Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden urn die in der folgenden Liste bezeichneten Vorlagen.
Das Haus ist damit einverstanden? — Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Die Fraktion der CDU CSU hat mitgeteilt, daß der Abgeordnete Zoglmann aus der Beratenden Versammlung des Europarats ausscheidet.
Die Fraktion der SPD hat für die Beratende Versammlung des Europarats folgende Veränderungen vorgesehen: Es scheiden aus als ordentliches Mitglied der Abgeordnete Schmidt und als stellvertretendes Mitglied der Abgeordnete Bals. Neu benannt werden als ordentliches Mitglied der Abgeordnete Bals, als stellvertretende Mitglieder die Abgeordneten Schmidt (Würgendorf) und Dr. Enders. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind die Abgeordneten Bals als ordentliches Mitglied sowie die Abgeordneten Schmidt (Würgendorf) und Dr. Enders als stellvertretende Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarats gewählt.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat am 11. März 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Balkenhol, Dr. Rinsche, Krampe, Lampersbach, Reddemann, Dr. Wulff und Genossen betr. Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur des östlichen Sauerlandes und Erschließung dieser Gebiete als Erholungslandschaften für die Bewohner des westfälischen Ruhrgebietes — Drucksache VI/1842 beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1952 verteilt.
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat gegen die nachstehenden Verordnungen keine Bedenken erhoben:
Verordnung des Rates Nr. 15271 des Rates vom 26. Januar 1971 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 750/68 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für den Ausgleich der Lagerkosten für Zucker
Verordnung Nr. 166 71 des Rates vom 26. Januar 1971 zur Festlegung gemeinsamer Vermarktungsnormen für Garnelen der Gattung Crangon
Verordnung Nr. 167,71 des Rates vom 26. Januar 1971 zur Festlegung des Orientierungspreises für die in Anhang I Abschnitte A und C der Verordnung (EWG) Nr. 2142/70 aufgeführten Fischereierzeugnisse für die Zeit vom 1. Februar bis zum 31. Dezember 1971
Verordnung Nr. 168/71 des Rates vom 26. Januar 1971 zur Festsetzung des Orientierungspreises für die in Anhang II der Verordnung (EWG) Nr. 2142/70 aufgeführten Fischereierzeugnisse für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Dezember 1971
Verordnung Nr. 169 71 des Rates vom 26. Januar 1971 zur Festsetzung des gemeinschaftlichen Produktionspreises für Thunfische, die für die Konservenindustrie bestimmt sind, für die Zelt vom 1. Februar bis 31. Dezember 1971
Verordnung Nr. 170/71 des Rates vom 26. Januar 1971 über die Anerkennung der Erzeugerorganisationen der Fischwirtschaft
Verordnung Nr. 171 71 des Rates vom 26. Januar 1971 über die Gewährung und die Erstattung der den Erzeugerorganisationen der Fischwirtschaft von den Mitgliedstaaten gewährten Beihilfen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
EWG-Vorlagen
Verordnung des Rates mit Rahmenbestimmungen für Kaufverträge über Flachs- und Hanfstroh
— Drucksache VI/1886 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Rechtsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über bestimmte Verfahren der quantitativen Analyse von binären Textilfasergemischen
Drucksache VI 1928 —
überwiesen an den Wirtschaftsausschuß mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Hopfen
Verordnung des Rates über die Bescheinigung der Herkunftsbezeichnung bei Hopfen
Drucksache VI/1929 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Wirtschaftsausschuß, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksachen VI/ 1916, VI/1947 —
Ich rufe zuerst die erste Dringliche Mündliche Frage des Abgeordneten Baron von Wrangel auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage, einen Bericht der Pariser Zeitung „FIGARO" vom 10. März 1971 zu bestätigen, demzufolge der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Bahr sich gegenüber den Botschaftern der Drei Westmächte über die unnachgiebige Haltung insbesondere der Vereinigten Staaten von Arne-rika in der Berlin-Frage beschwert haben soll?
Herr Minister, darf ich Sie bitten!
Herr Präsident, ich würde gern, wenn Herr Kollege von Wrangel es gestattet, seine beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.
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6296 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Keine Bedenken. Dann rufe ich zusätzlich die zweite Dringliche Mündliche Frage des Abgeordneten Baron von Wrangel auf:
Tst die Bundesregierung bereit zu erläutern, was Staatssekretär Bahr gegenüber den drei westlichen Botschaftern im Zusammenhang mit der Berlin- und Deutschland-Frage gesagt hat insbesondere in bezug auf eine, wie es in der schon zitierten ,,FIGARO"-Meldung heißt, schnelle, für alle Seiten annehmbare Berlin-Regelung, und ist es richtig, daß in diesem Gespräch von seiten der Bundesregierung gegenüber den Westmächten Zeichen der Ungeduld über die Verzögerung einer Berlin-Regelung deutlich wurden?
Die Bundesregierung kann bestätigen, Herr Abgeordneter, daß der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Bahr am Morgen des 9. März 1971 mit den Botschaftern der Drei Mächte zusammengetroffen ist. Er folgte einer Einladung des britischen Botschafters zu einem Frühstück.
Die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß der Staatssekretär dabei Beschwerden gegen die Vereinigten Staaten oder irgendeine andere Regierung vorgebracht hat. Er hat auch keine Ungeduld über eine Verzögerung der Berlin-Regelung gezeigt. Die sachlichen Positionen und die einzuschlagende Taktik der Berlin-Verhandlungen werden von den Drei Mächten mit der Bundesregierung voll abgestimmt. Das gilt für den Meinungsaustausch zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR ebenso wie für die Verhandlungen des Berliner Senats mit der Regierung der DDR. Die vier westlichen Regierungen sind sich darüber einig, daß die Geschlossenheit ihrer Haltung eine Voraussetzung für die von allen erstrebte positive Berlin-Regelung ist.
Eine Zusatzfrage, Herr von Wrangel.
Herr Bundesminister, sind Sie in der Lage, Meldungen zurückzuweisen oder zu bestätigen, die gestern abend über die Deutsche Presseagentur aus London und Washington verbreitet worden sind, denen zufolge dort eine erhebliche Skepsis über den Fortgang der Berlin-Verhandlungen geäußert wird und dies im Widerspruch steht zu Äußerungen der Bundesregierung, insbesondere des Bundeskanzlers, daß in diesem Jahr noch mit einer befriedigenden Berlin-Regelung zu rechnen ist?
Herr Kollege von Wrangel, ich sehe keinen Zusammenhang mit der ersten Frage nach dem Verhalten von Staatssekretär Bahr. Im übrigen muß ich sagen: nach den vielen falschen Alarmmeldungen über angebliche Mißverständnisse oder über Skepsis an dem einen oder anderen Platz, die wir im letzten Jahr schon gehabt haben, bin ich geneigt, alle solche Meldungen mit großer Ruhe zu lesen und entgegenzunehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr von Wrangel.
Herr Bundesminister, ich darf Sie dann so verstehen, daß eine
absolute Einigkeit zwischen der Bundesregierung und den Drei Westmächten in der Frage der Berlin-Position besteht?
So ist es, Herr Kollege.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, Sie haben vorhin bei der Beantwortung der ersten Frage ein bestimmtes Datum genannt. Darf ich fragen, ob sich der Inhalt Ihrer Aussage in dieser Fülle ebenfalls auf eventuelle andere Daten, die vermutet werden könnten, erstreckt.
Nein, Herr Kollege Marx, Sie können sicher sein, daß wir solche Tricks nicht gebrauchen würden, um einer berechtigten Frage auszuweichen. Ich habe nur, weil der „FIGARO" vom 10. März angesprochen war, gesagt, diese Besprechung hat am 9. März stattgefunden. Aber die Antwort gilt sachlich auch ohne diese zeitliche Beschränkung.
Keine Zusatzfragen mehr; damit sind diese beiden Fragen beantwortet.
Meine Damen und Herren, ich habe mich für die Verspätung zu entschuldigen. Der Verkehr von der anderen Rheinseite her war völlig zusammengebrochen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich rufe Frage 92 des Abgeordneten Dr. Barzel auf:
Wie viele Menschen sind aus Polen oder den von Polen verwalteten Gebieten bis zum Tag der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrags im Wege der Familienzusammenführung in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gekommen?
Herr Abgeordneter, ich beantworte die Frage wie folgt. Aus Polen und den von Polen verwalteten Gebieten sind zwischen dem 1. Dezember 1955 — d. h. seit dem Bestehen einer durch Rot-Kreuz-Vereinbarung geregelten Zusammenarbeit — und dem Tag der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages, nämlich dem 7. Dezember 1970, 368 824 Personen aus getrennten Familien in das Bundesgebiet gekommen.
Keine Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Dr. Barzel auf:Treffen Pressemeldungen zu, nach denen erneut Deutsche, die in Polen den Antrag auf Familienzusammenführung stellen, Schikanen und Nachteilen unterworfen sind?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6297
Die Frage 93 beantworte ich wie folgt. Der Bundesregierung ist, von einigen wenigen Einzelfällen abgesehen, nicht bekannt, daß Deutsche oder deutsche Volkszugehörige, die in Polen einen Antrag auf Übersiedlung stellen, jetzt noch Schikanen oder Nachteilen unterworfen sind. Bei den letzten Besprechungen der beiden Rot-Kreuz-Delegationen in Warschau Ende Januar dieses Jahres ist von polnischer Seite zugesichert worden, daß Aussiedlungswillige wegen der Antragstellung eine Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr zu besorgen haben. Bei den genannten Besprechungen ist auch sichergestellt worden, daß die Aussiedler durch Erteilung polnischer Ausreisevisen bis zu vier Monaten statt bisher einen Monat ausreichend Zeit für ihre Reisevorbereitungen, insbesondere für die Abwicklung ihrer geschäftlichen und privaten Angelegenheiten, zur Verfügung haben.
Eine Zusatzfrage.
Können Sie, Herr Kollege Moersch, zusagen, daß für den Fall, daß der Bundesregierung künftig Erkenntnisse über Schikanen zukommen sollten, die im Gegensatz zu den Zusicherungen der Verantwortlichen in Polen stehen, die Bundesregierung Gelegenheit nehmen wird, in geeigneter, notfalls vertraulicher Weise auch die Opposition darüber zu informieren?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das zusagen. Die Bundesregierung bemüht sich darum.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die polnischen Sicherheitsbehörden in sehr verschiedenartiger und vieldeutiger Weise in den verschiedenen Provinzen, Gemeinden und Kreisen die Anträge beurteilen und handhaben?
Herr Abgeordneter, hierüber sind mir keine Einzelheiten bekannt. Ich kann auch aus Ihrer Frage nicht erkennen, auf was Sie anspielen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen keine Meldungen zugegangen, daß die einzelnen Polizeibehörden, die zu den Anträgen auf Familienzusammenführung Stellung zu nehmen haben, diese Anträge sehr verschieden, teils positiv, teils außerordentlich negativ beurteilen?
Herr Abgeordneter, mir ist bekannt, daß in früherer Zeit solche Anträge sehr unterschiedlich abgewickelt worden sind. Mir ist auch bekannt, daß es über die Art der Kriterien — das ist ja eine Sache, die Polen selbst entscheidet unterschiedliche Meinungen gibt. Genauso bekannt ist mir aber, daß es keine eindeutigen Definitionen, keine gegenseitige Rechtsgrundlage gibt, sondern daß es Ermessensentscheidungen sind und daß außerdem in einzelnen Fällen innerhalb von Familien unterschiedliche Optionen erfolgt sind, sogar unter Geschwistern.
Ich rufe die Frage 94 der Abgeordneten Frau Herklotz auf. — Die Fragestellerin ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Ist bei dem Besuch von Bundeskanzler Brandt im Dezember vergangenen Jahres in Rom mit der italienischen Regierung auch über den seit Kriegsende in Gaeta/Italien inhaftierten Herbert Kappler gesprochen worden?
Herr Abgeordneter, ich beantworte diese Frage mit Ja.
Mit welchem Ergebnis?
Ich verstehe die Frage nicht.
Mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung bei dem Besuch des Bundeskanzlers in Rom diese Gespräche geführt?
Die italienische Regierung ist in der Prüfung der Angelegenheit begriffen. Das ist das Ergebnis dieses Gesprächs.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die italienische Regierung seit mindestens 15 Jahren mit der Prüfung dieser Angelegenheit beschäftigt ist?
Herr Abgeordneter, das ist mir bekannt. Mir ist aber auch bekannt, daß die Frage, wie dieser Gnadenakt, der hier angestrebt wird, zu erreichen ist, sehr sorgfältig überlegt werden muß, gerade in der jetzigen Situation.
Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es nach bald 26 Jahren an der Zeit wäre, durch einen humanitären Akt gegenüber dem Verurteilten einen Schlußstrich zu ziehen, und wenn ja, hat sie diese Haltung gegenüber der italienischen Regierung deutlich gemacht?
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6298 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Die Frage kann ich mit Ja beantworten.
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß es eine sehr erwünschte Geste der italienischen Regierung wäre, wenn der italienische Ministerpräsident und der italienische Außenminister, die ja Anfang April nach Deutschland kommen, bei diesem Staatsbesuch die Begnadigung Kapplers mitteilten?
Herr Abgeordneter, aus der Tatsache, daß sich der Bundeskanzler in dem Gespräch in Rom in dieser Sache verwendet hat und daß die Bundesregierung auch in anderer geeigneter Weise in dieser Sache tätig geworden ist, mögen Sie schließen, daß ich Ihre Frage nicht verneinen kann.
Wird die Bundesregierung, falls die Begnadigung nicht schon vor diesem Staatsbesuch ausgesprochen wird, bei diesem Staatsbesuch mit aller Energie darauf hinwirken, daß die Begnadigung endlich ausgesprochen wird?
Herr Abgeordneter, es gibt hier unterschiedliche Energiemaße, ein öffentliches und ein nichtöffentliches. Wir entscheiden uns für das nichtöffentliche.
Ich rufe die Frage 97 des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein auf:
Stimmt die Bundesregierung der in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung vertretenen Auffassung zu, daß eine Begnadigung des seit 26 Jahren im Militärgefängnis Gaeta/Italien inhaftierten Herbert Kappler sich für die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland günstig auswirken würde?
Herr Abgeordneter, ich kann die Frage mit Ja beantworten, soweit die deutsche Seite betroffen ist.
Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, beim Besuch des italienischen Ministerpräsidenten und des italienischen Außenministers ein Gespräch einer kleinen Gruppe von Abgeordneten dieses Hauses von allen Parteien mit den italienischen Gästen zu vermitteln, um noch einmal über den Fall Kappler zu sprechen?
Herr Abgeordter, die Bundesregierung ist bereit, die interessierten Abgeordneten, wie das bisher schon geschehen ist, über die Sachlage ins Bild zu setzen. Es obliegt dann der Entscheidung der Abgeordneten selbst, ob sie es der Sache für dienlich halten, in dieser Form vorzugehen oder nicht. Das muß ich Ihrer Entscheidung überlassen.
Ich rufe die Frage 98 des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß erst in jüngster Zeit der italienische Staatspräsident in mehreren Fällen von seinem Gnadenrecht Gebrauch gemacht und lebenslänglich Verurteilte vor Ablauf einer 28jährigen Strafverbiißung begnadigt hat?
Herr Abgeordneter, es konnte nicht festgestellt werden, inwieweit diese von Ihnen angezogenen Meldungen zutreffen. Ich möchte aber folgendes hinzufügen. Unabhängig davon, in welcher Weise in Italien Gnadenpraxis ausgeübt wird, liegt es eben in dem Begriff ,,Gnadenpraxis", daß jeweils eine Ermessensentscheidung getroffen wird.
Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich darauf hinweisen, daß die italienische Regierung im Frühjahr des vorigen Jahres alle italienischen Strafgefangenen des Militärgefängnisses in Gaeta begnadigt und entlassen hat.
Ich nehme das zur Kenntnis und unterstelle, daß das zutreffend ist. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, daß in dem von Ihnen und von Ihren Kollegen hier angezogenen Fall einmal eine Entscheidung bevorstand, die dann durch publizistische Maßnahmen innerhalb der Bundesrepublik und durch eine Diskussion über einen anderen Fall wiederum aufgeschoben worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind es Ihrer Auffassung nach rechtliche Gründe, die bisher gegen eine Begnadigung von Kappler vorgebracht wurden?
Herr Abgeordneter, ich halte es auch im Sinne des Betroffenen nicht für zweckdienlich, über diese Frage hier öffentlich Auskunft zu geben.
Ich bin bereit, es im Auswärtigen Ausschuß in der gehörigen Form zu tun, und zwar in allen Einzelheiten.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6299
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kliesing.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es Abgeordnete dieses Hauses gibt, die jetzt schon mehr als anderthalb Jahrzehnte in dieser Angelegenheit bemüht sind, und ist Ihnen weiter bekannt, daß der italienische Staatspräsident bei der Ablehnung des letzten Gnadengesuches darauf hingewiesen hat, daß er zu gegebener Zeit dieser Frage nähertreten würde? Wann ist dieser Zeitpunkt gekommen?
Herr Abgeordneter, mir ist bekannt, daß sich Abgeordnete in diesem Sinne eingesetzt haben. Mir ist aber auch bekannt, daß die zuständigen Stellen des auswärtigen Dienstes nichts unversucht gelassen haben, um dieser Meinung der Abgeordneten bei der zuständigen Stelle Gehör zu verschaffen. Mir ist ebenfalls bekannt, daß zum jetzigen Zeitpunkt eine weitere Erörterung der Sache nicht dienlich sein kann.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Walkhoff auf:
Hält die Bundesregierung negative Auswirkungen auf die traditionell guten deutsch-türkischen Beziehungen für möglich, talls die 40 000 bis 60 000 illegal in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten türkischen Gastarbeiter ausgewiesen werden?
Die Bundesregierung ist nicht der Meinung, daß das Problem der illegal hier lebenden türkischen Arbeitnehmer zu einer Beeinträchtigung der traditionell guten deutschtürkischen Beziehungen führt. Die Anfrage scheint von Voraussetzungen auszugehen, die in dieser Form nicht zutreffen. Zunächst dürfte die genannte Zahl von 40- bis 60 000 illegal in die Bundesrepublik eingereisten türkischen Arbeitnehmern zu hoch gegriffen sein. Die Schätzungen der Bundesregierung liegen vermutlich unter diesen Zahlen. Ferner wird von keiner amtlichen deutschen Stelle erwogen, die illegal im Bundesgebiet befindlichen türkischen Arbeitnehmer im Wege von größeren Abschiebungsaktionen zurückzuschicken. Der Gesamtkomplex der illegalen ausländischen Arbeitnehmer im Bundesgebiet ist Gegenstand eines Gesprächs des Herrn Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder, die für die ausländerrechtliche Seite des Problems zuständig sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, daß es nicht eine Frage der Zahl der hier illegal anwesenden Türken ist?
Selbstverständlich sind menschliche Probleme niemals Zahlenfragen, Herr Abgeordneter.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung nach dem Votum der Konferenz der Innenminister der Bundesländer wirklich noch eine Möglichkeit, zu einer nachträglichen Legalisierung der Einreisen oder zu einer Amnestierung zu kommen?
Herr Abgeordneter, ich habe in meiner Antwort soeben darauf hingewiesen, daß ein Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder stattfindet, um eine Regelung zu erreichen, die menschliche Härten, so gut wie überhaupt denkbar, vermeidet. Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß nicht nur Probleme gesundheitspolitischer und seuchenpolitischer Art zu bedenken sind, sondern daß es auch gewisse Sicherheitsprobleme gibt, die etwa mit Schmuggel zusammenhängen, und daß deshalb eine Regelung dieser Frage selbstverständlich notwendig ist. Die Bundesregierung bemüht sich mit Nachdruck darum, hier keine menschlichen Härten entstehen zu lassen, da sich unter den nicht legal in der Bundesrepublik befindlichen türkischen Gastarbeitern viele befinden, die von unverantwortlichen Vermittlern hierhergeschleppt worden sind. Es wäre die Aufgabe, in diesem Fall eben diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, falls das möglich ist, die sich solcher Praktiken schuldig machen, aber nicht die Opfer dafür zu bestrafen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Wolf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Anwesenheit von zwölf türkischen Parlamentariern in dieser Woche dazu benutzt, um sich darüber klarzuwerden, welch ungeheure Beunruhigung bereits in der Türkei durch die Nachrichten über eine mögliche Ausweisung der Türken entstanden ist?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat sich hier lediglich bestätigt gefunden. Die zuständigen Stellen der Bundesregierung — ich spreche hier im wesentlichen für das Auswärtige Amt, aber auch für das Arbeitsministerium und andere Dienststellen der Bundesregierung — sind sich über diesen Tatbestand seit langem völlig im klaren. Ich hoffe, daß durch eine detaillierte Besprechung mit anderen Stellen noch eine andere Lösung gefunden werden kann. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß es um eine Frage geht, die zu Präzedenzfällen führt. Eine Lösung punktuell nur beim Problem der türkischen Gastarbeiter erscheint nicht so einfach, weil es sich
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6300 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Moerschum Sicherheitsfragen der Bundesrepublik Deutschland handelt. Ich darf daran erinnern, daß wir in früheren Monaten von diesem Hause aufgefordert worden waren, gerade unter dem Aspekt der Sicherheit sehr viel schärfer gegen Illegale vorzugehen, was die Bundesregierung auch tut. Nur steht eben diese Aufforderung in einem gewissen Widerspruch zu dem berechtigten Wunsch, im Falle der hier genannten türkischen Gastarbeiter eine generelle Regelung zu treffen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung, um auf die, wie Sie sagen, unverantwortlichen Vermittler, die zum Teil auch Deutsche sind, und auf die deutschen Arbeitgeber, die diese Menschen beschäftigen, einzuwirken?
Die Bundesregierung hat keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit, da es sich hier um Hoheitsfragen handelt, die im wesentlichen bei den Ländern liegen, soweit das Inland betroffen ist. Die Bundesregierung hat bisher mit aller Entschiedenheit darauf hingewirkt — ich darf das wohl für den hier in der Sache zuständigen Bundesinnenminister sagen , daß die geltenden Gesetze in diesem Fall angewandt werden; unsere Strafgesetzgebung gibt hierfür eine Handhabe. Es handelt sich zweifellos um kriminelle Taten und nicht um Kavaliersdelikte.
Eine Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß das Bundesministerium für Arbeit am 3. Oktober vor dem Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung die Zahl der illegalen Arbeitnehmer mit 20- bis 70 000 angegeben hat, daß also Ihre Zahlenangabe von dieser Information abweicht?
Ich darf darauf hinweisen, Herr Abgeordneter, daß ich überhaupt keine Zahlenangabe gemacht habe.
Zusatzfrage.
Räumen Sie ein, daß Sie die vom Kollegen Walkhoff prognostizierende Zahl Betritten haben?
Das ist zutreffend, aber ich habe keine eigene Zahlenangabe gemacht.
Sie haben selbst gesagt, daß zwischen 20 000 und
70 000 alle Möglichkeiten bestehen. Da wäre es
ziemlich sinnlos, wenn ich mich auf eine dritte Möglichkeit einließe.
Ich rufe die Frage 100 des Abgeordneten Hupka auf:
Erwägt die Bundesregierung, eine Anregung des niedersächsischen Ministers für Bundesangelegenheit aufzugreifen, daß seitens der Bundesregierung ein höherer Betrag bei einer polnischen Behörde hinterlegt wird, damit Aussiedlungswillige hier die ihnen fehlenden Summen für Visa- und Fahrkosten abrufen können. weil vielfach an den aufzubringenden Summen die Aussiedlung scheitert oder dadurch beträchtlich erschwert wird?
Eine Übersiedlung aus dem polnischen Bereich braucht weder daran zu scheitern noch wird sie wesentlich dadurch erschwert, daß der Aussiedlungswillige die hierfür erforderlichen Geldbeträge nicht aus eigenen Mitteln aufbringen kann.
Es ist sichergestellt, daß das Deutsche Rote Kreuz bei der Finanzierung der Fahrtkosten sowie der polnischen Paß- und Visagebühren im Falle von Mittellosigkeit, sei es der Angehörigen im Bundesgebiet, sei es der Aussiedler im polnischen Bereich, voll in Vorlage tritt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es vor allem bei jungen Akademikern den Fall gibt, daß diese die Aussiedlung deswegen gar nicht beantragen können, weil sie umgerechnet etwa 9 000 DM aufbringen müssen, um die Kosten für das Studium zurückzuerstatten?
Herr Abgeordneter, mir ist ein derartiger Hinweis nicht bekannt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihn verifizieren könnten. Wir jedenfalls tun das. Mir ist aber auch bekannt, daß im Zuge einer solchen Aktion die Gerüchte ungeheuer ins Kraut schießen.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß es gerade wegen des Geldbetrages für diejenigen Menschen Schwierigkeiten gibt, die als Angehörige des deutschen Volkes hier keine Verwandten und Bekannten haben, die also nicht im Zuge der Familienzusammenführung herkommen und diese 80 DM allein für Visa und Durchreisegebühren nicht aufbringen können und ihnen nicht bekannt ist, daß das Deutsche Rote Kreuz notfalls in Vorlage tritt? Wäre es deswegen nicht erwägenswert, eine Pauschalierung bei einem Geldinstitut vorzunehmen?
Herr Abgeordneter, das ist eine sehr zweischneidige Sache. Sie wissen genau, wie die rechtlichen Bedingungen in diesem Fall sind. Ich bin gern bereit, diese Frage im Auswärtigen Ausschuß mit Ihnen zu erörtern. Gestern war Gelegenheit dazu, aber diese Frage ist mir in dieser Form nicht gestellt worden; ich be-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6301
Parlamentarischer Staatssekretär Moerschdaure das. Ich hätte Ihnen daraufhin einige Hinweise geben können.
Ich bitte Sie auch, sich vielleicht ein bißchen zu gedulden, bis mehr praktische Erfahrungen in Einzelfällen vorliegen. Unsere zuständige Vertretung wird dann gern bereit sein, hieraus die Konsequenzen zu ziehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.
Herr Staatssekretär, nachdem hier, wie ich meine, zum erstenmal öffentlich bekanntgegeben worden ist, daß über die Verwandten oder direkt an die Personen aus der Bundesrepublik Zuschüsse geleistet werden können, frage ich Sie: Würden Sie dafür Sorge tragen, daß dies, da es sich um Steuermittel handelt, auch öffentlich bekanntgemacht wird?
Herr Abgeordneter, es ist für diejenigen, die interessiert sind, bisher schon über das Deutsche Rote Kreuz bekannt gewesen. Die Erörterung in der Fragestunde ist nach meinem Begriff — ich hoffe es wenigstens — eine öffentliche Bekanntmachung.
Ich rufe die Frage 101 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann die Bundesregierung bekanntgeben, an wen in der Volksrepublik Polen sich Aussiedlungswillige wenden können, deren Anträge erneut auf Ablehnung stoßen oder die Schikanen wie Arbeitsplatzverlust unterworfen werden?
Zwischen dem Deutschen und dem polnischen Roten Kreuz ist Ende Januar in Warschau abgesprochen worden, daß die polnischen Behörden im Falle einer Ablehnung von Aussiedlungsanträgen an das polnische Rote Kreuz berichten. Dem polnischen Roten Kreuz liegt ein Vorschlag des Deutschen Roten Kreuzes vor, wonach jeder Fall einer Ablehnung durch je einen Sachverständigen der beiden Rot-Kreuz-Gesellschaften erörtert werden soll. Es kann davon ausgegangen werden, daß das polnische Rote Kreuz einem solchen Verfahren zustimmt.
Bei den vorgenannten Warschauer Rot-Kreuz-Besprechungen ist von polnischer Seite auch zugesichert worden, daß die Antragsteller künftig nicht mehr, wie das früher einmal der Fall war, irgendwelchen Behinderungen, insbesondere keinem Arbeitsplatzverlust, ausgesetzt sein werden.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit zu erreichen, daß hier in der Bundesrepublik jemand Fälle berichten kann, in denen derartige Arbeitsplatzverluste oder niedrigere Einstufungen am Arbeitsplatz auftraten?
Herr Abgeordneter, diese Möglichkeit ist gegeben und wird wahrgenommen. Allein der Briefeingang über solche Fälle gibt uns darüber Aufklärung. Aber das Deutsche Rote Kreuz würde sicher nicht zögern, uns ebenfalls die Hinweise zuzuleiten. Dies wird das Deutsche Rote Kreuz auch tun.
Ist es richtig, aus Ihrer Information zu schließen, daß, je mehr Zeit seit dem 7. Dezember verstrichen ist, um so weniger Fälle von Schikanen und Arbeitsplatzverlusten bekanntgeworden sind?
Wenn es sich um Arbeitsplatzverluste bei früheren Antragstellern handelt, handelt es sich um die Zeit vor der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrags. Fälle dieser Art sind mir aus diesem Jahr jetzt im einzelnen nicht gegenwärtig.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß viele Deutsche aus Angst vor möglichen Arbeitsplatzverlusten den Antrag auf Aussiedlung auch in letzter Zeit gar nicht erst gestellt haben?
Herr Abgeordneter, es ist unmöglich, die Frage jetzt zu beantworten. Denn die Aussiedler selbst wissen unter Umständen noch gar nicht, welche Art ihres Antrags jetzt befürwortet worden ist. Wir sind in der Prüfung dieser Frage. Wir werden auch Gelegenheit haben, das Thema auf einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses noch einmal zu erörtern; wir haben es gestern übrigens getan.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was kann die Bundesregierung dagegen unternehmen, daß in Teilen der polnischen Presse eine Stimmung gegen die Aussiedlung der Deutschen erzeugt wird?
Die Bundesregierung bemüht sich, in Gesprächen mit den zuständigen polnischen Stellen etwaigen einseitigen Darstellungen entgegenzuwirken. Ich möchte aber nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß auch jeder Abgeordnete etwa im Gespräch mit polnischen Kollegen Gelegenheit hat, das zu tun, falls ihm solche eklatanten Fälle bekanntwerden sollten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
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6302 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß sich bei der Weiterbehandlung abgelehnter Anträge auf Familienzusammenführung das Fehlen vertraglicher Abmachungen bei der Obhutspflicht, die die Bundesregierung gegenüber deutschen Staatsangehörigen hat nach Auskunft des Herrn Bundesinnenministers steht seine Abteilung für Staatsangehörigkeits- und Verfassungsfragen auf dem Standpunkt, daß es sich um deutsche Staatsangehörige handelt —, schädlich auswirkt? Und will sich die Bundesregierung um solche vertragliche Abmachungen bemühen?
Herr Abgeordneter, ich bin gern bereit, die Staatsangehörigkeitsfragen zu erörtern, obwohl sie in diesem Fall nicht zur Debatte stehen. Aber ich bin nicht bereit, Ihnen zuzugestehen, was in Ihrer Frage unterschwellig enthalten sein könnte, daß die Bundesregierung etwa versäumt habe, ein gegenseitiges Abkommen über diese Frage zu schließen. Ich muß hier mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im deutsch-polnischen Verhältnis eine Lage vorgefunden hat, für die sie jedenfalls nicht verantwortlich gemacht werden kann,
sondern die von Kräften hervorgerufen worden ist, die das deutsche Volk insgesamt ins Unglück gestürzt haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Da wir bisher, Herr Staatssekretär, davon ausgehen mußten, daß die Grundlage dieser gesamten Diskussion, nämlich die Information der polnischen Regierung, in Polen selbst nicht bekannt ist, frage ich, ob es zu diesem Punkt etwas Neues gibt.
Herr Abgeordneter, wir prüfen im Augenblick die Frage, wie weit der Bekanntheitsgrad der Information inzwischen gediehen ist und wie korrekt sie dort bekannt ist. Uns sind Nachrichten darüber zugegangen, daß jetzt zum erstenmal auch in Polen selbst eine Veröffentlichung erfolgt sei. Aber ich kann es Ihnen jetzt nicht mit Datumsangabe bestätigen. Es handelt sich nach unseren Nachrichten um eine Wochenzeitung, die in einer Auflage von 80 000 erscheint.
Ich rufe die Frage 102 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Hat die Bundesregierung in der jüngsten Zeit Anlaß gehabt, unseren amerikanischen Verbündeten deutlich zu machen, daß die Ansicht, der Unterschied zur sowjetischen Jntervention in der CSSR bestehe unter dem Gesichtspunkt der Machterhaltung der Führungsmächte doch nur darin, daß bei uns die alliierten Truppen da sind, während sie bei der CSSR erst einmarschieren mußten, nicht mit ihrer Auffassung von der notwendigen Anwesenheit amerikanischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmt?
Herr Abgeordneter, ich beantworte die Frage wie folgt. Der Bundesminister des Auswärtigen hat nach Rücksprache mit dem Herrn Bundeskanzler am 3. März 1971 folgende Erklärung abgegeben ich zitiere —:
Die Zugehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland zum westlichen Verteidigungsbündnis beruht auf ihrem freien Entschluß. Die Präsenz verbündeter Truppen auf unserem Territorium garantiert zusammen mit unseren eigenen Verteidigungsanstrengungen unsere Sicherheit und damit unsere freiheitlich-demokratische Lebensform. Eine andere Deutung der Anwesenheit verbündeter Truppen in der Bundesrepublik ist abwegig. Unsere Zugehörigkeit zum Bündnis ist die Grundlage unserer Außenpolitik. Nur im Zusammenwirken mit unseren Bündnispartnern kann die Bundesrepublik zur Entspannung beitragen, die sich alle Partner zum Ziel gesetzt haben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich komme auf den ersten Teil meiner Frage zurück. Hat also die Bundesregierung zu dieser von Ihnen eben vorgetragenen Erklärung etwa dadurch Anlaß gehabt, daß in dem Wahlkampf in Schleswig-Holstein von dem dortigen Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt in einer für meine Begriffe ganz unglaublichen Weise die Anwesenheit der amerikanischen Truppen und der Truppen der anderen Verbündeten herabgesetzt worden ist?
Herr Abgeordneter, aus der Mitteilung des Datums, die ich hier gemacht habe, geht hervor, daß es einen aktuellen Grund für diese Erklärung gegeben hat. Sie haben eben auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Ich betone noch einmal, daß diese Erklärung, die der Bundesminister abgegeben hat, zeitlich nach dem Interview liegt, das Sie eben angezogen haben. Ich darf aber auch darauf hinweisen, daß im Einvernehmen mit dem Interview-Partner das Präsidium der Sozialdemokratischen Partei eine klärende Stellungnahme abgegeben hat, in ähnlichem Sinne, wie das in der von mir zitierten Erklärung des Bundesministers geschehen ist, und zwar mit Zustimmung des Betroffenen.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß Äußerungen dieser Art, die dann durch amtliche Stellungnahmen der Bundesregierung abgedeckt und korrigiert werden müssen, in den angesprochenen Ländern und deren Bevölkerung den Eindruck entstehen lassen müssen, daß in diesem Lande eine gewisse antiamerikanische Kampagne bis in die Spit-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6303
Dr. Marx
zen und zu denjenigen gedrungen ist, die nach höchsten Ämtern streben?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nicht zustimmen, wenn Sie glauben, daß hier eine antiamerikanische Kampagne stattfinde oder von dieser Seite ausgehe. Der Wortlaut des Interviews und der Wortlaut des ganzen Vorgangs zeigt, daß es sich in der Tat um eine mißverständliche Äußerung handelt, daß aber jedenfalls keine antiamerikanische Spitze beabsichtigt gewesen sein kann. Das geht auch aus der anderen von mir zitierten Erklärung hervor. Ich halte es nicht für zuträglich, wenn in diesem Hause Äußerungen von Personen, die nicht dem Hause angehören, zum Anlaß genommen werden, um etwa zwischen den Bündnispartnern Schwierigkeiten zu machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit dem schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden der FDP, Herrn Ronneburger, und mir der Meinung, daß das Steffen-Interview verkürzt und verfälscht dargestellt worden ist und deswegen diese öffentliche Wirkung erzeugt hat?
Herr Abgeordneter, ich habe hier über Kürzungen und Änderungen keine Erklärungen abzugeben. Das Interview steht hier nicht zur Debatte. Es ging vielmehr um eine Frage des Abgeordneten Marx, in der nicht auf das Interview Bezug genommen war. Da ich selbst Journalist bin, weiß ich selbstverständlich, wie manchmal Nachrichten zustande kommen.
Zusatzfrage, Dr. Aigner.
Herr Staatssekretär, können Sie sich wenigstens zu der Äußerung durchringen, daß solche Äußerungen, ganz gleich in welcher Form sie getan wurden, auf jeden Fall schädlich für das Verhältnis zu unseren Bündnispartnern sind?
Herr Abgeordneter, ich kann mich zu der Äußerung durchringen, daß es eine Menge Äußerungen in Wahlkämpfen gibt, die etwa auch im „Bayern-Kurier" stehen, die dem Bündnis nicht zuträglich sind.
Es ist kein Privileg einer ganz bestimmten Gruppe, in Deutschland solche Äußerungen zu machen.
Meine Damen und Herren, Fragen, die sich ausschließlich darauf beziehen, wie die Regierung ein Verhalten bewertet, sind nicht zulässig. Ich lasse solche Fragen nicht mehr zu.
Bitte, Ihre Frage!
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich zu der Äußerung durchringen, daß mit dieser vielfach inkriminierten Äußerung eines bekannten schleswig-holsteinischen SPD-Politikers zugleich auch eine der unangenehmsten und weitreichendsten Diffamierungskampagnen gegen einen SPD-Politiker stattgefunden hat?
Herr Abgeordneter, ich habe nicht die Absicht, hier irgendwelche Bewertungen in irgendeiner Richtung — —
Herr Staatssekretär, diese Frage ist nicht zulässig. Sie brauchen sie nicht zu beantworten.
Herr Abgeordneter Czaja!
Herr Staatssekretär, können Sie sich jetzt in dieser Frage zur Beantwortung der Frage durchringen, daß diese Äußerung, nach der Herr Dr. Marx gefragt hat und die in der Fragestunde zur Debatte steht und nicht andere Wahlkampfäußerungen, schädlich ist?
Ich verstehe den Sinn der Frage nicht. Ich habe niemals behauptet, daß die Frage, die Herr Dr. Marx gestellt hat, schädlich sei, sondern daß es sich um eine Frage handelte, die berechtigt ist.
Herr Abgeordneter Czaja, ich habe soeben gesagt — —
Nein, Herr Abgeordneter, — —
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6304 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Herr Staatssekretär, Sie brauchen die Frage nicht zu beantworten, sie ist unzulässig.
Frage 103 des Abgeordneten Dr. Marx:
Teilt die Bundesregierung die Überzeugung, daß realiter unter den Bedingungen des Deutschlandvertrags bisher eine Politik der Friedenssicherung und Bewahrung der freiheitlichen Demokratie betrieben worden sei und nicht nur das gegeben sei, was moderner Faschismus genannt werden kann?
In der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP, Drucksache VI/1728, hat die Bundesregierung am 26. Januar 1971 folgendes erklärt:
Die Atlantische Allianz beruht auf der Gemeinsamkeit der Sicherheitsinteressen ihrer Mitglieder. Ständiges und gemeinsames Bemühen der Mitglieder der Allianz um die Aufrechterhaltung ihrer Verteidigungsfähigkeit sind notwendig, um die Sicherheit zu gewährleisten. Ein stabiles politisches und militärisches Kräfteverhältnis in Europa ist gleichzeitig Voraussetzung einer erfolgversprechenden Politik der Verständigung und Entspannung in Europa.
Diese Auffassung der Bundesregierung ist den Vereinigten Staaten und den übrigen NATO-Partnern bekannt. Es gibt keinen Anlaß zu der Annahme, daß 1 bei unseren Verbündeten irgendwelche Zweifel an dieser eindeutigen Haltung der Bundesregierung bestehen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich den Zusammenhang zwischen Ihrer Antwort und meiner Frage wirklich nicht verstehe, muß ich versuchen, ihn durch eine Zusatzfrage zu erhellen. Ich habe gefragt, ob die Bundesregierung die Überzeugung teilt, daß — und hier sind die Anführungszeichen weggelassen realiter unter den Bedingungen des Deutschland-Vertrags bisher eine andere Politik betrieben worden ist als die — jetzt gehe ich auf den Autor dieser Sache ein —, von der Herr Steffen gesprochen hat, nämlich daß es sich hierbei um einen „modernen Faschismus" handle. Teilen Sie diese Überzeugung von Herrn Steffen?
Herr Abgeordneter, ich habe den Standpunkt der Bundesregierung in dieser Sache mitgeteilt.
Es kann nicht meine Aufgabe sein, zu einer Angelegenheit, von der Sie jetzt in Ihrer Zusatzfrage gesprochen haben
und von der in der Frage keine Rede war, Stellung zu nehmen oder über Dritte irgendwelche Bewertungen abzugeben. Zu diesem Zweck müßten wir gemeinsam die Dokumente prüfen. Ich habe hier den Standpunkt der Bundesregierung mitzuteilen; den habe ich Ihnen mitgeteilt. Dieser Standpunkt der Bundesregierung wird durch niemanden relativiert.
Noch eine Zusatzfrage, Ihre letzte.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie dann zumindest mit mir in der Überzeugung überein, daß man sich bei der Bewertung der Möglichkeiten und Notwendigkeiten unserer Politik auf der Grundlage des Deutschland-Vertrags Begriffe wie „Faschismus" oder „Kommunismus"
oder „Radikalismus"
nur dann bedienen sollte, wenn man auch über die Möglichkeit verfügt, Beweise beizubringen?
Herr Abgeordneter, wir sind in dieser Frage sicherlich nicht verschiedener Meinung. Ich stimme mit Ihnen völlig darin überein, daß Politiker Begriffe vorsichtig und abgewogen gebrauchen sollten.
Aber ich möchte hinzufügen, daß das für alle politisch Tätigen gilt, soweit sie sich als Demokraten bezeichnen, und daß mich Vokabeln, die ich von anderer Seite in diesem Zusammenhang höre, sehr unangenehm an bestimmte Vokabeln antidemokratischer Kräfte in der Weimarer Republik erinnern.
Die Frage ist beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Frage 21 des Abgeordneten Dr. Aigner:
Hält die Bundesregierung die aus Gründen der Geldwertstabilisierung notwendigen Restriktionsmaßnahmen der Deutschen Bundesbank hohe Zinsen, hohe Mindestreserven) für wettbewerbsneutral gegenüber den einzelnen Bankgruppen?
Herr Kollege Aigner, sind Sie damit einverstanden, daß ich Ihre beiden Fragen gemeinsam beantworte?
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Dann rufe ich noch die Frage 22 des Abgeordneten Dr. Aigner auf:
Begünstigen die relativ hohen Devisenzuflüsse nicht einzelne Bankgruppen mehr als andere, und ist die Bundesregierung nicht der Ansicht, daß hier ein Liquiditätsausgleich innerhalb der Bankwirtschaft hergestellt werden müßte?
Grundsätzlich kann die Bundesbank aus konjunkturpolitischen und gesetzlichen Gründen nur global handeln. Ich gebe zu, daß in der ersten Phase Bankengruppen mit internationalen Verflechtungen und Großkunden gewisse Vorteile haben. Auf der anderen Seite findet aber in der zweiten Phase auch ein Ausgleich über den allgemeinen Geldmarkt statt.
Dei beiden Fragen sind beantwortet. Haben Sie Zusatzfragen?
Herr Präsident, die zweite Frage ist nicht beantwortet.
Doch, Herr Kollege! Sie haben gefragt, ob die relativ hohen Devisenzuflüsse einzelne Bankengruppen begünstigten. Ich habe zugegeben, daß das in der ersten Phase der Fall ist, nämlich bei Banken mit internationalen Verflechtungen bzw. über Großkunden. Ich habe aber hinzugefügt, daß sich das in der zweiten Phase ausgleicht.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß bei dem zweiten Verteilungsvorgang zumindest der Rahm von den Großbanken bereits abgeschöpft ist?
Ich habe Ihre Frage akustisch nicht ganz verstanden.
Sind Sie nicht der Meinung, daß bei der volkswirtschaftlichen Verteilung dieser Kreditmittel zumindest der Rahm von den Großbanken bereits abgeschöpft ist?
Herr Kollege Aigner, die Bundesbank hat darauf hingewiesen, daß andererseits gerade die übrigen Banken in der letzten Zeit eine sehr viel größere Kreditexpansion gehabt haben.
Zusatzfrage, Ihre letzte.
Herr Staatssekretär, ist nicht zu befürchten, daß die anderen mittelständischen Kreditinstitute, die nicht im Exportgeschäft
stehen, wegen des großen Umfangs des Auslandsgeschäfts der Großbanken ihren Kunden schlechtere Kreditkonditionen anbieten müssen, weil sie einfach nicht wettbewerbsfähig sind?
Herr Abgeordneter, ich glaube, Ihr Urteil ist hier etwas überzogen. Ich habe Ihnen ja zugegeben, daß die Großbanken einen gewissen initialen Vorteil haben.
Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen?
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Es sind zwei Fragen im Zusammenhang.
Ich weiß, Sie haben aber schon drei gehabt.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung von sich aus zur Sicherung des Geldwertes zu tun, damit die Bundesbank in die Lage versetzt wird, ihre fast ausschließlich zu Lasten des gewerblichen Mittelstandes gehende restriktive Kreditpolitik aufzulockern? Denn das steht ja hier unmittelbar miteinander in Verbindung.
Ihre heroische Stabilitätspolitik nach allen Seiten fortzuführen, Herr Abgeordneter.
Wird noch eine Zusatzfrage gestellt? Die Frage ist beantwortet.
Frage 23 des Herrn Abgeordneten Meister:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche Gesamtsumme sich errechnen läßt, die die DDR daraus zieht, daß sie als SBZ des ehemaligen Deutschen Reichs die Vorteile der EWG genießt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat bereits in der Pressemitteilung des BMW vom 1. Juli 1970 erklärt, daß die von mehreren privaten Seiten vorgenommenen Schätzungen über die mutmaßlichen Vorteile der DDR im innerdeutschen Handel hypothetischen Charakter haben. Die Schätzungen haben das auch nicht verschwiegen, sondern auf analytischen Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens ausdrücklich hingewiesen.
Eine Zusatzfrage.
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6306 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Herr Staatssekretär, welche Vorstellungen hat die Bundesregierung in dieser Frage, wenn gegebenenfalls die deutschen Ostverträge zum Tragen kommen? Werden sich da erhebliche Änderungen ergeben?
Herr Kollege, wenn die deutschen Ostverträge zur Geltung kommen, wird sich an der Stellung der DDR mit den Vorteilen innerhalb der EG dadurch nichts ändern.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, in dieser ohne Zweifel schwierigen Frage einmal mit den zuständigen Gremien der Europäischen Gemeinschaften diese Dinge zu erörtern und mir dann die Auffassung dieser Gemeinschaften mitzuteilen?
