Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Schoettle hat am 18. Oktober seinen 71. Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm die Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Brand ist am 3. November 1970 der Abgeordnete Anbuhl in den Bundestag eingetreten.
Ich darf ihn begrüßen, wenn er hier eingetroffen ist.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. — Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen. Ich schlage vor, diese Anträge als ersten Punkt der Tagesordnung aufzurufen. - Kein Widerspruch; dann ist es so beschlossen.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, ab sofort die in Nr. 9 der Richtlinien für die Fragestunde festgelegte Einreichungsfrist von freitags 15.00 Uhr auf freitags 11.00 Uhr vorzuverlegen. — Ich höre keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 23. Oktober 1970 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz zur Änderung des GüterkraftverkehrsgesetzesZweites Gesetz zur Durchführung von Richtlinien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Niederlassungsfreiheit und den freien DienstleistungsverkehrNeuntes Gesetz zur Änderung des TabaksteuergesetzesGesetz zu dem Abkommen vom 15. November 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bolivien über den LuftverkehrGesetz zu dem Abkommen vom 24. September 1969 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Vereinigten Republik Tansania, der Republik Uganda und der Republik Kenia sowie zu dem Internen DurchführungsabkommenDer Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 15. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Roll-mann, Frau Stommel, Frau Griesinger, Vogel, Dr. Ritz und Genossen betr. deutsch-französisches Jugendwerk - Drucksache VI/1226 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1287 verteilt.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am 20. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Renger, Dr. Ape], Frau Schanzenbach, Raffert, Matthöfer, Moersch, Ollesch und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Betreuung der Kinder ausländischer Arbeitnehmer - Drucksache VI/496 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1299 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 16. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Apel, Fellermaier, Haar , Ollesch und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Kraftstoffzusätze - Drucksache VI/ 1186 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1300 verteilt.Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 15. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Umweltgefährdung durch Quecksilberrückstände - Drucksache V1/1155 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1304 verteilt.Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 23. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Dr. Giulini, Höcherl, Dr. Wörner, Picard, Josten, Röhner und Genossen betr. Preisentwicklung auf dem Energie-Sektor — Drucksache VI/1231 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1308 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 22. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Lampersbach und Genossen betr. mehr Sicherheit durch Verbundglas in Kraftfahrzeugen - Drucksache VI/1227 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1309 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 21. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mick, Dr. Schneider und der Fraktion der CDU!CSU betr. Viertes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes (4. ÄndGKgfEG) vom 22. Juli 1969 - BGBl. I S. 931 — (Heimkehrerstiftung) - Drucksache VI/1266 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1317 verteilt.Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat am26. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Preiß, Dr. Martin, Rollmann und Genossen betr. Umwandlung des Herder-Instituts in Marburg zu einer Abteilung des Gesamtdeutschen Instituts — Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben - Drucksache VI/1278 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1320 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat am 26. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen, Höcherl, Wagner und Genossen betr. Umsatzsteuerregelungen für den innerdeutschen Waren- und Dienstleistungsverkehr - Drucksache VI/1264 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1321 verteilt.Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat am27. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Riedl , Dr. Jobst und Genossen betr. Schuldscheingeschäfte der Deutschen Bundespost - Drucksache VI/1265 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1323 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat am 28. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß und Genossen betr. deutsch-sowjetischer Vertrag - Drucksache VI/1289 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1326 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 29. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller , Russe, Breidbach, Katzer, Mick und Genossen betr. Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der BiedenkopfKommission - Drucksache VI/1288 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1331 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 29. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hammans, Dr. Frerichs, Burger, Biechele, Dr. Probst und Genossen betr. Verleumdung des Berufsstandes der Ärzte im „stern" Nr. 42 vom 11. Oktober 1970 - Drucksache VI/1284 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1332 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 28. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Apel, Haar ,
Metadaten/Kopzeile:
4132 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Vizepräsident Dr. JaegerOllesch und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Deutscher Verkehrssicherheitsrat — Drucksache VI/1277 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1335 verteilt.Die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung einer besonderen Ausgleichsabgabe auf eingeführten Branntwein ist als Drucksache zu VI/1222 verteilt.Der Bundeskanzler hat am 13. Oktober 1970 den Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften übersandt, der als Drucksache VI/1268 verteilt ist.Der Bundesrat hat in seiner 357. Sitzung am 23. Oktober 1970 gemäß Artikel 94 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 5 Abs. 3, § 7 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht als Nachfolger für den auf 8 Jahre ernannten und vorzeitig ausscheidenden Bundesverfassungsrichter Professor Dr. Hans Kutscher für den Rest der Amtszeit den Direktor beim Bundesverfassungsgericht Walter Rudi Wand zum Bundesverfassungsrichter in den Zweiten Senat gewählt.Der Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich bezeichneteVerordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache VI/1327 —mit der Bitte um fristgemäße Behandlung an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:EWG-VorlagenBericht an den Rat und die Kommission über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft— Drucksache VI/1315 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Haushaltsausschuß, Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatDann rufe ich, wie Sie soeben beschlossen haben, zuerst die beiden Zusatzpunkte auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Berechnung des Verhältnisses der Stärke der einzelnen Fraktionen bei der Zusammensetzung des Ältestenrates und der Ausschüsse sowie die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen— Drucksache VI/1354 —Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Mitgliederzahl in den Ausschüssen— Drucksache VI/1355 —Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt es, daß es in dieser Frage der technischen Zusammenarbeit des Hauses zu einer einvernehmlichen Regelung gekommen ist. Die Verhandlungen waren nicht einfach, aber es war auch nicht die schwerste Auseinandersetzung hier im ,Hause seit 1949. Herr Kollege Wehner, Sie haben uns parlamentarische Geschäftsführer insgesamt, glaube ich, ein bißchen unterschätzt.
Als diese Verhandlungen in eine Krise kamen, war eine Intervention von außen hilfreich. Der Professor für angewandte Mathematik an der Universität Marburg, Horst Niemeyer, lieferte einen Vorschlag, der dann die Grundlage für diese Einigung geschaffen hat. Es ist ein Beweis dafür, Herr Präsident, wie sehr dieses Haus doch immer wieder auf die Mitarbeit der Bürger von außen angewiesen ist.
Zur Einigung selbst ist festzustellen, daß wir hier einen Ad-hoc-Beschluß gefaßt haben, der für diese Legislaturperiode gilt und an ihrem Ende der Diskontinuität unterfällt. Er hat mit der in verschiedenen Gesetzen festgelegten Methode d'Hondt nichts zu tun und stellt diese nicht in Frage. Ich glaube, auch das sollte in diesem Augenblick noch festgehalten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schulte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß wir hier zu einer einvernehmlichen Regelung gekommen sind.
Heute liest man in der Presse, daß ein Säulenheiliger des Parlamentarismus, Herr d'Hondt, gestürzt worden sei. Das ist eine hübsche Formulierung; aber, ich glaube, man braucht das nicht so zu dramatisieren. Es hatte sich herausgestellt, daß dieses tradierte System d'Hondt tatsächlich nicht das Höchstmaß an Gerechtigkeit bietet. Bei der Überlegung, wie man — was selbstverständlich ist — die Mehrheitsverhältnisse dieses Hauses sich in den Ausschüssen widerspiegeln läßt, wurde die Frage erörtert — auch mit Herrn Professor Niemeyer aus Marburg —, ob es nicht denkbar wäre, das rein mathematische Proporzsystem anzuwenden. Es ist eigentlich eine Überlegung, die sehr naheliegt; denn sie besagt ja, daß man nach einer einfachen mathematischen Gleichung vorgeht. Es stellte sich heraus, daß dieses System erheblich gerechter ist als das von Herrn d'Hondt.
Selbstverständlich können solche Entscheidungen jeweils nur für eine Legislaturperiode gelten. Das liegt im Prinzip der Diskontinuität dieses Hauses begründet. Ich möchte heute noch nicht orakeln, wie sich der nächste Bundestag in dieser Frage entscheiden wird.
Das ist hier zunächst einmal als Prinzip festzuhalten. Darauf baut sich dann ,die Ausschußstärke auf. Die Entscheidung über die Ausschußstärke wird jeweils unter rein pragmatischen Gesichtspunkten getroffen, und sie sollte nach Möglichkeit unter den Fraktionen ,dieses Hauses einvernehmlich sein. Hier gibt es keine innere Systematik, sondern lediglich Zweckmäßigkeiten, denen sich alle Fraktionen beugen sollten. Das ist geschehen. Deshalb kommen wir heute wohl zu einer einvernehmlichen Regelung. Wir begrüßen dies.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Mertes!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur wenige Sätze sagen. Das mathematische Proportionalsystem ist wesentlich gerechter als das System, nach dem die Verteilung der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4133
MertesAusschußsitze bisher vorgenommen wurde. Die Frage, inwieweit man ein gerechteres System in diesem Hause praktizieren will, gehört zu den relativ wenigen Fragen, bei denen eine Gewissensentscheidung zu treffen ist. Die auf der Basis dieses Systems vorgeschlagene Regelung garantiert die Einhaltung des demokratischen Grundprinzips und der demokratischen Selbstverständlichkeit, daß die Mehrheitsverhältnisse des Plenums sich in allen Ausschüssen widerspiegeln, und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis. Meine Fraktion stimmt daher den beiden Anträgen zu.
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Antrag der drei Fraktionen des Hauses betreffend Berechnung des Verhältnisses der Stärke der einzelnen Fraktionen bei der Zusammensetzung des Ältestenrates und der Ausschüsse sowie die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen — Drucksache VI/1354 — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Eine Gegenstimme des Abgeordneten Memmel. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Damit ist dieser Antrag angenommen.
Ich komme dann zu dem Antrag der drei Fraktionen des Hauses auf Drucksache VI/1355 betreffend Mitgliederzahl in den Ausschüssen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag ist damit einstimmig angenommen.
Ich komme dann zu Punkt 2 der heutigen Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes
— Drucksache VI/939 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/ 1263 —Berichterstatter: Abgeordneter Baier
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache VI/1204 —
Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Stommel
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
— Drucksache VI/86 — Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache VI/1204
Berichterstatterin : Abgeordnete Frau Stommel
c) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
— Drucksache VI/903 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache VI/1204 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Stommel
Ich danke der Berichterstatterin, der Abgeordneten Frau Stommel, für ihren Schriftlichen Bericht und gebe ihr zur Ergänzung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch einige Ausführungen zu meinem Schriftlichen Bericht. Ich bitte Sie aber, zuerst eine Korrektur vorzunehmen. Auf Seite 2 des Schriftlichen Berichts muß unter „Zu Artikel 3 Nr. 1" in der viertletzten Zeile das Wort „Kindergeldes" durch das Wort „Krankengeldes" ersetzt werden. Es handelt sich hier wohl um einen Schreibfehler des Büros. Das vorweg.Der Ausschuß hat bei seinen Beratungen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion beschlossen, den Regierungsentwurf Drucksache VI/939 zugrunde zu legen. Der Ausschuß hat sich bei seinen Beratungen, sofern man von Beratungen reden kann,
gegen die Stimmen der CDU/CSU für die unveränderte Annahme des Regierungsentwurfs ausgesprochen und weitergehende Anträge der CDU/CSU entsprechend der Vorlage auf Drucksache VI/903 abgelehnt. Selbst der Alternativvorschlag, der von der CDU/CSU gemacht wurde, über den Regierungsentwurf hinaus wenigstens eine Erhöhung des Kindergeldes für das vierte Kind um monatlich 10 DM zu beschließen, wurde ohne Aussprache abgelehnt, obwohl die CDU/CSU den Deckungsvorschlag für diese Alternative erbracht hat.Sie hat bei der Begründung dieses Antrags darauf hingewiesen, daß die benötigten Mehraufwendungen für 1970 aus dem vorliegenden Etat bereitgestellt werden könnten. Für die Folgekosten im Jahre 1971 und in den weiteren Jahren müßte auf die Kürzungen bei der mittelfristigen Finanzplanung verzichtet werden. Bei diesen Bemühungen und bei ihren Anträgen hat sich die CDU/CSU davon leiten lassen, daß in nahezu allen Industrienationen der Welt der Familienlastenausgleich auch unter dem Gesichtspunkt gesehen wird, daß die Regeneration
Metadaten/Kopzeile:
4134 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Frau Stommelder Bevölkerung über viele Jahrzehnte hinweg gesichert wird. Wir müssen feststellen, daß seit 1965 bei uns die Geburtenzahlen um zirka 20 °/o zurückgegangen sind. Seit 1969 haben die Geburtenzahlen ein Niveau erreicht, daß die Regeneration nicht mehr sichert.Entgegen der Darstellung von Frau Minister Strobel, die in der ersten Lesung die Auffassung vertreten hat, der Geburtenrückgang sei auf das Hineinwachsen geburtenschwacher Jahrgänge in das Heiratsalter zurückzuführen, weisen die Statistiken aus, daß der starke Geburtenrückgang zum weitaus überwiegenden Teil auf verändertes Generationsverhalten der jungen Familien zurückzuführen ist. Nach Auffassung der CDU/CSU ist der Rückgang schon bei den Zweitkindern, besonders aber bei den Dritt- und weiteren Kindern besorgniserregend und im übrigen nicht auf den derzeitigen Rückgang der Eheschließungen zurückzuführen.Der Familienbericht der Bundesregierung vom Januar 1968 hat deutlich gemacht, daß bis zur Mitte der sechziger Jahre die Zahl der Drittkinder gerade ausreicht, die Regeneration der Bevölkerung sicherzustellen, und daß das leichte Bevölkerungswachstum auf die Familien mit vier und mehr Kindern zurückzuführen sei. Ich meine, daß in Anbetracht der Tatsache, daß gegenüber 1965 auch die Zahl der Erst-, Zweit- und Drittkinder zurückgeht, entgegen den Tendenzen der Bundesregierung die Förderung der Familien mit vier und mehr Kindern noch weiter ausgebaut werden sollte, weil die kinderreiche Familie einen unerläßlichen Beitrag für die Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur leistet.Ohnehin müssen wir davon ausgehen, daß nur bei einer kleinen Minderheit der Familien die Bereitschaft besteht, vier und mehr Kinder aufzuziehen. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Herr Westphal, hat in einem Interview in der „Welt" vom 21. August 1970 herausgestellt, es sei seitens der Regierung weder an eine Prämierung des Kinderkriegens noch an eine besondere Förderung der Großfamilie gedacht; die Familienpolitik der Bundesregierung verstehe sich nicht als eine nationalistische Bevölkerungspolitik.Wir sind der Auffassung, daß eine solche Argumentation den heutigen Gegebenheiten nicht Rechnung trägt. Wir haben auch kein Verständnis für die Bundesregierung, wenn sie die Gefahren einer Verschlechterung der Altersstruktur bagatellisiert und meint, die anwachsenden Versorgungslasten würden durch den sich weiter vollziehenden Produktivitätsfortschritt der Volkswirtschaft bewältigt werden können.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um etwas mehr Ruhe.
Ich gebe eine sachliche Darstellung dessen, was im Ausschuß gesagt worden ist.Hier werden Wechsel auf die Zukunft gezogen, für deren spätere Einlösung keine absolute Garantie gegeben ist. Zwar ist unbestritten, daß das Sozialprodukt und der Lebensstandard auch in den nächsten Jahrzehnten ansteigen werden. Dies wird aber auch in gleichem Maße in anderen Industrienationen der Fall sein. Wenn jedoch in unserem Lande wegen einer Verschlechterung der Altersstruktur und einer damit verbundenen stärkeren Belastung der Erwerbstätigen durch Steuern und Sozialabgaben die Entwicklung der Lebensverhältnisse ungünstiger als anderswo verläuft, besteht die Gefahr, daß die Bundesrepublik für Gastarbeiter weniger interessant wird als andere Länder. Nicht außer Betracht bleiben kann außerdem, daß zur Zeit auch in den Ländern, aus denen die Gastarbeiter zu uns kommen, die Geburtenzahlen zurückgehen und daß darüber hinaus in diesen Ländern die sich dort vollziehende Weiterentwicklung der Wirtschaft mehr eigene Kräfte binden wird, so daß der Gastarbeiterstrom geringer werden könnte.
Außerdem muß in 15 oder 20 Jahren durchaus mit der Gefahr gerechnet werden, daß der qualifizierte und sprachenkundige eigene Berufsnachwuchs zunehmend auswandern könnte, wenn sich die Lebenschancen in anderen Ländern relativ verbessern. — Meine Damen und Herren, diese Ausführungen sind im Ausschuß in einer Art und Weise gemacht worden, der nicht widersprochen worden ist.Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen leider nicht die Argumentation der Regierungskoalition vortragen, da die Diskussionsbeiträge nur von den Vertretern der CDU/CSU vorgebracht und begründet wurden.
Im übrigen hat der Ausschuß einstimmig beschlossen, die Bundesregierung zu ersuchen, sicherzustellen, daß die Erhöhung des Kindergeldes für das dritte Kind, soweit sie auf die Monate September bis Dezember 1970 entfällt, den Kindergeldberechtigten noch vor Ablauf dieses Jahres ausgezahlt wird.Der Bundesminister für Familie, Jugend und Gesundheit hat daraufhin den Haushaltsausschuß auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, den Gesetzesentwurf noch bis zum Auszahlungstermin am 1. November zu verkünden. Der Bundesminister der Finanzen sei deshalb damit einverstanden, die Auszahlung des erhöhten Kindergeldes schon vor der Verkündung mit den Auszahlungen von November dieses Jahres zu verbinden ,wenn der Haushaltsausschuß zustimme. Der Haushaltsausschuß hatte gegen dieses Verfahren nichts einzuwenden. Er hat sich mit der vorgezogenen Auszahlung einverstanden erklärt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegt Ihnen noch ein Änderungsantrag der Frak-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4135
Frau Stommeltionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP zur zweiten Beratung des Entwurfs vor.
— Ich bin gebeten worden, das hier bei dem Bericht zu begründen. Es ist einstimmiger Beschluß. Es stößt wohl nicht auf Schwierigkeiten, wenn ich einen interfraktionellen Beschluß hier kurz begründe.Der Antrag lautet:Der Bundestag wolle beschließen:In Artikel 3 erhält Nummer 1 folgende Fassung:1. Dem § 183 Abs. 5 wird folgender Satz angefügt:„Bei der Kürzung bleibt von der Rente ein Betrag in Höhe des Kindergeldes außer Betracht, das ohne Anwendung des § 8 Abs. 1 des Bundeskindergeld-Gesetzes für die Kinder des Rentenberechtigten zu zahlen wäre."Das ist ein interfraktioneller Antrag.Lassen Sie mich noch eine abschließende Berner-kung machen. In der Sitzung des Ausschusses für Familie, Jugend und Gesundheit vom 23. September 1970 haben es die Vertreter der Regierungskoalition abgelehnt, die Sachanträge der CDU/CSU in gebührender Form zu beraten.
Man kann nur hoffen, daß nicht alle Ausschüsse zu Abstimmungsmaschinen werden,
wie es im zuständigen Ausschuß bei den Beratungen über die Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes in seiner Sitzung vom 23. September 1970 praktiziert wurde.Im übrigen verweise ich auf meinen Schriftlichen Bericht.
Meine Damen und Herren, soweit hier von einem interfraktionellen Antrag gesprochen wurde, möchte ich bitten, ihn vorzulegen. Ich habe ihn im Augenblick nicht bei meinen Unterlagen.
)
— Ist das der Antrag, den Sie vorgelesen haben?
— Dann liegt er vor.
Nun wollte zum Bericht der Abgeordnete Hauck sprechen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich, daß es zu Beginn dieser Diskussion gleich zu einer Schärfe gekommen ist. Als Vorsitzender des
*) Siehe Anlage 2
Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit möchte ich erklären, daß es nicht zutrifft, daß im Ausschuß überhaupt nichts beraten wurde, wie die Frau Berichterstatterin behauptet hat.
Es ist eine unerhörte Unterstellung, eine Abstimmungsniederlage gerade in diesem Ausschuß, wo wir wirklich sachlich diskutieren und zu Ergebnissen kommen wollen, pauschal mit der Behauptung abzutun, man habe nicht beraten.
So geht es meiner Ansicht nach nicht. Ich erkläre ausdrücklich, daß dieser Ausschuß keine Abstimmungsmaschine ist, sondern ein Ausschuß, der sich der Probleme und Sorgen des Bereichs Jugend, Familie und Gesundheit intensiv und verantwortungsbewußt annimmt.
Hierzu Frau Abgeordnete Stommel.
Jetzt nicht als Berichterstatterin, sondern nur zu einer Gegenäußerung.
Herr Vorsitzender, es wird Ihnen bekannt sein, daß ich im Ausschuß selbst mit Enttäuschung darauf hingewiesen habe, daß sogar zu dem Alternativvorschlag, den Herr Burger gestellt hat, mit keinem Wort Stellung genommen wurde. Unsere Anträge wurden gestellt und von Ihnen ohne Aussprache abgelehnt.
Es ist nur zur Schlußabstimmung von Ihnen eine Erklärung abgegeben worden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können jetzt in die Einzelberatung eintreten.
Ich komme nun zu Art. 1, wozu der Änderungsantrag Umdruck 76 *) gestellt ist, und erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Köster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit über die Entwürfe des Kindergeldgesetzes waren tatsächlich ein Trauer-*) Siehe Anlage 3
Metadaten/Kopzeile:
4136 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Kösterspiel. Nachdem Frau Minister Strobel den Regierungsentwurf vorgelegt hatte, etwa mit den gleichen Worten, wie sie sie im Plenum anläßlich der ersten Lesung gebraucht hatte, war sie als Minister für Familie und Jugend verhindert, an den weiteren Beratungen teilzunehmen.
