Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer Absprache im Ältestenrat soll Punkt 24 der Tagesordnung — Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP und Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Sicherheitspolitik der Bundesregierung — abgesetzt werden. Dafür soll die Tagesordnung um die Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung erweitert werden. — Das Haus ist damit einverstanden; dann werden wir so verfahren.
Außerdem haben wir im Ältestenrat gestern festgelegt, daß der Bericht 1970 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Ihnen liegt die Drucksache VI/ 1942 vor — gemäß § 116b Abs. 1 der Geschäftsordnung dem Verteidigungsausschuß unmittelbar überwiesen werden soll. — Das Haus ist damit einverstanden; dann ist es so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat am 24. März 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Gruhl, Josten, Frau Tübler, Dr. Hammans und Genossen betr. Salzfracht des Rheinwassers — Drucksache VI/1915 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2016 verteilt,
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat am 24. März 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt , Gewandt und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Verteilung von Bundesmitteln für Aufgaben der Verbraucheraufklärung — Drucksache VI/1910 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2019 verteilt.
Ich rufe Punkt 1 der heutigen Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen VI/ 1983, VI/2012
Wir kommen zunächst zu den in der Drucksache VI/2012 vorliegenden Dringlichen Mündlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
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6506 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6507
— Ich wünschte, daß der Herr Prasident eben den Zuruf des Herrn Apel gehört hätte, den ich als ganz unerhört empfinde.
Herr Minister, ich wiederhole die Frage: Halten Sie es nicht hinsichtlich der Schwierigkeit der Probleme, um die es geht, für geboten, den Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU vertraulich über den vollen und nicht ausgewählten Inhalt der Moskauer Protokolle zu unterrichten?
Herr Kollege Marx, darf ich, bevor ich die Frage beantworte, auf den Zwischenruf von Herrn Kollegen Apel eingehen und sagen: Ich kann nach meiner Erfahrung nur bestätigen, daß das, was man Herrn Kollegen Barzel in die Hand gibt, immer so vertraulich bleibt, wie es vereinbart worden ist.
Das ist aber nicht die Frage, sondern die Frage ist, daß es internationalen Gepflogenheiten völlig widersprechen würde, wenn man die Einzelprotokolle der Verhandlungen vorlegen würde. Wir haben uns auch im Westen darüber orientiert, ob es das sonst gibt. Das gibt es nicht. Das hat es auch früher nicht gegeben. Auch auf diesem Gebiet ist es so, daß die Unterrichtung der Opposition weit über das hinausgeht, was es früher von CDU-Regierungen gegeben hat, Herr Kollege Marx.
Wir sind der Meinung, wir sollten auch gegenüber unserem Partner, mit dem die Verhandlungen geführt worden sind und der doch selbstverständlich annimmt, daß diese Protokolle unter den Verhandelnden bleiben, diesen Brauch nicht brechen. Die Bundesregierung wird — das haben wir Ihnen schon gesagt — selbstverständlich in den Ratifizierungsvorgang alles einführen, was für das Verständnis und die Interpretation des Vertrages von Bedeutung ist, z. B. die Erklärung, die von sowjetischer
Seite zur Frage der Art. 53 und 107 der UN-Charta abgegeben worden ist.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mit der Feststellung überein, daß es niemandem erlaubt ist, unter welchem Vorwand auch immer, sich in die inneren Angelegenheiten unseres eigenen Landes einzumischen, und daß die Anwendung der sogenannten Feindstaaten-Artikel tatsächlich obsolet, d. h. veraltet oder überständig oder nicht mehr passend ist und dem Geist der internationalen Zusammenarbeit nicht entspricht?
Herr Kollege Marx, wir sollten die Verwirrung nicht größer machen. Sie haben offenbar im Augenblick nicht in juristischen, sondern in politischen Kategorien gesprochen. Natürlich sind die Art. 53 und 107 ein geltender Teil der UNO-Charta. Sie erstrecken sich im übrigen nicht nur auf die Bundesrepublik, sondern auch auf Japan, Finnland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn.
— Nun, die Friedensverträge mit diesen Ländern haben sich nicht auf diese Artikel bezogen. Natürlich können nicht einseitig die drei Westmächte, die Sowjetunion oder die Bundesrepublik diese Satzungsvorschriften aufheben. Aber im bilateralen Verhältnis, Herr Kollege Marx, von uns zu den drei Westmächten einerseits und — nach diesem Vertragsentwurf — zur Sowjetunion andererseits, wird die Satzungsvorschrift durch diesen Vertrag überlagert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel.
Herr Bundesminister, können Sie mir zustimmen, wenn ich unterstreiche, daß Art. 2 dieses Vertrages ausdrücklich deutlich macht, daß erstens die Feindstaatenklauseln in der Tat überlagert sind, politisch obsolet geworden sind und daß zweitens Protokolle, so wichtig sie sein mögen — auch Herr Adenauer hat der Opposition niemals Protokolle gezeigt —, den Vertragstext nicht überlagern können?
Herr Kollege, ich stimme zunächst einmal zu — politisch, nicht juristisch gesprochen —, daß durch den Vertrag ,die Feindstaaten-Klauseln und ihre Anwendung wirklich obsolet werden. Juristisch habe habe ich mich schon geäußert auf die Fragen von Kollegen — —
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6508 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Bundesminister Dr. Ehmke— Herr Kollege Ahlers hat gesagt: obsolet geworden oder überlagert; wenn Sie den Text nachlesen wollen. Er hat sich also auf beide Interpretationsmöglichkeiten eingelassen.Im übrigen stimme ich Herrn Kollegen Apel zu, daß Protokolle natürlich nicht Verträge überlagern können, daß es aber darauf ankommt, während der Verhandlungen abgegebene zusätzliche Erklärungen der beiden Seiten, die für das Verständnis des Vertrages wichtig sind, mit in den Ratifizierungsvorgang einzuführen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Wrangel.
Herr Bundesminister, Sie haben gesagt, daß die deutsche Öffentlichkeit und die Fraktionen des Deutschen Bundestages zur gleichen Zeit unterrichtet werden. Wie verhält es sich hier mit der Äußerung des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, daß er über alle Materialien bereits verfügt? Wäre das nicht eine ungleiche Unterrichtung?
Daß die Koalition ihre Politik unter sich bespricht und abstimmt, scheint mir doch selbstverständlich zu sein. Die Frage ist hier: Wann geht die Regierung mit dieser Geschichte nach außen? Ich freue mich, aus Ihren Fragen ein Drängen auf die Ratifizierung des Vertrags ahnen zu können, Herr Kollege Barzel.
Wir sind der Meinung, man sollte dann, wenn es soweit ist, alles auf den Tisch legen, was dazugehört.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Wrangel.
Herr Bundesminister, würden Sie zugeben, daß es sich hier nicht um ein Drängen nach Ratifizierung handelt, sondern um eine gleichmäßige Unterrichtung des Deutschen Bundestages?
Herr Kollege, ich würde es bedauern, wenn ich Sie in dem ersten Punkt mißverstanden hätte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Petersen.
Herr Präsident, darf ich eine Zusatzfrage zu Frage 4 stellen?
Ich habe, da alles gemeinsam aufgerufen ist, keine Bedenken. Bitte, Herr Petersen!
Herr Minister, nachdem Sie vorhin geantwortet haben, daß sich die Auffassung von Herrn Falin in der Erkenntnis der Bundesregierung mit der Auffassung der sowjetischen Regierung decke, darf ich fragen, wie sich die Auffassung, die ja in den letzten Tagen einigen Wirbel verursacht hat, daß nämlich die Feindstaatenklauseln wieder angewendet werden könnten, falls wir den Vertrag nach russischer Ansicht nicht erfüllen
— nach sowjetischer Ansicht —, mit dem deckt, was Herr Staatssekretär Bahr nach der Unterschrift in Moskau in der offiziellen Schrift erklärt hat, die die Bundesregierung verteilt hat.
Etwas kürzer, Herr Kollege! Die Fragen müssen kurz gehalten werden.
Jawohl, Herr Präsident. — Wie deckt sich das also mit dem, was Herr Bahr gesagt hat, als er erklärte: Diese Artikel — die Interventionsklauseln — werden vollständig verschwinden; hier hatte die Sowjetunion allein zu verzichten, und dieser Verzicht ist vollständig? Hier liegt doch ein Widerspruch vor.
Herr Kollege Petersen, ich darf wiederholen, daß diese Vorschriften der UNO-Satzung dadurch, daß sie durch den bilateralen Vertrag überlagert werden, verschwinden. Herr Falin hat nach meiner Information auf etwas ganz anderes Bezug genommen, nämlich auf Art. 53 der UNO-Satzung. Darin wird eine Aktion gegen frühere Feindstaaten von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht. Dort heißt es, daß Maßnahmen ergriffen werden können „provided for pursuant to Article 107 or in regional arrangements directed against renewal of aggressive policy".
— Nach Art. 53 der UNO-Satzung, Herr Kollege Petersen. Diese wurde zitiert, aber nicht in dem Sinne, als ob das den Vertrag aufheben würde, sondern die UNO-Satzung setzt zunächst voraus, daß die agressive Politik wiederaufgenommen worden sein muß.
— Das spielt keine Rolle,
denn der Art. 53 wird nun durch den Vertrag überlagert. Es ging um einen bloßen Hinweis auf den Inhalt von Art. 53 der UNO-Satzung.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6509
Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Petersen.
Herr Bundesminister, die Beurteilung genau dieses Punktes, nämlich des „renewal of aggressive policy", ist doch jetzt den Sowjets überlassen, die Beurteilung, wann wir diese „aggressive Politik" erneuern, um dann entsprechend einzugreifen.
Ich darf es noch einmal sagen. Es gibt zwei Fragen. Das eine ist — das ist in dem Gespräch unabhängig von dem Vertrag zur Geltung gekommen, und zwar im Zusammenhang damit, daß sich die Art. 53 und 107 nicht nur auf uns beziehen —, daß gesagt worden ist: Art. 53 kommt nur dann zur Anwendung, wenn ... Das ist eine Auslegung von Art. 53.
Im übrigen ist gesagt worden — und wir stimmen
dem zu —: Die Vorschriften der Art. 53 und 107 werden im bilateralen sowjetisch-deutschen Verhältnis von Art. 2 des in Moskau geschlossenen Vertrages überlagert.
Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, wie kommen Sie zu Ihrer Behauptung, daß frühere Bundesregierungen die damalige Opposition ) über internationale Verhandlungen weniger informiert hätten? Erinnern Sie sich nicht, daß anläßlich der Reise von Bundeskanzler Adenauer nach Moskau ein hockgeachtetes Mitglied der damaligen Opposition, Herr Professor Carlo Schmid,
zur Delegation gehörte, daß er an allen Verhandlungen teilgenommen und einen bedeutenden Beitrag zu diesen Verhandlungen geleistet hat, also unmittelbarer Teilnehmer war, während der derzeitigen Opposition dieses Recht durch die jetzige Bundesregierung bei den Moskauer Verhandlungen ausdrücklich vorenthalten worden ist?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, ich glaube, Sie leiden an einer Erinnerungsstörung.
Die Bundesregierung hat die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich eingeladen.
Aber Ihre Fraktion hat es abgelehnt, mitzukommen.
Eine zweite Zusatzfrage. Ich darf Sie bitten, die Fragen etwas kürzer zu fassen. Wir sind in der Fragestunde. Wir haben eine ganze Reihe von Wortmeldungen. Ich muß der Reihe nach vorgehen.
Herr Bundesminister, ergibt sich nicht im Gegensatz zu Ihrer Behauptung aus dem Brief von Herrn Außenminister Scheel an die Opposition eindeutig, daß die Opposition zwar eingeladen wurde, mitzureisen, daß die mitreisenden Oppositionsmitglieder aber nicht Mitglieder der Delegation sein sollten?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, ich hatte, da Sie überhaupt nicht mitfahren wollten, den Eindruck, daß Sie es erst recht abgelehnt haben, als Mitglieder der Delegation Verantwortung zu übernehmen.
Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Kollege Ehmke, können Sie für die Bundesregierung bestätigen, daß nicht nur Herr Falin, sondern auch andere verantwortliche Sprecher der Sowjetunion das fortdauernde Interesse der Sowjetunion an der Aufrechterhaltung der Art. 53 und 107 der UNO-Satzung amtlich bekundet haben?
Nein, Herr Kollege Barzel, ich darf außerdem sagen, da Art. 53 und 107 doch in der UNO-Satzung stehen — daran ist durch die zwei beteiligten Regierungen doch nichts zu ändern —, kann es genauso wie im Verhältnis zu den Westmächten nur darauf ankommen, bilateral eine andere Regelung zu finden. Ich wäre erstaunt, wenn die Opposition der Meinung wäre, Herr Kollege Barzel, man könnte im Bezug und im Verhältnis zur Sowjetunion eine Regelung finden, die über das hinausginge, was mit den Westmächten vereinbart worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Barzel.
Ist die Bundesregierung bereit, zur Ergänzung und Konkretisierung von Pressemitteilungen zu sagen, mit welcher Begründung der Vertreter der Sowjetunion in einem Ausschuß der UNO, der im November und Dezember 1970 — also nach Ihrer Unterschrift — über Satzungsänderungen beriet, die dort vorgeschlagene Streichung der Art. 53 und 107 im Namen der Sowjetunion abgelehnt hat?
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6510 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Aber, Herr Kollege Barzel, ich kenne keine der der UNO angehörenden großen Mächte, die bereit wäre, die UNO-Satzung zu ändern. Sie wissen auch, warum: weil man dazu eine Zweidrittelmehrheit braucht und weil bei einem solchen Versuch eine derartige Zahl von — —
— Aber sicher, Sie haben gefragt: Warum sollen die Art. 53 und 107 nicht gestrichen werden.
— So habe ich es verstanden. Dann bitte ich um Entschuldigung.
Zur Erläuterung Ihrer Frage, Herr Dr. Barzel!
Herr Kollege Ehmke, ich will Sie jetzt nicht überfordern.
Sind Sie bereit, Herr Kollege Ehmke, dem Hause, nachdem Sie sich informiert haben werden, mitzuteilen, mit welcher Begründung der Vertreter der Sowjetunion dem Antrag eines anderen Delegierten, die Art. 53 und 107 in der UNO-Satzung zu streichen, widersprochen hat — und dies im November/Dezember 1970, also nach Ihrer Unterschrift?
Herr Kollege Barzel, das will ich gerne tun. Ich darf nur noch einmal sagen,
daß Übereinstimmung darin besteht, daß ein Antrag auf Streichung der Art. 53 oder 107 aus den Gründen, die ich genannt habe, auch im westlichen Lager keine Mehrheit finden würde.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mischnick.
Trifft es nicht zu, Herr Bundesminister, daß der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vertrages in Moskau in direkten Gesprächen mit der Opposition sowie in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses alle Punkte, die hier genannt worden sind und die Art. 53 und 107 betreffen, dargelegt hat?
Ja.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mischnick.
Trifft Ihre Behauptung nicht zu, Herr Bundesminister, daß früher solche detaillierten Unterrichtungen nicht erfolgt sind und ich selbst als Beweis dafür dem Herrn Kollegen Schulze-Vorberg dienen kann?
Herr Kollege Mischnick, da ich dem Auswärtigen Ausschuß nicht angehört habe, kann ich mich aus eigener Kenntnis nicht über die Detailliertheit der Unterrichtung im Ausschuß auslassen. Ich kann nur sagen, daß sich aus der Aktenlage des Kanzleramtes ergibt, daß eine detaillierte Unterrichtung, wie sie jetzt vorgenommen worden ist, früher offenbar nicht stattgefunden hat, auch in keinem Fall Einblick in die Verhandlungsprotokolle gewährt worden ist, und daß die sehr sorgfältige Feststellung des Auswärtigen Amtes und des Kanzleramtes über die Praxis befreundeter Nationen zum gleichen Ergebnis geführt hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Bundesminister, sind Sie zu bestätigen bereit, daß der Generalsekretär der Organisation der Vereinten Nationen im vorigen Jahr auf eine Anfrage ausdrücklich bestätigt hat, daß das Interventionsrecht aus den beiden Artikeln, die hier zur Debatte stehen, nicht einer einzelnen Macht, sondern nur den Mächten gemeinsam als einheitliche Aktion zusteht, die an dem Kriege gegen die Mittelmächte beteiligt gewesen sind?
Herr Kollege Arndt, das ist richtig. Darum steht ja auch in den westlichen Erklärungen „einseitig" Gewalt auszuüben. Aber dies ist nicht das Problem, das die Kollegen von der Opposition beschäftigt. Das ist die erste Stufe. Die zweite Stufe ist, daß selbst dieses Recht, das nach Art. 53 nur gemeinsam auszuüben ist, durch unsere Absprachen mit den Westmächten und durch den beabsichtigten Vertrag mit der Sowjetunion bilateral überlagert wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Minister, sind die Worte „überdeckt" und „überlagert", die Sie so betont benützt haben, so zu verstehen, daß durch den Art. 3 des Moskauer Vertrages, insbesondere seinen Satz 1 in Zusammenhang mit den folgenden Absätzen, in der Sache die Sowjetunion durch einen zweiseitigen Vertrag andere Rechte erhalten hat und wir weitere Verpflichtungen übernommen haben, als sie sich aus den Art. 53 und 107 der UNO-Charta ergeben?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6511
Herr Kollege, die Frage ist mir nach dem, was ich bereits gesagt habe, so gut wie unverständlich. Genauso wie mit den Westmächten haben wir uns mit der Sowjetunion darauf geeinigt, unsere Beziehungen allein nach Art. 2 auszurichten, wobei der Unterschied darin besteht, daß Art. 2 der UN-Charta lediglich von „friedlichen Mitteln" spricht, während der Vertrag davon spricht, daß Streitpunkte „ausschließlich mit friedlichen Mitteln" geregelt werden sollen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Minister, würden Sie die Freundlichkeit haben, meine Frage zu beantworten, die sich auf Art. 3 und den ersten Satz bezog, in dem es heißt: „In Übereinstimmung mit den vorhergehenden Zielen und Prinzipien stimmen die Bundesrepublik ... überein", und dann folgen vier Absätze, worin sie übereinstimmen. Darauf richtete sich meine Frage, und würden Sie die Freundlichkeit haben, diese zu beantworten, ohne ausschließlich auf den UNO-Artikel 2 Bezug zu nehmen, der auch bei dem Konflikt zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion bestand.
Herr Kollege Czaja, der Art. 3 Satz 1 des ) Moskauer Vertrages, die sogenannte Brückenvorschrift, leitet doch nur über von der allgemeinen Vorschrift über Gewaltverzicht und die Anwendung der Grundsätze der UNO-Charta zum konkreten Inhalt des Vertrages. Was diese Frage mit unserer Frage zu tun haben soll, vermag ich auch nach Ihrer zweiten Frage immer noch nicht einzusehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Geßner.
Herr Minister, sind Sie der Meinung, daß es den Interessen der Bundesrepublik dienlich ist, wenn die CDU/CSU versucht, diesem Vertrag eine Auslegung und einen Sinn zu geben, der weder von der Bundesrepublik noch von der Sowjetunion akzeptiert wird?
Herr Kollege, ich bin erstens der Meinung, daß es ein verständlicher Wunsch aller Beteiligten ist, Klarheit zu schaffen, und ich bin zweitens mit dem Kollegen Schröder der Meinung, daß alle Seiten hier im Hause aufpassen sollten, den Vertrag nicht gegen die deutschen Interessen zu interpretieren.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiep.
Herr Bundesminister, nachdem nicht nur die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses, sondern die gesamte deutsche Öffentlichkeit
sich sehr intensiv mit den Äußerungen von Falin, so wie sie hier wiedergegeben sind, befaßt haben, möchte ich Sie fragen, warum die Bundesregierung die Information der Öffentlichkeit und dieses Hauses in so starkem Umfang Gesprächspartnern oder Besuchern der Bundesrepublik wie den Herren Popow, Schukow und Falin überläßt, ohne selber diese Informationen diesem Hause und der deutschen Öffentlichkeit zu geben, wobei sie sich dazu noch darauf beruft, eine zu weitgehende Information könnte den sowjetischen Partner verärgern.
Herr Kollege, soweit ich verstanden habe, geht diese Diskussion darauf zurück, daß Ihr Kollege Echternach die Öffentlichkeit über sein Gespräch mit Herrn Falin informiert hat. Die Bundesregierung sieht es nicht als ihre Aufgabe an,
bei jeder Äußerung eines Kollegen aus Landesparlamenten oder eines Beamten des sowjetischen Außenministeriums ihrerseits Stellung zu nehmen. Das wäre eine eigentümliche Praxis.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Kiep.
Herr Bundesminister, wären Sie nicht der Ansicht, daß es Ihrer Sache dienlicher wäre, wenn diese Informationen direkt von der Bundesregierung — entweder hier oder im Ausschuß — kämen, anstatt hier von dritter Seite in die Diskussion eingeführt zu werden?
Herr Kollege Kiep, ich muß jetzt aber doch wirklich die Unterstellung zurückweisen, die Bundesregierung habe die zuständigen Ausschüsse über die Auslegung von Artikel 53 und 107 nicht detailliert unterrichtet.
Die Frage ist doch vielmehr, daß nach dem Besuch des Kollegen Echternach und seiner Äußerung einige Leute noch einmal die Frage aufgeworfen haben, wobei ich ihnen unterstelle, daß sie gesagt haben: Klingt denn das nicht anders als vorher? Ich kann nur sagen: nein, es bleibt bei den Erklärungen, die wir bereits im Ausschuß abgegeben haben und die ich heute morgen in der Fragestunde auf Ihre Fragen nur wiederholt habe.
Meine Damen und Herren, die Geschäftslage sieht folgendermaßen aus: Wir haben bisher 25 Zusatzfragen gehabt; ich habe noch weitere sieben Wortmeldungen. Ich werde
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6512 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Präsident von Hasseldie Rednerliste schließen und Zusatzfragen nicht mehr zulassen. Ich bitte dafür um Verständnis; wir haben noch den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf der Tagesordnung.Herr Abgeordneter Sieglerschmidt!
Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, daß der Reiz der theoretisch-völkerrechtlichen Diskussion um die Art. 53 und 107 der UNO-Charta sehr viel größer ist als die praktisch-politische Bedeutung dieser Frage und daß die rhetorischen Anstrengungen der Opposition vom heutigen Morgen nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen sind?
Das würde ich Ihnen zugeben. Ich mache kein Hehl daraus, daß ich der Meinung bin, daß die Gesamtfrage der Art. 53 und 107 in politischer Hinsicht von der Opposition bisher und auch heute völlig überschätzt wird. Die Frage mußte geregelt werden; ich halte sie aber nicht für eine Hauptfrage des deutsch-sowjetischen Verhältnisses.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß hier drei Ebenen zu betrachten sind: als erste Ebene die UNO-Charta selbst, nach der es keine einseitigen Interventionsrechte gibt — das ist allgemein bekannt —, sondern nur Interventionsrechte der UNO, als zweite Ebene der deutsch-sowjetische Vertrag, der in Art. 2 eindeutig klarmacht, daß diese beiden Artikel überlagert sind, als dritte Ebene der NATO-Vertrag, die westliche Integration, die erneut sicherstellt, daß es hier uns gegenüber keine Rechte gibt, und sind Sie nicht deswegen wirklich der Meinung, daß nicht eine beunruhigte Öffentlichkeit diese Debatte aufgegriffen hat, sondern die CDU/CSU, um erneut in diesem Bundestag Verdächtigungen auszustreuen,
die ihr politisch im Lande nutzen können?
Herr Kollege Marx, ich darf auch zu diesem Zwischenruf darauf hinweisen, daß ich ihn unangebracht finde, nachdem ich vorhin zu dem Zuruf des Kollegen Apel Stellung genommen habe.
Ich darf zunächst sagen, was Sie dargestellt haben, Herr Kollege Apel, ist richtig, und ich stelle noch einmal fest: diese Diskussion ist von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, ausgelöst
worden nach den Äußerungen des Kollegen Echternach über sein Gespräch mit Herrn Falin.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Reddemann.
Herr Minister, hält die Bundesregierung ihre Antwort auf unsere Große Anfrage vom 6. Mai 1970 aufrecht, in der sie damals sagte: „Ein gegenseitiger Gewaltverzicht darf nicht durch einen Gewaltvorbehalt einer Seite relativiert oder gar wertlos gemacht werden. Nach unserer Beurteilung der Rechtslage besitzt die Sowjetunion kein Interventionsrecht gegen die Bundesrepublik Deutschland." ?
Aber selbstverständlich, das habe ich doch heute gerade in langen Ausführungen noch einmal darzulegen versucht, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Miltner.
Herr Bundesminister, ist die Erklärung der Sowjetunion zu den Artikeln 53 und 107 so zu verstehen, daß diese Bestimmungen auch im bilateralen Verhältnis zu uns in keinem Falle mehr aufleben?
Das ist der eigentliche Sinn der Bestimmung, denn zwischen uns und der Sowjetunion können natürlich nur bilaterale Fragen und nicht multilaterale Fragen der UNO geregelt werden. Das liegt doch wohl auf der Hand.
Jetzt wundere ich mich doch über einen Teil der Fragen, daß die nach der langen Debatte und Beratung in den Ausschüssen immer noch so kommen. Das ist doch wohl klar, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Professor Schmid .
Herr Bundesminister, könnten Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß nach allgemein anerkannten Sätzen des Völkerrechts — und ausschließlich aus diesen — die rechtliche Tragweite der inkriminierten Artikel der UNO-Charta definiert werden kann? Diese Sätze lauten: Lex specialis derogat legi generali, lex posterior derogat legi anteriori, und dies bedeutet: der spätere bilaterale Vertrag — später und gleichzeitig enger —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6513
Dr. Schmid
macht die entgegengesetzten Bestimmungen des früheren und weiteren multilateralen UNO-Vertrags unter den bilateralen Vertragspartnern gegenstandslos.
Herr Kollege, ich kann Ihnen nicht nur zustimmen, ich kann Ihnen sogar mit Vergnügen zustimmen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Minister, betrachtet die Bundesregierung in jedem Falle eines Angriffs auf die Bundesrepublik, auch wenn dieser unter Berufung auf die beiden Artikel der UNO-Charta erfolgen sollte, den Bündnisfall nach Art. 4 des Nordatlantikvertrages für gegeben, und hat sie diesen Standpunkt, wenn sie ihn vertritt, ihrem sowjetischen Verhandlungspartner so klargemacht, daß darüber kein Mißverständnis bestehen kann?
Herr Kollege Kliesing, ich bin über Ihre Frage überrascht; denn die Frage wird ja in der Erklärung, die die drei Westmächte uns gegenüber 1954 abgegeben haben, eingehend behandelt.
Eine letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Kollege Ehmke, sind diese inkriminierten Artikel, wie Herr Kollege Schmid sie nannte, nun „verschwunden" — das war die eine Vokabel —, ist darauf „verzichtet" — das ist die zweite —, sind sie nur „überlagert" — das ist die dritte —, oder handelt es sich bei dem Ganzen — das ist das Neueste aus dem heutigen Dienst der Regierung — nur um „die Interpretation eines Anwendungsverzichts"? Was von diesen vier Aussagen können wir aus dieser Fragestunde nun als verbindlich mitnehmen?
Herr Kollege Barzel, ich bedauere Ihre Frage,
: Das können
wir verstehen!)
da ich annehme, daß Sie das, was Sie fragen, aus meinen Antworten schon längst verstanden haben. Ich glaube, daß diese Art des Fragens den deutschen Interessen wirklich nicht dient.
Aber ich will noch einmal zusammenfassen, was ich heute morgen gesagt habe, Herr Kollege Barzel. Bilateral können weder die Westmächte und die Bundesrepublik noch die Bundesrepublik und die Sowjetunion die UNO-Satzung ändern. Insofern bleibt es bei der Satzungsvorschrift, die ja nicht von den beiden Vertragschließenden stammt. Sie ist der Änderung durch uns entzogen. Aber diese Vorschrift wird — wie durch die Abmachungen mit dem Westen — jetzt durch den Vertrag mit der Sowjetunion in dem bilateralen Verhältnis Sowjetunion—Bundesrepublik juristisch überlagert und verdrängt und wird damit politisch obsolet. Ich weiß nicht, was an dieser Erklärung, Herr Kollege Barzel — Ihre Frage war eine Verständnisfrage —, noch mißzuverstehen sein könnte.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe die Frage 111 des Abgeordneten Bauer auf:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung, denn vorn Generalsekretär der Vereinten Nationen für 1971 geplanten und vorn Europarat in seiner Zielsetzung geförderten sowie über die von ihm beeinflußten Institutionen nach besten Kräften unterstützten „Internationalen Jahr des Kampfes gegen Rassismus und Rassendiskriminierung" Hilfestellung zu leisten?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Herr Präsident, ich beantworte die Frage 111 wie folgt. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich aktiv an dem Internationalen Jahr zum Kampf gegen Rassismus und Rassendiskriminierung beteiligen und seine Zielsetzung unterstützen. Die Tatsache, daß die Bundesregierung die Planung des Internationalen Jahres begrüßt, und die deutsche Bereitschaft, das Internationale Jahr zum Kampf gegen Rassismus und Rassendiskriminierung als eigenes Anliegen zu unterstützen, haben bereits ihren Niederschlag in dem Bericht der Bundesregierung vom 9. Juli 1970 an den Generalsekretär gefunden, der Bestandteil des VN-Dokuments A/8061 vom 22. September 1970 geworden ist.Die Bundesregierung möchte bei dieser Gelegenheit betonen, daß in der Bundesrepublik Deutschland gestützt auf Art. 3 Abs. 3 GG die Rechtsordnung und Verwaltungspraxis für Rassismus und Rassendiskriminierung keinen Raum läßt. Die Bundesrepublik hat die VN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung unterzeichnet und ratifiziert. Das Internationale Jahr gibt willkommenen Anlaß, die deutsche Bevölkerung in der bestehenden Rechtsauffassung zu bestärken und für den Kampf gegen die Rassendiskriminierung zu werben.
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6514 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Parlamentarischer Staatssekretär MoerschDie Politik der Bundesregierung ist darauf gerichtet, daß dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung in aller Welt zur Geltung verholfen wird. Schon in den vergangenen Jahren ist in der Bundesrepublik Deutschland jeweils der 21. März, der Tag zum Kampf gegen Rassendiskriminierung, besonders begangen worden. Diesmal sind beispielsweise folgende Veranstaltungen und Maßnahmen in den besonderen Rahmen des dafür ausgerufenen Jahres 1971 zum Kampf gegen Rassendiskriminierung gestellt: Erstens Ansprache des Herrn Bundeskanzlers am 21. März in Köln, zweitens Artikel des Bundesministers des Auswärtigen im Bulletin der Bundesregierung vom 21. März, drittens Fernsehansprache des Bundesinnenministers zum 21. März, viertens Sonderveröffentlichungen zum Internationalen Jahr, insbesondere Sondernummern in „Das Parlament", u. a. Jugendtreffen, Vorträge — insbesondere von Professor Partsch, Bonn — über das angeschnittene Thema. Die Bundesregierung hofft ferner, daß sich ebenfalls eine Vielzahl von Gesellschaften und Gremien des Themas annimmt. Die Bundesregierung begrüßt das Interesse des Bundestages an diesem Thema und wäre für jede weitere Initiative zur Unterstützung des Internationalen Jahres dankbar.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Bauer .
Herr Staatssekretär, würde es die Bundesregierung abgesehen von ihrer grundsätzlichen Bejahung der hier aufgezeigten Zielsetzung für nützlich halten und die Anregung positiv aufnehmen, vielleicht ganz speziell, also unabhängig von einzelnen Anlässen wie am 21. März — ich nehme an, das ist die Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit gewesen —, Gelegenheit zu nehmen, in einer Art Proklamation vor den Fernsehzuschauern zu dieser Grundsatzfrage einmal Stellung zu beziehen, also nicht im Rahmen von Einzelveranstaltungen, sondern auf die Sache konkret ausgerichtet?
Herr Abgeordneter, ich will diese Anregung gern prüfen. Sie werden mir aber zugeben, daß solche Darlegungen sehr oft des aktuellen Anlasses bedürfen. Es ist natürlich ein viel angenehmerer aktueller Anlaß, wenn ein solcher Tag von einer internationalen Organisation festgelegt ist, als wenn etwa Grund bestünde — was ich nicht hoffen will , daß dieses Thema durch einen Anlaß ganz anderer Art aufgegriffen werden müßte.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bauer.
Darf ich von Ihnen, Herr Staatssekretär, die Zustimmung zur Aufnahme der Anregung entgegennehmen, das Augenmerk nicht nur bei einzelnen Anlässen auf dieses Problem zu lenken, das ja ganz abgesehen von der jüdischen Frage immer wieder angesprochen werden muß, sondern das Problem einmal in einer besonders spektakulären Veranstaltung vor der deutschen Öffentlichkeit ins Bewußtsein zu rufen?
Herr Abgeordneter, da will ich Ihnen gern zustimmen. Ich möchte aber hinzufügen, daß das, was Sie der Bundesregierung als besondere Aufgabe zuweisen — was wir zu akzeptieren haben und auch gern akzeptieren —, eine Aufgabe aller politisch Verantwortlichen ist, vor allem der Mitglieder dieses Parlaments in konkreten Fällen, die es gerade im Zusammenhang mit dem Gastarbeiterproblem da und dort immer wieder geben mag.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß die Bundesregierung im Interesse des Ansehens unseres deutschen Volkes und auf Grund unserer Geschichte jede Bemühung im Kampf gegen Rassismus und Rassendiskriminierung unterstützen sollte?
Herr Abgeordneter, ich teile diese Meinung.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 112 des Abgeordneten Dr. Evers auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, warum der deutsche Regierungsangestellte Viktor Niepalla, geboren am 23. Dezember 1919 in Gogolin-Slaski, Regierungsbezirk Oppeln, der am 18. Februar 1971 zu einem Besuch seiner Mutter und seiner Geschwister mit Genehmigung der polnischen Behörden nach Polen reiste, seit dem 25. Februar 1971 von den polnischen Behörden festgegehalten wird?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Präsident, ich beantworte die Frage wie folgt.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß der deutsche Staatsangehörige Niepalla während eines Aufenthalts in Polen am 25. Februar 1971 in Oppeln verhaftet worden ist. Nach Angaben des polnischen Außenministeriums wird ihm Spionage zur Last nelegt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Evers.
Herr Staatssekretär, würden Sie es, nachdem Ihre letzte Nachricht an die Frau des verhafteten Herrn Niepalla vom 10. März dieses Jahres datiert, nicht für richtig halten, ihr erneut eine Nachricht zukommen zu lassen, da sie sich begreiflicherweise in großer Unruhe befindet?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6515
Herr Abgeordneter, ich muß sagen, daß mich diese Frage eigentlich etwas überrascht, weil ich davon ausgegangen war, daß die Frau des Betroffenen ins Bild gesetzt worden ist.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abeordneter Dr. Evers.
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, Herr Staatssekretär, daß in dem Schreiben des Auswärtigen Amts vom 10. März nichts über die Gründe der Verhaftung mitgeteilt worden ist und daß sich die Frau des Verhafteten bis heute insoweit über die Gründe der Verhaftung völlig im unklaren befindet?
Herr Abgeordneter, ich weiß, daß sie damals nicht mitgeteilt worden sind, und zwar einfach deswegen, weil das Auswärtige Amt zu dieser Zeit keine so definitive Nachricht hatte. Ich habe in dieser Woche einen Hinweis darauf bekommen. Aber ich möchte hinzufügen, daß die Erörterung solcher Fragen, die uns ständig beschäftigen, den Betroffenen möglicherweise nicht besonders dienlich ist, wenn sie öffentlich erfolgt. Ich bin gern bereit, Hinweise jeder Art von den Kollegen aufzunehmen und entsprechend auszuwerten.