Herr Kollege, die Kommission der Europäischen Gemeinschaft ist. bereits gefragt worden — und zwar von dem Holländer Vredeling — und hat eine sehr positive Antwort, die durchaus meiner hier gegebenen entspricht, gegeben.
Die Frage ist beantwortet.
Die Fragen 24 und 25 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 26 des Herrn Abgeordneten Zander:
Ist es gewährleistet, daß das Bundeskartellamt gegen Formen der Kartellbildung ohne schriftliche Absprachen — auch nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs im „Teerfarbenfall" wirksam einschreiten kann?
Herr Kollege Zander, bereits der derzeitige § 1 ist nicht auf schriftliche Kartellverträge beschränkt; auch mündliche oder stillschweigende Abkommen können Verträge sein. Ich gebe Ihnen natürlich zu, daß diese schwer zu beweisen sind.
Frage 27 des Herrn Abgeordneten Zander:
Welche Konsequenzen will die Bundesregierung aus dem o. a. Urteil des Bundesgerichtshofs hinsichtlich der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ziehen?
Herr Kollege, während der parlamentarischen Behandlung der Novelle wird sicher auch die Frage einer Erweiterung des Kartellverbots des § 1 nochmals eine Rolle spielen. In jedem Falle ist auch eine Verbesserung der Eingriffsbefugnis gegen abgestimmtes Verhalten durch eine Verschärfung des § 22 gegeben, nämlich durch die Mißbrauchsaufsicht gegenüber Oligopolen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Rechtslage, die nach diesem Urteil in der Bundesrepublik entstanden ist, im Verhältnis zum Art. 85 des EG-Vertrages, in dem bereits abgestimmte Verhaltensweisen für unzulässig erklärt werden?
Herr Kollege, das Urteil als solches steht nicht im Gegensatz zum Art. 85, da es sich ja hier um innerdeutsche Belange handelt. Der Sachverhalt allerdings, der in dem Urteil angegriffen ist, ist gegen den Artikel gerichtet und bereits Basis eines Bußgeldverfahrens.
Die Frage ist beantwortet.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Vogt auf:
Teilt die Bundesregierung die in der Öffentlichkeit vielfach geäußerte Ansicht, daß auf Grund des sogenannten TeerfarbenUrteils künftig das Kartellamt einen wesentlichen Teil seines gesetzlichen Auftrags, den Wettbewerb durch Verhinderung von Kartellabsprachen zu schützen, nicht mehr erfüllen kann, wenn nicht durch Aufnahme der abgestimmten Verhaltensweise in den § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom Gesetzgeber die Rechte des Kartellamts verbessert werden?
Herr Kollege Vogt, im Rahmen der Gesetzgebung von 1957 ist das Kartellamt auch heute noch einsatzfähig; denn die abgestimmte Verhaltensweise, von der Sie sprechen, war vom damaligen Gesetzgeber nicht beabsichtigt oder nicht gesehen worden. Aus heutiger Sicht ist das abgestimmte Verhalten natürlich keine heilige Kuh. Ich habe bereits dem Kollegen Zander gesagt, daß es noch offen ist, ob im Rahmen der Behandlung dieser Kartellgesetznovelle im Parlament diese Frage noch einmal hochkommt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bei der Novellierung des Gesetzes gegen wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen den § 1 so neu formuliert vorschlagen, daß abgestimmte Verhaltensweisen zukünftig unter die Aufsicht des Bundeskartellamts fallen?
Herr Kollege Vogt, diese von Ihnen angeschnittene Frage ist in der Diskussion zwischen den Experten der Fraktionen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Bundeskartellamt in einer Presseinformation die Befürchtung geäußert hat, daß das Amt nach dem Teerfarben-Urteil einen wesentlichen Teil seines Auftrages nicht mehr erfüllen kann?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6307
Herr Kollege, das ist mir bekannt. Ich habe in der vorigen Antwort aber schon gesagt: im Rahmen der Gesetzgebung von 1957 hat sich nichts geändert. Es ist den Kollegen hier im Parlament unbenommen — es ist sogar erwünscht --, in den Beratungen über die Kartellgesetznovelle dafür Sorge zu tragen, daß aus diesem Wachhund des Wettbewerbs kein zahnloser Zerberus wird.
Sie haben keine Frage mehr.
Frage 29 des Abgeordneten Vogt:
Sieht die Bundesregierung auf Grund des sogenannten Teerfarben-Urteils in der Novellierung des § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein dringendes wettbewerbspolitisches Anliegen, oder denkt sie daran, durch Änderung anderer Paragraphen des genannten Gesetzes Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, ich habe diese Frage durch einen Hinweis auf die Verstärkung des § 22 — Mißbrauchsaufsicht — ausführlich beantwortet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich
noch einmal auf die Wertung des Teerfarben-Urteils durch das Bundeskartellamt zurückkommen. Kann ich Ihren Antworten entnehmen, daß in dieser wettbewerbspolitischen Wertung des Teerfarben-Urteils Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundeskartellamt bestehen?
Herr Kollege Vogt, ich möchte sagen, in der Auswertung des Teerfarben-Urteils bestehen gewisse Unterschiede bei allen an der Arbeit der Fusionskontrolle Beteiligten. Ich habe versucht, auf einige dieser Unterschiede hinzuweisen. Ich muß von den Fragen ausgehen: Wie ist das Gesetz, wie sollte es sein, und wie kann man es ändern?
Die Frage ist beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, zuerst die Frage 37 des Abgeordneten Dr. Geßner. — Ist der Abgeordnete im Saal? — Nein. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Geßner.
Fragen 39, 40 und 41. — Die Fragesteller haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 42 des Abgeordneten Dr. Hauff. — Ist der Abgeordnete im Saal? — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 43 und 44 sind vom Fragesteller zurückgezogen.
Frage 45 des Abgeordneten Varelmann:
Wieviel Millionen DM betragen im Jahr die Belastungen, die der Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung sowie der Bundesanstalt für Arbeit aus dem Straßenverkehr erwachsen?
Herr Kollege Varelmann, die Aufwendungen, die den Unfall-, Kranken- und Rentenversicherungen sowie der Bundesanstalt für Arbeit durch Unfälle im Straßenverkehr entstehen, werden nicht getrennt erfaßt. Lediglich für die gesetzliche Unfallversicherung können überschlägig Zahlen geschätzt werden. Auf Grund einer besonderen Erhebung machte 1969 bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften die Zahl der erstmals entschädigten Wege- und Dienstwegeunfälle rund 25 v. H. der Gesamtzahl der erstmals entschädigten Arbeitsunfälle aus. Unterstellt man, allerdings mit allem Vorbehalt, daß dieser Anteil auch für die übrigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gilt, und wendet man ihn auf die Ausgaben an, so ergibt sich für die gesetzliche Unfallversicherung im ganzen ein Aufwand von 1,3 Milliarden DM jährlich für Wege- und Dienstwegeunfälle. Für Schätzungen in anderen Bereichen liegen keine Anhaltspunkte vor.
Im übrigen hat der Gesetzgeber durch § 1542 RVO Vorsorge getroffen, daß die Versicherungsträger durch den Übergang von Schadensersatzansprüchen gegen Dritte, die bei Straßenverkehrsunfällen verhältnismäßig häufig sein dürften, entlastet werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihren Ausführungen ist zu entnehmen, daß der Straßenverkehr riesengroße Lasten für die Sozialversicherung mit sich bringt. Wäre es deshalb nicht angebracht, daß die Stelle, die diese Lasten auslöst, über den Weg der Steuer zur Deckung dieser Lasten mit herangezogen würde?
Herr Kollege, ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Versicherungsträger nach geltendem Recht bei Unfällen vielfach, Schadensersatzansprüche gegen Dritte geltend machen können. Im übrigen geht Ihre Frage nach der Erstattung der Aufwendungen aus Steuermitteln — wenn ich das sagen darf — über den Rahmen der ursprünglichen Frage hinaus. Ich habe den Eindruck, Herr Kollege, daß Sie an eine Art Sondersteuer denken, die erhoben werden sollte, um Aufwendungen finanziell abzudecken, die insbesondere der Sozialversicherung durch Straßenverkehrsunfälle entstehen.
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6308 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Noch eine Zusatzfrage.
In der kaiserlichen und in der Weimarer Zeit deckte der Verkehr aus den Überschüssen der Eisenbahn etwa 10 % des Haushalts. Das wären nach heutigem Volumen etwa 10 Milliarden DM. Statt dessen belastet der Verkehr heute den Bundeshaushalt, ohne allgemeine Aufwendungen abzudecken. Ist das nicht zur Zeit ein ungesundes Verhältnis? Sollte man nicht prüfen, ob das erheblich gewachsene Verkehrsvolumen wie in früheren Jahren zum Bundeshaushalt beitragen kann?
Herr Kollege, das ist eine verkehrspolitische Frage, die wir hier im Zusammenhang der Auswirkungen auf die Sozialversicherung schwerlich im einzelnen erörtern können.
Keine Zusatzfrage mehr? Dann ist die Frage beantwortet.
Die Frage 36 des Abgeordneten Berberich wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Jenninger auf:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß Studierende an höheren Fachschulen bzw. Fachhochschulen nach der Auslegung des § 12 Abs. 4 Nr. 3 des Wehrpflichtgesetzes während des ersten Drittels ihrer Studienzeit zum Wehrdienst herangezogen werden können — somit aus dem angefangenen Studium herausgerissen werden — und daß damit begehrte Studienplätze unbesetzt bleiben?
Herr Berkhan!
Herr Präsident, Herr Kollege, gestatten Sie mir bitte, Ihre beiden Fragen zusammen zu beantworten.
Wenn Sie einverstanden sind, bitte! Dann rufe ich auch die Frage 47 auf:
Erwägt die Bundesregierung eine Änderung des § 12 des Wehrpflichtgssetzes dergestalt, daß wehrpflichtige Ingenieurstudenten bzw. Studenten an höheren Fachschulen und Fachhochschulen bis zur Beendigung ihres Studiums vom Wehrdienst zurückgestellt werden?
Die Einberufung von Studierenden an höheren Fachschulen — künftig Fachhochschulen — vor weitgehender Förderung des Studiums entspricht den Bemühungen der Bundesregierung, ein Maximum an Gerechtigkeit durch Gleichbehandlung aller Wehrpflichtigen zu erreichen. Studenten der Ingenieurschulen und künftigen Fachhochschulen können nicht bessergestellt werden als alle übrigen Studenten, d. h. eine Zurückstellung für das Studium ist erst möglich, wenn mindestens ein Drittel der erforderlichen Studienzeit
zurückgelegt ist. Das hat auch die höchstrichterliche Rechtsprechung bindend festgelegt. Die Bundesregierung beabsichtigt deshalb keine entsprechende Änderung der Zurückstellungsvorschrift des Wehrpflichtgesetzes, die zudem ihrer im Weißbuch 1970 verkündeten Absicht zuwiderliefe, die Zurückstellungstatbestände des Wehrpflichtgesetzes einzuengen.
Wenn durch die Einberufung von Ingenieurstudenten Studienplätze unbesetzt bleiben, so fällt das nicht in die Verantwortung der Bundesregierung.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen eine kritische Äußerung aus dem Kultusministerium in Hessen bekannt, nach der beispielsweise allein im Raum Hessen dadurch, daß mehr als 100 wehrpflichtige erstsemestrige Ingenieurschulstudenten jetzt zum Wehrdienst eingezogen werden, etwa 100 Studienplätze für diese Studenten nicht benützt werden können?
Herr Dr. Jen-niger, ich habe so etwa in einer Zeitung gelesen, wenn ich mich richtig erinnere. Aber das hessische Kultusministerium oder die entsprechenden Behörden sind nicht an uns herangetreten. Ganz davon abgesehen, konnte man voraussehen, daß diese jungen Männer zum Wehrdienst einberufen werden. Wenn sie dennoch für das Studium angenommen wurden und wenn sie selbst das Studium aufgenommen haben, geht das zu einem Teil auch zu ihren eigenen Lasten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn tatsächlich Studienplätze frei blieben, würde das nicht auch ein gewisses öffentliches Interesse berühren, und müßte dann nicht eine andere Regelung gefunden werden? Wären Sie bereit, mir darin zuzustimmen?
Herr Kollege Dr. Jenninger, ich würde Ihnen zustimmen. Sie wissen ja, daß das Verteidigungsministerium, bevor das höchstrichterliche Urteil vorlag, Ingenieurschulstudenten bis zum Abschluß des Studiums zurückgestellt hat. Aber auch das Ministerium ist an Recht und Gesetz und an rechtskräftige Urteile gebunden. Wir können nicht tun, was wir wollen oder was wir für richtig halten, sondern in diesem Staat gibt es Gesetze und Auslegungen von Gesetzen.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Horn auf:Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, von der Bundeswehr im Rahmen der Ausbildung sinnvolle Arbeiten für Gemeinden und andere öffentliche Einrichtungen, z. B. Planierarbeiten bei der Errichtung von Sportstätten, beim Wegebau, bei Abbrucharbeiten, Sprengungen von Brücken usw., durchführen zu lassen?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6309
Dürfte ich die Fragen 48 und 49 beantworten?
Bitte. Ich rufe also noch die Frage 49 des Abgeordneten Horn auf:
Besteht die Möglichkeit, in besonders dringenden Fällen Hubschrauber der Bundeswehr zum Transport von Verletzten bei Verkehrsunfällen oder anderen Katastrophenfällen einzusetzen?
Die von Ihnen genannten Tätigkeiten gehören nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Bundeswehr. Im Interesse der Ausbildung übernimmt die Bundeswehr jedoch hin und wieder solche Arbeiten. Allerdings kann sie bei der Übernahme von Arbeiten auf wirtschaftlichem Gebiet nicht als Konkurrenz zu Betrieben oder Unternehmen der Privatwirtschaft auftreten. Sie wird daher nur dann tätig, wenn die zuständige Handwerkskammer oder Industrie- und Handelskammer gegen die Durchführung solcher Arbeiten durch die Truppe keine Bedenken geltend macht und die Arbeiten die Ausbildung in der betreffenden Einheit wesentlich fördern. Bei dieser Sachlage ist der Rahmen eng begrenzt, in dem die Bundeswehr für Gemeinden, Körperschaften und andere öffentliche Einrichtungen Arbeiten auf wirtschaftlichem Gebiet unternehmen kann.
Auch die Durchführung von Verletztentransporten gehört nicht zu den der Bundeswehr gesetzlich übertragenen Aufgaben, Die Bundeswehr leistet aber stets Hilfe, wenn die Lage es erfordert.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die Übernahme solcher Arbeiten für die Ausbildungsmöglichkeiten der Bundeswehr effektiver wäre, weil es sich nicht um fiktive Arbeitsformen im Rahmen der Ausbildung handelt, sondern um unmittelbare und echte Arbeiten, und weil zugleich auch die Gemeinden und die öffentliche Hand Einsparungen erzielen könnten und damit außerdem ein Beitrag zu einer echten Integration von Bundeswehr und Gesellschaft geleistet würde?
Herr Kollege, zu dem letzten Teil Ihrer Frage kann ich ja sagen. Aber bei dem vorletzten Teil übersehen Sie, daß diese Leistungen, die durch die Bundeswehr erbracht werden, bezahlt werden müssen, Darüber hinaus mache ich Sie auf den ersten Teil meiner Antwort zu der Hauptfrage, die Sie gestellt haben, aufmerksam.
Eine Zusatzfrage, Herr Josten.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, zur Beseitigung von Westwallbunkern bzw. ehemaligen Befestigungen des Westwalls z. B. Pioniereinheiten
einzusetzen, da durch diese Arbeiten ja keine Konkurrenz gegenüber anderen Unternehmern entstehen würde, weil solche Arbeiten gar nicht ausgeschrieben bzw. frei vergeben werden?
Herr Kollege Josten, ich glaube, Sie unterliegen einem Irrtum. Auch wenn die Arbeiten nicht vergeben werden, sind es Arbeiten, die vergeben werden könnten. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung der zuständigen Kammer muß also erbracht werden. Darüber hinaus müssen diejenigen, auf deren Gelände der Bunker liegt, die Kosten für die Beseitigung aufbringen. Diese Kosten sind gewaltig.
Keine Zusatzfragen mehr.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Jung auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Marineoffiziere, welche z. B. den OL-1-Lehrgang absolviert haben und mehrere Jahre als Kommandanten auf Booten der Bundesmarine eingesetzt waren, für ihre bei der Bundesmarine erworbenen Patente im zivilen Bereich lediglich den Matrosenschein erhalten, und wird die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, um die gegenseitige Anerkennung von militärischen bzw. zivilen Berechtigungen in den Bereichen beschleunigt herbeizuführen, die der direkten Bundeskompetenz unterstehen?
Herr Kollege Jung, die Bundesregierung hat die Frage, ob und in welchem Umfang der Offizierlehrgang 1 auf das für die nautischen Laufbahnen gesetzlich vorgeschriebene Studium angerechnet bzw. als Prüfungszeugnis anerkannt wird, in Verbindung mit den Seefahrtschulen und Verbänden sehr eingehend geprüft. Ebenso wurde geprüft, inwieweit eine Borddienstzeit im Brückendienst und als Wachoffizier bzw. Kommandant die für den Erwerb von nautischen Patenten vorgeschriebene Seefahrtzeit ersetzen kann. Die Bundesregierung hat dabei festgestellt, daß insbesondere die für die Handelsschifffahrt eigentümlichen Fachgebiete — wie Ladungsdienst, Seemannschaft, Schiffahrtsrecht, Sanitätsdienst und Schiffsbetriebsführung sowie die astronomische Navigation — im Offizierlehrgang 1 nicht bzw. nicht im notwendigen Umfang der Ausbildung im zivilen Bereich entsprechen. Somit ist für den Erwerb des Patentes A 5 — jetzt: Nautischer Schiffsoffizier auf Großer Fahrt — eine zusätzliche Ausbildung notwendig.Die Seefahrtschulen sind grundsätzlich bereit, eigene Sonderlehrgänge für Marineoffiziere oder ehemalige Marineoffiziere einzurichten und Teilprüfungen vorzunehmen. Da in den zurückliegenden Jahren das Interesse dieses Personenkreises, ein Zivilpatent zu erwerben, sehr gering war, ist es bisher nicht zur Einrichtung derartiger Sonderlehrgänge gekommen.Unabhängig davon prüft der Bundesminister für Verkehr zur Zeit, in welchem Umfang nach dem Inkrafttreten der neuen Schiffsbesetzungs- und Ausbildungsordnung die Offiziersausbildung in der Marine auf die zivile Ausbildung angerechnet werden kann und wie die erforderlichen zusätzlichen Ausbildungen zu gestalten sind.
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6310 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Parlamentarischer Staatssekretär BerkhanIch darf Sie, Herr Kollege Jung, aber darauf hinweisen, daß Marineoffiziere, die mindestens zwei Jahre im Brückendienst verwendet wurden, auf Antrag die Sondergenehmigung für einen Einsatz als 3. Offizier auf Handelsschiffen für Studienreisen zum Zwecke ihrer weiteren Ausbildung erhalten. Von dieser Regelung wurde in den zurückliegenden Jahren häufig Gebrauch gemacht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung erwogen, vorzusehen, daß im Rahmen des künftigen Bildungs- und Ausbildungskonzeptes die zusätzlich erforderlichen Ausbildungen für die Handelsmarine bei der Offiziersausbildung gleich mit erfolgen, so daß die uneingeschränkte Anerkennung beim Überwechseln in den zivilen Beruf möglich wäre?
Herr Kollege Jung, Sie wissen genauso wie ich, daß noch nicht einmal das endgültige Gutachten der Kommission vorliegt. Vorerst gibt es ein Rahmengutachten als „Kladde", wie es der Minister in der Diskussion im Verteidigungsausschuß bezeichnete. Sie können also von mir unmöglich erwarten, daß ich sage, was nun alles einbezogen wird, wenn die Ausbildung von Soldaten endgültig geregelt wird.
Jedenfalls werden wir der nautischen Ausbildung unserer Marineoffiziere einen Rang geben, der dieser Aufgabe entspricht.
Die Fragestunde ist beendet.
Ich rufe nunmehr, ehe wir nach der gedruckten Tagesordnung verhandeln, die Zusatzpunkte zur Tagesordnung auf, die auf die heutige Tagesordnung gesetzt worden sind:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Wagner , Dr. Schmitt-Vockenhausen, Mertes und der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes
— Drucksache VI/1935 —
Die Fraktionen haben vereinbart, in erster Lesung die Verweisung ohne Debatte vorzunehmen. Vorgeschlagen sind der Innenausschuß als federführender und der Haushaltsausschuß als mitberatender Ausschuß und gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Ist das Haus mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit kommen wir zum zweiten Zusatzpunkt:
Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Einsatz der Abstimmungsanlage
— Drucksache VI/ 1948 —
Auch hier haben die Fraktionen darum gebeten, die Überweisung ohne Aussprache vorzunehmen. Als zuständig wird der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 15 der gedruckten Tagesordnung auf:
Beratung des von der Bundesregierung beschlossenen Gesundheitsberichts
— Drucksache VI/ 1663 —
Das Wort hat Frau Minister Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesundheitsbericht findet ohne Zweifel das besondere Interesse der Öffentlichkeit. Immer noch und immer wieder erkennen die Menschen, daß ihre Gesundheit im Grunde eine der entscheidenden Voraussetzungen für ein glückliches und erfülltes Leben ist. Aber jedermann weiß auch, daß die Erhaltung der Gesundheit bzw. die Wiederherstellung der Gesundheit heute nicht allein von ihm selbst abhängt, und fordert deshalb zu Recht, daß von den dafür Verantwortlichen das Mögliche und das Notwendige getan wird, um die Gesundheit aller zu schützen, um die kranken Menschen zu pflegen und zu heilen. Einiges kann hier die Gemeinschaft und zwar mit großen Anstrengungen — sichern, anderes müssen aber die Menschen selber tun.Die Bundesregierung informiert in diesem Bericht darüber. Ich meine, wir zeigen deutlich und eindringlich, daß zwar in dieser hochindustrialisierten Gesellschaft für die Gesundheit der Menschen viele und nicht kleine — Gefahren bestehen, daß aber auch die Chancen für die Erhaltung der Gesundheit und für die Wiedergewinnung der Gesundheit im Krankheitsfall noch nie so groß gewesen sind wie jetzt.Der Bericht enthält nicht nur in dem so überschriebenen dritten Abschnitt eine relativ ausführliche Bestandsaufnahme. Schon die Tatsache, daß erstmalig ein solcher Bericht vorgelegt wird, hat es erforderlich gemacht, weit auszuholen. Erst ein umfassender Überblick, so meinen wir, über die Gegebenheiten ermöglicht es, zukünftige Erfordernisse zu erkennen und zu planen. Diese Bestandsaufnahme, meine Damen und Herren, legt auch ganz schonungslos Lücken in unserem Gesundheitswesen offen dar und zeigt Mängel auf, die uns seit langem beschäftigen.Fast alle Maßnahmen auf dem Gebiete des Gesundheitswesens erfordern gewiß Geld. Dennoch ersparen vorbeugender Gesundheitsschutz und Gesundheitsvorsorge eben auch viel Geld, und zwar sowohl dem einzelnen wie auch der Volkswirtschaft. Aber das größte, wahrscheinlich sogar das zentrale Problem ist, daß die Hilfe und Heilung für kranke und behinderte Menschen den Dienst vieler Menschen erfordern, die sich dieser Aufgaben annehmen. Dafür gibt es keine einfachen Lösungen. Die-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6311
Bundesminister Frau Strobelsem Problem des Gesundheitswesens muß unsere größte Sorge gelten.Der Bericht macht deutlich, wie weitgespannt der Aufgabenkreis Gesundheitspolitik heute und morgen ist, wie differenziert aber auch diese gesellschaftspolitische Aufgabe gesehen werden muß, wenn wir den notwendigen und unerläßlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft leisten wollen. Schon deshalb ist die Gesundheitspolitik heute eine eigenständige politische Aufgabe geworden. Diese Aufgabe ist indes so groß, so umfangreich und so vielfältig, auch so verantwortungsvoll, daß sie nur als gemeinsame Aufgabe aller erfolgreich realisiert werden kann. Nur wenn Bund, Länder und Gemeinden dazu ihre Arbeit aufeinander abstimmen und miteinander zusammenarbeiten und nur wenn die Initiative und das Engagement der freien Träger und Einrichtungen und der Berufe des Gesundheitswesens mit wirksam werden und die Zusammenarbeit zwischen Staat und freien Trägern getragen wird vom gegenseitigen Vertrauen, wird der weitere Aufbau der Sicherung der Gesundheit und der Hilfe bei Krankheit für alle Glieder unserer Gesellschaft befriedigend zu schaffen sein. Ebenso unerläßlich erscheint mir aber auch die verantwortliche Mitarbeit aller unserer Mitbürger selber. Ihr gesundheitliches Wohlergehen ist die Basis für die wirtschaftliche und moralische Kraft unseres Gemeinwesens. Während dem Staat die Verpflichtung obliegt, alle äußeren Voraussetzungen zur Sicherung der Gesundheit und damit zur vollen Entfaltung der Persönlichkeit jedes einzelnen Bürgers zu schaffen, steht es in der Verantwortung des einzelnen selber, auch seinen Teil dazu beizutragen. Die Gesundheitspolitik darf diese Verantwortung nicht abbauen, sondern muß sie zum Tragen bringen.Die Bestandsaufnahme war auch nötig, um die Daten und Leitlinien aufzuzeigen, an denen sich die Gesundheitspolitik zu orientieren hat. Die Wandlungen der Welt, in der wir leben, die Änderungen in der sozialbiologischen Struktur unserer Gesellschaft und nicht zuletzt auch die dynamische Entwicklung der Medizin auf allen ihren Teilgebieten haben dazu geführt, daß wir uns einem stark geänderten Panorama der Krankheiten konfrontiert sehen, daß der Stellenwert von Gesundheit und Krankheit im Verständnis der Bevölkerung sich gewandelt hat und daß dementsprechend auch die Aufgaben und Prioritäten der Gesundheitspolitik gesehen werden müssen.Die großen Aufgabenkomplexe vorbeugende Gesundheitspflege und Gesundheitsvorsorge, Schutz der Gesundheit und Wiederherstellung der Gesundheit, Hilfe und Heilung für Kranke und Behinderte sind geblieben. Dabei wird die Präventivmedizin in der Daseinsvorsorge mehr und mehr Gewicht und zunehmend neue Aufgaben bekommen.Der Schutz der Gesundheit vor Umweltgefahren hat als Aufgabe der Gemeinschaft und des einzelnen ebenfalls neuen Inhalt bekommen. Industrialisierung, Technisierung, Automation und auch Urbanisation bringen für uns alle Risiken mit sich. Wir erleben eine Renaissance der allgemeinen, der Umwelthygiene, die neben Diagnostik und Therapie,Vorsorge und Rehabilitation wieder größere Aufgaben und geänderte Akzente bekommt.Die nach Auffassung der Bundesregierung als Schwerpunkte moderner Gesundheitspolitik anzusehenden Aufgaben sind gleich vorn im Bericht aufgeführt. Lassen Sie mich jetzt nur auf die Aufgaben eingehen, die besonders aktuell sind. Mit der wirtschaftlichen Sicherung unserer Krankenhäuser werden wir uns heute beim nächsten Tagesordnungspunkt noch zu beschäftigen haben. Ich kann deshalb darauf verzichten, hier auf dieses Thema näher einzugehen. Aber eines sei vorab festgestellt:Der Panoramawandel der Krankheiten, der geänderte Altersaufbau der Bevölkerung, der hohe personelle und apparative Aufwand und die Arbeitsteilung in der Diagnostik und Therapie und schließlich auch die Lebenssituation der Familien haben zu einer starken Verlagerung der medizinischen und pflegerischen Versorgung ins Krankenhaus geführt. Der Bedarf an stationären Krankenhausleistungen hat sich vervielfacht. Um so wichtiger ist die Optimierung der Krankenhausversorgung in organisatorischer, personeller und wirtschaftlicher Hinsicht. Sie sicherzustellen, ist eine öffentliche Aufgabe. Diesem Ziel dienen nicht allein die großen Anstrengungen von Ländern, Gemeinden und Krankenhausträgern und jetzt auch das von der Regierung vorgelegte Krankenhausfinanzierungsgesetz, sondern auch der Ausbau der Hochschulkliniken. Es wird ja oft nicht daran gedacht, daß der Bund im Rahmen der Hochschulbauförderung dafür erhebliche Beträge zur Verfügung stellt. Allein 1970 waren es 231 Millionen DM.In engstem Zusammenhang damit muß die allgemein- und die fachärztliche Versorgung der Bevölkerung außerhalb der Krankenhäuser gesehen werden. Die quantitative und die qualitative Sicherung ihrer Leistungsfähigkeit haben den gleichen Rang wie die Sicherung der Krankenhausversorgung. In der Reform der ärztlichen Ausbildung ist das Bemühen von Bund und Ländern deutlich geworden, zusammen mit den Hochschulen die Ärzte von morgen noch mehr als bisher in einem rationellen Studiengang für ihre neuen Aufgaben vorzubereiten.Was nun das quantitative Problem der ärztlichen Situation angeht, so verdient der zur Zeit erst punktuell, zunächst nur in ländlichen und in Stadtrandgebieten auftretende Mangel an Ärzten, insbesondere praktischen Ärzten, unsere größte Aufmerksamkeit. Er ist ja auch wiederholt Gegenstand von Mündlichen Anfragen hier im Hause gewesen. Da fast 90 % der Bevölkerung der gesetzlichen Krankenversicherung angehören, macht sich der regionale Mangel an praktischen Ärzten besonders bei der kassenärztlichen Versorgung bemerkbar. Die ärztliche Selbstverwaltung ist — das wissen wir — bemüht, zur Verbesserung und zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung der Bevölkerung neue Wege zu beschreiten. Es werden Darlehen und Umsatzgarantien gegeben. Neuerdings wird Gott sei Dank die Bildung von Gruppenpraxen empfohlen. Auch die Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung, die vom Kollegen Arendt eingesetzt worden ist, erar-
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Bundesminister Frau Strobelbeitet Vorschläge für die langfristige Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung auf dem Lande und in den Stadtrandgebieten. Die Bundesregierung stellt Zinszuschüsse für Darlehen zur Verfügung und übernimmt Bürgschaften für Kredite für Ärzte, die sich in diesen Gebieten niederlassen wollen.Die Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister der Länder hat beschlossen, daß im Falle eines Scheiterns aller Bemühungen um eine ausreichende ärztliche Versorgung der Bevölkerung geprüft werden müsse, wie diese Versorgung durch weitere gesetzliche Maßnahmen sichergestellt werden könne.Im Zuge der laufenden Beratungen über eine Neuordnung des ärztlichen Gebührenrechts — das ist ein zusätzlicher Teil — wird von uns, natürlich in Zusammenarbeit mit den Ärzten, geprüft werden müssen, ob durch Verbesserung der Gebührenstruktur einigen der Schwierigkeiten bei der ärztlichen Praxisausubung auf dem Lande begegnet werden kann.Von negativer Auswirkung für die ärztliche Versorgung der Bevolkerung ist onne Gweilel auch der Numerus clausus in der Allgemeinmedizin, insbesondere aber in der Zahnmedizin. Um inn abzubauen, um ihn zu beseitigen, werden von der Bundesregierung und den Landern grolle Anstrengungen unternommen. Die gegenwartigen Vorstellungen im Hinblick auf die erforderliche Ausbildungskapazität, die aber noch der Überprufung bedürfen, genen von einer Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze für Studienanfänger im Fach „Allgemeinmedizin" von gegenwärtig 3700 auf 6400 im Jahre 1975 und im Fach „Zahnmedizin" von gegenwärtig 900 auf 1800 im Jahre 19/5 aus. Diesem ziel dient auch der von mir bereits erwähnte Ausbau und Umbau von Universitätskliniken im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes.Der Kräftemangel in der Krankenpflege ist besonders in das Bewußtsein der Öffentlichkeit getreten. Ihm gehört ohne Zweifel unsere besondere Sorge. Er ist aber kein neues und auch kein auf die Bundesrepublik beschränktes Problem, und dabei darf auch nicht übersehen werden, daß Kräftemangel heute auf fast allen Gebieten unseres Arbeitslebens besteht. Das macht es nicht leichter, Menschen für den Krankenpflegeberuf zu gewinnen. Die Zahlen der in der Krankenpflege Tätigen steigen zwar ständig. Man muß das betonen, daß im Grunde genommen nicht weniger, sondern mehr junge Menschen als früher bereit sind, in diese Berufe zu gehen. Aber auch der Bedarf an Kräften wächst ständig, und zwar synchron mit dem Bedarf an Gesundheitsgütern eben schneller als der Zugang zu diesen Berufen. Ohne Zweifel müssen wir uns mehr einfallen lassen als bisher — ich sage das ganz offen —, wie wir durch weitere Verbesserung — — der Ausbildung, also Anhebung des Prestiges, durch Einbeziehung der Ausbildung für bestimmte Gesundheitsberufe in die Förderungsmöglichkeiten des Ausbildungsförderungsgesetzes, durch Erleichterung der Teilzeitarbeit in den Krankenanstalten und Erleichterung der Rückkehr der Frauen in das Gewerbsleben zur Verbesserung der Personalsituation im Gesundheitswesen beitragen können.Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Personalbedarf noch ein Wort zu den Kosten der Gesundheit sagen. Jede langfristige Planung gesundheitspolitischer Maßnahmen muß auch Aufwand und Nutzen und Deckungsmöglichkeiten im Budget und die volkswirtschaftliche Relevanz sorgfältig analysieren. Umfassende gesundheitsökonomische Untersuchungen liegen in der Bundesrepublik bisher nicht vor. Es ist unerläßlich, sie alsbald einzuleiten. Entsprechende Forschungsvorhaben auf Teilbereichen der Gesundheitspflege sind von uns in Gang gesetzt; ein Sonderforschungsbereich „Gesundheitsökonomie" wird angestrebt.Daß Vorbeugen nicht nur besser, sondern auch billiger ist als Heilen, läßt sich aber auch ohne umfängliche Kosten-Nutzen-Analysen belegen, etwa am Beispiel einer Säuglingskrankheit; ich nenne die Phenylketonurie. Die Untersuchung der Säuglinge nach dieser Krankheit erfordert einen Gesamtaufwand von etwa 1 Million DM im Jahr im Bundesgebiet, beträgt also pro Säugling nur wenige Pfennige. Aber wir verhindern damit, daß jährlich 100 Kinder zu lebenslangem Schwachsinn verurteilt werden. Selbst wenn nach der Früherkennung dieser Krankheit jahrelang Diät notwendig ist, können wir dadurch einen mehr als zehnfach höheren Behandlungsaufwand und Ausfall beim Sozialprodukt und vor allem Unglück für viele Familien verhindern.Die Pflege und Erhaltung der Gesundheit, die Gesundheitsvorsorge und die Früherkennung von Krankheiten müssen unsere Antwort sein auf die Bedrohung durch die großen Krankheiten unserer Zeit, die Herzkreislaufkrankheiten, den Krebs und die Stoffwechselkrankheiten. Der Gesetzgeber hat hierzu einen bedeutsamen und großen Schritt getan, als er im Rahmen der Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung Maßnahmen zur Früherkennung von Krebserkrankungen bei Männern und Frauen und von Krankheiten, die eine normale körperliche oder geistige Entwicklung des Kindes gefährden, nunmehr als Pflichtleistung der sozialen Krankenversicherung einführte. Jetzt wird es entscheidend darauf ankommen — meine Damen und Herren, wir wissen das alle und deshalb sagen wir es auch immer wieder von einem solchen Podest aus —, daß die Bevölkerung und die Ärzteschaft die gebotene Chance der Prävention auch tatsächlich nutzen. Wir aber müssen ständig bemüht sein, das präventivmedizinische Instrumentarium des Arztes und der Gesundheitspolitik zu ergänzen und noch wirksamer zu machen. Ich bin davon überzeugt, daß das in den letzten Jahren geschaffene Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie dazu einen wesentlichen Beitrag wird liefern können. Es wird für diese Aufgabe auch mit anderen einschlägig interessierten Instituten und wissenschaftlichen Organisationen den Forschungsverbund anstreben.Wenn wir Gesundheitsvorsorge für unsere Bürger modern, wirksam und rationell betreiben wollen, dann müssen wir so schnell wie möglich die wissenschaftlichen Grundlagen für die präventivmedizinischen Instrumentarien und für sichere und aussage-
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Bundesminister Frau Strobelfähige Früherkennungsmaßnahmen ausarbeiten. Dazu war es notwendig, zunächst einmal nicht unerhebliche bauliche und apparative Investitionen zu leisten und im Bundesgesundheitsamt ein leistungsfähiges Institut dafür aufzubauen, das sich dieser Aufgabe ausschließlich widmet.Zahlreiche Besprechungen mit Wissenschaftlern haben mir gezeigt, wie notwendig die weitere Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen für die Früherkennung von Krankheiten ist. Wir alle müßten es uns als Versäumnis anrechnen lassen, hätten wir hier nicht die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Es ist unser gegenwärtiger Herr Bundeskanzler Brandt gewesen, der schon vor vielen Jahren gesagt hat: So, wie das Robert-Koch-Institut gegründet wurde, um ein wissenschaftliches Instrument für die Seuchenbekämpfung zu haben, so, wie das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene gegründet wurde, um die unerläßlichen Vorbereitungen für die Lösung der umwelthygienischen Aufgaben zu treffen, so muß ein Institut zur Erkennung und Bekämpfung der Zivilisationskrankheiten gegründet werden. Dies haben wir getan; wir bauen es in engster Zusammenarbeit mit ähnlichen wissenschaftlichen Einrichtungen draußen im Lande auf.Ich möchte die Gelegenheit benutzen, dem Deutschen Bundestag und den hier in Bonn tätigen Journalisten anzubieten, daß wir die für dieses Institut geschaffene große mobile Untersuchungseinheit, die zur Zeit im hessischen Raum Repräsentativuntersuchungen durchführt, bald einmal hierherholen, um Ihnen allen — natürlich nur, soweit Sie es wünschen — in des Wortes wahrster Bedeutung am eigenen Leibe die Nützlichkeit dieser Einrichtung vorzuführen.
— Da Sie dann, Herr von Wittgenstein, falls Sie sichdaran beteiligen, auch ein Ergebnis dieser Untersuchung erhalten, ist zumindest die Nützlichkeit für Sie erwiesen. Aber Sie wissen genau — Sie haben sich damals an dem Antrag beteiligt —, daß dieses Institut, das zur Zeit im Raum Hessen diese Repräsentativuntersuchungen durchführt, notwendig ist, um bessere Voraussetzungen für eine Ausdehnung der Früherkennungsuntersuchungen zu schaffen, so daß sie auch bezahlbar werden und effektiv sind. Das ist ja das Hauptanliegen.Einen unerläßlichen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge stellt die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung dar. Sie ist die notwendige Ergänzung zu jeder präventivmedizinischen Maßnahme und muß über die Risikofaktoren der zeittypischen Erkrankungen aufklären, um dem Bürger die Bedeutung gesunder Lebensführung deutlich zu machen. Ich bin dein Deutschen Bundestag sehr dankbar dafür, daß er der Bundesregierung bei der Bereitstellung steigender Haushaltsmittel für diese Aufgabe gefolgt ist.Eine wesentliche Aufgabe moderner Gesundheitspolitik ist auch der Schutz des Menschen im Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, Kosmetikaund Bedarfsgegenständen. Zwar hat sich das geltende Lebensmittelrecht, auch im Vergleich mit anderen Ländern, in der Vergangenheit als durchaus praktikabel und als wirkungsvolles Instrument erwiesen, aber im letzten Jahrzehnt ist die technologische Entwicklung in diesen Bereichen sehr rasch vorangeschritten. Die Zukunft wird weitere zum Teil umwälzende Neuerungen bringen. Diesen Gegebenheiten muß eine moderne Lebensmittelgesetzgebung im Interesse des Schutzes des Verbrauchers vor Gefahren für die Gesundheit und vor Täuschung Rechnung tragen. Sie muß gleichzeitig aber auch dafür sorgen, daß der wirtschaftlichen Entwicklung keine unnötigen Fesseln angelegt werden. Diesem Ziel dient die Gesamtreform dieses ganzen Rechtsgebietes. Der Entwurf ist bekanntlich dem Bundesrat zugegangen.Darüber hinaus soll die Möglichkeit eines vorbeugenden Eingreifens des Verordnungsgebers im Interesse des Gesundheitsschutzes ermöglicht werden. Dem Schutz vor Gesundheitsgefährdung dient auch die vorgesehene Einführung des Verbotsprinzips bei kosmetischen Mitteln, insbesondere für Stoffe, die unter das Arzneimittelrecht fallen.Erhebliche Bedeutung kommt unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes den vorgesehenen Bestimmungen über die Werbung zu. Sie dienen dem Schutz des Verbrauchers nicht nur vor Täuschung, sondern auch vor Gesundheitsgefährdung. Das kommt vor allem in der besonderen Regelung der gesundheitsbezogenen Werbung bei Lebensmitteln zum Ausdruck. Aber auch die Vorschriften über Mißbräuche der Werbung für Tabakerzeugnisse sollen verhindern, daß etwas vorgetäuscht wird, und dienen vornehmlich der gesundheitspolitischen Zielsetzung.Wie wichtig und wie umfassend die Bemühungen der Regierung auf dem Gebiet des Umweltschutzes sind, ist hier wiederholt eingehend von allen betont worden. Da es darüber besondere Berichte gab und geben wird, können wir dieses Gebiet heute weitgehend ausklammern. Wenn schon nach dem Lebensmittelgesetz die toxikologischen Auswirkungen einzelner Substanzen, besonders solcher, die bei der Herstellung und der Behandlung von Lebensmitteln verwendet werden, überprüft werden, so wird nunmehr im Rahmen der Maßnahmen zum Schutz der Umwelt eine umfassende Gesamtschau des Vorkommens und der Wirkung bestimmter Stoffe, die aus zahlreichen und sehr verschiedenen Quellen auf den Menschen eindringen und ihn schädigen können, die Voraussetzungen für eine breit angelegte Tätigkeit schaffen, wie sie z. B. im Hinblick auf DDT schon durch einen Beschluß der Bundesregierung eingeleitet worden sind.Eine Reihe gesundheitspolitischer Probleme entziehen sich der gesetzlichen Regelung. Sie können mit Aussicht auf Erfolg nur durch eine wirksame Aufklärung der gesamten Bevölkerung bewältigt werden. Das trifft ganz besonders für den Bereich der gesundheitlichen Ernährungsberatung zu. Die Bedeutung der Ernährung für die Prävention zahlreicher sogenannter Stoffwechselkrankheiten wird heute allgemein anerkannt. In allen hochentwickel-
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Bundesminister Frau Strobelten Industrieländern sind seit der Jahrhundertwende die ernährungsbedingten Krankheiten stark angestiegen. Es ist anerkannte Aufgabe der Gesundheitspolitik, dem Verbraucher laufend objektive Informationen über das sich ständig wandelnde Lebensmittelangebot zu liefern und ihn vor gesundheitlichen Schäden und Übervorteilung zu bewahren.Ein Wort, meine Damen und Herren, zum Thema Arzneimittelsicherheit. Die Frage nach der Sicherheit der Arzneimittel bei ihrer Anwendung wird in der ganzen Welt mehr und mehr gestellt. Die Verschärfung der Bestimmungen über die von den Herstellern zu fordernden Prüfungen vor der Anmeldung eines neuen Arzneimittels hat sowohl in der Bundesrepublik als auch auf der Ebene des Gemeinsamen Markts zur Aufstellung von Richtlinien über die pharmakologische Prüfung und die klinische Erprobung geführt. Dabei ist in erster Linie an die Prüfung und die Erprobung neuer Arzneimittel und neuer Kombinationen von Arzneimitteln gedacht. Aber auch bei den Arzneimitteln, die bereits seit längerer Zeit hergestellt und verwendet werden, stellen sich im Zuge der Harmonisierung des Arzneimittelrechts in den Europäischen Gemeinschaften die Fragen nach ihrer Wirksamkeit und ihrer Unbedenklichkeit. Dabei bereitet die Prüfung von Arzneimitteln, die aus Pflanzen hergestellt und in der Naturheilkunde weitgehend verwendet werden, besondere Schwierigkeiten, da für diese Arzneimittel bisher genügend exakte Prüfmethoden noch nicht zur Verfügung stehen. Von den Sachkennern wird es jedoch als sicher angesehen, daß solche Prüfmethoden mit der Zeit entwickelt werden können. Aus diesem Grunde werden diese Mittel zunächst für eine längere Übergangszeit weiter in Verkehr belassen. Ziel aber ist, daß auch für sie nachgewiesen wird, ob sie in der angegebenen Weise wirksam und in ihrer Anwendung sicher sind.Da die große Arzneimittelrechtsreform, die wir vorhaben, noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, werden wir in einer Vorausnovelle insbesondere das Problem der Wirksamkeit, der Unbedenklichkeit, der Prüfungsverschärfung, der Deklaration und auch der Rezeptpflicht neu und besser regeln.In letzter Zeit ist in der Öffentlichkeit wiederholt das Thema „Anwendung von Arzneimitteln an Tieren, Rückstände von Antibiotika und Hormonen in Lebensmitteln tierischer Herkunft, grauer Markt mit Tierarzneimitteln" mit Sorge erörtert worden. Worum geht es, meine Damen und Herren? Es besteht kein Zweifel darüber, daß in der modernen Tierhaltung immer mehr Stoffe mit pharmakologischer Wirkung Verwendung finden. Dies gilt insbesondere für Massentierhaltung. Ich bin mir mit allen Beteiligten darüber einig, daß auf solche Stoffe in der Tierhaltung nicht verzichtet werden kann; andererseits sollte aber auch kein Zweifel darüber bestehen, daß in den Lebensmitteln, die vom Tier gewonnen werden, also Milch, Eier, Fleisch, Rückstände solcher Substanzen nicht vorhanden sein dürfen, es sei denn, sie sind nach Art und Menge gesundheitlich unbedenklich.Dazu muß man aber zunächst wissenschaftlich klären lassen, welche Rückstandsmengen toleriertwerden können, zum zweiten, welche Wartezeiten von der bestimmungsmäßigen Verabreichung eines pharmakologisch wirksamen Stoffes his zu dem Zeitpunkt vergehen müssen, in denen Lebensmittel, die von solchen Tieren gewonnen sind, frei von bedenklichen Rückständen sind. Diese Fragen sind in dem Gesetzentwurf zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts angesprochen und werden ihre Ergänzung vor allem in Änderungen des Arzneimittelrechts finden müssen. Wir arbeiten an einem solchen Gesetzentwurf seit langer Zeit. Das dauert immer länger, als mir selbst lieb ist, und ich kann auch die Ungeduld derjenigen verstehen, die zusammen mit mir eine solche Regelung für notwendig halten.