— Es wird gesagt: Das stimmt nicht.
Frau Strobel ist gegangen. Als Mitglieder der Opposition mußten wir dann erleben, daß sich während der weiteren Beratung kein einziges Mitglied der Koalitionsfraktionen zu Wort meldete. Alle Anträge der CDU/CSU wurden nur mit dem Gegenargument 15 : 14 oder 14 : 13 Stimmen abgelehnt.
— Wir werden uns daran gewöhnen, sagen Sie. Soeben wurde das „mehr an Demokratie" noch bestritten.Meine Damen und Herren, ich habe, als wir zur Gesamtabstimmung kamen, auf die Unwürdigkeit dieser Beratung hingewiesen. Daraufhin hat sich der jetzt leider aus dem Parlament ausgeschiedene Kollege Dr. Brand , der aus politischen Gründen zurückgetreten ist, bereit erklärt, das Wort zu ergreifen, und hat unsere Enttäschung zu glätten versucht. Aber das war bei der Gesamtabstimmung. Bei den Einzelberatungen kein einziges Wort. Offensichtlich war das weniger Demokratie als früher, und dieses Weniger war erzwungen durch Beschlüsse einer Bundesregierung, deren Kanzler an der Familienpolitik praktisch nicht interessiert ist. Ich habe nicht den Eindruck, daß der Spiritus rector dabei etwa übersehen hätte, daß durch eine ungerechte Familienpolitik soziale Nöte und Enttäuschungen bei der nachwachsenden Generation begünstigt werden. Später, im nächsten Wahlkampf, kann man dann mögicherweise immer noch nach der sozialen und bildungsmäßigen Chancengleichheit rufen.Die Behandlung, die unser Gesetzentwurf im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit erfahren hat, ist ein neuer Beweis dafür, daß die SPD Willens- und Absichtserklärungen vor der Wahl anders deutet als nachher. Sozialistische Politik muß sehr sorgfältig von einer Politik des gerechten und sozialen Ausgleichs unterschieden werden. Die SPD nennt häufig eine Maßnahme dann gerecht, wenn damit viele Wähler erreicht werden. Ist man aber Angehöriger
einer Wählerminderheit, etwa als Kleinrentner oder als Eltern einer größeren Kinderschar, findet man für die eigene Situation wohl in dem SPD-Wahlprogramm einen passenden Spruch, aber keinen Fürsprecher -im Ausschuß oder im Bundestagsplenum. Das, was sich sozial-liberale Koalition nennt, handelt auf dem Gebiet der Familienpolitik nicht sozial noch schützt sie in ausreichendem Maße die Entfaltungsmöglichkeiten der heranwachsenden Generation.
— Nein.Man mag der CDU/CSU vorwerfen, sie habe in der vergangenen Wahlperiode zuwenig für die Kinder mit vielen Geschwistern getan.
— Einen Augenblick! Wenn wir das als Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion selbst sagen, ist das Bedauern sorgar glaubwürdig. Diese Kritik aus dem Munde führender Sozialdemokraten aber ist für mich einfach Windbeutelei. Denn mir ist nicht bekannt, daß die SPD-Fraktion je irgend etwas aus eigener Initiative für die Lebenschancen der Kinder mit vielen Geschwistern getan hätte.
Meine Damen und Herren, der Ansatzpunkt für eine neue Familienpolitik liegt für uns in der einstimmigen Absichtserklärung des Bundestages vom März 1969, dessen zweiten Teil die Bundesregierung in ihrer Gesetzesvorlage praktisch verleugnet. Darf ich Sie, Herr Präsident, an dieser Stelle bitten, zu überlegen, ob einstimmige Absichtserklärungen des Bundestages wie die vom 28. März 1969 nicht der besonderen Aufmerksamkeit des Bundestagspräsidiums zu empfehlen sind. Wenn der Bundestag eine einstimmige Erklärung abgibt, kann jeder Mitbürger erwarten, daß die Regierung und alle Fraktionen diese Willenskundgebung auch nach einer Wahl noch ernst nehmen. Auch der Bundestag als Ganzes steht im Wort gegenüber denen, die die Erfüllung seiner Entschließung erwarten. Über den Wunsch nach einer Reform des Familienlastenausgleichs hinaus hat der Bundestag damals die Regierung indirekt auch darum gebeten, ihre Finanzplanung so zu ändern, daß nicht erst 1972, wie es vorgesehen war, sondern sofort die Finanzmittel bereitgestellt würden, um die Leistungen für kinderreiche Familien den wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen.Die CDU/CSU-Fraktion, nicht aber die Bundesregierung, hat sich an das Votum des Bundestages vom März 1969 gebunden und kurz nach ihrer Konstituierung im November 1969 mit Drucksache VI/86 den Antrag gestellt, den Familienbeitrag vom dritten Kind an um 10 DM pro Kind zu erhöhen. Diese Sofortmaßnahme war nur als Anpassung der Leistungen an die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse von 1964 bis 1970 gedacht. Dieser Beschluß war die Grundlage, auf der die Neuformulierung und auch Neuorientierung der Familienpolitik für die CDU/CSU begann. Die Bundesregierung hat einen Vorschlag gemacht, der in keiner Weise dieser Entschließung gerecht wird, der vielmehr eine schwere Enttäuschung der Erwartungen und gerechten Ansprüche von Kindern mit mehreren Geschwistern darstellt.Familienpolitik, die mit den Eltern und durch die Eltern dem Wohle des einzelnen Kindes dient, kann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4137
Köstersich jedoch nicht damit begnügen, nur dort zu helfen, wo mehrere Kinder in einer Familie aufwachsen. Die CDU/CSU-Fraktion hat daher in einem weiteren Gesetzentwurf auf Drucksache VI/903 zwei entscheidende Schritte auf die Besserstellung der Familien mit zwei Kindern zu getan. Wir haben erstens verlangt, den Familienbeitrag für das zweite Kind, der seit 1961 nicht mehr erhöht wurde, um 10 DM zu erhöhen, und haben weiter verlangt, daß alle Familien einen Familienbeitrag für das zweite Kind erhalten unabhängig vom Einkommen oder, wenn man es so sehen will, unabhängig vom dritten Kind.Sind diese Erhöhungen, die die CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagen hat, von der Sachlage her unangemessen? Nein. Der Kaufkraftverlust des Normbedarfs für ein Kind seit März 1969 verschlingt fast zwei Drittel einer Erhöhung des Kindergeldes um 10 DM für jedes Kind. Wir nehmen den Normbedarf mit monatlich 150 DM dabei sicher nicht zu hoch an. Infolge des Kaufkraftverlustes von 1964 bis 1969 bleiben dann gut 3 DM, ein Ausgleich, der sicher weit hinter den echten Erfordernissen zurückbleibt.Wenn die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf als Erfüllung des Auftrags des Bundestages vom März 1969 betrachten will, meine Damen und Herren, ist das Ansinnen, das Kindergeld mit einem Familienbeitrag von nur 10 DM insgesamt für eine Familie mit vier, fünf oder mehr Kindern an die wirtschaftliche Entwicklung seit 1964 anzupassen, fast reaktionär. Eine Bundesregierung, die einen ) solchen Vorschlag macht, ist nicht kinderfreundlich, und fröhliche Kinder auf den Propagandaschriften des Presse- und Informationsamtes — aber das ist nur die Rückseite, die Kehrseite der Medaille dieser Regierung — passen nicht in die Landschaft.
Ich weiß nicht, wie genau es die Bundesregierung in ihren Informationen mit der Wahrheit nimmt. Unter dem Titel „Mehr Gerechtigkeit" steht der Satz: „Das Kindergeld wurde aufgebessert". Das ist in dem Augenblick, wo diese Propaganda politisch wirksam wurde, an der Wahrheit vorbei.
Aber auch wenn dieses ungenügende Gesetz, das wir heute in zweiter Lesung beraten, Wirklichkeit werden sollte, ist dieser Satz falsch. Das erste Jahr der Regierung Brandt/Scheel schließt für alle Familien mit Kindern mit einem Minus des realen Wertes des Kindergeldes ab.Ich will das begründen. In allen Familien bekommen die zweiten Kinder immer noch dasselbe Kindergeld wie im Jahre 1961, nämlich 25 DM monatlich.
Darunter sind auch die Familien, die weniger. als 650 DM monatlich verdienen. Auch diese Familien an der Grenze des Existenzminimums bekommen seit 1961 25 DM für ihr zweites Kind. Und dannsagt die Bundesregierung: Das Kindergeld wird aufgebessert!
Für Familien mit drei und mehr Kindern ersetzt die Bundesregierung — angeboten werden im ganzen 10 DM monatlich mehr für alle Kinder zusammen — nicht einmal den Kaufkraftverlust beim Normbedarf für drei Kinder im ersten Regierungsjahr.
Da hilft auch der Hinweis auf das Ausbildungsförderungsgesetz der Großen Koalition nicht weiter. Den Familien mit mehreren Kindern ist der Atem schon längst ausgegangen, ehe ihre Kinder mit dem 16. Lebensjahr den Anschluß an die Ausbildungsförderung finden. — Bitte.
Zu einer Zwischenfrage der Abgeordnete Fellermaier.
Herr Kollege, Sie sprechen immer vom Kaufkraftverlust im Regierungsjahr Brandt/Scheel. Wären Sie bereit, unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kindergeldleistungen, wie Sie selbst sagen, seit 1961 nicht angehoben worden sind, dem Hohen Hause mitzuteilen, wie der Kaufkraftverlust von 1961 bis 1970 insgesamt war?
Darüber bin ich im Augenblick mit exakten Zahlen, also mit Zahlen nach dem Komma, nicht versehen.
— Im Durchschnitt waren es in diesen Jahren 2%.
— Im Durchschnitt der Jahre. Ich lasse mich aber in diesem Punkt gern belehren. Ich muß mich in diesen Angelegenheiten auf die Wirtschaftspolitiker unserer Fraktion verlassen können
und tue es auch.
Herr Abgeordneter Köster, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Eilers? — Bitte.
Herr Kollege Köster, ist Ihnen bekannt, daß im Jahre 1966, in den letzten Monaten der Regierung Erhard, die Preissteigerungen — und damit der Kaufkraftverlust — um 4,5 % gefallen sind — —
Preissteigerungen von 4,5 % zu verzeichnen gewesen sind. — Also hören Sie mal, Herr Kollege Burger, so einfach können Sie sich es ja nun nicht machen; ich habe auch bei Ihnen schon manchen Versprecher gehört.
Metadaten/Kopzeile:
4138 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Frau EilersAber, Herr Köster, haben Sie damals, nachdem fünf Jahre nichts für die Familienpolitik getan worden war, Anträge gestellt, um Ihre Regierung aufzufordern, etwas für die Familien zu tun, die dort schwere Einbußen erleiden mußten?
Diese Anträge sind im März 1969 gestellt worden
zu einem Zeitpunkt, wo es deutlich wurde, daß man mit kleinen Reformen nicht auskam, und wo man eine große grundlegende Reform des Familienlastenausgleichs anstreben wollte.
In diesem Punkt hat der Bundestag damals weiterhin beschlossen, eine Vorweganpassung vorzunehmen, und darum geht es jetzt.
Ich könnte an dieser Stelle der Versuchung erliegen, den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion über die Verbesserung des Familienlastenausgleichs auch noch mit bevölkerungspolitischen Argumenten zu untermauern. Das ist aber nach meiner Meinung kein spezielles Anliegen der Familienpolitik. Was ich heute zu vertreten habe, ist der Anspruch der Kinder auf ihre Lebenschance, unabhängig von der Geschwisterzahl. Denn kein Elternpaar und auch sonst niemand sollte hier in der Bundesrepublik für die Bereitschaft benachteiligt oder getadelt werden, Verantwortung für die Erziehung von Kindern zu
) übernehmen.
Herr Abgeordneter Köster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte?
Bitte schön!
Herr Kollege, wollen Sie uns hier im Hause zu Ausgaben animieren, ohne uns zu sagen, wo das dazu erforderliche Geld ist?
Sie haben mich nur unterbrochen. Wir haben noch einige Seiten darüber zu sprechen.
— Nein.
Der Freiheitsraum dieser Entscheidung ist in einer freien Gesellschaft mit unserem Lebensstandard unantastbar. Die Finanzierung unseres Gesetzentwurfs Drucksache VI/903 vom 4. Juni ist von der CDU/CSU-Fraktion nicht ohne Debatte angenommen worden. Aber darin hat sich die sozial ausgleichende Kraft, die in unserer Fraktion steckt, erwiesen. Sowohl die Arbeitnehmer als auch die Angehörigen der Schichten, die die Ergänzungsabgabe zu zahlen haben, sind sich einig geworden. Mit überwältigender Mehrheit sind wir übereingekommen, die von der Bundesregierung im Steueranpassungsgesetz 1970 ausgewiesenen Mittel für den Fortfall der Ergänzungsabgabe und die Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrages für die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Familie zu verwenden. Diese Mittel sind in den Etatansätzen des Jahres 1971 verschwunden, ohne daß sie den Familien die versprochene Hilfe und Verbesserung ihrer Situation gebracht haben.
Der Haushalt 1971 ist vom Parlament noch nicht beraten worden, und eine Deckung für die in unserem Entwurf auf Drucksache VI/903 vorgesehenen Ausgaben ist noch nicht in Sicht. Trotzdem hält die CDU/CSU-Fraktion an ihrer Grundkonzeption fest.
Da für uns aber schon heute sichtbar ist, daß wir für eine Erhöhung des Kindergeldes auch für das vierte Kind und die weiteren Kinder einen Ausgleich im Etat 1970 und 1971 vorlegen können, beantragen wir, dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck 76 zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Eilers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier soeben von Frau Stommel einen Bericht gehört, der weit über das übliche Maß einer Berichterstattung hinausging.
Es wurden aus einer verletzten Haltung heraus, in diesem Hause nicht mehr diejenigen zu sein,
die die Entscheidungen in den Ausschüssen über viele Jahre getroffen haben, in einem Ausschußbericht Dinge auf den Tisch gelegt, die einfach nicht unwidersprochen bleiben können.Unser Wollen in diesem Ausschuß ist nicht nur in der ersten Lesung der Kindergeldgesetzgebung zum Ausdruck gekommen. Ich will nicht die jahrelangen Diskussionen zurückverfolgen, sondern möchte hier nur an die Mai- oder Juni-Diskussion erinnern, weil es im Ausschuß eine Grundsatzdiskussion über die Kindergeldgesetzgebung in dieser Phase war. Ich möchte ferner daran erinnern, daß die Atmosphäre erfreulich gut war, weil die CDU erstmalig bereit war, anzuerkenen, daß auch die Kleinfamilie, die junge Familie ein Recht darauf hat, daß die familienpolitischen Leistungen für sie endlich angehoben werden.
Es ist das erste Mal gewesen, daß die CDU das in einer Ausschußsitzung, und zwar erfreulicherweise durch Herrn Kollegen Köster, zugegeben hat.Ich möchte damit nur klarstellen, daß im Ausschuß dort, wo Zeit und Ruhe dafür gegeben waren, Sachdiskussionen in ausreichender Weise geführt worden sind, daß aber dort, wo es um Entscheidungen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4139
Frau Eilersging, nämlich darum, den Familien noch rückwirkend ab September die Leistungen zukommen zu lassen, die Dinge wirklich über die Hürden mußten.Herr Köster hat seine Rede mit dem Satz angefangen: „Es ist ein Trauerspiel." Ich möchte dazu folgendes sagen. Für mich ist es ein Trauerspiel zu sehen, wie ziellos die CDU die Anhebung der Kindergeldleistungen betrieben hat. Es gab zunächst den Antrag im vorigen November, der vom dritten Kind an für jedes Kind eine Anhebung von 10 DM forderte. Dieser Antrag wurde in der letzten Ausschußsitzung im September — oder war es am 12. Oktober? zurückgezogen.
— Zurückgezogen, Frau Kollegin.
— Durch den zweiten ersetzt, aber formell und offiziell zurückgezogen.
— Ich habe es so aus dem Protokoll herausgelesen. Der zweite Entwurf, der von Ihnen angeboten wurde, sah die Einbeziehung der Zweitkinder in die Kindergeldgesetzgebung ohne Einkommensgrenze vor, eine Forderung, der wir natürlich am liebsten zustimmen würden. Aber Sie wissen ganz genau, daß wir uns gegenseitig an verbalen Erklärungen zur Familienpolitik nicht übertreffen müssen. Sie wissen ganz genau, daß dieses Hohe Haus — die eine wie die andere politische Partei — daran interessiert ist, die Familien so auszurüsten, daß sie wirklich in der Lage sind, den Anforderungen dieser Gesellschaft standzuhalten.
Und wir können es auf längere Sicht nicht ertragen, daß ausgerechnet — —
— Darauf komme ich gleich zu sprechen. Warten Sie bitte ab, Herr Kollege. — Wir können uns hier nicht gegenseitig vorhalten, wer die bessere Familienpolitik betreibt und wer die schlechtere. Ich glaube vielmehr, es kommt wirklich darauf an, gerade den Familien mit Kindern nicht zu sehr einen Konsumverzicht zuzumuten.Nun kommt Ihr Antrag für das vierte und fünfte Kind, nachdem im Ausschuß nur vom vierten Kind die Rede war. Ich vermute, das hängt damit zusammen, —
— Doch, Herr Kollege Burger, Sie haben den Antrag für das vierte Kind im Ausschuß gestellt. Der Antrag, der hier vorliegt, sieht die Einbeziehung von viertem und fünftem Kind in die Förderungsmaßnahmen vor.
— Bitte sehr!
Frau Kollegin, erinnern Sie sich daran, daß wir im Ausschuß über drei Anträge abgestimmt haben? Zunächst ging es um unsere Vorlage. Danach haben wir den Antrag gestellt, daß über die Regierungsvorlage hinaus für alle weiteren Kinder 10 DM mehr gegeben werden sollen, und schließlich haben wir beantragt, daß lediglich für das vierte Kind 10 DM gegeben werden sollen. Wir haben also drei Anträge gestellt.
Ich stimme Ihnen zu, aber die Vorlage mit der Einbeziehung von viertem und fünftem Kind, die jetzt auf dem Tisch liegt, kann ich nur verstehen mit Blick auf die Angriffe, die ich z. B. gestern in einer Familienzeitung gelesen habe, die Sie zu dieser Initiative gebracht haben, nachdem man Ihnen vorgeworfen hatte, einen Rückzieher gegenüber den eigenen Vorstellungen gemacht zu haben.Ich glaube also, daß es nicht redlich ist, wenn die CDU/CSU hier einen Antrag auf den Tisch legt, der für das jetzt laufende Jahr ungefähr 60 Millionen DM zusätzliche Kosten und für das nächste Jahr 180 Millionen DM Kosten bedeuten würde, ohne dafür irgendwelche Deckungsvorschläge vorzulegen. Man muß sich ja eigentlich fast komisch vorkommen, Ihnen immer wieder die gleichen Fragen zu stellen, die immer wieder nicht beantwortet werden. Ich höre immer wieder die Herren Müller-Hermann und Stoltenberg, die darauf hinweisen, dieser Haushalt müsse konjunkturgerecht ausgerichtet werden, die Zahlen müßten gehalten werden. Ich höre die Forderung nach inneren Reformen, die Ihnen angeblich nicht schnell genug vonstatten gehen. Aber ich stelle immer wieder fest, daß für Anträge, die von Ihnen gestellt werden, nicht gleichzeitig Deckungsvorschläge vorgelegt werden.
Ich möchte ganz kurz etwas zu den Punkten sagen, die Frau Stommel aufgegriffen hat, indem sie darauf hinwies, daß es für unser Volk eine Frage nicht nur der Familienpolitik sei, die Familie zu stützen, um sie in ihrem Volumen zu erhalten. So darf ich es doch wahrscheinlich ausdrücken. Da muß ich Ihnen, Frau Kollegin Stommel, folgendes sagen, und zwar mit den Worten Ihres sozialpolitischen Referenten, Herrn Hüttche, der sich in den „Gesellschaftspolitischen Kommentaren" so äußert: „Erfahrungen in anderen Ländern beweisen zwar, daß es nicht möglich ist, mit materiellen Familienförderungsmaßnahmen die Geburtenzahlen erheblich zu erhöhen. Aber sicher kann man davon ausgehen, daß ein auf Dauer ausreichender Familienlastenausgleich den Entschluß vieler Ehepaare, mehr Kinder zu haben, fördern kann, wenn der Wunsch nach mehr Kindern an sich vorhanden ist, aber aus materiellen Gründen nicht verwirklicht werden kann." — Das eine würde dem anderen also durchaus nicht entgegenstehen. Aber er sagt auch ganz deutlich, daß die materielle Förderung es alleine nicht tut. Ich glaube auch, daß die Haltung unserer Gesellschaft zum Kind, die hier in der Diskussion schon oft eine Rolle gespielt hat, neben der materiellen Ausstattung mit dazu beitragen wird, für unsere Familien mehr tun zu können.
