Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich die große Ehre, auf der Diplomatentribüne Seine Exzellenz den Herrn Präsidenten des Abgeordnetenhauses des Kaiserreiches Äthiopien und eine Delegation der beiden Häuser zu begrüßen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden, nämlich um die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes sowie um die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Dann rufe ich diese beiden Zusatzpunkte gleich auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes
zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes
— Drucksache 7/1131 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
— Drucksache 7/1130 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge liegen Ihnen vor. Sind Sie damit einverstanden? -- Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 8 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 30. September 1973 eingegangenen Petitionen
— Drucksache 7/1084 —
b) Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 7/1098 —
Wer mit den Anträgen auf den Drucksachen 7/1084 und 7/1098 einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? -- Niemand. Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1974
— Drucksache 7/1100 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1973 bis 1977
— Drucksache 7/1101 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Dazu ist eine verbundene Debatte vorgesehen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Strauß.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Aufmerksamkeit und Erwartung der Rede des Bundesfinanzministers entgegengesehen. Das geschah um so mehr, als die Regierungserklärung vom Januar, wie damals ausgedrückt, nichts anderes erbrachte als einen Katalog guter Absichten, wohlformulierter Grundsätze, aber weder politische Entscheidungen noch die Wege zur Lösung
Metadaten/Kopzeile:
3488 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Straußbestehender Probleme; um so mehr auch deshalb, als der Bericht zur Lage der Nation in diesem Jahre sozusagen mangels Masse entfiel. Die Fraktion der CDU/CSU hat Verständnis für die besondere Lage des Bundesfinanzministers, der ,die Politik einer Regierung vertreten muß, die den Eindruck erweckt, selbst nicht zu wissen, was diese Politik ist. Deshalb war die Einbringungsrede enttäuschend. Die dem Bundesfinanzminister obliegende Aufgabe ist zum Teil mangelhaft, zum Teil ungenügend erfüllt worden.
— Ich heiße doch nicht Eppler.
Dabei beginnt das Ganze so schön: „ ... auf der Grundlage wirtschaftlicher Solidität die Politik der Stabilität und der Reformen zielstrebig fortzusetzen". Das könnte beinahe ein CDU-Wahlplakat sein, wenn man dahinter nicht die Absicht merkte, durch Aussprechen von tatsachenwidrigen Leerformeln sich selbst Mut zuzusprechen, um bei der Umwelt schwindendes Vertrauen zu erhalten. Die Sprache kann zwar das Bewußtsein ändern, weshalb sie von sozialistischen Kultusministern, ihren geistigen Vorbildern und Sendboten, in den Dienst der Gesellschaftsumformung gestellt wird; aber sie vermag im finanzwirtschaftlichen Bereich weder Tatsachen zu schaffen, die es nicht gibt, noch Tatsachen zu beseitigen, die unliebsam sind, oder Tatsachen zu ersetzen.
Die Haushaltsrede bietet Erkenntnisse, die anerkennenswerte Ergebnisse eines wenn auch später in Gang gekommenen Lernprozesses sind.
Sie bietet auch Gemeinplätze und Selbstverständlichkeiten, die nicht einmal als Umschreibung zielstrebigen Handelns der Bundesregierung selbst bei größtem Wohlwollen — gewertet werden können. Sie bietet Halbwahrheiten, die bezeichnender Ausdruck eines gespannten Verhältnisses zwischen Bundesregierung und Wirklichkeit sind. Sie bietet auch Unrichtigkeiten, die als Zeugen der amtlichen Verlegenheit und der ständigen Suche nach Sündenböcken herhalten müssen. Sie bietet mehr Stoff in dem, was sie verschweigt und vermeidet, als in dem, was sie aussagt.
Es ist an sich unerfindlich, warum für den Haushalt 1974 und seine Einbringung abermals die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen verletzt wurden. Aber das ist beispielhaft für eine Politik, bei der fast alle Einsichten und Entscheidungen entweder überhaupt nicht oder zu spät erfolgen. Zu spät hat die Regierung die Gefahr der Inflation erkannt. Zu spät hat sie den Kampf dagegen aufgenommen. Wir erinnern uns noch sehr wohl der regierungsseitigen Wutausbrüche, deren Zeugen wir auch in diesem Hause sein durften, wenn von seiten .der Opposition das Wort „Inflation" überhaupt in den Mund genommen wurde.
Die Opposition wurde mehr oder minder offen der staatsfeindlichen Umtriebe und selbstverständlich der Majestätsbeleidigung bezichtigt.
Noch vor knapp zwei Jahren, als nach über zwei Jahrzehnten hoher Geldwertstabilität im Widerspruch zu allen regierungsamtlichen Versprechungen die Inflationsrate 5% überschritt, sagte der jetzt amtierende Finanzminister:Stabilität, Idas ist so ein Modewort. Die Besorgnis um die Stabilität bedrängt mich persönlich nicht so sehr wie andere.Am 28. Juli 1972 erklärte derselbe, nunmehr bereits Finanzminister des Bundes:Mir scheint, daß das deutsche Volk — zugespitzt — 5 % Preisanstieg eher vertragen kann als 5% Arbeitslosigkeit.
Damit ist dann fast immer die Unterstellung verbunden — so auch das letzte Mal am 4. Oktober in diesem Hause —, daß die Opposition sich mit der Absicht trage, den Preisanstieg auch unter Inkaufnahme einer verbreiterten Arbeitslosigkeit auf Null bringen zu wollen. Herr Schmidt weiß, daß diese Behauptung in den Bereich der Brunnenvergiftung gehört. Aber ,die Neigung, sich dieses Mittels zu bedienen, wächst mit der Notwendigkeit, eigenes Versagen, nämlich ,den Betrug am Sparer, vor der Öffentlichkeit als ,das geringere Übel auszuweisen
und die Schuld dafür natürlich allen möglichen Sündenböcken aufzuladen, nur nicht ,der wie immer ach so unschuldigen Bundesregierung, die wieder einmal ,das unverdiente Opfer finsterer Gewalten, ausländischer Einflüsse und heimischer Komplotte geworden sei.
In der Zwischenzeit mußte der Bundesfinanzminister, bei dem der Lernprozeß häufig nach dem Examen beginnt, feststellen, daß die Alternative Vollbeschäftigung oder Inflation wirtschaftspolitischer Unsinn ist, daß man Inflation auch ohne Wachstum haben kann und daß die mit inflationärem Kostenanstieg Hand in Hand gehenden Ertragsminderungen sich in einer nachlassenden Investitionsneigung, verschärft durch die Hochzinspolitik der Bundesbank, zwansläufig auswirken und damit in einem mittel- bis langfristigen Prozeß die Vollbeschäftigung gefährden. Das heißt also, daß Inflation zu Arbeitslosigkeit führt, daß Inflation und Arbeitslosigkeit aber eine längere Strecke Weges dann nebeneinander hergehen können. Jetzt warnt der Finanzminister selbst vor den Gefahren überhöhter Lohnzugeständnisse und weist mit Nachdruck darauf hin, daß die Inflation auch die Arbeitsplätze in Gefahr bringen könne. Auch das Gemeinschaftsgutachten der Wirtschafts-Institute der letzten Tage weist mit verstärktem Nachdruck auf diese Gefahr hin.Immerhin hat sich der Herr Bundesfinanzminister im fernen Afrika am 25. September in Nairobi zu folgendem Geständnis bequemt:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3489
StraußInflation ist eine gefährliche, ansteckende Krankheit unserer Gesellschaft, die die bestmögliche Verwendung der Produktivkräfte beeinträchtigt und zu einer Vermögensverschiebung von den wirtschaftlich Schwächeren auf die wirtschaftlich Stärkeren führt.
Am 14. Oktober 1973 in Hamburg hat der Bundesfinanzminister in Erwiderung auf die Kritik an dem Stabilitätsprogramm der Bundesregierung — ich zitiere wörtlich — gesagt:Noch nirgends auf der Welt haben Inflationen den kleinen Leuten genutzt. Deshalb ist Stabilitätspolitik die Politik zugunsten der Arbeitnehmer.
Wir stimmen mit dem Herrn Bundesfinanzminister überein, wenn er Indexklauseln für automatische Lohnerhöhungen, wie Professor Giersch sie vorgeschlagen hat, sowie Preisstopp als Ersatz für Stabilitätspolitik ablehnt und vor einer Ausweitung der Inflationsmentalität als Folge solcher Maßnahmen warnt.Wäre die erste Regierung Brandt, statt in Freudentaumel über die Machtergreifung zu verfallen und längere Zeit in diesem Zustand zu verweilen,
bereit gewesen, mit der CDU/CSU das Bestehen einer Inflationsgefahr von Anfang an anzuerkennen und den Kampf gegen sie von vornherein aufzunehmen, wäre der Bundeskanzler mit beiden Füßen auf dem Boden geblieben, statt sich mit visionärer Miene zuerst über die Tatsachen und dann über die Mitmenschen zu erheben,
wäre unserem Volke, unserer Wirtschaft und dem so oft beschworenen kleinen Mann unsäglich vieles erspart geblieben; dafür wären ihm aber seine Spareinlagen erhalten geblieben. All das hätte aber bedeutet, mit der Opposition zusammenzuarbeiten, ihre Warnungen ernst zu nehmen und sich nicht erst dann mit ihr zu unterhalten, wenn man von ihr Abschirmung für unpopuläre Maßnahmen brauchte. Gerade das aber war einer Regierung unmöglich, deren allmählich in charismatische Höhen erhobener Titelrollenträger sich als den Sendboten einer neuen und als Propheten der einzig richtigen Politik darzubieten bemüht war.
Denn es liegt eine unerträgliche Anmaßung in der Rede des Bundeskanzlers vom 19. Oktober in Duisburg, wenn er behauptet, die von den Sozialdemokraten geführte Bundesregierung hätte Jahre der Erstarrung und der Stagnation beendet und diesen Staat und die Gesellschaft erst in Bewegung gebracht.
— Ich danke für diesen Beifall; ich werde ihn gebührend interpretieren.
Herr Bundeskanzler, Sie haben das Ergebnis einer ungeheuren Aufbauleistung aller Schichten unseres Volkes übernommen. Sie wurde in einer Zeit des wahren Fortschritts, der echten Reformen und einer unter dem Zeichen des Erfolgszwangs stehenden Dynamik vollbracht. Sie wird heute wieder — und das nicht zuletzt durch Ihre Schuld — gefährdet, und zwar durch ideologische Richtungskämpfe, neomarxistische Reaktion, d. h. durch Rückfall in Irrtümer, die als längst überwunden hätten gelten können. Heute tauchen wieder die Schwarmgeister und Irrlichter an allen Ecken und Enden Ihrer Partei auf, die Sie gerufen haben, aber deren Sie offensichtlich nicht mehr Herr zu werden vermögen.
Sie haben wohl Staat und Gesellschaft in Bewegung gebracht, d, h. in einen Reizzustand versetzt, in dem Hektik und Intoleranz gegenüber den Kritikern Ihrer Politik, aber nicht Durchsichtigkeit der Regierungsvorgänge, ein höheres Maß an Information für den Bürger und mehr Demokratie etwa zu verzeichnen sind.Die Regierung befindet sich in einer Lage, in der sie unter Druck von zwei Seiten steht, cl. h. nicht nur im Konflikt zwischen zwei verschiedenen Zielen, nämlich Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität, sondern auch in einem Konflikt, in dem sie einerseits ihre zu spät begonnene, in der Hauptsache der Bundesbank überlassene Stabilitätspolitik mit abenteuerlichen Hochzinssätzen fortsetzen muß, wenn sie das Übel der Inflation und damit die Zerstörung der Grundlagen unserer wirtschaftlichen Ordnung in überschaubaren Grenzen halten will -- von Wiederherstellung normaler Geldwertstabilität, wie wir sie 20 Jahre mit 2% Geldentwertung hatten, kann bei dieser Regierung ohnehin keine Rede sein —, andererseits aber schon wieder unter zunehmenden Druck gerät -- er reicht von den betroffenen Banken bis hin zu den Gewerkschaften; eine merkwürdige Allianz —, ihre Stabilitätspolitik teilweise oder ganz auf dem Plateau einer noch fast unvermindert hohen Inflationsrate rückgängig zu machen.Selbst der für Währungsfragen zuständige Staatssekretär des Bundesfinanzministers hat bereits vor den Gefahren einer zeitlich und sachlich überzogenen Kreditpolitik und Kreditverteuerung für die Vollbeschäftigung gewarnt. Das Berliner Institut für Wirtschaftsforschung — Präsident: MdB Arndt —spricht von einer Wanderung am Rande der Liquiditätskrise des Bankensystems, fordert einen neuen Stil in der Geldpolitik. Was heißt denn das?Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat am 16. Oktober 1973 die nach seiner Meinung zu global wirkenden Stabilitätsmaßnahmen von Bundesregierung und Bundesbank kritisiert und ausgeführt:Von der Hochzinspolitik und Kreditverknappung werden insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe in Mitleidenschaft gezogen. Die Großunternehmen und die multinationalen Konzerne können dagegen die restriktive Geldpolitik teilweise umgehen.Diese Kritik, in der beim DGB sicherlich die Sorgeum die Arbeitsplätze in den betroffenen Bereichen
Metadaten/Kopzeile:
3490 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Straußund Betrieben mitschwingt, ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.Es gibt aber keinen Ausweg für die Bundesregierung. Das ist der Fluch der bösen Tat, daß man, weil zu spät und zu falsch angefangen, Stabilitätspolitik nicht zu Ende führen kann, ohne daß die Lebensfähigkeit vieler auch sonst gesunder Betriebe in Frage gestellt und die Vollbeschäftigung gefährdet wird. Will man die Schwindsucht der Inflation auskurieren, kommt man in die Gefahr einer ernsthaften Kreislaufschwäche. Bekämpft man frühzeitig die Kreislaufschwäche, geht die Schwindsucht weiter.Dabei werden wir die vollen Auswirkungen der konjunkturpolitischen Kurpfuscherei sozialdemokratischer Reformeuphorie und mangelnder internationaler Koordinierung, für die nicht allein die Bundesregierung verantwortlich gemacht werden kann
— auch das, Herr Wehner --, erst in vollem Ausmaße zu spüren bekommen, wenn lohnbedingter neuer Kostendruck bei abnehmenden Erträgen die strukturellen Fehlentwicklungen und Schwächen der deutschen Wirtschaft mehr oder minder schonungslos bloßlegen wird — in Wirklichkeit hätte die deutsche Wirtschaft eine ruhige stetige Entwicklung statt hektischer Beschleunigung und Bremsmanöver gebraucht — und wenn sich die geschwächte deutsche Wettbewerbsfähigkeit bei Abklingen der internationalen Hochkonjunktur und der weltweiten Inflationskräfte in unangenehmster Weise bemerkbar machen wird.Der Herr Bundesfinanzminister beklagt sich zwar über den hohen Exportüberschuß, der — trotz einer Verteuerung der D-Mark gegenüber dem Dollar um 400/o, dem Durchschnitt der Währungen unserer Konkurrenzländer um 23 %, ja, sogar gegenüber dem Yen um 12 % im Laufe der letzten vier Jahre — in diesem Jahre einen abenteuerlichen Spitzenrekord erreichen wird. Er weiß aber genauso gut wie wir, daß wir eine sehr hohen Handelsbilanzüberschuß brauchen.Aber genauso, wie es unzulässig ist, den Export als die Quelle nationalen Wohlstands anzubeten, genauso unerträglich ist es, wenn der Herr Bundesfinanzminister eine neue Exportdoktrin entwickelt, ob wir nämlich 21/2 Millionen Gastarbeiter brauchen, um 28 Milliarden Exportüberschuß zu erwirtschaften, oder daß mit unserem Exportüberschuß ein wesentlicher Teil des realen Zuwachses unseres Bruttosozialprodukts nicht den Bürgern unseres Landes, sondern den Bürgern anderer Länder zur Verfügung steht. Abgesehen von allem anderen möchte ich jedoch fragen, ob Herr Schmidt glaubt, den Markt so ändern zu können, daß ein großer Teil der in den Export gehenden Güter im Inland Absatz findet, oder angesichts der offenen Widersinnigkeit dieser Vorstellung, die Produktionskräfte so umbauen zu können, daß sie, statt für die Erzeugung von Ausfuhrgütern tätig zu sein, für die Hervorbringung von Gütern und Dienstleistungen ganz anderer Art auf dem Binnenmarkt verwendet werden können. Wer sich in diese Bereiche begibt, landet zum Schluß im Zwielicht theoretischer Vorstellungen oder verwaltungswirtschaftlicher Experimente. Beides ist an sich nicht der Stil des heutigen Bundesfinanzministers, wie ich ihm gerne bestätige.Aber wie steht es denn dann mit dem so gepriesenen Osthandel und der so gelobten Eröffnung der Markte im Osten? Wenn man sich diese Märkte obendrein unter Gewährung von besonders zinsverbilligten, günstigen Krediten erschließen will, d. h. also ohne Gegenleistung, ohne das Waren aus diesem Bereich als Ausgleich in die Bundesrepublik hineinströmen, dann gilt doch, daß hier wertvolle deutsche Erzeugnisse ins Ausland gehen, also dem deutschen Bürger verlorengehen, da nichts Gleichwertiges ins Inland einströmt, um so mehr, Herr Bundesfinanzminister.
Viel wichtiger aber ist etwas anderes: daß wir uns in absehbarer Zeit mit den Folgen struktureller Fehlentwicklungen im Innern und geschwundener Wettbewerbskraft nach außen werden auseinandersetzen müssen. Dann werden manchen die Augen übergehen, denen bisher die Lippen zur Bewunderung regierungsamtlicher Weisheit aufgegangen sind.Der Bundesminister der Finanzen sagte leichthin, daß die Zahl der Insolvenzen zunimmt, nicht nur in der Bauwirtschaft; es werde und müsse auch strukturelle Bereinigungen geben. Er sprach von der Notwendigkeit, von Opfern und Schmerzen. Es sagte früher schon einmal, einige Pleiten täten ganz gut. Sein Kollege Hans-Jochen Vogel sagte, das sei nur Wildwuchs, den man beschneiden müsse. Helmut Schmidt gab auch zu, das könne nicht ohne Folgen für die Beschäftigung in einzelnen Branchen und Regionen bleiben; viele Zusammenbrüche offenbarten die Unsolidität von Geschäftsführung und Finanzierung; die Kreditrestriktion führe zur Reinigung.Das veranlaßt mich doch zu einigen ironischen Bemerkungen.
Es ist schon öfter aufgefallen, daß der Bundesfinanzminister eisenfresserische Züge hat. Daß er sich nun auch den deutschen Unternehmern als Dr. Eisenbart in Empfehlung bringt, ist zwar nicht umwerfend, aber trotzdem beachtenswert. Er glaubt wohl, nach dem Grundsatz handeln zu können „Ein G'sunder hält's aus".
Will er hier einer Art biologischen Ausleseprozesses in der Wirtschaft das Wort reden?
Er macht sich die Sache wesentlich zu einfach. Sicherlich gibt es Unsolidität in Geschäftsführung und Finanzierung auch privater Unternehmungen; aber der Bundesfinanzminister sollte sich einmal die Frage stellen, wieweit unsolide Geschäftsführung und unsolide Finanzierung als Folge regierungsamtlicher Verheißungen von manchen Gutgläubigen — besonders auf dem Gebiete der Bauwirtschaft — riskiert wurden,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3491
Straußweil man den optimistischen Prognosen und beschwichtigenden Dementis der Regierung einfach Glauben schenkte. Es sind auch seriöse Firmen in Verlegenheit und unter Druck geraten, weil die von der Bundesregierung herbeigeführten, nicht vorhersehbaren Daten zu einer Verschlechterung ihrer Wettbewerbsfähigkeit führten. Denn die Bundesregierung ist nicht unschuldig an dem rapiden Kostenanstieg, wenn auch andere Faktoren noch mitgewirkt haben.Schließlich geht es nicht nur um die in Konkurs geratenen Unternehmungen, sondern auch um die Sparer, die ihnen ihr Geld anvertraut haben,
um die Zulieferanten und Unterauftragnehmer, die oft ihre Leistung auf Kredit vorfinanziert haben
und nun in nicht wenigen Fällen vor dem Ruin stehen,
und es geht nicht zuletzt auch um die Tausende von Arbeitern und Angestellten, die nichts mit der unsoliden Finanzierung und Geschäftsführung zu tun haben.
Insolvenzen dieser Art wird es immer geben. Wenn ihre Zahl, wie in jüngster Zeit, außergewöhnlich ansteigt, haben der für die Konjunktur des Bundes verantwortliche Minister und die gesamte Regierung ihre Hände nicht in Unschuld zu waschen.
Es hätte dem Bundesfinanzminister, der bei der Neubildung der Regierung in einer durchaus sinnvollen Kompetenzerweiterung die Zuständigkeit für die Konjunkturpolitik erhalten hat, sehr gut angestanden, wenn er an Stelle der Aufzählung von Problemen oder vulgärökonomischen Selbstverständlichkeiten oder Verantwortung abwälzenden Anklagen einmal einiges über die wirklichen Zusammenhänge gesagt hätte. Das wäre bei diesem Anlaß seine Aufgabe gewesen.Aus gutem Grunde hat Professor Walter Hamm in der „FAZ" vom 12. Oktober geschrieben:Die hohen Inflationsraten sind ein klares Zeichen dafür, daß der Kampf um die Verteilung des Sozialprodukts den regelnden Händen der Bundesregierung entglitten ist. Die Bundesregierung ist gesetzlich verpflichtet, für Geldwertstabilität zu sorgen.Niemand wird behaupten, daß die Bundesregierung aus alleiniger Machtvollkommenheit dazu in der Lage wäre. Aber so gering ist ihr Einfluß auch nicht, daß Herr Schmidt jetzt auf einmal in Umkehrung seiner sonstigen Rolle — ich möchte sie humorvollironisch als die „Cassius-Clay-Rolle" des „Ich bin der Größte" beschreiben —
in diesem Zusammenhang in einer ganz ungewohnten Bescheidenheitsanwandlung sagen könnte: Ich bin der Kleinste.
Denn seine Regierung und er in ihr haben nicht das getan, was ihres Amtes und was in ihrer Macht war. Mögen weltweite Entwicklungen und Verflechtungen, mag sorglose Geldwertpolitik ausländischer Partner unerfreulichen Einfluß gehabt haben, — das Wort „stability begins at home" gilt auch heute und hier. Denn die Ursache der Geldentwertung ist die Inflation der Ansprüche, wie Professor Hamm schreibt, und nicht, wie die Bundesregierung der Bevölkerung einreden will, die Profitgier der Unternehmer und Händler.
Die Produktionskapazitäten haben bei weitem nicht mit den Anforderungen an das Sozialprodukt Schritt gehalten. Man hat eine Verteilungspolitik ermutigt und für möglich gehalten, die ein Mehrfaches an Zuwachsraten als die tatsächlich eingetretenen erfordert hätte. Man hat eine nachfragebedingte und dann durch Kostendruck geförderte Inflation in Gang gesetzt. Man hat sie so lange treiben lassen, ja durch überzogene Haushaltspolitik und verfehlte Einkommenspolitik noch angeheizt, bis das Wechselspiel von Nachfrage- und Kostendruck fast unentwirrbar geworden war.Die Bundesregierung hätte, statt andere zu beschuldigen, ihre eigene politische Hauptaufgabe in Angriff nehmen müssen, nämlich die unangenehme und unpopuläre Bestimmung treffen müssen, wer mit seinen Ansprüchen und Wünschen zuerst und wer später kommt. Die Bundesregierung hat so lange den Bundeshaushalt und das Gros ihrer Wählerschichten aus konjunkturpolitischen Maßnahmen auszunehmen versucht, bis es nicht mehr möglich war, ja zum Teil sogar einen sogenannten selfdefeating-effect ausgelöst hätte. Siehe jetzt die wilden Streiks, die nunmehr — nach heutigen Zeitungsmeldungen — auch an der Saar zu einigen sehr unerfreulichen Erscheinungen und Ereignissen geführt haben. Hier liegt doch der wirkliche Grund für den von der CDU/CSU eingebrachten und von der Regierung und ihrer Koalition gestern zu Fall gebrachten Entwurf eines Gesetzes für einen steuerlichen Inflationslastenausgleich.Die Regierung hat mit ihrer Inflationspolitik denn auch die Nachfrage nach langlebigen Verbrauchsgütern, nach Grund und Boden und anderen dauer- haften Sachanlagen in außergewöhnlichem Umfange angeheizt und damit ein Beispiel dafür gegeben, daß Inflation die Inflation ernährt, aber nur bis das dicke Ende kommt.Die Notmaßnahmen einer Einschränkung der privaten Investitionen waren nach den vielen Versäumnissen sicherlich richtig, müßten aber in absehbarer Zeit wieder aufgehoben werden. Denn das Ausmaß der Investitionen ist bestimmend für die Erhöhung der Produktionskapazitäten, für das Ansteigen der Arbeitsproduktivität und damit für die Erfüllung zusätzlicher Ansprüche.Wir haben es als Opposition auch endlich satt, uns von denen, die sich darauf berufen, durch ihre Wahlergebnisse zur Machtausübung legitimiert zu sein und gleichzeitig sich weigern, die daraus entspringende Verantwortung zu übernehmen, immer
Metadaten/Kopzeile:
3492 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Straußwieder fragen zu lassen, welche Alternativvorschläge denn wir zu machen hätten.
Herr Schmidt weiß ganz genau, daß es ohne Opfer und Härten nicht geht. Es ist aber ein Zeichen von Führungsunfähigkeit und Verantwortungslosigkeit, von der Opposition zu verlangen, sie solle dafür den Kopf hinhalten. Diese Aufgabe, die Rangfolge politischer Ziele und ihrer finanziellen Erfüllung festzulegen, haben die Wähler der Bundesregierung übertragen und niemand anderem. Der Opposition haben sie die Aufgabe zugewiesen, die Regierung zu mahnen, zu drängen, zu überwachen, zu kritisieren und ihre Ablösung zu betreiben.
— Ich habe nur Herrn Erler wörtlich zitiert, aber dessen Stil ist hier — —
Die Wähler haben nicht der Bundesregierung die Aufgabe der Propaganda und charismatischen Weissagungen übertragen und der Opposition die Kärrnerarbeit der Verantwortung.
Die Bundesregierung muß dafür sorgen, daß nur 100 % des Sozialproduktes verteilt werden und nicht 110 %, weil die Differenz zwischen 100 und 110 in Inflation auszumünden droht. Mancher im Regierungslager will es noch immer nicht wahrhaben, der Bundesfinanzminister scheint es, wenn auch zu spät, gemerkt zu haben, daß man doch in der Vergangenheit zuviel versprochen und zu hoch gespannte Erwartungen geweckt hat. Er macht den schüchternen Versuch, einiges auf kaltem Wege zurückzudrehen. Es ist aber immer noch erschrekkend, daß die Gesamtausgaben des Bundes im nächsten Jahr um 13 Milliarden DM steigen. Das ist nicht gesteigerte Staatsleistung, sondern inflationärer Ausdruck gestiegener Kosten. Der letzte Wahlkampf vor einem Jahr ist von der Partei des Herrn Bundesfinanzministers mit der Parole geführt worden: „Wer morgen für Reformen ist, muß heute SPD wählen". Allmählich wird die Öffentlichkeit darauf vorbereitet, daß die kostenlosen Reformen, sozusagen von der Abtreibung bis zur Kleinschreibung, den Vorrang bekommen;
denn die Ausgaben für die wichtigsten Reformbereiche, die diese Regierung ursprünglich mit hoher Priorität ausstatten wollte, sind nicht durch politische Willensentscheidung, sondern unter inflationärem Sachzwang nach dem Haushaltsentwurf der Regierung im Rückgang. Die Ausgaben für den Straßenbau, für die Bildungsinvestitionen im Hochschulbereich, für die sonstigen Gemeinschaftsaufgaben gehen nominal und noch stärker real zurück. Ganz schlimm ist es bei den Leistungen für den Straßenbau, die 1974 uni 12 % niedriger liegen sollen als 1969, während die Preise im Straßenbau seit 1969 um über 31 % gestiegen sind,So unergiebig die Ausführungen des Bundesfinanzministers trotz richtiger Einzelerkenntnisse und punktueller Wahrheiten in seiner Haushaltsrede waren: er brachte es fertig, über die Bundesfinanzen des nächsten Jahres und der folgenden Jahre noch weniger zu sagen. Denn die ausgewählte Wiedergabe einiger nicht einmal repräsentativer Zahlen vermitteln uns kein Gesamtbild. Sie beleuchten nicht die Entwicklung. Sie beleuchten auch nicht, wo Schwerpunkte und Tendenzen liegen.Der Herr Bundesfinanzminister hat es versäumt, dem Parlament darzutun, wie sich z. B. der investive Teil des Bundeshaushalts seit 1969 zum konsumtiven entwickelt hat und weiterhin entwickeln wird. Er spricht rühmend von der Umverteilungsfunktion des öffentlichen Haushalts. Sicherlich hat er diese Umverteilungsfunktion. Darüber hinaus darf aber auch die investive Komponente nicht einfach übergangen werden. Sie ist für das Leben der Bürger, für Wachstum und Produktivität unserer Wirtschaft von hervorragender Bedeutung. Nicht zuletzt haben das die damaligen sozialdemokratischen Koalitionskollegen mir als dem damaligen Bundesfinanzminister immer besonders nachdrücklich vor Augen gehalten. Jetzt reden sie nicht einmal mehr von dem Investitionsanteil des Bundeshaushalts.
In diesem Zusammenhang vermissen wir auch nähere Angaben über Stand und zukünftige Entwicklung der Bundesfinanzen im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und der Technologie. Es wäre für eine analytische Betrachtung des Bundeshaushalts und seiner Entwicklung sehr interessant zu erfahren, wie stark die Bundesausgaben unmittelbar und mittelbar als Folge der außergewöhnlichen Geldentwertung der letzten Jahre gesteigert werden mußten; denn vieles, was hier als sozialer Fortschritt ausgegeben oder als Lohn- und Gehaltspolitik des Dienstherrn für Beamte, Arbeiter und Angestellte ausgewiesen wird, ist doch schlicht nichts anderes als der Versuch, Inflationsfolgen auszugleichen.
Die wachsenden Miillardenbeträge zugunsten der Bundesbahn sind nicht kostspielige Erfordernisse dessen, was man Lebensqualität zu nennen pflegt. Wie liegen die Verhältnisse bei der Bundespost? Wie sind die Größenordnungen der aus dem Devisenausgleich und aus der Kostenbeteiligung für die Stationierung amerikanischer und britischer Truppen auf uns zukommenden Belastungen? Wie soll das weitergehen? Wie will man verhindern, daß in Zukunft die Personalkosten, die inflationär zwangsläufig gestiegen sind, die Reformen auffressen, wie eine große Zeitung dieser Tage drastisch geschrieben hat? Wie kann man die Kampfkraft der Bundeswehr erhalten, ihre Modernisierung garantieren, und das im Hinblick auf die laufende Verstärkung der militärischen Schlagkraft des Warschauer Paktes entlang unserer östlichen Flanke, im Hinblick auf den verstärkten amerikanischen Druck, wenigstens einen Teil ihrer Stationierungskräfte zurückziehen zu dürfen? Hier sind auch Probleme angeschnitten,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3493
Straußdie natürlich über die erweiterten Zuständigkeiten des Bundesfinanzministers hinausgehen, zu denen sich der Richtliniengestalter der deutschen Politik entweder überhaupt nicht oder unverbindlich in der Weise höherer Sphärenmusik zu äußern pflegt.
Ich will hier nicht in die Einzelheiten des Haushalts 1973 und 1974 sowie der mehrjährigen Finanzplanung eintreten; das wird mein Kollege Albert Leicht an diesem Tage noch mit der notwendigen Eindringlichkeit tun. Nur drei kurze Bemerkungen dazu.
— Ach, Sie haben immer noch nicht die parlamentarische Sitte begriffen, daß Haushaltsaussprachen Aussprachen über die gesamte Politik der Bundesregierung sind.
'Der Finanzminister bezifferte in seiner Rede die Summe der Nettokreditaufnahmen von 1970 bis 1973 auf 6,4 Milliarden DM. Das stimmt. Aber er gibt in diesem Haushalt ja selbst zu, daß die Kreditaufnahmen für die Schattenhaushalte zum „ordentlichen" Haushalt hinzugerechnet werden müssen. Diese Kreditaufnahmen, die weit mehr ausmachen, hat er bei dieser Rechnung nicht einbezogen. Der Finanzminister weist immer wieder darauf hin, daß die Kreditaufnahmen viel geringer waren als z. B. jene in den Kreditaufnahmeplänen der letzten CDU/CSU-Regierung. Er versucht, das sogar noch als Solidität auszuweisen.
— Damit beweisen Sie doch, daß Sie überhaupt bar jeder Ahnung sind.
Es wäre doch wesentlich besser gewesen, wir hätten bei einer niedrigen Geldentwertungsrate und einer sparsamen Haushaltsführung höhere Kreditaufnahmen statt inflationärer Steuereinnahmen gehabt, die allein in den letzten vier Jahren für Bund, Länder und Gemeinden zusammengenommen gegenüber der damaligen Einnahmenschätzung ein Plus von 65 Milliarden DM an Steuern erbracht haben. Darin liegt doch das Problem, nicht in Ihrer primitiven Annahme.
Der Bundesfinanzminister spricht von einer Zuwachsrate von 10,5 °'o. Er klopft sich dabei auf die Schulter und sagt, das sei konjunkturgerecht. Wenn man aber die Risiken — das sind gar nicht mehr nur Risiken; das sind schon Gewißheiten, die nur aus kosmetischen Gründen noch als Risiken ausgegeben werden — mit einbezieht, z. B. die Steuerumverteilung in Höhe von wenigstens 2 Milliarden DM zugunsten der Länder, das 13. Gehalt, personelle Mehrforderungen, auch die Ungewißheiten bzw. schon Sicherheiten, die aus dem Devisenausgleich und der Kostenbeteiligung hervorgehen, dann müssen Sie, Herr Bundesfinanzminister, froh sein, wennSie in der Ist-Rechnung mit 12% davonkommen werden.Und weisen Sie ja nicht auf die 1,5 Milliarden Minderausgaben hin! Sie werden jährlich erwirtschaftet. Das stimmt. Die Erfahrung ist richtig. Es stimmt aber ebenso — das zeigt die Erfahrung —, daß erwirtschaftete Mehreinnahmen durch in der Zwischenzeit auftretende neue Mehrausgaben regelmäßig voll, wenn nicht sogar mehr als voll aufgefressen werden. Auch das ist eine Selbstverständlichkeit.Der Herr Bundesfinanzminister sagt nun: Was wollen Sie denn, wir haben einen Zuwachs von 10,5% und eine Erhöhung des Bruttosozialprodukts um 10,5%! — Der reale Zuwachs des Bruttosozialprodukts im nächsten Jahr wird von den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten auf 3% geschätzt. Der Bundesfinanzminister schätzt den nominalen Zuwachs auf 10,5 %. Damit gibt er eine Geldentwertungsrate von rund 7 %, vielleicht sogar mehr Prozent zu. Die von ihm erwarteten steuerlichen Mehreinnahmen stammen ja in der Hauptsache nicht ausdem realen Zuwachs des Bruttosozialprodukts, sondern sie stammen zu 70% aus rein inflationsbedingten nominalen Erhöhungen des Bruttosozialprodukts. Darin liegt die Problematik der ganzen Angelegenheit. Von einer Solidität des Haushalts kann hier keine Rede sein.Der Bundesfinanzminister hat sich einfach damit begnügt, wie eine elektronische Datenspeicherungsmaschine Probleme aufzuzeigen. Zum Teil gäbe es diese Probleme gar nicht, wenn es diese Bundesregierung nicht gäbe. Aber lösen kann die Bundesregierung diese Probleme nicht.
Ich habe mit dem Kollegen Alex Möller einmal eine Unterhaltung über Input/Output-Analysen gehabt. Keiner von uns beiden wird dafür den Nobelpreis bekommen. Den hat Herr Leontiew in der Zwischenzeit für seine Input; Output-Analysen bekommen. Es gibt in den USA aber ein Sprichwort für Input/Output. Es heißt: garbage in, garbage out; Mist rein, Mist raus.
Wenn man den Computer mit falschen Vorgaben speichert, kommen auch wieder falsche Outputs heraus.
Das ist leider auch im Hinblick auf einen großen Teil der Rede des Herrn Bundesfinanzministers festzustellen.Der Herr Bundesfinanzminister hat keinerlei Angaben darüber gemacht, wie er die in den nächsten Jahren auftretenden Mehrbelastungen zu finanzieren gedenkt. Die Deckungslücke allein für das Jahr 1975 würde sich ohne Steuererhöhungen bereits auf 20 bis 21 Milliarden DM belaufen. Es wäre heute sehr wohl Anlaß gegeben, zu sagen, wie diese Dekkungslücke bewältigt werden soll, ob Steuererhöhungen geplant sind und, wenn ja, welche Steuer-
Metadaten/Kopzeile:
3494 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Straußerhöhungen geplant sind. Der Bundesfinanzminister deutet ja nicht nur Risiken, sondern bereits sichere Ausgabenerhöhungen an. Er spricht von den unvermeidlichen, auch von uns begrüßten Ausfällen bei den Steuereinnahmen als Folge der unter dem Druck unserer Initiative zustande gekommenen Vorziehung eines Teiles der Steuerreform auf den 1. Januar 1975, aber er operiert in seinem mehrjährigen Finanzplan mit den Zahlen von gestern, obwohl er lange genug Zeit gehabt hat, die Zahlen von heute einzubauen, und die wollten wir in dem Zusammenhang erfahren.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in zwei Punkten angedeutet, daß er die Entscheidung gern auf das Parlament abwälzen will. Es ist nicht neu, unliebsame Entscheidungen nicht selber zu vertreten, sondern dem Parlament in Form von Fragen vorzulegen. Es geht einmal um die Entscheidung, wieweit man Ausbildungsförderung in Darlehen umgestalten könne und wolle. Hier sollte die Bundesregierung doch einen Vorschlag machen. Er sagte weiter, man müsse auch einmal über die Zuschüsse des Bundes an die Rentenversicherungsträger sprechen. Ich halte diese Vorstellung für berechtigt, aber hier sollte die Bundesregierung doch einmal herauskommen. Das ist doch nur eine Umschreibung dafür, daß er eine Runde im Kabinett gegen Herrn Arendt verloren hat, und darum kommt das als Fragestellung.
Vorhin sagte ich, daß es Probleme gibt, die ohne die Bundesregierung nicht entstanden wären, die aber mit dieser Bundesregierung nicht gelöst werden können. Es drängt sich einem manchmal sowieso der Eindruck auf, daß dieses Land ohne Bundesregierung besser fahren würde.
Ich denke z. B. an die jammervolle Rolle des Herrn Bundesverkehrsministers bei dem „Skandal ohnegleichen" ; ich meine den Fluglotsenstreik.
Die Bundesregierung vermag auch nicht das Problem der Inflation und ihre Gründe vor der Öffentlichkeit objektiv zu erörtern, solange diese von ihr mitverschuldete Inflation als Exerziergrund klassenkämpferischer Agitation mißbraucht wird. Ich meine damit das neueste Ablenkungsmanöver, nämlich die Aktion „Gelber Punkt" des Parteivorstands; man sollte sie als Aktion „Roter Punkt" oder Aktion „Schmutziger Punkt" bezeichnen.
Ich habe bei der Aussprache des Bundestages am 4. Oktober auf diese Kampagne hingewiesen und vor der psychosozialen Vergiftung unserer gesellschaftspolitischen Landschaft gewarnt. Der Bundesfinanzminister, flink in der Kunst der Verdrehung und in der Verwischung der Spuren, sagte daraufhin, ich hätte in bezug auf die Regierungskoalition ein Wort gesprochen, das er sich aufgeschrieben habe. „Psychosoziale Vergiftung" sei eine Neuschöpfung, erwolle das Wort nicht zurückgeben, aber ich hätte es verdient, es zurückzuerhalten.Ich muß hier bemerken: Das ist eine Fälschung, Herr Bundesfinanzminister. Sie wußten doch ganz genau, daß ich mit der erwähnten Kampagne, die ich als psychosoziale Vergiftung bezeichnet habe, die Aktion der SPD gemeint habe und nicht eine Aktion der Regierungskoalition. Sie hätten auch, wenn Sie zugehört hätten, statt — wie immer — aus der Hüfte zu schießen, aus dieser meiner Rede —Sie können es heute noch aus dem Protokoll entnehmen — doch hören müssen, daß ich hier ausdrücklich Herrn Professor Steinbuch als den Schöpfer dieses Wortes erwähnt habe, der es im gleichen Sinnzusammenhang verwendet habe. Herr Steinbuch war doch eine der führenden Persönlichkeiten der SPD-Wählerinitiative 1969, besonders publikumswirksam als Autor der Bücher „Falsch programmiert" und „Programm 2000". Er gehört zu den vielen Vertretern des deutschen Geisteslebens, zu denen ich allerdings nicht den Chefideologen der Jungsozialisten und den Ausrufezeichen-Professor Johano Strasser rechne,
sondern Personen wie Professor Ortlieb, der seit 1931 Mitglied der SPD ist, Professor Lübbe, Professor Scheuch, Professor Nipperdey. Sie haben doch 1969 im guten Glauben an eine bessere Politik das Zustandekommen dieser Koalition durch ihr Eintreten für die SPD ermöglicht, genauso wie Sie einen Teil Ihres Wahlerfolges von 1969 Herrn Karl Schiller verdanken, der in der Zwischenzeit von Herbert Wehner zur Unperson — stilgetreu — erklärt worden ist: „der Mann, der sich", wie ich jüngst gehört habe, „einmal Bundeswirtschaftsminister nannte".Heute sehen diese Persönlichkeiten mit Schrecken in die Zukunft. Sie haben einer Politik den Weg gebahnt, die weniger an Demokratie und mehr an Bevormundung, weniger an Information, aber mehr an Geheimniskrämerei, weniger an Freiheit, aber mehr an Gängelung, weniger an Achtung vor der Person, aber mehr an Diffamierung von Personen und Gruppen erbracht hat.Herr Kollege Schmidt, das mir in den Mund gelegte Wort „psycho-soziale Vergiftung" stammt von Professor Steinbuch. Er hat damit solche Vorgänge gemeint, wie Sie sie in der Aktion „Gelber Punkt" mit der Verteufelung und Diffamierung der Unternehmer, der Handwerker und des Einzelhandels unternommen haben.
Die besonders progressive SPD in Frankfurt gibt dieser Aktion „Gelber Punkt" noch eine besondere Note. Ich habe das Flugblatt neulich gesehen. Es heißt dort:Wer macht die Preise? Nicht die Regierung, nicht die Gewerkschaften, die Unternehmer machen die Preise. Sie langen kräftig zu. Denn es geht um den Profit. Er heiligt fast jedes Mittel. Über höhere Preise wird geholt, was zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3495
Straußholen ist. An der Inflation wird zusätzlich verdient.Ja, wer hat ihnen denn die zusätzlichen Verdienste ermöglicht?, wollte ich beinahe sagen.Auch das muß einmal klar gesagt werden: — heißt es im Flugblatt weiter —Kredite, die heute aufgenommen werden, können morgen leichter zurückgezahlt werden, wenn die Inflation anhält.
Im anschließenden Forderungskatalog heißt es — ich habe es zunächst gar nicht glauben wollen —:Wir fordern den Abbau von Steuerlasten für die Arbeitnehmer.Das ist anscheinend gestern in diesem Hause erfolgt.
Wir fordern
— heißt es dort weiter -die radikale Senkung des preistreibenden Rüstungshaushaltes und der Militärausgaben.Jetzt haben wir den neuen Sündenbock, den eigentlich Schuldigen, den preistreibenden Rüstungshaushalt. Herr Kollege Leber, das war der Grund, warum das letzte Mal die Fraktion der CDU/CSU Ihrer realistischen Rede Beifall geklatscht hat, während aus den Reihen Ihrer politischen Hausfreunde Ihnen eisiges Schweigen entgegenschlug, und Sie gezwungen waren, sich später für diese Rede vor der eigenen Fraktion zu entschuldigen.
Es geht hier nicht darum, für Industrie, Handwerk und Handel gegen Arbeitnehmer oder umgekehrt für Arbeitnehmer gegen Industrie, Handel und Gewerbe Stellung zu nehmen. Das ist Klassenkampfdenken und Klassenkampfpraxis. Das ist der Appell an Neid und Haß. Das ist die Strategie der sytematischen Diffamierung von Negativgruppen und ihre Herausstellung als Zielscheiben eines demagogisch aufgewiegelten Volkszornes. Die Schuld dafür rechnen wir allerdings in hohem Maße dem Bundesvorsitzenden der SPD, Bundeskanzler Willy Brandt,
den Mitgliedern des Parteivorstandes und den hauptamtlichen Mitarbeitern zu. Leider hat sich der Sprecher des Herrn Friderichs nur mit der vorsichtigen Bemerkung abgesetzt:Einige Passagen dieser Flugblätter stimmen nicht mit den Vorstellungen unseres Hauses überein.
Etwas krasser äußerte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Klaus Dieter Arndt, der diese Kampagne „als vom Parteivorstand der SPD sanktionierten mittleren Unsinn" bezeichnete. Wir danken ihm dafür.
Selbst das ist viel zu wenig. Am bezeichnendsten für die Charakterisierung dieser Aktion ist die Tat-sache, daß die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher und ihr Vorsitzender, Professor Blume, die Mitarbeit ausdrücklich abgelehnt haben, und zwar mit der Begründung, daß hier der Versuch gemacht werde, den Verbraucher zu einem Vehikel hochzuschaukeln, mit dem man wichtige Strukturelemente unserer Wirtschaftsordnung einreißen könne.
Mit einer ersten Auflage von zunächst 1 Million Argumentationshilfen und 2 Millionen Flugblättern, breit gestreut, verbreitet der SPD-Vorstand die Behauptung:Die Ursache der ständigen Preissteigerungen liegt in der Profitsucht der Unternehmer.Dann kommt die Schlußfolgerung:Wir müssen heute weg von einer Wirtschaftsstruktur, in der letztlich der private Profit die Richtung des Wachstums bestimmt.Im ersten dieser beiden Kernsätze wird der Versuch unternommen, das private Unternehmertum in seiner Gesamtheit zum Sündenbock zu stempeln. Das ist aber nicht Verbraucheraufklärung, das ist auch nicht nur mittlerer Unsinn, sondern das ist der Versuch — ich kann es nicht anders nennen —übelster Brunnenvergiftung und Volksverhetzung.
Allmählich gelangen wir dahin, daß sich in unserem Land etwas wiederholt: Was einem früheren, unseligen System Staatsfeinde oder Volksfeinde waren, wird allmählich — vorläufig ist es dieses SPD-Papier — in diesem Volke, in Deutschland das Unternehmertum, ohne das die Aufrechterhaltung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung genauso-wenig möglich ist wie ohne freie Gewerkschaften.
Ich bestreite nicht, daß es Mißbräuche im freien Unternehmertum gibt. Auch hier bestätigen die Ausnahmen die Regel. Aber im übrigen zitiere ich einen Zeugen, der — Herr Kollege Friderichs, ich darf das einmal ganz richtigstellen — früher der Währungsabteilungsleiter des Bundeswirtschaftsministeriums war, nunmehr Leiter einer Bank in Hessen geworden ist, Professor Hankel, früher Ministerialdirektor, ehemals auch, glaube ich, Berater des Herrn Bundeskanzlers, vielleicht auch heute noch, soviel ich weiß, auch Mitglied der SPD. Er hat vor kurzem gesagt:Nur 30 % der Preise, die die Lebenshaltungskosten bestimmen, können vom Unternehmer beeinflußt werden. 70 % der Preise gehören in den Bereich der mittelbar oder unmittelbar administrierten Preise.Und auf der Regierungsbank sitzen einige dieser Unternehmer, die die Lebenshaltungskosten als Folge inflationärer Kostenerhöhung in die Höhe getrieben haben.
Wir sagen natürlich ja zur Aufklärung der Verbraucher über ihre Ausbeutung und über mißbräuchliche Erscheinungen. Wir sagen aber nein zu
Metadaten/Kopzeile:
3496 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Straußdem Versuch der Volksverhetzung mit bewußt falschen Behauptungen, wie sie vom SPD-Vorstand inder Aktion „Gelber Punkt" unternommen werden.Bei einem Preisvergleich wird allerdings mancher Überraschungen erleben. Kritikern empfehle ich die Lektüre eines Wochenmagazins vom 12. Oktober 1973, in dem die Preise in den gewerkschaftseigenen gemeinwirtschaftlichen Coops, Jahresumsatz 6,6 Milliarden DM, unter die Lupe genommen werden mit der Überschrift: „Teurer im Gewerkschaftsladen". Auch hier bin ich gegen Verallgemeinerungen. Aber verleiht die gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft ihr Geld wirklich billiger als andere Großbanken? Vermietet die gemeinwirtschaftliche Neue Heimat, bei weitem das größte Wohnungsbauunternehmen, ein Eigentumsmilliardär an Grundbesitz in der Bundesrepublik, ihre Wohnungen im Durchschnitt wirklich billiger als andere Unternehmer?Wenn die Aktion „Gelber Punkt" einen Erfolg hat, besteht er nicht in niedrigen Preisen, sondern etwas anderem, nämlich im Versuch der Verdummung der Arbeitnehmer durch die Verteufelung der Unternehmer bis zum Einzelhändler hin,
ohne die eine freie und soziale Marktwirtschaft nicht denkbar ist. Hier wird der Boden bereitet für die Abschaffung unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Das ist doch der Hintergrund dieser Aktion.Hier, Herr Bundeskanzler, nützen marktwirtschaftliche Bekenntnisse beim Treffen mit Unternehmern oder auf einschlägigen Veranstaltungen gar nichts. Ihre Glaubwürdigkeit steht und fällt damit, ob Sie so etwas von Ihrem Vorstand aus unternehmen oder ob Sie es verhindern können.
Diejenigen, die die Änderung oder Ersetzung dieses Systems der sozialen Marktwirtschaft verlangen, sollen doch einmal sagen, was sie an ihre Stelle setzen wollen. Das kann doch nur eine sozialistische Wirtschaftsordnung sein. Dafür wird hier doch der Boden bereitet, und dagegen führt die Opposition ihren Kampf; und zwar deshalb, weil jede andere Wirtschaftsordnung ein Weniger an Gütern, ein Weniger an Dienstleistungen, ein Weniger an Eigentum, ein Weniger an Freiheit für den Arbeitnehmer in unserem Lande erbringt, wie in der ganzen Welt bewiesen.
Wenn auf Ihrem Arbeitnehmerkongreß Produktions- und Investitionskontrollen gefordert werden — der Bundesfinanzminister hat sich nicht dafür ausgesprochen, das muß ich ausdrücklich sagen — und wenn dem nicht widersprochen wird, dann sollte man wissen, daß die ganze Propaganda für Mitbestimmung keinen Sinn mehr hat, wenn Investitionskontrolle, Investitionsplanung und Investitionslenkung von staatlichen Funktionären her erfolgt und nicht mehr in betrieblicher, unternehmerischer Entscheidung erfolgen kann.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben die Verantwortung. Wir machen Sie verantwortlich für die vonIhnen und anderen Mitgliedern des Vorstandes Ihrer Partei beschlossene Aktion gegen die Marktwirtschaft. Sie sollten sich bei dieser Grundsatzaussprache über wirtschafts- und finanzpolitische Probleme und dabei über unser gesellschaftliches Ordnungssystem in diesem Hause von der Aktion Ihres Vorstandes eindeutig und nicht in sibyllinischorakelhafter Weise etwa distanzieren, wie Sie es sonst zu tun pflegen.
Damit Sie, Herr Kollege Schmidt, mich aber nicht mit Professor Steinbuch verwechseln, möchte ich Ihnen und dem Hohen Hause nicht vorenthalten, was dieser enttäuschte Vorkämpfer einer Kanzlerschaft Willy Brandts am letzten Sonntag geschrieben hat — hoffentlich ist das kein weiterer Grund für die Abschaffung der Sonntagszeitungen durch administrative Taktik —:
In unserem Lande spielt sich augenblicklich vor aller Augen ein ungeheurer Betrug ab. Die meisten Menschen unseres Landes wollen eine freie Gesellschaft und eine freie Wirtschaft. Dies nicht nur, weil man auf das damit Erreichte stolz ist, sondern noch mehr, weil unsere Landsleute un- ter Lebensgefahr aus dem „sozialistischen" Teil unseres Landes fliehen und wir uns deshalb keine Illusionen über das angebliche Paradies machen.Zugleich aber wird unser gutes politisches System— schreibt er auf einen Kurs manipuliert, der geradewegs in ein solches Paradies führt. Diese Manipulation spielt sich vor allem im kulturellen Bereich ab, in den Massenmedien, im Bildungssystem.Er sagt:Ist das nicht ein ungeheurer ideologischer Betrug in einem demokratisch verfaßten Staat? Betrug bedeutet die böswillige Ausnutzung von Unwissenheit. Am ideologischen Betrug vor unser aller Augen sind verschiedene Aspekte auszumachen: der semantische Betrug, bei dem Wörtern eine falsche Bedeutung unterschoben wird; der ökonomistische Betrug, mit dem behauptet wird, es gehe der Mehrheit besser, wenn die Minderheit resigniert; der moralistische Betrug, durch den wir glauben gemacht werden, Staats- und Parteifunktionäre handelten moralischer, fehlerfreier und humaner als Menschen, die durch Leistung zu Kompetenz kamen; der futurologische Betrug, bei dem uns von „kritischen" Futurologen eingeredet wird, unser liberales System hätte keine Zukunft und wir müßten möglichst rasch Kurs auf ein sozialistisches Paradies nehmen.Wesentlich sind die folgenden Sätze — und die können Sie sich ins Stammbuch schreiben, Herr Bundeskanzler — von einem Ihrer Förderer und Bewunderer, der uns im Jahre 1969 bitterlich bekämpft hat. Er schreibt:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3497
StraußVor allem unser Bildungssystem ist in manchen Bundesländern auf einem Kurs, der zwangsläufig zu katastrophalen Ergebnissen führt. Ich erhielt Briefe von Eltern, die entsetzt und verzweifelt sind über das, was ihren Kindern an Antimoral eingetrichtert wird.
Klassenkampfdenken, sexuelle Schamlosigkeit, Haß gegen das eigene Volk und seine Geschichte. Diese Indoktrination von Kindern, die zur selbständigen Kritik unfähig sind, wird in einigen Jahren schreckliche Früchte tragen. Ein Einfluß der Eltern auf die unverantwortlichen Erziehungsgrundsätze ist durch ständige „Demokratisierung" kaum möglich.Und schließlich schreibt Steinbuch:Nach dem Briefwechsel, den ich darüber im vergangenen Jahr mit dem Bundeskanzler führte,stimme ich der Diagnose von Professor Lübbe— auch SPD-Mitglied — zu.Lübbe hatte von der Ignoranz der politisch Verantwortlichen gesprochen.Denn-- so schreibt Steinbuch — das dortige Verständnis— das auf seiten des Bundeskanzlers anzutreffende Verständnis —für die geistige Entwicklung in unserem Lande ist nur noch vergleichbar dem Verständnis der Zarin für die Potemkinschen Dörfer.
Soweit Professor Steinbuch über Willy Brandt. Steinbuch überschreibt seinen Artikel „Verbale Volltrunkenheit".In diesen Tagen habe ich in einem Wochenmagazin einen Aufsatz des Herrn Bundesministers Eppler über Helmut Schelsky gelesen. Herr Eppler schreibt hier, ein Publizist, der sich in der CDU gut auskenne, hätte gesagt, alle seien „von Schelsky besoffen". Am Schluß sagte Herr Eppler:Wie muß es um eine große Partei bestellt sein, wenn sie sich an einem solchen Fusel— gemeint ist Schelsky —beteiligen kann.
Diese unerträgliche Arroganz, die aus diesen Worten spricht!
Diese systematische Abwertung und Diffamierung, dieses Anhängen von Etiketten!
Aber im übrigen muß ich wirklich die besorgte Frage stellen: Herr Kollege Arendt, ich bin besorgt, denn Sie sind Schüler und Prüfling von Professor Schelsky gewesen. Haben Sie in der HamburgerAkademie für Gemeinwirtschaft auch von dem Fusel genossen?
Auch Herr Vetter und Herr Kluncker sind Schüler und Prüflinge von Schelsky gewesen. Und nun ist die CDU von diesem „Fusel besoffen".Lassen Sie mich nur noch eines erwähnen: Einer Ihrer bedeutendsten Historiker im sozialdemokratischen Lager ist Professor Nipperdey, von Berlin, Freie Universität, ausgerechnet nach München ausgewandert.
Er schrieb einen Aufsatz „Ist Konflikt die einzige Wahrheit der Gesellschaft?". In ihm nimmt er Stellung, und zwar gegen die von sozialdemokratischen Kultusministern betriebene konflikt-theoretische Verseuchung unserer Kinder. Der Aufsatz befaßt sich mit Mensch und Gesellschaft in den hessischen Rahmenrichtlinien. Daß Professor Nipperdey, der doch der SPD zuzurechnen ist, zusammen mit Professor Lübbe, bei dem das gleiche gilt, ein Gutachten über die Rahmenrichtlinien des hessischen Kultusministeriums verfaßt hat, ist Ihnen bekannt. Darin kommen die beiden sozialdemokratischen Wissenschafler zu der bemerkenswerten Feststellung:Die Rahmenrichtlinien erziehen, ob gewollt oder ungewollt, zu einer anderen Demokratie, in der die liberalen, die gewaltenteilenden, die rechtsstaatlichen, die pluralistischen Elemente, das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen keine Rolle mehr spielen.
Das sind Aussagen sozialdemokratischer Wissenschaftler.
Ministerialdirektor Kreutzer vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Stellvertreter Egon Bahrs in Berlin, hat einen offenen Brief an Herrn von Oertzen geschrieben: „Die Grotewohls sind wieder unter uns." Was hätte man uns entgegengehalten, wenn wir das gesagt hätten? Schon hören wir, daß Herr Kohl, der Gesprächspartner des Herrn Bahr, nunmehr sein Befremden über den Herrn Ministerialdirektor Kreutzer geäußert hat. Wann wird er denn gehen müssen? Die Zeit erlaubt mir nicht, noch auf eine Reihe weiterer Beispiele hinzuweisen, auf die aufsehenerregende Rede des ebenfalls von der SPD kommenden Leiters des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg, des Herrn Horchern, mit der Bemerkung, daß Marx nunmehr als Rachegott in unser Land zurückgekommen sei.Der Herr Bundeskanzler hat aber die Frage so beantwortet, wie es sein Stil ist. Er sagte in seiner Bad Segeberger Rede:Die Frage ist, was in der Schule gelernt werden soll. Manche befürchten, mit neuen Unterrichtsplänen soll jetzt eine radikale Politisierung angestrebt und die Lösung des einzelnen aus seinen traditionellen Bindungen an Staat, Geschichte, Kultur, an Familie und an Sprache herbeigeführt werden. Ich kann im einzelnen
Metadaten/Kopzeile:
3498 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Straußnicht wissen, ob nicht hier und da Unrichtiges ins Auge gefaßt wurde.
Aber auch auf diesem Gebiet kommt es ganz gewiß darauf an, Vorurteile abzubauen.Herr Bundeskanzler, ich muß Sie fragen: in welcher Welt leben Sie denn? Sie können sich doch nicht erlauben, wie weiland Serenissimus zu sprechen!
Hier können Sie wirklich nicht anführen, es handele sich um Verleumdung, Verdrehung, Hetze, Verdummung usw., wie Sie angesichts der Moskauer Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Alleingang Ihres Vorsitzenden und Disziplinmeisters Herbert Wehner hier erklärt haben.
Ich glaube, wir brauchten uns nicht damit zu befassen, wenn es sich hier nur um eine parteiinterne Angelegenheit der SPD handelte. Aber die SPD ist die große Regierungspartei. Ihr Vorsitzender ist der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Ich bin sicher, wenn einer aus den Reihen der CDU/CSU über die Vorgänge und Entwicklungen innerhalb der SPD, wozu ich auch den infamen Angriff des Kollegen Horn auf treue und zuverlässige Staatsdiener in führenden Reihen der Bundeswehr zähle,
dasselbe gesagt hätte wie führende Sozialdemokraten, hätte der Bundeskanzler sein ganzes Krisenlexikon in Marsch gesetzt und auch wieder von Verdummung, Hetze, Verteufelung usw. gesprochen. Herr Bundeskanzler, nehmen Sie doch bitte auch hier Stellung, warum die Sozialdemokratische Partei sich zur großen Freude der DKP und zur großen Freude der kommunistischen Jugendorganisation SDAJ dazu durchgerungen hat, eine offizielle Beobachterdelegation zu der Moskauer Weltfriedenskonferenz zu entsenden! Wissen Sie, daß dies als ein ganz großer Erfolg einer neuen Politik im Sinne „Wandel durch Annäherung", daß dies nunmehr als ein ganz großer Erfolg Moskauer Doppelzangenstrategie gewertet wird? Ein solcher Vorgang, die Entsendung einer offiziellen Beobachterdelegation, wäre in früheren Zeiten der SPD, in denen wir harte Auseinandersetzungen über innen- und außenpolitische Fragen in diesem Hause hatten, einfach undenkbar gewesen.
Hätten wir noch vor wenigen Jahren gesagt, im Jahre 1973 werden Sie eine solche offizielle Beobachterdelegation nach Moskau entsenden, was wäre uns entgegengeklungen? Es wäre von Demagogie, Brunnenvergiftung, Verteufelung, Lüge und Verdrehung die Rede gewesen. Wir brauchen nur einige Jahre zu warten, dann tritt das mit regelmäßiger, geradezu erfahrungsgesetzlich bestätigter Sicherheit ein, was wir an Warnungen vor der zukünftigen Entwicklung dieser großen demokratischen Partei immer wieder gesagt haben; das geschah doch nichtaus Schadenfreude, sondern aus Sorge um den Staat und um unsere freie Zukunft in diesem Lande.
Deshalb erwarten wir auch, nachdem wir das letztemal keine Antwort darauf bekommen haben, daß Sie, Herr Bundeskanzler, dazu Stellung nehmen: Bleibt die Bundesregierung bei der ursprünglich eingenommenen Haltung, daß sie darauf besteht, daß die diplomatischen Missionen der Bundesrepublik Westberliner natürliche und juristische Personen in den Ländern der Vertragspartner, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und Bulgarien, weiterhin vertreten werden? Die Formel, die Sie gewählt haben, war, man habe in der Vergangenheit nicht überziehen wollen und werde es auch in Zukunft nicht tun. Die Haltung in der Vergangenheit haben doch Sie, Herr Kollege Wehner, als ein Überziehen gewertet. Sie haben damit doch den sowjetischen Standpunkt — ich habe Ihre Motive zu analysieren versucht — unterstützt. Ja, was wird die Bundesregierung jetzt tun? Entweder hat sie in der Vergangenheit überzogen und bleibt sich treu, dann überzieht sie auch in der Zukunft; oder sie hat in der Vergangenheit überzogen und bleibt sich nicht treu, dann wird sie in Zukunft nicht überziehen. Sie haben doch, Herr Kollege Wehner, den Bundeskanzler „entrückt" und „abgeschlafft" genannt und damit den Abbau dieses SPD-Denkmals in Szene gesetzt. Das ist doch nicht von unserer Seite aus geschehen. Sie haben doch bewiesen, daß Sie der starke Mann sind. Sie haben sich doch im Parteivorstand, in der Fraktion durchgesetzt. Sie haben ihn doch auf seine wahre Bedeutung reduziert und haben damit der Opposition die Arbeit abgenommen.
Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Ende.
Deshalb erwarten wir hier im Zusammenhang mit dieser Haushaltsdebatte Auskunft auch zu dieser Frage, aber auch zu der Frage, ob man den bestehenden sowjetischen Widerstand, der gar keiner so großen Sache gilt — darüber stürzt die Sowjetunion wahrlich nicht in Verlegenheit —, vielleicht abzubauen gedenkt, indem man zinsverbilligte größere Kredite mit längeren Tilgungsfristen gewährt, was man angesichts der Zinsverbilligungen und angesichts der Geldentwertung ruhig als „halbe Reparationen" bezeichnen kann.Das ist ein Ausschnitt aus dem Fragenkatalog. Auf diese Fragen erwarten wir Antwort, und zwar von Ihnen, Herr Bundeskanzler. Hier ist der Bundesfinanzminister bei weitem überfordert. Eine Haushaltsdebatte ist eine Grundsatzaussprache über alle wesentlichen Probleme, und die Lösung dieser wesentlichen Probleme, Herr Bundeskanzler, kann nur von Ihnen als dem de jure zur Gestaltung der Richtlinien der Bundespolitik berufenen Bundeskanzler vorgenommen werden. Darauf warten wir. Diese Debatte wird von uns, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, erst dann geschlossen werden, wenn Sie entweder Antwort gegeben oder eingestanden
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3499
Straußhaben, daß Sie nicht willens oder nicht fähig sind, darauf Antwort zu erteilen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Haehser.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und meine Herren! Der Punkt der Tagesordnung, den wir heute behandeln, hat laut ausgedruckter Tagesordnung den Wortlaut: „Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1974 ".
Herr Strauß hat eine Rede gehalten von einer Stunde und zehn Minuten und sich mit diesem Tagesordnungspunkt nicht beschäftigt.
Ich habe ihn in einem Zwischenruf auf diesen Tatbestand aufmerksam gemacht, und er hat mir geantwortet, es entspreche einer alten Übung, daß die erste Lesung des Haushalts eine Generalabrechnung mit der Regierung sei. Wäre es mal eine Generalabrechnung gewesen! Das war ja keine,
sondern das war, Herr Kollege Leicht, wie wir es seit langem von Herrn Strauß erleben, so etwas wie ein Karussell beim Münchener Oktoberfest: da wird geredet vom Gelben Punkt, von den Fluglotsen, von den Jungsozialisten;
da wird auch von seinen jüngsten Erfahrungen in den Vereinigten Staaten von Amerika — er hat sogar neue Vokabeln mitgebracht — geredet.
Aber mit dem Thema, um das es hier geht, hat die Rede des Herrn Kollegen Strauß nichts zu tun. Da kann man ja fast bedauern, daß Herr Stoltenberg auf der Bundesratsbank sitzt und nicht mehr bei Ihnen in Ihrer Fraktion.
Dann hat sich Herr Strauß, meine Damen und meine Herren, nach bewährtem Rezept — um seine Rhetorik zu erproben oder erneut unter Beweis zu steilen —
wieder ein paar Buhmänner aufgebaut. So hat er z. B. behauptet, die SPD sei in Gefahr, gegen die Marktwirtschaft zu sein.
Ich möchte Ihnen hier ganz eindeutig sagen: diesozialdemokratische Bundestagsfraktion und dieSozialdemokratische Partei Deutschlands sind Befürworter der Marktwirtschaft, weil sich diese in der Bundesrepublik Deutschland bewährt hat. Das bedeutet aber nicht, daß wir sie von morgens bis abends anbeten, sondern das bedeutet, daß wir auch auf ihre Schwächen aufmerksam machen dürfen.
Wer will bestreiten, daß z. B. das Preisgeschehen, das die Bundesregierung oder der Deutsche Bundestag nun in der Tat nicht zu verantworten hat, eine solche Schwäche ist?! Man kann uns nicht Beifall klatschen,
wenn wir z. B. an die Einhaltung von Spielregeln bei den Tarifpartnern erinnern und wilde Streiks verurteilen, uns aber dann, wenn wir das Preisgeschehen — wie beim Gelben Punkt geschehen —verurteilen, dies ankreiden; das paßt nicht zueinander.Ich habe den Eindruck, meine Damen und meine Herren, daß fast ergiebiger als die ganze Rede des Oppositionssprechers seine Stellungnahme zur Rede des Bundesfinanzministers ist. Da hat er unter dem 23. Oktober 1973 geschrieben:Die Regierung hat mehr Lasten beschlossen, — und Herr Strauß nennt die Steuerreform —ohne Deckungsvorschläge zu machen.Ich kann mir nicht verkneifen, auf eine Erfahrung zurückzukommen, die die Kollegen des Haushaltsausschusses gestern morgen gemacht haben. Wir haben der Opposition das Vergnügen gegönnt, gestern vor der Abstimmung des hier zur Debatte stehenden Gesetzes, das Einnahmeausfälle des Bundes und der Länder und Gemeinden in Höhe von 8 Milliarden DM verursacht, die tolldreiste Behauptung aufzustellen, daß für diese Einnahmeausfälle Deckungsvorschläge vorhanden seien. Etwas Unseriöseres, Herr Kollege Dr. Althammer und meine Herren Kollegen vom Haushaltsausschuß, ist mir in den acht Jahren meiner Zugehörigkeit zum Haushaltsausschuß noch nicht passiert.
Der Herr Kollege Strauß hat in seiner Rede erklärt, wir, die Koalitionsparteien, hätten die Stabilitätspolitik ausschließlich der Bundesbank überlassen. Er ignoriert einfach, daß wir seitens der Bundesregierung und auch des Parlaments eine ganze Reihe von Maßnahmen beschlossen haben, die Stabilitätspolitik im geradezu klassischen Sinn bedeuten. Haben wir die Investitionssteuer oder haben wir sie nicht?! Haben wir Steuermehreinnahmen stillgelegt, oder haben wir das nicht getan?! Haben wir die Stabilitätsabgabe, haben wir die Stabilitätsanleihe und haben wir die degressive Abschreibung ausgesetzt, oder haben wir das nicht?! Wir haben bei § 7 des Einkommensteuergesetzes stabilitätspolitische Maßnahmen ergriffen; wir haben die Kontrolle des Devisenzuflusses vorgenommen; das alles wird ignoriert. Es ist also nicht wahr und muß zurückgewiesen werden, wenn Herr Strauß behauptet,
Metadaten/Kopzeile:
3500 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Haehserwir hätten die Stabilitätspolitik der Bundesbank überlassen.
Ich will nicht in den gleichen Fehler wie der Sprecher der Opposition verfallen, sondern will mich mit dem eigentlichen Tagesordnungspunkt Haushaltsberatung befassen. Ich komme in meiner Rede auf einiges zurück, was Herr Kollege Strauß in seiner Rede gesagt hat.Gestatten Sie mir zunächst einen kurzen Blick auf das Haushaltsgeschehen des Jahres 1973, denn dieser Haushalt 1973 ist ja die Ausgangsbasis für den Entwurf, den wir heute zur Beratung vorliegen haben. Wir haben recht spät im laufenden Jahr, am 20. Juni 1973, den jetzt gültigen Etat mit einem Ausgabevolumen von 120,2 Milliarden DM und mit einer Steigerungsrate von 9,6 % verabschiedet. Bei der Etatverabschiedung haben wir eine Reihe von Empfehlungen für die Haushaltsführung verabschiedet, die übrigens auch von der Bundesregierung ausgesprochen worden sind. Es waren sämtlich Empfehlungen zur Sparsamkeit. Dank der Beachtung dieser Empfehlungen und dank der restriktiven Haushaltsbewirtschaftung beträgt die Zunahme der Bundesausgaben bis September 1973 nur 8%. Der Zuwachs an Ausgaben bei den Ländern liegt immerhin zwischen 13 und 14%
Die Ausgaben sind also bis jetzt spürbar unter der veranschlagten Steigerungsrate von 9,6 °/o geblieben, wie mir Herr Kollege Leicht soeben in einem Zwischenruf bestätigt. Oder habe ich mich verhört?
