müßten.
— Ich habe das dann vorhin überhört, Herr Kollege. — Auch diesen Personenkreis sollten wir also, und zwar deshalb, weil wir seine Aufgabe sehen, dabei nicht übersehen.
Was die Parkuhrgebühren angeht, meine Damen und Herren, so glaube ich, sollten die Länder hier doch angehalten werden, auch die Höchstsätze zu bestimmen. Ich könnte mir vorstellen, daß der Kraftfahrer unter Umständen, wie in den letzten Jahren üblich, nur als derjenige angesehen wird, der zur Kasse gebeten wird. Hier wirksame Bremsen einzubauen, scheint mir notwendig zu sein.
Ein Punkt des Entwurfes allerdings verdient im Ausschuß sorgfältige Beachtung; das ist der Teil des Gesetzentwurfes, der sich mit dem Fahrverbot, mit dem Regelfahrverbot bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung, bei dem Begehen von Ordnungswidrigkeiten beschäftigt. Die Tatbestände, die angeführt sind und die in der Regel zum Führerscheinentzug führen sollen, sind auch im Mehrfachtäter-Punktsystem mit hohen Strafpunkten belegt, und mehrfache Übertretung führt über das Mehrfachtäter-Punktsystem zum Führerscheinentzug, und zwar zum regelmäßigen Führerscheinentzug. Ich glaube, der Wunsch des Bundesrates — denn der Bundesrat war ja der ursprünglich Fordernde —, hier auszuweiten — der Wunsch hat in diesem Gesetz nunmehr Aufnahme gefunden —, sollte auf seine wirkliche Begründung hin sehr eingehend untersucht werden. Denn, meine Damen und Herren, es darf auch nicht dazu führen, daß der Kraftfahrer gegenüber Behörden völlig hilflos wird, so, wenn ich beispielsweise daran denke, daß das Überholen bei unklarer Verkehrslage und bei Überholverbotszeichen oder das Überfahren von Fahrstreifenbegrenzungen schon zum regelmäßigen Führerscheinentzug führen kann. Ich glaube, hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wir sollten ja nicht das Gefühl aufkommen lassen, das ohnehin schon draußen spürbar ist, daß sich der Kraftfahrer zur Zeit im Sperrfeuer befinde,
im Sperrfeuer von allen Seiten. Wir sollten bedenken, daß Verkehr ohne Kraftverkehr nicht möglich ist und daß unsere Wirtschaft — wie wir alle persönlich — auf den Kraftverkehr angewiesen ist. Das Gesetz wird dort Zustimmung finden, wo schädliche Entwicklungen im Verkehr den Bürger beeinträchtigen, den Bürger im allgemeinen und den Verkehrstreibenden im besonderen. Wir werden da die Sonde der Kritik ansetzen, wo der Bewegungsspielraum der Verkehrsträger und der Verkehrstreibenden über die Lösung der Probleme hinaus eingeengt wird.
Wir sind mit der Grundtendenz — das sagte ich eingangs — einverstanden. Wir schlagen die Überweisung an die vorgesehenen Ausschüsse vor. Wir bitten Sie aber darum, den Rechtsausschuß als mitberatenden Ausschuß vorzusehen, weil hier Materien geregelt werden, die Eingriffe in Rechte von Bürgern bedeuten. Wir möchten die gutachtliche Stellungnahme des Rechtsausschusses als eines mitberatenden Ausschusses hören.
Wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und an den Innenausschuß vor. Dazu ist interfraktionell vereinbart, was Herr Ollesch gerade vorgetragen hat, daß mitberatend auch der Rechtsausschuß mit der Sache befaßt werden möge. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.Ich rufe den Punkt 15 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches— Drucksache 7/1667 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für WirtschaftZur Begründung wird das Wort nicht begehrt. — Zur Aussprache wird das Wort ebenfalls nicht begehrt. Wer dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrats zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 16 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung besonderer dienstrechtlicher Fragen der Bediensteten in der Ständigen Vertretung
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5359
Vizepräsident Frau Funckeder Bundesrepublik Deutschland bei der Deutschen Demokratischen Republik— Drucksache 7/1677 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: InnenausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOWird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates zugestimmt? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 17 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Schröder , Dr. Warnke, Leicht, Seiters, Pfeifer, Dr. Althammer, Dr. Sprung, Dr. Köhler (Wolfsburg), Möller (Lübeck), Wohlrabe, Dr. Waffenschmidt, Nordlohne, Eilers (Wilhelmshaven) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Gesetze über die Gemeinschaftsaufgaben— Drucksache 7/1674 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Haushaltsausschuß
Ausschuß für Bildung und WissenschaftAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenZur Begründung Herr Abgeordneter Schröder .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
) Angesichts der fortgeschrittenen Zeit darf ich nur vier Sätze sagen.