Metadaten/Kopzeile:
4140 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Frau EilersIch möchte Ihnen noch eines sagen. Herr Köster hat soeben mit sehr hochtönenden Worten einige Thesen vorgebracht, die nicht von ihm — er ist nicht in diesem Hause gewesen —, aber von Ihrer Fraktion klugerweise schon drei, vier oder fünf Jahre früher hätten beherzigt werden sollen. Mir wurde soeben von einer Kollegin zugerufen: „Sie haben ja mit uns in der Großen Koalition gesessen, in der seit 1961 nichts getan worden ist. Warum haben Sie denn nicht 1967 dafür gesorgt, daß etwas getan wird?" Ich muß Ihnen sagen: Sie alle wissen, unter welchen Zwängen das Haus hier gestanden hat, um erst einmal die verfehlte Wirtschaftspolitik wieder in Ordnung zu bringen.
Darunter haben die Familien erheblich mit leiden müssen. Neben anderem. Unter anderem ist es ja bis dahin auch so gewesen, — —
— Ich möchte Ihnen nur sagen: es ist ja so, daß wir Sozialdemokraten den Familienminister seit einem Jahr stellen. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als Herr Wuermeling dieses Ministerium verließ. Seine wörtlichen Ausführungen im Ausschuß hießen: „Aus den Zwängen des Kabinetts entlassen, hoffe ich, heute mehr für die Familien tun zu können." Im Kabinett hat er es nicht geschafft, aber er hat es auch im Plenum seiner Fraktion nicht geschafft, den Dingen so Nachdruck zu verleihen, wie es ihm am Herzen gelegen hatte.
Ich möchte daraus nur folgern: Familienpolitik betreiben bedeutet natürlich, die Familien materiell in den Stand zu setzen, sich helfen zu können, ohne daß das Niveau im materiellen Bereich absinkt oder daß der Konsumverzicht, der sich gerade bei den Frauen erheblich niederschlägt, zu groß wird. Hier sind wir durchaus einer Meinung. Wie sollten wir es auch nicht sein!Die andere Frage ist aber die folgende. Sie können es sich nicht so einfach machen und sagen: „Was hat denn die Sozialdemokratische Partei bis jetzt getan, um den Familien in ihrer Situation zu helfen?" Wenn wir vielleicht auch nicht so eifrig wie Sie die Frage der Anhebung der Kindergeldsätze betrieben haben, haben wir uns aber in weit größerem Maße als Sie, darf ich sagen, bemüht z. B. um die Ausbildungsförderungsgesetzgebung. Wenn Sie mitgemacht hätten, hätten wir schon 1962/1963 eine Gesetzgebung haben können, die wir in der ersten Phase 1969 verwirklichen konnten.
Ich denke daran, daß Sie eine Debatte um die Situation der Kinder in der Bundesrepublik geführt haben. Der einzige Effekt, der dabei herausgekommen ist, ist der, daß wir heute ein Gesetz über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten beraten werden, ein Antrag, der von der SPD eingebracht wurde, der sogar die Eltern mit einbezieht, auf dem Weg zum Arbeitsplatz. Oder ich denke an manche anderen Dinge, die anzusprechen hier die Zeit fehlt. Ich kann Ihnen nur sagen, es genügt nicht, sich mit Worten für familienpolitische Maßnahmen einzusetzen. Es ist auch nicht nur eine schmale Sparte zu sehen, die da heißt „Kindergeldgesetzgebung", sondern ich glaube, daß viel mehr dazu gehört.Es ist sehr interessant — wenn ich mir diesen Schlenker abschließend erlauben darf —, daß Sie manche Gebiete der Politik heute erst für sich entdecken, die Sie eigentlich von Ihrem Sachverstand her, der in dieser Fraktion vorhanden sein muß, viel eher gesehen haben müßten.
Ich möchte Ihnen zwei Beispiele sagen. Sie habeneinen Psychiater Ihrer Fraktion in diesem HohenHaus sitzen, der nach 13 Jahren Anwesenheit indiesem Haus erstmals eine Debatte über die Psychiatrie in der Bundesrepublik entfacht. Sie habenPädagogen in Ihren Reihen sitzen, und zum erstenmal seit 21 Jahren CDU-Politik erleben wir, daßeine Anfrage zur Situation der Erziehungsberatungsstellen gestellt wird und gefragt wird, wieweit sieaus diesem Haus heraus gefördert werden können.
Ich möchte Ihnen sagen, wenn Sie den Sachverstand, den Sie haben, angesetzt hätten, um den Familien zu helfen, hätten Sie in uns immer engagierte und unterstützende Kollegen gefunden.
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Familie, Jugend und
Gesundheit.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zu dem Gesamtproblem „Kindergeldregelung" in der dritten Lesung äußern und jetzt nur Sie alle bitten, den Änderungsantrag der CDU/CSU abzulehnen, weil die Erhöhung, die von ihr hier angestrebt wird, im Haushalt 1970 60 Millionen DM und im Haushalt 1971 180 Millionen DM mehr erfordern würde, für die es im Haushalt des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit keine Deckung gibt. Ich muß darauf aufmerksam machen, daß alle Haushaltsansätze im Haushalt dieses Ministeriums so knapp bemessen sind, daß es völlig ausgeschlossen ist, da irgendwelche Abstriche zu machen. Die CDU/CSU hat es ja auch ganz bewußt vermieden, irgendwelche Deckungsvorschläge zu machen.
Ich bitte also darum, diesen Antrag abzulehnen. Ich werde mich als Minister zu der Gesamtfrage noch in der dritten Lesung äußern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Krall.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4141
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Diskussion des Kindergeldrechts wird häufig vergessen, daß die Kindergeldleistung nur einen Teil der Familienpolitik bzw. des Familienlastenausgleichs darstellt, allerdings einen wesentlichen, entscheidenden Teil. Diese Erkenntnis hat die Regierung veanlaßt, Verbesserungen der Kindergeldleistungen für 1970 und 1971 in Höhe von ca. 140 Millionen DM bzw. 420 Millionen DM vorzunehmen, obwohl — und das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen — die ursprüngliche mittelfristige Finanzplanung, für die der ehemalige CSU-Finanzminister Strauß wie der ehemalige CDU-Familienminister Heck mitverantwortlich waren,
für diese Jahre keinerlei Ansätze im Hinblick auf Verbesserungen enthielt.
Über diesen Tatbestand können auch zwei weit höhere Anträge der Opposition nicht hinwegtäuschen.
Wir Freien Demokraten haben keinen Zweifel daran gelassen, daß wir in der Erhöhung der Einkommensgrenze von jährlich 7 200 DM auf 13 200 DM, d. h. von monatlich 600 auf monatlich 1 100 DM, für den Bezug von Zweitkindergeld und in der Erhöhung von monatlich 50 auf monatlich 60 DM für das dritte Kind keine langfristige oder endgültige Regelung sehen, sondern daß es sich hier um eine Übergangslösung bis zur Kindergeldreform in Verbindung mit der Steuerreform handelt.
Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf die vorgesehenen Verbesserungen mit den fehlenden Änderungen in der Vergangenheit und dem Rückgang des Realwertes auf Grund der Preissteigerungen begründet. Die CDU-Opposition bezeichnet die Anhebung als unzulänglich. Sie vergißt dabei, daß in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung die Preissteigerungen für die allgemeinen Lebenskosten gegenüber vergleichbaren Zeitpunkten des Vorjahres auf über 3 '°/o, regional sogar 3,4 '0/o angestiegen waren, ohne daß den Familien auch nur ein Pfennig zusätzlich in Aussicht gestellt worden wäre. Im Gegenteil, die CDU/CSU hat auf Grund ihrer Mehrheit in der damaligen Koalition
ihren Partner an stabilisierenden Maßnahmen nicht zuletzt zum Schaden der Familien gehindert. Das muß hier zur Klarheit einmal sehr deutlich gesagt werden. Ihr damaliger Bundeskanzler Kiesinger hat sogar im August des vergangenen Jahres noch so getan, als gäbe es keine Preissteigerungen und als seien die Tendenzen der Preisentwicklung nach unten gerichtet.
Von der Opposition wird ferner so getan, als sei ein entsprechender Kaufkraftschwund bei konstantem Einkommen und bei einem konstanten Zinsniveau erst seit wenigen Monaten zu registrieren. Wer einmal die Einkommenssteigerung und die Erhöhung der Zinsraten mit der Situation vor einem oder zwei Jahren vergleicht, wird bei nüchterner
Betrachtungsweise feststellen müssen, daß sich die reale Einkommenssituation insgesamt nicht verschlechtert, sondern tendenziell verbessert hat. Das sind Realitäten, und die gehen nicht an der Wahrheit vorbei.
Die Regierungskoalition hat sich ferner vorgenommen, die Abhängigkeit der Chancengleichheit vom Einkommen, dem Vermögen und der Kinderzahl der jeweiligen Familie dadurch auszugleichen, daß in Teilbereichen wie z. B. Ausbildungsförderung und Wohngeld individuelle Förderungsmaßnahmen geschaffen und verbessert werden. Gerade auf diesen Gebieten entstehen heute durch die entsprechenden Ausbildungsgänge bzw. einen größeren Wohnbedarf bei Familienzuwachs Kostenschübe, die zahlreichen Familien auch in der Vergangenheit nicht ermöglicht haben, ihren Kindern die Ausbildung zu gewähren, die sie auf Grund ihrer Anlage und Fähigkeiten hätten absolvieren können.
Diese Förderungsformen gewährleisten neben den Mitteln, die als Zuschuß zu ,den allgemeinen Lebenshaltungskosten gewährt werden, eine optimale Wirkung. Auf diese Weise erfolgt der Einsatz gezielt dort, wo das elterliche Einkommen oder Vermögen einen ausreichenden Beitrag für die Finanzierung der Ausbildung nicht erlaubt.
Daß diese Koalition bereit ist, unter Berücksichtigung der Einkommenssituation menschenwürdige Wohnverhältnisse zu ermöglichen, zeigt sich in den Änderungen und Ergänzungen des Wohngeldgesetzes, die heute hier zur Entscheidung stehen. Auch dieses Gesetz ist Bestandteil der Familienpolitik dieser Regierung und Koalition.
Sicherlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, handelt es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht in jedem Punkt um das Wünschenswerte, wohl aber um das derzeit Mögliche. Das hat auch die Frau Minister hier sehr deutlich gesagt. Wir Freien Demokraten werden daher der Regierungsvorlage zustimmen und die Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Krall hat eben von der früheren mittelfristigen Finanzplanung gesprochen. Herr Kolleg Krall, ich glaube, Sie dürften allmählich Ihre Argumentation berichtigen, denn inzwischen haben sich drei wesentliche Dinge verändert. Erstens gab es höhere Steuereinnahmen des Bundes, als in der mittelfristigen Finanzplanung vorausgeschätzt waren, zweitens allgemein nominell höhere Löhne und Gehälter und auch Gewinne. Auch sprechen Sie immer davon, daß sich der Wohlstand im letzten Jahr ebenfalls gehoben hat. Sie müssen, um ,der Wahrheit die Ehre zu geben, auch sagen, daß in der nächsten mittelfristigen Finanzplanung nur Ihre
Metadaten/Kopzeile:
4142 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
DaschMiniverbesserungen bis 1974 vorgesehen sind und damit die Familien auf einem unteren Wohlstandsniveau festgeschrieben werden, das sich, je mehr bei anderen die Verdienste nominell steigen, desto stärker für die Familien mit mehr Kindern verschlechtert.
Frau Minister Strobel, wenn Sie es sich vorher so einfach gemacht haben, daß Sie sagten, in Ihrem Haushalt seien keine Deckungsmittel vorhanden und Sie brauchten in diesem Jahre 60 Millionen und im nächsten Jahre 180 Millionen DM, dann darf ich Sie doch fragen: Wo waren Sie bei der Beratung des Haushaltes für 1971, bei der Beratung der mittelfristigen Finanzplanung? Sind Sie denn nicht die starke Frau für soziale Reformen, für die Sie sich nach außen im Lande ausgeben? Im Kabinett können Sie sich im Interesse der Familien offenbarnicht durchsetzen.
Entweder konnten Sie sich nicht durchsetzen oder Sie haben nicht den Willen dazu. Ich habe den Verdacht, daß Sie meinen, man könne auf Grund der Tatsache, daß man frühere Wertbegriffe oder Aussagen ablehnt und die Familie gesellschaftspolitisch einfach anders einordnet, das ganze Problem lösen. Wir müssen auch sehr deutlich aussprechen, es gibt nicht nur eine sachliche, sondern es gibt auch eine gesellschaftspolitische Verunsicherung der Familien, so daß sie sich fragen: Ist es überhaupt noch sinnvoll, Kinder in diese Welt zu setzen, sie mit einem Risiko aufzuziehen, das nicht nur materieller Art ist, sondern bei dem man befürchten muß, daß es in der Zukunft für den einzelnen noch größer wird. Ich möchte hier sehr deutlich sagen, daß mit dem, was Sie vorschlagen, keine Aufholung der Mehrkosten, auch nicht bei einer Familie mit drei oder mehr Kindern, möglich wird, ganz zu schweigen davon, daß das bei einer Familie mit fünf oder acht oder zehn Kindern auch nur annähernd möglich wäre. Selbst wenn man den nominell gestiegenen Lohn des Verdieners hinzurechnet, kommt noch nicht mehr heraus.Frau Minister, Ihnen ist sicher auch bekannt, daß bei Familien mit mehreren Kindern die Frau nicht berufstätig sein kann, sondern daß sie zu Hause bei den Kindern zu sein hat, weil die Familie sonst nicht zurechtkommt. Ich meine, wenn Sie vor ein paar Tagen im ganzen Land in Millionenauflage Ihren Slogan „Mehr Gerechtigkeit" von der Wahl 1969 wiederholt haben und wenn Sie hier diese bescheidene Verbesserung bei Zwei- und Dreikinderfamilien als mehr Gerechtigkeit ausgeben, dann möchte ich Ihnen sagen: Das ist keine soziale Politik, sondern sozialistische Politik, wo man letzten Endes nur gewillt ist, ein paar — —
— Meine Damen und Herren, es ist ja Ihre Sache, sich darüber zu ärgern.Vorhin hat Frau Kollegin Eilers über die erfreulich gute Atmopshäre gesprochen, die bei der JuniSitzung des Ausschusses für Jugend, Familie undGesundheit geherrscht hat. Frau Eilers, Sie haben den ersten Teil dieser Debatte erzählt, aber den zweiten leider nicht wiedergegeben; denn wir haben Sie vor harten Argumenten absolut verschont, weil wir glaubten, daß es überhaupt nicht denkbar ist, daß Sie selbst mit diesen Mini-Verbesserungen zufrieden sind, und weil wir hofften, daß Sie in der Fraktion mit der Frau Minister wesentliche Verbesserungen durchsetzen könnten. Aber Sie haben diese Verbesserungen — —
— Selbstverständlich, unerträglich! Natürlich ist es nach Ihrer Meinung unerträglich, wenn wir hier unsere Meinung sagen. Wenn Sie Ihre Meinung sagen, wenn Sie uns niederstimmen, dann ist es immer sehr erträglich, dann ist das immer mehr Demokratie. Selbstverständlich!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage es deswegen so deutlich, weil ich die Problematik der Familie auch aus einer eigenen Familie mit neun Kindern kenne und weil sich die meisten der anderen Familien hier nicht wehren können.Ein kleiner sachlicher Hinweis. Innerhalb des letzten Jahres, seit Antritt der Regierung Brandt/ Scheel, ist für jede Familie bei einer Mini-Rechnung von 150 DM Kosten je Kind und Monat eine Verschlechterung von 6 DM eingetreten. Man braucht, um wenigstens den Wohlstand vom vorigen Jahr zu halten, um 6 DM mehr. Wenn mit den 10 DM, die Sie anbieten, bei der Dreikinderfamilie 18 DM mehr gebraucht werden, so ist hier schon ein Minus vorhanden, das, wenn Sie es bis zu einer Zehnkinderfamilie hochrechnen, 50 DM allein in einem einzigen Monat ausmacht.Hier geht es nicht um Vergangenheitsbewältigung weit zurück, sondern darum, Sie auf das festzunageln, was im letzten Jahr geschehen ist und was Sie auf Grund einer schlechteren Politik, einer unsoliden Politik den Familien an Schaden zufügen, wobei Sie nicht einsehen wollen, daß Sie auch verpflichtet sind, diesen Schaden den Familien zu ersetzen, weil sie sonst am Wohlstand nicht teilnehmern können.
Frau Minister Strobel, Sie müssen Ihre Zahlen verbessern. Diese Bemerkung darf ich mir hier noch gestatten. Sie haben bei der letzten Rede hier er-erklärt, daß noch 1975 ein Geburtenüberschuß von 100 000 vorhanden sein werde, auch wenn die Geburtenrate noch weiter absinke. Sie sind weitgehend im Irrtum. Die Zahl tritt bereits 1971 ein, wenn sich wie 1970 und in den vorausgehenden Jahren die Kinderzahl in der Bundesrepublik verringert.Sicher, das hat nicht nur materielle, sondern vor allen Dingen auch ideelle Ursachen. Aber sie sollen erkannt werden. Ich meine, was dieser Deutsche Bundestag und die Bundesregierung mit materiellen Mitteln tun können, um die Situation der Familien zu verbessern, das muß getan werden, damit nicht im Volk der berechtigte Vorwurf entsteht, daß wir
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4143
Daschnicht einmal in der Lage waren, die materiellen Voraussetzungen für eine gute Familie in der gegenwärtigen Zeit zu schaffen.
Meine Damen und Herren, bevor ich in der Rednerliste fortfahre, habe ich hier eine angenehme Pflicht zu erfüllen. Ich beehre mich, eine Delegation der koreanischen Nationalversammlung unter Leitung ihres Vizepräsidenten Chang zu begrüßen.
Die Herren Kollegen aus Korea erwidern den Besuch einer Delegation des Deutschen Bundestages, die im Mai 1969 vom Präsidenten der koreanischen Nationalversammlung empfangen wurde. Ich darf Ihnen einen guten Aufenthalt in Deutschland und viele persönliche und sachliche Kontakte wünschen.
Wir fahren in der Rednerliste fort. Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Dasch hat soeben — das veranlaßt mich, noch einmal das Wort zu ergreifen — nach dem Motto „schwarz-weißer geht es nicht" — vielleicht hängt das etwas mit Ihrem Namen zusammen, Herr Kollege Dasch —
versucht, eine harte Auseinandersetzung über die Familienpolitik zu beginnen. Er hat Behauptungen aufgestellt, die nicht unwidersprochen bleiben können. Herr Kollege Dasch, ich hätte es für glücklicher gehalten, wenn Sie hier nicht mit Schlagworten wie „Familie auf unterem Wohlstandsniveau festhalten"
oder mit solchen Argumentationen wie „sachliche und gesellschaftspolitische Verunsicherung der Familien"
gearbeitet hätten. Sie wissen aus den Beratungen — ich weiß es auch aus den Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung; das muß noch einmal deutlich gemacht werden —, daß wir uns sehr sachlich und vernünftig unter Berücksichtigung der Möglichkeiten, die zur Zeit gegeben waren, über diese Fragen unterhalten haben. Es wäre für die notwendige gemeinsame Familienpolitik im Sinne des Beschlusses des Bundestages vom März 1969 sehr gut gewesen,
wenn man den bayerischen Wahlkampf bei der
Debatte über die Familienpolitik jetzt nicht plötzlich in den Deutschen Bundestag getragen hätte.
Herr Kollege Dasch, das gibt mir aber Gelegenheit,
noch einiges richtigzustellen. Ich möchte vor allem
eines richtigstellen, denn der Herr Kollege Köster versuchte vorhin schon, etwas anders darzustellen, als die Tatsachen wirklich waren. Meine Damen und Herren, es gibt erfreulicherweise den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 28. März 1969, in dem die Bundesregierung — insoweit stimme ich mit Ihnen völlig überein — aufgefordert wird, entsprechende Mittel in die mittelfristige Finanzplanung einzusetzen. Herr Kollege Dasch, wer aber war es denn, der das nicht getan hat, der diesem Auftrag nicht gefolgt ist? Das war doch der zur damaligen Zeit zuständige Finanzminister. Es war der Finanzminister Ihrer Fraktion und Ihrer Landesgruppe.
Metadaten/Kopzeile:
4144 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
— Meine Damen und Herren, ich bitte doch umRuhe, damit wir in der Beratung fortfahren können.Ich lasse nunmehr über den Art. 1 in der Ausschußfassung abstimmen. Er ist ja nicht verändert worden. Wer dem Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.Wir kommen zu Art. 2. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Art. 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.Wir kommen zu Art. 3 und den Änderungsanträgen Umdruck 75 und Umdruck 76 Ziffer 2. Der Änderungsantrag Umdruck 75 ist durch Frau Abgeordnete Stommel schon begründet worden. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Umdruck 75 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4145
Vizepräsident Dr. JaegerWir kommen damit zu dem Änderungsantrag Umdruck 76 Ziffer 2. Begründung und Aussprache sind bereits vorhin erfolgt. Niemand wünscht mehr das Wort. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 76 Ziffer 2 der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.Ich lasse nunmehr über Art. 3 im ganzen mit der soeben beschlossenen Änderung — Umdruck 75 — abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.Wir kommen zu den Artikeln 4 und 5 sowie der Einleitung und der Überschrift. Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.Wir treten nun in diedritte Beratungein. Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Regierungsfraktionen machen es sich zu einfach, wenn sie mit dem Blick zurück diskutieren und die bisherige Familienpolitik als nicht ausreichend bezeichnen.