Für diejenigen, meine Damen und meine Herren, die diesen Zusammenhang für wichtig halten, will ich den Hinweis geben — Kollege Strauß hat das übrigens vorhin nicht bestritten —, daß die Zuwachsrate des Haushalts 1973 deutlich unter dem Zuwachs des Bruttosozialprodukts bleibt, das um rund 12 % steigen wird.
— Noch ist das Jahr nicht zu Ende. Auch ich habe einen Kalender, sogar auf meiner Uhr. Heute ist der 25. Oktober, Herr Kollege Althammer.
Ich bin also ganz optimistisch — Sie wissen doch, daß ich lesen kann —, es wird gelingen, die Ist-Ausgaben auf das gesetzlich festgelegte Etatvolumen von 120,2 Milliarden DM zu begrenzen. Die Einsparungen, die Streckung von Ausgaben haben es sogar ermöglicht, im Rahmen des genannten Etatvolumens erhebliche Mehrausgaben zu finanzieren.Zwei besonders gewichtige Mehrausgaben seien hier genannt. Wir haben 1 Milliarde DM zusätzlich an die Europäische Gemeinschaft nach Brüssel zu zahlen, und wir haben 1/2 Milliarde DM zusätzlich an die Bediensteten des Bundes für das 13. Monatsgehalt zu zahlen. Ich kann hier nur die Besoldungspolitiker bitten, bei künftigen Besoldungsregelungen wieder daran zu denken, daß das Jahr nicht aus 13, sondern aus 12 Monaten besteht. Ich will keinem etwas wegnehmen, der jetzt ein 13. Monatsgehalt bekommt, aber ich würde anregen, die jetzt zu leistenden Verpflichtungen in ein Gehalt einzubauen, das wieder aus 12 Monatsgehältern besteht, da wir sonst nicht 13, sondern später vielleicht auch 14 oder mehr Monatsgehälter zahlen müssen. Ohne die genannten zusätzlichen Leistungen wäre der Haushaltsablauf 1973 noch günstiger.Übrigens mag die Opposition erkannt haben, daß es einen Unterschied zwischen ihren lautstarken Sparappellen und den Zwangsläufigkeiten in der Praxis gibt. Ich habe z. B. von der Opposition kein Nein zu den Mehrforderungen aus Europa gehört, und ich habe von der Opposition im Bundesrat auch kein Nein gehört bei der Beratung des 13. Monatsgehalts für die Beamten; dort im Bundesrat waren ja Zuständigkeiten für die Bediensteten außerhalb der Bundesverwaltung gegeben.Ich komme auf den Ablauf des Jahres 1973 zurück. Gegen Ende des Etatjahres werden wesentliche Bestandteile des Stabilitätsprogramms der Bundesregierung wirksam. Z. B. werden der Stabilitätszuschlag und die Investitionssteuer zur Stillegung von 2 bis 2,5 Milliarden DM bei der Bundesbank führen. Von der Stabilitätsanleihe, die der Übersteigerung privater Nachfrage entgegenwirken soll, sind bis Ende September 2,5 Milliarden DM begeben worden.All diese Beträge liegen zusammen mit bisherigen Steuermehreinnahmen in Höhe von 600 Millionen DM bei der Bundesbank fest, sie sind also entgegen der Befürchtung der Opposition nicht zur Haushaltsfinanzierung verwendet worden. Hätten Sie mir einmal geglaubt, Herr Kollege Leicht, als ich bei der Haushaltsberatung 1973 zugesagt hatte, daß es so werde, wie es jetzt geworden ist!Ich stelle fest, die Ausgabenentwicklung 1973, die Entwicklung der Nettokreditaufnahme und die Aufbringung der genannten Rücklagen zeigen deutlich: Die Bundesregierung hat alle Möglichkeiten der Konjunktursteuerung, die der Haushalt bietet, genutzt.
Dafür gebührt dem mit besonderer Verantwortung ausgestatteten Bundesfinanzminister der Dank der Koalitionsparteien.
In diesen Dank schließen wir selbstverständlich das gesamte Kabinett und besonders auch den Bundesminister für Wirtschaft ein.
Mit Genugtuung kann nun aber auch festgestellt werden, daß die ergriffenen Maßnahmen nicht ohne Wirkung geblieben sind. Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede vorgestern darauf hingewiesen, daß wir, was den Preisauftrieb angeht, wieder an das absolute Ende des Geleitzuges gekommen sind.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3501
HaehserIm übrigen werden die Anstrengungen von Regierung und Parlament auch in der Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute gewürdigt. In der Veröffentlichung vom 22. Oktober 1973 heißt es z. B.:Wenn die Nachfrageexpansion in den Sommermonaten zum Stillstand kam, so hat hierzu auch das stabilitätsgerechte Verhalten der Finanzpolitik beigetragen. Dies gilt nicht nur für den Einsatz einnahmepolitischer Instrumente, sondern ebenso für das Ausgabeverhalten.Und an anderer Stelle heißt es:Soweit es sich überblicken läßt, ist die Entwicklung vor allem beim Bund entsprechend den Leitsätzen des zweiten Stabilitätsprogramms, durch restriktiven Haushaltsvollzug, durch Streckung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben und durch die Stillegung von Steuereinnahmen verlaufen.Das Gutachten läßt sich also nicht gegen die Bundesregierung oder die Koalitionsparteien verwenden, und Herr Strauß hat das la vorhin auch nicht einmal versucht.Nun haben wir uns ein bißchen daran gewöhnt, jeden Haushalt zunächst hinsichtlich seiner konjunktur- und stabilitätspolitischen Aspekte zu prüfen. Dazu wird noch etwas zu sagen sein.Jetzt aber, bitte sehr, ein paar Bemerkungen eben zu diesen Aspekten. Der Etatentwurf 1974 steigt um 10,5 % und befindet sich unbestritten im Gleichschritt mit der Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts. Den Vorstellungen des Finanzplanungsrates, die dieser am 27. Juni 1973 entwickelt hat, wird Rechnung getragen. Die Steigerungsrate entspricht im übrigen auch den Leitlinien der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, die in deren Jahreswirtschaftsbericht festgelegt sind. In diesem Jahr wird es nun besonders schwer sein, die konjunkturelle Entwicklung vorauszusagen. Wir kennen nicht den vollen Wirkungsgrad der Stabilitätspolitik. Wir kennen nicht das Ergebnis der sich abzeichnenden Tendenzen in der Außenwirtschaft, und wir kennen nicht die Ergebnisse der Lohn- und Gehaltsentwicklung. Das alles sind also Unbekannte, mit denen wir es bei der Prognose für den Wirtschaftsablauf zu tun haben. Uns scheint jedenfalls, daß die Fortsetzung der restriktiven Geld- und Kreditpolitik angebracht ist und daß die Haushalts- und die Finanzpolitik weiterhin kontraktiv erfolgen sollten, da wir sonst befürchten müssen, daß die einsetzende Beruhigung auf dem Preissektor gefährdet wird.Die Koalitionsparteien folgen hier den Vorstellungen der Bundesregierung, zumal wir wissen, daß dann, wenn die Konjunkturentwicklung eine schnellere Gangart in der Haushaltspolitik erforderlich macht, ein Um- oder Einschwenken leicht vollzogen werden kann. Die erheblichen Ansammlungen bei der Bundesbank stehen gegebenenfalls schnell zur Verfügung, und der Ausgabenstau ist so groß, daß Anregungen für eventuell nötigen Konjunkturauftrieb schnell gegeben werden können und schnell wirksam werden. Wir befinden uns in einer erfreulicheren Situtation als bei der Rezession, die wirdamals hatten; denn die Mittel, die Konjunktur anzuheizen, haben damals, wie wir uns erinnern, relativ spät erst gegriffen.Für meine Fraktion erkläre ich hier mit Nachdruck, daß wir voll zu dem stehen, was der Bundesfinanzminister vorgestern gesagt hat, daß nämlich die Grenzen hinsichtlich weiterer möglicher Ausgabeneinschränkungen erreicht sind. Zu schnell nämlich kann bei weiterer Drosselung der Staatsausgaben ein Leistungsdefizit auftreten, unter dem besonders die Mitbürger leiden würden, die auf Leistungen der öffentlichen Hand in erster Linie angewiesen sind.Der Bundeshaushalt ist in Grenzen sicher ein Instrument der Konjunktursteuerung. Aber diese Konjunktursteuerung ist nicht die Hauptaufgabe des Bundeshaushalts. Ich möchte das mit Nachdruck feststellen.
Die Opposition muß dies endlich begreifen. Ich würde mich freuen, wenn in einem konstruktiven Beitrag, den wir ja bisher nicht hatten — Herr Strauß wird ja wohl nicht in diese Kategorie eingeordnet werden wollen —, dieses Begreifen sichtbar gemacht würde. Man kann übrigens hier nicht Ausgabendrosselung fordern oder auf 8 Milliarden DM Staatseinnahmen verzichten wollen, wie wir es gestern erlebt haben, und in den Wahlkreisen die Wirkungen der Stabilitätspolitik beklagen und auf die Regierung schimpfen. Das ist nicht seriös.
Uns scheint, daß zwischen der einen Aufgabe des Bundeshaushalts, der Konjunktursteuerung, und der Hauptaufgabe des Bundeshaushalts, die Aufgabenerfüllung lautet, im Entwurf 1974 ein optimaler Kompromiß gefunden worden ist. Dieser Haushalt hilft der wirtschaftlichen Stabilität und bringt gesellschaftspolitischen Fortschritt, wie der Bundesfinanzminister dies vorgestern betont hat. Einige Beispiele seien hier genannt.In diesem Jahr steigen die Aufwendungen für die Kriegsopfer um 1100 Millionen DM auf insgesamt über 10 Milliarden DM. Diese große Steigerung des Aufwandes für unsere Kriegsopfer ist auf eine von diesem Bundestag beschlossene erste Anpassung der Kriegsopferrenten zum 1. Januar 1974 in Höhe von 11,4% und eine bereits beschlossene zweite Anpassung zum 1. Oktober 1974 in Höhe von 11,2% zurückzuführen. Dies bedeutet, daß die Kriegsopferrenten im nächsten Jahr um rund 23% steigen werden. Mann kann noch mehr fordern; die Opposition beweist das. Man kann aber auch verantwortungsbewußt mit den Staatsfinanzen umgehen, wie es Regierung und Koalition tun.
Lassen Sie mich ein Wort zur Rentenversicherung sagen. Die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung der Arbeiter, der Angestellten und zur knappschaftlichen Rentenversicherung steigen laut Haushaltsplan auf 16,6 Milliarden DM. Man kann beklagen — Herr Strauß hat das getan —, daß den Versicherungsanstalten 650 Millionen DM nicht gezahlt, sondern verzinslich gestundet werden. Herr Strauß hat
Metadaten/Kopzeile:
3502 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Haehservermißt, daß in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers ein Vorschlag enthalten gewesen sei, wie man zukünftig etwa mit den Bundeszuschüssen an die Versicherungsanstalten umgehen werde. Dazu kann ich hier nur sagen: Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, können vielleicht zu einer Initiative führen. Aber ist es denn dem Bundesfinanzminister verboten, einen Gedanken zu äußern, den er dem Parlament anheimgibt? Ich denke, das gehört zu den Verpflichtungen des Bundesfinanzministers. Wir werden den Gedanken weiterverfolgen. Angesichts der Gesamtleistung des Bundes von 16,6 Milliarden DM an die genannten Anstalten kann man aus finanzpolitischer Verantwortung jedenfalls das Verfahren der verzinslichen Stundung von 650 Millionen DM vertreten; denn die Leistungen der Versicherungsträger werden nicht gekürzt, und ihre Liquidität wird nicht gefährdet.Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu agrarpolitischen Maßnahmen machen, die im Entwurf 1974 enthalten sind. Die Ausgaben für die landwirtschaftliche Sozialpolitik steigen von 1,8 Milliarden DM erstmalig auf über 2 Milliarden DM, nämlich auf 2,1 Milliarden DM. Die Mehrausgaben sind insbesondere auf die Altershilfe für Landwirte, die Landabgaberente und die landwirtschaftliche Unfallversicherung zurückzuführen, vor allem aber auf etwas, das es erst seit der sozialliberalen Koalition gibt,
nämlich auf die Krankenversicherung der Landwirte, auf die wir stolz sind.
Ich freue mich, daran erinnern zu können, daß das Altersgeld ab Januar 1974 auf 264 DM erhöht wird. Ich erinnere auch gern daran, daß dieses Altersgeld auf dieser Basis dynamisiert wird und sich dann, nach der Zahl der Beitragsjahre gestaffelt, weiter erhöhen wird. Man kann noch mehr fordern. Man kann aber auch auf das stolz sein, was wir auf diesem Gebiet erreicht haben und was wir uns für das kommende Jahr vorgenommen haben.
Ich nenne das Ausbildungsförderungsgesetz. Die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz steigt auf die im Etat festgestellte Riesensumme von 1 380 Millionen DM. Ich komme auf die Anregung des Herrn Bundesfinanzministers zurück zu prüfen, ob eine teilweise Umstellung der Förderung auf Darlehensformen möglich ist. Wir Haushaltspolitiker der SPD-Fraktion greifen diese Anregung gerne auf. Wir raten, sie zu befolgen und in eine Gesetzesinitiative umzuwandeln. Eines muß ja hier festgehalten werden: Beim Ausbildungsförderungsgesetz geht es nicht um die Bezahlung, sondern um die Förderung der Ausbildung. Deswegen ist diese Anregung erwägenswert. Wir haben übrigens eine gute Möglichkeit, dies zu überdenken, denn § 62 des Ausbildungsförderungsgesetzes bestimmt der Kollege Esters hat mich dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht —, daß die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes bis zum 31. Dezember 1973 über die Durchführung des Gesetzes berichten muß. Wenndieser Bericht vorliegt, kann vielleicht auch bereits der Gedanke eingearbeitet werden, den der Bundesfinanzminister geäußert hat.Ich könnte hier noch über den Wohnungsbau sprechen. Im Laufe der Debatte wird das sicher noch geschehen. Ich könnte auch über die Energiepolitik sprechen, auch darüber, wie sich solche Fragen im Haushalt niederschlagen. So weist z. B. der Einzelplan 09 des Bundesministers für Wirtschaft die hohe Steigerungsrate von 31,3 % auf. Hier zeigen sich unter anderem die Auswirkungen des energiepolitischen Konzepts der Bundesregierung.Aber ich will nicht weiter in Einzelheiten der Einzelpläne einsteigen, sondern mich noch mit einigen Schwerpunkten beschäftigen. Ich denke hier in erster Linie an die Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft. Dieses Problem hat schon den Etat 1973 überschattet; wir müssen ihm besondere Bedeutung beimessen. Die Europäische Gemeinschaft erhält seit 1971 die Agrarabschöpfungen sowie einen Anteil an den nationalen Zolleinnahmen, die bis 1975 voll auf die EG übergehen. Nach diesem System überlassen wir 1974 der Europäischen Gemeinschaft 3,4 Milliarden DM. Hinzu kommt, daß wir ab 1975 einen Teil des Bundesanteils an der Umsatzsteuer an die Europäische Gemeinschaft abführen müssen.Trotz hoher eigener Einnahmen deckt die Europäische Gemeinschaft ihren eigenen Haushalt nicht. Dies geschieht vielmehr durch Beiträge der Mitgliedstaaten. Für die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich ein Beitragsanteil von 28,5%. Er macht für das kommende Jahr, d. h. dieses jetzt zu beratende Haushaltsjahr, die Summe von 1,5 Milliarden DM aus.Zusammen mit den vorhin genannten Finanzierungselementen zahlen wir an die Europäische Gemeinschaft im kommenden Jahr also 5 Milliarden DM. Dieser Betrag wird bis 1977 auf 7,6 Milliarden DM steigen. Das bedeutet zweifellos eine erhebliche Belastung des Bundeshaushalts und eine spürbare Beeinträchtigung eigener Finanzierungsmöglichkeiten. Wenn dann wie in diesem Jahr erhebliche Mehrforderungen aus Brüssel auf uns zukommen sollten, muß man auch als Europäer sagen dürfen: Das Maß ist voll.
Wir begrüßen, meine Damen und meine Herren, ausdrücklich den Beschluß ,der Bundesregierung vom 5. September 1973, daß alle Vorlagen der Europa-Kommission die Angabe enthalten müssen, ob im geltenden Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaft Gelder für die vorgeschlagenen Maßnahmen vorhanden sind. Wir wünschen, daß Brüssel mehr Rücksicht auf das Geld anderer Leute nimmt, und wir wünschen mehr Rücksicht auf das Etatrecht der nationalen Parlamente, das nicht durch — ich will es ganz deutlich sagen — Brüsseler Überraschungen ausgehöhlt werden darf.
Wir unterstützen damit den Bundesfinanzminister Helmut Schmidt, wenn er die frühzeitige Abstimmung der finanziellen Auswirkungen einzelner Vorhaben mit den finanziellen Möglichkeiten, die Stärkung der Kontrollfunktion des Parlaments und die Schaffung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3503
Haehserder Prüfungsmöglichkeit durch einen Rechnungshot fordert.In den jetzt geschilderten Zusammenhang gehören natürlich insbesondere auch die Fragen der europäischen Agrarpolitik. Die Bundesregierung müßte ihr Augenmerk in erster Linie auf die Beseitigung der Überproduktion richten.
Wir würden eine Initiative nicht zuletzt im Interesse der deutschen Steuerzahler ausdrücklich begrüßen; denn die Überproduktion in Verbindung mit der unbeschränkten Nachschußpflicht treibt die Agrarausgaben in die Höhe. Man wirft nicht gleich Europa über Bord, wenn man zu erwägen gibt, ob gerade im Zusammenhang mit der Überproduktion eine Art Veranlasserprinzip aufgestellt werden sollte.
Das bisherige System jedenfalls ermuntert geradezu zur Überproduktion. Deswegen darf es bei diesem System nicht bleiben.Bisher ist die Agrarpolitik in Europa sehr isoliert betrieben worden. Wir wünschen ihre bessere Einbettung in den Gesamtbereich europäischer Politik, auch in den Bereich möglicher europäischer Konjunkturpolitik und sektoraler und regionaler Strukturpolitik.Lassen Sie mich, meine Damen und meine Herren, auf den innenpolitischen Teil des Haushalts 1974 zurückkommen. Der Herr Bundesfinanzminister hat die erfreuliche Tatsache erwähnt, daß im Haushaltsjahr 1974 5,5 Milliarden DM für den Fernstraßenbau zur Verfügung stehen. Damit — so der Minister — könnten alle wesentlichen Vorhaben fortgeführt werden, vor allem in ungünstiger strukturierten Gebieten. Das wollen wir gern anerkennen.Eigentlich nicht recht zufrieden sind wir mit der Passage der Haushaltsrede zur Deutschen Bundesbahn. Gewiß, die Neuordnung des stark defizitären Stückgut- und Expreßgutverkehrs muß erfolgen, wie es der Minister gesagt hat. Und die Omnibusverkehre von Bahn und Post sind endlich zusammenzulegen, wie es der Minister gesagt hat.
Auch das Schienennetz der Deutschen Bundesbahn muß konzentriert werden. Schließlich kann man auch zustimmen, die Bahn zu ermuntern, einen vernünftigen Weg zwischen öffentlichen Verkehrsanforderungen und dem Mittelbedarf zu steuern.Aber 'die Bahn ist natürlich mehr als ein Haushaltsrisiko. Die Bundesbahn ist auch nach dem Willen der Bundesregierung und auch nach dem, wasauch nach dem, was der Herr Bundeskanzler selber formuliert hat, ein unverzichtbares Element der Verkehrspolitik im Fern- und im Nahbereich. Wenn ich das, wie es die Regierung gesagt hat, und wie es der Bundeskanzler selber gesagt hat, anerkenne, dann muß ich die Deutsche Bundesbahn in die Lage versetzen, unverzichtbare Investitionen zu finanzieren, ohne die es keine Gesundung des Unternehmens geben kann.
flier ist insbesondere an die Neubaustrecken zu denken, die so nötig sind wie das Amen in der Kirche. Es ist übrigens interessant, daß man nicht zuletzt im Hinblick auf den Fluglotsenstreik eine Renaissance der Liebe zur Eisenbahn wiederentdecken kann, wie man auch — auch das ist interessant — im Hinblick auf eventuelle Versorgungskrisen, die es für die Bundesrepublik Gott sei Dank nicht gibt, sich wieder mehr unserer Kohle zu erinnern beginnt.Wir werden jedenfalls das genannte Thema Deutsche Bundesbahn im Haushaltsausschuß behandeln müssen; denn es ist natürlich nicht zu verkennen, daß die Bundesleistungen für die Bahn, die übrigens zu einem großen Teil auf unbestrittenen gesetzlichen Bestimmungen beruhen, so groß sind, daß man an diesem Thema nicht vorübergehen kann. Aber wir wünschen die Akzente so zu setzen, wie ich das versucht habe.Im Haushaltsausschuß werden wir uns als Arbeitsgruppe der SPD — ich möchte fast sagen: nach bewährter Manier - vorrangig auch mit den Stellenanforderungen im neuen Haushalt befassen. Wir anerkennen, daß die Stellenanforderungen der Ressorts von 4 500 Stellen auf 1 500 Stellen zurückgeschraubt worden sind. Da läßt sich vielleicht noch ein bißchen mehr schrauben. Meine Damen und Herren, ich möchte hier eindeutig sagen: Wenn der Bund seine Mitarbeiter gut oder später auch besser bezahlen will und für eine lange Zeit garantieren will, daß er es kann, dann darf sich die Zahl der Mitarbeiter nicht ständig erhöhen. Ich wiederhole, was ich dazu gesagt habe.
Uns scheint übrigens, daß der Gesichtspunkt, an anderer Stelle Stellen einzusparen, wenn man für bestimmte Gebiete neue Stellen fordert, zu kurz kommt. Hochwertige Stellen neu fordern, wie im vergangenen Jahr geschehen, und gering besoldete Stellen einsparen ist übrigens in unserem Sinne nicht des Rätsels Lösung.
In diesem Zusammenhang gehört auch eine Überlegung über 'die Neuordnung des Dienstrechts. Endlich muß das System überdacht werden, das, freilich vereinfacht, so lautet, daß die Besoldung um so höher ist, je mehr Mitarbeiter man unter sich hat.
Wir wünschen, daß die Besoldung jener Mitarbeiter besonders gut ist, die mit besonders wenigen Mitarbeitern auskommen. Vielleicht kann man das einmal in die Erwägung bringen, meine Damen und meine Herren.
— Jedenfalls genügend, um eine solch schöne Rede halten zu können, Herr Kollege Althammer. Ich habe meine Mitarbeiter aufgefordert, mir eine Übersicht zu verschaffen, wieviel Bundesämter in den letzten Jahren gegründet worden sind, mit welchen Aufgaben, auf Grund welcher Beschlüsse, mit wel-
Metadaten/Kopzeile:
3504 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Haehserchem Mitarbeiterstamm und wo sie ressortieren. Ich möchte, daß wir darüber reden, hier und in den Ausschüssen, daß wir bei der Bewilligung neuer Bundesämter Einsparungen in den betreffenden Ressorts anstellen.
Deswegen wird diese Übersicht, die ich mir habe machen lassen, recht interessant sein.Lassen Sie mich ein Kompliment an die Bundesregierung machen,
weil sie Wünsche 'des Haushaltsausschusses, die sichdas Plenum zu eigen gemacht hat, berücksichtigt hat.
— Das ist erfreulich, natürlich. Die ganze Regierung ist erfreulich, Herr Kollege Wagner.
Wir stellen mit Genugtuung fest, Herr Oppositionsführer, daß eine Bereinigung — Sie sind ja gar nicht der Oppositionsführer; man weiß nie so genau, wer das bei Ihnen ist —
im Verteidigungshaushalt erfolgt ist, indem die dort nicht hingehörenden Versorgungslasten weggenommen worden sind und indem die Devisenausgleichs-ausgaben und die Ausgaben für ,die europäische Verteidigungsstärkung dort hineingekommen sind. Wir leugnen nicht, daß die Berücksichtigung dieses Wunsches auch die Berücksichtigung eines Wunsches der Opposition darstellt.Wir begrüßen — Herr Althammer, Sie haben das Stichwort richtigerweise bereits gegeben — den Abbau der sogenannten Schattenhaushalte.
Diese sogenannten Schattenhaushalte wurden,
wie Sie ja wissen, von CDU/CSU-geführten Regierungen eingeführt, und von einer sozialliberalen Regierung werden sie nunmehr abgeschafft. Das stellen wir mit Genugtuung fest.
Und zwar werden abgeschafft die Seitenfinanzierungen im Bereich des Straßenbaus, des Wasserstraßenbaus und die Finanzierungen nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz. Wir anerkennen ausdrücklich, daß der Bundesfinanzminister hier Anregungen aus dem Parlament aufgegriffen hat. Die Opposition wird in die Freude natürlich auch ein bißchen Bedauern mischen müssen; denn ganze Passagen ihrer bisherigen Reden haben natürlich jetzt keine Grundlage mehr.
Über viele Fragen wird im Laufe der Debatte noch zu sprechen sein. So wird mein Kollege Dr. Möller beispielsweise noch das Thema Bund-Länder-Verhältnis berühren.Ich möchte am Schluß folgendes feststellen. Der Etatentwurf ist ein ausgewogenes Optimum auf dem Wege zur Realisierung des Regierungsprogramms der 7. Legislaturperiode. Der Etat ist ein Etat der Kontinuität. Die Schwerpunkte sind vom Minister vorgestern herausgestellt worden, und ich habe meinerseits auch noch einmal einige Schwerpunkte herausstellen dürfen. Wir leugnen nicht — das hat der Minister nicht getan, das mache auch ich nicht —, daß es auch im neuen Haushaltsplan Risiken gibt. Die hat es immer gegeben, und damit ist man auch immer fertig geworden; besonders gut fertig geworden sind wir mit solchen Risiken, seitdem es eine sozialliberale Regierung gibt.
— Ich danke, daß Sie mir das bestätigen.Der Gesetzgeber kann noch in diesem Jahr mit seiner Beratungsarbeit beginnen. Er hat mehr Zeit zur Beratung, und er wird dennoch früher mit seiner Beratung fertig werden. Das führt dazu, daß der Zeitraum der vorläufigen Haushaltsführung verkürzt wird, und das führt dazu, daß das Etatbewilligungsrecht des Parlaments wieder verstärkt wird, was wir für nötig halten. Denken Sie nur an das Haushaltsgeschehen des Jahres 1972. Der Haushaltsausschuß kann seiner klassischen Funktion wieder nachkommen und ohne besonderen Zeitdruck eine strenge Überprüfung der Haushaltsansätze vornehmen. Dabei werden wir, Herr Bundesfinanzminister, nicht jedem einzelnen Vorschlag von Ihnen oder der Bundesregierung zustimmen können. Aber ich möchte doch sagen, daß wir dem Resümee Ihrer Rede in Würdigung des Etatentwurfs zustimmen und ausdrücklich feststellen: Dieser Etatentwurf 1974 ist ein Entwurf auf dem Wege zur Fortsetzung unserer Stabilitätspolitik und ist ein Etatentwurf zur Fortsetzung einer fortschrittlichen Politik.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kirst.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst ein paar generelle Bemerkungen zur Rede des Hauptsprechers — um das so zu formulieren — der Opposition in dieser Debatte, des Kollegen Dr. Strauß, machen. Ich werde bei passender Gelegenheit meiner Ausführungen noch auf einige Passagen zurückkommen. Man muß wohl leider sagen: Weitgehend war diese Rede heute morgen eine Übertragung von Vilshofen nach Bonn. Anders kann man es leider nicht bezeichnen.
— Das kommt, Herr Wohlrabe.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3505
KirstHerr Kollege Strauß hat hier der Bundesregierung, der Koalition den Vorwurf gemacht, dieses Land in einen Reizzustand versetzt zu haben. Man kann ihm, dem Kollegen Strauß, sicher bescheinigen, daß seine Rede durchaus eine Meisterleistung von Reizwirkung enthielt. Was im übrigen die allerjüngste Vergangenheit anbelangt, so hat er dieses unschöne Wort, das wir alle doch in einer ganz bestimmten Erinnerung haben, von der wir wünschen, daß sie nie wiederkommt, in welcher Form auch immer, dieses unschöne Wort von der Machtergreifung für den ganz normalen Vorgang eines parlamentarischen Regierungswechsels in unserem Land im Jahre 1969 benutzt.
Das zeigt doch nur, wer nicht begriffen hat, was 1969 hier vorgegangen ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Bismarck?
Bitte, Herr Kollege von Bismarck!
Herr Kollege Kirst, wollen Sie vielleicht so freundlich sein, dem Hohen Hause ins Gedächnis zu rufen, wer das Wort „Machtwechsel" damals zuerst gebraucht hat?
Herr von Bismarck, ich habe nicht davon gesprochen, daß Herr Kollege Strauß das Wort „Machtwechsel" gebraucht hat. Ich habe davon gesprochen, daß er das Wort „Machtergreifung" gebraucht hat,
um hier ganz bewußt bestimmte Assoziationen zu wecken. Darum geht es doch. Man muß bei einem solchen Mann eben nicht nur auf jedes Wort, sondern — in diesem Fall — auf jede Silbe achten.
Aber das zeigt doch eben, wer 1969 seine Funktion nicht begriffen hat. Diese Parteien, die diese Regierung gebildet haben, haben das sehr wohl begriffen und danach gehandelt. Aber die Opposition hat eben bis zum 19. November 1972 gebraucht, um diesen Vorgang zu begreifen und sich an ihre neue, staatspolitisch unerhört wichtige Rolle zu gewöhnen. Das muß man einmal ganz deutlich sehen.
Mit sehr großer Emphase hat hier der Kollege Strauß nach meinem Gefühl — ich darf wohl sagen: auch nach Auffassung meiner Freunde in diesem Hause — jedenfalls teilweise eine Schlacht im falschen Saale geschlagen. Es ist sicher das legitime Recht des Parteivorsitzenden der CSU, sich mit der Politik der sozialdemokratischen Partei in diesemLande auseinanderzusetzen, und das ist sicher auch ein Recht, das jeder Vorsitzende einer anderen Partei in diesem Lande hat und bei passender Gelegenheit auch wahrnehmen wird. Nur ist dieses hier insofern nicht die passende Gelegenheit, weil wir uns so, wie die Dinge in diesem Parlament, in dieser Regierung und in diesem Lande liegen, bei der Beratung des Haushalts 1974 dieser Bundesregierung nicht mit der Parteipolitik eines der Koalitionspartner oder auch beider Koalitionspartner zu unterhalten haben, sondern es hier um die zusammengefügte Politik der sozialliberalen Koalition geht.
Um dieses Problem geht es und nicht um die Politik der einen oder anderen Regierungspartei. Das müßte auch die Opposition endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Man kann wohl vermuten, daß dieses Ausweichen auf diese Ihnen so liebe Thematik auch ein Ausweis dafür ist, daß es Ihnen im übrigen an Masse für eine konstruktive Opposition zu den Fragen, die heute zur Debatte stehen, mangelt.
Die FDP begrüßt, daß es in diesem Jahr durch die zeitliche Vorlage des Haushaltes möglich ist, den Haushalt in Ruhe zu beraten. Die Einbringung des Haushalts 1974 — das klang beim Kollegen Haehser auch schon an — ist insofern der abschließende Schritt der Normalisierung nach dem von ihm schon genannten Interregnum, das wir im Jahre 1972 zeitweise gehabt haben. Herr Kollege Strauß mußte natürlich auch diesen Zeitpunkt noch einmal kritisieren. Er hat das schon am 6. September getan und dabei ausweislich einer Veröffentlichung des Pressereferats der Oppositionsfraktion der Regierung fast einen Verstoß gegen Gesetz und Verfassung vorgeworfen. Ich habe mir einmal angesehen, wie das in den Jahren gewesen ist, in denen der „große Meister" aus Bayern selbst Bundesfinanzminister war. Den Haushalt 1968 hat dieses Parlament fast auf den Tag genau zur gleichen Zeit beraten, nämlich vom 24. bis 26. Oktober 1967. Sicher, der Haushalt 1969 wurde eine Woche früher, am 16. Oktober 1968, beraten. Es wäre natürlich möglich gewesen, das auch in diesem Jahr zu tun, wenn wir eine andere Sitzungswocheneinteilung gehabt hätten.Dies ist also auch schon wieder ein Ausweis für eine über das Ziel hinausschießende oder nicht fundierte Kritik. Wir als Freie Demokraten werden uns für eine zügige und gründliche Beratung dieses Haushalts einsetzen. Aber ich meine, wir sollten diese Feststellung des frühen Beratungszeitpunkts zum Anlaß nehmen, festzustellen, daß es natürlich auch hier einen Zielkonflikt gibt. Man kann ihn eigentlich — das zeigen die Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahren mit späteren Verabschiedungen gemacht haben — auf die Faustregel reduzieren, daß ein Haushalt, je früher er am Ende verabschiedet wird, notwendigerweise desto unpräziser und — wenn man so will — desto risikobehafteter ist und daß umgekehrt ein Haushalt, je später er verabschiedet wird, desto genauer, präziser und von Risiken befreiter ist.
Metadaten/Kopzeile:
3506 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Kirst— Herr Althammer, das Leben ist nicht so einfach, wie die Opposition es sich meistens vorstellt, sondern wir haben häufig — —
— Aber Herr Leicht, warum die Aufregung?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte, Herr Althammer!
Herr Kollege Kirst, sind Sie — wenn man diesen Gedanken, den Sie soeben gebracht haben, zu Ende führt — der Meinung, daß es am besten wäre, den Haushalt wie im Jahre 1972 erst zum Jahresende zu verabschieden?
Herr Althammer, wenn Sie zugehört hätten, könnten Sie mir das nicht unterstellen. Aber ist es denn wirklich verboten, auch so etwas einmal zu denken und, was man denkt, auch zu sagen? Denn daß ich recht habe, werden Sie ja nicht bestreiten:
daß die Erfahrungen dies zeigen. Ich habe ja bewußt von einem Zielkonflikt gesprochen. Und wenn es da ein bißchen Logik gibt, heißt doch Zielkonflikt, daß man entscheiden muß zwischen den beiden Zielen. Es kann kein Zweifel sein — ich habe es ja auch deutlich gesagt —, daß auch wir uns für das Ziel einer frühzeitigen Verabschiedung entscheiden, dabei aber das Risiko sehen, das ich dargestellt habe. Um mehr ging es nicht.Dies gilt sicherlich für Einnahmen und Ausgaben gleichermaßen. Die Aufgabe des Parlaments — das ist doch unsere praktische Erfahrung, Herr Kollege Althammer — ist es daher ja nicht nur, die Willensentscheidungen der Exekutive, wie sie sich in den Ansätzen des Haushalts zeigen, zu bestätigen, zu verwerfen oder zu verändern, sondern ebenso, bei gesetzlich festgelegten Ausgaben insbesondere, den Realitätsgehalt der Ansätze im Zeitpunkt der parlamentarischen Beratung zu prüfen, der sich gegenüber dem Zeitpunkt des Beschlusses durch die Regierung geändert haben kann. Jeder Haushaltsplan hat nämlich, wenn man das genau sieht, im Grunde genommen nur den Charakter einer Momentaufnahme, die, bis die Druckerschwärze getrocknet ist — der Prozeß des Druckens des Haushalts dauert ja sehr lange —, in einigen Punkten ihrer Voraussetzungen schon wieder überholt sein kann. Das gilt dann später natürlich auch für den vom Parlament verabschiedeten Haushaltsplan. Es gilt, wie gesagt, vor allem für jene Ausgaben, die gesetzlich und sonst-wie zementiert sind, die nicht unmittelbar — das müssen wir auch einmal sehen — im Haushalt, sondern unmittelbar in der vorausgehenden Gesetzgebung beschlossen, hier also quasi nur vollzogen werden.Meine Damen und Herren, diese Erkenntnisse gelten nicht nur für den Haushalt, sondern sie gelten sozusagen potenziert für die Finanzplanung, und hier steht nicht nur der Haushalt 1974 zur Debatte, sondern auch die Finanzplanung für die Jahre 1973 bis 1977. Wir wissen alle, daß die Finanzplanung sowohl hier im Plenum als später dann auch im Haushaltsausschuß eigentlich ein gewisses Schattendasein bei der Beratung führt — leider. Deshalb gestatten Sie mir heute, weil ich meine, daß die Zeit und die Gelegenheit dazu ausreichen, auch zur Finanzplanung ein paar Worte.Anschließend an diese Charakterisierung des Haushalts und der Finanzplanung ist es eben falsch, aus früheren Finanzplänen — wie das jedenfalls seitens der Opposition und anderer geschieht — das Scheitern von Regierungsplänen oder aus der gegenwärtig vorliegenden Finanzplanung, insbesondere hinsichtlich der Finanzierungssalden, ein Finanzchaos ableiten zu wollen, wie das mit schönster Regelmäßigkeit ja auch in diesem Jahr von seiten der Opposition, insbesondere des Kollegen Strauß, getan wird. Wenn wir uns über diesen Charakter der Finanzplanung immer im klaren gewesen wären, hätten wir uns, und zwar querbeet, sowohl hier im politischen Bereich auf der Bundesebene als sicher auch zwischen den einzelnen Ebenen der Gebietskörperschaften, insbesondere zwischen Ländern und Bund, manches an Auseinandersetzungen ersparen können, wir hätten sie zumindest entdramatisieren können.Nun braucht man vielleicht — lassen Sie mich das in aller Bescheidenheit sagen — die liberale Unbefangenheit gegenüber Planungsdenken, Planungsmöglichkeiten, um die notwendige Relativierung in der Einschätzung auch der Finanzplanung ohne Frustation bewältigen zu können; wir trauen uns das jedenfalls zu, meine Damen und Herren; bei uns sind einmal aufgestellte Zahlen und Daten keine Götzen, die man anbetet oder — umgekehrt -verdammt, sondern sie sind letztlich nichts anderes als Orientierungsdaten für neue Einsichten und neue Beschlüsse. Der Finanzplan ist — in der Debatte wird manchmal so getan — kein Quasi-Haushaltsgesetz für fünf Jahre — als Indiz dafür kann die Tatsache dienen, daß er z. B. nicht beschlossen wird — und sollte von uns auch entsprechend behandelt werden.Der Finanzplan mag auch Zielprojektion sein, er ist aber — ,das beweist wohl auch seine Entstehungsgeschichte — in erster Linie ein Mahnzeichen --- sicherlich ein notwendiges — gerade für die Parlamente, für alle Parlamente, dafür, wohin die Reise gehen kann bzw. geht, wenn man bestimmte Entwicklungen, z. B. auf dem Ausgabensektor, in der Ausgabenpolitik, nicht rechtzeitig unter Kontrolle bringen kann.Gerade weil, wie ich schon sagte, der Finanzplan im Plenum und im Ausschuß in den letzten Jahren eine sehr stiefmütterliche Behandlung erfahren hat, lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zusätzlich dazu machen.Ich würde den Kollegen insbesondere empfehlen, sich einmal in der Drucksache 7/1101 die Text-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3507
Kirstziffern 4 ff. anzusehen, in denen es um die Finanzplanung im öffentlichen Gesamthaushalt geht. Gerade weil unser früherer Kollege Stoltenberg uns heute in anderer Funktion die Ehre seiner Anwesenheit gibt, will ich hier noch einmal besonders die hier angestellten Betrachtungen über die Entwicklung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erwähnen. Es handelt sich in der Textziffer 4 zwar um rückschauende Betrachtungen; diese haben aber den Vorteil, daß sie auf gesichertem Boden stehen, daß sie endgültige Feststellungen sind. Mit den unter Ziffer 4 genannten Zahlen wird uns, so glaube ich, auch zu manchen politischen Auseinandersetzungen ein aufschlußreicher Kommentar geliefert, so z. B. über die Mittelverteilung zwischen Bund und Ländern wie auch über die konjunkturpolitische Bedeutung der Haushaltspolitik. Das Ergebnis ist — es scheint mir notwendig zu sein, dies uns hier ins Bewußtsein zu rufen, meine Damen und Herren; die Zahlen gehen bis 1959 zurück, umfassen also die letzten 14 Jahre — eine ständig sinkende Tendenz des Haushaltsanteils des Bundes an den öffentlichen Gesamthaushalten.Der Bund hatte 1959 einen Anteil am öffentlichen Gesamthaushalt von 48 %, 1962 von 47 %, 1965 von 46,2 %, 1970 von nur noch 44,2 % und 1972 von nur noch 43,2% In diesem Zeitraum von 14 Jahren ist also eine Reduktion von 48 % auf rund 43 % zu verzeichnen; allein in der Zeit von 1965 bis 1972 ist eine Reduktion von rund 46 % auf rund 43% festzustellen.Wenn man sich das einmal etwas plastischer vorstellt und sich nur das Verhältnis der Ausgaben zwischen Bund und Ländern ansieht, dann stellt man fest, daß die Ausgaben des Bundes zu denen der Länder im Jahre 1965 im Verhältnis 3 zu 2 standen, im Jahre 1972 aber nur noch in einem solchen von 4 zu 3. Oder noch deutlicher gesagt: Wenn der Bund im Jahre 1965 1 DM ausgab, gaben die Länder 67 Pf aus; wenn der Bund 1972 1 DM ausgab, gaben die Lander 75 Pf aus. Das sind doch Entwicklungen, die man nicht ignorieren sollte, zumal sie wieder den Hintergrund für andere Auseinandersetzungen bilden müssen; voraussichtlich wird sich diese Entwicklung noch fortsetzen. Welche Gründe diese Entwicklung auch immer gehabt haben mag, was dafür entscheidend gewesen ist: ich meine, daß sie bei der künftigen Betrachtung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern nicht außer acht gelassen werden kann.Dabei soll auch nicht übersehen werden, daß der Bund seine Ausgaben sicherlich günstiger hat finanzieren können. Ich bin damit beim Thema der Verschuldung und damit beim Haushalt 1974 bzw. bei der Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers. Ich glaube i h darf ihm Dank sagen für diese Rede, die ja im großen und ganzen eine nüchterne und realistische Darstellung der Finanzsituation gewesen ist, die diesem Haushalt 1974 zugrunde liegt, in die dieser Haushalt 1974 eingebettet ist. Man konnte in der öffentlichen Meinung den Eindruck gewinnen, daß hier vielleicht mit zu viel — ich darf das als Hamburger sagen — hanseatischer Nüchternheit und Verhaltenheit operiert worden ist. Ich glaube aber, dies war eine Gelassenheit, die dieser Rede zugrunde lag, die den Stil dieser Rede prägte, die aus einer gesicherten Position einer soliden Finanzpolitik heraus geboren ist.Es ist diese solide Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition, der Regierung Brandt-Scheel, die -und das hat uns der Vormittag gezeigt, und ich glaube nicht, daß es morgen mittag eine andere Bilanz gibt — die Opposition nicht wahrhaben will oder -- man muß wohl sagen — nicht wahrhaben kann und darf. Der Kollege Strauß müßte doch eigentlich — um es einmal bildhaft auszudrücken, was er ja auch liebt — an diesem Podium mit einer ganzen Sammlung von Lupen und Vergrößerungsgläsern hantieren, um das Finanzchaos zu suchen, das er uns seit vier Jahren von dieser Stelle aus ständig prophezeit hat und das er nun doch nicht beweisen kann.
Was der Bundesfinanzminister über die Schuldenpolitik 1970 bis 1973 gesagt hat, war für mich persönlich nichts Neues. Ich habe das immer so gesehen. Trotzdem halte ich es für sehr gut und sehr richtig, daß er das natürlich auch mit der Autorität seines Amtes — der Öffentlichkeit noch einmal klar und unwiderleglich als Bilanz der Solidität der Finanzpolitik dargestellt hat. Ich meine, der Begriff „Schuldenpolitik" ist in diesem Zusammenhang fast fehl am Platze. Man könnte eigentlich, wenn man das Ergebnis sieht, dieser Politik das Etikett „Antischuldenpolitik" umhängen.
Dieses Ergebnis und diese Taten der Regierung stehen, wie gesagt, in eklatantem Widerspruch zu den Behauptungen und Worten der Opposition, wie wir sie von dieser Stelle und draußen im Lande noch stärker und in anderer Tonart seit vier Jahren gewohnt sind. Aber dieses Ergebnis -- ich sage das natürlich auch in aller Deutlichkeit — zeigt auch, wo die Reserven unserer Finanzpolitik für die Zukunft liegen. Sie liegen, wenn man diese Bilanz zieht, viel mehr in einer durchaus möglichen stärkeren Verschuldung und nicht in einer Anhebung der Steuerlasten. Ich will hier nicht wiederholen, was ich schon oft genug zur Frage der Finanzierung öffentlicher Aufgaben gesagt habe. Ich habe unsere Präferenzen hier dargestellt. Ich meine, wenn man vom konjunkturpolitischen Bezug abgeht, über dessen Berechtigung man insoweit streiten kann — ich will nicht wiederholen, was ich dazu im Frühjahr gesagt habe —: auch gesellschaftspolitisch wäre gerade nach dieser guten Bilanz eine stärkere Verschuldung sicher der bessere Weg als ein weiteres Anziehen der Steuerschraube.Lassen Sie mich ein paar Worte zur Steuerpolitik sagen. Ich will da gar keine Reminiszenz an gestern hervorrufen, aber wer sich die Entwicklung der Steuerbelastung, der Steuerlastquote ansieht, also die des Anteils aller Steuern von Bund, Lädern und Gemeinden am Bruttosozialprodukt — das ist ja der Maßstab, den wir dafür haben --, der kann eigentlich nicht umhin, festzustellen, daß gerade das Jahr 1975, das wir dazu ausersehen haben, nicht nur wegen des konjunkturpolitischen Aspekts, sondern
Metadaten/Kopzeile:
3508 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Kirstauch aus steuerpolitischen Gründen — eben wegen der Entwicklung der Steuerlastquote — der richtige Zeitpunkt für die vorgesehene steuerliche Entlastung ist.Ich will jetzt nicht darauf eingehen, daß gestern zum Teil mit falschen Etiketten gearbeitet worden ist, was die „Vorschläge für die Arbeitnehmer" anlangt. Manchmal glaube ich, Sie haben Ihren Gesetzentwurf gar nicht genau gekannt, als Sie ihn vertreten haben. Ich wende mich gegen die Etikette gar nicht einmal gegen den Vorschlag; es geht uns nur um den Zeitpunkt; denn wir machen 1975 ja dasselbe —, d. h. dagegen, daß hier immer von Arbeitnehmern gesprochen wurde. Was Sie vorgeschlagen haben, war natürlich eine Lösung für alle. Das geht auch gar nicht anders. Diese Einflechtung bringe ich nur um der intellektuellen Redlichkeit willen.Ich komme auf das zurück, was ich vorher sagte. 1975 ist, wenn man die Entwicklung der Steuerlastquote sieht, der geeignete Zeitpunkt. Wir als Koalition haben 1969 erklärt — der Herr Kollege Möller hat das damals, glaube ich, als Bundesfinanzminister auch persönlich gesagt —, daß wir die Steuerlastquote, wie wir sie übernommen haben, nicht ändern wollten. Und das waren 24%. Nun wissen wir alle, daß wir dieses Versprechen, wenn Sie so wollen, übererfüllt haben, wenn Sie es auf den Zeitraum der 6. Legislaturperiode, nämlich auf die Jahre 1970, 1971 und 1972, beziehen. Das ist keine Erfindung der Regierung oder der Koalition und auch nicht meine9 Erfindung, sondern das sind die harten, unwiderlegbaren Zahlen: die Steuerlastquote ist 1970 auf ungefähr 22,6% gesunken, und 1971 lag sie in etwa der gleichen Größenordnung. 1972 ist sie wieder auf etwas über 23 % gestiegen, und sie wird nach den Vorausberechnungen jetzt, 1974, auf etwa 24,5% steigen. 1975 würde sie, wenn wir dann nicht die Steuerreform in der konzipierten Form machten, auf 24,9 % steigen. Das spricht eben, wie ich schon sagte, dafür, daß das der richtige Zeitpunkt ist. Ich meine, das sollte man einmal so sehen.Ich bedauere ja nicht, daß die Steuerlastquote 1970, 1971 und 1972 diese Entwicklung genommen hat, aber ich würde zu der positiven Bilanz, die der Finanzminister vorgestern hier gezogen hat, nämlich zum Verhältnis der geringen Nettoverschuldung auf der einen und der Ansammlung von Reserven auf der anderen Seite, sagen, dazu gehört eigentlich auch noch die Feststellung, daß durch diese Entwicklung eine nicht ausgenutzte Steuerlastquote zustande gekommen ist, und zwar, wenn man sich das einmal für die Jahre 1970 bis 1972 ausrechnet, in einer Größenordnung von 15 bis 20 Milliarden DM. Auch das muß man sich einmal vor Augen halten, meine Damen und Herren, wenn man hier über die Steuerpolitik spricht.In diesem Zusammenhang muß ich natürlich auch wieder — es bleibt einem ja nicht erspart, manches zu wiederholen, weil hier immer wieder dieselben Themen angesprochen werden — ein paar Worte zur Reformpolitik sagen. Der Haushalt ist ausweislich der Auslassungen insbesondere des Kollegen Strauß ein Beweis einer gescheiterten Reformpolitik.Nun, Herr Strauß tut so, als habe er erfunden — und er hat es vorhin in einer nicht gerade besonders glücklichen Zusammenstellung von Beispielen karikiert —, daß es eben auch Reformen gibt, die kein Geld kosten, wobei ich gar nicht einmal sicher bin, ob die eine Reform, die er da gemeint hat — und die auch hier von uns gar nicht vertreten wird, denn ich persönlich lehne sie ab, um das hier sehr deutlich zu sagen —, nicht eine sehr kostspielige Reform ist. Aber das möchte ich nur ganz privat am Rande bemerken.Wichtig ist doch, daß diese Regierung seit 1970 — und ich nehme allerdings für mich in Anspruch, dies hier als erster gesagt zu haben — diese klare Unterscheidung vorgenommen hat und daß sie eben diese fatale Gleichung von Reformen und Geldausgeben abgelehnt hat. Nicht alles, was Geld kostet, ist Reform, und nicht alles, was Reform ist, kostet Geld. Das muß man immer wieder sehen.
Dieser oppositionelle Luftballon von der gescheiterten Reformpolitik wird nicht länger und besser halten — bis er mit mehr oder weniger lautem Getöse zerplatzt —, als der aus der gleichen Fabrikation mit der Aufschrift „Finanzchaos", über den wir ja eben schon gesprochen haben.Herr Haehser hat schon hinsichtlich des Straßenbaues etwas zu dem Vorwurf des Kollegen Strauß gesagt. Ich meine nur: man kann das hier nicht isoliert sehen. Man muß die Gesamtkonzeption der Verkehrspolitik sehen. Dann kann man sicherlich nicht davon sprechen, daß hier weniger geschieht. Es ist nun mal die erklärte Absicht der Regierung, vielleicht etwas weniger für den Straßenbau, aber um so mehr und in besserer Verteilung für den Verkehr insgesamt, d. h. insbesondere auch für den öffentlichen Nahverkehr, zu tun; das entspricht ja wohl einer gemeinsamen Auffassung.
Nun, ich sage Ihnen in Erwiderung dieses Vorwurfes, daß die Reformmaschine oder -maschinerie der sozialliberalen Koalition — ich weiß das ja — auf vollen Touren läuft. Seien Sie ganz beruhigt! Wenn ich das einmal mit einem Produktionsprozeß vergleichen darf: da gibt es natürlich auch Phasen vom Reißbrett bis zur Endmontage. Auch Sie wissen, daß der Öffentlichkeit im allgemeinen erst das fertige Produkt vorgestellt wird und daß es erst dann sichtbar wird. Aber lassen Sie mich hier für meine Fraktion noch eines hinzufügen. Diese Endprodukte passieren natürlich die Endkontrolle, die es ja in jedem gutgeführten Unternehmen gibt, damit es keine Reklamationen auf dem Markt gibt, nur dann. wenn sie eine deutlich sichtbare liberale Handschrift tragen werden. Soweit sie finanzpolitisch relevant sind, bietet dieser Haushalt die Voraussetzungen dafür, daß sie finanziert werden können.Lassen Sie mich nun noch ein paar Bemerkungen zu der konjunkturpolitischen Aufgabe des Haushalts machen. Ich will nach Möglichkeit hier nicht wiederholen, was ich in früheren Debatten immer dazu ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3509
Kirstsagt habe; aber es sind ja immer wieder die alten Behauptungen und die alten Vorwürfe. Sicherlich wird die Frage der konjunkturpolitischen Qualität des Haushalts auch eine wesentliche Rolle in der Auseinandersetzung hier und heute und in den weiteren Monaten über diesen Haushalt spielen.Zunächst möchte ich doch noch eines zum Kollegen Strauß sagen. Er hat davon gesprochen, daß die Regierung sich geweigert habe, den Begriff Inflation zu verwenden. Ich sage Ihnen ganz offen: ich habe das immer so gehalten. Ich halte das auch heute noch für richtig, nicht weil ich die Dinge nicht sehe, wie sie sind, sondern weil ich meine, daß hier natürlich die Psychologie unserer Bürger eine ganz entscheidende Rolle spielt. Man muß sehen, daß sich für unsere Bürger mit diesem Begriff Inflation Dinge verbinden, die in ihren Endpunkten jedenfalls —durch die Jahre 1923 und 1948 gekennzeichnet sind. Ohne etwas bagatellisieren zu wollen, meine ich, daß das, was wir in den vergangenen Jahren als eine unerfreuliche weltweite Entwicklung zu verzeichnen haben, in keiner Weise mit dem zu vergleichen ist, was wir — ganz speziell in unserem Lande von 1923 und 1948 noch wissen oder überliefert bekommen haben.
Die psychologische Gefahr besteht natürlich darin, daß die Bürger meinen, es stünde wieder so etwas bevor und dann natürlich durch ihr eigenes Verhalten, sei es durch weitere Konsumsteigerung, sei es durch Entsparung oder was immer, die Entwicklung noch verstärken und beschleunigen. Ich muß hier auch fragen: Wo ist eigentlich die Opposition bei all den Maßnahmen, die wir in der vergangenen und in dieser Legislaturperiode getroffen haben, gewesen? Ich will die Stationen im einzelnen nicht wieder anführen. Ich habe einmal unwidersprochen gesagt, die Opposition habe sich in diesem Hause als „stabilitätspolitischer Suppenkasper" betätigt. Ich glaube, das war sie tatsächlich in den vergangenen Jahren. Das gibt einen anderen Hintergrund für die Äußerungen, die heute gemacht werden. Ich will die konjunkturpolitischen Dinge im übrigen nicht vertiefen; das wird heute nachmittag mein Kollege Graf Lambsdorff tun.Ich stimme dem zu, was der Kollege Schmidt über die konjunkturpolitischen Möglichkeiten, die ein Haushalt, gleichgültig, welcher, bietet, gesagt hat, auch wenn ich das vielleicht noch etwas stärker betonen würde. Ich habe darüber im Frühjahr lange Ausführungen gemacht, die ich hier nicht wiederholen will. Ich sage noch einmal: ich teile das, was der Kollege Schmidt über die begrenzten Möglichkeiten der Haushaltspolitik gesagt hat. Ich sehe diese Möglichkeiten vielleicht sogar noch etwas begrenzter, als er es gesagt hat.
Der Kollege Strauß widerspricht sich mit dem, was er dazu gesagt hat, selbst.
Er hat nämlich im Januar, als er über Steuererhöhungen sprach und es ihm ins Konzept paßte, gesagt-- vielleicht geht mir dieser Satz deshalb nie aus der Erinnerung, weil es solche Sätze so selten in seinen Reden gibt —, konjunkturpolitisch sei Nachfrage gleich Nachfrage. Das widerspricht natürlich dem, was er zum Haushalt 1974 gesagt hat. Es gibt, um das noch einmal zu betonen, keine Nachfrage unterschiedlicher moralischer, konjunkturpolitischer Qualität, von wem auch immer sie ausgeht, ob vom Staat, von der Wirtschaft oder vom einzelnen Verbraucher.
Lassen Sie mich, da ich gerade bei den Verbrauchern bin, noch eine Bemerkung zu der Aktion „Gelber Punkt" einflechten, die hier eine Rolle gespielt hat. Dies fällt unter das, was ich eingangs gesagt habe, nämlich daß das heute eigentlich nicht zur Debatte steht. Im übrigen ist dazu von unserer Seite schon etwas gesagt worden, worauf ich verweisen kann. Mir kommt es aber dabei auf folgendes an. Ich will hier gar nichts erklären oder entschuldigen. Ich habe gar keinen Anlaß, etwas zu entschuldigen. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber ich bitte, sich noch einmal im Vergleich dazu das anzusehen, was die Opposition, was bestimmte Kreise der Presse und was bestimmte Kreise der Wirtschaft an Verwirrung über die wahren Zusammenhänge in der Wirtschaftspolitik seit 1969 aufgebaut haben.
Diese Aktion ist sicherlich eine falsch gelaufene, aber erklärliche Reaktion darauf. Ich meine, ich habe in der vergangenen Legislaturperiode häufig genug Anlaß gehabt, gerade die Kollegen von der Opposition zu ermahnen, die marktwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht durch ihr ständiges Rufen nach dem Staat in einer solchen wirtschaftspolitischen Situation zu leugnen. Das muß man alles einmal sehr deutlich sehen; dann wird man es vielleicht etwas nüchterner betrachten können.Interessant ist natürlich, daß der sicherlich bescheidene Anfangserfolg der letzten Monate von der Opposition, wenn ich es richtig sehe, mit keinem Wort gewürdigt worden ist, der Erfolg nämlich, daß die Preissteigerungsrate von 7,9 auf 7,2 und dann auf 6,4 % gesunken ist. Wie hätte dieser Mann wohl getobt, hätte ich beinahe gesagt, wenn die Prophezeihuegen eingetreten wären, die für den Herbst dieses Jahres in dieser Richtung geäußert worden waren!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bismarck?
Bitte, Herr Kollege!
Herr Kirst, wenn Sie jetzt so allgemeine Bemerkungen machen, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen entgangen, daß in Wirklichkeit die Wirkungen, die die Stabilitätspolitik auf die industriellen Preise ausüben wollte, gar nicht eingetreten sind und daß wir nach sieben bis I acht Monaten die Folgen zu tragen haben werden?
Metadaten/Kopzeile:
3510 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Das werden wir abwarten, Herr von Bismarck. Sie wollen natürlich darauf hinaus, daß das saisonal bedingt ist. Ich vermisse allerdings das saisonale Argument, wenn es umgekehrt angebracht wäre. Man kann das nicht immer nur einseitig vorbringen.
Ich komme zurück ich möchte dem Kollegen
Lambsdorff hier nichts vorwegnehmen — auf die Beziehung zwischen Haushalt und Konjunkturpolitik. Hier widerspricht sich der Kollege Strauß nicht nur; er beschreitet in seiner Argumentation auch einen Weg, den ich für sehr bedenklich halte. Er hat laut Ausweis des CDU/CSU-Pressereferats am 6. September gesagt -- ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —
Die Regierung wird immer unglaubwürdiger, wenn sie von anderen Verzichte verlangt, aber selbst nicht bereit ist, fühlbare Einschränkungen hinzunehmen und zu sparen.
Das war der Kommentar des Kollegen Strauß zu dem Beschluß der Bundesregierung über den Haushalt. Ich meine, dieser Satz ist mehrfach falsch. Er will sozusagen manipulieren bzw. suggerieren, der Haushalt -- das gilt jetzt ganz wertfrei für jede Regierung, wer immer sie stellt — sei eine Veranstaltung der Regierung zu ihrem Eigennutz. Darum geht es ja nun wirklich nicht, meine Damen und Herren.
So wird doch das notwendige Staatsverständnis der Bürger für die öffentlichen Dinge aus kleinkarierten parteipolitischen Motiven heraus völlig verbogen und verzerrt. Im Haushalt geht es doch nicht um die Bedürfnisse der Regierung. Natürlich sind im Haushalt auch die Ministergehälter enthalten, aber Sie wissen ja alle, welchen quantitativen Stellenwert sie haben. Im Haushalt geht es, wie gesagt, nicht um die Bedürfnisse der Regierung, sondern darum, die Anforderungen aller Bürger an den Staat zu ordnen und zu befriedigen. Nicht die Ansprüche der Regierung bestimmen den Haushalt, sondern die Bedürfnisse und Ansprüche der Bürger. Das weiß Herr Strauß natürlich genauso.
Aber er will es nicht wahrhaben, sondern möchte uns und vor allem anderen das Gegenteil weismachen.
Eines kommt hinzu. Die Opposition — wahrscheinlich jede Opposition — ist in der Abwehr zusätzlicher Ansprüche nicht immer hilfreich, ich habe schon einmal gesagt: es gibt ja auch suggerierte Bedürfnisse —, und die Opposition ist in der Konstruierung zusätzlicher Bedürfnisse oft erfindungsreich. Das muß man in diesem Zusammenhang sehen. Es schien mir wichtig, dies gerade im Hinblick auf diese Äußerung des Kollegen Strauß im Pressedienst seiner Fraktion anzumerken.
Meine Damen und Herren, auf dieser Basis -- es wird noch weitere Erklärungen seitens meiner Freunde zu den einzelnen Problemen dieses Haushalts geben ist die FDP-Fraktion, wie schon ge-
sagt, bereit, diesen Haushalt zügig, aber auch gründlich zu beraten, weil sie in ihm eine geeignete Grundlage für die Verwirklichung der Politik der sozialliberalen Regierung im nächsten Jahr sieht.
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, Herr Dr. Stoltenberg.Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Finanzen hat in seiner Haushaltsrede wie im Vorjahr einige wichtige Fragen der bundesstaatlichen Finanzpolitik behandelt und dabei kritische Anmerkungen an die Adresse der Länder oder doch zumindest einiger Länder gerichtet. Ich glaube, daß es deshalb gut ist, wenn auch wir uns an dieser Haushaltsdebatte des Bundestages beteiligen.Zweifellos befinden wir uns in einer besonders schwierigen Phase der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrpublik Deutschland, von der die gesamte Innenpolitik weitgehend überschattet wird. Dies macht einen besonders engen Meinungsaustausch aller Verantwortlichen und auch ein möglichst gutes Zusammenwirken im staatlichen Bereich nowendig.
Die Kraft des Preisauftriebs ist nicht gebrochen. Ich würde hier gerade auch auf der Grundlage des jüngsten Gutachtens der wirtschaftswissenschaftlichen Institute die Tendenzen doch etwas skeptischer beurteilen, als es der Herr Bundesfinanzminister getan hat. Bei stark nachlassendem realem Wachstum müssen wir nach diesem Gutachten und anderen Indikatoren mit der Möglichkeit einer ähnlich hohen Inflationsrate wie 1973 rechnen. Zugleich führt die Kombination der anhaltenden Geldentwertung einerseits mit den Folgen der verspätet eingeleiteten Bremsmaßnahmen andererseits schon in diesem Herbst zu ernsten regionalen und sektoralen Einbrüchen in die Beschäftigung und zu wachsenden Sorgen bei Selbständigen und Arbeitnehmern.Die öffentlichen Haushalte, vor allem die der Länder und der Gemeinden, stehen ganz in diesem Spannungsfeld. Sie reichen, wenn man die vorliegenden Entwürfe für 1974 im einzelnen daraufhin untersucht, in vielen Sektoren kaum aus, die Inflationsfolgen auszugleichen und den bisherigen realen Leistungsstand zu halten. Zugleich müssen sich Länder und Kommunen aber mit der gelegentlich auch aus Kreisen der Bundesregierung hörbaren Auffassung auseinandersetzen, ihre Wachstumsraten seien angesichts der stabilitätspolitischen Notwendigkeiten noch zu hoch. Zur gleichen Zeit aber, meine Damen und Herren, werden, wenn auch in einem gegenüber der vergangenen Wahlperiode etwas geminderten Tempo, durch neue Programme und Gesetze der Bundesregierung finanzielle Verpflichtungen geschaffen, die wir auch bei den kritisierten Wachstumsraten nicht mehr voll erfüllen können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3511
Ministerpräsident Dr. StoltenbergDas ist das Dilemma, in dem wir uns in der Tat im Herbst dieses Jahres alle miteinander befinden.
Unter diesen Vorzeichen müssen die Ausführungen des Bundesfinanzministers bewertet werden. Er wirft in seiner Rede den fünf von der Union regierten Bundesländern vor, sie hätten im Finanzplanungsrat der Begrenzung des Augabenwachstums 1974 für die öffentlichen Hände auf 10,9 °/o nicht zugestimmt. Er bekräftigt ferner, wenn auch etwas behutsam, seine an anderer Stelle noch deutlicher ausgesprochene Auffassung, eine volle Verantwortung des Bundes für die Konjunkturpolitik erfordere neue Möglichkeiten des Durchgriffs auf die Haushaltsgestaltung der Länder und der Gemeinden.Meine Damen und Herren, wir sind bereit, alle ernsthaften und erfolgversprechenden Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation zu unterstützen. Das haben wir als Länderregierungen im Bundesrat bei der parlamentarischen Behandlung des Konjunkturprogramms im Frühjahr dieses Jahres für jedermann deutlich sichtbar gemacht. Die Anträge des Bundesrats haben im Vermittlungsausschuß zu einer begrenzten, aber wesentlichen Verbesserung der Regierungsvorlage geführt, vor allem durch die klare Bindung einer späteren Freigabe des Aufkommens aus der sogenannten Stabilitätsabgabe an die Bestimmungen des Stabilitätsgesetzes. Ich glaube, es ist gut, daß auf diese Weise auch in praktischen Maßnahmen und aktuellen Entscheidungen das Stabilitätsgesetz wieder stärker zur Norm geworden ist, als das in letzter Zeit gelegentlich der Fall war.
Rückblickend, meine Damen und Herren, kann ich heute nur bekräftigen, daß die Bundesregierung sicher gut beraten gewesen wäre, wenn sie unseren Argumenten gegen eine Erhöhung der Mineralölsteuer zum Sommer dieses Jahres um 1,6 Milliarden DM gefolgt wäre, eine Maßnahme, die zweifellos die kritische Lage an der Tariffront und in den Betrieben erheblich verschlechtert hat.Wenn der Bundesfinanzminister aber nun neue verfassungsrechtliche Zuständigkeiten des Bundes für die Einwirkung auf die Länder- und die Gemeindehaushalte fordert denn anders ließe sich der von Ihnen verlangte Durchgriff nicht verwirklichen —, dann muß er sich fragen lassen, oh er die vorhandenen Möglichkeiten, ja, die gesetzlichen Bestimmungen voll beachtet und ausgeschöpft hat.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Ich wäre an sich dankbar, wenn ich diesen Gedankengang noch ein Stück weiterführen könnte und wir vielleicht später darauf zurückkommen könnten.Dies nämlich wird von seinen Kollegen, den Finanzministern aller Länder, mit überzeugenden Argumenten verneint. In dem Kommuniqué derheute schon zitierten Sitzung des Finanzplanungsrats vom 27. Juni kommt klar zum Ausdruck, daß die in § 51 des Haushaltsgrundsätzegesetzes verbindlich vorgeschriebenen Grundannahmen für die konkrete Bewertung der Ausgabenblöcke und damit des Wachstums nicht vorgelegt wurden.
Die Begründung der Vorschläge des Bundesfinanzministers erfolgte in dieser Sitzung mündlich bzw. an Hand einiger Tischvorlagen, die nicht den Erfordernissen der genannten Bestimmung entsprachen.Ich kann das hier ohne Bedenken sagen, weil die drei Vorsitzenden der Konferenz der Länderfinanzminister, die Herren Wertz, Dr. Huber und Rau, also verantortliche Politiker aller in diesem Hause vertretenen Fraktionen, in einer gemeinsamen Erklärung im „Handelsblatt" am 20. September 1973 dazu die notwendigen Feststellungen getroffen haben. Ich darf das mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Sie schreiben dort einvernehmlich:Sollte allerdings die in den letzten Jahren deutlicher gewordene Neigung des Bundesfinanzministers bestehen bleiben, den Finanzplanungsrat eher den eigenen Interessen unterzuordnen als die Gesamtbelange der Mitglieder ausreichend zu berücksichtigen, kann er nicht die Ineffizienz dieses Gremiums beklagen und deshalb eine Änderung des Artikels 109 Abs. 1 Grundgesetz zur Diskussion stellen.
Die Arbeit des Finanzplanungsrates
so heißt es in dieser Erklärung der drei Minister weiter —hat im wesentlichen darunter gelitten, daß der geschäftsführende Bundesfinanzminister bei der Termingestaltung, Vorbereitung und Durchführung der jeweiligen Sitzungen seine eigenen Anliegen in den Vordergrund stellte und damit eine Abstimmung der Interessen aller Beteiligten erschwerte. Besonders nachteilig hat sich dabei erwiesen, daß infolgedessen die rechtzeitige Verabschiedung von Grundannahmen für Bund, Länder und Gemeinden unterblieb, obwohl bei der Größenordnung der Haushaltsvolumina der Länder und Gemeinden dies dringend geboten gewesen wäre.
Metadaten/Kopzeile:
3512 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3513
Metadaten/Kopzeile:
3514 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
innerhalb der Bundesregierung behandelt und dem Bundestag zugeleitet? Weshalb legt die Bundesregierung, falls sie ihn nicht für richtig hält, nicht endlich ihre eigenen Überlegungen zur Verfeinerung des stabilitätspolitischen Instrumentariums dar?
Meine Damen und Herren, es bleibt die begrüßenswerte, aber doch sehr allgemeine Aussage in der Etatrede, der Bundesfinanzminister sei zu einer Berücksichtigung regionaler Erfordernisse im Haushaltsvollzug bereit. Was das konkret bedeutet, muß im einzelnen in den Planungsausschüssen behandelt werden.Wie ich glaube, zeichnet sich für die Bundesregierung auf Grund des hohen Inflationssockels jetzt ein äußerst schwerer Zielkonflikt ab: Fortsetzung der Restriktionspolitik mit den jetzigen Mitteln unter Inkaufnahme starker Einbrüche in die Beschäftigung oder schnelleres Umschalten auf Wirtschaftsbelebung, bevor ein Stabilitätserfolg erreicht ist.Meine Damen und Herren, niemand kann ausschließen auch das gehört zur Realität dieser Tage —, daß eine weitere Zuspitzung der Lage an der Tariffront die Voraussetzungen für diese Entscheidung noch weiter verschlechtert. Deshalb haben wir als Bundesländer der Union den Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag unterstützt, zu einer Erweiterung und Ergänzung der eingeleiteten Maßnahmen zu kommen, nicht allein durch Steuersenkungen, sondern durch ihre Kombination mit verstärkten Möglichkeiten der Vermögensbildung, mit der Vorlage von Orientierungsdaten und ihrem aktiven Vertreten.