Herr Hammans, sagen Sie das bitte nicht zu früh. Ich habe hier schon einmal gesagt: Sie haben es leichter. Ich will damit dem Herrn Jungmann bestimmt nichts vorwerfen, denn wir haben das ja recht loyal miteinander gemacht, aber Sie haben es leichter, weil Sie einen Referentenentwurf von uns zu einem Zeitpunkt einbringen können, zu dem wir durch die Geschäftsordnung gehalten sind, mit den Ländern und den beteiligten Wirtschaftskreisen zu verhandeln. Insofern dauert es bei uns ein bißchen länger. Ich muß allerdings auch sagen, ich hoffe, daß durch diesen längeren Weg — die Länder haben große Erfahrungen, weil sie diese Dinge an der Basis bearbeiten müssen — auch noch eine Verbesserung unseres Entwurfs möglich ist. Wir werden diesen Entwurf so rechtzeitig einbringen, daß er zusammen mit Ihrem oder, sagen wir, unserem ehemaligen Referentenentwurf bei der Behandlung des Lebensmittelrechts behandelt werden kann.Zum Problem Drogen- und Rauschmittelmißbrauch möchte ich mich eingehender bei der Einbringung des Opiumgesetzes äußern. Wir hatten, wie im Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs einen Forschungsauftrag zu dem sozialen Phänomen „Jugendliche und Rauschmittel" angekündigt mit dem Ziel, in relativ kurzer Zeit möglichst aussagefähige, empirische Befunde zu erarbeiten und die Grundlage für eine weiterführende Repräsentativbefragung von Jugendlichen zu schaffen. Lassen Sie mich aus dem Vorbericht dieser Motivationsstudie kurz folgendes zitieren, denn ich meine, das Problem ist so außerordentlich wichtig, daß das hier erlaubt sein muß:Als wichtigste zum Rauschmittelkonsum in ursächlicher Beziehung stehende Einflußgröße konnte die Einstellung zum Elternhaus ermittelt werden, was sich hier dahin gehend zeigte, daß mit zunehmend ablehnender Einstellung der Jugendlichen zu den Eltern die positive Einstellung zu Rauschmitteln sowie die Wahrscheinlichkeit, Rauschmittel tatsächlich zu konsumieren, steigt.Als nächster wesentlicher Faktor erwies sich der Merkmalskomplex Geselligkeit. Hier zeigt sich eindeutig, daß diejenigen Nichtkonsumenten mit geringer Distanz zu Rauschmitteln sowie die Rauschmittelkonsumenten selbst ihre Fähigkeit zu sozialen Beziehungen am höchsten ein-
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Bundesminister Frau Strobelschätzen, während die Nichtkonsumenten mit negativer Einstellung zu Rauschmitteln ihre Fähigkeit zur Aufnahme und Unterhaltung sozialer Beziehungen gering einschätzen.Dem entspricht auch, daß die Nichtkonsumenten mit negativer Einstellung zu Rauschmitteln in der Dimension Gehemmtheit den größten Wert aufzeigen, während die positiv Eingestellten sich gleich den Rauschmittelkonsumenten nicht für gehemmt halten.Als dritte — statistisch erklärende — Variablefür den Rauschmittelkonsum — so immer aus diesem Bericht — kommt das „zur persönlichen Verfügung stehende Geld" in Betracht. Das ist etwas, was sicher für viele von uns neu war. Dies ist insofern naheliegend, als bei den gegenwärtigen Preisen auf dem Rauschmittelschwarzmarkt die verfügbaren Geldmittel eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Möglichkeit des Rauschmittelkonsums besitzen. Dieses Faktum scheint so plausibel, daß es in vielen Untersuchungen zum vorgeführten Problemkreis bisher nicht berücksichtigt worden ist.Die vierte erklärungskräftige Variable ist die von den Befragten wahrgenommene „Generationsproblematik". Je bedeutsamer die befragten Schüler oder Schülerinnen — es handelt sich hierbei sowohl um Schüler an allgemeinbildenden und weiterführenden Schulen als auch um Berufsschüler — die Probleme zwischen den Generationen erleben — so sagen sie aus —, desto wahrscheinlicher ist es, daß sie Rauschmittelkonsumenten sind.Allein dieser Auszug aus der Vorstudie zeigt, daß wir uns vor einem Kurieren an Symptomen allein hüten müssen und daß uns bewußt sein muß, daß vor allem die Jugend- und Familienpolitik diese Aufgaben sehen und befähigt werden muß, sie zu bewältigen.Gesundheitspolitik heißt auch umfassende gesundheitspolitische Planung. Denn nur durch eine umfassende Vorausschau ist es möglich, festzustellen, welche Aufgaben in den nächsten Jahrzehnten an das Gesundheitswesen gestellt werden, welche Möglichkeiten zu ihrer Verwirklichung entwickelt werden müssen und welche Forschungs- und Planungsarbeiten hier notwendig sind. Der Gesundheitsbericht stützt sich bei diesen Zukunftsperspektiven auf Untersuchungen in Großbritannien und in den USA, weil es in der Bundesrepublik noch an ähnlichen Studien fehlt. Die Zukunftsperspektiven sind deshalb nicht auf europäische und schon gar nicht auf deutsche Verhältnisse voll übertragbar. Sie sind zum Teil nur Spekulation, zeigen aber den Trend, wie die Entwicklung bei unseren westlichen Nachbarn verlaufen könnte.Diese Bundesregierung will gesicherte Zukunftsperspektiven erarbeiten lassen, um die Gesundheitspolitik für die nächsten Jahre und Jahrzehnte überschaubarer zu machen, und bis Ende dieser Legislaturperiode eine Untersuchung über die zukünftigen medizinischen Entwicklungen und Einrichtungen vorlegen. Die in diesem Gesundheitsbericht nach den jeweiligen Abschnitten aufgeführten Initiativenund Maßnahmen der Bundesregierung sind, soweit sie in die Finanzierungszuständigkeit oder Mitbeteiligung des Bundes fallen, in der Finanzplanung abgesichert.Ich glaube, ich darf abschließend sagen: Unsere Anstrengungen, das Mögliche und das Notwendige für die Gesundheit der Menschen zu tun, sind groß. Daß sie auch erfolgreich sein werden, kann nicht allein von uns garantiert werden. Das bedarf der Anstrengung aller.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jungmann. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 30 Minuten erbeten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Minister Strobel hat zu Beginn ihrer Ausführungen darauf hingewiesen, daß der Gesundheitsbericht das besondere Interesse der Öffentlichkeit gefunden habe. Auch wir haben ihm die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt und ihn gründlich studiert. Dabei fiel uns eine Geschichte ein, die anläßlich der gesundheitspolitischen Debatte über die Forderung der Bundesregierung nach Ausdehnung ihrer gesundheitlichen Kompetenzen hier in Bonn kursierte. Damals hieß es, wir hätten das Omelett nicht verzehren wollen, das wir bei der Vorgängerin von Frau Minister Strobel bestellt hätten. Tatsächlich haben wir weder das damalige Gericht noch diesen Bericht bestellt.Dieser Bericht ist in der Tat mehr für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung als für den Deutschen Bundestag bestimmt. Das ergibt sich auch schon aus der Tatsache, daß die Presse ihn sehr viel früher in Händen gehabt hat als die Mitglieder dieses Hauses.
Zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften haben dementsprechend zum Teil auch sehr ausführlich darüber berichtet. Ich will hier nur das zitieren, was ich der Lektüre des „Vorwärts" verdanke, nämlich daß Herr Sebastian Haffner im „stern" geschrieben hat, er finde den Gesundheitsbericht der Bundesregierung viel aufregender als alles, was augenblicklich in der Tagespolitik geschehe. Kommentar überflüssig!
Bei allem Interesse an dem Gesundheitsbericht, das aus den Berichten in Zeitungen und Zeitschriften hervorgeht, ist doch eine gewisse Enttäuschung nicht zu überhören gewesen. Diese Enttäuschung war auch aus dem „Vorwärts" herauszulesen — in einem Artikel, auf den Frau Minister Strobel inzwischen geantwortet hat.Wer von dem Gesundheitsbericht der Bundesregierung etwas Neues, etwas wirklich Bemerkens-
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Dr. Jungmannwertes erwartet hatte, der konnte oder mußte in der Tat enttäuscht sein. Die zahlreichen mehr dekorativen als informativen Statistiken verbergen mehr, als sie aufdecken oder klarstellen. Die von der Bundesregierung selbst als Behauptungen und unbewiesene oder unbeweisbare Prognosen bezeichneten futurologischen Ausblicke am Ende des Berichtes, entsprechen — nehmen Sie mir das nicht übel — im Stil eher „Reader's Digest" als einem Bericht der Bundesregierung.
— Ich habe nichts gegen „Reader's Digest", aber ich habe etwas gegen diese Aufzählung. Ich will damit meine Kritik an der Aufzählung zum Ausdruck bringen, wie Sie sie auch aus vielen Zeitungsberichten entnehmen können. Ich will darauf nicht im einzelnen eingehen.Wenn die Bundesregierung diese Zukunftsprognose zur Grundlage ihrer Zukunftsplanung machen will — und das hat Frau Minister Strobel eben noch einmal ausdrücklich gesagt —, stehen wir vor der Frage, ob auch das eine der zahlreichen unverbindlichen Bemerkungen ist oder ob diese Berner-kung hintergründig ist und wir uns diese Futurologie doch noch mal etwas genauer ansehen müssen; denn wir müssen ja wissen, wohin die Reise gehen soll.Meine Damen und Herren, ich kann allein aus zeitlichen Gründen hier nur zu einigen grundsätzlichen Fragen der Gesundheitspolitik Stellung nehmen. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß ich zu dem Gesundheitsbericht sprechen will, nicht zu den zum Teil interpretierenden und im wesentlichen auch unserer Zustimmung gewissen Ausführungen, die Frau Minister Strobel eben an dieser Stelle gemacht hat. Daß diese Stellungnahme kritisch sein wird, versteht sich von selbst — allein schon aus den Aufgaben der Opposition.In dem Kapitel „Schwerpunkte moderner Gesundheitspolitik" werden einige zur Zeit aktuelle Probleme behandelt; sie sind vorhin noch einmal genannt worden. Es fehlen dabei jedoch eindeutige und klare Prioritäten, ohne die eine langfristig angelegte Gesundheitspolitik — und es gibt nur eine langfristig angelegte Gesundheitspolitik — nun einmal nicht möglich ist.Schon die Definition der Gesundheitspolitik kann uns nicht befriedigen. Was soll es heißen, daß die Gesundheitspolitik „heute nicht mehr allein in der Verantwortung der Medizin" steht. Wir haben auch heute wieder ziemlich viel von Medizin gehört, aber wir sind der Meinung, daß die Gesundheitspolitik weder heute noch allein noch überhaupt in der Verantwortung der Medizin stehen kann und stehen soll — wie umgekehrt auch die Medizin nicht in der Verantwortung der Gesundheitspolitik stehen kann oder mindestens nicht stehen sollte.Die Medizin als Wissenschaft und Praxis, als Diagnostik und Therapie kann nicht Gegenstand der Gesundheitspolitik sein. Wir haben darauf schon in der gesundheitspolitischen Debatte vor drei Jahren mit Nachdruck hingewiesen, und wir werden auch in Zukunft darauf achten, daß die Grenzen zwischen Gesundheitspolitik und Medizin nicht verwischt werden.Wir teilen die Auffassung der Bundesregierung, daß Gesundheitspolitik etwas grundsätzlich anderes — und zwar mehr — ist als nur ein Teil der Sozialpolitik; wir teilen auch die Ansicht, daß praktische Gesundheitspolitik ohne Koordination mit der Sozialpolitik nicht denkbar ist und daß aktive Gesundheitspolitik ohne eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik nicht realisierbar ist.Um so mehr muß betont werden, daß die Gesundheitspolitik auf das Wohl des einzelnen Bürgers und seiner Familie ausgerichtet sein muß. Nicht irgendein abstrakter oder imaginärer Gesundheitszustand ,der Bevölkerung, sondern die Gesundheit jedes einzelnen Staatsbürgers, jedes einzelnen seiner Glieder ist die Voraussetzung für ein gesundes Gemeinwesen. Das ist der Grund dafür, daß wir jede Gesundheitspolitik ablehnen, die sich selbst als eine dirigistische Staatsaufgabe versteht. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß in dem Gesundheitsbericht nichts anderes gesagt wird. Es wird aber wohl erlaubt sein, da das dort auch wieder nicht klar genug abgelehnt worden ist, das hier einmal deutlich zu sagen.Die Gesundheitspolitik kann nach unserer Meinung nur dann erfolgreich sein, wenn es ihr gelingt, die aktive Mitwirkung aller Beteiligten zu finden — auch das wurde heute morgen schon gesagt —, die Beteiligung der Burger, der dafür bestimmten Berufe, der Gemeinden, der Länder, auch aller Ressorts der Bundesregierung, kurz, der freien Kräfte ebenso wie der Kräfte des Staates. Gerade in der Gesundheitspolitik sollte sich der Staat jedenfalls nicht als gesundheitlicher Vormund seiner Bürger verstehen.In der Aufzählung der Schwerpunkte ihrer Gesundheitspolitik hat die Bundesregierung der Gesundheitsvorsorge den ersten Platz eingeräumt, wobei sie unter Vorsorge nicht die Gesamtheit ihrer gesundheitspolitischen Bemühungen, sondern allein die Früherkennung von Krankheiten versteht, die kürzlich Gegenstand einer Novelle zur RVO gewesen ist. Wir halten diesen Gesichtswinkel für eine moderne Gesundheitspolitik für zu eng. Für uns sind Gesundheitsvorsorge und Gesundheitspolitik dasselbe, ganz gleich, ob es sich um das gesundheitsgemäße Verhalten der Burger, um gesunde Arbeitsbedingungen, um die Wiederherstellung einer gesunden Umwelt, um den gesundheitlichen Schutz des Verbrauchers, um die Bekämpfung des Drogen- oder Rauschmittelmißbrauchs, um die Sicherstellung einer guten Ausbildung der Heilberufe oder um ein bedarfsgerecht gegliedertes System von Krankenhäusern — um nur diese Beispiele zu nennen — handelt. All diese und noch andere Bemühungen verstehen wir unter Gesundheitsvorsorge im Sinne der Daseinsvorsorge des modernen Industriestaates.Es geht aber hier nicht um Vokabeln. Es geht um das Selbstverständnis der Gesundheitspolitik, deren Sinn und Ziel wir nicht darin sehen, daß sich
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Dr. Jungmannder Staat für alles und jedes verantwortlich fühlt, aber auch nicht darin, daß er für alles und jedes verantwortlich gemacht wird, was ohne sein Zutun ebensogut und vielleicht sogar noch besser getan werden kann. Aufgabe und Ziel der Gesundheitspolitik sind nach unserer Auffassung Schutz und Förderung der Gesundheit der Staatsbürger. Wir messen die Gesundheitspolitik nicht an der Menge von Einzelmaßnahmen, die außer der Gefahr der Verzettelung auch die Gefahr der Einmischung des Staates in den persönlich-menschlichen Bereich mit sich bringen, in dem der Staat nun einmal nichts zu suchen hat.Wenn wir von Schutz und Förderung der Gesundheit sprechen, dann denken wir besonders an den Schutz vor Umweltgefahren und an die Förderung der körperlichen und geistigen Gesundheit der Jugend, der arbeitenden und der alten Menschen, um nur diese Beispiele zu nennen. Wir denken dabei auch nicht nur an die eigenen Staatsbürger. Wir denken auch an die mehr als zwei Millionen Gastarbeiter und ihre Familien. Wir haben in dem Gesundheitsbericht vergeblich nach einem Hinweis auf die speziellen gesundheitlichen Probleme dieser zwei Millionen Menschen gesucht. Wir alle kennen die vielfältigen Probleme ihrer Unterkünfte — von Wohnungen kann oft nicht die Rede sein — mit ihren jeder Hygiene spottenden Verhältnissen. Wir kennen auch die Schwierigkeiten der ärztlichen Versorgung, die sich allein schon aus den Sprachschwierigkeiten ergeben. Es hätte der Bundesregierung wohl angestanden, in ihrem Gesundheitsbericht auch auf diese Fragen einzugehen und zu sagen, wie es ) da weitergehen soll und was sie zu tun gedenkt.Mit großem Interesse haben wir die Versicherung der Bundesregierung — man kann auch sagen: die erneute Versicherung — zur Kenntnis genommen, daß die freie Berufsausübung der Ärzte und ein — ich zitiere — von äußeren Einflüssen ungestörtes und unabhängiges Vertrauensverhältnis zwischen dem kranken Bürger und seinem frei gewählten Arzt nach ihrer Ansicht die unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie und moderne Prävention ist.Vom „Vorwärts" ist die Bundesregierung allerdings getadelt worden und eine schnelle und gründliche Reform des Gesundheitswesens gefordert worden Dem mündigen Bürger von heute und morgen werde niemand einreden können, so meint der „Vorwärts", daß unser heutiges System des Gesundheitswesens das beste aller möglichen Systeme sei. In ihrem Gesundheitsbericht bekenne sich die Bundesregierung zwar im Prinzip zu den im „Vorwärts" vertretenen -Perspektiven, ohne daraus jedoch die notwendigen Konsequenzen für die gesundheitliche Praxis von heute und morgen zu ziehen. Meine Damen und Herren, wir sprechen hier nicht über die gesundheitspolitische Auffassung des „Vorwärts". Aber der „Vorwärts" ist doch wohl mehr als eine x-beliebige Zeitung.Bei den vielen Unklarheiten des Berichtes müssen wir uns immer wieder fragen, von welchen gesundheitspolitischen Vorstellungen und Zielen sich die Bundesregierung nun tatsächlich leiten läßt. Ichsagte schon, daß die vielen gesundheitspolitischen Daten eher zu einer verwirrenden Unklarheit als zu der notwendigen Klarheit der Aussage führen.So wird z. B. die starke Abnahme der Geburtenzahl zwar nicht verschwiegen, doch fehlen präzise Angaben über ihre Entwicklung und ihre Gründe. Wir halten es für äußerst beunruhigend, daß diese Zahl in den letzten Jahren von mehr als einer Million im Jahre 1964 um fast ein Viertel auf zirka 800 000 zurückgegangen ist, von denen noch rund 50 000 auf das Konto der Gastarbeiter gehen.Wir halten es auch für beunruhigend, daß der Anteil der unter 15jährigen in der Bundesrepublik auf 23 % gesunken ist. In den USA sind es noch mehr als 30 %. Wir haben gerade heute Zeitungsmeldungen entnehmen können, daß die Zahl der unter 15jährigen in absehbarer Zeit unter 20 % der Gesamtbevölkerung liegen wird.Es beunruhigt uns auch, daß der ohnehin schon relativ niedrige Anteil der im erwerbsfähigen Alter Stehenden ständig kleiner wird, während die Zahl der über 65jährigen ständig gestiegen ist und noch weiter steigen wird.Es ist ein schlechter Trost, daß wir in bezug auf Geburtenzahl und Überalterung der Bevölkerung noch nicht ganz an der Spitze der negativen Weltrangliste angekommen sind. Es sieht allerdings so aus, als wenn wir hier bald den negativen Rekord erreichen würden.
— Sicherlich nicht. Aber diese Tatsache als solche ist beunruhigend. Von Schuld ist hier gar keine Rede. Man darf diese Tatsachen aber auch nicht unterdrükken, weil sie von großer Bedeutung sind.Ich wiederhole die schon oft erhobene Forderung nach einer Aufklärung der mütterlichen und kindlichen Todesfälle. Auch bei der verhältnismäßig geringen Zahl dieser Todesfälle können wir uns nicht länger damit abfinden, daß mehr als ein Drittel der Mütter- und Säuglingssterblichkeit unter die Rubrik „nicht näher bekannte Todesursachen" fällt. Das ist nicht nur für die Statistik unerträglich, es ist auch von grundsätzlicher gesundheitspolitischer Bedeutung.Daß der Gesundheitsbericht die nötige Klarheit vermissen läßt, liegt wohl nicht zuletzt an der Vielzahl der Zuständigkeiten von Bund — auch innerhalb des Bundes —, Ländern, Gemeinden, privater Initiative und — nicht zu vergessen — auch an der Eigenständigkeit der verschiedenen Sozialversicherungsträger. In dem Gesundheitsbericht wird das natürlich nicht verschwiegen. Diese prinzipielle, wesentliche Frage der Gesundheitspolitik wird aber eher wie eine peinliche Unzulänglichkeit verdrängt, als daß sie kritisch und, wie wir es für richtig halten würden, positiv interpretiert worden wäre.Es gibt nicht wenige Leute, die es überhaupt für falsch halten, daß es in unserem Land kein einheitliches, sondern ein vielgestaltiges Gesundheitswesen gibt, und die nach wie vor ein einheitliches, möglichst staatliches Gesundheitswesen fordern. Wir
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6318 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Dr. Jungmannsind der Meinung, daß eine zentralistische Form des Gesundheitswesens sehr viel mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringen würde. Die in anderen Ländern gemachten Erfahrungen zeigen jedenfalls, daß die Effizienz zentralistischer Gesundheitsdienste nicht besser, sondern geringer ist und daß ihre Kosten eindeutig höher sind, als es in unserem System der Fall ist. Die Vorteile unseres Systems sehen wir nicht zuletzt in der aktiven Mitwirkung der Bürger, aber auch in der natürlichen Konkurrenz von Interessen und Initiativen.Der Bund wolle, so heißt es in dem Gesundheitsbericht, im Sinne des kooperativen Föderalismus möglichst einheitliche Regelungen in den Ländern erreichen. In dem Bericht selbst finden wir allerdings keinen Hinweis dafür, daß die Zusammenarbeit mit den Ländern gesucht würde, daß sie bereits zustande gekommen wäre oder daß sie sogar schon Früchte getragen hätte.Warum erfährt der Bundesgesundheitsrat in dem Bericht eine nur so geringe Beachtung? Außer über drei seiner zahlreichen Voten wird über seine sonstige Tätigkeit nichts berichtet. Vielleicht ist es auch bezeichnend, daß der Bundesgesundheitsrat in dem Abschnitt „Verwaltung" behandelt wird, was der Bedeutung des Bundesgesundheitsrates als eines Beratungsorgans der Bundesregierung zweifellos nicht entspricht. Der Bundesgesundheitsrat ist auch nicht als Organ des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit und schon gar nicht als Hilfsorgan der Verwaltung dieses Hauses, sondern, wie gesagt, als Beratungsorgan der Bundesregierung schon im Jahre 1950, glaube ich, konzipiert und ins Leben gerufen worden.Über die Krankenhausprobleme brauche ich hier nicht zu sprechen. Dazu wird heute sicherlich noch viel Gelegenheit sein.Dasselbe gilt für die Probleme des Arzneimittelwesens. Nur zwei Fragen des Arzneimittelkomplexes möchte ich hier wenigstens ansprechen: Warum wird die so oft kritisierte Registrierung von Arzneimitteln durch das Bundesgesundheitsamt in dem Bericht so heruntergespielt, daß von dieser Problematik fast nichts mehr zu erkennen ist? Warum wird in diesem Bericht auch nicht zu dem geringen Erfolg, wenn nicht sogar Mißerfolg des Arzneimittelwerbegesetzes etwas gesagt? Wenn ein solch geringer Erfolg oder gar Nichterfolg vorliegt, so ist das zweifellos nicht dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit und sicherlich auch nicht der Bundesregierung anzulasten, weil ja der Bundestag dieses Gesetz gemacht hat. Wir und die Öffentlichkeit sollten aber nicht im unklaren gelassen werden, ob dieses Gesetz die mit ihm verbundenen Erwartungen erfüllt hat. Wie gesagt, es besteht weithin die Auffassung, daß das nicht der Fall ist.Auch über Lebensmittelfragen brauchen wir hier nicht zu sprechen, weil das Lebensmittelgesetz kurz vor der Überweisung an den Bundestag steht. Es wäre nur die Frage aufzuwerfen, warum das Lebensmittelgesetz, an dem schon vor sieben Jahren sehr intensiv gearbeitet wurde, so lange hat auf sich warten lassen. Das ist auch durch die berechtigtenBemerkungen von Frau Minister Strobel, die sie vorhin hier zu der Dauer der Erarbeitung solcher Gesetz gemacht hat, nicht gedeckt. Es drängt sich dabei auch die Frage auf, wann mit dem Erlaß von Vorschriften über die Nahrungsmittel tierischer Herkunft zu rechnen ist. Auch sie sind seit langem überfällig.In dem Abschnitt „Spezialfragen des Gesundheitswesens" wird schließlich über die Kosten des Gesundheitswesens berichtet. Die Bundesregierung bezieht sich dabei auf eine Quelle aus Baden-Württemberg, weil eigene Untersuchungen über die Kosten der Gesundheit, wie es mit entwaffnender und schlichter Offenheit in dem Bericht heißt, „nicht vorliegen". Wir wissen, wie schwierig eine präzise Aussage zu den Kosten der Gesundheitspolitik ist, wir sind aber der Meinung, daß eine klare Vorstellung über die Kosten zu den wichtigsten Voraussetzungen für einen so anspruchsvollen Bericht über das Gesundheitswesen in unserem Lande gehört.Das gilt insbesondere für den Blick auf die gesundheitspolitische Zukunft. Nicht nur der Deutsche Bundestag, sondern auch der von der Bundesregierung so gern zitierte mündige Staatsbürger hat ein Recht darauf, zu erfahren, welche Kosten mit der vom Staat und auch von ihm erwarteten aktiven Gesundheitspolitik verbunden sind. In dieser Kostenrechnung werden die Kosten des Umweltschutzes wahrscheinlich an erster Stelle stehen. Ihre außerordentliche Höhe darf selbstverständlich kein Grund dafür sein, daß wir auf diese lebensnotwendige Aufgabe verzichten.Aus der nüchternen Frage nach den Kosten ergibt sich die für die praktische Gesundheitspolitik notwendige Rangordnung der gesundheitspolitischen Maßnahmen. Es wird sich dann zeigen, daß Gesundheitspolitik teuer, sogar sehr teuer ist. Es wird sich aber auch deutlich zeigen, welche finanziellen Aufwendungen nötig sind, wenn das eine oder das andere erstrebte Ziel erreicht werden soll.
Zum Schluß möchte ich feststellen, daß sich unsere Kritik an dem Gesundheitsbericht selbstverständlich nicht gegen seine zahlreichen Verfasser richtet. Bei ihrer schon reichlich ausgelasteten Arbeitskraft haben sie dringende Arbeiten liegen lassen müssen,
um diesen Bericht rechtzeitig fertigzustellen. Die Gesetzgebungsarbeit, die im Bereiche der Gesundheitspolitik ohnehin schon lange hinter ihrem Soll zurückgeblieben ist, ist dadurch weiter verzögert worden. Unsere Kritik richtet sich also gegen die Konzeption und gegen die Redaktion des Gesundheitsberichts.Wir sind im übrigen gespannt, wann und in welcher Form er demnächst vom Bundespresseamt aus für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Verwendung finden wird.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6319
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 17. Februar 1971 übergab die Bundesregierung dem Bundestag den Gesundheitsbericht. Es ist der erste Bericht dieser Art, den eine Bundesregierung diesem Hohen Hause überhaupt vorgelegt hat, und ich möchte schon an dieser Stelle der Frau Bundesminister, ihrem Hause und der Bundesregierung hierfür recht herzlich danken.Wir sehen in diesem Bericht — da spreche ich fürdie ganze Fraktion der Sozialdemokratischen Parteieine sehr gute Grundlage der Diskussion und für Initiativen zum Aufbau neuer Gesetzgebungen, und wir haben mit ihm vor allen Dingen ein Arbeitspapier in den Händen, aus dem wir vieles entnehmen können. Das zeigt nicht zuletzt auch die Resonanz in der Öffentlichkeit, die zweifellos positiv zu beurteilen ist.Bevor ich auf einige Ihrer Bemerkungen, Herr Kollege Jungmann, eingehe, gestatten Sie mir, erst einmal einen Gesamtüberblick zu geben. Dieser Bericht gliedert sich in acht Abschnitte; ich will hier nicht jeden mit besonderen Anmerkungen und Ausweitungen diskutieren, denn das würde den Bericht eher zerpflücken und in seiner Bedeutung herabsetzen.Aber ich habe mich, Herr Kollege Jungmann, über eines gewundert: daß Sie nicht wenigstens ein paar anerkennende Worte gefunden haben, daß Sie lediglich den „Vorwärts" hier als erstes kritikführendes Organ genannt haben.
— Es ist möglich, es ist möglich. — Denn wissenSie, auch die Opposition erfreut sich ja einer nicht nur positiven Resonanz in der journalistischen Darstellung ihrer eigenen Presse. Wir sind, in einer Demokratie lebend, gottlob in der Lage, auch eine harte Kritik sogar aus den eigenen Reihen ertragen zu können, und das ist wahre Demokratie.Aber nun zur Sache: Ist es denn Pflicht der Opposition, weil sie Opposition ist, aus dieser Opposition heraus alles nur zu negieren?
Bietet dieser Bericht nicht doch Ansätze auch für Sie? — Ich glaube schon. Das wird man feststellen, wenn man sich der Mühe unterzieht, ihn zwei-, drei- oder viermal zu lesen; und das habe ich getan.Sie haben — und jetzt nehme ich an sich, in demich das Pferd vom Schwanze aufzäume, etwas vorweg, was ich später ausführen wollte — die futurologische Betrachtung als Zukunftsmusik bezeichnet. Dieser Bereich ist absolut nicht neu und wird von mir und von uns außerordentlich begrüßt. Es gibt wohl kaum ein Industrieland in der Welt, das nicht seit langen Jahren über futurologische Studien verfügt. Vor allen Dingen die großen Industrienationen wie England und die USA — das lesenSie in diesem Bericht — und darüber hinaus auchdie Staaten des Ostblocks beziehen sich auf derartige Berichte. Aber ist es denn wirklich nur so, daß hier nur Hypothesen und Hirngespinste aufgezeichnet werden? Hat sich nicht vielmehr in Wirklichkeit diese Entwicklung schon längst angebahnt? Ist nicht die Ernährungsumstellung, die hier erwähnt worden ist, bereits im Gange, nämlich die Umstellung von der reinen Kohlehydratnahrung zur Eiweißernährung? Und wenn hier die Fischteiche und die Algenzüchtungen im Meer erwähnt worden sind, dann sehe ich darin etwas, was in der Realität auf uns zukommt, denn es gibt Länder in Asien, die das im kleinen Maßstab schon längst praktizieren.Wenn man etwas tiefer in die Materie einsteigt, muß man doch zugeben, daß die Transplantationen zweifellos auf alle Organe und Organsysteme ausgeweitet werden. Das ist absolut nichts Neues, denn Organverpflanzungen von Tieren auf den Menschen werden bereits durchgeführt. Immunbiologische Faktoren machen diese Implantation zwar noch unmöglich. In dem Bericht wird gesagt, es würde eines Tages auch diese immunbiologische Reaktion beherrscht werden. Wir sind davon fest überzeugt, denn auch hier bahnen sich die Wege schon an.Sicherlich könnte man manches kritisieren. Aber Kritik allein bedeutet nichts. Die Bundesregierung war sehr zart in der Formulierung, wenn sie gesagt hat: das bezieht sich auf die nächsten 30 Jahre und nicht etwa auf die 50 Jahre; denn neue sprunghafte Entwicklungen in der Medizin können von heute auf morgen passieren, können ein ganzes Weltbild ändern und Vorsätze plötzlich zunichte machen.Aber jetzt zu dem zurück, was ich eigentlich sagen wollte. Auf manche Gebiete werde ich später noch zu sprechen kommen. Gesundheitspolitik ist ein Teil der Gesellschaftspolitik mit eigenständiger politischer Funktion, bleibt aber mit einer progressiven Sozialpolitik eng verbunden. So steht es im Bericht. Jetzt hören Sie bitte genau zu.
— Schönen Dank, ich habe nie daran gezweifelt;das beruht auf Gegenseitigkeit. Dort heißt es weiter:Die Bundesregierung begrüßt und fordert die freie Initiative und das Engagegement vieler Träger, Einrichtungen, Berufe und Personen im großen Aufgabengebiet des Gesundheitswesens. Sie hält die gegenwärtige Form des Wirkens und Zusammenwirkens von freien Kräften und Staat für die unserer Gesellschaft gemäße Praxis des Gesundheitswesens. Sie will auf dieser Basis für die Menschen die Sicherung der Gesundheit und die Hilfe und Heilung bei Krankheit weiter ausbauen.Mit diesen Erklärungen unterstreicht die Bundesregierung noch einmal ganz deutlich ihre Leitsätze aus der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 über die freie Arztwahl und die freie Berufsausübung in den Heilberufen. Es kann also von einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens wirklich keine Rede sein. So hoffen wir, daß damit endgültig jene Stimmen zum Schweigen gebracht werden, die in den vergangenen Monaten oft wider besseres
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6320 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Dr. Schmidt
Wissen in der Öffentlichkeit die Meinung vertreten haben, als wolle die sozialliberale Koalition auf kaltem Wege das Gesundheitswesen sozialisieren oder verstaatlichen.
— Na, darüber könnte man diskutieren.
Eine moderne Gesundheitspolitik hat die veränderten Lebensverhältnisse, die Strukturveränderungen der Gesellschaft und die fortschreitende medizinische Entwicklung jederzeit zu berücksichtigen. Die Bevölkerung hat sich schnell auf die veränderten Begriffe „Gesundheit" und „Krankheit" eingestellt. Der Begriff „Gesundheit" bezieht sich nicht mehr nur auf die Minderung von Krankheitsfolgen, sondern auch auf die Abwehr und stärker als bisher auf die Vorsorge, Erhaltung, Pflege, Förderung, Besserung und Hebung der Gesundheit. Das Recht auf Erhaltung der Gesundheit ist zwar nicht im Grundgesetz und auch nicht — wie beispielsweise der Krankheitsbegriff — in der Reichsversicherungsordnung verankert, aber wir bekennen uns nachdrücklich zur Definition der Weltgesundheitsorganisation, die darin ein Höchstmaß seelischen, körperlichen und sozialen Wohlbefindens sieht. Damit ist selbstverständlich nach dem Grundgesetz auch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet. „Gesundheit dient nicht als letzter Selbstzweck" sagt Siebeck, und wir schließen uns der Meinung an. Wir brauchen unsere Gesundheit, um leben und arbeiten zu können. Daß deshalb auch die Verantwortung des einzelnen für seine Gesundheit und die seiner Familie gegeben sein muß, ist I nur eine logische Schlußfolgerung.Zweifellos, Herr Kollege Jungmann, hat die Präventivmedizin, haben Vorsorge und Früherkennung von Krankheiten an Bedeutung gewonnen. Wurden bislang vom Säuglingsalter bis zum Beruf Schuluntersuchungen, Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz und Mütterberatung durchgeführt, so kommen jetzt — Sie wissen es — ab 1. Juli 1971 Vorsorgeuntersuchungen für Kleinkinder bis zum vierten Lebensjahr und Krebsvorsorgeuntersuchungen bei Frauen und Männern vom 30. bzw. 45. Lebensjahr an zum Tragen.Diese Untersuchungen auf Krebs und auf andere Erkrankungen sind deshalb von so hervorragender Bedeutung, weil wir in der Bundesrepublik rund 500 000 schulpflichtige Kinder haben, die in irgendeiner Form besonderer Unterstützung bedürfen. Jährlich kommen 60 000 Kinder neu hinzu, die wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Schäden einer besonderen Betreuung bedürfen. Als wir die psychiatrischen Einrichtungen am 17. April vorigen Jahres hier im Plenum diskutierten, haben wir diese Zahlen ganz klar herausgestellt.Ich möchte Ihnen aber noch eine erschreckende Ziffer nennen. Sie ist es wert, daß man darüber diskutiert. Immerhin wurden bei Untersuchungen im Jahre 1966 — die neueren Repräsentativergebnisse liegen leider noch nicht vor; ich konnte sie wenigstens bis gestern nicht bekommen — bei 7 % der Schulanfänger Haltungsfehler und bei 11,4 % Haltungsschäden festgestellt. Das ist sehr viel.Es stimmt auch nachdenklich, daß die Übergewichtigkeit bei Kleinstkindern durch eine falsche und schlecht zusammengestellte Ernährung überhandgenommen hat. Man weiß, daß in der Bundesrepublik etwa ein Viertel der Bevölkerung auf eine Diät angewiesen ist und daß beispielsweise jede zehnte Frau bei einer Geburt Komplikationen auf Grund falscher Ernährung hat. Man sollte dem kindlichen Organismus doch durch eine kalorienmäßig tragbare und zweckentsprechende Ernährung ein vernünftiges Körpergewicht geben.Nun einige Worte über die Mütter- und Säuglingssterblichkeit. Herr Kollege Jungmann, Sie haben dieses Thema ebenfalls angeschnitten. Die letzten Ergebnisse des Jahres 1970 lagen gestern auch noch nicht vor. Sie wären für einen allgemeinen oder internationalen Vergleich auch nicht heranzuziehen, und zwar deshalb nicht, weil die Zahlen für nur ein Jahr keine ausreichende Vergleichsbasis sind. Um einen aussagekräftigen Vergleich anzustellen, wären die Zahlen von vier oder fünf Jahren notwendig.1968 betrug die Zahl der im ersten Lebensjahr Gestorbenen auf 1000 Lebendgeborene 22,6. Diese Zahl hat in den letzten zehn Jahren zweifellos rapide abgenommen. Das entspricht dem Trend in allen Industriestaaten und größeren Staaten der Welt. Über dem Bundesdurchschnitt liegen aber einige Länder, beispielsweise Bayern, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Berlin und nicht zu vergessen — Nordrhein-Westfalen. Man kann nun bei der wirtschaftlich differenten Struktur und der verschiedenen geographischen Lage dieser Länder gespannt sein, was die Gesamtanalyse dieser Fehlentwicklungen ergeben wird. Leider liegen hierüber noch keine Berichte vor. Die häufigsten Todesursachen waren die frühkindliche Sterblichkeit in den ersten Lebenswochen, die Asphyxie, Geburtsverletzungen und angeborene Mißbildungen.Was die Müttersterblichkeit anbelangt, so kamen vor dem zweiten Weltkrieg auf 100 000 Lebendgeborene 420 Todesfälle. 1968 waren es demgegenüber 52 Todesfälle. 1969 stieg diese Zahl leider wieder auf 53,1 an. Auch die Säuglingssterblichkeit stieg. Die Zahlen für das Jahr 1970 konnten auch hier zum Vergleich noch nicht herangezogen werden. Die häufigsten Todesursachen waren Blutungen, Vergiftungen, Infektionen, Komplikationen in der Schwangerschaft und Fehlgeburten. Es ist an und für sich fast als Hohn zu bezeichnen, daß in einer Zeit der Antibiotika und Chemotherapie häufige Todesursachen 29,4 % Intoxikationen und Infektionen waren.Ich will nicht alles aus diesem Bericht ansprechen oder kommentieren. Aber eines, was von wesentlicher Bedeutung ist, lassen Sie mich bitte vortragen. Der Wandel in unserer Gesellschaft stellt erhöhte Ansprüche an die Gesundheit jedes einzelnen, das wissen wir alle. Die Verschiebung der Krankheiten — im Agrarstaat vorwiegend Infektionserkrankungen, heute in den Industriestaaten Verschleiß- und Zivilisationserkrankungen — hat das medizinische Aufgabengebiet stark erweitert. Gesunderhaltung und Krankheitsvorbeugung werden
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6321
Dr. Schmidt
immer mehr verlangt; denn niemand wird daran zweifeln wollen, daß Vorbeugen besser und vor allen Dingen kostensparender ist als Heilen.Ich betone nochmals, daß die Gesundheitsvorsorge die Gesundheit und Leistungsfähigkeit jedes einzelnen pflegen und erhalten muß, während die vorbeugende bzw. präventive Medizin sich gegen die Gefahren von Krankheiten und deren Verschlimmerung zu wenden hat. Hier sind selbstverständlich Schutzimpfungen zu erwähnen, die Vitamin-D-Prophylaxe bei Säuglingen und Kleinstkindern, die Fluoranreicherung des Trinkwassers.Die Fluoranreicherung des Tinkwassers mag problematisch sein, jedoch kann man sie verifizieren, wo zentrale Trinkwasseranlagen vorherrschend sind; wo es sehr viele Privat- und Eigenbrunnen gibt, ist das Problem schon schwieriger. Außerdem möchte ich hier am Rande erwähnen, daß die Kompetenz auf dem Gesetzeswege zu verändern wäre. Auch die Hauptversammlung des Bundes deutscher Zahnärzte hat vor kurzer Zeit in einer Entschließung betont, daß sie in Übereinstimmung mit der Weltgesundheitsorganisation die Trinkwasserfluoridierung befürwortet.Die gesundheitliche Aufklärung hat bei allen diesen medizinischen Fragen ein besonderes Gewicht. Der täglich einer strapaziösen Arbeit unterworfene Organismus braucht Ruhe, Erholung, zweckmäßig eingesetzte Ruhestunden und eine entsprechende Ernährung; sie muß ausreichen, darf aber nicht mit Kalorien übermäßig angereichert sein. Vor allen Dingen muß sie Rücksichten auf die Art der Arbeit und der Arbeitsstätte nehmen. Der schwerstarbeitende Mensch, der dauernd hoher Hitze ausgesetzt ist, hat eine andere Nahrung zu sich zu nehmen als der im Büro arbeitende; das ist eine Selbstverständlichkeit. Ausgleichende sportliche Betätigung muß natürlich auf breiter Basis angestrebt werden, um auch hier einen gewissen Ausgleich zu schaffen.Nun einige Worte zu einem Problem, das mir brennend am Herzen liegt. Selbstverständlich waren 1927 die Tuberkulose und die Lungenentzündung sehr verbreitet, weniger die Herz- und Kreislauferkrankungen. Jetzt hat sich dieses Bild verschoben, wie ich vorhin schon andeutete. Die Neigung zum Herzinfarkt hat sich in der Bundesrepublik natürlich sehr intensiviert. Wir wissen, daß der Diabetes in diesem Jahr Hauptthema des Weltgesundheitsjahrs der Weltgesundheitsorganisation ist, das Anfang April mit dem Motto „Mit Diabetes leben" beginnt. Die Diabetiker sind natürlich gefährdeter als andere, was den Herzinfarkt anbelangt. Wir rechnen mit rund 1,2 Millionen Diabetikern in der Bundesrepublik, wobei zu jedem bekannten Diabetiker ein unbekannter Diabetiker hinzuzurechnen ist. Warum sage ich das? Weil genauso wie Herzerkrankungen auch andere Erkrankungen den Diabetes begleiten können, beispielsweise die Tuberkulose. Dann ist der Ausgang einer derartigen Krankheit äußerst problematisch.Lassen Sie mich zwei Erkrankungen erwähnen, die nicht beseitigt sind, sondern im Gegenteil manchmal sogar ansteigende Tendenzen aufweisen können. Von der Tuberkulose sagte ich, daß sie in derGrößenordnung abgenommen hat. Doch gibt es trotz — oder vielleicht gerade deshalb — modernster Therapie Resistenzengegen die Medikamente und eine Herabminderung der gesamten Heilungstendenz. Das muß man wissen und hören. Die Tuberkulose ist noch nicht ausgestorben — ich wiederhole es — und auch nicht besiegt.Leider nehmen ,die Hepatitisfälle, die Leberentzündungen, in der letzten Zeit immens zu. Sie werden im Frühstadium sehr oft deshalb übersehen, weil sie nicht mit Gelbsucht einherzugehen brauchen. Es gibt aber kein spezifisches Medikament der Therapie. Hier hat die Medizin viel nachzuholen und zu forschen. Wie wir wissen, ist es auch sehr schwer; denn der Erregernachweis ist oft gar nicht möglich. Ab und zu finden sich in der Gallenblase Erreger, aber das ist nicht bei allen diesen Erkrankungen so.Ich will mich jetzt kurzfassen und nur noch etwas aufgreifen, was vorhin schon Beachtung gefunden hat. Ich möchte den Altersaufbau kurz erwähnen. Die Alterspyramide hat seit 1950 eine Basisverbreiterung erfahren. Woran liegt das? Die Pyramide veränderte sich in der Vergangenheit durch Abnahme der Kinderzahl, während der Anteil der älteren Leute stark zunahm. Man soll die entsprechenden Zahlen ruhig einmal gehört haben. Von den 3 Millionen Männern und 4,8 Millionen Frauen, die 1968 das 65. Lebensjahr überschritten hatten, waren fast 1 % 90 Jahre und älter; 656 Einwohner hatten sogar das 100. Lebensjahr überschritten.Warum sage ich das? Die Überalterung hat gewisse Konsequenzen in der Planung, auch was das Krankenhauswesen und die Therapie betrifft. Für den alten Menschen müssen zusätzliche Betten zur Verfügung stehen. Für den alten Menschen müssen geriatrische Möglichkeiten der Behandlung gegeben sein. Dies ist auch in einer künftigen Gesetzgebung einzuplanen.Nun einige Worte zum Umweltschutz; denn er spielt eine sehr wesentliche Rolle.
Herr Kollege, könnten Sie versuchen, zum Schluß zu kommen, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Bei dieser Debatte haben wir schon einiges darüber gehört. Ich kann mich deshalb kurzfassen. In der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 kündigte die Bundesregierung die Maßnahmen zum Schutz der Menschen vor den Risiken an, die durch die technisierte und automatisierte Umwelt entstehen. Sie beschloß am 17. September 1970 das Sofortprogramm für den Umweltschutz, am 16. Dezember 1970 fand die erste Debatte im Plenum statt. Gleichzeitig wurde das Fluglärmgesetz verabschiedet.
Einige Gesetzesvorhaben — z. B. über Otto-Motoren , die jetzt noch beim Bundesrat anliegen, werden eines Tages hier in diesem Hause in der Debatte stehen. Die Aufklärung der Bevölkerung hat uns in einem bestärkt, nämlich in der Ansicht, daß man jetzt bezüglich der Umwelt das, was man
Dr. Schmidt
in den vergangenen Jahrzehnten versäumt hat, dringend nachholen muß. Wachsender Wohlstand in einer industrialisierten, technischen Welt birgt natürlich Gefahren in sich, und wir wollen, daß wir an diesen Gefahren nicht zugrunde gehen.