Wenn Sie meine Damen und Herren von der Koalition, 2,8 Milliarden DM Kindergeld, 1,8 Milliarden DM Familienzuschläge im öffentlichen Dienst, 4,4 Milliarden DM steuerliche Freibeträge und 700 Millionen DM Zuschläge in den Rentengesetzen, also insgesamt eine Substanz von fast 10 Milliarden DM — und diese Gesetze wurden ab 1955 bei bescheidenen Haushalten mit einem Volumen von 50 oder 55 Milliarden DM beschlossen — als nicht ausreichend bezeichnen, wie wollen Sie dann die heutige Regierungsvorlage bezeichnen? Ich kann nur sagen: dann verdient diese Regierungsvorlage das Prädikat „total ungenügend".
Meine Damen und Herren, Sie haben die heutige Vorlage in Ihrer Presseverlautbarung als einen „Meilenstein" bezeichnet und der Opposition vorgeworfen, sie habe keine Deckungsvorschläge vorgelegt. Wir haben einen sehr redlichen Deckungsvorschlag gemacht. Wir haben vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen — das war keine einfache Sache —, statt der Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages und anstelle der Streichung der Ergänzungsabgabe die Kindergelder zu erhöhen. Das war ein sauberer Deckungsvorschlag der Opposition.
Sie haben nun die Vorlage zurückgezogen und von den Mehreinnahmen, die dadurch entstanden sind, nichts zur Anreicherung des Titels für die Kindergelder eingesetzt. Das ist ein Beispiel dafür, wie Sie Ihre Prioritäten setzen.
Meine Damen und Herren, das ist eine Frage der Prioritäten. Sie haben den Haushalt um 12% erhöht, Sie haben Werbeetats um 60 % und den Titel für das Kindergeld um etwas über 6 % erhöht. Das ist Ihre Antwort auf das gegebene Versprechen, das ist Ihre Antwort auf die von Ihnen gesetzte Priorität.
Auch familienpolitische Leistungen sind Investitionen für die Zukunft. Die Politik ist für den Menschen da, und der Mensch ist wichtiger als die Sache. Wir dürfen über alle produktiven Investitionen für die Zukunft nicht die Menschen vergessen.
Herr Professor Schellenberg, Anfang des Jahres hat der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung die CDU-Vorlage einstimmig beschlossen. Damit haben Sie ihr innerlich zugestimmt und ihre Berechtigung in aller Öffentlichkeit unterstrichen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt möchte ich auf die Ausführungen von Frau Eilers eingehen. Frau Eilers, ich bestätige Ihnen gern, daß das Klima im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit gut ist und wir uns bemühen, sachlich zu diskutieren. Deshalb war unsere Enttäuschung so groß, daß weder die Regierung noch Mitglieder der beiden Koalitionsfraktionen eine Antwort auf unseren konkreten Antrag und unsere saubere Begründung gegeben haben. Diese unsere Enttäuschung haben wir artikuliert. Das möchte ich noch einmal deutlich unterstreichen.Enttäuschend und verbitternd nennen die betroffenen Familien diese Kindergelderhöhung. Die Bundesregierung versprach mehr soziale Gerechtigkeit, und ich höre heute noch Herrn Professor Schellenberg, der gerade dieses Versprechen besonders unterstrichen hat. Frau Minister Strobel wirbt für eine rationale Familienpolitik und fordert ein an den Kosten orientiertes Kindergeld schon vom ersten Kind an. Herr Ministerialdirigent Dr. Kosmale geht noch weiter. Er bezeichnete in einem Interview mit der „Jugendpresse" ein Reformvorhaben als Zielvorstellung, das Kindergeld vom ersten Kind an, gleiches Kindergeld für alle Kinder und Orientierung der Leistungen an den Kosten noch in dieser Legislaturperiode vorsieht. Doch heute, wo ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung dieser Versprechungen getan werden könnte, fehlt es an Geld und gutem Willen. Welch ein Widerspruch! Herr Kosmale stellt bedenkenlos einen Milliardenwechsel auf die Zukunft aus, während die Regierung zur geichen Zeit Kindergeldverbesserungen anbietet, die nicht einmal die Kaufkraftverluste der Jahre 1970 und 1971 ausgleichen. Auch frühere Regierungen gaben
Metadaten/Kopzeile:
4146 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Burgerden Familien manchmal nur Brot ohne Butter. Sie aber sind dabei, nur noch Brosamen zu spenden.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler fühlt sich für die Vergangenheit nicht verantwortlich. Aber voll verantwortlich ist er doch für die Auswirkungen seiner Politik. Die Folgen der Preissteigerungen sind für jedes Kind meßbar. Sie liegen bei mindestens 12 DM für die Jahre 1970 und 1971, und dafür ist die jetzige Regierung den Familien verantwortlich. Verbale Versprechungen für die Zukunft sind leichtfertig, vor allem, wenn man diese mit der Mühsal der Beratungen über die heutige Vorlage vergleicht und genau weiß, welche gewaltigen mit Prioritäten ausgestatteten Ausgabenblöcke auf uns zukommen.Der Deutsche Bundestag hat am 28. März 1969 einhellig das Jahr 1970 für die Kindergelderhöhung bestimmt. Die Bundesregierung hat diesen sozialen Schwerpunkt finanziell ungenügend berücksichtigt. Deshalb schlug die CDU/CSU statt der Steuervergünstigung die Kindergelderhöhung vor. Nachdem die Entwicklung diese Alternative zerschlagen hatte, war die CDU/CSU bereit, weitergehende Zwischenlösungen zu suchen. Jedoch wurden, wie berichtet, alle Anträge im Ausschuß verworfen. Diese starre Haltung, meine Damen und Herren, entspringt sicherlich nicht nur einem finanziellen Notstand, sondern auch einer ideologischen Enge. Die Entscheidung, neben der Erhöhung der Einkommensgrenze für das zweite Kind nur 10 DM für das dritte zu geben und die größeren Familien auszuschließen, obschon die Preissteigerungen besonders die größeren Familien in Bedrängnis bringen, ist ein Widerspruch zu einem Kernsatz der Frau Familienminister, daß jedes politische Handeln grundsätzlich auf das Wohlergehen aller gerichtet sein muß.
Es geht uns nicht um Ideologien, sondern um Binsenwahrheiten. Bei den Familien mit mehreren Kindern ist das Einkommen pro Kopf geringer als bei anderen, so daß steigende Preise diese Familien als die sozial schwächsten besonders hart treffen. Es geht uns allein um die Angemessenheit der Hilfen. Niemand in der CDU/CSU ist gegen die Förderung der Zweikinderfamilien, denn jedes Kind hat einen Anspruch. Verbitterung lösen aber auch Äußerungen aus, die als Abwertung der Mehrkinderfamilien verstanden werden müssen. So begründete Frau Strobel die bevorzugte Behandlung der kleineren Familien kürzlich vor der Katholischen Akademie in Trier mit der Formel: Den Familien muß geholfen werden, ehe sie in die Subkultur absteigen. — Meine Damen und Herren, was soll diese Aggressivität gegen die kinderreiche Familie? Die Statistik zeigt doch, daß sich die heutigen Eltern hinsichtlich der Kinderzahl im allgemeinen rational verhalten und ihr Einkommen berücksichtigen. Es ist ein liebloses Gerede, zu sagen, Eltern wollten aus Bequemlichkeit nicht mehr Kinder. Junge Leute bejahen die Kinder; das ist durch Umfragen immer wieder bestätigt worden. Wenn trotzdem viele Einzelkinder und Kinderpärchen aufwachsen, so liegt das hauptsächlich an den kinderfeindlichen Bedingungen unserer industriellen Leistungsgesellschaft. Ihnen passen sich die einzelnen Elternpaare an. Dieser Trend kann und muß durch sinnvolle Hilfen korrigiert werden. Es ist dazu höchste Zeit. Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes wurden im Juli und August 136 000 Kinder geboren; das waren 14 000 oder 9,2 % weniger als im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres. Der Geburtenüberschuß geht ständig zurück. Im Internationalen Vergleich wird die Bundesrepublik vielleicht an die letzte Stelle unter den westlichen Ländern rücken.Auch die Unionsparteien wollen Familienpolitik vom Kinde und seinen Bedürfnissen her entwickeln. Ihr Sinn muß sein, die Entwicklungs- und Entfaltungschancen der Kinder zu verbessern, Startungleichheiten auszuräumen und die Funktionsfähigkeit der Familie zu sichern. Es wird Ihnen, Frau Minister, niemand widersprechen, wenn Sie mit Förderungen vom ersten Kinde an beginnen wollen. Wir sind aber dagegen, daß Sie die Leistungen mit dem dritten Kind enden lassen wollen. Die gesteigerten Sorgen der größeren Familien müssen angemessen berücksichtigt werden. Nicht ein Familienmythos, sondern Einsicht in die Realitäten zwingt uns, nachdrücklich auf diese Verpflichtung hinzuweisen.Meine Damen und Herren! Ich darf für meine Fraktion folgendes erklären. Die CDU/CSU-Fraktion hält die Erhöhung der Kindergelder in dem heute zu beschließenden Gesetz für ungenügend. Sie bedauert, daß ihr Finanzierungsvorschlag für die größere Lösung — statt Steueränderungsgesetz Erhöhung der Kindergelder — nicht realisiert werden konnte. Sie bedauert ferner, daß die Haushaltsansätze aus dem Finanzplan des Bundes von 1969 bis 1973 für das Kindergeld um 240 Millionen DM gekürzt wurden, obwohl bekannt war, daß durch steigende Zahlen von Gastarbeitern auch die Zahl der anspruchsberechtigten Kinder steigt. Die Fraktion ist enttäuscht, daß alle Anträge im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der kleinsten Mehrheit abgelehnt wurden. Die CDU/CSU wird ihren Gesetzentwurf erneut einbringen, wonach an Stelle der Änderung der Steuergesetze die Kindergeldverbesserungen vorzunehmen sind. Die CDU/CSU-Mitglieder der Ausschüsse werden jede Gelegenheit wahrnehmen, Möglichkeiten der Mittelbeschaffung zur Verbesserung des Kindergeldes vorzuschlagen. Diese soziale Aufgabe hat für ,die CDU/CSU Priorität.Die Fraktion glaubt ihren Mitgliedern Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf empfehlen zu müssen. Ich persönlich werde gegen diese Regierungsvorlage stimmen, weil man die, die am meisten betroffen sind, ausgeschlossen hat und weil auch durch mancherlei Äußerungen eine zynische Abwertung der kinderreichen Familien erkennbar geworden ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4147
BurgerIch werde auch deshalb dagegen stimmen, weil bei den Fraktionen — von einzelnen Mitgliedern abgesehen — keine Bereitschaft vorhanden war, auch nicht in Ansätzen, im Interesse der Kinder in dieser Frage mit der CDU/CSU zu stimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gebe ich vor der Schlußabstimmung über das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes folgende Erklärung ab.Von den Verbesserungen dieses Gesetzes werden ab 1. September 1970 rund 2,5 Millionen Kinder betroffen.
Der Finanzmehrbedarf beträgt jährlich rund 400 Millionen DM. Meine Fraktion begrüßt es besonders, daß durch die Anhebung der Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld rund 670 000 Kinder neu in die Förderung durch das Bundeskindergeldgesetz kommen. Dies sind, auch wenn man noch so sehr herumdiskutiert und sich auch noch bessere Lösungen vorstellen kann, Leistungen, die sich durchaus sehen lassen können. Man muß nämlich wissen, daß seit 1964 alle Kindergeldleistungen stagnieren und daß die Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld seit 1965 unverändert bei 650 DM liegt. Erst diese Regierung hat Leistungsverbesserungen eingeplant, wie es in der Regierungserklärung angekündigt wurde.
Hat man eigentlich vergessen, daß in der letzten mittelfristigen Finanzplanung vor dem Regierungswechsel unter der Verantwortung eines CDU-Kanzlers und der Ressortminister Strauß und Heck erst für 1972 Verbesserungen in Höhe von 200 Millionen DM vorgesehen waren? Die Forderung des 5. Deutschen Bundestages, bei der Fortschreibung der Mifrifi dafür Sorge zu tragen, daß die für 1972 vorgesehenen Verbesserungen des Kindergeldes schon im Laufe des Jahres 1970 wirksam werden sollen, haben wir erfüllt, ja sogar übererfüllt, denn der Ansatz für 1971 wurde verdoppelt.Daß die Opposition das von uns ausgewiesene Finanzvolumen respektiert hat, beweist der Gesetzentwurf vom 25. November 1969, der den jährlichen Mehraufwand durch die Anhebung des Kindergeldes ab drittem Kind auf knapp 400 Millionen DM beziffert und unter Hinweis auf den Beschluß vom 28. März 1969 als Deckung die Fortschreibung der Finanzplanung fordert. Insoweit waren sich also, was die Höhe des Finanzvolumens betrifft, alle Fraktionen zunächst einig: 400 Millionen DM war 1969 das Volumen. Erst die Überlegungen der Regierung und der Koalition, die zusätzlichen 400 Millionen DM je zur Hälfte den einkommensschwachen Zweitkinderfamilien durch Erhöhung der Einkommensgrenze und schwerpunktmäßig den Dreikinderfamilien durch Verbesserung des Drittkindergeldes zukommen zu lassen, hat zu den Auseinandersetzungen geführt.Klar und deutlich muß man hier sagen: Wer gleichzeitig die Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld erhöhen oder beseitigen will und außerdem noch alle anderen Leistungen verbessern will, kommt mit den Ansätzen nicht aus, er muß Haushaltsplan und Finanzplanung verändern, d. h. die Ansätze erhöhen. Dies will aber, wie die Diskussionen der letzten Monate gezeigt haben, die Opposition auch nicht, denn sie hat ja bei den Etatberatungen immer wieder Kürzungen und Einschränkungen vorgeschlagen und Maßhalteappelle losgelassen. Also muß es bei diesem Volumen bleiben, und auf diesem Hintergrund halten wir die vorgeschlagene Lösung für die gerechteste. Das hat nichts mit einer Aversion gegen kinderreiche Familien zu tun, wie uns heute hier wieder unterstellt worden ist.Wie ernst übrigens die Opposition ihre Anträge nimmt, Herr Kollege Burger, können Sie daran ersehen, daß über 50 Ihrer Fraktionskollegen heute bei dieser Abstimmung gar nicht anwesend waren.
Wer vom Kindergeld spricht, darf eine andere gemeinsam geschaffene Leistung nicht vergessen, nämlich die Ausbildungsförderung. Wir betrachten sie als eine wesentliche bildungspolitische Förderungsmaßnahme, die aber auch familienpolitisch von großer Bedeutung ist. Es ist mir unverständlich, daß man, besonders nach der Streichung der Ausbildungszulage, überall die Ausbildungsförderung lautstark und zu Recht forderte, sie jetzt aber, da sie wirksam wird, als Hilfe und Entlastung für die Familien, zum Teil nicht zur Kenntnis nehmen will. Wir werden 1971 im Bundesausbildungsförderungsgesetz, in dem die Studienförderung nach dem Honnefer Modell mit eingeschlossen ist, weitere Verbesserungen der Ausbildungsförderung vornehmen.Diese Regierung und die sie tragende Koalition werden nach der mittelfristigen Finanzplanung 1971 bis 1974 675 Millionen DM für das Kindergeld und 910 Millionen DM für die Ausbildungsförderung mehr ausgeben. Das sind insgesamt 1,585 Milliarden DM. Die Gesamtausgaben in dieser Finanzplanung belaufen sich auf rund 21 Milliarden DM. Das sind doch Leistungen, die sich sehen lassen können, die man nicht wegdiskutieren kann und die wir uns von der Opposition auch nicht miesmachen lassen.
Dabei ist dies — auch das muß man ganz klar sagen — nur ein Übergang zu einer von uns angestrebten großen Reform des Familienlastenausgleichs. Diese Reform wird in dieser Legislaturperiode kommen. Wer heute die Ankündigung als untaugliches Trostpflaster abtun will, wird sehen,
Metadaten/Kopzeile:
4148 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Hauckdaß wir dieses zweifellos sehr schwierige Werk schaffen werden.Unser Ziel bleibt die Harmonisierung der indirekten Leistungen, also der Steuerfreibeträge, und der direkten Leistungen, des Kindergeldes. Wir werden dabei alle Gesichtspunkte berücksichtigen und überdenken. Grundlage bleibt für uns, daß ab dem ersten Kind Kindergeld gezahlt wird, daß es keine Einkommensgrenzen gibt, daß das harmonisierte Kindergeld höher sein muß und daß man es dann den steigenden Lebenshaltungskosten ständig anpassen sollte.Daß diese neue Bundesregierung bis zu dieser großen Reform auch Leistungsverbesserungen auf anderen Gebieten beschließt, möchte ich abschließend an einigen Beispielen verdeutlichen. Wir beschließen heute noch in diesem Haus das Wohngeldgesetz, nach dem vor allem die Familien der unteren und der mittleren Einkommensschichten verstärkt gefördert werden.
Außerdem unternimmt die Bundesregierung große finanzielle Anstrengungen, um den notwendigen Wohnungsbedarf für die Familien sicherzustellen. In der Vermögensbildung werden durch das Zulagesystem kinderreiche Familien besonders begünstigt. Heute werden wir erstmalig gesetzlich festlegen, daß Kinder bis zu 4 Jahren einen Anspruch auf Vorsorgeuntersuchungen haben. In der ersten Lesung wird heute das Gesetz über die Unfallversicherung der Schulkinder und Studenten behandelt. Es liegt ein Gesetzentwurf vor, der die Verheiratetenklausel in allen Gesetzen beseitigt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies sind nur einige Beispiele, die aufzeigen, daß diese Bundesregierung die in den zurückliegenden Jahren vernachlässigte Familienpolitik entscheidend aktiviert.
Dies sagte auch der Bundeskanzler den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienverbände,
die ihm am 20. Juli in einem persönlichen Gespräch ihre Sorgen vorgetragen haben. Es war eine offene und faire Aussprache, die der Bundeskanzler mit den Familienverbänden geführt hat und in der der Bundeskanzler zusagte, daß die Regierung bemüht sein werde, den Stellenwert der Familie zu heben, um familienpolitisch noch in dieser Wahlperiode einen guten Schritt weiterzukommen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird die Bundesregierung bei diesen Bemühungen tatkräftig unterstützen. Die heute zu verabschiedenden Verbesserungen des Kindergeldes sind ein Anfang, den wir mit der Reform des Familienlastenausgleichs noch in dieser Legislaturperiode abschließen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der freidemokratischen Fraktion dieses Hauses darf ich meinen beiden Vorrednern aus der Sicht der Freien Demokraten in der dritten Lesung noch einige zusätzliche Gedanken zur Familienpolitik generell nachsenden. Ich habe es sehr begrüßt, daß der Kollege Burger hier ein so familienfreundliches Programm der CDU/CSU vorgelegt hat. Ich habe mich allerdings sehr über das Abstimmungsergebnis gewundert: wie die Dinge dann aussehen, wenn es zum Schwure kommt. Wir jedenfalls, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehen in diesem—
— Entschuldigen Sie, Frau Kollegin Kalinke, soll ich die Zahlen noch einmal bekanntgeben, damit es in diesem Hause deutlicher wird, daß die Regierungsfraktionen fast geschlossen hier waren, daß aber leider von Ihrer Fraktion bei der Abstimmung über einen Ihrer Anträge 60 Kollegen fehlten?
— Herr Kollege Rösing, ich habe nur festgestellt, daß ich mich über das Programm des Kollegen Burger gefreut habe, und bedauert, daß es leider Gottes bei der Abstimmung bei Ihnen anders aussah.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Freien Demokraten begrüßen es jedenfalls, daß mit dem nunmehr hier erfreulicherweise fast einstimmig — mit einigen Gegenstimmen, Herr Kollege Burger zu verabschiedenden Gesetz eine Übergangsregelung gefunden ist, die endlich einmal die seit den Jahren 1964 und 1965 bestehenden Regelungen etwas anpaßt. Das ist zweifellos noch keine familienpolitische Glanzleistung. Über die Gründe da- für ist bereits heute und in den letzten Monaten genug gesagt worden. Daß im Volumen nicht mehr möglich war, darüber wollen wir jetzt nicht noch einmal diskutieren. Sie kennen die Gründe sehr genau; ich habe dazu bereits einiges gesagt.Wir begrüßen es, daß eine große Zahl von Kindern bzw. Familien erneut in die Kindergeldzahlungen einbezogen wird. Wir begrüßen es vor allem, daß die Einkommensgrenze bei den Zweikinderfamilien erheblich angehoben wurde, weil wir seit Jahren in vielen Debatten darauf hingewiesen haben, daß wir diese Einkommensgrenze für eine sehr ungute Sache im Rahmen der Kindergeldregelung halten.Wir begrüßen es darüber hinaus, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Regierungsfraktionen sich bezüglich des Kindergeldes von den gleichen Vorstellungen von einem vernünftigen Ziel der Familienpolitik leiten lassen, nämlich eine gleiche Leistung vom ersten Kind an in einer Größenordnung, die mindestens dem entsprechen muß, was
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4149
Schmidt
bisher über Steuer und auf andere Weise insgesamt als Höchstsumme gewährt worden ist. Daß das kein Weg von heute auf morgen sein kann, daß das nur im Rahmen der Finanzzahlen möglich ist, die auch der Kollege Hauck hier angeschnitten hat, daß dabei die Steuerreform mit in die Überlegungen einbezogen werden muß, all das darf ich nur andeuten. Jedenfalls sehen wir das als unser Ziel an, und wir sind der festen Meinung, daß es im Rahmen dieser Regierungskoalition möglich sein wird, dieses Ziel anzustreben und weitgehend zu realisieren. Wir wären weiter, wenn die Dinge in den letzten Jahren nicht stagniert hätten — nicht mit Schuld der FDP.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließen. Der Kollege Hauck hat mit Recht darauf hingewiesen, hier stehen heute noch eine Reihe von Punkten an, unter denen weitere familienpolitische Maßnahmen, die von dieser Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen vorgelegt und beschlossen worden sind, in die Beratung oder zur Verabschiedung gegeben werden. Ich glaube, daß gerade diejenigen, die aus den Familienverbänden mit ihren Sorgen aufmerksam auf den Deutschen Bundestag schauen, sagen können, daß der heutige Tag auf Grund der Verabschiedung verschiedener Gesetzentwürfe zur Familienpolitik einer der besten Tage im familienpolitischen Sinne bisher war, den wir im Bundestag dank dieser Bundesregierung und dank der sie tragenden Fraktionen erlebt haben.