Diese Vorschläge sind abgelehnt. Nur glaube ich, daß es die Koalition und die Bundesregierung nicht bei der Ablehnung bewenden lassen kann; sie muß sich klar dazu äußern, was sie selbst jetzt angesichts einer verschlechterten Lage zusätzlich tun will. Sie muß ihre eigenen Konzeptionen darlegen.Meine Damen und Herren, Länder und Gemeinden werden auch weiterhin in einer vielleicht schwierigeren Zeit ihren Beitrag leisten. Aber wir halten es nicht für richtig, daß es zu einer Verwischung der Verantwortung kommt. Die Bundesregierung muß ihre vollen Zuständigkeiten rechtlich und politisch in der Stabilitätspolitik wahrnehmen, die sie in günstigeren Situationen stets für sich beansprucht hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3515
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen, Herr Schmidt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An und für sich steht Herr Kollege Friderichs auf der Rednerliste, der mich liebenswürdigerweise vorgelassen hat. Ich will deswegen aber auch nicht zu der allgemeinen Debatte sprechen, auch nicht zu den Ergänzungen, die Herr Stoltenberg als zusätzlicher Oppositionsredner soeben zur allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik gemacht hat,
sondern möchte mich im Augenblick auf das beschränken, was den Ausführungen, die Herr Stoltenberg
— Ich verstehe gar nicht, daß Sie ihn von sich weisen; er hat doch offenbar in Ihrem Sinne gesprochen, meine Damen und Herren.
Herr Bundesminister, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß auf Grund der Geschäftsordnung jedes Mitglied des Bundesrates zu jeder Zeit hier gehört werden muß.
Schmidt, Bundesminister 'der Finanzen: Herr Präsident, ich bitte, mir zu unterstellen, daß ich die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Grundgesetzes wohl beherrsche.
Darf ich fragen, ob die CDU/CSU im Ernst zurückweist, was ich gesagt habe: daß der Ministerpräsident Stolteberg als Sprecher oppositioneller Auffassungen hier aufgetreten ist.
Außerdem hat er als Ministerpräsident seines Landes gesprochen und in Anspruch genommen, gleichzeitig für den ganzen Bundesrat zu sprechen; und nur auf diesen letzteren Teil seiner Bemerkungen gehe ich im Augenblick ein. Er hat in Wirklichkeitsicherlich nicht für den ganzen Bundesrat gesprochen; er hat das hinterher auch eingeschränkt
und nur Herrn Filbinger zitiert. Deswegen ist es auch wünschenswert, deswegen ist es auch notwendig, sich über die begrenzte Tragfähigkeit der Ausführungen des Herrn Stoltenberg im klaren zu sein.
Der erste Vorwurf, den er hinsichtlich des finanzwirtschaftlichen Verhältnisses zwischen Bund und Ländern erhob, war der: Die Bundesregierung — in dem Zusammenhang hat er nicht mich, sondern andere gemeint -- setze laufend neue Programme in Gang, zu denen, wie er sagte, die Länder ihren Beitrag nicht leisten könnten. Da wir diese Klage heute nicht zum ersten Male, sondern schon viele Male gehört haben, haben wir, Herr Ministerpräsident Stoltenberg, vorgesehen, im Haushalt für das Jahr 1974 hinsichtlich der drei Gemeinschaftsaufgaben, in denen eine wesentliche Mitleistungspflicht der Länder gegeben. ist, Ihrer bewegten Klage Rechnung zu tragen. Ihre heutige Klage in der Antwort schon vorwegnehmend,
kann ich sagen, daß nicht nur eine erhebliche Einschränkung unserer, sondern auch Ihrer finanziellen Pflichten vorgesehen ist.Übrigens haben Sie hier gleichzeitig auch die Antwort auf Ihre am Schluß Ihrer Ausführungen vorkommende Bemerkung, es sei im Haushaltsentwurf 1974 für einen möglicherweise unerfreulichen Konjunkturverlauf nicht genug Vorsorge getroffen: hier haben Sie eine der entscheidenden Vorsorgen, die getroffen worden sind. Ich habe gestern in der Haushaltsrede ausgeführt, daß wir diese Sperren natürlich ganz oder teilweise aufheben könnten, wenn es notwendig würde. Die zweite Vorsorge wollen Sie bitte in der 1,5 Milliarden DM betragenden globalen Minderausgabe des Bundes erkennen. Auch hier ist selbstverständlich eine Lockerung der restriktiven Haushaltsführung, wenn die konjunkturelle Lage dies angezeigt sein lassen sollte, ohne jede Schwierigkeit möglich, übrigens ohne Mitwirkung des Bundesrats.
Sie haben dann die Haltung des Bundesrats bei der Verabschiedung des Stabilitätsprogramms gelobt und gemeint, dadurch seien nun wirklich die Konjunkturausgleichsrücklagen an das Stabilitätsgesetz gebunden worden. Ich will darum weder etwas abstreichen noch etwas hinzufügen. Nur möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die Bundeskasse über jene Vorschriften hinaus — jedenfalls in diesem Jahr — schon viele Hundert Millionen DM weiterer Rücklagen gebildet hat. Zunächst war ein einziges Land diesem stabilitätspolitisch guten Beispiel gefolgt, nämlich Hamburg. In der letzten De-
Metadaten/Kopzeile:
3516 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Schmidtbatte dieses Hauses hat Herr Gaddum angekündigt, daß Rheinland-Pfalz ein Ähnliches tun wolle; ich glaube, es ist inzwischen auch geschehen. Das Land Schleswig-Holstein und andere haben sich daran bisher nicht beteiligt. Deshalb meine ich, daß die Legitimation des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten etwas geringer ist als die anderer, über dieses Thema hier zu sprechen.
Gestatten Sie, Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde im Laufe der Debatte noch mehrfach das Wort nehmen; dann gerne. Im Augenblick möchte ich die Zeit von Herrn Friderichs nicht über Gebühr verkürzen.
Im übrigen hat es erneut den Vorwurf gegeben, als habe die Bundesregierung eine neue verfassungsrechtliche Kompetenz gegenüber der Finanzwirtschaft der Länder verlangt. Dies ist nicht der Fall. Diese Frage ist vielmehr bei der letzten Lesung des Haushalts 1973 hier im Bundestag durch die CDU/CSU, durch einen ihrer maßgeblichen Sprecher, aufgeworfen worden. Ich habe dann darauf hingewiesen, daß das eine Änderung des Art. 109 des Grundgesetzes verlangen würde. So hat die Debatte angefangen; wir haben das dann später etwas näher ausgeführt. Ich bitte, sich über die Ursprünge dieser Debatte und über denjenigen, der sie vom Zaun gebrochen hat, in den Protokollen des Deutschen Bundestages zu unterrichten, Herr Stoltenberg.
Nun haben Sie gesagt, wir hätten die vorhandenen Rechte nicht ausgeschöpft, und haben auf § 51 des Haushaltsgrundsätzegesetzes abgehoben. Wir hätten Ihnen danach die Grundannahmen, die notwendig wären, nicht vorgetragen. Dies ist nun nicht wahr. Die Unterlagen für ein abgestimmtes Verhalten von Bund, Ländern und Gemeinden sind den Mitgliedern des Finanzplanungsrates am 27. Juni 1973 in Form von volkswirtschaftlichen Grunddaten des Bundesministeriums für Wirtschaft zur Verfügung gestellt worden. Sie sind außerdem mündlich vorgetragen worden. Daß Sie sich heute im Oktober darüber beklagen, Sie hätten diese Grundlagen nicht bekommen, ist nicht korrekt.
Dann haben Sie gemeint, der Finanzplanungsrat wäre mit solchen Grundlagen durchaus in der Lage, die notwendigen Beschlüsse zu fassen. Ich darf u. a. darauf hinweisen, daß fünf Länder und alle Vertreter der Gemeinden sich schon damals in der Lage fühlten. Ihr Land zusammen mit vier anderen fühlte sich nicht in der Lage. Es ist nicht richtig, wenn Sie sich hier zum Sprecher aller Länder machen.
Dann haben Sie die Verantwortung der Bundesregierung für die Gesamtfinanzwirtschaft betont. Sie sollten doch aber nicht vergessen machen, was Sie an anderer Stelle verlangt und besprochen haben. Sie reden in Kiel anders als in Bonn; und im Ausschuß der Ministerpräsidenten und in der Ministerpräsidentenkonferenz reden Sie wieder anders. Dort verlangen Sie mit Nachdruck eine Erhöhung der Finanzmasse der Länder. Ich will nicht speziell auf Ihr Land zurückgreifen, aber einige Länder haben in ihren Haushaltsplänen sogar Einnahmen eingesetzt, die sie mit Gewißheit vom Bund nicht erhalten werden. Eins von beiden kann doch nur richtig sein.
Weiter haben Sie persönlich verlangt, die Länder sollten aus der Mitleistungspflicht entlassen werden. Wie soll von gesamtfinanzwirtschaftlicher Verantwortung des Bundes die Rede sein, wenn Sie aus Ihren Pflichten entlassen werden wollen? Es fehlt die innere Kohärenz Ihrer Darlegungen an drei verschiedenen Orten, Herr Kollege Stoltenberg!
Sie haben dann von der Mineralölsteuer gesprochen. Wir sind ja noch in Verhandlungen — Sie sind daran beteiligt — über die Erhöhung des Mehrwertsteueranteils der Länder. Es sieht so aus, als ob die Länder jedenfalls für das erste Jahr statt bisher 35 vielmehr 37 Prozentpunkte erhalten werden und statt 1,2 in Zukunft 1,5 Prozentpunkte extra für die finanzschwachen Länder, zu denen auch Schleswig-Holstein gehört. Dies ist nun allerdings eine Sache, die der Bund sicher nicht aus dem Mageren schneiden kann. Ihre Bemerkungen über die Erhöhung der Mineralölsteuer waren richtig bis auf das ironische Fragezeichen am Schluß. Wir haben ja auch keine Maschine, die Geld drucken kann. Das Geld, das wir ihnen geben, müssen wir vorher irgendwo einnehmen. Sie wissen auch, daß wir bereit sind, über das Jahr 1974 hinaus im Jahre 1975 den Ländern noch stärker entgegenzukommen. Wir können das Geld aber nicht drucken.
Ihre Bemerkungen über die Besoldungserhöhungen im öffentlichen Dienst im nächsten Jahre habe ich für höchst bedenklich gehalten. Ich will darauf nicht antworten. Im übrigen haben Sie dabei falsche Zahlen verwendet, was das Weihnachtsgeld angeht. Sie wollen bitte beim Bund mitzählen, daß wir das Weihnachtsgeld für die Bundesbahn und für Berlin auch bezahlen müssen.
Ihre Bemerkung zum Bildungsgesamtplan habe ich auch nicht ganz verstanden. Sie haben genau wie die übrigen Ministerpräsidenten dem Bildungsgesamtplan zugestimmt. Die darin enthaltene Zahl von 56,3 Milliarden DM ist ja wohl von Ihrer Zustimmung nicht ausgenommen gewesen.
Wenn Sie am Schluß gemeint haben, dem Bund die Außerkraftsetzung gesetzlicher Leistungsverpflichtungen antragen zu sollen, so liegt dafür überhaupt kein Anlaß vor. Ich weiß aus verschiedenen Gremien, daß es Ihre Lieblingsrede ist, die Bundesregierung zu einem Haushaltssicherungsgesetz zu bewegen. Unser Haushalt, der Haushalt des Bundes, Herr Kollege Stoltenberg, ist völlig in Ordnung und völlig solide. Ob das auch von allen übrigen öffentlichen Haushalten in der Bundesrepublik so gesagt werden kann, muß ich offenlassen.
Das Wort hat Herr Ministerpräsident Dr. Stoltenberg.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3517
Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident ,des Landes Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat hier in einer Bewertung meiner Rede gesagt, er habe die innere Kohärenz der Darlegungen vermißt. Ich bin wahrscheinlich nicht der einzige, der ihm antworten muß: ich habe jede innere Kohärenz des Versuchs einer Antwort auf meine Argumente vermißt.
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, in einigem sind Sie sachlich nicht informiert. Ich weiß zu: fällig, daß Sie während der Beratungen über den Bildungsgesamtplan im Kreis der Regierungschefs eine internationale Konferenz wahrnehmen mußten. Aber vielleicht hätten Ihre Mitarbeiter Sie informieren können,
daß wir einvernehmlich nur den Bildungsteil und nicht den finanzpolitischen Teil verabschiedet haben, Ministerpräsidenten und Bundeskanzler.
Sie solten doch, wenn Sie — vielleicht aus ganz verständlichen Gründen bei der Fülle Ihrer Verpflichtungen — dies nicht wissen, nicht in der Art versuchen, mich zurechtzuweisen, wie Sie es eben an diesem und anderen Punkten getan haben.
Ich möchte auch Ihre Bewertung zurückweisen, Herr Bundesfinanzminister, daß ich hier — wie Sie das so in Ihrer Art, die ja in der deutschen Politik bekannt ist, formulieren — als zusätzlicher Oppositionssprecher geredet hätte
oder daß ich etwa in Anspruch genommen hätte, für den ganzen Bundesrat zu sprechen. Ich habe in jedem Passus meiner Rede sorgfältig deutlich gemacht, wo ich an Hand von Zitaten und Beschlüssen in der Lage bin, einvernehmliche Auffassungen der Länder zu vertreten, wo ich in der Lage bin, für meine politischen Freunde, die Ministerpräsidenten der Union, zu sprechen, und wo ich besondere Auffassungen des Landes Schleswig-Holstein vertrete. Eine erneute Lektüre dieser Rede in einer hoffentlich ruhigeren Stunde wird Ihnen zeigen, daß dies mit großer Akribie geschehen ist.
Jedermann wird dies, glaube ich, kontrollieren können. Insofern brauchen wir auch über „die begrenzte Tragfähigkeit" der Ausführungen nicht weiter zu sprechen. Ich will die Repliken hier nicht fortsetzen.Aber eines hat mich etwas gestört am sachlichen Teil Ihrer Ausführungen: die vollkommen neue Begründung, Herr Kollege Schmidt, die Sie der vorgesehenen Streckung der Gemeinschaftsaufgaben gegeben haben. Bisher hat die Bundesregierung öffentlich und auch in den Planungsausschüssen gesagt, diese sehr unangenehme und problematische Maßnahme sei im Interesse der Stabilitätspolitik erforderlich.
— Das ist der bisher genannte Grund, Herr Kollege Haehser, und das ist ein Gesichtspunkt, den wir natürlich ernst nehmen müssen, auch wenn wir Sorge haben über die Wirkungen einzelner Kürzungsmaßnahmen. Darüber wird in den Planungsausschüssen diskutiert. Daß Sie hier aber in der eben gehörten Art erklären, damit wolle man einmal den Klagen des Herrn Stoltenberg und der Länder über die Folgen der neuen finanzwirksamen Gesetze und Programme entsprechen, das kann uns nur mit größter Beunruhigung erfüllen, uns und viele andere. Denn, Herr Kollege Schmidt, bisher sprechen Sie ja von einer Streckung, d. h., das, was jetzt nicht gezahlt wird, soll ja in einer ausgeglicheneren konjunkturellen Situation nachgeholt werden, und das paßt nun überhaupt nicht mehr zu dem, was Sie hier als neue Begründung gegeben haben.
Also hier ist eine intensive Klärung der Vorstellungen der Bundesregierung dringend geboten, auch für weitere Verhandlungen mit den Ländern. Ich kann hier, glaube ich, wirklich sagen: Wahrscheinlich wird das alle elf Länder sehr interessieren.Zur Sache mit der freiwilligen Rücklagenbildung: Herr Finanzminister, wir müßten hier natürlich die Erörterungen aufnehmen — ich werde das aus Zeitgründen nicht tun —, die wir an anderer Stelle über Verschuldung und Rücklagen führen. Ich habe hier überhaupt nichts dazu gesagt. Ich habe das Thema der Rücklagenbildung nicht behandelt. Deswegen brauchten Sie hier nicht zu sagen, ich hätte keine Kompetenz, mich dazu zu äußern. Das ist also schon ganz unverständlich. Aber es geht um etwas anderes. Die Tatsache, daß Sie bei der Entwicklung der Bundeskasse — der Einnahmen — leichter in der Lage sind, Rücklagen zu bilden als insbesondere die finanzschwachen Länder, ist ja ganz unbestritten. Das ist aber ein sehr entscheidendes Argument für uns in der Verschuldungsdiskussion und in der Steuerneuverteilungsdiskussion. Ich glaube deshalb nicht, daß es gut ist, wenn Sie diese Frage so behandeln wie hier. Ich füge aber hinzu, da Sie mich als Ministerpräsident Schleswig-Holsteins angesprochen haben: Unsere gesetzlichen Verpflichtungen, die verbindlichen Absprachen mit dem Bund haben wir auf diesem Gebiet erfüllt. Wir und die große Mehrzahl der Länder sahen uns allerdings nicht in der Lage, zusätzliche freiwillige Leistungen zu erbringen, wie es der Bund und das Land Hamburg, unter Umständen jetzt auch das Land Rheinland-Pfalz, getan haben.Zur Vorlage der Grundannahmen darf ich in aller Kürze folgendes sagen. Sie haben gesagt: am 27. Juni. Ja, das war ja die Tischvorlage, von der vorhin die Rede war, auch in dem Zitat der drei Finanzminister. Hier muß eben bezweifelt werden, ob derartige fundamentale Entscheidungen wie die Bemessung von Wachstumsraten in einer so kritischen Wirtschaftssituation für die öffentlichen Hände in einer Sitzung an Hand von Tischvorlagen und mündlichen Auskünften getroffen werden können, von denen mehrere Teilnehmer meinen, dies sei auch noch nicht vollständig gewesen. Genau das
Metadaten/Kopzeile:
3518 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Ministerpräsident Dr. Stoltenberghaben Sie mit der Nennung des Datums hier noch einmal ausdrücklich bestätigt.
Ich hatte ja, sehr geehrter Herr Schmidt, den Eindruck, daß Ihre Verstimmung über meine Rede, die in Ihrer Replik so sichtbar wurde, eigentlich begann, als ich die drei Finanzminister zitiert habe. Daß das aus dem Munde Ihrer eigenen Partei- und Koalitionsfreunde für Sie kein angenehmes Zitat war, ist klar; nur gehört das zur politischen Debatte,
weil es die Grundsatzfragen der Zusammenarbeit im Bundesstaat berührt. Vielleicht sind Äußerungen wie die der drei Finanzminister und auch der heutige Disput, die heutige Form des Meinungsaustauschs, für sie Veranlassung, darüber noch einmal etwas nachzudenken.
Lassen Sie mich zum Schluß noch die Mineralölsteuererhöhung ansprechen. Ich gebe Ihnen zu, daß auch wir uns hier in einer nicht einfachen Diskussionslage befinden, und ich will deshalb in der Verdeutlichung meiner Position einen Schritt weitergehen. Es ist richtig, daß wir die Mineralölsteuererhöhung aus guten konjunkturpolitischen Gründen, die durch die weitere Entwicklung bestätigt worden sind, zum 1. Juli abgelehnt haben, und es ist von Ihnen auch richtig gesagt worden, daß diese Erhöhung in der Frage der Steuerneuverteilung eine erhebliche Rolle spielt.Ich will Ihnen offen meine Meinung sagen. In der Abwägung der Gesichtspunkte, was im Interesse der Stabilität gefährlicher ist, hätte ich mich statt für eine Steuererhöhung für eine begrenzte Steigerung der Kreditaufnahme als das kleinere Übel entschieden.
— Ja, ich sage das ganz offen und sage ausdrücklich, Herr Kirst: als das kleinere Übel. Ich will hier keine Antwort auf eine berechtigt gestellte Frage verweigern. — Ich meine das, weil ja die massiven Steuererhöhungen, die Sie beschlossen haben, und die inflationsbedingt steigenden Steuerlasten eben jene schwerwiegenden, vielleicht für die künftige Stabilitätspolitik sogar verhängnisvollen Folgen in den Betrieben und an der Lohnfront haben, die wir bis in die Meldungen dieser Tage spüren.
Das ist der Grund für diese Abwägung der Gesichtspunkte. Ich gebe zu, daß man hier im Für und Wider eine weitere Debatte führen kann, aber ich wollte diese Antwort nicht verweigern.Ich hoffe, daß der Herr Bundesfinanzminister geneigt ist, die Art, in der ich hier zu sprechen versucht habe, doch als einen sachbezogenen, der gemeinsamen Verantwortung dienlichen Beitrag starker zu bewerten, als das in seiner ersten Replik der Fall war.
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Schmidt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt immer noch übrig, einiges zurechtzurücken, was auch in der zweiten Intervention von Herrn Stoltenberg noch nicht den Tatsachen entsprechend dargestellt worden ist.
Zunächst zu der Bemerkung, 'der Bund habe es leichter als die Länder, konjunkturell gegenzusteuern. Herr Kollege, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß der Bund im Jahre 1973 unter unerhörten Anstrengungen dieses Hauses und der einzelnen Ressorts, unter Inkaufnahme schwerster Opfer seine Ausgaben so begrenzt hat, daß sie am Schluß des Jahres deutlich unter einer Zuwachsrate von 10 % liegen werden; im Augenblick, nachdem bereits neun Monate des Jahres abgelaufen sind, liegen sie sogar noch ganz weit darunter.
Ich sage Ihnen frank und frei: Dieselben Anstrengungen sind weder in Kiel noch anderswo in den Ländern auch nur versucht worden.
Die Zuwachsquote der Länderausgaben in diesem Jahr beträgt im gewogenen Durchschnitt voraussichtlich über 15 %.
Von einem Stabilisierungsbeitrag kann hier von Ihnen schlecht geredet werden.
Was Sie hier sagen, ist einfach überzogen. Ich weiß, daß die Länder in der günstigen Position sind, den Bund mit ihrer Forderung nach größeren Mehrwertsteueranteilen nötigen zu können. Das ist mir durchaus bewußt, und ich habe das ja auch schon erfahren; ich habe das ja schon erlebt, weil dieses Bundesgesetz ohne Zustimmung des Bundesrates eben nicht zustande kommen kann und weil es zum 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft treten muß. Aber die Beweisführung, daß Ausgabenzuwächse von durchschnittlich 15 5 in den Ländern unausweichlich waren und daß Ausgabenzuwächse von 9,6 oder — umgerechnet — 9,9 % des Bundes zu hoch gewesen seien, die müssen wir dann erst noch einmal hören.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich bitte, im Augenblick auf Zwischenfragen zu verzichten. Ich bin ja in der Debatte noch mehrfach dran und kann dann herangenommen werden, wenn Sie es gern haben möchten.Nun möchte ich zu dem Punkt mit den Gemeinschaftsaufgaben kommen. Natürlich ist die Streckung der Gemeinschaftsaufgaben 1973 unid 1974 stabilisierungspolitisch motiviert. Daran kann doch nicht ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3519
Bundesminister Schmidtzweifelt werden, Herr Stoltenberg. Nur habe ich mir erlaubt, vorgestern — nicht zum ersten Male — und heute wieder auszuführen, daß der Einspruch von Länderseite dagegen wohl nicht ernst genommen werden kann, weil z. B. Sie und auch der Kollege Gaddum sich öffentlich und erst recht in geschlossenen Verhandlungen über die zu hohen Lasten der Mitleistungspflichten der Länder beklagt haben. Ihrer Haushaltswirtschaft kommt diese Regelung entgegen.Eine letzte Bemerkung. Sie haben auch über die Ergänzungszuweisungen zugunsten der finanzschwachen Länder, deren Verbuchung im Bundeshaushalt und dergleichen gesprochen. Ich will ganz deutlich sagen, daß ich kein Interesse daran haben kann, Ihren Hoffnungen zu folgen und den Bundeshaushalt auf der Aufgabenseite künstlich mit Beträgen aufzublähen, die in Wirklichkeit nach Schleswig-Holstein gehen und die von Schleswig-Holstein tatsächlich ausgegeben werden, damit Sie hinterher sagen können: Der Bundeshaushalt ist zu groß.
Ich halte es für ein groteskes Ergebnis der tradierten öffentlichen Finanzordnung, daß der Bundeshaushalt Milliardenbeträge als Ausgabe ausweist, die in Wirklichkeit von Ländern und Gemeinden ausgegeben werden. Ich kann das nicht aus dem Handgelenk heraus ändern, Herr Kollege. Aber die Bundesregierung wird, wenn sie dem Parlament vorschlägt, ein Zugeständnis zugunsten der Länder zu machen und die Ergänzungszuweisungen zugunsten der finanzschwachen Länder zu erhöhen, auf keinen Fall damit einverstanden sein, sich dies als Erhöhung der Ausgaben des Bundes anschreiben zu lassen.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich in Erinnerung rufen, daß durchgetagt und um 13.30 Uhr die Fragestunde aufgerufen wird. Es ist also keine Mittagspause vorgesehen.
Das Wort hat nunmehr der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich möchte kurz auf die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein eingehen, soweit sie sich auf die Länder bezogen. Sie haben, Herr Ministerpräsident, die Frage der Gemeinschaftsaufgaben angeschnitten. Selbstverständlich ist meiner Aufmerksamkeit auch das nicht entgangen, was Sie nicht hier gesagt haben, was man aber in Schleswig-Holstein in den Lokalzeitungen lesen kann.Erstens. Es ist unbestritten, Herr Ministerpräsident, daß der Planungsausschuß den Rahmenplan in seiner Gesamtdurchführung nicht geändert hat. Es sollte daher auch nicht möglich sein, öffentlich immer wieder den Eindruck zu erwecken, als ob hier Verpflichtungen, die der Bund eingegangen sei, nicht eingelöst würden.Zweitens. Die Streckung der Mittel für meine Gemeinschaftsaufgabe 1973 ist im Planungsausschuß einstimmig, d. h. mit den Stimmen Ihres Landes beschlossen worden. Auch dies sollte die Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen.Die Frage, ob wir die konjunkturpolitisch motivierte Streckung auch 1974 so oder anders beschließen, sollten wir heute nicht erörtern, da der Planungsausschuß ein vom Gesetz vorgeschriebenes Gremium ist, das am 6. November tagen wird. Dieser Debatte wollen wir in Ruhe entgegensehen. Sie ist hervorragend terminiert; denn einen Tag zuvor, am 5. November, tagt der Finanzplanungsrat, und dann werden wir ja sehen, ob die Beschlüsse beider Gremien in ihrer politischen Ausrichtung deckungsgleich sein werden oder nicht.Eines kann man nicht tun, nämlich der Regierung vorwerfen, sie habe die Konjunktur nicht oder zu spät oder nicht ausreichend gebremst, dann aber bei jedem Einzelpunkt weitere, zusätzliche Ausgaben verlangen oder fordern, die Ausgaben in ausgesprochen konjunkturwirksamen Bereichen nicht zu strekken, wenn das Gesamtziel dadurch nicht gefährdet wird.Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem machen, was Sie zur Mineralölsteuer gesagt haben. Das hat mich an die Debatte über die Verabschiedung des betreffenden Gesetzes erinnert. Als wir dieses Gesetz verabschiedeten, hat die Opposition behauptet, diese Steuer wirke preistreibend, sie gehe in den Lebenshaltungskostenindex in Form einer Erhöhung ein.
— Ich habe dies nicht bestritten, meine Damen und Herren von der Opposition. Ich weise aber auf folgendes hin: Die Mineralölsteuer ist am 1. Juli eingeführt worden; der Lebenshaltungskostenindex ist von Juli bis September von 7,9 auf 6,4% zurückgegangen.
Das bedeutet, sie müßten eigentlich heute hier hergehen und sagen, daß es ohne Mineralölsteuererhöhung einen noch besseren Erfolg der bisherigen Stabilitätsbemühungen gegeben hätte.
Statt dessen bestreiten Sie aber — siehe eben wieder — den Erfolg der Stabilitätsbemühungen ganz generell.
- Abwarten müssen wir alle, weil wir uns hier wahrscheinlich doch noch länger über politische Fragen unterhalten wollen.Drittens. Herr Ministerpräsident: SchuldendeckelFinanzierung! Ich verstehe es nicht, daß der Angehörige einer Partei, die gestern hier einen Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt hat, der bei Ländern und Kommunen, vorwiegend bei den Ländern, Mindereinnahmen von weit mehr als vier Milliarden DM, wahrscheinlich von fünf Milliarden verursacht
Metadaten/Kopzeile:
3520 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Dr. Friderichshätte, sich heute hier hinstellt und sagt, die Finanzmasse reiche nicht aus. Mir ist das schlicht und einfach unverständlich.
Bitte unterstellen Sie den Menschen draußen im Lande doch nicht, daß sie diese doppelzüngigen Argumentationen nicht verstehen.Herr Ministerpräsident, noch ein Wort! Wenn die Vorlagen, die ich hier habe, richtig sind, enthält Ihr Haushalt, der Haushalt des Landes Schleswig-Holstein, 1973 im Ist der Gesamtausgaben eine Steigerung von 18,6%. Das ist die höchste Steigerungsrate in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Eine solche Steigerungsrate sollte sich diese Bundesregierung einmal erlauben. Ich möchte sehen, wie Sie dann von Ihrem verfassungsmäßig verbrieften Recht, hier das Wort zu ergreifen, Gebrauch machten.
Ich würde sogar sagen, Sie täten es dann mit Recht.
Dies deckt sich mit den Ausführungen des Abgeordneten Dr. Strauß. Auf der einen Seite sagen Sie: Boom, nicht genug, nicht rechtzeitig usw. gebremst. Auf der anderen Seite malen Sie im selben Augenblick drohende Arbeitslosigkeit sektoral, strukturell usw. an die Wand.
— Herr Abgeordneter Leicht, ich finde es immer sehr gut, wenn die Opposition sich auch Gedanken darüber macht.
Die Frage ist nur, ob durch vordergründiges öffentliches Gerede für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht mehr Schaden entsteht.
Darüber sollten wir uns allerdings einmal unterhalten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr, selbstverständlich!
Herr Bundesminister, wollten Sie 'mit Ihrer Bemerkung in Abrede stellen, daß die Auswirkung der Stabilitätsmaßnahmen in den strukturschwachen Gebieten der
Bundesrepublik eine andere ist als in den Ballungsgebieten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedanke mich bei Ihnen für diese Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, auf ein Thema einzugehen, das zu behandeln ich heute nicht die Absicht hatte. Die Stabilitätsmaßnahmen wirken sich in strukturschwachen und strukturstarken Bereichen nicht eindeutig unterschiedlich aus. Die bisherigen Untersuchungen, beispielsweise im Baubereich — die Wirtschaft und die Gewerkschaften bestätigen die Untersuchungsergebnisse —, zeigen, daß es eine solche Entwicklung nicht gibt. Ich will nicht behaupten, daß die Entwicklung umgekehrt ist. Im Baubereich beispielsweise gibt es sehr starke Abnahmeerscheinungen in ausgesprochenen Ballungsgebieten und weniger starke Beschäftigungseinbrüche in strukturschwachen Gebieten. Die Auswirkung ist also sehr unterschiedlich, Herr Abgeordneter.
— Das ist übrigens bisher nicht bestritten worden, auch nicht von den Kollegen aus den Ländern, die sich mit Wirtschaftsfragen befassen.Richtig ist, daß sich Bremsmaßnahmen generell auf den Sektoren am schärfsten auswirken, die ohnehin am sensibelsten sind. Das ist selbstverständlich. Es kommt mitunter auch vor, daß derartige Branchen in strukturschwachen Gebieten ansässig sind. Eine Generalisierung verbietet sich aber. Es ist eine differenziertere Betrachtung notwendig. Meine Damen und Herren, wir waren uns aber doch hoffentlich im klaren darüber, daß Bremsmaßnahmen strukturelle Anpassungsprozesse erfordern und daß wir nicht in einer Gesellschaft leben, in der jeder, der irgendwann einmal ein Unternehmen gegründet hat, ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht hat, in jedem Fall mit Rendite weiterzuarbeiten. Vielmehr sollten wir strukturelle Wandlungen dort, wo sie nun einmal eintreten, erkennen. Es gibt Anpassungsmöglichkeiten. Ja, ich sage sogar: Wer eine wachsende Wirtschaft will, muß Strukturwandlungen nicht nur in Kauf nehmen, sondern sogar wollen, um nämlich auf Dauer das Wachstum zu verstetigen.
Eine letzte Bitte. Wir sollten bitte auch nicht die Auswirkungen bewußter und gewollter Konjunkturdämpfungsmaßnahmen mit strukturellen Erscheinungen einzelner Branchen oder Branchensektoren verwechseln.
Gerade ein Brief von heute morgen aus den Reihen der Opposition betreffend ein in Süddeutschland sitzendes Unternehmen der Textil/MiederwarenIndustrie zeigt, daß sich hier die Probleme nicht auf Grund konjunktureller Bremsmaßnahmen, sondern auf Grund ganz anderer Marktdaten ergeben haben. Wir sollten uns vor dieser Vermischung sehr hüten. Ich will mich bemühen, die derzeitigen konjunkturellen Fragen einschließlich der daraus resultierenden Risiken so sachlich wie möglich darzustellen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3521
Bundesminister Dr. FriderichsIch bin der Auffassung, meine Damen und Herren,daß der Bundeshaushalt 1974 den konjunkturpolitischen Anforderungen des Stabilitätsprogramms Rechnung trägt. Das Volumen — mit 10,5 % Zunahme leicht unter der Zuwachsrate des geschätzten nominellen Sozialprodukts — scheint der Beweis dafür zu sein. Offensichtlich ist es auch so, daß die von vielen Angehörigen der Opposition dieses Hauses bezweifelte Wirkung des Stabilitätsprogramms doch eingetreten ist. Denn obwohl sie die Wirkungen zunächst bezweifelt haben, malen sie sie nun als drohendes Gespenst an die Wand.Wer nicht den Mut hat, Überhitzungserscheinungen zu dämpfen, und deshalb auch nicht bereit ist, die dabei auftretenden Bremsspuren in Kauf zu nehmen — Bundesregierung und Koalitionsparteien haben dies vorher gesehen und bewußt in Kauf genommen —, dem bleibt eigentlich nur die Wahl, die Dinge laufen zu lassen. Er muß sich dann allerdings fragen, ob nicht eine weitere Entwicklung, wie sie sich in unseren Nachbarländern mit exorbitanten Preissteigerungsraten abzeichnet, für die sensiblen Bereiche unserer Wirtschaft sehr viel gefährlicher ist als eine bewußte Stabilitätspolitik mit einer Verstetigung des Wachstums im kommenden Jahr.
Gestatten Sie, Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Bismarck?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zuzugeben, daß Sie trotz der völlig richtigen allgemeinen Feststellungen, die Sie getroffen haben, einen Sachverhalt falsch darstellen? Wir haben nämlich nicht die Wirksamkeit dieses Stabilitätsprogramms bezweifelt, sondern halten seine Anlage für schief und daher für gefährlich für die Arbeitsplätze und die Investitionspolitik.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist richtig, daß ein Teil von Ihnen — von Übereinstimmung kann man ja leider nie reden — behauptet hat, daß das Stabilitätsprogramm in erster Linie auf die gewerbliche Wirtschaft wirke, und daß ein Teil von Ihnen daher eine Ausdehnung der Stabilitätsabgabe auf die unteren Einkommensbezieher gefordert hat. Das ist unbestritten richtig. Das war der Grund, daß wir Ihnen gestern durch Ablehnung Ihres Entwurfs nachträglich zu einer gewissen Konsequenz verholfen haben.
Denn der gestern abgelehnte Entwurf — diese Bemerkung, Herr von Bismarck, möchte ich mir noch erlauben —, der entsprechend dem Verlauf der gestrigen Debatte eigentlich den Titel „Der kleine Mann und die CDU" — so war die Debatte gestern geführt worden — tragen müßte, hätte, wenn er
realisiert worden wäre, zweifellos nicht nur die konjunkturpolitisch unerwünschte Freisetzung allgemeiner Konsumnachfrage in Höhe von 8 bis 10 Milliarden DM bewirkt, sondern hätte auch, wie Sie sehr genau wissen, entweder dazu geführt, daß der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein noch weniger Geld bekommen hätte, als er jetzt bekommt, oder aber dazu, daß etwa 8 Milliarden DM im Bundeshaushalt 1974 voll mit Krediten finanziert werden müßten. Dann hätte ich Sie gerne gehört, wie Sie die unsolide Finanzierungsmethode dieses Haushalts angegriffen hätten, wiederum mit Recht.
Ich wehre mich einfach dagegen, daß Sie die Summe von opportunen Einzelmaßnahmen der deutschen Öffentlichkeit fein verpackt sektoral verkaufen und ihr nicht die gesamtwirtschaftliche Konsequenz bereit sind aufzulegen. Das ist keine verantwortungsbewußte Opposition.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bismarck?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich.
Herr Minister Friderichs, sind Sie bereit, zuzugeben, daß dann, wenn Sie die Einbringung unserer Vorschläge, die gestern hier abgelehnt worden sind, auf ihren zeitlichen Ausgangspunkt hin prüfen und sich fragen, was wohl an der Front der Tarifpartner geschehen wäre, wenn sie sich sofort auf diesen von angesehenen Zeitungen wie der „Süddeutschen" höchst vernünftig bezeichneten Vorschlag gestellt hätten, völlig andere Wirkungen an der Tariffront hätten erzielt werden können als nach ihrer monatelangen Verschleppung und schließlichen Ablehnung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies zuzugeben bin ich deswegen nicht in der Lage, weil ich nicht die Absicht habe, hier etwas wider besseres Wissen zu sagen.
— Nein. das ist nicht dünn gewesen. Ich habe es deswegen so formuliert, Herr Abgeordneter, weil selbstverständlich auch die Bundesregierung und die Koalitionsparteien geprüft haben, ob dies eine Auswirkung haben würde.Was die Arbeitnehmerkonferenz der SPD, unseres Koalitionspartners, betrifft, die ja gestern in ganz merkwürdiger Form immer wieder zitiert worden ist — ich komme gleich dazu, warum ich „merkwürdig" gesagt habe —, so ist doch gar keine Frage,
Metadaten/Kopzeile:
3522 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Dr. Friderichsdaß es natürlich für uns viel leichter gewesen wäre, zu sagen: Wir machen Steuererleichterungen, weil das schlicht und einfach populär ist. Ich bin aber der Auffassung, daß eine Bundesregierung auch eine gesamtwirtschaftliche Verantwortung hat, die sie dazu zwingt, wenn sie es wirtschaftlich in diesem Moment nicht für richtig hält, nein zu sagen, auch wenn der Beifall breiter Schichten ihr versagt bleibt. Das ist die Aufgabe einer Regierung.
Lassen Sie mich eines dazu sagen. Wenn der Satz des Abgeordneten Dr. Strauß richtig ist, daß es zu den Aufgaben der Opposition gehöre, die Regierung abzulösen
— entschuldigen Sie bitte, darf ich nicht trotzdem sagen: wenn der Satz richtig ist? —,
dann möchte ich folgendes dazu bemerken. Mit einer Oppositionspolitik, meine Damen und Herren von der Opposition, die sich nicht zu einem geschlossenen, in sich auch logischen Konzept versteht, sondern die sich dadurch darstellt, daß sie die Summe von Opportunitäten der deutschen Öffentlichkeit verkaufen will, erreichen Sie dieses von Ihnen postulierte Ziel mit Sicherheit nicht.
Das wissen Sie auch. Ich wiederhole es. Wenn ich in die Gesichter einiger mir bekannter Mitglieder dieser Oppositionspartei geschaut habe, denen ich eine Beurteilungsfähigkeit auch bezüglich zukünftiger politischer Entwicklungen zutraue, dann mußte ich den Eindruck haben, den auch Besucher eines gestrigen Empfangs hatten: daß viele von Ihnen froh waren, daß die Dinge gestern vom Eis gekommen sind.
Zur wirtschaftlichen Situation! Die Auftragseingänge nehmen nicht mehr zu. Die Entspannung ist weitgehend gelungen. Es ist richtig, daß die unterschiedlich sich auswirkenden Bremsmaßnahmen im sektoralen Bereich, insbesondere in der Bauwirtschaft, unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen. Ich kann Ihnen hier sagen, daß wir dem besondere Aufmerksamkeit schenken werden. Wir versuchen aber nicht mit Freisetzung von Konsumentennachfrage gegenzusteuern, sondern falls erforderlich, gibt es eine Reihe von für die einzelnen Sektoren geeigneten Möglichkeiten der Lockerung der bisherigen Stabilitätsmaßnahmen, falls dieser Zeitpunkt gekommen ist.
— Das können Sie aber mit anderen Maßnahmen machen, die gezielt sehr viel besser wirken.Der Herr Abgeordnete Strauß hat übrigens auch noch bemängelt, daß diese Regierung an Reformmaßnahmen und überhaupt an grundsätzlichen Dingen eigentlich praktisch nichts getan habe. Er hat auch einen etwas merkwürdigen, aber wohlklingenden Vergleich zwischen Abtreibung und Kleinschreibung gebraucht. Mit dem möchte ich mich, Herr Strauß, nicht auseinandersetzen, sondern ich möchte Ihnen sagen, daß sich die Reformpolitik des Kabinetts Brandt/Scheel u. a. dadurch ausweist — dazu bin ich eine Erklärung schuldig —, daß der Haushaltsplan meines Ministeriums, der Einzelplan Wirtschaft, um 31 °/o steigt in einer Situation, in der restriktive Haushaltspolitik erforderlich ist. Das geschieht deswegen, weil diese Bundesregierung zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ein energiepolitisches Programm vorgelegt hat, dessen Notwendigkeit uns in den letzten Tagen mehr als deutlich geworden ist.
Ich sage Ihnen, daß ich diesem Hohen Hause angehört habe in einer Zeit, in der die Chance, einen einflußreichen deutschen Mineralölkonzern zu schaffen, ohne jedes Tun verstrichen ist, weil der von Ihnen seinerzeit gestellte Bundeswirtschaftsminister nicht bereit war, den Verkauf eines wesentlichen Anteils in diesem Bereich an eine US-amerikanische Gruppe dadurch zu verhindern, daß er seinerzeit eine vorausschauende Energiepolitik betrieben hätte.
Das muß Ihnen, wenn Sie nur Kritik üben, auch gesagt werden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß ein Mann, der jetzt auf der Regierungsbank sitzt, nämlich Staatssekretär Westphal, damals im Haushaltsausschuß regelmäßig jedes Jahr die Ansätze gerade für diese Zwecke namens der SPD abgelehnt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist mir nicht bekannt. Insofern bin ich Ihnen für die Aufklärung dankbar.
Noch ein Wort zu dem Energieprogramm! Ich will das nicht im einzelnen aufführen; denn wir werden ja sicherlich bei passender Gelegenheit dieses Programm in diesem Hause diskutieren. Aber um wie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3523
Bundesminister Dr. Friderichsderum die nicht logische und daher letztlich unglaubwürdige Verhaltensweise deutlich zu machen: Sehen Sie, dieses Energieprogramm wurde von Ihnen teilweise positiv beurteilt. Dann wurde aber gesagt, es sei falsch, die Mehrkosten, die durch die Verstromung von Steinkohle auf letztlich die Volkswirtschaft zukämen, dem Verbraucher anzulasten. Ja, meine Damen und Herren, das bedeutet, wir hätten auch sie in den Haushalt aufnehmen müssen, einen Haushalt, bei dem Sie in demselben Augenblick, in dem er die Zuwachsrate des nominalen Sozialprodukts überstiege, den Vorwurf erhöben, daß er nicht konjunkturgerecht sei.Man kann eben nicht permanent ja und nein zugleich sagen. Ringen Sie sich doch nun einmal dazu durch, die Maßnahmen, die vernünftig sind, so zu beurteilen. Sie werden immer noch genügend Möglichkeit haben, mindestens an dem Bundesminister für Wirtschaft Kritik zu üben. Aber suchen Sie sich doch bitte die Punkte aus, an denen Sie das einigermaßen glaubwürdig tun können, und sagen Sie nicht permanent ja — aber und nein — aber, womit Sie eine Politik der totalen Verwischung der Verantwortlichkeiten und der Strukturen in diesem Lande machen.
Sie berufen sich sonst so gerne auf Forschungsinstitute und die Wissenschaft. Die Forschungsinstitute haben expressis verbis in ihrem Gemeinschaftsgutachten ausgeführt, daß dieses Stabilitätsprogramm das eindeutigste und härteste sei, das es jemals gegeben habe. Sie haben auch erklärt, daß die ersten Erfolge dieses Programms sichtbar seien und daß die Realisierung und die Überführung der Erfolge in das Jahr 1974 in erster Linie von den Tarifverhandlungen abhängen werde, die in diesem Herbst bevorständen. Ich glaube, wir sollten gemeinsam den Versuch machen, eine Politik zu betreiben, die es ermöglicht, das Ergebnis dieser Tarifverhandlungen in einem Ausmaß zu halten, das die Voraussetzungen bietet, für eine Verstetigung des Wachstums im nächsten Jahr und eine Minimierung des Beschäftigungsrisikos.Je mehr Sie aber hier Inflationspanik und ähnliches an die Wand malen, desto mehr — und das wissen Sie selbst allzu gut — tragen Sie natürlich zu einer Verunsicherung und damit nicht zu einer Verstetigung bei. Es ist richtig, daß der Opposition dies alles erlaubt ist, nur, diese Opposition muß es sich gefallen lassen, daß sie letztlich auch daran gemessen wird.
Es wird Ihnen eben nicht gelingen, mit derselben Methodik, mit der Sie die ersten drei Jahre Ihrer Oppositionszeit von 1969 bis 1972 vertan haben, diese Regierung in Verlegenheit zu bringen, mit tricky-tricky wie gestern und dem Versuch auseinanderzudividieren nicht und insbesondere nicht mit folgendem: Es klingt merkwürdig, wenn der Abgeordnete Katzer öffentlich Ergebnisse der Arbeitnehmerkonferenz der SPD begrüßt — so las ich es in der Presse; ich habe diese Konferenz gar nicht zu beurteilen und nicht zu verteidigen, sie war nichtvon meiner Partei organisiert —, wenn aber andere von Ihnen gestern zu einer großen Verteufelungskampagne angesetzt haben und Herr Katzer sogar noch den Mut hatte — —
— Stimmt gar nicht? Ich habe der Presse diese positive Wertung der Konferenz durch Herrn Katzer entnommen. Das ist wohl unbestritten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich.
Herr Minister, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß diese Konferenz verschiedene Aussagen zu verschiedenen Gebieten gemacht hat und auf diese verschiedenen Aussagen von uns differenziert reagiert worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Daß diese Konferenz verschiedene Aussagen gemacht hat, ist mir bekannt. Der Eindruck, den ich in der gestrigen Debatte gewonnen habe, war allerdings nicht der einer differenzierten Stellungnahme zu den Ergebnissen dieser Konferenz.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe seit Beginn meiner Amtszeit den Versuch gemacht, in gesamtwirtschaftlichen, die dauerhafte Sicherung von Arbeitsplätzen, Vollbeschäftigung und wirtschaftlichem Wachstum anbelangenden wichtigen Fragen Ihnen die Hand für eine gemeinsame Operationsbasis zu geben.
— Entschuldigen Sie bitte, ich habe nicht die Absicht gehabt, irgendeinem Mitglied dieses Hauses einen Maulkorb umzulegen. Erstens bin ich dafür nicht zuständig, zweitens liegt es gar nicht in meiner Art, das zu tun. Dies müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Sie können sagen, was Sie wollen, Sie müssen sich nur gefallen lassen, daß wir auch beurteilen, was Sie sagen. Dieses Recht behalte ich mir allerdings weiter vor.
Ich stelle nicht gerade mit Freude fest, daß die Erscheinungen der letzten Wochen und Monate nicht dazu angetan waren, schwierige Entwicklungen in unserem Lande notfalls auch einmal durch ein gemeinsames Vorgehen zu überwinden,
insbesondere dann, wenn ich die Auslassungen einerReihe von Ihnen in ihren Regionalzeitungen sehe,
Metadaten/Kopzeile:
3524 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Dr. Friderichsvon denen vielleicht mancher glaubt, sie würden in Bonn nicht gelesen. — Zur Aktion „Gelber Punkt" habe ich nicht mehr zu sagen als das, was ich auf der Bundeskonferenz der Junioren in Frankfurt gesagt habe, was der Abgeordnete Dr. Strauß allerdings nicht zitiert hat; ob wissend oder unwissend, weiß ich nicht.
Das Wort hat Herr Ministerpräsident Dr. Stoltenberg.
Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr Bundesfinanzminister unsere Kontroverse durch ein Schlußwort beendet hatte, auf das ich nicht mehr antworten wollte, hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft es für richtig gehalten, als zweiter einen weiteren Angriff zu starten, was vielleicht nicht gerade für die Überzeugungskraft der Ausführungen seines Vorredners spricht.
Herr Friderichs, Sie haben Ausdrücke wie „doppelzüngig" gebracht, die dem Schlußappell an gemeinsame Verantwortung nicht ganz entsprechen. Ich habe mich in meiner Wortwahl sehr sorgfältig ausgedrückt, und es wäre gut, wenn dies auch von denen in der Bundesregierung geschähe, die jetzt in einer schweren Zeit eine herausgehobene Verantwortung tragen und auf Kooperation mit anderen angewiesen sind. Dies möchte ich Ihnen genauso sagen wie dem Herrn Bundesminister der Finanzen. Aber worum ging es bei diesem Vorwurf der Doppelzüngigkeit? Es ging um die Kontroverse um die Steuersenkung, die dieses Hohe Haus gestern lange beschäftigt hat, was heute offenbar noch Nachwehen hat. Aber, Herr Bundesminister, worum geht es jetzt in der konkreten Alternative? Beide politischen Lager wollen jetzt Steuersenkungen, nachdem die Unionsparteien die Initiative ergriffen haben. Die Differenz bezieht sich auf den Zeitraum von etwa 12 Monaten. Deshalb kann die Frage, ob wir die Steuern zum 1. Januar nächsten oder übernächsten Jahres senken, zwar in der stabilitätspolitischen Diskussion eine Rolle spielen,
nicht aber in der Thematik der Finanzierung der langfristigen, großen staatlichen Aufgaben für die nächsten fünf oder zehn Jahre.
In diesem Zusammenhang haben Sie diese, wie ich glaube, unangebrachte Vokabel benutzt, und ich weise sie mit dieser Begründung klar zurück.
Nun haben Sie es für richtig gehalten, hier noch mit einer Seitenbemerkung — solche Dinge sollen ja ihre Außenwirkung haben — zu erklären, da wir angeblich im Lande Schleswig-Holstein ein Haushaltswachstum von 18 % hätten, seien wir gar nicht befugt, über Stabilität zu reden. Ich habe mich ein bißchen gewundert, als Sie wenig später in einigen Sätzen mit großem Stolz verkündeten, daß Ihr Haushalt um 31 % wächst, sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, um damit die Wichtigkeit Ihrer eigenen Aufgaben zu unterstreichen. Aber ich will mich hier gar nicht auf die 18% und 31% beziehen, sondern Ihnen nur mitteilen, daß unser Haushalt nach der letzten Auskunft des zuständigen Finanzministers in Kiel in diesem Jahr aller Voraussicht nach real ein Wachstum von etwa 14 % haben wird.
Aber dazu muß man einige Tatsachen berücksichtigen, die ein Fachmann wie Sie, Herr Haehser, kennt. Was haben wir in diesem Haushalt 1973 an Veränderungen? Wir haben die Veränderung, daß wir in der Größenordnung von 1% unseres Haushaltsvolumens Bundesaufgaben im Bereich von Küstenschutz und Wasserwirtschaft auf den Landeshaushalt übernehmen müssen, ohne daß eine Mark mehr ausgegeben wird. Wir haben die Veränderung, daß wir durch das beschlossene Krankenhausfinanzierungsgesetz kommunale Mittel, die bisher außerhalb des Landeshaushalts liefen, in den Landeshaushalt aufzunehmen und die Bundesmittel neu einzubeziehen haben, ohne daß dem eine voll entsprechende Mehrleistung gegenübersteht. Wir müssen ausfallende Bundesmittel im Rahmen der bedauerlichen Streichung des Grünlanderlasses für Niedersachsen und Schleswig-Holstein durch die Bundesregierung, der Verminderung von Bundesausgaben für kulturelle und soziale Aufgaben im Grenzland, durch Landesmittel ersetzen. Diese Dinge muß man auch diskutieren, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn man in eine ernsthafte Debatte mit den Ländern und meinem Land eintreten und nicht nur mit Schlenkern polemisieren will.
Ich würde empfehlen, das bei einer anderen Gelegenheit sachkundiger zu tun.
Ich darf Ihnen nur sagen: ich nehme Ihren Schlußappell „gemeinsame Verantwortung in einer schweren Zeit" auf. Ich würde es begrüßen, wenn künftige Diskussionen mit uns hier so geführt werden, wie es dieses Motto verdient.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da sich die Opposition, wie der Bundeswirtschaftsminister am Schluß doch noch zugestanden hat, nicht nur ein Urteil erlauben darf, sondern auch die Möglichkeit haben sollte, das eine oder andere kritisch zu würdigen, will ich den Versuch machen, den Haushalt 1974, der vorgestern vom Bundesminister der Finanzen eingebracht worden ist, dieser kritischen Würdigung zu unterziehen.Jeder Haushalt ist ein Kompromiß zwischen dem wirtschafts- und finanzpolitisch Vertretbaren und dem Wünschenswerten. Der Regierung obliegt es, bei den nun einmal gegebenen Sachzwängen Entscheidungen zu treffen und zeitliche und sachliche Prioritäten zu setzen. Wie ich meine und es beur-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3525
Leichtteile — Herr Kollege Kirst, ich glaube, Sie waren es, der heute morgen etwas dazu sagte, was der Haushalt sein wird —, hat sich die Regierung an dieser Frage der Prioritätensetzung vorbeigedrückt. In der Haushaltsrede des Finanzministers werden Probleme und Risiken aufgezeigt, da wird über notwendige Prüfungen gesprochen, aber es wird kaum ein Lösungsvorschlag gebracht, sondern es wird versucht, die Verantwortung von der Regierung wegzuschieben. Das gilt vor allem für die Finanzierung der Rentenversicherung, des Wohnungsbaus, der Ausbildungsförderung, der Bundesbahn und der Bundespost sowie der Europäischen Gemeinschaft. Sie können es nachlesen.Die Haushaltsrede sollte, wie ich meine, eine klare Darstellung der Politik der Regierung sein. Diese Rede aber enthält in weiten Teilen nur eine Aufzählung ungelöster Probleme.Der Bundesfinanzminister bezeichnet seine Finanzpolitik als solide. Er beruft sich dabei insbesondere auf die Summe der Nettokreditaufnahmen von 1970 bis 1973, die er auf 6,4 Milliarden DM beziffert hat. Das ist, wenn ich es richtig sehe, eine falsche Zahl. In ihr ist nicht das enthalten, was als Schattenhaushalte eingerechnet werden müßte, obwohl er selber jetzt anerkennt, daß die hier gemachten Schulden in den Bundeshaushalt hineingehören. Bei Einbeziehung der Schattenhaushalte, deren Volumen nach dem Ist-Ergebnis der Jahre 1970 bis 1972 und nach den Soll-Ansätzen des Jahres 1973 rund 8 Milliarden DM ausmacht, ist die Summe der Nettokreditaufnahmen weit mehr als doppelt so hoch, als sie vom Finanzminister hier angegeben worden ist; sie beträgt nämlich statt 6,4 Milliarden DM 14,4 Milliarden DM.Die Finanzierungslücke wäre noch weit höher gewesen, wenn die Regierung nicht von Jahr zu Jahr inflationär steigende Steuereinnahmen zur Ausgabenfinanzierung verwendet hätte. In den drei Jahren von 1970 bis 1973 waren allein beim Bund die tatsächlichen Steuereinnahmen gegenüber den Steuerschätzungen des letzten Finanzplans der Regierung Kiesinger insgesamt um 35,3 Milliarden DM höher. Darin sind einerseits Steuererhöhungen, ab 1971 z. B. die Verlängerung der Mineralölsteuer, die Erhöhung der Tabak- und Branntweinsteuer sowie die Erhöhung der Mineralölsteuer enthalten, allerdings nur zum weitaus geringen Teil, zum anderen wurden gegenüber den Schätzungen des letzten Finanzplans die Steuereinnahmen der Länder und Gemeinden ab 1970 und erneut ab 1972 wesentlich verbessert. Die trotzdem gewaltig angestiegenen Steuereinnahmen des Bundes sind ganz überwiegend die Folge der Inflation, die die Regierung hier ungeniert zur Finanzierung ihrer explosionsartig gestiegenen Ausgaben eingesetzt hat.Als Beispiel für Solidität führt die Bundesregierung nunmehr ihren ersten Schritt zum Abbau der sogenannten Schattenhaushalte an: der Krankenhaus- und der Öffa-Finanzierung, wo sie einer Forderung der Opposition nachkommt.
— Zuerst der Opposition und dann des Deutschen Bundestages, Herr Kollege Haehser. Wir wollen auch da bei der Wahrheit bleiben, obwohl ich weiß, daß sich Ihre Zwischenrufe nicht so sehr dahin gehend auszeichnen.Noch vor einem Jahr hatte der Bundesfinanzminister die Existenz solcher Nebenherfinanzierungen — dieses Wort hat er jetzt geprägt — abgeleugnet und als „dummes Zeug" abgetan.
— Ich gebe Ihnen das Protokoll, wo es steht. Um so mehr begrüßen wir heute seinen Sinneswandel, auch wenn er diesen Schritt, wie ich es beurteile, nicht aus lauter Liebe zur Haushaltswahrheit getan hat.
Das wahre Motiv für die Einstellung dieses bislang außerhalb des Etats finanzierten Bereichs in den Haushalt scheint mir zu sein, auf diese Weise die Basis für die zukünftige Ausgabenplanung zu erhöhen. Wir werden natürlich nicht versuchen, das jetzt in Prozentsätzen auszuwerten. Das hat keinen Sinn. Sie waren vorher da. Man muß es aber erwähnen, weil in diesem Augenblick natürlich der Plafond erreicht ist und weil diese beiden Ausgabenblöcke wahrscheinlich nicht mehr steigen werden.Der Bundesfinanzminister hat die konjunkturelle Neutralität des Haushalts 1974 unter anderem auch mit dem Hinweis auf die relativ geringe Neuverschuldurig von 2,3 Milliarden DM zu untermauern versucht. Wie steht es nun mit dieser Neuverschuldung wirklich? Ich meine, in die Betrachtung muß auch die Neuverschuldung der Sondervermögen von Bahn und Post mit einbezogen werden; dann sieht die Sache schon ganz anders aus.Bei der Bahn steigt die Nettoneuverschuldung nach den vorläufigen Überlegungen — ich muß sagen: der Etatvorschlag 1974 ist noch nicht verabschiedet — nach dem Soll für 1973 von rund 0,6 Milliarden DM auf etwa 1,7 Milliarden DM im Jahre 1974.Bei der Post, wo der Entwurf des neuen Vorschlags ebenfalls noch nicht vorliegt, rechnet die bisherige Finanzplanung nach dem Wirtschaftsplan des Jahres 1973 mit einem Verschuldensanstieg von rund 5 Milliarden DM auf 7,5 Milliarden DM, also um rund 2,5 Milliarden DM mehr im Jahre 1974.Dem Rückgang der Neuverschuldung nach dem Haushaltsentwurf 1974 um 0,4 Milliarden DM gegenüber diesem Jahr steht also nach dem heutigen Sach- und Rechtsstand ein Anstieg der Neuverschuldung bei Bahn und Post von zusammen rund 3,5 Milliarden DM gegenüber.Hinzu kommen beim Bund die bereits erwähnten zwangsläufigen Mehrbelastungen, die man in die Betrachtungen mit einbeziehen muß, weil sie in irgendeiner Form finanziert werden müssen. Wenn also nicht gewaltige Steuermehreinnahmen gegenüber den Ergebnissen der Steuerschätzung vom 27./28. August erzielt werden, wofür angesichts der neueren konjunkturellen Entwicklung zumindest nicht allzu vieles spricht — es könnte schon sein;
Metadaten/Kopzeile:
3526 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Leichtaber ich würde es jetzt etwas anders beurteilen, als es noch vor einigen Monaten zu beurteilen war —, wird die Nettoneuverschuldung des Bundes im Jahre 1974 an die 3 Milliarden DM höher sein und damit wenigstens 5 Milliarden DM betragen. Daran ändert auch der im Einzelplan 60 für besondere Verpflichtungen ausgebrachte Globalbetrag von 1,9 Milliarden DM nichts. Dieser wird aller Voraussicht nach voll für die zusätzlichen Risikien in den Bereichen Energiepolitik, Bundesbahn, Devisenausgleich, Besoldungsverbesserung und EG-Finanzierung benötigt — alles Bereiche, die Ausgaben in gewaltigen Größenordnungen erfordern.Die EG-Finanzierung kostet uns beispielsweise Herr Kollege Haehser hat darauf schon hingewiesen — im laufenden Jahr 900 Millionen DM mehr, als noch im Juni dieses Jahres vorgesehen war. Oder: Für Besoldungsverbesserungen sind praktisch keine höheren Beträge in den Entwurf aufgenommen, als sie in der alten Finanzplanung der Jahre 1972 bis 1976 bereits enthalten waren. Die alten Ansätze waren indessen, wie bekannt geworden ist, auf der Grundlage einer im Durchschnitt X-prozentigen — ich sage bewußt: X-prozentigen; ich kenne die Zahl Besoldungsverbesserung berechnet. Angesichts der erhobenen Forderungen — die Forderung der ÖTV in Höhe von 14 % kennen Sie — und angesichts der Doppelwirkung von Inflation und Steuerprogression wird wohl niemand damit rechnen, daß der Bund bei den Tarifverhandlungen mit X v. H. davonkommt. Jeder über X v. H. hinausgehende Prozentpunkt kostet indessen den Bund — man muß dabei auch die Bahn und den Haushalt von Berlin sehen — 430 Millionen DM. Insofern war die Zahl, Herr Bundesfinanzminiser, von 222 Millionen DM — ich bestreite sie nicht — für den Bundesdienst allein zwar richtig, aber wir müssen, glaube ich, Bahn und Berlin mit einbeziehen, und dann bedeutet 1 % über 430 Millionen DM.Im krassen Widerspruch sowohl zu den stabilitätspolitischen Erfordernissen als auch zu der Notwendigkeit, das Wachstum der Staatsausgaben mittelfristig wieder in den Griff zu bekommen, steht, wie ich meine, der starke Anstieg der Verpflichtungsermächtigungen. Dazu ist heute noch nichts gesagt worden. Sie steigen von 28,3 Milliarden DM im Jahre 1973 auf 33,5 Milliarden DM im Jahre 1974, also um 18,3 %. Bei allem Verständnis für die sachliche Notwendigkeit aus dem Blickwinkel der einzelnen Ressorts, sollte man, glaube ich, festhalten, daß hierdurch der ohnehin überhöhte Stand der Ausgabenverpflichtungen im Bundeshaushalt, die sich in den kommenden Jahren in konkreten Zahlungen niederschlagen werden, noch weiter erhöht wird.Diese Bundesregierung hat sich anspruchsvoll von Anfang an als eine Regierung der inneren Reformen verstanden. Sie versprach mehr Lebensqualität für jedermann; sie wollte die öffentliche Leistungsdarbietung steigern und verbessern. Nach vier Jahren, nach dem Zeitraum einer normalen Legislaturperiode ist es aber, glaube ich, auch billig, bei den Haushaltsberatungen das Erreichte an diesem Reformanspruch zu messen, soweit es sich in der Ausgabenstruktur des Bundes niederschlägt.Vorausgeschickt sei, daß wir eine beispiellose inflatorische Entwicklung haben hinnehmen müssen. Das Sozialprodukt als Ausgangsbasis bei dieser Betrachtungsweise stieg in diesen vier Jahren real um I 20 v. H., nominal dagegen um 55 v. H. Nahezu 65%, also von 100 DM zusätzlicher Einkommenssteigerung 65 DM, fielen der Inflation zum Opfer, und zwar dank einer zumindest bis zum Mai dieses Jahres völlig verkümmerten Stabilitätspolitik, wie ich meine, die oft von wahltaktischen Gesichtspunkten statt vom Allgemeininteresse bestimmt war.Die Fehlentwicklung hat in der Aufgabenerfüllung des Bundes ihre tiefgreifenden Spuren hinterlassen. Die Bundesausgaben sind in diesem Zeitraum um beinahe 50 % gestiegen. Die Sachinvestitionen des Bundes haben nur um knapp 40 % zugenommen. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben hat sich also verringert, obwohl nach der erklärten Absicht der Bundesregierung das Gegenteil hätte eintreten müssen. Die Bundesbank hat bei früherer Gelegenheit auf diesen bedauerlichen Tatbestand hingewiesen. Es wäre vielleicht gut, wenn sie es noch einmal täte.Es ist nun keineswegs so, daß dieser inflationäre Auszehrungsprozeß der öffentlichen Investitionen das Ergebnis bewußter restriktiver Ausgabenpolitik wäre. Im Gegenteil, die Bundesregierung hat mehr- fach erklärt, daß sie die Konjunkturpolitik nicht länger über die Ausgabenseite des Haushalts machen könne, eben um angeblich diesen Effekt aufgestauter Investitionen zu vermeiden, und daß sie statt dessen das Schwergewicht der Konjunkturpolitik auf die Einnahmeseite gelegt habe.Dieser Substanzverlust im investiven Bereich ist vor allem auch eine Folge der von der Bundesregierung zur falschen Zeit betriebenen expansiven Ausgabenpolitik, die in ihrer Konsequenz zu der beklagenswerten Ausweitung der Personalkosten, der Personalausgaben in den öffentlichen Haushalten führte. Herr Haehser hat dazu einen Beitrag geleistet. Ich habe das sehr wohl gehört. Ich erinnere mich an so manche Entscheidungen, die wir zu fällen hatten, aber ich bekomme jetzt die Hoffnung, daß wir in Zukunft gemeinsam so manches in diesem Bereich verhindern.So ist es kein Zufall, daß die Personenausgaben des Bundes in den letzten vier Jahren um 70 % stiegen und sich ihr Anteil im Bundeshaushalt von 15,7 % auf knapp 18 % erhöhte. Länder und Gemeinden konnten sich dieser Personalkostendynamik einfach nicht entziehen. Sie kennen das. Ihr Personalkostenanteil an den Gesamtausgaben ist ungleich größer als der des Bundes.
Sie kennen die Zahlen: über 40 % und 25 %.Es much sicherlich der Aussprache über die Einzelpläne vorbehalten bleiben, im einzelnen aufzuzeigen, wie dieser Auszehrungsprozeß im Bereich der öffentlichen Investitionen weiter fortschreitet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3527
LeichtDer Hochschulbau beispielsweise — und es trifft nicht den Kern, wenn der Bundesfinanzminister hier von einer Verschleppung durch die Länder sprach; die Auseinandersetzung hat ja schon stattgefunden — bildet sich, wenn man es durchrechnet, real betrachtet, zurück. Die verfügbaren Mittel für 1974 stagnieren auf dem Niveau der beiden letzten Jahre, nämlich bei 1,4 Milliarden DM, was mit Sicherheit nicht ohne Auswirkungen auf den Gesamtbildungsplan bleibt, weil ja mittlerweile von der Kostenseite her sich etwas anderes getan hat.Die mit Priorität bedachte soziale Sicherung und Vorsorge ist weniger ein Verdienst dieser Bundesregierung, als vielmehr die Folge der inflationär aufgeblähten Einkommensentwicklung der letzten Jahre, die nahezu zwangsläufig zu höheren Bundeszuschüssen an die Rentenversicherung geführt hat. Interessanterweise wird das durch den Finanzbericht 1974 bestätigt, für den ich übrigens ein Dankeschön sage, weil er wieder besser geworden ist als im vergangenen Jahr und weil dieses Material, das uns hier zur Verfügung steht, doch vieles aussagt. Auf Seite 116 ist nachzulesen, daß die Steigerungsrate des Bereichs der sozialen Sicherung als Anteil des Bundeshaushalts von rund 31 % fast ausschließlich zurückzuführen ist auf die Steigerung der jetzt von Bonn zu zahlenden höheren Zuschüsse an die Rentenversicherung infolge der Einkommensentwicklung der letzten Jahre, was ja dann wieder mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der Inflation usw. zusammenhängt. Ihre als „Leistung" deklarierten Ausgaben könnte man zumindest in diesem Bereich eher als Notstandsarbeiten bezeichnen, weil die Anpassung an das, was durch die Inflation geschehen ist, zwangsläufig erfolgt.Die Straßenbaumittel sind heute morgen auch schon genannt worden. Deren Bemessungsgrundlage — und davon haben wir zunächst auszugehen, Herr Kollege Haehser — bildet das Mineralölsteueraufkommen zuzüglich der Öffa-Mittel. Die Straßenbaumittel sind für das nächste Jahr um 1 Milliarde bis 1,1 Milliarden DM geringer bemessen. Schon in diesem Jahr fallen sie, wie Sie wissen, um rund 800 Millionen DM geringer aus. Ich möchte feststellen, daß 1974 der Bundesstraßenausbau unter Berücksichtigung der Inflation real um 15% niedriger liegt als 1969,
weil die Preise für den Straßenbau seit jenem Jahr um 31 % gestiegen sind und den nominalen, rein zahlenmäßigen Anstieg der Straßenbauausgaben um 23% weit überholt haben. Die Rechnung kann jeder nachprüfen, und die Rechnung kann natürlich auch jeder verstehen und vergleichen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Leicht, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Auswirkung der von Ihnen eben genannten erheblichen Reduzierung der Mittel für den Straßenbau insbesondere die strukturschwachen Gebiete der Bundesrepublik zu spüren bekommen?
Ich kann diese Frage mit einem Ja beantworten. Der Haushaltsausschuß hat ja strukturschwache Gebiete besucht, und er hat gehört, wo dort die Schuhe drücken, auch in diesem Bereich, aber nicht nur dort.Die Leistungen — um ein nächstes Beispiel zu bringen, und ich gehe hier auf den Haushalt ein — im sozialen Wohnungsbau nehmen sich geradezu kümmerlich aus. Einer nominalen Steigerung der Ausgaben von rund 30 vom Hundert in den letzten Jahren stehen Kostensteigerungen von 48 % gegenüber. Jeder kann sich ausrechnen, ob die reale Leistung dann heute größer ist. Reformen, mehr Lebensqualität!Ganz im Zeichen der rollenden Personalkosten-lawine steht die Erhöhung der Bundeshilfe an den Berliner Haushalt. Wir spüren das immer wieder auch bei Nachtragsetats für diesen Bereich; ich brauche das nicht näher erklären. Ich will auch nicht mehr sagen als die eine Feststellung: die Entwicklungshilfe tut sich schwer. Ich will jetzt gar keine Prozentsätze und Versprochenes erwähnen.Die Bundesbahn fährt seit den Tagen der sozialliberalen Koalition mit einer Ertragsentwicklung von 3,5 % und einer Kostenentwicklung von etwa 7 %, notdürftig bestückt mit gewaltigen Bundeszuschüssen — Herr Hermsdorf, die Bundeszuschüsse darf man doch erwähnen, die gewaltigen? —,
die allein im Jahre 1977 nach Ihren Plänen 9 Milliarden betragen werden, in rasantem Tempo in die falsche Richtung.