Erster Satz: Die jetzige Regelung, die dem Bundestag keinerlei Mitwirkungsrechte bei der Erstellung der Rahmenpläne sichert, ist für unsere Fraktion unbefriedigend.
Zweiter Satz: Aus diesem Grunde sind wir der Auffassung, daß in der Vorbereitungsphase, d. h. vor der Verabschiedung der Rahmenpläne durch die Vertreter von Bund und Ländern, der Bundestag —vertreten durch seine zuständigen Fachausschüsse — in diese vorbereitenden Maßnahmen mit einbezogen werden sollte, damit wir nicht nur die Gesamtsumme bewilligen, sondern auch bei der Auswahl der Projekte und der Rahmenpläne ein Wort mitsprechen können.
Dritter Satz: Dieser Änderungsantrag meiner Fraktion zu dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgaben ist verfassungsrechtlich abgesichert und in Übereinstimmung zu bringen mit den bestehenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art. 91 des Grundgesetzes.
Letzter Satz: Wenn ich den nun folgenden Einwand meines geschätzten Haushaltsausschußkollegen von Bülow richtig verstehe und ihn vorwegnehmen darf, dann wird er hier gleich sagen: Das ganze ist uns zu wenig. Ich darf dazu nur sagen: Der Spatz in der Hand, eine auch nur begrenzte Mitwirkung des Bundestags durch seine Ausschüsse, ist uns immer noch lieber als die Taube auf dem Dach. Wir wären Ihnen deshalb sehr dankbar, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,
wenn Sie nach eingehender Beratung in den Ausschüssen diesem kleinen, aber für die parlamentarischen Kontrollrechte und Kontrollmöglichkeiten doch immerhin spürbaren Schritt Ihre Zustimmung geben würden.
Das Wort hat der Abgeordnete von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns über das Ziel einig, Herr Schröder.
Das Ziel ist eine umfassendere Beteiligung der Parlamente am Entscheidungsprozeß beim Aufstellen der Rahmenpläne für die Gemeinschaftsaufgaben „Agrarstruktur", „Hochschulbau" und „Regionale Wirtschaftsförderung". Der Entwurf, der hier vorgelegt worden ist, ist identisch mit dem, was der Wissenschaftliche Dienst u. a. auch auf Grund meines Antrages in einem Gutachten ausgearbeitet hat. Wir sind aber im Zweifel, ob dieser Weg zweckmäßig und ob er auch zulässig ist. Es gibt mehrere Fragen zu klären:1. Ist es möglich, daß der Bundestag ein BundLänder-Gremium, in dem elf Vertreter des Bundes und elf Vertreter der verschiedenen Länder sitzen, dem Ausschuß gegenüber zu bestimmten Handlungen verpflichtet?2. Wenn wir diesen Weg gehen sollten, müssen die Landtage praktisch ähnliche Wege gehen, d. h. der Landtag von Bayern müßte entscheiden, daß dieser Bund-Länder-Ausschuß seinen Entwurf dem Bayerischen Landtag vorlegt. Auch das zeigt schon, daß es etwas problematisch ist, denn der Adressat des Bundestages ist die Bundesregierung. Sie muß zu entsprechenden Vorlagen gezwungen werden.3. Wenn man das sieht, daß sich die Landtage ähnlich einschalten müssen, wird es eine Komplizierung des ohnehin schon sehr komplizierten Verfahrens geben.4. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob durch diese Mittel überhaupt zusätzliche Rechte für das Parlament gewonnen werden.Das Parlament hat heute schon, auch in seinen Ausschüssen, das Recht, jederzeit die Regierung zu zitieren, um Informationen zu erfragen. Die bisherige Praxis, Herr Schröder, etwa des Haushaltsausschusses, aber auch der anderen Ausschüsse, geht ja in diese Richtung. So hat der Ausschuß für Wirtschaft einstimmig beschlossen, die Regierung zur Vorlage der Anmeldungen der einzelnen Länder und der Vorschläge der Regierung dazu aufzufordern, um darüber zu debattieren. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat es zum Thema Agrarstruktur ganz ähnlich gemacht. Der Haushaltsausschuß hat ebenfalls diese Forderung gestellt, und sie ist auch erfüllt worden. Ich erinnere nur daran, daß sich der Haushaltsausschuß bereits intensiv mit Teilbereichen der Rahmenpläne be-