Das Wort hat Frau Bundesminister Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vor einem Jahr das Kindergeldrecht in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit übernahm, war mir bewußt, wie sehr das Kindergeldrecht und damit der Familienlastenausgleich allgemein im argen liegen.Seit 1965 ist am Leistungssystem des Bundeskindergeldgesetzes nichts mehr geändert worden. Die Behebung der strukturellen Mängel des Familienlastenausgleichs ist aber nur bei einer grundlegenden Reform möglich. Jedermann weiß, daß diese Reform im ersten Jahr der neuen Bundesregierung nicht möglich war, vor allem auch deswegen, weil sie nur im Zusammenhang mit der Steuerreform durchzuführen ist. Dies hat der Herr Bundeskanzler bereits bei der Regierungserklärung im Oktober 1969 gesagt. Die Bundesregierung beabsichtigt, die Reform so vorzubereiten, daß die Verabschiedung durch den Bundestag noch in dieser Legislaturperiode möglich ist.Meine Damen und Herren, ich gehe weiter davon aus, daß es unvertretbar gewesen wäre, die mittelfristige Finanzplanung des früheren Bundesfinanzministers zu übernehmen, ihr zu folgen und damit das Leistungssystem des Bundeskindergeldgesetzesbis 1972 völlig unverändert zu lassen. Damit hätte man auch in Kauf nehmen müssen, daß Jahr für Jahr mehr Familien mit zwei Kindern aus dem Bezug des Zweitkindergeldes hinauswachsen und daß der Realwert des Kindergeldes sinkt. Diejenigen, die davon betroffen sind, haben hierfür um so weniger Verständnis, als die dem Kindergeldgesetz vergleichbaren Leistungen für Kinder von Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder Sozialversicherungsrentnern regelmäßig den veränderten Lebenshaltungskosten angepaßt worden sind. Daher hat diese Bundesregierung Mittel zur Verbesserung des Kindergeldes nicht erst für das Jahr 1972, sondern bereits für dieses erste Jahr ihrer Amtszeit eingeplant.
Ich bin mir natürlich bewußt, daß wir dafür ein viel größeres Volumen im Haushalt hätten brauchen können. Meine Damen und Herren, man sollte aber doch anerkennen, daß noch im Haushalt 1970 137 Millionen DM und ab 1971 411 Millionen DM für Kindergeldverbesserungen verwendet werden. Setzt man diese Beträge ins Verhältnis zum bisherigen Kindergeldaufwand, so sieht man, daß eine Ausweitung des bisherigen Kindergeldvolumens um 14% erfolgt. Das ist eine Ausweitung, die doch erheblich zu Buche schlägt.Man muß dabei auch berücksichtigen, daß neben den Kindergeldverbesserungen — das ist auch schon von meinen Vorrednern gesagt worden — eine ganze Reihe Verbesserungen gerade auch für die Familien mit mehr Kindern in anderen Gesetzen erfolgen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an den Ausbau der Ausbildungsförderung, an die Verbesserung des Wohngeldrechts, an die Vermögensbildung, an die Verheiratetenklausel, an die Unfallversicherung. Und, meine Damen und Herren, lassen Sie mich, ohne daß ich jemand etwas vorwegnehmen will, auch sagen, daß es eine große Befriedigung für den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit ist, daß erstmalig dieses Haus heute, und zwar durch die Initiative der Fraktionen, Gesundheitsvorsorge für Säuglinge und Kleinkinder beschließt.Meine Damen und Herren, ich hatte mir fest vorgenommen, diese Auseinandersetzung von Polemik freizuhalten. Ich will versuchen, das auf alle Fälle durchzuhalten. Ich kann aber nicht darauf verzichten, wenigstens auf einige sehr billige Äußerungen, den verehrten Kollegen von der CDU/CSU, kurz zu antworten. Herr Baier, Sie wissen sowohl aus dem Haushaltsausschuß als auch aus dem Fachausschuß, daß die Bundesanstalt für Arbeit uns mitgeteilt hat, daß die Anforderungen an das Kindergeld-Gesamtvolumen in diesem Jahr mehr gestiegen sind, als man voraussehen konnte, und daß die von Ihnen genannten Beträge aus diesem Grunde für eine Verbesserung leider nicht zur Verfügung stehen.Ich muß auch auf den Vorhalt antworten, daß ich in der genannten Ausschußsitzung nicht lange genug anwesend gewesen wäre. Meine Damen und Herren, es ist jedermann in diesem Hause bekannt, daß diese Ausschußsitzung für den Vormittag angesetzt
Metadaten/Kopzeile:
4150 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bundesminister Frau Strobelwar, wegen wichtiger Punkte in der Plenardebatte aber auf den Nachmittag verlegt werden mußte. Ich hatte mehrere Konferenzen über wichtige Gesetze, zu denen auch Fachleute, z. B. aus Berlin, angereist waren, auf dem Terminplan. Ich hatte außerdem ein seit langem anberaumtes Gespräch mit dem kanadischen Jugendminister. Mit dem Herrn Vorsitzenden des Ausschusses hatte ich vereinbart, daß ich in der Sitzung von 15 bis 16 Uhr anwesend bin. Den anderen Besprechungen konnte ich mich dann aber nicht entziehen .So viel dazu.
Eine Zwischenfrage.
Frau Minister, können Sie mir bestätigen — vielleicht läßt sich das aus den Protokollen entnehmen —, daß wir z. B. in den zwölf Jahren meiner Zugehörigkeit zum Ausschuß kaum das Vergnügen gehabt haben, Minister — mit Ausnahme von Herrn Wuermeling — im Ausschuß zu sehen, während wir von Ihnen sagen können, daß Sie im Ausschuß sehr häufig anwesend gewesen sind?
Frau Kollegin, ich habe dem Ausschuß nicht angehört, aber aus den Protokollen ist bestimmt ersichtlich, wann der Minister anwesend war. Ich bemühe mich jedenfalls, so oft wie möglich anwesend zu sein.
Meine Damen und Herren, im ersten Teil der Aussprache wurde darauf hingewiesen, daß beim Kindergeld für Zweitkinder seit 1961 nichts mehr geschehen ist. Das ist richtig. Ich muß Sie dann aber daran erinnern, daß diese Bundesregierung im ersten Jahr ihrer Amtszeit das nachholt, was Sie, meine Damen und Herren, in neun Jahren eben nicht getan haben.
Ich muß Sie auch daran erinnern, daß Ihr erster Gesetzentwurf, den Sie eingebracht haben
— lassen Sie mich bitte meinen Satz zu Ende sprechen —, nur die Erhöhung des Kindergeldes für Idas dritte und jedes weitere Kind vorsah und daß Sie zur Einbeziehung der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld erst durch ,den Regierungsentwurf veranlaßt worden. sind. Sie haben dann erst gleichgezogen. Auch das muß man, meine ich, hier einmal sagen.
Eine weitere Zwischenfrage.
Frau Minister, Ihnen sind meiner Meinung nach einige Unrichtigkeiten unterlaufen.
Erstens. Stimmt es, daß auch der Regierungsentwurf keine Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind vorsieht?
Meine zweite Frage lautet: Stimmt es, daß unser Gesetzentwurf, der vorsah, das Zweitkindergeld von 25 DM auf 35 DM zu erhöhen, vor Ihrem Entwurf im Bundestag eingebracht wurde?
Herr Köster, unser Gesetzentwurf sieht eine wesentliche Erhöhung der Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld vor, nämlich von 650 DM bereinigtes Einkommen auf 1100 DM bereinigtes Einkommen. Weil 690 000 Familien davon betroffen sind, kostet dies so viel, daß darüber hinaus eine Erhöhung des Kindergeldsatzes nicht mehr möglich war. Das zu Ihrer ersten Frage.
Zu Ihrer zweiten Frage. Bevor die Regierung hier einen Entwurf einbringen kann, muß er erst an den Bundesrat gehen. Er wird natürlich auch vorbesprochen. In dem Augenblick, da gesagt wurde, daß wir die Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld erhöhen wollen, haben Sie Ihren Entwurf geändert.
Sie sind dann sogar darüber hinausgegangen — das ist richtig —; Sie wollten sogar eine Erhöhung des Kindergeldsatzes. Sie haben das dann aber wieder zurückgezogen, weil Sie keinen Deckungsvorschlag machen konnten.
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Frau Minister, ist Ihnen in Erinnerung, daß Sie am Freitag, dem 5. Juni 1970 — neun Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen —, im Finanzausschuß die aus der damals vom Finanzministerium beantragten Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrags frei werdenden Beträge in Höhe von 1 Milliarde DM nicht zur Kindergelderhöhung verwendet haben wollten?
Herr Kollege, was heißt hier „haben wollten" ? Sie beweisen mit Ihrer Frage nur, daß ich nicht nur im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, sondern auch im Finanzausschuß bei der Beratung von Kindergeldfragen anwesend war.
Eine weitere Zwischenfrage.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich wollte festgestellt haben, ob Sie mir darin zustimmen, daß Sie sich am 5. Juni 1970 im Finanzausschuß dagegen gewehrt haben, die vom Finanzministerium angeblich zur Aufstockung des Arbeitnehmerfreibetrages und zur teilweisen Besei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4151
Otttigung der Ergänzungsabgabe vorgesehenen, aber dann frei werdenden Mittel zur Erhöhung des Kindergeldes zu benutzen, und zwar mit der Begründung, daß unter den Arbeitnehmern auch einige kinderreiche Familien seien. Das wären die Mittel gewesen, die Sie nicht haben.
Herr Kollege, ich vertrete überall die Regierungspolitik. Ich gehöre diesem Kabinett an, und dieses Kabinett treibt — das ist eben bewiesen worden — in allen Bereichen eine familienfreundliche Politik.
Man kann Familienpolitik nicht allein als Kindergeldpolitik und nicht als eine Ressortangelegenheit betrachten. Man muß sehen, daß den Familien auf allen Gebieten geholfen wird. Dies tut diese Regierung, dies tun diese beiden Fraktionen wie keine andere Regierung zuvor.
Ich bitte darum, mir nunmehr zu gestatten, meine Ausführungen zu beenden. Wir haben heute noch eine ganze Reihe wichtiger Gesetze zu beraten.
Auch außerhalb des Parlaments — das wollte ich noch sagen — haben sich viele darum bemüht, die Mittel für die Kindergeldgesetzgebung aufzustocken, um weitere Verbesserungen auf dem Gebiet des Kindergeldes zu erreichen. Das ist verständlich; ich möchte das ausdrücklich betonen. Ich meine aber, daß bei manchen die Art und Weise, in der das geschehen ist, nicht frei von Polemik war.Ich möchte, um dieser Auseinandersetzung ein bißchen die Schärfe zu nehmen, etwas zur Erheiterung beitragen, so ernst diese Angelegenheit sonst auch ist. Ich möchte ein Beispiel erwähnen, bei dem die Kritiker aus lauter Lust, gegen die Regierungskoalition zu polemisieren, den Boden der naturwissenschaftlichen Tatsachen unter den Füßen verloren haben. In der September-Nummer der Zeitschrift „Die Familie" — dies ist das Organ des Deutschen Familienverbandes — heißt es:Der Bayern-Kurier rügt in seiner Ausgabe vom 29. August 1970 ausdrücklich den Mißerfolg der Bonner Regierungskoalition auf dem Gebiet der Familienpolitik, der zur Geburten-Katastrophe des ersten Halbjahres 1970 geführt habe.
Hiernach soll die Regierungspolitik, die seit Herbst 1969 betrieben worden ist, also bereits vor Ablauf von neun Monaten zu einer Geburtenkatastrophe geführt haben!
Da ich den Urheber dieser neuesten Erkenntnis „aufklären" wollte, habe ich in der Ausgabe des „Bayern-Kurier" vom 29. August 1970 nachgesehenund festgestellt, daß ein solcher Unsinn dort nicht behauptet wird.
Sie sehen, wir erwähnen den „Bayern-Kurier" sogar in dieser Beziehung. Ich werde jetzt wohl etwas zur Aufklärung der Redakteure der Zeitschrift „Die Familie" unternehmen müssen, sonst flattert in deren Blätterwald eines Tages noch der Klapperstorch!
In der Diskussion um die jetzt vorzunehmenden Kindergeldverbesserungen ist häufig der absolute Vorrang einer Erhöhung der Kindergeldsätze gefordert worden. Hierzu kann man sich natürlich auf die Entschließung des 5. Deutschen Bundestages vom 28. März 1969 berufen. Ich glaube, man muß hier auch einmal sagen: Man übersieht dabei, daß schon viel länger, auch in diesem Hause, die gleichwertige Forderung nach Beseitigung der für das Zweitkindergeld geltenden Einkommensgrenzen besteht und noch immer nicht erfüllt ist. Diese Forderung wird jetzt wenigstens zu einem Teil erfüllt. 1965 wurde allerdings mit dem Abbau dieser Grenzen dadurch begonnen, daß man die Familien mit mehreren Kindern aus der Einkommensgrenze für die Zweitkinder herausnahm.Ein weiterer Schritt in Richtung auf den Abbau ist jetzt geboten. Sie haben ihn in Übereinstimmung mit der Bundesregierung durch die schnelle Behandlung in den Ausschüssen, für die ich Ihnen besonders danke, möglich gemacht. Sie haben sich darüber hinaus in den Ausschüssen zweier wichtiger sozialpolitischer Forderungen angenommen, deren Lösung bei der Einbringung der Regierungsvorlage übrigens noch nicht reif war: der Erweiterung des Pflegekindbegriffs und der Regelung des Konkurrenzverhältnisses zwischen der Kindergeldkasse und den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung beim Rückgriff auf nachträglich gewährte Sozialversicherungsrenten. Die dazu von Ihnen getroffenen Entscheidungen dienen sowohl der gerechteren Gestaltung unserer Sozialordnung als auch der Beseitigung von Unklarheiten, die der Praxis sehr viel zu schaffen gemacht haben und oft zu Lasten des einzelnen Bürgers gegangen sind.Dafür, daß die Auszahlung der Erhöhung für die Drittkinder noch in diesem Jahr erfolgen kann, obwohl die Beschlüsse erst heute gefaßt werden können, danke ich sowohl den Ausschüssen als auch der Bundesanstalt für Arbeit und dem Finanzminister. Ich muß aber auch erwähnen, daß die Zwei-KinderFamilien, die infolge der Erhöhung der Einkommensgrenze nach diesem Gesetz Kindergeld für das zweite Kind bekommen, dieses Kindergeld nicht mehr in diesem Jahr ausbezahlt bekommen können, sondern daß die Auszahlung erst nächstes Jahr erfolgt.Trotz der sicher scharfen Auseinandersetzungen hoffe ich, daß wir eine gute Zusammenarbeit in den Ausschüssen zwischen der Bundesregierung und allen Fraktionen bei den vielen noch anstehenden
Metadaten/Kopzeile:
4152 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bundesminister Frau Strobelgrößeren Gesetzgebungsvorhaben auf dem Gebiet der Familien- und Jugendpolitik haben werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Schlußabstimmung.
Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit empfiehlt in seinem Antrag unter Nr. 1, den Gesetzentwurf anzunehmen. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Gegenstimmen und bei einigen Enthaltungen angenommen.
Der Ausschuß beantragt ferner, die Gesetzentwürfe Drucksachen VI/86 und VI/903 für erledigt zu erklären. Wir müssen dabei in der Form vorgehen, daß ich nunmehr diese Anträge in zweiter Lesung aufrufe.
Ich rufe in zweiter Lesung auf den Antrag Drucksache VI/86, Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! —
— Es scheint eine Verwirrung zu bestehen.
— Meine Damen und Herren, bewahren wir unsere Ruhe. Es geht dann viel, viel besser.
Der Ausschuß beantragt, diese beiden von mir aufgerufenen Anträge für erledigt zu erklären. Das geschieht in der Weise, daß ich jetzt in zweiter Beratung diese Anträge aufrufe und Sie, meine Damen und Herren, ja oder nein dazu sagen können.
Ich rufe also auf den Antrag Drucksache VI/86, Art. 1, Art. 2, Art. 3, — Einleitung und Überschrift.
— Wortmeldungen? — Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. Wer diesen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift in zweiter Beratung zustimmen will, der möge das Handzeichen geben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Damit ist der Antrag erledigt.
Ich rufe nunmehr den Entwurf Drucksache VI/903 Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! -- Mit Mehrheit abgelehnt. Damit sind diese Punkte erledigt.
Ich muß noch abstimmen lassen über Ziffer 3 des Ausschußantrages, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer einverstanden ist, gebe das Handzeichen. — Angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung
— Drucksache VI/ 1130 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/... — Berichterstatter: Abgeordneter ...
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen VI/ 1297, zu VI/ 1297
Berichterstatter: Abgeordneter Killat-von Coreth
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung der Krankenversicherungsreform
– Drucksache VI/726 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen VI/ 1297, zu VI/ 1297
Berichterstatter: Abgeordneter Killat-von Coreth
Zunächst Punkt 3 a). Ich erteile dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Killat-von Coreth, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Ich bitte, in dem Ausschußbericht in Art. 4 § 4 — das ist die übliche Berlin-Klausel eine Ergänzung vorzunehmen. Bei der Verabschiedung der Vorlage im Ausschuß ist übersehen worden, daß in § 181 a auch eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung für weitere Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten vorgesehen ist. Deshalb ist § 4 durch folgenden zweiten Satz zu ergänzen:Rechtsverordnungen, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen werden, gelten im Lande Berlin nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes.Ich bitte den Herrn Präsidenten, diese notwendige Ergänzung bei der Beschlußfassung mit aufzunehmen.Meine Damen und Herren! Ich halte es wegen der großen Bedeutung, die dieses Gesetz zur Weiterentwicklung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat, für angemessen, noch einige Bemerkungen zum sachlichen Gehalt dieses Gesetzes zu machen.Nach einigen materiellen Veränderungen und Verbesserungen im Bereich des Krankengeldes und der Mutterschaftsleistungen gibt es zwei Fragenkomplexe, die für die Weiterentwicklung des Rechtes in der Krankenversicherung von gravierender Bedeutung sind.Der erste Komplex umfaßt die Gleichstellung der Angestellten mit den übrigen Arbeitnehmern. Nach
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4153
Killat-von Corethder gesellschaftspolitischen und auch sozialrechtlichen Gleichstellung von Arbeitern mit Angestellten durch die Lohnfortzahlung in der letzten Legislaturperiode werden nunmehr die bis jetzt noch bestehenden materiellen wie auch sozialrechtlichen Benachteiligungen für rund 7 Millionen Angestellte beseitigt. Mit der Verabschiedung dieser Ausschußvorlage erhalten alle Angestellten unabhängig von. der Höhe ihres Einkommens den 50%igen Arbeitgeberzuschuß.Mit der Anbindung der Krankenversicherungspflichtgrenze in einer Höhe von 75% an die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung — ab 1. Januar 1425 DM — entfällt in Zukunft der ständig im Parlament entstandene und entbrannte Streit über die Notwendigkeit und die Höhe der bisher statisch gehaltenen Grenze.Weiter ist bedeutsam, daß in Zukunft auch die Berufsanfänger unter den Angestellten, unabhängig von der Höhe ihrer Einkommen, auch wenn das Einkommen die Versicherungspflichtgrenze überschreitet, innerhalb von drei Monaten nach Berufsantritt die Möglichkeit erhalten, sich zu entscheiden, ob sie in einer gesetzlichen oder in einer privaten Krankenversicherung ihren sozialen Schutz erwerben wollen. Diese grundsätzliche Neuordnung, die allen Angestellten einen unabdingbaren Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß sichert und ihnen erstmals die Wahlfreiheit bei Berufsbeginn gibt, über die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Einrichtung zu entscheiden, macht es aus Gründen der Gleichbehandlung notwendig, daß wir für einen Übergangszeitraum von drei Monaten auch allen übrigen Angestellten, die bisher nicht die Möglichkeit hatten, in eigener Verantwortung zu entscheiden, die Wahlfreiheit geben, ob sie den Krankenversicherungsschutz für sich und ihre Familie in einer gesetzlichen Krankenversicherung oder in einer privaten Versicherung finden wollen.Nun zu dem zweiten wichtigen Fragenkomplex in diesem Gesetz. Erstmals werden Vorsorgemaßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten als Pflichtleistung in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt.