Endstation, könnte man sagen, bleibt eigentlich dann nur Eintopfwirtschaft statt eigenverantwortlichen Finanzgebarens.Gebührenerhöhungen so spät wie möglich und so früh wie nötig, heißt es bei der Post. Wir werden ja sehen. Demnächst wird die Bundespost ihren Etat vorlegen, und wir werden Gelegenheit haben, dort die Vorstellungen auch der Bundesregierung kennenzulernen.Im Verteidigungshaushalt wird schwindende materielle Wehrsubstanz durch Entspannungsideologie ersetzt.
— Sie können ja vielleicht dazu im Laufe der Debatte noch etwas hören, Herr Kollege Würtz. Es ist sicher ein sehr interessantes Thema, über Ideologie und so einige Aussagen aus Ihren Reihen zu sprechen und sie hier vielleicht mal zu behandeln.Noch ein Wort zur antizyklischen Finanzpolitik, die der Bundesfinanzminister forciert hat, um den inflationären Problemen auf der Ausgabenseite zu entgehen. Vorab die Bemerkung, daß sowohl der Konjunkturzuschlag 1970/1971 als auch die verschie-
Metadaten/Kopzeile:
3528 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Leichtdenen steuerpolitischen Maßnahmen sowie die Rücklagenbildung in diesen Jahren sich meiner Meinung nach als Fehlschläge erwiesen haben. Zwar hat sich der Bund in der Kreditfinanzierung zurückgehalten, aber es ist unbestreitbar, daß dies nicht das Ergebnis einer bewußt zurückhaltenden Ausgabenpolitik, sondern die Folge gewaltiger, aus den Quellen der Inflation und der Steuerprogression sprudelnder Steuermehreinnahmen war. Die gesamten Steuermehreinnahmen der öffentlichen Hand sind seit 1969 von gut 145 Milliarden um fast 80 Milliarden, also 55%, gestiegen — in vier Jahren! Im gleichen Zeitraum — die Zahl kann ich jetzt nicht verbergen — stieg das Lohnsteueraufkommen um sage und schreibe rund 120 %.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hermsdorf?
Selbstverständlich. Bitte, Herr Hermsdorf.
Herr Kollege Leicht, wollen Sie mir bitte die Frage beantworten, was die Regierung hätte machen sollen, nachdem wir, wie Sie sagen, keine hohe Kreditfinanzierung haben und darüber hinaus noch Steuern, die so entstanden sein sollen, wie Sie sagen, zurückgelegt haben. Können Sie mir für die Regierung einen anderen Ausweg als diese Haltung sagen?
Herr Kollege Hermsdorf, erstens, glaube ich, bin ich nicht dazu befugt, das der Regierung zu sagen.
Zweitens hätte es rückblickend ja auch nichts mehr zu sagen; denn Fehler, die mal gemacht worden sind, und deren Folgen lassen sich nur sehr schwer wieder beseitigen.
Dritte Bemerkung! Sie gestatten mir doch noch, Ihren Haushaltsentwurf 1974, der natürlich auf dem aufbauen muß, was Sie vorher gemacht haben, einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen.
Ich bin dankbar, wenn Sie meine Kritik, die ich anbringe — die Sie ja hören und nachlesen können —, nachher ebenfalls kritisch beleuchten und mir vielleicht nachzuweisen versuchen, daß ich hier Falsches gesagt habe.
Bei allem Verständnis für die Unsicherheit von Prognosen über wirtschaftliche Entwicklungen muß sich die Bundesregierung den Vorwurf gefallen lassen, die falsche Einschätzung der Entwicklung des Sozialprodukts und damit der Steuereinnahmen permanent in ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Kalkül gestellt zu haben. Anstatt sich ein realistisches Bild von der wirtschaftlichen Entwicklung zu machen und rechtzeitig — ich betone: rechtzeitig — finanzpolitisch gegenzusteuern, wurden Zielprojektionen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3529
Wie stellt sich das Bild zahlenmäßig dar? Ich will versuchen, meine kritische Bemerkung von eben an Hand dieses einen Beispiels zu begründen. Die unmittelbare Mehrbelastung des Bundes aus den Steuerreformbeschlüssen der Regierung beträgt 4 Milliarden DM; Ausgleich der Mehrbelastungen der Länder auf Grund der von der Regierung beschlossenen Ausgleichsklausel — vielleicht kann dort noch etwas geschehen —: rund 6,2 Milliarden DM; Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern: runde 2 Milliarden DM — ich nenne jeweils nur runde Zahlen —; Aufstockung des Weihnachtsgeldes auf ein volles 13. Monatsgehalt — Bahn und Berlin eingeschlossen —: 1,1 Milliarden DM. Insgesamt ergibt sich so bereits für das Jahr 1975 statt der 6,9 Milliarden DM oder — wenn wir die Münzprägung hinzunehmen; sie wird sonst auch dazugerechnet; ich zähle sie deshalb hier dazu — 7,2 Milliarden DM die Summe von runden 20 bis 21 Milliarden DM. Deshalb sage ich, daß das, was uns hier für 1975 vorgesetzt wird, falsch ist, denn viele der von mir genannten Zahlen sind heute schon sicher bezifferbar und hätten eingebaut werden können.
Herr Kollege Leicht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kirst?
Ja, selbstverständlich!
Verehrter Herr Kollege Leicht, hätten Sie die Freundlichkeit, sich daran zu erinnern, daß Sie und der Kollege Strauß wechselweise hier genau dieselben Prophezeiungen für die vergangenen Jahre gemacht haben?
Das ist möglich, Herr Kollege Kirst. Allerdings haben wir damals nicht die inflationsbedingten Steuermehreinnahmen in den Größenordnungen voraussehen können, die ja Sie geschaffen haben.
Lassen Sie mich ein Wort zur EG-Finanzierung sagen. Herr Haehser hat dieses Thema auch aufgegriffen. Ich glaube, man kann feststellen, daß es ein echtes Problem ist, die EG-Finanzierung mit den finanziellen Möglichkeiten der Mitgliedstaaten in Einklang zu bringen. Die diesjährigen Ansätze werden um 900 Millionen DM überschritten, was wir lediglich im nachhinein — das ist wiederum be-bedauerlich — zur Kenntnis nehmen konnten. Ich glaube, wir sollten hier der Aussage in der Rede des Bundesministers der Finanzen zustimmen, daß die Kommission in Brüssel eine verbindliche Finanzplanung vorlegen solle und daß nur solche Beschlüsse gefaßt werden sollten, deren finanzielle Auswirkungen auch diesem Parlament vorher bekannt sind.
Wenn man dabei noch überlegt, daß das Europäische Parlament doch gar nicht die Befugnisse hat, die wir — auch unsere Kollegen, die in diesem Parlament tätig sein müssen — ja alle anstreben, dann wird — glaube ich — diese Forderung in diesem Hause zu Recht gestellt. Ich glaube, ich kann mich auf diese Bemerkungen zur EG-Finanzierung beschränken.Lassen Sie mich zum Abschluß zu einer allgemeinen politischen Wertung dieses Haushalts kommen. Sicherlich wäre noch sehr vieles zu sagen. Es ist aber Aufgabe des Haushaltsausschusses, in den Einzelberatungen einen Titel nach dem anderen zu durchleuchten und dann diesem Hohen Hause für die zweite und dritte Lesung einen Vorschlag zu unterbreiten.Ich glaube, aus diesen wenigen kritischen Bemerkungen, diesem Anreißen der Probleme, die der Haushaltsentwurf 1974 mit sich bringt, können Sie ersehen, daß das vorgelegte Zahlenwerk auf der einen Seite zum Teil Schwächen, auf der anderen Seite Unerträglichkeiten und schließlich auch bewußte Fehlanzeigen enthält. Niemand von uns ist, glaube ich, so anspruchsvoll, zu verlangen, daß jedes auch nur erdenkliche Risiko im Etatentwurf berücksichtigt wird. Sichere, exakt bezifferbare Ausgaben müssen aber eingestellt werden. Wenn man die Dinge genau betrachtet, stellt man fest, daß die besondere Ambition der Regierung nicht der Haushaltswahrheit gilt. Sie gilt vielleicht mehr der Umverteilung, freilich aber nur in dem Sinne, was einige darunter verstehen.Die Bezeichnung des Etatentwurfs 1974 als konjunkturneutral ist vielleicht eine Umschreibung dieser Umverteilung. Bei voller Anerkennung der Tatsache, daß soziale Sicherung und Vorsorge auch Funktionen des Haushalts sind, bestreitet diese Opposition doch, daß die starke Zunahme der Mittel, die in Erfüllung dieser Funktionen durch öffentliche Kassen fließen, ein Maß für die Verwirklichung der gesellschaftlichen Solidarität darstellt. Die Zunahme ist, wenn ich es richtig sehe, einzig und allein Folge und Ausdruck eben einer ungezügelten Inflationspolitik und, wie die Beispiele, die ich aus dem Straßenbau, dem Wohnungsbau usw. gebracht und mit Zahlen zu belegen versucht habe, gezeigt haben, auch einer gescheiterten
— ich bin gespannt — Reformpolitik und eines, wenn Sie wollen, unkontrollierten und zum Teil, zumindest in manchen Bereichen, oft uferlosen Finanzgebarens. Es geht um die Einkommensverteilung, jawohl, aber nicht um eine sozialpolitische,
Metadaten/Kopzeile:
3530 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Leichtsondern um eine marktpolitisch motivierte Umverteilung. Es geht um eine Umverteilung, die in vielen Fällen auf dem Rücken — jetzt muß man eben das Wort gebrauchen — des kleinen Mannes stattfindet und, wenn Sie wollen, insbesondere im Investitionsbereich auf Kosten der Zukunft aller geht. Denn wir sind uns doch darüber klar: Auch öffentliche Investitionen sind die Voraussetzung, um den Bürgern in Zukunft das zu geben, was Sie „mehr Lebensqualität" nennen.Die These von der Umverteilung ist doch ein Feigenblatt für eigene Fehler und Versäumnisse. Die soziale Sicherung und Vorsorge, die so groß geschrieben werden, finden, wie ich zumindest im Einzelfall darzutun versucht habe, im Haushaltsentwurf 1974 und auch in der Finanzplanung trotz des großen prozentualen Anteils am Gesamthaushalt keine Stütze. Denn andernfalls bedürfte es wohl nicht — Herr Kollege Strauß hat schon darauf hingewiesen — des erneuten Aufschubs der Leistung des Bundeszuschusses an die Träger der Rentenversicherung. Aber darüber werden wir ja — der Herr Bundesfinanzminister hat es auch in seiner Rede angedeutet — noch während der Haushaltsberatungen sprechen müssen. Es gäbe auch nicht die riskante Gratwanderung zwischen Preisstabilisierung und Beschäftigung. Angesichts der einseitigen Ausrichtung ist der Weg sicher gefahrvoll und lang; und es mehren sich die Zeichen, daß dieser einseitige Kurs global nicht mehr lange durchgehalten werden kann. Ich habe da Befürchtungen. Und eine Befürchtung darf man ja ausdrücken, vor allen Dingen dann, wenn man so manche Aussagen der letzten Tage hört.Auf mittlere Sicht ist der stabilitätspolitische Beitrag des Staates — darüber sollten keine Zweifel aufkommen — unerläßlich. Es unterliegt keinem Zweifel: Was hier als soziale Sicherung, Vorsorge und solidarische Umverteilung deklariert wird, ist im Grunde nichts anderes als das notwendige Stopfen immer neuer und größerer Löcher in allen Bereichen, in den öffentlichen Sektoren rundum. Dabei wird die Einkommensverteilung nicht gerechter, und die sozialen Spannungen wachsen leider. Sicherlich bedauern wir alle diese Entwicklung und sollten versuchen, sie wiederum auf ein anderes Gleis zu bringen. Zukunftsorientierte Aufgaben werden vernachlässigt, und die Lebensqualität, was man auch immer darunter verstehen mag, schwindet.Der Bundesfinanzminister hat für den Bund eine Führungsrolle in der Konjunkturpolitik beansprucht. Das ist ein höchst merkwürdiger Vorgang, wenn man bedenkt, daß ihm hierzulande niemand diesen Führungsanspruch steitig macht. Im Gegenteil, jedermann wartet brennend darauf, daß er diesen Anspruch zur Geltung bringt. Niemand hindert die Bundesregierung daran, den gesellschaftlichen Ausgleich mit allen Gruppen und Schichten unseres Volkes zu suchen. Das allgemeine Unbehagen kommt im wesentlichen daher — wenn ich es recht beurteilen kann —, daß auf der Einnahmenseite des Staates des Schlechten oft zuviel und auf der Ausgabenseite ich will nicht generalisieren, es ist sehr unterschiedlich — oft des Guten zuwenig getan wird.Daran wird sich — und diese erste kritische Bestandsaufnahme des Haushalts 1974 und der ihn fortschreibenden Finanzplanung bis 1977 läßt nur diesen Schluß zu in naher und ferner Zukunft leider nichts ändern. Ich meine, es wäre verhängnisvoll, noch größere Entscheidungsbefugnisse in die Hände der Regierung zu legen, insbesondere einer Regierung, die sich in den letzten vier Jahren, wie ich meine, als ein schlechter Sachwalter erwiesen hat.Die Bürger dieses Landes werden sich — da gibt es für mich gar keinen Zweifel und das soll auch ein bißchen für Herrn Friderichs gelten, der uns immer sagt: Wir werden nichts erreichen; schön, wir werden abwarten — ein gesundes Mißtrauen gegenüber einer allzusehr staatlich verordneten Lebensqualität zu bewahren wissen.
Meine Damen und Herren, sie sind mündige Bürger. Wir erleben es draußen — und können es selber beurteilen — in einem ganz anderen Sinne, als es Ihnen viele Leute dieser Regierung immer wieder — und auch mit diesem Haushaltsentwurf 1974 — zu suggerieren versucht haben. Das Spiel mit den Milliardenleistungszahlen ist eigentlich in dieser Situation und so, wie die Zahlen aussehen, das Eingeständnis der Schwäche dieser Politik in vier Jahren
Meine Damen und Herren, ich unterbreche jetzt die Aussprache über den Punkt 2 der Tagesordnung.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 7/1122 --Nach der neuen Zeitplanung wird diese Fragestunde eineinhalb Stunden dauern, d. h. bis 15.17 Uhr.Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rohde anwesend.Die Frage 59 des Abgeordneten Möllemann wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Schwencke auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Frage 61 des Abgeordneten Dr. Schwencke wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Außerdem werden die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Kater und die Frage 64 des Abgeordneten Meinike auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3531
Vizepräsident Frau FunckeDie Frage 65 der Frau Abgeordneten Meermann ist zurückgezogen worden.Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz auf. Ist der Abgeordnete im Saal? — Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe dann die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Pawelczyk auf:Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der geplanten Änderung des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 auch erwerbsunfähige, mongoloide Personen in den berechtigten Personenkreis einzubeziehen, und wann wird die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen?Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, in meiner Antwort, die ich auch dem Herrn Kollegen Dr. Holtz geben werde, weise ich darauf hin, daß die Bundesregierung zur Zeit einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vorbereitet. Danach sollen alle Schwerbehinderten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 70 v. H., also auch erwerbsunfähige mongoloide Personen, in den begünstigten Personenkreis einbezogen werden, die übrigen Schwerbehinderten, soweit sie erheblich gehbehindert sind.
Gegenwärtig werden darüber Verhandlungen mit den Ländern geführt, da bei einer Erweiterung des begünstigten Personenkreises auf sie nicht unerhebliche Mehrkosten zukommen werden. Nach dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen muß davon ausgegangen werden, daß auch weiterhin auf gewisse wirtschaftliche Voraussetzungen, d. h. auf eine Einkommensgrenze, nicht verzichtet werden kann.
Wir beabsichtigen, die Vorarbeiten so zu beschleunigen, daß der Gesetzentwurf in der ersten Hälfte des kommenden Jahres den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Personenkreis, auf den ich die Frage abgestellt habe, ausdrücklich in die Prüfung mit einbezogen?
Darauf habe ich in meiner Antwort hingewiesen.
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Staatssekretär, beantwortet. Ich danke Ihnen.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 98.
Ich rufe die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Baier auf:
Nach wiederholten Versicherungen der Bundesregierung in den vergangenen Jahren, daß sie aus humanitären Erwägungen ständig für die Freilassung des seit Kriegsende in Italien inhaftierten Herbert Kappler eintritt, und die italienische Regierung ihrerseits zuletzt beim Besuch des Bundeskanzlers in Rom im Frühjahr 1971 eine Prüfung der Angelegenheit zusagte, frage ich, ob diese Bemühungen und Prüfungen nunmehr endlich zur Begnadigung des 28 Jahre lang inhaftierten Herbert Kappler führen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich auch in den vergangenen zwei Jahren wiederholt für eine Freilassung des Herrn Kappler bei der italienischen Regierung eingesetzt. Leider haben die — ich darf wohl sagen — sehr nachhaltigen Bemühungen der Bundesregierung bisher noch nicht zu einem Ergebnis geführt. Das ist bedauerlich.
Sie können, Herr Abgeordneter, versichert sein, daß sich die Bundesregierung aus humanitären Gründen auch weiterhin für eine baldige Freilassung des Herrn Kappler im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten einsetzen wird.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der in Italien inhaftierte Herbert Kappler den Status eines Kriegsgefangenen behielt, und — wenn ja — in welcher Weise ist die Ablehnung der Haftentlassung nach nunmehr 28 Jahren noch zu rechtfertigen?
Herr Abgeordneter, ich bin gerne bereit, Ihnen in einem persönlichen Gespräch einige Informationen zusätzlicher Art zu geben. Sie wissen, daß diese Fragen ja in Fragestunden bereits diskutiert worden sind und daß Ihre Kollegen auch über die Bemühungen der Bundesregierung unterrichtet sind.
Im übrigen ergibt sich sicherlich in Kürze Gelegenheit, im Rahmen der Parteizusammenarbeit, die auch zwischen Ihrer Partei und Ihrer italienischen Schwesterpartei besteht, maßgeblichen italienischen Vertretern dazu einiges an Bitten vorzutragen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich der Auffassung bin, daß die Bundesregierung hier gefordert ist, und da das Interesse an dieser Frage
Metadaten/Kopzeile:
3532 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Baiersehr groß ist, darf ich Sie fragen: Wäre es, nachdem sich seit 1954, also seit 19 Jahren, alle Fraktionen dieses Hauses durch ihre Abgeordneten für die Freilassung Kapplers eingesetzt haben und jede Regierung in diesen 19 Jahren diese Bemühungen befürwortet hat, nicht zweckmäßig, daß die Bundesregierung der Öffentlichkeit nunmehr einmal einen zusammenfassenden Bericht ihrer leider bisher erfolglosen Bemühungen, aber auch der Haltung der italienischen Regierung vorlegt?
Herr Abgeordneter, ich wiederhole, was ich gesagt habe: Ich bin bereit, Ihnen diesen Bericht zur Verfügung zu stellen; den habe ich hier in der Hand. Sie selber müssen dann entscheiden, ob es im Sinne Ihrer Fragestellung ist, wenn Sie ihn veröffentlichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatssekretär, können Sie darüber Auskunft geben, ob der im öffentlichen Dienst stehende Herr Kappler irgendwelche finanziellen Fürsorgemaßnahmen oder Hilfen seitens der Bundesrepublik Deutschland im Gefängnis als Taschengeld oder in sonstiger Form erhält?
Herr Abgeordneter, da das nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage steht, habe ich die Unterlagen dazu nicht hier. Aber ich bin sicher, Sie werden das aus den Gesprächen, die ich Ihrem Kollegen angeboten habe, entnehmen können. Im übrigen ist die Frage, glaube ich, auch schon im Ausschuß besprochen worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei den weiteren Verhandlungen mit der italienischen Regierung und auch, wie Sie vorhin sagten, mit der Schwesterpartei davon Kenntnis geben, daß aus den Reihen der CDU/CSU in diesem Hause alle möglichen Initiativen ergriffen worden sind? Das kann Ihnen vielleicht helfen. Darüber hinaus könnte eventuell auch vom Ministerrat der EWG eine Initiative ergriffen werden.
Herr Abgeordneter, ich muß
hier klarstellen: Eine Regierung kann nicht mit Parteien verhandeln. Aber da die Gelegenheit kurz bevorsteht, bei Ihrem Parteitag mit einem maßgebenden Mann Ihrer italienischen Schwesterpartei zu sprechen, der dieser Regierung vorsteht, war das meine Anregung. Sie wissen aus den früheren Antworten auf diese Fragen, daß wir sehr vieles sehr nachdrücklich getan haben. Ich habe das hier gesagt. Sie werden sicher bei Ihrem Kollegen aus dem gleichen Landesverband erfahren, der das letzte Mal diese Frage gestellt hat, daß die Erfolge, die diese öffentliche Debatte im Bundestag ausgelöst hat, nicht beeindruckend gewesen sind.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 100 des Abgeordneten Sauer auf:
Hat die Bundesregierung den deutschen Botschafter in Chile, Kurt Lüdde-Neurath, wegen seines dem Monitor-Redakteur Rolf Bringmann vom Deutschen Fernsehen am 15. Oktober 1973 gegebenen Interviews gerügt, wenn nicht, ist die Bundesregierung mit dem Inhalt und insbesondere mit dem Stil des Interviews einverstanden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, Botschafter Lüdde-Neurath wurde in dem am 15. Oktober 1973 vom Deutschen Fernsehen ausgestrahlten Interview mit Fragen zur Asylgewährung für chilenische politische Flüchtlinge konfrontiert. Ihrer Natur nach entziehen sich solche Fragen einer umfassenden öffentlichen Beantwortung, weil dies für die Beteiligten alles andere als zweckdienlich wäre, nämlich für ,die Betroffenen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meine schriftliche Antwort auf die Frage des Kollegen Hansen in der letzten Fragestunde vom 19. Oktober 1973. Ich darf hier noch einmal sagen, daß ich dort den Unterschied verdeutlicht habe, der zwischen einer Asylgewährung nach lateinamerikanischem regionalen Völkerrecht und der allgemeinen humanitären Verpflichtung zur Hilfeleistung für Verfolgte besteht. Dieser Verpflichtung kann sich niemand entziehen. Auch die Deutsche Botschaft in Santiago hat sich ihr nicht entzogen, in keinem Falle. In der gegebenen Situation hatte der Botschafter in seinen Äußerungen alles zu vermeiden, was ihm von den zuständigen chilenischen Behörden als Verletzung chilenischer Gesetze oder völkerrechtlicher Vorschriften unterstellt werden konnte. Um sich und seinen Mitarbeitern in der Botschaft die Lösung des Konflikts zwischen humanitärer Pflicht und der Beachtung chilenischer Gesetze bzw. völkerrechtlicher Vorschriften für die Zukunft nicht noch mehr zu erschweren, mußte er hierbei mit Sachinformationen zurückhaltend sein. Die Bundesregierung hat deshalb keine Veranlassung, den Botschafter wegen des Inhalts seines Interviews zu rügen. Was den Stil des Interviews angeht, nach dem .Sie ebenfalls gefragt haben, so mag er da und dort überrascht haben. Die Bundesregierung findet aber nichts dabei, wenn angesichts einer so außergewöhnlichen Lage in der Öffentlichkeit die Klischeevorstellung abgebaut wird, daß Diplomaten zu fein seien, um sich gelegentlich auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3533
Parl. Staatssekretär Moerschetwas drastisch auszudrücken. Dies ist, wie die Reaktion aus der Bevölkerung zeigt, damals auch verstanden worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie der Antwort des Botschafters auf die Frage des Asylrechts, ob er damit einverstanden sei, wie sich die anderen europäischen Botschaften verhalten hatten, zu? Er hatte geantwortet:
Ich glaube, daß es nicht richtig ist, daß andere europäische Botschaften das Recht
-- nämlich zur Asylgewährung —
für sich in Anspruch genommen haben.
Ich habe die Frage nicht ganz verstanden, entschuldigen Sie bitte. Vielleicht ist der Sachverhalt zu kompliziert.
Ist Ihnen bekannt, daß der Botschafter auf den Hinweis des Journalisten, daß doch andere europäische Botschaften Asyl gewährt haben, und zwar insbesondere Schweden, geantwortet hat:
Ich glaube, daß es nicht richtig ist, daß andere europäische Botschaften das Recht für sich in Anspruch genommen haben.
Der Botschafter hatte recht, und der Fragesteller hatte Unrecht. Denn es war eine Feinheit von dem Fragesteller ausgelassen worden. Ich weiß nicht, ob er sie nicht gekannt hat oder bewußt nicht darstellte. Schweden ist Schutzmacht für ein lateinamerikanisches Land, das Asylrecht in Anspruch nehmen kann, nämlich für Kuba. Insofern liegt der Fall für Schweden sozusagen im Rahmen des regionalen Völkerrechts für Lateinamerika und ist nicht mit anderen europäischen Staaten zu vergleichen. Der Botschafter hatte völlig recht. Nur ist eine Fernsehsendung nicht sehr gut für völkerrechtliche Seminarübungen geeignet, das ist das Problem in solchen Fällen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön!
Noch eine Frage zum Stil. Ich darf die Frage stellen, ob in Zukunft solche Worte von Ihren Botschaftern gebraucht werden dürfen — denn sie sind ja nicht als Privatpersonen gefragt — ich darf zitieren —: „Man könnte um so mehr helfen, je mehr man die Schnauze hält."
Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie sollten hier deutlich unterscheiden, ob jemand in diesem Hause gefragt wird, wo er nach reiflicher Überlegung und Arbeit in Referaten eine wohlabgewogene Antwort geben kann, oder ob jemand plötzlich sozusagen in die Situation des Angeschuldigten versetzt wird, als hätte er bestimmten Leuten nicht geholfen, was eine völlig unbewiesene Behauptung war, wie sich hinterher herausstellte. Er hat tatsächlich mit großem Einsatz und großen Risiken auch für die übrigen Botschaftsangehörigen Hilfe geleistet. Wenn sich jemand zu Unrecht sozusagen in Anklagezustand versetzt fühlt und dann ein deutliches Wort sagt, daß in diesem Fall das Schweigen besser ist, weil man sonst nicht handeln kann, dann billige ich auch einen solchen Ausdruck. Sie sehen aus Ihrer Frage selbst, daß dieser Ausdruck allgemein verstanden worden ist, was sonst vielleicht nicht der Fall gewesen wäre.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja!
Herr Staatssekretär, darf ich nach Ihrer Antwort feststellen, daß unumstrittene Einigkeit darüber besteht, daß der Herr Botschafter und die deutsche Botschaft alles nur Menschenmögliche im Rahmen der humanitären Bestrebungen getan haben, was nach dem Völkerrecht verantwortbar und im Hinblick auf das Sicherheitsrisiko vertretbar war?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung brauchen Sie in dieser Frage nicht zu fragen; die war sich darüber im klaren. Es waren wohl die Fragesteller, die sich darüber nicht im klaren waren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß derartige sehr weitgehende Bewertungen des Verhaltens von Botschaftsangehörigen und Botschaftern selbst besonders im Lichte von Äußerungen z. B. eines Abgeordneten wie des Abgeordneten Heck nach seiner Rückkehr aus Chile nur schaden können?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß die Mahnung, daß man hier zurückhaltend sein soll, für alle gilt, die sich verantwortlich fühlen. Nicht jede Äußerung, die nach der Rückkehr gefallen ist, ist nach meiner Ansicht verantwortlich gewesen.
Keine Zusatzfrage.Die Frage 101 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg soll auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Metadaten/Kopzeile:
3534 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn auf:Hat die Bundesregierung die politischen Überlegungen von Minister Bahr, wie sie in dem von Herrn Hahn veröffentlichten Stufenplan und in der von „Quick" veröffentlichten Studie niedergelegt sind, zu einer bestimmenden Grundlage ihrer Außen-und Deutschlandpolitik gemacht?
Die Antwort lautet: Nein!
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich diesem pauschalen Nein entnehmen, daß die Bundesregierung der Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zu einer politischen Union gegenüber dem Gedanken einer mitteleuropäischen Sicherheitszone, wie im Bahr-Papier dargelegt, weiterhin den Vorzug gibt?
Herr Abgordneter, Sie dürfen der Politik der Bundesregierung entnehmen, daß sie die Voraussetzung für die Entspannungspolitik darin gesehen hat, daß sie die westeuropäische Zusammenarbeit vertieft hat. Das ist ihr bei der Konferenz in Den Haag im Jahre 1969 Gott sei Dank gelungen. Unsere Politik ist eine West-Ost-Politik, und Sie können die Politik an dem messen, was sie seit 1969 tatsächlich geleistet hat.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem ich meine erste Zusatzfrage nicht für hinreichend beantwortet halte, frage ich Sie, ob die Bundesregierung weiterhin daran festhält, die Überlegungen von Herrn Bahr als bloße Fallstudie — so der Bundeskanzler — oder als theoretisches Planspiel — so Herr Minister Bahr hier im Plenum — zu bezeichnen, obwohl bereits Teile dieses Planes Realität geworden sind?
Herr Abgeordneter, das ist eine Schlußfolgerung von Ihnen, die sich die Bundesregierung nie zu eigen gemacht hat. Die Antworten der Bundesregierung haben Sie soeben selbst zitiert. Ich darf darauf verweisen. Ihre subjektive Wertung ändert an den objektiven Tatsachen nichts, daß die Politik dieser Bundesregierung auf der atlantischen Zusammenarbeit und auf der westeuropäischen Zusammenarbeit aufgebaut ist und daß die Bundesregierung nur auf dieser Zusammenarbeit fußend, ihre Entspannungspolitik betreibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneter Wehner!
Herr Staatssekretär, könnte die Bundesregierung oder könnte das Auswärtige Amt — wenn ich so fragen darf — erwägen, zur Stillung des unstillbar scheinenden Durstes nach weiteren
Auskünften über das sogenannte Bahr-Papier wenigstens deutlich zu machen — es muß ja nicht inhaltlich sein —, was Planungsabteilungen z. B. unter der Leitung des jetzigen Botschafters Diehl und anderer Vorgänger überhaupt jeweils für Planskizzen gemacht haben?
Herr Abgeordneter, ich halte das für eine sehr gute Anregung. Ich war zwar der Meinung, daß wiederholt in diesem Plenum und übrigens auch in einem sehr beachtenswerten Beitrag vor einiger Zeit in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Unterschied zwischen den Aufgaben einer Planungsabteilung und den politischen Entscheidungen klargestellt worden ist. Aber da offensichtlich ein Bedürfnis besteht, diese Unterschiede ,deutlich zu machen, bin ich gern bereit, den Herren, die das wünschen, eine entsprechende Aufzeichnung zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger!
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann erklären, warum der Herr Bundeskanzler in seiner Rede vom 3. Oktober hier in diesem Hause zwar sehr lange und ausgiebige Ausführungen zu diesen Fallstudien gemacht und auch die seines Kollegen Bahr dabei erwähnt hat, i es aber sehr sorgfältig vermieden hat, sich auch nur mit einem einzigen Wort vom Inhalt und politischen Ziel dieser Bahrschen Fallstudie zu distanzieren, was wir von ihm damals herauszufragen. versucht haben?
Herr Abgeordneter, der Bundeskanzler hat z. B. am 18. Januar 'dieses Jahres und noch bei einigen anderen Gelegenheiten die Aufgabe wahrgenommen, die Politik dieser Bundesregierung darzulegen. Ich glaube, das ist eine umfassende Antwort, die keiner weiteren Erläuterung bedarf. Da werden Sie auch durch Zusatzfragen nicht auf Ihre Kosten kommen, weil die Politik nicht anders ist, als sie ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Staatssekretär, würden Sie, wenn Sie der freundlichen Aufforderung des Herrn Kollegen Wehner nachkommen, bitte sorgfältig unterscheiden zwischen Papieren, die einmal als Überlegungen angefertigt worden sind, und diesem Bahr-Papier, ,das in der Praxis ja von der Bundesregierung ostpolitisch durchgeführt wird?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3535
Herr Abgeordneter, die Wiederholung einer Behauptung ist im allgemeinen nicht geeignet, sie richtig zu machen. Es wäre in der Weltgeschichte sehr fatal, wenn es so wäre. Aber wenn Sie eine lückenlose Darstellung aller Gedankenübungen haben wollen, die je angestellt worden sind, wird das zwar einige Zeit in Anspruch nehmen, aber möglicherweise erhellend sein. Ich darf hier zum Beleg ein Zitat bringen:
Wenn wir eines Tages
-- so heißt es in diesem Zitat —
zu einer Verständigung auch mit Sowjetrußland kommen — und ich hoffe, daß wir dies mit viel Geduld erreichen werden —, werden Warschauer Pakt und NATO der Vergangenheit angehören. Das müssen Sie sich doch einmal klarmachen. Das sind doch keine Ewigkeitsinstitutionen. Aber jetzt haben wir die NATO nötig, und deswegen sind wir ihr beigetreten.
Das hat Konrad Adenauer, wie Sie wissen, vor diesem Hause am 6. April 1960 gesagt.
Also ist es doch niemals verboten gewesen, Überlegungen dieser Art anzustellen.
— Das war alles vor der Planungsabteilung, Herr
Kollege Wehner, wie Sie wissen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Berger.
Herr Staatssekretär, würden Sie der Feststellung im Leitartikel der soeben von Ihnen zitierten FAZ vom 1. Oktober zustimmen, in dem Günther Gillessen zu folgender Schlußfolgerung kommt — ich zitiere —:
Bahr gibt Urteile ab. Sie enthalten regelmäßig ein Votum zur Auflösung der Bündnisse — nicht sofort, aber doch so bald wie möglich. . . . Weil das so richtig ist, ist Bahr der in die Bundesregierung eingebaute Zweifel an der Verbindlichkeit ihrer außenpolitischen Linie.
Frau Abgeordnete, in der Sache habe ich die Frage beantwortet. Aber zur Methode selber darf ich wiederholen, was ich kürzlich schon einmal gesagt habe: Es ist nicht Aufgabe irgendeiner demokratischen Regierung, Kommentare zu kommentieren. Das hätten die Kommentatoren nicht so sehr gern.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Werner.
Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal zu der Frage Planungsstab und politische Auswirkung und Realisierung zurückkommen. Wie beurteilen Sie denn die Feststellung von Herrn Bahr in seiner Studie, daß es nun weniger entscheidend darauf ankomme, ob die Sowjetunion zu Verhandlungen bereit sei und ob diese Verhandlungen Ergebnisse brächten, daß es vielmehr darauf ankomme, schon durch eine Vorlage von Entwürfen eine mögliche künftige Gestaltung der Sicherheit in Europa darzulegen?
Herr Abgeordneter, das steht zwar nicht im Zusammenhang mit der gestellten Frage,
aber es ist eine Frage, die sicherlich auf jeder Tagung der Evangelischen Akademie mit Gewinn diskutiert werden kann. Die Bundesregierung hat hierzu keine Stellung zu nehmen.
Herr Kollege Zimmermann, bitte schön!
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Fallstudie des heutigen Bundesministers Bahr zum Punkt C ein ausgesprochenes, dezidiertes politisches Votum enthielt?
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß sich die Bundesregierung diese Studie noch nie zu eigen gemacht hat. Diese Frage habe ich hier beantwortet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, wenn es sich hier, wie Sie es immer darstellen, um eine Fallstudie handelt, sind Sie doch sicherlich bereit, sich eindeutig von den politischen Zielen dieser Fallstudie zu distanzieren? Oder nicht?
Herr Abgeordneter, ich stelle Ihnen anheim, entsprechende Fragen zu stellen. Die Bundesregierung hat dreimal dazu Stellung genommen. Ich bin bereit, Ihnen die jeweiligen Fundstellen nachzuweisen. Vielleicht darf ich das eben noch einmal vorlesen. Es ist offensichtlich sehr schwierig, im Archiv zu arbeiten.
Metadaten/Kopzeile:
3536 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Parl. Staatssekretär MoerschIch darf hier auf die Frage verweisen, die der Staatssekretär Ravens am 11. April 1973 dem Kollegen Engelsberger beantwortet hat. Dieser Frage nachgefolgt war die Rede von Herrn Bahr selbst am 10. Mai, wo er diese Frage, die Sie soeben stellen, selber beantwortet hat. Ich bitte Sie, das im Bulletin der Bundesregierung oder in den Papieren hier nachzulesen. Das ist mit Gewinn zu lesen. Weiterhin ist die Frage am 5. April 1973 vom Bundeskanzler beantwortet worden. Ich kann Ihnen nichts Neues dazu beitragen. Es würde die Fragestunde ungebührlich verlängern, wenn ich das alles noch einmal vorläse.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Ich darf dann fragen, ob der Beitrag, den ich hier liefern will, nicht auch nach Ihrer Meinung darauf hinweist, daß es sich nicht nur um eine belanglose Planstudie handelt. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der Herr Bundeskanzler am 10. Mai 1973 im „Stern" geschrieben hat, das, was Bahr gemeint habe, könne für ferne Zukunft gedacht sein. Der Herr Bundeskanzler hat ferner in einem Interview mit dem jugoslawischen Fernsehen am 19. April 1973 gesagt:
... wenn wir mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Nordatlantikpaktorganisation zusammenarbeiten, um später ein Entwicklungsmuster zu fördern, das, wie ich hoffe, im Zuge der Entwicklung, die teilweise vom Warschauer-Pakt-System und teilweise vom Kreis blockfreier Länder ausgeht, hineinpaßt.
Meinen Sie nicht, daß das mehr ist als eine Planstudie?
--- Aber nur fast.
Herr Czaja, ich verweise auf die Antworten, die ich schon gegeben habe, und auf die entsprechenden Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers hier. Aber ich muß gerade Ihnen, Herr Dr. Czaja, doch eines zu bedenken geben. Warum attackieren Sie eigentlich jemanden, der sich Gedanken über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Wiedervereinigung gemacht hat, da doch gerade Sie selbst sich seit Jahren dieses Thema zu eigen gemacht haben, aber nicht bereit waren, dieses Thema zu einer Zeit aufzubringen, als es vielleicht realiter hätte behandelt werden können, nämlich im Jahre 1952?
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lenders.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie folgendes fragen. Wäre es, da hier der Eindruck
entstehen muß, daß die Opposition im Hinblick auf die in Rede stehende Fallstudie offensichtlich eine Treibjagd veranstalten will, nicht angebracht, diese Angelegenheit innerhalb der Bundesregierung nicht mehr im Auswärtigen Amt, sondern im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten weiter zu behandeln?
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Klein. Aber ich glaube, allmählich werden Fragen und Antworten nicht besser.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die FDP im Jahre 1952 neben der CDU/CSU Regierungsverantwortung getragen hat?
Herr Staatssekretär, ich stimme mit Ihnen nicht nur darin überein — —
— Herr Abgeordneter, ich stimme mit Ihnen nicht nur darin überein — ich hatte an den Kollegen aus dem Auswärtigen Amt gedacht, entschuldigen Sie —, ich darf zur Aufklärung des historischen Bildes für viele hier im Saale noch hinzufügen, daß es gerade wegen dieser unterschiedlichen Bewertung damals den ersten Koalitionskonflikt zwischen CDU/CSU und FDP gab, der u. a. dazu geführt hat, daß es unter Thomas Dehler später zu einer Spaltung der FDP und dann zu einem Ende dieser Koalition gekommen ist.
Die FDP hat es damals erreicht — gegen den Willen maßgeblicher Vertreter der CDU, aber unterstützt durch Herrn von Brentano —, daß die Bindungsklausel, die berühmte WiedervereinigungsBindungsklausel, aus Anlaß dieser Erfahrung von 1952 aus dem Atlantikpakt herausgekommen ist.
Ich muß hinzufügen, daß hier ein Kollege im Bundestag war, der das aufgegriffen hat. Das war damals Herr Dr. Pfleiderer.
Keine Zusatzfrage. Die Frage 103 ist bereits im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage aus dem Bereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit beantwortet.Die Fragen 104 und 105 sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 106 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:Beabsichtigt die Bundesregierung die diplomatische Anerkennung Nordvietnams, und glaubt sie, daß sie mit einem solchen Schritt der Freiheit Südvietnams dient?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3537
Herr Abgeordneter, nach Abschluß des Waffenstillstandsabkommens vom 27. Januar 1973 in Paris hat die Bundesregierung erklärt, daß sie grundsätzlich bereit sei, mit allen vier Staaten des ehemaligen Indochina diplomatische Beziehungen aufzunehmen bzw. zu unterhalten. Nachdem die Staaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme von Irland diplomatische Beziehungen zu Nordvietnam aufgenommen hatten oder sie vorbereiteten, hat auch die Bundesregierung der nordvietnamesischen Regierung Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und den Austausch von Botschaftern angeboten. Dabei wurde erklärt, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen die Anerkennung impliziert. Die nordvietnamesische Regierung ist bisher noch nicht auf unser Angebot eingegangen. Offenbar zögert sie, sich auf die Behandlung von Fragen einzulassen, die für uns zum essentiellen Bestandteil normaler Beziehungen gehören — ich nenne hier Berlin , solange diese Fragen nicht in Verhandlungen mit den anderen sozialistischen Ländern geklärt worden sind. Wir stehen jedoch mit der nordvietnamesischen Seite in ständigem Kontakt.
Die südvietnamesische Regierung ist über unsere Absicht unterrichtet. Sie hat dagegen keine Bedenken erhoben und sieht unseren Schritt als eine Angelegenheit zwischen zwei unabhängigen souveränen Staaten an. Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Nordvietnam beabsichtigt die Bundesregierung ebenso wie ihre europäischen Partner einen Beitrag zum Frieden und zur Stabilität in der Region zu leisten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf also aus Ihrer Antwort entnehmen, daß laufend Gespräche zwischen hohen Beamten Ihres Auswärtigen Amtes und Vertretern von Nordvietnam über die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen stattfinden?
Ich habe hier erklärt, daß Kontakte bestehen. Das habe ich bereits gesagt.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Wird die Bundesregierung den Bruch des Waffenstillstands in Nahost durch Agypten und Syrien als Fall von bewaffneter Aggression zum Anlaß nehmen, ihre Entwicklungshilfe- und Kreditpolitik gegenüber all den Staaten zu überprüfen, die sich an der Aggression offen beteiligen oder sie unterstützen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung, die eine ausgewogene Nahostpolitik verfolgt, betrachtet es nicht als ihre Aufgabe, an Stelle der dafür vorgesehenen Organe der Staatengemeinschaft Vorgänge in den internationalen Beziehungen für sich allein völkerrechtlich zu qualifizieren. 110 übrigen hestand bei Kriegsausbruch im Nahen Osten kein Waffenstillstand, sondern nur eine praktische Feuereinstellung. Die Bundesregierung hofft, daß die Resolution des Sicherheitsrats zur endgültigen Wiedereinstellung der Kampfhandlungen und im weiteren Verlauf zu einer dauerhaften Friedenslösung führt.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, steht die Aussage von Staatssekretär Frank gegenüber den Geschäftsträgern der arabischen Staaten am gestrigen Tage jedenfalls laut Rundfunkmeldungen gestern abend 23 Uhr — von der absoluten Neutralität nicht doch in einem Gegensatz zu den politischen und rechtlichen Verpflichtungen, die wir übernommen haben, Aggressoren zu disqualifizieren?
Herr Abgeordneter, ich habe eben schon gesagt, daß die Qualifizierung nicht unsere Sache ist. Ich kann deshalb auch Ihre Frage nicht aufnehmen - das habe ich gerade geantwortet -, sondern das ist Sache der Staatengemeinschaft. Wenn von den Vereinten Nationen ein entsprechender Beschluß gefaßt würde, was ja in anderen Fällen geschehen ist, ist die Sachlage völkerrechtlich klar.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, soll diese letzte Äußerung bedeuten, daß die Bundesregierung auf ein eigenes Urteil darüber, wer in irgendeiner kriegerischen Auseinandersetzung der Aggressor ist und wer nicht, verzichtet und ihre Antwort jeweils von Beschlüssen des Sicherheitsrats oder anderer Gremien der Vereinten Nationen abhängig macht?
Herr Abgeordneter, ich habe von der völkerrechtlichen Qualifizierung, nicht von dem Urteil und der Meinung der Bundesregierung gesprochen. Und für Verträge, die eingegangen sind, und für Abkommen, die wir einzuhalten haben, gelten nun einmal völkerrechtliche Regelungen und nicht Empfindungen oder Gefühle oder Meinungen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer.
Herr Staatssekretär, sind Berichte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zutreffend, wonach die Bundesregierung es für vertretbar hielt, Teile eines Kapitalhilfekredites von 90 Millionen DM an Ägypten vor dem Waffenstillstand abfließen zu lassen, während sie es für nicht vertretbar hielt, mit Israel in Vereinbarungen über einen von der Regierung zugesagten 120-MillionenKapitalhilfekredit einzutreten?
Metadaten/Kopzeile:
3538 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Ich kann diese Sachlage nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, da Fragen dieser Art bei jeder kriegerischen Auseinandersetzung auf dieser Erde mit schöner Regelmäßigkeit wiederkehren, frage ich Sie: Würden Sie nicht die Gelegenheit benutzen, hier noch einmal zu erklären, ob die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik dazu dient, Regierungen zu unterstützen oder zu verurteilen, ober ob sie nicht vielmehr dazu dient, den Menschen, die in diesen Ländern leben, zu nützen?
Herr Abgeordneter, wir haben in anderen Fällen — und das gilt auch hier — die Weiterführung der Entwicklungshilfe davon abhängig gemacht, daß sie diesem Zweck dienen kann. Insofern ist es ein großer Fortschritt für diese unsere Absichten, wenn eine Beruhigung in solchen Gebieten eintritt. Denn dann leisten wir mit unserer Hilfe einen Beitrag zur friedlichen Entwicklung des Vorderen Orients. Ich sehe• in manchen Fragen, die hier gestellt werden, den Versuch, die Bundesregierung zu einer Parteinahme zu bewegen, der sie aus übergeordneten Gesichtspunkten nicht zustimmen kann, auch im Interesse aller Betroffenen dort nicht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die der Frage des Kollegen Todenhöfer zugrunde liegenden Sachbehauptungen nicht zutreffen?
Ich habe soeben gesagt, daß ich diese Sachbehauptungen nicht bestätigen kann.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 108 der Abgeordneten Frau von Bothmer auf:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu der Anregung des Professors Dr. Franz J. Hinkelammert vom LateinamerikaInstitut der Freien Universität Berlin ein, die politische Verhaltensweise der deutschen Konsulate und „insbesondere der deutschen Wahlkonsulate" in Chile zu untersuchen, „die sich zum Teil an den politischen Streiks vor dem Putsch beteiligten und sich nach dem Putsch häufig absolut mit der Politik der Militärjunta identifizieren"?
,Frau Abgeordnete, das Auswärtige Amt unterstellt, daß sich kein Berufskonsul der Bundesrepublik Deutschland in innerchilenische Angelegenheiten eingemischt hat. Was die Wahlkonsulen betrifft, weise ich darauf hin, daß sie in Chile überwiegend chilenische Staatsbürger sind. Selbstverständlich muß auch von ihnen in ihrer Eigenschaft als deutsche Konsuln entsprechende
Zurückhaltung erwartet werden. Ein völliger Verzicht auf die sich aus der chilenischen Staatsbürgerschaft ergebenden politischen Rechte kann ihnen aber nicht zugemutet werden. Das trifft auch in ähnlichen Fällen für alle anderen Länder zu, wo wir Wahlkonsuln anderer Staatsbürgerschaft haben. Es wäre problematisch, Untersuchungen auf diesen Bereich erstrecken zu wollen. Hierunter können sowohl die Teilnahme an Streiks in chilenischen Betrieben als auch politische Meinungsäußerungen, die sie nicht in ihrer Eigenschaft als Konsuln abgeben, fallen.
Es liegen bisher keine Hinweise für ein Verhalten vor, welches die gebotenen Grenzen überschreitet. Das Auswärtige Amt hat z. B. keine Kenntnis davon, daß ein deutsches Konsulat in Chile zum Zwecke der Teilnahme an vor dem Staatsstreich durchgeführten Streiks geschlossen gehabt hätte. Hingegen ist es durchaus möglich, daß der eine oder andere Wahlkonsul in jenen Tagen wegen Unruhen und Straßendemonstrationen in den für die konsularischen Aufgaben bestimmten Räumen vorübergehend nicht hatte arbeiten können. Da dem Wahlkonsul niemand die Verantwortung für die Sicherheit seiner im Konsulatsbüro arbeitenden privaten Angestellten — also nicht Angestellten der Bundesrepublik Deutschland — abnehmen kann, muß die Notwendigkeit einer solchen vorübergehenden Schließung seiner eigenen Einschätzung der Lage überlassen bleiben.
Eine Zusatzfrage.
Hat das Auswärtige Amt einen Einfluß darauf, wie diese Wahlkonsuln ihre Verpflichtung gegenüber der Bundesrepublik in dem jeweiligen Land wahrnehmen?
Sie sind zu bestimmten Handlungen für die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, wenn sie dieses Amt übernehmen. Es wird selbstverständlich geprüft, ob sie solche Verpflichtungen erfüllen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, entspricht es der Auffassung der Bundesregierung, daß es zu den Aufgaben einer bundesdeutschen Vertretung gehört, im Falle politischer Unruhen gefährdeten deutschen Staatsbürgern Kredite zur Rückkehr in die Bundesrepublik zu gewähren, und kann daraus abgeleitet werden, daß bekanntgewordene Verweigerungen dieser Hilfeleistung in Chile in absehbarer Zeit Konsequenzen nach sich ziehen werden?
Herr Abgeordneter, die Frage steht nun wirklich in keinem Zusammenhang mit der vorherigen Frage. Wenn Sie einen solchen Fall im Auge haben, müßten Sie mir das im einzelnen mitteilen; dann kann man das prüfen. Es ist so, daß jemand, der mittellos ist und nach Hause zurück
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3539
Parl. Staatssekretär Moerschwill, ein Darlehen, das natürlich zurückzuzahlen ist, von der jeweiligen deutschen Vertretung dort bekommen kann, sofern Geld da ist. Es kann auch Fälle geben, in denen ein Wahlkonsul — gerade wenn alle Banken seit Tagen oder Wochen geschlossen hatten — vielleicht kein Geld hatte; das muß ich im Einzelfalle prüfen. Gegen bestimmte Notfälle hilft keine Gesetzestechnik bei uns.
Ich darf die Frage 109 der Frau Abgeordneten von Bothmer auf:
Aus Anlaß der kürzlich erfolgten Proklamierung einer Republik Guinea-Bissao durch die Befreiungsbewegung PAIGC frage ich die Bundesregierung, nach welchen Kriterien sie eine Bitte um Anerkennung des neuen Staates beurteilen würde?
Die Anerkennung eines neuen Staates setzt voraus, daß sich ein Staat gebildet hat mit einem Staatsvolk, einem Staatsgebiet und einer Staatsgewalt, die durch eine effektive handlungs fähige Regierung verkörpert wird, die ihre Hoheitsgewalt über den größten Teil des Territoriums und die Mehrzahl der Einwohner effektiv ausübt und die sich mit Aussicht auf Dauer behaupten kann. Die Bundesregierung würde eine Bitte um Anerkennung Guinea-Bissaos als unabhängiger Staat wie in allen bisherigen Fällen nach diesen genannten Kriterien beurteilen.
Eine Zusatzfrage.
Verstehe ich es richtig, daß dann, wenn dieses Gebiet größer würde und wenn etwa die Hauptstadt des Landes dazugezählt werden könnte, die Bundesregierung einen anderen Standpunkt einnehmen könnte?
Frau Abgeordnete, in dem Augenblick, in dem die Hauptstadt nicht mehr in den Händen der Regierung liegt, mit der wir die Beziehungen haben, ändert sich die Lage normalerweise von Grund auf; das hängt natürlich auch von Art und Umfang des Landes ab. Dann werden die Kriterien zum Maßstab unserer Entscheidungen gemacht werden, die ich genannt habe.
Eine Zusatzfrage, des Herrn Abgeordneten Dr. Todenhöfer.
Herr Staatssekretär, ist das wirklich Meinung der Bundesregierung, daß die Anerkennung eines Landes möglich ist, wenn die Hauptstadt eines anderen Landes von Befreiungsorganisationen besetzt ist?
Herr Abgeordneter, wenn Sie genau auf den zweiten Satz gehört hätten, den ich gesagt habe, dann wäre die Frage, glaube ich, gar nicht notwendig gewesen. Ich habe auf die drei Kriterien verwiesen: Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt. Da das Staatsgebiet ein ganz wichtiges Kriterium ist, ist natürlich für die Beurteilung, ob das
Staatsgebiet in dieser oder jener Hand ist, u. a. die Frage von Bedeutung, in wessen Händen die Hauptstadt ist. Ich habe nicht gesagt: von entscheidender Bedeutung, sondern es ist ein wichtiges Indiz, nicht mehr und nicht weniger. Wenn ein Land praktisch nur aus einer Hauptstadt besteht, was es ja auch gibt, sieht die Sache natürlich einfacher aus, als wenn es noch größere Gebiete hat.
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär von Wechmar hier.
Die Fragen 93 und 94 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich sehe, daß der Fragesteller der Frage 95 nicht da ist. Auch diese Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich bedanke mich für Ihre Bereitschaft, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan anwesend. Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß seit Juni dieses Jahres in der Wochenzeitung der DKP „UNSERE ZEIT" unter der Überschrift „Generale im UZ-Test" eine gegen höchste Bundeswehroffiziere gerichtete Diffamierungskampagne durchgeführt wird, in der als sogenanntes „Testergebnis" namentlich genannte Generale und Admirale als „ungeeignet für die Bundeswehr-Generalität bezeichnet werden, die nicht in eine Bundeswehr gehören, die sich demokratisch legitimieren möchte", und ist die Bundesregierung bereit, dieser vermutlich aus der DDR mit dem Ziel der Zersetzung unserer Bundeswehr initiierten Aktion entgegenzutreten, nachdem dieser Sachverhalt ihr jetzt zur Kenntnis gebracht worden ist?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Der Bundesregierung ist die Kampagne der DKP-Wochenzeitung bekannt. Über die Vermutung, daß sich hinter dem Pseudonym des Verfassers der Artikelserie ein DDR-Autor verbirgt, möchte sich die Bundesregierung nicht äußern. In der Fragestunde geht es weniger um Vermutungen, sondern mehr um Tatsachen. Charakter und Bedeutung der DKP und ihrer Zeitung legen es allerdings nahe, der Tatsache dieser Kampagne durch weitere Publizität möglichst keinen Vorschub zu leisten.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, darf ich daraus schließen, daß Sie nicht genau wissen, wer der Autor dieser Artikelserie ist und welche Funktionen er sonst ausübt und welche Artikel er schon früher geschrieben hat?
Metadaten/Kopzeile:
3540 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Herr Kollege, Sie dürfen das nicht daraus schließen. Sie dürfen nur nicht erwarten, daß ich. hier auf Grund von Vermutungen eine Antwort gebe, die ich Ihnen nicht vor Gericht beweiskräftig erhärten könnte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Dr. Miltner : Herr Staatssekretär, halten Sie Ihre Antwort für richtig, ausreichend und, ich möchte auch sagen, glaubwürdig, wenn Sie der ganzen Geschichte nicht diese Bedeutung zumessen wollen, wenn aber dieselbe Bundesregierung die Kommunisten in unserem eigenen Land dadurch hoffähig gemacht hat, daß z. B. für den Entwurf des Hochschulrahmengesetzes der „Spartakus" zu Beratungen hinzugezogen worden ist?
Herr Kollege, diese Frage steht in keinem Zusammenhang mit der gestellten Frage und wird deswegen nicht beantwortet.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Baum anwesend. Die Frage 12 hat Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann gestellt:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung langfristig die Einführung der Faksimilezeitung in der Nachrichtentechnologie plant?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege, im Einvernehmen mit den' Bundesminister für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen beantworte ich Ihre Frage wie folgt.
Der erste Teil Ihrer Fragen betrifft die Bundesregierung nur insoweit, als es um den Ausbau geeigneter Übertragungswege im Fernmeldenetz geht. Die Planung der Faksimilezeitung selbst ist Sache der Presse und nicht der Bundesregierung.
Eine wirtschaftliche Nutzung der Faksimiletechnik für die Übertragung von Text und Bild hängt weitgehend vom Ausbau geeigneter Übertragungswege im Fernmeldenetz und der Entwicklung preiswerter Kopiergeräte ab.
Nach dem derzeitigen Kenntnisstand könnten die technischen Voraussetzungen für Faksimile-Informationsdienste innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre vorliegen. In welchem Umfang Bürger und Presse von derartigen Möglichkeiten Gebrauch machen würden, läßt sich heute noch nicht sagen. Hierüber gibt es weder detaillierte Äußerungen der Presse selbst, noch sind Untersuchungsergebnisse bekannt, die ein hinreichendes zahlenmäßiges Bild über den Bedarf ermöglichen.
Die Planungen der Bundesregierung über die Bereitstellung von Übertragungswegen sind noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung beabsichtigt die Bildung einer Kommission unabhängiger Sachverständiger, die bis 1975 Vorschläge für den Ausbau eines künftigen technischen Kommunikationssystems erarbeiten soll.
Eine Zusatzfrage.
Dr. Zimmermann : Herr Staatssekretär, in Kenntnis Ihrer Ausführungen vor der Standortpresse, abgedruckt im Bulletin vom 19. Oktober 1973, und unter Bezug auf eine mir vorliegende Notiz aus „ZV + ZV" vom 20. September 1973 über Ausführungen des Herrn Bundesministers Ehmke darf ich Sie fragen: Gibt es zu dieser Frage eine einheitliche Meinung der Bundesregierung, oder bestehen Unterschiede zwischen Ihrer geäußerten Auffassung, es handele sich nur um eine andere Vertriebsform — also ganz ausgerichtet auf die Presse —, und den Ausführungen von Herrn Ehmke, die mehr auf eine rundfunkmäßige Fortschreibung moderner Technologien hinausgehen könnten?
Herr Abgeordneter, darf ich diese Frage im Zusammenhang mit der Frage 13 beantworten?
Bitte, gern!
Dann rufe ich die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann auf:
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Struktur und Meinungsvielfalt der Presse, wenn Zeitungen über den Fernsehbildschirm abgerufen und dann nach Wunsch fotokopiert werden können?
Über Konsequenzen für die Struktur und Meinungsvielfalt der Presse, wenn Zeitungen über den Fernsehschirm abgerufen und dann nach Wunsch fotokopiert werden können, läßt sich nichts sagen, weil das von Ihnen angegebene Verfahren einer Verkoppelung der beiden sonst meist als selbständig genannten Dienstleistungen noch wenig erprobt ist.
Die Bundesregierung ist im übrigen der Meinung, daß jede zusätzlich erschlossene Informationsquelle und jede Absicherung und Verbesserung ihrer Übermittlungswege dazu beitragen kann, die Meinungsvielfalt zu stärken. Das gilt auch für die faksimilierte Zeitung.
Bei einer Lösung des Problems wird darauf zu achten sein, daß die privatwirtschaftliche Struktur der Presse erhalten bleibt und ihr die nach dem jeweiligen Stand der technischen Entwicklung zugänglichen Vertriebswege unter Einschluß der Faksimiletechnik offenstehen. Hierbei müssen die Forderungen nach Vielfalt und Wettbewerb Berücksichtigung finden.
Eine Zusatzfrage, Herr Sieglerschmidt. Bitte schön!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3541
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß nach Auffassung der Bundesregierung der Stand der technischen Entwicklung dieses Mediums noch nicht so ist, daß man die Frage, die hier vorhin gestellt worden ist, nämlich in welcher Rechtsform und in welcher wirtschaftlichen Form von diesem Medium in Zukunft Gebrauch gemacht werden könne, abschließend beantworten kann?
Sie haben mich richtig verstanden, Herr Abgeordneter. Die rechtliche Einordnung wird noch eingehend geprüft werden müssen. Das gilt auch für die Frage, ob es sich hierbei um ein neues Medium handelt oder nicht. Ich möchte darauf hinweisen, daß ich der Meinung zuneige — das wurde soeben zitiert —, und zwar in Übereinstimmung mit dem Bundesminister des Innern, daß, soweit diese neue Form der Übertragung noch Zeitung im weitesten Sinne der Auslegung ist, sie auch noch Presse sein muß und rechtlich so eingeordnet werden sollte.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Benz.
Herr Staatssekretär, ist damit zu rechnen, daß die Auffassung, die Sie vor der Standortpresse geäußert haben, und die des Herrn Ministers Genscher irgendwann einmal mit der des Herrn Ministers Ehmke deckungsgleich gemacht werden? Ist damit zu rechnen, daß sich auch Herr Ehmke eines Tages zu der Privatwirtschaftlichkeit der Faksimilezeitung bekennt?
Ich weiß nicht, ob Sie hier nicht einen Gegensatz konstruieren. Wenn Sie genau nachlesen, was Herr Minister Ehmke in Berlin gesagt hat, werden Sie feststellen, daß er sich sehr vorsichtig ausgedrückt hat. Ich bin der Meinung, daß man eine Entscheidung über die verschiedenen Formen der Faksimilezeitung — hier muß zunächst auch einmal eine Begriffsbestimmung gefunden werden — letztlich erst dann treffen kann, wenn die Prüfung durch die beabsichtigte Kommission abgeschlossen ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten von Fircks.
Herr Staatssekretär, können Sie uns vielleicht sagen, ob es zu den verschiedenen technischen Möglichkeiten, rechtlichen Fragen und damit auch politischen Entscheidungen — privatwirtschaftlich oder wahrgenommen durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten — in den Häusern, die sich mit dieser Frage befassen, bereits Fallstudien gibt und ob Sie uns oder dem zuständigen Ausschuß gegebenenfalls diese Fallstudien zur Kenntnis bringen könnten?
Herr Abgeordneter, über diese schwierige Frage werden bereits Überlegungen angestellt,
die aber noch nicht so weit gediehen sind, daß wir Ihnen Ergebnisse zur Verfügung stellen könnten. Wir wollen uns der Hilfe von Wissenschaft und Wirtschaft versichern, bevor wir diese Frage endgültig beantworten. Diesem Ziel dient die Einsetzung der Kommission, die ich erwähnt habe.
Keine Zusatzfrage! — Frage 14 des Herrn Abgeordneten Hoffie. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Wird die Bundesregierung durch die Zuweisung von Haushaltsmitteln an die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung sowie an die anderen überregionalen Museen und Institute, die im Arbeitskreis „Selbständiger Kultureller Institutionen" vereinigt sind, sicherstellen, daß die Publikationsreihen sowie die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit dieser Kulturinstitute, deren Fortsetzung durch den rapiden Kostenanstieg bereits unmöglich geworden oder künftig gefährdet ist, wieder aufgenommen und fortgesetzt werden können?
Herr Abgeordneter, da sich im „Arbeitskreis Selbständiger Kultureller Institutionen" Einrichtungen zusammengeschlossen haben, denen eine national repräsentative Bedeutung zukommt, hat die Bundesregierung ihrer institutionellen Förderung seit Jahren eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Zuwendungen haben sich jährlich beträchtlich erhöht. Im Jahre 1973 sind im Haushalt des Bundesinnenministeriums für die im Arbeitskreis zusammengeschlossenen Institutionen insgesamt 2 154 400 DM veranschlagt; im Jahre 1969 waren es demgegenüber 1 018 900 DM.
Außer vom Bund ,erhalten die genannten Einrichtungen im wesentlichen auch Zuwendungen von den Ländern und Kommunen, in deren Bereich sie ihren Sitz haben. Leider war und ist es, wie bei allen geförderten Einrichtungen auch, nicht möglich, diese Institutionen so zu fördern, daß alle ihre Wünsche erfüllt werden können. Das gilt für die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit der Einrichtungen ebenso wie für ihren personellen Ausbau und die Bereitstellung von Mitteln für Erwerbungen.
An einem parlamentarischen Abend am 6. Juni dieses Jahres haben die Einrichtungen des ASKI Abgeordneten des Haushalts-, des Innen- und des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft des Deutschen Bundestages ihre Sorgen vorgetragen. Die Abgeordneten haben dabei zum Ausdruck gebracht, daß bei aller Anerkennung der bedeutungsvollen Arbeit der Einrichtungen des ASKI auch bei ihrer Förderung den Notwendigkeiten der Finanz- und Konjunkturpolitik Rechnung getragen werden müsse. Dennoch habe ich von den Einrichtungen des ASKI Unterlagen erbitten lassen, die Perspektiven für die wünschenswerte Entwicklung dieser Einrichtungen enthalten, um für ihren weiteren Ausbau im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten Sorge tragen zu können.
Eine Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
3542 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß bei der Bundesregierung der ernsthafte Wille besteht, die Sorge der Einrichtungen, ihre Aufgaben nicht erfüllen können — diese Sorge ist von Professor Wetzold und Professor Zeller ja vorgetragen worden —, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten auszuräumen?
Herr Abgeordneter, davon können Sie ausgehen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich, weil an dem von Ihnen zitierten Abend auch über die Aufgabenstellung als solche gesprochen wurde, fragen, ob die Aufgabenstellung der in dem Arbeitskreis zusammengeschlossenen Institutionen, so wie sie der. Arbeitskreis selbst versteht und wie sie auch Herr Staatssekretär Dr. Rutschke unterstrichen hat, gutgeheißen und gebilligt wird?
Das ist der Fall, Herr Abgeordneter.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 16 und 17 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Hält die Bundesregierung es für angemessen, daß auch das Überschreiten der Grenzen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen EWG-Staaten ohne Paß sowohl für Deutsche als auch für Ausländer (1 47 Abs. 1 Nr. 1 des Ausländergesetzes) als Vergehen strafbar ist, oder zieht sie in Betracht, die betreffenden Straftatbestände far solche Fälle in Ordnungswidrigkeiten umzuwandeln?
Herr Kollege, es trifft in der Tat zu, daß das Überschreiten der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland ohne gültigen Paß oder ein anderes Grenzübertrittspapier für Deutsche und für Ausländer als Vergehen strafbar ist. Die Bundesregierung wird die Novellierung des Paßgesetzes, die noch in dieser Legislaturperiode vorgenommen werden soll, zum Anlaß nehmen, zu prüfen, ob es vertretbar ist, derartige illegale Grenzübertritte für Deutsche künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Dabei wird auch zu erwägen sein, ob dies generell oder nur bei illegalem Überschreiten der Grenze zu einem anderen EG-Staat gelten soll.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es in der Bundesregierung schon eine Meinung zu der von der deutsch-niederländischen Parlamentariergruppe Ende September in Maastricht erhobenen Forderung, das Überschreiten z. B. der Grenze zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik solle für Wanderer und andere in Zukunft ohne Paß möglich sein?
Im einzelnen hat sich die Bundesregierung mit dieser speziellen Forderung noch nicht auseinandergesetzt. Sie ist aber bisher immer der Meinung gewesen, daß aus bestimmten Gründen auf derartige Überprüfungen, wie sie hier in Rede stehen, nicht verzichtet werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung nach dieser Anregung bei der Neugestaltung des Paßrechts auch diese Vorstellungen in ihre Überprüfung einbeziehen wird?
Das wird die Bundesregierung sicher tun, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fellermaier.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht sinnvoll, bei einer solchen Regelung, die auch unter dem Gesichtspunkt von mehr Freizügigkeit gesehen werden muß, keine Unterscheidung zwischen den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und Drittländern zu machen? Für jemanden, der beispielsweise die Grenze nach Österreich oder in die Schweiz überschreitet, sollte die gleiche Regelung gelten wie für jemanden, der die Grenze nach Luxemburg oder in die Niederlande überschreitet.
Herr Abgeordneter, in der Tat sprechen einige gewichtige Gründe für Ihre Auffassung. Die Bundesregierung wird im Rahmen der Novellierung prüfen, ob es möglich ist, so zu verfahren.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, sie haben sich eben hinsichtlich der Gründe, warum die Bundesregierung bisher für die Aufrechterhaltung der Grenzkontrollen im europäischen Bereich ist, sehr vorsichtig ausgedrückt. Wäre es nicht angesichts der zahlreichen Fragen, die von europäisch engagierten Mitbürgern in dieser Richtung immer wieder gestellt werden, gut, ganz offen zu sagen, um welche Sicherheitsbelange es hier geht, etwa um die Frage der Einrichtung eines europäischen Kriminalamtes, einer gemeinsamen Strafverfolgung und dergleichen mehr?
Herr Abgeordneter, ich glaube, die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3543
Parl. Staatssekretär BaumFrage muß in einen größeren Zusammenhang gestellt und dann eingehender behandelt werden. Dabei ist wohl auch auf die Auffassung der EG-Staaten und der anderen Nachbarstaaten Rücksicht zu nehmen. Ich kann nur noch einmal wiederholen, daß bisher die Gründe überwogen haben, die die Bundesregierung veranlaßt haben, bei dem bisherigen Verfahren zu bleiben.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 19 des Abgeordneten Dr. Jahn und die Frage 20 des Abgeordneten Wagner (Günzburg) werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach die Bundesregierung das von Rembrandt 1643 gemalte, bis 1921 im Museum in Weimar aufbewahrte Selbstporträt auf Grund eines Prozeßvergleichs mit der Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar in ihrer vollen Verfügungsgewalt hat, es aber weder der Öffentlichkeit zugänglich macht noch wenigstens die Verbreitung von Photographien erlaubt?
Wenn ja, welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, das Gemälde der Öffentlichkeit vorzuenthalten, und wann wird sie es der Öffentlichkeit zugänglich machen?
Pressemeldungen des von Ihnen genannten Inhalts treffen nicht zu. Ein am 11. April dieses Jahres unter Vorbehalt geschlossener Vergleich ist vielmehr von der Bundesregierung widerrufen worden, weil ihr nach nochmaliger Überprüfung der Rechtslage die Beendigung des Gerichtsverfahrens durch Urteil als die richtige Lösung erschien.
Es trifft also nicht zu, daß die Bundesregierung die volle und unbeschränkte Verfügungsgewalt über das in Streit befangene Gemälde hat. Das Bild befindet sich lediglich zur treuhänderischen Verwahrung in ihrem Besitz. Bei dieser Lage erschien es der Bundesregierung ratsam, das Gemälde nicht der mit einer öffentlichen Ausstellung zwangsläufig verbundenen Gefährdung auszusetzen.
Wie es zu der Behauptung kommen konnte, die Bundesregierung erlaube nicht die Verbreitung von Fotografien des Bildes, verstehe ich nicht. Die Fotografien des Bildes sind wiederholt in der Presse veröffentlicht worden, wogegen die Bundesregierung selbstverständlich nichts einzuwenden hat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind die Heimlichkeiten, die mit dem so hermetisch im Keller des Wallraf-Richartz-Museums in Köln verborgen gehaltenen Selbstporträt Rembrandts gespielt werden, nicht doch sehr ungewöhnlich, wie laut „Neuer Zürcher Zeitung" der Herr Senatspräsident des Bundesgerichtshofs gesagt hat? Und ist die Vermutung richtig, die in der gleichen Zeitung ausgesprochen wurde, daß dieses Bild, wenn es nun nach 50 Jahren wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würde, allzu großes Aufsehen erregen würde, was man dringend vermeiden wolle, um seine entschädigungslose Auslieferung nach Weimar ohne großen Wirbel bewerkstelligen zu können?