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5360 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Dr. von Bülowschäftigt hat, beispielsweise im Hochschulbau. Kostenrichtwerte, Qualitätsrichtwerte, Planungsrichtwerte waren z. B. die Punkte, die er diskutiert hat und wo er sogar in den Haushalt hineingenommen hat, daß er das fordert. Wir haben beispielsweise die Frage der medizinischen Fakultäten diskutiert, ihre Ausbildungskapazität. Es ist also heute schon möglich, sich intensiv und rechtzeitig mit der Materie zu beschäftigen. Wir sollten natürlich auch nicht vergessen, daß es hier nicht nur um die Gemeinschaftsaufgaben geht, sondern auch um die Frage der langfristigen Planungen der Exekutive und ganz generell die Beteiligung des Parlaments auf der anderen Seite. Das gilt dann z. B. für den Rüstungsbereich, das gilt für den Straßenbau, das gilt für die langfristigen Investitionsvorhaben der Bundesbahn und ähnliche Dinge mehr.Mir scheint, das Problem liegt eigentlich mehr im Bereich der Aufnahmekapazität dieses Parlaments für Informationen und seiner Verarbeitungskapazität hinsichtlich dieser Informationen und der anstehenden Probleme. Da sind wir eingeschränkt, da ist eigentlich unser Engpaß.Ich wiederhole noch einmal, wir sind im Ziel einig. Der vorgeschlagene Weg ist etwas problematisch, wir sind aber durchaus bereit, die Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Wendig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, ich kann mich kurz fassen. Wir sind uns alle darüber einig, der Entwurf verfolgt ganz offensichtlich einen guten Zweck, nämlich die vielgescholtene graue Zone zwischen Legislative und Exekutive in einem sehr wichtigen Teilbereich in Richtung auf die Einschaltung der zuständigen Ausschüsse des Bundestages aufzuhellen.
So weit so gut. Ich kann — wie meine Vorredner — nicht verhehlen, daß die Tendenz des Antrags Beachtung verdient. Indessen sind vielleicht auch einige kurze kritische Bemerkungen angezeigt, die zum Teil schon von dem Herrn Vertreter der SPD-Fraktion genannt worden sind.
Wenn ich hierauf noch mit einigen wenigen Sätzen eingehe, so gebe ich der Feststellung keinen breiten Raum, daß mit der Begründung dieses Entwurfs keine jener grundsätzlichen Bedenken ausgesprochen werden, die meine Fraktion, als einzige damals wohl, schon bei der Verabschiedung des Art. 91 a im Jahre 1968 sehr deutlich erhoben hat.
Mir geht es heute um zwei Gesichtspunkte, die ich auch noch anführen möchte; sie wurden schon kurz skizziert.
In dem Planungsverfahren sind Bund und Länder gleichberechtigt beteiligt. Die Landtage befinden sich also in der gleichen Position gegenüber ihren Regierungen wie der Bundestag im Verhältnis zur Exekutive. Was aber dem einen recht ist, wird dem anderen billig sein müssen. Mit dem gleichen Recht können und werden die Länder ihre Landtage einschalten müssen. Dies führt zu einer Komplizierung des Verfahrens, das mit großen zeitlichen Verzögerungen auch sachliche Schwierigkeiten nach sich ziehen wird. Aber dieser mehr formale Grund darf sicherlich nicht für die Position des Parlaments allein den Ausschlag geben. Wichtiger ist ,die Tatsache, daß mit diesem Entwurf ein Teilstück jenes großen Problemkreises angesprochen wird, den man mit der Neubestimmung des Bund-Länder-Verhältnisses ebenso umschreiben kann wie mit der noch gewichtigeren Frage, wie in unserem Verfassungssystem Planungskompetenzen der Exekutive und Mitwirkung der Legislative 'in eine möglicherweise neue Dimension gebracht werden können.