— Darüber werden wir noch in der Auseinandersetzung sprechen. Das kann ich jetzt nicht als Berichterstatter. — Damit wird ein bedeutsames, und ich darf wohl auch sagen: neues Kapitel der modernen Gesundheitssicherung begonnen. Der Vorsitzende des Sonderausschusses für Vorsorge und Früherkennung, Professor Jahn, hat bei der Anhörung der Sachverständigen die Feststellung getroffen, daß die Bundesrepublik mit dieser vorgesehenen Lösung und mit den Leistungen, die zur Vorsorge und Früherkennung in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt werden, an die Spitze in Europa treten wird. Im Laufe der Beratungen hat der Ausschuß die Sachverständigen dieser Kommission gehört, die ja bereits von der Bundesregierung eingesetzt worden ist, um das Recht in der Krankenversicherung weiterzuentwickeln. AufGrund der Ausführungen dieser Sachverständigen und des Materials dieses Sonderausschusses, aber auch auf Grund der fachkundigen Beratungen, die wir von seiten der Mitarbeiter des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung und des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit erfahren haben
und die wir alle, glaube ich, als sehr hilfreich empfunden haben, hat der Ausschuß mit Zustimmung aller drei Fraktionen einstimmig
diesen wesentlichen Abschnitt in die Vorlage einarbeiten und dem Hohen Hause zur Beschlußfassung unterbreiten können.Vielleicht noch der Hinweis, daß bei den Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten einmal in § 181 ein Rechtsanspruch für einen fest umrissenen Personenkreis und für bestimmte Krankheitsarten festgelegt wird und daß zum anderen in, § 181 a für die Weiterentwicklung konkret gefaßte Normen enthalten sind. Auf Grund dieser Kautelen kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in Gemeinschaft mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Rechtsverordnungen zur Weiterentwicklung dieses Leistungsgebietes erlassen.
— Herr Kollege Franke, Sie werden sich darüber noch mit dem Kollegen Schellenberg unterhalten können. Wir haben uns auf diese Vorlage verständigt, weil Ihre Anträge oder Vorschläge im Ausschuß ja nicht so weit gingen wie die jetzt gemeinsam getroffenen Regelungen.
Ich darf wohl im Namen der Ausschußkollegen aller drei Fraktionen den Mitgliedern des Sachverständigenausschusses und auch den Mitarbeitern in den Ministerien, die sehr hilfreiche Arbeit geleistet und das Zustandekommen dieses schwierigen und bedeutsamen Abschnitts des Gesetzes ermöglicht haben, recht herzlich danken.
Abschließend möchte ich auf die im Gesetz vorgesehene Pflicht der Krankenkassen hinweisen, eine umfassende Aufklärung der Versicherten zu betreiben, damit diese den rechten Gebrauch von den Vorsorgeuntersuchungen und den Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten machen, und die Erwartung aussprechen, daß diese Aufklärung mit allen geeigneten Mitteln und auch mit dem notwendigen Nachdruck durchgeführt wird. Nur auf diesem Wege kann die psychologische Sperre überwunden werden, die insbesondere bei den jüngeren Frauen und vielleicht auch für ihre Kinder immer noch festzustellen ist. Erst dann, wenn von den im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen umfassend Gebrauch ge-
Metadaten/Kopzeile:
4154 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Killat-von Corethmacht wird, kann die segensreiche Wirkung dieses Gesetzes zum Zuge kommen.Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich jetzt noch kurz den Änderungsantrag Umdruck 74 *) begründe. Bei der Änderung des § 199 handelt es sich um einen Antrag aller drei Fraktionen dieses Hauses. Mit der neuen Bestimmung wird erreicht. daß die Schwangeren bei Entbindung in einer Entbindungsoder Krankenanstalt nicht wie bisher das niedrigere Hausgeld für einen Zeitraum von zehn Tagen erhalten, sondern das wesentliche höhere Mutterschaftsgeld. Damit werden auch in diesem Punkt die Schwangeren mit den übrigen Kranken in der Krankenhauspflege gleichgestellt. Mit dieser Gleichstellung ist erfreulicherweise eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung verbunden, weil nicht noch zwischendurch mit anderen Abrechnungsunterlagen in verschiedenen Zeitabschnitten gerechnet werden muß.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zum Schriftlichen Bericht hat der Herr Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU habe ich an dem Schriftlichen Bericht und an dem Vorblatt zum Ausschußbericht einige Kritik anzumelden.Auf dem Vorblatt zum Bericht des Ausschusses heißt es:Im Zuge der in der Regierungserklärung angekündigten Weiterentwicklung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung sind vor allem die Erhöhung und Dynamisierung der Krankenversicherungspflichtgrenze .Wir protestieren gegen diese Formulierung in einer Darstellung des Parlaments, Herr Präsident. Ich darf hier anregen oder eventuell einmal den Anspruch der Fraktion anmelden, im Ältestenrat darüber zu sprechen. Wir können doch nicht ein Blatt des Parlaments zu einem Propagandainstrument dieser Bundesregierung machen.
In dem Schriftlichen Bericht des Kollegen Killatvon Coreth kann — sicherlich handelt es sich um eine Intervention des Beamtenapparats unseres Hauses — unser Gesetzgebungsantrag, der ja vor dem Entwurf der Bundesregierung über eine Fortführung der Krankenversicherungsreform eingebracht worden ist, selbstverständlich nicht unterschlagen werden. In dem Schriftlichen Bericht des Kollegen Killat-von Coreth heißt es aber:Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung ... wurde zusammen mit dem von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurf ...*) Siehe Anlage 4Wenn man hier auch noch etwas Milde walten lassen kann, so ist doch die Absicht erkennbar, in einer Darstellung des Parlaments, auch im Schriftlichen Bericht, dieser schwachen Bundesregierung eine Hilfe zu geben. Wir meinen, daß das in der sachlichen Darstellung eines Ausschußberichts unzulässig ist.
Es heißt weiter unter Punkt 2:Damit soll zum Ausdruck kommen, daß dieses Gesetz ein Schritt der von der Bundesregierung für diese Legislaturperiode vorgesehenen Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier die Anträge der Bundesregierung und der größten Fraktion dieses Hauses behandelt. Wenn Sie schon eine Initiative erwähnen; was ich für vielleicht noch legal halte, müssen Sie wegen der objektiven Darstellung aber selbstverständlich auch die Initiative der größten Fraktion dieses Hauses im Schriftlichen Bericht erwähnen.
Während hier die sogenannten Aktivitäten der schwachen Bundesregierung erwähnt werden, die in einem Schriftlichen Bericht des Parlaments nichts zu suchen haben, nennt der parteiische Berichterstatter in seinem Bericht die Abstimmungsergebnisse, sobald sie einen scheinbaren Vorteil für diese schwache Koalition bringen.
Nicht erwähnt werden in dem Schriftlichen Bericht des Kollegen Berichterstatters die Initiativen der CDU/CSU-Fraktion, die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht enthalten waren. Ich darf auf ein Beispiel verweisen. Zu Nr. 5 heißt es auf Seite 4 des Schriftlichen Berichts:Durch die Einfügung werden die Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten in den gesetzlichen Leistungskatalog einbezogen.Zu Nr. 6 — Früherkennungsmaßnahmen im einzelnen, §§ 181, 181 a und 181 b RVO — ist in einer längeren Beschreibung mit keinem Wort davon die Rede, daß das nicht in dem Entwurf der Bundesregierung, wohl aber im Entwurf der CDU/CSU enthalten war und dann Allgemeingut der Entscheidungen des Parlamentsausschusses geworden ist.
Der Bundesarbeitsminister hat sich noch bei der ersten Lesung in diesem Hause bereit erklärt, eventuell die Erkenntnisse der Sachverständigenkommission nachzuschieben. Der Sachverständige Professor Jahn sagte aber, daß die Sachverständigenkommission zu einer abschließenden Beratung noch nicht gekommen sei, weil das gesamte Instrument der Früherkennungs- und Vorsorgemaßnahmen von den Sachverständigen noch nicht endgültig angeboten werden könne.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4155
Franke
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD- und FDP-Fraktion, Sie haben wahrscheinlich das positive Echo registriert, das die Initiative der CDU/CSU zu § 181, nämlich zu den Früherkennungs- und Vorsorgemaßnahmen, ausgelöst hat. Sie glaubten sich in diese Initiative einschleichen zu müssen, um sie letztlich in diesem Bericht noch als Ihre eigene Initiative darstellen zu können.
Ein Weiteres, meine Damen und Herren: Krankengeld während der Krankenhauspflege. Im Regierungsentwurf ist mit keinem Wort davon die Rede gewesen. Der Kollege Graf Arthur Killat-von Coreth ich glaube, so heißt er jetzt —,
— der ehrenwerte Kollege Killat-von Coreth hat in seinem Schriftlichen Bericht
— regen Sie sich doch nicht auf, Herr Kollege Bredl — mit keinem Wort darauf verwiesen, daß das Krankengeld während der Krankenhauspflege eine Initiative der CDU/CSU ist,
während er auf der anderen Seite die Abstimmungsniederlagen, die wir, wenn auch mit dem knappsten Ergebnis, in einigen anderen Fragen erlitten haben, in diesem seinem Schriftlichen Bericht erwähnt.Es geht dann weiter auf Seite 6. Zu § 3 — Beitrittsrecht für Rentner — heißt es — ich darf zitieren, Herr Präsident —:Der Ausschuß sieht diese Regelung als eine Ausnahme an, zu der er sich durch eine Reihe von Petitionen veranlaßt sah.Sehr verehrter Herr Kollege Killat, w i r haben den Antrag eingebracht. Das erwähnen Sie in einem Nebensatz, nämlich auf Seite 7:Der weitergehende Antrag nach Artikel 6 der Drucksache VI/726— hier wird überhaupt nicht von dem Initiativantrag der CDU/CSU gesprochenwurde abgelehnt, um präjudizierende Wirkungen zur Schaffung weiterer Öffnungsklauseln zu vermeiden.Meine Damen und Herren, wir halten das für eine unzulässige Darstellung der sachlichen Parlamentsarbeit im Ausschuß.Uns scheint das aber Methode zu sein. Ich entnehme den „Informationen der sozialdemokratischen Fraktion im Deutschen Bundestag" von gestern, daß die Fraktion der SPD das auf ihre Fahne schreibt, was ich hier gerade als eine Initiative der CDU/CSU dargestellt habe. Da heißt es auf Seite 2 unter Punkt 4 — Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren —:Das Gesetz gewährt allen Versicherten und Familienangehörigen folgende Ansprüche zur Sicherung der Gesundheit . . .Und Sie müssen noch den Vorspruch lesen, meine Damen und Herren! Hier wird das als eine Initiative dieser schwachen Bundesregierung dargestellt. Das ist einfach unwahr, das ist falsch! Dies ist eine Initiative der CDU/CSU gewesen, und wir protestieren gegen diese falsche Darstellung.
Aber das ist noch nicht alles. Auf der gleichen Ebene — auf der der Propagandaträger der SPD, als die hier die Einrichtungen des Parlaments mißbraucht werden — befindet sich das, was ich im DGB-Nachrichtendienst lese. Ich kann eigentlich ich sage das als Gewerkschaftler — nur mit großem Bedauern feststellen, welch große Geduld die Gewerkschaften dieser schwachen Bundesregierung entgegenbringen, wenn es um die Durchführung oder Nichtdurchführung der inneren Reformen geht.
Ich möchte einmal sehen, wie uns z. B. auch die Gewerkschaften, wenn wir als CDU/CSU bei der Bewältigung der inneren Reformen ein so mieses Jahr wie diese Bundesregierung hinter uns gebracht hätten,
kritisiert hätten; ich nehme dabei auch die Gewerkschaft nicht aus, der ich angehöre.Ich möchte hier vorn Arbeitnehmertag der Sozialdemokratischen Partei sprechen.
Sie wollten zum Bericht sprechen. Was Sie jetzt tun, ist etwas anderes.
Herr Präsident, ich gebe Ihnen das zu. Aber ich wollte nur sagen, daß auch der Herr Kollege Gerd Muhr vom Deutschen Gewerkschaftsbund zu etwas Zuflucht nimmt, was nicht der Wahrheit entspricht, wenn er sagt, die Gewerkschaften wüßten es auch zu schätzen, „daß jetzt zum erstenmal ein Arbeitsminister bestrebt ist, die Gesundheitspolitik weiterzuentwickeln und die soziale Krankenversicherung in eine Institution zur Gesundheitssicherung zu transformieren". Meine Damen und Herren, auch dieser Kollege Gerd Muhr vom Deutschen Gewerkschaftsbund, der Mitglied der SPD ist, ist einem großen Irrtum erlegen, denn das ist eine Initiative der CDU/CSU gewesen. Und ich hoffe, daß der Kollege Gerd Muhr dies in einer Darstellung berichtigt.
Metadaten/Kopzeile:
4156 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Herr Abgeordneter, wer zum Bericht sprechen will, muß zum Bericht sprechen und zu nichts anderem. Er darf nicht, wie Sie es getan haben, „Bemerkungen zum Bericht" dazu benutzen, urn — was Sie dem Berichterstatter vorwerfen — Parteipolemik zu treiben.
Das nur nebenbei.
Ich frage den Berichterstatter, ob er antworten will.
— Nein, es ist hier behauptet worden, der Berichterstatter habe sich als Berichterstatter unzulässig verhalten.
Zunächst einmal frage ich den Berichterstatter, ob er etwas zu sagen hat. Wenn nicht, dann bitte Herr Abgeordneter Schellenberg als Ausschußvorsitzender!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß den Herrn Berichterstatter in Schutz nehmen.
Wer zu dem vorigen Punkt den Bericht von Frau Kollegin Stommel gehört hat,
muß bestätigen, daß sich der Bericht des Abgeordneten Killat in seiner Sachlichkeit wohltuend von dem abhebt, was wir vorhin als Berichterstattung gehört haben.
Im übrigen, Herr Kollege Franke, haben Sie übersehen, daß es unter Ziffer 2 des Antrages — und das hat der Ausschuß beschlossen — heißt, den Gesetzentwurf der CDU/CSU durch die Beschlußfassung für erledigt zu erklären. Das ist der politisch entscheidende Punkt. Es blieb Ihnen schließlich nichts anderes übrig, als dem zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich betrachte damit die Querele als erledigt.
Wir sitzen gelegentlich alle wechselweise miteinander im Glashaus.
Und da hier so eindringlich von „schwacher Bundesregierung" geredet wird, so erlaube ich mir die Bemerkung, daß eine kleine Mehrheit mehr ist als eine große Minderheit.
Ich rufe Art. 1 auf, dazu den Änderungsantrag Umdruck 74. Der Antrag wird wohl nicht mehr begründet.
Keine Wortmeldung. Dann stimmen wir über den Antrag Umdruck 74 ab, durch den in Art. 1 eine Nr. 10 a eingefügt werden soll. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Dann stimmen wir über Art. 1 in der so geänderten Fassung als Ganzes ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Art 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe zur
dritten Beratung
auf. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Gesetz zur Änderung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung zu. Wir stellen mit Genugtuung fest, daß wesentliche Elemente unseres Gesetzentwurfs in der nun vom Ausschuß beschlossenen Vorlage enthalten sind
— und weiterentwickelt worden sind. Ich erwähne unter anderem die Erhöhung und Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze, den Arbeitgeberzuschuß für die freiwillig und privat versicherten Angestellten sowie die Beitrittsberechtigung für Berufsanfänger. Diese Punkte waren sowohl im CDU/CSU-Antrag als auch im Regierungsentwurf enthalten. Zusätzlich aber wurden vom Ausschuß beschlossen: 1. Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, 2. die Beseitigung des Hausgeldes und die Gewährung des höheren Krankengeldes bei Krankenhausaufenthalt, 3. die nochmalige Beitrittsberechtigung für diejenigen Rentner, die im Jahre 1968 die Möglichkeit versäumt hatten, in die gesetzliche Krankenversicherung einzutreten. Wir hätten allerdings gern gesehen, wenn auch umgekehrt in Richtung auf die private Versicherung noch einmal eine Öffnung beschlossen worden wäre. Diese drei Punkte waren im Gesetzentwurf der Regierung nicht enthalten. Ihre Aufnahme in das Gesetz ist also eindeutig unserer Initiative zu verdanken.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4157
RufSie werden uns, der CDU/CSU, wahrscheinlich wieder vorhalten — darauf sind wir gewappnet, und das sind wir gewohnt —, daß wir das alles schon früher hätten beschließen können und daß wir uns erst, seit wir in der Opposition seien, dazu aufgerafft hätten.
— Lieber Kollege Geiger, ich darf nur eine Sache herausgreifen. In der Regierung der Großen Koalition haben wir mit dem Lohnfortzahlungsgesetz die arbeitsrechtliche Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfall gemeinsam beschlossen. Die finanziellen Auswirkungen dieses Gesetzes waren nicht unerheblich. Sie sind offensichtlich größer, als wir alle es seinerzeit angenommen haben. Damals mußten wir selbstverständlich auf die Belastungen Rücksicht nehmen, die aus der Lohnfortzahlung erwachsen. Wir mußten auf die weitere Erhöhung der Grenzen und auch auf den Arbeitgeberzuschuß für Angestellte verzichten und mußten bei der Verabschiedung des Lohnfortzahlungsgesetzes auch in Kauf nehmen — wir ,die CDU —, daß wir von manchen Angestellten damals nicht verstanden wurden.Niemand kann alles auf einmal realisieren, auch wenn es noch so wünschenswert und noch so angebracht wäre.
Sie, meine Damen und Herren, von den Koalitionsfraktionen, müssen jetzt ebenfalls erfahren, daß Sie von Ihren vielen Versprechungen die Sie leichtfertigerweise — das muß man sagen — im Wahlkampf und später gemacht haben, heute nur einen Bruchteil erfüllen können und daß Sie das, was Sie sich vorgenommen haben ich erinnere an die Kindergelddebatte —, wenn überhaupt, auch nur schrittweise erledigen können. Sie sollten es sich daher doch allmählich ersparen, diese billigen Rückblenden in die Vergangenheit zu machen und uns immer wieder angebliche Versäumnisse vorzuwerfen.
— Die sind nicht schmerzlich. Auf die Dauer nimmt man Ihnen diese pauschalen und stereotypen Vorwürfe sowieso nicht mehr ab.
Dazu sind die Erfolge unserer Sozialpolitik allzu deutlich und sichtbar. Jedermann weiß, daß wir in der Bundesrepublik durch die Politik der CDU, was das Volumen der Sozialleistungen angeht, an der Spitze aller Länder stehen und daß wir sozialpolitische Regelungen haben, die in dieser Form und in diesem Ausmaß kein anderes Land der Welt kennt.
Meine Damen und Herren, wenn ich da in dem Informationsdienst der SPD von gestern lese, daßdie Verabschiedung der heutigen Gesetze Meilensteine der Sozialpolitik bedeuteten,
dann kann man wahrhaftig nur lachen. Sie sind sehr, sehr bescheiden.
Meilensteine der Sozialpolitik, das sind ganz andere Gesetze. Das ist der Lastenausgleich, das ist die Kriegsopferversorgung, das ist das Betriebsverfassungsgesetz, das ist die Rentenreform, das ist das Arbeitsförderungsgesetz, das ist die Vermögensbildung — alles Gesetze, die unter Federführung und maßgeblichem Einfluß der CDU/CSU beschlossen und durchgeführt worden sind.
Meine Damen Und Herren, wir freuen uns ganz besonders darüber, daß in den Katalog der Pflichtleistungen der Krankenversicherung nunmehr die Früherkennungsmaßnahmen für bestimmte Erkrankungen aufgenommen worden sind. Dies wäre ohne jeden Zweifel zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht geschehen, wenn nicht die CDU in ihrem Gesetzentwurf das Kapitel Vorsorge aufgenommen hätte.
— Es kommt noch. Wir sind der Auffassung, daß es in der gemeinsamen Beratung im Ausschuß nunmehr gelungen ist, eine Regelung zu finden, die dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft und den gegebenen personellen und sachlichen Voraussetzungen entspricht. Sind Sie jetzt zufrieden, Herr Kollege Liehr?
Auf einer Ärztetagung in Bad Boll wurde vor kurzem behauptet, der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung habe sich nicht die Zeit genommen, Sachverständige zu hören. Das entspricht nicht den Tatsachen. Dem muß man entgegentreten. Selbstverständlich das wurde vorhin schon vom Berichterstatter erwähnt — hat der Ausschuß Sachverständige gerade zu dem Kapitel Früherkennung gehört. Ich brauche darauf nicht mehr einzugehen. Jeder, der sich als Arzt oder als Sozialpolitiker mit der Problematik der Früherkennung auch nur einigermaßen beschäftigt hat, wird zugeben müssen, daß die Beschlüsse des Ausschusses mit dem Urteil der Fachwelt darüber, was notwendig und was heute möglich ist, durchaus übereinstimmen.Es ist zuzugeben, daß vieles von dem, was wir heute beschlossen haben, heute schon praktiziert und von den Kassen finanziert wird. Aber gerade das hat uns, die CDU/CSU-Fraktion, ermutigt, diese Leistungen nunmehr offiziell in den Katalog der Pflichtleistungen der Krankenversicherung aufzunehmen. Dieser Schritt hat sicherlich erhebliche — ich sage erhebliche — personelle, medizinische, organisatorische und auch finanzielle Auswirkungen. Darüber sind wir uns alle im klaren, die wir das beschlossen haben.