Herr Abgeordneter, das sind eine Reihe von Zusatzfragen. Ich will versuchen, sie nacheinander zu beantworten.
Sicherlich ist eine Heimlichtuerei mit einem Bild von Rembrandt generell nicht gerechtfertigt. Ein solches Bild würde nur wohltuendes Aufsehen erregen und kein nachteiliges. Aber ich habe Ihnen ja darzulegen versucht, daß andere Gründe maßgebend waren, das Bild nicht auszustellen.
Was die Rechtssituation angeht, also die Frage, ob das Gemälde eines Tages an seinen ursprünglichen Ort, nämlich nach Weimar, zurückgeht, so müssen wir zunächst einmal abwarten, wie der Bundesgerichtshof entscheidet, und dann wird diese Frage zu behandeln sein.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, aus welchen Gründen eigentlich ist der Vergleich vor dem Bundesgerichtshof widerrufen worden? Und warum unternimmt die Bundesregierung nun nichts mehr zur endgültigen Klärung der Echtheit des Gemäldes — denn da gab es in der letzten Zeit Angriffe —, um die Grundlagen etwa für ein neues Vergleichsgespräch zu schaffen, da doch nur dann eine abschließende Entscheidung ge- troffen werden kann, wenn Echtheit oder Unechtheit z. B. durch eine Sachverständigenkommission klargestellt ist?
Herr Abgeordneter, ich vermag nicht zu beurteilen, ob die Frage der Echtheit des Bildes das Gericht hindert, eine Entscheidung zu treffen. Der nächste Termin ist vom Bundesgerichtshof auf den 14. November 1973 festgesetzt worden. Im übrigen sind wir der Meinung, daß die Bundesregierung natürlich nicht die richtige Instanz ist, ein Urteil über die Echtheit von Bildern und die Richtigkeit von Gutachten abzugeben.
Es ist gerade bei Rembrandt-Bildern, wie Sie wissen, schwierig, Aussagen über die Echtheit zu machen, weil da die Meinungen sogar maßgebender Sachverständiger auseinandergehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist es richtig, Herr Staatssekretär, daß dieses nach 1945 in den USA wieder aufgetauchte Gemälde aufgrund eines Sondergesetzes der USA im Januar 1967 gut restauriert als deutsches Kulturgut an die Bundesrepublik zurückgegeben wurde, nachdem die Bundesrepublik
3544 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode £— 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. Hauser
als Treuhänder auf Grund des Rechtsträgerabwicklungsgesetzes in den USA darauf Anspruch erhoben hatte?
Das Bild ist der Bundesregierung treuhänderisch unter gewissen Auflagen zur Verfügung gestellt worden.
Letzte Zusatzfrage?
Danke schön.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Wann ist mit einer Vorlage zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes im Sinne der Erklärung des Bundeskanzlers voni 20. September 1973 zu rechnen, mit der die „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst' vom 28. Januar 1972 abgelöst werden sollen?
Bitte schön!
Herr Kollege, die Bundesregierung hat mit der von Ihnen erwähnten Erklärung des Bundeskanzlers ihre Vorstellungen darüber mitgeteilt, was nach ihrer Meinung zur Regelung dieses Fragenkomplexes zur Zeit besonders notwendig und als-
bald realisierbar ist. Die dazu erforderlichen Arbeiten sind in meinem Hause aufgenommen worden. Das Ziel ist eine im Höchstmaß rechtsstaatliche Verfahrensregelung nach den Grundsätzen der Erklärung des Bundeskanzlers vom 20. September 1973. Die Arbeiten werden mit Nachdruck vorangetrieben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meine Frage lautete, wann — wenigstens ungefähr — mit einer entsprechenden Vorlage zu rechnen ist. Kann dieser Zeitpunkt nicht wenigstens in etwa präzisiert werden, da der Ministerpräsidentenerlaß, wie er verkürzt genannt wird, für sich genommen eigentlich keine Rechtsquelle darstellt?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen keinen festen Zeitpunkt nennen, sondern nur noch einmal die Versicherung wiederholen, daß die Arbeiten --- auch eine Abstimmung mit den Ländern, an der wir interessiert sind — mit Nachdruck vorangetrieben werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann, nachdem Sie im materiellen Teil auch noch einmal Andeutungen gemacht haben, gesagt werden, wann
mit einer weiteren Zwischenberichterstattung über den Fortschritt im Zusammenhang mit einer Konkretisierung der Grundsätze vom 20. September dieses Jahres, auf die Sie abgestellt haben, zu rechnen ist?
Ich kann mir vorstellen, daß eine Zwischenberichterstattung im zuständigen Ausschuß möglich ist und davon abhängt, ob dieser Ausschuß das wünscht.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Auf welche Weise wird die Bundesregierung in Zukunft den Ablauf des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens heim Bau von Kernkraftwerken gestalten, um die Versorgungsziele ihres Energieprogramms im Kernenergiesektor zu sichern?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist der Ansicht, daß der durch das Atomgesetz vorgegebene Rahmen für die Genehmigung von Kernkraftwerken ausreichend ist. Die Bundesregierung ist jedoch bemüht, innerhalb dieses Rahmens die Schutzziele des Atomgesetzes mit den Anforderungen aus dem Energieprogramm in der Weise in Einklang zu bringen, daß angesichts der zu erwartenden Zunahme an Kernkraftwerken zum einen rasch ein sehr hohes Sicherheitsniveau erreicht wird, welches dann auf Grund einer damit einhergehenden zeitlichen Beständigkeit den Kernkraftwerksherstellern und -betreibern die für ihre längerfristigen Vorhaben benötigte Vorausplanbarkeit gewähren könnte. Zum anderen wird eine langfristige Standortvorsorge angestrebt, um die oft langwierigen, aber notwendigen Untersuchungen bei Standortgenehmigungen bei geplanten Kernkraftwerken nicht zu einem kritischen Terminproblem werden zu lassen. Die Bundesregierung ist ferner bemüht, die für die Abwicklung einer Vielzahl von Genehmigungen erforderlichen verfahrensmäßigen und organisatorischen Voraussetzungen zu gewährleisten, indem sie beispielsweise sicherheitstechnische Kriterien, Regeln und Richtlinien erarbeiten läßt und festlegt und eine Straffung der ihr zuarbeitenden Gutachterstellen anstrebt. Die Bundesregierung hält es darüber hinaus für erforderlich, daß die kerntechnische Industrie ihrerseits zu einer möglichst weitgehenden technischen Standardisierung der Anlagen gelagt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Auskunft darüber geben, welche konkreten Maßnahmen der Standortvorsorge die Bundesregierung ergreifen möchte?
Herr Abgeordneter, auf diese Frage bin ich nicht vorbereitet. Ich bin gern bereit, Ihnen darüber Angaben zu machen, wenn Sie das wünschen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3545
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen: Wie steht die Bundesregierung zu der Aufstellung eines sicherheitstechnischen Regelwerks, und wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Arbeit des kerntechnischen Ausschusses?
Die Bundesregierung prüft die Aufstellung eines sicherheitstechnischen Regelwerks und prüft dabei auch die Arbeiten des von Ihnen genannten Ausschusses.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Ist an eine Novellierung des § 7 Abs. 3 des Atomgesetzes gedacht, um das Verfahren zu straffen?
Herr Abgeordneter, die Antwort lautet nein. Eine über die in der vorstehenden Antwort skizzierten Maßnahmen hinausgehende Novellierung des Atomgesetzes — etwa in der Form einer Beschränkung der Beteiligung aller in ihren Zuständigkeitsbereichen betroffenen Behörden am atomrechtlichen Genehmigungsverfahren — wäre mit den Schutzzielen des Atomgesetzes nicht vereinbar. Die Bundesregierung hält also an dieser Gesetzesvorschrift fest.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit einer Standardisierung von einzelnen Komponenten? Könnte man nicht dadurch das Genehmigungsverfahren etwas straffen?
Dazu, Herr Abgeordneter, habe ich schon Stellung genommen, indem ich zum Ausdruck gebracht habe, daß wir an einer Standardisierung interessiert sind und von der kerntechnischen Industrie erwarten, daß sie hierzu wesentlich beiträgt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für möglich, daß sie am Ende der von Ihnen zugesagten Überprüfung sogar einmal zu der Vorstellung kommt, daß man ganze Typengenehmigungen für Kernkraftwerke ausarbeiten kann?
Das ist eine Möglichkeit, die durchaus
ins Auge zu fassen ist und wesentlich zur Problemlösung beitragen würde.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Abelein auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Pohlmann auf:
Hält die Bundesregierung den Bau des geplanten Kernkraftworks Grohnde in unmittelbarer Nähe von den Gemeinden Grohnde und Kirchohsen und in 8 km Entfernung der Stadt Hameln (63 000 Einwohner) für vertretbar gegenüber den durch den Betrieb eines Kernkraftwerks gegebenen Sicherheitsrisiken, und kann die Bundesregierung zusichern, daß eine Gefährdung der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften durch emittierte radioaktive Isotopen unter allen Umständen, also auch langfristig, ausgeschlossen ist?
Baum, Parl. Staatssekretär 'beim Bundesminister des Innern: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung kann zum jetzigen Zeitpunkt die Vertretbarkeit eines Kernkraftwerks im Raum Grohnde an der Weser nicht beurteilen, da heim Land Niedersachsen bisher kein Antrag auf atomrechtliche Genehmigung ge- stellt wurde und dementsprechend auch der Bund im Rahmen seiner Rechts- und Zweckmäßigkeitsaufsicht über die atomrechtlichen Genehmigungsbehörden noch keinerlei prüffähige Unterlagen erhalten hat.
Die Bundesregierung kann jedoch zusichern, daß im Falle einer Konkretisierung dieses Projektes die Genehmigungsvoraussetzungen sehr sorgfältig ge- prüft werden und einer Genehmigung nur zugestimmt wird, wenn unter anderem die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb einer solchen Anlage getroffen ist. Hierbei werden insbesondere auch die Besiedlungsdichte in der Umgebung des Standortes und die Strahlenbelastung der Bevölkerung durch die Emissionen radioaktiver Substanzen Berücksichtigung finden.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Pohlmann auf:
Mit welcher Begründung hält die Bundesregierung den Bau eines weiteren Kernkraftwerks an der Weser für zulässig, eines Flusses, der jetzt schon durch die Kaliabwasser vornehmlich aus dem Werragebiet biologisch überlastet ist?
Wie in der vorausgehenden Antwort bereits ausgeführt, ist über die Zulässigkeit eines weiteren Kernkraftwerks an der Weser von der Bundesregierung in keiner Weise entschieden. Die Bundesregierung ist jedoch — wohl mit Ihnen — der Meinung, daß im wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren für ein solches Projekt die Vorbelastung der Weser sorgfältig geklärt und berücksichtigt werden muß, damit eine unzulässige Wärmebelastung der Weser verhindert wird und deren Selbstreinigungskraft erhalten bleibt.
Metadaten/Kopzeile:
3546 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten von Bothmer.
Herr Staatssekretär, kann es überhaupt noch eine Frage sein, ob die Weser einem solchen neuen Kraftwerk standhält, da allein das jetzige schon in Betrieb befindliche das Wasser um etwa drei Grad aufwärmt, ganz abgesehen davon, daß fast das gesamte vorhandene Weserwasser durch das Kühlwerk laufen muß, damit die hohe Kapazität dieses Kühlwerkes ausgenutzt werden kann?
Frau Abgeordnete, die Frage wird man endgültig erst dann beantworten können, wenn man genau weiß, welche Art von Kernkraftwerk dort geplant wird, welche technischen Voraussetzungen dafür nötig sind und welche Auswirkungen sich für die Weser ergeben. Aber ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Prüfung außerordentlich kritisch zu erfolgen hat.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Pensky auf:
Was und gegebenenfalls mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung auf Grund der Empfehlung 601 der Beratenden Versammlung des Europarats vom 20. April 1970 veranlagt, die darauf abzielt, die Anwendung der IV. Genfer Konvention auf
die Polizeibeamten sicherzustellen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich bereits bei den Erörterungen der Empfehlung 601 im Ministerkomitee des Europarates in engagierter Form für die Verwirklichung des angestrebten Zieles eingesetzt, durch eine von allen Vertragsstaaten gebilligte Auslegung der IV. Genfer Konvention ausdrücklich klarzustellen, daß die Konvention auf Polizeibeamte Anwendung findet. Die Vorstellungen der Bundesregierung sind zusammen mit einem von Professor Dr. Scheuner erstatteten Gutachten in einem Dokument des Ministerkomitees allen Mitgliedstaaten des Europarates bekanntgegeben und auf diese Weise allen interessierten Stellen zugänglich gemacht worden.
Damit hat die Bundesregierung einen inhaltsreichen Beitrag zu den Bemühungen geleistet. Andere Mitgliedstaaten waren weitaus zurückhaltender.
Soweit Ihre Frage auf innerstaatliches Recht abzielt, bemerke ich, daß die Verhältnisse der Polizeien in der Bundesrepublik Deutschland einer internationalen Absprache nicht entgegenstehen würden. Sie sind klar überschaubar, einerseits auf Grund gesetzlicher Regelung für die Verbände und Einheiten des Bundesgrenzschutzes, andererseits durch Verlautbarungen für die übrigen Polizeien. In dem Gutachten von Professor Dr. Scheuner ist das schon im einzelnen dargelegt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wissend, daß 1972 in Genf auf der Regierungsexpertenkonferenz des Internationalen Roten Kreuzes über die Erweiterung und Entwicklung des internationalen Völkerrechts und die Anwendbarkeit in Kriegsfällen ein schweizerischer Vertreter Vorschläge für eine internationale Polizeikonvention gemacht hat, die allerdings auf wenig Gegenliebe stießen, frage ich — jetzt kommt die eigentliche Frage; das nur zur Begründung —, welche Initiativen die deutschen Vertreter der Regierungsexpertenkonferenz ergriffen haben, um den Vorschlag des schweizerischen Sachverständigen bzw. die Empfehlung 601 der Beratenden Versammlung des Europarates auf die Sie eben Bezug nahmen, zu unterstützen.
Herr Abgeordneter, wären Sie einverstanden, daß ich Ihre Frage im Zusammenhang mit der Frage 30 beantworte?
Dann rufe ich die Frage 30 des Abgeordneten Pensky auf:
Wird sich die Bundesregierung insbesondere auch im Hinblick auf die erneute Initiative der Beratenden Versammlung des Europarats vorn 26. September 1973 im Ministerkomitee des Europarats für eine Verwirklichung der vorerwähnten Empfehlungen einsetzen und daneben auch die deutschen Vertreter an der Diplomatischen Konferenz 1974 veranlassen, einen entspredienden Standpunkt zu vertreten?
Die Bundesregierung begrüßt die erneute Initiative, die kürzlich in der Beratenden Versammlung des Europarates zur Stärkung des humanitären Völkerrechts ergriffen worden ist und an der vornehmlich dorthin entsandte Mitglieder dieses Hohen Hauses teilhaben. Sie wird sich nach wie vor für eine Verwirklichung der Empfehlung 601 einsetzen.
Ebenso wie die Vertreter der Bundesregierung bei den Expertentagungen der Jahre 1971 und 1972 angewiesen worden sind, sich positiv zu äußern, so wird auch die zu der Diplomatischen Konferenz des Jahres 1974 zu entsendende deutsche Delegation beauftragt werden, diesen Standpunkt der Bundesregierung zu vertreten. Das gilt für alle Gremien, insbesondere internationale Gremien, in denen diese Frage behandelt wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal auf meine zunächst gestellte Frage zurückkommen — weil ich gar nicht daran zweifle, daß Sie eine solche Anweisung an die Vertreter der Expertenkommission der Bundesrepublik getroffen haben —, ob diese Anweisung auch befolgt worden ist. Denn darüber haben große Zweifel bestanden, auch bei mir.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird dafür sorgen, daß diese Meinung von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3547
Parl. Staatssekretär Baumden Vertretern, die sie zu diesen Konferenzen entsenden wird, vertreten wird. Wenn das in der Vergangenheit nicht geschehen sein sollte, so ist das zu bedauern.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf im übrigen auf das von Ihnen soeben zitierte Gutachten von Professor Scheuner Bezug nehmen, das die Bundesregierung in Auftrag gegeben hatte, und fragen, ob die Bundesregierung auch beabsichtigt, gemäß dem bereits vorliegenden Ministerkomiteebeschluß des Europarats auf nationaler Ebene besondere Kennzeichen für nicht kombattante Polizeibeamte einzuführen und diese den Vertragsstaaten der IV. Genfer Konvention mitzuteilen.
Herr Abgeordneter, solche Überlegungen werden angestellt, was den innerstaatlichen Bereich angeht. Da dies aus naheliegenden Gründen der internationalen Abstimmung bedarf, werden wir dann, wenn wir zu einem Ergebnis gekommen sind, dies auch auf internationaler Ebene mitteilen und für Durchsetzung unseres Standpunktes Sorge tragen.
Herr Sieglerschmidt, bitte schön!
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, über die Vorschläge der Beratenden Versammlung des Europarats zu einer internationalen Polizeikonvention oder etwas ähnlichem auf der diplomatischen Konferenz 1974 über die IV. Genfer Konvention zu einem befriedigen Übereinkommen dieser Art zu kommen?
Über das mögliche Ergebnis dieser Konferenz kann ich Ihnen, Herr Abgeordneter, nichts sagen. Ich kann noch einmal wiederholen, daß die Bundesregierung den von mir dargelegten Standpunkt mit Nachdruck vertreten wird und bei den anderen Vertretern auf dieser Konferenz für diesen Standpunkt werben wird.
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Baum.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf anwesend.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Löffler auf. -- Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Diese Frage und ebenso die Frage 32 des Abgeordneten Löffler werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Dreyer auf:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist die Bundesregierung bereit, diese Vergünstigung über den 1. Januar 1974 hinaus zu verlängern, und wenn ja, mit welcher neuen Befristung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter Dreyer, die Bundesregierung wird im Entwurf eines Zweiten Steueränderungsgesetzes 1973 vorschlagen, die .von Ihnen angesprochene Steuervergünstigung um ein Jahr zu verlängern. Durch die neue Frist soll der Anschluß an das Dritte Steuerreformgesetz hergestellt werden, das eine entsprechende Steuervergünstigung auch für die Zukunft enthalten soll.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Milz auf:
ist die Bundesregierung bereit, bei zu erwartenden Preiserhöhungen für Benzin und Dieselkraftstoff den Steueranteil in Höhe von 66,3 % zu vermindern, um so die Preise zu stabilisieren?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter Milz, gestatten Sie, daß ich Ihre beiden Fragen im Zusammenhang beantworte? —
Dann rufe ich auch die Frage 35 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die steuerliche Belastung bei leichtem Heizöl zu vermindern, um die Preise zu stabilisieren?
Die Bundesregierung hat auch in Anbetracht der augenblicklichen Marktlage erhebliche Zweifel, ob der von Ihnen in Ihrer Frage gemachte Vorschlag, den Steueranteil bei Treibstoffen und Heizöl zu senken, zu dem von Ihnen angenommenen Ziel einer Preisstabilisierung für Mineralölerzeugnisse führen würde. Voraussetzung hierfür wäre doch, daß eine Steuersenkung von den Unternehmen an die Verbraucher weitergegeben würde. Beim leichten Heizöl wäre eine Weitergabe sicher nicht zu erwarten; denn die Steller von nur 0,83 Pfennig pro Liter erscheint minimal im Vergleich zu den im Verlauf der Nahostkrise und infolge von Vorratskäufen auf über 30 Pfennig pro Liter gestiegenen Heizölpreisen. Sie werden mir sicher zugeben, daß ein Wegfall dieser geringen Steuer in den Preisbewegungen ohne jeden Vorteil für den Verbraucher untergehen würde.
Metadaten/Kopzeile:
3548 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Parl. Staatssekretär HermsdorfAuch bei den sehr viel höher besteuerten Treibstoffen wäre es keinesfalls sicher, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Steuersenkung weitergegeben würde, sei es durch Preisabschläge, sei es durch Verzicht auf Preiserhöhungen, wenn der Warenpreis steigt. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Weitergabe von Steuersenkungen besteht jedenfalls nicht; nur der Wettbewerb könnte eine Weitergabe erzwingen. Entfällt er aber — wenn beispielsweise das Warenangebot knapp wird —, so muß damit gerechnet werden, daß Steuersenkungen gerade nicht bis zum Verbraucher gelangen. In der Regel verbleiben diese dann bei den Steuerschuldnern, d. h. den Produzenten, Importeuren und Händlern. Für die Mehrwertsteuer gilt im übrigen grundsätzlich das gleiche.Zum anderen darf ich darauf aufmerksam machen, daß ein solcher Vorschlag, den Steueranteil zu senken, zu ganz erheblichen Steuermindereinnahmen führen würde. Ein Wegfall der geringen und beim Preis ohnehin nicht ins Gewicht fallenden Heizölsteuer würde einen Steuerausfall von jährlich rund 900 Millionen DM bedeuten. Wenn die Steuer auf Benzin und Dieselkraftstoff auch nur um einen Pfennig pro Liter gesenkt würde — eine Senkung, die den Treibstoffpreis ebenfalls unbeeinflußt ließe —, würde dies einen Einnahmeausfall von ca. 400 Millionen DM ausmachen.Wenn die Bundesregierung solche Steuersenkungsvorschläge ernst nehmen soll, muß verlangt werden, daß das Problem der Haushaltsseite nicht einfach unterschlagen wird und Vorschläge gemacht) werden, wie solche in die Milliarden gehenden Steuerausfälle aufgefangen werden sollen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß bei sich abzeichnender Erhöhung der Treibstoffpreise die sehr umstrittene, von der Regierung durchgesetzte Mineralölsteuererhöhung noch umstrittener wird, als sie ohnehin schon ist?
Ich bin gegenteiliger Auffassung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß insbesondere auch unter regionalpolitischen Gesichtspunkten eine Erhöhung der Mineralölsteuer durch Preiserhöhungen, die sich zwangsläufig daran anschließen werden, insbesondere unter regionalpolitischen Gesichtspunkten abzulehnen ist?
Wir haben die Frage der regionalpolitischen Gesichtspunkten nicht nur bei
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3549
Metadaten/Kopzeile:
3550 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3551
b) Agrarpreisausgleichsbeschlüsse,
c) überraschender Absatz von Agrarüberschüssen,
d) unvorhergesehene Beschleunigung des Auszahlungsverfahrens in Italien.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, war nicht ein wesentlicher Teil der Mehrausgaben durch den Beitritt von drei neuen Mitgliedsländern, England, Irland und Dänemark, vorhersehbar?
Nein, Herr Abgeordneter. Soweit diese Mehrausgaben aber vorhersehbar waren — wenigstens in bestimmter Größenordnung —, waren sie berücksichtigt worden.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.Wir stehen damit am Ende der Fragestunde. Die Fragen A 74, 75, 76, 77, 79, 81, 82, 83, 87, 88, 89, 90, 91, 92 und B 38 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht mehr behandelten
Metadaten/Kopzeile:
3552 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenFragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir fahren jetzt in der Aussprache zum Haushaltsgesetz 1974 und zum Finanzplan des Bundes 1973 bis 1977 fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt . Es ist eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gemeinschaftsdiagnose der fünf Forschungsinstitute ist heute schon öfter erwähnt worden. Sie beginnt ihren „Ausblick" mit dem Satz: „Die Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung im kommenden Jahr ist gegenwärtig mit großen Unsicherheiten behaftet. „Eine der drei Unsicherheiten, die dann, neben dem Außenhandel und den Lohnerhöhungen, an erster Stelle genannt wird, ist folgende: „In der Bundesrepublik wurde ein Konjunkturaufschwung noch nie so frühzeitig und so energisch gebremst". Das ist ein Erfolg der Konjunkturpolitik von Bundesregierung und Bundesbank; es ist auch ein Erfolg der Mehrheit dieses Hauses, die diese Regierung trägt und die Bundesbank zu ihrer Politik ermuntert hat und sie unterstützt hat.Ich darf daran erinnern, daß es aber nicht nur dieser Konjunkturaufschwung war, der rechtzeitig und energisch bekämpft wurde, sondern daß auch im Winter 1971/72 eine Lage der Stagnation — durchaus mit Möglichkeiten rezessiver Art — rasch abgefangen wurde. Was diese Regierung und ihre) Vorgängerin in der konjunkturpolitischen Steuerung der Mengenentwicklung, des Wirtschaftswachstums, des Vermeidens von Rezession und Überhitzung bisher geleistet haben, ist überzeugender als das, was alle Regierungen vorher vollbrachten.Ist das nun ein Erfolg dessen, was man Globalsteuerung nennt? Globalsteuerung ist ja ein Begriff, der 1966/67 in die politische Diskussion eingeführt wurde, um damals — 1966 — einer anderen Mehrheit dieses Hauses insbesondere klarzumachen, daß man Steuerung überhaupt braucht und allein mit Marktwirtschaft die wirtschaftliche Entwicklung nicht in den Griff zu kriegen ist.Aber wenn man sich die Maßnahmen ansieht, die Regierung und Bundesbank seit diesem Frühjahr angewendet haben, dann kann man nicht zu der Meinung kommen, das sei alles global oder auch nur das meiste sei davon global. Die generelle Geldverknappung ist sicherlich ein Akt der Globalsteuerung. Aber schon die Abschöpfung von Devisenzuflüssen aus dem Ausland, und zwar selektiv nach Banken-gruppen, je nachdem, wo die Zuflüsse waren, durch unterschiedliche Erhöhung von Mindestreservesätzen und Verminderung von Rediskontkontingenten ist schon nicht mehr Globalsteuerung. Wenn wir auf die Staatsausgaben sehen, ist jede Streichung einer Ausgabe und jede Sperrung natürlich selektiv. Es sind spezielle Dinge, die gemacht werden müssen; dabei kann man von Globalsteuerung nicht reden.Daß wir die öffentliche Ausgabenpolitik unter diesem Begriff etwas unsorgsam zusammengefaßt haben, liegt darin, daß generelle Wachstumsraten fürdie Ausgabenentwicklung vorgegeben werden, von deren konjunktureller Bedeutung ich nicht übermäßig viel halte. Ich würde mir auch für den weiteren Fortgang der Debatten über diesen Haushaltsplan — Debatten, die uns ja in das nächste Frühjahr hineinführen — doch wünschen, daß man etwas von dieser globalen Zuwachsrate wegkommt.
Zinsen für die Stabilitätsanleihe sind nicht mit Ausgaben für Bauinvestitionen zu addieren.
Das eine hat einen Multiplikatoreffekt von Null oder sogar von Minus, das andere einen eindeutig von Plus. Bei Rohöleinlagerungen — da sehe ich, abgesehen vom Bau der Vorrichtungen, auch keine expansiven Effekte. Das heißt, für die konjunkturpolitische Diskussion des Bundeshaushaltes wären wir weiter, wenn wir fächern könnten nach Ausgaben, die stärker expansiv sind, bis hin zu Ausgaben, die vielleicht sogar kontraktiv sind. Dem Haus, der Öffentlichkeit und wohl auch der Selbststeuerung der Regierung wäre damit ein Gefallen getan.Zu den Staatseinnahmen: — Die Aussetzung des§7 b ist keine Maßnahme der Globalsteuerung, ebensowenig wie die Beseitigung des Vorsteuerabzuges auf Investitionen. Es soll ja einen bestimmten Verwendungsbereich von Kaufkraft besonders treffen. Allenfalls könnte man die Stabilitätsabgabe für mittlere und höhere Einkommen als Globalsteuerung bezeichnen.Der letzte große Bereich ist die Währungspolitik. Dort haben wir sicherlich eine Aktion der Globalsteuerung, weil ja doch in Ausfuhr und Einfuhr an sehr gewichtigen Bereichen wirtschaftlicher Betätigung angesetzt worden ist. Alles in allem kann man von der Konjunkturpolitik nicht sagen, daß Globalsteuerung vieles und Spezialsteuerung wenig sei. In der Öffentlichkeit ist dieser Eindruck entstanden. Meiner Fraktion liegt daran, das zurechtzurücken.Aber, wie gesagt, die Überhitzung ist gebrochen. Dennoch wünschen wir uns — wie die Bundesregierung und wie die Bundesbank — keinen Kurswechsel in der Stabilitätspolitik. Vom Herrn Bundeswirtschaftsminister und auch von Vorrednern der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Rede des früheren Bundesfinanzministers Franz Josef Strauß entweder fachlich nicht in Ordnung oder daß sie unaufrichtig war. Man kann nicht gleichzeitig über Zunahme der Insolvenzen klagen und mehr an Stabilität fordern.
Es ist klar, daß eine Verschärfung des konjunkturpolitischen Kurses zu, wie der Bundeswirtschaftsminister sagt, Bremsspuren führt. Diese Härte mußte sein und muß noch weiterhin sein. Wir können keine Popularitätspolitik betreiben. Auch bei 6,4 % Preissteigerungen des Lebenshaltungskostenindex —
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3553
Dr. Arndt
statt zuvor 7,9 — darf man es sich nicht bequem machen.Was wir von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion uns dagegen wünschen, ist eine etwas gleichmäßigere Verteilung von öffentlichen Bauaufträgen im Tiefbau und Hochbau über das Jahr hinweg, Herr Minister.
Die übliche winterliche Delle in den Auftragsvergaben muß ja nicht sein. Wenn in den kommenden Monaten diese Einbuchtung beseitigt wird — also Bauaufträge, die sonst erst im späteren Verlauf des Jahres 1974 gegeben worden wären, jetzt im Winter, möglichst schon sehr bald, gegeben werden —, dann dient das der Stabilitätspolitik von Bundesbank und Bundesregierung. Es ist ein Signal gegen Investitionskürzungen in 1974, so wie wir sie 1973 machen mußten; es ist nicht ein Signal für mehr. Es hilft den Bauunternehmen — ob in Fördergebieten oder in Ballungszentren —, Stammkräfte zu behalten, und es hilft den Architekturbüros, Planungskapazitäten durchzuhalten.Aber bei unserem Grundsatz „kein Kurswechsel" mußten wir die Steueranträge der CDU/CSU-Fraktion von gestern ablehnen, sowohl den Milliardenrausch sowie die Einzelspritzen. Was ich in dieser Angelegenheit erhoffe und man muß ja bei allem auch etwas erhoffen können —, ist, daß Ihre Mitglieder des Finanzausschusses uns helfen, die Beratungen über das Steuerreformprogramm zum 1 Januar 1975 so zügig zu führen, daß wir diesen Termin gut einhalten können.
Diese Hoffnung habe ich immerhin auf Grund Ihres ungestümen Vorgehens, schon jetzt zum Jahresende das eine oder sogar alles zu machen.
Ich bin also guten Mutes, daß wir nicht mehr wie bisher Fragen bekommen: Was ist eigentlich eine Steuer, und was ist eine Körperschaftsteuer usw.? Ich bin guten Mutes, daß wir rasch vorankommen.Sie haben auch schon das meiste aus dem Steuerreformpaket der Regierung in Ihren Antrag übernommen. Es dürfte also der Vorsitzenden des Finanzausschusses leichtfallen, zu Einigungen zu kommen. Je eher wir dieses Paket durchberaten haben werden, desto sicherer weiß die Bevölkerung, daß sie zum 1. Januar 1975 mit einem ausgewogenen Steuerreformprogramm zu rechnen hat.
Die Geldpolitik muß wahrscheinlich weiter hart geführt werden. Nach Jahren der Geldschwemme, einer von außen kommenden Geldschwemme, muß die Wirtschaft langsam in den etwas weiten Geldmantel hineinwachsen können. Sie wissen, wie er entstanden ist: die Dollarschwemme im Gefolge eines schwierigen und nicht gewonnenen Krieges und einer leichten Kriegsfinanzierung. Wir wissen,daß wir jetzt von außen einigermaßen geschützt sind, daß Zuwachsraten der Geldmenge in Höhe von 15 % der Vergangenheit angehören und daß man sagen kann: Wir sind schon etwa auf der Hälfte dieses Satzes. Das muß sich auf die Kosten, auf Lagerhaltung, auch auf die zinsempfindlichen Teile der Investitionen auswirken. Wir müssen uns daran gewöhnen, daß wir wieder einen normalen Realzins nämlich Nominalbetrag minus Preisauftrieb — haben.Damit bin ich bei den Preisen im nächtsen Jahr. In der Gemeinschaftsdiagnose bestand kein Anlaß, zu optimistisch zu sein: ein Prozentpunkt weniger bei den Verbraucherpreisen, sechs statt sieben Prozentpunkte.In der Gemeinschaftsdiagnose wird auf das besonders diffizile Problem der Lohnfindung hingewiesen. Werden zu einer Zeit, in der die Konjunktur zwar noch nicht im Umbruch, aber die Überhitzung jedenfalls gebrochen ist, die Lohntarifverträge noch von den Preissteigerungsraten und von der Arbeitskräfteknappheit der Vergangenheit bestimmt? Oder wird schon auf die Gegenwart hin kontrahiert, vielleicht ,sogar auf die nähere Zukunft? Die Forschungsinstitute machen hier den Tarifpartnern den Vorschlag, für den Fall, daß bei den Preisen Mißgeschicke passieren, Revisionsklauseln einzubauen. Es ist ja wieder ein neuer Krieg ausgebrochen, und zwar in Nahost. Dieser Krieg hat auch unmittelbare Preiswirkungen gehabt, und noch ist er nicht ganz zu Ende. Ich finde eine derartige Vorbehaltsklausel bei Tarifverträgen besser, als von vornherein zu niedrige Abschlüsse, die dann zu nachträglichen Eruptionen führen, oder von vornherein zu hohe Abschlüsse, die dann nachträglich zu Einbrüchen bei der Beschäftigung führen.Gestern ist ein Streik in einigen Betrieben der metallverarbeitenden Industrie in Nordwürttemberg/Nordbaden beendet worden. Dieser Vertrag hat große Bedeutung. Er zielt weniger auf Lohnvorteile; er zielt darauf, das Arbeiterverhältnis im Betrieb, am Fließband, dem Angestelltenverhältnis anzugleichen, die Freiheiten, die der Mann im Büro hat — wie Pausen —, auch am Fabrikationspunkt selbstverständlich zu machen. Eine Zeitung hat das als revolutionär kommentiert. Ich würde sagen, das ist jedenfalls eine sehr weitgehende Reform, und sie hat die volle Unterstützung meiner Fraktion.
Preiskontrollen gegen die vermuteten 6% würden nicht helfen:
ein Thema, das in der deutschen Öffentlichkeit nicht untergehen wird, weil es ja in der Weltöffentlichkeit auch nicht untergegangen ist. Fast jedes Land um uns herum und in Übersee hat Preiskontrollen oder Lohnkontrollen oder hat Preiskontrollen und Lohnkontrollen.
Metadaten/Kopzeile:
3554 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. Arndt
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich davon freigehalten, zu Recht freigehalten. Wenn wir schon Kontrollen und Kontrolleure verstärken, dann kann ich mir das in der Betriebsprüfung bei den Finanzämtern viel eher vorstellen, wo wir sehr weite Zwischenzeiten haben, dann kann ich mir das bei der Gewerbeaufsicht vorstellen, wo in der Kontrolle des Lebensmittelrechts auch viele, viele Plätze nicht besetzt werden können. Ich kann mir nichts versprechen von einem neuen Gesetz über neue Kontrollen mit dann unzureichender Bemannung wie jetzt bei den Finanzämtern oder den Gewerbeaufsichtsämtern.Nun hat der Kollege Strauß diesen „Gelben Punkt" groß herausgestellt. Er hat mir auch die Ehre angetan, mich zu zitieren. Ich wiederhole noch einmal meine Auffassung: Diese Verbraucher-Aktion der SPD ist gut gemeint. Sie ist nicht ganz so gut gemacht worden. Aber das ist wohl ein Problem, das die SPD selbst zu verantworten haben wird.Aber ist dies denn ein Indikator für eine Verschärfung der innenpolitischen Zugluft, wie Herr Strauß das meinte, und wie andere das meinen, etwa eines sogenannten Klassenkampfes, den ich früher auch mit Wonne gegen die andere Untertertia gemacht habe? Das, würde ich also sagen, ist eine reine Phantasie.Dieses Volk — und dahinter steht die SPD-Fraktion —, dieses Volk braucht Unternehmer, und die Gesellschaft braucht Unternehmer, weil sie die Funktionen braucht. Und es schätzt ihre Leistung. Aber im Unterschied zu 1964/65 vergöttern wir sie nicht. Wit stellen sie nicht auf Denkmäler.
Wir vergessen nicht, und die Verbände der gewerblichen Wirtschaft sollten auch nicht vergessen, daß es auch „solche" Unternehmer gibt. Der GiftmüllPlaumann ist auch einer, oder war einer.
Das heißt, hier ist jede Pauschalierung von übel. Was zählt, ist, daß die marktwirtschaftliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland unangetastet ist, ja sogar verstärkt worden ist gegenüber der Zeit vor zehn Jahren.
Kartellgesetz, Zinsfreigabe, eine marktwirtschaftliche Währungspolitik — — Ja, bitte!
Herr Kollege Arndt, ich möchte fragen, ob Sie die letzten Sätze des Flugblatts „Gelber Punkt" auch als eine Stärkung der Marktwirtschaft verstehen und gar die Absicht derer dahinter vermuten, die das Flugblatt verfaßt haben, die Marktwirtschaft mit diesen Sätzen zu stärken?
Wenn Sie mir Gelegenheit geben, auf die Einzelheiten einzugehen:Diese beiden letzten Sätze sind wohl auch von den Autoren etwas bedauert worden. Aber sonst vermeidet es das Flugblatt — mit Ausnahme dieser beiden letzten Sätze über die Wirtschaftsstruktur, nicht über die Wirtschaftsordnung —, die Verantwortung einseitig auf die Unternehmer zu verschieben. Gerade das, was behauptet wird, geschieht in dem Flugblatt nicht.
Wer macht die Preise?, so wird gefragt. Erstens der Verbraucher selbst, zweitens die Unternehmer, drittens der Staat, viertens das Ausland. Das wird in abgewogenen Worten gesagt.
— Nein, die Bundesregierung hat damit nichts zu tun. Das ist der „Gelbe Punkt" . Sie können mir schon glauben, daß ich die Dinge auseinanderzuhalten weiß. Sie können sich das gern hinterher ansehen, Herr Leicht. Es ist schon so.Die beiden letzten Sätze sind mißglückt.
Das habe ich auch in meiner Antwort angedeutet. Aber das ist doch kein Grund, nervös zu werden. Denn die Praxis der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik dieser Regierung und der Bundesbank, die Praxis dieses Staates ist marktwirtschaftlich. Es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre; denn eine Dezentralisierung der Entscheidungen hilft, mit Arbeitskräften sparsamer umzugehen, und zweitens bringt sie eine bessere Machtverteilung als eine Konzentrierung dieser Entscheidungen.Marktwirtschaftliche Ordnung ist, wenn Sie so wollen, das System der Veränderungen. Wir haben sie früher oft genug gegen die CDU/CSU verteidigen müssen, heute vielleicht nicht mehr so sehr, aber doch damals. Eine Überlagerung dieser Ordnung durch andere Herrschaftsverhältnisse wäre eine Schwächung dessen, wofür diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen einstehen. Da gibt es auch keinen Grund zur Aufregung. Ich nehme an, die Aufregung der Verbände wird vorübergehen, wenn sie Ruhe und Zeit genug gehabt haben, darüber nachzudenken.Es gibt auch keinen Grund zur Aufregung, die sich Herr Strauß heute früh geleistet hat, über die Rahmenrichtlinien im Schulwesen. Schließlich ist diese Generation, die jetzt die beklagten Rahmenrichtlinien konzipiert, die Generation, die die jungen Lehrer stellt und die hinter diesen Richtlinien steht. Diese Generation ist ja nicht durch diese Rahmenrichtlinien erzogen worden.
— Das ist nicht sehr pauschal. Die APO der Jahre1967/68 und auch die junge Linke von heute, die Sieimmer wieder als Zerrbild herausstellen, sind, wenn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3555
Dr. Arndt
Sie so wollen, erstens einmal unter dem gleichen Bildungsnotstand großgeworden wie wir alle,
und zweitens sind diese Leute, wenn sie durch Schule — vielleicht sogar durch Elternhaus oder Universitäten — indoktriniert waren, von rechts indoktriniert worden.
Da Sie hier ja überall totalitäre Tendenzen wittern, will ich Sie gern beruhigen. Wenn sich an Universitäten linke Establishments bilden sollten,
werden sie der nächsten Studentengeneration genauso zum Opfer fallen wie das rechte Establishment der fünf Jahre zuvor.
Deswegen besteht auch kein Grund, sich über Rahmenrichtlinien aufzuregen. Das gefährdet diesen Staat nicht, das schwächt ihn nicht, und das wird man ertragen, allerdings freilich auch kritisieren müssen.Ich komme jetzt wieder auf den Haushalt und die Konjunktur zurück. Eine Unterhaltung über unternehmerische Leistungen schließt die multinationalen Unternehmen ein. Es ist ein heikles Thema. Aber wir vermögen nicht ganz einzusehen, warum multinationale Konzerne per se anders, also schlechter oder besser sein sollten als nationale Konzerne. Zweitens hat ,der Bereich, in dem sie eine besonders große Rolle spielen, nämlich die Mineralölversorgung, gezeigt, daß die Ölversorgung in ,den Händen der multinationalen Konzerne immerhin sicherer war als in den Händen der Staatsmonopole der arabischen Länder von heute.Wir sind 'der Regierung besonders zu Dank verpflichtet, daß durch die Rohölbevorratung vorgesorgt worden ist — Energiepolitik ist Sicherheitspolitik — und der Steinkohlenbergbau 1966/67 nicht wie eine heiße Kartoffel fallgelassen wurde. Das war einmal ein Programm revierferner Landesregierungen, ist es sogar vor kurzem noch gewesen. Das Land Bayern hatte nie sehr viel Verständnis für solche Notlagen. Wir müssen unsere Energiepolitik aber darauf einrichten, und wir haben uns eingerichtet auf eine sehr unfreundliche Welt, auf eine Welt von Frantz Fanon und nicht nur die von Bellamy mit schönem Rückblick auf das Jahr 2000.Aber auch 'die Bäume der Staatsmonopole werden nicht in dem Himmel wachsen. Im Augenblick haben die Golfstaaten und Libyen ,die internationale Preisführerschaft. Der Punkt wird kommen, an dem die Preisführerschaft dann wieder an andere übergeht, weil neue Techniken zum Durchbruch kommen. Bis zu diesem Punkt werden wir freilich bluten müssen.Herr Strauß hat uns ferner noch die Ehre angetan, auf die Ausführungen meines Kollegen Horn in der „Frankfurter Rundschau" über Probleme in der Bundeswehr einzugehen. Inzwischen hat sich Herr Kollege Horn differenziert geäußert. Er hat auch klar erklärt, jedes Pauschalurteil sei ihm fremd.
— Herr Althammer, ich hatte ihn von vornherein gar nicht anders verstanden. Weil ich ihn nämlich kenne, bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, daß da ein Pauschalurteil abgegeben worden sei.Aber eines muß man wohl hinzufügen, und das fehlte in der Empörung des Kollegen Strauß. Wer sich in diesem Lande nach möglichen totalitären Herden umsieht, nach kommunistischen wie nach faschistischen --- beides muß man zugestehen —, der ist damit nicht psychosozial vergiftet, wie dieser Steinbuch-Ausdruck heißt, sondern der ist vorsichtig, weil die Welt um uns herum nur zum geringeren Teil eine freie Welt war und auch die Welt der deutschen Vergangenheit nur zum geringsten Teil eine freie Welt war. In ,der Bundeswehr muß bleiben, daß die zivile Gewalt den unbedingten Vorrang hat.
Deswegen müssen auch Kritik und Vorsicht möglich sein.Was den Seitenblick zu Allende angeht, — das war eine Regierung, über deren Tagespraxis man urteilen kann, wie man will. Da gibt es hin und her etwas zu sagen. Aber unter Allende hat es keine Regierungsmorde gegeben, wohl aber unter seinen Nachfolgern.
Das ist für mich der entscheidende Punkt, nicht etwa ökonomische Vor- und Nachteile. Es genügt nicht, allein von Recht und Ordnung zu reden und für Recht und Ordnung verbal einzutreten. Vizepräsident Agnew und Justizminister Richardson haben gemeinsam, daß beide dafür geredet haben. Aber beide haben sich ja wohl höchst unterschiedlich nach ihren eigenen Reden gerichtet. Und sie sind beide zurückgetreten.
— Davon bin ich schon längst wieder weg. Ich sprach ja vorher über Allende, und der ist ja nicht in der Bundeswehr gewesen. Aber ich bin gerne bereit, jetzt meine Themen zu numerieren, weil Ihnen das die Debatte offensichtlich erleichtert.Also, ich bin bei den Vereinigten Staaten angelangt und habe durchblicken lassen wollen, daß bei Ihnen auch unterschiedslos für law and order eingetreten wird und daß ich das nicht jedem in der CDU/CSU in gleichem Maße abnehme.
Was die Vereinigten Staaten von Amerika anlangt: Diese Bundesregierung hat für die wirtschaftliche Genesung der Vereinigten Staaten viel getan: Wechselkurspolitik, keine Handelsdiskriminierung. Wir sind interessiert daran, daß dieses Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt, damit es3556 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 61, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973Dr. Arndt
nach diesem schwierigen Krieg auch sonst wieder voll auf den Beinen steht. Wir sind auf die Vereinigten Staaten von Amerika angewiesen.Das schließt aber auch folgende andere Dinge ein. Wir müssen bereit sein, auch für die Industrialisierung Osteuropas einen Beitrag zu leisten. Wir müssen weiterhin bereit sein, für die Entwicklungsländer, für die Westeuropäische Union und für die Europäische Gemeinschaft ebenfalls einzutreten und einzustehen.
Herr Abgeordneter —
Alles gehört zusammen — ich komme zum Schluß, Herr Präsident —, es ist nicht voneinander zu trennen. Dazu gehört auch eine Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrages, der vor Ihnen liegt.
Dort wird sich zeigen, ob Sie für eine Entspannungspolitik jetzt reif sind oder in Ihrem alten Nein beharren.
Für die SPD-Fraktion ist diese Entscheidung nicht zweifelhaft. Wir wollen den Frieden
für die Menschen in Hannover wie in Magdeburg. Wenn man nach der Definition einer Einheit der Nation sucht, dann liegt sie darin, daß wir die Chance haben, gemeinsam weiterzuleben,
oder diese Chance zu verspielen. Dazu kann man sich nicht in eine Isolierung begeben. Dazu muß man zu einer Verständigung mit den Völkern und Regierungen Osteuropas kommen.
Dieses Programm der äußeren Sicherheit, gestützt auf eigene Verteidigungsbereitschaft, hat die Unterstützung der sozialdemokratischen Fraktion; das Programm der inneren Stabilität — und das ist nicht nur Preisstabilität — ebenfalls. Die Bundesregierung hat in diesem ersten Jahr ihrer Regierung in der 7. Legislaturperiode gezeigt, daß sie nicht nur eine Regierung für eine Schönwetterwelt ist, sondern eine Regierung auch für stürmische Zeiten.
Sie hat unser Vertrauen. Die Haushaltsvorlage des Bundesfinanzministers und die Wirtschaftspolitik des Bundeswirtschaftsministers haben ebenfalls unser Vertrauen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin dem Kollegen Arndt sehr dankbar dafür, daß er
mit seinen letzten Worten den Bogen der Debatte etwas weiter gespannt hat, als das heute morgen der Fall gewesen ist. Ich bin insbesondere dankbar dafür, daß Sie, Herr Arndt, den Zusammenhang zwischen unserer Wirtschafts- und Währungspolitik und der Politik der Vereinigten Staaten sowie der Hilfe, die wir den Vereinigten Staaten gerne gegeben haben, dargelegt haben.
Ich muß gestehen, daß es mich etwas erschreckt hat, als auf den Vergleich zwischen dem Vizepräsidenten Agnew und dem Justizminister Richardson der Zwischenruf „Was geht uns das an?" aus den Reihen der Opposition kam. Denn mich hat, Herr Kollege Arndt, kaum eine Nachricht so verstört wie die, daß Herr Richardson die Regierung der Vereinigten Staaten verlassen hat. Wer eine Ahnung von der Person Richardsons, von ihrer Bedeutung und von ihrem Hintergrund hat, der kann Ihrer Bemerkung darüber nur zustimmen, und das geht uns allerdings eine ganze Menge an.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, gestatten 'Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Haase?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, darf ich fragen, ob Ihnen vielleicht ein Mißverständnis unterlaufen ist? Wir haben diesen Zuruf nicht im Sinne des „Was geht uns das an?" gemacht, sondern gefragt, was dieser spezielle Fall mit der Bundeswehr zu tun hat. Wir bezogen das auf die vorausgegangenen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Artikel des Kollegen Horn über unsere Streitkräfte.
Herr Kollege Haase, der Kollege Arndt hat in seiner Zwischenerwiderung darauf hingewiesen, daß er das Thema „Bundeswehr" bei dieser Erörterung bereits verlassen hatte und zu einem nächsten Thema übergegangen war.
— Daß Sie das nicht gemerkt haben, Herr Leicht, das haben wir wiederum gemerkt.Ein weiteres war der Hinweis auf den Atomwaffensperrvertrag. Herr Kollege Arndt, ich darf Ihren notwendigen Hinweis dahin gehend ergänzen, daß hier auch die Frage entschieden werden muß, wie wir es denn eigentlich in den nächsten Jahren mit dem Energieprogramm der Bundesregierung und mit der Energieversorgung dieses Landes halten.
Auch dies ist ein wesentlicher Aspekt des Atomwaffensperrvertrages.
Lassen Sie mich kurz auf die konjunkturpolitische Debatte zurückkommen. Es ist ja etwas merkwürdig,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3557
Dr. Graf Lambsdorffwie sich die Fronten in diesem Hause in den letzten sechs Monaten verkehrt haben. Nachdem wir lange genug aufgerufen und gemahnt worden sind und nachdem uns vorgeworfen wurde, wir seien rückständig und zögernd, nachdem wir gemahnt worden sind, Stabilitätspolitik und Antiinflationspolitik zu betreiben, sind es nun heute genau diejenigen, die uns damals am lautesten gemahnt haben, die — ich darf es einmal so formulieren — Angst vor der eigenen Courage bekommen und uns auffordern, die Bremsen wie wir meinen, vorzeitig — wieder zu lockern,
und zwar nicht nur wie wir meinen, sondern wie auch die Bundesbank, das Gemeinschaftsgutachten und andere mit uns meinen.
— Herr Kollege Dr. Sprung, es ist für mich nicht verwunderlich, daß Herr Strauß das Gemeinschaftsgutachten heute nur sehr beiläufig zitiert hat, denn in diesem Gutachten wird ja sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, daß dies die rigoroseste, aber auch erfolgreichste Stabilitätspolitik ist, die jemals in der Bundesrepublik von einer Bundesregierung betrieben worden ist.
Dies paßt natürlich in die Vorstellungen, die Sie sich machen, nicht mehr hinein.Es ist in dem Gutachten auch, worauf Herr Strauß — durchaus zu Recht, gar kein Zweifel — hingewiesen hat, geschrieben worden, daß die Konjunkturforschungsinstitute die dauerhafte Tendenzwende noch nicht zu sehen vermögen; Herr Arndt hat das eben auch noch einmal zitiert.
Wir stimmen dem zu. Aber das eine darf man wohl doch sagen: Ich diskutiere lieber über eine Preissteigerungsrate im September von 6,4% als weiterhin über eine von 7,9 %.
Das ist mir immer noch lieber, trotz aller Ungewißheit, wie sich das im nächsten Jahr entwickeln kann. Aber aus dieser Ungewißheit ziehen wir die notwendige Folgerung, daß die wirksam gewordenen konjunkturpolitischen Maßnahmen jetzt nicht eingestellt werden können, sondern fortgesetzt werden müssen und daß die Bundesbank wie auch die Forschungsinstiute durchaus recht und die ängstlichen Mahner nicht recht haben.Meine Damen und Herren von der Opposition, auch wir wissen, daß es in einzelnen Bereichen — meine Fraktion hat das durch mich noch vor 14 Tagen hier vortragen lassen — durchaus strukturell schwierige Situationen gibt und daß die sich noch verschärfen werden. Wir wissen auch, daß es in derBauindustrie anders ist es von uns auch nie gesagt worden nicht nur die unsolide finanziertenUnternehmen — die Herr Strauß heute als Sumpfblüten bezeichnet hat — sind, die in Schwierigkeiten geraten sind, sondern daß diese Branche insgesamt zur Zeit einen schwierigen Prozeß durchzustehen hat. Insofern sind wir den Anregungen und Überlegungen gegenüber, die der Vorsitzende der IG Bau gegeben hat — ich habe das kürzlich in einer gemeinsamen Sitzung von Wirtschafts- und Finanzausschuß vorgetragen , durchaus offen. Wir sind bereit, Maßnahmen zu ergreifen, die es verhindern, daß nach der Umstellung der Konjunkturpolitik wieder eine lange Pause bis zur ersten wirksamen Vergabe von Bauaufträgen eintritt. Aber es muß noch einmal gesagt werden: ein genereller Abbau kann nicht in Frage kommen. Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hat recht, wenn er formuliert: Keine weitere Verschärfung, aber Aufrechterhaltung des Kurses.Hierzu gehört auch die Frage nach dem sektoralen oder regionalen Abbau der Stabilitätspolitik. Auch hierauf kann unsere Antwort nach dem, was wir bisher in Diskussionen erlebt haben, nur lauten: Nein, auch kein regionaler oder sektoraler Abbau in Einzelbereichen. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich so formuliere, daß diese Frage bei allem Verständnis wirklich nicht aus der Sicht und dem Horizont eines einzelnen Wahlkreises und seines Abgeordneten entschieden werden kann. Wir haben die Erfahrung — auch das aus der gemeinsamen Sitzung des Wirtschafts- und Finanzausschusses — gemacht, daß allein das Antippen einer sektoralen Ausnahme von der Stabilitätspolitik uferlose Zusatzforderungen aus anderen Branchen und anderen Regionen mit sich bringt. Wenn Sie diese Schleuse öffnen, ist die Stabilitätspolitik am Ende. Ich freue mich allerdings, daß wir durch die Verabschiedung des ERP-Wirtschaftsplans die Möglichkeit geschaffen haben, in Einzelbereichen jetzt gezielte und vernünftige, aber auch in diesen Rahmen hineinpassende Erleichterungen zu schaffen. Dies kommt uns natürlich zustatten, ist aber in keiner Weise eine Ausnahme von der Stabilitätspolitik.In diesem Zusammenhang auch ein Wort zu dem, was der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein heute mit seiner Bemerkung andeutete, die Bundesregierung hätte besser daran getan, einen Eventualhaushalt vorzulegen. Ich halte diese Anregung nicht für glücklich und kann der Bundesregierung nicht empfehlen, ihr zu folgen.
Die Vorlage eines Eventualhaushaltes würde im gegenwärtigen Zeitpunkt falsche Zeichen setzen, ebenso wie natürlich ein Auflockern der Stabilitätspolitik falsche tarifpolitische Zeichen setzen müßte; das wäre gar nicht zu vermeiden. Eventualhaushalte müssen in den Schubladen liegen. Hoffentlich liegen sie auch in den Schubladen der Länder, bei denen nachher die Ausführung liegt. 1966/67 haben wir erlebt, daß die Verzögerungen in den Ländern eingetreten sind.
Hoffentlich hat Herr Stoltenberg diese Mahnung auch an seine Kollegen gerichtet.
Metadaten/Kopzeile:
3558 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. Graf LambsdorffIm übrigen sind wir, wie ich glaube, gegenüber der früheren Situation insofern besser dran, als uns z. B. die Position der Entsperrung von Straßenbaumitteln uns schnell in die Lage versetzt, neue Initialzündungen zu geben, ohne daß es dazu eines Gesetzgebungsvorganges bedürfte, wie es Herr Stoltenberg heute hier dargestellt hat und wie es natürlich der Nachteil der von ihm gerühmten Festlegungen nach den Richtlinien des Stabilitätsgesetzes ist. Ich glaube, auch diese Kehrseite der Medaille muß man sehen.Herr Kollege Dr. Strauß hat heute den Exportüberschuß, der sich bei uns am Ende dieses Jahres in einer nie gekannten Höhe ausweisen wird, in die Debatte eingeführt. Dies ist keine einseitig positiv zu beurteilende Entwicklung — das weiß jeder von uns —; denn hier werden nach alten Erfahrungen im Ausland Begehrlichkeiten wach — ich darf nur die Stichworte Aufwertung, Offset-Abkommen und ähnliches erwähnen , die uns höchst unbequem sein können. Herr Strauß hat darauf hingewiesen, daß wir diesen Handelsbilanzüberschuß für den Ausgleich der Zahlungsbilanz dringend benötigen. Ist das eigentlich so uneingeschränkt und in vollem Umfange richtig? Wir brauchen ihn doch zum Teil, um die Überweisungen der Gastarbeiter ins Ausland zu finanzieren. Mit anderen Worten: der Bundesfinanzminister hat recht, wenn er in seiner Haushaltsrede dargelegt hat, daß wir die Gastarbeiter hier mit all den Folgeproblemen in unserem Lande haben, daß wir 1973 vermutlich eine Wertschöpfung von etwa 11 Milliarden DM ins Ausland transponieren werden, daß wir eigene Produktivitätsfortschritte durch die Zahl der Gastarbeiter von dem notwendigen Druck, aus dem heraus sie entstehen, befreien und daß wir letztlich die durch die Gastarbeiter erwirtschafteten Mittel in der Zahlungsbilanz dazu benötigen, um deren Überweisungen ins Ausland zu finanzieren. Man muß sich wirklich einmal fragen, ob dieser Kreislauf so fortgesetzt werden kann. Der Kollege Strauß meint, wenn man dagegen angehen wolle — so unterstellt er jedenfalls dem Herrn Bundesfinanzminister —, so lande man im Zwielicht verwaltungswirtschaftlicher Maßnahmen. Zu der Frage, was geschieht, wenn wir nicht dagegen angehen, verweise ich auf eine neue Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelstages, nach der wir 1985 die stolze Zahl von 4 Millionen ausländischen Arbeitnehmern zuzüglich Familienangehörige mit all den Problemen, die dazugehören, in der Bundesrepublik beherbergen werden. Kann das eigentlich das Ziel unserer Politik sein?Ich meine, wir sind uns alle seit längerem darüber im klaren, daß wir versuchen müssen, mit unserem Kapital, mit unseren Investitionen zu den Arbeitskräften zu gehen und nicht umgekehrt weiter die Gastarbeiter hierher zu holen.
Wenn wir das tun wollen, so wollen wir natürlich versuchen — wir müssen es auch versuchen —, das nicht mit dirigistischen Maßnahmen zu tun. Ich will, Herr Arndt, hier nicht in die Diskussion einsteigen, was nun noch Globalsteuerung und was nicht mehr Globalsteuerung ist. Wenn es Sie so befriedigt, dieMaßnahmen, die wir getroffen haben, als Nichtglobalsteuerung zu klassifizieren oder zu charakterisieren, und wenn das die Einigung erleichtert — à la bonheur —, sind wir vollauf zufrieden.Aber in dieser Frage sollten wir versuchen., es mit globalsteuernden Maßnahmen zu schaffen. Ich darf nur eine nennen: Wir brauchen, so meine ich, ein Auslandsinvestitionsförderungsgesetz auf einer breiteren Basis als bisher. In diesem Zusammenhang müssen auch die Diskussionen über die Frage der Fortsetzung, der Veränderung des Entwicklungshilfesteuergesetzes mit Beschleunigung geführt werden. Ich bitte hier alle Seiten um Unterstützung; denn die Frage eines Auslandsinvestitionsförderungsgesetzes für den breiten Bereich unserer Wirtschaft, der sich mit dem Problem ,der Gastarbeiter hilfreich auseinandersetzen könnte, dient natürlich auch — und das sollten wir nicht übersehen — den Möglichkeiten der Intensivierung von Wirtschaftsbeziehungen nach Osten hin, die dieser Intensive-rung aus wirtschaftlichen und politischen Gründen dringend bedürfen. Dieses Gesetz kann also in mehreren Bereichen wirken, und ich meine, die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn wir es so weit brächten, daß das bis zum Ende des nächsten Jahres geschafft wäre.Im übrigen hat der Herr Bundeswirtschaftsminister, nach meiner Überzeugung ,durchaus zu Recht, darauf hingewiesen, daß wir hier strukturellen Wandlungen unterliegen, die wir nicht übersehen können und nicht übersehen dürfen, denen wir uns auch nicht entgegenstellen können. Er hat das am Bereich ,der Textilindustrie deutlich zu machen versucht.Ich bin vor wenigen Tagen — nur für 48 Stunden — in Tokio gewesen und habe mich u. a. davon überzeugen können, daß es eine japanische Textilindustrie so gut wie nicht mehr gibt. Auf den Bericht hin, daß die Exporte, die früher von Japan aus erfolgt seien, nunmehr von Korea und Taiwan kämen, habe ich mir die Gegenfrage erlaubt, wie hoch denn der Anteil der in diesen Ländern ansässigen japanischen Tochterfirmen sei; und da wurde mir gesagt: etwa 98 %.Meine Damen und Herren, hier ist doch völlig richtig verfahren worden; hier ist man mit Produktionen, die im eigenen Lande einfach nicht mehr rentabel durchgeführt werden können, dorthin gegangen, wo man so etwas noch machen kann, und anstelle dessen produziert man — wie es so schön heißt — intelligentere Produkte an Ort und Stelle und innerhalb der eigenen Grenzen, wobei man natürlich den strukturellen Übergang erleichtern muß, weil man alle die Schwierigkeiten und sozialen Probleme, die dabei entstehen, keineswegs leicht nehmen darf. Aber dies paßt doch genau in die Vollbeschäftigungsdefinition, die der Herr Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede gegeben hat.Herr Arndt, ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie auf die Folge dieser Politik hingewiesen haben in einem Bereich, der heute, wie mir scheint, zu leicht emotionaler Beurteilung unterliegt, nämlich im Bereich der multinationalen Unternehmungen. Es ist
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3559
Dr. Graf Lambsdorffdoch kein Zweifel, daß wir mit einer solchen Politik unsere eigenen nationalen Unternehmen auffordern, multinational tätig zu werden; und dann hat es wirklich wenig Sinn, diese Tätigkeit von vornherein als etwas schlechthin Böses oder Übles darzustellen.
Es ist erfreulich zu sehen — in meinen Augen jedenfalls —, .daß in den Vereinigten Staaten die Burt-Hartke-Act inzwischen unter den Teppich gekehrt worden ist und daß man sich dort wie auch in anderen Ländern mit größerer Vorurteilslosigkeit mit dieser Frage auseinandersetzt.Allerdings meine ich, daß international gültige Regeln, die multilateral vereinbart werden müssen, notwendig sind, damit sich die Tätigkeit dieser Unternehmen nicht in einem Raum abwickelt, der völlig frei von Regierungskontrolle ist. Und da, glaube ich, Herr Arndt, sind wir uns wieder einig. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten eine Stimme zitieren, die durchaus in der Richtung liegt, die ich meine. Ich denke hier an den früheren US-Unterstaatssekretär George Ball, der gesagt hat:Vieles spricht für den Vorschlag der Errichtung einer supranationalen Behörde durch einen multilateralen Vertrag, die die Durchsetzung einer Reihe von Vorschriften überwacht, die die Tätigkeit multinationaler Großkonzerne in den Gastländern regelt und gleichzeitig den Spielraum festlegt, innerhalb dessen die Regierungen der Gastländer in die Tätigkeit solcher Unternehmungen eingreifen können.Dies, meine Damen und Herren, scheint mir der richtige Angang dieser Probleme zu sein.Nun glaube ich allerdings, daß wir in der Bundesrepublik, bevor wir so etwas einführen bzw. durchführen können, überhaupt erst einmal Erkenntnisse über das gewinnen und sammeln müssen, was die multinationalen Unternehmen, und zwar die eigenen und die ausländischen, die bei uns tätig sind, in der Bundesrepublik bewirken. Nach meinen Feststellungen ist die statistische Erhebung über multinationale Unternehmen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland so erheblich viel schlechter als z. B. in den Vereinigten Staaten und in England, daß es hier dringender Verbesserungen bedarf, die auch auf der Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes bzw. der Außenwirtschaftsverordnung durchgeführt werden können, notfalls aber mit einer gesetzlichen Ergänzung eingeführt werden müßten.Ich bin der Auffassung — ich habe das dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und auch der Deutschen Bundesbank vor einiger Zeit geschrieben und erfreulicherweise positive Antworten darauf bekommen —, daß wir hier ansetzen müssen, um Grundlagen für eine vernünftige Behandlung dieses Themas zu haben. Dies muß man auch den betroffenen Unternehmen zumuten. Ich bin sogar der Meinung, es liegt in ihrem eigenen Interesse, aus einer Situation herauszukommen, in der jedermann, der sich mit multinationalen Unternehmen beschäftigt, mit der Stange im Nebel herumstochert und nichtrational, sondern emotional argumentiert, was dann meist zu unvernünftigen Reaktionen führt.Die Tätigkeit der multinationalen Unternehmen gehört natürlich irgendwo auch in den Bereich des GATT hinein. Ob man das in diesem Zusammenhang regeln kann, weiß ich nicht. Aber Sie wissen, daß im GATT vor wenigen Wochen sehr entscheidende und wichtige Verhandlungen eingeleitet worden sind. Hier will ich mir eine Bemerkung an die Adresse des Herrn Kollegen Strauß erlauben, der heute morgen kritisiert hat, die Bundesregierung lasse das notwendige Maß an internationaler Abstimmung vermissen. Dem möchte ich entgegen-. halten, daß sich der Bundeswirtschaftsminister gerade auf der Konferenz des GATT in Tokio unseren besonderen Dank dadurch verdient hat, daß er es geschafft hat, eine einigende Formel zwischen den Franzosen und Amerikanern, d. h. zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Amerikanern, für die Weiterbehandlung und Kombination von GATT und Weltwährungsproblemen zu finden. Internationale Abstimmung hat diese Bundesregierung — der Bundesfinanzminister bereits im Frühjahr in den Weltwährungsfragen, der Bundeswirtschaftsminister nunmehr in den Verhandlungen des GATT — in hervorragendem Maße bewiesen. Der Vorwurf geht also völlig an der Sache vorbei.Ich bitte die Bundesregierung, bei den weiteren Beratungen im GATT dafür zu sorgen, daß wir eine liberale Welthandelspolitik durchsetzen; denn wir, dieses Land, die Bundesrepublik, leben davon, daß es einen freien und liberalen Welthandel gibt. Ich meine z. B. — dies ist meine sehr persönliche Auffassung —, daß die Europäische Gemeinschaft auf Präferenzabkommen verzichten sollte, und ich meine, daß Herr Haehser mit seiner Bemerkung über eine notwendige allmähliche Umstrukturierung der Agrarpolitik Zustimmung verdient.In diesem Zusammenhang möchte ich ein Wort zu der Frage eines Welttextilabkommens, das zur Zeit ebenfalls innerhalb der Europäischen Gemeinschaft behandelt wird, sagen. Ich habe mir erlaubt, meine Damen und Herren, ganz zu Anfang dieses Jahres meine Bedenken gegen ein Kakaoabkommen anzumelden. Mir scheint, dieses Kakaoabkommen hat sich als völlig überflüssig erwiesen; die Preise sind ohnehin in einem Maße in die Höhe gegangen, daß die Sicherung von Mindestpreisen überflüssig war. Wir haben vor einigen Jahren ein Kaffeeabkommen erlebt, das völlig zusammengebrochen und niemals richtig wirksam geworden ist. Ich warne dringend davor, über Rohstoffe hinaus nun auch noch Fertigprodukte in Welthandelsabkommen einzubeziehen. Eines Tages wird das damit enden, daß wir ein Weltbaumaschinenabkommen abschließen und die ganze Welt und alle Branchen in absolut illiberale und den Welthandel störende Abkommen aufteilen.
Nairobi ist jedenfalls heute erwähnt worden. Herr Dr. Strauß hat es für richtig gefunden, dem Bundesfinanzminister mit einem Ton unterschwelliger Kri-
Metadaten/Kopzeile:
3560 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. Graf Lambsdorfftik vorzuhalten, daß er im fernen Afrika eine Erklärung zu Währungsfragen abgegeben hat.
— Jedenfalls werden Sie eines zugeben: der Bundesfinanzminister hielt sich im Gegensatz zu Herrn Strauß zum Zwecke der Arbeit in Afrika auf.
— Sie wissen genau, daß das noch kein Urlaub war. Sie wissen es am allerbesten, Herr Althammer.In der Frage des Weltwährungssystems jedenfalls darf ich mir den Hinweis erlauben, daß Eile nottut. Ich möchte drei Bemerkungen zu den hier anstehenden Komplexen machen. Ich möchte zunächst einmal sowohl den Vereinigten Staaten wie der Bundesregierung und hier insbesondere dem Herrn Bundesfinanzminister meinen Dank dafür aussprechen, daß er in der Frage des sogenannten Link zwischen den Sonderziehungsrechten und den Ansprüchen der Entwicklungsländer eine feste Haltung eingenommen hat. Nach meiner Überzeugung müssen wir bei dieser Position bleiben. Dies hat überhaupt nichts mit der grundsätzlichen entwicklungspolitischen Haltung zu tun. Die Frage, ob wir uns in das neue Weltwährungssystem eine Weltinflation einbauen, ist völlig verschieden von der Frage, ob wir — oder z. B. ich — der Ansicht sind, daß unser Anteil an der Entwicklungshilfe — der Kollege Matthöfer sieht mich etwas kritisch an, wie ich feststelle — groß genug ist. Ich meine, er ist nicht groß genug. Wir sind von den Zahlen des Pearson-Reports — übrigens war das ja ein bedeutender Liberaler dieses Jahrhunderts — zu weit entfernt. Eines scheint mir einsichtig und klar zu sein: so wie Inflation insbesondere in der Bundesrepublik und überhaupt in nationalen Wirtschaften den kleinen Mann schwächt und schädigt, so wird weltweite Inflation letztlich zu Lasten der Entwicklungsländer gehen und nicht zu Lasten der reichen Länder.