Ich komme zum Schluß meiner Ausführungen. Die angegebenen Kosten, die von der Frau Bundesminister aufgezeigt wurden, sind für die künftige Planung von wesentlicher Bedeutung. Man muß genau wissen, wohin die Reise geht. Wir sind der Frau Bundesminister dankbar dafür, daß sie auch diese Probleme angeschnitten hat. Man kann nur unterstreichen, was auch in diesem Bericht gesagt wurde, nämlich daß wir lernen müssen, für die Gesundheit etwas mehr zu investieren, etwas mehr zu bezahlen, daß wir in einer modernen Welt selbstverständlich ein hohes Maß des Sozialprodukts für diese Dinge ausgeben müssen.
Ich darf noch einmal an dieser Stelle der Bundesregierung und der Frau Minister danken, auch im Namen meiner Fraktion. Ich wäre sehr froh, wenn dieser Bericht gemäß dem Vorschlag des Ältestenrats an die Ausschüsse überwiesen würde, damit er dort Grundlage der Diskussion ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammans.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte einige kritische Anmerkungen zu den Problemen der Heilberufe, wie sie in diesem Gesundheitsbericht dargestellt sind.Zu begrüßen ist der Hinweis auf die Notwendigkeit der Deckung des erforderlichen Kräftebedarfs im Gesundheitswesen sowohl unter qualitativen als auch unter quantitativen Aspekten. Ich darf hierbei besonders auf die zahlenmäßig rückläufige Entwicklung bei den Ärzten für Allgemeinmedizin hinweisen und an folgendem Beispiel deutlich machen.In der Bundesrepublik kamen 1969 auf jeden Arzt 651, auf jeden frei praktizierenden Arzt jedoch 1215 Einwohner. Während die Zahl der in den Krankenhäusern tätigen Ärzte seit 1961 um rund 47 % zugenommen hat, stieg die Zahl der frei praktizierenden Ärzte nur um 1,2 %. Also ist der Zuwachs hier geringer als der der Bevölkerung. Die Zahl der frei praktizierenden Ärzte ohne Facharztbetätigung hat sich sogar um 7,3 % verringert.Herr Staatssekretär von Manger-Koenig hat anläßlich der Jahrestagung der praktischen Ärzte Deutschlands in Berlin am 21. November vorigen Jahres in einer groß angelegten Rede dargelegt, wie dem akuten Mangel an praktischen Ärzten am besten abgeholfen werden könnte. Zu den dort erwähnten Maßnahmen, die ich in Einleitungs- und Begrüßungsworten auch schon andeutete, gehörte vor allem, dem Beruf des praktischen Arztes wieder eine größere Attraktivität zu verschaffen. Es ist vielfach nicht so sehr eine finanzielle Frage für junge Ärzte, sich für diese Berufsrichtung zu entscheiden. Das hat die Ärzteschaft durch Selbsthilfeeinrichtungen, wieFrau Minister Strobel vorhin auch erwähnt hat, inForm von Umsatzgarantien selbst zu lösen versucht.Weit wichtiger ist es in dem Zusammenhang, der Abneigung junger Ärzte entgegenzuwirken, den früher so hoch geschätzten Beruf des praktischen Arztes zu ergreifen. Es ist also nicht eine Frage der Honorierung, sondern weit mehr eine solche der Vermehrung und der Verbesserung des Prestiges des praktischen Arztes sowie einer Verbesserung der allgemeinen und auch der besonderen Arbeitsbedingungen. Eine Umgestaltung des Berufsbildes des praktischen Arztes hat sicher zur Voraussetzung, daß diesem bestimmte Kompetenzen eigener Art verschafft werden müßten, die dann auch Inhalt der Weiterbildung sein möchten. Dies aber, meine Damen und Herren, läßt sich nur erreichen, indem besondere Methoden einer interdisziplinären Weiterbildung entwickelt werden, wobei ich besonders an den verbesserten und verstärkten Ausbau von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin denke.Ein solcher Hinweis, wie er auch von Herrn Professor von Manger-Koenig gefordert wurde, fehlt im Gesundheitsbericht völlig. Bislang gibt es auf diesem Gebiet nur einige Lehrstühle, die diesen Mangel beseitigen könnten.Sicher wäre in diesem Zusammenhang eine Anmerkung darüber angebracht gewesen, in welchem Umfang diese Lücke bei medizinischen Einrichtungen in der Zukunft ausgefüllt werden soll. Eine langfristige Planung mit schön gefärbten Zukunftsvisionen ist für den an Fragen der Gesundheitspolitik interessierten Bürger zwar als Lektüre recht interessant und aufschlußreich, bietet aber keinen Anhaltspunkt dafür, wie gegenwärtigen Engpässen kurzfristig vor allen Dingen in der Allgemeinmedizin wirkungsvoll begegnet werden 'soll. Die Allgemeinpraxis von morgen wird sich im verstärkten Umfang auch auf den ständig weiterlaufenden und wachsenden Fortschritt in der Medizin einstellen müssen. Der technische Fortschritt mag zwar in vieler Hinsicht eine intensivere Behandlung erlauben, ebenso wie die Errichtung von Gruppenpraxen sicherlich helfen wird darauf hat Frau Minister Strobel hingewiesen —, doch habe ich die Befürchtung, daß auch das alles noch nicht genügen wird, diesen Mangel zu beseitigen.Der Hausarzt wird niemals in seiner Funktion durch ein seelenloses technisches Instrument ersetzt werden können; denn oftmals sind die psychologischen und menschlichen Kontakte des Arztes, die den Heilungsprozeß beschleunigen, von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Die besondere Betonung des Wirkungsbereichs und die Bedeutung des Allgemeinpraktikers sollte man nicht vergessen, wenn Lösungsmöglichkeiten für eine ärztliche Versorgung der Bevölkerung aufgezeigt werden.Bei allen im Gesundheitsbericht angesprochenen Bemühungen, einen ausreichenden Nachwuchs im ärztlichen wie im pflegerischen Bereich zu sichern, darf keineswegs die Bedeutung unterschätzt werden, die der notwendigen Bildungsplanung zukommt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6323
Dr. HammansMit Nachdruck hat Herr Minister Leussink — er ist leider nicht mehr hier anläßlich der Jahrestagung des Verbandes der Ärzte Deutschlands am 10. Oktober 1970 in Baden-Baden betont, daß zur Herstellung von Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit organisatorische Maßnahmen allein nicht ausreichend sind. Vielmehr ist darüber hinaus sicherzustellen, daß die Übergänge zwischen den einzelnen Ausbildungswegen und -stufen erleichtert und in sich durchlässiger gemacht werden. Für den medizinischen Bereich bedeutet dies, daß das hier notwendige Bildungsangebot nicht isoliert innerhalb der Gesamtplanung betrachtet werden kann, sondern innerhalb der Gesamtkonzeption abzustimmen ist.Eine solche Koordination, die zwischen den einzelnen Ressorts zu erfolgen hätte, ist im Gesundheitsbericht nicht enthalten, wird aber besonders bedeutsam, wenn man im Rahmen langfristiger Planungsvorhaben Fehlinvestitionen vermeiden will, die zudem mit erheblichen Kosten verbunden sind. Ebensowenig wird ein von Professor Leussink aufgegriffener Vorschlag, künftig bisher separate Ausbildungsgänge im Gesundheitsbereich sinnvoll miteinander zu verknüpfen, aufgegriffen oder vom zuständigen Ressort im Bericht einer Erwähnung für würdig erachtet.Lassen Sie mich noch einige Worte zu dem gegenwärtig beratenen MTA-Gesetz sagen. Dieses Gesetz soll Ausbildung und erforderlichen Bedarf im medizinisch-technischen Bereich in Anpassung an die fortschrittliche Entwicklung der Technik sicherstellen, damit genügend medizinisch-technische Assistenten und Assistentinnen zur Verfügung stehen. Dieses Gesetz bietet die Möglichkeit, eingepaßt in ein Gesamtbildungssystem, berufliche Weiterbildung und Aufstiegsmöglichkeiten zu sichern und zu fördern.In diesem Zusammenhang sei mir die Anmerkung erlaubt, daß es mich wirklich erschreckt hat, hierzu die Vorstellungen von Herrn Dr. Bardens im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu hören. Er ist leider im Augenblick nicht hier. Aus Berlin wurde mir dazu weiter berichtet, daß Herr Bardens auch am Samstag, dem 6. März, also morgen vor einer Woche, in Berlin
vor sozialdemokratischen Ärzten und Apothekern zu den weiteren Beratungen des MTA-Gesetzes die gleiche Meinung geäußert hat, nämlich die, daß es ausschließlich um eine Beratung und Beschlußfassung über dieses Gesetz auf der Basis der Regierungsvorlage gehen könne. Nicht nur dies zeigt, daß Sie gar nicht willens sind, ernsthaft Argumente von unserer Seite zu hören und zu verarbeiten. Ich glaube, Sie stehen mit dieser Ihrer Meinung, daß nur noch auf Grund der Regierungsvorlage weiterberaten werden solle, einsam auf weiter Flur.Ich habe in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der Arbeitsgruppe „MTA-Gesetz" eine ganze Reihe von MTA-Schulen in vielen Ländern der Bundesrepublik besucht, um mir ein Bild machen zu können. Das einhellige Urteil aller dort Lehrenden und Lernenden war, daß der umfassende Lehrstoff, der nichtweniger wird, sondern mehr, in zwei Jahren nicht zu bewältigen sei. In Hamburg haben MTA aus der gesamten Bundesrepublik demonstriert. Sie haben nicht etwa, wie man vermuten sollte und wogegen nichts einzuwenden wäre, für eine bessere Besoldung, sondern für eine bessere Ausbildung auf der Straße demonstriert.Neben den intensiven Bestrebungen, die Zahl der ausgebildeten Fachkräfte für die Heilberufe zu vergrößern, ist Ihnen sicherlich bekannt, daß die CDU/ CSU seit langem bemüht ist, Hilfskräfte zu mobilisieren, die die Krankenschwestern und die Kindergärtnerinnen in ihrer schweren Arbeit unterstützen und entlasten können. Ich darf in diesem Zusammenhang auf den von der CDU/CSU vorgelegten Gesetzentwurf zur Förderung sozialer Hilfsdienste hinweisen, der vorsieht, die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung in den angesprochenen Berufen attraktiver zu machen. Bei der Behandlung dieses Antrags im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zeigte sich deutlich, daß alle möglichen Gründe gesucht und, man möchte fast sagen, an den Haaren herbeigezogen wurden, um die Behandlung der Gesetzesvorlage zumindest hinauszuschieben, um nicht zu sagen, sie zu Fall zu bringen.Auffällig ist außerdem, daß zur Ausbildung der Krankenpflegeberufe im Gesundheitsbericht lediglich die lapidare Feststellung getroffen wird, daß die Ausbildung für diesen Beruf jeweils auf lange Sicht den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragen müsse. Meine Damen und Herren, für welchen Beruf, für welche Gruppe träfe das nicht zu? Wichtige Detailfragen, wie etwa Überlegungen zur Herabsetzung des Eintrittsalters in Krankenpflegeschulen, bleiben gänzlich unberücksichtigt.Ich darf noch einmal auf den Gesetzentwurf der CDU/CSU zurückkommen. Bereits seit April 1970, also fast seit einem Jahr, wird die Behandlung dieses Gesetzes verzögert und verschleppt, obwohl es beabsichtigt, Sperren abzubauen, die die Frauen bisher daran gehindert haben, eine Teilzeitbeschäftigung im Rahmen einer sozialen Tätigkeit aufzunehmen. Praktische Vorschläge, nicht aber ausschließlich die Feststellung von Tatsachen, sind notwendig, um bestehenden Mängeln wirkungsvoll begegnen zu können.Meine Damen und Herren, die von mir hier vorgetragene Kritik konnte sich nur auf wenige Punkte bei den Heilberufen beschränken. Doch habe ich versucht, sine ira et studio, Herr Hauck, jene Mängel in unserer Gesundheitssituation aufzuzeigen, die eigentlich auch im Gesundheitsbericht hätten enthalten sein sollen, um der Bevölkerung eine wirklich überzeugende Darstellung auf einem gesellschaftspolitisch so wichtigen Gebiet wie der Gesundheitspolitik zu vermitteln.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller. Für ihn ist eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Bundesregie-
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Spitzmüllerrung hat mit der Drucksache VI/1667 erstmals einen Gesundheitsbericht vorgelegt. Er ist als Erstlingswerk zweifellos ein geglückter Wurf und hat viel mehr positives als kritisches Echo in der Kommentierung durch die Presse gefunden. Ich glaube, auch der Laie kann mit diesem Werk etwas anfangen, wenn er die 186 Seiten mehr als einmal durchblättert.Herr Dr. Jungmann hat als erster Sprecher der Opposition Kritik geübt. Er hat das nach meinem Eindruck eigentlich in recht liebenswürdiger Weise getan, indem er ausdrücklich erklärte, diese Kritik verstehe sich allein schon wegen des Standpunkts der Opposition. Das ist immerhin ein Wort, Herr Kollege Jungmann. Jawohl, ich glaube, eine Opposition hat einfach die Aufgabe, ihre Finger kritisch dorthin zu legen, wo sie glaubt, daß Unterlassungen oder Ergänzungen vorgekommen oder notwendig sind.Sie haben in Ihrer Kritik, Herr Dr. Jungmann, erklärt, Sie hielten es für sehr bedenklich, daß die Presse den Bericht früher als die Bundestagsabgeordneten gehabt habe. Nun, wissen Sie, das ist manchmal so eine Sache mit dem Leeren der Fächer und mit der Abhaltung von Pressekonferenzen.
— Ich kann Ihnen nur sagen, wir waren ja auch einmal zusammen in der Regierung. Ich kann mich erinnern, daß von dieser Seite oft der Vorwurf kam, daß die Presse früher unterrichtet war, als die Abgeordneten die Berichte in den Fächern gefunden haben. Neu also ist dieser Vorwurf nicht,
aber, Frau Minister, wenn er überhaupt zutrifft, werden wir uns sicherlich verständigen können, um auch hier Besserung zu schaffen — wie wir überhaupt bemüht sind, Besserung zu schaffen; denn solche Berichte hat es früher ja nicht gegeben.Meine Damen und Herren, dieser Bericht ist doch auch eine Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit über anstehende Fragen — nicht nur über kurzfristige, sondern auch über langfristige ausgiebig zu informieren und darüber zu diskutieren. Und das ist ein Fortschritt!Herr Kollege Dr. Jungmann, wenn Sie meinten, der „stern" habe dieses Dokument als das erregenste bezeichnet, das im Augenblick in der politischen Arena festzustellen sei, und ich daraus schließen konnte, daß Sie diese Meinung nicht teilen, so mußte ich Ihrer Rede aber entnehmen, daß Sie dieses Dokument als etwas Beunruhigendes ansehen;
denn Sie haben eine ganze Fülle von Dingen aufgeführt, die Sie als beunruhigend bezeichnet haben. Nun, für den einen ist das beunruhigend, weil er die Zahlen aus seinem Fachwissen und seinem persönlichen Arbeitsbereich teilweise schon kannte, für den anderen, für den Laien, ist es eben erregend.Meine Damen und Herren, ich möchte hier nicht wiederholen, was schon eingehend erörtert worden ist, sondern ich möchte mich auf einige wenige Punkte beschränken, die mir von besonderer Bedeutung erscheinen. Das sind zunächst einmal die Grundsätze. Der Grundsatz Nr. 6 im Ersten Abschnitt hat zum Inhalt:Die Bundesregierung begrüßt und fördert die freie Initiative und das Engagement vieler Träger, Einrichtungen, Berufe und Personen im großen Aufgabengebiet des Gesundheitswesens. Sie hält die gegenwärtige Form des Wirkens und Zusammenwirkens von freien Kräften und Staat für die unserer Gesellschaft gemäße Praxis des Gesundheitswesens. Sie will auf dieser Basis für die Menschen die Sicherung der Gesundheit und die Hilfe und Heilung bei Krankheit weiter ausbauen.Meine Damen und Herren, das ist eine ganz klare Aussage und Feststellung. Wir Freien Demokraten haben Frau Minister Strobel zu danken, daß sie in ihrer Rede ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß diese Zusammenarbeit, dieses Zusammenwirken von Vertrauen getragen sein muß. Ich glaube, meine Damen und Herren, auch hier ist die heutige Diskussion bereits hilfreich gewesen. Wir Freien Demokraten haben allen Anlaß, Herrn Dr. Schmidt für die klare Aussage zu danken, daß die SPD, seine Fraktion, diese Regierung von der Verstaatlichung des Gesundheitswesens weit entfernt ist und daß von einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens keine Rede sein kann. Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Feststellung wird es ermöglichen, die Zusammenarbeit tatsächlich vertrauensvoller mit allen Trägern zu gestalten; denn die Zusammenarbeit war ein bißchen durch die Gerüchteküche erschwert — wenn wir ehrlich sein wollen —, die ja bekanntlich in den letzten Monaten nicht zur Ruhe kam, wegen angeblicher Sozialisierungs- und Verstaatlichungstendenzen dieser Regierung. Hier sind zwei klare Aussagen von der Ministerin und vom Sprecher der größten Regierungsfraktion gemacht worden.
— Ja, nun kommt der Zuruf, Herr Kollege Härzschel — —
Mein lieber Herr Kollege Härzschel, seien wir doch ehrlich, seien wir doch froh, daß es unten Menschen gibt, die sich politisch engagieren; seien wir froh, daß es unten junge Menschen gibt, die sich politisch engagieren, und haben wir doch volles Verständnis dafür, daß diese jungen Menschen dasselbe Recht für sich in Anspruch nehmen können, nämlich mit Idealvorstellungen in die Öffentlichkeit zu treten und sich dann mit der Wirklichkeit konfrontieren zu lassen und auseinandersetzen zu müssen. Machen wir uns doch nichts vor! Als wir 18, 20 oder 24 Jahre waren, sind wir vom Schwung des Herzens und vom Schwung des Idealismus getragen mit unseren Forderungen auch weit über das hinausgegangen, was realisierbar gewesen ist. Werten wir doch diese Dinge nicht immer so auf, sondern bezeichnen wir sie als das, was es ist: ein erfreu-
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Spitzmüllerlicher Vorgang der Diskussion, der dazu führensoll, daß wir uns mit den Dingen auseinandersetzen.
— Ja, aber ohne politische Aktivität von unten und ohne politische Aktivität der jungen Leute können Sie nicht erwarten, daß gelegentlich einmal etwas in die Welt gesetzt wird, was Sie dann ganz groß aufblasen können als Sozialisierungstendenzen und alles mögliche. Das ist doch der Kern, auf den ich kommen wollte, der hier immer eine Rolle spielt.Im zweiten Abschnitt werden die Schwerpunkte dargestellt. Herr Kollege Dr. Jungmann hat nun erklärt, daß die Prioritäten nicht richtig erkennbar seien und nicht richtig gesetzt worden seien. Aber ich glaube, in diesem zweiten Abschnitt sind die Aufgaben aufgezählt, denen sich die Bundesregierung im besonderen Maße widmen will. Dieser Aufgabenkatalog ist eine Art politisches Programm, das heute gerade im Hinblick auf die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser noch eingehend diskutiert werden wird. Die breite Darlegung dieser Punkte gibt allen Beteiligten und Betroffenen, ähnlich wie dies im letzten Sozialbericht der Fall war, eine Übersicht über die Fragen, die in einer anderen oder besseren Form regelungsbedürftig erscheinen.Sie können sich daher besser als in der Vergangenheit bei einer nur punktuellen Erwähnung in einer Regierungserklärung zu Beginn der Legislaturperiode mit den Fragen auseinandersetzen, die auf Sie zukommen, soweit dies nicht schon vorher geschehen ist. Es gibt also die Möglichkeit, sich langfristig mit diesen Fragen zu beschäftigen.Die Orientierungsdaten innerhalb des dritten Abschnitts, der Bestandsaufnahme, zwingen zu Schlußfolgerungen, vor denen wir unsere Augen nicht verschließen dürfen. Da ist die Entwicklung unserer Bevölkerung. Ihre Altersstruktur, die Lebenserwartung, die Änderung der Erwerbsstruktur, der Wandel der Struktur der Haushalte und andere Faktoren stellen explosionsartige Anforderungen an das gesamte Gesundheitswesen. Jede langfristige Betrachtung, die davon ausgeht, daß diese Aufgaben, rein vom Materiellen her gesehen, mit proportional wachsenden finanziellen Mitteln zu meistern seien, gibt sich einer Illusion hin, oder man muß in Kauf nehmen, daß die gesundheitliche Betreuung nicht nur auf dem jetzigen Stand bleibt, sondern unter ihn absinkt. Auch das muß man klar und deutlich aussprechen.Die Kenntnis möglicher und denkbarer Entwicklungen zwingt zu Entscheidungen in Ansatzschwerpunkten, von denen aus sie in gesundheitlicher, finanzieller und personeller Hinsicht am besten gemeistert werden können. Wir Freien Demokraten teilen die Auffassung der Bundesregierung, daß einer dieser Ansatzpunkte die Gesundheitsvorsorge sein wird. Das Thema Krankenhausversorgung hat zweifellos keinen minderen Rang.Aber alle diese Bemühungen von seiten der Gesetzgebung, über finanzielle Leistungen und andere Maßnahmen den entsprechenden Rahmen für diegesundheitliche Betreuung zu schaffen, werden den erwarteten Erfolg nicht bringen, wenn es uns nicht gelingt, für den Nachwuchs mehr zu tun und die Nachwuchssorgen im ärztlichen und im zahnärztlichen Bereich zu beheben und dem geradezu katastrophalen Nachwuchsmangel in den Gesundheitsberufen irgendwie entgegenzuwirken. Machen wir uns nichts vor, meine Damen und Herren! Es fehlt an ausgebildeten Schwestern und Pflegern, es fehlt an Krankengymnastinnen, an Diätassistentinnen, an Masseuren und Masseusen usw. Sie fehlen im Augenblick, weil weder Schwestern noch Ärzte marktgerecht besoldet Werden können, weil weder Ärzte noch Schwestern noch Heilhilfsberufe in der Öffentlichkeit so attraktiv gemacht worden sind, nicht nur von der Besoldung her, sondern auch von ihrer sozialen Aufgabenstellung her, daß der Zugang so stark ist, wie wir ihn in der Zukunft brauchen, wenn wir gesundheitspolitisch etwas leisten wollen bzw. wenn wir den Anforderungen gerecht werden wollen.Frau Strobel hat in einer erfreulichen Nüchternheit auf die Produktivitätseffekte einer aktiven Gesundheitspolitik hingewiesen. Ich glaube, es ist richtig, daß man auch diese Seite des Problems ganz offen darlegt und nicht mit irgendwelchen Worten um die notwendige Effektivität herumredet. In diesem Gesundheitsbericht ist auf Seite 67 unter Nr. 91 vom öffentlichen Gesundheitsdienst in den Ländern die Rede. Dort wird festgestellt, daß in den einzelnen Bundesländern 20 bis 60% der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst fehlen. Ich glaube, das wird für alle außerhalb dieses Hauses eine Anregung sein, einmal nachzudenken, ob bei einer Verstaatlichung des Gesundheitsdienstes die Effizienz der Leistungen für die Kranken und für die vorbeugende Gesundheitsvorsorge tatsächlich besser sein könnte, nachdem im staatlichen Bereich ein so hoher Fehlbedarf an Ärzten festzustellen ist. Nun wissen wir alle miteinander: dieser Fehlbedarf liegt erstens an der Besoldung. Er liegt in zweiter Linie daran, daß die Ärzte dort weitgehend mit Polizeimaßnahmen beauftragt sind. .Er liegt drittens daran, daß die Ärzte dort in Schreibtischarbeit, im Durchlesen von Erlassen und in der Durchführung von Verordnungen ersticken, wahrhaftiger Gott, keine attraktive Arbeit für einen Arzt und kein Anreiz, sich für diese, auch wichtige Aufgabe der Gesundheitspolitik zu entscheiden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auch auf die Seite 74 mit den Ziffern 104 ff. des Gesundheitsberichtes lenken. Ich möchte das heute nicht vertiefen, sondern nur daran erinnern, daß wir in einer großen Debatte anläßlich einer Großen Anfrage zur Fremdenverkehrspolitik auch einmal auf die Frage der Freizeit, der Erholung und des Sports vom wirtschaftlichen Bereich her eingegangen sind. Dieser Komplex begegnet uns wieder im gesundheitspolitischen Bereich. Hier müssen wir also auch eine große Aufgabe der Gesundheitspolitik und der Gesundheitserziehung sehen.Dieser Gesundheitsbericht weist auch noch ausdrücklich auf die Regierungserklärung vom 28. Ok-
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Spitzmüllertober 1969 bezüglich des Rechtes auf freie Artzwahl hin.Ich möchte zum Schluß kommen. Dieser Gesundheitsbericht ist ein Erstlingswerk. Dieses Erstlingswerk ist umfassend geraten. Sicherlich wird manche Anregung aus dieser Debatte und werden manchen Anregungen, die aus der Öffentlichkeit kommen, bei der Fortschreibung des Gesundheitsberichtes Verwendung finden. Aber, meine Damen und Herren, dieser Bericht ist auch ein Beitrag zu mehr Demokratie, zu mehr Beteiligungsmöglichkeit im Rahmen der Diskussion durch mehr Information über Dinge, die in den nächsten Jahren zur Entscheidung kommen. Von daher erfüllt dieser Bericht voll und ganz die Forderung, die diese Regierung in der Regierungserklärung sich selbst gestellt hat.
Schönen Dank, Herr Spitzmüller! Im Interesse des Hauses: Sie sind unter der Hälfte der vorgesehenen Redezeit geblieben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den Kapiteln des Gesundheitsberichtes, die ich als unterbelichtet und zuwenig differenziert bezeichnen möchte, zählt das Kapitel der ärztlichen Versorgung, vor allem der ärztlichen Versorgung der Bürger des ländlichen Raumes. In dem Gesundheitsbericht sind zwar einige sehr knappe Bemerkungen enthalten, die sich im wesentlichen auch in den Ausführungen der Frau Minister hier wiederholt haben. Aber ich meine, diesem Problem sollte größerer Nachdruck verliehen werden. Allein die Tatsache, daß innerhalb gut eines Jahres fünf Anfragen zu dieser Angelegenheit hier im Bundestag behandelt wurden, weist eindeutig auf die Dringlichkeit dieses Problems hin. Es ist sicher erfreulich, daß auf manchen Heilsektoren Fortschritte zu verzeichnen sind, z. B. daß die Vorsorgeuntersuchungen jetzt ebenfalls in die soziale Krankenversicherung einbezogen worden sind und daß die Diagnostik und die Therapie verfeinert werden. Aber es muß uns mit einer gewissen Sorge, ja, ich möchte sagen, mit Bestürzung erfüllen, daß die Grundversorgung auf dem Lande teilweise nicht mehr gegeben ist.
Wir erkennen alle an, daß die Chancengleichheit heute eine Grundforderung ist. Der Bundeskanzler hat noch in den Ausführungen zur Agrardebatte am letzten Mittwoch davon gesprochen, daß auch der ländliche Raum ein Recht auf gleiche Chancen hat. Aber im meine, dazu gehört auch eine ausreichende Versorgung mit Ärzten und Zahnärzten. Leider differenziert hier der Gesundheitsbericht nicht. Es wäre aber sehr angebracht gewesen, wenn einige der doch alarmierenden Zahlen in ihm enthalten gewesen wären. Ich glaube, das statistische Material steht zur Verfügung.
Ich darf nur zwei oder drei Zahlen nennen. Herr Dr. Hammans hat vorhin schon gesagt, daß laut Gesundheitsbericht im Jahre 1960 eine Arztdichte
von 1 : 703 vorhanden war. Im Jahre 1969 betrug das Verhältnis 1 : 659. Das ist also eine Verbesserung. Dabei ist zuzugeben, daß in dem Verhältnis praktischer Arzt zu Wohnbevölkerung eine geringfügige Verschlechterung eingetreten ist.
Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Räumen sind nun außerordentlich bedenklich geworden. So ist z. B. in München eine Arztdichte von i : 480 gegeben. Wir müssen aber feststellen, daß in zahlreichen Landkreisen eine Arztdichte von 1 : 2400 bis 1 : 2800 vorhanden ist.
Daran sehen Sie die Ungleichgewichtigkeit. Ich meine, darauf muß man mit größtem Nachdruck hinweisen.
Bei der Versorgung mit Zahnärzten ist es teilweise noch gravierender. Wir haben eine durchschnittliche Zahnarztdichte von ungefähr 1 : 1970. Der Wissenschaftsrat sieht ein Verhältnis von 1 : 2000 als angemessene Versorgung an. Die Versorgung ist also sogar noch etwas besser, als sie der Wissenschaftsrat fordert. In ländlichen Räumen haben wir aber teilweise eine Zahnarztdichte von 1 : 4000.
— Natürlich. Ich komme darauf noch zu sprechen.
Ich weiß natürlich, worauf das zurückzuführen ist.
Ich erkenne an — ich möchte das ausdrücklich sagen —, daß Schritte unternommen werden, dieses Problem zu bereinigen. Ich möchte auch sagen, daß die kassenärztlichen Vereinigungen Anstrengungen machen und daß es anzuerkennen ist, daß z. B. zinsverbilligte Darlehen zur Gründung von Praxen gegeben werden, daß man Modelle entwickelt für Gemeinschaftspraxen, daß man auch Staatsbürgschaften gibt und daß man eine Einkommensgarantie gibt. Alles das soll anerkannt werden. Nur dürfen wir uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich der Erfolg offensichtlich noch nicht eingestellt hat. Frau Minister, ich muß sagen: Sie erkennen im Gesundheitsbericht selber an, daß sogar die Gefahr besteht, daß die Schere größer wird. Infolgedessen ist es, glaube ich, notwendig, das mit dem nötigen Nachdruck anzusprechen.
Ich will diese Thematik nicht vertiefen. Ich will mich auch daran halten, daß wir uns hier kurz fassen sollten. Aber es wäre doch notwendig, so meine ich, in dieser Frage einmal eine wirklich konzertierte Aktion einzuleiten.
Frau Minister, wenn die Anreize, die bis jetzt gegeben sind, noch nicht genügen, muß man sie verstärken. Sicher kostet das Geld. Dieses Geld wäre aber außerordentlich gut angelegt, weil es einem existentiellen Anliegen der ländlichen Bevölkerung diente. Wenn es nicht wirkt, wird das Geld auch nicht ausgegeben — das ist leider die andere Alternative —, dann hat man also auch praktisch nichts eingesetzt. Aber man sollte versuchen, die Förderungsmöglichkeiten, die Konditionen und vielleicht auch die Quantität zu verbessern.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108, Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6327
Dr. Fuchs
Ich darf ein Zweites sagen, Frau Minister. Gerade bei den Studenten und bei den Jungärzten fehlt es, meine ich, teilweise auch an Aufklärung über die Verhältnisse im ländlichen Raum, die sich in den letzten Jahren doch ganz gewaltig geändert haben. Nun haben Sie doch große Erfahrungen als Aufklärerin, wenn ich so sagen darf, und infolgedessen sollte es, glaube ich, auch für Sie eine echte Aufgabe sein, hier in dem betroffenen Kreis der Studenten und Jungärzte mit größtem Nachdruck für diese Aufklärung zu sorgen, ihnen zu zeigen, welche großen Chancen sie haben, wenn sie sich als Ärzte im ländlichen Raum niederlassen, denn diese Chancen sind zweifelsohne viel größer, als die meisten wissen.
— Ja, sicher, das ist etwas anderes. Ich habe von der Werbung gesprochen, damit wir uns klar darüber sind. Und bitte, man muß ja versuchen, irgendwie einen Weg zu beschreiten, um dieses Problem zu lösen.
In diesem Zusammenhang darf ich auf etwas hinweisen, was gar nicht gefallen will. Bis jetzt waren in den Zonenrand- und Grenzgebieten Sonderabschreibungen auch für freie Berufe möglich, womit natürlich besonders die Arztpraxen gefördert werden konnten. Leider enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung diese Möglichkeit nicht mehr, während sie im Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vorgesehen ist. Ich würde Sie bitten, Frau Minister, bei Ihren Kabinettskollegen darauf hinzuwirken, diese Maßnahme wieder mit in das Gesetz hineinzubringen, und ich würde auch Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, die Sie in den zuständigen Ausschüssen mit der Beratung des Gesetzes befaßt sind, bitten, dafür einzutreten, denn gerade die Zonenrandgebiete und die Grenzgebiete zur CSSR hin sind es, die nachweislich die geringste Arztdichte aufweisen.
Dies ist dort nicht nur ein Problem der Bevölkerung, sondern selbstverständlich — und leider — auch ein Problem der Ärzte. Denn wenn z. B. eine Arztdichte von 1 : 2500 gegeben ist, ist der betroffene Arzt ein armer Hund, wenn ich mir diesen Ausdruck gestatten darf.
— Ja, ausgezeichnet! Sie bringen mich, Herr Hauck, auf den nächsten Punkt, den ich mir ohnehin vorgemerkt hatte. — Ich bitte also hinsichtlich der Sonderabschreibungen noch einmal darum, doch zu versuchen, diese Frage positiv zu lösen.
Und wenn — jetzt kommt der nächste Punkt —eine Praxis frei wird, haben wir festzustellen, daß sie oft monatelang nicht besetzt wird. Ich weiß, daß dabei gewisse Anforderungen zu erfüllen sind, würde aber dringend darum bitten, daß dann, wenn ausländische Ärzte, die geeignet sind — und die haben wir teilweise —, herangezogen werden können, tatsächlich etwas unbürokratischer vorgegangen wird, daß man tatsächlich in erster Linie den betroffenen Kreis ansieht und sich nicht hinter
Paragraphen verschanzt. Das wäre auch eine Aufgabe, die Sie, Frau Minister, im Zusammenwirken mit den Landesgesundheitsministern — und die Länder sind ja zuständig, ich weiß es — lösen sollten.
Ich darf noch sagen, die Länderminister haben darauf hingewiesen, daß möglicherweise auch gesetzliche Maßnahmen erforderlich sind. Wäre es nicht sinnvoll, festzustellen, bis zu welcher Arztdichte man gehen kann, zu sagen, von einer bestimmten überhöhten Anzahl möglicher Patienten an ist ein echter Notstand gegeben, und dort dann eben auch gesetzgeberisch einzugreifen? Ich weiß, das ist auch eine Frage, die im Zusammenwirken mit den Ländern zu lösen ist. Nur enthebt uns — uns, den Bundestag, und Sie, Frau Bundesgesundheitsminister — dies nicht der Verpflichtung, daß wir alles daransetzen, um dieser, glaube ich, wirklich gefährlichen Entwicklung zu steuern. Ich möchte Sie in meinem Beitrag dazu aufgefordert haben. Sprechen Sie einmal mit den verantwortlichen Politikern auf kommunaler Ebene! Sie werden Ihnen das bestätigen, was ich gesagt habe. Natürlich appellieren sie auch — manchmal vielleicht in Unkenntnis der Zuständigkeiten — mit Nachdruck an den Bundestag und an das Bundesgesundheitsministerium, ihrer ernsten Sorge abzuhelfen.
Man wird zwar nicht sagen können, daß das ein Stück innerer Reform sei, aber man wird einer bedrohlichen Entwicklung Einhalt geboten haben. Wenn das erreicht wird, hat diese Debatte über den Gesundheitsbericht auch auf einem kleinen Sektor ihren Sinn gehabt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Henze.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Ich möchte nur zu einem Teil des Gesundheitsberichts Stellung nehmen, nämlich zum Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs . Die Rauschgiftwelle hat von Amerika ausgehend über England, Holland und die skandinavischen Staaten seit etwa drei Jahren auch die Bundesrepublik erreicht. In erschreckender Weise nehmen Rauschgiftdelikte, Apothekeneinbrüche, Rezeptfälschungen und ähnliches zu. Die Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU vom 13. Juli 1970 nennt dafür Zahlen. Die endgültigen Zahlen für 1970 stehen noch aus, lassen aber ein erhebliches weiteres Ansteigen erwarten. An den Delikten waren Jugendliche zwischen 18 und 20 Jahren mit etwa 40 % beteiligt. Zu beachten ist, daß die Dunkelziffer sehr hoch liegt. Das Westberliner Rauschgiftdezernat gibt sie nach Zeitungsmeldungen mit 1 zu 300 an.Nicht nur die Enquete, die im Auftrage des Europarates erstellt wurde, stellt fest, daß der Drogenmißbrauch in Europa ganz allgemein im Zunehmen ist. Dabei werden vier Trends erkennbar:
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Frau Dr. Henze1. ein Übergreifen auf immer jüngere Menschen,2. eine Zunahme der weiblichen Drogenabhängigen,3. eine Häufung der Polytoxikomanien,4. der Übergang auf intravenöse Injektionen, besonders auch von Amphetaminen und Opium und zunehmend auch von Heroin.Noch ist es in der Bundesrepublik wohl so, daß Haschisch und Marihuana die meistgebrauchten Drogen sind. Aber die Drogenszene ist, wie der „Spiegel" schon im August 1970 schrieb, „im Begriff, sich zu verdüstern". Stärkere Drogen spielen eine immer größere Rolle.Erwähnt werden muß auch, daß es sich nicht nur um ein Problem der Großstädte handelt. Praktisch können Jugendliche überall in der Bundesrepublik an Rauschdrogen kommen.
Ob es stimmt, was letzte Meldungen sagen, daß der Höhepunkt der Rauschgiftwelle überschritten sei und unter Oberschülern das Interesse nachlasse, ist nicht erwiesen, so wünschenswert es wäre. Es scheint aber, daß im wachsenden Maße auch Lehrlinge affiziert werden.In der öffentlichen Diskussion spielte lange Zeit die Frage eine Rolle, ob Haschisch und Marihuana wirklich so gefährlich seien. Es gab sogar Stimmen, die für eine Legalisierung dieser Drogen eintraten. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Aktionsprogramm in dieser Frage eindeutig entschieden. Sie hat sich den Standpunkt vieler Wissenschaftler zu eigen gemacht, die vor den Gefahren des Haschischgenusses warnen. Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde in Bad Nauheim im Oktober letzten Jahres wurde z. B. deutlich nachgewiesen, daß Haschisch eine „Schrittmacherfunktion" ausübe.Für eine Reihe von Wissenschaftlern steht außer Zweifel, daß Cannabis nicht nur eine psychische Abhängigkeit bei länger währendem Gebrauch hervorruft, sondern unter bestimmten Bedingungen auch eine leichte physische Abhängigkeit hervorrufen kann. Zweifellos führt der Genuß von Haschisch zum Verlust der Selbstkontrolle, zur Passivierung der Persönlichkeit und damit zum Unvermögen, das Drogenverhalten noch selbst zu steuern. Das ist dann der Weg zum Übergang zu Drogen, die nicht nur eine psychische, sondern auch eine physische Abhängigkeit hervorrufen. Lassen Sie mich auch auf die eindeutigen Erklärungen des 73. Deutschen Ärztetages vom Mai letzten Jahres hinweisen, in denen in Übereinstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde nachdrücklich vor jeder Liberalisierung der Herstellung, des Handels und des Verbrauchs von Cannabis, LSD und anderen halluzinogenen Substanzen gewarnt wurde. Professor Bochnik, der Vorsitzende der Expertenkommission über die Drogengefährdung und Drogenabhängigkeit Jugendlicher, die beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit gebildet wurde, erklärte in einem „Spiegel"-Interview im letzten August:Ich habe meine frühere Toleranz dem Haschisch gegenüber aufgegeben. Selbst wenn nur 10 % oder sogar noch weniger der Hascher dazu neigen würden, zu harten Drogen überzugehen, so wäre diese Umsteigerquote nicht erträglich.Ich habe so nachdrücklich auf die Gefährlichkeit von Haschisch hingewiesen, weil laut einer Umfrage vom letzten Sommer 30 0/o der Erwachsenen bereit waren, Haschisch zu probieren. Professor Burchard aus Hamburg-Eppendorf kam bei einer Umfrage bei Hamburger Oberschülern sogar auf 44 %. So jedenfalls war es damals in der Zeitung zu lesen.Es ist zu fordern, daß die genaueren Wirkungen ,der Rauschdrogen, besonders auch von Haschisch und LSD, beschleunigt erforscht werden. Es wäre zu wünschen, daß konkrete Ergebnisse schon eher als in fünf Jahren — dieser Zeitraum wird in der Begründung des von der Regierung vorgelegten Opiumgesetzes genannt — vorgelegt werden. Daß die Klärung einer so wichtigen Frage wie der der Wirkung der Drogen auf die Veränderung der Gene natürlich Zeit braucht, ist selbstverständlich.Wegen der negativen Wirkung des Haschkonsums hat sich die engagierte Linke längst davon abgesetzt. Röhl sagt in „Konkret" vom Februar vorigen Jahres kurz und deutlich: „Hasch macht dumm". Mit Hasch lassen sich keine privaten und schon gar keine politischen Probleme lösen. Mit Hasch kann man die Gesellschaft nicht reformieren und noch weniger revolutionieren.Aus welchen Motiven kommen Jugendliche aber zum Rauschmittelmißbrauch? Eine wissenschaftliche Untersuchung zu dem Fragenkreis steht noch aus. Sie ist im Aktionsprogramm der Regierung angekündigt, und wir können nur hoffen, daß bald Ergebnisse vorgelegt und veröffentlicht werden. Ein Vorbericht dazu ist von der Frau Minister vorhin angekündigt worden. Aus den Veröffentlichungen von Wissenschaftlern, z. B. von Bochnik und Wanke, geht aber hervor, daß neben persönlichen Reifungsproblemen, Schulproblemen insbesondere — das wurde auch vorhin schon gesagt — Spannungen im Elternhaus und in der Berufswelt eine entscheidende Rolle spielen. In Gruppendiskussionen wurden dann auch gesellschaftskritische Gesichtspunkte genannt. Außerdem dürfte meines Erachtens der Nachahmungstrieb, Neugier, Unkenntnis und Neigung zum Risiko sowie auch ein allgemeiner Widerwille gegen die Normen einer Leistungsgesellschaft eine Rolle spielen. Offensichtlich läßt sich die verbreitete Meinung nicht bestätigen, wonach es fest artikulierte politische Standpunkte seien, welche junge Menschen heute in großer Zahl zum Rauschmittelkonsum bringen.Wir sollten uns, meine ich, auch nicht der Überlegung verschließen, daß mancher „aus der Gesellschaft aussteigt", weil er auf die Frage nach dem Wesen des Menschen und dem Sinn des Lebens eine Antwort nur im Rausch zu finden glaubt.
Warum spielt ein psychedelischer Kult bei vielendenn eine Rolle? Die Rationalisierung der Umwelthat das emotionelle Erleben verdrängt. Hier wird
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Frau Dr. HenzeErsatz gesucht. Wir sollten auch die Äußerung eines Pädagogen ernst nehmen, der sagt: „Die interesselose, die zynisch sich langweilende Jugend stellt uns Ältere unbarmherzig vor die Frage, wieviel an Wertbewußtsein durch uns bereits zerstört worden ist."Wir sind uns darin einig, daß dem Rauschmittelmißbrauch und damit der Gefährdung Jugendlicher nicht nur durch eine Verschärfung der Gesetzgebung begegnet werden kann. Über die Notwendigkeit einer Neufassung des Opiumgesetzes und einer Verschärfung der Strafe für illegalen Rauschgifthandel wird später noch eine Erklärung abgegeben werden.Prävention heißt die Aufgabe. Eine wirkungsvolle Aufklärungsaktion, wie sie die Bundesregierung in ihrem Aktionsprogramm ankündigt, setzt Kenntnis der Motivationen jugendlicher Rauschmittelabhängiger voraus und muß darauf aufbauen. Vor allem muß vermieden werden, durch Broschüren mehr Neugier zu wecken als abzuschrecken.
Besondere Bedeutung kommt meines Erachtens den Vertrauenslehrern in den Schulen zu. Ihre Aufgabe ist schwer. Das Unterrichten wird sowieso von Tag zu Tag schwerer, vor allem für die, die noch Erzieher sein wollen. Bei der allgemeinen Autoritätskrise leidet oft die Disziplin, zum Schaden für viele Schüler. Ich kann nur hoffen, daß sich genügend Kollegen in den Schulen finden, die bereit sind, sich um das Vertrauen der jungen Menschen zu bemühen und sie und ihre Eltern zu beraten. Wir sollten uns auch darüber klar sein, daß die Anonymität des Schülers in Mammutanstalten ein weiteres Problem darstellt. Gesamtschulen mit 2000 bis 3000 Schülern bedeuten sicher eine größere Gefahr für potentielle Rauschgiftnehmer als kleinere, überschaubare schulische Einheiten.
Selbstverständlich erscheint mir, daß die Aufgabe der Vertrauenslehrer für Drogenfragen bei der Stundenverteilung berücksichtigt werden muß. Darüber müssen Gespräche mit der Kultusministerkonferenz geführt werden.Die größte Sorge bedrängt die Eltern von heranwachsenden Jugendlichen. Sie haben ein Recht auf genaue Information über die Gefährlichkeit der gebräuchlichsten Drogen. Ihnen ist weder mit einer Bagatellisierung noch mit einer Dramatisierung gedient. Sie haben, meine ich, auch das Recht mitzusprechen, wenn es in den Schulen oder Ausbildungsstätten ihrer Kinder Rauschmittelmißbrauch gibt. Dies dürfte eine wesentliche Aufgabe der Elternräte sein. Es muß aber gelingen, das immer noch vorhandene Mißtrauen zwischen Eltern und Lehrern abzubauen.Die Aufgabe des Staates ist es, die Erziehungskraft der Eltern zu stärken. Dazu bieten sich Hilfen wie Beratungsstellen, Elternschule und ähnliches an. Diese Einrichtungen sind so auszubauen und personell mit qualifizierten Kräften auszustatten, daß sie wirksame Hilfe leisten können. Alle Kräfte der Gesellschaft müssen helfen, daß das Rauschgift fürJugendliche seine Faszination und seinen trügerischen Glanz verliert.