Metadaten/Kopzeile:
4158 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
RufNoch etwas. Wenn die CDU/CSU-Fraktion diesen Ausbau der Krankenversicherung nicht nur begrüßt, sondern sogar gefordert hat, dann sind wir deswegen noch lange nicht — wie schon behauptet wurde — in das Lager derjenigen abgewandert, die einen versorgungsstaatlichen Gesundheitsdienst befürworten. Für uns ist und bleibt auch in Zukunft der einzelne der Erstverantwortliche für seine Gesundheit und nicht der Staat. Dieser Schritt bedeutet für uns nichts anderes als die Weiterentwicklung einer produktiven Sozialpolitik, die die CDU-Arbeitsminister — und hier sitzt einer — in früheren Jahren auf den verschiedenen Gebieten der Sozialpolitik eingeleitet haben, und zwar nach dem Grundsatz: „Vorbeugen ist besser als Heilen, und früherkennen und rechtzeitig behandeln ist besser als Rente bezahlen." Daß wir im übrigen einen staatlichen Gesundheitsdienst nach wie vor ablehnen, mögen Sie auch aus der Tatsache entnehmen, daß wir die Früherkennungsmaßnahmen in das Kassenarztrecht einbezogen und bestimmt haben, daß die notwendigen Richtlinien durch den Bundesausschuß Ärzte und Kassen vereinbart werden sollen. Die CDU/CSU wird dabei bleiben; auch in Zukunft wird sich ihre Haltung in diesen Fragen nicht ändern.Meine Damen und Herren, die vom Ausschuß nunmehr beschlossenen Maßnahmen sind von großer Bedeutung für jeden einzelnen Menschen, aber auch von Bedeutung für die Gesamtheit. Das muß man sehen. Wir wollen hoffen, daß die Berechigten von den Möglichkeiten des Gesetzes nunmehr auch Gebrauch machen, daß sie die Scheu überwinden, sich rechtzeitig und regelmäßig untersuchen zu lassen. Hier sind die Kassen und alle anderen Beteiligten, auch unsere Ministerien, aufgerufen, für die notwendige Aufklärung der Bevölkerung zu sorgen.Man spricht heutzutage sehr viel vom gewachsenen Gesundheitsbewußtsein unserer Zeit. Dazu gehört aber, daß jeder von den gegebenen Früherkennungsmöglichkeiten Gebrauch macht und daß ferner jeder einzelne einsieht, daß er zunächst selber die Pflicht hat, alles zu tun, um sich gesund zu erhalten und Krankheiten abzuwehren. Nicht selten, meine Damen und Herren, ist es doch so, daß mehr Geld dafür ausgegeben wird, die Gesundheit zu ruinieren, als dafür, sie zu erhalten.
— Das ist leider wahr. Denken wir nur an uns selbst! Allzu leicht machen wir für gesundheitliche Schäden unsere Umwelt, die Zivilisation, die Arbeitswelt, jedenfalls immer andere verantwortlich und denken nicht an das, was wir tun, womit wir unsere Gesundheit — durch eine unvernünftige Lebensweise etc. — gefährden. Daher sind wir der Meinung, daß auf dem Gebiet der Gesundheitserziehung, aber auch auf dem Gebiet der gesundheitlichen Aufklärung in Zukunft noch mehr zu geschehen hat als bisher.Lassen Sie mich noch eine Schlußbemerkung machen. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf ist nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion eineReform der gesetzlichen Krankenversicherung nicht überflüssig geworden.
— Jawohl, hier unterscheiden wir uns von den Koalitionsfraktionen, die nur noch von der Weiterentwicklung der Krankenversicherung sprechen und es nicht wagen, das Wort „Reform der Krankenversicherung" in den Mund zu nehmen.
— Herr Kollege Geiger, wir wissen, wie leicht es ist, Krankenversicherungsreform zu fordern, und wie schwer es ist, Krankenversicherungsreform zu machen.
Da haben wir, das muß man sagen, leidvolle Erfahrungen. Deshalb hat unser Kollege Katzer in der Regierung der Großen Koalition seinerzeit mit Recht gesagt, daß eine Reform nur in Schritten durchgeführt werden kann und daß eine Reform der Krankenversicherung eine permanente Aufgabe ist.
Bei dieser Aussage des Kollegen Katzer bleiben wir. Dies ist selbstverständlich. Die Bundesregierung hat eine Kommission eingesetzt. Eine gute Sache! Wir sind damit einverstanden. Wir hoffen aber, daß sie die Arbeiten dieser Kommission vorantreibt und dem Bundestag recht bald entsprechende Vorschläge unterbreitet.Im übrigen, meine Damen und Herren, sind auf dem Gebiet der Krankenversicherung schon so viele Vorschläge gemacht worden, daß es kaum mehr möglich ist, einen neuen Vorschlag auszudenken. Worauf es ankommt, sind heutzutage weniger die Vorschläge — die haben wir, wie gesagt, zur Genüge —, sondern es kommt darauf an, daß man den Mut hat, sich für etwas zu entscheiden. Daran fehlt es eben leider bei der neuen Bundesregierung gerade auf diesem Gebiet. Die Bundesregierung wird den Mut haben müssen, auch hier endlich einmal, so wie wir es früher getan haben — ich denke an den Kollegen Blank und andere —, die heißen Eisen der Krankenversicherung anzufassen und auch unpopuläre Maßnahmen durchzuführen. Daran werden Sie nicht vorbeikommen.
— Jawohl, aber es waren gute Päckchen, Herr Kollege Liehr.Die Regierung will eine Regierung der Reformen sein. Hier, auf dem Gebiet der Krankenversicherung, könnte sie beweisen, was sie zuwege bringt. Hier kann sie, meine Damen und Herren, z. B. einmal zeigen, wie sie das Problem der Kostenexplosion im Gesundheitswesen meistern will; wie sie dafür sorgen will, daß in dem Massenbetrieb der überfüllten Krankenhäuser und der überlasteten Sprechzimmer unserer Ärzte die kranken und schwerkranken Menschen nicht zu kurz kommen; wie sie den Fortschritt der medizinischen Wissenschaft und Technik, der ja immer kostspieliger wird, auch in Zukunft auf breiter Basis dem Versicherten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4159
Rufzugute kommen lassen will; wie sie dafür sorgen will, daß unsere Kassenärzte und unser Pflegepersonal entlastet werden, und zwar so, daß Sie endlich die notwendige Zeit für ihre Patienten haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn uns die Bundesregierung zu diesen Problemen im Sinne einer Reform der Krankenversicherung wirksame Maßnahmen vorschlagen sollte, dann werden Sie uns, die CDU/CSU-Fraktion, auf Ihrer Seite finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen des Herrn Kollegen Franke und einige Bemerkungen des Kollegen Ruf nötigen mich, um es hinsichtlich der Vorsorge nicht zu einer Legendenbildung kommen zu lassen,
kurz auf die Entwicklung der Vorsorge zurückzukommen. — Passen Sie genau auf, Herr Kollege Müller, damit Sie das lernen!
Die CDU versucht, in der Debatte den Eindruck zu erwecken, als sei sie ein Vorkämpfer der Vorsorge. Das ist nicht nur falsch, sondern zeigt eine erstaunliche Unkenntnis
des bisherigen Ringens um das Problem der Früherkennung von Krankheiten in der gesetzlichen Krankenversicherung.
— Ich spreche von der gesamten Entwicklung. Dazu folgendes: Die erste gesetzliche Vorsorge im Rahmen der Krankenversicherung geht auf eine Initiative der Sozialdemokraten beim Mutterschutzgesetz zurück. Wir haben im Juni 1962 in diesem Hause beantragt, im Rahmen der Mutterschaftshilfe Vorsorgeuntersuchungen einzuführen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, wenn Sie so gütig sind, meine Zeit dann entsprechend zu verlängern, bin ich sehr gern bereit, jede Frage zu beantworten.
Herr Kollege Professor Schellenberg, ist Ihnen entgangen, daß Vorsorge schon im Regierungsentwurf zur Krankenversicherungsreform aus der Zeit des Kollegen Blank als Pflichtleistung der Krankenversicherung vorgesehen war?
Mit Kostenbeteiligung! Damit hatten Sie die Vorsorge damals unmöglich gemacht.
Denn die Versicherten durch Kostenbeteiligung davon abzuhalten, zum Arzt zu gehen, ist das Gegenteil von Vorsorge.
Herr Abgeordneter, Frau Kalinke möchte eine Frage stellen.
Herr Kollege, aus Vorsorge für Ihre Gesundheit möchte ich Sie nicht erregen,
sondern nur fragen: Sind Sie nicht der Meinung, daß ein Unterschied besteht, ob man in der Bundesrepublik Deutschland zwei Jahrzehnte in allen Bereichen, in allen Parteien, im vorpolitischen Raum von einer Notwendigkeit überzeugt ist, oder ob man ein Gesetz vorlegt, in dem man die ersten Schritte zur gesetzlichen Neuordnung macht? Darum ging es in der Diskussion. Können Sie das bestätigen?
Frau Kollegin Kalinke, wie unvollkommen das war, was die CDU/CSU hinsichtlich der gesundheitlichen Vorsorge eingebracht hat, werde ich im einzelnen noch darlegen.
— Frau Kollegin Kalinke, auch Sie müssen noch einiges lernen.
Herr Kollege Schellenberg, ist Ihnen denn entgangen, daß seinerzeit in den Vorschlägen von Herrn Kollegen Blank keine Selbstbeteiligung des einzelnen bei der Krankheitsvorsorge vorgesehen war?
Soll ich Ihnen den Gesetzentwurf vorlesen?
Wenn Sie das wünschen, tue ich es gerne. Ich habe den Text hier. Ich lese Ihnen das vor, damit Sie es lernen.
In dem damaligen Gesetzentwurf steht:
Metadaten/Kopzeile:
4160 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Dr. SchellenbergDie Kassen müssen bei der Vorsorge Kostenbeteiligung erheben.
Meine Damen und Herren, im übrigen war diese Vorsorge sehr mangelhaft.
Ein Versicherter im Alter von über 40 Jahren sollte einmal innerhalb von drei Jahren einen Anspruch auf Vorsorge haben. Das war der Inhalt des Gesetzentwurfes.
Herr Abgeordneter, Sie werden mit Zwischenfragen überschüttet. Wollen Sie sie alle beantworten?
Ja, ich bin gerne bereit, Herr Präsident, wenn Sie mir zusätzlich zu meiner Redezeit die Zeit dazu geben.
Herr Abgeordneter Ruf!
Herr Kollege Professor Schellenberg, ist Ihnen nicht mehr geläufig, daß der damalige Regierungsentwurf zwar eine Selbstbeteiligung des Versicherten bei der zahnärztlichen Vorsorge vorgesehen hatte, aber nicht bei der üblichen sonstigen Vorsorge?
Herr Kollege Ruf, ich werde Ihnen den Beweis nachher noch erbringen und mich auf Ihren eigenen Gesetzentwurf beziehen. Dort steht es ausdrücklich so, wie ich es gesagt habe.
Herr Kollege Schellenberg, ich habe es — darin werden Sie mir doch zustimmen — als einen Erfolg angesehen, daß Ihre Fraktion unserer Gesetzesvorlage zugestimmt hat.
— Das ist doch einfach Klitterung der Wahrheit. Ich will mich nicht noch härter ausdrücken.
Herr Kollege Schellenberg, ich frage Sie: Glauben Sie, daß in Zukunft Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheit und Vorsorgemaßnahmen jeder Art überhaupt Erfolg haben können, wenn nicht jeder einzelne Bürger durch seine eigene Verhaltensweise, d. h. durch das Beteiligtsein daran, mit zum Erfolg beiträgt, und würden Sie mir bestätigen, daß Sie dieser Auffassung der CDU/CSU heute doch wohl aus Einsicht, weil Sie hinzugelernt haben, zustimmen?
Meine Damen und Herren, ich lese Ihnen einmal aus dem Regierungsentwurf vom 14. Januar 1960 vor.
In § 181 Abs. 2 des Regierungsentwurfes von 1960 heißt es hinsichtlich der Vorsorge:Die Satzung muß eine Kostenbeteiligung der Versicherten vorsehen.So steht es in dem damaligen Regierungsentwurf.
Was den jetzt zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf betrifft, so ist, meine Damen und Herren, im übrigen erst auf Initiative des Ausschusses nach Beratung mit den Sachverständigen eine Vorschrift in diesen Gesetzentwurf eingebaut worden, daß die Kassen verpflichtet werden, die Versicherten auf die Notwendigkeit der Vorsorge in bestimmten Zeitabständen hinzuweisen.
Das ist eine Schöpfung der Bundesregierung und der Koalitionsparteien, der sich dann die CDU/CSU angeschlossen hat.
Ich will weiter in historischer Reihenfolge vortragen. Ich habe dargelegt — Sie können es nachlesen —, daß die erste Vorsorge der Krankenversicherung bei der Mutterschaftshilfe im Jahre 1962 von den Sozialdemokraten beantragt und endlich nach drei Jahren, also 1965, angenommen und ins Gesetz eingefügt wurde.Alle weiteren Vorsorgemaßnahmen im Zusammenhang mit dem früheren sogenannten Sozialpaket sind gescheitert. Sie sind auch deshalb gescheitert — Frau Kollegin Kalinke, vielleicht sind Sie so liebenswürdig, mir Aufmerksamkeit zu schenken —, weil die CDU/CSU-Fraktion noch keine klare Vorstellung über die Verwirklichung der Vorsorge hatte.Deshalb haben wir im Jahre 1963 beantragt, eine Sachverständigenkommission hierfür einzusetzen, weil wir wußten, daß das Problem der Vorsorge kompliziert ist. Unser Antrag ist am 15. November 1963, also vor sieben Jahren, in namentlicher Abstimmung abgelehnt worden.
Damit ist wertvolle Zeit in der wissenschaftlichen Vorbereitung der gesundheitlichen Vorsorge verlorengegangen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4161
Dr. SchellenbergErst die neue Bundesregierung hat es fertiggebracht, die Vorsorge bis zur Gesetzesreife zu entwickeln, und darauf kommt es an.
Ich darf darlegen, wie planmäßig die Bundesregierung vorgegangen ist. Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung — der Herr Bundesarbeitsminister hat dies in der Aussprache ergänzt — die Einsetzung einer Sachverständigenkommission für die Krankenversicherung angekündigt. Herr Kollege Katzer, Sie haben damals in der Aussprache ein wenig zynisch gesagt: Nur eine Kommission! — Aber das war der richtige Weg. Im Sozialbericht hat die Bundesregierung dann die Aufgaben der Kommission hinsichtlich der Vorsorge konkretisiert und erklärt, welche Aufgaben zur Ausarbeitung gesetzgeberischer Vorschläge für die Vorsorge notwendig sind. Bei der ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe hat der Herr Bundesarbeitsminister den Stand der Arbeiten in der Kommission vorgetragen und ausdrücklich unterstrichen, daß die Kommission bei der Beratung der Gesetze weitere Ergebnisse ihrer Arbeit vorlegen werde, die für die Gesetzgebung nutzbar gemacht werden sollten. Das war und ist das Entscheidende.
Herr Abgeordneter, eine Zwischenfrage.
Glauben Sie nicht, Herr Kollege Schellenberg, daß es Sie und Ihre Fraktion mehr ehrte, wenn Sie hier die Vorlagen, die doch jeder nachlesen kann, sachlich erklärten? Glauben Sie nicht, daß es uns alle gemeinsam hier im Parlament ehrte, wenn die eine Fraktion der anderen zugestünde, daß diese sie überzeugt hat?
Frau Kollegin Kalinke, es kommt nicht so sehr auf Vorlagen an, sondern es kommt darauf an, daß hier Gesetze beschlossen werden,
und das ist das erste Gesetz, das die Vorsorge in der gesamten Krankenversicherung verwirklicht. Das ist das Entscheidende.
Vorstellungen, Pläne über Vorsorge gibt es schon seit Jahrzehnten.
Seit der Rentenreform unterhalten wir uns hier im Hause über Vorsorge.
Das Entscheidende sind gesetzesreife Vorlagen über die Vorsorge.
— Frau Kollegin Kalinke, Ihr Gesetzentwurf war in keiner Weise ausgereift.
— Wenn Sie es wünschen, muß ich es vorlesen. In § 181 des CDU/CSU-Entwurfes steht ein Rechtsanspruch auf Vorsorge — wundervoll, aber in § 181 a heißt es: Die Vorsorge gibt es nur, wenn Art und Umfang der Vorsorgehilfe durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung mit allen möglichen Voraussetzungen und Einschränkungen festgelegt werden.
Das heißt auf deutsch: aus Ihrem Gesetzentwurf konnte kein einziger Versicherter und kein einziger Familienangehöriger ein Recht auf eine Vorsorgeuntersuchung ableiten. Das, was Sie brachten, war eine Deklamation. Den Inhalt haben erst die Bundesregierung durch ihre Vorbereitungen und wir dann im Ausschuß zustande gebracht. Das ist die Tatsache.
Herr Abgeordneter Dr. Böhme zu einer Zwischenfrage.
Herr Professor Schellenberg, würden Sie mir zugeben, daß es doch sehr schwer ist, die Urheberrechte eines anderen sich selbst auf die Brust zu schreiben?
Herr Kollege Böhme, ich würde Ihnen empfehlen, daß Sie einmal die Protokolle über die harten Auseinandersetzungen lesen, die wir hier in diesem Hause und in den Ausschüssen seit vielen Jahren, seit 1960 über Vorsorge geführt haben, und sich dann zu Wort melden.
— Meine Damen und Herren, wer die Geschichte der Sozialpolitik dieses Hauses ein wenig kennt, weiß, wie es hinsichtlich der Vorsorge und der Weiterentwicklung der Krankenversicherung war. Deshalb ist es gut, daß jetzt ein Anspruch auf Vorsorge festgelegt wird. Ich komme jetzt auf einen weiteren Punkt.
Seitdem wir hier in diesem Hause über die Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung beraten, seit über zehn Jahren, hat es im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung stets die härtesten Auseinandersetzungen zwischen uns, den Sozialdemokraten, und Ihnen, der CDU/CSU, über die Frage der Kostenbeteiligung gegeben. Das war so beim ersten Sozialpaket von Herrn Kollegen Blank aus dem Januar 1960, das war so bei Ihrem letzten Gesetzentwurf der letzten Legislaturperiode am
4162 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Dr. Schellenberg
18. März 1969, in dem Sie noch Kostenbeteiligung für den Krankenhausaufenthalt wollten,
und das war so bis zum Schwerpunktprogramm Ihrer Fraktion für die 6. Legislaturperiode vom August vergangenen Jahres. Das sind die Tatsachen. Sie sind in den Jahren der harten Auseinandersetzungen über die Weiterentwicklung der Krankenversicherung in der Frage der Kostenbeteiligung
— ich muß es leider sagen — unbelehrbar gewesen. Das ist ein Tatbestand.
— Ja, bitte, Frau Kollegin Kalinke!
Meine Damen und Herren, eine kurze geschäftsordnungsmäßige Bemerkung. Nach den Richtlinien für Zwischenfragen entscheidet der Redner, ob er die Zwischenfrage zulassen will.
Aber niemand hat Anspruch auf mehr als zwei Zwischenfragen
zu ein und demselben Gegenstand.
— Nein, es heißt ausdrücklich — denn auch der Redner muß auf die Ökonomie — —
Der Präsident darf im gleichen Zusammenhang nicht mehr als zwei Zusatzfragen zulassen, selbst dann nicht, wenn der Redner bereit wäre, seinerseits weitere Fragen zu beantworten. Also nicht nur der Fragefreudigkeit wird hier Paroli geboten, auch der Antwortfreudigkeit. — Bitte, Herr Abgeordneter!
— Frau Kalinke,
Es handelt sich darum, daß Sie Ihr Quantum erschöpft haben.
Herr Abgeordneter, bitte!
Frau Abgeordnete, ich bewundere Ihren kämpferischen Mut und Ihre Zähigkeit. Aber ich erteile Ihnen nicht das Wort.
Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!
— Ich erteile Ihnen nicht das Wort.
— Ich erteile Ihnen nicht das Wort.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Schellenberg, würden Sie mir bestätigen, daß unser Antrag, der heute mit zur Diskussion steht, kein Wort über Kostenbeteiligung enthält?
Ja, das ist ein interessanter Wendepunkt in der Ideologie der CDU/ CSU, nämlich seitdem sie in der Opposition steht.
Bis dahin waren Sie immer für Kostenbeteiligung. Aber seitdem Sie auf den Bänken der Opposition sitzen, haben Sie sich gewandelt. Ich hoffe, daß es nicht nur ein taktischer Wandel ist.
Wenn wir heute über einen Gesetzentwurf abstimmen, in dem zum erstenmal die Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung ohne Kostenbeteiligung vorgesehen ist, so dürfen wir Sozialdemokraten das als einen Erfolg unseres langjährigen Kampfes gegen die Kostenbeteiligung bezeichnen.