Ich rufe die Frage 113 des Abgeordneten Dr. Evers auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung auf Grund des Schreibens von Frau Hildegard Niepalla an den Bundesaußenminister vom 2. März 1971 zur Freilassung von Viktor Niepalla unternommen?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege, bereits vor dem Eingang des Briefes der Frau Niepalla vom 2. März 1971 an den Bundesminister des Auswärtigen hatte unsere Handelsvertretung in Warschau von der Verhaftung des Herrn Niepalla Kenntnis erhalten und das Auswärtige Amt hiervon fernschriftlich unterrichtet. Das Auswärtige Amt hat daraufhin sofort die Handelsvertretung durch Fernschreiben angewiesen, die zuständigen polnischen Stellen darum zu ersuchen, a) Auskunft über den Stand der Ermittlungen zu erteilen, b) einem Angehörigen der Vertretung zu ermöglichen, Herrn Niepalla in der Untersuchungshaft aufzusuchen, und darüber hinaus c) einem Angehörigen der Vertretung auch ein Gespräch mit dem zuständigen Staatsanwalt oder Untersuchungsrichter zu vermitteln. Außerdem ist unsere Handelsvertretung später angewiesen worden, einen geeigneten Anwalt mit der Wahrnehmung der Interessen des Verhafteten zu beauftragen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Evers.
Herr Staatssekretär, wann wird das Auswärtige Amt die Frau des Verhafteten offiziell von dem unterrichten, was Sie mir soeben mitgeteilt haben?
Selbstverständlich unverzüglich, Herr Abgeordneter. Aber ich wundere mich ein bißchen darüber, daß diese Frage überhaupt noch erörtert werden muß.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Evers.
Dr. Evers Wenn Sie sich darüber wundern, Herr Staatssekretär, daß diese Frage erörtert werden muß, warum haben Sie dann den Beamten Ihres Hauses, der mich in dieser Angelegenheit angerufen hat, nicht angewiesen, mich über das zu informieren, was Sie hier erst auf Grund meiner Frage bekanntgegeben haben und was mir vorher nicht mitgeteilt worden ist?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen diese Frage im Augenblick nicht beantworten. Ich glaube, Sie haben nur etwas falsche Vorstellungen von der Arbeitsweise in einem solchen Amt. Wir haben bis jetzt noch keinen definitiven Bescheid von der anderen Seite und haben einige Einzelheiten erst jetzt erfahren. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß es viele Tausende von Fällen gibt, die bei uns bearbeitet werden, und daß so etwas möglich ist. Ich möchte umgekehrt Sie fragen, Herr Abgeordneter, warum Sie mir nicht mitgeteilt haben, daß Sie mit der Behandlung im Auswärtigen Amt nicht zufrieden sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben mitgeteilt haben, welche Bemühungen Sie unternommen haben, darf ich fragen, wie die polnische Seite mittlerweise auf diese Bemühungen reagiert hat.
Zunächst muß ich Ihnen sagen, daß die polnische Seite, obwohl keine rechtlichen, vertraglichen Bindungen dieser Art bestehen, die Handelsvertretung als Gesprächspartner akzeptiert hat. Wir hoffen, daß diesem Ersuchen um konsularische Betreuung jetzt stattgegeben wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
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6516 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Wenn auch keine rechtlichen Bindungen bestehen, so ist Ihnen doch bekannt, Herr Staatssekretär, daß wir in vielen Fällen auch Polen faktisch Rechtshilfe leisten. Warum kann man das nicht gegenseitig erreichen?
Herr Dr. Czaja, die Verhältnisse auf diesem Gebiet haben sich verbessert. Sie könnten durch Fragen irgendwelcher Art möglicherweise verschlechtert werden.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 114 des Abgeordneten Dr. Bach auf:
Trifft es zu, daß nach den polnischen Paßvorschriften nur für solche Antragsteller Pässe ausgestellt werden, die sich im Besitze einer Einladung einer natürlichen Person im Ausland befinden?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, ich beantworte die Frage wie folgt. Nach den polnischen paßrechtlichen Bestimmungen müssen Antragsteller grundsätzlich im Besitz einer Einladung einer natürlichen Person im Ausland sein. Ausnahmen sind vorgesehen. In den Verhandlungen des .Deutschen Roten Kreuzes mit dem Polnischen Roten Kreuz wird deshalb angestrebt, an die Stelle des Erfordernisses der Einladung durch eine natürliche Person die Möglichkeit einer Einladung durch eine juristische Person Deutsches Rotes Kreuz oder Bundesverwaltungsamt — treten zu lassen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Bach.
Wie ist die polnische Haltung in dieser Frage? Stimmt es, daß im Augenblick kein Deutscher aus Polen ausreisen kann, der nicht einen Verwandten außerhalb Polens hat und von diesem Verwandten eine Einladung erhalten hat?
Herr Abgeordneter, ich glaube, wir sollten die Fragen im Zusammenhang behandeln. Sie haben eine zweite Frage in ähnlicher Weise gestellt. Ich kann mich hier nur auf den amtlichen Text beziehen. Mir ist im Augenblick kein Anhaltspunkt für die in Ihrer Frage mitgeteilte Information bekannt. Das müßte erst einmal zusammen mit den Vertretern des Roten Kreuzes geprüft werden. Vielleicht darf ich zunächst die Frage 115 beantworten.
Dann rufe ich die Frage 115 des Abgeordneten Dr. Bach auf:
Ist bei den deutsch-polnischen Verhandlungen in Warschau, die u. a. zur Niederschrift der polnischen Information führten, sichergestellt worden, daß auch solchen Deutschen die Ausreise aus Polen erlaubt wird, die keine Anverwandten in der Bundesrepublik Deutschland haben?
Nach der Information, die das Ergebnis der diesbezüglichen deutschpolnischen Regierungsverhandlungen enthält, gibt es zwei Kategorien von Personen, die einen Antrag auf Ausreise zum ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland stellen können; erstens Personen aus getrennten Familien, die mit ihren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Angehörigen vereint werden sollen, zweitens Personen mit unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit. Während bei der ersten Kategorie ausreichender Antragsgrund das Bestehen familiärer Bindungen zu Personen im Bundesgebiet ist, genügt bei der zweiten Kategorie das Merkmal der deutschen Volkszugehörigkeit.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Bach.
Herr Staatssekretär, Ihre Ausführungen stimmen nicht mit der Meldung der polnischen „Oppelner Zeitung" überein, in der es hieß, daß sich diese Vereinbarung allein auf die Familienzusammenführung beziehe und nicht die Ausreise eines einzelnen Deutschen außerhalb des Familienzusammenführungsverfahrens betreffe.
Herr Abgeordneert, ich muß mich an ein amtliches polnisches Dokument halten, und ich muß Ihnen sagen, daß uns nicht bekannt ist, daß sich die polnische Regierung nicht oder nicht mehr an den Wortlaut dieser Information hält. Was in einer Zeitung steht, ist für mich nicht in der gleichen Weise gewichtig wie das, was uns von amtlicher polnischer Seite mitgeteilt worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Bach.
Darf ich denn davon ausgehen, daß diese polnische Information sich nicht allein auf Familienzusammenführung beschränkt, sondern sich auch auf die Ausreise jedes Deutschen bezieht, der als Volksdeutscher angesehen wird?
Herr Abgeordneter, Sie dürfen davon ausgehen, daß der Wortlaut der Information der Wortlaut der Information ist. Dort heißt es: Personen mit unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit gehören dazu. Das ist für mich eindeutig und für Sie sicherlich auch.
Ich rufe die Frage 116 des Abgeordneten Kahn-Ackermann auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung, Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6517
Präsident von Hassel
Ich rufe die Frage 117 des Abgeordneten Dr. Hermesdorf auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Vorschläge in Ziffer 3 und 4 der Empfehlung Nr. 202 der Versammlung der Westeuropäischen Union vorn 19. November 1970 zu unterstützen, welche vorsehen, einen finanziellen Beitrag Europas für die wirtschaftliche Entwicklung jener Länder des Nahen Ostens bereitzustellen, die bereits Palästina-Flüchtlinge aufgenommen haben oder bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, um auch auf diesem Wege seitens der in der WEU vertretenen Staaten wirksam zur wirtschaftlichen und sozialen Rehabilitation der Flüchtlinge beizutragen?
Auf die Empfehlung Nr. 202 der Versammlung der Westeuropäischen Union an den Rat hat dieser inzwischen eine Antwort erarbeitet, die der Versammlung demnächst zugehen wird.
Zu dem Problem der Palästina-Flüchtlinge weist der Rat in dieser Antwort darauf hin, daß die Lösung dieser Frage nur im Gesamtzusammenhang einer umfassenden politischen Lösung möglich sein wird und daß, wie die Vergangenheit gezeigt hat, der Versuch, vor einer solchen umfassenden Lösung Fortschritte bei der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eingliederung der Flüchtlinge zu erreichen, neue schwerwiegende Probleme schafft.
Die Bundesregierung hat dieser Auffassung zugestimmt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hermesdorf.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß die Bundesregierung bereit ist, mit den anderen WEU-Staaten in einem dauernden Gedankenaustausch darüber zu bleiben, ob sich in Zukunft nicht doch ein Weg zur Hilfe im Sinne der WEU-Empfehlungen eröffnet?
Herr Abgeordneter, Sie dürfen davon ausgehen, daß Gegenstand der Konsultation das Gesamtproblem ist und daß das Teilproblem selbstverständlich dazugehört.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs angelangt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zunächst die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Früh. — Der Fragesteller ist nicht anwesend; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Früh ist zurückgezogen worden.
Die Frage 28 des Abgeordneten Seefeld wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Kann die Bundesregierung mitteilen, welche Maßnahmen sie durch den derzeitigen Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ergriffen hat, um der deutschen Landwirtschaft kostendeckende Preise zu garantieren?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann.
Herr Kollege Dr. Schulze-Vorberg, die Bundesregierung hat folgende Maßnahmen ergriffen:
Im EWG-Bereich eine Verhinderung von Preissenkungen durch Ablehnung diesbezüglicher Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaft aus dem Jahre 1970. Bei den Preisberatungen dieser Woche setzte sich die Bundesregierung mit Nachdruck — ich darf hinzufügen: und mit Erfolg — für eine Preiserhöhung ein. Es ist wohl erstmalig seit vielen Jahren, daß ein Landwirtschaftsminister aus solchen Beratungen in Brüssel mit Preisverbesserungen zurückkehrt. Wir haben uns weiter bemüht, die Überschüsse in der Gemeinschaft durch Einsatz erheblicher zusätzlicher Haushaltsmittel abzubauen. Die Durchsetzung des Aufwertungsausgleichs in Brüssel bei Mitfinanzierung durch die Gemeinschaft möchte ich auch in diesem Zusammenhang mit aufzählen.
Bezüglich des nationalen Bereiches nenne ich folgende Maßnahmen: Beseitigung der negativen Berichtigungsbeiträge bei Butter; Anhebung und Liberalisierung der Trinkmilchpreise durch Umstellung des bisherigen Festpreissystems auf Mindestpreissystem; marktentlastende Maßnahmen, insbesondere bei Schweinen und Rindern durch Kauf seitens der Einfuhr- und Vorratsstellen; Verabschiedung von acht Verordnungen zur Durchführung des Marktstrukturgesetzes; Bereitstellung von Bundesmitteln in Höhe von 40 Millionen DM zur Beseitigung der negativen Folgen der Aufwertung der D-Mark für Obst, Gemüse, Eier und Geflügel bis zum 31. Dezember 1969; gesetzliche Absicherung des in Brüssel durchgesetzten Aufwertungsausgleichs durch das Aufwertungsausgleichsgesetz vom 23. Dezember 1969 und durch das Durchführungsgesetz vom 5. Juni 1970; zügige Auszahlung des Direktausgleichs weitgehend noch vor der Ernte 1970 — Ihnen dürfte bekannt sein, daß von den 920 Millionen DM bis zum 31. Dezember 1970 906 Millionen DM ausgezahlt wurden —; Auszahlung der dritten Tranche des Getreidepreisausgleichs; Gewährung einer Ausgleichszahlung an Zuckerhersteller aus Anlaß der Aufwertung der D-Mark.
Ich möchte damit sagen, daß versucht worden ist, hier schon Entscheidendes in Richtung auf die Erzielung kostendeckender Preise zu tun, möchte aber auch darauf hinweisen, daß eine mittelbare Auswirkung auf die Preise auch durch strukturelle Maßnahmen der Bundesregierung — wie z. B. Ertl-Plan, Regionalprogramme, steuerliche Maßnahmen und anderes mehr — angestrebt wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
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6518 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Herr Staatssekretär, ich erkenne die Bemühungen Ihres Ministers in der aufgezeigten Richtung durchaus an und weiß sie zu würdigen, darf aber fragen: sind Sie nach der Überzeugung Ihres Hauses in den anderthalb Jahren Ihrer Amtszeit dem Prinzip der kostendeckenden Preise nähergekommen?
Ich darf dazu sagen, daß die Entwicklung der kostendeckenden Preise ja auch von der Kostenseite her mit beeinflußt wird und daß wir gerade in letzter Zeit — das dürfte bekannt sein — bei den Kosten Schwierigkeiten haben. Hier ist ja in der Landwirtschaft eine steigende Tendenz festzustellen. Aber im übrigen bin ich durchaus der Auffassung, daß wir auf dem richtigen Wege sind, die von Ihnen genannten kostendeckenden Preise anzusteuern.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, darf ich auf Grund Ihrer Antwort darauf aufmerksam machen, daß das Prinzip der kostendeckenden Preise zwar in meiner Frage ausdrücklich genannt war, daß aber, wie Sie wissen, früher gerade Ihr Herr Minister zu den Vertretern dieses Prinzips gehört hat, und darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß wir trotz dieser Bemühungen von kostendeckenden Preisen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen heute leider weiter entfernt sind als jemals vorher?
Das würde ich nicht sagen, denn wir können dabei nicht von der augenblicklichen Situation ausgehen. Wenn ich z. B. unterstelle, daß bei den Schweinepreisen eine Erholung nach oben hin einsetzt, könnte es durchaus sein, daß wir in kürzester Zeit wieder eine andere Situation haben. Ich darf aber nochmals sagen, daß wir uns bemühen, eine Erzeugerpreispolitik zu entwickeln, die sich an der allgemeinen Kostenentwicklung orientiert.
Ich rufe Frage 30 des Abgeordneten Niegel auf:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung bei den Aufnahmeverhandlungen mit Großbritannien in die EWG zu der Forderung der britischen Regierung ein, hohe Zucker- und Butterlieferungen aus den Commonwealthländern in die EWG zu garantieren, und wie würde sich die Verwirklichung einer solchen Forderung auf die ernährungswirtschaftliche Versorgung in der EWG sowie auf die Absatz- und Einkommenslage der Landwirtschaft in der EWG auswirken?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Niegel, bei den Beitrittsverhandlungen der EWG mit dem Vereinigten Königreich spielen die Zuckerlieferungen aus den Entwicklungsländern des Commonwealth und die Butterlieferungen aus Neuseeland sowohl während der vorgesehenen Übergangszeit als auch danach eine für die britische Seite entscheidende politische Rolle. Die britische Verhandlungsdelegation hat immer wieder eindringlich dargelegt, daß nur bei einer befriedigenden Lösung dieser Frage, welche der weltpolitischen Verantwortung Großbritanniens gegenüber bestimmten Ländern ohne ausreichende Produktionsalternativen gerecht wird, die Beitrittsbedingungen annehmbar wären.
Die Bundesregierung — das darf ich hinzufügen — hat sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, zu einer für Großbritannien akzeptablen Gesamtlösung zu kommen. Mit der Mehrheit der anderen EWG-Mitgliedstaaten ist sie bereit, in Form von Absichtserklärungen Garantien der Gemeinschaft anzubieten, die von allen Beteiligten als ausreichend angesehen werden müßten. Über Ausmaß und Einzelheiten dieser Garantien wird noch innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verhandelt.
Über die möglichen Auswirkungen derartiger Garantien auf die ernährungswirtschaftliche Versorgung in der erweiterten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie auf die Absatz- und Einkommenslage der Landwirtschaft in der EWG läßt sich bei dem augenblicklichen Verhandlungsstand nur eine allgemeine Aussage machen. Auch bei einem garantierten Zugang bestimmter Commonwealth-länder auf dem britischen Zucker- und Buttermarkt, dessen Ausmaß unter den zur Zeit gelieferten Mengen liegen würde, würden sich für die kontinentalen Erzeuger bessere Absatzchancen im Vereinigten Königreich ergeben als unter den jetzigen Verhältnissen. Die Absatz- und Einkommenslage der Landwirtschaft in der Sechser- wie in der Zehnergemeinschaft würde daher sicherlich nicht nachteilig beeinflußt werden. Es ist sogar eine günstigere Absatzchance für sie auf den durch hohen Zuschußbedarf gekennzeichneten britischen Zucker- und Buttermärkten zu erwarten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß sich die Bundesregierung dafür einsetzen wird, auch die Interessen Großbritanniens hinsichtlich der Commonwealthländer zu berücksichtigen. Wie können Sie sagen, daß sich dann verbesserte Absatzchancen für die Landwirtschaft der EWG-Länder auf dem englischen Markt ergeben könnten?
Herr Niegel, ich kann diese Aussagen durchaus miteinander vereinbaren. In den Verhandlungen mit den Commonwealthländern wird und muß schließlich versucht werden, die Quoten der Lieferungen aus den Commonwealthländern auf die EWG abzustimmen. Dabei kann für uns durchaus ein Mehr an Produktionsraum herauskommen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6519
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, wie lange würde man Großbritannien derartige Lieferungen aus den Commonwealthländern garantieren, und wie wird sich eine solche Garantie auf die vorhin angesprochenen Bestrebungen, zu kostendeckenden Preisen zu kommen, auswirken?
Vorläufig rechnet man, was diese Vereinbarungen Großbritanniens angeht, mit einer Frist bis Dezember 1974. Ich kann Ihnen heute aber noch nicht konkret sagen, wie die Preisentwicklung bei den Zuckerrüben dadurch beeinflußt werden wird. Ich sehe aber keine negativen Auswirkungen. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir auch für die erweiterte Gemeinschaft eine bestimmte Produktionsquote ansteuern. Sie wissen ja, daß man durchaus in der Lage ist, über Produktionsquoten die Erzeugung dem jeweiligen Marktbedarf anzupassen und dabei auch zu Preisverbesserungen zu kommen, wenn sie notwendig sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß es insbesondere bei der Erweiterung der Gemeinschaft um beitrittswillige Länder nicht nur darum geht, eine gemeinsame Agrarpolitik zu konzipieren, sondern daß bei dieser Gelegenheit — vielleicht noch stärker als bisher auch der Forderung des EWG-Vertrages Rechnung getragen werden muß, daß die Gemeinschaft zu einer Liberalisierung und Entwicklung des Welthandels beizutragen habe?
Ich stimme Ihnen durchaus zu. Deshalb halte ich es auch nicht für gut, wenn wir in der Öffentlichkeit jetzt schon immer wieder über Details sprechen. Ich weiß, daß der EWG-Vertrag durchaus auch Raum für Einfuhren aus traditionellen Einfuhrländern frei läßt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, halten Sie es — im Gegensatz zu der eben gestellten Frage — nicht im Sinne Ihres Hauses und im Sinne der deutschen Landwirtschaft für hilfreich, wenn von einem Fragesteller aus den Reihen der Opposition hier darauf aufmerksam gemacht wird, daß die weiteren Beitritte zur EWG, die sehr erwünscht sind, nicht auf Kosten der deutschen Landwirtschaft erfolgen dürfen?
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Darüber bin ich mit Ihnen einig. Ich habe mit meiner Anmerkung nur sagen wollen, daß ich es nicht für günstig halte, wenn wir zu sehr in die Details gehen, weil die Verhandlungen noch laufen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Struve.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für unbedingt notwendig, daß in den Beitrittsverhandlungen mit England England hat ja ein ungewönhlich niedriges Agrarpreisniveau —auch dem 1973 auslaufenden Aufwertungsverlustausgleich, den wir im Augenblick noch haben, Rechnung getragen werden muß?
Herr Kollege Struve, auch diese Situation wird man mit zu berücksichtigen haben. Das sehe ich durchaus so. Ein Auslaufen des Aufwertungsverlustausgleichs darf nicht zu einer Erzeugerpreissenkung in der europäischen Landwirtschaft führen. Die deutsche Landwirtschaft wäre hier ja in erster Linie betroffen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich mache darauf aufmerksam, daß wir die Fragestunde bereits um drei Minuten überschritten haben. Die Frage 32 wurde vom Fragesteller zurückgezogen. Die restlichen Fragen kann ich nicht mehr aufrufen. Diese Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, wir fahren in unserer Tagesordnung fort. Ich rufe als nächsten Punkt auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Anlaß der auf die heutige Tagesordnung gesetzt gewesenen Beantwortung zweier Großer Anfragen zur Sicherheitspolitik habe ich namens der Bundesregierung das Folgende zu erklären.Die Sicherheitspolitik ist Teil des außenpolitischen Gesamtkonzeptes der Bundesregierung, sie ist eingebettet in die politische Gesamtstrategie des westlichen Bündnisses. Seit dem Harmel-Bericht von 1967 wird Sicherheitspolitik durch die NATO als Verteidigung und Entspannung definiert. Überragendes Motiv ist, das Gleichgewicht der Kräfte und dadurch die Abschreckung weiter glaubwürdig zu erhalten. Wir halten dabei an der Strategie der flexiblen Reaktion und am Prinzip der Vorneverteidigung fest.Wer glaubt, daß Zusammenarbeit und Integration im Westen sowie Entspannung und Aussöhnung nach Osten einander behindern, muß die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Im Dezember 1970 haben die
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6520 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Bundesminister SchmidtI europäischen Verteidigungsminister im Bündnis ein gemeinsames Verstärkungsprogramm für die nächsten fünf Jahre beschlossen. Daraus können sich eine wirkliche europäische Verteidigungszusammenarbeit und auch ein besseres europäisch-amerikanisches Verhältnis entwickeln. Gleichzeitig hat das Bündnis einen Bericht über die Verteidigung der Allianz in den siebziger Jahren verabschiedet.Außerdem ist es gleichzeitig dem Bündnis gelungen, das Problem ausgewogener, beiderseitiger Truppenreduzierungen — oder, wie es im internationalen Abkürzungs-Slang heißt, MBFR: Mutual Balanced Force Reductions — in die Ost-West-Diskussion einzuführen und an dem Projekt einer Konferenz über die Sicherheit Europas zu arbeiten.Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat Verhandlungen mit Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Irland über den Beitritt zur EWG aufgenommen — nach einer langen Zeit vorheriger Stagnation. Die Außenminister der Gemeinschaft haben eine engere politische Konsultation vereinbart, und über den Weg zu einer Wirtschafts- und Währungsunion ist konkrete Einigung erzielt worden.Andererseits aber haben die Vereinigten Staaten, England und Frankreich mit der Sowjetunion Verhandlungen über eine Berlin-Regelung aufgenommen. Westliche und östliche Staaten bemühen sich um den Atomwaffen-Sperrvertrag. Gleichzeitig laufen die Verhandlungen über eine Begrenzung der strategischen Rüstung SALT genannt — zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Im Zusammenhang mit diesen ausgreifenden Entspannungsbemühungen des Westens hat die Bundesrepublik Verträge mit Moskau und Warschau geschlossen; die Verhandlungen mit Prag werden in Kürze beginnen, hinzu kommen die Bemühungen um ein Vertragsverhältnis zur DDR.Dies alles berechtigt niemanden zu euphorischer Stimmung. Aber es wird deutlich, daß Entspannungspolitik auf der Grundlage unmißverständlicher Sicherheitspolitik die Perspektive eines Europas der Zusammenarbeit eröffnet — eine Perspektive, an die John F. Kennedy glaubte und an deren Verwirklichung heute pragmatisch gearbeitet wird.Für diejenigen, die ihre Augen und Ohren benutzen wollen, liegen viele Zeugnisse für die weitgehende Übereinstimmung zwischen der Auffassung der Bundesregierung und den Auffassungen der uns verbündeten Staaten vor, von den Kommuniqués der Ministertagungen der NATO bis zu den einzelnen verantwortlichen Äußerungen, welche die uns verbündeten Regierungen vor ihrem jeweiligen nationalen Parlament oder ihrer nationalen Öffentlichkeit abgeben. Die Bundesregierung weist in diesem Zusammenhang auf einen Aufsatz des belgischen Außenministers Pierre Harmel in der jüngsten Ausgabe des „Europa-Archivs" vom 10. März hin und unterstreicht z. B. die folgende Aussage des belgischen Außenministers — ich zitiere —:Die schrittweise Vereinigung Westeuropas ... ist unbestreitbar ein Faktor des Friedens ... Wenn man den Blickwinkel erweitert und an ganz Europa denkt, kann man gewiß feststellen,daß diese neuen Bindungen verhindert haben, daß der kalte Krieg in einen dritten Weltkrieg ausgeartet ist. Diese Interdependenz wird in glücklicher Weise durch die atlantische Verteidigungssolidarität ergänzt. Diese Situation des Gleichgewichts hat die Vorstellung der Koexistenz möglich gemacht, die zunächst zur Entspannung geführt hat und morgen vielleicht zum Einvernehmen führen wird ... Wenn wir auf diese Weise eine relativ befriedigende Bilanz ziehen können, so dürfen wir uns dennoch nicht einem leichtfertigen Optimismus hingeben. Wenn Europa auch ein gutes Stück auf dem richtigen Weg zurückgelegt hat, so ist es doch noch weit vom Ziel entfernt ... Die solidarische Haltung des Westens entspringt einer gemeinsamen Philosophie: seinem Friedenswillen und seiner Bereitschaft zum Dialog ... Sie hat bisher den bewaffneten Frieden in Europa gewährleistet, aber sie müßte jetzt Wege finden können, auf unserem Kontinent ein neues Gebäude des Friedens und der Sicherheit zu errichten.Soweit das Zitat aus der Feder des belgischen Außenministers.Meine Damen und Herren, die Koppelung von Sicherheit und Entspannung bedeutet, daß die Aufgaben der Streitkräfte des Bündnisses und die Aufgaben der Bundeswehr heute genauso wichtig sind wie zuvor. Wer anderes behauptet, ist naiv oder handelt bewußt unverantwortlich. Denn: mit der Bundeswehr leisten wir unseren Beitrag zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts und zur Beibehaltung einer glaubwürdigen Abschreckung durch das Bündnis als Ganzes.Weil diese Aufgaben der Bundeswehr so wichtig sind, haben wir sogleich zu Beginn der Amtszeit dieser Bundesregierung versucht, ihren inneren Zustand zu diagnostizieren. Diagnose und Therapie — Ergebnisse einer kritischen Bestandsaufnahme — sind im Verteidigungsweißbuch 1970 veröffentlicht worden.Vielleicht darf ich hier hinzufügen: Ich habe manchmal das Gefühl bei dem einen oder anderen, dessen Kommentare ich in der einen oder anderen Zeitung lese, er sollte vermeintliche Neuigkeiten nicht überbewerten, sondern sollte lieber das Weißbuch noch einmal lesen. Er wird dort das meiste wiederfinden, was er heute als Neuigkeit verkauft.Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist im Laufe der letzten 18 Monate für die öffentliche Meinung und für die Organe der öffentlichen Meiung durchsichtiger geworden als jemals vorher. Dies ist weitgehend auch ein Ergebnis der öffentlich durchgeführten kritischen Bestandsaufnahme, der dienstlichen Tagungen von Unteroffizieren, Einheitsführern, Kommandeuren und Vertrauensleuten sowie der durch die Bundesregierung ermutigten Beteiligung der Soldaten an der öffentlichen Diskussion in unserem Land. Zum Zwecke der Durchsichtigkeit hat auch das Verteidigungsweißbuch 1970 bisher nicht übliche detaillierte Darstellungen der Aufgaben und der Probleme einschließlich detail-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6521
Bundesminister Schmidtlierter Zahlen vor aller Öffentlichkeit ausgebreitet. Die Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen hat davon profitiert und somit das öffentliche Interesse an den Streitkräften gefördert.Je mehr man die Öffentlichkeit an seinen eigenen Sorgen teilnehmen läßt, ohne dabei zu übertreiben und ohne dabei unverschämte Forderungen zu stellen, desto mehr ist die öffentliche Meinung zu interessierter Teilnahme geneigt. Für die Bundeswehr jedenfalls ist dies letztere auch statistisch feststellbar. Meinungsumfragen der letzten Zeit zeigen, daß die Bundeswehr von der Gesamtgesellschaft weit überwiegend positiv eingeschätzt wird. Ich will dazu ein paar Zahlen nennen, weil hie und da auch aus dem Bereich der Truppe selbst, aber auch von solchen, die glauben, es mit der Truppe gut zu meinen, Klagen über angeblich mangelndes Verständnis durch die öffentliche Meinung geäußert werden.Nach der letzten großen EMNID-Umfrage dieses Winters, die wir haben machen lassen, glauben 68 % der Menschen in unserem Staat, daß die Bundeswehr in der heutigen Zeit wichtig oder sehr wichtig sei, und legen ihr eine positive Bedeutung bei. Die Bürger der Bundeswehrstandorte entschieden sich sogar zu 77 % für dieses Urteil. Zehnmal so viele Menschen in unserem Land finden die Bundeswehr „eher sympathisch" denn „eher unsympathisch". Zwei Drittel der Befragten meinten zur Frage des Führungsstils in der Bundeswehr, in der Armee eines demokratischen Staates könne auch 1 über den Dienstbetrieb diskutiert werden, und sie glaubten, daß dies möglich sei, ohne daß Disziplin und Einsatzbereitschaft darunter leiden.Die insgesamt sehr sorgfältigen Untersuchungen lassen keinen Zweifel, daß die Einordnung von Bundeswehr und Soldaten in die Gesamtgesellschaft weitestgehend gelungen ist und übrigens dort am stärksten zum Ausdruck kommt, wo die engsten Kontakte zwischen zivilen Bürgern und Bürgern in Uniform bestehen. Drei Viertel aller Befragten bejahten die Notwendigkeit der Friedenssicherung durch die Bundeswehr; zwei Drittel aller Befragten äußerten das Vertrauen, daß die Bundeswehr mit unseren Verbündeten gemeinsam ihre Abwehraufgabe in einem Ernstfall würde lösen können.EMNID stellt als Bewertung des Ergebnisses der Umfrage folgende sechs Thesen heraus.1. Die persönlichen Kontakte von Menschen, die in Bundeswehrnähe leben, sind zu Soldaten und zur Bundeswehr intensiver ausgeprägt als die der Gesamtheit.2. Der Soldat ist ein selbstverständlicher Bestandteil der Gesellschaft geworden, um so mehr, als Kontaktmöglichkeiten zwischen ihm und der Bevölkerung bestehen.3. Das Verhältnis hat sich normalisiert. Die Notwendigkeit und die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr wird von der großen Mehrheit bejaht.4. Die Massenmedien gelten als ein „fast normales Spiegelbild" dieser Situation.5. Von einer Sonderstellung der Berufssoldaten in der Gesellschaft kann nicht mehr die Rede sein.6. Die Einschätzung der Bedeutung der Bundeswehr in Garnisonstädten ist noch positiver als in der Gesamtbevölkerung.So weit die zusammengefaßte Bewertung von zwei dicken Bänden Meinungsbefragung durch die auswertende Stelle, in diesem Falle EMNID.Wir vermuten, daß die Bundeswehr auch im Vergleich mit anderen Einrichtungen unserer Gesellschaft gut aussehen wird. Ich habe den Auftrag zu einer Untersuchung und Meinungsbefragung erteilt, die die Einschätzung der Bundeswehr und anderer öffentlicher Einrichtungen, in denen junge Menschen tätig sind, in denen sie unterrichtet, erzogen und beeinflußt werden, also z. B. der Universitäten, Schulen, Gymnasien usw., miteinander vergleichen wird.Lassen Sie mich zur Lage der Truppen einiges sagen. Die Erfahrungen mit zu Wehrübungen eingezogenen Wehrpflichtigen, insbesondere die vor wenigen Wochen im Zusammenhang mit der Übung WINTEX erfolgten Mobilmachungsübungen, haben gezeigt, daß die Haltung und die Einstellung der Reservisten, die ja alle früher in der Bundeswehr schon einmal ihren Grundwehrdienst geleistet haben, erheblich positiver ist, als die Bundeswehr selbst erwartet hatte. Dies gilt insbesondere auch für die Familienangehörigen der inzwischen meist verheirateten Wehrpflichtigen, vor allem hinsichtlich der Benachrichtigung ortsabwesender Männer bei Zustellung des Einberufungsbescheides. Nach drei Tagen standen den Truppenteilen etwa 80 % der einberufenen Reservisten zur Verfügung. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß knapp 10 % auf begründeten Antrag durch die Kreiswehrersatzämter oder von der Truppe selbst von einer Teilnahme befreit worden sind. Ich will in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, daß die Arbeitgeber, auch die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, keineswegs überall das gleiche Verständnis aufgebracht haben wie die wehrpflichtigen Reservisten selbst und ihre Familien.Zweifellos sind diese Familienväter nicht mit Begeisterung zu einer Wehrübung eingerückt. Wenn dies der Fall gewesen wäre, würde man eher nachdenklich darauf reagieren müssen. Vielmehr ist es eine sehr nüchterne Einsicht in die unvermeidliche Notwendigkeit, die den tragenden Faktor für die durchgängig positive Einstellung der hier betroffenen Bürger bildet. Dies gilt natürlich nicht in gleichem Maße für die jungen Wehrpflichtigen, wenn oder bevor sie gemustert oder zu ihrem 18monatigen Grundwehrdienst einberufen werden. Die jungen Wehrpflichtigen werden auch an den Schulen nicht sonderlich auf die Notwendigkeit des Wehrdienstes vorbereitet.