Ein zweiter Punkt. Ich bitte darum, daß alle diejenigen, auch die Bundesrepublik, die über das neue Weltwährungssystem verhandeln, eine Lektion von Bretton Woods nicht vergessen, nämlich die, daß die Amerikaner 1944 gedacht haben, sie seien auf Ewigkeit ein Überschußland. Sie haben sich ein Währungssystem daraufhin zurechtzimmern lassen. Wir sollten gelegentlich darüber nachdenken, ob es uns nicht auch einmal passieren kann, daß wir eben nicht auf Dauer strukturell ein Überschußland sind. Wir wollen das nicht wünschen, aber wir sollten die Interessen und die Möglichkeiten sorgfältig abwägen und nicht nur aus der heute gegebenen Situation heraus entscheiden.Ein letztes, die Stärkung des Internationalen Währungsfonds. Herr Bundesfinanzminister, wir wissen von Ihrer Skepsis — ich teile sie auch —,daß es innerhalb kurzer Frist oder auch innerhalb dieses Jahrhunderts, so haben Sie, glaube ich, gesagt, eine Weltnotenbank geben wird. Wir haben mit Befriedigung Ihrem Nairobi-Bericht entnommen, daß eine Stärkung des Internationalen Währungsfonds notwendig sein wird, wenn Anpassungsmechanismen in Gang gesetzt werden sollen, für die es natürlich einer politischen Handhabung bedarf. Auch hier darf man einmal daran erinnern, daß schon der Schöpfer des Systems von Bretton Woods, nämlich Keynes, für eine supranationale Behörde eingetreten ist, die dann tätig wird, wenn Wechselkursänderungen, notwendige Wechselkursänderungen aus eigener Kraft für Länder und Regierungen nicht durchführbar sein sollten. Es ist also in der Tat alles schon einmal dagewesen.Meine Bitte, dieses Problem mit Dringlichkeit zu behandeln, die ich hier schon mehrfach vorgetragen habe, beruht nicht zuletzt darauf, daß Bretton Woods, wenn man es bis zu Ende denkt, wohl eine Folge der großen Rezession der 30er Jahre und natürlich auch teilweise eine Folge des zweiten Weltkrieges gewesen ist. Bisher ist aus geordneten Zuständen und Umständen noch nie ein neues Weltwährungssystem entstanden. Ich meine, wir sollten es nicht dahin kommen lassen, daß wir uns in die Zwangssituation begeben, daß uns etwa nur eine weltweite Rezession oder gar Depression den notwendigen Antrieb gibt, diese Dinge in Ordnung zu bringen.Darf ich mit einigen wenigen Worten zum Schluß auf den Bundeshaushalt zurückkommen. Das Bruttosozialprodukt wird auf 10,5 % plus im nächsten Jahr und der reale Zuwachs auf plus 3% geschätzt; ich selbst bin etwas optimistischer. Wir werden das abwarten müssen. Aber es ist sicherlich richtig, sich zunächst einmal vorsichtig zu bewegen.Herr Kollege Strauß hat heute morgen, wenn ich ihn recht verstanden habe, bemängelt, daß die im Haushalt liegenden Risiken, auf die der Bundesfinanzminister sehr deutlich hingewiesen hat, nicht genauer umschrieben oder gar beziffert worden seien. Dies bedeutete natürlich, daß man die Verhandlungsargumente etwa in Sachen Kokskohle, Tariferhöhungen, Offset-Abkommen vorne an der Garderobe abgibt, bevor man den Verhandlungsraum betreten hat, und dies halte ich schlechtweg für undenkbar. Ein solches Moment des Risikos wird man immer in Kauf nehmen müssen; denn letztlich ist ein Bundeshaushalt ein dynamischer Prozeß und keine statische Angelegenheit.Ich begrüße es, daß es bei dieser Zuwachsrate bleiben konnte, obwohl neue erhebliche Lasten in diesen Haushalt aufgenommen wurden, die es früher nicht gegeben hat, z. B. die Frage des Energieprogramms. Ich hoffe, daß es der Bundesregierung gemeinsam mit den beteiligten Wirtschaftskreisen gelingen wird, die Restlösung der Finanzierung des Energieprogramms in freiwilliger und damit nicht administrativer Weise zustande zu bringen, wobei ich ebenso wie der Bundesfinanzminister der Meinung bin, daß der Stil, sich in solchen Fragen über Zeitungsanzeigen auseinanderzusetzen, doch endlich der Vergangenheit angehören sollte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3561
Dr. Graf LambsdorffDie Bedeutung des Bruttosozialproduktes ganz allgemein sollte, wie ich meine, einmal näher untersucht werden, damit wir zu einer Antwort auf die Frage kommen können, ob denn das eigentlich wirklich ein richtiger Gradmesser für unsere Beurteilung bei der Aufstellung von Haushalten und der öffentlichen Finanzwirtschaft ist. Wir wissen doch alle, daß die Verteuerung des Haarschnitts beim Friseur in das Bruttosozialprodukt eingeht, die Tätigkeit der Hausfrau überhaupt nicht. Wir kennen den Unterschied zwischen qualitativen Wachstumseffekten und quantitativen Wachstumseffekten. Wir wissen, daß Maßnahmen für den Umweltschutz, für Freizeitgestaltung, alles das, was Qualität des Lebens ist, oder einen großen Teil dessen, was Qualität des Lebens ist, sich in diesen Meßzahlen des Bruttosozialprodukts überhaupt nicht niederschlagen kann. Darüber einmal nachzudenken, ist, so meine ich, genauso wesentlich, Herr Kollege Arndt, wie Ihr Hinweis auf die globale Haushaltszurechnung, bei der Sie völlig recht haben, daß man nicht einfach Äpfel mit Birnen vergleichen kann, daß hier Zahlen enthalten sind, die in keiner Weise expansiv sind, sondern daß eine ganze Reihe von Positionen geradezu kontraktiv ist, so daß nicht einfach unter dem Strich saldiert und addiert und miteinander verglichen werden darf.Hier liegen, glaube ich, Probleme, die wir lösen müssen und bei denen uns die Wissenschaft helfen muß. Das können wir nicht im Wirtschaftsausschuß tun, auch dann nicht, wenn wir zu den 21 Sitzungswochen noch ein paar Ausschußwochen hinzubekommen. Aber wir sollten versuchen, in dieser Frage eine Argumentationsbasis zu finden, die uns zu wirklich aussagekräftigen und d. h. letztlich auch zu ehrlichen Stellungnahmen zu diesen Fragen in die Lage versetzt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Fraktion der Freien Demokraten habe ich Ihnen zu erklären: Wir halten diesen Haushalt für stabil und stabilitätsgerecht,
und wir halten diese Bundesregierung für stabil. Wir halten den Haushalt für solide und die Bundesregierung für solide.
Dieser Haushalt wird den Anforderungen des Jahres 1974 gerecht werden, und diese sozialliberale Koalition wird es auch tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu einem Thema Stellung nehmen, das, wenn wir über den Etat 1974 in der ersten Lesung sprechen, immer wieder angeschnitten wird und das insbesondere auch draußen beim Bürger eine große Aufmerksamkeit genießt; ich möchte die Frage prüfen, ob dieSteuergelder, die diesen Etat 1974 ja ausmachen, auch sachgerecht ausgegeben worden sind
und ob die Sicherheit gegeben ist, daß sie in Zukunft sachgerecht ausgegeben werden.„Lebensqualität" verehrter Herr Kollege Haehser, Sie bringen mich hier nicht aus der Ruhe —„ist mehr als Lebensstandard. Die Bereicherung unseres Lebens über Einkommen und Konsum hinaus." Dies ist ein Satz aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom Januar dieses Jahres, den ich voranstellen möchte. Ich möchte diesen Satz auf seinen Sinngehalt untersuchen — das sollte hier ja erlaubt sein —, auf das Wirken der Bundesregierung, gemessen an ihren Worten und Taten.Man kann natürlich auch die Frage stellen, ob der Bundeskanzler nicht zum Ausdruck bringen wollte, daß für ihn und die übrigen Regierungsmitglieder Konsum grundsätzlich verwerflich, Lebensstandard moralisch anrüchig sei. Ich nehme an, daß der Bundeskanzler den Eindruck erwecken wollte, er stehe über diesen Dingen, um so aus jeder Einzelverantwortung entlassen zu sein. Ich meine, so einfach kann man es sich nicht machen. Man hat im Großen wir im Kleinen für alles einzustehen. Deshalb muß ich mich bei diesem Thema der Ausgabe — ich will es erst einmal vorsichtig formulieren — von Steuermitteln auch mit allen Tatbeständen und Zusammenhängen befassen. Wenn ich das tägliche Verhalten, das tatsächliche Verhalten der Bundesregierung und der Regierungsmitglieder, die, wie ich meine, nie dagewesene Verschwendung und Verschleuderung von Steuermitteln betrachte, dann kann ich nur sagen: über Lebensstandard, Einkommen und Konsum — für den Bürger übrigens handfeste erstrebenswerte Ziele, denn er ist zum Teil noch weit davon entfernt — sich zu mokieren, fällt demjenigen leicht, der dies alles hat und selbst dabei in Saus und Braus lebt.
Noch nie — ich bitte, das einfach nachzuprüfen — hat eine Bundesregierung versucht, in unserem Lande mit mehr moralischem Anspruch, mit dem bewußt gewählten Flair der Biederkeit, der Lauterkeit, der Bescheidenheit aufzutreten, wie es die Regierung Brandt laufend tut. Die These von der öffentlichen Armut, die Sie überall verbreiten, meine verehrten Kollegen von den Koalitionsparteien, und dem privatem Reichtum wurde allerorts verkündet. Nach 20 Jahren CDU/CSU-Regierung sollte nun damit Schluß sein. Das sollte alles besser werden. Ja, das Sendungsbewußtsein des Bundeskanzlers und seiner Berater nahm quasireligiöse Züge an. Die Regierungserklärungen und die öffentlichen Reden des Bundeskanzlers lasen sich wie Verlautbarungen aus einer anderen Welt.
Zugleich aber, meine verehrten Kollegen, Worte wie„in die Hände spucken", „Ärmel aufkrempeln" —kann man alle nachlesen —, „anpacken", „tägliches
Metadaten/Kopzeile:
3562 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
WohlrabeBrot", „an die Arbeit gehen", ich meine, dies allesschmeckt so ein bißchen nach Eintopf und „Gartenlaube". Auch in dieser Hinsicht will man beim vielzitierten „Mann an der Werkbank" den Eindruck erwecken, ein guter Nachbar zu sein, wie formuliert wurde. Arbeitnehmerstallgeruch, Fernsteuerung aus der Baracke wurden Markenzeichen sozialdemokratisch geführter Regierungen in unserem Lande und dazu hochstilisiert. Das alles, ich räume ein, war geschickt ausgedacht, nur nicht geschickt genug vorbereitet. Es hat die beabsichtigte Wirkung verfehlt. Es hätte sie nicht verfehlt, wenn nicht die Wirklichkeit — und über diese sprechen wir heute — erdrückend anders aussehen würde.
Ich will es überspitzt formulieren: statt Eintopf gab es Kaviar bei der Bundesregierung.
— Krimsekt vielleicht. Wir lachen darüber, aber im Grunde genommen ist es eine bitterernste Angelegenheit. — Der persönliche und Propagandaaufwand dieser Regierung ist so groß wie nie zuvor — nachweisbar an den Zahlen des Etats —, Ämterpatronage gehört zum Alltag.
— Gehört zum Alltag, Ämterpatronage, nachweisbar.
Ich stehe hier nicht an, Herr Kollege Haehser, uns für die Vergangenheit ganz reinzuwaschen. Das tue ich nicht; das sage ich hier ganz freimütig. Auch wir sind nicht fehlerfrei gewesen.
Wer jedoch glaubt, die Dinge seien vergleichbar,verkennt die Dimension des nunmehr betriebenenund sich auch für 1974 erneut steigernden Aufwands.
Es ist somit höchste Zeit dazu dient auch dieseAussprache , dem Bürger deutlich darzustellen,wie diese Regierung, die von allen Opfern verlangtBundesfinanzminister Schmidt hat heute den Ausdruck „das schwerste Opfer" gebraucht; für dieses „schwerste Opfer" werde ich gleich einige Beispiele bringen — und
selbst den Eindruck eines bescheidenen Hausvaterszu erwecken versucht, mit Steuergeldern herum-wirtschaftet. Dies möchte ich an Beispielen darlegen
und deutlich machen,
damit wir sehen, in welcher Relation, Herr Kollege Wehner, Worte und Taten stehen.
Aus der Fülle der Fälle möchte ich nur einige herausgreifen. Wer sich die Mühe gemacht hat, sie über ein Haushaltsjahr zusammenzutragen, würde zwei, drei Stunden brauchen, um sie hier vorzutragen. So viel Zeit steht mir nicht zur Verfügung. Ich nenne nur einige, von denen ich weiß, daß sie die sozialdemokratischen Kollegen im Haushaltsausschuß selbst bedrücken. Ich hoffe, daß sie auch in Zukunft bei der Prüfung der Ausgaben der Regierung mannhaft an der Seite derjenigen stehen werden, die für Kürzungen eintreten.
Punkt eins: das Bundeskanzleramt — ich nenne nur Tatsachen, ohne sie zu werten —: Hier betrug die Ausgabensteigerung seit 1969 144 °/o.
Die Bezüge des Bundeskanzlers, des Bundesministers für besondere Aufgaben beim Bundeskanzler und des Parlamentarischen Staatssekretärs erhöhten sich gegenüber 1969 um 97 °/o auf 390 000 DM. Die Mehrkosten entstanden insbesondere durch den Sonderminister Bahr, vorher durch Bundeskanzleramtsminister Ehmke, und durch die starke Ausweitung des Personalbestandes. Die Zahl der Beamtenstellen im Bundeskanzleramt stieg gegenüber 1969 um 70 % auf 231 an. Ihre Besoldung erfordert 9,6 Millionen DM. Das sind 142 °/o mehr als 1969. Ebenso stark stieg die Zahl der Angestellten. Die Ausgaben für die Angestellten wuchsen seit 1969 um 198 °/o auf 4,1 Millionen DM.Auch bei den Sachausgaben, meine Damen und Herren, besteht eine erhebliche Ausgabenfreudigkeit: Der Kanzleretat 1974 weist für „Geschäftsbedarf" Ausgaben in Höhe von 165 000 DM aus. Das sind 315%mehr als 1969 — ich vergleiche bewußt nicht mit dem Etat Kiesingers, ich vergleiche mit 1969/70 —; an laufenden Gebühren für Fernmeldeanlagen erscheinen mit 400 000 DM 117 % mehr. Der Clou: die Errichtung und der Neubau eines Schwimmbeckens mit Halle neben der Dienstwohnung des Bundeskanzlers ist für 1974 mit 160 000 DM etatisiert. Das Studium alter Protokolle insbesondere der Reden des Kollegen Hermsdorf zu einer Zeit, als der Bungalow gebaut wurde, hindern mich daran, bissigere Bemerkungen zu machen.
Ich halte das nur fast wie ein Chronist fest.
Besonders ausgabefreudig zeigt sich der Bundeskanzler unter der Position „Erwerb von Dienstfahrzeugen". In den Jahren 1970 bis 1977 ist rund eine halbe Million DM für Autos allein für das Bundeskanzleramt vorgesehen. In den Jahren der Kanzlerschaft Erhard/Kiesinger waren es nur 131 000 DM. Ich nenne nur einmal die vergleichbaren Summen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3563
WohlrabeEine besonders dubiose Angelegenheit, Herr Kollege Haehser, das wissen Sie selbst, sind die Honorarkräfte im Bundeskanzleramt. Für sechs Honorarverträge sind im Etat allein 600 000 DM veranschlagt,
obwohl die Kosten pro Honorarvertrag pro Jahr nur 50 000 DM ausmachen. Mit dem Rest des Geldes, so wurde erklärt, werde die zeitweilige Beratung durch wissenschaftliche Sachverständige finanziert.
Für die kommende Zeit, für 1974 — ich nenne nur die Ansätze —: 800 000 DM für Honorarkräfte, 1 020 000 DM für Gutachten und Forschungsaufträge; vom Neubau des Bundeskanzleramtes will ich gar nicht sprechen. Ich meine, hier kann man guten Gewissens nicht von einer vernünftigen Haushaltsführung reden.
Grundsätze der Sparsamkeit und Solidität sind allein bei diesem Etat beispielhaft nicht eingehalten worden.
Zweites Beispiel: Bundespresseamt, Inlandspropaganda. Meine Damen und Herren, ich könnte die einzelnen Zahlen vorweisen. In der letzten Fragestunde sind dem Kollegen Zimmermann auf seine Frage Einzelheiten darüber mitgeteilt worden. Ich halte nur fest — und zitiere die Angaben des letzten Protokolls daß in einer gleichgearteten Aktion zur Zeit der CDU/CSU-Regierung 870 000 DM ausgegeben wurden, daß nunmehr für eine Aktion ähnlicher Art 5,5 Millionen DM ausgegeben worden sind.
Jeder kann den Unterschied deutlich erkennen. Kürzungsanträge, die wir immer wieder gestellt haben — ich denke dabei an das Haushaltsjahr 1972 mit 1,2 Millionen DM und an das Haushaltsjahr 1973 mit 2,2 Millionen DM —, wurden abgelehnt. In einer ähnlich gelagerten Debatte im Jahre 1965 — ich empfehle den Koalitionsparteien, das Protokoll einmal nachzulesen und sich die Argumente für heute zu eigen zu machen — sagte der Kollege Hermsdorf, heute Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, daß die Steuermittel für diese Ausgaben zu schade, ja sogar illegal seien. Das ist der Ausdruck von Herrn Hermsdorf. Ich übernehme ihn voll und ganz.
Dies ist — auch das muß man wissen— eine Parteienfinanzierung durch die Hintertür. Es ist zusätzliche Propaganda für die SPD.
Der dritte Punkt — das Regierungsorgan „Der Spiegel" stellte ihn in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen — ist der Staatstourismus. Meine Damen undHerren, ich erkläre hier deutlich: Auch unsere Minister sind gereist. Auch wir haben Bundeswehrflugzeuge benutzt. Ich halte das alles fest, damit Sie nicht sagen können, ich täte so, als hätte es das früher nicht gegeben. Ich sage dies vor allem an die Adresse meines Nachredners, des verehrten Kollegen von Bülow, der zu jener Zeit auch noch nicht im Parlament war. Dies also vorweg.Allerdings glaube ich, daß wir das Maß der Dinge genau beobachten müssen. Folgendes ist festzuhalten. Wir sollten gemeinsam bestrebt sein, Richtlinien für den Einsatz derartiger Fahrzeuge und Flugzeuge zu erarbeiten, Richtlinien, die mit dem Finanzminister und dein Rechnungshof abgestimmt sind, und damit endlich klargestellt ist, ob Frau, Kind und Kegel umsonst mitgenommen werden dürfen oder nicht.
Ich bin der Meinung — dies sage ich für mich --, daß diese Praxis, auch wenn es sie .seit 25 Jahren gibt, geändert werden muß. Hier müssen klare, gegenüber dem Steuerzahler vertretbare Zustände geschaffen werden. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von den Mehrheitsparteien, sich dieser Aufgabe nicht zu verschließen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön!
Herr Kollege Wohlrabe, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Richtlinien dann auch für die Kollegen aus diesem Hause gelten müßten, die aus dem Etat des Bundespresseamtes, den Sie gerade kritisieren, Auslandsdienstreisen machen — und zu diesen Kollegen gehören Sie?
Die sachliche Antwort darauf lautet: Am 17. Juni 1970 oder 1971
— ich brauche nicht mit Steinen zu werfen; ich schildere Ihnen einen Beschluß des Ältestenrates; da ich dort Mitglied bin, kann ich das tun; es ist festgehalten worden — wurde festgelegt, daß kein Abgeordneter mit Mitteln aus Regierungstiteln verreisen darf. Das wissen Sie genauso wie ich. Sie versuchen mich hier an einer Stelle zu erwischen, wo es nichts zu erwischen gibt.
Ich komme zu einer Sache zurück, die in den Bereich der Finanzierung von Reisen hoher Beamter im Rahmen des Staatstourismus gehört. Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen. Ich sehe es als unerträglich an, daß der Staatssekretär a. D. Birckholtz im Rahmen einer privaten Weltreise mit seiner Ehefrau in der Zeit vom 7. bis 13. Juni 1972 in den USA, wo er Ausbildungseinrichtungen der US-Streitkräfte
Metadaten/Kopzeile:
3564 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Wohlrabebesichtigte, die Möglichkeit hatte, für die gesamte Dauer seines Aufenthalts nicht nur einen Begleitoffizier zu erhalten, sondern auch die Ausreise aus den USA mit einem Flugzeug der Bundeswehr vorzunehmen.
— Als Pensionär! Ich halte es für richtig, daß in den zu erarbeitenden neuen Richtlinien deutlich und klar gesagt wird, daß so etwas nicht zulässig ist. Ich zitiere auch das Beispiel unseres Luftwaffenchefs Rall, das im „Spiegel" gestanden hat: Ich sehe es als eine schlechte Sache an, wenn aus Gründen des Prestiges eigene Flugzeuge für 150 000 DM in Bewegung gesetzt werden, wenn man eine Reise nach Indien und Persien, so wichtig sie sein mag, auch in der 1. Klasse der Lufthansa für — bei drei Personen — insgesamt 40 000 DM hätte machen können. Hier sollten wir uns alle bemühen, keinen Anstoß zu geben. Beispiele, das wissen Sie, gibt es sehr viele. Ich glaube, daß das kein Punkt des Streites ist.Der vierte Punkt, auf den ich eingehen muß, betrifft ein Haushaltsrisiko, zu dem noch niemand Stellung genommen hat. Es ist die Frage der Fluglotsen, meine verehrten Damen und Herren — ein Kapitel, über das Sie im Hause schon ausführlich gesprochen haben. Auch die Presseveröffentlichungen hierzu sind Legion.Bisher ist jedoch ein Aspekt der leidigen Angelegenheit völlig untergegangen: die Kosten der gan) zen Angelegenheit.
Die Frage ist: Wird die Bundesregierung verpflichtet sein, der Deutschen Lufthansa zumindest einen Teil der dieser Gesellschaft durch den Streik der Fluglotsen entstandenen Kosten zu ersetzen? Staatssekretär Wittrock sprach davon, daß man bereit sei, gegebenenfalls eine Summe von 150 Millionen DM zu übernehmen — im Zweifel im jetzigen Zeitpunkt schon wesentlich mehr. Uns würde interessieren, wie es mit dieser Zusage des Staatssekretärs aussieht. Wo sind entsprechende Mittel im Etat eingestellt? Wird hier Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit geübt? Übrigens nannte Bundesminister Schmidt diese Position nicht. Jeder weiß aber, daß sie auf uns zukommen wird. Untätigkeit und Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung und ihres zuständigen Ministers werden nämlich auch hier wieder dazu führen, daß erhebliche Steuermittel aufgebracht werden müssen, die weiß Gott an anderer Stelle, wo sie notwendiger wären, sinnvoller hätten eingesetzt werden können.
Der fünfte Punkt ist im Grunde genommen der bedauernswerteste. Es handelt sich um das Thema der Beraterverträge — nicht der Beraterverträge von uns; das Thema ist ja hoffentlich halbwegs abgeklärt —, sondern es geht um das Thema der Beraterverträge zur Versüßung des Lebensabends von ausgeschiedenen Beamten.
— Und Parteifreunden natürlich! Ich nehme Ihren Zwischenruf auf. Den Fall Troßmann habe ich mit vielen Kollegen quer durch die Parteien immer kritisiert. Ich kritisiere ihn auch um der Gerechtigkeit willen hinsichtlich der Handlungen der Regierung. Ich nenne folgende Beispiele:Erstens. Manger-Koenig, Staatssekretär a. D.: Zunächst versuchte Frau Bundesminister Focke dem Professor, der nach seinem Ausscheiden das Ministerium für vier Jahre als medizinischer Sonderberater bei der Weltgesundheitsorganisation vertreten soll, das volle Gehalt eines Staatssekretärs in Höhe von zirka 8 000 DM zuzubilligen. Als das Vorhaben am Einspruch des Finanzministers scheiterte, wurde das Honorar für die Beratertätigkeit auf 2 085 DM monatlich festgesetzt. Das ist genau die Differenz zwischen Manger-Koenigs Ruhegeld und seinen früheren Bezügen.Zweitens. Beschäftigung von Sachverständigen im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums, also Einzelplan 14. Ich komme leider nicht umhin, Ihnen einige Zahlen zu nennen, um einen Vergleich zwischen früher und heute darzustellen. 1966 belief sich der Betrag für die Beschäftigung von Sachverständigen im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums auf 14 000 DM; 1967 waren es 18 000 DM; 1968 waren es 25 000 DM; 1969 waren es 38 000 DM. Von nun an war man allein; die sozialliberale Regierung war gebildet. Und man staune: 1970 betrug der Ansatz 1,054 Millionen DM. Er stieg in den folgenden Haushaltsjahren weiter: 1971 belief er sich auf 1,009 Millionen DM und 1972 auf 1,6 Millionen DM. 1973 betrug der Ansatz 1,98 Millionen DM, und 1974 beläuft er sich auf 2,6 Millionen DM — allein für die Beschäftigung von Sachverständigen im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums!
Mit solchen Steigerungen kann man meiner Meinung nach nicht den Anspruch erheben, daß man sparsam mit den Mitteln umgeht. Ich bin sicher — und das Verteidigungsministeriums genießt doch unser großes Wohlwollen —, daß viele, die in diesem Hause arbeiten, diese Beratertätigkeit auch unmittelbar an ihrem Arbeitsplatz wahrnehmen können, wodurch viele dieser Mittel einzusparen gewesen wären.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Würtz?
Gern, bitte.
Herr Kollege Wohlrabe, wissen Sie eigentlich, was aus diesem Titel bezahlt wird? Ist Ihnen bekannt, daß aus diesem Titel z. B. wehrsoziologische Untersuchungen bezahlt werden, die die Wehrstrukturkommission vorgeschlagen hat?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3565
Ich freue mich über Ihre Frage und möchte Ihnen antworten mit dem, was der Rechnungshof dazu sagt:Wir haben festgestellt, daß auch Aufträge für Arbeiten
erteilt worden sind, auf die ohne dienstliche Nachteile hätte verzichtet werden können
oder die von Bediensteten des Ressorts hätten ausgeführt werden können.Das ist die Antwort, Kollege Würtz.
Nun zu Beraterverträgen im einzelnen, die alle im Haushaltsausschuß besprochen wurden. Ich nenne nur den Generalleutnant a. D. Buchs. Studienrahmenvertrag über 30 000 DM pro Jahr, seit Dezember 1971, Versüßung des Lebensabends, Zubrot zur Pension.
— Es ist nicht Zweckniveau.
— Es ist auch nicht dies, es ist die nackte Wahrheit, verehrter Herr Kollege Wehner. Ich weiß, daß man die da nicht so gern hört.
Der Beratervertrag des Staatssekretärs Birckholtz über 2 000 DM monatlich muß hier auch genannt werden.
— Es gehört nun einmal zum Thema erste Lesung, wie Sie Ihre Steuergelder verwenden. Sie verwenden die Steuergelder nicht so, wie Sie es uns und der Öffentlichkeit weiszumachen versuchen. Und darum tragen wir dieses Thema hier vor.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, meinen, daß derartige Pfründen — und ich nenne dies so abgeschafft werden müssen. Sie gehören nicht zu einer sachgerechten Ausgabenwirtschaft.Der sechste Punkt sind die Repräsentationsfonds, ein beliebtes Thema. Sie heißen „Verfügungsmittel für außergewöhnlichen Aufwand aus dienstlicher Veranlassung in besonderen Fällen". 1973 stehen in diesem Etatansatz insgesamt 14,3 Millionen DM. 1974 sind es 15,7 Millionen DM, also auch hier eine Steigerung von 1,4 Millionen DM oder 10,2 %, also ein wenig unter dem normalen Schnitt. Ichmeine nur dies, meine Damen und Herren: Dieser Fonds — man kann ihn auch anders betiteln; ich will das nicht tun — darf nach unserer Auffassung nicht steigen, solange die Mittel im Straßen- und Hochschulbau sinken.
Das ist eine ganz unzulässige Sache. Sie hätten ein gutes Bild gegeben als Regierung, wenn Sie diesen Fonds der privaten Ausgabemittel im Rahmen Ihrer Dienstverpflichtungen eingefroren hätten auf den Etatansatz des vorangegangenen Haushaltsjahres.Neben diesen Punkten gibt es natürlich auch Vorgänge, die unserer Auffassung nach auf jeden Fall im Etat 1974 ihr Ende finden sollten: Es ist die Förderung von Verfassungsfeinden. Ich nenne hier den Sozialdemokratischen Hochschulbund, von dem sich die SPD ja getrennt hat, der aber weiterhin aus dem Einzelplan 15 von der Bundesministerin Frau Focke ständige Zuweisungen erhält. Die Regierung hat in der letzten Kleinen Anfrage der CDU/CSU trefflich geantwortet, indem sie sagte:Die Zielsetzung und Tätigkeit des Sozialdemokratischen Hochschulbundes, seine Rolle innerhalb des VDS und insbesondere die Annäherung seiner Ziele an den Spartakus betrachtet die Bundesregierung mit Sorge. Sie hat Zweifel, daß der SHB noch die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bietet.Wir meinen, daß die Ausgabe von Steuermitteln für eine derartige Organisation sofort eingestellt werden muß. Jede Ausgabe dafür ist eine Verschleuderung und Verschwendung von Steuergeld.
Der achte Punkt wäre die Frage der Subventionen. Im § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft heißt es im Abs. 2:Über die in Abs. 1 bezeichneten Finanzhilfen legt die Bundesregierung dem Bundestag und dem Bundesrat zusammen mit dem Entwurf des Bundeshaushaltsplans alle zwei Jahre eine zahlenmäßige Übersicht vor.Es folgt der Abs. 4, der sagt:Sie macht zugleichund das ist der wichtige Absatz Vorschläge hinsichtlich der gesetzlichen und sonstigen Voraussetzungen für eine frühere Beendigung eines stufenweisen Abbaues der Verpflichtungen.Wir steilen fest, daß das Wort des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar — „Dazu gehört der schrittweise Abbau nicht mehr gerechtfertigter Steuervergünstigungen und Subventionen" — nicht eingehalten worden ist. Die Wirklichkeit sieht so aus: Laut Subventionsbericht 1972 stiegen die Subventionen und Steuervergünstigungen seit 1969 von 22 Millionen auf 31,5 Millionen DM im Jahre 1972. Nimmt man den Agrarbereich und die Sparförderung heraus, so beträgt das Wachs-
Metadaten/Kopzeile:
3566 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Wohlrabeturn der Subventionen und der Vergünstigungen in fast allen Haushaltsjahren immerhin — bis auf eine Ausnahme — mehr als 10%.Ich glaube, daß das Ziel, das man sich gesetzt hatte, auch hier nicht erreicht worden ist. Und ich meine außerdem, daß man, wenn man von Subventionen spricht, nicht an der Problematik der verbilligten Osthandelskredite vorbeigehen kann, deren Handhabung wir mit großer Sorge betrachten. — Ich denke hier insbesondere an die Kapitalhilfezusage von 300 Millionen DM zu Entwicklungshilfekonditionen für Jugoslawien — dies wurde außerhalb der Arbeit der Ausschüsse behandelt —, zu der dann von Herrn Moersch als dem Vertreter der Bundesregierung am 15. Juni eine Erklärung wider besseres Wissen, d. h. eine wissentlich falsche Erklärung abgegeben wurde.
Ich stelle nur die Frage, was Sie uns dann, wenn wir ein derartiges Verfahren in der Zeit des Bundesfinanzministers Strauß gehabt hätten, zusammen mit denen, die publizistisch für Sie wirken, geantwortet hätten. Die Worte kenne ich: irregeführt, ausgeschaltet, ausgebootet, betrogen; wir hätten sie belogen. Das sind die Ausdrücke, die Sie uns vorgehalten hätten. Ich halte sie Ihnen hier heute gar nicht vor;
ich sage nur und in diesem Zusammenhang müs-sen ja die Namen Eppler, Matthöfer und Moersch genannt werden , daß man so eine Sache, über die man zweifelsfrei diskutieren kann, um des eigenen I Verständnisses und um der eigenen Aufgaben willen, die dieses Parlament seinen Ausschüssen stellt, nicht handhaben darf.
Ein neuntes Wort wäre zur Ämterpatronage vor der Leistung zu sagen. Ich möchte, meine Damen und Herren, folgendes festhalten.
Im „Stern" ist darüber ja ein Großteil geschrieben worden: Schlüsselpositionen werden auch heute hier in Bonn in einem Maße wie nie zuvor von Sozialdemokraten — und zwar oft nicht unter leistungsbezogenen Gesichtspunkten — besetzt. Ich denke hier nur an das „Köpferollen", von dem man beim Regierungsantritt 1969 sprach,
— an die Maschinenpistole,
an die vorgenommenen Stellenanhebungen für gewisse parteipolitische Freunde
am Vortage des Mißtrauensvotums, und ich empfehle Ihnen allen die Lektüre des „Stern" über dieZusammenhänge sozialdemokratischer Personalpolitik, beispielhaft dargestellt an der Stadt Hamburg. Ich bin sicher, daß die SPD-Baracke auch hier ähnliches praktiziert.
Herr Abgeordneter Wohlrabe, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte nur meinen Satz zu Ende sprechen. — Ich würde 'deshalb darum bitten, daß die Leistung in Zukunft wieder vor das Parteibuch tritt. Ich glaube, das sind wir den Beamten, Angestellten und allen anderen Mitarbeitern im öffentlichen Dienst schuldig.
Schließlich zur Personalpolitik insgesamt und zu den damit verbundenen Ausgaben: In der Regierungserklärung von 1969 — ich rufe dies in Ihre Erinnerung zurück — hieß es:Die Regierung muß bei sich selbst anfangen, wenn von Reformen die Rede ist. Die Zahl der Ministerien wurde vermindert, eine erste Flurbereinigung der Ressortzuständigkeiten vorgenommen. Wir werden diese Bemühungen fortsetzen . . .Und es folgt der Satz:Das Bundeskanzleramt und die Ministerien werden in ihren Strukturen und damit auch in ihrer Arbeit modernisiert.
Was ist von diesen schönen Versprechungen zu halten? Wie sieht die tatsächliche Entwicklung aus? Bei der letzten Regierungsbildung wurde ein Ministerium für den bisherigen Kanzleramtsminister, der nicht leer ausgehen durfte, neu geschaffen. Zwei Sonderminister wurden neu eingesetzt, und die Zahl der Parlamentarischen und beamteten Staatssekretäre wurde weiter erhöht. Insgesamt ergibt sich heute beim Etat 1974, also beim zweiten Kabinett Brandt, folgende stattliche Zusammensetzung: 15 ordentliche Minister, zwei Minister für besondere Aufgaben, zwei Staatsminister in Zukunft — wenn das Gesetz so gehandhabt wird , 18 Parlamentarische Staatssekretäre, 22 beamtete Staatssekretäre. Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren: So viele gut bezahlte Leute hat es noch nie hier in Bonn gegeben, und wir würden uns freuen, wenn die Politik dabei nicht so schlecht wäre. Ich füge hinzu: So bewahrheitet sich leider wieder einmal der alter Spruch, daß Masse noch lange nicht Klasse ist.
Lassen Sie mich nur ein Zahlenbeispiel nennen. Ein Sonderminister kostet mit all dem, was an Personal dazugehört, rund eine halbe Million DM. Ich will die Debatte über die Bundesminister für besondere Aufgaben nicht neu entfachen. Ich will aber einen Absatz zitieren, den Conrad Ahlers, ein von mir
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3567
Wohlrabesehr verehrter Kollege, geschrieben hat. Ei sagt nämlich:Sonderminister wie Bahr und Maihofer, Sonderstaatssekretäre wie Günter Gaus und Sonderberater wie der vom Bonner Volksmund zum Denkmalspfleger erhobene Redenschreiber Harpprecht treten sich gegenseitig auf die Füße. Und wenn sie sich auch alle redlich bemühen, vernünftige Arbeit zu leisten und ihrem Kanzler zu helfen, so kommen sie doch allzu oft denjenigen in die Quere, die nun einmal kraft ihres Amtes die betreffenden Kompetenzen wahrzunehmen haben. Die Konstruktionsfehler in der Spitze wiederum wurden bei der Regierungsbildung gemacht.Wir haben dem nichts hinzuzusetzen.
So Conrad Ahlers, 19. Oktober 1973 in der „Wirtschaftswoche".
Herr Abgeordneter Wohlrabe, Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen.
Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich stehe nicht hier, um nur kleinkarierte Kritik zu machen. Ich stehe auch nicht hier, um nur Mißstände aufzudecken. Ich möchte nur eines: Wenn man mit einem so hohen moralischen Anspruch wie Sie angetreten ist, dann muß man sich gefallen lassen — auch in der ersten Lesung —, daß man auf den Teppich der Realität, auch in den von der SPD-Fraktion als Kleinigkeiten bezeichneten Beispielen, zurückgeholt wird.
Und noch eines: Die Kirche sollte im Dorf bleiben. Denn wer anders handelt, wer Taten und Worte nicht übereinstimmen läßt — das ist doch hier der Fall —, der muß sich vorhalten lassen, daß er unmoralisch, unehrlich handelt, ja versucht, die Öffentlichkeit bewußt oder unbewußt zu täuschen. Meine Absicht war, dies hier heute vorzutragen. Die CDU/ CSU-Fraktion lehnt derartige Methoden ab. Wir fordern Sie deshalb auf und bitten insbesondere die Kollegen der SPD und FDP, im Haushaltsausschuß mit dazu beizutragen, daß diese Mißstände abgestellt werden, damit die damit verbundene Politik sich in Zukunft bessert und wir derartige Klagen hier nicht mehr erneuern müssen.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Wohlrabe verlangen in einigen Punkten eine unmittelbare Entgegnung. Ich fange damit an, daß Sie, Herr Abgeordneter Wohlrabe, den Staatssekretär des Bundes außer Dienst Birckholtz hier in zwei Punkten angegriffen haben. Sie hatten zum einen gemeint, er habe imJuli 1972 eine Erholungsreise in die Vereinigten Staaten mit einem Bundeswehrflugzeug durchgeführt. Zum anderen haben Sie beanstandet, daß er noch weiterhin für den Bund arbeitet. Mir geht das in beiden Punkten persönlich nahe, denn ich bin für diese beiden Punkte, die Sie anschneiden, verantwortlich gewesen; ich war zu der Zeit Bundesminister der Verteidigung. Herr Birckholtz ist, nachdem er bereits im Ruhestand war, auf meine Veranlassung bereit gewesen, über 65 Jahre alt, noch einmal in den öffentlichen Dienst zurückzukehren. Sie können sich auf der Hardthöhe erkundigen, welche vorzügliche Arbeit er dort geleistet hat.
Es gibt darüber unter allen Soldaten oder Beamten auf der Hardthöhe, ob links oder rechts, blau, rot oder schwarz, kaum verschiedene Meinungen. Er hat insbesondere eine wesentliche Hilfe bei der Vorarbeit für die Einrichtung der beiden Bundeswehrhochschulen geleistet. Um seine Hilfe auf diesem Gebiet nicht zu verlieren, die sehr schwierige Verhandlungen mit den beiden Ländern Bayern und Hamburg erforderte, ist mit ihm ein Vertrag gemacht worden, von dem ich nicht weiß, ob er inzwischen noch läuft; vielleicht läuft er auch aus. Im Zusammenhang mit der Errichtung der Bundeswehrhochschulen haben nicht nur er, sondern auch ich und andere Personen vielfältige Besuche bei Ausbildungseinrichtungen der uns verbündeten Armeen gemacht, so auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, die zum Teil schon solche Einrichtungen hatten, wie wir sie jetzt erst errichten, um uns deren Erfahrungen nutzbar zu machen.Der von Ihnen erwähnte Staatssekretär außer Dienst Birckholtz ist gestern übrigens 70 Jahre alt geworden. Angehörige aller drei Parteien haben ihm gestern in Hamburg Glück gewünscht.
Ich habe bei dieser Gelegenheit ausgeführt, daß dieser Mann sich um unser Land Verdienst erworben habe. Das ist auch heute richtig, Herr Kollege Wohlrabe.
Ich komme jetzt zu dem allgemeinen Thema der Bundeswehrflugzeuge. Die Reiseflugzeuge der Bundeswehr — nur darum handelt es sich hier, Herr Abgeordneter Wohlrabe
sind zu einer Zeit angeschafft worden, die lange zurückliegt, und zwar nicht zu dem Zweck, daß die Angehörigen der Armee damit Reisen durchführen sollen, sondern einzig und allein, daß die Angehörigen der Bundesregierung damit reisen sollen. Es war eine zweckmäßige Lösung, diese Flugzeuge nicht als Regierungsstaffel gesondert zu betreiben, sondern es war eine Zweckmäßigkeitslösung, die bis heute beibehalten worden ist und die nach meiner Meinung auch in der Zukunft beibehalten werden sollte, diese Flugzeuge durch die Bundeswehr, genauer ge-
Metadaten/Kopzeile:
3568 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Schmidtsagt, durch die Luftwaffe bereedern oder — wenn Sie so wollen — betreiben zu lassen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir darin zu, daß ich die Anschaffung überhaupt nicht kritisiert, sondern nur davon gesprochen habe, daß das Haus darin einig sein sollte, daß klare Richtlinien für die Verwendung dieser Flugzeuge geschaffen werden?
Dieses Anliegen müßte doch auch Sache des Finanzministers sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da ich als Verteidigungsminister einmal eine Reihe von Jahren die Verantwortung für die Flugbereitschaft gehabt habe, habe ich mich ziemlich bald dafür interessiert, welche Richtlinien für die Benutzung vorlagen. Es gab Richtlinien, die ich von meinem Amtsvorgänger übernommen habe und die an meinen Amtsnachfolger weitergegeben worden sind. Die Richtlinien haben beispielsweise zugelassen, daß auch zu Zeiten, in denen Herr Kiesinger, Herr Erhard oder Herr Adenauer Kanzler waren, große Reisegesellschaften mit diesen Flugzeugen ins Ausland gereist sind. Ich habe das nicht beanstandet; im Gegenteil. Wenn Sie es ganz genau wissen wollen: der Finanzminister selbst hat vor wenigen Tagen beanstandet, daß neuerdings den Journalisten, die vom Kanzler oder vom Außenminister eingeladen werden, zur UNO mitzufliegen, ein viel zu hohes Fahrgeld abgeknöpft wird, weil ich das nicht in Ordnung finde.
Ich will damit nur sagen: das, was auf diesem Gebiete heute Übung ist, war immer Übung, es ist
nichts Neues. Herr Wohlrabe hat diesen Eindruck zu Unrecht zu erwecken versucht. Im Gegenteil: die Praxis ist heute rigider als früher, und mir ist sie zu straff, weil ich es einen Unsinn finde, wenn ein Bundesminister, z. B. der des Auswärtigen, Pressekollegen einlädt, ihn zu begleiten, und diese dafür mehr bezahlen müssen, als wenn sie selber eine Gesellschaftsreise bei der Lufthansa anmelden würden.
Ich möchte auch noch eine Bemerkung zu dem Schwimmbad des Bundeskanzlers machen. Das war das Allerbilligste, was Sie hier geboten haben.
Das war wirklich die Höhe.
Ich denke, Sie sollten Personen, die so sehr in öffentlicher Verantwortung und so sehr unter Arbeitsdruck stehen wie etwa der Bundespräsident oder der Bundeskanzler dasselbe an Möglichkeiten, sich körperlich zu betätigen, zugestehen, was viele andere, Hunderte und Tausende hochgestellter Persönlichkeiten z. B. aus der Industrie für sich für selbstverständlich halten
-- Dem Bundeskanzler steht eine Dienstwohnung zu, so steht es im Gesetz, und die bewohnt er auch. Dagegen ist ja von Ihrer Seite hoffentlich nichts einzuwenden.Ich komme dann zu der Bemerkung über die Kostenerstattung an die Lufthansa. Ich habe nicht ganz verstanden, was Herr Kollege Wohlrabe gemeint hat. Sie haben von Hunderten von Millionen gesprochen. Die Rechtskonstruktion, die dem zugrunde liegen soll, ist mir nicht ganz klar. Ich könnte mir denken, daß Sie vielleicht meinen, der Bund müsse für Verschulden seiner Beamten haften. Vielleicht haben Sie das gemeint. Wenn das Ihre Idee ist, gehen Sie ja aber davon aus, ,daß die Beamten, nämlich die Fluglotsen, sich Verschulden anrechnen lassen müssen. Wenn das so ist und bewiesen werden kann, werden sie natürlich auf dem Wege des Regresses in Anspruch genommen werden.
Dann allerdings ist nicht zu verstehen, warum Herr Müller-Hermann öffentlich dafür eintritt, daß deren Gehälter erhöht werden sollen.
— Nein, ich drehe gar nichts um. Ich habe es sehr bedauert, daß der Staatssekretär im Verkehrsministerium eine Bemerkung gemacht hat, an der sich Herr Kollege Wohlrabe aufgerankt hat. Ich habe die Bemerkung bedauert und habe das ihn damals auch wissen lassen. Nur, Herr Wohlrabe muß wissen, daß er entweder der Meinung sein kann, es liegt Verschulden der Beamten vor — dies ist meine Meinung; ob sie beweisbar ist, ist höchst zweifelhaft —, oder aber, es liegt kein Verschulden vor,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3569
Bundesminister Schmidtund wir vergolden ihnen die Nase. Zwischen beidem kann man wählen, nicht aber beides gleichzeitig machen.
Sie haben dann auch eine Bemerkung persönlicher Art in bezug auf einen General gemacht, den ich persönlich gut kenne, der unter meiner ministeriellen Leitung auf der Hardthöhe gearbeitet hat. Es tut mir leid, daß Sie das alles mit Namensnennungen gemacht haben; das erfordert jetzt eben, jeden einzelnen Mann in Schutz zu nehmen vor ungerechtfertigten Vorwürfen, die Sie hier erhoben haben.
Der General Büchs kriegt nicht, wie Sie gesagt haben, seinen „Lebensabend versüßt", sondern er ist im Auftrag der Bundesrepublik in einer Stelle in Brüssel bei der NATO tätig. Das Bundesministerium der Verteidigung hat genau gewußt, was es tat, als es ihn finanziell nicht ganz, aber einigermaßen so stellte, wie die ihm vergleichbaren Bediensteten anderer NATO-Staaten dort gestellt worden sind. Mit Lebensabend hat das nichts zu tun; das ist eine sehr schwierige Aufgabe, die er dort erfüllt.
— Dieser Mann ist voll im Dienst. Er ist gegenwärtig nicht Angehöriger der Bundeswehr, sondern, wenn Sie so wollen, ein internationalisierter Beamter.
— Natürlich hat er einen Vertrag. Ich leugne das doch nicht.
— Es geht hier doch nur darum, ob er etwas bekommt, was zu beanstanden wäre. Das hat Herr Wohlrabe insinuieren wollen. Und ich sage: es ist nicht zu beanstanden, es ist völlig in Ordnung.
Jetzt kommt der nächste Punkt. Herr Wohlrabe hat den Eindruck erwecken wollen, als seien dies alles neue Tatbestände, die es früher so nicht gegeben habe.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich würde gern fortfahren, aber das ist im Augenblick sehr schwierig, weil Herr Wohlrabe nicht zuhört.
Sie haben den Eindruck erweckt, als ob alles das, was Sie angeprangert haben und was ich zum größeren Teil soeben widerlegt habe — ich kann nicht auf alles eingehen —, neu sei; das habe es früher nicht gegeben. Die Sache ist etwas anders, verehrter Herr Kollege. Zu Ihrer Zeit wurde alles das, was Sie hier aus dem Haushalt herausfischen, im Haushalt nicht ausgewiesen. Da gab es einen großen Topf, der hieß „Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise", und daraus haben Sie noch viel mehr finanziert, als wir öffentlich im Haushalt darlegen und Ihrer Kritik aussetzen.
Was den Vorwurf der angeblichen Parteibuchwirtschaft der Bundesregierung angeht: Erstens weise ich ihn zurück, zweitens fordere ich Sie zum Beweis auf, mit Roß und Reiter. Ich bin der Meinung, daß in dem Gesamtapparat der Bonner Ministerien einstweilen noch zehnmal soviel Christdemokraten sind wie Sozialdemokraten.
— Die Sozialdemokraten sind meist die Pförtner und die Kraftfahrer.
Da ich das Wort habe, will ich auch gern auf die Bemerkung des Kollegen Strauß von heute früh um 9 Uhr eingehen, genauer gesagt: um 9.02 Uhr. Ich habe ein bißchen mitgeschrieben, was in den einzelnen Passagen seiner Rede vorkam. Von 9.02 Uhr bis 9.07 Uhr eine ganze Reihe von Zensuren, die später nicht belegt wurden. Die erste Sachaussage kam um 9.11 Uhr,
als er eine Rede zitierte, die der gegenwärtige Sprecher auf einer Weltwährungskonferenz in Kenia gehalten hatte; er hat sie etwas verfälscht; trotzdem war das eine sehr gute Rede; das möchte ich hier gerne betonen.
Sie hat dort auch durchaus Eindruck gemacht. Sie war sowohl an die Adresse der Vereinigten Staaten von Amerika,
die dort nicht nur durch ihren Minister und ihren Notenbankpräsidenten, sondern auch durch eine Reihe von Senatoren und Bankiers vertreten waren, als auch an die Adresse einer Reihe von Entwicklungsländern gerichtet. Was den letzten Punkt angeht, so hat Graf Lambsdorff liebenswürdigerweise schon den richtigen Hinweis gegeben. Beim ersten Punkt handelte es sich darum, daß der Vertreter der Bundesregierung mit aller wünschenswerten Deutlichkeit darauf aufmerksam gemacht hat, wo denn die Hauptquelle der Überliquidität der Weltwirtschaft, sprich: des inflatorischen Trends der Welt-
Metadaten/Kopzeile:
3570 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Schmidtwirtschaft liegt — nämlich im Zustand der amerikanischen Zahlungsbilanz in den letzten drei Jahren —und wo denn der Hauptgrund dafür liegt — nämlich in dem chronischen Staatsdefizit, das sich jenes Land während des südostasiatischen Krieges eingehandelt hat. Ich darf übrigens dem Kollegen Strauß versichern, daß wenn er die Rede, die er heute morgen über Zustand und Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft gehalten hat, auf der Weltwährungskonferenz gehalten hätte, kein Mensch verstanden hätte, von welchem Land er redet.
Daß das die Bundesrepublik sein soll, die er so abgebildet hat, das hätte bei seinen Zuhörern in Nairobi zu ganz eigenartigen Rückschlüssen geführt.
Die hätten sich wirklich gefragt, was mit dem Mann los ist.
Die Sache ist in Wirklichkeit so, Herr Kollege Strauß, daß die ganze Welt die Courage bzw. den Mut — wie Sie es auch nennen wollen — respektiert, zum Teil bewundert, uns zum Teil darum beneidet, mit der die sozialliberale Koalition im Rahmen der nationalen Möglichkeiten versucht hat, mit den inflatorischen Trends der Weltwirtschaft in den Grenzen unserer Binnenwirtschaft fertig zu werden. I Ich bin ganz sicher, daß diese Rede von jedermann mit demselben Respekt, mit dem sie in diesem Fall aufgenommen worden ist, aufgenommen worden wäre, wenn dort statt meiner der Herr Bundeskanzler, der Bundesminister für Wirtschaft oder der Bundesminister des Auswärtigen geredet hätte.Herr Strauß hat eine Reihe von Dingen gesagt, auf die man nicht eingehen muß. Er hat sich bei Fritz Erler Polemik ausgeborgt, um zu beweisen, weswegen er von der Notwendigkeit entbunden sei, alternative Vorschläge zu machen. Darauf will ich nicht noch einmal näher eingehen.
Wenn die Opposition der Meinung ist, sie habe nicht die Pflicht, Vorschläge zu machen, ist es ja gut. Sie brauchen das ja nicht. Ich bin durchaus einverstanden, wenn Sie nur unsere Arbeit kritisieren, selbst jedoch keine Vorschläge machen. Jedermann wird sich seinen Vers darauf machen können; Sie brauchen keine Vorschläge zu machen.
Es steht Ihnen zu, uns zu kritisieren. Sie müssen sich dabei allerdings einigermaßen an die Tatsachen halten. Ich widerspreche ausdrücklich der Rechnung des Herrn Kollegen Strauß, daß einschließlich der Haushaltsrisiken eine Steigerung von 12 % zu erwarten sei. Dies ist nicht wahr. Herr Kollege Leicht hat sich in dem Punkt auch viel sorgfältiger, weilsachkennerischer, ausgedrückt. Jeder im Haushaltsausschuß weiß, daß wir uns für die Haushaltsrisiken natürlich vorbereitet haben und daß es infolgedessen bei 10,5 % bleiben wird.
— Sicherlich, Sie messen uns ja auch an dem Jahr 1972 und an dem Jahr 1973; wir sehen da ganz gut aus; unglaublich viel besser als das Land Schleswig-Holstein,
als das Land Baden-Württemberg
und als das Land Bayern sehen wir aus.
— Das Land Niedersachsen hat sich hier nicht zum Ankläger des Bundes gemacht;
es sind immer nur dieselben Bundesratsmitglieder, die ja unter Benutzung des ihnen nach dem Grundgesetz zustehenden Rechts von der Möglichkeit Gebrauch machen, hier jederzeit das Wort zu ergreifen.
— Sie werden nervös und möchten mich nicht ausreden lassen!
Herr Strauß hat dann auch den Lieblingsgedanken des Oppositionsführers Professor Carstens wieder aufgegriffen und hat gemeint, die Investitionsrate im Bundeshaushalt sei zu klein. Ich sage noch einmal, die öffentlichen Investitionen in unserem Staat gehen im wesentlichen von den Ländern und Gemeinden aus. Der Bund hat daran einen kleinen Anteil, ein Siebentel. Wenn Sie die Bundesunternehmen Bahn und Post hinzuzählen, würde es mehr, aber der Bundeshaushalt hat nur ein Siebentel der Investitionen der Gebietskörperschaften. Da liegt keine entscheidende Hebelwirkung. Ich wiederhole, daß es nicht die Hauptaufgabe des Bundeshaushalts ist, in Holz, in Stahl, in Beton in Mörtel etwas hinzustellen, was jeder anschauen und bestaunen kann. Die Hauptfunktionen sind vielmehr, erstens öffentliche Leistungen und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und zweitens die soziale Umverteilungsfunktion. Das messen Sie nicht in Beton und auch nicht in Stahl.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3571
Bundesminister SchmidtDeswegen möchten wir das nicht ein drittes und ein viertes Mal wieder vorgeführt bekommen. Nur weil Herr Strauß heute morgen wiederum so getan hat, als ob es sich um eine selbstgemachte bundesrepublikanische inflatorische Entwicklung handle, liegt mir am Herzen, Ihnen die neuesten Zahlen vorzulegen, die ich greifen kann. Die neuesten Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland sind 6,4 % Preisanstieg bei den Lebenshaltungskosten; Osterreich 6,5, Schweden 6,6, Belgien sowie Norwegen 6,7, Frankreich 7,5, USA 7,5, Holland 8,2, Schweiz 8,3, Kanada 8,3, Großbritannien 9,3, Dänemark 9,6, Italien 10,5, Irland 11,2 und Japan 12,0 N. Ich weiß nicht, welche Staaten wir sonst noch vorlesen sollen. In dieser Kette repräsentativer, herausragender industrieller Staaten der westlichen Weltwirtschaft haben wir das absolute Ende erreicht. Auf der anderen Seite sind wir von all den hier genannten Staaten mit der Ausnahme Englands am stärksten in die Weltwirtschaft, in die Arbeitsteiligkeit der Weltwirtschaft, in ihren Güteraustausch integriert. Wir sind fünfmal so sehr von der Weltwirtschaft abhängig wie etwa die Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn es unser Land — mit dieser außerordentlichen Abhängigkeit von den Entwicklungen der Weltmärkte, von dem Boom der Nachfrage auf den Weltmärkten — geschafft hat, an das absolute Ende des Geleitzuges zu gelangen, dann ist das eben für manche der uns verbündeten und uns verbundenen Regierungen ,durchaus ein Ärgernis, weil ihnen das ja zu Hause vorgehalten wird. In anderen Parlamenten dieser Welt werden solche Reden gehalten, nicht wie Herr Strauß sie dargeboten hat, sondern wie sie etwa von Herrn Arndt vorgetragen worden sind, nur nicht in der Wir-Form, sondern in der Form: Die Deutschen haben das fertigbekommen, warum unsere Regierung nicht?
-- Das ist kein Argument? Hören Sie, gnädige Frau, wenn das kein Argument ist, verstehe ich wirklich nicht, was ein Argument sein soll.
Wenn Sie mich glauben machen wollen, daß Sie glauben, man könne noch mehr tun, als an das Ende kommen, man könne den Preisauftrieb in der Bundesrepublik auf 3 % bringen, während er in Amerika bei 7,5 % ist, wäre ich gespannt zu hören, wie man das machen soll. Dann allerdings müßte die Opposition doch alternative Politik vortragen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bismarck?
Herr Bundesminister, nachdem Sie nun offenbar ihr stabilitätspolitisches Damaskus hinter sich haben, was wir heute mit Freude festgestellt haben: Sind Sie wirklich der Meinung, daß 'Sie auf dem richtigen Wege sind, wenn Sie uns hier immer wieder vortragen, daß die Bundesregierung überhaupt keine Verantwortung mehr für die Stabilitätspolitik habe, sondern die Wirkungen von allen anderen Seiten ausgehen? Erwecken Sie nicht einen völlig falschen Eindruck mit dem, was Sie jetzt hier vortragen, auch in bezug auf die Vergangenheit, wo Ihnen Herr Klasen bestätigt hat, daß es eben doch eine hausgemachte Inflation war, von der Sie gestartet sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin niemals der Meinung, daß eine Regierung für die wirtschaftlichen Entwicklungen keine Verantwortung trüge;
das habe ich nie gesagt, und ich finde es nicht freundlich, mir das zu unterstellen. Die Regierung trägt Verantwortung;
sie hat mit aller Unterstützung der Mehrheit dieses Hauses ihre Verantwortung wahrgenommen und hat Maßnahmen ergriffen, die Sie am liebsten vor Weihnachten schon wieder aufheben möchten. So ist die Sache.
Von einem Damaskus kann keine Rede sein.
Ich habe keinen Satz und keine Bemerkung und keine Rede zurückzunehmen, die ich zu diesem Thema im Laufe der letzten anderthalb Jahre gehalten habe. Ich möchte am Schluß etwas —
— Ja sicher, die Fünf-Prozent-Rede ärgert euch heute noch, aber die wird auch noch wiederholt werden in der Zukunft, ganz sicher!
Ganz sicher wird sie wiederholt. Ich bleibe dabei, daß man, um das Ziel der Stabilisierung zu erreichen, nicht den Preis zahlen darf, Massenarbeitslosigkeit herbeizuführen.
Dies heißt auf der anderen Seite nicht, daß man sich von einigen frühzeitig nervös machen lassen darf, die so tun, als ob die Massenarbeitslosigkeit am nächsten Montag um die Ecke auf uns lauere. Das ist nicht der Fall.Zu den Ausführungen des Kollegen Leicht habe ich auch noch etwas nachzutragen. Zunächst möchte ich mich sehr herzlich bedanken für die Übereinstimmung in der Frage der Haushaltsgebarung der Europäischen Gemeinschaften. Ich bin dankbar, daß dieser Komplex im Plenum dieses Hauses von beiden Seiten so behandelt worden ist. Da kann man hoffen, daß das einige Wirkung auch draußen an den Stellen, die es angeht, erzielt. Ich möchte das mit Dank quittieren.Aber auf einen Punkt möchte ich kritisch zurückkommen, antikritisch, Herr Kollege Leicht. Sie haben
Metadaten/Kopzeile:
3572 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Schmidtdas Ausmaß der wachsenden Verpflichtungsermächtigungen im Bundeshaushalt kritisch behandelt. Es trifft zu, daß sich die Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt 1974 um 18,3 °/o erhöhen sollen. Das ist zum Teil Entwicklungshilfe, und es ist nur natürlich, daß dann, wenn die Entwicklungshilfe insgesamt steigen soll, auch die Verpflichtungsermächtigungen steigen müssen. Es sind zum größeren Teil, Herr Kollege Leicht, Verpflichtungsermächtigungen für Beschaffung im Rahmen des Einzelplans 14, Bundeswehr. Dort ist es sogar ein Zuwachs von 35 °/o, der auf die durchschnittliche Zuwachsrate durchschlägt. Ich meine, da Sie dies von mir hören, sollten Sie diesen Punkt mit etwas mehr Wohlwollen betrachten, wo doch nun schon zwei Ihrer Redner heute morgen darauf hingewiesen haben, daß für die Verteidigung mehr getan werden müsse, als bisher im Haushalt steht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Bundesfinanzminister, können wir uns vielleicht in dieser Frage insoweit einigen, daß ich die Gefahr des dauernden Zuwachses der Verpflichtungsermächtigungen global gesehen und daß ich dann inhaltlich gesagt habe: „die sich ja in den nächsten Jahren umsetzen in Geld"? Ich habe also nicht auf einen Teilbereich abgestellt, sondern habe das global gesehen. Ich glaube, in diesem Sinne wird sich keine große Meinungsverschiedenheit in diesem Hause ergeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich denke, daß man mit gutem Recht das Anwachsen der Verpflichtungsermächtigungen im Auge behalten sollte, wie übrigens auch das Anwachsen der Garantieleistungen und Bürgschaftszusagen des Bundes, die inzwischen ein beträchtliches Ausmaß erreicht haben. Aber in den einzelnen Fällen, um die es sich hier handelt — Entwicklungshilfe und Verteidigung —, nehme ich an, daß Sie kein Monitum erheben wollen.
Es ist noch zu früh, um eine Zwischenbilanz oder gar eine Schlußbilanz dieser Debatte zu ziehen; sie geht ja noch in den Abendstunden und morgen vormittag weiter. Deswegen bitte ich zu verstehen, daß ich darauf verzichte, irgendwelche rethorischen Schlußfeuerwerke hier anzubringen. Mir liegt nur daran, was das Feuerwerk des Herrn Strauß angeht, doch einen Punkt noch unterzubringen. Herr Strauß hatte einem meiner Kollegen in der Bundesregierung die „sytematische Abwertung von Andersdenkenden" vorgeworfen. Ich denke, daß der, der dieses Wort ausgesprochen hat, prüfen muß, ob es nicht auf ihn selbst zurückfällt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bülow.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dankbar, daß wir mit der letzten Einlassung des Bundesfinanzministers wieder das Niveau erreicht haben, das der ersten Lesung des Bundeshaushalts gebührt.
Herr Kollege Wohlrabe, bei allem Verständnis für die Freude, die man im Aufgreifen von bestimmten Dingen haben kann, die ja im einzelnen geprüft werden müssen, muß ich sagen: die Arbeitsgruppe Haushalt der Fraktion der SPD hat sich im Aufgreifen von Mißständen noch nie zimperlich gezeigt. Das wird auch so bleiben; da können Sie auf uns rechnen. Nur, daß diese Dinge in der ersten Lesung vorgetragen werden, das bringt ein Niveau mit sich, das dieses Hauses nicht würdig ist. Ich bin auch nicht ganz sicher, ob der Vortragende in seiner Person die Gewähr für eine sachgemäße Abhandlung der hier angeschnittenen Themen bieten kann.
Der Bundesminister der Finanzen hat den Bundeshaushalt 1974 einen „Haushalt der Kontinuität" genannt. Man mag es bedauern, man mag es begrüßen oder als Haushaltspolitiker sogar für vernünftig halten. Was ich nicht begrüße, ist die Kontinuität der Art und Weise, wie sich die Opposition mit den Bundeshaushalten der letzten Jahre und auch dem diesjährigen auseinandersetzt. Der große Vorsitzende der CSU sprach wie eh und je in seiner Rede, ohne auf eine objektive Analyse der konjunkturellen Situation Wert zu legen, ohne wesentliche Bezugnahme auf den Haushalt 1974 und ohne tiefer auf die Finanzplanung 1973 bis 1977 einzugehen, die zusammen mit diesem Haushalt vorgelegt wurde. Die Einlassungen von Herrn Leicht waren detaillierter, aber Klarheit über das finanz- und haushaltspolitische Konzept der Opposition boten sie leider nicht.
Wir haben ja einen Entwurf, und dagegen muß die Opposition ja ihre Alternative hier vortragen; sonst hat das alles keinen Wert, was hier an Details vorgetragen wird.
Wenn die Haushaltsgruppe der CDU/CSU geschlossen Steuermindereinnahmen des Bundes und der Länder in der Größenordnung von sage und schreibe 8 bis 10 Milliarden DM ohne weiteres mit der Haushaltslage des Bundes und der Länder bzw. der Gemeinden für vereinbar hält,
wie Sie das mit Ihrem gestrigem Gesetz vorhatten, oder wenn Sie Mehrausgaben in Hunderten von Millionen fordern, 'beispielsweise bei der Kriegsopferversorgung, dann kann man doch nicht im Ernst behaupten, daß der Haushalt 1974 diese Probleme aufwiese, wie Sie sie uns hier vorzutragen versuchen. Man fragt sich auch, ob Sie angesichts dieses Kon-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3573
Dr. von Bülowsumstoßes von 8 Milliarden DM, den Sie für 1974 vorhatten,
überhaupt noch Konjunkturdämpfungsprogramme ernst nehmen, ob Sie sie überhaupt noch für sinnvoll erachten. Noch im Sommer dieses Jahres forderten Sie die Erhebung einer Stabilitätsabgabe und gestern Steuererleichterungen auf breiter Front, obwohl fast am gleichen Tage die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute dringend vor einer Lockerung der Stabilitätspolitik dieser Regierung und ausdrücklich vor der Gewährung von Steuererleichterungen gewarnt haben.Es bleibt der Eindruck einer in sich unschlüssigen Opposition, die im wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich mit einem dissonanten Männerchor eher zu vergleichen ist als mit einer zielstrebigen Mannschaft. Wir wissen nicht, was die Opposition wirklich will. Sie werden es zwar leicht haben, allen Gruppierungen unseres Volkes zu gefallen, sich jedoch sehr schwer tun, wenn es darum geht, eine zusammenhängende, widerpruchsfreie Wirtschafts-und Konjunkturpolitik und Haushaltspolitik darzulegen und vor einer kritischen Öffentlichkeit zu begründen, die ja noch nicht darauf verzichtet hat, Gesamtzusammenhänge zu begreifen. Die Alternative zur Regierungspolitik ist nirgendwo in Sicht.Fest steht schon jetzt, daß der Haushalt 1974 solide finanziert ist und daß er zugleich die Erfordernisse wirtschaftlicher Stabilität und des gesellschaftlichen Fortschritts im Auge behält, wie es der Bundesfinanzminister formuliert hat.Was die Stabilität anlangt, so ist die Steigerungsrate des Haushalts 1974 konjunkturneutral angesichts einer Steigerungsrate der jährlichen volkswirtschaftlichen Wertschöpfung von 10,9 %.So problematisch dieser Prozentfetischismus, an dem wir nun schon seit Jahren hängen, ist: Gott sei Dank zeigt sich hei allen Fraktionen — auch bei der Opposition, wie die Einlassungen des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein gezeigt haben, der eine Steigerungsrate von 14 % nach seiner Darstellung, aber von 18 % nach Darstellung der Bundesregierung zu vertreten hat , daß man, und zwar auch dieser Ministerpräsident und Angehörige der Opposition, beginnt, darüber nachzudenken, ob es sinnvoll ist, diesen Prozentfetischismus weiter zu betreiben.Der Sachverständigenrat hat die Bundesregierung aufgefordert, ihre Stabilitätspolitik fortzusetzen. Das Sachverständigengutachten gibt für eine Kritik an der Ausgabenpolitik des Bundeshaushaltes nichts, aber auch gar nichts, her.
— Das Gemeinschaftsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, das auch zur Haushaltspolitik Stellung nimmt.
— Es ist klar, was gemeint ist.Dank der Anstrengungen dieser Regierung ist es uns gelungen — das ist soeben vorgetragen worden --, wieder an das untere Ende der Preissteigerungsraten in der westlichen Welt zu gelangen, eine Leistung, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Wer fair diskutiert, wird mit mir der Meinung sein, daß wir den Bogen nicht überspannen dürfen. Wir sitzen mit der gesamten westlichen Welt in einem Boot, dem Boot der Währungszusammenhänge und der engen volkswirtschaftlichen, geldlichen und damit zum Teil leider auch inflatorischen Verflechtungen. Hier kann es oft nur auf relative Erfolge ankommen, und die haben wir durchaus schon erreicht.Ich selbst kann als Haushaltsmann und Jurist den Konjunkturpolitikern keinerlei Belehrungen erteilen. Mir scheint nur, daß die reichlich plakativen Äußerungen der Opposition in den vergangenen Jahren zur Konjunktur- und Finanzpolitik und jetzt wieder in diesen Haushaltsberatungen es verhindern, daß wir uns eingehender über die problematischen Seiten einer Konjunktursteuerung über öffentliche Ausgaben unterhalten. Es geht hierbei nicht darum, für eine Öffnung der Schleusen schon jetzt einzutreten oder die Nerven zu verlieren, wenn Stabilität zum erstenmal wehzutun beginnt. Aber wird unser Instrumentarium der Globalsteuerung sowohl den regionalen als auch den sektoralen Bedingungen und Problemlagen der Bundesrepublik gerecht? Beeinflussen wir langfristig mit den Stopand-go-Bedingungen unserer Konjunkturpolitik nicht Branchen wie die Bauwirtschaft eher negativ als positiv auch im Sinne der Preisstabilität? An dieser Frage hängen zahllose Unterfragen, z. B. auch die nach einem einheitlichen Auftreten der öffentlichen Hand auf dem Bausektor. Die Enquete über die Bauwirtschaft, die in den nächsten Tagen veröffentlicht werden wird, wird dazu interessantes Material liefern. Mir wäre in der jetzigen Konjunkturlage wohler in meiner Haut, wenn wir über ein noch wesentlich differenzierteres regionales und sektorales Konjunktursteuerungsinstrumentarium verfügten.Herr Kollege Leicht, Sie haben heute morgen gesagt, daß die realen Leistungen etwa der Bauwirtschaft oder des Straßenbaus zurückgegangen seien. Das ist nicht der Fall. Mir liegen Briefe von Universitätsbauinstituten vor, die darauf eingehen und stolz darauf sind, daß sie die Preise von 1970 haben halten können. Es gibt weite Bereiche des Tiefbaus und vor allen Dingen des Straßenbaus, wo es ganz genau so ist. Dort gibt es also offensichtlich Rationalisierungsreserven — wir haben uns im Haushalt des öfteren damit befaßt —, die es, wenn sie durch die öffentlichen Hände entschlossen genutzt werden, ermöglichen, daß wir das Preisniveau von 1969/70 auch heute noch halten. Insofern gibt es reale Leistungsverbesserungen.