Zu Recht ist deshalb diese Frage einer der wesentlichen Diskussionspunkte bei den Beratungen ,der Enquete-Kommission für Verfassungsreform. Der Zwischenbericht, den die Enquete-Kommission diesem Hohen Hause bereits 'vorgelegt hat, geht auch auf dieses Problem ein. Man darf daher, so meine ich, den Entwurf der CDU/CSU nicht isoliert von den allgemeinen verfassungspolitischen Erwägungen betrachten. Heute, bei einer ersten Beratung, möchte ich nur auf diese allgemeinen Zusammenhänge hinweisen, wobei ich nochmals betone, daß das Ziel des Antrages mir durchaus sympathisch ist. Diese Gesichtspunkte sollten nach Auffassung meiner Fraktion bei der Beratung der Vorlage in den Ausschüssen beachtet werden.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Überweisung. Der Ältestenrat hat eine Änderung der Vorschläge vorgenommen. Der Gesetzentwurf soll dem Geschäftsordnungsausschuß — federführend — überwiesen werden und zur Mitberatung den Ausschüssen für Bildung und Wissenschaft, für Wirtschaft, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Haushaltsausschuß.Wer mit dieser Überweisung einverstanden ist, den bitte ich 'um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 18 bis 21 der Tagesordnung auf:18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. September 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die Befreiung öffentlicher Urkunden von der Legalisation— Drucksache 7/1622 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5361
Vizepräsident Frau Funcke19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals
— Drucksache 7/1641 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. April 1972 über die Gründung eines Europäischen Hochschulinstituts— Drucksache 7/1657 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft InnenausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbereitung der Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung 1975— Drucksache 7/1662 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
InnenausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOEs handelt sich um von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus der Tagesordnung. — Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 15 des Petitionsausschusses
über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 7/1632 —Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Beschlußfassung. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Bundeseigenes Grundstück in Berlin-Marienfelde; Veräußerung an das Land Berlin— Drucksache 7/1668 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußWird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Haushaltsausschuß. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 24 und 25 der Tagesordnung auf:24. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 2/74— Zollkontingent 1974 für Bananen)— Drucksachen 7/1492, 7/1620 —Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram25. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu der von der Bundesregierung erlassenen Achtundzwanzigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —zu der von der Bundesregierung erlassenen Neunundzwanzigsten Verordnung zur Änderung des Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 7/1278, 7/1491, 7/1621 —Berichterstatter: Abgeordneter WolframEs handelt sich um Berichte des Ausschusses für Wirtschaft, von denen das Haus nur Kenntnis zu nehmen braucht, wenn nicht Anträge aus der Mitte des Hauses vorliegen. — Das ist nicht der Fall. Ich stelle fest, daß das Haus Kenntnis genommen hat.Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:26. Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 7/1663 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für WirtschaftWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich höre keinen Widerspruch gegen den Überweisungsvorschlag des Ältestenrates. — Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 27 und 28 der Tagesordnung — es handelt sich um Ausschußanträge zu Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften — auf:27. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission füreine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestimmter Waren nach Gewicht oder Volumen in Fertigpackungeneine Verordnung des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 109/70 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhreneine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines zu-
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5362 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974
Vizepräsident Frau Funckesätzlichen Gemeinschaftszollkontingents für Haselnüsse, frisch oder getrocknet, auch ohne äußere Schalen oder enthäutet, der Tarifstelle ex 08.05 G des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Türkeieine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben, in unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger, der Tarifstelle 08.04 B I des Gemeinsamen Zolltarifseine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines zusätzlichen Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in der Türkei raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifseine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung der zusätzlichen Gemeinschaftszollkontingente für Baumwollgarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer 55.05 und Gewebe aus Baumwolle der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Herkunft aus der Türkeieine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Portweine, der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Portugaleine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Madeira-Weine, der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Portugaleine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Moscatel de Setuba-Weine, der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Portugaleine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für gefrorenes Rindfleisch, der Tarifstelle 02.01 A IIa) 2 des Gemeinsamen Zolltarifs (Jahr 1974)eine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Spinnfasern