Darauf komme ich noch zurück.Eine besondere Schwierigkeit für die ganz jungen Soldaten liegt naturgemäß in der anscheinend paradoxen Problematik ihres Auftrags, sich zum Zwecke der Erhaltung des Friedens für den Kampf auszubil-
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6522 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Bundesminister Schmidtden und bereit zu sein. Für einen jungen Menschen ist es sehr schwer, das richtig zu verstehen.Diese psychologische Schwierigkeit macht sich zusätzlich und im Gegensatz zur Mehrzahl der übrigen Verbände des Heeres und der Masse der Verbände von Luftwaffe und Marine besonders bei den Kampftruppen bemerkbar, weil die Kampftruppen des Heeres ihre Ausbildung weitgehend in simulierter Kampftätigkeit erfahren, ohne daß der routinemäßige und tägliche Dienstablauf in gleicher Weise als sinnvoll und befriedigend erlebt werden kann wie etwa bei schwimmenden oder fliegenden Verbänden, bei Wartungs- und Instandsetzungsverbänden, bei Fernmeldeverbänden usw.Für die Kampftruppen des Heeres ist es am schwierigsten, anschauliche und geeignete Ausbildungsbedingungen zu schaffen. Die Steigerung der Beweglichkeit und der Schußweiten sowie die zunehmende Auflockerung der Verbände machen es immer schwieriger, auf den beengten Übungsplätzen ausreichend Gefechts- und Schießausbildung zu betreiben. Die Mitbenutzung von Plätzen im Ausland ist zwar eine Hilfe, schafft aber keinen grundsätzlichen Wandel. Die mit den Verbündeten zu teilenden begrenzten Übungsmöglichkeiten zwingen die Truppen, auch zu solchen Zeiten, die für den Ausbildungsrhythmus ungünstig sind, die Schieß- und Übungsplätze zu nutzen. Übungen im freien Gelände können infolge hoher Besiedlungsdichte in vielen Gegenden und wegen der vielen Kunstbauten sowie infolge der Gefahr von Flur- und Straßenschäden nur eine begrenzte, eine zeitlich begrenzte Aushilfe darstellen. Die zahlreichen Kettenfahrzeuge verbannen diese Truppen weitgehend aus größeren Städten, so daß gerade die Kampftruppen des Heeres häufiger als andere in abgelegenen Standorten liegen müssen. Dies erschwert es zusätzlich, Nachwuchs für diese Waffengattung zu gewinnen. Darüber hinaus laufen die längerdienenden Unteroffiziere in den Kampftruppen des Heeres Gefahr, den Kontakt mit ihrem Zivilberuf zu verlieren oder nur schwer den Anschluß an eine Stabsverwendung innerhalb der Bundeswehr zu gewinnen.Deshalb ist die Offizier- und Unteroffiziernachwuchslage bei einem großen Teil der Kampftruppen angespannter als anderswo, was seit Jahren eine permanente Überforderung der Bataillonskommandeure, der Kompaniechefs sowie der Zug- und Unterführer zur Folge hat. Der relativ hohe Anteil von Wehrpflichtigen bringt zwangsläufig größeren Personalwechsel und Mehrarbeit mit sich, als das anderswo der Fall ist. Es werden daher die Einheitsführer dieser Kampftruppen mit den Unzulänglichkeiten unserer Gesellschaft auch in stärkerer Weise als anderswo konfrontiert.Das Bundesministerium der Verteidigung ist bemüht, die Nachwuchslage gerade auch bei diesen Waffengattungen durch die im Weißbuch angekündigten Maßnahmen zu verbessern. Erste Erfolge zeichnen sich deutlich ab. Eine Erhöhung des variablen Umfanges zum Ausgleich für den Personalschwund wird die Dienststärken anheben und damit Ausbildung und Struktur der Verbände verbessern. Verhandlungen um Mitbenutzung zusätzlicher ausländischer Übungsplätze sind im Gange. Es werden auch alle Anstrengungen unternommen, um vorhandene Standortübungsplätze und unsere überregionalen Übungsplätze zu erweitern. Aber dies ist verständlicherweise ein sehr mühsamer Vorgang, zu dem häufig genug die Herren Ministerpräsidenten der Länder persönlich bemüht werden müssen, um nur einen ganz kleinen Schritt voranzukommen.Die Neugestaltung der Laufbahnen, der Bildung und Ausbildung strebt besonders die Förderung der längerdienenden Soldaten in den Kampftruppen an. Rasche Erfolge sind bei der Vielfalt der vorgefundenen Schwierigkeiten nicht zu erwarten. Gerade die Kampftruppen des Heeres dürfen aber der nachdrücklichen und der sorgenden Bemühungen der Bundesregierung gewiß sein.Die Kampfverbände aller drei Teilstreitkräfte und aller Waffengattungen haben sehr verschiedenartige Schwerpunkte hinsichtlich ihrer Sorgen und ihrer Probleme. Auch z. B. die Fla-Raketenverbände der Luftwaffe leiden schon seit Jahren unter einer bestimmten Überforderung ihrer Soldaten. Auf die Wartungs- und Flugsicherheitsprobleme der fliegenden Verbände werde ich noch gesondert zu sprechen kommen. Der Marine fehlt es, wie Sie wissen,
zum Teil an modernen Schiffseinheiten.Die militärische Führung wie auch die Bundesregierung sind sich aus den ihnen dienstlich vorgelegten Berichten wie auch aus ständig erneuertem eigenen Augenschein der Sorgen der Soldaten wohl bewußt. Wir erkennen auch, daß gerade die besonders engagierten Truppenführer bisweilen zur Überschätzung ihrer Schwierigkeiten und ihrer Sorgen neigen. In vielen Fällen sind dies gerade diejenigen, die sich in ihrem Pflichtgefühl und Verantwortungsbewußtsein von anderen nicht übertreffen lassen wollen. Trotz solcher gelegentlicher Übertreibungen in dieser Richtung halte ich die gewonnene größere Durchsichtigkeit und auch die Öffentlichkeit der Sorgen der Soldaten, die Öffentlichkeit der Schwierigkeiten der Bundeswehr für einen Vorteil sowohl zugunsten der Streitkräfte als auch der Gesamtgesellschaft.
Jedermann kann sehen, daß die Staatsbürger in Uniform Sorgen haben, daß sie hinsichtlich der Behebung ihrer Sorgen zum Teil auch verschiedener und sich widersprechender Meinung sind. Jedermann kann aber auch sehen, daß die Sorgen der Gesamtgesellschaft um die zukünftige Gestaltung der Bundeswehr gegenwärtig kleiner sein dürften als unsere gemeinsamen Sorgen um die zukünftige Entwicklung unserer Universitäten oder unseres Bildungswesens insgesamt. Die Bundesregierung und ebenso die militärische Führung wissen, daß andere Armeen auf europäischem Boden in West und Ost zum Teil ähnliche, zum Teil weitaus größere Probleme haben. So richtig es ist, seine eigene Leistung an idealen Maßstäben zu orientieren, so notwendig bleibt es auch, seine eigene
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Bundesminister SchmidtLeistung an den Leistungen anderer in vergleichbarer Lage bei vergleichbarer Aufgabenstellung zu messen. Insgesamt schneidet die Bundeswehr bei solchem Vergleich durchaus gut ab.Nur wer in althergebrachten militärischen Vorstellungen befangen geblieben sein sollte, kann sich zu pessimistischen Urteilen über die Bundeswehr und ihre Soldaten verleiten lassen. Wer den Fehler einer isolierten Betrachtung der Bundeswehr vermeidet, wird eher erstaunlich finden, wie weit die Bundeswehr in der Lage war und ist, ihr inneres Gefüge den Forderungen einer modernen Gesellschaft entsprechend zu entfalten und zugleich doch ihre innere Ordnung und Disziplin zu bewahren, und dies in einer Zeit, in der ringsherum in der gleichen Altersschicht ein weitgehender Zustand der Gärung, und zwar in allen freiheitlichen Gesellschaften des Westens, Platz gegriffen hat. Daß dies möglich war, ist gewiß ein Verdienst dessen, was man Innere Führung nennt.Die Bundesregierung würde es für einen schweren Fehler halten, dieses Gärungsprozesses in den jüngeren Schichten unserer Gesellschaft wegen etwa die Bundeswehr gegen die Gesellschaft abzuschirmen oder abzugrenzen.
Ein Land oder eine Regierung, die einen solchen Versuch unternehmen oder zulassen wollte, würde die Streitkräfte und die Gesamtgesellschaft allen jenen Gefahren aussetzen, insbesondere politischen Gefahren, die mit einer Isolierung des Soldaten erfahrungsgemäß verbunden sind. Das gilt für alle demokratischen Gesellschaften des Westens in gleicher Weise.Ein besonderes Wort zur Situation bei den fliegenden Verbänden, die mit Strahlflugzeugen ausgestattet sind. Seit der Vorlage des Verteidigungsweißbuches 1970 und der damaligen Debatte in diesem Hause darüber haben wir, besonders in den allerletzten Wochen, eine erhebliche Zunahme der Flugunfälle mit Strahlflugzeugen, insbesondere des Typs F 104 G, zu verzeichnen. Luftwaffenführung, Bundeswehrführung wie auch Parlament und Öffentlichkeit sind darüber in Sorge. Ich möchte Ihnen dazu sagen, daß gegenwärtig eine Wiederholung der großen Unfallserie der Jahre 1965/66 nicht zu erwarten steht. Die bisherigen Ermittlungen der Untersuchungskommission haben noch nicht erkennen lassen, daß etwa die jüngste Unfallserie auf eine alleinige oder vorherrschende Ursache zurückzuführen wäre.Im Zusammenhang mit der im Laufe der Jahre zunehmenden Belastung der Flugzeuge und damit auch ihrer technischen Wartungsbedürftigkeit ist jedoch erkennbar, daß gegenüber vergangenen Jahren der Unfallfaktor, der unvermeidlicherweise nicht nur auf der Seite der Flugzeugführer, sondern auch auf der Seite der Techniker am Boden in menschlichen Verhaltensweisen beschlossen liegt, in höherem Maße beteiligt ist als in vergangenen Jahren. In keinem einzigen Falle liegt ein Verdacht auf Sabotage vor. Es besteht kein Zweifel, daß die Bundesregierung mit ihrer Forcierung der zugunstender Menschen in der Bundeswehr eingeleiteten Veränderungen auch im Hinblick auf die Flugsicherheit den Hebel an der richtigen Stelle angesetzt hat.Weder die Luftwaffenführung noch die Bundesregierung haben die Absicht, eine zeitweilige Sperrung des Waffensystems anzuordnen. Sie würde für die Sicherheit des Flugbetriebes keine Besserung, sondern eher eine Verschlechterung erwarten lassen; denn die Erfahrung hat gelehrt, daß die Wiederaufnahme des Flugbetriebes mit zeitweilig stillgelegt gewesenen Flugzeugen aus technischen Granden risikoträchtiger ist als eine kontinuierliche Weiterführung des Flugbetriebes. Ich sehe dabei von der Darstellung der psychologischen Faktoren sogar noch ab.Wir wollen die Lage vielmehr durch eine Reihe anderer Vorkehrungen wieder normalisieren. Diese umfassen erstens ein Sofortprogramm, das gestern im Verteidigungsausschuß des Hohen Hauses erläutert worden ist. Wesentlicher Bestandteil darin ist die vorgestern erlassene Anordnung, welche der Flugsicherheit absoluten Vorrang vor allen militärischen Leistungsanforderungen an die fliegenden Verbände gibt. Bis auf weiteres sind also die jeweiligen Umweltbedingungen und die jeweiligen personellen und technischen Möglichkeiten alleiniger Maßstab für die Durchführung des Flugbetriebes. Hierbei werden vorübergehend — eine Einschränkung in der Erfüllung der vorgeschriebenen Flug- und Ausbildungsprogramme und das Absinken der NATO-Bewertungen in Kauf genommen. Eine solche Inkaufnahme hätte keinen Sinn, wenn man sich nicht vorstellen könnte, daß in der Zwischenzeit, während diese Einschränkung gilt, Weiteres geschieht.Das mittelfristige Programm besteht im wesentlichen darin, daß die seit einiger Zeit bestehende Expertengruppe der Luftwaffe im Begriff ist, aus der Analyse der Unfälle Verbesserungsmöglichkeiten personeller, organisatorischer, technischer, infrastruktureller und flugbetrieblicher Art abzuleiten, Maßnahmen, die voraussichtlich Ende Mai in die Phase der Verwirklichung eintreten werden. Die Luftwaffenführung ist zuversichtlich, daß sich die gegenwärtige Verschlechterung der Flugsicherheitslage bereits in den kommenden Wochen fühlbar bessern wird.Auf mittlere Sicht wird die bereits eingeleitete Austauschaktion gegenüber erkannten Schwachstellen des Flugzeugs, die erhebliche Beträge erfordern wird, eine wesentliche Verbesserung erreichen. Seit 1969 ist ein neues Original-Serienflugzeug insbesondere hinsichtlich des Tragflächen- und des Flügelrumpfbereiches auf dem Prüfstand einer Dauerbelastung unterzogen worden. Der Versuch hat bisher 6000 Flugstunden simuliert und läuft damit den tatsächlich geflogenen Flugstundenbelastungen der in den Verbänden befindlichen Flugzeuge weit voraus. Diese Art der Ermüdungsfestigkeitsversuche hat Aufschlüsse über die zusätzlichen tatsächlichen Belastungen ermöglicht, denen die Flugzeuge vor allem seit dem Übergang zu vielfältigen konventionellen Missionen ausgesetzt gewesen sind. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das eine direkte
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Bundesminister SchmidtKonsequenz der 1967 vom Bündnis beschlossenen Strategie der „flexible response" ist, eine direkte Konsequenz, die sich aus dieser strategischen Veränderung und aus der Veränderung der taktischen und Ausbildungsaufträge an die fliegenden Verbände und der damit zwangsläufig einhergehenden höheren Belastung des Materials ergab.Zum langfristigen Programm: Der Ersatz der Flugzeuge vom Typ G 91 und F 104 G ist eingeleitet. Aber es wird noch lange dauern, bis alle Flugzeuge durch neue abgelöst sind. Die vor wenigen Tagen bekanntgegebene Grundsatzentscheidung meines Hauses für den Ankauf von F-4-Phantom als Ergängänzungsflugzeug wird sich mehrere Jahre vor Beginn des Zulaufs an MRCA-Flugzeugen vom Typ PANAVIA 200 zugunsten einer schrittweisen Erneuerung der Flugzeugbestände auswirken.Meine Damen und Herren, das Vertrauen der Piloten in ihr Waffensystem ist ungemindert.
An der einen oder anderen Stelle ist das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit der Piloten sogar zu groß, insbesondere gelegentlich bei jüngeren Soldaten.Ich möchte in diesem Zusammenhang mit Dank zur Kenntnis nehmen, daß, jedenfalls bis zum heutigen Tage, Presse und Massenmedien über die Unfälle in überaus sachlicher und die Emotion vermeidender Weise berichtet und kommentiert haben. In vielen Ländern der Welt, auch in westlichen Ländern, werden die überall vorkommenden Unfälle im militärischen Flugbetrieb soweit als möglich verschwiegen. Die Bundesregierung hält eine solche Politik für falsch. Wir sind für Durchsichtigkeit, und auch aus diesem Grunde war es notwendig, die eben vorhergehenden Bemerkungen zu machen.Auch in den technischen Gruppen der fliegenden Verbände besteht das Problem, das die Bundeswehr kennzeichnet, seit ich mein Amt angetreten habe, und sie schon lange vorher kennzeichnete: das Fehl an Unteroffizieren. Die Zahl der Zeitunteroffiziere ist immerhin im Laufe des Jahres 1970 von 81 600 auf 87 700 gestiegen. Dieser Zuwachs, hauptsächlich von Unteroffizieren mit kürzeren Verpflichtungszeiten, hat das von der Bundesregierung vorgefundene Fehl um 6100 Unteroffiziere oder um rund ein Viertel in einem Jahr verringert.Dem Fehl an Zeitunteroffizieren steht ein über das Soll hinausgehender Bestand an Berufsunteroffizieren gegenüber. Es sind 8200 Berufsunteroffiziere mehr vorhanden, als im Soll vorgesehen. Sie müssen teilweise den Mangel an Zeitunteroffizieren ausgleichen.Allerdings sind bei Bewertung der Personallage die Soll-Vorstellungen wie auch die berühmten Stärke- und Ausrüstungsnachweisungen, im Soldatenjargon STAN genannt, doch erheblich problematisch. Auch das muß man im Kopf haben, wenn über das Fehl geklagt wird. Tatsächlich haben vor allem die zeitlich gestraffte Unteroffizierausbildung und die Beförderung geeigneter Wehrpflichtiger und Z-2-Soldaten zum Unteroffizier zum Abbau des Unteroffizierfehls beigetragen. Auch die Bereitschaft von mehr Unteroffizieren, sich auf vier oder acht Jahre zu verpflichten, hat die Personallage verbessert. 1969 waren es 4600, die dies getan haben. 1970 waren es 6700. Das ist gemeint, wenn ich vorhin sagte, daß die ersten Erfolge all der im Weißbuch eingeleiteten Maßnahmen sich abzeichnen.An längerdienenden Mannschaften fehlten zu Beginn des vorigen Jahres der Bundeswehr 3500. Zum Jahresende jedoch wurde das Soll um 6500 überschritten. Von den insgesamt 88 700 längerdienenden Mannschaften hatten sich zwei Drittel auf die Mindestzeit von zwei Dienstjahren verpflichtet. Seit die Z-2-Soldaten mit der Ernennung wieder volle Dienstbezüge erhalten, steigt die Zahl dieser Verpflichtungen stark an. Von den etwa 40 000 Z-2-Soldaten, die sich im vergangenen Jahr verpflichtet haben, sind etwa zwei Fünftel Abiturienten.Die Personallage der Offiziere wird erstens von dem Kriterium der ungünstigen Altersstruktur und zweitens von dem Kriterium des Fehls bei den jungen Zeitoffizieren, insbesondere — ich wiederhole es — bei den Kampftruppen des Heeres, bestimmt.Entsprechend den Vorschlägen des Weißbuchs wird durch Anhebung von 1650 Hauptmannstellen und 2350 Majorstellen der durch die strukturellen Schwächen bedingte Beförderungsstau bei den Berufsoffizieren beseitigt.Der Personalbestand bei den Zeitoffizieren ist nur geringfügig gewachsen. Da die Dienstzeitvoraussetzungen für die Beförderung zum Leutnant von 36 Monaten auf 21 Monate herabgesetzt worden sind, können demnächst rund 700 Zeitoffiziere mit drei- und mehrjährigen Dienstverpflichtungszeiten zum Leutnant befördert werden. Außerdem konnten Anfang dieses Jahres 1700 Soldaten Leutnant werden, die sich nur zu einer zweijährigen Dienstzeit verpflichteten. Aber sie stehen der Truppe nachher nur noch für ein Vierteljahr zur Verfügung. Das Fehl an Zeitoffizieren beträgt gegenwärtig noch etwa 40%.Auch bei Berufsoffiziersanwärtern hat sich die Personallage etwas verbessert. Die Bundeswehr hat im vergangenen Jahr rund 1600 Offizieranwärter gewonnen; das sind 260 mehr als im Jahr davor. Aber insgesamt wurde der auf das Jahr umgeschlagene Bedarf nur zu 55 % gedeckt, bei Offizieranwärtern, die Offiziere auf Zeit werden wollten, nur zu 50 N.Auffallend und nennenswert in diesem Zusammenhang ist, daß z. B. der technische Dienst in der Luftwaffe, der mit einer Akademieausbildung in Neubiberg verbunden ist, eine unverhältnismäßig hohe Zahl an Offizierbewerbern anzieht. Die Situation bei den Zeitoffizieren wird sich erst dann grundlegend ändern, wenn in Verbindung mit den Ergebnissen der Beratungen der Bildungskommission für diesen Personenkreis berufliche Anreize geschaffen werden, die die Tätigkeit als Zeitoffizier noch lohnender erscheinen lassen als gegenwärtig.Ich fasse die Tendenzen der Personalentwicklung wie folgt zusammen:
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Bundesminister Schmidt1. Die Zahl der Offiziere und Unteroffiziere auf Zeit ist insgesamt gewachsen.2. Die Personalstruktur verschiebt sich zugunsten der kürzer- und zuungunsten der längerdienenden Zeitsoldaten. Das letztere hängt auch mit dem Ausscheiden derjenigen zusammen, die in die Bundeswehr in den ersten Jahren ihres Aufbaus eingetreten sind und deren Verpflichtungszeiten inzwischen ablaufen.3. Insgesamt ist die Personallage der Bundeswehr immer noch sehr angespannt, insbesondere bei bestimmten Waffengattungen, vornehmlich des Heeres.Hier darf nicht verschwiegen werden, daß die früher eingegangenen Verpflichtungen zur Aufstellung von zwölf Divisionen mit den jeweils dazugehörigen Verbänden einerseits und der durch die Haushaltsgesetze vorgeschriebene organisatorische Gesamtumfang der Bundeswehr andererseits seit Jahr und Tag in einem von der Truppe besonders deutlich und teilweise schmerzlich empfundenen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Es handelt sich um eine politisch motivierte Entscheidung, die vor anderthalb Jahrzehnten getroffen worden ist. Sie hat zu einem im Vergleich zu anderen Armeen ungewöhnlich hohen Anteil der Kampftruppen an der Gesamtzahl der Soldaten geführt. Daß dies nur zu Lasten der Soldaten, die in den Kampftruppen Dienst tun, möglich war und daß es nur ihren Lasten möglich bleibt, liegt auf der Hand.Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, daß das Prinzip der abgestuften Präsenz für die deutschen Verbände, die sich ja auf ihrem eigenen nationalen Boden und in geringer Entfernung von den Arbeitsstätten und Wohnorten der Reservisten befinden, eine vergleichsweise sehr schnelle Mobilisierung und Auffüllung bis zur vollen Präsenz ermöglicht. Diese Fähigkeit verdient insbesondere dann hervorgehoben zu werden, wenn die herabgesetzten bisherigen und gegenwärtigen Präsenzstärken unserer Verbände etwa ausländischer Kritik aus solchen Staaten unterzogen werden, die ihrerseits wegen des Expeditionskorpscharakters ihrer auf kontinentaleuropäischem Boden stehenden Truppen diese Verbände relativ hoch aufgefüllt haben. Das ist bei diesen Verbänden unserer Verbündeten gerade deshalb nötig, weil sie aus einer Reihe von Gründen zur schnellen Auffüllung nicht in der Lage sind.Die von der Bundesregierung in Übereinstimmung mit den Partnern des Bündnisses verfolgte Politik der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts macht, solange im Warschauer Pakt das Wehrpflichtprinzip gilt und praktiziert wird, die Aufrechterhaltung des Wehrpflichtprinzips auch auf seiten der westlichen Bündnispartner notwendig. Übrigens lassen sich von dieser Auffassung auch neutrale Staaten leiten, wie etwa Jugoslawien, Österreich, die Schweiz oder Schweden.Angesichts der langen Friedensperiode macht sich in allen Staaten des Westens und in einigen der soeben genannten neutralen Staaten ein durchaus gerechtfertigtes Gefühl der Sicherheit bemerkbar. Dies geht aber zugleich einher mit wachsender Skepsis der jungen Generation gegenüber der Notwendigkeit der Wehrpflicht. Aus besonderen Gründen ist dies in der Gesellschaft unseres wichtigsten Bündnispartners im Westen am deutlichsten zu erkennen. Wir haben von der Absicht der amerikanischen Regierung gehört, ab 1973 von der Wehrpflicht keinen Gebrauch mehr machen zu wollen. Sofern und sobald diese Absicht verwirklicht werden sollte, wird dies nicht ohne psychologische Auswirkungen in Europa bleiben. Gleichwohl werden aber dann die europäischen Regierungen, solange es nicht zu beiderseitigen ausgewogenen Rüstungsbeschränkungen in West und Ost gekommen ist, am Prinzip der Wehrpflicht festhalten müssen. Dies wird in allen Ländern nicht ohne Schwierigkeiten abgehen. Nach Überzeugung der Bundesregierung wird es nur dann möglich sein, wenn zugleich die Durchführung der gesetzlichen allgemeinen Wehrpflicht in gerechter, d. h. vornehmlich in wirklich allgemeiner Weise erfolgt.Die Bundesregierung ist im Begriff, hierzu die Vorschläge der Wehrstrukturkommission, die Ihnen, meine Damen und Herren, vorliegen und an denen eine Reihe politisch erfahrener bisheriger Mitglieder dieses Hohen Hauses mitgearbeitet haben, zu prüfen. Die Bundesregierung wird ihre Konsequenzen daraus im Verteidigungsweißbuch 1971 darlegen, das ich heute in keinem Abschnitt meiner Darlegungen vorwegnehmen will.Die Bundesregierung verhehlt nicht, daß das Ansteigen der Zahlen derjenigen, die beantragen, als Wehrdienstverweigerer anerkannt zu werden, von ihr nicht ohne Besorgnis betrachtet wird. An manchen Gymnasien scheint es zum guten Ton zu gehören, auf die eine oder die andere Weise den Wehrdienst zu vermeiden oder zu umgehen. Von dieser Feststellung können auch manche Lehrer nicht ausgenommen werden. Der Bundeskanzler hat aus diesem Grunde zu Beginn des letzten Winters die Aufmerksamkeit der Herren Ministerpräsidenten der Länder darauf gelenkt, daß Fragen der Verteidigung im Sozialkundeunterricht und in den Lehrbüchern in den einzelnen Ländern unterschiedlich und zum Teil auch unzureichend behandelt werden. Der Bundeskanzler hat hinzugefügt, daß dies auch für den Auftrag und die Stellung der Bundeswehr in unserer Demokratie gilt. Er hat in einem Brief vom 19. November vorigen Jahres die Ministerpräsidenten gebeten, darauf hinzuwirken, daß an den Schulen den Notwendigkeiten und den Problemen der Landesverteidigung allgemein mehr Beachtung geschenkt und daß bei den jungen Menschen das Verständnis für die Notwendigkeit einer ausreichenden Verteidigung als Voraussetzung der Entspannungspolitik geweckt werde. Er hat dabei wörtlich ausgeführt — ich zitiere —:Verantwortung und kritisches Denken, zu dem die Schulen die jungen Menschen befähigen sollen, darf nicht übersehen, daß der Verzicht auf ein Mindestmaß an Verteidigungsvorkehrungen Frieden und Freiheit gefährdet.
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6526 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Bundesminister SchmidtIn dem gleichen Brief hat der Bundeskanzler den Ländern auch Hilfe auf diesem Gebiet angeboten, und ich benutze diese Gelegenheit, um allen Damen und Herren dieses Hauses ans Herz zu legen, auch im Rahmen ihrer eigenen politischen Einflußmöglichkeiten die Bemühungen zu unterstützen und zu verbreitern, welche die Bundesregierung im Interesse des Staates auf diesem Felde angestrengt hat.Die Bundeswehr hat im letzten Jahr damit begonnen, durch eine größere Zahl amtlich veranstalteter Tagungen sich selbst ein unmittelbares Bild von den Auffassungen der Truppe zu machen — auch der Bundeskanzler hat sich beteiligt — und insbesondere auch die Diskussion und die Diskussionsfreudigkeit unter den Soldaten zu fördern.Im Zusammenhang mit solchen Diskussionen, teilweise auch schon früher, sind mehrere Denkschriften und Studien an verschiedenen Stellen der Bundeswehr entstanden. Einige davon haben ihrerseits eine relativ breite öffentliche Diskussion ausgelöst. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Studie des Führungsstabes des Heeres vom Sommer 1969, ich erinnere an die Thesen der sogenannten Leutnante 70, an das Flugblatt der sogenannten Soldaten 70 oder an die jüngst in einigen Zeitungen ganz oder teilweise veröffentlichte Niederschrift einer Tagung von Hauptleuten im Bereich einer Panzergrenadierdivision.Auch öffentliche Veranstaltungen des Bundeswehrverbandes, in denen Laufbahn- und Besoldungsfragen der Soldaten öffentlich und ziemlich streitbar debattiert worden sind, sollten hier erwähnt sein.Die Bundesregierung begrüßt auch für die Zukunft Diskussionen innerhalb der Bundeswehr. Sie wird ebenso selbstverständlich etwaigen Auswüchsen und Fehlern entgegentreten. Insbesondere im Zusammenhang mit der Flugschrift der sogenannten Soldaten 70 sind nach dienst-, verfassungs-, straf-und disziplinarrechtlicher Prüfung ein Verbreitungsverbot und eine Anweisung zu disziplinärer Würdigung notwendig gewesen, die in einigen Fällen zu disziplinärer Ahndung geführt hat. Eine daraufhin erfolgte Beschwerde eines Betroffenen ist vom Truppendienstgericht als unbegründet abgewiesen worden. Das Truppendienstgericht hat schuldhaftes Vorgehen nach § 23 des Soldatengesetzes festgestellt, das nach § 6 der Wehrdisziplinarordnung zu bestrafen war.In dem vorhin erwähnten jüngsten Fall haben inzwischen der Inspekteur des Heeres und der Generalinspekteur in zwei allen Verbänden bekanntgegebenen Fernschreiben mehrere irrige Feststellungen mit Nachdruck korrigiert. Vorwerfbar ist auf jeden Fall, daß fahrlässig unberechtigte Vorwürfe gegen die Führung der Bundeswehr erhoben worden sind. Ich nehme an, daß sich einige Zwischenvorgesetzte aus diesem Anlaß inzwischen selber Fragen vorlegen.Die Bundesregierung wiederholt aus diesem Anlaß: Die Diskussion unter Soldaten findet ihre Grenze im Gehorsam gegenüber Gesetz und Befehl und in der Loyalität gegenüber militärischen und politischen Vorgesetzten.
Wir werden hier keinen Kompromiß schließen.An dieser Stelle ein Gedanke, den ich zur Beherzigung hinzufügen möchte: Wer meint, für die Straffung militärischer Formen öffentlich eintreten oder auftreten zu sollen, der muß selbst peinlich auch nur den Anschein eines Loyalitätsverstoßes vermeiden, wenn man ihn mit seinem Anliegen ernst nehmen soll.
Mit anderen Worten, wer von anderen Disziplin verlangt, muß sich selbst in Zucht nehmen.
Auch die Diskussion muß Spielregeln einhalten.Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten soll heute nicht debattiert werden. Ich will meinerseits der Debatte nicht vorgreifen, aber öffentliche Darstellungen und Kommentierungen dieses Berichts in den letzten 14 Tagen machen zwei oder drei kurze Bemerkungen nötig.Das sogenannte Hasch-Problem gehört gegenwärtig noch keineswegs zu den größeren Sorgen der Bundeswehr. Der an einigen höheren Schulen erheblich verbreitete Hasch-Genuß durch Jugendliche wird jedoch in relativ kurzer Zeit auch innerhalb der Bundeswehr Probleme aufwerfen, sobald die betreffenden jungen Männer zum Wehrdienst eingezogen werden. Rauschmittelgenuß ist in militärischen Unterkünften und auch außerhalb des Dienstes verboten. Aufklärungsmaterial für die Truppe ist in Vorbereitung.Die zweite Bemerkung: Das von diesem Hause geforderte sogenannte — ich zitiere — „Kompendium" zum Gehalt der Inneren Führung ist in Arbeit. Ich will aber schon heute betonen und damit wiederholt betonen —, daß Innere Führung nicht vornehmlich eine Sache der theoretischen Pädagogik oder ihrer schriftlichen Darstellung und Lehre ist, sondern vielmehr eine Sache der praktischen Pädagogik, des Beispiels, des Vorbildes und der täglichen Truppenpraxis.
Mit einem anderen Wort: Man lernt die Praxis der Inneren Führung besser von seinem unmittelbaren Vorgesetzten — wenn er etwas taugt — als aus Büchern.
Zur Erheiterung — zu der ich auch beitragen will, Herr Kollege Schmidt— der Bundesregierung und vieler anderer in Stadt und Land— ich nehme an, auch in diesem Hause — haben die teilweise mit Tiefgang,Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn. Freitag, den 26. März 1971 6527Bundesminister Schmidtteilweise aber auch mit Humor geführten Diskussionen über Bärte und Haarschnitt der Soldaten geführt. Da es — vornehmlich unter der älteren Generation — Menschen gibt, die hier ernsthaft ein Problem sehen, soll ihnen auch eine ernstgemeinte Antwort gegeben werden: Je nach der Mode hat es in Deutschland wie auch in anderen Ländern schon hervorragende Soldaten mit Schnauzbärten, mit Vollbärten, ja sogar mit Zöpfen gegeben,
ebenso wie es auch in allen Ländern hervorragende Soldaten mit „militärischem" kurzen Haarschnitt gegeben hat.
— Und mit Glatze! Sie sind bald dran, Herr Wörner.
Was ich sagen will, meine Damen und Herren, ist dies: Es ist notwendig zu erkennen, daß die Jugend immer in stärkerer Weise mit der Mode geht als die älteren Semester.
Und wer auf diesem Gebiet die persönliche Gestaltungsfreiheit junger Menschen unnötig einengen wollte, der würde überflüssigen Konfliktstoff schaffen.
Die Bundesregierung wünscht, auch heute ihre Überzeugung von der Notwendigkeit der Institution des Wehrbeauftragten, der von der Truppe weitgehend in Anspruch genommen wird, und von der Nützlichkeit seiner Arbeit auszusprechen. Der Wehrbeauftragte hat jüngst von den Auswirkungen der politischen Polarisierung in unserem Lande auf die Haltung der Staatsbürger in Uniform hingewiesen. Gegen eine Politisierung der Bundeswehr haben wir dann nichts einzuwenden, wenn darunter eine stärkere Ausprägung der Fähigkeit zum Mitdenken und zum Urteilen in politischen Zusammenhängen gemeint ist. In diese Zusammenhänge sind Soldaten und zivile Bürger in gleicher Weise gestellt. Und dem Staatsdiener ist ein ausgeprägtes Staatsbürgerbewußtsein nicht nur erlaubt, sondern vielmehr geboten.
Eine parteilich-politische Auseinandersetzung in der Bundeswehr hält die Bundesregierung dagegen für schädlich. Mit Recht hat das Soldatengesetz hier sehr enge Grenzen gezogen. Versuche der parteilichpolitischen Einflußnahme von außen in die Streitkräfte hinein sind mir in manchen Fällen bekanntgeworden. Sie haben mit Recht vielerorts schwere Bedenken ausgelöst.In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Bemerkungen an die Adresse des ganzen Hauses richten. Sosehr die Truppe häufige Besuche und Gespräche durch Abgeordnete des Deutschen Bundestags bei ihren Verbänden begrüßt, so wenig kann es der Truppe einleuchten, wenn sich diese Besuche unmittelbar vor Landtagswahlen in den Standorten des jeweils betroffenen Landes konzentrieren. Wie gesagt, dies richtet sich an das ganze Haus.
Ebenso würde es die Bundesregierung begrüßen, wenn Veröffentlichungen, die den Unteroffizierkameradschaften und dem Offizierkorps der Bundeswehr von Parteien in größerer Auflage zugeschickt werden, es sorgfältig vermeiden würden, das Vertrauen der Soldaten in ihre Führungskräfte und in die Führung der Bundeswehr zu beeinträchtigen.
Ich erwähne in diesem Zusammenhang, daß ich selbst vor fünf Jahren, im Herbst 1966, von diesem Pult aus sprechend, als Oppositionssprecher auf dem Höhepunkt einer sehr kritischen Phase der damaligen politischen Bundeswehrführung den Soldaten der Bundeswehr in unmißverständlichem Klartext zugerufen habe, daß an der Notwendigkeit der Befehlstreue und der Loyalität gegenüber der Führung nicht der geringste Zweifel aufkommen dürfe.
Das muß auch heute gelten.
Die Bundesregierung mißbilligt insbesondere, wenn hier oder dort bei den Soldaten der Eindruck erweckt wird, als ob die militärische Führung oder die Bundesregierung selbst aus falschen politischen Motivationen das Ausmaß der Bedrohung oder das Kräfteverhältnis zwischen West und Ost verfälscht darstelle. Keine Bundesregierung hat bisher in ähnlich nüchterner, in ähnlich detaillierter und mit Zahlen belegter Sorgfalt das Kräfteverhältnis zwischen Ost und West in Mitteleuropa so unmißverständlich dargestellt, wie dies in den Ziffern 18 bis 29 des Verteidigungsweißbuches 1970 geschehen ist.
Das Verteidigungsweißbuch ist in mehreren Exemplaren bis in jede Kompanie verteilt worden. Am Ende des Jahres 1970 ist bis in die Bataillone die von der Ministertagung der NATO verabschiedete Veröffentlichung über die Verteidigung der Allianz in den 70er Jahren, die ich erwähnte, verteilt werden. Die in diesem Ministerratsbeschluß der NATO enthaltene Darstellung der Bedrohung bleibt jedoch hinsichtlich ihrer Ausführlichkeit und Genauigkeit weit hinter der Darstellung im Weißbuch der Bundesregierung zurück. Wer — ob in einer politischen Partei oder in einer Zeitung oder in der Bundeswehr selbst — angesichts dieser Tatsachen davon spricht, daß von Amts wegen das Kräfteverhältnis verfälscht werde, der wird seiner Verantwortung nicht gerecht, die ihm als Politiker, als Journalist oder als Soldat auferlegt ist.
Er trägt vielmehr zu einer unerwünschten Form der Politisierung der Armee bei. Die Bundesregierung spricht die Hoffnung aus, daß die Mitglieder dieses Hauses sich an derlei Handlungen nicht beteiligen.