Die Eltern aber sollten meines Erachtens stärker zu personalbedingter Autorität in der Erziehung ermutigt werden.Neue Aufgaben kommen meines Erachtens auch auf die Jugendhilfe zu. Es wird zu prüfen sein, ob die entsprechenden Paragraphen des Jugendwohlfahrtsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes ausreichen, um z. B. rauschgiftsüchtige Jugendliche und Kinder einer entsprechenden Behandlung zuzuführen. Überlegungen werden auch angestellt werden müssen, ob die Möglichkeiten einer Beistandschaft oder einer Pflegschaft ausreichen. Hier könnten unter Umständen für Eltern von rauschgiftsüchtigen Kindern und Jugendlichen zusätzliche Erziehungshilfen geleistet werden. Es stellt sich auch die Frage, ob das Jugendschutzgesetz überprüft werden muß. Es dürfte bekannt sein, daß Diskotheken oder Beatschuppen nicht selten Umschlagplätze für Rauschmittel sind und viele Jugendliche zum erstenmal in solchen Etablissements mit Rauschmitteln in Berührung kommen.Der Heilbehandlung und Rehabilitation jugendlicher Rauschgiftsüchtiger muß meines Erachtens in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es fehlen in den meisten Fällen besondere Abteilungen in den psychiatrischen Kliniken. Der Oberarzt der Frankfurter psychiatrischen Universitätsklinik, Dr. Wanke, hat einen Modellvorschlag gemacht, der drei Stufen vorsieht: Begegnungs- und Beratungszentrum, ein Behandlungszentrum und ein Rehabilitationszentrum mit Wohngemeinschaften. Mit diesem Modell hat sich auch die Expertenkommission beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit befaßt und es grundsätzlich befürwortet. Laut „Frankfurter Rundschau" vom Dezember 1970 kostet die Verwirklichung dieses Projektes 6 bis 7 Millionen DM. Hier wird deutlich, welche finanzielle Aufgabe auf die Allgemeinheit zukommt.Die Heilungsaussichten bei Rauschgiftsüchtigen — das möchte ich auch noch erwähnen — sind sehr gering. Das scheint das Urteil der meisten damit Befaßten zu sein. Die Rückfallquote liegt in den meisten psychiatrischen Kliniken der Bundesrepublik bei über 90 %.In der Antwort auf die kleine Anfrage der CDU/ CSU vom Juli vorigen Jahres wird gesagt, daß es bereits 315 konfessionelle Beratungsstellen gibt, wozu noch die Ehe- und Lebensberatungsstellen und ähnliche Einrichtungen kommen. Ich meine, es gebührt den freien Trägern und ihren hauet- und ehrenamtlichen Helfern unser Dank für die unermüdlich geleistete Arbeit. Wir werden als CDU/CSU alles unterstützen, was die Arbeit der freien Träger wirksamer machen könnte.
Die Allgemeinheit hat ein großes Interesse an der Lösung des Problems. Es kann nicht argumentiert werden, daß die Freiheit des einzelnen unzumutbar eingeengt würde, wenn z. B. Haschisch und LSD weiter zu den verbotenen Drogen gehörten.Frau Dr. HenzeEs kann nicht nur als Privatangelegenheit betrachtet werden, ob und wie ein jugendlicher Staatsbürger sich gesundheitlich und sozial ruiniert.
Am Rande möchte ich auch noch auf die bis jetzt noch nicht genau erforschte Wirkung von Drogengenuß auf die Verkehrstauglichkeit hinweisen. Tatsache ist, daß schon bei einer halben Haschischzigarette die Fahrtüchtigkeit im Reaktionstest erheblich beeinträchtigt wird.Im Juni vergangenen Jahres kündigte die Bundesregierung ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Rauschmittelmißbrauch an. Im November vergangenen Jahres hat sie es im Kabinett verabschiedet und mit propagandistischem Aufwand der Öffentlichkeit vorgestellt. Jetzt finden wir es wörtlich im Gesundheitsbericht der Bundesregierung wieder. Wann, so möchte ich fragen, folgen den Ankündigungen Taten?Es reizt, eine Reihe von Fragen zu stellen. Ich möchte mich auf weniges beschränken.Erstens. Im Aktionsprogramm wird ein Gespräch angekündigt, das zu Beginn des Jahres 1971 mit den obersten Landesjugendbehörden, den kommunalen Spitzenverbänden, den Jugendverbänden und den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege über die Verwirklichung des Aktionsprogramms stattfinden und über dessen Ergebnisse die Öffentlichkeit unterrichtet werden soll. Wann können wir mit den ersten Ergebnissen rechnen?Zweitens. Zum Thema der Aufklärung der Bevölkerung macht das Aktionsprogramm eine Reihe von Vorschlägen. Für Anfang 1971 ist die Herausgabe und Verbreitung einer Aufklärungsbroschüre angekündigt. Wie auf Anfrage zu erfahren war, wird mit der Verteilung erst im Sommer dieses Jahres zu rechnen sein. Hoffentlich können die Schüler sie zu Beginn des neuen Schuljahres erhalten.Drittens. Wann werden die Empfehlungen der Expertenkommission vorgelegt, die laut Aktionsprogramm Anfang dieses Jahres den Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und sonstigen interessierten Stellen zugeleitet werden sollen?Viertens. Wie steht es mit der wissenschaftlichen Dokumentation zum Drogenproblem, die das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information in Köln in Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Instituten erarbeiten sollte?Fünftens. Da die Bundesregierung der internationalen Zusammenarbeit in dieser Frage mit Recht großes Gewicht beimißt, ist die Frage zu stellen: Mit welchen Staaten hat sie inzwischen bilaterale Verhandlungen aufgenommen, um zu Regelungen zu gelangen, die auf eine Kontrolle des Anbaus und der Ausfuhr von Suchtstoffen gerichtet sind?Meine Damen und Herren, es liegt mir nicht daran, hier zu polemisieren. Mir liegt aber sehr daran, die Regierung eindringlich zu mahnen, ihren angekündigten Absichten Maßnahmen folgen zu lassen und das Parlament laufend zu unterrichten. Der Mitarbeit der CDU/CSU-Fraktion kann ich Sie versichern.
Frau Kollegin, wir gratulieren zu Ihrer Jungfernrede.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Eben meinte ein Kollege mit dem Blick auf die Präsenz in diesem Hause, daß zur Zeit an den Beratungen ausgerechnet nur noch jene Abgeordneten teilnähmen, deren Gesundheitszustand eine etwas größere Schonung verdiente. Ich will mich bemühen, es sehr kurz zu machen. Ich möchte nur drei Dinge ansprechen und hoffe, in sechs bis acht Minuten fertig zu werden.Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Die Menschen sind sicher gesundheitsbewußter geworden. In der Gesundheitspolitik zeichnen sich neue Schwerpunkte ab: Vorbeugung und Vorsorge sind in den Vordergrund gerückt. Zur Vorsorge gehört aber vor allem auch eine gründliche und umfassende gesundheitliche Aufklärung. Trotz großer Leistungen und Bemühungen in der Vergangenheit sind die Aussagen des Gesundheitsberichts für eine umfassende gesundheitliche Aufklärung, insbesondere hinsichtlich der Darstellung der Risikofaktoren, ein wenig zu dünn.Dies gilt vor allem bei Herz- und Kreislaufkrankheiten. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte die Weltgesundheitsorganisation kürzlich eine Woche dieses Jahres zur Herzwoche erklärt. Eine erschreckende Statistik hat die Genfer Zentrale bewogen, Herzalarm für Europa zu geben. Trotz jahrelangen Warnens vor den Risikofaktoren Übergewicht, Bewegungsmangel und Zigarettenrauch ist die Sterblichkeitsziffer bei Herz- und Kreislaufkrankheiten rapide angestiegen. 1949 erlagen in unserem Land 14 000 Menschen einem Herzinfarkt. 1969 waren es 103 000, und 1970 soll die Zahl 125 000 sein. Betrüblich ist vor allem, daß mehr und mehr auch junge Menschen betroffen werden.Seit der Währungsreform ist die Zahl der Herzkrankheiten angestiegen. Man kann sagen: Je besser es uns geht, desto schlechter geht es unserem Herzen. Infarktkranke rauchen mehr, essen mehr Fett und bewegen sich weniger. Sie trinken mehr Alkohol, haben durchschnittlich weniger Schlaf und meist seelische Probleme. Das fanden die Ärzte heraus. Die Kompensation zum guten Essen, die körperliche Arbeit, ist weggefallen. Das Herzleiden droht nicht nur Managern, sondern auch Arbeitern und Handwerkern.Die Kardiologen verwenden für die Zunahme dieser modernen Geißel der Zivilisation Begriffe wie explosions- und lawinenhaft. Dies ist überdeutlich. Andererseits erklärte ein bekannter Münchener Arzt wiederholt, daß es in der Hand jedes einzelnen liege, ob er einen Infarkt bekomme oder nicht.Daher, so meine ich, müssen die Anstrengungen in der Aufklärung verstärkt über die Darstellung der Risikofaktoren effektiver und deutlicher gemacht werden. Alle Möglichkeiten sollten sinnvoll eingesetzt werden.
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BurgerEin zweiter Punkt, der, wie ich meine, im Gesundheitsbericht etwas zu kurz kommt, ist die bedauerliche Tatsache, daß neben nun bald 20 000 Verkehrstoten eine dreimal so große Zahl von schweren und bleibenden Hirnverletzungen durch Verkehrsunfälle zu beklagen ist.
Der Stuttgarter Bürgermeister Matussek hat in einem Bericht des Krankenhausinstituts erklärt, daß nur 10 % der Schädelverletzten fachgerecht behandelt werden können. Hier ist also eine große Lücke. Weder die notwendigen Betten in Fachkrankenhäusern noch die erforderlichen Ärzte stehen zur Behandlung zur Verfügung, noch steht eine ausreichende Zahl von Rehabilitationseinrichtungen für diese besonders schwierigen Verletzungen zur Verfügung.Hier stellen sich eine Menge Fragen und Probleme. Wieviel Fachärzte und Spezialbetten fehlen? Wie sieht die Nachbetreuung aus? Haben wir genügend Sozialarbeiter? Wie ist die Entwicklung im Ausland? Ich meine, daß besonders spezielle Probleme auch einer gezielten Forschung bedürfen. Warum schweigt dieser Bericht zu diesen sehr schwierigen Problemen?Lassen Sie mich zum dritten und letzten noch einige Ausführungen über die Eingliederung behinderter Kinder in Beruf und Gesellschaft machen. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf für die contergan-geschädigten Kinder vorgelegt. Wir haben das Bemühen begrüßt und werden uns intensiv dafür einsetzen, daß das Gesetz über eine Stiftung für diese Kinder unverzüglich vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden kann. Der Fachausschuß ist sich mit den Sachverständigen darüber im klaren, daß die Stiftung insbesondere für die contergan-geschädigten Kinder geschaffen werden soll, da die Mittel für eine notwendige Eingliederung der anderen behinderten Kinder aus dieser Stiftung nicht ausreichen. Verbesserte Hilfen für die anderen behinderten Kinder müssen durch klare Rechtsansprüche in den Leistungsgesetzen gefunden werden.Die Bundesregierung hat in ihrem Aktionsprogramm zugesagt, daß alle Kinder mit Behinderungen die gleichen Chancen für ,die Eingliederung haben sollen, macht aber in ihren Perspektiven keine konkreten Vorschläge über die Verbesserung des Leistungsrechts für diese Kinder.Der Bundestag hat in der letzten Legislaturperiode das Bundessozialhilfegesetz verbessert. Es erscheint naheliegend, die Einkommensgrenzen so zu erhöhen, daß die Eltern von Kostenbeiträgen entlastet werden. Da das System des Sozialhilferechts aber auf individuelle und nachrangige Hilfen zugeschnitten ist, stellt sich die entscheidende Frage, ob diese versorgungsähnlichen Ansprüche nicht den Rahmen dieses Gesetzes sprengen. Wenn das staatspolitische und gesellschaftspolitische Interesse an der Wiedereingliederung oder Neueingliederung der Kinder für alle gleich stark sein soll, müßte bei Eingliederungsmaßnahmen auf Kostenbeiträge verzichtet werden. Dies fordert dem Sinn nach dasAktionsprogramm der Regierung wie auch das Programm der CDU/CSU. Ich bin der Auffassung, daß hierzu eine Konzeption entwickelt werden muß, wie sie z. B. bei der Ausbildungsförderung oder beim Wohngeld, wo sich Bund und Länder in die Aufbringung der Mittel teilen, oder nach den Vorstellungen eines zur Beratung anstehenden Krankenhausfinanzierungsgesetzes, wo die Kosten gedrittelt werden sollen, besteht. Hierüber aber und über die weitere Ausgestaltung schweigt sich der Gesundheitsbericht aus.Welche Schritte erwägt nun die Bundesregierung für eine Verbesserung des Leistungsrechts für die behinderten Kinder? Das ist unsere Frage. Der Gesundheitsbericht bringt vieles, aber in manchen schwierigen Fragen vermisse ich Klartext.Gefreut hat mich die Überschrift über dem Kapitel „Probleme der Heilberufe", weil mir die Bezeichnung „Heilhilfsberufe" für Schwestern, Pfleger und technische Assistentinnen ganz und gar nicht gefällt. Schwestern, Pfleger und TAs sind Helfer für Kranke und Helfer für Ärzte. Leider war meine Freude keine reine, denn zweimal — präzise: auf Seite 362 und 366 — schlicht sich wieder die, wie ich meine, unschöne Bezeichnung „Heilhilfsberufe" in den Text ein. Frau Minister, eine herzliche Bitte: Lassen Sie diese Formel von gestern ablegen. Ich meine, daß gerade unsere Schwestern, Pfleger und technischen Assistentinnen nicht mehr mit diesem antiquierten Begriff „Heilhilfsberufe" bezeichnet werden sollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurz zu zwei Fragen etwas sagen, nämlich zu dem von dem Herrn Kollegen Burger angesprochenen Gesetzentwurf „Hilfswerk für das behinderte Kind" und zu den Hilfen für die übrigen behinderten Kinder, die durch diesen Gesetzentwurf nicht erfaßt sind.Herr Kollege Burger, Sie wissen, daß der Gesetzentwurf zur Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind" im ersten Durchgang den Bundesrat passiert hat. Zur Zeit sind die Ausschüsse des Bundestages damit befaßt. Sie wissen auch, daß der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit federführend ist und daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie der Rechtsausschuß an der Beratung beteiligt sind. Es ist Ihnen auch in Erinnerung, daß inzwischen vor dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ein Hearing stattgefunden hat, in dem Sachverständige verschiedener Fach-und Interessenrichtungen angehört worden sind. Für die Durchführung dieses Gesetzes — wir hoffen, daß der Entwurf bald verabschiedet werden kann, nämlich dann, wenn wir uns mit Ihnen über die Grundzüge dieses Gesetzentwurfs geeinigt haben; ich hoffe, daß das spätestens in 14 Tagen der Fall sein wird — ist das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zuständig.
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GlombigDarüber hinaus müssen wir uns — darüber gibt es gar keinen Zweifel, und daran möchte ich auch hier gar keinen Zweifel lassen, weil Sie die Frage eben gestellt haben Gedanken über weitere Änderungen oder Ergänzungen des Bundessozialhilfegesetzes machen. Sie haben die Frage gestellt, ob es nicht richtig sei, die Hilfen für die übrigen behinderten Kinder ebenfalls aus dem Bundessozialhilfegesetz herauszunehmen, unter Umständen auch auf Kasten des Bundes und unter Beteiligung der Länder. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es zur Zeit solch einen gangbaren Weg gibt, aber ich glaube, es gibt auch hier den Weg einer Ausgestaltung des Bundessozialhilfegesetzes. Die Anpassung des Leistungsrechts des Bundessozialhilfegesetzes an die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung ist ein immerwährender Prozeß. Allein aus unserem Sozialstaatsprinzip ergibt sich die Forderung nach einem optimalen Ausbau unseres Systems der sozialen Sicherheit. Schon während der Arbeiten an der zweiten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz wurde eine Menge von Fragen aufgeworfen, die für eine weitere Novellierung zurückgestellt worden sind. Unabhängig davon kommen für die Gesetzesarbeit aus der Praxis ständig Anregungen. Aber auch im politischen Raum werden natürlich Forderungen laut. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion jedenfalls hält weitere gesetzliche Initiativen zur Verbesserung der Hilfen für Behinderte für erforderlich mit dem Ziel, alle Behinderten gleichzustellen. Es besteht für uns kein Zweifel daran, daß es notwendig ist, alsbald als ersten Schritt zur Verwirklichung dieses Zieles einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hilfen für Behinderte nach dem Bundessozialhilfegesetz vorzulegen. Die Neuregelung sollte insbesondere eine Verbesserung der Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte, eine Verbesserung der Hilfe zur Pflege und ihre Angleichung für besonders schwer behinderte Personen an die für die Blinden geltenden Regelungen sowie eine Verbesserung der Bestimmungen über die Einkommensgrenzen enthalten.Ich bin davon überzeugt, daß sich alle Fraktionen des Hohen Hauses für eine interfraktionelle Entschließung in diesem Sinne bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind" einigen werden und daß sich das Hohe Haus bei der Verabschiedung des Gesetzes selbst, die in Bälde zu erwarten ist, ebenfalls einig sein wird.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Der Altestenrat empfiehlt Überweisung des Gesundheitsberichts an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und den Innenausschuß. Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe dann Punkt 16 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
betr. Ausbau und Sicherung eines bedarfsgerecht gegliederten Systems leistungsfähiger Krankenhäuser
— Drucksache VI/1594 —
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze — KHG
— Drucksache VI/ 1874 —
Das Wort zur Begründung des CDU/CSU-Antrags hat Herr Abgeordneter Katzer. Für ihn ist eine Redezeit von 40 Minuten beantragt worden.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Ausbau und Sicherung eines bedarfsgerecht gegliederten Systems leistungsfähiger Krankenhäuser zu begründen.Eine Reform uneres Krankenhauswesens gehört zu den gesellschaftspolitischen Vorhaben, die mit Recht als besonders vordringlich empfunden werden. In allen Bevölkerungsumfragen der letzten Zeit steht die Krankenhausreform ganz weit oben, zumeist an erster Stelle. Der Wunsch nach einer besseren Krankenhausversorgung 'spielt bei uns im Lande eine so große Rolle, daß dieses Anliegen noch vor der Forderung nach mehr Schulen, Straßen, Kindergärten und weit vor anderen Veränderungen, wie etwa der Verkürzung der Dienstzeit bei der Bundeswehr, rangiert.
Kein Wunder; denn auf die Frage nach dem „kostbarsten Gut" wird mehr denn je die Gesundheit genannt.Diese Tatsache sollte Initiativen zur Reform des Krankenhauswesens erleichtern, da sie signalisiert, wo unsere Mitbürger der Schuh drückt.Der Münchener Oberbürgermeister Dr. Vogel stellte jüngst in seiner harten Kritik an der Münchener SPD fest, daß diese nach seiner Meinung eine dogmatische Ideologisierung anstrebe, in deren Mittelpunkt nicht der konkrete Mensch, sondern ein abstraktes System stehe.
— Seien Sie ganz beruhigt, Herr Kollege! Ich glaube, dieser Satz ist auch bei Ihnen des Nachdenkens wert, und deshalb habe ich ihn zitiert.
Wir denken jedenfalls darüber nach.
Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion geht es um nichts anderes als um eben diesen konkreten Menschen.
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KatzerTrotzdem, meine Damen und Herren, ist nicht zu verkennen, daß breite Zustimmung zu Initiativen auf dem Gebiete des Krankenhauswesens auch eine Belastung für diejenigen werden kann, die es ernst meinen mit dem Bemühen um eine bessere Krankenhausversorgung; denn nur zu leicht gerät in den Hintergrund, was sachlich notwendig ist, wenn Weltverbesserer glauben, hier den geeigneten Resonanzboden für Utopien gefunden zu haben.Das Schlagwort vom klassenlosen Krankenhaus machte jüngst die Runde. Bei Wahlkämpfen haben wir sehr viel davon gehört. Ich meine, es ist ebenso vielsagend wie irreführend. Politisch bedeutsam in diesem Zusammenhang scheint mir die betrübliche Feststellung zu sein, Frau Kollegin Strobel, daß sich die Bundesregierung zu keinem Konzept für die Reform des Krankenhauswesens durchzuringen vermochte, während sie es nach wie vor einzelnen Wortführern in den Ländern und Kommunen überläßt, mit dem klassenlosen Krankenhaus propagandistischen Nebel zu verbreiten.
Die CDU/CSU-Fraktion hat sich bemüht, mit ihrem Antrag, der Ihnen zur Beratung vorliegt, das Krankenhausproblem von Grund auf anzugehen. Dieser Antrag stellt die erste Initiative im Deutschen Bundestag dar, mit der ein umfassendes Konzept für ein modernes Krankenhaus entwickelt wird. Wie ich glaube, ist dies der Versuch zu einem konstuktiven, in sich ausgewogenen Konzept mit dem Mut zu neuen Ideen. Im Mittelpunkt dieser in monatelangen Beratungen der CDU/CSU-Fraktion mit vielen Experten, denen an dieser Stelle unser Dank gebührt, erarbeiteten Initiative steht der einzelne Patient. Seine Behandlung im Krankenhaus ist für uns Kern aller Überlegungen.
Die Interessen der Krankenhäuser werden dabei im Interesse des Patienten nachdrücklich berücksichtigt. Die CDU/CSU-Fraktion konnte sich deshalb nicht wie die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Krankenhausfinanzierung mit Finanzierungs- und eigentlich kaum erwähnenswerten Planungsvorstellungen begnügen.Ich versuche, in einigen Punkten unsere Vorstellungen zusammenzufassen:Erstens. Für uns ist Krankenhausreform Finanzreform und Strukturreform zugleich.
— Sie haben noch nicht mal das Relative geschafft.— Nur so kann man den Wünschen der Patienten Rechnung tragen, ohne daß die Kosten ins Unermeßliche steigen.
Das wird Ihnen jeder Experte bestätigen. Auch die Bundesregierung selbst kann sich dieser Einsicht nicht entziehen. So finden sich z. B. im Gesundheitsbericht goldene Worte für diesen kaum zu übersehenden Sachzusammenhang. Woran es der Regierung jedoch mangelt, ist die Bereitschaft oder die Tätigkeit zur Konsequenz.Zweitens. Warum ist die Bundesregierung nicht bereit, die von der Union vorgeschlagenen Strukturverbesserungen zu übernehmen? Die Regierung führt das Fehlen von Strukturverbesserungen — im Gegensatz übrigens zu vielen Äußerungen von Herrn Staatssekretär Professor von Manger-Koenig, die ich der Zeit halber nicht zitieren, sondern nur erwähnen will, wie insbesondere seine jüngsten Vorstellungen, die im „Mannheimer Morgen" vom 5. März 1971 auf Grund eines Vortrages veröffentlicht worden sind — in ihrer Vorlage offiziell darauf zurück, daß sie leider keine Kompetenzen besitze. Nicht sie, die Bundesregierung, sondern die Länder bzw. die Krankenhausträger seien für die Struktur der Krankenhäuser und damit für die Behandlung und Pflege der Patienten zuständig.Meine Damen und Herren, das ist so nicht richtig. Tatsächlich verfügt der Bund über ein ganzes Bündel von Kompetenzen, mit deren Hilfe wichtige Strukturveränderungen nach dem Antrag der CDU/ CSU-Fraktion verwirklicht werden könnten. Die Bundesregierung will offenbar davon nur keinen Gebrauch machen. Wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck genährt wird, der Bund sei nur für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser zuständig, bei der Struktur könne er leider nichts bewirken, wird hier — ich wiederhole es — ein ganz falscher Eindruck gefördert. In Ziffer 85 des Gesundheitsberichtes eben dieser Bundesregierung liest sich das im übrigen ganz anders. Ich zitiere:Die entscheidende Rolle für die Gesundheitsgesetzgebung des Bundes spielen jedoch die Zuständigkeiten, die ihm für eine konkurrierende Gesetzgebung nach Artikel 74 Nr. 19 und 20 GG eingeräumt sind. ...Gesundheitliche Belange sind im übrigen bei der dem Bund gleichfalls als Vorranggesetzgebung noch eingeräumten Kompetenz für das Recht der Wirtschaft , für den Schutz gegen Gefahren beim Freiwerden von Kernenergie (Artikel 74 Nr. 11 a GG), für Sozialversicherung und Arbeitsschutz (Artikel 74 Nr. 12 GG) und schließlich auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge (Artikel 74 Nr. 7 GG) berührt.Mit der Pflegesatzregelung ist dem Bund eine weitere, dort nicht besonders hervorgehobene, aber ebenfalls sehr bedeutsame Kompetenz in die Hand gegeben, mit deren Hilfe Strukturverbesserungen der Krankenhäuser gefördert werden können. Hier muß man doch fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, alle Möglichkeiten eines kooperativen Föderalismus zu nutzen.Mit der Struktur des Krankenhauswesens verhält es sich im übrigen ähnlich wie mit der Gesundheitsvorsorge. Die Gesundheitsvorsorge gehört zu der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Trotzdem ist von diesem Hause im vergangenen Jahr auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion die Einführung der Vor-
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Katzersorgeuntersuchungen für Millionen von Menschen beschlossen worden.
Die Zuständigkeit des Bundes war über die Kompetenz für die Sozialversicherung gegeben.Wir sind jedenfalls der Meinung, daß der Bund, bevor er über fehlende Kompetenzen klagt und neue beansprucht, erst einmal die ausfüllen sollte, über die er bereits verfügt.
Ich bin auf die rechtlichen Möglichkeiten zur Verwirklichung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion etwas ausführlicher eingegangen, weil ich von vornherein klarstellen möchte, daß es sich bei unserem Antrag um eine unserer Gesellschaftsordnung gemäße Alternative zum klassenlosen Krankenhaus handelt, der nicht ausgewichen werden sollte. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition sind aufgerufen, ebenso klar Stellung zu beziehen, wie es die CDU/CSU mit ihrem Antrag getan hat. Sonst, so fürchte ich, besteht die Gefahr, daß konkrete Verbesserungen der Krankenhausversorgung einer Ideologie geopfert werden könnten.
Drittens. Worauf es nach unserer Meinung entscheidend ankommt, ist die Nutzanwendung aus der Erkenntnis, daß die heute noch im Krankenhaus übliche Unterteilung in Pflegeklassen nicht mehr zeitgemäß ist. In Zukunft soll deshalb nur noch zwischen allgemeinen Leistungen und Leistungen auf besonderen Wunsch unterschieden werden, wie das Herr Professor von Manger-Koenig übrigens in diesem Bericht ebenfalls angesprochen hat. Zu den allgemeinen Leistungen zählen die bestmögliche medizinische Versorgung und Pflege, eine angemessene Unterkunft, worunter selbstverständlich auch das Einbettzimmer zu verstehen ist, wenn das medizinisch erforderlich ist, und eine angemessene Verpflegung. Für die allgemeinen Leistungen kommt bei gesetzlich Versicherten die Kasse auf. Die Privatversicherten sollen in Zukunft für die allgemeinen Leistungen dasselbe wie die Sozialversicherten zahlen. Damit würden die Privatversicherten im Interesse der Gerechtigkeit erheblich entlastet, die heute in der dritten Pflegeklasse erheblich mehr zu zahlen haben als ein SozialversicherterViertens. Für die Mehrzahl der Patienten dürfte aber folgende Änderung von besonderer Bedeutung sein. Neben den allgemeinen Leistungen soll jeder Patient gegen kostengerechte Vergütung seinen individuellen Wünschen entsprechende Leistungen erhalten können. So soll er zu einem entsprechenden Aufpreis auch dann ein Einzelzimmer erhalten können, wenn dies medizinisch nicht unbedingt notwendig ist. Er kann im Rahmen des Möglichen die Behandlung durch einen bestimmten Arzt seines Vertrauens verlangen. Für einen Aufpreis kann er Sonderwünsche bei der Verpflegung anmelden. Das ist alles organisatorisch-technisch, auch unter Ausschaltung von „Neidkomplexen", durchaus möglich.Die Verwirklichung dieses Vorschlags würde eine entscheidende Verbesserung gegenüber dem heutigen Stand für die Kassenpatienten bedeuten. Heute können in der Regel nur die Patienten der ersten und der zweiten Klasse Ergänzungsleistungen bekommen. Die erste und zweite Pflegeklasse können sich aber nur die wenigsten erlauben. Dabei ist nicht einzusehen, warum derjenige, der nur ein besseres Zimmer haben möchte, ansonsten aber mit den allgemeinen Leistungen des Krankenhauses durchaus zufrieden ist, dies nur bekommen kann, wenn er gleichzeitig den Chefarzt gesondert zu bezahlen bereit ist und darüber hinaus alle möglichen Nebenkosten zahlt, die oft das Doppelte dessen ausmachen, was er in der dritten Pflegeklasse hätte zahlen müssen. Genauso wenig ist einzusehen, daß derjenige, der die Behandlung durch den Chefarzt wünscht, unbedingt den Komfort der ersten oder zweiten Klasse mit kaufen muß, auf den er vielleicht gar keinen Wert legt. Nach dem Antrag der CDU/ CSU-Fraktion kann sich im übrigen jeder gesonderte Leistungen im Krankenhaus auch durch Abschluß von Zusatzversicherungen ermöglichen.Mit diesem Strukturkonzept eröffnet die Union weitere Entfaltungsspielräume für den einzelnen und zielt auf eine Verbesserung der allgemeinen Krankenhausversorgung für alle zu einem vertretbaren Preis. Die CDU/CSU tritt dafür ein, daß man auf die besonderen Wünsche und Bedürfnisse des Patienten Rücksicht nehmen soll, wenn er für den zusätzlichen Aufwand auch selbst aufkommt. Wir wollen nicht, daß jeder ohne Rücksicht darauf, ob er lieber allein ist oder in einem Mehrbettzimmer Unterhaltung sucht, in ein Zimmer nach Schema F eingewiesen wird. Wir wollen es nicht verwehren, einen Arzt zu konsultieren, zu dem er nun einmal besonderes Vertrauen hat. Wir wollen nicht, daß der Patient zum Objekt einer Ideologie wird. Auf seine Persönlichkeit und seine individuellen Wünsche soll ebenso Rücksicht genommen werden wie auf die medizinischen Bedürfnisse.Fünftens. Das ist der Strukturrahmen des erstklassigen Krankenhauses, das aber — das möchte ich besonders betonen — ohne eine qualifizierte Ärzteschaft und genügend gut ausgebildetes Pflegepersonal nicht zu realisieren wäre. Im Krankenhausplan der Union finden sich eine ganze Reihe von Vorschlägen zu diesem Thema. Der wichtigste: das Recht zur privaten Liquidation bleibt erhalten. Es soll auf alle Fachärzte ausgedehnt werden, die dann einen Teil der daraus erzielten Einkünfte an ihre Mitarbeiter nach Maßgabe der Leistung abführen sollen. Im Unterschied zu Vorstellungen von einem klassenlosen Krankenhaus, in dem es dann keine selbständig arbeitenden Ärzte mehr gäbe, wird in unserem Konzept des erstklassigen Krankenhauses den selbständig arbeitenden Ärzten im Krankenhaus eine ganz besondere Bedeutung beigemessen, und das, wie ich glaube, mit gutem Recht.
Auch hier, meine Damen und Herren, muß vor den Gefahren einer weltfremden Ideologisierung gewarnt werden. Wer die Entfaltungsmöglichkeiten qualifizierter Ärzte im Krankenhaus beschneidet, der riskiert, daß das öffentliche Krankenhauswesen zugunsten von Privatkliniken im Niveau erheblich
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Katzerabsinkt, und schafft damit in Wahrheit verschiedene Klassen.
Erst dann hätten wir Krankenhäuser erster und zweiter Klasse und eine Klassenmedizin, bei der hochqualifizierte Ärzte nur noch für ihre Privatpatienten da wären.
Die CDU/CSU versucht daher, die Tätigkeit für qualifizierte Ärzte im allgemeinen Krankenhaus noch attraktiver zu gestalten. Viele qualifizierte Ärzte — das kam vorhin in einigen Diskussionsbeiträgen schon eindrucksvoll zum Ausdruck — kehren heute dem Krankenhaus den Rücken, weil bisher das Recht zur privaten Liquidation nur dem Chefarzt vorbehalten ist. Eine Ausdehnung des Rechts auf private Liquidation und eine finanzielle Beteiligung der Mitarbeiter sollen dazu beitragen, dem Patienten im allgemeinen Krankenhaus eine noch qualifiziertere Ärzteschaft zur Verfügung zu stellen.
Fortbildungskurse, eine neue Ausbildung an integrierten medizinischen Fachschulen für das nichtärztliche Personal, Vorschläge zur Verbesserung der Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit im Krankenhaus runden dieses Programm ab.Das Gesundheitsministerium hat zu unserem Antrag erklärt, wir würden damit eine unterschiedliche ärztliche Versorgung gesetzlich verankern. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil richtig. Ganz abgesehen davon, daß die Ärzte, die es doch eigentlich genau wissen müssen, das Gerede von der unterschiedlichen Versorgung im Krankenhaus schlicht als Märchen bezeichnen und die Bundesregierung daher aufgefordert wird, Beweise für ihre gegenteilige Behauptung zu erbringen, kann es uns doch nicht darum gehen, meine Damen und Herren, einen Zustand anzustreben, wo schlecht bezahlte Ärzte möglichst gleichmäßig ihre Leistungen allen angedeihen lassen. Ich will Ihnen auch ganz offen sagen: Selbst wenn es — was ich bestreite — hier Unterschiede gäbe, so wären diese meines Erachtens eher in Kauf zu nehmen, als wenn die Behandlung eben für alle gleichmäßig schlecht wäre.
Im übrigen kann ich allen Kolleginnen und Kollegen nur empfehlen, die beiden eindrucksvollen Romane „Krebsstation" von Solschenyzin nachzulesen, die in ihrer großartigen Sprache auch den letzten davon überzeugen, daß in den Ländern, in denen die Gleichheit so groß geschrieben wird, die Behandlung im Krankenhaus nichtsdestoweniger sehr ungleich ist.Sechstens. Natürlich läßt sich ein erstklassiges Krankenhaus nicht ohne Modernisierung und eine bessere Planung schaffen. Die CDU/CSU geht in ihrem Konzept davon aus, daß künftig die Investitionskosten der staatlichen, der freien gemeinnützigen wie auch der privaten Krankenhäuser nach Krankenhausbedarfsplänen unter Berücksichtigung bundeseinheitlicher Kriterien von der öffentlichen Hand übernommen werden. Dabei wird die Selbständigkeit dieser Krankenhäuser in keiner Weise angetastet. Nicht zuletzt die freien gemeinnützigen Krankenhäuser haben in der Vergangenheit, oft unter größten Opfern, Erstaunliches geleistet. Dafür schulden wir ihnen allen unseren herzlichen Dank.
Sie sind eine Säule unseres Krankenhaussystems. Wir wollen und können auf die karitativen Dienste, die dort zum Wohle der Patienten geleistet werden, überhaupt nicht verzichten.Es darf deshalb nicht dazu kommen, daß die privaten und freien gemeinnützigen Krankenhausträger um ihre Selbständigkeit fürchten müssen. Jeder Versuch einer bürokratischen Gängelung oder eines Aushungerns wird deshalb auf die entschiedene Abwehr der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stoßen müssen.
Wir legen deshalb ganz besonderen Wert auf die in unserem Antrag enthaltenen Leitsätze, die vor solche Versuche einen Riegel schieben sollen. Die Krankenhauspläne der Länder sollen nach unserem Antrag in Zusammenarbeit mit den Krankenhausgesellschaften aufgestellt werden. Hierbei ist auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen staatlichen, kommunalen, freien gemeinnützigen und vergleichbaren privaten Trägern zu achten.Siebentens. Auch das Finanzierungsverfahren muß so unbürokratisch wie möglich sein und darf die Eigenverantwortung und Eigeninitiative des Krankenhausträgers nicht gefährden. Wir haben in unseren Antrag eine Bestimmung aufgenommen, nach der die freien gemeinnützigen Krankenhausträger 10 % der Investitionskosten als Eigenanteil zu übernehmen haben. Das ist in der Öffentlichkeit hier und da mißdeutet worden. Ich kann nur sagen: Damit soll die Eigenverantwortlichkeit und Eigenständigkeit dieser Krankenhausträger nachdrücklich unterstrichen werden.
Insgesamt sehen wir zur Frage der Finanzierung vor — dazu wird nachher noch gesprochen werden —, daß ein Drittel der Investitionskosten der Bund übernehmen soll. Frau Kollegin Strobel, wenn wir „ein Drittel" sagen, dann meinen wir auch ein Drittel und nicht ein Drittel weniger, wie es die Bundesregierung tut. Die Benutzerkosten sind vom Patienten bzw. seiner Krankenkasse zu tragen. Damit würden den Krankenhäusern grundsätzlich ausreichende Finanzierungsmittel zur Verfügung gestellt und die Krankenhausdefizite beseitigt. Mehr Geld für die Krankenhäuser ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Konzepts für ein erstklassiges Krankenhaus.Achtens. Genauso wichtig ist es aber, daß diese Mittel wirtschaftlich sinnvoll eingesetzt werden. So könnten bei einer besseren Abstimmung zwischen dem Krankenhaus und den frei praktizierenden Ärzten Doppeluntersuchungen, Fehlbelegungen von Betten etc. vermieden werden. Dies ist ein wichtiges Element unseres Konzepts. Wir wollen zudem, daß durch eine neue Pflegesatzregelung, die auf die
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6336 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Katzertatsächlich anfallenden Kosten abstellt, eine Herabsetzung der Verweildauer ermöglicht wird. Könnte die Verweildauer um nur einen Tag gesenkt werden, würden rund 20 000 Betten frei. Durch den Ausbau des Deutschen Krankenhausinstituts e. V. zu einem Deutschen Institut für Krankenhauswissenschaft, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, soll im übrigen dazu beigetragen werden, daß durch bessere Management-Techniken, neue Verbundtechniken bei der Datenverarbeitung und Prototypen kostengünstiger Krankenhäuser alle Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Krankenhaus ausgeschöpft werden, durch Dinge also, die die Bundesregierung allesamt in ihrem Gesetzentwurf ausspart.Es wäre noch manche Erläuterung zu den im Antrag enthaltenen Vorschlägen zu geben, doch möchte ich mich angesichts der vorgerückten Zeit hier in der ersten Lesung im wesentlichen auf diese grundsätzliche Bemerkung beschränken.Zuversichtlich für die weitere Behandlung unseres Antrages in diesem Hohen Hause stimmt mich die Tatsache, daß wir mit unserer Initiative in der breiten Öffentlichkeit — von einzelnen Stellungnahmen abgesehen — weitgehend auf Zustimmung gestoßen sind. Das bestärkt mich in dem Eindruck, daß wir in unserem Antrag die wichtigen Punkte der Krankenhausreform aufgegriffen haben. So hat z. B. der Verband der Ärzte Deutschlands in einer Presseerklärung vom 14. Dezember 1970 diesen Antrag ausdrücklich begrüßt.Ich komme zum Schluß, indem ich Sie, meine Da. men und Herren Kollegen von der Regierungskoalition, sehr herzlich bitte: Setzen Sie sich mit unseren Vorschlägen auseinander, lassen Sie die Arbeit im Ausschuß nicht zum Ablaufen einer Abstimmungsmaschine degradieren! Wir möchten nämlich nicht nur im Plenum diskutieren können, sondern auch die Chance haben, im Ausschuß nicht nur zu diskutieren und angehört zu werden, sondern Sie auch überzeugen zu können, wenn wir ein besseres Argument anzubieten haben.
— Herr Kollege Schellenberg, wir haben in unserer Fraktion — das sollten Sie eigentlich wissen, aber ich will es Ihnen gerne noch öffentlich sagen, damit Sie genau informiert sind — eine interne Abstimmung dergestalt, daß keiner, der Vorsitzender oder stellvertretender Vorsitzender ist, zugleich Mitglied eines Ausschusses ist,
weil er für die Gesamtfraktion koordinierende Aufgaben zu erfüllen hat.
Und im übrigen ist das die ureigenste Sache dieserFraktion, um die Sie sich nicht zu kümmern brauchen. Das werden wir gerne in eigener Verantwortung erledigen.
Aber Ihr Zwischenruf ist bezeichnend für den Stil, den Sie im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung leider haben einreißen lassen,
wo nicht mehr echt diskutiert wird, sondern — Sie haben es doch hier ganz deutlich gesagt — —
— Nein, lächerlich machen Sie die Demokratie, indem Sie den Ausschuß zu einer Abstimmungsmaschine degradieren! Das ist das Peinliche an der Situation!
— Darüber werden wir uns in diesem Hause noch oft zu unterhalten haben, über den unerhörten Zeitdruck,
unter den Sie dieses Parlament permanent durch Ihre Vorlagen stellen, die Sie nicht rechtzeitig einbringen und dann vorzeitig verabschiedet haben wollen.
Wir werden ja beim Betriebsverfassungsgesetz sehen, wie Sie mit diesem Zeitdruck fertigwerden und wie Sie das draußen verantworten können.In diesem Punkte, meine Damen und Herren, würde ich sagen, ich appelliere an Sie — —
— Ja, Herr Wehner, ich habe Sie so lange nicht mehr gehört, da ist es für mich direkt beruhigend, daß Sie sich noch einmal zu Wort melden. Es ist direkt beruhigend, daß ich Sie noch einmal höre!
Es fehlt mir direkt etwas, wenn Sie keinen Zwischenruf machen.
Wenn Sie keinen Zwischenruf machen, fehlt mir in diesem Hohen Hause etwas. Sie wissen doch wohl genau, warum.
Deshalb möchte ich, meine Damen und Herren, zum Abschluß noch einmal — —
— Bitte sehr? Habe ich das richtig verstanden?
Herr Kollege Wehner, ich würde das fürs Protokoll ganz gerne haben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6337
Katzer— Nein, ich hätte das sehr gerne vom Kollegen Wehner gehört, weil der Präsident das nicht gehört hat. Aber vielleicht kann man das dann im Protokoll nachlesen.
— Ich will darauf jetzt nicht eingehen — das kann zu gegebener Zeit noch einmal geschehen —, sondern zum Schluß kommen.Es ist interessant und bedauerlich, daß Herr Kollege Schellenberg gerade an dem Punkt, wo ich gesagt habe: hören Sie sich unsere Argumentation an!, so empfindlich reagiert.
Das scheint doch ein sehr bedauerlicher und bezeichnender Vorgang zu sein. Ich kann Ihnen nur sagen: wir werden nicht müde werden, unsere Argumente im Ausschuß und — wenn das dort nicht gelingthier im Plenum immer und immer wieder zur Sprache zu bringen, bis die Öffentlichkeit weiß, welche Vorstellungen wir zu diesem Problem haben.
Das Wort hat nunmehr Frau Bundesminister Strobel zur Einbringung des Regierungsentwurfs zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist schwierig, wenn man nach dieser Rede zur Einbringung sprechen muß und nicht gleich antworten darf.Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung .der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze wird für einen ganz wichtigen Bereich der inneren Reformen entsprechend der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 eine Regelung vorgeschlagen, die auf die Dauer eine optimale Krankenhausversorgung unserer Bevölkerung zu sozial tragbaren Pflegesätzen sichern soll. Erstmalig wird durch diesen Entwurf anerkannt und durch entsprechende gesetzliche Normen festgelegt, daß die Finanzierung der Bereithaltung von Krankenhäusern eine öffentliche Aufgabe ist. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen in Zukunft die Investitionskosten der Krankenhäuser aus öffentlichen Mitteln getragen werden, während die Patienten bzw. ihre Krankenkassen über den Pflegesatz in Zukunft die vollen Benutzungskosten erstatten sollen. Der Bund wird zu den Lasten, die sich aus diesem Gesetz für die öffentliche Hand ergeben, ab 1. Juli 1971 entsprechen beitragen, und zwar im Jahre 1972, dem ersten vollen Jahr ,der Förderung, bereits mit 636 Millionen DM, 1973 mit 656 Millionen DM und 1974 mit 675 Millionen DM.Ich darf mir erlauben, aus einem Brief zu zitieren, den mir der damalige Bundesfinanzminister derGroßen Koalition, Strauß, am 13. Juli 1968 geschrieben hat; denn dabei zeigt sich doch ein erheblicher Wandel in der Einstellung der Bundesregierung, der natürlich mit der Bildung ,der sozial-liberalen Koalition zusammenhängt.
Warten Sie einmal, bis ich das vorgelesen haben! Herr Strauß schrieb damals unter anderem:Eine Beteiligung des Bundes an der Krankenhausfinanzierung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen, aber auch im Hinblick auf die schwierige Haushaltslage des Bundes nicht möglich.Er schrieb dann an einer anderen Stelle — in Kenntnis der Vorlagen im Bundestag und im Bundesrat —:Wenn die Gesetzgebungskompetenz des Bundes erweitert wird, erhält der Bund damit jedoch keine Finanzierungszuständigkeit auf dem Gebiete des Krankenhauswesens.Es ist also festzuhalten, daß erstmalig in der sozial-liberalen Koalition von einem sozialdemokratischen Finanzminister nicht nur die Finanzzuständigkeit bejaht. sondern auch entsprechende Mittel in die mittelfristige Finanzplanung aufgenommen worden sind.Mit diesem Gesetz wird ein gewichtiger Schritt zur wirtschaftlichen Sicherung ,der Krankenhäuser getan und ein wesentlicher Beitrag zur Krankenhausversorgung unserer Bevölkerung geleistet. Es muß erreicht werden, daß jeder kranke Bürger das für ihn notwendige Krankenhausbett und die für ihn optimale Behandlung in einem leistungsfähigen Krankenhaus in erreichbarer Nähe findet. Wir sind uns dabei darüber im klaren, daß die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser Hand in Hand gehen muß mit denjenigen Maßnahmen, die einer Bereitstellung ausreichenden und qualifizierten Fachpersonals für die Krankenhäuser dienen. Eine sichere finanzielle Grundlage der Krankenhäuser ist aber auch zur Erreichung dieses Ziels unabdingbare Voraussetzung. Die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser ist seit mehr als einem Jahrzehnt- also auch in der Zeit, in der Herr Katzer Minister für Arbeit und Mitglied des Kabinetts war — ein Problem, das immer wieder alle Verantwortlichen beschäftigt hat. Mehrere Bundesregierungen und mehrere Bundeskanzler haben Erklärungen des Inhalts abgegeben, daß die finanzielle Misere der Krankenhäuser endlich beseitigt werden muß — so der damalige Bundeskanzler Adenauer 1958 auf dem ersten Deutschen Krankenhaustag, der damalige Wirtschaftsminister Professor Erhard im Auftrag des Bundeskanzlers 1960 auf dem zweiten Deutschen Krankenhaustag. Geschehen ist über mehr als ein Jahrzehnt nichts,
was die Lage der Krankenhäuser verbessert hätte. Im Gegenteil! Das Defizit der Krankenhäuser ist ständig angewachsen und hat inzwischen eine Größenordnung erreicht, die für den Bereich der Akutkrankenanstalten bei rund 900 Millionen DM jähr-
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Bundesminister Frau Strobellieh und für den Bereich sämtlicher Krankenanstalten wesentlich über einer Milliarde DM jährlich liegen dürfte. Ein Defizit in dieser Größenordnung bedeutet, daß die Krankenhäuser in einem Jahrzehnt rund ein Fünftel ihres Anlagevermögens verheren. Sie werden verstehen, daß ich heute daran erinnern möchte, daß es ein sozialdemokratischer Minister in der Großen Koalition war, der die notwendigen verfassungsrechtlichen Änderungen für eine neue gesetzliche Grundlage der Krankenhausfinanzierung eingeleitet hat.