der Tarifnummer 56.04 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in der Republik Zyperneine Verordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Oberkleidung für Männer und Knaben, der Tarifnummer 61.01 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Republik Zypern— Drucksachen 7/1257, 7/1269, 7/1178, 7/1190,7/1193, 7/1224, 71259, 7/1260, 7/1626 Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram28. Beratung des Berichts und des Antrags des (1 Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineVerordnung über die zeitweilige und teilweise Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Bitter-orangen der Tarifstelle ex 08.02 A II a) und b) sowie für Safran, weder gemahlen noch sonst zerkleinert der Tarifstelle 09.10 C IVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle, der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in SpanienVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in Spanien raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen ZolltarifsVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Sherry-Weine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in SpanienVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Malaga-Weine der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in SpanienVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Jumilla-, Priorato-, Rioja-und Valdepenas-Weine, der Tarifstelle ex 22.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in SpanienVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Feigen, in unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger, der Tarifstelle ex 08.03 B des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in SpanienVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben, in unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger, der Tarifstelle ex 08.04 B I des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in SpanienVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in der Türkei raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifs (für das Jahr 1974)Verordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Baumwollgarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Ta-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Februar 1974 5363
Vizepräsident Frau Funckerifnummer 55.05, und andere Gewebe aus Baumwolle der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Herkunft aus der Türkei
Verordnung zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Libanesischen RepublikVerordnung zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle, der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in IsraelVerordnung zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in der Arabischen Republik Ägypten raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen ZolltarifsVerordnung zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle, der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Arabischen Republik ÄgyptenVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Baumwollgarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer 55.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in MaltaVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für synthetische und künstliche Spinnfasern, der Tarifnummer 56.04 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in MaltaVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Oberkleidung, der Tarifnummer 60.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in MaltaVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Oberkleidung für Männer und Knaben, der Tarifnummer 61.01 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in MaltaVerordnung zur vollständigen oder teilweisen Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Erzeugnisse der Kapitel 1 bis 24 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Ursprung in MaltaVerordnung zur vollständigen Aussetzung des Zollsatzes für bestimmte industrielle Waren mit Ursprung in MaltaVerordnung über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für unverarbeiteten Tabakder Sorte „Virginia flue-cured" mit Ursprung in EntwicklungsländernVerordnung zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmtes Sperrholz aus Nadelholz der Tarifnummer ex 44.15 des Gemeinsamen Zolltarifs (1974)Verordnung zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Werkblei und Rohblei, anderes als Werkblei, der Tarifstellen 78.01 A I und A II des Gemeinsamen Zolltarifs (1974)Verordnung zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Rohzink der Tarifstelle 79.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (1974)— Drucksachen 7/1369, 7/1418, 7/1448, 7/1449, 7/1452, 7/1450, 7/1496, 7/1519, 7/1499, 7/1556, 7/1559, 7/1500, 7/1463, 7/1498, 7/1687 Berichterstatter: Abgeordneter SchmidhuberWünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird sonst das Wort gewünscht? Auch nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? -- Ich höre keinen Widerspruch. Dann kommen wir zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/1626 und 7/1687. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.Wir haben nun noch einen Zusatzpunkt auf der Tagesordnung:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder für den Verwaltungsrat der FilmförderungsanstaltDrucksache 7/1719 - -Nach dein auf Drucksache 7 1719 unterbreiteten Vorschlag sollen entsandt werden: von der SPD die Abgeordneten Dr. Meinecke und Volker Schlöndorff (München) als Hauptmitglieder, die Abgeordneten Engholm und Haase (Fürth) als stellvertretende Mitglieder; von der CDU/CSU die Abgeordneten Dr. Wörner und Wohlrabe als Hauptmitglieder und die Abgeordneten Dr. Waigel und Dr. Marx als stellvertretende Mitglieder; von der FDP der Abgeordnete Dr. Hirsch als Hauptmitglied und Wolfram Dorn als stellvertretendes Mitglied. Wer diesen Vorschlägen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Damit sind wir am Ende unserer heutigen Beratungen.Ich berufe das Haus auf Donnerstag, den 21. Februar 1974, um 9 Uhr zu einer Fragestunde.Die Sitzung ist geschlossen.