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6528 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Bundesminister SchmidtEinige Mitglieder der Opposition haben den regelmäßigen Herbst- und Frühjahrsstellenwechsel der Bundeswehr zum Anlaß genommen, um in der Öffentlichkeit wie in der Bundeswehr den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, daß einigen Personalentscheidungen parteilich-politische Erwägungen zugrunde gelegen hätten. Ich habe dazu in einer anderen Debatte in diesem Jahr bereits Stellung genommen und will heute nur noch hinzufügen, daß seit dem Amtsantritt dieser Bundesregierung eine Reihe von Soldaten und Beamten der Bundeswehr, zum Teil in besonderem Maße, ge- und befördert worden sind, die den Oppositionsparteien angehören oder die zu Führungspersonen der jetzigen Oppositionsparteien in besonders engem persönlichen Arbeitsverhältnis gestanden haben. Es liegt im Interesse der Beamten und Soldaten, hier auf namentliche Beispiele zu verzichten. Ich möchte die Erwartung aussprechen, daß die hier von mir geübte Zurückhaltung in bezug auf die Nennung einzelner Personen des öffentlichen Dienstes auch von den Damen und Herren des Hohen Hauses auf beiden Seiten zukünftig gewahrt wird.
Ich brauche nicht in Erinnerung zu rufen, daß keine einzige militärische oder zivile Spitzenposition im Bundesministerium der Verteidigung nach dem Amtsantrtt dieser Bundesregierung umbesetzt worden ist. Selbst einer diesbezüglichen Empfehlung meines Amtsvorgängers bin ich erst gefolgt, nachdem ich mir im Laufe eines halben Jahres ein eigenes Urteil habe bilden können. Allerdings hat sich dann mein eigenes Urteil mit der Empfehlung meines Amtsvorgängers gedeckt.
Es darf und wird weder Vorteile noch Nachteile in der Laufbahnentwicklung eines Soldaten oder Beamten geben, weil er etwa einer bestimmten politischen Richtung anhängt oder nicht anhängt.
Über die auch in Zukunft konsequent fortzusetzenden Bemühungen zur Verjüngung der Generalität muß heute nicht erneut gesprochen werden. Jedoch möchte die Bundesregierung in diesem Zusammenhang deutlich einmal jener Generation von militärischen Führern und Unterführern danken, die in diesen Jahren nach langer Beteiligung am Aufbau der Streitkräfte nunmehr die Bundeswehr verlassen. Viele von ihnen haben sich 1955 und in den nachfolgenden Jahren lange überlegt, ob sie sich dem Aufbau der Bundeswehr zur Verfügung stellen sollen. Ihnen ist dadurch kein leichtes berufliches Leben beschieden gewesen. Die Bundeswehr ist inzwischen in ein Stadium gelangt, in dem die jüngere Generation nach vorne und natürlicherweise auch nach oben drängt. Um so mehr sind wir den Wegbereitern zu Dank verpflichtet.
Die z. B. zu diesem 31. März ausscheidenden Generale und Admirale sind gegen Ende der Weimarer Jahre erstmalig Soldaten geworden. Sie haben ihre erste Prägung durch die damals übliche Offizierausbildung in der Reichswehr, zum Teil in der Wehrmacht erhalten. Im Laufe ihres beruflichen Lebens haben sie außerordentliche Umbrüche erlebt und — nicht nur beruflich — sehr viel hinzulernen müssen. Vielen dieser Soldaten ist die bis zu 10jährige zivile Unterbrechung ihrer militärischen Berufsentwicklung bei der späteren Wiederaufnahme ihres militärischen Dienstes von außerordentlichem Nutzen gewesen, weil sie Erfahrungen, auch berufliche Erfahrungen, in anderen Bereichen gesammelt haben, wie man sie so in den Streitkräften selber nicht hätte sammeln können, wie sie jedoch für die Arbeit in den Streitkräften außerordentlich nützlich gewesen sind.Die Offizieranwärter der Bundeswehr des Jahres 1971 werden im allergünstigsten Einzelfall 1990 General werden können; die Masse der Betreffenden wird 1990 Oberstleutnant sein, — ein Teil wird vielleicht Oberst sein.
Das ist ein ganz weit gespannter Zeitraum mit einer Fülle von in ihm zu erwartenden wissenschaftlichen, technischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, die in keiner Weise von uns überschaut werden können. Sicher ist nur, daß an einen Oberst des Jahres 1990 wesentlich höhere und wesentlich andere Anforderungen gestellt werden als an einen Oberst des Jahres 1971 oder an einen Oberst der späten Weimarer Jahre.
Weil dies so ist, müssen wir für seine spätere Funktion in diesem Beruf heute Bildung und Ausbildung der künftigen Truppenführer der Bundeswehr eben auch auf ihre militärische Leistungsfähigkeit in den achtziger Jahren und darüber hinaus ausrichten.Zugleich müssen wir angesichts des Wettbewerbs um intelligente, leistungsfähige und selbstbewußte junge Männer — des Wettbewerbs, in dem wir mit anderen Bereichen stehen — den Streitkräften und der Laufbahn des Truppenführers in den Streitkräften eine höhere Attraktivität geben. Schließlich müssen wir auch für die Zeitsoldaten durch eine bessere Bildung und Ausbildung einen selbstverständlicheren und leichteren späteren Übergang in den zivilen Beruf in Aussicht stellen, wenn wir leistungsfähige junge Männer als Zeitsoldaten gewinnen wollen. Auch aus diesen Gründen ist eine Modernisierung von Bildung und Ausbildung in der Bundeswehr unausweichlich notwendig.Die Bundesregierung wird dabei nichts überstürzen. Sie wird insbesondere den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun. Nicht einmal der erste Schritt ist bisher vollzogen. Er wird erst im Laufe dieses Frühjahres getan werden in der Form eines Gutachtens zu den Problemen der Bildung und Ausbildung, das diesem Hause und auch der Öffentlichkeit auf den Tisch gelegt wird. Das bisher veröffentlichte sogenannte „Rahmenkonzept" stellt nur eine erste gedankliche Kladde zu einem Gutachten dar,das noch gar nicht erstattet ist. Der zweite Schritt liegt dann in der auf das Gutachten notwendigerweise folgenden Diskussion und Untersuchung derBundesminister SchmidtRealisierbarkeit. Der dritte Schritt wird in angemessenem Zeitraum in Gestalt der Entscheidung der Bundesregierung folgen. Dann erst schließen sich die Schritte der Verwirklichung an.Ich will aber .klar sagen, daß keine Sorgfalt wird vermeiden können, daß die notwendigen Veränderungen auch für den einzelnen Soldaten die Notwendigkeit zur inneren Umorientierung und die Notwendigkeit zum In-Kauf-Nehmen von Umstellungsschwierigkeiten mit sich bringt. Dabei wird gewiß für ausreichend langfristige Übergangsregelungen zu sorgen sein.Abschließend hierzu: Die Besorgnis einer die Orientierung an den militärischen Berufen verringernden „Verwissenschaftlichung" — ich gebrauche das Wort nur in Parenthese — der Offizierausbildung ist nicht begründet. Bildung und Ausbildung müssen und werden sich am Auftrag der Streitkräfte und an den zukünftigen Funktionen der Auszubildenden orientieren.Auch in der weiteren Zukunft wird es die Aufgabe der Bundesregierung bleiben — so hat es Bundespräsident Heinemann in seiner Rede zu seinem Amtsantritt vor diesem Hohen Hause ausyesprochen —, zu verhindern, daß der Bundesrepublik ein fremder politischer Wille aufgezwungen werden kann. Die Bundeswehr dient der Bewahrung der Freiheit und der Erhaltung des Friedens. Dies gilt gleicherweise für die Arbeiter, Angestellten und Beamten der Bundeswehr wie für ihre Wehrpflichtigen, ihre Zeitsoldaten und ihre Berufssoldaten. Die Frieden bewahrende Funktion ist nur dadurch möglich, daß die Soldaten und die Verbände der Armee für die von ihnen in einem Verteidigungsfall auszuübenden Funktionen — also auch für den Kampf! —ausgebildet werden. Diese Ausbildung muß ernst genommen werden. Kämpfen zu können ist die beste Sicherung dagegen, einmal kämpfen zu müssen.Auch deshalb hat der Gesetzgeber den Soldaten neben der Sicherung ihrer staatsbürgerlichen Rechte bestimmte soldatische Pflichten auferlegt, Pflichten, die Opfer an Zeit, an persönlicher Bewegungsfreiheit, die Anstrengung und Selbstüberwindung verlangen. Nicht für alle jungen Wehrpflichtigen ist es leicht zu verstehen, daß auf diesem ausgewogenen Verhältnis von Rechten und Pflichten das innere Gefüge und die Leistungsfähigkeit der Truppen beruhen. Die Vorgesetzten müssen sich deshalb bewußt sein, daß Pflichten nur zu sinnvollem Tun gefordert werden dürfen.Ich habe mit innerer Anteilnahme und Bewegung unlängst in einer Wochenzeitung den Leserbrief eines jungen Wehrpflichtigen gelesen. Ich zitiere:Ich bin Soldat. Wie ich ich Soldat wurde? Durch Zufall, Desinteresse und Unwissenheit. Ohne weiteres ließ ich mich einziehen. Warum ich immer noch Soldat bin? Aus Einsicht.Dann kommt eine Reihe sehr sehr kritischer Berner-kungen über das Soldatsein, und zum Schluß kommt dieser 20jährige Wehrpflichtige in dem dort abgedruckten Leserbrief zu dem folgenden Ergebnis:Solange das Mißtrauen besteht, ist jeder verdammt zur Erhaltung des Mächtegleichgewichts. Lediglich der Versuch, eine Vertrauensbasis zu schaften, hilft hier weiter. Solche Versuche waren bisher fast immer erfolglos. Sie waren es, weil sich eine Seite oder alle Verhandlungspartner aus angeblichem Realismus und angeblich kühler Berechnung heraus ihnen widersetzten.Mir scheint, dieser Mann hat nachgedacht. Er hat seine eigene Situation und die Situation unseres Gemeinwesens insgesamt verstanden.Es gibt viele Vorgesetzte in der Armee, die den Wehrpflichtigen helfen wollen, dies so oder ähnlich zu verstehen. Es gibt viele, die sich bemühen, gute Vorgesetzte zu sein. Allen Vorgesetzten in der Bundeswehr ist gesetzlich auferlegt, in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben. Ihnen ist gesetzlich die Pflicht zur Dienstaufsicht und die Verantwortung für die Disziplin ihrer Untergebenen auferlegt. Ihnen ist auch die Sorge für ihre Untergebenen auferlegt. Ihnen ist auferlegt, innerhalb und außerhalb des Dienstes jene Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um sich das Vertrauen als Vorgesetzte zu erhalten. Alles dies steht so im Soldatengesetz im Paragraphen über die Pflichten des Vorgesetzten. Damit ist aber der gesetzliche Katalog der Soldatenpflichten noch keineswegs in allen seinen wesentlichen Teilen aufgezählt.Unser Volk erwartet, daß jedermann in der Bundeswehr diese gesetzliche Pflichten ernst nimmt. Wir erwarten Pflichterfüllung auch dort, wo die Umstände widrig und schwierig sind. Die Bundesregierung verlangt Gehorsam. Sie muß das tun, denn sie steht mit diesem Verlangen selber in Pflicht. Auch Bundesregierung und Minister haben dem Grundgesetz, den Gesetzen und den Beschlüssen des Deutschen Bundestages Gehorsam zu leisten. Auch Minister könnten Disziplin nicht verlangen, wenn sie selbst Disziplin nicht wahren sollten. Auch sie könnten Gehorsam von Vorgesetzten und Soldaten nicht erwarten, wenn sie nicht selbst alles ihnen Mögliche täten, um ihrer Fürsorgepflicht zu entsprechen.
Dies gilt allerdings in gleicher Weise für das Hohe Haus auch, ob auf der linken oder auf der rechten Seite oder in der Mitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Er muß sich und will sich mit der Bundeswehr und mit ihren Soldaten identifizieren, mit ihren Leistungen und mit ihren Mängeln, mit ihren Besorgnissen, aber auch mit ihrem Selbstbewußtsein.
Was die Fürsorge angeht: Von den 124 im Weißbuch 1970 angekündigten Maßnahmen sind inzwischen 86 Fälle beschlossen. Wir zeigen damit, daß die Bundesregierung ihre Fürsorgepflichten ernst nimmt. Offen ist noch ein Rest von etwa 20 gesetzgeberischen Regelungen, von denen 14 in Form von Entwürfen zu Novellen diesem Hause vorliegen.
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Bundesminister Schmidt18 Vorhaben, die durch Erlaß des Ministeriums geregelt werden müssen, sind in Vorbereitung.Auch die im Weißbuch angekündigte Umschichtung innerhalb des Verteidigungshaushaltes ist inzwischen weitgehend verwirklicht. Die Streichung einer Reihe früherer Rüstungsprojekte und mehrere Gewichtsverschiebungen innerhalb des Rüstungsplanes waren unausweichlich. Man kann nicht nur beschaffen, man muß auch in der Lage sein, die angeschafften Waffensysteme und Fahrzeuge personell zu bewältigen.
Mit anderen Worten: Das modernste Flugzeug ist wertlos, wenn Besatzung und Bodenpersonal es nicht beherrschen. Die Menschen haben den Vorrang vor dem Material.
Es hat auch Vorteile, daß der Verteidigungshaushalt für eine Reihe von Jahren eng geworden ist. Dies zwingt uns zu äußerster Rationalität bei der Abwägung von Aufwand einerseits und militärischer Wirksamkeit andererseits. Für eine Reihe vorgefundener Projekte war hier ein ausgewogenes Verhältnis nicht mehr zu erkennen. Ich muß Ihnen die Beispiele nicht noch einmal nennen. Ich will auch davon absehen, Ihnen Beispiele für Rüstungsprojekte zurückliegender Jahre zu geben, in die hohe Summen investiert worden sind, ohne daß daraus eine nennenswerte militärische Wirksamkeit entstanden wäre. Jedermann muß verstehen: Die Leistungen des Steuerzahlers für den Verteidigungshaushalt sind für die Wirksamkeit der Bundeswehr und die Wirksamkeit ihrer Soldaten bestimmt und für keinen anderen Zweck. Die Bundeswehr muß die nötigen Waffen und Geräte dort kaufen, wo sie am preiswertesten zu haben sind — ob dies z. B. in Frankreich ist oder in der Bundesrepublik, z. B. in England oder in den Vereinigten Staaten.Die Bundesregierung vermag auch kein Interesse an der Wiederauferstehung einer ausgedehnten nationalen Rüstungsindustrie zu erkennen. Die Produktion von Rüstungsgütern macht in der Bundesrepublik weniger als 2 % der gesamten Industrieproduktion aus. Zweifellos liegen wir damit erheblich unter dem Durchschnitt aller großen Industrienationen der Welt; aber dies ist weder innen- noch wirtschaftspolitisch, weder außen- noch sicherheitspolitisch ein Nachteil.
Soweit die Bundeswehr Aufträge vergibt, tut sie dies unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs und der fairen Chance für alle, wobei der Wettbewerb dort seine Grenze hat, wo beispielsweise bei der Vergabe von Entwicklungsaufträgen durch Wettbewerb unnötige zusätzliche Kosten entstünden. Bei Inlandsaufträgen berücksichtigen wir stärker als früher die mittelständische Wirtschaft, soweit dies nicht zu Verteuerungen führt.Eine durchgreifende Reorganisation des gesamten Rüstungsbereichs des Ministeriums und der Beschaffungsorganisation nach den Erfahrungen und Einsichten modernen industriellen Managements und den Erfahrungen und Einsichten der Bundeswehr selber, die sie in eineinhalb Jahrzehnten gewonnen hat, läßt für die Zukunft eine weitere Rationalisierung des Rüstungsaufwandes erwarten. Dies bringt für die beteiligten Mitarbeiter außerordentliche Umstellungen mit sich, die diese — was hier mit Dank vermerkt werden soll — nach sorgfältiger Diskussion bereitwillig auf sich genommen haben.Meine Damen und Herren, Sie selbst müssen sich jedes Jahr vor der Verabschiedung des Verteidigungshaushaltes erneut die Frage vorlegen, die vor mehr als zehn Jahren Maxwell Taylor so formuliert hat: „Wieviel ist genug?" Diese Frage kann in keinem Jahr pauschal beantwortet werden; sie kann auch niemals mit einem Prozentsatz vom Bruttosozialprodukt beantwortet werden.Wer in seinem Lande eine Berufsarmee unterhält, muß einen wesentlich höheren Anteil des Bruttosozialprodukts für diese Armee aufwenden als ein anderer, der eine vergleichbare Armee auf der Basis allgemeiner Wehrpflicht unterhält. Wer für seine Streitkräfte nuklear-strategische Waffen entwickelt und beschafft, muß einen höheren Anteil seines Sozialprodukts für die Verteidigung aufwenden als derjenige, der sich — wie etwa die Bundesrepublik Deutschland — ausschließlich auf konventionelle Waffen beschränkt.Es ist notwendig, diese Feststellung einmal zu treffen, um abwegiger Kritik aus dem Ausland wie aus dem Inland entgegenzutreten, die sich nur am Bruttosozialprodukt orientiert.
Im übrigen kann die Bundesrepublik Deutschland — und das ist ein Verdienst mehrerer Bundesregierungen, die einander gefolgt sind — für sich in Anspruch nehmen, daß sie bei internationalem Vergleich nicht nur einen außerordentlich hohen Anteil ihrer Kampftruppen am Gesamtumfang ihrer Streitkräfte aufrechterhält, sie kann auch in Anspruch nehmen, daß sie außerdem stärker als jeder andere westeuropäische Partner mit konventionellen Streitkräften zur gemeinsamen Abschreckung durch das Bündnis beiträgt.Die militärische Wirksamkeit der in der Bundesrepublik Deutschland aufgewandten Haushaltsmittel ist im internationalen Vergleich hoch zu bewerten. Einsatzwert und Kampfkraft der Bundeswehr werden regelmäßig durch die integrierten militärischen Kommandobehörden der NATO bewertet. Einsatzwert und Kampfkraft der Bundeswehr brauchen keinen internationalen Vergleich zu scheuen. Der NATO-Rat hat Ende 1970 bestätigt, daß unser Land die übernommenen Verpflichtungen erfüllt.Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Ich stimmemit meinem Amtsvorgänger Dr. Gerhard Schröderüberein, der zuletzt am 19. März — in diesem Monatalso — erneut hervorgehoben hat — ich zitiere —:daß in einem geteilten Land wie Deutschland derzeit Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Verteidigungs- und Bündnispolitik auf eine möglichstbreite Mehrheit, unabhängig von jeder Koalition,
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Bundesminister Schmidtgestellt werden sollten". Er hat sodann das Wort „möglichst" noch einmal besonders unterstrichen.Wie schwierig dies gegenwärtig im Verhältnis zwischen Regierungsparteien und Opposition auch sein mag: für die Bundeswehr jedenfalls sehe ich keinen Grund, daß dieses Hohe Haus diesem Grundsatz nicht folgen wollen sollte. Dies wäre nicht nur zum Nutzen der Bundeswehr, es diente auch, meine Damen und Herren, der Aufrechterhaltung des Vertrauens unserer Bürger draußen im Lande in die Stabilität unserer äußeren Sicherheit.
Meine Damen und Herren! Nach der von dem Herrn Bundesverteidigungsminister abgegebenen Regierungserklärung treten wir in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zimmermann von der Fraktion der CDU/CSU. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 60 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Verteidigungsminister begann seine Ausführungen mit dem Satz: „Aus Anlaß der vorliegenden Großen Anfragen gebe ich eine Regierungserklärung ab." Das Büro des Herrn Verteidigungsministers scheint zur Zeit nicht gut zu funktionieren, denn um 9 Uhr hat der Präsident eine Vereinbarung des Ältestenrats bekanntgegeben, daß die Debatte über die Großen Anfragen vertagt worden ist und daß von der Regierung gewünscht ist, eine Regierungserklärung abzugeben.Diese Regierungserklärung, nach der ich am Anfang dieser Woche die engsten Mitarbeiter des Herrn Verteidigungsministers fragte, war ihnen clamais unbekannt. Sie sagten: Wir wissen gar nichts von einer Regierungserklärung. Als ich im Kabinettsreferat anfragen ließ, sagte man mir: Der Minister wird eine Rede halten, aber eine offiziell vorliegende Regierungserklärung wird es nicht geben. Ich hatte darum gebeten, sie nach gutem Brauch wenigstens am Abend vor einer solchen Debatte erhalten und lesen zu dürfen. Der Herr Minister hat heute eine verlesene Regierungserklärung abgegeben; die Stenographen haben sie gehabt, der Sprecher der Opposition hat sie nicht haben dürfen.
Das ist ein Beispiel dafür, wie in diesem Hause in dieser Woche wieder und wieder die Prärogativen des Parlaments unterlaufen und uns Regierungserklärungen vorgesetzt werden, die wir nicht einmal vorher zur Kenntnis nehmen dürfen.
Es wäre ja wohl ganz angebracht gewesen, daß, wenn die Stenographen die Rede haben dürfen, dann auch der Sprecher der Opposition sie wenigstens zur gleichen Zeit lesen darf, wenn er sie schon nicht gestern abend bekommen hat, um sich fairerweise darauf vorbereiten zu können; denn die Großen Anfragen hatten ein wesentlich anderes Thema, als derVerteidigungsminister es heute in seiner Regierungserklärung gewählt hat.
Oh, ich habe viel mehr zu sagen. Wenn ich Ihrem Sachverstand damit auf die Beine helfe, von dem ich bisher nichts gespürt habe, — gerne!
Der Herr Verteidigungsminister hat eine ganz auf Moll gestimmte Erklärung abgegeben. Im ersten, langen Teil seiner 90 Minuten war der Beifall weder seiner eigenen Fraktion noch der FDP gerade stürmisch.
— Nein, aber wenn er viel ausgesprochen hätte, was Sie zu besonderem Beifall herausgefordert hätte, Herr Kollege Buchstaller, dann hätten Sie ja sicher etwas mehr geklatscht.
Aber nachher wurde es ein wenig munterer, wobei diese auf Moll gestimmte Rede natürlich ihren Grund hat.Es ist zur Zeit wenig Anlaß zum Jubel für die politische Leitung im Bundesministerium der Verteidigung.
Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat sich bemüht, die Lage in der Truppe zu skizzieren und zu zeichnen, wie er sie sieht. Er hat sie sehr geschminkt dargestellt. Sie ist in Wirklichkeit ganz anders. ich werde versuchen, das zu begründen.Herr Minister Schmidt hat selbst auf eine Rede, die er vor etwa fünf Jahren als Sprecher der damaligen Opposition in diesem Hause gehalten hat — das war am 21. September 1966 — abgehoben. Ich habe diese Rede nachgelesen, schon vorher, bevor ich seine Rede kannte.
Er sollte sie selbst einmal wieder nachlesen — als Minister hat er heute eine ganz andere Rede gehalten , dann würde er sehen, wie er damals als Sprecher der Opposition artikuliert und argumentiert hat. Er ist dabei, wie ich meine, weit über die Grenzen des kollegial und menschlich Erträglichen hinausgegangen und hat eine echte Anklagerede gegen den damaligen Bundesminister der Verteidigung gehalten, die unerhört scharf und außerordentlich verletzend gewesen ist.
Wir werden uns diesem Stil nicht anpassen, wir werden das, was gemeinsam erledigt und gemacht werden kann, durchaus auch gemeinsam zu erledigen versuchen.Den aktuellsten Anlaß zu dieser Debatte liefert das Ergebnis einer Arbeitstagung von 30 Kompaniechef s. jetzt auch als Hauptleute-Studie bezeichnet. Das Er-
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Dr. Zimmermanngebnis dieser Arbeitstagung ist im Dezember des letzten Jahres niedergelegt worden, und zwar, wenn wir recht informiert sind, auf Wunsch des Divisionskommandeurs der 7. Panzergrenadierdivision. .Jetzt im März ist das Papier an die Öffentlichkeit gelangt.
— Herr Jung, wenn Sie die Frage stellen, beantworten Sie sie doch! — Nicht durch mich. Ich habe am Tage der Veröffentlichung von diesem Papier überhaupt nichts gewußt, nicht einmal die Tatsache seiner Existenz. Aber vielleicht waren es die wenig befriedigenden Gespräche, die die Hauptleute mit ihrer militärischen Führung haben konnten.In dem Brief an den Verteidigungsminister, in dem der Sprecher dieser Gruppe ihn ausdrücklich seiner absoluten ungeschmälerten Loyalität und Achtung versichert, steht, daß die Aussprache mit dem Generalinspekteur nach Auffassung der 30 Kompaniechefs eine weitestgehende Übereinstimmung mit dem Generalinspekteur hervorgebracht hätte. Nachdem ich die Maßregelung des Generalinspekteurs gegenüber den 30 Hauptleuten gelesen habe, bleibt mir nur der Schluß, daß hier ein Dissens besteht, etwas, was man als offenen Dissens bezeichnet. Offenbar haben die Hauptleute den Eindruck von Zustimmung durch den Generalinspekteur gehabt, während er offenbar bei sich selbst den Eindruck gehabt hat, er habe sich außerordentlich scharf gegen die Studie geäußert.Es ist interessant, meine verehrten Damen und Herren, einmal zu vergleichen, was in diesem Ergebnis einer Arbeitstagung von 30 Kompaniechefs — wie Sie mir zugeben werden, sind die Kompaniechefs das Rückgrat der Streitkräfte überhaupt — und was in der Studie des Führungsstabes
— Herr Würtz, das wissen Sie als Hauptmann a. D. doch am besten
— die Unteroffiziere auch an ihrem Platze, aber im Offizierkorps sind es die Hauptleute, meine ich —, und was also in der Studie des Führungsstabes des Heeres vom Sommer 1969, die der Minister ebenfalls zitiert hat, steht. Ich zitiere immer zuerst die Studie des Führungsstabes des Heeres, bekannter geworden unter dem Namen „Schnez-Studie", und dann das Ergebnis der Arbeitstagung der Hauptleute: Mangelhafte Entschlossenheit der Bürger, der Sicherung der Freiheit und des Friedens den gebührenden Raum einzuräumen.Hauptleute: Notwendigkeit der Verteidigung wird von der Mehrheit der Staatsbürger in Uniform nicht erkannt.Heeresstudie: Erziehung der Jugend zum Staatsbürger wird gefordert.Hauptleutestudie: obligatorische sachliche Information über die Bundeswehr in allen Schulen. Der Herr Minister hat hier mit Recht Klage über Lehrer geführt. Ich würde ihn doch bitten, die gleiche Klage noch forcierter, mit mehr Möglichkeiten des Einflusses, an die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zu richten. Da wäre einiger Anlaß dazu vorhanden.
Heeresstudie: Anerkennung des Primats der Politik und der parlamentarischen Kontrolle; unverändert in der Hauptleutestudie.Kritik an Wehrdisziplinarordnung und Wehrbeschwerdeordnung wird uneingeschränkt in beiden Papieren ausgedrückt.Absicherungsbefehle: Absicherung als wesentliches Element der Befehlsgebung: unverändert in beiden Papieren.Mangel an Ausbildern: unverändert in beiden Papieren.Kritik an Presse, Literatur, Forderung nach Beitrag zur Erziehung zum Wehrwillen: unverändert in beiden Papieren. Die Beispiele könnten beliebig fortgesetzt werden.Neu in der Studie der Hauptleute als Ergebnis ihrer Tagung sind nur drei Punkte: Verfälschung des tatsächlichen Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West in der Darstellung der Leitung, Klage über Politisierung der Armee und eine Vertrauenskrise gegenüber der politischen und militärischen Führung.In der Heeresstudie vor zwei Jahren findet sich am Schluß ein Satz, den ich ausdrücklich zitieren möchte. Er lautet:Aufgabe des Soldaten ist es, den verantwortlichen politischen und militärischen Stellen die Lage zu schildern, Lösungsmöglichkeiten zu zeigen, ihre Realisierung zu fordern und im Rahmen der eigenen Zuständigkeit alle Möglichkeiten auszuschöpfen.Daran hat es gefehlt, meine Damen und Herren. Wenn es heute noch so wäre, hätte es vielleicht keine Hauptleutestudie zu geben brauchen.Aber diese Studie des Heeres — zählen Sie bitte einmal nach, wie viele ihrer Mitverfasser sich noch in den Streitkräften befinden! — ist von der neuen politischen Führung aus politischen Gründen pauschal verdrängt worden.
Solche Verdrängungen haben sich noch immer gerächt.
Dieselben Fragen sind zwei Jahre später nicht an der Spitze des Heeres, sondern aus dem Offizierskorps des Heeres hochgekommen,
verstärkt, und sie kommen dann möglicherweise so hoch, daß sie unkontrollierbar werden können.
Ich zitiere aus dem Weißbuch, Ziffer 150:
Offen ist die Bundeswehr auch gegenüber einer Vielfalt von Meinungen. Sie ist ein Teil unserer pluralistischen Gesellschaft. Es ist deshalb gut und richtig, daß in der Bundeswehr diskutiert wird, und nur natürlich, daß dabei gegensätz-
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Dr. Zimmermannliche Positionen bezogen werden, auch extrem konservative und extrem progressive.Zitat von Helmut Schmidt aus der Debatte im September 1966:Der Soldat darf nicht nur zum Gehorsam erzogen werden. Er muß auch zu Zivilcourage in Uniform und zur selbständigen Entscheidung erzogen werden.Der Minister hat heute die Behandlung von „Soldat 70" und „Leutnant 70" in einem außerordentlich milden Licht dargestellt. Die Wirklichkeit von damals ist ein wenig anders geworden. Die Beurteilung war so — wenn ich mich recht erinnere, Herr Minister —, daß Sie über die Thesen der Leutnante 70 sinngemäß sagten, diese Leutnante hätten der Bundeswehr einen unschätzbaren Dienst erwiesen, während heute bei dem Papier der Hauptleute Ablehnung der Diskussion, Zurückweisung, Befehl des Divisionskommandeurs, das allein als dienstliche Angelegenheit zu behandeln, und Weisungen, mit der Presse darüber nicht zu sprechen, die Auswirkungen dieser freien Meinungsäußerung sind. Ich hoffe doch, daß das nicht bedeuten soll, daß dieser neue Stil nur dann akzeptiert wird, wenn er der eigenen Politik nützt.Sie selbst haben in der Armee seit eineinhalb Jahren neue Gesprächsebenen geschaffen unter Ausschaltung der Vorgesetzten, und Sie haben auf all diesen Ebenen das Gespräch geführt. Ich will daran nichts kritisieren. Nur muß man, wenn man das tut, wissen, daß man dann auch bereit sein muß, die Reaktionen der Gesprächspartner, auch wenn sie einmal in dieser Form kommen, zu akzeptieren.
Niemand wird der CDU/CSU-Fraktion vorwerfen oder unterstellen können, daß sie bereit sei, Disziplinlosigkeiten in der Armee zu dulden, zu feiern oder zu unterstützen. Im Gegenteil! Aber darum geht es hier nicht. Es geht um die offenbar gewordene Not von engagierten, tüchtigen, realistisch eingestellten und ideologisch keineswegs verengten Soldaten. Wir hoffen sehr, daß diesen Leuten kein Nachteil entsteht, und wir werden sehr genau acht darauf geben.Diese Studie ist nur ein Symptom von mehreren. Eine zunehmende Zahl hervorragender jüngerer Offiziere quittiert gegenwärtig den Dienst. Das weiß der Verteidigungsminister. Ich wäre ihm außerordentlich dankbar, wenn er uns einmal eine Zahl geben würde, wie oft es seit dem 1. Januar 1970 bis Ende März 1971 in allen drei Teilstreitkräften der Fall gewesen ist, daß Offiziere unter Zurücklassung ihrer wohlerworbenen Rechte und Ansprüche die Armee verlassen haben, weil sie ihr Dienst nicht mehr freut, weil sie das Gefühl haben, ihr Auftrag werde nicht mehr gesehen oder nicht ernst genug genommen, weil sie sehen, daß sie offenbar unter anderen Voraussetzungen Offizier geworden sind, als sie heute, im Jahre 1971, gegeben sind.Meine Damen und Herren, aus diesem Papier der Hauptleute spricht einerseits ein volles beruflichesEngagement, andererseits ein nicht zu übersehendesStück Resignation, um nicht zu sagen: Verzweiflung.
— Ja, wenn man es genau liest, kann man sich dieses Eindrucks nicht erwehren.
Herr Abgeordneter Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Herr Dr. Zimmermann, was sagen Sie zu der Ablehnung dieser Studie der Hauptleute durch eine Reihe von Hauptleuten und Oberleutnanten aus dem 3. Korps? Wie qualifizieren Sie diese Leute ein?
Herr Wienand, ich bin doch gefragt worden und nicht Sie! Sie sollen die Antwort noch nicht vorweg geben. Herr Kollege Schmidt will ja meine Antwort hören. Die Ihre kennt er wahrscheinlich schon längst.
Ich akzeptiere das, was Hauptleute aus dem 3. Korps zu dieser Studie gesagt haben, genauso als Diskussionsbeitrag wie das, was diejenigen aus der 7. Panzergrenadierdivision gesagt haben. Nur, Herr Kollege Schmidt , täuschen Sie sich bitte nicht: Der Grad der Solidarisierung mit den Thesen der 30 von Unna hat einen hohen Barometerstand erreicht. Daß es auch andere Meinungen gibt, darüber sollten wir sehr froh sein; denn wenn es nur mehr die Meinung dieser 30 Hauptleute gäbe, dann könnten Sie die Armee morgen schließen.
Aber woran liegt es denn, meine Damen und Herren, daß wir heute in der Truppe feststellen müssen, daß dort das Klima schlecht ist, daß das Mißtrauen umgeht? Es beginnt mit dem Wort des Bundespräsidenten vor seinem Amtsantritt, daß sich die Bundeswehr um besserer politischer Lösungen willen in Frage stellen lassen müsse. Es geht fort damit, daß Gleichstellung, ja, Aufwertung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in den offiziellen Publikationen dieser Bundesregierung oft vor dem Wehrdienst erscheint.
Ich erinnere an die Verteufelung der Soldaten und die Verherrlichung der Kriegsdienstverweigerer in der Broschüre „Ernstfall Frieden", die mit Steuermitteln von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben worden ist. Diese Broschüre macht zunächst einen harmlosen Eindruck; erst bei genauer Lektüre wird klar, wie massiv hier für die Wehrdienstverweigerung geworben wird. Oder ist es nur Dilettantismus, daß die Autoren deutlich ihre Sympathie für jene extremen Schulen der Friedens-
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Dr. Zimmermannforschung bekunden, die mehr revolutionäre Ideologien propagieren als wissenschaftliche Analyse betreiben?
Ist es bloße Ignoranz der Verfasser, daß der Begriff Abschreckung penetrant falsch interpretiert wird und daß unter der Überschrift „Friedensdienste der Bundesrepublik Deutschland" die Bundeswehr neben anderen Organisationen nicht aufgeführt wird?
Ich darf hierzu zitieren, was die Tageszeitung „Die Welt" am 2. Februar 1971 kommentiert hat:Gewiß, auch Soldaten kommen zu Wort. Aber sie wirken in dieser Schrift so verloren wie die Konzessionsschulzes in den preußischen Garderegimentern von einst: arme Leute in einer Pflicht, die von allen im Parlament vertretenen Parteien noch für nötig gehalten wird. Demgegenüber geben Kriegsdienstverweigerer durch ihren anderen Dienst ein ,Beispiel für die neue Welt'.Das fällt in Ihr Ressort, Herr Kollege Kiep. — Beisolcher Bewertung kann die Anzeige, mit der die Streitkräfte in diesem Heft Freiwillige zu gewinnen hoffen, wohl als blanke Ironie gelten.Der Herr Bundesminister der Verteidigung erwähnte gerade vorher das Problem der Kriegsdienstverweigerer und sagte, daß es ihm Sorge mache. Wir haben im Jahr 1968 rund 12 000 gehabt, im Jahr 1969 14 500, im Jahr 1970 19 363, und wir haben im Januar und Februar dieses Jahres, in zwei Monaten, 7900 Antragsteller. Unter Berücksichtigung der empirischen Tatsache, daß sich das im Laufe des Jahres etwas abschwächt, haben wir in diesem Jahr mit 35- bis 40 000 Wehrdienstverweigerern zu rechnen.