— Herr von Wittgenstein, Sie wissen genau, daß ich diesen Antrag im Kabinett eingebracht habe und daß wir um diesen Antrag gerungen haben. Es geht doch ein bißchen sehr weit, dies nun Herrn Kiesinger zurechnen zu wollen.
Wir hatten ursprünglich angestrebt, das Krankenhauswesen als Gemeinschaftsaufgabe zu behandeln. Leider haben die Länder nicht mitgemacht. Ich möchte auch ausdrücklich feststellen, daß die sozialliberale Koalition erstmalig rund 600 Millionen DM jährlich für die Krankenhausfinanzierung in den Bundeshaushalt eingesetzt hat. Bei diesem Betrag wird es nicht bleiben. Dieser Betrag wird sich vielmehr entsprechend den Steigerungsraten der Investitionskosten für Krankenhäuser erhöhen. Das steht in § 21 unseres Gesetzentwurfes. Der Bund ist also bereit, einen bedeutenden Beitrag zur Finanzierung der Krankenhäuser zu leisten. Angesichts der zahlreichen anderen drängenden Aufgaben, für die eine finanzielle Hilfe des Bundes erwartet wird, muß dieser Beschluß der Bundesregierung auch als sichtbares Zeichen gewertet werden, für die Gesundheit der Bürger viel mehr zu tun, als frühere Bundesregierungen getan haben.Es ist von manchen eingewendet worden — ich nehme an, daß dieser Einwand hier wieder erhoben wird; Herr Katzer hat das angedeutet , der Bund steuere zur Krankenhausfinanzierung viel zu wenig bei.
— Herr Katzer, Sie haben bei den Haushaltsberatungen den Antrag gestellt, der Bund möge für ein halbes Jahr 300 Millionen DM für die Krankenhausfinanzierung bereitstellen. Das ist genau der Betrag, den wir in Bewegung bringen.
Sie stehen doch unter demselben finanziellen Zwang wie wir. In bezug auf das Problem, ob der Bund ein echtes Drittel der Gesamtaufwendungen tragen solle, werden im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens sicher noch sorgfältige Überlegungen angestellt werden müssen.
Andererseits muß aber festgestellt werden, daß sich das finanzielle Engagement des Bundes im Rahmen dessen halten muß, was finanzpolitisch zur Zeit möglich ist. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung können die Aufgaben, die sich aus diesem Gesetz ergeben, im Jahre 1972 mit einem Finanzvolumen von rund 2,2 Milliarden DM bewältigt werden. In den folgenden Jahren wäre das Volumen dann entsprechend anzupassen.Der Schwerpunkt der gesetzlichen Regelung wird auf der Modernisierung des vorhandenen Bettenbestandes und seiner Anpassung an die wirtschaftliche und technische Entwicklung liegen. Die Bundesrepublik liegt mit dem vorhandenen Bettenbestand der Zahl nach, international gesehen, in der Spitzengruppe vergleichbarer Länder. Es kommt deshalb vor allem darauf an, überalterte Krankenhäuser zu erneuern und auf denjenigen Stand zu bringen, den unsere Bürger mit Recht von einer optimalen und neuzeitlichen Krankenhausversorgung erwarten. Auf Grund des ständig fortgeschleppten Defizits ist hier ein großer Nachholbedarf entstanden, der vorrangig befriedigt werden muß. Es kommt ebenso dringend darauf an, das Angebot an Krankenhäusern bedarfsgerecht zu gliedern, d. h. vor allem den Mangel an Betten am richtigen Standort zu beseitigen.
— Richtig, Herr Katzer, das haben Sie gesagt.; denn bis in die Überschrift hinein entspricht Ihr Antrag, soweit er sich mit der Finanzierung befaßt, unserem Referentenentwurf vom Dezember vorigen Jahres.
Es ist immer wieder behauptet worden, daß dieses Gesetz für die Krankenhäuser eine Planwirtschaft großen Ausmaßes mit sich bringen werde. Sofern dieser Einwand nicht deshalb gemacht wird, um damit ganz andere Ziele und Zwecke zu verdecken, liegt ihm meiner Meinung nach ein Mißverständnis zugrunde. Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, daß es in der Zukunft im Krankenhauswesen ohne eine Planung nicht mehr gehen wird. Wir können uns einfach nicht erlauben, volkswirtschaftliche Verluste in Milliardenhöhe durch Fehlinvestitionen hinzunehmen. Auch heute werden in den Ländern Krankenhausplanungen bereits seit langem praktiziert oder vorbereitet. Es ist mir einfach unverständlich, warum auf einmal schlecht sein soll, was bisher als Planung von allen Beteiligten anerkannt und für die Zukunft verstärkt für notwendig gehalten wird, nur weil diesmal der Bund entsprechende rechtliche Grundlagen für eine solche Krankenhausplanung schaffen will. Ich werde bei solchen Argumenten das Gefühl nicht los, daß hier Schlagworte hervorgeholt werden, um die dringend notwendige Reform zu diskriminieren. Planung bedeutet auch in diesem Fall nicht mehr und nicht weniger, als das Wort besagt. Was hier notwendig ist, muß getan werden.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6339
Bundesminister Frau StrobelIch möchte ausdrücklich betonen, daß uns auch die Freiheit der Krankenhausträger in der Gestaltung des Krankenhausbetriebs sehr am Herzen liegt.
Wir haben nicht das geringste Interesse daran, die Eigenverantwortlichkeit der Träger einzuschränken. Uns geht es ausschließlich darum, die Krankenhausversorgung so wirksam, so sozial gerecht und so wirtschaftlich wie möglich zu gestalten. Die Befürchtungen, die von manchen Krankenhausträgern bezüglich der Auswirkung der Neuregelung geäußert worden sind, sind nach meiner festen Überzeugung unbegründet. Bereits in den vergangenen Jahren haben die Länder die Krankenhäuser in erheblichem Umfang mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Die Länder werden den vorliegenden Gesetzentwurf nach seiner Verabschiedung auszuführen haben. Die Befürchtungen müßten sich also in erster Linie gegen die in Zukunft zu erwartende Praxis der Länder richten. Ich sehe keinen Grund, der die Annahme rechtfertigen würde, daß die Länder bei der Durchführung dieses Gesetzes von ihrer bisherigen Praxis abweichen werden.Eine weitere Frage ist die zukünftige Förderung der kleinen Krankenhäuser. Auch hier sind sich alle Sachverständigen einig, daß ein ausgewogenes, bedarfsgerecht gegliedertes System leistungsfähiger Krankenhäuser für kleinere, spezialisierte Krankenhäuser ausreichenden Lebensraum lassen wird. Andererseits besteht auch Übereinstimmung darin, daß für Akutkrankenhäuser in der Zukunft kleinere Einheiten schon aus Gründen optimaler Versorgung in der Regel nicht mehr in Betracht kommen werden. Das bedeutet aber keinesfalls, daß sofort all die kleineren Krankenhäuser, die heute noch die Aufgabe wahrnehmen, eine andere Aufgabe bekommen sollten. Wir können die Augen nicht vor der Realität verschließen, daß wir noch auf Jahre hinaus auch im Bereich der Akutkrankenanstalten auf kleinere Häuser angewiesen sind. Deshalb sieht der Gesetzentwurf bei den bestehenden kleineren Krankenhäusern ausdrücklich vor, daß diese in die Förderung einbezogen werden können ohne die Feststellung, ob sie auf die Dauer für die Versorgung der Bevölkerung notwendig sind. Letztere Feststellung ist ausdrücklich nur für in der Zukunft zu errichtende Krankenhausneubauten vorgeschrieben. Leider ist diese Unterscheidung offensichtlich manchen entgangen; ich habe wenigstens den Eindruck, nicht aus dieser Debatte hier, sondern aus der Reaktion draußen.Eine weitere Befürchtung wurde aus dem Kreis der Krankenhausträger gegenüber der Möglichkeit geäußert, daß die Vergabe öffentlicher Mittel an Bedingungen und Auflagen geknüpft wird. Wenn der Gesetzentwurf bestimmt, daß bei bestehenden Krankenhäusern nur solche Bedingungen und Auflagen vorgesehen werden können, die zur Erreichung der Ziele der Krankenhausbedarfsplanung notwendig sind, so wird damit einerseits die Möglichkeit solcher Bedingungen und Auflagen wesentlich eingeschränkt, andererseits aber das unbedingt Notwendige gewährleistet.Fragen der inneren Struktur der Krankenhäuser — ich sage das nicht in Antwort auf Sie, Herr Katzer, sondern das ist die Auffassung der Bundesregierung zur Gesetzgebung — werden durch den Entwurf nicht geregelt. Das hat in erster Linie — auch wenn Sie das bestreiten — verfassungsrechtliche Gründe. Wir haben in der konkurrierenden Gesetzgebung — Sie waren ja dabei und wissen, wie sich das alles entwickelt hat — eben nicht, wie seinerzeit beantragt, die Zuständigkeit für das Krankenhauswesen bekommen, sondern nur die Zuständigkeit für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und für die Regelung der Krankenhauspflegesätze. Das habe ich bedauert, das haben Sie auch bedauert; wir haben uns oft darüber unterhalten.Außerdem scheint es mir aber auch von der Sache her geboten, die zahlreichen anstehenden Fragen der inneren Reformen, der inneren Struktur der Krankenhäuser, die für den einzelnen Kranken ohne Zweifel eine ganz große Bedeutung haben, gegenwärtig nicht über ein Bundesgesetz zu regeln. Zu unterschiedlich und zu vielschichtig sind die Verhältnisse, als daß man sie jetzt bundeseinheitlich regeln könnte. Die nicht unberechtigt geforderten Änderungen in der inneren Struktur der Krankenhäuser können durch den Bund nicht vorgenommen werden. Ich halte es für richtig, wenn man die hier anstehenden Entscheidungen an Ort und Stelle beim Krankenhaus trifft. Soweit Gesetze dazu notwendig werden, sind in erster Linie die Länder berufen, die für das Krankenhauswesen und damit auch für die innere Struktur weiterhin zuständig bleiben.Es scheint mir übrigens verfassungspolitisch nicht ganz unbedenklich, wenn diese Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bund und Ländern dadurch unterlaufen würde — diesen Schluß ziehe ich aus Ihrem Antrag —, daß man sich für Änderungen der inneren Struktur der Krankenhäuser durch den Bund Gesetzgebungszuständigkeiten sozusagen zusammensucht. Fragen der inneren Struktur, die nicht mit der wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser zusammenhängen und auf die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser keinen Einfluß haben, sollten deshalb nach der gegenwärtigen verfassungspolitischen Lage nicht in die vorliegende gesetzliche Regelung einbezogen werden.
Dagegen trägt der Entwurf der Forderung Rechnung, daß die Grundsätze der künftigen Pflegesatzregelung im notwendigen Umfang bereits im Gesetz verankert sein sollten. Hierbei möchte ich hervorheben, daß die Pflegesätze nach dem Entwurf der Bundesregierung in Zukunft für alle Benutzer nach einheitlichen Grundsätzen bemessen werden sollen. Wir gehen dabei von dem Standpunkt aus, daß jeder Patient, unabhängig davon, ob er Privat- oder Kassenpatient ist, unabhängig davon, ob er sich eine Zusatzversorgung leisten kann oder nicht, den gleichberechtigten Anspruch auf bestmögliche ärztliche Behandlung im Krankenhaus hat.
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6340 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Bundesminister Frau StrobelHerr Kollege Katzer, ich habe den Eindruck, daß Sie in Ihrem Antrag die Klassen im Krankenhaus festschreiben, während wir mit diesem Gesetz klassenneutrale Vorschriften vorsehen und die Freiheit der Entscheidung darüber den Krankhausträgern überlassen wollen, so, wie es z. B. die von Ihnen geschmähten Münchner in einem gemeinsamen Entwurf für ihre Krankenhausstruktur getan haben.
— Entschuldigung, ich habe mich vielleicht falsch ausgedrückt; Sie haben zitiert.Die Münchner haben mit Zustimmung aller Fraktionen des Münchner Stadtrats in einem gemeinsamen Entwurf die innere Struktur ihrer Krankenhäuser in diesem Sinne geändert. Ich halte das für die bessere Lösung, als wenn das von Bonn aus sozusagen verordnet würde und wir dann auch noch von den Ländern gegen dieses so notwendige Gesetz, das nicht aufgehalten werden darf, einen Verfassungseinspruch bekämen. Wir sollten uns darüber klarwerden, daß mehr als bisher der Schutz der Patienten durch den Gesetzgeber unbedingt notwendig ist. Man muß dabei aber zwischen dem Pflegesatzbegriff und der Pflegesatzverordnung unterscheiden. Ich sage das wiederum nicht hier für das Haus, sondern auch in Antwort auf die Sorge mancher Ärzte. Auf den umfassenden Pflegesatzbegriff können wir nicht verzichten, da sonst durch entsprechende rechtliche Ausgestaltung jeder Kostenbestandteil aus dem Pflegesatz herausmanipuliert werden könnte. Durch den weiten Pflegesatzbegriff werden weder die Belegärzte noch die leitenden Krankenhausärzte in ihrer gegenwärtigen Stellung betroffen.Wir erhoffen uns von dem Gesetzentwurf, daß endlich das ständig steigende Defizit und die schleichende Auszehrung unserer Krankenhäuser gestoppt werden. Wenn uns dies gelingt, dann ist das die Opfer wert, die von allen Beteiligten verlangt werden müssen.Der Bund ist bereit, mehr als 600 Millionen DM jährlich für diese Aufgabe bereitzustellen. Wir hoffen, daß die Höhe der von den Ländern gegenwärtig für Krankenhäuser aufgewendeten öffentlichen Mittel zumindest beibehalten wird. Auch für die gesetzlichen Krankenkassen bedeutet der Entwurf erhöhte finanzielle Opfer. In manchen Bezirken würden die Erhöhungen der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für die stationäre Versorgung die Grenze deren finanziellen Leistungsfähigkeit erreichen, wenn nicht durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Übergangsklausel ein Beitrag zu sozial tragbaren Pflegesätzen geleistet würde. Für die Krankenhausträger wird die Konsequenz, sich in eine Krankenhausbedarfsplanung einordnen zu müssen, ebenfalls ein erhebliches Opfer bedeuten.Wir haben versucht, die Lasten der Neuregelung auf mehrere Schultern zu verteilen. Das hat uns Kritik von vielen Beteiligten eingetragen. Sie kam für uns nicht unerwartet. Aber eine echte Alternative zu dem Entwurf der Bundesregierung habe ich nirgends erkennen können.Auch der Antrag der CDU/CSU folgt in seinenGrundsätzen den Vorstellungen, die im Regierungsentwurf entwickelt worden sind, zumindest soweit es sich um die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser handelt. Nun, auch wir können lesen und schreiben. Ich darf daran erinnern, daß wir am 24. September 1970 unseren ersten Referentenentwurf an die Länder versandt haben. Dann kamen zwei andere Entwürfe auf, einer von der CDU und einer von der CSU, und zwar mit Anträgen zur Schaffung eines Krankenhausgesetzes. Dann haben Sie — sicher mit viel Mühe — den gemeinsamen Antrag zustandegebracht. Aber es ist viel leichter, einen solchen Antrag zu stellen und in ihn alles hineinzupacken, was heute im Gesetz nicht geregelt werden kann, denn man muß ja kein Gesetz machen. Es geht ein bißchen zu weit, hier zu sagen, es sei das erste Mal, daß jemand so etwas vorlege; denn wir wissen, wie lange sich dieses Ministerium und die sozial-liberale Koalition seit ihrem Bestehen damit beschäftigen.Die finanzielle Lage bei Bund und Ländern läßt es nicht zu, Wünsche und Forderungen zu verwirklichen, die die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand überfordern würden. Die finanziellen Verpflichtungen, die sich für die öffentliche Hand aus dem Gesetzentwurf ergeben, müssen sich deshalb in dem hierdurch vorgegebenen Rahmen halten. Wenn die in den Ländern bisher für Krankenhäuser aufgewendeten Finanzhilfen aus Steuermitteln beibehalten werden und wenn dazu die Mehreinnahmen aus den Pflegesätzen in Höhe von rund 400 bis 500 Millionen DM durch den Wegfall der bisherigen einschränkenden Vorschriften kommen, so erhalten die Krankenhäuser nach der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs jährlich mehr als eine Milliarde DM mehr als bisher. Damit stehen den Krankenhäusern erhebliche zusätzliche Mittel für ihre Investitionen zur Verfügung. Das Defizit wird beseitigt und eine echte Grundlage für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser geschaffen.Bei den kommenden Beratungen wird sehr eingehend geprüft werden müssen, wieweit die Vorstellungen des Bundesrats, insbesondere zur Verteilung der Finanzhilfen auf Krankenhausbauten und auf die Wiederbeschaffung von Anlagegütern in vorhandenen Krankenhäusern, berücksichtigt werden müssen, ohne daß man dabei die Leistungen und die Leistungsfähigkeit der bestehenden Krankenhäuser beeinträchtigt. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es sehr wohl möglich, eine auch die Länder befriedigende Lösung zu finden.Auch die vom Bundesrat aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen zur Anwendung des Art. 104 a Abs. 4 GG erscheinen uns nicht unlösbar. Ich darf feststellen, daß sowohl der Bundestag als auch die Bundesregierung keinen Zweifel daran hatten, daß die nach eingehenden Beratungen und nach Anrufung des Vermittlungsausschusses in Art. 104 a Abs. 4 GG verankerte Generalklausel auch Investitionen in Krankenhäusern umfassen sollte. Nach Ansicht des Bundes genießen diese Investitionen die gleiche Priorität wie Investitionen im Wohnungsbau und im Nahverkehr.Es hat auch mit dem Bundesrat Übereinstimmung darüber gegeben, daß Art. 104 a Abs. 4 GG die mittelbare Wirtschaftsförderung auf jeden Fall in den
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6341
Bundesminister Frau StrobelBereichen des Wohnungsbaues und des Nahverkehrs mit einschließt. Der Verantwortung des sozialen Rechtsstaates entspricht es, wenn er sich bei der mittelbaren Wirtschaftsförderung nicht nur auf die Schaffung der Voraussetzungen für die Tätigkeit gesunder Menschen beschränkt, sondern die Gleichwertigkeit der Investitionen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit für die in der Wirtschaft tätigen Menschen und ihre Angehörigen auch anerkennt. Ich hoffe sehr, daß sich diese Erkenntnis im Verlaufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens so weit durchsetzt, daß die Anwendbarkeit dieser Grundgesetzbestimmung auch auf die Investitionen in Krankenhäusern nicht mehr bestritten wird.Wir betreten natürlich mit diesem Gesetzentwurf Neuland. Ob er die von allen gewünschte und für dringend notwendig gehaltene wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser verwirklichen kann, hängt nicht nur vom Ausgang der vor uns liegenden Beratungen, sondern auch vom guten Willen und der Bereitschaft aller Beteiligten ab, die bei der Durchführung des Gesetzes mitwirken. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf bietet eine gute Grundlage, die optimale Versorgung unserer Bevölkerung mit Krankenhäusern zwar nicht von heute auf morgen, aber doch innerhalb eines überschaubaren Bereiches sicherzustellen. Ich bin der Auffassung und sage das auch ganz offen: ohne die Initiative dieser Bundesregierung wäre der Entwurf der CDU/CSU, der ein solches Krankenhausgesetz fordert, nie eingebracht worden.
Damit ist die Einbringung zu Tagesordnungspunkt 16 b) vollzogen. Ich eröffne nunmehr die allgemeine Aussprache und darf zur Geschäftslage auf folgendes hinweisen: Zu Punkt 16 a) und b) — die Aussprache wird verbunden — habe ich bereits fünf Wortmeldungen. Danach kommen drei weitere Tagesordnungspunkte, für die mindestens Erklärungen vorgesehen sind, wenn nicht eine Debatte. Meine Randbemerkungen sollten nur Anlaß sein, die vorgesehenen Redner zu bitten, behutsam zu bitten, einige ihrer Stichworte vielleicht noch zu kürzen, damit wir heute einigermaßen zeitgerecht fertig werden.Das Wort hat nunmehr als Vertreter des Freistaates Bayern Herr Staatsminister Merk.Dr. Merk, Minister des Landes Bayern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gehört sicherlich zu den seltenen Fällen, und ich möchte meinen, vielleicht zu den zu seltenen Fällen, daß sich auch Ländervertreter in den parlamentarischen Lesungen von Gesetzentwürfen im Deutschen Bundestag zu Wort melden. Daß Ländervertreter auch in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit hier noch das Wort erbitten, mag Ihnen geradezu demonstrativ vor Augen führen, welche ungeheure Bedeutung die Länder ihrerseits — und sie wiederum stellvertretend auch für die Gemeinden — diesem Gesetzentwurf beimessen und mit welcher Sorge sie die weitere Entwicklung des Gesetzentwurfes nach dem bisherigen Beratungsverlauf verfolgen.Die Regierungsvorlage eines Gesetzentwurfs zur Krankenhaussicherung gehört wegen ihrer überragenden Bedeutung für die Gesundheitspolitik und wegen ihrer Auswirkungen für alle Bürger unseres Landes mit zu den wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode. Sie ist aber, meine Damen und Herren, gleichzeitig auch ein Prüfstein für die Politik der inneren Reformen.Mit der Zustimmung zur Grundgesetzänderung im Frühjahr 1969 verband der Bundesrat die Erwartung, daß die Bundesregierung die neue Zuständigkeit zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser nutzen würde, um mit einem ausgewogenen und realistischen Konzept den Finanzierungsnotstand der Krankenhäuser zu beseitigen. An Erklärungen hierzu hat es nicht gefehlt.Schon lange Zeit vor der Einbringung des Gestzentwurfs wurde seitens der verantwortlichen Vertreter des Bundes immer wieder betont, daß der Bund einen entscheidenden Beitrag zur Krankenhausfinanzierung leisten werde und sich deswegen mit einem Drittel an der Finanzierung der Investitionslast beteiligen wolle. Diese Drittelbeteiligung ist auch in den Entwurf der Bundesregierung eingegangen. In Wirklichkeit steht sie jedoch nur auf dem Papier. Die Bundesregierung hat ihrem Entwurf die tragfähige Basis entzogen, weil sie einmal falsche Berechnungsgrundlagen zugrunde legt und damit einen unzutreffenden Finanzierungsbedarf errechnet und weil sie zum anderen keinen echten Drittelanteil übernimmt, sondern ihren Finanzierungsanteil summenmäßig gesetzlich begrenzt.Die Bundesregierung setzt bereits den ersten Basiswert, nämlich die Zahl der zu fördernden Akutkrankenbetten, viel zu niedrig an. Der Entwurf geht von 410 000 förderungsfähigen Akutbetten aus. Die 50 000 Betten in Krankenhäusern mit weniger als 100 Betten nimmt der Bund aus seiner Förderung aus, obgleich diese Krankenhäuser als Spezialkliniken vielfach eine wichtige Funktion für die Versorgung der Bevölkerung mit Akutbetten erfüllen. Es ist zwar richtig, verehrte Frau Bundesminister — um auf ein Argument gleich einzugehen —, daß nach § 8 des vorliegenden Gesetzentwurfs die Förderung von Krankenhäusern mit weniger als 100 planmäßigen Betten möglich ist, wenn sie zur Versorgung der Bevölkerung nach den Krankenhausplanungen auf Dauer erforderlich sind. Jedoch ist nach § 21 dieses Gesetzes der Finanzierungsanteil des Bundes auf die Krankenhäuser mit mehr als 100 planmäßigen Betten begrenzt.Wenn die Bundesregierung geltend macht, der Nachholbedarf und der verstärkte zukünftige Bedarf an Krankenbetten könnten durch Rationalisierungsmaßnahmen aufgefangen werden, so verkennt sie dabei die Veränderungen in der Altersstruktur unserer Bevölkerung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen sowie die Tendenz zur stärkeren Inanspruchnahme der stationären Behandlung und die immer weitergehende und weiterreichende Spezialisierung. Ein realistisches Finanzierungskonzept
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6342 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Staatsminister Dr. Merkdarf danach nicht von 410 000, sondern muß von 500 000 förderungsfähigen Akutbetten ausgehen.Zum zweiten: Der angenommene Bettenwert von 72 100 DM ist schlechtweg illusorisch. Kein Sachverständiger wird diesen Wert bestätigen. Ich möchte als sicherlich unverdächtigen Zeugen hierfür den Präsidenten des Deutschen Städtetages, Herrn Oberbürgermeister Dr. Vogel, zitieren, der erst in der vergangenen Woche für neu geplante Krankenhäuser einen Bettenwert von 120 000 DM genannt hat. Die Stellungnahme zu den Empfehlungen des Bundesrates zeigt im übrigen, daß die Bundesregierung von ihrer Berechnung selbst nicht mehr überzeugt ist. Die notwendigen Konsequenzen zieht sie aus dieser Erkenntnis jedoch nicht.Drittens ist die eingeplante jährliche Preissteigerung von 3 % irreal, wenn man bedenkt, daß die Baupreise allein im letzten Jahr bis zu 40 % gestiegen sind. Geht man von realen, um nicht zu sagen bescheidenen Ansätzen aus, dann ergibt sich— wie auch der Bundesrat in einer Entschließung auf Grund eines Antrags des Landes Hessen festgestellt hat — bei einem durchschnittlichen Betten-wert von 100 000 DM — ich gehe also gar nicht an die Grenze von 120 000 DM, wie sie vom Münchner Oberbürgermeister genannt wurde — ein jährlicher Investitionsbedarf von 3,3 Milliarden DM und nicht— wie die Bundesregierung erklärt — von 2,2 Milliarden DM.Von diesen 3,3 Milliarden DM will der Bund 650 Millionen DM übernehmen, Das ist lediglich etwa ein Sechstel des Investitionsbedarfs, wenn man berücksichtigt, daß aus dem Bundesanteil noch Mittel zur Förderung der Forschung abgezweigt und nur 85 % dieses Betrages nach Einwohnerwerten auf die Länder verteilt werden sollen. Das bedeutet, daß Länder und Gemeinden zu ihren bisherigen Aufwendungen für ,die Krankenhäuser zusätzlich noch etwa 1,1 Milliarden DM bereitstellen müssen, für die in ihren Finanzplanungen keine Deckung vorhanden ist. Bayern müßte allein seinen Haushaltsansatz nahezu verdreifachen, um den Bedarf befriedigen zu können, ,der durch die Neuverteilung der Investitionslast auf das Land zukommt. Den Löwenanteil dieser Investitionslast will der Bund damit den Ländern übertragen, und zwar —ich betone es — als neue — nicht bisher schon gegebene — gesetzliche Verpflichtung.Dabei darf die Krankenhausfinanzierung nicht isoliert betrachtet, sondern sie muß im Zusammenhang mit den ständig steigenden Ansprüchen an die Länderhaushalte für den Wohnungsbau, die Städtebauförderung, den Umweltschutz, die Struktur- und Bildungspolitik usw. gesehen werden. Die sich darin offenbarende Tendenz der Bundesregierung, aufwendige Programme zu verkünden, die Finanzierung aber zum großen Teil den Ländern zu überlassen, ohne gleichzeitig die Finanzmasse zwischen Bund und Ländern neu aufzuteilen, ist eine Politik, die sich der Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems entzieht. Berücksichtigt man außerdem, daß die Steuereinnahmen der Länder bei ständig steigenden Ansprüchen hinter den Schätzungen zurückbleiben und die Bundesregierung gleichwohl einen höheren Anteil der Länder am Steueraufkommen ablehnt, dann zeigt sich die ganze Utopie einer Politik der sogenannten inneren Reformen.Die Länder werden — ich muß das betonen — bei dieser Situation gezwungen sein, die Kommunen an der Krankenhausfinanzierung noch stärker als bisher zu beteiligen. Die den Kommunen bei der Debatte um die Grundgesetzänderung versprochene Hilfe bleibt auf der Strecke. Es muß sogar befürchtet werden, daß der kommunale Finanzierungsanteil an der Investitionslast höher werden wird als das jährliche Defizit der kommunalen Krankenhausträger, das bisher von den Kommunen zu tragen war.Das Ergebnis des Konzeptes der Bundesregierung wird sein, daß an die Stelle des Qualitätskrankenhauses das Billigkrankenhaus tritt und der Krankenhausneubau stagniert. Zusätzliche neue Krankenbetten werden nicht mehr geschaffen werden können. Das oberste Ziel jeder Gesundheitspolitik, nämlich die optimale Versorgung der Bevölkerung mit Krankenbetten in leistungsfähigen Krankenhäusern, wird damit ernsthaft gefährdet.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat entgegen der von Frau Kollegin Strobel im Bundesrats-Plenum hervorgehobenen angeblich weitgehenden Zustimmung breite und harte Kritik erfahren. So hat der Bundesrat auf Grund eines Antrages des Landes Hessen in einer Entschließung festgehalten, daß er eine Zustimmung zu diesem Gesetz nur dann in Aussicht stellen kann, wenn unter Berücksichtigung eines Paketes von sehr grundsätzlichen Änderungsvorschlägen im weiteren Gesetzgebungsverfahren die notwendigen finanziellen Voraussetzungen für dieses Gesetz noch geschaffen werden. Die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates bringt die Unsicherheit über ihr eigenes Konzept deutlich zum Ausdruck.Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, also der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städtebund, der Deutsche Gemeindetag und der Deutsche Landkreistag, hat ebenso wie die ärztlichen Spitzenorganisationen grundsätzliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf vorgetragen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat in einem Fernschreiben vom 17. Februar an den Herrn Bundeskanzler zum Entwurf der Regierung erklärt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich —:Die Krankenhausträger müssen es ablehnen, an einer Entwicklung mitzuwirken, die hinterher von einer breiten Öffentlichkeit als Täuschung ausgelegt werden könnte.Dieser Aussage der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die keineswegs allein steht, brauche ich nichts mehr hinzuzufügen.Es sollte deswegen im weiteren Gesetzgebungsverfahren versucht werden, um schädliche Folgen und einen noch größeren Zeitverlust zu vermeiden, die Krankenhausfinanzierung auf realen Grundlagen aufzubauen. Es wäre Augenauswischerei, hier noch länger mit falschen Werten zu arbeiten.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6343
Staatsminister Dr. MerkFür ein realistisches Konzept bieten sich nur zwei Möglichkeiten. Entweder bleibt man bei den Vorstellungen der Bundesregierung, nach denen die öffentliche Hand, also der Steuerzahler, die gesamten Vorhaltekosten für die lang-, mittel- und kurzfristigen Investitionen sowie die Instandhaltungskosten übernimmt und die Benutzer, also überwiegend die Krankenkassen und damit die Versichertengemeinschaft, für die Kosten der Versorgung und der ärztlichen Betreuung aufzukommen haben. Dann muß die Finanzmasse der öffentlichen Hand für die Krankenhausfinanzierung entscheidend verstärkt werden. Das kann, da einer weiteren Verschuldung der öffentlichen Hand Grenzen gesetzt sind, nur durch Einschränkungen bei anderen öffentlichen Investitionen oder durch Steuererhöhungen bewältigt werden. Als zweite Alternative bliebe ein Konzept, das die Vorhaltekosten der öffentlichen Hand und die Benutzerkosten anders abgrenzt, als das im vorliegenden Entwurf geschieht.Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat hierzu im bereits genannten Fernschreiben an den Herrn Bundeskanzler vom 17. Februar dieses Jahres vorgeschlagen, daß die öffentliche Hand nur die Ersterrichtungskosten übernimmt, während die übrigen Kosten vom Benutzer zu tragen sind.Bayern denkt hier an eine vermittelnde Lösung. Danach sollen die Ersterrichtungskosten und die Kosten der Wiederbeschaffung der mittelfristigen Anlagegüter von der öffentlichen Hand getragen werden. Die übrigen Kosten, nämlich die Kosten der Versorgung und ärztlichen Betreuung sowie die Kosten der Wiederbeschaffung der kurzfristigen Anlagegüter und die Instandhaltungskosten, soll dagegen der Benutzer aufbringen. Daß auch wir bestrebt sind, durch ausreichende und mögliche Sicherungen jede unsoziale oder unzumutbare Belastung der Benutzer je nach ihrem sozialen Status zu vermeiden, brauche ich nicht besonders zu betonen.
— Ich bin bereit, auch in diesem Hohen Hause und seinen Ausschüssen intensiv mitzuhelfen.Lassen Sie mich abschließend betonen, meine Damen und Herren, daß wir mit der Übernahme der vollen Investitionskosten der Krankenhäuser auf die öffentliche Hand, wie das im vorliegenden Entwurf geschieht, in einem wichtigen Teilbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge einen Weg beschreiten, der auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge zu Folgerungen führen kann, vielleicht sogar zu Folgerungen führen muß. Wohin 'dieser Weg am Ende führen wird, ist derzeit noch nicht zu überblicken. Mit Sicherheit läßt sich jedoch vorhersagen, daß wir weder die ständige Ausweitung und Aufblähung der öffentlichen Haushalte in den Griff bekommen noch auch unsere auf der Privatinitiative und der Eigenverantwortung des einzelnen beruhenden Leistungsgesellschaft erhalten werden, wenn wir dem Bürger immer mehr Verantwortung abnehmen und ständig neue Lasten auf die öffentlichen Haushalte abwälzen.Wir hoffen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß aus den Beratungen des Bundestages ein Gesetzesbeschluß erwächst, der die Sorgen der Krankenhausträger endlich beseitigt und realisierbare Finanzierungsmodelle und -möglichkeiten für ein bedarfsgerecht gegliedertes System leistungsfähiger Krankenhäuser festlegt. Wir sind gern bereit, an diesen Beratungen — ich sagte es schon — intensiv mitzuwirken.
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Savn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Teil der Ausführungen der Frau Minister war für die zukünftigen Beratungen insbesondere in den Ausschüssen wenig hilfreich. Insbesondere die Ausführungen des Herrn Innenministers Merk wie aber auch die Aussagen der Ländervertreter im Bundesrat, vor allem im Finanzausschuß des Bundesrates, sollten dieser Regierung und dem Ressortminister deutlich machen, wo die Schwierigkeiten noch liegen. Sie, Frau Minister, sollten sich lieber der gemeinsamen Anstrengung dieses Hauses versichern, um in diesen Problemen weiterzukommen, und nicht hier mit Vorschußlorbeeren für ein Gesetz, von dem wir noch nicht wissen, wie es endgültig aussehen wird, die Atmosphäre beeinflussen.Frau Strobel hat uns vor kurzem unterstellt, daß die Opposition nicht das ausspreche, was gut sei, sondern nur kritische Anmerkungen mache. Meine Damen und Herren, ich bin bereit, hier folgendes festzustellen: Wir begrüßen es, daß mit der Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze der Versuch unternommen wird, Konsequenzen aus der von der Großen Koalition im Frühjahr 1969 beschlossenen Grundgesetzänderung zu ziehen.Deswegen ist es auch wenig hilfreich, Frau Bundesminister, wenn Sie ein Schreiben des Herrn Bundesfinanzministers Strauß aus dem Jahre 1968 zitieren und daraus eine Aussage für eine Grundgesetzänderung ableiten wollen, die erst ein Jahr später in diesem Hause beschlossen worden ist, und zwar von der CDU/CSU und der SPD gemeinsam. Das wäre dasselbe, wenn ich Sie jetzt danach fragen würde, ob Ihr Finanzminister in Anbetracht der noch zu erwartenden Grundgesetzänderungen der nächsten Wochen jetzt schon Mittel für die Gesetze bereitgestellt hat, die danach einmal folgen sollen. Dann würden Sie mir sagen müssen, daß auch er das nicht getan hat.Zustimmung findet auch, daß in diesem Gesetz die Übernahme der Investitionskosten durch die öffentliche Hand vorgesehen ist, während die Benutzerkosten zu Lasten der Benutzer, also im Endeffekt zu Lasten der Versichertengemeinschaft, gehen. Mit einer solchen Regelung kommt zum Ausdruck, daß die Finanzierung der Vorhaltekosten für Krankenhäuser eine öffentliche Aufgabe ist, wie sie
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinseit Jahren zum einen von vielen Gruppen unserer Gesellschaft gefordert worden ist und zum anderen durch die erheblichen Anstrengungen der Länder und Gemeinden schon in großem Umfang praktiziert worden ist.Wir werden in den Ausschußberatungen zu prüfen haben, in welchem Umfang wir dem Anspruch des Gesetzes, die Krankenhäuser wirtschaftlich zu sichern, gerecht werden können und wie wir gleichzeitig vermeiden, daß die Länder und Gemeinden in dem Umfang belastet werden, wie Herr Staatsminister Merk es hier vorgetragen hat.Die Bundesregierung hat in dem Gesetzentwurf die Bereitstellung eines Drittels der Investitionskosten vorgesehen. Hier muß ich noch einmal zurückblenden zu der Haushaltsdebatte vor wenigen Wochen und muß bedauernd feststellen, daß die Mehrheit dieses Hauses wie die Regierung nicht bereit gewesen ist, unserem Antrag zu folgen, die Investitionszuschüsse im Einzelplan 15 des Haushalts auszuweisen. Wenn Sie, Frau Bundesminister, glauben, hier sagen zu müssen, wir hätten gefordert, daß die 300 Millionen DM voll aus den vorhandenen Mitteln in den Haushaltsplan eingestellt werden sollten, so ist das eben falsch. Was wir verlangt haben, war lediglich, daß ,das, was für die Finanzierung der Krankenhäuser einmal an Darlehen aufgenommen wird, in den ordentlichen Haushaltsplan eingestellt wird. Warum haben wir das verlangt? Damit jeder in diesem Hause sieht, welch kostspieliges Experiment eine solche Finanzierungsart ist.Zwar können Sie im Jahre 1971 mit 9 Millionen DM 300 Millionen DM mobilisieren und auch noch im nächsten Jahr mit einem relativ geringen Betrag eine relativ hohe Summe bereitstellen, aber das Ende der Geschichte sieht doch anders aus. In absehbarer Zeit wird nämlich die Schuldendienstbelastung höher sein als der jährlich zur Verfügung stehende Kreditbetrag. Das ist der entscheidende Grund, der uns veranlaßt hat, die Einstellung der Beträge in den Haushaltsplan zu verlangen. Außerdem wird durch die Tatsache, daß nur der Schuldendienst im Haushaltsplan ausgewiesen wird, der Gesamtumfang der Verschuldung des Bundes heruntermanipuliert. Ich erinnere an eine ähnliche Tendenz bei der Bildungsanleihe und bei den Kapitalabfindungen für Kriegsopfer. Wir schaffen hier neben dem ordentlichen Haushalt einen Schattenhaushalt, und das, glaube ich, sollte dieses Haus auf die Dauer nicht zulassen.Die Bundesregierung stellt in Aussicht, ein Drittel der Investitionszuschüsse an die Länder weiterzugeben, begrenzt aber gleichzeitig, wie wir soeben gehört haben, in § 21 die Finanzhilfen auf ganz bestimmte Sätze. Ich will hier nicht die Frage prüfen, ob die von den Bundesländern angegebenen Bettenwerte oder die Schätzungen der Krankenhausgesellschaften zutreffen. Aber, Frau Bundesminister, daß die Zahlen, die Sie bei der Berechnung der durch dieses Gesetz entstehenden Gesamtausgaben zugrunde gelegt haben, in keinem Fall zutreffen, daß Sie den wirklichen Bedarf unterschätzt haben, steht fest. Wir müssen uns also im klaren sein, daß mit diesem Gesetz zusätzliche Ausgaben erforderlich werden, deren Höhe zwischen einigen hundert Millionen DM und 1,1 Milliarden DM beträgt. Wenn aber der Bund, wie es im Gesetz vorgesehen ist, seinen Anteil weiterhin begrenzt, geht jede über die bisherige Berechnung hinausgehende finanzielle Belastung einseitig zu Lasten der Länder und der Gemeinden.Daher müssen wir uns bei den Ausschußberatungen intensiv mit den Ausführungen der Länder und der Träger der freien gemeinnützigen Krankenhäuser auseinandersetzen, um zu einem guten Kompromiß zu kommen. Das ist um so notwendiger, als ja gerade die finanzielle Entwicklung im Krankenhausbau durch die geradezu beängstigende Kostenexplosion des letzten Jahres eine zunehmende Erschwernis erfahren hat.Das finanzielle Risiko der Länder wird dadurch noch größer, daß der Bund diesem Gesetzentwurf zufolge 15 °o für Schwerpunkt- und Modellmaßnahmen reservieren und somit diese Mittel dem allgemeinen Verteilungsschlüssel entziehen will. Auch hierüber muß beraten werden, ebenso darüber, daß durch § 19 des Gesetzentwurfs eine weitere finanzielle Unsicherheit hervorgerufen wird, nähmlich durch die Bestimmung, daß bei den neu festzusetzenden Pflegesätzen eine über 7,5 % der derzeitigen Pflegesätze hinausgehende Erhöhung ebenfalls zu Lasten der zur Verfügung stehenden Förderungsmittel gehen soll. Hier wird ein erster Versuch unternommen, das Prinzip der Kostenteilung zwischen Benutzerkosten und Vorhaltekosten zu durchbrechen und damit eine weitere Belastung der öffentlichen Hand einzuleiten. Dem muß ganz entschieden widersprochen werden.Nun noch ein Wort zur Situation der freien gemeinnützigen Träger. Der Entwurf des Gesetzes bringt für die freien gemeinnützigen Krankenhäuser ebenfalls erhebliche zusätzliche finanzielle Risiken, Risiken, die bisher noch nicht abzuschätzen sind. Die Regierung muß uns daher in den Ausschußberatungen sehr genau darüber informieren, wie das im Gesetz vorgesehene Steuerungsinstrument der Krankenhausplanung, von der ja jede finanzielle Förderung abhängig sein wird, gehandhabt werden soll. Es wird uns nachzuweisen sein, nach welchen einheitlichen Kriterien diese Planung in den Ländern erfolgen soll. Wir erwarten, daß wenigstens die Normen für das von den Ländern zu entwikkelnde, „rechtsstaatlichen Anforderungen" genügende Verfahren für die Aufnahme in den Krankenhausplan nach § 8 bekanntgegeben wird.Wir wünschen, daß die Bundesregierung uns auch über die zu erlassenden Rechtsverordnungen — es gibt immerhin die Ermächtigung für acht Rechtsverordnungen — Klarheit verschafft, denn auch das ist für die Beurteilung des Gesetzes entscheidend.Eines aber, Frau Minister, wünschen wir uns nicht: daß dieses Instrument der Krankenhausplanung im Hinblick auf die finanzielle Situation der Länder dann die einzige Notbremse sein wird, um den finanziellen Rahmen in etwa im Griff zu behalten. Ihre Ausführungen im Bundesrat haben diese Vermutung, diesen Verdacht, daß hier unter Um-
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinständen die Kosten zu Lasten der Krankenhausträger heruntermanipuliert werden könnten, doch sehr viel deutlicher gemacht. Sie haben im Bundesrat — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren — folgendes ausgeführt:Vielleicht haben es die Länder in dieser Beziehung doch etwas leichter als der Bund, denn über den Krankenhausbedarfsplan kann ja nicht nur das Neubauvolumen der Krankenhäuser, sondern auch die Zahl der bestehenden, in die öffentliche Förderung einbezogenen Betten gesteuert werden. Das bedeutet natürlich nicht, daß man die Förderung der Krankenhäuser wie einen Wasserhahn auf- und zudrehen kann; aber die Länder können doch langfristig bei ihren Finanzplanungen auch die sich aus dem Gesetz ergebenden zukünftigen Lasten berücksichtigen und den Krankenhausbedarfsplan entsprechend ausgestalten.Gerade wenn Finanzierungslücken, von denen hier ja schon wiederholt die Rede war, vorhanden sind und sich noch vergrößern können, wird unter Umständen mit diesem Instrument der Krankenhausplanung versucht, entsprechend der Haushaltslage die Dinge so zu gestalten, daß sie sich an die dann vorhandene Finanzsituation anpassen lassen.Ein weiteres Problem: In § 12 des Entwurfs eines Krankenhausgesetzes werden Krankenhäusern, die die Voraussetzung der Förderung erfüllen, die Investitionslasten, die aus der Vergangenheit stammen, abgenommen. Was macht aber ein freigemeinnütziges Krankenhaus, das nicht in dieses Krankenhausbedarfsprogramm aufgenommen wird? Auch hier wünschen wir über eine Übergangsregelung mehr zu wissen.Wir wollen auch gemeinsam überlegen, wie wir das Problem der Finanzierung der Ausbildungsstätten in den Ausschußberatungen lösen können, denn die Ausschließung aus den Fördermitteln ist, glaube ich, mehr als ein Schönheitsfehler. Hier muß gerade im Hinblick auf die Personalsituation gefordert werden, daß die Ausbildungsstätten in vollem Umfang aus diesem Gesetz mitfinanziert werden.Ich würde gerne noch etwas zur Situation der Gemeinden sagen, aber im Hinblick darauf, daß auch Herr Innenminister Merk schon auf diese Situation hingewiesen hat, möchte ich hierauf verzichten und nur noch folgendes feststellen. Alle Verbesserungsvorschläge würden nur Stückwerk bleiben, wenn es in den Beratungen nicht gelingt, durch entsprechende Maßnahmen die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser zu verbessern und damit die jährlichen Kostensteigerungen in erträglichen Grenzen zu halten. Die angenommene 3%ige Kostensteigerung, wie sie in der Finanzplanung ihren Niederschlag gefunden hat, muß illusorisch bleiben, wenn nicht die im CDU/CSU-Antrag „zum Ausbau und zur Sicherung eines bedarfsgerecht gegliederten Systems leistungsfähiger Krankenhäuser" enthaltenen Vorschläge, zu denen sicherlich noch weitere kommen werden, in den vorgelegten Gesetzentwurf eingebaut werden. Nur dann wird es möglich sein, einen nachhaltigen Beitrag zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser zu leisten.Das Versprechen der Bundesregierung, unsere Krankenhäuser wirtschaftlich zu sichern, hat bei den Ländern, aber auch bei den Gemeinden, bei den freien Verbänden als Trägern von Krankenhäusern die Hoffnung erweckt, daß das Krankenhausfinanzierungsgesetz die bisherigen Belastungen mindert und zugleich den Rahmen der Verpflichtungen überschaubarer macht.Nun, meine Damen und Herren, ich muß feststellen, daß das, was bisher in dem Gesetzentwurf erkennbar ist, und das das, was Sie, Frau Bundesminister, insbesondere auch im Bundesrat als Gegenargument vorgebracht haben, diese Erwartungen nicht erfüllen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nölling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sache, über die wir sprechen, würde sicherlich eine längere Auseinandersetzung verdienen und deren auch wert sein. Ich glaube, die Argumente, die von der Opposition vorgebracht worden sind, um den Regierungsentwurf abzuqualifizieren, fordern eigentlich eine ausführlichere Beantwortung heraus, als mir in der Kürze der Zeit, die ich habe, möglich ist.Dennoch möchte ich mich ein paar Minuten mit Ihren Ausführungen, Herr Kollege Katzer, beschäftigen. Die deutsche Krankenhausmisere, vor der wir stehen, dauert schon über 20 Jahre lang.