Lassen Sie mich einige Ausführungen zum Thema Schuldenpolitik des Bundes machen. „Der Bund lebt auf zu großem Fuß; er stürzt sich in einen Inflationstaumel der Verschuldung", so lauteten die Stories
Metadaten/Kopzeile:
3574 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. von Bülowvon Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf 1972. Der Finanzplan und die Haushaltsgebarung dieser Bundesregierung in den letzten Jahren beweisen das Gegenteil. In seinem Bemühen, die Konjunktur nicht anzuheizen, hat der Bund in den vergangenen Jahren eine sehr zurückhaltende Schuldenpolitik betrieben. Zunächst die Zahlen für das laufende Jahr: In den ersten drei Quartalen nahm der Bund netto einen Kredit von insgesamt 2,06 Milliarden DM auf. Zieht man die Stabilitätsanleihe mit 2,5 Milliarden DM ab, die in dem oben genannten Betrag nicht enthalten ist, so ergibt sich sogar eine gewisse Entschuldung in Höhe von fast 1/2 Milliarde DM. Für 1974 ist eine Nettoverschuldung von 2,3 Milliarden DM vorgesehen. Das sind 1,3 Milliarden DM weniger, als nach der mittelfristigen Finanzplanung für das Jahr 1972 von dem Finanzminister Franz Josef Strauß im Jahre 1968 vorgesehen war. Wir liegen also im Jahre 1974 in der Schuldenaufnahme niedriger, als es 1972 unter der letzten noch von Franz Josef Strauß verabschiedeten mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war. In der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition von 1970 bis 1973 nahm der Bund Kredite in Höhe von 6,4 Milliarden DM auf. Das macht für diesen Zeitraum nicht mehr als 11/2 % der gesamten Bundesausgaben oder 0,2 % des Bruttosozialprodukts aus. Es wäre also aller Anlaß für die Opposition gegeben, frühere Vorwürfe hinsichtlich einer angeblich unsoliden Finanzpolitik höflichst zurückzunehmen.Volkswirtschaftlich habe ich meine Bedenken, ob es sinnvoll sein kann, derartig zurückhaltend mit dem Instrument der Kreditaufnahme umzugehen. Dieses Instrument muß zum Ziel haben, Teile der Lasten von Zukunftsinvestitionen auf zukünftige Generationen zu übertragen. Ich glaube nicht, daß dieses Instrument in den letzten Jahren insgesamt optimal gehandhabt werden konnte.Auf der anderen Seite ist der Verzicht auf die mit diesen Schuldenaufnahmen zu tätigenden Investitionen ein beachtlicher Beitrag der Finanzpolitik zur Konjunktursteuerung. Das Argument, daß die Steuermehreinnahmen, die wir in den letzten Jahren zu verzeichnen hatten, inflatorisch sind und daß sie nur zur inflatorischen Aufblähung des Bundeshaushalts beigetragen haben, stimmt nicht. Es kann nicht beides stimmen: daß die Mehreinnahmen an Steuern bei gleichzeitigem Rückgang der Verschuldung eine schlichte Folge der Inflation sind und auf der anderen Seite die Behauptung, daß der Staat gleichzeitig der Hauptleidtragende des Geldwertverfalls sei.Lassen Sie mich kurz auf die sogenannte Investitionsquote des Bundeshaushalts eingehen. 23 Milliarden DM oder 17,2% des Bundeshaushalts werden zu den investiven Ausgaben gezählt. 1973 betrug diese Quote noch 17,7 %. Man mag diesen Rückgang um 0,5% bedauern oder gar anklagen, wie das die Opposition tut. Nur hängt auch diese Zahl naturgemäß mit der Problematik der Konjunktursteuerung über [die öffentlichen Haushalte zusammen, denn mit den Beamtengehältern kann ich keine Konjunktursteuerung betreiben. Ich kann nicht zur Steuerung der Konjunktur die Zahlung von Beamtengehältern aussetzen, sondern ich kann nur in den investiven Teil ausweichen. Deswegen ist es völlig selbstverständlich, daß sich in Zeiten der Hochkonjunktur dieser investive Teil vermindert.Die Angriffe der Opposition gehen freilich ins Leere, wenn sie Tage oder Stunden vor der Lesung des Haushalts einen Gesetzentwurf einbringt, der einen Steuerausfall von 8 Milliarden DM für die öffentliche Hand mit sich gebracht hätte.
Diese 8 Milliarden DM wären einwandfrei in den Konsum geflossen. Wären wir Ihrem Ratschlag gefolgt, so wären diese 8,8 Milliarden DM oder 10 Milliarden DM in [den Konsum geflossen und hätten für Investitionen nicht zur Verfügung gestanden, hätten also zu einer Senkung der Investitionsquote geführt. Auch in dieser Hinsicht ist Ihre Politik also nicht konsequent und stellt keine Alternative [dar.Wir müssen, insgesamt gesehen, beachten, daß die Investitionsquote kein geeignetes Merkmal zur Bewertung öffentlicher Ausgaben nach dem Muster „hier Investitionen, dort Konsum" ist. Investive Ausgaben sind oft mit dem Konsum zuzurechnenden Folgekosten untrennbar verbunden. Wenn sich der Bund an dem Bau der Hochschulen beteiligt, so handelt es sich zweifellos um investive Ausgaben. Damit diese Ausgaben dann aber wirksam werden können, muß Personal eingestellt werden, müssen Hochschullehrer, müssen Assistenten eingestellt werden. Damit fallen dann wiederum konsumtive Ausgaben, d. h. Ausgaben für das Personal ins Gewicht. Sie können das Beispiel auf Krankenhäuser und ähnliche Bereiche erweitern. Es hat wenig Sinn, den Hochschullehrer gegen das Forschungslabor oder das Krankenhausbett gegen das im Krankenhaus Dienst tuende Personal auszuspielen. Erst 'das Zusammenwirken von investiven und konsumtiven Ausgaben bringt die gewünschte öffentliche Leistung zustande. Man sollte daher die Untergliederung in investive Ausgaben und konsumtive Ausgaben nicht überbewerten, abgesehen davon, daß die haushaltstechnische Abgrenzung oft nicht wirtschaftlichen Gesichtspunkten entspricht.Die Leistungen des Bundes an die Sozialversicherung, die 1974 16 Milliarden DM ausmachen, fallen z. B. bei der Einteilung unter Konsum, wie es im Haushalt der Fall ist, obwohl sie doch teilweise wenigstens der Vermögensbildung und damit der Investitionsfinanzierung dienen. Der Begriff „Investitionsquote" ist daher lediglich eine Hilfsgröße zur Beurteilung der öffentlichen Ausgaben.Die mit dem Haushalt 1974 vorgelegte mittelfristige Finanzplanung des Bundes für die Jahre 1973 bis 1977 wird kritisiert, nicht so sehr wegen ihrer Schwerpunkte, sondern weil in der Einbringungsrede so wenig dazu gesagt worden sei. Das mag dem einen oder anderen so erschienen sein. In Wirklichkeit findet sich die Finanzplanung an vielen Stellen der Einbringungsrede des Bundesfinanzministers.Das Instrument dieser mittelfristigen Finanzplanung ist für den Finanz- und Haushaltspolitiker
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 1375
Dr. von Bülowwertvoll, ja, unentbehrlich. Nur muß Nüchternheitherrschen, will man seine Aussagekraft abschätzen.
Die Finanzplanung geht gezwungenermaßen von Voraussetzungen aus, auf die die Politik der Bundesregierung zwar in gewissem Umfang, aber nicht voll Einfluß hat. So unterstellt die diesjährige Finanzplanung für die Jahre 1975 bis 1977 ein jährliches Wirtschaftswachstum von nominal 8,1%. Ob dieser Wert erreicht oder gar überschritten oder unterschritten wird, hängt von einem konjunkturpolitischen Datenkranz ab, darunter auch von weltwährungspolitischen Daten. Niemand kann heute hierüber sichere Prognosen erwarten oder abgeben. Hiervon jedoch hängen wieder die Steuerschätzungen, die Errechnung des Kreditbedarfs bei Bund, Ländern und Gemeinden und die Ausgabeschätzungen der öffentlichen Hände ab.Wer gelesen hat, mit welchen Kautelen die Sachverständigen des Gemeinschaftsgutachtens allein die Aussagen über die Entwicklung des Jahres 1974 versehen haben, kann ermessen, wie problematisch Einnahme- und Ausgabeschätzungen bis zum Jahre 1977 notwendigerweise sind. Schon für den Haushalt 1974 sind die Risiken zum Teil schwierig zu schätzen. Die Risiken des Finanzplanungszeitraums 1974 bis 1977 sind fast unübersehbar.Die Finanzplanung ist ein hervorragendes Mittel, um Gruppeninteressen und leichtfertige Ausgabewünsche abzuwehren. Umgekehrt glauben nicht3) wenige Gruppen unserer Bevölkerung, eine Art Anspruchstatbestand gegen die Regierung in der Hand zu haben, wenn in der Finanzplanung erst einmal Zahlen ausgewiesen sind. Jede Verringerung ursprünglicher Ansätze bringt Arger und Prestige-Auseinandersetzungen, natürlich auch innerhalb des Kabinetts.Wir wollen an dieser mittelfristigen Finanzplanung festhalten. Wir halten sie für ein wertvolles Instrument. Nur sollte Nüchternheit vorherrschen, wenn man seine Aussagekraft realistisch beurteilen will.Ich komme zu den Risiken, die bekanntlich jeder Haushalt mit sich bringt und auf die Kollege Leicht detaillierter eingegangen ist.Das erste Risiko stellt die konjunkturelle Entwicklung in globaler, regionaler und sektoraler Hinsicht dar. Sollte sich die konjunkturelle Situation weiter entspannen und sogar Krisenerscheinungen zeitigen, so steht diese Regierung dank einer vorsorgenden Haushalts- und Finanzpolitik wesentlich besser gerüstet da als jede ihrer Vorgängerinnen.
Wir haben die Haushaltsausgleichsrücklage, wir haben die stillgelegten Steuereinnahmen, wir haben die Gelder der Stabilitätsanleihe, wir können die globale Minderausgabe auflösen, die Schuldendeckelverordnung aufheben und die Fülle der jetzt der Konjunktur angelegten Bremsklötze wegnehmen. Das Risiko eines zu starken Abfalls der Konjunktur im Laufe des Jahres 1974 kann also mehr oder weniger aufgefangen werden.Ein weiteres Risiko ist die Lohnentwicklung der kommenden Monate im öffentlichen Dienst. Dieses Risiko ist in erheblichem Umfang mit dem Risiko der Deutschen Bundesbahn und dem der Deutschen Bundespost deckungsgleich. Dazu kommen noch die Neuverteilung des Umsatzsteueraufkommens zwischen Bund und Ländern und das neu auszuhandelnde Devisenabkommen mit den USA.Herr Leicht, Sie sagten, bezifferbare Risiken müßten als Position detailliert in den Haushalt eingesetzt werden. Welche Risiken sollen das denn sein? Die Entwicklung der Personalkosten haben Sie mit der finanzpolitisch sehr zurückhaltenden Umschreibung „x plus" bezeichnet. Aus dieser Umschreibung geht aber doch eindeutig hervor, daß dieses Risiko jetzt eben noch nicht in den Haushalt eingesetzt werden kann. Denn der Haushalt des Bundes kennt Einzelpositionen mit konkreten Zahlenangaben, nicht jedoch Positionen „x" oder „x plus". Dies muß dann aber auch für die Deutsche Bundesbahn gelten, die von der Tariflohnerhöhung stark getroffen wird. Eine Automatik der Abdeckung der Defizite der Deutschen Bundesbahn durch den Bundeshaushalt wurde im übrigen bisher zu Recht abgelehnt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Bitte schön!
Herr von Bülow, ist Ihnen entgangen, daß ich zwischen bereits bezifferbaren und nicht bezifferbaren Risiken unterschieden habe und daß ich die bezifferbaren genannt und allerdings die Feststellung getroffen habe, daß sie noch nicht im Haushalt vorgesehen sind?
Ja, aber wenn Sie auf der anderen Seite sagen — es bezog sich ja vor allem auf die Besoldungssituation —: „Man kann da nur x sagen, und wahrscheinlich wird es x plus werden", dann kann man es eben im Augenblick noch nicht beziffern.
Eine weitere Zwischenfrage.
Ist Ihnen bekannt, daß mittlerweile ein 13. Monatsgehalt beschlossen ist, das auch noch nicht festgesetzt ist?
Es ist kein 13. Monatsgehalt beschlossen worden,
sondern es ist das letzte Drittel des 13. Monatsgehalts gewährt worden.
Das bringt Ausgaben im Bundeshaushalt mit sich, und die werden wir jetzt, nachdem darüber beschlossen worden ist, während der Haushaltsberatungen aus den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln ganz
Metadaten/Kopzeile:
3576 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. von Bülowkonkret einsetzen. Genauso ist es hier aber auch eingebracht worden, Herr Leicht.Die Risiken bei den europäischen Gemeinschaftsausgaben hängen natürlich von der Ausgabenpolitik der Europäischen Gemeinschaft ab, die völlig zu Recht von den Vertretern aller Fraktionen gerügt wurde. Sie hängen aber natürlich auch vorn Wetterverlauf, von der Erntesituation im Jahre 1974 und von der Frage ab, wieviel von der Produktion zunächst auf Lager genommen werden kann. Gleiches gilt für die Offset-Verhandlungen. Auch hier kann man noch keine konkreten Angaben machen.Zur Abdeckung der gegebenen Risiken steht ein Betrag von 1,9 Milliarden DM global zur Verfügung. Hinzu kommt die Position Personalverstärkungsmittel in Höhe von 1,5 Milliarden DM. Die Abdeckung der Risiken stößt also auf ein gewisses Polster, das allerdings sicherlich voll in Anspruch genommen werden wird. Für Kassandrarufe besteht kein Grund. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß sich die überzogene Polemik der Opposition gerade in der Frage der Risiken samt und sonders als unhaltbar erwiesen hat. So wird das auch im Jahre 1974 sein.Nehme ich alles in allem, so zeigt sich an dem vor- liegenden Haushalt die Begrenztheit der Möglichkeiten der Konjunktursteuerung über die öffentlichen Haushalte. Dieser Haushalt ist ein beachtlicher Beitrag zur Einschränkung der öffentlichen Nachfrage und damit zur Konjunktursteuerung. Das Korsett der bewilligten Ausgaben ist eng, zum Teil sehr schmerzlich eng.Um so anerkennenswerter ist die Setzung von Prioritäten, die dieser Haushalt auch durchaus erkennen läßt.Ich nenne die um mehr als 30 % gestiegenen Ausgabenansätze für die Sicherstellung der Energieversorgung durch Kohle, 01 und Kernkraft, eine Tendenz, die auf dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Wochen volle Unterstützung dieses Hauses verdient.Als zweiter Schwerpunkt bleibt nochmal die Sozialpolitik zu nennen. Trotz der konjunktur- und haushaltspolitischen Enge der öffentlichen Kassen ist es gelungen, die Versorgung der Kriegsopfer durch Vorziehen der Anpassungstermine wesentlich zu verbessern, nachdem auf diesem Gebiet bereits in der vorigen Legislaturperiode wesentliche Verbesserungen erzielt worden sind.
Ich bin der Meinung, daß für den Haushaltsentwurf 1974 die Kennzeichnung gerechtfertigt wird, daß beides in den Blick genommen wird, die wirtschaftliche Stabilität und der gesellschaftliche Fortschritt. Die Alternative der Opposition zu diesem Haushalt mit seinen Grundsätzen steht noch aus.
Das Wort hat der Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß meine Ausführungen mit einem Kompliment an den Bundesfinanzminister eröffnen, den ich allerdings im Moment nicht sehe. Ich darf hinzufügen: Ich habe ihn, solange ich dem Haushaltsausschuß angehöre, dort auch noch nicht gesehen. Nichtsdestoweniger mein Kompliment: Der Herr Finanzminister schafft es in steigendem Ausmaß, an der Sache vorbeizuargumentieren. Ich habe allerdings den Eindruck, daß das weniger rhetorische Brillanz als in zunehmendem Ausmaß Nichtinformiertheit ist. Herr Kollege Hermsdorf, Sie werden mir sicher zustimmen, wenn ich hier, auf die Kontroverse zwischen Herrn Finanzminister Schmidt und meinem Freund Wohlrabe zurückgreifend, noch einmal daran erinnere, daß wir die Fälle Birckholtz und Bucks und einiges andere mehr im Haushaltsausschuß behandelt haben.
Herr Kollege Haehser, wenn ich mich richtig erinnere, haben wir — wenn ich es einmal sehr vorsichtig und behutsam formulieren darf — damals gemeinsam unser Unbehagen über die entsprechenden Prozeduren zum Ausdruck gebracht.
Es ist also insofern an der Sache vorbeigeredet worden, da mein Kollege Wohlrabe keineswegs die Absicht gehabt hat, etwa die persönlichen Verdienste von Herrn Birckholtz zu schmälern oder etwa die Tätigkeit von Herrn Bucks in Frage zu stellen. Darum geht es ja gar nicht. Ich darf noch einmal wiederholen, was jedenfalls damal die übereinstimmende Auffassung des gesamten Haushaltsausschusses gewesen ist. Wir wehren uns dagegen, daß in einem zunehmenden Ausmaß Beamte, die vorzeitig oder auch nach Ablauf ihrer Dienstzeit in Pension geschickt werden — und im übrigen auch mit guten Ruhestandsbezügen versehen sind —, noch zusätzlich mit Beraterhonoraren versehen werden
und dabei, wie im Falle Birckholtz etwa, Aufgaben ausüben und wahrnehmen müssen, die zu den eigentlichen Aufgaben des jeweiligen Ministeriums selber gehören.
Ich muß also insofern feststellen, daß Herr Finanzminister Schmidt in der Sache überhaupt gar nicht auf den Kern der Vorhaltungen meines Kollegen Wohlrabe eingegangen ist.
Was ist denn dieser Kern? — Herr Esters, eigentlich müßten Sie in dieser Frage ja auf unserer Linie liegen; denn Sie sind ja, wenn ich das einmal sagen darf, der einzige Regierungsparlamentarier, der der Auffassung ist, daß auch die Regierungsfraktion eine Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive wahrzunehmen hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3577
Schröder
Mein Kollege Wohlrabe wollte doch nicht mehr und nicht weniger zum Ausdruck bringen — und dem dienten seine Beispiele - , als daß wir es hier nicht nur mit einer Fehlleitung von Steuergeldern zu tun haben, sondern daß wir es bei dieser Fehlleitung von Steuergeldern, die er exemplarisch dargelegt hat, mit einer Machtanmaßung zu tun haben in einem Ausmaß, wie wir das in diesem Lande noch nie gekannt haben.
Ei wollte deutlich machen, daß dieser Staat nicht im Dienste irgendwelcher Personen und irgendeiner Partei steht, sondern daß wir und daß auch Sie diesem Staat zu dienen haben.Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Sie haben heute mit beredten Worten wiederholt von Stabilität und von Opfern gesprochen; gestern spielte eine große Rolle, daß auch die Arbeitnehmer ihr Konjunkturopfer erbringen müssen. Davon kann man eigentlich nur sprechen, wenn man selber mit entsprechendem, nämlich gutem Beispiel vorangeht.
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter Schröder, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Esters?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Schröder, sollten wir nicht gemeinsam froh sein, daß derartige Fälle heute aus offenen Titeln finanziert werden, während es in früheren Jahren doch so war, daß mit Hilfe eines hohen Geheimfonds etwas Derartiges gemacht wurde?
Herr Kollege Esters, ich habe diesem Parlament zwar in früheren Jahren nicht angehört. Aber ich kann Ihre Hypothese schon aus dem Grunde nicht akzeptieren, weil der sogenannte Geheimtitel, von dem Sie sprechen, ein so minimales Ausmaß im Unterschied zum jetzigen Geheimtitel hat,
daß das einfach nicht hinreichen konnte.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Hermsdorf?
Jawohl.
Herr Kollege Schröder, sind Sie nicht mit mir der Auffassung
-- ich weiß ja, es wäre Ihnen lieber, ich wäre bei
Ihnen; aber den Gefallen werde ich Ihnen nicht
tun —, daß man über die Frage der Beraterverträge absolut reden sollte, daß es aber völlig unmöglich ist, in Würdigung der sachlichen Verdienste, die sich die einzelnen erworben haben, es so zu machen, wie es der Kollege Wohlrabe gemacht hat, noch dazu, da in vorhergehender Regierungszeit bei Ihnen der Grundsatz bestand: es darf nur der eingestellt werden, der Schornsteinfeger ist, weil er schwarz genug ist?
Herr Kollege Hermsdorf, ich freue mich, daß wir im prinzipiellen offensichtlich übereinstimmen. Aber mein Kollege Wohlrabe hat ja nichts anderes getan, als das zunehmende Ausmaß oder, um härter zu formulieren: den zunehmenden Mißbrauch in der Handhabung derartiger Honorarberaterverträge zu geißeln. Ich darf noch einmal wiederholen: In dieser Mißbilligung, in dem Unbehagen über den zunehmenden Mißbrauch dieser Art von Beraterverträgen besteht im Haushaltsausschuß Gott sei Dank völlige Einmütigkeit.
Daß Sie eben von den schwarzen Schornsteinfegern gesprochen haben, gibt mir nun den Brückenschlag, auf die roten Parteibücher zurückzukommen. Geradezu als einen Witz muß ich die Bemerkung des Bundesfinanzministers empfinden, er weise den Vorwurf des Parteibuch-Beamtentums zurück. Mir ist gerade vor einigen Tagen von einem Beamten aus einem der Bonner Ministerien eine etwas detailliertere Ausarbeitung zu diesem Thema zugegangen. Ich will nur ein paar Sätze aus diesem Elaborat zitieren, das sich unter der Überschrift „Kesseltreiben gegen Nichtgenossen" an sehr dezidierten Fällen damit auseinandersetzte, wie heute seit dem Amtsantritt dieser Regierung gegen Beamte vorgegangen wird, die nicht auf der politischen Linie dieser Regierung liegen. Ich nenne nur bruchstückhaft ein paar Sätze. Da heißt es:Beamte, die nicht dazugehören, werden in zunehmendem Maße in unbedeutendere Referate versetzt und/oder mit Aufgaben betraut, die ihnen sachfremd oder politisch äußerst brisant sind.Oder:Sie werden mehr oder weniger vom Informations- und Kommunikationsfluß ausgeschlossen.Oder:Eine weitere Methode der Verunsicherung liegt darin, die Beamten, die schon 62 Jahre alt sind, so lange zu traktieren, bis sie sich freiwillig vorzeitig pensionieren lassen, nur weil sie endlich Ruhe haben wollen, obwohl sie durchaus dem Staat die restlichen Jahre noch voll dienen könnten und wollten.Dieser Beamte schreibt dann — und diesen Satz darf ich auch noch mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen —:Wehmütig erinnern sich viele, sogar Genossen,an die Zeiten der CDU-Regierung, als man noch
Metadaten/Kopzeile:
3578 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Schröder
offen und ehrlich seine persönliche Meinung zum Ausdruck bringen konnte und sich auch kritisch mit der Regierung auseinandersetzen durfte, ohne Nachteile erfahren zu müssen.
So sieht es mit der Wirklichkeit eines objektiven Beamtentums aus.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dürr?
Nein, jetzt nicht.
Ich habe mich zu Wort gemeldet, um noch einmal zu einer ganz anderen Frage zu sprechen,
nämlich zu dem Problem — und das ist durch verschiedene Zwischenfragen von Kollegen meiner Fraktion und mir heute morgen schon zum Ausdruck gebracht worden — der Benachteiligung der strukturschwachen Gebiete.
Wir sind nicht willens, hinzunehmen,
daß die strukturschwachen Gebiete zum Opfer eines Finanzgerangels zwischen dem Bundesfinanzminister und den ihm unliebsamen Ländern werden.
— Herr Schmidt, so einen Unsinn glauben Sie doch selber nicht.
Wir sind schon einiges an Herunterrutschen in dem Niveau der Argumentation von Ihnen gewohnt.
Das geht aber nun wirklich zu weit in den Keller.
Lassen Sie mich zum Thema zurückkommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?
Nein, ich möchte jetzt zum Thema sprechen.
Ich hatte angesetzt, darzulegen, daß meine Fraktion nicht willens ist, die strukturschwachen Gebiete zum Opfer eines Finanzgerangels zwischen dem Finanzminister und den ihm unliebsamen Finanzministern der Länder, insbesondere einiger Länder, werden zu lassen. Es war ganz interessant,
heute morgen noch einmal die widersprüchlichen Argumentationen und Begründungen über die einschränkenden Maßnahmen in bezug auf die regionale Strukturförderung zu hören. Während auf der einen Seite der Herr Bundeswirtschaftsminister sich hinstellte und sagte: „Was wollen Sie denn eigentlich, die Planungen der Gemeinschaftsaufgabe über regionale Strukturförderung werden doch überhaupt nicht geändert", stellte sich der Bundesfinanzminister hin und gab auf der anderen Seite kund: „Auch die Länder, auch die Gemeinschaftsaufgaben müssen ihr Stabilitätsopfer erbringen."
Nun, meine Damen und Herren, die strukturschwachen Regionen in unserem Lande werden ja nicht nur von der Konstanz der Haushaltsmittel 1974 zu 1973 und nicht nur von der Rückläufigkeit der Finanzmittel für regionale Strukturförderung in der uns vorliegenden mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahre 1977 betroffen. Die strukturschwachen Gebiete werden auch nicht nur, und zwar sehr hart, durch die vorgesehenen 30%igen sogenannten Strekkungen betroffen, die letztlich nichts anderes sind als Kürzungen — hier wird auch wieder mit völlig falschen Wortklingeleien operiert —,
sondern diese strukturschwachen Gebiete — Herr Haehser, Sie kommen ja nicht dorther —
sind seit dem Amtsantritt dieser Regierung durch eine Vielzahl von Maßnahmen in ihrer Entfaltung gehindert worden.
In nenne nur einige Beispiele, etwa die Tatsache, daß die Investitionszulage im Mai dieses Jahres um 25 °/0 eingeschränkt worden ist, was nicht etwa in den Planungen — da hat Herr Friderichs durchaus recht, aber darauf kommt es auch gar nicht an, meine Damen und Herren —, sondern in der konkreten Durchführung, in der Realisierung von Investitionsvorhaben, in der Realisierung von Ansiedlungsprojekten und in der Durchführung von Erweiterungs- und Rationalisierungsvorhaben zu einer spürbaren Einschränkung für die strukturschwachen Gebiete in der Bundesrepublik geführt hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Bitte schön!
Herr Kollege Schröder, würden Sie diesem Hause bestätigen, daß noch vor wenigen Tagen Ihr Parteivorsitzender, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Herr Kohl, dem Haushaltsausschuß ausdrücklich bestätigt hat, daß man in Rheinland-Pfalz mit der wirtschaftlichen Entwicklung ohne die Unterstützung dieser Bundesregierung nicht so weit gekommen wäre?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3579
LöfflerIch war ja damals schon versucht, Herrn Kohl zu sagen, daß ich diesen Dank an Bundeskanzler Brandt weitergeben möchte, was ich hiermit auch getan habe,
Moment, klatschen Sie nicht zu früh! Herr Haehser, Sie waren bedauerlicherweise gar nicht dabei und können das gar nicht wissen.
Herr Ministerpräsident Kohl hat vielmehr wörtlich erklärt: auch von dieser Regierung . . . ,
und er konnte diese Bemerkung machen, weil er auf dem festen Sockelbetrag der Zuweisungen früherer Regierungen aufbauen konnte.
Im übrigen aber, meine Damen und Herren, ändert diese Aussage von Ministerpräsident Kohl überhaupt nichts an meinen Feststellungen, denn der gleiche Ministerpräsident und seine anwesenden Minister — Herr Kollege Löffler, das werden Sie bestätigen — haben uns kundgetan,
Herr Kollege Löffler, wie die Situation nicht nur in Rheinland-Pfalz ist. Ich erinnere Sie — Sie waren ja auch dabei — an die Gespräche, die wir in Schleswig-Holstein geführt haben, und an die Gespräche, die wir in Niedersachsen geführt haben. Dort überall haben uns die Landesminister deutlich gemacht, daß eine Streckung der Gemeinschaftsaufgaben von 30% das Stillegen einer Vielzahl von Förderungsprojekten zur Folge haben wird. Darum geht es hier und heute, meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich noch ein weiteres Beispiel bringen.
Seit langem gibt es eine Auseinandersetzung über die Verteilung des Gemeindepfennigs. Auch das darf ich hier in diesem Zusammenhang noch einmal vortragen, und ich darf eine Stelle zitieren, die wohl nicht verdächtig ist, parteipolitisch einseitig orientiert zu sein. Bereits im März dieses Jahres hat der Deutsche Landkreistag in einem Schreiben an den Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht, daß 85% des gesamten Aufkommens des Gemeindepfennigs in Nahverkehrsprojekte der Ballungsgebiete fließen, wir also hier im Grunde genommen das genaue Gegenteil von regionaler Strukturförderung haben — beinahe eine Pervertierung —,
indem nämlich die strukturschwachen Gebiete die Verkehrsentwicklung in den Ballungsgebieten sogar noch mit finanzieren müssen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zum Problem der Auswirkungen der Stabilitätsmaßnahmen auf die strukturschwachen Gebiete. Herr Bundesminister Friderichs hat es sich dabei sehr leicht gemacht, und er hat eine gefährliche — zu mindest eine sehr zweischneidige — Bemerkung gemacht, als er heute morgen sagte, die Auswirkungen der Konjunkturmaßnahmen bedeuteten nun einmal, daß infolge gewisser Bremsmaßnahmen — so formulierte er es — strukturelle Anpassungen erforderlich seien.Nun, wie sehen denn diese Auswirkungen und diese „strukturellen Anpassungen" in den strukturschwachen Gebieten aus? Es ist sicher richtig — ich glaube, der Finanzminister hat es vorhin gesagt —, daß man Konjunkturpolitik und Stabilitätspolitik nicht mit dem Blick durch die Brille eines Abgeordneten aus enem strukturschwachen Gebiet betreiben kann. Aber es ist sicher auch richtig — und ich hoffe, daß das nicht bestritten wird —, daß die Auswirkungen der Stabilitätsmaßnahmen in den strukturschwachen Gebieten — ob Sie nach Schleswig-Holstein oder nach Niedersachsen oder in den Bayerischen Wald kommen — doch relativ ähnlich sind.Und wie sieht denn diese Ähnlichkeit aus? Das möchte ich an einem 'Beispiel aus meinem eigenen Wahlkreis, das im übrigen auch dem Bundeswirtschaftsministerium bekannt ist, verdeutlichen. Dort ist beispielsweise das Auftragsvolumen in der Bauwirtschaft gegenüber dem vergleichbaren Stand des Vorjahres um 54 °/o, d. h. um mehr als die Hälfte, zurückgegangen, und dort hat die mit der Bauwirtschaft verbundene Wirtschaft — und das sind kleine mittelständische und handwerkliche Betriebe — lediglich noch ein Auftragsvolumen, ,das maximal für anderthalb bis zwei Monate reicht. In diesen Gebieten — ich wiederhole es, das ist das einheitliche Ergebnis von Lübeck bis zum Bayerischen Wald sind die ersten Entlassungen, wenn auch in einem geringen Umfang, vorgenommen worden, und es stehen Entlassungen in größerem Ausmaß vor der Tür.Nun frage ich den Herrn Wirtschaftsminister: Was versteht er in einer solchen Situation eigentlich unter strukturellen Anpassungen? Die strukturelle Anpassung, meine Herren von der Regierung, besteht doch darin, daß Arbeitsplätze in den strukturschwachen Gebieten verlorengehen, .daß die Arbeitskräfte sich ihre Arbeitsplätze anderwärts, nämlich in den Ballungsgebieten, suchen müssen und demgemäß in den strukturschwachen Gebieten ein für allemal verloren sind und sich dadurch Idas Gefälle zwischen den Ballungsgebieten und den strukturschwachen Gebieten noch weiter vergrößert.
Nein, meine Damen und Herren, wir können uns ,des Eindrucks nicht erwehren — unabhängig von ,dem Streit zwischen dem Bundesfinanzminister und Länderfinanzministern —, ,daß man hier — ich habe versucht, das an einigen Beispielen zu verdeutlichen — eine ganz systematische Politik des Abbaus von Leistungen für die strukturschwachen Gebiete betreibt, und ich kann es mir nicht verknei-
Metadaten/Kopzeile:
3580 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Schröder
fen, in diesem Zusammenhang noch einmal an jene berühmtberüchtigte Bemerkung von Herrn Steffens zu erinnern, die da lautete: „Ja, wo haben wir denn unsere Wähler? — In den Ballungsgebieten!"
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Hier ist heute von den Vertretern der Regierungskoalition und den Ministern der Regierung so oft die Konjunktur und ein stabilitätsgerechtes Verhalten geradezu beschworen worden, und man versuchte den Eindruck zu erwecken, als ob die CDU/CSU-Fraktion, nicht zuletzt durch ihr Inflationsbereinigungsgesetz und durch ihre Argumentation heute, so etwas wie einen konjunkturpolitischen Sündenfall begehen würde. Lassen Sie mich dazu ganz nüchtern feststellen: Ich glaube, Sie haben nicht das geringste Recht, uns, die wir seit vielen Jahren nicht müde werden, Sie zu einem konjunkturgerechten Verhalten, insbesondere in der Haushaltspolitik, aufzufordern, hier zu einem konjunkturgerechten Verhalten zu ermahnen.
Lassen Sie mich hierzu nur drei Punkte anführen.Erstens. Der Finanzminister stellte sich hier ja mit einem gewissen Stolz vor uns hin und sagte: Ja, was wollt ihr denn eigentlich; wir — die Bundesrepublik Deutschland — stehen doch mit unserer Inflationsrate von 6 1/2 % so gut wie an ,der letzten Stelle. Dazu kann ich nur sagen: Wir haben 20 Jahre lang an der letzten Stelle gestanden, allerdings ohne Inflation, zu einer Zeit, als die Staaten, mit denen man sich heute vergleichsweise so gern mißt, ebenfalls schon auf der Höhe der gleichen Inflationsrate gelegen haben, in der sie sich heute noch befinden.
— Ich würde Ihnen empfehlen, sich bei Herrn Kollegen Arndt mal ein bißchen Nachhilfeunterricht geben zu lassen.Lassen Sie mich ein Zweites bringen. Wenn wir hier ermahnt werden, uns konjunkturgerecht zu verhalten, so darf ich an dieser Stelle einmal daran erinnern — obwohl, wie mein Kollege Strauß heute morgen zu Recht ausgeführt hat, das wahrlich nicht unsere Hauptaufgabe ist; denn Ihre Aufgabe war es in den letzten Jahren, hier zu regieren und demgemäß auch eine konjunkturgerechte Haushalts- und Finanzpolitik zu betreiben —, daß dennoch, obwohl es nicht unsere Hauptaufgabe gewesen ist, wir es gewesen sind, die seit 1967 bis heute 15 Konjunkturprogramme hier vorgelegt und 15mal in diesen Jahren diese Bundesregierung vergeblich zu einem konjunkturgerechten Verhalten aufgefordert haben.
Und ein Letztes. Wer zu konjunkturgerechtem Verhalten ermahnt — ich habe es vorhin schon in einem anderen Zusammenhang erwähnt —, der muß mit gutem Beispiel vorangehen. Lassen Sie mich deshalb zum Abschluß sagen: Wir sind gar nicht so traurig und unglücklich darüber, daß Sie in IhrenErkenntnissen endlich so weit vorgestoßen sind, daß Sie Stabilitätsmaßnahmen und Konjunkturpolitik auch für eine notwendige Aufgabe der öffentlichen Hände und der Haushaltspläne halten. Wir freuen uns, meine Damen und Herren, daß Sie nunmehr, nachdem Sie anfänglich die Ignorierungsphase der inflationären Entwicklung,
dann die Bagatellisierungsphase nach der Devise: die anderen haben ja auch, dann die Entschuldigungsphase, die Inflation sei importiert, zum Teil sogar begründet mit der besonders geistvollen Aussage, Vietnam sei schuld, schließlich die Vernebelungsphase, die in jener berühmt-berüchtigten Aussage gipfelte, 5 °/o Inflation seien 5 °/o Arbeitslosigkeit vorzuziehen, schließlich die Rechtfertigungsphase, die darin gipfelte, daß Sie doch einen Teil von Erkenntnissen in die Beschlüsse vom Mai dieses Jahres umgesetzt haben, durchgemacht haben, in die Erkenntnisphase eingetreten sind und sich die Erkenntnis zu eigen gemacht haben, daß man Konjunkturpolitik auch mit Hilfe des Haushalts betreiben muß.
Zum Schluß aber, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Selbst wenn es uns freut und wir unsere Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, daß Sie die Erkenntnisphase als sechste Phase erreicht haben, so haben Sie noch immer nicht das Recht, die Opposition zu zeihen; denn wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen, Herr Professor Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich auf etwas zurückkomme, das, etwas außerhalb der Haushaltspolitik liegend, der Herr Kollege Strauß heute morgen angeschnitten hat.Zu den personalpolitischen Überlegungen, die von zweien Ihrer Sprecher vorgetragen worden sind, möchte ich vorweg sagen: Der Finanzminister muß sich weit verschätzt haben er ist jetzt nicht im Raume —, wenn er gesagt hat, das Verhältnis der von Ihnen zu den von uns ernannten Beamten sei 10 : 1. Ich kann nur sagen, ich wünschte, es wäre so.
Ich glaube, diese Kritik, die Sie hier vortragen, ist doch wohl nur daraus verständlich, daß Sie die 20 Jahre CDU-Personalpolitik während ihrer Regierungszeit für das Normale halten und ein schlimmes Abgehen vom Wege sehen, wenn andere die Regierung bilden. Das, was Sie hier heute betrieben haben,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3581
Bundesminister Dr. EhmkeHerr Wohlrabe und Herr Kollege Schröder, wareine Art Selbstreinigung auf Kosten der Koalition.
Herr Kollege Strauß, ich möchte Ihnen ein paar freundliche und ein paar unfreundliche Worte sagen; zunächst ein paar freundliche, weil Sie ja heute für die Intellektuellen eingetreten sind, gewissermaßen für die verfolgten Intellektuellen.
Denn ich habe gelesen, Herr Strauß, daß Sie von einem gesagt haben, er sei nach Bayern „ausgewandert".
Dieses Eintreten, Herr Strauß, halte ich wirklich für einen Fortschritt gegenüber der Zeit, in der solche Leute aus Ihren Reihen als „Pinscher" bezeichnet wurden.
Es zeigt sich, daß die Rolle der Opposition doch langsam auf Sie pädagogisch segensreich zu wirken beginnt, wie wir überhaupt damit ganz zufrieden sein können; denn auch bei der Vorbereitung des CDU-Parteitages gibt es nicht einen Topos, der nicht von der SPD und FDP gegen Ihren konservativen Widerstand in den letzten Jahren in der deutschen Politik durchgesetzt worden ist — vom Umweltschutz bis zur Bodenrechtsreform.
Nun stellen wir also auch hier Besserungen fest.
— Herr Wohlrabe, Sie werden bei allem Geschrei,dessen Sie fähig sind, uns nicht daran hindern.
Herr Strauß, ich stelle also mit großen Freuden fest, daß Sie sich auch für die Intellektuellen interessieren. Allerdings muß ich sagen, daß Ihr Umgang mit den Intellektuellen, so wie Sie es heute dargestellt haben, noch relativ formal ist. So haben Sie scheinbar z. B. noch gar nicht darüber reflektiert, daß mein Kollege Steinbuch im Wahlkampf 1972 doch schon voll auf Ihrer Seite gestanden hat, ohne daß das Wahlergebnis des Jahres 1972 für sie besser gewesen wäre als das des Jahres 1969.
Was den Kollegen Schelsky betrifft, Herr Strauß, so haben Sie leider zur inhaltlichen Seite der Sache, die bei Schelsky sehr abstrakt ist, so wenig gesagt wie zu den Argumenten und Beispielen, die mein Kollege Eppler als Konsequenz eines solchen Denkens aufgezeigt hat.
Was übrigens das Zitat betrifft, meine Damen und Herren, die CDU sei voll von Schelsky, so würde ich doch vielleicht noch einmal nachforschen, welcher Publizist es war, der das gesagt hat. Einige von Ihnen, Herr Strauß, würden dann vielleicht doch zum Nachdenken kommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?
Selbstverständlich.
Einen Satz vor der Frage: Ich nehme Herrn Eppler nicht übel, daß er einen angeblich in der CDU bewanderten Publizisten zitiert hat, den er, wie üblich, auch nicht mit Namen nennt. Ich frage vielmehr Sie, Herr Bundesminister Ehmke: Halten Sie es für richtig, daß ein Mitglied des Kabinetts, dem Sie angehören — im übrigen in Form eines Plagiats, denn was er sagt, hat Professor Kriele schon in der Zeitschrift „Merkur" vor drei Monaten geschrieben, was aber nur am Rande erwähnt sei —, im Zusammenhang mit einem unabhängigen Wissenschaftler, der nie einer politischen Partei angehört hat, der unbestreitbar einen großen wissenschaftlichen Namen hat, von „Schelsky-Fusel" spricht, und wie hätten Sie reagiert, wenn eine ähnliche Aussage von unserer Seite über einen unabhängigen Wissenschaftler erfolgt wäre, der etwas sagt, was uns nicht paßt?
Herr Strauß, ich würde zunächst einmal sagen, daß die Qualifikation von Herrn Schelsky völlig unbestritten ist.
— Ich sprach von der Qualität von Herrn Schelsky, die nicht bestritten sei. Ich bin der Meinung, wenn jemand mit Thesen, die so zentral in die politische Auseinandersetzung gehen, hervortritt, dann darf man auch nicht so ängstlich sein, den Bereich des „fair comment" zu eng auszulegen. Sie können es ja sonst auch ganz munter, Herr Strauß; ich empfinde das immer als eine Bereicherung.
So sehr das auf der einen Seite noch formal ist, so bin ich auf der anderen Seite aber ,doch, wie gesagt, erfreut. Das gilt auch für das, was der Kollege von Weizsäcker jetzt als Programmentwurf vorgelegt hat. Es ist zu begrüßen, daß die Unionsparteien nun auch auf programmatischem, um nicht zu sagen, Herr Strauß, theoretischem Gebiet damit beginnen, einen großen Nachholbedarf aufzuarbeiten, denn den geistigen Zustand des deutschen Konservatismus der letzten zehn Jahre kann man mit einer konserva-
Metadaten/Kopzeile:
3582 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Dr. Ehmketiven Redewendung nur als Konservatismus ohne Substanz beschreiben.
So sehr ich mich darüber freue, daß diese Diskussion beginnt — denn nach Ihrer 1969er Niederlage haben Sie sich ja im wesentlichen auf eine taktische Reparatur beschränken zu können geglaubt —, so fürchte ich, Herr Strauß, daß bei dem Versuch der CDU, zu einem neuen Weltbild zu kommen, die deutschen Konservativen wieder einmal dabei sind, auf den falschen Dampfer zu steigen.Wenn Sie mir einmal erlauben, etwas für Sie mitzudenken, so ist es natürlich so, daß die Lage der Unionsparteien in der Tat gar nicht einfach ist, wie die jahrelange, aber ergebnislose Diskussion um das oder Ihr hohes C in Ihrem Parteinamen beweist.
— Ich wäre dankbar, wenn Sie auch einmal etwas ins Grundsätzliche gehende Ausführungen in sich aufnehmen würden,
auch wenn Sie anderer Meinung sind.Die Unionsparteien haben nach dem Ende des Nazi-Regimes im kirchlichen, vor allem im katholischen Raum gewachsene Traditionen und Erfahrungen in die deutsche Politik eingebracht. Ein großes Erbe, aber ein Erbe, das heute nicht zuletzt im kirchlichen Raum selbst nicht unbestritten ist und dessen Fruchtbarkeit für die Beantwortung uns heute bedrängender gesellschaftlicher und politischer Probleme zunehmend in Zweifel gezogen wird. Ich glaube, es lohnte sich wirklich einmal, länger in Ruhe darüber zu diskutieren, inwieweit die Schwierigkeiten der Unionsparteien von der Infragestellung der katholischen Soziallehre bedingt sind und wie manche Verschiebungen von der katholischen zur protestantischen Seite des Spektrums Ihres Lagers hierauf zurückzuführen sind, andererseits aber auch zu fragen, ob diese Verschiebungen bessere Lösungsmöglichkeiten bieten. Dies alles sind Fragen, die weit über den Kreis der Unionsparteien hinaus interessant sind. Leider werden sie von der etwas grobschlächtigen parteipolitischen Diskussion völlig zugedeckt.Die Unionsparteien sehen sich seit einigen Jahren mit einer geistigen Strömung konfrontiert, die man — ich will nicht darüber streiten, inwieweit zu Recht — die „zweite Aufklärung" genannt hat und die vor allem auf der sogenannten Neuen Linken, aber keineswegs nur dort -- und das unterscheidet diese Strömung wohl von der ersten Aufklärung —, vehement ins Gesellschaftskritische gewendet ist. Hier wird radikaler, als es auch sonst in den Parteien geschieht, mehr Partizipation, Demokratisierung der Gesellschaft, Änderung ihrer Strukturen und Abbau der Privilegien gefordert, aber doch nicht, Herr Strauß, um Freiheit zu beseitigen, sondern um die Voraussetzungen auszuloten, unterdenen in unserer hochindustrialisierten und komplexen Gesellschaft Freiheit auch weiterhin möglich ist.
— Dies würde ich nicht sagen, weil es dann gar keinen Zweck hat, diese modernen Fragen überhaupt zu diskutieren. Ich weiß allerdings nicht, Herr Stauffenberg, ob Sie dazu überhaupt Lust haben. Aber die, die Lust haben, die müssen diese Frage so stellen.Sehen Sie, man kann doch beinahe so sagen: Wenn wir einmal in den drei Parteien — konservativ, liberal, sozialistisch — das, was aus dem 19. Jahrhundert an Tradition mit überkommen ist, ab-. ziehen und fragen: wodurch unterscheiden sich in den westlichen Industriestaaten heute eigentlich progressive und konservative Parteien — die beide ihre Funktion haben, das ist unbestritten —, dann würde ich sagen: Die zentrale Frage in der Gesellschaftspolitik ist die, daß die Konservativen der Meinung sind, Leistungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit sind mit Demokratisierung der Gesellschaft unvereinbar, während die Progressiven der Meinung sind, — —
-- lesen Sie doch einmal Ihren Herrn Heck! — — Leistungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit setzen gerade Demokratisierung voraus. Das ist die eigentliche Frage, und das ist eine Frage, über die man nicht nur in diesen Schablonen reden sollte, wie es der Herr Kollege Strauß heute in unnachahmlicher Weise getan hat.Herr Strauß, entschuldigen Sie ein Wort; ich bin auch nicht ängstlich bei Polemik. Aber ich muß sagen, ich halte es für mehr als einen Fauxpas, daß Sie in Ihrer Rede heute — etwas abgewandelt von dem Text, ,der für die Presse verteilt worden ist — hier eine gewisse Assoziation zwischen der Aktion Gelber Punkt und dem gelben Stern herzustellen versucht haben, den das Dritte Reich den Juden angehängt hat.
Ich finde, dies — ich will mich jetzt nicht hart äußern — wäre wirklich einer Revozierung wert, Herr Strauß. In Ihrem Text, der an die Presse verteilt worden ist, steht: „Was dem Dritten Reich die Juden, das ist nach diesem Papier dem SPD-Vorstand das freie Unternehmertum". Ich mache keinen Kommentar dazu, ich wäre dankbar, wenn das vom Tisch kommen könnte, Herr Strauß.
— Nun, Herr Strauß, dies ist ja auch mit Teil dessen, was Sie vielleicht für Strategie halten, nämlich die Gefahr des Linksextremismus so hochzustilisieren, als ob der Untergang des Abendlandes —„Abendland" in Ihrem Sinne verstanden — kurz vor der Tür stehe, in der Hoffnung, daß die Wähler, die 1969 und 1972 von den progressiven Ideen der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3583
Bundesminister Dr. EhmkeSozialdemokraten und der Freien Demokraten überzeugt worden sind, wieder in das CDU-Pensionat zurückgelockt oder zurückgetrieben werden, ohne daß Sie eine Alternative zu der Politik dieser Regierung zu entwickeln hätten.
Ich will darauf bewußt nicht polemisch antworten, sondern versuchen, ob man statt eines Schlagabtauschs auch zu einer Diskussion kommen kann, jedenfalls mit denen von Ihnen, die sich mit dieser geistigen Diskussion im Lande überhaupt befassen.Wenn ich also zunächst einmal zum Linksextremismus komme, Herr Strauß, so ist 'sicher: Am Rande des Spektrums der Strömung, die ich vorhin als zweite Aufklärung bezeichnet habe, gibt es zweifellos einen Linksextremismus, den man vielleicht nicht ganz zutreffend, aber sehr plastisch als „chaotisch" bezeichnet hat. Wir kennen ihn übrigens, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sehr viel besser als Sie; denn diese Auseinandersetzung wird ja nicht von Ihnen, sondern im wesentlichen von uns geführt, wie ja überhaupt die Auseinandersetzung mit der jungen Generation, die im wesentlichen dieses gesellschaftskritische Bewußtsein prägt, allein von uns getragen werden muß,
weil Ihre Beiträge sich bisher im wesentlichen auf die Abgabe etwas hämischer Kommentare beschränken. Ich muß sagen, ich bin als Sozialdemokrat stolz auf das, was wir an Intregrationsleistung seit der Apo-Zeit in der jungen Generation geleistet haben, obwohl es Sozialdemokraten waren, die, weil sie in den Großstädten Verantwortung tragen, diese Auseinandersetzung in erster Linie haben führen müssen.
— Das ist kein Argument, eine Tomate, aber dieser Zwischenruf von Ihnen ist auch kein Argument, lieber Herr Jenninger, auch wenn Sie Ihre Stimme steigern, zu den Problemen, die ich hier einmal in Ruhe aufzuzeigen versuche.Neben den sogenannten Chaoten gibt es in diesem Spektrum dann noch das, wenn ich an die DKP denke, was man, wenn dieses Paradoxon erlaubt ist, als den konservativen Linksextremismus bezeichnen kann: ,disziplinierter als die anderen, nichtsdestoweniger ebenso entschiedene Gegner der deutschen Sozialdemokratie; denn ein Sozialismus ohne Demokratie ist für uns wie mein Freund Peter von Oertzen vor kurzem einmal gesagt hat,
nicht ein Sozialismus mit kleinen Geburtsfehlern, sondern überhaupt kein Sozialismus.
Aber dann, Herr Strauß, dann kommt ein weitesSpektrum, das von „linkssozialistisch" bis „linksliberal" bezeichnet und etikettiert wird, das durchaus ,demokratisch ist, aus dem aber grundsätzlich mehr Fragen an unsere politische Ordnung, an die Gesellschaftsordnung gestellt werden, als das lange Jahre innerhalb der im Bundestag vertretenen Parteien, insbesondere der Unionsparteien, der Fall war. Ich gebe zu, aus diesem Lager werden sehr viel mehr Fragen gestellt als Fragen beantwortet, und sicher werden auch viele Fragen falsch gestellt. Aber nichts — das ist meine U'berzeugung — wäre für unsere Demokratie schädlicher, als diese Fragen nicht ernst zu nehmen oder diese Fragesteller mit den „Chaoten" in einen Topf zu werfen oder aus parteipolitischen Gründen zu verteufeln. Ich bin der Meinung, daß wir diese Infragestellung für die Lebensfähigkeit unserer Demokratie nötig haben. Ich habe einmal gesagt, rdiese Generation sei die Generation, auf die wir gewartet haben, und einer meiner Universitätskollegen hat mich dann kritisch zurückgefragt, ob der Titel nicht eigentlich heißen müßte: „Die Generation, auf die wir gerade noch gewartet haben". Ich bleibe bei meiner Meinung. Ich halte es für einen Segen für dieses Land und für die Demokratie in diesem Land, daß hier — vielleicht zum erstenmal — eine junge Generation heranwächst, die nicht rechts steht.
Wie dringend das ist, Herr Kollege Strauß — —
— Sie sagen es, Herr Kollege. Dafür, warum das so wichtig ist, sind gerade Ihre Argumentationen sehr interessant. Da werden schlimme Dinge aus linksextremen Blättern und Blättchen zitiert, aber inzwischen — —
— Reden Sie nicht über etwas, was Sie nicht verstehen, Herr Wohlrabe.
Also da wird auf der einen Seite schön zitiert, aber, wenn ich das recht verstehe, das hanebüchene nazistische Zeug, das z. B. in der NS-Zeitung steht, die hanebüchenen Dinge — —
— ach nein? Sie sollten sie mal wirklich lesen, damit Sie nicht auf dem rechten Auge völlig blind werden, Herr Haase —, die im Deutschland-Magazin stehen. Weil ich gerade mit Herrn Strauß diskutiere, will ich den Bayernkurier ausnehmen.
Das alles spielt für Sie offenbar gar keine Rolle. Dies ist ja auch ein altes deutsches Klischee —: Rechts ist immer noch gut, selbst wenn es schlimm ist, links ist schon ganz schlimm, noch bevor es richtig angefangen hat. Sie versuchen doch mit Ihrer Art der Auseinandersetzung dieses Vorurteil aufrechtzuerhalten.
Metadaten/Kopzeile:
3584 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Dr. EhmkeOder nehmen Sie die Diskussion um die Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, — übrigens auch ein Thema, das sich meines Erachtens nicht zum parteipolitischen Hickhack eignet. Ich möchte einmal wissen: in welchem Verhältnis steht die Kritik und die Besorgnis über eine Handvoll linksextremer Lehrer oder Beamter zu den Hunderten von NPD-Mitgliedern, die nachgewiesenermaßen Angehörige des öffentlichen Dienstes sind?
Das kommt alles gar nicht in Ihr Bild.Und jetzt, da Sie ja immer an der Frage herumbasteln, noch ein Beispiel, Herr Strauß: Briefmarke für Rosa Luxemburg.
— Den sehe ich oft, und wir sind da nicht verschiedener Meinung.
Behandlung von Rosa Luxemburg! Wir haben mehrfach zaghafte Anfragen aus Ihrem Kreise zu dieser Frage gehabt. Lassen Sie mich folgendes sagen: Dies ist der Vorschlag eines Programmausschusses, dem die CDU angehört. Das Mitglied der CDU, der Kollege Weber aus Heidelberg, war zwar nicht in der Sitzung, in der nach der Idee bedeutende deutsche Frauen auf Briefmarken darzustellen — denn die Frauen werden bei uns auch auf den Briefmarken noch diskriminiert — drei Vertreter der bürgerlichen Frauenbewegung und Rosa Luxemburg vorgeschlagen wurden. Ihr Kollege Weber, dem das Ergebnis mitgeteilt worden ist, hat aber auch nie widersprochen, — wie ich übrigens auch dankbar anerkennen muß, daß ich aus den Reihen Ihrer Partei in Leserbriefen und sonst Unterstützung für die Auswahl dieser Marke erhalten habe.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des — —
Nein, im Augenblick bitte nicht, Herr Präsident. — Aber es gibt auch ganz schlimme Reaktionen, und das ist interessant, auch für das Geschichtsverständnis einer konservativen Partei. Hier wird eine Frau herausgestellt, eine glühende Pazifistin, eine Frau, die lange vor unserer Zeit wußte, daß es jenseits des Friedens keine Existenz gibt, eine Frau, die schließlich für ihr Eintreten gegen den Krieg erst ins Gefängnis geworfen und dann in viehischer Weise ermordet worden ist. Ich frage mich: Sollte nicht allein der Respekt vor dem Opfer es über parteipolitische Grenzen hinweg möglich machen, sich darin zu einigen, daß dies eine der großen Frauen der deutschen Geschichte ist?
Nun gibt es Kollegen von Ihnen, die fragen, ob ich denn nicht wisse, daß diese Frau eine der erbittert-sten Kritikerinnen der führenden Sozialdemokraten in der Anfangszeit der Weimarer Jahre gewesen ist.
Ich darf sagen: ich weiß das. Aber, meine Herren, ich bin der Meinung, wir sollten gerade dieser Frau gegenüber nach der Maxime handeln, die sie in ihrer Auseinandersetzung mit den Bolschewisten in leidenschaftlicher Weise verfochten hat, daß nämlich Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden ist.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Ich verstehe, daß Sie der Versuchung erliegen, die Frage des Linksextremismus als parteipolitische Keule zu mißbrauchen. Aber im stillen sollten Sie sich einmal fragen, ob Sie damit der geistigen Auseinandersetzung für unsere Demokratie dienen, ja, ob Sie damit nicht die Gefahr vergrößern, daß wir wieder auf dem rechten Auge blind werden, eine Gefahr, die doch nun alle demokratischen Kräfte nie wieder zuzulassen sich geschworen hatten,
als das KZ-Regime des Nationalsozialismus zu Ende war.
Diese Gefahr, meine Damen und Herren von den Unionsparteien, besteht nun aber nicht nur in der Art, wie Sie mit dem Linksextremismus umgehen, ohne den Rechtsextremismus zu erwähnen.
Ich bin der Meinung, sie besteht auch dann, wenn sich die Unionsparteien entschließen sollten, sich auf der Suche nach einer neuen Ideologie von der Schelskyschen These vom Gegensatz von Freiheit und Demokratie verführen zu lassen. Herr Strauß, sosehr ich den Kollegen Scheisky schätze: diese These ist reaktionär in zweifacher Weise. Zunächst einmal im Sinne der Reaktion auf die Forderung nach Demokratisierung der Gesellschaft, über die ich anfangs schon gesprochen habe und die — ich sage es noch einmal — gerade im Namen der Freiheit erhoben wird.
Aber die These, Her Strauß, ist auch in einem tieferen Sinne, in einem geschichtlichen Sinne reaktionär, indem sie politische Vorurteile des deutschen Bürgertums zu beleben sucht, die zwar eine lange Geschichte haben, aber, Herr Strauß, doch eine Geschichte, die im nationalsozialistischen Regime blutig geendet hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3585
Bundesminister Dr. EhmkeWir dürfen in der Diskussion, die jetzt beginnt, nie vergessen,
daß einer der Gründe dafür, daß sich der braune Totalitarismus in Deutschland durchsetzen konnte, das verkürzte Freiheitsverständnis des deutschen Bürgertums war.
Es gibt in unserer Literatur und in unseren Geschichtsbüchern darüber Zeugnisse von großer Eindrücklichkeit, von der Zeit des aufgeklärten Absolutismus, wo man als Individuum frei war, wenn man nur nicht „räsonierte", wie es hieß. Die seltsame Bewußtseinsspaltung, die damals schon beobachtet worden ist, hat niemand glänzender beschrieben als Madame de Staël.Die Auseinandersetzung der Liberalen und der Sozialdemokraten um die Frage Rechtsstaat oder Demokratie ging bis weit in die Weimarer Zeit darum, daß individuelle Freiheit ohne Demokratie nicht möglich ist. Wenn der Nationalismus und der Zusammenbruch der Weimarer Republik irgend etwas bewiesen haben, dann das Gegenteil von der Schelskyschen These, und darum verstehe ich, daß Eppler, genau wie ich es jetzt tue, so hart auf diese These reagiert.
Es ist doch nicht so, daß wir uns noch im Stande der Unschuld befinden.Schauen Sie, auch in Ihrer Parteidiskussion — ich kann hier nur sagen, daß Herr Kollege Eppler und ich Herrn Strauß und Herrn Weizsäcker zu jeder Diskussion zur Verfügung stehen.
ist es doch so, daß Sie den Versuch machen, alles, worüber jetzt diskutiert wird, z. B. Investitionslenkung, sofort als antifreiheitlich zu verteufeln. Die neuen Nachrichtentechnologien z. B. bieten phantastische Möglichkeiten. Sie müssen unter öffentliche Kontrolle, nicht unter staatliche, Herr Strauß, gestellt werden. Diese Technologien dürfen nicht privaten Kapitalinteressen ausgeliefert werden.
Wenn es um den Abbau von Bildungsprivilegien und um Mitbestimmung geht, so ist das doch nicht eine Frontstellung von Freiheit gegen Demokratie, Herr Strauß.
Erhard Eppler hat in seiner Besprechung sehr richtig gesagt: Mit der Mitbestimmung im Betrieb soll ja gerade ein Stück Gewaltenteilung eingeführt werden. Die Mitbestimmung im Elternrat oder in der Schulverwaltung soll ja ein Stück Freiheitsraum eröffnen. Es hat doch keinen Zweck, die Schlacht, diegegen den plebiszitären Demokratismus à la Rousseau geschlagen worden ist — und was die plebiszitäre Seite betrifft, so brauchen wir von Ihnen wirklich keine Belehrungen —,
zu der Partizipationsdiskussion, die heute geführt wird, in Beziehung zu setzen.Es gibt weiterhin ein Problem, das man sich auch vor Augen führen muß — ich sage das ganz unpolemisch —: Es gibt aus historischen Gründen in den Denkstrukturen der Parteien ganz verschiedene Ausgangspunkte. Ich glaube, wenn wir etwas länger diskutierten, Herr Kollege Strauß und Herr Kollege von Weizsäcker, würde sich vielleicht eine ähnliche Situation ergeben, wie wir sie einmal in einer hochinteressanten Diskussion um Rechtsfragen der Ostpolitik zwischen dem verstorbenen Kollegen von Guttenberg und Herrn Professor Böckenförde hatten. Es ging um die Frage, wie verschiedene Arten von Rechtsdenken zu der einen oder anderen Position führen.Für Sie — so stellt es die CDU jetzt in diesem Programm dar — sieht die Welt so aus: Individuelle Freiheit — nicht nur Freiheitsrechte, Grundrechte — ist von Natur gegeben. Man muß zwar ordentlich Polizei usw. haben, um eine gewisse Ordnung zur Ausübung dieser Freiheit zu schaffen, aber im übrigen werden alle gesellschaftspolitischen Probleme der demokratischen Kontrolle in die Schublade „Verstaatlichung, Verbürokratisierung, Sozialisierung usw." hineingeschoben.
Es wird also ein großes Angstgebräu geschaffen. Dies aber ist völlig unsinnig. Ich sage Ihnen: Mit diesem Programm werden Sie nicht weit kommen. Der demokratische Sozialismus — hier steht er nun wirklich, wie übrigens Marx auch, in abendländischer Tradition — geht doch gerade von der Frage aus, wie die Autonomie, die Selbstbestimmung des Menschen auch in der industriellen Gesellschaft verwirklicht werden kann. Was ist dafür erforderlich? Ich glaube, das alte, in der deutschen Geschichte gescheiterte Idealbild: hier der individuelle Bürger, der in Ruhe gelassen wird, verdienen und denken kann, und dort der Staat, der für äußere Ordnung sorgt, den man aber nicht ausdehnen kann, um die individuelle Freiheit nicht zu gefährden, ist ein Denkbild, das nicht eines der Probleme dieser Gesellschaft löst.
Natürlich werden wir über die Frage verschiedener Meinung sein, was in der Gesellschaft nötig ist. Herr Strauß, meine herzliche Bitte, gerade wenn wir nicht im Wahlkampf stehen, ist aber: Lassen wir doch diese grobschlächtigen Methoden sein.
Metadaten/Kopzeile:
3586 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Bundesminister Dr. Ehmke— Ich freue mich über Ihre Zustimmung und nehme an, daß mein Angebot zur weiteren Diskussion damit akzeptiert ist.
Lassen Sie uns doch einmal miteinander ausloten, wo denn wirklich Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, was an gesellschaftlichen Voraussetzungen notwendig ist, damit es individuelle Freiheit in der industriellen Gesellschaft noch geben kann. Freiheit ist kein Naturgeschenk. Freiheit ist eine gesamtgesellschaftliche Leistung und muß jeden Tag wieder erarbeitet und erkämpft werden.
Also weg von diesen Holzhämmern,
mit denen auch heute hier von Herrn Kollegen Strauß gearbeitet worden ist. Denen, die in dieser Auseinandersetzung stehen, vor allem denen, die etwa der Meinung sind, es bestehe deshalb, weil es ein paar Schwierigkeiten, Unruhen, Komplexe und dergleichen gibt, Grund, vor der richtigen Einsicht wegzulaufen, daß diese grundsätzliche Änderung des gesellschaftlichen Bewußtseins notwendig war, rate ich, sich an das Goethe-Worte zu halten:Der Mensch, der zu schwankenden Zeiten auch schwankend gesinnt ist,vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter,der aber fest im Sinne beharrt, der bildet die Welt sich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
— Seien Sie unbesorgt! Ich werde mich bemühen, der Haushaltsdebatte gerecht zu werden.
Herr Abgeordneter Wohlrabe hat vorhin behauptet, der Parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, mein Kollege Moersch, habe am 15. Juni in der Fragestunde im Zusammenhang mit der Kapitalhilfe für Jugoslawien wissentlich eine falsche Erklärung abgegeben. Herr Kollege Matthöfer hat diese Behauptung in einem Zuruf mit Recht als unerhört qualifiziert.
Der Vorgang selbst, meine Damen und Herren, ist im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit von Vertretern der Bundesregierung jüngst klargestellt worden.
Herr Wohlrabe hatte zu dieser Kritik keinen Anlaß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist in einem sehr frühen Stadium — ich glaube, im letzten Bundestag — damit befaßt gewesen. Ich glaube nicht, daß nach der Geschäftsordnung eine neuerliche Befassung notwendig war.
Im weiteren Verlauf hat Herr Kollege Moersch über diesen weit zurückliegenden Vorgang aus der Erinnerung gesagt:
Soweit ich weiß ... ist der Ausschuß in der üblichen Weise in diesem Zusammenhang informiert worden. Wenn das in diesem Bundestag nicht geschehen ist, dann im letzten. Das weiß ich ganz sicher.
Mit dem Ausdruck „in der üblichen Weise" war zweifelsfrei die 'Unterrichtung der Obleute der einzelnen Fraktionen gemeint. Jedenfalls hat Herr Dr. Heck als erfahrener Parlamentarier dies mit Recht so verstanden; denn er hat eine Zusatzfrage Wie folgt formuliert:
Ist es richtig, daß die Bundesregierung die Obleute so informiert hat, daß die Wiedergutmachung für Jugoslawien über Entwicklungshilfe geleistet werden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, .das ist so nicht richtig. Die Bundesregierung hat gesagt, daß sie keine Wiedergutmachung an Jugoslawien leisten wird, daß sie aber glaubt, um ,das Verhältnis zu Jugoslawien, das aus vielen Facetten und nicht zuletzt auch aus Zahlungsbilanzproblemen besteht, zu verbessern, in einer anderen Weise ein Entgegenkommen zeigen zu sollen.Für den Vorgang ist bezeichnend, daß die Kollegen ,der CDU/CSU, die dem 6. Bundestag angehört haben, wußten, daß die Unterrichtung damals, weil es sich um schwebende Verhandlungen handelte, tatsächlich in der dafür notwendig erscheinenden Weise unter dem Gesichtspunkt der strengen Vertraulichkeit vorgenommen worden war. Wie sich aus den Zusatzfragen ergibt, waren darüber ganz offensichtlich auch die Kollegen dier CDU/CSU im Bilde, die damals nicht die Obleute gewesen sind. Herr Wohlrabe hätte, da er sich gewiß nicht zu den parlamentarischen Anfängern zählt, diesen Vorgang sorgfältig prüfen können. Aber dann wäre wohl keine Gelegenheit zu unangemessener Polemik gewesen. Er kann deshalb auch nicht die Nachsicht für sich in Anspruch nehmen, ,die ein Neuling genießt, wenn er vertrauliche Mitteilungen .der älteren Kollegen in eine parlamentarische Attacke ummünzt. — Meine Damen und Herren, ich glaube, es war drin-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3587
Gallusgend notwendig, dies zur Klarstellung des Sachverhalts zu sagen.
Gestatten Sie mir, daß ich auf die Haushaltsdebatte von heute vormittag und auf das zurückkomme, was Herr Stoltenberg als Vertreter der Länder hier gesagt hat. Es geht ja durch die ganzen deutschen Lande, daß es der Bund in seinem Haushaltsgebaren weit leichter habe als die Länder. An der Spitze in diesem Chor marschiert Ministerpräsident Filbinger in Stuttgart. Bei der Einbringung des Haushalts in Stuttgart in der letzten Woche wurde in einem Artikel der „Stuttgarter Zeitung" nachgewiesen, daß die Länder keinesfalls die Benachteiligten sind, wenn man den öffentlichen Gesamthaushalt betrachtet, sondern — das hat mein Kollege Kirst heute vormittag ebenfalls nachgewiesen — sehr stark an der Gesamtentwicklung partiziert haben. Man kann durchaus den Eindruck haben, daß die Länder mit diesem Gejammer selber verdecken wollen, daß sie nicht bereit genug sind, in ihren eigenen Haushalten das zu tun, was sie in den letzten vier Jahren, seit die CDU hier nicht mehr regiert, vom Bundeshaushalt verlangen.
Außerdem kann laufend nachgewiesen werden, daß es in erster Linie die Länder gewesen sind, die sich nicht daran gehalten haben, die Haushalte konjunkturell so zu gestalten, daß von dieser Seite her ein entsprechender Konjunkturbeitrag geleistet worden wäre.Ich bin darüber hinaus der Auffassung, daß Herr Stoltenberg die Dinge geradezu auf den Kopf stellt, wenn er behauptet, daß z. B. durch das Krankenhausfinazierungsgesetz die Länder zusätzlich belastet worden seien. Hier ist nur die Frage zu klären, ob man die Krankenhausfinanzierung will oder ob man sie nicht will. Wenn man sie will und wenn man sie aus sozialpolitischen Gründen bejaht, dann kann man nur sagen, daß der Bund die Länder und die Gemeinden in diesem Zusammenhang entlastet hat. Das ist haushaltspolitische Wahrheit und Klarheit und Tatsache.
Der Gipfel dessen, was Herr Stoltenberg heute morgen geboten hat, war aber, daß er sich in die Aussage verstiegen hat, es gehe gar nicht darum, ob am 1. Januar 1974 oder am 1. Januar 1975 Steuererleichterungen in Höhe von 8 Milliarden DM geschaffen würden, sondern es gehe darum, die großen Aufgaben dieses Staates für die nächsten zehn Jahre zu finanzieren. Folglich ignoriert Herr Stoltenberg die sehr wichtige Frage der Stabilität, um die diese Bundesregierung mit den entsprechenden Maßnahmen ringt, und das nehmen wir von der FDP-Fraktion dem Herrn Stoltenberg sehr übel.
Der Herr Kollege Leicht hat in seinen Ausführungen davon gesprochen — das hat mich komischberührt —, daß dieser Haushalt eine machtpolitsch motivierte Umverteilung vorsehe.
— Ich habe es so gehört und auch so mitgeschrieben. Ich werde mir die Mühe machen, Herr Kollege Leicht, es im Protokoll nachzulesen.
— Ich habe auf den Zusammenhang sehr wohl geachtet. Hier ist noch mehr gesagt worden. Ich habe mich aber darauf beschränkt, das wiederzugeben, weil meine Ausführungen sonst bestimmt zu lang würden.Auf die machtpolitisch motivierte Umverteilung muß ich jedoch zurückkommen, weil die Opposition hier immer Dinge verquickt, die sie draußen von irgendwelchen Kreisen hört und von denen sie glaubt, daß sie zur Richtschnur des Handelns dieser Regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen gemacht würden. Das entspricht nicht der Wahrheit. Wenn Sie das bitte zur Kenntnis nehmen wollten, wären wir durchaus befriedigt. Aber ich habe ja in der letzten oder vorletzten Woche von dieser Stelle aus gesagt: Bei der Opposition hängt's etwas am Glauben, was für eine christliche Opposition eigentlich unverständlich ist.