Das ist eine Zahl, die alarmieren muß. Und das, obwohl wir seit dieser Bundesregierung einen Beauftragten für den zivilen Ersatzdienst haben, den ehemaligen Kollegen Iven. Dabei ist für mich besonders interessant, zu beobachten, wie er in seiner geistigen Einstellung, wie er die Dinge sieht, von Tag zu Tag einen Schritt zur Mitte und nach rechts macht. Die unmittelbare Befassung mit diesen Problemen hat es dazu gebracht, daß er heute ganz anders als 1966 — Sie wissen, was ich meine die Dinge in diesem Staat, in dieser Armee und die Probleme in der Gesellschaft zwischen Nicht-Dienen und Dienen sieht.
— Das Problem der Wehrungerechtigkeit, das Problem des Ersatzdienstes das Problem der Kriegsdienstverweigerung sind nicht von heute, sondern von gestern und vorgestern. Nur, Herr Kollege Pawelczyk, noch niemals waren die Zahlen in all diesen Bereichen so alarmierend wie heute.
Wir haben heute im Ruhrgebiet rund 80 % Abiturienten, die Antragsteller für die Kriegsdienstverweigerung sind. Wir haben 12 % eines Abiturientenjahrgangs in der Bundeswehr und haben 54 % des gleichen Jahrgangs bei den Kriegsdienstverweigerern — trotz eines Beauftragten für den Ersatzdienst. Dieser hat erst 6400 Ersatzdienstplätze, während mindestens 14 000 sofort gebraucht würden. Das bedeutet, daß der anerkannte Kriegsdienstverweigerer immer noch eine wesentlich größere Chance hat, nicht zum Ersatzdienst herangezogen zu werden, als der Wehrpflichtige, nicht zum Wehrdienst eingezogen zu werden.
— Man sollte es vielleicht nicht so laut sagen, Herr Kollege Würtz; aber Sie dürfen ganz sicher sein: die, die es angeht, wissen es noch besser als Sie und ich.Die Aufklärung ist vorzüglich. Die IG Metall hat eine Tonbildschau veranstaltet mit dem Titel „Dein Recht, den Kriegsdienst zu verweigern". Ist das Sache der IG Metall? Die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr in Oberhausen hat unlängst bei der Ausstellung der Bundeswehr mit dem Titel „Unsere Luftwaffe" Flugblätter verteilt, die die Gedanken des Menschen-Tötens, Städte-und-Fabriken-Zerstörens, des Ernte-Vernichtens mit der Ausstellung der Luftwaffe in Zusammenhang brachten.
— Soweit mir das, nachdem ich sie vorher nicht bekommen habe, möglich ist. Aber die Regierungserklärung, Herr Kollege Buchstaller, hat sich mit der Lage in der Truppe beschäftigt.
Herr Minister Schmidt hat 90 Minuten darauf verwendet, 90 Minuten!
Warum das heute in der Truppe so ist, das auszudrücken, das zu artikulieren müssen Sie mir schon gestatten.Schauen Sie, das ist ja alles nicht durch eine Maßnahme, durch eine Äußerung, durch eine ÖTV, durch eine IG Metall, durch e i n Wort des Bundespräsidenten und ... und ... und ... herbeigeführt worden, es ist die Summierung, die sich heute deutlich macht und die die Unruhe bringt.
Es ist nicht allein die Neuregelung von Gruß und Anrede und nicht allein der Haar- und Bart-Erlaß. Es ist nicht allein die Diskussion um die Abschaffung oder Änderung von Eid und Gelöbnis.
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Dr. ZimmermannEs ist alles zusammen, es ist die Summierung, die den Kreis schließt und die eben draußen die Frage entstehen läßt: Ist das noch unser Auftrag, der von der politischen Führung richtig gesehen wird?Niemand von uns ist gegen lange Haare, gegen Stiefel, gegen Knickerbocker, gegen Pluderhosen, bunte Westen, lustige Mützen. Niemand von uns!
Nur, niemand von uns, meine Damen und Herren, würde ja auch unbedingt eine gelbe Strickkrawatte zum Smoking tragen.
— Haben Sie es schon einmal getan? Ich hoffe nicht. Alles, wo es hingehört! Die Fotografie des Soldaten mit den langen Haaren und mit dem Haarnetz
ist einfach witzig, aber nicht mehr.
Was heißt denn „Truppe", „Streitkräfte",„Armee"? Was heißt denn „Uniform"? — Das heißt „gleich". Warum gleich? — Weil das Leute sind, die Waffen in der Hand haben, weil das Leute sind, die eine bewaffnete Macht darstellen, weil das Leute sind, bei denen Disziplin und Gehorsam besonders wichtig sind und die Verantwortung für sie besonders groß ist, weil sie deshalb einheitlich gekleidet sein müssen, damit die Einheitlichkeit des Befehls sichergestellt ist, der diese uniforme Einheit trifft und für sie gilt. Deswegen sollte auch das äußere Erscheinungsbild dem angepaßt sein, was den Auftrag betrifft. Sonst empfehle ich, schon jetzt in Vorbereitung zu nehmen — über das Haarnetz hinaus — die Lockenwickler für die Generation von morgen. Das wäre nur konsequent.
Wenn gemeint wird — wie der Herr Minister das mit Recht etwas humoristisch sagte , daß wir früher großartige Soldaten mit Schnauzbart und sogar mit Zöpfen hatten,
dann kann ich dazu nur sagen: da gab es eigene Utensilien, die von der Armee gestellt wurden, die der Pflege dieser Haare dienten.
— Das habe ich langst gesehen, Herr Schafer, weil der Herr ja direkt vor mir steht. Aber überlassen Sie es doch mir, wann ich diese Frage beantworten möchte, nicht?Das hat es alles gegeben, aber die Putzutensilien für den Soldaten wurden gleich mitgeliefert, während wir jetzt aus den ersten Garnisonen hören, daß dort bereits der Gang zur Entlausung angetreten werden mußte. Ganz sicher hat man auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr, wenn man dort 14 Tage ist, nicht die richtige Zeit, das lange Haar undeinen schönen Bart so sorgfältig zu pflegen, wie das im zivilen Leben möglich ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeornetden Dr. Beermann?
Ja, bitte sehr!
Herr Abgeordneter, wissen Sie, daß in der indischen Armee die besten Soldaten die Sikhs sind,
und wissen Sie, daß bei diesen Sikhs die Haare in Schulterlänge herunterfallen, wenn sie ihren Turban abnehmen?
Herr General — nachdem Sie mich mit „Abgeordneter" angesprochen haben, darf ich Ihnen diese Ihre ehemalige Berufsbezeichnung zuteil werden lassen —, mir sind die Sikhs aus eigener Anschauung bekannt.
Sie wissen, daß das Tragen dieser langen Haare dort ein religiöses Motiv hat, und Sie wissen, daß der Soldat der Sikhs im Kampf selbstverständlich den Turban trägt, weil ihn seine Haare sonst außerordentlich behindern würden.
Der Turban ist sein Haarnetz; das ist eine alte Tradition.
— Langsam, langsam! Nur: die Sikhs sind eine Elitetruppe,
und ich empfehle Ihnen, den Gedanken konsequent fortzuführen, Herr General, und auch in der Bundeswehr eine Elitetruppe von Langhaarigen aufzustellen. Das würde sich sicher sehr gut machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Beermann?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter, sollten wir nicht auch diese unsere Armee an der Spitze des Fortschritts marschieren lassen und sozusagen
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6536 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Dr. Beermanneine neue Tradition mit einem Haarnetz für langhaarige Soldaten begründen?
Nach meiner Meinung eigentlich nicht. Wissen Sie, warum? Letzte und vorletzte Woche bei der Truppe habe ich viele Soldaten gesehen, die Sie und ich als unrasiert bezeichnen würden. Sie waren nicht glattrasiert, und sie hatten keinen Bart: sie waren unrasiert. Auf die Frage, warum das so sei, antwortete der Chef, die Kameraden erklärten, sie ließen sich jetzt gerade einen Bart stehen. — Sehen Sie, Herr General, und das sieht halt einfach miserabel aus.
Könnten wir uns eigentlich, wenn wir schon die Wehrpflichtzeit von 18 auf 16 Monate herabsetzen, nicht darauf einigen, daß es dann vor dieser Zeit möglich ist, lange Haare und Bart zu tragen, aber in dieser Zeit eben möglichst nicht? Das wäre, glaube ich, eine sehr vorteilhafte und eine sehr soldatische Regelung.
Aber ich möchte mich nicht weiter mit diesem sehr interessanten Problem beschäftigen.
Ich glaube, das Thema hat allmählich einen Bart.
Ich würde vorschlagen, daß wir in ,der Sache weiterkommen.
Ich bin da völlig der Meinung des Herrn Präsidenten und darf Sie bitten, nun die dritte Zwischenfrage nicht mehr zu stellen.
Die Forschung stößt im Hochschulbereich zunehmend auf Schwierigkeiten.
Vor kurzem wurde ein Sanitätsoffizier, der zunächst als Redner für eine wissenschaftliche Veranstaltung eingeladen war, wegen der Situation an den Hochschulen wieder ausgeladen.
Meine Damen und Herren, das alles hat ernste Hintergründe. Das alles gehört mit in den Kreis, von dem ich jetzt gerade einige Beispiele anführte.
Und ich darf Sie, meine Herren von der Bundesregierung und von den Koalitionsparteien, doch sehr bitten, nehmen Sie auch bei den Gewerkschaften und bei den anderen Institutionen und Organisationen die Bundeswehr und ihre Soldaten in Schutz.
Nehmen Sie sie in Schutz — jetzt wandle ich ein
Wort des Herrn Bundesfinanzministers Möller ab
— gegen Leute, die sie angreifen und die Ihnen näherstehen als uns!
Meine Damen und Herren, Sie wissen doch auch
— und die Leitung des Ministeriums weiß es ebenfalls —, daß wir ein erhebliches Ansteigen der Delikte eigenmächtige Abwesenheit von der Truppe und Fahnenflucht zu verzeichnen haben. Die Belastung der Disziplinarvorgesetzten wächst auch aus diesen Gründen. Sie wissen, daß man in der Truppe überhaupt nicht versteht, warum von der Leitung des Verteidigungsministeriums verfügt worden ist, daß der Ersatz der Kosten für die Fahndung nach einem Fahnenflüchtigen, der bisher von demjenigen, der sich unerlaubt von der Truppe entfernte, verlangt werden konnte — diese Kosten machten fühlbare Beträge von einigen hundert Mark aus —, in Zukunft von den Betroffenen nicht mehr verlangt wird. Ein vollkommen unverständlicher Erlaß!
Sie wissen auch, daß die Ausbildungsziele nur mehr durch einen anomalen, auf die Dauer nicht durchzuhaltenden Aufwand an körperlichen und seelischen Kräften der Unterführer erreicht werden können. Gleichwohl sagt die erste Studie des Rahmenkonzepts über die Bildung, daß diese Mehrbelastungen überwindbar seien. Gleichwohl wird die Reduzierung des Wehrdienstes, die eine weitere Belastung bringen muß, weiter betrieben. Der Wehrbeauftragte hat vor nicht allzu langer Zeit gesagt, der Abstand zwischen Truppe und Führung sei noch nie so groß gewesen wie heute. Ich hoffe, Sie nehmen das nicht als eine überspitzte Darstellung der Opposition.
Herr Abgeordneter Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn?
Herr Kollege Zimmermann, halten Sie es nicht für redlich, dann, wenn Sie diese Aussage des Wehrbeauftragten zitieren, auch wenigstens seine Presseerklärung zu zitieren, in der es heißt, daß die hier beschriebenen Vorgänge viel tieferliegende Ursachen haben, die auf jahrelange Versäumnisse zurückgehen, die wiederum im wesentlichen die jetzigen Oppositionsparteien verschuldet haben?
So hat sich der Herr Wehrbeauftragte überhaupt nicht ausgedrückt, Herr Kollege Horn. Da haben Sie ihn außerordentlich frei zitiert oder besser gesagt interpretiert. Ich empfehle Ihnen, seinen letzten Jahresbericht zu
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6537
Dr. Zimmermannlesen. Wir werden darüber ja in vier oder sechs Wochen debattieren.
Dort finden Sie eine Fülle von Anhaltspunkten, wie kritisch der Wehrbeauftragte selber die Truppe sieht.Ich zitiere noch einmal Helmut Schmidt. Er sagte am 21. September 1966:Die Truppe weiß, daß sie an vielen Stellen psychologisch, personell, materiell und ausbildungsmäßig überfordert ist, und sie leidet unter dieser Überforderung.Das sagte Helmut Schmidt vor fünf Jahren. Er sagte weiter:Ein schreckliches System hat sich breitgemacht, indem oben jeder den Eindruck macht, er wolle sich nur nach unten abdecken, er habe ja alles angeordnet, und die armen Schweine in der Truppe baden das aus.Ein letztes Zitat von Helmut Schmidt:Ich wage die Vorhersage, daß die Resignation innerhalb der Bundeswehr in vielen ihrer Ver bände noch nicht den Tiefpunkt ganz erreicht hat.Das hat Helmut Schmidt vor viereinhalb Jahren völlig richtig gesehen. Er hat hinzugefügt:Die Armee beschäftigt sich stärker, als es gesund wäre, mit ihrer eigenen Situation. Es ist psychologisch unglücklich, wenn sie zu sehr auf Analyse und Erforschung des eigenen Selbst geworfen ist.Warum? Dazu wird im Rahmenbildungskonzept gesagt:Das Studium soll bewirken, daß der Studierendeseine künftige berufliche Situation reflektiert.Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat heute sinngemäß gesagt — über dieses Wort war ich froh —, die wissenschaftliche Ausbildung des Offiziers werde sich auch in Zukunft an seinen Funktionen orientieren. Herr Kollege Wienand hat in seiner letzten Rede in der Haushaltsdebatte etwas anderes gesagt. Auch im Ellwein-Konzept steht etwas anderes. Dort wird der künftige Zivilberuf des Offiziers als die Zielprojektion dargestellt. Der Offizierberuf als solcher erscheint nur mehr als Übergang zu diesem zivilen Beruf.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wer ergreift eigentlich einen Beruf, der bei all diesen Schwierigkeiten, die wir heute geschildert haben, bei all dieser Mühsal, diesen Sorgen, dieser geringen Anerkennung auch noch nur mehr ein Übergang zu seinem eigenen, eigentlichen zivilen Beruf sein soll?
— Herr Pawelczyk, Sie haben Gelegenheit, selbstzu reden. Im übrigen komme ich jetzt, wo ich zurPolitisierung der Armee komme, unmittelbar zu Ihnen,
unmittelbar zu Ihrer Äußerung vom 20. Januar 1971, die man sich immer wieder vor Augen halten muß und die in der Truppe, wie ich mich überzeugen konnte, noch heute außerordentlich stark diskutiert wird. Ich zitiere wörtlich:Ich halte es aber für unumgänglich, daß in Zukunft bei personellen Veränderungen Männer für bestimmte Positionen berücksichtigt werden, die von der Richtigkeit sozialdemokratischer Verteidigungspolitik überzeugt sind.So weit, so gut.
— So weit, so schlecht, Herr Kollege Marx, jawohl.Aber lassen Sie mich einige Feststellungen zu der Frage treffen: Gibt es seit eineinhalb Jahren eine Politisierung in den Streitkräften?
— Eine Parteipolitisierung.Bundeswehrbeamte aller Laufbahnen ergreifen scharenweise die Flucht aus dem Ressort, weil Leistungsprinzip und Innere Führung mißachtet werden. Ein neuer Personalführungserlaß ist ausgebrütet worden, der bei den Beamten Cascade-Erlaß genannt wird, analog zur Waschmittelreklame „Zwingt Schwarz raus und zwingt Rot rein".
Das Referat ES Ermittlung in Sonderfällen — istder Leitung des Hauses unmittelbar unterstellt und um die sogenannte „Deliktrevision" — ein sehr hübsches Wort — erweitert worden, d. h. um die politische Inquisition. Es sind Erwägungen im Gange, zur Ermittlung undichter Stellen im BMVg eine ständige Telefonabhörung einzuführen.
Bei den Personalratswahlen hat der Herr Verteidigungsminister unter Verletzung seiner Neutralitätspflicht offen mit den Vertretern der ÖTV sympathisiert, aber die Vertreter der ÖTV haben trotzdem eine totale Niederlage hinnehmen müssen.
Der Minister hat auch eine neue Kategorie von Befehlen geschaffen. Im SPD-Pressedienst vom 3. Dezember 1970 ist von ihr die Rede. Er sagt: „die sozialdemokratischen Befehle", — eine interessante Formulierung. Ich möchte gerne wissen, was „sozialdemokratische Befehle" eingentlich sind.Die Berufung von Professor Ellwein und Genossen, die Behandlung der Affäre Zoll in Bergneustadt — der Vorgang war am 6. Oktober 1970 —; die Reaktion des Generalinspekteurs nach 31/2 Monaten, erst nach massiven Protesten der Öffentlichkeit und im Parlament, war eine typische Jein-Entscheidung; der Inhalt der Sonderinformationen an
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Dr. Zimmermanndie Kommandeure war enttäuschend. Die Ablösung des Stellvertreters von Herrn Eilwein wäre das einzig Richtige gewesen,
weil nämlich die Bundeswehr kein Tummelplatz für antimilitärisch veranlagte Soziologen ist und keiner sein darf.
Die Auflösung des Instituts für Erziehung und Bildung in Heide, um die ideologisch untauglichen Dozenten besser loszuwerden, und die Neugründung des Instituts in München kennzeichnen, wie diese Dinge vor sich gegangen sind. Gleichzeitig ist der Umfang des Personals dieses Instituts auf über 100 Personen erhöht worden, also auf das Vierfache; das ist der größte Braintrust innerhalb der Bundesregierung. Wenn der nicht die ideologische Umfunktionierung vorbereiten soll, dann weiß ich eigentlich nicht, was er soll.Helmut Schmidt hat damals — wieder 1966 — gesagt: „Wir sind uns in diesem Hause einig oder sollten uns einig sein, daß es für einen Minister absolut unzulässig wäre, die Bundeswehr im Sinne einer bestimmten politischen Partei zu politisieren." Damit stimmten wir damals und stimmen wir heute überein. Aber ich hoffe, es begegnet Ihnen noch, wie es mir an einem Dutzend Stellen im Bundesgebiet in den letzten Wochen begegnet ist, unabhängig von Garnison zu Garnison, daß mir die Offiziere sagen: „Wir sehen uns heute im Kasino um, wer neben oder hinter uns steht, wenn wir über Politik sprechen." So ist es geworden. Nehmen Sie das zur Kenntnis!
— Das ist keine üble Hetze, sondern jetzt zitiere ich Ihnen den Bericht aus dem Juli 1970, den der General für das Erziehungs- und Bildungswesen im Heer an seinen Heeresinspekteur erstattet hat:14. Politisierung der Truppe:Ich kann in diesem letzten Halbjahresbericht meiner Tätigkeit nur noch einmal warnend auf die schleichende Politisierung in der Bundeswehr hinweisen. Nicht nur eigene Erfahrungen über unkameradschaftliches, parteipolitisch gefärbtes Verhalten von Offizieren bei Fü S und IPZ bewegen mich dazu, sondern auch die Erfahrung, daß nicht wenige Offiziere in der Truppe immer weniger riskieren, ihre Meinung frei zu sagen.
Häufig wird die Auffassung vertreten,— so schreibt der General für das Erziehungs- undBildungswesen im Juli 1970 an seinen Inspekteur —daß man in den Offizierskorps der Wehrmacht freier sprechen konnte als heute in der Armee eines freiheitlichen Rechtsstaates.
Irgendwie werden über ÖTV oder auf dem Parteidienstweg unbequeme Aussagen lanciert, meist verzerrt und dann im „Spiegel" oder in anderen Journalen in entsprechender Aufmachung gebracht.
Bei einer Abenddiskussion mit dem Offizierskorps einer Brigade anläßlich eines Abends im Offizierheim, in Gegenwart von rund 40 eingeladenen Reserveoffizieren, nahmen nur diese das Wort, kein aktiver. Von mir befragt, warum sie sich an der Aussprache nicht beteiligt hätten, antwortete ein Hauptmann etwas beschämt: „Man weiß doch nie, was von einer Diskussion nach außen dringt! Darob angegriffen zu werden, können wir uns nicht erlauben."Ein begabter Major einer HOS übersendet mir eine vorzügliche, allerdings kritische Studie über die Bildungsreform im Heer mit der Frage, ob eine eventuelle Veröffentlichung seiner Laufbahn schaden würde.Ein Oberstleutnant verweigert einer Zeitschrift, die eine bestimmte Richtung vertritt, einen ausgezeichneten Artikel, den er verfaßt hat, unter seinem Namen zu bringen, weil ihm das mit Sicherheit schaden würde.Manche Offiziere schreiben bereits unter Pseudonym, weil eine zwar proklamierte, aber in der Tat nicht offene Diskussion doch nur insoweit möglich erscheint, als sie die konforme herrschende Meinung bestätigt. Wer dagegen etwas sagt, ist von einer bestimmten Presse und in den Massenmedien mit Rufmord bedroht.Eine derartig schleichende Unaufrichtigkeit muß Spuren in Geist und Charakter der Offiziere hinterlassen und beeinträchtigt Zusammenhalt und Moral.
Junge Offiziere bedeuten mir spöttisch:— so schreibt der General des Erziehungs- und Bildungswesens, dessen intellektuelle Qualifikation wohl niemand hier im Hause in Zweifel zieht --
„Wir sind auf der Suche nach Keitel!"
— Ich möchte doch annehmen, daß Sie lange genug im Verteidigungsausschuß sind, um zu wissen, wer General für das Erziehungs- und Bildungswesen im Jahre 1971, im Jahre 1970, 1969 und früher gewesen ist. Sie brauchen hier von mir überhaupt keinen Nachhilfeunterricht.
Was sind die Schlußfolgerungen? Die Schlußfolgerungen aus dem allen: Dieses Papier der 30 Kompaniechefs zeigt, daß sich die Truppe den Blick für das Wesentliche, für das, was sie für wesentlich hält,
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Dr. Zimmermannabsolut bewahrt hat. Das wird nicht geändert durch die Beförderung von 4000 Majoren und Oberstleutnanten, wozu mir viele Kommandeure in diesen Tagen sagen mußten: So schön das vom Geld her ist, aber daß ich an einem Tag meinen Bestqualifizierten und den Schlechtesten gleichzeitig befördern mußte, das paßt mir nicht, und das trägt neue Unzufriedenheit und Spannung hinein. Die Soldaten wollen nicht nur Hobby-Shops und Zuschüsse für die Sauna. Sie wollen die Überzeugung, daß sie einen wichtigen und sinnvollen Auftrag haben, daß sie ihn mit den vorhandenen Mitteln durchführen können und daß die politische Führung sie uneingeschränkt und rückhaltlos und jedem gegenüber für diesen Auftrag in Schutz nimmt.
Meine Damen und Herren, es gibt Gott sei Dank noch Männer, die Soldaten sein wollen und die die Bundeswehr nicht nur als Übergang zu einem Zivilberuf betrachten. Wenn es nicht gelingen sollte, ihnen das Gefühl für die Wichtigkeit ihrer Funktion wiederzugeben, dann wird die Armee in wenigen Jahren nicht mehr aktionsfähig sein, und zwar weder als eine Wehrpflichtarmee noch gar als eine Berufsarmee.Alle gesellschaftlich relevanten Kräfte in dieser Gesellschaft und in diesem Lande müssen sich anders als bisher um den Auftrag der Verteidigungsstreitkräfte bemühen. Sie stellen sich damit hinter den Soldaten und auch hinter das Bündnis. Bundesregierung und Parlament haben den Auftrag, sich vor die Streitkräfte zu stellen, und zwar nicht nur durch ein Lippenbekenntnis oder einen Pflichtakt. Sie haben das Recht und die Pflicht zu treuem Dienen vor das Recht zu stellen, den Wehrdienst zu verweigern, um das einmal deutlich zu sagen. Die Bundesregierung weiß, daß auf den Streitkräften, auf dem Bündnis ihre außen- und innenpolitische Bewegungsfreiheit beruht. Wenn das in den Streitkräften so weiterginge, wenn dem nicht Einhalt geboten würde, wenn die Abwanderung, das Quittieren des Dienstes, weiter Schule machte und die besten Offiziere die Armee verließen, weil sie in dieser Armee keine Zukunft mehr sehen, was würde daran hängen? —Die Truppenpräsenz, das Bündnis, das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und damit alles, was an Bewegungsfreiheit für eine Politik in diesem Lande vorhanden ist!
Wer möchte so ungeschützt in einigen Jahren in eine etwaige Konferenz über die europäische Sicherheit gehen?
Was wäre der Preis?Die CDU/CSU-Fraktion, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, geht auf allen Wegen mit, die Sie beschreiten möchten, um die Truppe zu stärken und dem Offizier- und dem Unteroffizier-korps wieder Mut zu machen. Wir allein können das nicht, wir sind die Minderheit. Es ist notwendig, daß die Bundesregierung und die Mehrheitsfraktionen vorangehen. Herr Verteidigungsminister, Herr Bundeskanzler, setzen Sie hier auch persönlich ein Zeichen!
Es ist spät, aber noch nicht zu spät.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung von der Fraktion der FDP. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 60 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Zimmermann hat vorhin unter dem Applaus einiger empfindsamer Kollegen von seiner Fraktion den Stil der heutigen Debatte gerügt. Vielleicht sollte die Information innerhalb der Opposition ein wenig verbessert werden; denn der Ablauf der heutigen Plenarsitzung wurde doch, soweit ich informiert bin, in der vorletzten und in der letzten Sitzung des Ältestenrates von Herrn Rasner so vorgeschlagen. Nach diesem Vorschlag haben wir dann eben Ende April die Möglichkeit, in die Detaildiskussion der Großen Anfrage einzusteigen.Eine zweite Vorbemerkung. Herr Kollege Zimmermann hat darum gebeten, daß gewisse Institutionen belehrt werden sollten, nicht die Bundeswehr anzugreifen, oder anders ausgedrückt: die Bundeswehr vor Angriffen zu schützen. Ich hoffe, Herr Kollege Zimmermann, Sie haben das nicht in unsere Richtung gesagt; denn eine solche Aufforderung würden wir mit aller Entschiedenheit zurückweisen müssen. Wir stehen zur Bundeswehr!Die heutigen sicherheitspolitischen Erklärungen werden zu einem Zeitpunkt abgegeben, zu dem vor allem aktuelle Ereignisse aus dem Bereich der Bundeswehr und der Verteidigung im Vordergrund stehen: das Bildungs- und Ausbildungskonzept, der Bericht der Wehrstrukturkommission zur Wehrgerechtigkeit und der Rahmenerlaß zur Neuordnung des Rüstungswesens im Bundesministerium der Verteidigung. Aber auch die Starfighter-Absturzserie zu Beginn dieses Jahres, die Niederschrift von 30 Hauptleuten der Bundeswehr und vieles andere mehr sind Diskussionsthemen, auf die sich das sicherheitspolitische Interesse gegenwärtig konzentriert. Diese Zusammenballung von sicherheits- und wehrpolitischen Aussagen kann nicht als Zufall angesehen werden; sie ist vielmehr Ausdruck der Tatsache, daß die Tatbestände im Bereich der Sicherheit und der Bundeswehr sich durch die Kumulation ihres Eigengewichtes gegenwärtig selbst die ihnen zukommende Priorität verschaffen.Die Bundestagsfraktion der FDP ist der Meinung, daß sich der Bundestag heute und in der geplanten großen Debatte Ende April diesen Problemen unvermittelt und nachdrücklich widmen sollte. Es gilt, politische Entscheidungen zunächst vorzubereiten und später in Kraft zu setzen, die für dieses Jahrzehnt, wahrscheinlich aber noch wesentlich darüber hinaus, politische Bedeutung haben werden.
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6540 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
JungDie FDP hat aus dieser Erkenntnis und gemeinsam mit dem Koalitionspartner Ende Januar 1971 eine Große Anfrage eingebracht, die Ende April hier zur Detailberechnung anstehen wird.Die CDU/CSU-Fraktion hat am 9. März ihrerseits eine Große Anfrage nachgeschoben und damit zu verstehen gegeben, daß auch sie unsere Sicherheitssituation und -politik für diskussionsbedürftig hält.Inzwischen liegt die Antwort des Bundesministers der Verteidigung auf diese Großen Anfragen vor. Damit sind Voraussetzungen gegeben, über einen Zeitraum von einigen Wochen hinweg sowohl die aktuellen Vorstellungen der Regierung und der sie tragenden Parteien als auch der Opposition zu diskutieren. Die Gelegenheit zu dieser Diskussion begrüßen wir Freien Demokraten ganz außerordentlich, und wir wollen versuchen, zur Schaffung von Klarheiten über den sicherheitspolitischen Weg der Bundesrepublik beizutragen, und zwar nicht nur für einen durch aktuelle Anlässe gekennzeichneten kurzen Zeitabschnitt, sondern darüber hinaus für die kommende Dekade.Wir hielten es für zu kurz geschossen, meine Damen und Herren, sollte sich diese Debatte lediglich auf aktuelles und technisches Hick-Hack beschränken und dadurch auf die Behandlung der Grundfragen unseres Themas verzichten. Politisch wäre es doch wohl unrentabel. Die Bürger, vor allem die Bundeswehr, erwarten von diesem Hause und von der sicherheitspolitischen Aussprache heute und in den kommenden Wochen mehr.Lassen Sie mich zunächst auf einige sicherheitspolitische Vorstellungen der Bundesregierung eingehen, wie sie in der ausgedruckten Antwort des Verteidigungsministers auf die Großen Anfragen knapp skizziert sind.Der Obmann der Arbeitsgruppe „Verteidigung" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Herr Kollege Klepsch — ich sehe ihn im Augenblick nicht —, qualifiziert diese Antwort pauschal als enttäuschend und als von geringem Informationswert ab. Dieser einseitigen und wohl mehr propagandistisch gemeinten Beurteilung vermag ich nicht zuzustimmen.Lassen Sie mich nur eine Stelle aus der Antwort der Regierung zitieren, deren Informationswert, vor allem aber deren politische Bedeutung, einen allerdings hellwach machen kann. Dort heißt es — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Hinsichtlich des Kampfpanzers 70 und der Fregatte 70 war entscheidend, daß finanzieller Aufwand und militärische Wirksamkeit nicht mehr in ein vertretbares Verhältnis zueinander gebracht werden konnten. Dieser Sachverhalt hätte ebenso schon einige Jahre früher erkannt werden können wie die Tatsache, daß der vorgefundene Rüstungsplan und die vorgefundene mittelfristige Finanzplanung nicht mehr zur Deckung zu bringen waren.Soweit das Zitat.Mit dieser diplomatisch-höflichen Umschreibung soll doch offensichtlich die beschämende Tatsache dargestellt werden, daß in den Jahren vor der6. Legislaturperiode im Bereich der Rüstung und Beschaffung Unordnung herrschte und folglich Steuergelder verwirtschaftet wurden.
Den Informationswert dieser Mitteilung halten wir Freien Demokraten für so erheblich, daß wir den Minister in diesem Zusammenhang direkt fragen möchten, ob er in der Lage ist, die politisch Verantwortlichen zu nennen,
ob er ferner in der Lage ist, die genannten Planungsfehler geldwertmäßig darzustellen. Vielleicht wird der Herr Minister auch in der Lage sein, Herrn Klepsch demnächst durch einige zusätzliche Hintergrundinformationen zu dem sehr sachlichen und nüchternen Text der Antwort der Bundesregierung doch etwas den Informationswert zu verdeutlichen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß einige Oppositionspolitikern das Verständnis für die politische Bedeutung mancher Aussage dieser Antwort bei etwas gründlicherem Lesen nachträglich noch kommt. Vielleicht können wir darüber im April noch einmal etwas Selbstkritisches oder Durchdachtes von den Kollegen der Opposition hören.Ich möchte nicht polemisch werden, kann aber nicht umhin, mich mit Blickwendung zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, einer recht eigenartigen Erscheinung zuzuwenden. Folgt man nämlich den sicherheitspolitischen Auslassungen der einschlägig befaßten Oppositionspolitiker — Herr Kollege Klepsch, Sie sind inzwischen anwesend
— entschuldigen Sie bitte, ich habe Sie vorhin nicht gesehen —;
in diesem Zusammenhang darf ich Sie auf die „Informationen zur Verteidigungspolitik", die unter Ihrem Namen herausgegeben werden, hinweisen —, so müßte es in diesem Hause und im politischen Leben dieses Landes Politiker geben, die auch in diesem, im militärischen Bereich alles richtig gemacht haben, alles richtig machen und alles richtig machen werden, die von Natur aus gleichsam fehlerfrei geschaffen sind. Diese Politiker verbindet ein Kennzeichen: der Sitzplatz auf den Oppositionsbänken. Ein ganz kleiner Rest irgendwelcher anderer Politiker, die durch eine irrige Laune des Schicksals zufällig in die Regierung gelangt sind, macht demgegenüber alles falsch und ist seiner ganzen Natur nach dazu bestimmt, Bankrott zu machen. Das sind dann die Abgeordneten und Politiker hauptsächlich der Regierungsparteien.Man braucht dieser Auffassung nur zuzustimmen, man braucht nur zu bestätigen, daß früher alles besser war und man am besten alles beim alten lassen soll, dann liegt man angeblich politisch rich-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6541
Jungtig. Nachdem diese Alleskönner, Alleswisser und politischen Tausendsassas sich nun aber dennoch in der Opposition wiederfinden, hat ihr Selbstverständnis den reziproken Wert angenommen, so etwa, wenn Kollege Rommerskirchen die Koalitionsfraktionen FDP und SPD treuherzig ermahnt, die Kontrollfunktion des Parlaments nicht nur zur Sache der Opposition werden zu lassen. So ist das also: Die in die Opposition gekantete Staatspartei CDU/ CSU, die natürlich entsprechend ihrer höchsten Berufung die Last der Verantwortung für Land und Volk nun erst recht mutig und unerschütterlich trägt, bittet die Koalitionsfraktion, sich doch wenigstens nicht nur auf bestellten Applaus für die Regierung zu beschränken und der Opposition doch wenigstens ein ganz klein bißchen von der unerhörten Bürde der parlamentarischen Kontrolle abzunehmen.
— Das wollte ich an sich erreichen.
Es fällt einem wirklich schwer, sehr verehrte Kollegen von der Opposition, hier nicht allzu polemisch zu werden und Worte wie Hoffart, Gigantomanie oder ähnliches zu verwenden.Aber ich möchte mich mit wichtigeren Dingen befassen als mit der Selbsteinschätzung, dem Selbstverständnis und der primadonnenhaften Empfindlichkeit der Opposition, wie sie vorhin wieder bei dem Auftritt von Herrn Kollegen Zimmermann deutlich wurde. Herr Kollege Zimmermann, auch wir haben diese Erklärung nicht vorliegen gehabt. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, wie das Prozedere dieser Plenarsitzung des heutigen Vormittags zustande kam, nämlich im wesentlichen auf die Intervention des parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion.Die Thesen der 30 Kompaniechefs spielten eine Rolle sowohl bei den Ausführungen des Ministers als auch bei denen des Herrn Kollegen Zimmermann. Vieles davon kann man in offiziellen Veröffentlichungen der Bundesregierung wiederfinden, sei es im Weißbuch, sei es im Kommissionsbericht der Wehrstrukturkommission. Ich will nur auf einen Punkt eingehen. Die 30 Kompaniechefs haben sich auch zur Frage des Kräfteverhältnisses geäußert. Ich meine aber, sie sind dabei auch — ich will härtere Wertungen vermeiden — einigen Fehlinformationen aufgesessen, die — auch das ist nicht zu leugnen — unter dem Namen einiger Herren Kollegen von der Opposition in die Bundeswehr gepumpt wurden. Dort werden Behauptungen über das Ost-West-Kräfteverhältnis verbreitet, die sich jetzt in der Niederschrift der Hauptleute wiederfinden, die aber von der Einschätzung abweichen, wie sie in den amtlichen Unterlagen der NATO, der NATO-Parlamentarierkonferenz und dem Weißbuch der Bundesregierung für jeden nachlesbar ist.