Die Substanzverluste, die eingetreten sind, die Modernitätsrückstände, die wir zu beklagen haben, die Niveauunterschiede in den Krankenhäusern sind so offenkundig, daß ich mich wirklich frage, woher Sie das Recht für die Befüchtung nehmen, daß das, was diese Regierung jetzt einleiten will, in Zukunft etwa zu noch größeren Niveauunterschieden führen könnte. Ich glaube, schlimmer als das, was sich in 20 Jahren nach dem Kriege entwickelt hat, kann es wohl kaum werden.
— Ich komme noch auf einige Punkte zu sprechen. Lange Zeit ist die CDU/CSU in diesen Fragen überhaupt nicht handlungsfähig gewesen. Sie haben überhaupt nicht gewußt, wie Sie sich angesichts der Forderungen der Wissenschaft und der Praktiker verhalten sollten, die Krankenhausversorgung zu einer öffentlichen Aufgabe zu machen.
Seit langem fordert die SPD, daß die soziale Infrastruktur und in diesem Zusammenhang die Krankenhäuser eine öffentliche Aufgabe sein müssen und daß die Vorhaltekosten durch alle Bürger dieses
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Dr. NöllingStaates, die vom Krankheitsrisiko bedroht sind,auch finanziert werden müssen, d. h. über Steuern.
— Dann lesen Sie, Herr Dr. Jungmann, doch einmal, was beispielsweise die CSU dazu gesagt hat. Lesen Sie, was Herr Merk noch am 29. Januar im Bundesrat gesagt hat.Aber warum über diese im Grunde kleinen Fische mit Ihnen reden? Ich möchte auf die Argumentation von Herrn Katzer zurückkommen. Herr Katzer hat sich hier hingestellt und gesagt, er müsse vor einer Ideologisierungsgefahr warnen, die sich auftäte. Herr Kollege Katzer, Gründe dafür haben Sie leider nicht genannt. Denn wenn Sie sich auf den Regierungsentwurf bezogen hätten, hätten Sie dafür einfach keine Basis gehabt. Statt dessen haben Sie sich wieder dazu hinreißen lassen, auf den armen Jungsozialisten herumzuprügeln.
Mehr blieb Ihnen gar nicht übrig, um diesen Buhmann überhaupt ins Spiel bringen zu können. Darum geht es ja letzten Endes.Ich möchte folgendes sagen. Es gibt genug Gründe, Herr Kollege Katzer, anzunehmen, daß Ihre Serie von Versprechungen, die Sie gemacht haben, eine Ideologie ist, die Neugeburt einer Ideologie, wenn ich das so nennen darf. Denn was Sie alles versprochen haben, würde wirklich alle zufriedenstellen, die in dieser Gesellschaft an funktionierenden Krankenhäusern interessiert sind: die Ärzte selbstverständlich, die Patienten, die Krankenkassen, die Krankenhausträger usw. Nur, Herr Kollege Katzer, wer soll das eigentlich bezahlen?Zwischen den Aussagen von Staatsminister Merk und dem, was Sie sagten, hat sich ein interessanter Widerspruch gezeigt; denn Staatsminister Merk sagt, diese Regierung wolle aufwendige Reformen verkünden und habe zu ihrer Durchführung kein Geld. Ich frage mich nur, woher Sie das Geld nehmen — —
— Ausgerechnet mit demselben Geld. Das kann ich mir vorstellen bei der Situation, die wir „mit demselben Geld" in der Vergangenheit erreicht haben. Das müßten Sie gegebenenfalls einmal beweisen. Sie müßten uns einmal sagen, wieviel Einbettzimmer — wenn Ihre Ideologie Wirklichkeit werden soll — gebaut werden sollten. Was Sie erreichen wollen, ist sehr wohl deutlich geworden. Sie wollen die Verhältnisse umkehren. Früher sprach man davon, daß die Bürger in der Bundesrepublik in privatem Reichtum und in öffentlicher Armut lebten. Ich habe den Eindruck, Sie wollen das umkehren. Sie wollen der Bevölkerung versprechen, daß sie es in Zukunft im Krankenhaus besser habe alszu Hause. In diesem Sinne habe ich Sie doch richtig verstanden?
— Schön, das ist dann meine Interpretation. Aber man mußte das auf Grund des Gesagten annehmen. Wenn Sie hier davon sprechen, daß Sie ein erstklassiges Krankenhaus anbieten wollen,
dann möchte ich natürlich die Frage an Sie richten, wie Sie das angesichts der Finanzschwierigkeiten, die ja nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Länderebene bestehen
und vor denen wir die Augen nun einmal nicht verschließen können, erreichen wollen. Was nützt es eigentlich dem Bundesbürger, wenn hier Versprechungen in den Raum gesetzt werden, ohne daß gesagt wird, wie man sie realisieren will.
Genau das ist geschehen. Wir haben in unserem Gesetzentwurf dagegen das vorgesehen, was sich im Moment, unter den jetzigen politischen Bedingungen, als Einstieg für die Krankenhausreform realisieren läßt.Ich habe auch nicht die Absicht, es unwidersprochen zu lassen, wenn der Fortschritt, den das Gesetz bringt, hier sowohl von den Ländern, in denen die CDU bzw. CSU die Regierung stellt, als auch von der Opposition madig gemacht wird. Dieser Versuch wird hier gemacht.
— Herr Kollege Sayn, wir müssen von folgendem ausgehen. Das Gesetz bringt im nächsten Jahr immerhin eine Verbesserung der Investitionsmasse für Krankenhäuser von etwa einer Milliarde DM. Hätten wir das Gesetz nicht, hätten wir auch diese zusätzliche Finanzmasse im nächsten Jahr nicht. Das ist der Kerngedanke dieses Gesetzes. Das ist der Fortschritt, den das Gesetz bringt. Das können Sie doch nicht bestreiten. Sie können doch unter diesen Umständen nicht darauf hinaus wollen, daß etwa die Finanzierung zu kurz gekommen sei.Nun eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Sayn-Wittgenstein. Sie haben — wie schon in der Haushaltsdebatte — beklagt, daß hier eine Art der Finanzierung gewählt würde, die teuer sei. Es ist uns klar, daß das eine teure Art der Finanzierung ist. Gegenvorstellungen, wie man es anders machen könnte, sind von Ihnen nicht in die Debatte gebracht worden. Im Gegenteil! Sie haben gerade mit dem Antrag, den Sie in der Haushaltsdebatte eingebracht
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Dr. Nöllinghaben, genau diese Art der Finanzierung unterstützt und bejaht.
— Natürlich, aber Sie tun doch so, als ob wir eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Finanzierungsart gehabt hätten,
daß man aber auch andere hätte finden können. Gleichzeitig müssen Sie anerkennen, daß Sie in diesem Parlament keine andere Lösung vorschlagen können.Unser Entwurf bringt dreierlei. Erstens bringt er die substantielle Verbesserung der Mittel, die von diesem Jahr an für Investitionen zur Verfügung stehen. Zweitens bringt er ein Ausmaß von Planung und Koordination in unser Krankenhaussystem, das zum erstenmal die Möglichkeit eröffnet, Fehlinvestitionen zu verhindern. Ich glaube, auch das muß man betonen. Drittens bleibt durch die vorgesehene Art der Pflegesatzregelung die Entwicklung der inneren Struktur der Krankenhäuser offen. Ich glaube, daß es angesichts der gegenwärtigen Diskussion darüber, wie die innere Struktur in unseren Krankenhäusern aussehen sollte, auch besser ist, diese Entwicklung offenzuhalten.
— Sie machen sich über immerhin ernst zu nehmende Bedenken lustig. Es gibt aber auch verfassungspolitische Schwierigkeiten.
Sie können sich natürlich darüber lustig machen, Herr Katzer. Aber sagen Sie dem Hause doch einmal, was Sie als Minister in vier Jahren im Hinblick auf die Krankenhaussanierung getan haben.
Sie haben gar nichts getan. Eben haben Sie sogar gesagt, man könne über die Sozialversicherung usw. in die innere Struktur der Krankenhäuser eingreifen. Das hätten Sie ja machen können.Ich möchte auch Herrn Merk fragen, was er in seiner Rede hier vor diesem Parlament wohl sonst noch alles kritisiert hätte, wenn die Regierung sich tatsächlich an die Regelung der inneren Struktur der Krankenhäuser herangemacht hätte. Das Geheule der Länder hätte ich gern einmal gehört!Ich hätte mich mit dem Antrag der CDU/CSU gern sehr viel ausführlicher beschäftigt. Ich will das an dieser Stelle aber nicht tun. Es ist meine feste Überzeugung, Herr Kollege Katzer, daß die in Ihrem Entwurf vorgesehenen Maßnahmen, die Pflegesatzregelungen und alles das, was über das hinausgeht, was wir wollen, Mechanismen beinhalten, die zu einer hemmungslosen, unkontrollierbaren Kostenproduktion in den Krankenhäusern führt, ohnedaß die medizinische Versorgung unserer Bevölkerung dadurch verbessert würde.
Ich bin fest davon überzeugt, daß das eintreten würde. Die Prämien, Herr Kollege Katzer, die bei dem System, das Sie vorschlagen, entstehen würden, würden etwa das Schicksal erleiden, das wir bei Kfz-Prämien heute schon haben; sie würden von Jahr zu Jahr in einem Ausmaß steigen, das keiner von uns mehr kontrollieren könnte.Ich meine, man wird bei den Beratungen sehen, daß dieses Gesetz eine gute Basis für den Einstieg in die Krankenhausreform gibt und daß diese Krankenhausreform weitergehen muß. Aber ich meine, daß wir angesichts der Notlage, in der sich die Krankenhäuser befinden, und angesichts der Tatsache, daß man auf diesem Gebiet kurzfristig keine Änderung erreichen kann, sondern längerfristig planen muß, nun ein Gesetz geschaffen werden muß und daß dieses Gesetz die realistische Aussicht eröffnet, daß sich in absehbarer Zeit eine fühlbare Verbesserung der Krankenhaussituation für unsere Gesellschaft ergibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller. Für ihn hat die Fraktion der FDP 30 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Sprecher der CDU hat sich hier über den Zeitdruck beklagt, unter dem die Beratung vieler Vorlagen der Bundesregierung stünde. Zweifellos ist auch bei mir der Eindruck entstanden, Herr Kollege Katzer, daß in diesem Hause die Arbeit immer mehr zunimmt und daß der Zeitdruck, unter dem man steht, außerordentlich stark geworden ist. Aber Ihre Klage steht doch in totalem Widerspruch zu der Klage, die Sie andererseits in der Öffentlichkeit erheben, nämlich zu der Klage, daß diese Regierung ihren Verpflichtungen und ihren Versprechungen nicht nachkomme. Sie sagen also einerseits, Sie kämen in Zeitdruck, weil diese Regierung ständig neue Gesetzentwürfe einbringe und im Ausschuß nicht mehr Zeit genug bleibe, um das Pro und Kontra zu beraten. Es kann entweder nur das eine oder das andere wahr sein. Das andere ist, daß diese Regierung ihrer Verpflichtung nachkommt und Gesetzentwürfe einbringt, und Sie kommen damit im Ausschuß unter Zeitdruck.
— Herr Kollege Katzer, wir wollen uns nicht zu sehr streiten. Aber ich möchte eines feststellen: Daß wir wider den besseren Sachverstand unseren politischen Willen durchsetzen würden, haben wir Freien Demokraten noch nie erklärt. Auch die SPD hat das nicht erklärt. Eine solche Erklärung wurde in diesem Hause nur einmal von einem Sprecher der CDU abgegeben, nämlich von Herrn Schmücker.
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Spitzmüller— Aber gelegentlich sollte man sich hier an solche Dinge erinnern, wenn man mit solchen Vorwürfen, mit großen Galoschen durch das parlamentarische Gelände läuft.
Die Misere der Krankenhausfinanzierung ist keineswegs neu. Daß wir heute erst einen Gesetzentwurf in erster Lesung beraten, ist nicht die Schuld der Bundesregierung. Daß sich die Finanzierungsmisere des Krankenhauswesens über Jahre hin fortgesetzt hat, ist wiederum nicht die Schuld dieser Regierung, auch nicht der vorangegangenen Regierung, sondern die Schuld dieses Hauses. Hier müssen wir uns nämlich an unsere eigene Brust schlagen.
Wir haben hier einmal beinahe einstimmig einen Entschließungsantrag angenommen, der zum Inhalt hatte, daß die Bundespflegesatzverordnung nicht geändert werden dürfe, bevor ein umfassender Krankenhausbericht erstattet worden sei. Hier haben wir alle, die wir damals hier waren, uns an die Brust zu schlagen, wenn wir uns über die beachtliche Krankenhausfinanzierungsmisere unterhalten. Was die Regierung vorschlägt, ist eine durch öffentliche Zuschüsse gegebene Beseitigung des Defizits im Rahmen einer Krankenhausbedarfsplanung.Diese Vorlage in ihrer jetzigen Fassung ist ebenso wie der ursprüngliche Referentenentwurf in eingehenden Stellungnahmen äußerst kritisch diskutiert worden. Der Vertreter des Landes Bayern hat uns dies hier noch einmal dargelegt. Herr Minister Merk, ich nehme an, daß Frau Minister Strobel auf Ihre Ausführungen ohnehin noch eingehen wird. Ich möchte eines anmerken. Sie haben hier von zwei Möglichkeiten gesprochen, die es gebe: einmal alle Vorhaltekosten für den Staat, die Benutzerkosten für die RVO-Kassen, zum anderen Vorhaltekosten und Benutzerkosten anders abzugrenzen, d. h. Staatsbeteiligung und Kassenbeteiligung anders zu unterscheiden. Leider sind Sie — ich habe dafür Verständnis — hier wie im Bundesrat bisher die Konkretisierung schuldig geblieben, in welchem Verhältnis und wie das unter den bestehenden und den neu zu gründenden Krankenhäusern abgehandelt werden soll. Aber wir nehmen dankbar Ihre Erklärung entgegen, daß Sie im Ausschuß dazu Gelegenheit nehmen würden. Wir wären dankbar, wenn wir diese Unterlage dann möglichst frühzeitig bekämen, damit wir sie auch durcharbeiten können.Die Diskussion im Bundesrat hat ergeben, daß über den Bettenwert gestritten wurde; Herr Merk hat das heute vertieft. Die Beteiligung des Bundes wurde als fragwürdig dargestellt. Die Diskussion im Bundesrat hat auch ergeben, Herr Staatsminister Merk, daß es noch eine dritte Lösung gibt, nämlich die Lösung, die der Finanzausschuß des Bundesrates vorgeschlagen hatte. Die Meinung des Finanzausschusses wurde vom Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen vorgetragen. Dieser hat dort erklärt:Es wird deshalb erneut alternativ zu den sonst notwendigen Steuererhöhungen zu erwägen sein, ob eine sachgerechte Krankenhausfinanzierung nicht besser in der Festsetzung kostendeckender Pflegesätze zu suchen ist, wozu ein Gesetz nicht erforderlich wäre.Das war ein Vorschlag des Finanzausschusses des Bundesrates; das wäre die dritte Möglichkeit gewesen. Der Bundesrat ist über diese Möglichkeit hinweggegangen. Wir müssen doch auch von dieser Mehrheitsentscheidung des Bundesrates ausgehen. Wenn wir diese Mehrheitsentscheidung des Bundesrates mit all der Kritik zu einzelnen Forderungen und Anrechnungen sehen, bleibt nur eine Kombination von Pflegesätzen und öffentlichen Mitteln, um zur Beseitigung des Finanzierungsdefizits der Krankenhäuser zu kommen.Unabhängig von den Einwendungen des Bundesrates gibt es eine Reihe von Befürchtungen, Behauptungen und Angsten, die uns vorgetragen worden sind. Herr Kollege Katzer, ich hoffe, daß ich mir nicht den ganzen Unmut der noch verbliebenen Kollegen zuziehe, wenn ich nunmehr einige dieser Sorgen und Nöte aufzeige, obwohl ich weiß, daß sie teilweise aus politisch-taktischen Gründen bewußt erzeugt und gefördert worden sind. Aber wir nehmen sie ernst, und es ist notwendig, sich unabhängig von den jeweiligen Ursachen mit den betreffenden Fragen in aller Sachlichkeit an Hand der Absichten, Zielsetzungen und jeweiligen Begründungen des Gesetzentwurfs auseinanderzusetzen.Es ist also nicht nur von den Ländern, sondern auch von den anderen beteiligten Seiten ein ganzer Sorgenkatalog an uns Abgeordnete herangetragen worden. Vielleicht kann diese erste Beratung in einer Reihe von Punkten zur Klärung beitragen, vor allem dort, wo Mißverständnisse vorliegen. Ich glaube, hier hat Frau Minister Strobel in ihrer Einführungsrede bereits einiges Wesentliche gesagt, was manche Besorgnisse abbauen wird.Die größte Sorge bereitet jedoch den Betroffenen die Vorschrift über die Krankenhauspflegesätze. Hier ist aus dem Gesetzestext und den Begründungen nicht überschaubar, von welchen Berechnungsfaktoren konkret ausgegangen werden kann. Wir Freien Demokraten sind der Meinung, Frau Minister Strobel, daß uns die Regierung im Ausschuß praktisches Zahlenmaterial vorlegen muß, damit allen Abgeordneten im Zahlenklartext — so will ich es einmal bezeichnen — sichtbar wird, was zur Entscheidung ansteht. Ich habe mich intensiv damit befaßt, aber was die §§ 16, 17, 18 bis 24 alles bewirken, konnte ich bisher nicht in Zahlenklartext übertragen. Das müssen wir jedoch letzten Endes wissen.Die zweite Sorge rankt sich um den Begriff der sozial tragbaren Pflegesätze. Es gibt nicht wenige, die glauben, mit dieser Formulierung solle eine Entlastung der Krankenkassen gleich oder zukünftig abgesichert werden, was eine weitere Belastung der Krankenhausträger bedeutete. Tatsächlich sieht das Gesetz — die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen — 600 Millionen DM Förderungsmittel des Bundes vor und etwa 400 Millionen DM Mehraufwen-
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Spitzmüllerdungen für die Krankenkassen. Zusammengerechnet ergibt das den Betrag von 1 Milliarde DM. Wieso hier das Defizit größer werden soll, bleibt mir ein Rätsel. Aber die Formulierung in der Begründung spricht von sozial verantwortbaren Pflegesätzen, und deshalb müssen wir uns noch einmal darüber unterhalten, was wirklich gemeint ist.Ich meine, die Begründung gibt ausdrücklich wieder, daß die Absicht besteht, die bisherigen Defizite zu beseitigen. Das muß man festhalten. Das ist also das eindeutige Ziel dieses Gesetzes.Die dritte Sorge bezieht sich auf Vermutungen und Behauptungen, daß dieses Gesetz die ambulante Versorgung der Patienten mehr und mehr auf das Krankenhaus konzentriere. Die Begründung zu § 2, d. h. zur Definition der Krankenhäuser und ihrer Aufgaben, gibt keinen Anlaß zu entsprechenden Befürchtungen. Wenn sich aber die Notwendigkeit zeigen sollte, da der Gesetzestext nicht ausreicht, klarzustellen, daß keine Absicht besteht, die Krankenhäuser zu ambulanten Versorgungszentren für Patienten auszubauen, wird besseren Formulierungen mit Sicherheit nichts entgegenstehen.Ich möchte in diesem Zusammenhang auch klarstellen, daß weder direkt noch indirekt eine Verstaatlichung des Gesundheitswesens oder in diesem Fall des ärztlichen Berufs durch die sozial-liberale Koalition beabsichtigt ist — ich kann mich hier ganz kurz fassen —; denn dieser Punkt ist bei dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt eindeutig angesprochen worden, auch seitens der Frau Minister und der Sprecher der SPD.Die Sorge Nr. 4 bezieht sich auf die Krankenhausbedarfspläne der Länder und die Abhängigkeit der Förderung von einer Berücksichtigung des jeweiligen Krankenhauses in dieser Planung. Die Sorge besteht darin, daß die Förderungsgrundsätze und Bedarfspläne statt des berühmten goldenen Zügels, von dem man am Anfang sprach, an dem die Krankenhäuser in eine gesicherte Aufgabenerfüllung in die Zukunft geführt werden sollten, sich über eine Beseitigung der Autonomie des einzelnen Krankenhauses zu einem perfekten planwirtschaftlichen Dirigismus entwickeln könnten. Diese Vorwürfe, die an die Bundesregierung gerichtet werden, gehen doch völlig an der Sache vorbei, da ausschließlich die Länder für diese Pläne die Zuständigkeit haben. Wer also solche Befürchtungen äußert, kann sie nicht gegenüber dieser Koalition und dieser Bundesregierung, sondern nur gegenüber der jeweiligen Landesregierung als Adressat vorbringen. Wir haben dazu die Zuständigkeit nicht.Eine weitere Sorge ist, daß die praktische Handhabung dieses Gesetzes zu mehr Planung und Verwaltung führt, als es der Sache nach nötig ist. Ich möchte dem durch einen Vorschlag begegnen. Wenn beide Gremien, nämlich der Ausschuß nach § 7 und der Beirat, ihre Beratungsergebnisse und Vorschläge dadurch veröffentlichen müßten, daß sie als Drucksachen dem Bundestag und dem Bundesrat zur Kenntnisnahme zugeleitet werden, würden sicherlich auch viele Befürchtungen ausgeräumt werden, daß dieses Gesetz zu unkontrollierten und unnötigen dirigistischen Maßnahmen führen könnte, indem nämlich Bundesregierung und Landesregierungen, Bundes- und Länderbeamte sich in diesem Krankenhausbedarfsplanungsausschuß nach § 7 auf Kosten derer, die nicht daran beteiligt sind, einigen können. Ich glaube, wenn wir hier eine parlamentarische Nachkontrolle einführen, wird das im Interesse aller Abgeordneten, aber auch der Öffentlichkeit liegen.Die Sorge Nr. 5, die ich ansprechen möchte, meine Damen und Herren, betrifft die vorgeschriebene Zahl von 100 planmäßigen Betten, die eine Voraussetzung für die Aufnahme in die Planung und Förderung ist, wenn man von den Ausnahmefällen, die ausdrücklich schon angesprochen worden sind, absieht. Frau Strobel hat auf dieses Problem bereits hingewiesen. Aus dieser Vorschrift sind Befürchtungen entstanden — Herr Merk hat sie vertieft —, daß auch leistungsfähige Spezialkrankenhäuser mit weniger als 100 Betten aus der öffentlichen Förderung ausgeschlossen werden, und zwar sofort. Frau Strobel hat deutlich gemacht, daß es für den Übergang zumindest diskussionsfähig ist, daß diese Krankenhäuser nicht sofort ausgeschlossen werden. Zweifellos ist die Zahl 100 unter Berücksichtigung verschiedener Tatbestände mehr oder weniger gegriffen, und es wird nur schwer nachweisbar sein, daß unmittelbar darüber oder darunter eine bestimmte Leistungsfähigkeit gewährleistet bzw. nicht mehr gegeben ist.Nachdem jedoch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und auch andere Institutionen zu der Auffassung gelangt sind, daß ein Krankenhausneubau erst ab etwa 300 Betten eine besondere wirtschaftliche Effizienz zeige, erscheint die Zahl 100, die man der Bundesregierung vorwirft, doch in einem etwas milderen Licht, als es die Vorwürfe gerechtfertigt erscheinen lassen. Eine isolierte Betrachtungsweise lediglich unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit kann jedoch den gesundheitlichen Erfordernissen allein nicht gerecht werden.Die Zahl 100 hat daher die Funktion einer Orientierungsgröße nach den gegebenen Erkenntnissen. Für die endgültige Entscheidung im Einzelfall wird die optimale Kombination aller maßgebenden Gesichtspunkte ausschlaggebend sein müssen. Ich bin der Meinung, daß sich der Ausschuß notfalls vor Ort begeben muß, um zu prüfen, ob diese Formel in ihrer knappen und schlichten Form mit zwei Nullen zu halten ist oder ob hier im Interesse der Patienten nicht mindestens für eine Übergangszeit noch bessere Formulierungen gefunden werden können.Meine Damen und Herren, die Sorge Nr. 6 besteht im Hinblick auf die Antragsverfahren, die Verwendungsnachweise und alle sonstigen verwaltungstechnischen Probleme, die sich aus der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel ergeben. Es ist die Sorge, daß die Initiative gelähmt werde. Ich erwähne nur beispielsweise die besonderen und pauschalen Regelungen bei kurzfristigen und mittelfristigen Anlagegütern, bei Wiederbeschaffung, bei Instandhaltung und Instandsetzung, die Möglichkeit der Landesregierung — nicht der Bundesregierung —, in Sonderfällen die pauschale Regelung durch Einzel-
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Spitzmüllerantragsverfahren abzulösen, durch variable Auszahlungsverfahren usw.Meine Damen und Herren, sicherlich will die Bundesregierung hier nicht bürokratischem Übermut Tür und Tor öffnen, sondern den unterschiedlichen Bedingungen Rechnung tragen. Im übrigen ist der Angriff auf die Bundesregierung bei diesem Punkt wieder an die falsche Adresse gerichtet; denn die Länder werden es in der Hand haben, durch einfachste Antrags- und Nachweisverfahren den befürchteten oder an die Wand gemalten Formularkrieg zu vermeiden. Die Bundesregierung geht in diesem Gesetzentwurf bewußt mit gutem Beispiel voran, indem sie für die Länder einen vereinfachten Verwendungsnachweis und keinerlei Kontrolle vorsieht. Wir sollten daher im Laufe der weiteren Beratungen, soweit dies möglich ist — ich rufe das in Erinnerung, nachdem Herr Merk seine Anwesenheit angekündigt hat —, versuchen, im Ausschuß mit den Ländern abzuklären, daß bei der bestehenden Arbeitsüberlastung und Personalnot nicht auch noch durch Prüfungen des Landesrechnungshofes oder andere Sondermaßnahmen zusätzliche Belastungen für die Krankenhäuser auftreten, die vermeidbar sind und die wir alle, wie ich glaube, nicht wollen, zumindest wir in der Koalition nicht. Aber das ist eine Sache, die wir leider bundesgesetzlich nicht regeln können. Weil der Bund dafür keine Gesetzgebungskompetenz hat, möchten wir Freien Demokraten noch einmal ganz deutlich machen, daß es unser Wille ist, daß das künftig unvergleichlich größere finanzielle Engagement des Bundes den Krankenhäusern bzw. ihren Trägern helfen soll, nicht aber neue Abhängigkeiten und Schwierigkeiten bereiten soll. Das ist durch die beschränkten bundesgesetzlichen Kompetenzen auch gar nicht möglich.Meine Damen und Herren, wir messen in diesem Zusammenhang der Begründung der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf eine zentrale Bedeutung bei, wenn diese Bundesregierung in dieser Begründung unter anderem feststellt:Der Entwurf geht weiter davon aus, daß den Krankenhausträgern innerhalb der Zielvorstellungen von Bund und Ländern eine weitgehende Dispositionsfreiheit und damit die Möglichkeit zur Entfaltung eigener Initiative, auf die gerade im Krankenhausbereich nicht verzichtet werden kann, erhalten bleiben. Die Einbeziehung in die Förderung ist nicht auf eine bestimmte Trägerschaft beschränkt. Mittel können daher sowohl öffentlichen als auch freigemeinnützigen oder privaten Krankenhausträgern zugewendet werden ...Meine Damen und Herren, damit ist doch klargestellt, daß die Bundesregierung nicht eine bestimmte Trägerschaft diskriminieren oder privilegieren will. Hier liegt es doch ganz entscheidend in der Hand der Länder, wie sie dieses Gesetz anwenden.Meine Damen und Herren, Zweck und Ziel dieses Gesetzentwurfes ist eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern. Wenn diese Einsatzbereitschaft aller Beteiligten in irgendeiner Form beeinträchtigt würde, würde dieses Ziel nicht erreicht. Wir wissen, daß es mit der Bereitstellung von Ausstattung und Baulichkeiten nicht getan ist, wenn es an einem ausreichenden Personal zur ärztlichen und pflegerischen Betreuung mangelt. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, der wohnraummäßigen Versorgung, der Möglichkeiten zur Aus-, Fort- und Weiterbildung, dies alles sind Dinge, die nicht losgelöst von diesem Gesetzentwurf gesehen werden können, auch wenn sie teilweise nur in einem mittelbaren Zusammenhang mit ihm stehen. Das Krankenhaus ist zugleich eine Stätte der Erprobung und Vermittlung neuer Erkenntnisse. Es ist der Ausgangspunkt der Ärzte vor ihrer Niederlassung in eigener Praxis. Das medizinische Niveau ist nicht nur maßgebend für die Behandlung der stationären Patienten in diesem Krankenhaus, sondern auch für die diagnostischen und therapeutischen Fähigkeiten der Ärzte, die in ihm ausgebildet werden. Nicht nur von seiten der Krankenhäuser werden Erwartungen an dieses Gesetz geknüpft, sondern auch vom Bürger. Aber dieser Bürger darf sich nicht allein darauf verlassen, daß der Staat alles für ihn tut. Bei der Debatte zum Gesundheitsbericht heute morgen ist schon angeklungen, der Bürger muß auch selbst etwas tun, daß er weniger krankheitsanfällig wird, daß er etwas mehr für seine eigene Gesundheitsvorsorge tut.Meine Damen und Herren, diese Gesetzesvorlage soll mit dazu beitragen, menschliche Fähigkeiten, die Erkenntnisse medizinisch-wissenschaftlicher Forschung stärker als bisher im Dienste der Kranken wirksam werden zu lassen, indem die Krankenhäuser über mehr Geldmittel verfügen. Die Vorgeschichte dieses Finanzierungsgesetzes hat uns die Grenzen gezeigt, die durch die Verfassung, die gegebene finanzielle Situation und andere Daten gesetzt sind. Bei aller Kritik, die vorhanden ist und die ich hier mit Absicht aufgegriffen habe, um auch deutlich zu machen, daß sie in großen Teilen unberechtigt ist und in anderen Teilen völlig an die falsche Adresse gerichtet ist, wenn sie gegen die Bundesregierung gerichtet ist, sollten wir uns gemeinsam bemühen, es zu einem baldigen und vernünftigen Ergebnis in den Ausschüssen zu bringen. Denn, meine Damen und Herren, trotz aller Angriffe der Opposition und der handfesten Feststellungen des Vertreters des Landes Bayern kann man nicht hinwegdiskutieren, daß uns die Finanznot unserer Krankenhäuser zum Handeln zwingt. § 4 des Gesetzentwurfs in der von der Bundesregierung vorgelegten Fassung bietet viel mehr Ansatzpunkte, um schnell zu einem Ergebnis zu kommen, als sie die Formulierung des Antrags der CDU/CSU der Form und der Sache nach bieten können. Denn wenn diese zu einem Gesetzentwurf umfunktioniert würden, müßten wir uns im nächsten Jahr in der zweiten und dritten Lesung über eine Hilfe für die Krankenhausfinanzierung unterhalten. Ich glaube, das wollen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht, das wollen wir nicht und das will auch der Bundesrat nicht.Deshalb sollten wir uns an die Arbeit machen.
Ich möchte meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, daß bisher alle
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Präsident von HasselRedner ihre Redezeit nennenswert unterschritten haben und Herr Kollege Köster, der nunmehr das Wort hat, zugesagt hat, nur zehn Minuten zu reden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine kurzen Ausführungen damit beginnen, daß ich Herrn Spitzmüller für die vielen guten Ansätze im Hinblick auf die Diskussion im Ausschuß, die in seiner Rede enthalten waren, danke. Ich bedaure, Herr Dr. Nölling, daß ich über Ihre Rede wenig Positives sagen kann und wenig Ansätze finde, die für die Diskussion im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit doch wohl notwendig sind. Mir scheint, Herr Dr. Nölling — vielleicht könnten wir uns gelegentlich einmal darüber unterhalten —, daß Ihre Rede in einem Lehrbuch der Phänomenologie ideologisch ausgerichteter Reden stehen könnte.
— Nein, ich möchte mich etwas mehr an die Wirklichkeit halten, Herr Dr. Nölling.Zunächst einmal bedaure ich es, daß gerade Sie es waren, der heute das gesamte deutsche Krankenhauswesen stärker kritisiert hat, als dieses es verdient. Denn im Gesundheitsbericht der Bundesregierung steht ausdrücklich:Mit einer durchschnittlichen Bettendichte von 74 Betten je 10 000 Einwohner in Akutkrankenhäusern und 37 Betten je 10 000 Einwohner in Sonderkrankenhäusern gehört die Bundesrepublik zu den am besten versorgten Staaten der Welt, sofern nur die Zahl der Betten verglichen wird.Trotzdem sagen Sie, die deutsche Krankenhausmisere bestehe seit 20 Jahren, und wir stünden nun vor der Gefahr, noch tiefer zu sinken, sofern das überhaupt noch möglich sei. Das, Herr Dr. Nölling, ist die Wiedergeburt einer Ideologie, die Sie Herrn Katzer vorgeworfen haben.
Ihre Methode war abgestellt auf das Motto: Haltet den Dieb! Ich bin nicht der Meinung — wir könnten darüber im Ausschuß noch ausführlicher sprechen —, daß Ihre Darstellung den Kern der Realität trifft.
Der Entwurf der Bundesregierung lebt von einer lobenswerten Hoffnung, nämlich den Trägern in Zukunft bei sparsamster Bewirtschaftung kostendekkende Einnahmen zu garantieren. Diese Einnahmen sollen sich aus den Benutzerkosten und den von der öffentlichen Hand übernommenen Investitionskosten zusammensetzen. Damit beginnen schon die Schwierigkeiten, von denen unter einem anderen Aspekt auch Herr Spitzmüller gesprochen hat. Die Investitionskosten für die Errichtung von Krankenhäusern und die Kosten für kurz- und mittelfristige Wirtschaftsgüter haben eine unterschiedliche Bedeutung für die Wahrung der Selbständigkeit der Träger. Das wird problematisch, wie hier schon mehrfach angeklungen ist, durch den doppelten Vorbehalt des § 21 des Regierungsentwurfs, der eine relative und eine absolute Grenze für die Beteiligung des Bundes setzt. Die Kosten für kurz- und mittelfristige Wirtschaftsgüter sind lebenswichtig für den laufenden Betrieb eines Krankenhauses, für die Dispositionen der Ärzte, der Krankenpfleger und des Trägers. Wenn der Bund für kurz- und mittelfristige Wirtschaftsgüter den absoluten Vorbehalt des § 21, nur die in den Haushaltsvoranschlägen für 1971 bis 1974 angegebenen Summen auszugeben, aufrechterhält, bedeutet das einen Eingriff in die innere Struktur eines Krankenhauses, der die Freiheit des Trägers und damit die verantwortliche, gute Versorgung der Patienten auf das äußerste gefährdet. Mir scheint, daß der Teil der Investitionskosten, der kurz- und mittelfristige Wirtschaftsgüter umfaßt, in einer Art Schlüsselzuweisung die Krankenhäuser erreichen muß, unabhängig von der Haushaltslage des Bundes oder des Landes. Vielleicht, Herr Minister, könnte man sich auf diese Punkte einigen.Die Definition des Pflegesatzes, die Sie, Herr Nölling, sehr wohl als offen für die innere Struktur bezeichnet haben — —
Für die Grundsätze. Frage: offen wofür? — Diese Definition des Pflegesatzes hat schon eine Korrektur im Vorschlag des Bundesrates gefunden. Der Bundesrat will sie so modifiziert wissen, daß alle Pflegesätze als Entgelt an den Krankenhausträger für die Inanspruchnahme von Leistungen in einem Krankenhaus zu gelten haben. Wir unterstützen diesen Vorschlag, weil wir nur so eine Möglichkeit sehen, allgemeine Leistungen, die durch die Pflegesätze abgegolten sind, durch Leistungen auf Wunsch zu ergänzen und dabei auch im Auge zu haben, daß Leistungen auf Wunsch — wie sie etwa in einem eigenen Telefon, in einem Einzelzimmer bestehen, das aus medizinischen Gründen nicht erforderlich wäre — ebenfalls Investitionen des Trägers erforderlich machen, die er neben dem Pflegesatz für allgemeine Leistungen muß erheben können.Wenn der Regierungsentwurf häufig in den Überschriften zu den einzelnen Paragraphen den Eindruck erweckt, als ob zur Verwirklichung des § 1 nur wirtschaftliche Fragen zu regeln seien, so ist demgegenüber festzuhalten daß eine bessere Versorgung unserer Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern nicht zu verwirklichen ist, wenn sich nicht innere Reformen ebenfalls mit durchsetzen. Das ist auch das, Herr Dr. Nölling, worüber ich Sie bitten möchte doch auch einmal nachzudenken: daß Sie offensichtlich das Geld als die Ursache für alle Ihre Vorschläge zur Verbesserung des deutschen Krankenhaussystems bezeichnet haben. Die Frage, ob die Bettenzahl für eine bedarfsgerechte Versorgung ein Maßstab sein kann, sei dahingestellt. Eine feste Zahl — etwa 100 — anzugeben, ist ein Lotteriespiel. Ich will auf die Problematik dieser Zahl nicht weiter eingehen, weil Herr Spitzmüller das soeben auch schon erwähnt hat. Ich hoffe, daß
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Kösterwir auf dieses Problem noch im Ausschuß zu sprechen kommen.Die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse sind nicht mit einer guten individuellen Versorgung im Krankenhaus gleichzusetzen. Eine Reform, bei der der Kranke im Mittelpunkt der Bemühungen steht, hat noch ganz wesentlich andere Aspekte. Die Situation des nichtärztlichen Dienstes im Krankenhaus ist bei weitem nicht genügend bedacht. Ich erinnere an das, was Herr Staatsminister Merk über die Ausbildungsstätten, über die Personalwohnungen und über die Personalwohnheime in Krankenhausnähe gesagt hat. Eine Reform muß die Situation der Pflege berücksichtigen und die wirtschaftliche Situation der Pfleger nicht aus dem Auge verlieren.Ich darf an die Initiative der CDU/CSU erinnern, die wir in der vorletzten Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit verabschiedet haben. Eine bessere Versorgung des einzelnen Kranken ist ohne eine wesentlich humane Leistung nicht mehr möglich, die von Ärzten und Pflegern unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Krankenhausträgers erbracht werden muß und bisher unter großen Opfern erbracht worden ist. Ich meine, wir müßten auch an dieser Stelle, wenn wir über die Situation unserer Krankenhäuser sprechen, all den Ärzten, all den Schwestern und Pflegern unseren Dank für all die aufopferungsvolle Arbeit aussprechen, die sie in den letzten 20 Jahren geleistet haben.
Eine medizinische Versorgung kann man mehr oder weniger administrativ vielleicht sicherstellen; die ärztliche Leistung kann niemand sicherstellen. Sie kann nur freiwillig erbracht werden.Das Chefarztsystem als Einkommensmonopol hat sich überlebt. Der leitende Arzt, der sich als der erfahrenste Kollege im ärztlichen Kollegium auch für den ärmsten Kranken verantwortlich fühlt und fühlen muß, wird nicht durch sozialistische Ideologen aus den Krankenhäusern vertrieben werden. Staatliche Gesundheitsdienste haben das zum Schaden der Patienten in anderen Ländern allerdings schon fertiggebracht.
Der selbständige, helfende Arzt, die Krankenschwester als Schwester der Kranken sind Bausteine der humanen Welt, die sich im Dienst am einzelnen Menschen in einem unverlierbaren individuellen Wert manifestiert. Hier möchte ich an die freien gemeinnützigen konfessionellen Krankenhäuser erinnern, die mit ihrem unersetzbaren Personalengagement Beispiele gesetzt haben, die richtungweisend wurden für die öffentliche Krankenversorgung der modernen Zeit. Mag Bethel bei Bielefeld für alle Bemühungen stehen.Es wird viel von der Klassenlosigkeit als dem Inbegriff aller Bemühungen um eine bessere Versorgung der Kranken gesprochen. Man kann nur sagen, daß die Ideologie vom alles heilenden klassenlosen Krankenhaus nicht ausreicht, eine bestmögliche medizinisch-technische und humane Versorgung sicherzustellen. Ich bin jedenfalls sehr beruhigt, daß auch nach den Reden von Herrn Nölling und allen Vorrednern das klassenlose Krankenhaus, wie es vor einiger Zeit im Fernsehen noch so lebhaft verteidigt wurde, in einem SPD-regierten Land offensichtlich tot ist.
— Ich warte ab. Wir wollen sehen.Die Gerechtigkeit erfordert eine besondere Aufmerksamkeit auch gegenüber den Krankenhäusern freier gemeinnütziger und kommunaler Träger, die in den Krankenhausplan eines Landes nicht aufgenommen werden, weil sie auf die Dauer zur Versorgung der Bevölkerung als nicht notwendig betrachtet werden. Diesen Häusern ist es untersagt, über den Pflegesatz einen Betrag zu liquidieren, der für die Kapitaldienste der Darlehen und Verbindlichkeiten vorgesehen ist. Sie sind also gezwungen, ihr Vermögen aufzuzehren, was unter Umständen bedeutet, daß die Altersversorgung vieler Mitarbeiter dieser freien gemeinnützigen Krankenhäuser in Gefahr gebracht wird. Viele freie gemeinnützige Krankenhäuser laufen nach diesem Gesetzentwurf Gefahr, wegen der diesen Häusern verbleibenden Fremdlasten je nach Eigenkapital mit einem Vermögensverlust eines Vielfachen ihrer investierten Eigenmittel belastet zu werden.Ich könnte noch einiges dazu sagen. Aber meine 10 Minuten sind abgelaufen. Nur eine Bemerkung sei mir noch gestattet, nämlich der Hinweis auf den § 19 Abs. 2. Obwohl die staatlichen Aufwendungen für das Krankenhaus auf Grund des Gesetzes erheblich ansteigen werden, wird nicht damit gerechnet, daß sich die Pflegesätze in allen Fällen entsprechend senken. Man muß im Gegenteil davon ausgehen, daß zumindest regional Mehrbelastungen der Benutzer durch den Pflegesatz auf Grund der neuen Regelungen eintreten. Die Bundesregierung rechnet mit einer Mehrbelastung von insgesamt zirka 450 Millionen DM.Präsident von Hasse!: Ihre Zeit ist abgelaufen, Herr Kollege.
Der Entwurf sieht vor, daß die 7,5 % übersteigenden Beiträge aus Fördermitteln abzugelten sind. Wie problematisch diese 7,5 % sind, hat schon Herr Spitzmüller angedeutet. Ich möchte auf ein Diagramm hinweisen, das am 1. März in der Wochenzeitung „Time" erschienen ist, aus dem hervorgeht, daß seit 1966 die Krankenhauskosten in den USA um 100 % gestiegen sind. Wie das mit Raten von 7,5 % aufzufangen sein wird, weiß ich nicht.Wie das Herr Spitzmüller und Herr Katzer schon getan haben, wünsche auch ich mir eine faire Ausschußberatung, in der all die Probleme, die die Bevölkerung, die Ärzte und alle Beteiligten angehen, sorgfältig geprüft und zu einem guten Ende gebracht werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bardens. Er hat die Absicht, nur 8 Minuten zu sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige Bemerkungen zum Schluß.Erstens. Ich meine, wir sollten es nicht mehr nötig haben, uns dauernd gegenseitig Ideologie zu unterstellen, während wir uns über die Sache zu unterhalten haben. Wir Sozialdemokraten jedenfalls haben vom Godesberger Programm über die Regierungserklärung, die nun die Koalition bindet, bis hin zu dem Gesundheitsbericht, der heute vorgelegt worden ist, eindeutig Stellung genommen. Wir haben es einfach nicht mehr nötig, nach draußen dauernd wieder zu beteuern, wie sehr wir allen — wie hieß es? — wirklichkeitsfremden, den praktischen Menschen nicht einbeziehenden Ideologien abschwören. Wir machen hier Arbeit.Zweitens nur eine Bemerkung zur Kritik an meinenm Kollegen Nölling. Wollen Sie denn bestreiten, daß es eine Misere ist, daß inzwischen ein Drittel aller Krankenhausbetten in der Bundesrepublik mehr als 50 Jahre alt sind? Wollen Sie denn bestreiten, daß seit Jahren in diesem Hause von allen Regierungen, ganz gleich, wie sie politisch zusammengesetzt waren, immer über die Finanznot und über das kranke Krankenhaus gesprochen worden ist? Wir müssen doch wirklich anpacken und müssen Lösungen versuchen im Rahmen dessen, was uns möglich ist.Ich darf mit wenigen Sätzen an die Vorgeschichte des heutigen Tages erinnern. Am 9. März 1966 haben wir uns hier zum erstenmal in einer größeren Debatte mit dem Krankenhaus befaßt. Die damalige Bundesregierung wollte nämlich die ganze Finanzverantwortung und die gesundheitspolitische Verantwortung für das Krankenhaus von sich abschieben, indem sie einfach voll die Kosten — einschließlich der Investitionskosten, der Abschreibung —deckende Pflegesätze durchsetzen wollte. Nur durch gewissermaßen den Trick der Parlamentsfraktionen, einen Bericht von der Regierung, die Krankenhausenquete, zu verlangen, ist es damals gelungen, eine solche Regelung zu verhindern. Das war der Ausgangspunkt, von dem wir hierher gekommen sind. Wir haben uns damals im Ausschuß recht bald einigen können. Aber es war doch die Initiative der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Das darf nicht übersehen werden. Wenn damals diese Verordnung zustande gekommen wäre, lägen die Pflegesätze der Krankenhäuser nicht wie heute zwischen 50 und 100 DM, sondern zwischen 100 und 200 DM, wenn das ausreicht. Auch das muß man sehen. Nun, die damalige Regierung hat sich nicht durchgesetzt.Aber eines ist dabei noch interessant. Als der Kollege Rohde und ich der damaligen Ministerin Frau Schwarzhaupt Vorhaltungen wegen dieser ihrer Einstellung machten, hat sie uns gesagt — wörtlich —: Wenn Sie langfristige Vorstellungenfür das Krankenhaus wollen, wenden Sie sich bitte an die Bundesländer; diese sind zuständig.