Ich habe in den letzten drei Jahren alle konjunkturpolitischen und haushaltspolitischen Debatten und die Argumente jeder Seite sehr aufmerksam verfolgt und bin auch seit heute morgen bis jetzt hier gesessen.
Ich kann nur sagen: Auf das, was die CDU in den letzten drei Jahren jeweils zu diesen Fragen zum besten gegeben hat und was sie jeweils als düstere Vorzeichen an die Wand gemalt hat, haben Sie von unserem Wirtschaftsminister Friderichs heute vormittag die gebührende Antwort erhalten. Denn das ist eine Politik der Purzelbäume, die Sie so auf Dauer diesem Volk einfach nicht mehr verkaufen können.
Vielleicht besinnen Sie sich jetzt langsam eines Besseren. Denn die Bevölkerung ist gerade in diesen Fragen sehr hellhörig geworden.Immerhin hat diese Regierung einiges Positive aufzuweisen, was die Stabilität betrifft, wiewohl ich hier offen bekenne — es wäre unfair, wenn man es nicht täte —
— Moment, Herr Kollege, immerhin einen Rückgang der Preissteigerungsrate von 7,9 % auf 6,4%.
— Das ist eine Leistung, die auch von Ihnen nicht wegdiskutiert werden kann.
Metadaten/Kopzeile:
3588 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
GallusIch bin auf diese Leistung deshalb besonders stolz, weil sie gerade im ernährungswirtschaftlichen Bereich sehr stark zu Buche geschlagen hat. Ich sage von dieser Stelle aus auch: Die anderen Bereiche der Volkswirtschaft sind durchaus in gleichem Sinne angesprochen.Herr Leicht, Sie waren es, der davon gesprochen hat, daß die Investitionsrate dieses Haushalts zurückgeht; Hochschulbau und ähnliches haben Sie genannt. Wer das aber ändern will, der braucht mehr Stabilität.
In diesem Sinne befindet sich die Bundesregierung auf dem rechten Weg.Ich bin auch der Auffassung — ob ich mich dabei bei bestimmten Gruppen in diesem Staat beliebt mache oder nicht —: Wir sollten nicht wie die Katze um den heißen Brei herumreden.
Wer Stabilität will, wird sie nicht mit überzogenen Tarifabschlüssen erreichen. Man kann die Dinge wenden und drehen, wie man will: Je mehr wir unsere Wirtschaft fordern und überfordern, um so weniger werden wir zu einer realen Manövriermasse für entsprechende Investitionen in allen Bereichen der Haushalte kommen. Ich glaube, das muß man der Ehrlichkeit halber auch einmal feststellen.
Wir müssen leider sehen, daß auf diesem Gebiet fast alle Länder oder ich möchte sagen: zu viele Länder Europas und der Welt den Weg des geringsten Widerstands gehen. Deshalb ist gerade das Bemühen dieser Bundesregierung um Stabilität um so höher zu bewerten. Das erkennen wir an.
Nun haben mich — das wird mir niemand übel nehmen — die Ausführungen in bezug auf die EG-Finanzierung, die von allen Gruppen in diesem Hause angesprochen worden ist, in irgendeiner Weise ganz direkt berührt. Die Frage nämlich, wie es hier weitergehen soll, ist in aller Munde. Wir alle sind ja durch einen Vorgang im Haushaltsausschuß, Herr Kollege Haehser, entsprechend geschockt worden. Die Frage ist nur: Wo liegen die Realitäten und wo liegen die Konsequenzen dessen, was man hier tun muß und was man hier tun kann?Ich glaube, diese Realitäten und Konsequenzen bei der EG-Finanzierung darf man aus politischen Gründen nicht aus dem Auge verlieren. Schließlich wollen wir alle Europa. Es darf keine Frage sein, daß wir danach streben, zu einer verbindlichen Finanzplanung zu kommen, damit die Auswirkungen entsprechend zeitig bekannt werden. Es dürfte aber auch keine Frage sein, daß das nur ein Weg nach vorn sein kann, auch im Blick darauf, einmal zu entsprechenden Initiativen einer parlamentarischen Kontrolle in der EG zu kommen. Die Tatsache bejammern, das es so ist, wie es ist, genügt bei weitem nicht.
Wenn man darüber hinaus die politischen Zusammenhänge in Europa sieht, die sehr stark gerade an die EG-Finanzierung im Agrarbereich geknüpft sind, so weiß jeder, der Verantwortung trägt, daß das auch irgendwo seine Grenzen hat.Aber heute dürfen wir getrost einmal die Frage aufwerfen: Ist das, was auf diesem Gebiet bisher geschehen ist, so schlecht, wie wir vielleicht alle miteinander glauben? Ich habe hier ein Schreiben an den Präsidenten des Deutschen Bundestages, damals noch verfaßt worden von dem ehemaligen Finanzminister Herrn Strauß, wo er einen Überblick über die EWG-Finanzierung der Jahre 1962/63 bis 1972/73, also über einen Zehnjahresrhythmus gibt. Ich muß feststellen, daß damals die negativen Erwartungen in bezug auf die Höhe dessen, was mitfinanziert werden soll, sehr viel größer waren als das Ist, mit dem die EG nun tatsächlich ausgekommen ist.Immerhin war die Vorausschau von Herrn Strauß damals so berechnet, daß bei der Gesamtfinanzierung 13 Milliarden DM für den Garantiefonds im Jahre 1972 vorzusehen wäre. Tatsächlich hat der Garantiefonds nur 9,3 Milliarden DM verschlungen; nach unserer Auffassung bei weitem genug. Aber immerhin ist das EG-Finanzierungssystem so angelegt, daß ein erheblicher Teil der Finanzierung aus den Abschöpfungen der EG zu finanzieren ist. Diese Abschöpfungen — und das muß von diesem Haus auch einmal zur Kenntnis genommen werden — sind in den letzten zwei Jahren bei weitem nicht mehr so hoch ausgefallen, wie das früher bei niedrigeren Weltmarktpreisen für Nahrungsmittel der Fall war, sondern durch eine Steigerung der entsprechenden Nahrungsmittelpreise auf dem Weltmarkt aus den Abschöpfungen der EG beinahe keine Finanzierungsmittel mehr zugeflossen. Deshalb werden die Nationalstaaten direkt zur Kasse gebeten.Ich darf aber hier eines feststellen: In bezug auf die Ernährung unserer Bevölkerung schneiden wir innerhalb der EWG und der Welt tatsächlich ausgezeichnet ab. Wir stellen fest, daß sich seit dem Jahre 1970 bei der Ernährung in der Bundesrepublik lediglich eine Steigerung auf 119,8 ergeben hat, in Frankreich auf 125,2, in Italien ebenfalls auf 125,2, selbst in den Niederlanden, die die großen Überschüsse produzieren, die wir mitbezahlen müssen, auf 120,6; Belgien liegt nur knapp unter uns, Großbritannien — das ergibt sich aus der Entwicklung zur EWG — bei 138, Dänemark bei 133. Selbst die Schweiz liegt mit 119,1 nur wenige Zehntel Prozent unter uns, Schweden bei 126,9 und die USA bei 122,6.Ich möchte das alles nur im Hinblick darauf zu bedenken geben, daß wir die EG-Finanzierung reformieren müssen. Dabei möchte ich aber bemerken, daß das, was wir bisher getan haben, bei weitem im Gesamtzusammenhang gesehen nicht alles so schlecht war, wie es vielfach auch draußen dargestellt wird, wobei Emotionen geweckt werden, als
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3589
Gallusob die Ernährung eines Volkes letzten Endes eine nebensächliche Angelegenheit wäre.
Die Opposition hat hier heute mehrfach zum Sparen aufgerufen. Das ist sehr löblich. Die Tatsachen sehen jedoch etwas anders aus. Bei der Beratung des Altershilfegesetzes im Ernährungsausschuß hat es die Opposition fertiggebracht, Zusatzanträge in einer Größenordnung von 438 Millionen DM zu stellen; den Bund hätten diese Anträge allein im Haushalt 1974 zusätzlich 300 Millionen DM gekostet. Wenn man das weiß und mit dem vergleicht, was die Opposition hier heute gesagt hat, müssen einem an den Aussagen der Opposition erhebliche Zweifel kommen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Dr. Alex Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat mich gebeten, einige grundsätzliche Bemerkungen zu den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zu machen. Ich komme diesem Auftrag gern nach, auch in dieser späten Abendstunde, weil ich der Meinung bin, daß diese Finanzbeziehungen in den Debatten der kommenden Monate und Jahre eine bedeutende Rolle spielen und daß es notwendig ist, wieder einmal den Versuch zu machen, eine einwandfreie sachlich-politische Ausgangsbasis zu erhalten. Bevor ich im einzelnen zu diesem Thema Stellung nehme, gestatten Sie mir aber noch eine Vorbemerkung.Ganz sicher hatte Herr Kollege Strauß heute vormittag recht, als er behauptete, daß es bei der ersten Lesung eines Haushalts eine gute parlamentarische Gepflogenheit ist, sich mit der Gesamtpolitik der Bundesregierung auseinanderzusetzen, wie es auch notwendig ist — das füge ich hinzu —, in einer ersten Lesung des Bundeshaushalts sich mit den Grundsätzen der Haushaltspolitik und der Haushaltswirtschaft zu befassen, so wie Sie, Herr Kollege Leicht, das getan haben. Aber wenn man nun einmal den Ablauf des heutigen Tages objektiv betrachtet und die politisch-parlamentarische Hilfe durch den aus Schleswig-Holstein herbeigeholten Ministerpräsidenten einschließt,
muß man vor allen Dingen, wenn die Haushaltspolitik und Haushaltswirtschaft von seiten der Opposition einer Kritik unterzogen werden soll, daran erinnern, daß hier die Opposition ganz offensichtlich über kein Material, das gegen diese Haushaltspolitik der Bundesregierung stichhaltig angeführt werden könnte, verfügt; denn sonst hätten wir die Stunden um Herrn Wohlrabe nicht erlebt.
Man kann meinen, das ist eine Frage des politischen Stils, ob man so argumentiert.
Ganz sicher gehört eine solche Diskussion in den Haushaltsausschuß, und ganz sicher werden die Beratungen im Haushaltsausschuß zu solchen Punkten in der zweiten oder dritten Lesung verwertet werden müssen; erst dann ist das Hohe Haus angesprochen. Wenn man aber in diesem Stadium zu solchen Mitteln einschließlich des Zitierens anonymer Briefe greifen muß, kann ich nur sagen: es tut mir weh, wenn ich euch in der Gesellschaft seh'!
Sie haben in Wirklichkeit — geben Sie es doch ehrlich zu; denn Ehrlichkeit wird Ihnen gut anstehen, das wäre mal etwas anderes — gegen diesen Haushalt nichts Triftiges, nichts, was ihn entwerten könnte, vorzubringen.
Ich will Ihnen einmal ein paar Zitate von einigen Besprechungen in Rundfunkanstalten nennen und fange natürlich beim Bayerischen Rundfunk an. Da ist der maßgebende Satz: Im großen und ganzen ist der Haushalt zweifellos solide. Der Deutschlandfunk sagt: Der Etat entspricht durchaus stabilitätspolitischen Erfordernissen auf der einen Seite, wie er auf der anderen Seite den politischen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten Rechnung trägt. Der Süddeutsche Rundfunk: Schmidts Bemerkung, daß der Bundeshaushalt kein konjunkturpolitischer Lückenbüßer für das Versagen der Tarifpartner sowie der Länder und Gemeinden sei, kann auch von der Opposition schwerlich als nicht stichhaltig wegdiskutiert werden. — Das ist der Tatbestand.
Deswegen muß ich Ihr Verhalten vorsichtig formuliert, als ein Verhalten bezeichnen,
das mit allen Mitteln dahinstrebt, nun doch noch irgend etwas Oppositionelles sagen zu können. Ich gebe auch zu, daß es für Sie sicherlich unbequem war, sich mit dem Gutachten der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute vom 18. Oktober zu beschäftigen.
Sie können doch diesen von Fachleuten niedergeschriebenen Satz in der ganzen politischen Bedeutung hinsichtlich der Stabilitätspolitik dieser Regierung und dieser Koalition nicht leugnen: „In der Bundesrepublik wurde ein Konjunkturaufschwung noch nie so frühzeitig und so energisch gebremst." Ich meine, ein solches sachverständiges Urteil ist von höherem Wert — es wird sich zweifellos auch
Metadaten/Kopzeile:
3590 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerdurchsetzen -- als eine Beurteilung, die allein von parteitaktischen Erwägungen ausgeht.
Lassen Sie mich zu dem mir aufgegebenen Thema einiges sagen; denn der Entwurf des Bundeshaushalts 1974, wie er von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, steht hinsichtlich des ausgewiesenen Finanzierungssaldos noch unter dem Vorbehalt des Ausgangs der Verhandlungen des Bundes mit den Ländern über die Neuregelung des Beteiligungsverhältnisses an der Umsatzsteuer ab 1. Januar 1974. Es scheint so, als würden diese Verhandlungen schon bald zu einem Ergebnis führen. Trotzdem wollen wir uns — jedenfalls von seiten unserer Fraktion -- noch einmal grundsätzlich mit diesem Problem auseinandersetzen, auch im Hinblick auf Ausführungen, die heute von Herrn Ministerpräsidenten Stoltenberg gemacht worden sind.Zunächst darf ich daran erinnern, daß es bei der Finanzreform des Jahres 1969 darum ging — so steht es in der Begründung zur Regierungsvorlage —,die Grundlagen für eine zweckmäßige ,und wirksame Erfüllung der öffentlichen Aufgaben in Bund, Ländern und Gemeinden zu verbessern. Dabei— so heißt es in der Begründung weiter ist die Finanzverfassung so zu gestalten, daß sie unter voller Wahrung des föderativen Staatsaufbaus und der gemeindlichen Selbstverwaltung den Anforderungen der Wirtschafts- und Finanzpolitik in einem hochindustrialisiertere Sozialstaat, wie es die Bundesrepublik ist, gerecht werden kann. Sie muß die Voraussetzung dafür schaffen, daß die von den Steuerzahlern aufgebrachten Mittel mit einem Höchstmaß an Wirksamkeit eingesetzt werden können.Eine Kernfrage bei der Erfüllung dieser Aufgaben, die der Finanzreform gestellt waren, ist die Aufteilung des Gesamtsteueraufkommens auf die einzelnen Ebenen unseres Bundesstaates gewesen. Um eine gleichmäßige Entwicklung der Einnahmen bei Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden zu gewährleisten, hat man zusätzlich zur Einkommen-und Körperschaftsteuer die Umsatzsteuer in den Steuerverbund einbezogen. Bekanntlich wächst die Einkommen- und Körperschaftsteuer schneller als die Umsatzsteuer. Die Einnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer, die verfassungsrechtlich Bund und Ländern zu je 50 v. H. zustehen, haben im Rahmen der Gesamteinnahmen bei den Ländern größeres Gewicht als beim Bund. Deshalb profitieren die Länder von der derzeitigen Steuerentwicklung insbesondere bei der Einkommen- und Lohnsteuer erheblich mehr als der Bund.Das Bemühen, durch die Finanzreform eine gleichmäßigere Entwicklung der Einnahmen bei Bund und Ländern zu erreichen, bedeutet natürlich nicht, daß die Aufteilung der Steuern im Steuerverbund zwischen den einzelnen Ebenen mit der Finanzreform ein für allemal hätte abgeschlossen werden können, zumal die Verteilung der Steuerquellen nicht nurvon der Einnahmeentwicklung bestimmt sein kann, sondern in großem Umfange auch von der Entwicklung der Aufgaben bei den Gebietskörperschaften abhängt.Die Umsatzsteuer ist durch die Finanzreform zum alleinigen variablen Element in der Steueraufteilung zwischen Bund und Ländern geworden, über das der vertikale Finanzausgleich im wesentlichen reguliert werden muß. Dabei bleibt Ausgangspunkt für die Festsetzung ,des Beteiligungsverhältnisses an der Umsatzsteuer Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes, in dem es heißt, daß Bund und Länder im Rahmen der laufenden Einnahmen gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben haben. Nach Art. 106 Abs. 4 des Grundgesetzes sind die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer neu festzusetzen, wenn sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt. Mit dieser Vorschrift geht die Verfassung grundsätzlich von einem zeitlich unbefristeten Anteilsverhältnis an der Umsatzsteuer aus. Eine Neuregelung kann nur dann erfolgen, wenn sich im Verhältnis der Einnahmen zu den Ausgaben wesentliche Änderungen ergeben.Da bei den Umsatzsteuerverhandlungen 1969 und 1972 jeweils lediglich eine befristete Kompromißlösung zustande gekommen ist, soll nun zum 1. Januar 1974 bereits die dritte Neuregelung des Beteiligungsverhältnisses an der Umsatzsteuer seit dem Inkrafttreten der Finanzreform am 1. Januar 1970 gefunden werden.Ich halte eine Entwicklung mit dem Zwang, zwischen Bund und Ländern laufend über das Beteiligungsverhältnis an der Umsatzsteuer zu verhandeln, nicht nur deshalb für ungut, weil sie dem Sinn der Verfassungsregelung widerspricht, sondern auch deshalb, weil ein fortwährender Streit um die Umsatzsteueranteile das Verhältnis zwischen Bund und Ländern erheblich belasten muß.Nach den Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten Stoltenberg vom heutigen Vormittag muß daran erinnert werden, daß diese Schwierigkeiten in besonderer Weise zutage getreten sind, als der Bundesrat im März dieses Jahres seine Zustimmung zu den im Stabilitätsprogramm 1973 der Bundesregierung vorgesehenen steuerpolitischen Maßnahmen zunächst von einer ausreichenden Verbesserung der Finanzlage der Länder für die Jahre ab 1974 abhängig gemacht hat. Ich kann und will hier nicht untersuchen, inwieweit die ungewöhnlich hohe Forderung der Länder nach Erhöhung ihres Umsatzsteueranteils berechtigt ist oder nicht. Immerhin mutet es doch etwas seltsam an, daß die Forderung mit erheblicher Lautstärke gerade von einem Land vorgetragen wurde, das bei der Finanzierung seines Haushalts 1974 offensichtlich überhaupt keine Schwierigkeiten hat. Ich meine Baden-Württemberg, dessen Finanzminister bei der Begründung des Landesetats 1974 nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 16. September 1973 vor der Presse zugeben mußte, daß es auf der Einnahmenseite eigentlich keine Schwierigkeiten gegeben habe.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3591
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerWenn dem aber so ist, dann stellt sich doch die Frage, ob die Forderung nach einem höheren Umsatzsteueranteil tatsächlich, wie von Herrn Ministerpräsident Dr. Filbinger verschiedentlich dargestellt, darauf beruht, daß die Länder unterfinanziert sind oder ob der Umsatzsteuerstreit durch überzogene Forderungen zum Teil dazu benutzt wird, die Bundesregierung in finanzielle Bedrängnis zu bringen.Unbestreitbar scheint mir folgendes zu sein: Die Befristung der Umsatzsteuerregelung auf kurze Zeiträume ist ,dem kooperativen Föderalismus abträglich. Deshalb warne ich davor, durch permanente finanzielle Streitereien in unserem Staatswesen eine Föderalismusmüdigkeit zu provozieren.
Es ist mir ein persönliches Anliegen, die gesamtstaatliche Verantwortung auf allen Ebenen klar herauszustellen; dies gilt nicht zuletzt für den Bereich der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern.Es ist falsch, meine Damen und Herren, zu behaupten, daß die Mitleistungen des Bundes bei den Gemeinschaftsaufgaben hohe Steigerungen der Länderhaushalte verursachen. Die Priorität der Gemeinschaftsaufgaben bestimmt doch nicht, wie man immer wieder darzustellen versucht, der Bund. Vielmehr entscheiden hier die Planungsausschüsse, die sich paritätisch aus Mitgliedern des Bundes und der Länder zusammensetzen, und zwar entscheiden sie in3) der Regel einstimmig. Die beschlossenen Maßnahmen beruhen auch nicht auf Vorschlägen des Bundes, sondern auf Anmeldungen der Länder. Die Länder haben sogar, insbesondere bei der Agrarstruktur, wesentlich höhere Gesamtausgaben gefordert, als der Bund mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln mitfinanzieren konnte. Ich habe noch nicht gehört, daß man nun noch einmal fragt, welche Ausgaben dem Bund durch die mit der Finanzreform geregelte Mitfinanzierung von Aufgaben der Länder entstehen. Das scheint mir eine außerordentlich wichtige Frage zu sein
auch in den Diskussionen mit den Länder-Regierungen und den Länder-Parlamenten.Ich nenne Ihnen einige Zahlen. Für das Jahr 1972 handelt es sich bei Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a des Grundgesetzes um rund 3,1 Milliarden DM Bundesmittel, bei Bildungsplanung und Wissenschaftsförderung nach Art. 91 b des Grundgesetzes um rund 700 Millionen DM Bundesmittel, bei den Investitionshilfen nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes um rund 2,5 Milliarden DM. Das sind insgesamt rund 6,3 Milliarden DM im Jahre 1972 gegenüber 2,6 Milliarden DM im Beginnjahr 1966. Man muß in der Bewertung des Steuerverbundes — was Bund, Ländern und Gemeinden aus dem Steuerverbund an Mitteln zugewiesen wird nun doch auch diese Leistungen aus der Mitfinanzierung von Aufgaben der Länder durch den Bund gebührend berücksichtigen.
Diese 6,3 Milliarden DM stellen doch einen Betrag dar, mit dem auch wir in der Bundespolitik etwas Vernünftiges anfangen können. Die Länder sollten sich, insbesondere auch aus ihrer stabilitätspolitischen Mitverantwortung heraus, bei ihren Ausgabenplanungen des Jahres 1974 an der vom Bundesminister der Finanzen am 27. Juni 1973 im Finanzplanungsrat vorgeschlagenen, von der Mehrheit der Ländervertreter akzeptierten Zuwachsrate von 10,9 v. H. orientieren.Nun lassen Sie mich im Hinblick auf die Diskussion des heutigen Vormittags einiges über diesen Finanzplanungsrat sagen. Die Regelung der Befugnisse des Finanzplanungsrates finden wir in § 51 des Haushaltsgrundsätzegesetzes. Da ist die Position des Finanzplanungsrates verankert. Nur im Anhang zu § 18 des Stabilitätsgesetzes wurde auch auf dieses Instrument hingewiesen. Für die Arbeit des Finanzplanungsrates ist eine Geschäftsordnung maßgebend. Der entscheidende Paragraph, der das A und O für die Arbeit und für die Ergebnisse der Arbeit im Finanzplanungsrat darstellt, lautet:Der Finanzplanungsrat schließt seine Beratungen in der Regel mit einer Stellungnahme oder Empfehlung ab, die grundsätzlich einstimmig gefaßt werden soll.Meine Damen und Herren, wir erleben in diesem Hohen Hause, wie schwierig es ist, in Finanzfragen zu einer einmütigen Beurteilung zu kommen. Ich kann aus eigener leidvoller Erfahrung sagen, daß es oft einfach nicht gelungen ist, ein Ergebnis festzustellen, weil die Einstimmigkeit fehlte. Dabei handelt es sich bei diesen Ergebnissen nur um Empfehlungen, die in keiner Weise für Länder und Gemeinden bindend sind. Daß da ein Bundesfinanzminister, wenn er sich zu Grundsätzen der modernen Finanzpolitik äußert, auch einmal ein offenes Wort nach dieser Richtung sagt, insbesondere wenn er in einer Bundestagsdebatte von prominenten Repräsentanten der Opposition hierauf angesprochen wird, so ist das doch nicht nur verständlich, sondern auch notwendig, weil man die Verantwortlichkeiten festhalten muß
und weil man dem Bundesfinanzminister nicht Dinge in die Schuhe schieben kann, die an solchen unzulänglichen Regelungen wie beim Finanzplanungsrat scheitern.
Herr Abgeordneter Möller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger?
Bitte!
Herr Kollege Möller, nachdem wir seit vielen Jahren über diese Dinge hin und her diskutieren, möchte ich Sie einmal fragen, warum Sie als Finanzminister oder Ihre Nachfolger nicht endlich einmal diesem Hause einen plausiblen Vorschlag unterbreitet haben, wie man z. B. die Arbeit im Finanzplanungsrat verbessern kann.
Metadaten/Kopzeile:
3592 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Wenn ich einen Funken von Aussicht für ein solches Vorhaben erspähen könnte — mit der Laterne des Diogenes müßte man da suchen —, würde ich sagen, man könnte sich an eine solche Arbeit heranmachen. Sie werden mir aber auch aus Ihren Erfahrungen zugeben müssen, daß in demselben Umfang, in dem Sie dem Finanzplanungsrat stärkere Funktionen zubilligen und eine Führungsrolle des Bundes verankern, der Widerstand der Länder und der Gemeinden kaum zu überwinden sein wird.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Kollege Möller, ich habe damals, als Sie Finanzminister waren, schon einmal die Frage an Sie gerichtet, warum Sie z. B. die meiner Meinung nach sehr fundierten Vorschläge der Sachverständigen aus dem Jahre 1969, beispielsweise das Instrumentarium für den Bund zu verbessern, nicht realisiert haben.
Sie meinen das Stabilitätsgesetz?
— Wenn wir für den Finanzplanungsrat einenneuen Modus fänden, müßten wir ihn im Stabilitätsgesetz verankern. Das ist meine Meinung. Es würde mit zu dem modernen Instrumentarium des Stabilitätsgesetzes gehören, wenn man dem Finanzplanungsrat andere Befugnisse einräumte. Das ist allerdings — das habe ich Ihnen auch auf eine in der vorangegangenen Sitzung gestellte Frage geantwortet — ein wirklich dringendes Anliegen, dieses Stabilitätsgesetz nach den Erfahrungen der Vergangenheit, nachdem wir Erfahrungen in der Rezession und im Boom sammeln konnten, zu ergänzen, zu erweitern, so zu gestalten, daß wir mit diesem Stabilitätsgesetz wirklich arbeiten können und nicht in besonderen Fällen ein besonderes Gesetz machen müssen, weil die Regelung im Stabilitätsgesetz nicht ausreicht.
Meine Damen und Herren, es muß deutlich gesagt werden, daß sich hinter der Wachstumsrate des Gesamtvolumens der Ausgaben sehr unterschiedliche Tatbestände verbergen, die gerade im Rahmen einer konjunkturellen Beurteilung auch unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe erfordern. Lassen Sie mich hierzu vier wichtige Feststellungen treffen.Erstens. Bei öffentlichen Ausgaben ist der Termin der Zahlung nicht mit dem Zeitpunkt der konjunkturellen Wirkung gleichzusetzen. Die Auftragsvergabe hat erheblich größere konjunkturelle Bedeutung.Zweitens. Die verschiedenen Ausgabearten besitzen unterschiedliche Wirkung. Während z. B. Bauausgaben, von zeitlichen Verzögerungen abgesehen, unmittelbar produktionswirksam werden, habenandere Ausgaben keine unmittelbar expansiven Effekte, teilweise kann man sogar von konjunkturell restriktiv wirkenden Ausgaben, wie z. B. der staatlichen Sparförderung, sprechen.Drittens. Es ist oft nicht entscheidbar, wem konjunkturelle Wirkungen öffentlicher Ausgaben zugerechnet werden sollen. Beispielsweise durchlaufen die Mittel des Bundes für die Förderung kommunaler Verkehrsmaßnahmen die Haushalte der Länder und werden durch die Gemeinden verausgabt. Die Haushalte aller drei Ebenen blähen sich unnötigerweise auf und führen zu falschen Schlußfolgerungen. Wem ist der konjunkturelle Effekt zuzurechnen: dem Bund, der die Finanzierung dieser gemeindlichen Aufgaben übernommen hat, oder den Gemeinden, die die Projekte im Endergebnis durchführen? Es wäre doch sinnlos, wenn man beispielsweise die 1,5 % Anteil für finanzschwache Länder, zusätzlich aus der neuen Umsatzsteuerverteilung zugebilligt, etwa zunächst über den Bund vereinnahmte, um den Betrag dann als Finanzzuweisung an die Finanzschwachen Länder wieder zu verausgaben. Das ist das jetzt zur Diskussion stehende System sicherlich ein besseres, und daran sollte man sich halten.Viertens. Konjunkturelle Wirkungen öffentlicher Ausgaben können schließlich sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wie ihre sektorale oder regionale Streuung ist. Aufträge an Produktionsbereiche, die ihre Kapazitätsgrenze erreicht haben, wirken anders als die Inanspruchnahme brachliegender Ressourcen in Problemgebieten.Wenn man versuchen muß, all diese unterschiedlichen Wirkungen in einer Zahl, der Wachstumsrate der Gesamtausgaben, abstrakt zu erfassen, dann kann man ,den dargelegten differenzierten Konjunkturpolitischen Zusammenhängen nicht gerecht werden. Die Wachstumsrate der Ausgaben ist also nur ein sehr grober Maßstab, eine Faustregel; das muß man wissen, wenn man sie gebraucht.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein Zitat. Der Herr Vorsitzende der CSU, Franz Josef Strauß, hat dem Westdeutschen Rundfunk im Tagesmagazin am 23. Oktober 1973 ein Interview gegeben. Da wird am Anfang eine sehr interessante Frage an Herrn Strauß gestellt, und es gebietet die Loyalität, nicht nur diese Frage hier vor dem Hohen Hause zu zitieren, sondern auch die sehr aufschlußreiche Antwort, weil sie erkennen läßt, warum in dem Vortrag ides Herrn Kollegen Strauß gewisse Umschreibungen oder Lücken vorhanden gewesen sind.Frage:Herr Dr. Strauß, sind Sie der Meinung, wenn Sie jetzt wieder Finanzminister wären, Sie dann einen Haushalt vorlegen können, der anders gestaltet gewesen wäre in seiner Zielrichtung?Strauß:Ich glaube, die Frage drängt sich nicht als erste Frage auf. Sie läßt sich auch deshalb nicht so ohne weiteres beantworten; denn ein großer Teil der Ausgaben von heute sind gesetzlich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3593
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllergebundene Ausgaben, und gesetzlich gebundene Ausgaben können nur auf dem Wege wiederum der Änderung bestehender Gesetze anders gestaltet werden, vermindert werden oder vermehrt werden. Gesund ist diese Entwicklung natürlich nicht, daß heute 80, wahrscheinlich sogar 85 % der Haushaltsmittel durch gesetzliche Festlegung oder vertragliche Bindung oder politische Zusagen praktisch unbeweglich geworden sind. Wir würden allerdings versuchen — das ist ein schmerzlicher Prozeß, der sich über mehrere Jahre hinziehen würde —, zunächst einmal die zweistelligen Zuwachsraten loszuwerden, also den Haushalt auch als Mittel der Inflationsbekämpfung stärker heranzuziehen. Ich bin mir der Schwierigkeiten und der Dornen, die auf diesem Wege wären, sehr wohl bewußt.Das ist seine Antwort, das ist sein Programm. Es käme ihm also nur darauf an, die zweistelligen Zuwachsraten loszuwerden. Das ist seine Priorität Nr. 1. Was zu diesen Zuwachsraten zu sagen ist, habe ich vorher ausgeführt, und ich kann dem auch in der Bewertung dieser Erklärung des Herrn Strauß nichts hinzufügen.
Sicher läßt sich nicht bestreiten, daß die Ausgabenstruktur von Bund und Ländern unterschiedlich ist. Besoldungserhöhungen schlagen bei den Ländern stärker zu Buch als beim Bund, wenn ich von der Sonderlage bei Bundesbahn und Bundespost einmal absehe. Das heißt aber nicht, daß sie allein zu der schnelleren Expansion der Länderausgaben beigetragen haben. 1971 stiegen die Personalausgaben der Länder schneller als die Gesamtausgaben, 1972 dagegen langsamer. Die dynamische Entwicklung bestimmter Ausgabenkategorien ist nicht nur bei den Ländern festzustellen. Beim Bund sind es insbesondere die Renten und die Zuschüsse an die Sozialversicherung, immerhin 24% des Haushaltsvolumens, die von den Auswirkungen der Leistungsdynamisierung berührt werden.Ich weiß, daß es bei den reichlich fließenden Steuereinnahmen schwerfällt, den Ausgabenzuwachs bei den Ländern zu begrenzen. Die Finanzlage der Länder wurde bereits durch die zum 1. Januar 1972 in Kraft getretene Umsatzsteuer-Neuregelung entscheidend verbessert. Zusammen mit den Ergänzungszuweisungen des Bundes an die finanzschwachen Länder und der Beteiligung der Länder an den 1972 durchgeführten Steuererhöhungen haben die Länder einschließlich Gemeinden 1972 Mehreinnahmen von insgesamt 3,9 Milliarden DM erzielt. Für das laufende Jahr 1973 werden es bereits 4,5 Milliarden DM sein. Diese erhebliche Finanzkraftverstärkung führte dazu, daß die Länder Ende 1972 bei einem Finanzierungsdefizit von nur 1,4 Milliarden DM einen Kassenüberschuß von 2,8 Milliarden DM zu verzeichnen hatten. Von Januar bis August 1973 haben die Länder ihre Ausgaben gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 13,8 v. H. erhöht. Ihr Finanzierungsdefizit ist in den ersten acht Monaten dieses Jahres auf 118 Millionen DM geschrumpft. Man erinnere sich bei diesen Zahlendaran, welchen harten Kampf die Länder gefochten haben, als es darum ging, im Rahmen der diesjährigen Schuldendeckelverordnung ihre für 1973 auf 7,1 Milliarden DM geplanten Nettokreditaufnahmen auf 4,3 Milliarden DM zu begrenzen. Demgegenüber hat der Bund seine Ausgaben von Januar bis August 1973 nur um 7,7 v. H. ausgeweitet und mußte ein Finanzierungsdefizit von 1,2 Milliarden DM ausweisen. Die Finanzlage der Länder stellt sich also vergleichsweise günstig dar.Ausgehend vom gegenwärtigen Rechtsstand ergibt sich nach den Ergebnissen des Arbeitskreises „Steuerschätzungen" vom 27./28. August 1973, daß im Durchschnitt der Jahre bis 1977 die Steuereinnahmen der Länder um 10,4, die der Gemeinden um 10,5, die des Bundes aber nur um 7,9 v. H. ansteigen werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Zeitel? — Bitte!
Herr Kollege Möller, welchen Erkenntniswert messen Sie eigentlich diesen Zahlen bei, nachdem in der Zwischenzeit die Bundesregierung ein Steuerprogramm beschlossen hat, das zu ganz anderen Ergebnissen führt?
Diese Steuerreform gilt für den 1. Januar 1975. Ich habe aber ausdrücklich gesagt: „von der gegenwärtigen Rechtslage", und nur von der gegenwärtigen Rechtslage können wir zur Zeit ausgehen, wenn wir uns ein Bild machen wollen. Ich persönlich kann auf Grund dieser Zahlen, die ich vorgetragen habe, höchstens erkennen, daß der Bund alle Veranlassung hätte, eine Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung zu seinen Gunsten von seiten der Länder zu erbitten.Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß noch im Zusammenhang mit der Frage der Finanzausstattung der Gebietskörperschaften eine Anmerkung zu den Auswirkungen der Steuerreform auf die öffentlichen Haushalte machen. Die Bundesregierung hat am 12. und 19. September dieses Jahres neue Beschlüsse zur Steuerreform gefaßt, durch die das Kernstück der Steuerreform, die Reform der Einkommensteuer, um ein Jahr, auf den 1. Januar 1975, vorgezogen wird. Weitere Kabinettsbeschlüsse sind, wie ich höre, morgen zu erwarten. Die mit der Neuregelung verbundene Steuerentlastung kostet Geld. Im Jahre 1975 — nun muß ich wieder schätzen, Herr Kollege Zeitel — werden wir voraussichtlich über 10,2 Milliarden DM weniger verfügen können als nach bisherigem Steuerrecht; 1976 sind es 7,6 Milliarden DM. Deshalb muß bei der zu treffenden Neuregelung des Beteiligungsverhältnisses an der Umsatzsteuer eine Ausgleichsklausel vorgesehen werden, weil die Belastungen durch Steuerausfälle und Haushaltsmehrbelastungen von allen Gebietskörperschaften unter Beachtung der vorhandenen Relationen gemeinsam zu tragen sind. In diesem Punkt gibt es hoffentlich keine Meinungsverschiedenheiten.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird sowohl in der Haushaltspolitik als auch in der Rea-
Metadaten/Kopzeile:
3594 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerlisierung der Steuerreform der Aufforderung des Bundesfinanzministers folgen und mit der Bundesregierung und dem Koalitionspartner das uns gesetzte Ziel zu erreichen versuchen, wirtschaftliche Stabilität und gesellschaftlichen Fortschritt zu sichern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einige Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege Möller soeben vorgetragen hat. Offenbar fällt es der Koalition einigermaßen schwer, die Frage zu beantworten, wie sich eigentlich die Länderseite bei einer Bundestagsdebatte verhalten soll. Ist von der Länderseite niemand da und nimmt niemand Stellung, dann kommt der Vorwurf, offenbar sei das so uninteressant, daß die Länderseite hier nicht vertreten sei. Greift der Ministerpräsident eines Landes in die Debatte ein, erhebt man den Vorwurf, die Opposition habe irgend jemanden herbeigeholt, weil sie offenbar selbst nichts dazu zu sagen habe. Ich möchte Sie also sehr darum bitten, uns vielleicht einmal zu verraten, welcher Weg der richtige ist.In der Sache selbst hat Ministerpräsident Stoltenberg in aller Deutlichkeit gesagt, eine besondere Erschwerung des Bund-Länder-Verhältnisses trete da- durch ein, daß von seiten des amtierenden Finanzministers immer wieder der beliebte Vorwurf erhoben werde, die Länderseite beteilige sich an der Stabilitätspolitik nicht in dem notwendigen Maße. Natürlich ist es für die Länder schwierig, einerseits alle Anforderungen zu erfüllen, die gerade auch durch die Programme des Bundes an sie gestellt werden. Andererseits müssen sie dann wieder diesen Vorwurf hören.Herr Kollege Möller, Sie haben mit Ihrer Bemerkung, daß ein Lenkungsausschuß, ein gemeinsamer Ausschuß, die Gemeinschaftsaufgaben zu beschließen habe, formal natürlich recht. Aber Sie verkennen ja sicher auch nicht das psychologische Problem, daß die Länder, wenn der Bund hier etwas ankündigt, wenn er Programme und Mitfinanzierungen in Aussicht stellt, schließlich doch in einen politischen Zugzwang versetzt werden. Das jüngste Beispiel dieser Art hat Herr Stoltenberg heute hier vorgetragen. Er hat darauf hingewiesen, daß Minister Dohnanyi zwar große Dinge angekündigt, aber auf die Frage, wie denn die gemeinsame Finanzierung aussehen solle, keine klare Antwort gegeben hat, so daß die Finanzierung des ambitionierten Programms im Hochschulbereich bisher nicht klar ist. Man ist ohne Ergebnis auseinandergegangen. Hinterher bekam die Länderseite wieder den Vorwurf zu hören, sie sei offenbar nicht willens mitzugehen. Ich möchte sagen: auf dieser Basis kann das Verhältnis sicherlich nicht verbessert werden. Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß der Bundesfinanzminister erst einmal die Möglichkeiten ausschöpfen sollte, die er hat, bevor er hier die Grundsatzfrage einerÄnderung des Grundgesetzes aufwirft. Es gibt noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Ich habe in der Haushaltsdebatte des letzten Jahres z. B. darauf hingewiesen, daß es als erstes notwendig wäre, eine völlige Vergleichbarkeit der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden herzustellen. Sie werden sich erinnern, Herr Kollege Möller, das war auch eines der Hauptanliegen der Haushaltsreform, die wir damals durchgeführt haben. Wir wollten mit Hilfe der Datenverarbeitung genau diese Apparatur schaffen, um eine Einheitlichkeit, eine Vergleichbarkeit herzustellen. Das ist aber nur einer der Punkte, die als Möglichkeit durchaus noch gegeben wären.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich einige Anmerkungen zu dem machen, was in der Haushaltsdebatte heute den Haushaltsteil betroffen hat. Es ist ja ein ganz interessanter und merkwürdiger Vorgang, daß die Koalition und die Minister verlangen, von uns reiches Lob zu bekommen, wenn die Preissteigerungsrate jetzt bei 6,4 % liegt. Es ist überhaupt eine Gefahr, daß man sich im Eifer dessen, was in den letzten Monaten hier zu bewältigen war — z. B. im Juni eine Preissteigerungsrate von 7,9 % , nicht mehr darauf besinnt, von welcher Ausgangsbasis diese Regierung im Jahre 1969 eigentlich ausgegangen ist.
Sie ist jetzt etwa vier Jahre im Amt. Es ist einfach notwendig, daran zu erinnern, daß der Grundfehler darin lag, daß man in diesen vier Jahren in diese Situation geraten ist, von der man jetzt meint, man könne sie nur noch in beschränktem Rahmen bewältigen. Es ist eine lange, leidvolle Geschichte von der Regierungserklärungsdebatte des Jahres 1969, als wir das Angebot des Stabilitätspaktes gemacht haben, bis zum Februar 1970, als die Deutsche Bundesbank ein Paket an konkreten Stabilisierungsmaßnahmen vorgeschlagen hat, zu einer Zeit, als die Preissteigerungsrate noch nicht 4 % erreicht hatte.Ich möchte heute abend nicht mehr die ganze lange Liste der Fehlentscheidungen und der Widersprüche, die in den Jahren 1970, 1971, 1972 zu verzeichnen waren, hier vortragen. Herr Kollege Möller, ich glaube, Sie sind der beste Kronzeuge, denn schließlich sind Sie damals nicht aus reinem Mutwillen oder, wie Sie mit Recht auch im Fernsehen gesagt haben, aus Alters- und anderen Gründen von dem Amt des Bundesfnanzministers zurückgetreten.
Es ist vom Herrn Bundesfinanzminister mit einer gewissen Süffisanz davon gesprochen worden, es sei Sache der Opposition, wenn sie sich entscheide, keine Alternativen aufzuzeigen; die Bevölkerung werde sich ja darauf ihren Reim machen. Ich gehöre auch zu denjenigen, die mit den Versuchen zu Alternativen eine leidvolle Erfahrung machen mußten. Ich erinnere nur an einen Vorgang aus dem Jahre 1970, als man diese Tendenzen wirklich noch in den Griff hätte bekommen können. Damals habe ich namens der Haushaltsgruppe der CDU/CSU vorgeschlagen, in der Zeit eines immer mehr erkennbaren Baubooms gewisse Hochbauten seitens des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3595
Dr. AlthammerBundes zurückzustellen. Wir mußten dann lesen, die SPD habe in der Öffentlichkeit verbreitet, die CDU/CSU schlage zur Konjunkturdämpfung vor, keine Straßen mehr zu bauen, keine Schulen mehr zu bauen usw.Nehmen Sie einen Fall aus der jüngsten Zeit dieser Entwicklung. Am vergangenen Freitag hat der Kollege Jaschke hier von diesem Platz aus — zum angeblichen Beweis, daß es nur mit Mühe möglich gewesen sei, eine Dynamisierung der Kriegsopferrenten gegen den Widerstand der CDU/CSU herbeizuführen — eine Äußerung von mir aus dem Haushaltsausschuß zitiert. Ich möchte Ihnen diesen Fall nur vorführen, damit Sie sehen, wie hier mit dem Versuch, Alternativen aufzuzeigen, umgegangen wird. Der Herr Kollege Möller war ja damals als Bundesfinanzminister im Haushaltsausschuß anwesend. Ich weiß nicht, ob er sich noch an die Diskussion über die Frage erinnert,
ob die Finanzierung der Dynamisierung der Kriegsopferrenten sichergestellt ist.
— Ich werde gleich das Zitat bringen, Herr KollegeMöller; vielleicht stellen Sie die Frage noch zurück.
Herr Kollege Jeschke hat hier folgendes Zitat gebracht — laut Protokoll vom 10. Dezember 1969 —:Abg. Dr. Althammer macht darauf aufmerksam, daß im Plenum ein Stillhalteabkommen dahin geschlossen worden sei, bis auf bestimmte Ausnahmen keine ausgabenwirksamen Anträge zu stellen, solange die mittelfristige Finanzplanung der neuen Bundesregierung nicht vorliege. Die nach § 56 des Gesetzentwurfs vorgeschlagene Regelung widerspreche diesem Übereinkommen.Dann zitiert er aber einen Satz nicht, der im Protokoll als nächster Satz steht. Dieser Satz lautet:Der Nachholbedarf für die Kriegsopfer sei unbestritten und solle in dem Gesetzentwurf voll berücksichtigt werden.Dann fährt er mit dem Zitat wieder fort, tut also so, als ob von unserer Seite nicht genau das hier gesagt und festgelegt worden wäre. Und er vermeidet es natürlich auch, den Schlußsatz des Protokolls zum Abschluß dieser Debatte zu zitieren, wo ich für die Fraktion der CDU/CSU im Haushaltsausschuß erklart habe, meine Fraktion sei auf Grund der Ausführungen der Bundesregierung bereit, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
— Herr Minister, vielleicht erinnern Sie sich daran,daß wir damals gesagt haben: Es besteht die Absicht, bis zur Vorlage der nächsten mittelfristigenFinanzplanung ein finanzielles Stillhalteabkommen einzuhalten. Wir haben uns dann im Haushaltsausschuß über die Möglichkeiten der Dynamisierung und die Finanzierung unterhalten. Der Abschluß dieser Diskussion, die von Finanzleuten verantwortlich geführt wurde — wir machen doch kein Geheimnis daraus, daß auch in Ihrem Hause diese Fragen diskutiert worden sind, wie die Finanzierung aussehen soll —, bestand darin, daß die einvernehmliche Zustimmung zu dieser Dynamisierung vorgesehen war. Aus diesen Zitaten macht der Kollege Jaschke den Versuch, zu dokumentieren, daß wir dagegen gewesen seien!Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man solche Erfahrungen machen muß, wie hier versucht wird, die Fakten durch Auslassungen auf den Kopf zu stellen, dann ist man, wenn es um die Fragen der Alternativen geht, natürlich vorsichtig. Aber seien Sie unbesorgt! Wir werden auch in diesem Punkt unsere Vorschläge machen.
Ich möchte Ihnen schon heute einiges ankündigen, wobei ich meine, daß wir uns im Haushaltsausschuß darüber vielleicht einigen können. Wir werden uns, Herr Kollege Haehser, bei den Beratungen im Haushaltsausschuß diesmal die Zeit nehmen müssen, einige zentral wichtige Gesamtkomplexe in Ihrer Finanzierung darzustellen.
Dazu gehört z. B. das Personalproblem. Sie wissen, daß in der letzten Zeit sehr viele öffentliche Diskussionsbeiträge darüber gekommen sind, wie sich die Finanzierung der Personalkosten im Zusammenhang mit der finanziellen Bewegungsfreiheit der Haushalte überhaupt darstellt, wobei ich gern zugebe, daß nicht in erster Linie der Bund, sondern sehr viel stärker Länder und Kommunen betroffen sind.Ich möchte hier auch ganz klarstellen — wiederum aus leidvoller Erfahrung —, daß wir uns natürlich nicht der Illusion hingeben, daß die öffentlich Bediensteten etwa nicht ebenso wie andere Arbeitnehmer am Einkommenszuwachs teilnehmen sollten. Sie können und sollen davon nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr meine ich, daß die Diskussion an ganz anderen Punkten ansetzen muß. Wir haben hier Vorbilder — in dem Fall begrüße ich solche Vorbilder — aus Schweden und Finnland, wo einmal die Effizienz der Personalverwaltung untersucht worden ist. Dabei werden wir uns auch überlegen müssen, wie die Leistungsansprüche an die Bürokratie eingeschränkt werden können.Ich darf jetzt auch ein Beispiel aus der letzten Informationsfahrt des Bundestages nach Rheinland-Pfalz bringen. Wir haben dort in Landau gehört, welcher Papierkrieg notwendig ist, um einen Friedensdienstleistenden an einen Platz der Altenhilfe oder der Behindertenfürsorge zu bringen. Da muß man sich doch einmal die Frage stellen, ob diese Verbürokratisierung mit Formularen und dem Hin und Her nicht eingeschränkt werden kann.
Metadaten/Kopzeile:
3596 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. AlthammerIch glaube, wenn wir, Regierung und Parlament zusammen, uns hier bemühen, die Leistungseffizienz der öffentlich Bediensteten zu verstärken, dann werden wir auch sehen, daß es möglich sein wird, in diesem Bereich von einer weiteren Lawine der personellen Ausdehnung abzusehen.Ich möchte einen zweiten Punkt anschneiden. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich genauso wie im letzten Jahr auch diesmal sehr viel darauf zugute getan, daß er die Personalmehranforderungen in Grenzen gehalten hat. Letztes Jahr hat er erklärt, daß keine neuen Stellen gefordert seien, daß dafür aber 2000 Stellen einzusparen seien. Was ist wirklich passiert, meine sehr verehrten Damen und Herren? Hinterher haben wir elf Einzelvorlagen mit Personalnachforderungen mit einer Gesamtanforderung von 1400 Stellen bekommen. Das alles ist hier unterschlagen worden.
— Sicherlich ist ein Teil der Stellen notwendig gewesen. Ich sage hier, es ist unterschlagen worden bei diesen Erklärungen, daß man keine neuen Stellen anfordere und noch 2000 Stellen einspare.Herr Kollege Haehser, wir sollten uns im Parlament vornehmen, von der Regierung zu verlangen, daß sie, wenn sie solche Dinge tut — das gilt jetzt nicht nur für den Personalsektor, sondern auch für Sachausgaben —, endlich von der Möglichkeit eines Nachtragshaushalts Gebrauch macht, den wir extra mit einem erleichterten Verfahren eingeführt haben, um dem Parlament insgesamt eine Entscheidungsmöglichkeit zu geben.
Ich halte es nicht für angängig, daß auf die Dauer z. B. Nachforderungen auch von der EWG in Höhe von einigen Milliarden einfach im Nachverfahren durch den Haushaltsausschuß geschleust werden und daß das Gesamtparlament davon kaum Kenntnis erhält.
Hier müßte wirklich das Institut des Nachtragshaushalts eingeführt werden.
— Herr Kollege Sperling, ich habe jetzt darauf hingewiesen, was wir uns für den Haushalt 1974 vornehmen sollten. Ich habe bis zur Widerlegung immer noch die Hoffnung, daß wir uns vielleicht auf diese Dinge einigen können. Aber ich meine, es ist auch für das Gesamtparlament durchaus interessant, einmal zu hören, was alles eigentlich am Parlament vorbei finanziert wird. Ich darf Ihnen sagen, auch den Mitgliedern des Haushaltsausschusses ist keineswegs wohl, wenn sie sehen, daß sie solche Entscheidungen auf ihre Kappe nehmen müssen.
Ganz im Gegenteil, wir wünschen, daß diese Fragen insgesamt angepackt werden.Ein dritter Punkt, der uns ernsthaft beschäftigen müßte jetzt nur als Beispiel herausgegriffen —, ist die Lage unserer großen Sondervermögen, Bundesbahn und Bundespost. Wir müssen uns auch im Haushaltsausschuß einmal die Zeit nehmen, diese Probleme grundsätzlich durchzuarbeiten. Ich muß Ihnen offen sagen, was der Herr Bundesfinanzminister als großen Sanierungsplan für die Bundesbahn vorgetragen hat daß man den Omnibusdienst von Bahn und Post zusammenlegen will und noch einige andere Dinge --, kann für mich nicht die Lösung des Problems bei der Bundesbahn sein, ganz abgesehen davon, daß es darüber schon vor etlichen Jahren Gutachten gegeben hat, die alle am Egoismus der verschiedenen Einrichtungen gescheitert sind.Oder nehmen Sie die Situation bei der Bundespost. Ich glaube, es war auch zu dünn, wie der Herr Bundesfinanzminister hier nur ganz vage darauf hingewiesen hat, daß die Bundespost vielleicht im nächsten Jahre in Schwierigkeiten geraten könne. Wir sehen auf der anderen Seite die enormen Kreditanforderungen, die von diesen beiden Sondervermögen des Bundes auf uns zukommen. Wir haben auch schon gehört, daß ganz gehörige Gebührenerhöhungen bei der Post im Gespräch sind: Erhöhung des Briefportos auf 50 Pfennig, Anhebung anderer Gebühren — Paketbeförderung —, Erhöhung bei den Telefongebühren usw. Darüber hätten wir sehr gerne hier bei der ersten Beratung des Haushalts etwas Konkreteres und etwas Näheres gehört.Lassen Sie mich nur noch eine Anmerkung zu diesem grundsätzlichen Problem der Bewertung der Zuwachsrate machen, damit auch das nicht ganz aus dem Gedächtnis schwindet. Wenn hier schon gesagt worden ist, daß 10,5 °/o konjunkturneutral sein sollen, dann meine ich, daß bei diesen alarmierenden Preissteigerungsraten der letzten Monate eine bloße Konjunkturneutralität nicht genügt, sondern daß da von den öffentlichen Ausgaben her schon ein bißchen mehr geschehen muß. Es ist ja auch interessant, daß man sich heute weithin schon gar nicht mehr daran erinnert, daß eigentlich nicht die nominale Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts entscheidend, Richtschnur für den Zuwachs der öffentlichen Ausgaben sein kann, sondern daß der reale Zuwachs hier entscheidend sein müßte. Denn in der nominalen Zuwachsrate — 10,5 % geschätzt für 1974 — ist ja der Inflationsfaktor schon enthalten. In früheren Jahren, als Professor Erhard noch Bundeskanzler war, war es eine Selbstverständlichkeit, daß man, ausgehend von der realen Zuwachsrate, die für das nächste Jahr zwischen 3 und 4 % geschätzt wird, die Forderung erhebt, daß in Zeiten von so großen Preissteigerungen dann eben antizyklisch mit den öffentlichen Ausgaben verfahren werden muß.
Ich möchte, obwohl die Zeit jetzt vielleicht schon etwas vorgeschritten ist, doch noch einige Anmerkungen zu dem Themenkreis machen, den Professor Ehmke ganz überraschend angeschnitten hat, einen Themenkreis, der sicherlich ganz andere Dimensionen hat als das, was wir heute im Haushaltsbereich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3597
Dr. Althammerdiskutiert haben. Aber für mich war sehr interessant, Herr Professor Ehmke, wie Sie die geistigen Verhältnisse und die geistigen Kräftegewichte in unserem Lande sehen.Sehen Sie, in früheren Jahren — das sage ich jetzt ganz ernst und ganz kritisch — gab es zwischen den demokratischen Parteien in diesem Lande ein gewisses Einvernehmen, eine gemeinsame Basis, bei der sie sich klar waren, daß sie sich abzugrenzen und zu distanzieren hatten gegenüber Linksradikalen und Rechtsradikalen. Jetzt sehen wir zunehmend, daß durch die verschiedensten Beiträge versucht wird, den Graden mitten durch diese demokratische Basis in unserem Lande zu schlagen, indem man sagt: das eine sind die Konservativen und das andere sind die Progressiven.Sie werden sicherlich einwenden, Sie meinten das Etikett „konservativ" natürlich keineswegs im negativen Sinn. Trotzdem haben Sie sich bei der Geistesgeschichte dieser Konservativen immer wieder bezogen auf das, was aus dem 19. Jahrhundert kommt. Da ist natürlich nicht auszuklammern, was mit diesem konservativen Gedankengut in der Weimarer Zeit geschehen ist, inwieweit es dann Nährboden war für das, was 1933 und danach geschehen ist. Sehen Sie, deshalb meinen wir, diese Unterscheidung in einerseits progressiv und andererseits konservativ können wir nicht akzeptieren. Denn es ist doch eine Erfahrung der letzten 50 Jahre, daß das, was das Etikett „progressiv" trägt, zum Teil in einem Umschlag, nämlich im kommunistischen Bereich, zu dem schlimmsten bürokratischen totalitären System geführt hat.
Darum meine ich, wir sollten wenigstens bei uns immer wieder diese gemeinsame Basis festhalten. Sie werden die gleiche Erfahrung gemacht haben wie ich: Es ist gerade bei der Diskussion mit unserer Jugend schon schwer genug, diese Basis zu halten und nicht zu sagen: Hier sind die Linken von Sozialisten bis zu den Kommunisten, dort sind die Rechten, die man möglichst in die NPD- und NSDAP-Ecke drängen will. Wir sollten das nicht tun. Wir sollten wirklich die gemeinsame Basis aufrechterhalten. Das ist für mich wirklich eines der zentralsten Anliegen:
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sperling?
Bitte schön.
Herr Kollege Althammer, würden Sie denn wenigstens zugestehen, daß so, wie Sie die Dinge darstellen, die Konservativen hier im Lande mit den Kommunisten woanders gemeinsam haben, der Demokratisierung entgegenzuwirken?
Herr Kollege Sperrling, ich glaube, Sie sollten das, was ich soeben ausgeführt habe, wirklich so erst nehmen, wie das gemeint ist. Es ist nämlich wirklich eine Frage für den Fortgang unserer Demokratie bei uns im Lande.
Ich möchte ein Zweites sagen, Herr Professor Ehmke. Schauen Sie, Sie haben gesagt, man würde bei uns die Keule des Linksradikalismus herausholen, um beim Bürgertum gewisse Affekte zu mobilisieren und ähnliches mehr. Man sollte sich, meine ich, bei uns doch darüber einig sein, woher heute und in diesem Lande die echte politische Gefahr kommt.
Da kann man doch, wenn Sie nur die Berichte des Bundesinnenministers nachlesen, nicht im Ernst behaupten, daß zur Zeit von der rechten Seite eine effektive Gefahr ausgeht.
Sie müssen doch auf der anderen Seite sehen, daß es bei den Linken diese akute Bedrohung mit der Baader-Meinhof-Bande gegeben hat und daß das alles nicht ausgestanden ist. Darum ist es doch legal und berechtigt, daß man diese Dinge herausstellt. Es ist doch kein Zufall, daß mehr und mehr sozialdemokratische Professoren — nun spät genug, würde ich sagen — diese Dinge erkennen und daraus ihre Konsequenzen ziehen.Lassen Sie mich noch ein weiteres dazu sagen. Auch das ist hochinteressant. Hier hat Herr Professor Ehmke einen Gegensatz etwa in der Weise aufgestellt, daß es Leute gebe — er hat beiläufig den Namen Bruno Heck genannt —, die der Meinung wären, das Leistungsprinzip wäre mit Demokratie nicht vereinbar, und auf der anderen Seite der Meinung, daß die Demokratisierung eben das Prinzip und das Problem unserer Tage sei. Auch hier werden wieder Ebenen verschoben. Was ist denn der Diskussionspunkt bei uns? Wir stellen sehr konkret die Frage, ob das, was wir im politischen Bereich als demokratische Spielregeln aufstellen und praktizieren, überhaupt in sämtlichen Bereichen der Kulturpolitik und Wirtschaftspolitik möglich und durchsetzbar ist, ohne daß eine Sachgefährdung auf diesem Gebiet eintritt. Das ist doch der Problemkreis, den ein Mann wie unser Kollege Heck hier angesprochen hat und der schließlich in die Frage mündet, ob durch eine falsche Anwendung von Prinzipien, die in der Politik völlig berechtigt sind, am Ende nicht in Bereichen der Kulturpolitik, sprich Hochschulverwaltung, oder in Bereichen der Wirtschaftspolitik genau der Gegeneffekt erreicht wird und die Freiheit in diesen Bereichen aufgehoben wird.
Ich würde für meine Person sogar hinzusetzen: eventuell die Freiheit auf Sachentscheidungen ohne Politisierung aufgehoben wird. Darin scheint mir auch ein sehr schwerwiegendes Problem zu liegen, daß man heute durch eine falsche Anwendung solcher Prinzipien immer mehr Sachprobleme verpoli-
Metadaten/Kopzeile:
3598 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Dr. Althammertisiert, die durch die Verpolitisierung verdorben werden, weil sie sich dafür nicht eignen.
Ich muß das jetzt im Telegrammstil sagen, weil eine grundsätzliche Debatte vielleicht doch etwas mehr Zeit erfordern würde.Ich darf aber doch einmal sehr nachdrücklich darum bitten, Herr Professor Ehmke: Begeben wir uns nicht in die Gefahr — auch wenn Sie vielleicht gelegentlich das Bedürfnis haben, aus innenpolitischen Erwägungen heraus solche Dinge vorzutragen —, daß wir als die politisch Verantwortlichen einen Graben weiter mit ausbauen, der mitten durch die demokratischen Parteien hindurchgeht, und ein Freund-Feind-Verhältnis zwischen bisher staatstragenden demokratischen Parteien aufbauen, denn den Schaden davon hätte unsere Demokratie.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allem Respekt für die Bedeutung der Haushaltspolitik und das Gewicht der Etatberatung möchte ich doch bemerken, daß es mehr Pflichtgefühl ist als die Lust an der Debatte, die mich zu dieser späten Stunde noch hier ans Rednerpult gebracht hat.
) Ich möchte in Konsequenz dieser Erkenntnis, die uns inzwischen wohl allen zuteil geworden ist, mich auch in Selbstbescheidung üben. Deshalb einige kurze Bemerkungen in Kurzfassung vorab.Der muntere Kollege Wohlrabe hat sich hier wieder einmal als Parlamentshummel in der Debatte betätigt, wenn ich so formulieren darf. Aber jeder bestimmt seine Funktion in diesem Hause selbst, und ich will ihm auch bescheinigen, daß er mit seinem Beitrag die Debatte zu der damaligen Zeit wieder belebt hat und daß er den Bundesfinanzminister zu einer kurzen und herben Antwort provoziert hat,
die wohltuend war. Ich darf noch hinzufügen, daß dann auch noch der Kollege Schröder kurz nachgebrummt hat. Er hat mit einer Darstellung über die Christenverfolgung im öffentlichen Dienst hier gewissermaßen einen kurzen Psychoschocker ausgebreitet. Wir sollten bei allem Interesse für diese Beiträge möglichst schnell zur sachlichen Arbeit am Haushalt zurückfinden und in der zweiten Lesung noch einmal prüfen, was von den Argumenten Bestand behalten hat.Die Opposition hat es in dieser Auseinandersetzung schwer. Schließlich bietet der Entwurf des Haushaltsplans 1974 nur wenig Angriffsflächen für eine berechtigte Kritik, denn er ist von vornherein als Mittel für eine konjunkturgebremste Reformpolitik angelegt worden. Die Forderung nach noch mehr Stabilitätsbewußtsein bei den öffentlichenHänden — hier an die Adresse der Bundesregierung gerichtet — hält sich, so meine ich, mit dem Verlangen nach der Bereitstellung von mehr Ausgabemitteln für die Bewältigung gesellschaftspolitischer Aufgaben die Waage. Die Bundesregierung hat, so meine ich, den Entwurf in eine aus ,diesem Zielkonflikt geschneiderte Zwangsjacke eingepaßt. Das Mäntelchen ist knapp, aber, wie wir hoffen, nicht zu kurz geraten.Dennoch hat die Opposition nicht mit Kritik gespart. Aber warum sollte sie auch? Denn schließlich ist es der einzige Bereich, in dem nicht gespart zu werden braucht.
Welche Argumente wir in der zweiten Lesung als richtig zu bestätigen haben werden, wollen wir im Augenblick offenlassen. Manchmal hat man jedenfalls Mühe, mit Geduld all das anzuhören, was die CDU/CSU im Augenblick dem Parlament und auch den politischen Normalverbrauchern in der Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik im einzelnen zumutet.Wenn es den Funk- und Fernsehanstalten oft schwerfällt, ein gutes Kontrastprogramm zustande zu bringen, — die Opposition scheint damit keine Schwierigkeiten zu haben. Es ist nicht so, daß sie eine Alternative für die Regierungspolitik anbietet; nein, aus dieser Verpflichtung hat sie der Herr Kollege Strauß heute in seinem Beitrag umfassend entlassen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, begnügen sich damit, das Kontrastprogramm Ihrer eigenen Politik darzustellen und die Kontraste in Ihren eigenen Reihen sichtbar zu machen. Einerseits beschwören Sie in der Debatte den Zwang zur Stabilität, andererseits muten Sie uns gleichzeitig den Sündenfall in der Konjunkturpolitik zu. Mit diesem Widerspruch müssen Sie selbst fertigwerden.In Ihrer Argumentation haben Sie sich an den exakten Daten der wissenschaftlichen Institute vorbeidrängeln müssen, um den Widerspruch zwischen Steuererleichterungen zur Unzeit und der damit verbundenen unsinnigen Konjunkturbelebung nicht zu spüren. Aber ich habe durchaus ein gewisses Verständnis dafür, daß die CDU an dieser Stelle bewußte Imagepflege betreibt. Wer sollte ihr verübeln, daß sie sich darum bemüht, einen erkennbaren Nachholbedarf auf dem Gebiet des sozialen Fortschritts zu decken?
Sie selbst haben sich doch durch Ihr eigenes
Verhalten ein Etikett aufgeklebt, das Sie jetzt verständlicherweise gern auswechseln möchten.
— Nein. Aber dabei --- das rate ich Ihnen an — sollten Sie im eigenen Interesse sorgfältiger vorgehen. Blinder Eifer schadet hier nur. Ich rate Ihnen an, die Empfehlung zu 'übernehmen, an dieser Stelle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973 3599
Hoppenicht zu überziehen. An diesem Platz ist der Rat sogar passend.
Wenn Sie sich nicht so verhalten, müssen Sie sich eines Tages nachsagen lassen, daß Sie partiell auf die Argumentation und auf das Niveau der Argumentation herabgestiegen sind, die Sie beim Gelben Punkt so rügen.
Der Kollege Strauß hat in seinen Ausführungen dem Bundesfinanzminister Mitleid angeboten. Die Opposition sollte mit diesem Angebot rationeller umgehen; denn es könnte sein, daß Sie Ihre Leidensfähigkeit mit Selbstmitleid schnell verbraucht haben.Bei der politischen Generaldebatte und bei den von ihm vorgetragenen Generalangriffen — in eine Etataussprache durchaus hineingehörend und berechtigt — haben Herr Strauß und, wie ich meine, seine Fraktion sich mit schönen Wortspielen ergötzt. Ich habe dafür einen Nerv. Aber wenn sich diese Methode nicht selbst verbrauchen soll, dann muß die Pauschalkritik in ihrer Berechtigung irgendwo am Einzelobjekt sichtbar und beweisbar gemacht werden. Genau daran hat es gefehlt. Herr Kollege Strauß hat Gefühle angerührt, er hat in Insolvenzen geradezu gebadet. Wer aber die freiheitlich-demokratische Wirtschaftsordnung, wer unsere Marktordnung verteidigen und an ihr festhalten will — und das wollen wir —, der darf, so meine ich, nicht so vordergründig und grobflächig argumentieren, fast kann man sagen: agitieren.Bei der sehr allgemeinen Klage über zu geringe Investitionen — und hier hat Herr Kollege Leicht in seinem Beitrag dann assistiert — ist von Herrn Strauß zunächst doch ein sehr buntes Sträußchen an wünschenswerten Mehrausgaben gewunden worden. Alle werden wir diese Wünsche aus vollem Herzen unterstützen. Nur, vor dem Hintergrund dieser Argumentation, vor dem Hintergrund dieser, vielleicht berechtigten, Mehrforderungen, bei dem Appell, mehr Zukunftsinvestitionen zu finanzieren, nimmt sich die Kritik an der Ausgabenseite doch etwas hohl aus — ich habe nicht „Kohl" gesagt —, und ich meine, wenn wir das aufnehmen, was der Kollege Strauß so gern mit „input, output" an dieser Stelle in die Debatte wirft und was er dann mit der Computerdemokratie anschließt, so darf ich sagen: Wenn wir das, was er heute hier ausgeführt hat, in den Datenspeicher gäben, käme allerdings aus dem Computer überhaupt nichts mehr heraus. Denn das war unverdaubar.
Herr Kollege Leicht hat sich in seinem Beitrag dann sehr wohl an die Haushaltsprobleme herangemacht. Vielleicht könnte ich sagen, er hat dabei — zwar nicht nur, aber fast nur — ungelöste Probleme gesehen. Wenn ich so argumentierte wie HerrKollege Strauß, müßte ich jetzt sagen: Sind's die Augen, geh' zu Ruhnke!
Genau diese Form der Auseinandersetzung möchte ich hier nicht übernehmen.Ich gestehe dem Herrn Kollegen Leicht gerne zu, daß die Finanzplanung, von der er gesprochen hat, und ihre Wirkung auf die jährliche Haushaltsgestaltung ein genauso ernstes Thema sind wie die Entwicklung der Bindungsermächtigungen, die Entwicklung der Personalkosten und die Einschätzung der Haushaltsrisiken. Aber wenn er auf eine Zwischenfrage des Parlamentarischen Staatssekretärs Hermsdorf meint, daß er nicht befugt sei, der Regierung Empfehlungen für ein anderes Verhalten und für andere Maßnahmen zu geben, würde ich ihm gern mehr Mut zur Amtsanmaßung machen.Und doch bin ich der Auffassung, meine Damen und Herren, daß die insgesamt sehr vollmundige Kritik bis zur zweiten Lesung des Haushaltsplans etwas schal werden wird. Dann wird sich zeigen, daß das Haushaltsbuch nicht so schlecht ist, wie es uns die Sprecher der Opposition weismachen wollen.
Hören wir deshalb in der ersten Lesung endlich mit Wahrsagungen auf!
Lassen Sie uns mit dem Haushaltsausschuß an die Arbeit gehen. Es wird sich zeigen, daß der Haushaltsplan eine angemessene Antwort auf die sich zur Zeit anbietenden und die sich uns stellenden Fragen gibt.Ich glaube, daß der Herr Kollege Althammer mit seinem Beitrag auf diese notwendige sachliche Politik, die es zu bewältigen gilt, hingewesen hat. Anschleßend an seinen Beitrag darf ich nur noch sagen, daß sich alle Fraktionen dieses Hauses des Problems der Stellenentwicklung mit der notwendigen Ernsthaftigkeit angenommen haben, die wir alle anzuwenden haben, wenn es um eine wirksame Finanzkontrolle geht. Herr Kollege Althammer, es wäre schön gewesen, wenn Sie bei Ihrem Hinweis auch noch angefügt hätten, daß Sie die Unterstützung der beiden Regierungsfraktionen immer dann bekommen haben — auch bei der Ablehnung von Stellen, wie die Regierung gefordert hat —, wenn sie uns sachlich gerechtfertigt erschien. Und dabei, meine Damen und Herren, soll es auch in Zukunft bleiben. Wir werden auch als Koalitionsfraktion unsere Finanzverantwortung ernst nehmen, und wir werden uns nicht zu einem Jubelchor für Regierungsbestätigung denaturieren lassen.
Nein, meine Damen und Herren, wir werden darauf achten, daß die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit beachtet werden. Wir wollen jedoch der Regierung auch jene Unterstützung leihen und ihr die Mittel zur Verfügung stellen, die sie braucht, um eine Politik im Sinne des Gemein-
Metadaten/Kopzeile:
3600 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Oktober 1973
Hoppewohls und im Interesse der Bürger dieses Staates zu betreiben.
Auf Grund einer interfraktionellen Absprache unterbrechen wir die Aussprache. Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 26. Oktober 1973, 9 Uhr ein.
Ich schließe die heutige Sitzung des Deutschen Bundestages.