Durch solche Kaffeesatzdeuterei, meine Damen undHerren von der Opposition, wird Unruhe und eineunangebrachte politische Polarisierung in die Bundeswehr getragen. Und diese Scheinheiligen vergießen dann Krokodilstränen über die angebliche Politisierung der Bundeswehr.
Was mir an diesem Vorgang zu denken gibt, ist folgendes: Eine ganz bestimmte Presse einer wohlbekannten Hamburger Provenienz, ein Ruhestandsgeneral der nämlichen Provenienz und deren parteipolitische Hintermänner wollen in unserem Staate im Trüben fischen.
Sie mißbrauchen dazu Offiziere mit ehrlichen, vielleicht teilweise über das Ziel hinausschießenden Anliegen. Die Hauptleute wollten helfen, die Manipulatoren dagegen wollten Wunden schlagen, vielleicht um selbst dann aus dem Hinterhalt als die großen Retter in Erscheinung treten zu können.
Diese Methode der politischen Auseinandersetzung lehnen wir ab. Sie schadet der Bundeswehr, unserer Demokratie, uns allen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir beim Thema Bundeswehr und Gesellschaft. Manche behaupten, bestimmte reformbereite politische Parteien oder Kräfte dieses Landes seien daran, die Bundeswehr zu politisieren und umzufunktionieren, sie zu einem Debattierclub zu reformieren und sie damit letztlich ihres Kampf- und Abschreckungswertes zu entkleiden. Das ist natürlich unrichtig. Richtig ist vielmehr, daß wir noch nicht in allen Fragen die richtigen Verhaltensweisen und Spielregeln in der Armee unserer jungen deutschen Demokratie gefunden haben, daß wir aber in den Güterabwägungen jeweils zwischen etwas mehr individueller Selbstgestaltung oder etwas mehr straffer Zucht und hierarchischer Ordnung in der Bundeswehr, in der Güterabwägung zwischen etwas mehr Diskussion und mehr Mitdenken oder etwas weniger Diskussion und weniger Mitdenken in der Regel lieber den Weg weisen, der den gesamtgesellschaftlichen und Verfassungsprinzipien näher ist, auch wenn dieser Weg nicht den „wohlbewährten" Methoden früherer deutscher Armeen entspricht.Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht jedoch absolut zutreffend hervorgehoben, daß es nicht genüge, hier nur Tendenzen festzulegen, sondern daß für einen Organismus wie die Bundeswehr auch klare und für den letzten Soldaten verständliche und überschaubare Einzelregelungen gegeben und — das ist wichtig — begründet werden müßten. Wir stimmen mit dem Wehrbeauftragten ebenfalls vollständig darin überein, daß die Skizzierung moderner militärischer Verhaltensweisen in allererster Linie eine Aufgabe der politischen Führung ist. Diese Aufgabe hat nach unserer Meinung eine außerordentlich hohe Priorität im Aufgabenkatalog des Ministeriums.
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6542 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
JungMan komme uns nun nicht mit dem Einwand: Aha, jetzt meckert die FDP am SPD-Minister Schmidt herum. Wir haben großes Verständnis für bestimmte Nachwirkungen nach der Übernahme der politischen Verantwortung in einem Ministerium, das seit Anfang seines Bestehens von CDU-Politikern geführt wurde, von Politikern, die zeitweise mehr auf die Zahl 508 000 bzw. 460 000 oder 12 Divisionen starrten als auf die politischen, psychologischen und menschlichen Probleme, die der Aufbau eines derartigen Riesenapparates notwendigerweise mit sich bringen mußte.
Einem Minister zuzumuten, mit einem derartigen Apparat einen schroffen Kurswechsel zu vollziehen, hieße in jedem Falle, ein Zerstörungswerk zu beginnen. Die FDP hat folglich Verständnis für die Sorgfalt, die die Bundesregierung auf die Prüfung derjenigen Pläne und Maßnahmen verwendet, die sich auf die Zukunftsentwicklung der Bundeswehr und die künftige Sicherheitspolitik der Bundesregierung auswirken werden.Hier nun den Vorwurf zu erheben, die Bundesregierung habe kein Konzept für die Zukunft der Bundeswehr, ist natürlich billige, um nicht zu sagen: schlitzohrige Agitation. Ich könnte leicht den Spieß umdrehen und sagen: die Opposition hat keine sicherheitspolitische Konzeption. Aber mir wäre diese Retourkutsche, selbst wenn sie einen vordergründigen Propagandaeffekt erzielen sollte, zu billig. Ich behaupte vielmehr: die Opposition hat ein Konzept, allerdings ein falsches. Das Gerippe dieses dünnblütigen Konzepts besteht darin, das einfach fortzusetzen, was bei der jetzigen Opposition 18 oder 20 Jahre lang als Sicherheitspolitik ausgegeben wurde.
Das Konzept besteht ferner darin, im wesentlichen nach mehr Soldaten, Einheiten, Waffen und Geld für diese Verbände zu rufen und undifferenziert, ja, manchmal blind, auf jeden einzudreschen,
der zu bedenken gibt, daß Sicherheit auf dieser Grundlage in gesellschaftspolitische Unsicherheit umschlagen kann, wenn man die allgemeine Entwicklung derart vernachlässigt. — Ich glaube, damit habe ich auch die richtige Antwort auf Ihren Zwischenruf gegeben.Dem Verteidigungsminister sind durch die Auswirkungen dieser Politik die Hände in manchen Bereichen derart gebunden, daß wir ihn um seine Zuständigkeit nicht beneiden. Wir möchten andererseit den Verteidigungsminister bestärken und ermutigen: lassen Sie sich nicht durch die normative Kraft des Faktischen oder die stummen Zwänge des Überkommenen daran hindern, Alternativen für die Weiterentwicklung unserer Bundeswehr und die Zukunftsoption für die nächsten 10, 15 und 20 Jahre auszuarbeiten!Auch das Gerede von einer Krise in der Bundeswehr ist natürlich Unsinn. Man braucht hier gar nicht sachlich zu untersuchen, wie weit daran etwas Wahres sein könnte. Es gibt genügend Aussagen und Stellungnahmen — nicht nur aus dem Bereich der Bundesluftwaffe oder Marine, sondern auch aus dem Bereich des Heeres und der Kampftruppen —, die eine einigermaßen kontinuierliche, befriedigende Entwicklung erkennen lassen. Es gibt Beispiele dafür, leider anscheinend erst punktuell — immerhin habe ich vor wenigen Tagen ein solches erlebt —, daß Meldungen als Zeitsoldaten in letzter Zeit stark zugenommen haben, und zwar nicht nur als Zeitsoldaten Z 2, sondern insbesondere als Z-4-Zeitsoldaten. Hier kann ich auf das Beispiel des Luftwaffenausbildungsregiments in Germersheim verweisen, wo mir der Kommandeur, Herr Oberst Weiß, am vergangenen Freitag eine derartige Auskunft gegeben hat. Wegen der Überzahl der Meldungen werden diese Bewerbungen dort sogar sehr kritisch geprüft und müssen Bewerber möglicherweise auch abgewiesen werden. Hier entsteht die Frage, inwieweit die Bundeswehr in sich selbst solche Meldungen rasch, unbürokratisch und damit für den einzelnen ansprechend auch in andere Teilstreitkräfte vermitteln kann. Dazu — das als Beispiel genommen würde die sogenannte Bundeswehrlösung sehr viel beitragen.Wir wissen alle, daß es in der Bundeswehr Wachstumsschwierigkeiten gibt, für die die Soldaten selbst ebensowenig verantwortlich gemacht werden können wie ein heranwachsendes Kind oder ein heranwachsender Jugendlicher für die Entwicklungsschwierigkeiten, die nun einmal in dem Lebensprozeß eines Organismus liegen und die in der ganz großen Mehrheit aller denkbaren Fälle ganz und gar nichts mit Krisen oder Katastrophen zu tun haben. Wenn wir hier, und zwar kritisch, über Schwächen, Fehler und Mängel reden, sprechen wir also über einen Wachstumsprozeß. Wir müßten eigentlich in einigen Fällen auch über das Versagen der Erzieher sprechen, — und das, meine Damen und Herren, sind wir alle hier, und das ist in unserem Falle insbesondere eine Regierung mit jahrzehntelanger CDU-Dominanz.Weil mir aber die Zeit für das ewige gegenseitige Aufrechnen zu schade ist, verzichte ich auf diese frustrierende Vergangenheitsbewältigung. Tatsache ist, daß die Bundeswehr zu rasch in einen zu großen Anzug hineinwachsen mußte. Nicht alle Gliedmaßen wuchsen in gleichem Tempo mit, so daß bei den länger dienenden Soldaten eine außerordentlich angespannte Personallage besteht, der mit punktuellen materiellen Anreizen und sonstigen Einzelmaßnahmen nicht wirklich nachhaltig begegnet werden konnte.Herr Barzel, wie richtig war es doch, zu sagen, daß die Einführung von Baretten, die Übernahme von Saunabetriebskosten in Kasernen durch den Bund und ähnliche Maßnahmen als ein Kurieren am Symptom zu bezeichnen ist! Das ist sehr richtig. Nur habe ich bei Ihnen nicht nachlesen können, wie Sie an die Ursachen herankommen wollen; denn da liegen natürlich die Probleme und wahrscheinlich die wesentlichen Meinungsverschiedenheiten.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6543
JungEs ist Tatsache, daß das Problem der Wehrgerechtigkeit und der Kriegsdienstverweigerung noch nicht wirklich gelöst wurde und dadurch ein erhebliches Maß an innerer Unsicherheit in der Bundeswehr fortbesteht. Herr Kollege Zimmermann hat vorhin auf die wachsende Anzahl der Kriegsdienstverweigerer hingewiesen. Wir haben vor zwei oder drei Jahren den damaligen Minister für Arbeit und Sozialordnung aufgefordert, nun endlich die entsprechenden Ersatzdienstplätze zu schaffen. Was ist geschehen? Außer einer Zusage nichts!
Es ist Tatsache, daß sachliche Veränderungen und finanzielle Umschichtungen im Rüstungsplan bzw. in der mittelfristigen Finanzplanung erforderlich wurden, die selbst heute noch Sicherheitseinbußen bedeuten. Die FDP ist mehr denn je überzeugt, daß die seinerzeitige Ausstattung der Bundeswehr mit nuklearen Trägerwaffen ebenso ein militärischstrategischer wie ein sicherheitspolitischer Fehler war. Dieser Fehler wirkt, wenngleich etwas reduziert, heute noch fort.Es ist auch Tatsache, daß bei einer sehr einseitigen Betonung des Wertes präsenter Kampftruppen ein unerhörtes Sicherheitspotential von bald anderthalb Millionen Wehrpflichtigen praktisch brachliegt und die hier getätigten Investitionen für unsere Sicherheit keinen wesentlichen Nutzeffekt mehr bringen, die Grundsätze der Inneren Führung zwar im Prinzip bejaht werden, Berufsziele, Berufsinhalte, Bildungswege und modellhafte Verhaltensweisen jedoch ungenügend definiert sind.Ich habe diese Tatsachen, meine Damen und Herren, nicht aufgezählt, um hintenherum auf irgend etwas Krisenhaftes herauszukommen. Ich möchte vielmehr zeigen, daß die Bundeswehr in eine Wachstumsphase, in ein Entwicklungsstadium einzutreten im Begriffe ist oder bereits eingetreten ist, in dem für einen etwas längeren Zeitabschnitt notwendigerweise eine Weichenstellung erfolgen muß. In der Tat ist es in der jetzigen Situation nicht mit dieser oder jener kosmetischen Operation getan. Obgleich sicherlich bei einem so riesenhaften Organismus wie der Bundeswehr ständig irgendwelche Neuregelungen erforderlich sind, geht es heute um eine prinzipielle Weichenstellung für einen längeren Zeitabschnitt. Bildhaft gesprochen, es geht nicht darum, ob Heranwachsende von der einen Klasse in die nächste versetzt wird, sondern darum, welchen Beruf er ergreifen will, ob er studieren will und, wenn ja, was. Herr Barzel, es geht um eine bedeutende Reform im vollen Sinne des Wortes.Lassen Sie mich deshalb versuchen, eine knappe Skizze dessen zu entwerfen, was der Freien Demokratischen Partei auf diesem Felde als Option für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre als richtig erscheint und was wir im Rahmen der wenigen theoretisch möglichen wehrpolitischen Alternativen für das eine Eckmodell halten.Eine Bundeswehr, die den zukünftigen Erfordernissen unserer Sicherheit, vor allem aber auch den allgemeinen Entwicklungsbedingungen einer demokratischen Gesellschaft in einem hochentwickeltenIndustriestaat unmittelbar an der Scheidegrenze der großen politischen Weltsysteme entsprechen soll, müßte etwa nach folgenden Prinzipien gestaltet werden.Erstens. Die Spitzengliederung in der politischen Führung der Landesverteidigung müßte weiterhin gestrafft und den unmittelbaren Einsatzerfordernissen angepaßt werden. Unterhalb des Ministers und des Parlamentarischen Staatssekretärs als seines politischen Stellvertreters stehen an der Spitze die zwei Staatssekretäre und der ihnen gleichgestellte Generalinspekteur. Der Generalinspekteur ist in den Befehls- und Kommandostrang voll einbezogen. Ihm unterstehen auf der Ebene der Hauptabteilungsleiter Rüstung, Verwaltung und Recht die Inspekteure der Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine, womit das Ministerium faktisch zwei zivil- und drei militärisch geführte Hauptabteilungen besitzt. Mit dieser Spitzengliederung, die sachentsprechend, funktionsgerecht und in Über- und Unterordnung auch logisch und schlüssig ist, wird die sogenannte Bundeswehrlösung als Fernziel angesteuert. Dies ist aus vielerlei Gründen die zukunftweisende Lösung. — Meine Damen und Herren, ich sage hier nichts Neues, sondern das, was ich vor über drei Jahren hier in diesem Hause in der Frage des Organisationsgesetzes Ihnen vorzutragen die Ehre hatte.Zweitens. Die Bundeswehr gliedert sich weiterhin in drei Teilstreitkräfte, Heer, Luftwaffe und Marine, deren Verbund jedoch nach Bedarf verstärkt werden kann. Die Spitzengliederung enthält diese Option. Die Teilstreitkräfte Luftwaffe und Marine möchte ich in ihren bisherigen Strukturen erhalten wissen. Ihre Umfangszahlen bleiben deshalb im wesentlichen auf dem bisherigen Niveau. Die Masse der Angehörigen dieser beiden Teilstreitkräfte besteht aber nach unseren Vorstellungen aus länger-dienenden Soldaten, weil man in diesen hochtechnisierten Teilstreitkräften ganz einfach auf solchen Spezialisten aufbauen muß. Nach Abschluß der Heeresreform wird geprüft, inwieweit sich Konsequenzen für Luftwaffe und Marine ergeben, die dort zu Anpassungen führen.Drittens — dies ist der wichtigste Punkt, weil auch in den Thesen der 30 Hauptleute insbesondere die Situation der Kampfgruppen angesprochen wurde —: Die Teilstreitkraft Heer wird reorganisiert. Sie gliedert sich künftig in zwei Elemente, nämlich in aktive Einsatzverbände und in ein milizartiges Wehrpflichtsystem, das ich der Einfachheit halber als Milizverbände bezeichnen möchte.Viertens. Die aktiven Einsatzverbände haben einen Umfang von 240 000 Mann, die sich gliedern in Heerestruppen in sechs Korps (mit 81 000), in 36 mechanisierte Brigaden (mit 144 000). Wie Sie sehen, entfällt die Divisionsebene.Fünftens. Die aktiven Einsatzverbände bestehen zu maximal 25 % aus Wehrpflichtigen. Das heißt, der Wehrpflichtigen-Anteil von zirka 60 000 Mann maximal gewährleistet ein Verhältnis von 75 % Längerdienenden zu 25 % Wehrpflichtigen. Die Wehrpflichtdauer wird generell auf zwölf Monate
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6544 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Jungfestgesetzt. Die maximal 60 000 Wehrpflichtigen der aktiven Einsatzverbände schöpfen damit rund ein Viertel bis ein Fünftel der nach den vorliegenden Unterlagen auf absehbare Zeit, bis etwa 1980, gegebenen Jahrgangsstärken von 200 000 bis 300 000 tauglichen oder eingeschränkt tauglichen Wehrpflichtigen aus.Sechstens. Der Auftrag der aktiven Einsatzverbände lautet in Übereinstimmung mit dem Auftrag der gesamten Bundeswehr: volle Präsenz zur Abwehr von Überraschungsangriffen, Zeitgewinn für Krisenmanagement, politische und Mobilisierungsmaßnahmen. Die aktiven Einsatzverbände sind der NATO voll assigniert und entsprechen den Anforderungen der NATO in wesentlich höherem Maße als die jetzigen Kampftruppenverbände. Sie hätten auch einen wesentlich höheren Abschreckungswert. Wir sind uns darüber im klaren, daß diese Punkte natürlich besonders mit unseren Partnern in der NATO verhandelt werden müssen. Deshalb auch unsere Aufforderung, darüber zu sprechen.Siebtens. Die Milizverbände haben einen Umfang von bis zu 80 000 Mann, die sich in Kaderpersonal von 15 000, Längerdienende und 65 000 Wehrpflichtige gliedern. Zu diesen 80 000 Mann kommen dann noch Plätze für bis zu maximal 20 000 Wehrübende.Achtens. Für die Wehrpflichtigen in den Milizverbänden würde hei einer gleichfalls generellen, auf zwölf Monate befristeten Wehrpflichtdauer eine gleitende Dienstzeit eingeführt werden können. Diese kann auch je nach Truppen- oder Waffengattung bzw. Verwendung — denken Sie z. B. an die berühmte Zweitfunktion —auf eine variable Zahl von weniger als zwölf Monaten festgelegt werden. Der Rest bis zu zwölf Monaten wird in späteren Wehrübungen auf den dafür vorgesehenen Wehrübungsplätzen abgeleistet.Durch das Zahlenverhältnis in den Milizverbänten und die Einführung einer gleitenden Dienstzeit werden die restlichen vier Fünftel bis drei Viertel, d. h. die restlichen 140 000 bis 240 000 Tauglichen oder eingeschränkt Tauglichen eines Geburtsjahrgangs, faktisch komplett zum Wehrdient erfaßt. Es wird ein hohes Maß von Wehrgerechtigkeit erreicht, und das gesamte Milizheer hat eine Struktur, die genügend Flexibilität aufweist, um bestimmte zahlenmäßige Schwankungen in den Jahrgangsstärken und Musterungsergebnissen mühelos abzufangen.Meine Damen und Herren, wenn ich Ihnen das etwas detailliert vortrage, dann deshalb, weil ja immer wieder der Vorwurf kommt, wir berechneten die Folgen nicht. Hier trete ich den Beweis an, daß diese unsere Überlegungen, die wir gemeinsam auf unseren wehrpolitischen Kongressen erarbeiten, eine gesunde Basis haben und daß man auf dieser Basis diskutieren kann, zumindest für das nächste und übernächste Jahrzehnt.Neuntens. Der Auftrag der Milizverbände entspricht in Abwandlung des Gesamtauftrages der Bundeswehr ihrem Charakter: gesamte Rekrutenausbildung, darunter auch für die aktiven Einsatzverbände, Unterstützung der Einsatzverbände unter Erhaltung der Operationsfreiheit der gesamten Bundeswehr — das betrifft die Logistik, das Transportwesen, Verkehr, das Ordnungswesen, Gesundheitswesen, Heimatschutz, Objektschutz — und Integration von militärischer und ziviler Verteidigung.Die Milizverbände sind der NATO nicht assigniert, bilden aber durch die veränderte Spitzengliederung der Landesverteidigung und ihren eigenen Auftrag ein wesentliches Element der direkten Unterstützung der westlichen Verteidigungsallianz.Zehntens. Durch die Gewinnung einer in sich völlig defensiven, politisch jedoch wirkungsvoll einsetzbaren Mobiliserungskapazität erlangen Bundeswehr und NATO einen bedeutenden Abschreckungs-und damit Sicherheitszuwachs. Der Gesamtumfang der Bundeswehr bleibt bei dieser Konzeption mit etwa 320 000 Mann der Teilstreitkraft Heer — aktive Einsatzverbände plus Milizverbände — und mit zirka 95 000 Mann Luftwaffe und zirka 35 000 Marinesoldaten ungefähr auf dem jetzigen Stand von 450 000, wobei das natürlich variabel ist. Hinzu kämen bis zu 20 000 Wehrübende. Politische Erfordernisse können durch flexible Handhabung der Einsatzzahl im Bereich der Milizverbände und Wehrübenden aufgefangen werden, indem hier zeitweilig zahlenmäßige Veränderungen eintreten. Die aktiven Einsatzverbände werden hierdurch jedoch nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen. Die NATO-Anforderungen können unbeeinträchtigt erfüllt werden.Elftens. Bei konsequenter Realisierung des Konzeptes können die Kasten der Bundeswehr im Rahmen der Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung abgedeckt werden. Umschichtungen im Verteidigungshaushalt sind allerdings unvermeidlich, wie wir sie ja seit 1968 in der Haushaltsdebatte angekündigt und exakt mit Zahlen belegt haben.Mit der hier in elf thesenartigen Forderungen wiedergegebenen Konzeption würden verläßlichere Grundlagen für unsere Sicherheit und Landesverteidigung geschaffen, ohne daß die alten Fundamente etwa weggerissen würden. Ein allmählicher und schrittweiser Übergang in flexiblen Phasen und Maßnahmen wäre möglich und auch notwendig. Ursachen heutiger Friktionen und Schwierigkeiten würden von der Wurzel her beseitigt.Lassen Sie mich selbst fragen, welche die verschiedenen Konsequenzen einer solchen Bundeswehr-und insbesondere Heeresreform wären. Zunächst und zuerst: Was werden die Soldaten der Bundeswehr zu diesem FDP-Rahmenkonzept sagen? — Ich kann eigentlich nur erkennen, daß ihnen hier eine Menge Sorgen abgenommen und auf viele ungelöste Fragen hilfreiche Antworten gegeben werden. Wir sind, glaube ich, mit den Soldaten in voller Übereinstimmung.Wie werden die Bürger der Bundesrepublik unser Rahmenkonzept beurteilen? — Wir glauben, daß mit diesem Konzept der erste ernsthafte Versuch in unserer Geschichte unternommen wird, eine Landesverteidigung aufzubauen, die die Vorteile der Berufsarmee mit denen der Wehrpflichtarmee verbindet, die in ihrer Tendenz militärische und zivile Landesverteidigung zu einem großen InstrumentDeutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — I11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6545Jungunserer Sicherheit zusammenfügt, das von jedem Bürger einen ebenso großen eigenen Einsatz verlangt, wie es ihm Schutz und Frieden gewährleistet, die diesen Frieden zu rentablen Preisen, d. h. Steuerlasten, sichert, die unserer geographischen Lage an der Grenze des Westens zum Osten und unserer politisch-historischen Situation als geteilte Nation im Zentrum des geteilten Europas entspricht, die fester als bisher jede deutsche Armee — mit Ausnahme vielleicht der Zeit der Freiheitskriege -im Volk verwurzelt, mit den Bürgern verbunden ist, die dem Frieden verschworen ist und ihrem ganzen Wesen nach der Aggression abgeschworen hat und die die Demokratie in unserem Lande wie einen Augapfel hütet und schützt, weil sie weiß, daß die Auseinandersetzungen unserer Zeit und unserer Nation nicht mit militärischen Mitteln zu bereinigen sind. — Ich glaube also, wir befinden uns auch in Übereinstimmung mit den Bürgern.Drittens. Wie werden sich unsere Alliierten zu diesem Rahmenkonzept stellen? - Es gibt, soweit ich sehen kann, in unserem Konzept nichts, was den Interessen eines einzelnen Verbündeten zuwiderliefe; ebensowenig werden Interessen des Bündnisses als eines ganzen verletzt. Im Gegenteil, eine Bundeswehr, wie wir sie vorschlagen, wäre ein wertvoller Bundesgenosse aller Partnerstaaten. Unser Beitrag zur Sicherheit der gesamten Allianz im Sinne der Strategie der flexiblen Reaktion wäre höher zu veranschlagen als zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Diese Bundeswehr böte schon durch ihre Struktur Handhaben für ein politisches Krisenmanagement an. Unser Rahmenkonzept enthält Vorstellungen, die möglicherweise in den Partnerstaaten Anregungen für eigene Strukturüberlegungen sein können. Die gegenwärtigen Reorganisationspläne unseres amerikanischen Verbündeten — nicht zuletzt die Konzeption der realistischen Abschreckung, die Minister Laird kürzlich verkündete — antworten letztlich auf ähnliche Fragen wie unser Konzept. Man sollte dabei nicht erwarten, daß sich alle Lösungsvorstellungen schematisch gleichen; dazu sind die geographischen, die innen- und außenpolitischen, aber auch die Größenverhältnisse zu verschieden. Im Prinzip befinden wir uns jedoch, so glaube ich, nicht im Widerspruch zu unseren Alliierten, sondern in Übereinstimmung mit. ihnen.Und wie werden unsere östlichen Nachbarn, wie wird die DDR dieses FDP-Rahmenkonzept einschätzen? — Nehmen wir einmal an, sie könnten auf Propaganda verzichten: dann müßten sie das Argument vom aggressiven Charakter der Bundeswehr, von der ungeheuren Bedrohung durch die Bundeswehr und die Bundesrepublik im allgemeinen fallenlassen. Wir schaffen uns nämlich eine Landesverteidigung, die so im Volke verankert ist, daß auf der anderen Seite begriffen werden muß: politische Meinungsverschiedenheiten und Systemunterschiede können auch von dort aus nur noch mit politischen, und zwar friedlichen Mitteln, ausgetragen werden. Sie wollen friedliche Koexistenz — nun gut, das können sie haben. Wir werden mit dieser Bundeswehr im friedlichen Wettbewerb der Gesellschaftssysteme nicht schlecht dastehen. Mit anderen Worten, wennsie dort drüben wirklich Frieden wollen, stehen wir ihnen dabei nicht im Wege, mit dieser Bundeswehr nicht.Nebenbei, wenn es zu einer Konferenz über die Sicherheit Europas kommt: dieses Rahmenkonzept gestattet es, über MBFR, über multilateral balanced force reduction, zu diskutieren, ohne das eigene Sicherheitspotential permanent zu verunsichern. Das Modell ist in sich schlüssig. Es ist funktionsfähig und politisch begründet und abgestützt. Eine Reihe wehrpolitischer Probleme der Gegenwart wird von den Ursachen her gelöst. Andere Probleme — z. B. Probleme der Kriegsdienstverweigerung, des Ersatzdienstes und der Inneren Führung — stellen sich anders, so daß ihre Lösung wesentlich erleichtert wird. Auch die Diskussion über die sogenannte Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft — ich meine, daß dieser Begriff ohnehin falsch ist, weil die Bundeswehr durch diese Demokratie geschaffen wurde und demzufolge von vornherein in diese Gesellschaft integriert sein muß — bekäme einen neuen Inhalt. Die Übergänge vom zivilen in den militärischen Bereich der Gesellschaft und umgekehrt wären nicht derart schicksalhafte, häufig existenzbedrohende Einschnitte im Leben des einzelnen. Die Grenzen würden durchlässiger und überschaubarer. Das ist eine ganz grundlegende liberale Forderung in allen Sektoren der Gesellschaft. Fragen der Bildung und Ausbildung würden leichter realisierbar, für dien einzelnen besser planbar und für die Bundeswehr und die Gesellschaft rentabler.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich weise Sie hier auf das Interview hin, das Generalleutnant Rall „Wehr und Wirtschaft" gegeben hat, und bitte Sie, den letzten Satz besonders zu beachten.Die Freien Demokraten bieten diesem Haus und der Öffentlichkeit dieses Rahmenkonzept an. Es ist zweifellos in jeder Hinsicht das eine Eckmodell von zwei möglichen. Es formt die eine von zwei möglichen Hauptalternativen aus. Ich meine nun nicht,daß unser Konzept unveränderbar, daß es ein Dogma sei. Viele Details, auch Zahlen, können variiert und optimiert werden; sie können auch in manchen Abstufungen einander zugeordnet werden. lin Kern entspricht dieses Modell aber der liberalen politischen Grundauffassung und einer politischen Lagebeurteilung. Weil das so ist, läßt sich voraussagen, daß es notwendigerweise ein Für und Wider geben wird. Ich ahne auch, aus welcher politischen Himmelsrichtung. Wir werden alle Probleme geduldig ausdiskutieren. Allerdings werden wir nicht auf den letzten Zauderer warten können. Es wird etwas schneller gehen müssen, weil sonst Züge abfahren,die nicht mehr einzuholen sind.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hatte den Anlaß und die Möglichkeit, Ihnen das Rahmenkonzept der FDP für die zukünftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik darzulegen. Ich hotte, wir werden gemeinsam darüber nachdenken und in den nächsten Wochen auch gemeinsam darüber diskutieren. Ich hoffe, wir werden dar-Jungüber hinaus gemeinsam etwas zum Nutzen unseres Landes, zum Nutzen unserer Bundeswehr und zum Nutzen unserer Allianz tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis, wenn ich nicht in der Ausführlichkeit auf die Ausführungen des Kollegen Zimmermann eingehe, wie es der Fall wäre, wenn mehr Zeit zur Verfügung stände. Ich glaube jedoch, man könnte sich hier einmal mit folgendem Vorschlag befassen. Herr Kollege Zimmermann, wenn man Ihre Rede ausgedruckt der Truppe zur Verfügung stellte, würde in der Truppe genau das Maß an Frustration zu verzeichnen sein, das Sie nach 16monatiger Verantwortung des jetzigen Verteidigungsministers in der Truppe schlagartig feststellen zu können glauben.
Ich will das nur an Hand von zwei oder drei Beispielen belegen. Sie haben davon gesprochen — in diesem Zusammenhang haben Sie die Studie der 30 Hauptleute zitiert —, daß die Disziplin unter dem fortschreitenden Abbau der Erziehungsmittel leide. Sie haben dann unter anderem, um dies zu beweisen, darauf hingewiesen, daß das unerlaubte Entfernen von der Truppe überhandnehme. Das bestreitet keiner. Sie haben weiter gesagt, jetzt würde man sogar diejenigen, nach denen gefahndet wird und die gefunden werden, nicht mehr in Regreß nehmen, wie das früher der Fall gewesen sei. Das ist nie der Fall gewesen, weil das aus Rechtsgründen immer unmöglich war. Sie sollten hier nicht unterschwellig etwas einführen, nicht so tun, als würde gerade durch diese Regierung oder durch diesen Verteidigungsminister etwas Neues eingeführt, was überhaupt nicht mit unserem Rechtsverständnis und mit den bisherigen rechtlichen Vorschriften in Einklang zu bringen ist.
Sie haben das nicht nur an einer Stelle getan, sondern Sie haben es sich an mehreren Stellen so leicht gemacht. Ich kann als Entschuldigung hier nur mit anführen, daß Ihnen die Ausführungen des Ministers vorher nicht schriftlich vorgelegen haben; das haben sie uns auch nicht.Aber die Studie der Hauptleute hat Ihnen vorher vorgelegen, und man sollte sie nicht kritiklos übernehmen. Sie hat gewiß verdient, daß wir sie sehr kritisch prüfen und daß wir den Hauptleuten dort recht geben, wo sie recht haben, daß wir ihnen aber auch dort helfen, wo ihnen geholfen werden muß. Nach Ihren Ausführungen mußte der Eindruck entstehen, als wäre Ihnen diese Studie gerade recht gekommen, um der Öffentlichkeit klarzumachen, was alles in 16 Monaten verwirtschaftet worden sei. Die Truppe ist nicht vor 16 Monaten aufgelöst und neu aufgebaut worden, und es liegt auch nicht alles in der Verantwortung dieser Regierung, wassich heute als Bild der Truppe darstellt. Man muß doch die Truppe in der Kontinuität ihres Wachsens, ihres Entwickelns sehen. Sie haben selber auf Reden des jetzigen Verteidigungsministers, die er aus der Rolle der Opposition gehalten hat, hingewiesen. Sie haben gesagt, daß er damals in viel schärferem Ton, als Sie es heute zu tun beabsichtigten, Anklagereden gehalten habe. Vieles, was Sie heute gesagt haben, hat in der retrospektiven Betrachtung dem damaligen Oppositionssprecher Schmidt recht gegeben, und er hat sich bemüht, gerade dem seit seinem Amtsantritt Rechnung zu tragen.
Sie haben in diesem Zusammenhang die Heeresstudie angesprochen. Man muß doch zur Kenntnis nehmen, daß die betreffenden Dinge zur Zeit des Vorgängers des Herrn Schmidt, nämlich des Herrn Schröder, geschehen sind. Vieles ist damals ausgewertet und schon auf den Weg gebracht worden. Herr Schmidt hat nicht die Bundeswehr über Nacht geändert, sondern von sich aus eine Bestandsaufnahme eingeleitet, die im Weißbuch ihren Niederschlag gefunden hat. Erst jetzt wird das, was in diesem Weißbuch zusammengefaßt zur Diskussion gestellt wurde, in die Tat umgesetzt. Deshalb wird erst in absehbarer Zeit auch für Sie mit etwas Zeitverzögerung sichtbar, was in Wirklichkeit besser geworden ist. Das wird auch in der Truppe so gesehen, und das werden auch die kritischen Hauptleute nicht in Frage stellen, die Sie hier so in etwa als Kronzeugen angeführt haben.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein weiteres Beispiel nennen. Sie haben auf die Wehrdienstverweigerer hingewiesen. Wir haben das Problem auch sehr früh erkannt. Wir sind bemüht — die Vorlage wird in der nächsten Woche zur ersten Lesung kommen , zumindest bezüglich der gleichen Behandlung die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen. Aber das Thema ist doch nicht erst seit einigen Monaten ein Problem, ist doch nicht erst ein Problem, seit diese Regierung im Amt ist. Das Problem liegt über 10 Jahre zurück und hat sich auf Grund der Versäumnisse der Vergangenheit zu dieser Größe entwickelt, wie wir es heute vor uns stehen haben. Ich glaube, Sie tun Hans Iven einen Gefallen — und das meine ich jetzt ironisch —, wenn Sie in den Chor derjenigen einstimmen, die von ganz links in unserem Staatswesen teilweise sich schon selbst daneben stellend — den Minister bekämpfen, weil er eine gleiche Behandlung aller zustande zu bringen versucht.
Eine abschließende Bemerkung zu Ihren Ausführungen! Mir wäre es lieber gewesen, wenn Sie eine substantiierte Anklagerede gehalten hätten, denn dann könnte man sich mit den Fakten, die in einer Anklagerede enthalten sein müssen, auseinandersetzen. Dies, verehrter Herr Kollege Zimmermann, haben Sie nicht getan. Sie haben von Parteipolitisierung gesprochen, ohne Beweise anzutreten. Sie haben von politischer Inquisation gesprochen — das Wort muß man auf der Zunge zergehen lassen, wenn es von Herrn Zimmermann kommt —, ohne dafür Beweise anzutreten. Sie haben davon gesprochen,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971 6547
Wienanddaß sich die Offiziere in den Kasinos umsehen, wenn sie über Politik sprechen — als stände immer einer hinter ihnen, der sie dann aufs Haupt hauen würde oder der dann ihre Laufbahn beenden würde —, ohne dafür konkrete Beweise anzutreten.Wenn man solche Verallgemeinerungen bringt und dann selbst von der schleichenden Unaufrichtigkeit spricht, kann man dem, glaube ich, nur begegnen, wenn man von dem überzeugt ist, was man sagt, indem man selbst aufrichtig argumentiert und Roß und Reiter nennt und sich nicht auf Allgemeinplätzen bewegt, von denen vielleicht etwas beweisbar ist, das meiste aber im Unbeweisbaren verbleiben muß.