Es gab überhaupt keinen Versuch, sich anders zu orientieren. Wir haben damals von diesem Pult aus den Weg gezeigt, der uns dazu geführt hat, heute über ein Krankenhausfinanzierungsgesetz sprechen zu können.Vielleicht erinnern sich die Vertreter mancher Bundesländer gelegentlich daran, wie die Einstellung der damaligen Regierung war und daß sie vermutlich, wenn wir nicht eingegriffen hätten, den Ländern zusätzlich ganz erhebliche Belastungen auferlegt hätte.Wir haben die Verantwortung für das Krankenhauswesen mit übernommen durch die Verfassungsänderung, die auch Sie getragen haben. Aber nach dieser Verfassungsänderung hat Frau Minister Strobel auch sofort ein Krankenhausfinanzierungsgesetz vorgelegt. Sie wissen doch, wie schwierig es ist, in den Vorberatungen mit den Ländern ein Konzept zu finden, das realisierbar ist. Bei Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten muß man sagen, daß es schnell gegangen ist und daß wir jetzt wirklich eine Arbeitsgrundlage haben.Der Bund wird sich mit steigenden Beträgen an der Finanzierung beteiligen. Wenn wir das Gesetz realisieren, steht einfach mehr Geld zur Verfügung. Jeder, der rechnen kann, weiß, daß das draußen eine Hilfe sein muß. Daß sie nicht so umfangreich ist, wie wir alle es wünschen, liegt auch an dem Rahmen, der uns allen hier im Hause gesetzt ist, dem Rahmen, der einmal aus der Verfassung, zum anderen aber auch aus der finanziellen Situation stammt, in der wir uns alle befinden.
Zum Schluß noch eine Bemerkung zum weiteren Fortgang der Beratungen. Einer Ihrer Kollegen hat letzte Woche im Ausschuß gesagt., er sehe dieses Gesetz als ein Jahrhundertgesetz an. Die Regierung wird ihm für das Lob, das darin mitschwingt, dankbar sein.
Aber er hat zugleich gesagt,: Mit diesem Jahrhundertgesetz müssen wir uns viel Zeit lassen. Herr Kollege Katzer hat vorhin von der Abstimmungsmaschine gesprochen. Dazu möchte ich hier feststeilen: wir werden uns Zeit lassen, soweit es notwendig ist; aber eine Verzögerung der Beratung wird es von uns nicht geben.
Wir werden alles einsetzen, damit dieses wichtige Gesetz im Ausschuß schnell, zügig und sachgerecht beraten wird und damit den Krankenhäusern und damit auch den kranken Menschen im Lande so schnell wie möglich geholfen wird.
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6354 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin kein Sozialpolitiker, aber als Kommunalpolitiker, der vor der Aufgabe steht, ein 950-Betten-Krankenhaus schaffen zu helfen, glaube ich doch einige Erwägungen hier vorbringen zu dürfen, damit das Gesetz entsprechend gestaltet werden kann.
Ich bin der Auffassung, daß wir der Bundesregierung dankbar sein müssen, daß die Vorlage hier zur Diskussion ansteht. Es ist keine Utopie, sondern es ist ein Anfang. Wenn man aber vor der Aufgabe steht, ein Krankenhaus mit fast 1000 Betten zu schaffen, wird man angesichts der allgemeinen Situation sehr nüchtern. Die Kostenvoranschläge bei uns liegen vor Baubeginn, der in wenigen Monaten erfolgen soll, immerhin schon bei einer Größenordnung von 150 000 DM pro Bett.
Ich frage mich deshalb, ob man dieses Gesetz nicht konsequent dahin gehend ausrichten sollte, daß man vorrangig an die Investitionen und an die Neuschaffung von Krankenbetten durch Neu- und Umbauten denkt. Das ist meine Überzeugung. Ich bin der Meinung, daß man noch einmal überprüfen sollte, ob es richtig ist, die sogenannte alte Last mit in dieses Gesetz zu übernehmen, oder ob man sich nicht noch etwas Zeit lassen sollte, um auch diese Probleme mit aufzugreifen.
Des weiteren bin ich der Meinung, daß es irn Blick auf die Zukunft sehr fragwürdig erscheinen muß, schon jetzt die Frage des Pflegesatzes in diese Überlegungen einzubeziehen. Es erhebt sich die Frage, ob man auch dieses Problem nicht noch einige Jahre zurückstellen sollte, um genügend Gelder zu haben und überhaupt Investitionen in entsprechendem Ausmaß tätigen zu können. Ich bin der Meinung, daß die Versicherungsträger durchaus in der Lage sind — bei so vielen alten Betten, die wir in der Bundesrepublik haben —, noch einige Jahre abzuwarten, um den Investitionen den Vorrang geben zu können. Ich bin auch der Auffassung, daß das angemeldet werden sollte in bezug auf die Wiederbeschaffung von Anlagegütern, die Instandhaltung und Instandsetzung.
Es mag vielleicht vermessen klingen, wenn gerade ein Kommunalpolitiker seine Vorschläge und Bedenken in dieser Richtung hier vorbringt. Mein Wunsch geht aber dahin, dieses Gesetz so auszurichten, daß den Investitionen noch mehr der Vorrang gegeben wird, um möglichst viele moderne Krankenbetten durch Neu- und Umbauten schaffen zu können.
Das Wort hat Frau Bundesminister Strobel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sage nur wenige Sätze, von denen ich aber der Meinung bin, daß ich auf sie nicht verzichten kann.Zunächst möchte ich sagen, daß im Bundesrat, Herr Staatsminister Merk, fast alle Vertreter der Länder gesagt haben — einschließlich des schleswigholsteinischen Ministerpräsidenten —, daß sie im Grundsatz mit diesem Gesetz übereinstimmen. Bayern nicht; das ist richtig. Bayern hat von vornherein eine andere Aufteilung zwischen Vorhalte- und Benutzerkosten gewollt. Im Finanzausschuß sind diese Anträge angenommen worden; das Plenum des Bundesrats hat sie jedoch abgelehnt. Das muß man immerhin sehen. Das ist der eine Teil.Der andere Teil sind die Kosten der Krankenhausbetten. Wir haben ja in den vergangenen Beratungen dieses Gesetz mit allen möglichen Institutionen und Einrichtungen vorbereitet. Sowohl vom Deutschen Krankenhausinstitut in Köln als auch vom Institut für Krankenhausbau in Berlin sowie von der Deutschen Krankenhausgesellschaft ist die Frage nach den Bettenwerten dahin gehend beantwortet worden, daß die Betten im Durchschnitt 86 000 DM kosten, einschließlich der Wohnungen für Schwestern und der Ausbildungsstätten. Das muß man doch sehen.
— Nein, Herr von Wittgenstein, diese Aussage haben wir erst vor kurzer Zeit bekommen. Wir haben uns auch an sämtliche Länder gewandt. Von ihnen haben wir leider wenige Angaben erhalten. Die Schätzung von Nordrhein-Westfalen lag auch bei etwa 86 000 DM. Ich weiß, daß es bei vielen Planungen diese hohen Kosten gibt, von denen soeben Herr Kollege Gallus gesprochen hat. Aber ich glaube, wir müssen sehr vorsichtig sein, um die Kosten nicht hochzuspielen.Ich war vorige Woche in Neumünster. Dort wird ein großes Krankenhaus mit 650 Betten gebaut, das im Jahre 1973 fertig werden wird. Allerdings muß ich sagen: es wird nicht mit allen Schikanen ausgestattet, aber immerhin mit Naßzellen bei den Zimmern. Dort kommt man im Endeffekt, so wurde mir gesagt, auf 82 000 DM. So arg weit sind wir also von der Realität nicht entfernt. Auf keinen Fall würde ich sagen, daß man bei allen Regelungen von einem Bettenwert von 100 000 DM ausgehen sollte. Wir meinen z. B., daß die Pauschalen für die mittel- und kurzfristigen Erneuerungsinvestitionen nicht am Bettenwert der Zukunft ausgerichtet werden können, sondern daß man hier eben eine Mischung annehmen muß.Zu einem Satz möchte ich noch etwas sagen, nämlich zu dem, daß die gehegten Erwartungen enttäuscht würden, insbesondere die Erwartungen, wie Sie sagten, Herr Staatsminister Merk, der Krankenhausträger, der Krankenhausgesellschaften, der Kommunen. Nun, mir ist in der langen Vorarbeit für dieses Gesetz oft gesagt worden: Die 600 Millionen DM, die Sie für notwendig halten, werden Sie ja doch nicht bekommen. Das habe ich immer ein biß-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6355
Bundesminister Frau Strobelchen bedauert. Es stand ja auch in der Mifrifi der Großen Koalition — außer den alten 25 Millionen für Erneuerungsbedarf — nichts über die Krankenhausfinanzierung. Erst in der sozial-liberalen Koalition sind diese Beträge überhaupt in die Finanzplanung hineingekommen.
Insofern konnten also durch die Leistungen der Bundesregierung wirklich keine Erwartungen enttäuscht werden.Ich muß allerdings sagen, daß der von Ihnen zitierte Brief der Deutschen Krankenhausgesellschaft an den Herrn Bundeskanzler eben auch einige andere Sätze enthält, z. B. die folgenden:Die Bedenken, die die Deutsche Krankenhausgesellschaft auch in dieser Hinsicht bereits zu dem Regierungsentwurf geltend machte, haben sich nach den Beratungen des Bundesrates im ersten Gesetzgebungsdurchgang nur noch verstärkt.sein kann.Und dann:Zum anderen beabsichtigen die Länder entsprechend den Vorschlägen des Bundesrates, die nach dem Gesetzentwurf künftighin an die Krankenhausträger zu zahlenden Pauschalbeträge für die Wiederbeschaffung von Anlagegütern bar jeder Realität so niedrig zu halten, daß höchstens eine primitive, nicht aber eine optimale Krankenhausmedizin gewährleistetSoviel nur zu diesem Satz mit der Enttäuschung. Wir sitzen also hier mindestens in einem Boot.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates für die Punkte 16 a) und b) liegen Ihnen vor. Andere Vorschläge werden nicht gemacht. Widerspruch erhebt sich nicht. Damit ist beschlossen, beide Vorlagen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen.
Ich rufe Punkt 17 der heutigen Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Althammer und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rauschgifthandels
— Drucksache VI/ 1414 —
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Opiumgesetzes
— Drucksache VI/ 1877 —
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens meiner Fraktion möchte ich zu diesem Gesetzentwurf folgende Erklärung abgeben.Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Sorge festgestellt, daß die Bundesregierung eine sehr lange Zeit gebraucht hat, dem Parlament konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Rauschmittelmißbrauchs vorzuschlagen. In ihrem vorliegenden Änderungsentwurf zum Opiumgesetz stellt die Regierung im ersten Satz der Begründung fest, daß der „Mißbrauch von Rauschgiften" ein „gefährliches Ausmaß zu erreichen" droht.Wir sind der Meinung, daß solch ein gefährliches Ausmaß längst erreicht ist. Während 1963 820 Delikte dieser Art bekannt wurden, waren es 1969 bereits 4761. 1963 waren 19 Jugendliche als Täter festgestellt worden, 1969 waren es 2101. Auch 1970 hat sich diese Entwicklung beängstigend fortgesetzt. Die Steigerungsrate beträgt 250 % gegenüber dem Vorjahr. Wenn Sie die Zahl dieser bekanntgewordenen Straftaten mit 300 multiplizieren, haben Sie die von den Fachleuten geschätzte Dunkelziffer.Alarmierend ist auch das Anwachsen der Zahl der Apothekeneinbrüche. 1966 waren es 10, 1970 allein in den ersten zehn Monaten 365.Auch die Beschlagnahmeziffer von Rauschgift weist ein ähnliches, lawinenartiges Anwachsen auf. 1963 wurden 38,1 kg Haschisch beschlagnahmt, 1969 waren es 2278 kg. Auch hier ist 1970 eine weitere gewaltige Steigerung zu verzeichnen; es wurden 4332 kg sichergestellt.Was sagen diese Zahlen aus? Während früher bei Verstößen gegen das Rauschgiftgesetz nur der Einzeltäter typisch war, ist seit etwa fünf Jahren nach den USA, England und Schweden auch die Bundesrepublik zu einem zentralen Absatzmarkt des international organisierten Rauschgifthandels geworden.Dieser bedrohlich veränderten Landschaft ist das alte Opiumgesetz von 1929 nicht gewachsen. Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb als Sofortmaßnahme eine Verschärfung der Strafen gegen den Rauschgifthandel vorgeschlagen. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß wir diese Maßnahme allein nicht für ausreichend halten.Daß die Bundesregierung nun endlich ebenfalls eine Verschärfung des Rauschgiftstrafrechts dem Parlament vorlegt, begrüßen wir sehr. Die Fraktion der CDU/CSU erwartet, daß nun sehr rasch auch die anderen Hilfsmaßnahmen für Süchtige und Suchtgefährdete von der Regierung verwirklicht und zusätzliche Maßnahmen zur Eindämmung des Rauschgiftmißbrauches beschlossen werden. Bund und Länder müssen dabei eng zusammenarbeiten.Der Entwurf der CDU/CSU unterscheidet sich vom Regierungsentwurf vor allem dadurch, daß er die schweren Fälle des Rauschgifthandels wesentlich härter bestrafen will. Die Regierung sieht eine Mindeststrafe von einem Jahr vor, die CDU/CSU setzt die Untergrenze auf drei Jahre fest. Damit kommt
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6356 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteineine Strafaussetzung zur Bewährung bei schweren Fällen nicht in Frage.Der Regierungsentwurf verurteilt mit Recht die Rauschgifthändler in der Begründung auf das härteste. Ich zitiere:Diese Menschen, die gewissenlos am Unglück der anderen Menschen profitieren, sollen in Zukunft die ganze Schärfe des Gesetzes erfahren. Beobachtungen zeigen, daß sie sich in zunehmendem Maße auch in der Bundesrepublik Deutschland zu Banden zusammenschließen, die wie Spionagedienste organisiert sind. Dabei werden auch Kinder und Jugendliche auf der untersten Stufe des Bandennetzes eingesetzt. In der Regel sind diese bereits süchtig und werden mit sogenanntem Stoff bezahlt, so daß sie willfährige Werkzeuge der Bandenführung darstellen.Angesichts dieser zutreffenden und harten Verurteilung solchen sozialschädlichen Verhaltens ist die Mindeststrafe sehr niedrig, insbesondere wenn man beachtet, daß das Gericht ja schon einen besonders schweren Fall festgestellt hat.Nachdem sich ergeben hat, daß international organisierte Banden die Bekämpfung des Rauschgifthandels so sehr erschweren, erscheint uns eine weitere Rechtsfolge einer Verurteilung besonders wichtig: die Ausweisung von Ausländern nach Strafverbüßung.Zusammenfassend darf ich namens der CDU/CSU darauf hinweisen, daß eine rasche Verabschiedung der Gesetzesänderung dringend notwendig ist. Aus den beiden Entwürfen sollte dann die optimale Lösung gefunden werden. Die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte brauchen sofort ein wirksames Instrument, um dem bedrohlich gewordenen Anwachsen des Rauschgiftmißbrauchs entgegentreten zu können.Die Erfahrung der anderen Länder zeigt auch, daß die Tendenz von der harmloseren Droge zur härteren Droge geht. Der Händler mischt häufig stärkere Drogen wie Opiumprodukte unter das verkaufte Haschisch, um Kunden süchtig zu machen. Die drogenabhängigen Kleinverkäufer — häufig Jugendliche und Kinder bilden dann die Basis des Verteilernetzes. Sollten die Zustände, die in New York und anderen amerikanischen Großstädten heute leider zum gewohnten Bild gehören, auch in den Großstädten der Bundesrepublik einreißen, dann droht unserer Jugend eine sehr ernste Gefahr. Was sich hinter den genannten Zahlen an familiären Tragödien verbirgt, kann ich nur andeuten.Die deutsche Öffentlichkeit verlangt daher von Regierung und Parlament mit Recht ein rasches und wirksames Eingreifen. Die CDU/CSU-Fraktion ist sich sehr wohl bewußt, daß mit Straferhöhungen allein dieser Gefahr nicht beizukommen ist. Leider sind wir für Vorbeugung und Behandlung sehr wenig gerüstet.Wir sollten nicht vergessen, daß hinter der Rauschgiftsucht in Teilen unserer Jugend ganz fundamentale Probleme des Weltverständnisses undder Einstellung zur Gesellschaft sichtbar werden. Das kann hier und heute nicht behandelt werden, muß den Verantwortlichen in unserem Land und allen Interessierten aber bewußt sein.Namens der Fraktion der CDU/CSU bitte ich, den Gesetzentwurf Drucksache VI/1414 den zuständigen Ausschüssen zu überweisen.
Das Wort hat Frau Bundesminister Strobel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat Ihnen eine Novellierung des Opiumgesetzes zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs vorgeschlagen. Die Novelle werde ich kurz begründen. Vorab möchte ich allerdings darauf hinweisen, daß hier derselbe Fall eingetreten ist wie schon des öfteren. Herr Kollege von Wittgenstein, Sie kritisieren, daß wir unseren Entwurf erst nach Ihrem Entwurf vorgelegt haben. Der größte Teil Ihres Entwurfes ist aber von unserem Referentenentwurf abgeschrieben. Sie brauchten nicht erst mit den Ländern zu verhandeln. Wir mußten das aber tun.
Wir sind uns völlig darüber einig, daß wir dem Phänomen der Zunahme des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs nicht in erster Linie mit dem Strafgesetz beikommen können. Ich möchte nicht mißverstanden werden, wenn ich jetzt hier aus Zeitgründen nur den Gesetzentwurf begründe und mich zum Gesamtproblem nicht mehr äußere. Wir brauchen dennoch das Strafgesetz und vor allem die Differenzierung und auch die Verschärfung im Strafmaß, um gewissenlosen Händlern zu begegnen. Diese Händler tragen die Hauptschuld dafür, daß die Zahl derjenigen erschreckend ansteigt, die infolge einer solchen Sucht eine irreparable soziale Schädigung erfahren, durch Leistungsabfall aus ihrer Berufsbahn geworfen werden und dann der Gesellschaft mehr oder weniger zur Last fallen. Der Schaden, der dadurch der Gemeinschaft entsteht, läßt sich zur Zeit auch nicht annähernd schätzen. Schließlich kann die Statistik nicht das Leid und die Erschütterung erfassen, die damit über die Opfer selbst und ihre Familien kommen.Mit dem vorgelegten Änderungsgesetz soll erreicht werden, daß die Exekutive ein wirkungsvolleres Instrument zur Kontrolle des Verkehrs mit Rauschgiften und zur Bekämpfung der Rauschgiftsucht in die Hände bekommt, als es das geltende Gesetz ist. Haben Sie bitte Verständnis dafür, daß sich das Änderungsgesetz auf dieses Ziel beschränkt, obwohl eine Neuordnung des gesamten Rechtsgebietes, also auch der auf das Opiumgesetz gestützten Rechtsverordnungen dringend erforderlich ist. Eine Neuordnung läßt sich erst verwirklichen, wenn die Entwicklungen im internationalen Bereich, die zur Zeit noch in vollem Gange sind, einen gewissen Abschluß gefunden haben.
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Bundesminister Frau StrobelIn dieser Novelle sollen die Grundtatbestände, für die eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorgesehen ist, erweitert werden. Um die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität wirkungsvoller gestalten zu können, sollen in Zukunft unter anderem auch der illegale Besitz, das Verabreichen und das Überlassen zum Zweck des Genusses an andere strafbar sein. Für besonders schwere Fälle wird erstmals eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr und eine Höchststrafe von zehn Jahren vorgesehen. Die Bundesregierung folgt mit dieser Erweiterung des Strafrahmens dem Beispiel zahlreicher anderer Staaten, um insbesondere die illegalen Händler zu treffen, deren Profitgier das Unglück anderer verursacht. Sie sollen die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.Im Gegensatz dazu aber soll eine Reihe von bisherigen Vergehenstatbeständen zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft werden, um eine Differenzierung nach der Gefährlichkeit und der kriminalpolitischen Bedeutung der Zuwiderhandlungen zu erreichen. Nur so läßt sich einigermaßen sicherstellen, daß auch die Rechtsprechung die notwendige Konsequenz aus der Verschärfung der Strafen für einzelne Tatbestände zieht.In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß der Entwurf keine Vorschriften enthält, nach denen bei sogenannten passiven Tätern — darunter versteht man die Personen, die Suchtmittel in kleinen Mengen lediglich zum Eigengebrauch erworben haben — die Strafe gemildert oder gar von einer Bestrafung abgesehen werden kann. Ich sage ganz ehrlich: Ich hätte eine solche Vorschrift zwar sehr begrüßt; sie wird jedoch nicht für erforderlich gehalten. Soweit es sich bei diesem Täterkreis um Personen handelt, die noch unter das Jugendgerichtsgesetz fallen, besteht schon bisher eine Vielzahl von Einwirkungsmöglichkeiten, um andere Maßnahmen zu treffen, die angemessen sind. Darunter fallen auch solche sozialpädagogischer Art. Darüber hinaus wird im weiteren Gesetzgebungsverfahren sicher noch zu prüfen sein, ob eine Änderung des § 7 des Jugendgerichtsgesetzes in Betracht gezogen werden soll, um die Möglichkeit zu schaffen, für Jugendliche und Heranwachsende die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen zu können. Bei Erwachsenen kann je nach Lage des Einzelfalles von der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 oder 3 der Strafprozeßordnung Gebrauch gemacht werden.In diesem Zusammenhang sei auch noch auf die Möglichkeit hingewiesen, die das Jugendwohlfahrtsgesetz und das Bundessozialhilfegesetz bieten. Es ist also nicht zu befürchten, wie das da und dort angesprochen wurde, daß das Gesetz zu einer Überfüllung der Strafanstalten mit sogenannten Passivtätern führen wird. Trotzdem kann ich Ihnen versichern, daß von uns geprüft wird, wie man die Verhältnisse in diesem Bereich bei der umfassenden Reform des Suchtmittelrechts weiter verbessern kann.In dem Entwurf wird auch weiterhin von einer einheitlichen gesetzlichen Behandlung aller dem Opiumgesetz unterliegender Stoffe ausgegangen.Die Bundesregierung folgt hier also nicht den falschen Propheten, die uns glauben machen wollen, daß Haschisch und Marihuana nahezu ungefährlich seien. Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen über die Wirkung dieser Stoffe besteht keine Veranlassung, sie aus dem Kontrollsystem des Opiumgesetzes zu entlassen oder die Vorschriften für sie zu lockern. Es muß mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß sie eine Schrittmacherfunktion ausüben und eine psychische Abhängigkeit erzeugen. Unbekannt sind auch noch ihre Nebenwirkungen und mögliche Spätschäden. Auf Grund neuerer Versuche muß sogar damit gerechnet werden, daß Haschisch möglicherweise genetische Defekte verursachen kann. Deshalb muß nach Ansicht der Bundesregierung der in anderen Rechtsbereichen, z. B. im Lebensmittelrecht, unangefochtene Grundsatz auch hier gelten, daß Stoffe verboten bleiben, solange ihre Unschädlichkeit nicht nachgewiesen ist. Dazu kommt, daß die Bundesregierung auch auf Grund internationaler Verträge gar nicht anders handeln kann.Lassen Sie mich noch auf zwei Gesichtspunkte hinweisen, die in dem Änderungsgesetz von Bedeutung sind. Der Entwurf soll die Möglichkeit schaffen, im gesamten Bundesgebiet für Suchtstoffe Sonderrezepte einzuführen, mit denen bisher im Saarland gute Erfahrungen gemacht worden sind. Schließlich soll durch Vereinfachung des Bezugscheinverfahrens bezweckt werden, daß die Apotheken weniger Suchtstoffe lagern, um den Anreiz für Apothekendiebstähle zu nehmen, deren Zahl in letzter Zeit angestiegen ist.Aus diesen kurzen Darlegungen mögen Sie erkennen, meine Damen und Herren, welche Bedeutung die Bundesregierung dieser relativ kleinen Novelle des Opiumgesetzes im Kampf gegen die Suchtstoffwelle beimißt. Es handelt sich um eines der ganz großen Probleme unserer Zeit. Die Suchtstoffwelle wird bestimmt nicht allein durch dieses Gesetz gebrochen werden können. Um sie aufzuhalten, bedarf es der Mitwirkung aller und des Engagements der Gesellschaft auf vielen Gebieten. Aufgabe dieses Gesetzes ist es, diejenigen differenziert zu behandeln, die nicht aus kriminellen Gründen gegen das Gesetz verstoßen, aber diejenigen hart zu treffen, die aus schnöder Gewinnsucht Leben und Gesundheit von Menschen gefährden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Meinecke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Beurteilung der Situation sind wir uns in diesem Hause wohl sehr einig. Für die Beurteilung und Einschätzung der Möglichkeiten, mit einer Gesetzesverschärfung unter Verschärfung der Straftatbestände dem Anstieg der Rauschmitteldelikte zu begegnen, bitte ich, noch einigen differenzierten Gedankengängen Aufmerksamkeit zu schenken.Ich habe einmal eine Liste der verschiedenartigen Möglichkeiten, Einrichtungen und Institutionen zu-
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Dr. Meineckesammengestellt, die uns zur Verfügung stehen könnten, wenn wir alle Möglichkeiten des Sozialhilfegesetzes und des Jugendwohlfahrtgesetzes ausschöpften. Wenn man diese in einem Vergleich zur Realität setzt, zu den Dingen, die es wirklich gibt, zu den Einrichtungen, die Aufklärung, Unterrichtung und Unterweisung in den Schulen betreiben, dann wird man feststellen müssen, daß das, was wir beim jetzt vorliegenden Gesetzentwurf voraussetzen, nämlich ein hohes Maß an Aufklärung und Kenntnis seitens der Bevölkerung, insbesondere der jugendlichen Bevölkerung, im Widerspruch zur Realität steht.Ich habe im Gesundheitsbericht eine Forderung gelesen, die ich voll unterstreiche, nämlich daß es nicht gut ist und daß es abgelehnt werden muß, wenn Drogensüchtige und Rauschgiftsüchtige in psychiatrischen Kliniken zusammen mit Alkoholsüchtigen, Nervenkranken und Gemütskranken behandelt werden. Ihre Verwirklichung ist zur Zeit ebenfalls noch ein Wunschtraum. Die Praxis sieht anders aus.Aus diesen Gründen möchte ich Sie sehr herzlich bitten, während des Gesetzgebungsverfahrens noch einige Gedankengänge zu berücksichtigen, die ich jetzt noch ganz kurz vortragen möchte.Ich unterstreiche, was Frau Strobel gesagt hat, nämlich daß wir den Ersttätern und Verführten, den Labilen auf dem Weg in die Sucht, den Jugendlichen und Neugierigen unsere besondere Aufmerksamkeit und unsere Bemühungen widmen müssen. Im Entwurf wird dieser Personenkreis der sogenannten passiven Täter und der Ersttäter bewußt ausgeklammert und auf jene Möglichkeiten der anderen Gesetze hingewiesen. Zudem wird darauf verwiesen, daß mit der Strafprozeßordnung in gegeigneten Fällen das Instrument vorhanden sei, um Ersttätern oder passiven Kleintätern das Verfahren gewissermaßen zu erleichtern oder es zu vermeiden.Ich teile diese Auffassung nicht. § 153 der Strafprozeßordnung eröffnet diese Möglichkeit nur dann, wenn kein öffentliches Interesse vorliegt. Gerade bei diesen Tätern könnte man genauso gut argumentieren, daß ein öffentliches Interesse vorliegt.Aus diesem Grunde schlage ich im Einverständnis mit meiner Fraktion vor, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Formulierung einzuflechten, die sinngemäß aussagt, daß das Gericht von einer Bestrafung nach § 10 Abs. i bis 3 der Novelle absehen kann, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringen Mengen besitzt oder erwirbt.Mit anderen Worten: Ich möchte aus politischen Gründen eine Entkriminalisierung der Ersttäter und der passiven Kleintäter. Ich bin mir dabei der juristischen und rechtspolitischen Schwierigkeiten bewußt, glaube aber, man kann das verantworten, wenn man auf der anderen Seite Verschärfungen des Gesetzes für diejenigen beschließt — wir werden das beschließen , die damit handeln und daran Geld verdienen. Wenn man zudem ein Programm durchsetzt, wie es die Bundesregierung vorgeschlagen hat, ein Programm, das Aufklärung, Unterrichtung und alle diese Dinge beinhaltet, sollte man für die Ersttäter und Kleintäter eine Erleichterung vorsehen.Im übrigen sollte heute diese kurze Debatte und die Beleuchtung dieses Problems nicht ohne folgenden deutlichen Hinweis abgeschlossen werden: Die Erscheinung des Drogenmißbrauchs und die Zunahme der Rauschgiftsucht in allen modernen Nationen muß uns natürlich klarmachen — das müssen wir zugeben —, daß irgend etwas in unserer Gesellschaft nicht stimmt und daß es sich letzten Endes in der Motivation um gestörte Gemeinschaftsbeziehungen handeln muß. Wir werden also in Zukunft darauf drängen müssen — das kam im Bericht der Bundesregierung über die Gesundheitspolitik zu kurz, und es mußte zu kurz kommen —, daß man herausfindet, worin diese gestörten Gemeinschaftsbeziehungen begründet liegen und wie man dieser Situation abhelfen kann. Nur dann, wenn wir die Dinge so betrachten und uns selbst sagen: Was können wir persönlich dazu tun? — wir von uns aus, jeder einzelne Mensch —, dann wird alles das, was in einem Zusammenhang gesehen werden muß, Erfolg haben. Dazu gehört, daß wir uns fragen müssen, ob wir nicht manchmal selbst ein wenig zu leichtfertig süchteln, ob wir immer Zeit genug dafür haben, unseren Mitmenschen anzusehen, wenn er in Not gerät, ob wir immer rechtzeitig versuchen, unser Ohr zu einem Gespräch zu öffnen und jemandem, der auf dem Wege ist, in eine irrationale Lebenssituation zu geraten, zu helfen.Alles das müssen wir gemeinsam sehen. Es war mein Wunsch und Wille, das heute hier noch einmal zu sagen, weil ich nicht möchte, daß das Problem der Rauschmittelsucht und der Drogenabhängigkeit in diesem Lande immer ausschließlich vom kriminalpolitischen Standpunkt aus diskutiert wird. Die einzige Möglichkeit, dem Problem beizukommen, ist, es von der menschlichen Seite aus zu betrachten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stehen am Ende der ersten Beratung. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats für beide Gesetzentwürfe sind Ihnen bekannt. — Andere Vorschläge werden nicht gemacht; Widerspruch erhebt sich nicht. Damit sind die beiden Gesetzentwürfe Drucksachen VI/1414 und VI/1877 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —sowie an den Rechtsausschuß und den Innenausschuß — mitberatend — und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen.Ich rufe nunmehr Punkt 18 der heutigen Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jungmann, Müller , Dr. Hammans, Dr. Böhme, Burger und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes— Drucksache VI/ 1813 —Das Wort hat der Abgeordnete Jungmann.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es ganz kurz machen.
Der Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes hat sich als notwendig erwiesen, weil sich der § 34 a des derzeitigen Arzneimittelgesetzes als nicht praktikabel erwiesen hat. Diese Vorschrift hatte den zuständigen Bundesminister für das Gesundheitswesen — er heißt heute etwas anders — ermächtigt — ich zitiere —,
im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, welche Arzneimittel mit welchen Futtermitteln als Trägerstoff abgegeben werden dürfen.
wenn deren bestimmungsgemäße Verfütterung nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntis als vereinbar mit dem Schutz der menschlichen und tierischen Gesundheit und aus tierärztlichen Gründen als geboten anzusehen ist.
Es mag nun dahingestellt sein, warum es seit 1964, als diese Bestimmung erlassen wurde, nicht zu einer derartigen Rechtsverordnung gekommen ist. Tatsache ist, daß sich die beteiligten Ressorts darüber nicht haben einigen können.
Die von niemandem gewünschte Folge dieser Tatsache ist ein illegaler Handel mit Tierarzneimitteln und deren mißbräuchliche Anwendung in der tierischen Erzeugung. Das ist in der Öffentlichkeit mit Recht lebhaft kritisiert worden.
Die Notwendigkeit der kurzfristigen Vorlegung dieses Gesetzentwurfs ergab sich aus dem Entwurf eines Gesetzes über den Einsatz von Wirkstoffen in der tierischen Erzeugung, der als nächster Punkt auf der Tagesordnung steht. Das Ziel des Gesetzentwurfs, zu dem ich spreche, ist, den gesundheitlichen Schutz der Verbraucher sicherzustellen, zugleich aber auch das berechtigte Anliegen einer optimalen Förderung der tierischen Erzeugung zu berücksichtigen.
Der Entwurf hält sich strikt an die gültige Legaldefinition des Arzneimittels und befindet sich in Übereinstimmunng mit der zu erwartenden EWG-Richtlinie über Tierarzneimittel. Der Sinn dieses Antrags ist die gleichzeitige, aufeinander abgestimmte Beratung des demnächst zu erwartenden Lebensmittelrechts mit den entsprechenden futtermittelrechtlichen Vorschriften. Diese arzneimittelrechtliche Bestimmung ist also ein Teil dieses Komplexes. Davon sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß es in Zukunft keine Unklarheiten und keine Lücken dieser verschiedenen Rechtsgebiete mehr geben wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stehen am Ende der ersten Beratung.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaft sowie den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung zu überweisen. Andere Vorschläge werden nicht gemacht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Höcherl, Dr. Ritgen, Dr. Ritz, Dr. Reinhard, Struve und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Einsatz von Wirkstoffen in der tierischen Erzeugung
— Drucksache VI/1846 —
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ritgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt der Entwurf eines Gesetzes über den Einsatz von Wirkstoffen in der tierischen Erzeugung vor. Die Problematik ist im Vorblatt der Drucksache dieses Entwurfs dargelegt. Außerdem enthält die Drucksache eine sehr eingehende Begründung, in der der Zweck des Gesetzentwurfs dargelegt wird. Ich kann also darauf verzichten, im einzelnen darauf einzugehen. Erlauben Sie mir aber, daß ich der Beratung des Entwurfs einige grundsätzliche Gedanken voranstelle, die im Bereich der öffentlichen Verantwortung unserer heutigen Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik liegen.Die Produktions- und Leistungssteigerung der modernen Landwirtschaft wird heute nicht mehr uneingeschränkt als die Chance eines reich gedeckten Tisches gewertet, sondern zunehmend auch auf die Gefahren einer nicht einwandfreien Beschaffenheit unserer Ernährungsgüter getestet. Die aktuellen Diskussionen in den Massenmedien unter Titeln wie „Gift im Fleisch" oder „Gift im Kuhstall" zeigen das Engagement einer breiten Öffentlichkeit, das durch das weltweit wachgerufene Problembewußtsein „Umweltschutz" zusätzlich stimuliert wird.Erst im Februar erschien wieder ein solcher Artikel in der Illustrierten „Quick". Ich will nicht im einzelnen darauf eingehen, darf aber aus dem letzten Abschnitt dieses Artikels zitieren, wo es heißt:Wer die Bauern und Tierärzte allein für diese Dinge verantwortlich macht, der hat nur zum Teil recht. Der dritte Schuldige ist nämlich der Staat mit seiner unzureichenden Gesetzgebung.Eben dieses Gesetz soll noch eine Lücke schließen.Auf diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, zeichnet sich die aktuelle politische Bedeutung unseres Gesetzentwurfs ab. Seine sehr differenzierten und zwangsläufig komplizierten wissenschaftlich-technischen und rechtssystematischen Bezüge sind Ausdruck einer Einbeziehung auch der tierischen Erzeugung in den technologischen Trend. In der agrarstrukturellen Gesamtsituation ist die tierische Veredelungsproduktion als intensiver Betriebszweig auf die Sicherung eines jahreszeitlich unabhängigen und gleichbleibenden Produktionsergebnisses angewiesen. Das ist ein Erfolgszwang, der neben der Verfütterung betriebseigener Futter-
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Dr. Ritgenmittel und fabrikmäßig hergestellter Mischfuttermittel auch die Verwendung bestimmter Wirkstoffe voraussetzt.Diese Hilfsstoffe bewirken sowohl eine Erhöhung des Fütterungseffekts als auch eine Erhöhung der Widerstandskraft der Tiere, eine bessere Leistungsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Nutztiere. Der ernährungsphysiologische und ökonomische Wert dieses Wirkstoffeinsatzes in der Tierernährung ist in Wissenschaft und Praxis unbestritten. Ebenso unbestritten ist es heute aber auch, daß ein ungezügelter, unkontrollierter Einsatz solcher Wirkstoffe in der tierischen Erzeugung Gesundheits- und Leistungsstörungen der Tiere selbst hervorrufen und die Güte der Erzeugnisse beeinträchtigen kann.Hier setzt das vitale Interesse des Ernährungspolitikers ein, den Wirkstoffeinsatz in der tierischen Erzeugung öffentlich-rechtlich zu reglementieren, daß die Vorrangigkeit der Güte unserer Ernährung vor Rentabilitätsgesichtspunkten unabdingbar garantiert bleibt. Es ist schlechterdings unvorstellbar, daß in dieser Situation und bei diesen Zielsetzungen die Probleme der Tierernährung und Tierhaltung einerseits und die Interessen des Verbrauchers andererseits differieren, wie es im Gesundheitsbericht der Bundesregierung in Ziffer 230 auf Seite 106 heißt. Die gesamte Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung in der Bundesrepublik würde sich als eine geradezu skandalöse öffentliche Fehlinvestition präsentieren, wenn nicht das ernährungspolitische Ziel eines qualitativ ebenso zureichenden wie quantitativ ausreichenden Produktionsergebnisses den gesamten Produktionsablauf von vornherein bestimmt.Unser Entwurf eines Gesetzes über den Einsatz von Wirkstoffen in der tierischen Erzeugung berücksichtigt diese Grundsätze in optimaler Weise. Das Gesetz soll dem für die landwirtschaftliche Erzeugung verantwortlichen Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten alle Möglichkeiten staatlicher Mit- und Einwirkung auf dem Gebiete des Wirkstoffeinsatzes geben, der damit das notwendige Instrumentarium erhält, um in allen Fragen des Produktionsablaufes in der tierischen Erzeugung die notwendige Priorität der Ernährungsqualität zu sichern. Nur eine solcherart umfassende, auf den Konsumenten ausgerichtete Produktion realisiert eine echte Förderung des agrarischen Erzeugungspotentials.Wir haben zu diesem Entwurf einige Sachverständige gehört, damit wir auch wußten, ob wir in der Zielsetzung und im Umfang richtig liegen. Auch ein Vertreter der Tierärzteschaft ist dazu gehört worden.Wie ich schon dargelegt habe, fallen die Regelungen dieses Gesetzentwurfs ausschließlich in den Bereich des Ministers für Ernährung und Landwirtschaft. Es wäre daher angebracht, wenn die Federführung auch dem zuständigen Ausschuß zufiele. Ich beantrage daher im Gegensatz zu dem Vorschlag des Altestenrates, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten federführend und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Ausschuß für Wirtschaft mitberatend einzusetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bay.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es erscheint einigermaßen zweifelhaft, ob der soeben von Herrn Kollegen Dr. Ritgen eingebrachte Gesetzentwurf tatsächlich so, wie er dasteht, eine brauchbare Ergänzung und Verbesserung der bisherigen gesetzlichen Bestimmungen für den Gebrauch von Zusatzstoffen und Arzneimitteln in der Tierernährung bedeutet; denn man muß fragen, ob die in der Begründung zu § 1 ausgedrückte Zielsetzung des Entwurfs mit den gesundheitlichen Belangen zu vereinigen ist, die dann danach gebracht werden. Ich zitiere kurz:Die Vorschrift bringt zum Ausdruck, daß sich der Einsatz von Wirkstoffen in Tierernährung und Tierhaltung ausschließlich an den Erfordernissen und Möglichkeiten einer Förderung der tierischen Erzeugung zu orientieren hat. Diese Förderung ist Ratio des Gesetzes.Natürlich wird dann sofort durch die Erwähnung der Anforderungen modifiziert, die an die so erwirtschafteten Erzeugnisse im Hinblick auf ihre spätere Verwendung als Lebensmittel zu stellen sind. Wer aber den ersten Paragraphen eines Gesetzes mit völlig neuen Definitionen so begründet, muß es sich auch gefallen lassen, die weiteren Paragraphen im Lichte solcher Vorzeichen ausgelegt zu bekommen. Bevor ich das an einer Stelle tun werde, möchte ich noch eine allgemeine Bemerkung machen.Für die Ratio dieses Gesetzentwurfs wie für alle anderen Bemühungen auf diesem Gebiet sind das Vorhandensein und die zu erwartende Erhöhung der Zahl großer Tierhaltungen einige der wichtigsten Voraussetzungen. Diese Tierhaltungen sind das Ergebnis der Rationalisierungsbestrebungen in der Agrarproduktion. Nun ist es kein Geheimnis, daß gerade diese Massentierhaltung bei den Tieren diejenigen Anfälligkeiten schafft, die man mit zum Teil hochaktiven Arzneimitteln vorbeugend bekämpfen will und muß. Auch hier hat sich der im Gesundheitsbericht erwähnte „Panoramawandel der Krankheiten" vollzogen.Ich darf in diesem Zusammenhang erwähnen, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Untersuchung der Auswirkungen und möglichen Gefahren solcher ausschließlich nach ökonomischen und technischen Gesichtspunkten entwickelter Massentierhaltungsverfahren zu einem Schwerpunkt ihres Förderungsprogramms gemacht hat. Nichts oder wenigstens nicht viel gegen diese Art der Tierhaltung, solange wir nichts Besseres und zugleich auch Rentables an ihre Stelle setzen können! Vieles aber gegen eine Argumentation wie die in diesem Wirkstoffgesetzentwurf, die die Erhaltung der Gesundheit von Tieren und die Förderung ihrer Widerstandsfähigkeit vorwiegend vom Gebrauch zum Teil hochwirksamer Medikamente abhängig macht und dabei, ob sie es will oder nicht, tiefere Ursachen möglicher oder vorhandener Schäden an Tierbeständen verschleiert, indem sie Arzneimittel nicht weiterhin Arzneimittel sein läßt und so benennt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1971 6361
BayDamit bin ich bei der vorhin angekündigten Auslegung. Was Wirkstoffe sein sollen, ist in § 2 definiert. Bei der vierten Definition ist festzustellen, daß, wenn man die Verwendungsart „bei Zusatz zu Futtermitteln" und einen Teil ihrer Zweckbestimmung, nämlich: „wirtschaftliche Schäden in Tierhaltungen abzuwenden", wegließe, solche Wirkstoffe vom Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz praktisch nicht zu unterscheiden wären. Oder schlicht gesagt: ein Teil der sogenannten Wirkstoffe nach dem Entwurf sind eben Arzneimittel.Ich stelle fest, daß der in der Begründung zum Wirkstoffgesetz enthaltene Satz: „Rechtssystematisch steht der Gesetzentwurf eindeutig abgegrenzt zwischen Futtermittel- und Arzneimittelrecht", bei einer solchen Definition des Wirkstoffbegriffs einfach nicht zu halten ist. Hier ist gerade nicht eindeutig abgegrenzt worden, sondern hier herrscht Zweideutigkeit. Eine solche Definition beinhaltet eine gefährliche Grenzverwischung und damit eine Aufweichung des Arzneimittelrechts mit unübersehbaren Folgen auch für die Humanmedizin. Es gehört meines Erachtens ein gewisser Mut dazu, etwas so zu definieren in einer Zeit, in der Worte wie Arzneimittelsicherheit und umfassender Umweltschutz zu gängigen Sprachmünzen geworden sind.Gewiß ist eine Änderung des Futtermittelrechts neben der Änderung des Arzneimittelrechts in diesem Zusammenhang notwendig. Sie wird sich vor allem auch nach der nun gültigen EWG-Richtlinie über Zusatzstoffe in der Tierernährung richten müssen. Dabei stoße ich mich noch einmal hart an der Begründung des Gesetzentwurfs, nämlich dort, wo es heißt, er berücksichtige die EWG-Regelung. Das trifft nach meiner Meinung nicht zu, denn in der Richtlinie heißt es:Von der Verwendung dieser Zusatzstoffe bei der Tierernährung muß abgesehen werden, wenn sie hauptsächlich das Erkennen, die Behandlung und die Verhütung von Krankheiten zum Gegenstand hat.Dort ist die in dem Entwurf nur behauptete Trennung von Arzneimittelrecht und Futtermittelrecht klar und eindeutig vollzogen, und zwar ohne die Einführung eines schillernden, allzu vielfältigen und damit gefährlichen Wirkstoffbegriffs.Die landwirtschaftlichen Erzeuger haben gewiß Anrecht auf eine klare, aber auch auf eine unangreifbare Gesetzgebung im Bereich der Anwendung von Zusatzstoffen in der tierischen Erzeugung. Die Fraktion der SPD wird deshalb jede Lösung gutheißen, die praktikabel ist, die positive Entwicklungen offenhält, die das mögliche Höchstmaß von Gesundheitsschutz im Sinne eines letztlich unteilbaren Gesundheitsbegriffs bietet und die zugleich auch die tierische Produktion nach Quantität und nach gesundheitlicher Qualität fördert.Den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß lehne ich für die SPD-Fraktionab. Wir stimmen dem Vorschlag des Ältestenrats zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Ritgen. Wer diesem Antrag, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Federführung zu betrauen, zustimmt, den bitte ich um das Zeichen.
— Ja, Herr Kollege, dann darf ich den Antrag als erledigt betrachten.
Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft sowie den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften vom 25. Juli 1969
— Drucksache VI/ 1567 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ju-
gend, Familie und Gesundheit
— Drucksache VI/ 1862 —
Berichterstatter: Abgeordneter Spitzmüller
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter wünscht das Wort nicht.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7—Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle Einstimmigkeit fest.
Wir kommen zur
dritten Beratung
Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist das Gesetz in der Schlußabstimmung angenommen.
Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich danke Ihnen, die Sie hier ausgeharrt haben, und berufe die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. März 1971, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.