Wir werden nach Ostern gewiß Gelegenheit haben, uns im Rahmen der sicherheitspolitischen Debatte zusammen mit dem Bericht des Wehrbeauftragten konkreter mit all diesen Fragen zu befassen. Sie haben hier, von der Studie der 30 Hauptleute ausgehend, nach der Aufgabe der Soldaten gefragt, und Sie haben so getan, als sei die von dieser Regierung in Frage gestellt. Ich darf daran erinnern, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im Oktober 1969 betonte — ich zitiere wörtlich —:Wir werden ... in und gegenüber dem Bündnis die bisherige Politik fortsetzen und erwarten dies auch von unseren Bündnispartnern und von ihren Beiträgen zur gemeinsamen Sicherheitspolitik und zu den vereinbarten gemeinsamen Sicherheitsanstrengungen.Wir haben bis zur Stunde insgesamt keine Ersatzlösung, keinen billigeren und besseren Vorschlag zur Gewährleistung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, als er seit Jahren praktiziert und angestrebt worden ist, nämlich Sicherheit vor fremdem Zugriff zu gewährleisten, indem wir die Abschreckungsanstrengungen gemeinsam mit dem Bündnis erhöhen und durch Entspannungsbemühungen und durch beiderseitige 'Rüstungsverminderungen zur wirklichen Sicherheit beitragen.Ich habe gelegentlich der Debatte zum Bericht zur Lage der Nation ausgeführt, daß die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung Sicherheit durch Entspannung zum Grundsatz hat, und ich habe gesagt: Wir nehmen nicht in Anspruch, das allein erfunden zu haben, sondern dieses neue Teilkonzept endlich mit- und nachvollzogen zu haben. Wir haben weiter darauf hingewiesen, daß die Entspannungsbemühungen der Bundesregierung inhaltlich in Einklang stehen mit der Entspannungspolitik unserer Verbündeten. Drittens ist darauf hingewiesen worden, daß die Entspannungspolitik dieser Bundesregierung im Effekt nicht weniger Sicherheit schafft, sondern mehr Sicherheit, wenn sie zum Ziel geführt werden kann, und in diese Situation findet sich die Bundeswehr gestellt.Es geht nicht um eine neue sicherheitspolitische Konzeption. Es geht nicht darum, die bestehenden Streitkräfte in Frage zu stellen. Es geht darum, daß die Strategie der Abschreckung nur für den, dernoch den sicherheitspolitischen Vorstellungen der voratomaren Zeit verhaftet ist, einiges in Frage stellt, aber nicht für diejenigen, die in der Öffentlichkeit und in der Bundeswehr über diesen Verteidigungsauftrag nachdenken.Neu ist — das gebe ich allerdings zu — die Tatsache der wechselseitigen Abhängigkeit nur für den, der die sicherheitspolitischen Auswirkungen der waffentechnologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre nicht zur Kenntnis nimmt. Für uns, die Abgeordneten dieses Bundestages, die sich seit anderthalb Jahrzehnten oder länger mit diesen Fragen befassen, müßte es doch allmählich so weit sein, daß wir frei von Emotionen das Für und Wider erörtern können, wie wir der Bundeswehr helfen, wie wir uns insgesamt befähigen, zu den einleitend genannten Zielen zu kommen.Wie schon die ersten Tätigkeitsberichte des Amtes Blank, so hat auch Herr Strauß als zweiter Verteidigungsminister der Bundesrepublik den Sinn der NATO doch darin gesehen, den dritten Weltkrieg zu verhindern. In der Atomdebatte des Bundestages im März 1958 bezeichnete er unter Zustimmung des ganzen Hauses — ich habe es nachgelesen — als Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik, die kriegsverhindernde Barriere, die kriegsabschreckende Wirkung der Gesamtbündnisstaaten um unseren Anteil zu erhöhen und um dieses Maß auch die Aussicht zu erhöhen, den dritten Weltkrieg nicht erleben zu müssen. In diesem Ziel waren und sind sich die Parteien dieses Hauses einig. Darin liegt die Aufgabe der Bundeswehr. Das hat meines Wissens noch keiner in Frage gestellt.Was uns trennte und was uns auch heute zu trennen scheint, sind die Mittel und Wege zu diesem Ziel. Auch hier sei den besorgten Kollegen des Herrn Strauß in Erinnerung gerufen, was er bereits vor 13 Jahren deutlich gemacht hat, als er sagte:Die Strategie der indirekten Verteidigung beruht darauf, daß man das, was man früher aufgeboten hat, um einen Krieg zu gewinnen, heute aufbieten muß, um ihn zu verhindern.Das muß man auch diesen Hauptleuten sagen, wenn man mit ihnen diskutiert,
und das muß man in die Gesamtdiskussion einbringen. Ich habe den Eindruck, daß von Ihnen über die Folgen dieser richtigen Erkenntnis, zumindest wenn Sie solche Zwischenrufe machen, zuwenig nachgedacht worden ist oder daß Sie einiges verdrängt haben.Wie wäre es denn sonst zu erklären, daß den Entspannungsbemühungen der Bundesregierung mit so viel Skepsis und Ablehnung begegnet wird, und wie wäre es sonst möglich, daß das dann auch, teils offen, teils unterschwellig, in die Truppe hineingetragen wird? Gibt es denn jemanden in diesem Hause, der tatsächlich annimmt, Kriege zwischen den Staaten der NATO und des Warschauer Paktes könnten allein durch die Bereitstellung stets weiterentwickelter, insgesamt ausgeglichener Militärpotentiale verhindert oder gar dauerhaft vermieden werden, wenn man nicht auch versuchte, die anderen
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6548 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
WienandElemente der Sicherheitspolitik, die mittlerweile zum Allgemeingut der NATO und unserer Bündnispartner geworden sind, mit in diese Politik einzubeziehen?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, nachdem ich noch einmal umrissen habe, worauf es auch sicherheitspolitisch ankommt, die Gelegenheit benutzen, einige Bemerkungen über den Dienst in der Bundeswehr zu machen. Unsere Wehrverfassung hat bewirkt — ich halte das für gut —, daß die Mitglieder dieses Bundestages mit den Schwierigkeiten der Streitkräfte, mit den Problemen der Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere, wesentlich besser vertraut sind, als es Parlamentarier je zuvor waren. Mißstände in der Bundeswehr werden heute ebenso schnell bekannt wie Unzulänglichkeiten in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes, und das finde ich gut. Aber weil wir sie schneller erkennen können und weil wir sie auch tatsächlich erkennen, muß besonders schnell reagiert werden, damit sie beseitigt werden können. Ich betrachte jeden kritischen Beitrag, gleichviel, von wem er kommt, unter diesem Gesichtspunkt. Wir alle, Regierung und Parlament, sollten dann bemüht sein, Abhilfe zu schaffen, sofern Abhilfe geschaffen werden kann.
Regierung und Parlament haben Fehlentwicklungen in den Streitkräften mit Vorrang zu korrigieren, nicht nur, weil in der Bundeswehr in ständigem Wechsel eine Viertelmillion Wehrpflichtiger einem besonderen Gewaltverhältnis unterworfen sind, das weder frei gewählt wurde noch von ihnen gekündigt werden kann, nicht nur, weil die Bundeswehr aufBeschluß des Gesetzgebers mit ihrem Anteil — über20 % — am Bundeshaushalt eines der kostspieligsten oder, ich möchte sagen, kostbarsten Instrumente unseres Staates darstellt oder darstellen sollte, sondern weil anders als je zuvor diese Streitkräfte mit wesentlichen Teilen ständig in Bereitschaft sind. Die Aufrechterhaltung des Friedens, das Fernhalten jeglicher Gewaltanwendung von außen, das ist der tägliche Ernstfall, in dem sich unsere Soldaten im Verein mit den NATO-Partnern seit nunmehr rund 15 Jahren erfolgreich behaupten und bewähren.Als Abgeordneter, der die Entstehung und Entwicklung der Bundeswehr von ihrer Konzipierung an verfolgt hat, muß ich mich immer wieder über eines wundern, nämlich über das mangelnde Selbstbewußtsein unserer Soldaten, über den unterentwickelten Stolz auf diese ihre eigentliche Leistung, die unterstrichen und sichtbar gemacht werden muß.
Der neue Auftrag, für den wir zunächst mit den Soldaten der alten Wehrmacht die Streitkräfte der Bundesrepublik von Grund auf neu aufgebaut haben, ist unseren Soldaten so scheint mir — auch durch Verschulden der Diskussion in der Öffentlichkeit zu wenig deutlich geworden. Den Werbespruch „Wir produzieren Sicherheit" halten viele für einen bloßen Reklametrick, weil ihnen die Funktion derBundeswehr im täglichen Dienst nie genügend deutlich gemacht wurde. Zu wenige erkennen, daß und wie die Bundeswehr einen wesentlichen Beitrag zum Abschreckungspotential der NATO liefert und daß so — nur so! — eine Voraussetzung zur Aufrechterhaltung des Friedens geschaffen wird.Zum sogenannten gesunden Selbstbewußtsein des Bundeswehrsoldaten könnten u. a. die folgenden Überlegungen gehören: Der Soldat leistet einen sinnvollen Dienst, den Schutz der Bundesrepublik, eines freien Gemeinwesens, vor fremdem Zugriff; seine Mitarbeit in den Abschreckungsverbänden der NATO macht die von außen ungestörte Entwicklung unserer Gesellschaft und damit ihres Staates möglich. Dies ist eine lohnende Aufgabe nicht zuletzt auch für den Soldaten selbst; denn er besitzt im wesentlichen die gleichen staatsbürgerlichen Entfaltungsrechte wie jeder andere Bürger auch. Das war ein Wagnis und — wie ich finde — ein lohnendes; denn die Erfolge zeigen sich.
Dieser Soldat nimmt, wie jeder sonstige Angehörige des öffentlichen Dienstes, im vollen Umfang an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung teil.Der Soldat leistet einen verantwortungsvollen Dienst. Seine militärische Dienstleistung wirkt sich unmittelbar politisch aus. Glaubhafte oder realistische Abschreckung — wie die Amerikaner nunmehr sagen -- ist eine Dienstleistung zur Erzeugung eines bestimmten Verhaltens auf der Gegenseite, zur Erzeugung einer Verzichthaltung gegenüber kriegerischem Waffengebrauch, zur Erzeugung der Erkenntnis, daß der kriegerische Einsatz militärischer Mittel keinerlei politische Erfolge verspricht.Für diesen Zweck ist tägliche, ja stündliche Arbeit in allen drei Teilstreitkräften der Bundeswehr erforderlich; denn Abschreckung ist ein dynamischer, sich ständig erneuernder Prozeß und nicht lediglich die Anhäufung von Personal und Material. In diesem Prozeß darf es leider für kein wichtiges Waffensystem, aber auch für kein Kontrollsystem eine Pause geben. Deswegen können wir es uns auch nicht leisten, daß Waffensysteme stillgelegt werden, bevor nicht Alternativen, die den gleichen Zweck erfüllen, da sind.Daraus folgert nach meiner Meinung: Der Soldat leistet heute einen unmittelbar gegenwartsbezogenen Dienst, einen täglich zu erneuernden Dienst zur Versorgung dieser Gesellschaft, zur Sicherheit von außen her gesehen, damit nicht andere hier hineinwirken können.Die sogenannte Friedensphase der Streitkräfte ist nicht mehr wie bei früheren Soldatengenerationen lediglich eine Vorbereitungszeit für einen vielleicht imaginären Sieg nach dem Tage X des Kriegsausbruches; nein, die Friedensphase, jener Zeitraum, in dem es gelingt, durch täglich erneuerte Abschreckungsleistungen den Kriegsausbruch zu verhindern, ist die eigentliche Bewährungsphase der Bundeswehr und damit jedes einzelnen Soldaten.
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WienandDas ist der vielzitierte, vielleicht nicht immer verstandene Primärzweck der Bundeswehr, für den wir Wehrpflichtige einberufen und für den wir ein Fünftel unseres Bundeshaushaltes bereitstellen.Soldat sein heute heißt aber deshalb auch einen meßbaren, nachprüfbaren Dienst leisten. Voller Selbstbewußtsein kann eine wachsende Zahl von Soldaten darauf hinweisen, daß die militärische Leistungsfähigkeit ihrer Einheiten und Verbände exakt nachgemessen und verglichen werden kann.Es ist wichtig für die Mentalität einer Leistungsgesellschaft, wie wir sie haben, daß auch ihre Soldaten ständig die Erfahrung machen, daß ihre Leistungen — nach nationalem und internationalem Standard verglichen und gewertet — von allen Seiten voll anerkannt werden. Die Ergebnisse verschiedener NATO-Vergleichswettkämpfe berechtigen die Soldaten der Bundeswehr, mit ihren Leistungen zufrieden zu sein. Um ein besseres Leistungsbewußtsein zu erzeugen, ließen sich gewiß noch andere Praktiken entwickeln. Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken. Denn nur so setzt sich bei allen Soldaten das Bewußtsein durch, daß zu einem echten Dienstlastungsberuf auch gehört, daß er in täglicher Bewährung sich diesem Beruf und diesen Forderungen zu stellen hat.Mit Beruhigung können wir feststellen, daß eine zunehmende Zahl funktional denkender Soldaten für die Wehklagen Älterer oder auch Jüngerer, die im Denken älter sind, kein Verständnis mehr aufbringt. Hier unterscheide ich mich ausdrücklich von den Denkkategorien, die Herr Zimmermann vorhin in seinem Vortrag bei diesen Kriterien angeführt hat. Ich erkenne die angebliche Paradoxie des Soldatenberufes in dem Zusammenhang, wie ich den Soldatenberuf sehe, nicht, aber es ist unsere Aufgabe, denen, die ihn noch so empfinden, behilflich zu sein, daß sie auch zu dieser Schau des Leistungsprinzips in dieser Gesellschaft kommen. Ich halte es für sehr bedenklich und in bezug auf das erforderliche Selbstwertgefühl für gefährlich, diesem Denken weiter Raum zu geben, verehrter Herr Kollege Zimmermann. Denn nichts widerspricht so sehr der Behauptung, der Soldat ergreife einen Beruf, den er nicht ausübe, wie der tägliche Dienst in den Einheiten und Verbänden der Bundeswehr.
Was hier täglich geleistet wird, ist vollständige soldatische Berufsausübung zum Zwecke der Friedenssicherung. Soldaten aller Dienstgrade können in ihrem Tagesdienst zum Zweck der Kriegsvermeidung ihre eigentliche Phase beruflicher Bestätigung sehen. Wir sollten sie in der Auffassung unseres Bundespräsidenten bestätigen, daß für uns alle der Frieden der Ernstfall ist, in dem wir uns alle, auch die Soldaten, zu bewähren haben.
— Leider muß man es hier sagen nach solchen unterschwelligen Reden, wie sie der Kollege Zimmermanngehalten hat. Das ist doch die Krux dieses Hauses, daß man immer wieder darauf zurückkommen muß, verehrter Herr Kollege Wörner.
Da nützt auch die zurückhaltende Vornehmheit nichts; sagen Sie das dem Kollegen Zimmermann und denen, die bei den Soldaten so argumentieren, daß sie verunsichert werden. Dann brauchen wir in der Tat diese Reden nicht zu halten.
— Hier werden keine Verhältnisse umgekehrt, verehrter Herr Kollege Zimmermann. Ich bin im Rahmen des bayerischen Landtagswahlkampfes leider drei- bis viermal auf Ihren Spuren in Garnisonen gekommen und habe erlebt, in welchem Maße Sie mit Reden, die Sie hier nicht halten, Offiziere und Unteroffiziere verunsichert haben.
Die Geschichte der Bundesrepublik berechtigt die Soldaten, mit ihren Leistungen als Soldat für den Frieden zufrieden zu sein. Bis heute haben sich unsere Streitkräfte — so sehen wir dies — in ihrer Funktion bewährt.Nun kann niemand bestreiten, daß der Bundeswehr Nachwuchs fehlt.
Je älter sie wird, desto schwieriger findet sie geeignete Bewerber und Bleiber in der nötigen Anzahl. Das allein ist Grund genug, das bestehende System der Heranbildung und Förderung qualifizierter Zeit- und Berufssoldaten zu reorganisieren. Denn nur eine Bundeswehr, welche die jeweils benötigte Zahl von Fach- und Führungskräften an sich zieht und genügend lange bei sich behält, kann die ihr gestellte Aufgabe wirklich erfüllen. Hier hat diese Regierung Versäumnisse früherer Regierungen
— an denen ich mich zum Teil als mitschuldig bekenne, weil es uns aus der Opposition nicht gelungen ist, Ihnen mehr Druck zu machen, damit diese Versäumnisse nicht diese Auswirkungen hatten — aufzuholen,
nämlich den deutschen Beitrag zum militärischen Potential der NATO durch ein neues Bildungskonzept zu stärken. Ich finde, dies ist die eigentliche Aufgabe der Kommission zur Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr. Unsere Streitkräfte sind nicht, verehrter Herr Kollege Dr. Barzel, zur Berufsförderung da, vielmehr müssen
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Wienandsie Fach- und Führungskräfte heranbilden und fördern, weil unsere Gesellschaft die Bundeswehr braucht, solange unsere äußere Sicherheit anders als durch die Präsenz von Streitkräften nicht aufrechtzuerhalten ist. Der Fehlbestand an Personal gefährdet unsere Sicherheit und erfordert zusätzliche Bildungsinvestitionen innerhalb der Bundeswehr. Diese dienen primär — ich gebrauche den Ausdruck noch einmal — der Produktion von Sicherheit, sekundär dem Nutzen des einzelnen Soldaten und tertiär der Entlastung anderer Bildungseinrichtungen unserer Gesellschaft, wenn auch nur im kleinen Maßstab. Aus dieser Perspektive gewinnen die Vorschläge der Kommission ihre Bedeutung, und aus dieser Perspektive sollte sachlich über die Vorschläge diskutiert werden.Folgt man den Vorschlägen, dann stellt die Bundeswehr erstens dem Bündnis künftig Fach- und Führungsoffiziere zur Verfügung, die sich durch besondere Qualifikation ausweisen. Offiziere werden als Organisations- und Betriebswirte, als Techniker für Maschinenbau oder Luft- und Raumfahrt, als Elektrotechniker oder Bauingenieure, als Pädagogen oder Biologen ein ordentliches Studium abgeschlossen haben, bevor man sie mit militärischen Aufgaben betraut. Durch wissenschaftliches Training der Köpfe statt durch Erhöhung der Kopfzahl kann und soll die Effizienz des deutschen NATO-Beitrages wesentlich gesteigert werden. Die in der Bundeswehr heute schon vorhandene Technik verlangt qualifizierte Ausbildung auf allen Ebenen; denn von den differenzierten Fähigkeiten und Kenntnissen ihres Personals sind moderne Streitkräfte mit ihren aufwendigen Waffen-, Nachrichten- und Versorgungssystemen ebenso abhängig wie industrielle Großunternehmen. Hier wie dort legt man aus Gründen der Effizienzmaximierung größten Wert auf wissenschaftliche Ausbildung und regelmäßige Fortbildung der Mitarbeiter.Zugleich bietet das neue Konzept dem einzelnen Soldaten erhebliche Anreize. Die Kommission bricht mit der Vorstellung, es gäbe den Soldatenberuf oder das Berufsbild des Soldaten schlechthin. Wir müssen auch damit rechnen, weil wir überwiegend Zeitsoldaten haben wollen, die später wieder in dieser Leistungsgesellschaft, ohne daß sie schlechter anfangen müssen, den Platz finden, zu dem wir ihnen verhelfen. Sie bietet unter der Sammelbezeichnung „Soldat" eine Palette verschiedenster Berufe an, deren Träger nur noch durch den gemeinsamen Auftrag miteinander verbunden sind, im übrigen jedoch durch Ausbildungsgang und Tätigkeit ihren zivilen Kollegen näherstehen als ihren uniformierten Kameraden in anderen Verwendungsreihen. Auch der Offizier hat künftig einen Beruf, zumindest eine Ausbildung mit ziviler Vergleichbarkeit und Entsprechung. Seine Berufswahl liefert ihn nicht mehr lebenslänglich einem Monopolarbeitgeber aus.
— Ja, jetzt will ich einmal in den Kategorien diskutieren, in denen draußen diskutiert wird, unddann sagen Sie „furchtbar", weil Sie hier etwasEsoterisches in den Raum zu stellen versuchen, was in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben ist.
Auch der Offizier hat künftig einen Beruf — ichwiederhole es —, zumindest eine Ausbildung mit ziviler Vergleichbarkeit und Entsprechung. Die vorgeschlagenen Studiengänge an staatlich anerkannten Bundeswehrhochschulen mit Diplomabschlußprüfungen, die denen herkömmlicher Hochschulen in jeder Beziehung entsprechen und wie diese zum Aufbaustudium berechtigen, sind ein attraktives Angebot für die zur Bundeswehr einrückenden Abiturientenjahrgänge. Die Chance, eine vielseitig nutzbare Hochschulausbildung zu absolvieren, eine militärische Ausbildung zu erhalten und anschließend fünf Jahre als Einheitsführer erste Berufserfahrungen zu sammeln, macht nach unserer Meinung die Bundeswehr auch für jene interessanter, denen die bisherige Offiziersausbildung zu schmalspurig erschien.Drittens. Die Entlastung bestehender Bildungseinrichtungen unserer Gesellschaft kann dabei eine erwünschte Nebenwirkung sein. Die sicherheits- und personalpolitisch erforderliche Neuordnung des bundeswehreigenen Ausbildungs- und Bildungswesens reduziert, wenn auch in bescheidenem Maße, den wachsenden Zustrom zu den Universitäten. An einigen Orten wird eine weitere Entlastung durch den Einbau der Bundeswehrhochschulen in die zu schaffenden Gesamthochschulen erfolgen. Bundeswehreigenes Forschungs- und Lehrpersonal mit seinen zum Teil hochmodernen Einrichtungen wird die Kapazität mancher integrierter Gesamthochschulen beträchtlich erweitern. Die erforderliche Vergrößerung des Zeitoffizieranteils schließlich wird in fernerer Zukunft regelmäßig 32jährige Hochschulabsolventen für Zivilberufe zur Verfügung stellen, die von und in der Bundeswehr ausgebildet wurden und dort qualifizierte Berufserfahrungen gesammelt haben und damit werbender in der Gesellschaft tätig sind, als alle Reden von Abgeordneten hier es sein können.Insgesamt, so meine ich, weist das zur Diskussion stehende Rahmenkonzept zur Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr den richtigen Weg. Mir erscheint es als eine gangbare Alternative, über die diskutiert und um die gerungen werden sollte.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler sollte nicht zu den polemischen Teilen dieser Debatte heute beitragen. Ich möchte sagen, unsere äußere Sicherheit ist für Volk und Land eine unverzichtbare Voraussetzung für die außenpolitische Handlungsfreiheit unseres Staates. Diese Sicherheit finden wir in der Zugehörigkeit zum Nordatlantischen Bündnis. Dies ist nach dem Willen seiner Mitglieder und in seiner militärischen Gestaltung ausschließlich auf Verteidigung eingerichtet.
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Bundeskanzler BrandtNun wissen wir, daß es im nuklearen Zeitalter keine absolute, sondern nur eine relative militärische Sicherheit geben kann. Dies gilt für alle Länder, auch für die Weltmächte. Aber Verteidigungsanstrengungen sind deshalb nicht überflüssig, sondern sie sind, auch und gerade was uns angeht, unerläßlich.Die Erhaltung des Friedens beruht, worauf der Bundesverteidigungsminister schon sehr frühzeitig hingewiesen hat, bis auf weiteres auf einem Gleichgewicht der Abschreckungsmittel. Zur Aufrechterhaltung dieses Gleichgewichts trägt die Bundesrepublik Deutschland mit der Bundeswehr in beachtlichem Umfang bei. Der oft mühevolle Dienst, den die Soldaten in der Bundeswehr leisten, ist wichtig und wertvoll. Er wird von der Bundesregierung voll gewürdigt, und dies gilt, wie ich weiß, auch für die Fraktionen dieses Hauses. Die Bundeswehr wie auch die anderen Instrumente, die unserer Sicherheit dienen, stehen in der Obhut des Staates. Er wird auch in Zukunft die erforderlichen Mittel bereitzustellen haben, um ihnen die Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen.Wir müssen mit Sorge die innere Abwendung eines Teils der heranwachsenden Generation von den Pflichten sehen, die ihnen von Staat und Gesellschaft abverlangt werden. Ich glaube zwar, meine Damen und Herren, daß dies eine vorübergehende Erscheinung ist; aber das Ansteigen der Zahl der Militärdienstverweigerer kann die Regierung nicht unbeteiligt lassen. Wir müssen deshalb die Anstrengungen um mehr Wehrgerechtigkeit verstärken und denjenigen entgegentreten, die das unbestrittene Recht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissengründen za ganz anderen Zwecken ausnutzen.
Ich will übrigens ausdrücklich unterstreichen: Wir werden, so wie die Dinge liegen, und dort, wo die Bundesrepublik Deutschland liegt, für alle jetzt übersehbare Zeit auf die Wehrpflicht angewiesen sein.Friedens- und Sicherheitspolitik — darauf istmehrfach hingewiesen worden — bilden eine Einheit. Sie als Grundtatsache unserer politischen Situation gerade den jungen Menschen einsichtig zu machen ist eine der wichtigen Aufgaben der Schulen. Der Vertedigungsminister hat heute vormittag schon erwähnt — ich darf mich darauf beziehen —, daß ich kürzlich in einem Brief an den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz die Bitte ausgesprochen habe, diesem Thema im Sozial- und im Gemeinschaftskundeunterricht die notwendige Beachiung zu schenken. Aus diesem Grunde möchte ich aber auch gerade die Universitäten und die Forschungsstätten auffordern, die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zu pflegen oder dort, wo dies schon der Fall ist, noch besser zu pflegen.
Die Beziehungen zwischen der Gesellschaft und den Streitkräften sind heute ganz anders als in früheren Abschnitten unser jüngeren Geschichte, z. B. auch anders als in der Weimarer Zeit. Die Bundeswehr, wie sie heute ist, will sich nicht abkapseln, sondern sie sucht den Kontakt, sie will keine Isolierung. Die Gesellschaft darf sich diesem Wunsch nicht verschließen.Mit besonderer Genugtuung möchte ich feststellen, daß das Verhältnis der Streitkräfte zur Arbeiterschaft und zu den Gewerkschaften selten von so viel Verständnis getragen wurde wie jetzt. Ich sage dies auch im Hinblick auf gegenteilige Beispiele; es gibt in keinem Bereich nur positive und günstige Feststellungen zu treffen. Ich sage dies als Gesamturteil des Verhältnisses zwischen Streitkräften und Arbeiterschaft oder Arbeitnehmerschaft und ihren Gewerkschaften. Das Verhältnis war in keinem Abschnitt unserer Geschichte so sehr auf Verständnis aufgebaut, wie wir es heute verzeichnen können. Darauf kann man weiter aufbauen.
Es liegt auf der Hand, daß die Bundeswehr im demokratischen Staat von allen Entwicklungstendenzen unserer Gesellschaft berührt wird; denn die Soldaten, ob Freiwillige oder Wehrpflichtige, sind ein unlösbarei Teil dieser Gesellschaft. Ich begrüße es deshalb, daß vom Verteidigungsminister Reformen eingeleitet wurden, deren Ziel es ist, dieser Tatsache zunehmend Rechnung zu tragen. Naturgemäß ergibt sich daraus eine lebhafte Diskussion zwischen Anhängern neuer Konzeptionen und solchen, die mehr traditionsorientiert sind. Dieser Dialog wird, so hoffe ich, dazu beitragen, die Bundeswehr noch leistungsfähiger, attraktiver und gesellschaftsnäher zu machen.Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Diese Regierung und die sie tragenden Parteien stehen der Bundeswehr weder fremd noch gleichgültig gegenüber. Wir sind lebhaft daran interessiert, daß die Streitkräfte ihren Auftrag in optimaler Weise erfüllen können. Dasselbe gilt für die anderen Institutionen, die der Sicherheit und der Landesverteidigung dienen.Lassen Sie mich deshalb aus aktuellem Anlaß ein paar Worte über den Bundesnachrichtendienst sagen. Der BND ist dazu da, der Regierung wichtige Entscheidungshilfen für ihr Handeln zu bieten. Es liegt in der Natur seiner Aufgabe und im Interesse des Staates, daß sich seine Arbeit nicht in aller Öffentlichkeit abspielen kann. Darüber ist sich dieses Haus hoffentlich einig. Die Führung des Dienstes hat das Vertrauen der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat die Pflicht, sich vor den Dienst zu stellen und ihn abzuschirmen, damit er seine Arbeit sachlich leisten kann, ohne in innenpolitische Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden.
Ich glaube, daß auch dies unserer gemeinsamen Verantwortung für den Staat entspricht.Ich darf zusammenfassend sagen: Unser demokratischer Staat kann den berechtigten Interessen der Bürger nur dann gerecht werden, wenn die Bürger das Bewußtsein haben, daß sie den Einrichtungen des demokratischen Staates Leistungen schulden.Bundeskanzler BrandtDer Dienst der Bundeswehr und der Dienst in ihr sind unentbehrlich für die Sicherheit und die außenpolitische Handlungsfreiheit dieses Staates. Unsere Verankerung im atlantischen Bündnis steht nicht im Widerspruch zu unserer auf den Abbau von Spannungen gerichteten Politik, sondern sie ist eine entscheidende Voraussetzung dieser Politik.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wörner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal darf ich auf Ihre Rede, Herr Bundeskanzler, feststellen, daß wir Ihre Auffassung teilen, daß die Erörterung von Vorgängen des Bundesnachrichtendienstes in der Öffentlichkeit diesem Dienst nur schaden kann. Wir sind wie Sie der Auffassung, daß eine Diskussion über die Probleme dieses Dienstes in dem dafür geschaffenen Gremium erfolgen muß; das ist das Gremium der Vertrauensmänner dieses Parlaments. Wir hoffen, daß die Disziplin, die die CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage bis jetzt gewahrt hat, auch für die Äußerungen aus dem Lager der Regierungskoalition vorbildlich sein wird. Wir haben ausgedrückt — und ich wiederhole es hier —: Die CDU/CSU-Fraktion ist in großer Sorge über die Unruhe und Unsicherheit, in die der BND in der Amtszeit der gegenwärtigen Bundesregierung geraten ist, weil dadurch die Funktionsfähigkeit dieses für die Sicherheit unseres Landes unentbehrlichen Instruments ernstlich gefährdet wird.Auch sonst dürfen wir — und ich benutze den Anlaß, das hier ganz klarzustellen — bei allem, was uns in diesem Hause auch in den Fragen, die ich nachher anschneiden werde, trennen mag, feststellen, daß es im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik — vor allen Dingen auch nach dem, was Sie gesagt haben — in den Grundüberzeugungen, daß diese Bundeswehr zur Erhaltung des Friedens notwendig ist, daß eine vernünftige Sicherheitspolitik die Voraussetzungen jeder Entspannungspolitik ist, keinerlei Meinungsverschiedenheiten gibt.Diese Bundeswehr ist unter der Verantwortung der CDU/CSU nicht etwa in der Absicht geschaffen worden, die anderen das Fürchten zu lehren, sondern um sich gegenüber einer Bedrohung zu schützen. Diese Bedrohung besteht heute noch fort, und solange sie fortbesteht, brauchen wir junge Menschen in diesem Staat, die sich hinstellen und ihre Pflicht tun und diesen Staat und seine Ordnung verteidigen.
Sicher sind auch — das sollten wir nicht zerreden — ein Großteil der Sorgen gemeinsame Sorgen in diesem Hause, und sicher ist auch eine Menge der Sorgen, die uns bewegen, wenn wir auf die Bundeswehr blicken, nicht erst von heute. Ich glaube, das gilt, wenn wir die Lage des Truppenführers ansehen, genauso, wie wenn wir auf die Gefahren sehen, die der Bundeswehr wie jeder anderen gesellschaftlichen Institution drohen, weil sie in dieAuseinandersetzung unserer Tage hineingeworfen ist, weil man sie aus dieser in unserer Gesellschaft im Augenblick in Gang befindlichen Auseinandersetzung nicht ausklammern kann. Es ist richtig, wenn der Herr Bundesverteidigungsminister sagt: Wir werden es nicht fertigbringen, und wir werden es auch gar nicht wollen, den Gärungsprozeß in unserer Gesellschaft von der Bundeswehr völlig fernzuhalten. Auch wir von der CDU/CSU träumen nicht von einer abgekapselten Bundeswehr, von einer Bundeswehr hinter Glaswänden. Wir wissen genauso wie Sie, daß eine solche Armee nicht mehr funktionsfähig wäre. Keiner von uns hat den Traum von einer Rückkehr in die völlig heile Welt. Wenn es einen solchen Traum gegeben haben sollte, so ist dieser Traum, glaube ich, jedem von uns zerbrochen.Die Soldaten draußen und die Offiziere wissen auch, daß sie sich der Auseinandersetzung stellen müssen. Sie sind dazu auch bereit, manchmal allerdings nicht hinreichend vorbereitet. Es wird sicher eine der ganz großen Aufgaben sein, ihnen das Instrumentarium und die Mittel dafür an die Hand zu geben. Jedoch lassen Sie mich das ganz offen und nicht im Widerspruch zu dem sagen, was der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat, auch nicht im Widerspruch zu dem, was der Herr Bundesverteidigungsminister gesagt hat, aber in der Absicht, einiges hier noch einmal zurechtzurücken —: Wenn wir von den Offizieren und von den Soldaten erwarten — und wir müssen das von ihnen erwarten —, daß sie sich dieser Auseinandersetzung stellen, dann müssen wir ihnen den Rücken stärken und dürfen sie dabei nicht im Stich lassen. Sie müssen wissen, daß sie dabei nicht alleingelassen werden gerade im Kampf gegen die Kräfte der Gesellschaft, die diese Bundeswehr verunsichern, und zwar bewußt verunsichern.
Wenn Sie sagen: wir alle müssen uns mit dieser Bundeswehr identifizieren, so ist das richtig. Aber es genügt eben nicht, wenn man das in diesem Hause, und es genügt nicht, wenn man es der Bundeswehr sagt. Man muß es denen sagen, die das nicht wahrhaben wollen, man muß es denen sagen, die etwas ganz anderes mit der Bundeswehr im Sinn haben.
Das ist, wenn Sie so wollen, ein Appell gerade an den Bundesverteidigungsminister, dessen Stellung innerhalb seiner Partei wir ja kennen, an den Bundeskanzler und an Herrn Wienand, in Zukunft die Rede, die er hier gehalten hat, dort zu halten, wo sie ihm so nicht abgenommen würde.
Herr Kollege Wienand, es ist nicht so, daß der Herr Zimmermann die Armee verunsichert. Ich persönlich bin auch schon auf den Spuren des Herrn Zimmermann gewandelt, und ich kann nur sagen, daß die Resonanz, die er gefunden hat — nicht wegen der Verunsicherung —, einfach darauf zurückgeht, daß er — und das ist seine Pflicht als Oppositionssprecher — an den Dingen nicht vorüberredet, son-
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Dr. Wörnerdern auch die unangenehmen Seiten, in denen sich der Truppenführer heute befindet — dafür ist die Hauptmann-Denkschrift eben ein Beweis -- aufzeigt und den Finger auf die Wunde legt. Er wäre ein schlechter Sprecher der Opposition, wenn er das nicht mit aller Deutlichkeit hier getan hätte.
Deswegen, Herr Bundesverteidigungsminister, nicht weil ich gegen die theoretische Überlegung etwas hätte, daß sich auch einmal jemand und auch einmal der Soldat in Frage stellen lassen müßte, habe ich gegen die Institution oder besser gesagt: gegen die Person, die Sie in diese Funktion berufen haben, mehr als einen Vorbehalt. Sie müssen einfach sehen, daß Sie sich selbst dadurch einen schlechten Dienst erwiesen haben, daß Sie Leute in die Armee hineingeschickt haben, die nach ihrem eigenen Bekenntnis mit ihr nie sehr viel im Sinn gehabt haben, denen der Soldat sehr fremd war und die jetzt die Verunsicherung, die aus der Gesellschaft kommt, nicht abbauen, sondern verstärken. Das ist doch das Problem.
„Soldat 70" — gut. Wir hätten uns nur gewünscht — das wäre ein solches Beispiel gewesen , daß die Führung des Bundesverteidigungsministeriums den Offizieren draußen, die dort stehen und argumentieren müssen — das hat, wie ich glaube, der Wehrbeauftragte zu Recht gerügt —, etwas früher Material und überzeugende Argumente an die Hand gegeben hätte. Das verstehe ich darunter, der Bundeswehr in dieser ernsten Lage, in die sie — nicht durch unser aller Schuld — gekommen ist, zu helfen und ihr beizustehen.Ich darf noch einmal die Sorgen zusammenfassen, die uns von der Opposition bewegen. Die erste Sorge, die ich nicht vertiefen möchte, weil wir darauf noch bei der Diskussion über unsere Große Anfrage eingehen werden, ist die einer langfristig drohenden Schwächung der Kampfkraft, wenn es uns nicht gelingt, den Engpaß im finanziellen Bereich zu überwinden.Die zweite Sorge ist folgende. Wir sind mit dem Bundeskanzler in Sorge über die Entwicklung der Einstellung zur Wehrbereitschaft in unserem Volke. Es ist eben leider Tatsache, daß etwa gerade in Kreisen von Abiturienten immer mehr Zweifel daran erweckt werden, ob es sich denn noch lohne, für diesen Staat einzustehen, ob die Bundeswehr denn überhaupt noch eine Aufgabe habe. Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist es einfach nicht damit getan, daß der Bundeskanzler einmal einen Brief an die Kultusminister schreibt. Dieser Brief war nützlich und notwendig. Aber damit ist es nicht getan, sondern was wir brauchen, ist ein fortlaufender Einsatz — und ich betone — aller Bundestagsfraktionen, aller Bundestagskollegen und insonderheit der Regierung draußen an unseren Schulen.Das hängt auf das engste damit zusammen, ob es uns gelingt, das wirkliche Ausmaß der Bedrohung sichtbar zu machen. Ich bin nicht derjenige, der glaubt, man müsse jeden Tag einen schwarzenMann an die Tafel gemalt haben. Ich sehe wohl ein, daß man nicht tagtäglich nur davon reden kann.Umgekehrt aber muß ich Ihnen sagen: es genügt natürlich auch nicht, wenn man im Weißbuch einmal den Kräftevergleich anstellt. Sie müssen doch einfach sehen, daß beispielsweise die Äußerungen aus dem Regierungslager, der Friede sei sicherer geworden, die Entspannung stehe vor der Tür, in einem ganz anderen Verhältnis zu dem stehen, wenn gelegentlich noch einmal von der Bedrohung geredet wird. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn das Bewußtsein der Bedrohung merklich nachläßt.
Es ist selbstverständlich, daß der Fachminister immer wieder davon redet. Ich habe ihn auch schon anderswo auf Tagungen gehört. Das ist das mindeste, was wir von ihm erwarten. Entscheidend sind aber die vielen Verlautbarungen der Regierung insgesamt. Wenn Sie auch nur einen bescheidenen Bruchteil der propagandistischen Anstrengungen, die Sie auf die Darstellung Ihrer Ostpolitik verwandt haben — das ging bis zu Heftchen im Comicstrips-Stil hin: solche Heftchen sind selbstverständlich keine nachahmenswerten Beispiele —, darauf verwandt hätten, kritischen jungen Menschen die Augen für das zu öffnen, was drüben wirklich noch an Streitkräften steht und was für Überlegungen drüben angestellt werden, unabhängig von den jeweiligen Ansichten und Absichten, dann hätten Sie der Bundeswehr und der Verteidigungsbereitschaft in unserem Volk einen sehr viel besseren Dienst getan.
Wir haben die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zur Frage der Wehrdienstverweigerer mit großer Befriedigung zur Kenntnis genommen. Wir hätten uns eine solche oder eine noch deutlichere Stellungnahme schon früher — und in anderen Kreisen! — gewünscht. Ich hoffe, daß es nicht das letzte Mal war, daß wir in diesem Hohen Hause und anderswo von der Regierung eine solche Erklärung gehört haben. Auch die CDU/CSU respektiert in vollem Umfange das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Wehrdienstverweigerung. Aber es muß klar sein, daß in diesem Staat derjenige, der seine Wehrpflicht erfüllt, nicht etwa moralisch schlechter dasteht als derjenige, der den Wehrdienst verweigert.
Das ist das mindeste, was in diesem Staat sichergestellt sein muß.Weiterhin macht uns die Abwertung des Militärischen und Soldatischen Sorge. Diese Bemerkung ist jetzt nicht speziell an Sie adressiert. Ich glaube, diese Abwertung war im Grunde genommen der Anstoß für die Studie der Hauptleute, die manches überspitzt ausgedrückt hat. Damit wir uns recht verstehen: Es geht nicht darum, einen Blick zurück im Zorn auf eine vergangene Zeit zu werfen. Daß6554 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung, Bonn, Freitag, den 26. März 1971Dr. Wörnerdas Bild des Soldaten und des Offiziers in einer Umwälzung begriffen ist, kann niemand bestreiten. Wir wollen nicht mißverstanden werden. Der Offizier allgemeiner Verwendungsbreite prägt leider oder Gott sei Dank nicht mehr das Bild der Truppe und des Soldaten von morgen. Wir alle wissen, daß die Rolle des Spezialisten in der Armee immer bedeutender wird.Dennoch, es darf gerade bei denjenigen, die den Soldatenberuf für die Dauer ihres Lebens gewählt haben, und denjenigen, die draußen bei der Truppe in der Ausbildung Dienst tun, noch nicht einmal der Schimmer des Verdachts auftauchen, daß etwa das Militärische und das Soldatische, was man von ihnen verlangt und erwartet, geringer geachtet werde als das andere. Es kommt hier auf Gleichrangigkeit an. Es geht uns auch gar nicht darum, der Bundeswehr Sonderrechte in dieser Gesellschaft zu verschaffen. Wir haben mit Befriedigung gehört, daß die Rolle der Bundeswehr in dieser Gesellschaft — das haben Umfragen ergeben — inzwischen weithin als selbstverständlich anerkannt wird.Es geht um folgendes — und dieses Problem muß gelöst werden —: Der Soldatenberuf, unabhängig von seinen verschiedenen Funktionen, die er aufweist, von den verschiedenen in sich gegliederten Berufsbildern, kann mindestens Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit mit jedem anderen zivilen Beruf beanspruchen. Das muß klar sein.
— Ich kann Ihnen mehr als eine Stimme nennen. Herr Pawelczyk, Sie brauchen sich nicht zu ärgern. Sie haben vielleicht gemerkt, daß es mir nicht auf Polemik und auf eine Zuspitzung des Streits ankommt, sondern darauf, die Sorgen der Opposition im Blick auf die Bundeswehr hier darzustellen.
Selbstverständlich muß das auch in der künftigen Bildungskonzeption — das ist ja der Hauptansatzpunkt unserer Kritik an diesem Entwurf; wir halten diese künftige Konzeption für genauso wichtig wie Sie — zum Durchbruch kommen, und zwar nicht bloß verbal, sondern auch faktisch.Zur Hauptmann-Studie nur noch eine ganz kurze Bemerkung! Ich unterstreiche, was Sie gesagt haben. Ich sage das auch den Hauptleuten: wer Disziplin fordert, muß Disziplin zeigen. Auch wir von der CDU/CSU sehen gewisse Grenzen der Meinungsäußerung von unten nach oben. Nur haben wir das im Unterschied von Ihnen etwas früher gesehen und bei anderen Gelegenheiten schon betont.
Umgekehrt muß gelten: wer Loyalität fordert, muß Verständnis zeigen und muß in vollem Umfang die geäußerten Sorgen ernst nehmen und seiner Fürsorgepflicht genügen.Dazu gehört — damit lassen Sie mich schließen —, daß wir unabhängig von dem Meinungsstreit den Auftrag des Soldaten in dieser Gesellschaft verdeutlichen; da könnte ich vieles von dem, was der Herr Wienand gesagt hat, aufgreifen. Wir reden viel von Attraktivität. Fürsorgemaßnahmen sind gut. Bessere Ausbildung ist gut und ist sicher mit dazu geeignet. Bloß, letztlich entscheidet sich daran, glaube ich, nicht die Frage, ob der Soldatenberuf als solcher — und wir brauchen den Berufssoldaten, und wir brauchen die Soldaten mit längerer Dienstzeit — attraktiv ist. Diese Frage entscheidet sich doch daran, ob in diesem Volk und in seinen führenden Schichten, bei den Politikern und bei den Journalisten sich die Überzeugung durchsetzt, daß diesem Beruf, solange es ihn gibt — und das ist auf absehbare Zeit —, der gleiche Respekt gebührt wie jedem anderen Beruf auch. Es gibt keinen Beruf, der auf die Dauer ohne dieses Selbstbewußtsein und ohne diese Achtung in der Gesellschaft auskommt. Darum sollten wir alle zusammen ringen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schwerpunkt dieser Debatte handelt von der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Außenpolitik eines Staates ist zugleich Sicherheitspolitik. In seiner Schrift über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates sagt Wilhelm von Humboldt:,, Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Frucht derselben zu genießen. Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit." Das Wort Humboldts gilt; es ist aktuell geblieben und wird aktuell bleiben.Aber es bleibt auch immer die Frage, und sie ist immer neu zu stellen und zu beantworten, auf welche Weise Sicherheit zu erhalten, Sicherheit zu gewinnen sei. Die Politik dieser Bundesregierung hat sich aus gutem Grunde ganz besonders darauf konzentriert, die Sicherheit dadurch zu verbessern, daß sie versucht, Schritt für Schritt ganz beharrlich die Ursachen der Unsicherheit zu beseitigen und dort, wo das jetzt nicht gelingen kann oder nicht voll gelingen kann, wenigstens — das sage ich gerade auch den Sprechern der Opposition — die Erkenntnis für die Ursachen der Unsicherheit zu schärfen.In dem oft und auch hier schon zitierten HarmelBericht, der von den Außenministern der NATO im Dezember 1967 angenommen worden ist, wird betont, daß militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung keinen Widerspruch darstellen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Diese Feststellung ist die Basis unserer Sicherheitspolitik und unserer Außenpolitik zugleich. Das westliche Verteidigungsbündnis schafft die Voraussetzungen und gibt die Möglichkeiten für eine Politik der Entspannung.Die Qualität des westlichen Verteidigungsbündnisses ist von entscheidendem Wert für eine Politik, die sich um den Abbau der Konfrontation gegenüber unseren östlichen Nachbarn bemüht. Da wiederum die Bundeswehr ein wesentlicher Faktor in diesem westlichen Verteidigungsbündnis ist, gibt es nicht etwa einen Gegensatz zwischen Verteidigungs-
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Parlamentarischer Staatssekretär Moerschpolitik und Ostpolitik. Vielmehr macht unsere Verteidigungspolitik die Ostpolitik überhaupt erst möglich. Ohne einen militärischen Rückhalt wären angesichts der Bedingungen dieser Welt eben Entspannungspolitik und Politik der Kooperation wenig erfolgversprechend.Man muß immer wieder daran erinnern, daß sich die jetzige Bundesregierung bemüht, unter dem Aspekt der Sicherheit und damit der Freiheit im Sinne des bereits zitierten Harmel-Berichts, der die Aufgabenstellung der NATO umreißt, die Außenpolitik und die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln. Die Hauptkomponenten hierzu sind einmal das NATO-Bündnis und die wirtschaftlich-politische Zusammenarbeit in der europäischen Gemeinschaft. Dazu ist die Ost- und Entspannungspolitik hinzuzufügen. Das Risiko einer Friedensverletzung wird zweifellos durch das westliche Verteidigungsbündnis und durch die wirtschaftlich-politische Zusammenarbeit in der europäischen Gemeinschaft erheblich vermindert. Aber die dauerhafte Sicherung des Friedens macht es außerdem notwendig, die Konfrontation in Europa, in Deutschland, in Berlin abzubauen.Unsere NATO-Partner stimmen in diesen Fragen mit der Bundesregierung voll überein. Das ist wiederholt gesagt worden. Ich möchte es aber noch einmal verdeutlichen und darf deshalb darauf hinweisen, daß das Kommuniqué der Ministerkonferenz der NATO vom 4. Dezember 1970 die Verträge begrüßt, die die Bundesregierung mit der Sowjetunion und mit der Volksrepublik Polen abgeschlossen hat. Sie werden als Beiträge zur Minderung der Spannungen in Europa und als wichtige Elemente des Modus vivendi bezeichnet, den die Bundesrepublik Deutschland mit ihren östlichen Nachbarn herstellen will.Die Bemühungen um Abrüstungs- und Rüstungskontrolle als wichtiges Element der Sicherheitspolitik sind von der Bundesregierung immer wieder genannt worden. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten haben die Vorschläge der NATO vom Juni 1968 und vom Mai 1970 für eine gegenseitige ausgewogene Verminderung der Truppen in der mittleren europäischen Region nicht direkt beantwortet. Jedoch können als indirekte Reaktionen auf diese gemeinsame Entspannungsinitiative des NATO-Bündnisses zwei formelle Verlautbarungen der Mitglieder des Warschauer Pakts verstanden werden.So wird im Budapester Memorandum vom 22. Juni 1970 die Auffassung begründet — ich zitiere —,daß die Erörterung der Frage der Verminderung der ausländischen Streitkräfte auf dem Territorium der europäischen Staaten den Interessen der Entspannung und Sicherheit in Europa dienen würde.Außerdem schlägt der Warschauer Pakt in diesem Zusammenhang vor, das Problem der Reduzierung der ausländischen Streitkräfte in einem Organ zu diskutieren, dessen Bildung auf einer gesamteuropäischen Konferenz vorgeschlagen wird, oder es sollte in einem anderen für die interessierten Staaten annehmbaren Verfahren zur Sprache kommen.Zum zweiten wird in der Erklärung des Warschauer Pakts vom 2. Dezember 1970 nach längerer Zeit wiederum eine Passage der Bukarester Erklärung vom 6. Juli 1966 aufgegriffen, und zwar jene Passage, in welcher der Themenkomplex „Abbau der Militärblöcke" und „Abrüstungs- und Rüstungskontrolle" behandelt wird. Die NATO ist hierin als „aggressive Militärgruppierung" abqualifiziert und zugleich in Gegensatz zu den gegenwärtigen gesunden Tendenzen im internationalen Leben gebracht worden. Es wird in dieser Erklärung die Entschlossenheit des Warschauer Pakts festgestellt, seine Macht und Verteidigungsbereitschaft zu stärken, und es werden unter anderem die Beseitigung aller Militärstützpunkte, der Abzug aller ausländischen Truppen von fremden Territorien bis hinter ihre nationalen Grenzen und die Bildung atomwaffenfreier Zonen gefordert.Die Bundesregierung faßt diese beiden Verlautbarungen nicht als positive Erwiderung auf die westlichen Vorschläge einer gegenseitigen und ausgewogenen Truppenreduzierung auf, weil sie sich nur auf ausländische Streitkräfte beziehen und dabei das Problem der Ungleichheit im geostrategischen Sinne, also der geostrategischen Asymmetrie, außer acht lassen. Wohl aber wertet die Bundesregierung die hier zitierten Reaktionen des Warschauer Paktes als einen Beweis für die Erkenntnis der Paktmitglieder, daß sie sich einer angemessenen Diskussion über die Probleme der militärischen Konfrontation im Zusammenhang mit der europäischen Sicherheit auf die Dauer nicht entziehen können. Eben auf diese Diskussion legt der Westen mit Recht großen Wert.Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat von dieser Stelle aus schon auf die bündnisinternen Initiativen der Bundesregierung bei den Ministerratstagungen der NATO in Rom im Mai 1970 und in Brüssel im Dezember 1970 hingewiesen. Niemand, meine Damen und Herren, kann übersehen, mit welchem Ernst die Bundesregierung den Bündnisauftrag, der in der Verbindung von militärischer Sicherheits- und Entspannungspolitik besteht, versteht und praktiziert. Ich will Ihnen hier nicht den ganzen Katalog unserer vielfältigen Bemühungen umAbrüstung im einzelnen aufzählen. Wenn es bisherauch nicht zu wirklichen Abrüstungsvereinbarungen gekommen ist, so bleibt doch erfreulich, daß eine Reihe von weltweiten Nichtrüstungsabkommen abgeschlossen werden konnten. Wir fördern diese Bemühungen, weil wir hierin einen Beitrag zur Festigung der Sicherheit und Entspannung sehen. Wir denken dabei u. a. an das Verbot von Kernwaffenversuchen, den Nichtverbreitungsvertrag und an den in Kürze von uns zu unterzeichnenden Meeresbodenvertrag.Die seit Ende 1969 zwischen den Supermächten im Gang befindlichen Gespräche über eine Begrenzung der strategischen Waffen sind in diesem Zusammenhang von ganz besonderer Bedeutung. Wir hoffen, daß diese Bemühungen alsbald erfolgreich abgeschlossen werden können.Überall dort — das darf ich noch einmal ausdrücklich betonen —, wo Abrüstungs- und Rüstungskon-
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Parlamentarischer Staatssekretär Moersch trollmaßnahmen zu einem Mehr an Sicherheit und Entspannung führen, also der Festigung des Friedens dienen, ist die Bundesregierung zu vorbehaltloser Unterstützung und Mitarbeit bereit.Man wird jedoch über Sicherheits- und Entspannungspolitik in Europa nicht reden können, ohne auf die in der Diskussion befindliche Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die KSE, hinzuweisen. Das Brüsseler Kommuniqué des NATO-Ministerrates vom Dezember 1970 hat die positive Haltung der Allianz zum Projekt einer KSE bestätigt. Die Bundesregierung hat die feste Absicht, eine konstruktive Rolle im Rahmen einer solchen Konferenz zu spielen. Die KSE kann nach unserer Auffassung nicht nur der Förderung der Zusammenarbeit dienen, sondern sie muß die wirklichen Sicherheitsfragen in die Diskussion einbeziehen.Allgemein ist anzumerken, daß in jedem multilateralen Gremium und auf jeder Art von Konferenz, die sich ersnthaft und umfassend mit dem Problem der europäischen Sicherheit befassen soll, auch die Frage des Abbaus der militärischen Konfrontation zur Sprache kommen muß. Die Frage der Truppenverminderung kann unabhängig von der KSE behandelt werden. Kommt es indessen zur KSE, so müssen dort die Probleme der militärischen Sicherheit in angemessener Form erörtert werden.Doch dieser Hinweis auf die Sicherheitskonferenz wäre unvollständig ohne den Hinweis auf das Problem Berlin. Die Bundesregierung hat sich dazu wiederholt klar geäußert und in Übereinstimmung mit ihren Verbündeten festgestellt, daß eine befriedigende Berlin-Regelung notwendigerweise einer KSE vorangehen muß, weil ohne Berlin-Regelung die KSE keine Aussicht auf Erfolg bieten kann. Multilaterale Kontakte zur Vorbereitung einer KSE werden mit dem Vorliegen einer befriedigenden Berlin-Regelung beginnen können, zumal zu erwarten ist, daß eine solche Berlin-Regelung wesentliche Fortschritte in den innerdeutschen Beziehungen enthalten wird.Der belgische Außenminister Pierre Harmel hat jüngst in einem Beitrag im „Europa-Archiv" zu dieser Frage erklärt — und wir stimmen ihm hier zu —:Es erscheint in der Tat unvorstellbar, eine allgemeine Konferenz in einer entspannten Atmosphäre abzuhalten, solange im Herzen Europas dieser Zankapfel— gemeint ist die Berlin-Frage —fortbesteht ... Die Verantwortung für die Zukunft Berlins liegt in erster Linie bei den vier Großmächten. Es ist daher wichtig, im voraus diese ganz besondere Frage aus der Gesamtheit der europäischen Streitfragen herauszunehmen.Soweit der belgische Außenminister.Diese Konferenz müßte — das ist wiederholt gesagt worden — der Entspannung in Europa dienen; und das heißt doch, sie müßte zu einer dauerhaften Verbesserung im Ost-West-Verhältnis führen. Dazu bedürfte es eines multilateralen Abkommens über den gegenseitigen Verzicht auf Anwendung oder Androhung von Gewalt, und es bedürfte eines einheitlichen Verständnisses über die allgemeine Anwendung von Grundsätzen bei der Gestaltung zwischenstaatlicher Beziehungen. Solche Grundsätze sind in Abs. 12 des Kommuniqués des NATO-Ministerrates vom Dezember 1970 in Brüssel genannt worden, nämlich: souveräne Gleichberechtigung; politische Unabhängigkeit; territoriale Unverletzbarkeit eines jeden europäischen Staates; Nichteinmischung und Nichteingreifen in die inneren Angelegenheiten eines Staates, unabhängig von seinem politischen und sozialen System; das Recht des Volkes eines jeden Staates, sein eigenes Schicksal frei von äußerem Zwang zu gestalten.Im selben Kommuniqué ist zu einer eventuellen Sicherheitskonferenz außerdem gesagt worden, daß sie der engeren Zusammenarbeit der teilnehmenden Staaten auf kulturellem, wirtschaftlichem, technischem und wissenschaftlichem Gebiet sowie bei den Umweltproblemen dienen soll. Größere Bewegungsfreiheit von Menschen, Ideen und Informationen stellen dabei ein wesentliches Element für die Entwicklung einer derartigen Zusammenarbeit dar.Die intensive Beschäftigung gerade des NATO-Ministerrates mit der Frage der KSE entspricht dem wiederholt zitierten Harmel-Bericht von 1967 und zeigt auch, daß die Bündnispartner das bestehende Bündnis als die Ausgangsposition für die gesamteuropäische Zusammenarbeit im Rahmen einer möglichen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ansehen.Die Bundesregierung ist sich stets bewußt gewesen — auch das will ich noch einmal betonen —, daß ihre der Entspannung dienende Ostpolitik nur sinnvoll und erfolgreich sein kann, wenn die Verteidigungsfähigkeit der Allianz gesichert bleibt und wenn das militärische Kräfteverhältnis stabilisiert wird.Wir begrüßen in diesem Zusammenhang dankbar die Zusicherung Präsident Nixons, daß die Vereinigten Staaten bei entsprechendem Verhalten der übrigen Bündnispartner ihre eigenen Streitkräfte in Europa beibehalten und sie nur im Rahmen beiderseitiger Maßnahmen — auf östlicher wie auf westlicher Seite — verringern würden. Damit ist für die nächsten Jahre die notwendige Stabilisierung der Kräfteverhältnisse sichergestellt. Gleichzeitig hat die Erklärung Präsident Nixons die Grundlage für eine erfolgversprechende MBFR-Politik der Allianz geschaffen.Die Einrichtung eines europäischen Programms zur Stärkung der NATO-Verteidigung durch die europäischen Bündnispartner ist ein Beweis für den fortdauernden Willen zur europäischen Zusammenarbeit. Der Bundesminister der Verteidigung hat sich gerade für dieses Programm besonders engagiert. Dafür gebührt ihm Dank.Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß auch in Zukunft zusätzliche Verteidigungsanstrengungen notwendig sein werden, um der arne-
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Parlamentarischer Staatssekretär Moerschrikanischen Regierung die Aufrechterhaltung ihrer Truppenpräsenz in Europa zu erleichtern.Das europäische Programm ist insofern ein wichtiger erster Schritt zur Übernahme größerer Verantwortung für die gemeinsame Sicherheit durch die Europäer.An dieser Stelle darf ich zu diesem Bereich der Sicherheits- und Außenpolitik noch einmal zusammenfassend sagen, daß Sicherheitspolitik immer auf zwei Säulen ruht. Sie ist durch die Notwendigkeit gekennzeichnet, Gleichgewichte zu sichern und zu erhalten, und sie ist durch die Notwendigkeit gekennzeichnet, die Ursachen der Unsicherheit zu beseitigen, d. h. eine Entspannung herbeizuführen.Aber dieser Hinweis wäre doch unvollständig ohne die Feststellung, daß ausgeglichene wirtschaftliche und soziale Verhältnisse im Innern ein ganz wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Sicherheitspolitik sind. Die von der Bundesregierung im Inneren vorgenommenen und vorgesehenen Weiterentwicklungen — kurz „Reformen" genannt — dienen der inneren Sicherung unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung und sie lassen sich insofern auch nicht von all dem trennen, was auf militärischem und außenpolitischem Gebiet zur Sicherung dieser freiheitlichen Ordnung getan wird und getan werden muß.Aber wie steht es mit dem Verständnis der Öffentlichkeit für das „Warum" und das „Wie" unserer Sicherheitspolitik? Es wird beklagt, das das Verständnis für die Notwendigkeit der militärischen Verteidigungsbereitschaft in unserer Bevölkerung nicht genügend ausgeprägt sei oder sich gar verringere.Ich will jetzt nicht die Ursachen dafür im einzelnen untersuchen oder darüber spekulieren, aber ich will mir doch einen Hinweis gestatten, von dem ich glaube, daß er kaum Widerspruch hervorrufen kann. Die Distanz, die viele unserer Mitbürger zu den Sicherheitsfragen im militärischen Sinne haben, ist zu einem guten Teil auch verursacht durch die Sprache, in der diese Fragen heute behandelt werden. Es ist wohl kaum zu bestreiten: die Philosophen, mitunter auch die Soziologen und die Politologen sind nicht die einzigen, die sich der deutschen Sprache bedienen können, ohne daß die Umwelt sie versteht. Manche Sicherheitsexperten wetteifern mit ihnen, indem sie sich militärisch-technischer Fachausdrücke bedienen, die für die meisten von uns hinreichend unverständlich sind.
— Ich habe das vorhin aufgeschlüsselt, meine Herren. Ich bekenne mich mit schuldig in diesem Fall.Aber ich nenne nur einige Abkürzungen, meine Herren vom Verteidigungsausschuß, die Sie offensichtlich mit diesem Vokabular ständig umgehen, wie ICBM, ABM, MIRV und MBFR, die Abkürzung für gegenseitige ausgewogene Truppenverminderung, die ich leider vorhin selbst benutzt habe.
Deshalb ist es nützlich, sich bei der Erörterung der militärischen Situation daran zu erinnern, daß uns recht konkrete Dinge beschäftigen, z. B. Mittelstrekkenraketen in großer Zahl, die blitzschnell auf Ziele in Mitteleuropa mit Atomsprengköpfen abgefeuert werden können.Bei diesem Hinweis, meine Damen und Herren, wird auch klar, wie sehr sich die Welt in den letzten hundert Jahren verändert hat. Bismarck hat im Jahre 1870 den Vertretern des Norddeutschen Bundes gesagt: „Ich betrachte auch einen siegreichen Krieg an sich immer als ein Übel, welches die Staatskunst den Völkern zu ersparen bemüht sein muß."
— Das war Bismarck, glauben Sie es mir.
— Vielleicht, Herr Damm, Sie können es ja nachprüfen. —Für ihn galt trotz dieser Einschränkung immer noch das Wort vom Clausewitz, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein könne. Heute im Atomzeitalter ist das Wort „Krieg" nicht mehr in einem gleichen oder auch nur ähnlichen Sinne zu gebrauchen, wie es noch vor hundert Jahren für Bismarck möglich war. Sicherheit vor dem Krieg ist längst zur Existenzfrage für die ganze Menschheit geworden, zur Frage des Überlebens überhaupt.Da wird denn ein anderes Wort aktuell, das auch mehr als hundert Jahre alt ist; Jean Paul hat es geschrieben: „Der Krieg kommt endlich selber am Kriege um; seine Vervollkommnung wird seine Vernichtung ... Das Gute braucht zum Entstehen Zeit, das Böse braucht sie zum Vergehen."
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Herr Kollege, da — ich muß es ehrlich gestehen — Jean Paul zu meinen Lieblingsschriftstellern gehört, darf ich Sie fragen, warum Sie anderen so wehe tun, bei dieser Gelegenheit zu so später Stunde dies hier alles zu sagen.
Herr Kollege Wehner, ich danke Ihnen für diesen Hinweis. Sie haben ja selbst an der Unruhe einiger Kollegen von der CDU/CSU gesehen, daß sie offensichtlich mit Bismarck mehr als mit Jean Paul anfangen konnten.
— Ja, sicher! Sie haben sich vorhin offensichtlich sehr fragend bemüht, und Herr Kollege Wehner hat, glaube ich, hierzu eine Frage gestellt, die Ihnen dazu etwas Aufklärung geben kann.
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6558 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 111. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. März 1971
Parlamentarischer Staatssekretär MoerschIch glaube, daß Sie sich diese beiden Komponenten, die hier zitiert worden sind — nicht nur die Blut- und Eisenkomponente —, vielleicht künftig doch mehr zu eigen machen sollten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kiep.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Moersch hat hier eine außenpolitische Regierungserklärung abgegeben, auf die ich im einzelnen nicht eingehen möchte und die auch im Zusammenhang mit der Debatte wohl kein längeres Eingehen verdient. Aber ein Punkt scheint mir wichtig, und den möchte ich in zwei Sätzen festhalten: Herr Staatssekretär Moersch, Sie haben in Ihrer Erklärung, die Sie hier verlesen haben, einige Bemerkungen zur europäischen Sicherheitskonferenz gemacht, und Sie haben in diesem Zusammenhang — wenn ich Sie richtig verstand, und das war nicht ganz einfach, weil Sie sehr schnell gelesen haben in zwei Punkten die Linie verlassen, die nach unserer Ansicht bisher die gemeinsame Linie der Bundesregierung, der amerikanischen, der britischen und der französischen Regierung für das Zustandekommen einer solchen europäischen Sicherheitskonferenz war, indem Sie die Voraussetzungen für das Zustandekommen einer solchen europäischen Sicherheitskonferenz auf ein — wie ich sagen möchte — Minimum reduziert haben. Weder die amerikanische Regierung in ihren jüngsten Erklärungen noch die englische Regierung haben in ähnlicher Weise ihre Voraussetzungen für eine Teilnahme an einer Konferenz etwa reduziert, wie das hier geschehen ist. Ich meine, hierzu sollten Sie, wenn es sich um eine Änderung der Politik der Bundesregierung handelt, im Auswärtigen Ausschuß und auch hier im Bundestag klar Stellung beziehen und Aufklärung geben.
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Frau Präsident! Herr Kollege Kiep! Es ist keine Linie verlassen worden. Was ich gesagt habe, entspricht dem Inhalt des NATO-Kommuniqués und ist in jedem Satz auch die Meinung unserer Verbündeten.
— Herr Dr. Barzel, weil ich aus der Frage der Opposition entnommen habe, daß sich die Opposition offensichtlich falsche Vorstellungen über den Inhalt gemacht hat.
Wir haben das mit unseren Verbündeten so besprochen, wie ich es vorgetragen habe. Das ist nicht
nur der Standpunkt der Bundesregierung, das ist der Standpunkt des westlichen Bündnisses.
— Aber selbstverständlich, Herr Kiep. Sie müssen mir schon abnehmen, daß es so ist. Ich hatte diese Formulierungen wohlweislich notiert. Ich bin nicht von dem abgewichen, was die Bundesregierung in Gesprächen mit ihren Verbündeten über diese Fragen vereinbart hat. Wenn Sie das anders gesehen haben, sind Sie möglicherweise über diesen Inhalt nicht zutreffend informiert gewesen. Das halte ich allerdings für denkbar. Es ist hier aber keine neue Linie, sondern es ist eine Bestätigung, eine Kommentierung der Linie, die das Bündnis selbst auf der letzten NATO-Konferenz beschlossen hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fürchten Sie bitte nicht, daß ich mich noch zur Sache äußern will, sosehr ich das wünschte. Aber ich will hier — auch damit der verehrte Herr Vorredner nicht denkt, ich hätte mich persönlich an ihm reiben wollen — Ihnen etwas sagen, was ich sonst wortlos zu Protokoll gegeben hätte; das läßt unsere Geschäftsordnung aber nicht mehr zu.
Meine Frage ist: Wer soll verstehen, was dieses Parlament, dieser Bundestag, der sich ein Parlament nennt und auch so nennen läßt, sagen will, wenn es sich selbst so versteht, wie es um so offensichtlicher geworden ist, je länger diese Debatte dauerte, daß er sich als etwas versteht, was ich nur hart bezeichnen kann — und so wird er gesehen werden —als der Bundestag der leeren Plätze? Ich will mich heute über die Worte, die hier gefallen sind, und in Worten, die hier nötig sind, überhaupt nicht äußern, nicht weil ich nichts zu sagen hätte, sondern weil es mir leid tut und weil ich nichts weiter dazu sagen will. Ich will auch niemandem etwas vorwerfen oder mich von anderen unterscheiden. Das ist jetzt nicht meine Sache. Ich gehöre diesem Bundestag an, seitdem es einen Deutschen Bundestag gibt. Ich, meine Damen und Herren, schäme mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die letzte Bemerkung des Kollegen Wehner aufnehmen und ihn einladen — ebenso wie den Kollegen Mischnick —, diese Frage einmal zusammen mit dem Präsidium des Hauses zu erörtern, die nicht nur mit den leeren Bänken zu tun hat, sondern — ich sage dies völlig unpolemisch — die damit zu tun hat, daß wir uns in diesem Hause eine veränderte Geschäftsordnung mit 15-Minuten-Reden gegeben haben, von der keiner Gebrauch macht. Warum? Weil wir zum Beispiel — ich sage dies offen — in dieser Debatte die Chance haben, vielleicht zwei-, höchstens dreimal
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Dr. Barzelzu Wort zu kommen, weil die Regierung dauernd Erklärungen abgibt
und dann die Koalitionsfraktionen sprechen. Wenn wir uns dann an 15 Minuten halten, haben wir die Chance, im Laufe eines Tages hier dreimal 15 Minuten zu reden.Was die Bundesregierung heute durch drei Regierungserklärungen, von denen nur zwei in sachlicher Übereinstimmung standen, geboten hat, das gehört dann auch zu diesem Thema. Wenn der Kollege Wehner in der Absicht hier heraufgekommen sein sollte, daß wir miteinander aus der Situation lernen sollten — so habe ich ihn verstanden —, dann kann ich sagen: wir sind dazu bereit. Dazu gehört dann aber auch, diesem Hause sein Recht widerfahren zu lassen.Ich möchte auch daran erinnern, wie es angefangen hat. Heute sollten zwei Große Anfragen behandelt werden. Dann kam die Regierung und sagte: keine Großen Anfragen, sondern eine Regierungserklärung. Schließlich wurden noch zwei andere darangehängt. Das, meine Damen und Herren, ist sicher nicht gut. Wir wollen uns auch überlegen, was wir im Hinblick auf die Verkehrsmöglichkeiten in Zukunft am Freitag machen.
Wird das Wort noch gewünscht? Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Damit ist die Tagesordnung für heute erschöpft.
Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 31. März, um 9.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.