Lassen Sie mich jetzt, meine Damen und Herren, noch zu einem dritten wesentlichen Punkt kommen. Die Sozialdemokraten waren stets für die Öffnung der Krankenversicherung auch für alle Angestellten. Die CDU/CSU wollte immer entsprechend einer in dieser modernen Industriegesellschaft überholten konservativen Vorstellung die Krankenversicherung auf minderbemittelte Schichten beschränken. Ich erinnere an den langjährigen Kampf hinsichtlich der Versicherungspflichtgrenze. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir gegenwärtig eine Versicherungspflichtgrenze von 990 DM;
das haben Sie doch im letzten Jahr noch beantragt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4163
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Schellenberg, würden Sie nicht zugeben, daß Sie mit der Zahl 990 bewußt die falsche Zahl genannt haben? War es nicht die CDU, die im Deutschen Bundestag den Antrag auf Erhöhung auf 1200 DM mit eingebracht hat?
Herr Kollege Maucher, ich weiß nicht, ob Sie die Beratungen im Bundestag der letzten Legislaturperiode genau verfolgt haben. Am 18. März 1969 hat die CDU/CSU hier einen Gesetzentwurf eingebracht, die Beitrags- und Leistungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung auf 55 % der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung festzusetzen. Das sind, wenn man das ausrechnet, 990 DM Monatseinkommen. Das weiß jeder in diesem Hause und auch die Öffentlichkeit. Ich bedaure sehr, daß Herr Kollege Maucher dies offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Kollege Schellenberg, wären Sie dann wenigstens bereit, zuzugeben, daß die Abgeordneten der CDU/CSU die Dinge anders praktiziert haben, daß sie nämlich in ihrer Fraktion den Beschluß gefaßt haben, während wir jetzt immer nur die Beschlüsse kennen, in denen die Regierungsvorlage akzeptiert wird?
Herr Kollege Maucher, ich weiß, daß in der letzten Legislaturperiode die große Aufgabe der Lohnfortzahlung wegen Ihrer Auseinandersetzungen um die Versicherungspflichtgrenze um ein Haar gescheitert wäre.
Sie waren nicht bereit, die Versicherungspflichtgrenze sinnvoll zu erhöhen. Das sind die Tatsachen, die ich in diesem Hause leider erleben mußte.
— Herr Kollege Müller und Herr Kollege Maucher, wenn Sie noch weiter fragen wollen, kann ich auch noch auf etwas anderes hinweisen. Es gab einen Entwurf einer CDU/CSU-Regierung mit einem CDU-Arbeitsminister, in dem vorgeschlagen war, den überholten § 178 in der Weise zu fassen, daß alle freiwillig Versicherten mit einem Einkommen von mehr als 1250 DM monatlich durch Gesetz aus der freiwilligen Versicherung ausgeschlossen werden sollten. Das war Ihre frühere Konzeption.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zurückkommen zu den Ausschußberatungen des jetzt vorliegenden Entwurfes. Da gab es doch einen Antrag der CDU/CSU. Im Ausschuß wollten Sie
doch nicht allen Angestellten das Recht auf freie Wahl in der Krankenversicherung geben. Sie wollten doch für Angestellte eine Höchstbegrenzung bei der Wahlfreiheit einführen.
Das war ein Rückfall in jene Ideologie, die soziale Krankenversicherung nicht mehr nur auf Minderbemittelte, aber auf Minderbemittelte und Bezieher von Durchschnittseinkommen zu beschränken. Ich wundere mich sehr, daß Sie, nachdem Sie im Ausschuß darum hart gestritten haben, es nicht gewagt haben, diesen Antrag hier in der Öffentlichkeit im Plenum zu wiederholen.
Offenbar haben Sie eingesehen, daß Sie damit sozialpolitisch und gesellschaftspolitisch nicht gut ankommen.
Noch einen anderen Punkt darf ich erwähnen. Dieser Gesetzentwurf bringt erstmals in der deutschen Sozialgeschichte für alle Angestellten einen unbedingten Rechtsanspruch auf einen Arbeitgeberbeitrag. Damit entfällt eine Ungerechtigkeit, die insbesondere nach Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes offensichtlich wurde, die Ungerechtigkeit, daß die Mehrzahl der Angestellten keinen Beitragsanteil des Arbeitgebers erhält. Wir sind sehr froh darüber, daß diese Regelung nun beseitigt wird.
Meine Damen und Herren, wir sind sehr froh und stolz darauf — damit Sie es ganz deutlich sehen — daß, nachdem die endlosen Versuche früherer CDU/CSU-Regierungen und ihrer Arbeitsminister zur Reform der Krankenversicherung versandet sind, es der sozialliberalen Koalition auf Anhieb gelungen ist, durch diesen Gesetzentwurf die gesetzliche Krankenversicherung weiterzuentwickeln.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen zehn Minuten zugestanden. Kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.Das erfüllt uns mit Genugtuung,
weil wir wissen, welche Bedeutung eine moderne Krankenversicherung für die Gesundheit und soziale Sicherung unsere Volkes hat. Mit diesem Gesetz wird unsere Krankenversicherung zu einer Einrichtung modernisiert, die der Erhaltung der Gesundheit, der Früherkennung von Krankheiten und der umfassenden sozialen Sicherung bei eingetretener Krankheit für alle Arbeiter, für alle Angestellten und für alle Rentner dient. Deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf mit großer Freude zu.
Metadaten/Kopzeile:
4164 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Das Wort hat der Abgeordnete Müller zu einer Richtigstellung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn von diesem Platz aus offensichtliche Unwahrheiten verbreitet werden, dann genügt es nicht, etwa in Polemik zu machen, sondern dann sollte man Gesetzentwürfe zitieren. Das ist dann die sachliche Antwort darauf. Ich zitiere aus der Drucksache 1540 aus der III. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, die offensichtlich Herr Kollege Schellenberg vorhin hier, allerdings nur auszugsweise, zitiert hat. In dem Gesetzentwurf der damaligen Bundesregierung ist unter „Vorsorgehilfe" folgendes ausgeführt:
Die Vorsorgehilfe umfaßt ärztliche Vorsorgeuntersuchungen, zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen, Vorsorgekuren, sonstige Maßnahmen im Einzelfall sowie allgemeine Maßnahmen.
Was Herr Professor Schellenberg hier hinsichtlich der Kostenbeteiligung zitiert hat, gilt gemäß dem § 187 dieses Gesetzes nicht für die ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen, nicht für die zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen und nicht für die Vorsorgekuren, sondern nur für sonstige Maßnahmen im Einzelfall.
In der 4. Wahlperiode — ich verweise hier auf die Drucksache IV/816 — ist das in gleicher Weise aufgenommen worden, auch ohne bei den Einzelmaßnahmen eine Kostenbeteiligung vorzusehen.
Ich hielt es für notwendig, diese sachliche Richtigstellung an Hand der offiziellen Bundestagsdrucksachen hier bekanntzugeben.
Meine Damen und Herren, zunächst eine kurze Mitteilung. Interfraktionell ist beschlossen worden — ich nehme an, von den Herren Fraktionsgeschäftsführern —, den Punkt 12 — mittelfristige Finanzplanung — von der Tagesordnung abzusetzen. Einverstanden? — Kein Widerspruch! — Dann ist dieser Punkt von der Tagesordnung abgesetzt.
Zu einer Erklärung auf die Bemerkung des Herrn Abgeordneten Müller hat das Wort der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht bestreitbar,
daß alle Versuche mit dem damaligen Sozialpaket in zwei Anläufen an der entscheidenden Frage der Kostenbeteiligung gescheitert sind. Deshalb ist es damals zu keiner Vorsorge gekommen. Ich habe
hier eine besonders wichtige Vorschrift vorgelesen, die die Kassen, wenn sie freiwillig Vorsorge entwickeln wollten, dazu zwingen sollte, die Kostenbeteiligung zu erheben. Das ist das politisch Entscheidende.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich ist es doch eine erfreuliche Tatsache, daß sich alle Fraktionen jedesmal, wenn es um die Verabschiedung von sozialpolitisch notwendigen Maßnahmen geht, um das Urheberrecht streiten und keiner zugeben will, wer nun wo wann zuerst die Forderung erhoben hat. Wir könnten das wohl in allen Parteiprogrammen, auf allen Parteitagen immer wieder nachsehen. Überall haben sich alle Parteien bemüht, die Frage der Vorsorge zunächst einmal in die Diskussion zu bringen. Aber eines ist doch richtig, und darüber läßt sich nicht streiten: Heute sind im Gesetz die Vorsorgemaßnahmen angesprochen. Damit sind die Leser des Gesetzes, vor allem die für die Aufklärungsarbeit zuständigen Stellen in der Lage, ab morgen ganz klar zu sagen: Du hast nun auf diese oder jene Vorsorgemaßnahme einen Anspruch. Das ist allein dadurch entstanden, daß im Ausschuß konkret dazu Entscheidungen gefällt worden sind.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Ruf, ich will gar nicht noch einmal in diesen Streit eingreifen.
Ich will nur, damit es objektiv bleibt, feststellen, daß bei den Beratungen im Ausschuß zum erstenmal die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder und auch die Untersuchungen zur Früherkennung von Krebserkrankungen im Gesetz verankert wurden. In Ihren Vorschlägen — das waren eben Vorschläge, über die man zweifellos schon auf Parteitagen überall geredet hat; die sind nicht unbedingt urheberisch, gesetzlich neu — —
— Gut. Ich wollte nur feststellen, daß es erfreulich ist, wenn man sich bei solchen Dingen um die Urheberschaft streitet. Mir ist eigentlich nicht klar, Herr Kollege Ruf, weshalb Sie bei Ihren Ausführungen gesagt haben, es seien keine Meilensteine vorhanden. Wenn man sich so um die Urheberschaft streitet, muß das doch ein sozialpolitischer Meilenstein sein, den wir heute verabschieden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4165
Schmidt
Also nachdem wir darüber eine halbe Stunde debattiert haben, scheint es mir doch sehr wichtig zu sein.
— Meine Damen und Herren, ich will hier erstens meine Zeit einhalten und zum zweiten einiges zum Gesetzentwurf selber sagen, nachdem in der bisherigen Debatte dazu sehr wenig gesagt werden konnte.Wir Freien Demokraten begrüßen es sehr, daß heute von diesem Hause zwei unserer Vorstellungen verabschiedet werden, um die wir lange gekämpft haben, bei denen es nicht möglich war, mit der CDU/CSU zu einer Einigung zu kommen, und bei denen es auch nicht möglich war, unsere gleichlautenden Anträge zur Zeit der Großen Koalition im vorigen Jahr durchzusetzen.
Ich meine zum einen den Arbeitgeberbeitrag für alle Angestellten, deren Einkommen über der bisherigen Versicherungspflichtgrenze liegt. Wir sind sehr froh darüber, daß unsere alte Vorstellung von der Notwendigkeit, den Angestellten die Möglichkeit zu geben, mit den Arbeitern gleichzuziehen, nunmehr Gesetz geworden ist.
— Entschuldigen Sie, das hat doch nichts damit zu tun,
daß diejenigen Angestellten, deren Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze liegt, den Arbeitgeberbeitrag nicht bekamen. Das hätte damals mit geschehen können. Wir haben voriges Jahr in diesem Zusammenhang im Ausschuß einen entsprechenden Antrag gestellt. Das wissen Sie doch.
— Herr Kollege Ruf, erinnern Sie sich einmal an die Berlin-Sitzung, als wir den Antrag stellten, im Rahmen der damaligen sogenannten Kleinen Krankenversicherungsreform — oder wie man sie nennen will — auch die Arbeitgeberbeiträge und die Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze zu einem bestimmten Prozentsatz zu beschließen. Das, was die Freien Demokraten bereits im vorigen Jahr an Vorstellungen im Ausschuß entwickelt haben, steht heute im Gesetz. Wir begrüßen es, daß nunmehr ein Drittel aller Angestellten, deren Einkommen über der bisherigen Versicherungspflichtgrenze liegt, den Arbeitgeberbeitrag erhält. Das sind immerhin mehr als 3 Millionen Angestellte, und es sind immerhin ab 1. Januar etwa 60 DM pro Monat, die sie in Zukunft weniger für ihre Krankenversicherung aufwenden müssen als bisher. Darüber hinaus sind sie damit den Arbeitern gleichgestellt.Zum zweiten begrüßen wir es, daß mit der Festschreibung der Versicherungspflichtgrenze aufeinen Prozentsatz von 75 % der Rentenbemessungsgrenze eine klare Entscheidung für die Zukunft und nicht nur für den heutigen Tag gefällt worden ist, eine Entscheidung, die entsprechend unseren Vorstellungen von einer gewissen Einkommenshöhe an Wahlfreiheit nach allen Seiten ermöglicht. Es besteht zwar eindeutig die Pflicht zur Versicherung, aber keine Versicherungspflicht. Damit ist der frei-demokratischen Vorstellung von einer modernen Gesellschaftspolitik entsprochen worden. Die Grenze soll dynamisch wachsen, nämlich entsprechend der Rentenbemessungsgrenze. Damit sollen die Einkommenssituation und die Leistungen der Krankenkassen einander angepaßt werden. Jedenfalls soll nicht immer wieder der Streit darum gehen, ob es bei dieser Grenze hundert Mark mehr oder hundert Mark weniger sein müßten. Schließlich soll der Wahlfreiheitsraum festgeschrieben sein. Das ist eine gute Sache, wobei man auf einer weiteren Stufe der Krankenversicherungsreform noch darüber wird reden müssen, ob man nicht überhaupt einmal für alle Arbeitnehmer diesen Freiheitsraum mit einer bestimmten Einkommensgrenze feststellen und Wahlfreiheit von dieser dynamischen Grenze an ermöglichen sollte, eine Frage, über die, wie gesagt, noch zu diskutieren sein wird.Wir sind damit einverstanden — um in diesem Zusammenhang gleich einer immer wieder aufkommenden Kritik zu begegnen —, daß einmalig eine völlige Wahlfreiheit im Gesetz verankert worden ist, die demjenigen, der es wünscht, die Rückkehr aus der privaten Versicherung in die gesetzliche Krankenversicherung ermöglicht. Wir glauben, daß es zu diesem Zeitpunkt, wo es sich um einen Systemwechsel bei der Festlegung der Grenze und damit um eine Festschreibung der Situation für die weitere Entwicklung handelt, richtig ist, einmalig diese Wahlmöglichkeit für eine Frist von drei Monaten zu geben. Wir stellen aber gleichzeitig fest, daß es nur bei diesem Systemwechsel und nicht etwa je nach Bedarf auch wieder bei irgendwelchen anderen Gelegenheiten eine solche Möglichkeit geben kann. Das ist eine einmalige Sache.Wir sind sehr froh darüber, daß es im Bereich der Vorsorge gelungen ist, zu Festschreibungen hinsichtlich der Maßnahmen zur Früherkennung von Krebs und Frühuntersuchungen für Kinder zu kommen. Wir bitten die Bundesregierung und alle anderen in Zukunft mit der Durchführung des Gesetzes betrauten Institutionen, nunmehr dem Auftrag zur Aufklärung gerecht zu werden und jedem Versicherungsberechtigten deutlich zu machen, daß er hier einen Rechtsanspruch hat. Das muß jedem so nahe wie möglich gebracht werden. Es genügt nicht, daß wir es in das Gesetz schreiben und nur der eine oder andere es erfährt, sondern wir wollen doch, daß möglichst breiteste Kreise der Bevölkerung durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen vorzeitig vor wesentlich schwereren gesundheitlichen Schäden, die eintreten könnten, abgesichert werden.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn es im Rahmen des Auftrags, den das Gesetz der Bundesregierung gibt, möglich wäre, weitere Festschreibungen
Metadaten/Kopzeile:
4166 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Schmidt
bestimmter gezielter Vorsorgemaßnahmen im Zusammenhang auch mit dem noch zu erstellenden Bericht dem Bundestag vorzulegen.Insgesamt gesehen — und damit lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren — stellen wir mit Befriedigung fest, daß hier ein Gesetz zur Verabschiedung steht, das zur Weiterschreibung der Krankenversicherung mit sozialliberalem Gedankengut angereichert ist und das sehr stark Gedankengänge der FDP enthält, mit denen wir in der Vergangenheit im Bundestag keine Mehrheiten bekommen konnten. Jetzt sind diese Vorstellungen im Gesetz enthalten, und wir begrüßen es sehr, daß nach einigen hitzigen Debatten nun eine gemeinsame friedliche und fortschrittliche Abstimmung erfolgen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Streit um das Erstgeburtsrecht, der Streit darüber, wer die Vorsorgeeinrichtungen in das Gesetz hineingebracht hat, ist einfach müßig. Denn jeder, der lesen kann, kann aus unserem Gesetzentwurf — Drucksache VI/726 — entnehmen, daß wir den § 181, der seit 1922 in der Reichsversicherungsordnung leersteht,
3) durch die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen zur Früherkennung und Vorsorgehilfe aufgefüllt haben. Ich habe es soeben schon in meinen Ausführungen gesagt, Herr Kollege Professor Schellenberg, daß Sie sich sicherlich auch unter dem Druck der öffentlichen Meinung bereit gefunden haben, schon jetzt bei der Verabschiedung dieses Gesetzes das zu tun, was der Herr Bundesarbeitsminister eigentlich für einen etwas späteren Zeitpunkt versprochen hatte. Ich darf aus der Rede des Herrn Bundesarbeitsministers Arendt zitieren:
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Vorsorge. Im Hinblick auf die Dringlichkeit dieser Frage habe ich die Sachverständigenkommission ausdrücklich gebeten, diese Fragen beschleunigt zu behandeln. Der hierfür vorgesehene Ausschuß der Sachverständigenkommission hat bereits mehrfach getagt, und ich hoffe, daß er in Kürze seine Arbeit abschließen wird.
Ich zitiere weiter — mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident — aus dem Protokoll des Ausschusses:
Der Sachverständige
— der Vorsitzende eben dieser Sachverständigenkommission —
Herr Professor Jahn stellt zunächst fest, daß der Ausschuß „Vorsorge und Früherkennung" der Sachverständigenkommission, die beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gebildet ist, Empfehlungen zu dem hier behandelten Komplex vorgelegt habe. Ein abgeschlossenes und genehmigtes Ergebnis dieser Gremien liege jedoch noch nicht vor.
So darf ich Ihnen also, meine sehr verehrten Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion hier eindeutig sagen: Nachdem wir im Ausschuß darauf bestanden haben, diese unsere Maßnahmen durchzusetzen, ist es am Abend nach der Ausschußberatung zu einer erneuten Sitzung gekommen. Unter Mithilfe der Vertreter des Arbeitsministeriums haben wir dabei eben eine Formulierung gefunden,
die uns — das gebe ich ganz ehrlich zu — doch umfassender erschien als das, was wir allein gefunden hatten, weil wir uns in diesem Stadium des Sachverstandes der Mitarbeiter des Bundesarbeitsministeriums bedient haben. Ich sage noch einmal: Wenn wir mit unserem Antrag auf Drucksache VI/726 nicht initiativ geworden wären, wären Sie heute nicht in der Lage und nicht bereit gewesen, diese Vorsorge-und Früherkennungsmaßnahmen durchzusetzen.
Wollen Sie dazu noch einmal das Wort, Herr Kollege Schellenberg? — Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am letzten Tage der Ausschußberatungen hatte die CDU/CSU im Ausschuß immer noch keine klaren Vorstellungen für die Vorsorge. Ich bitte Sie, das Ausschußprotokoll nachzulesen. Dort haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. beispielsweise hinsichtlich der Früherkennung von Krebs — das ist § 181 Abs. 3 — beantragt, die Vorsorgeuntersuchung zur Früherkennung von Krebs für Männer von der Vollendung des 44. Lebensjahres an auf Krebs der Prostata und des Mastdarms einmal jährlich zu begrenzen. Das schien uns völlig unzureichend zu sein. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich dann am letzten Tage der Ausschußberatungen dem Antrag der beiden Koalitionsparteien, der seinen Niederschlag in diesem Gesetzentwurf gefunden hat, angeschlossen.
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr hat die Bundesregierung Vorschläge zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung angekündigt. Wir hatten zugesagt: 1. die Überprüfung und Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte und 2. die Einführung des Arbeitgeberbeitrags für alle Angestellten, die oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegen. Diese Zusage haben wir eingehalten.Wir sind sogar noch einen Schritt weitergegangen. Wir haben vorgeschlagen, die gesetzliche Krankenversicherung für alle Angestellten zu öffnen. Denn unser Ziel ist es, daß Arbeiter und Angestellte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4167
Bundesminister Arendtgleichbehandelt werden. In der vorigen Legislaturperiode hat das Hohe Haus eine ungerechtfertigte Benachteiligung kranker Arbeiter beseitigt: die Lohnfortzahlung wurde eingeführt. Jetzt wird eine Benachteiligung der Angestellten gegenüber den Arbeitern beseitigt. Der Gesetzentwurf, der jetzt verabschiedet werden soll, setzt in logischer Folge fort, was am 1. Januar 1970 begonnen wurde. Damit wird eine wichtige innere Reform verwirklicht und mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen.Die soziale Krankenversicherung wird noch in einem zweiten wichtigen Bereich weiterentwickelt. Zum ersten Male erhalten alle Versicherten und ihre Familienangehörigen einen Rechtsanspruch auf vorbeugende Hilfen zur Sicherung ihrer Gesundheit. 2,5 Millionen Kinder, 7,6 Millionen Männer und über 16 Millionen Frauen können Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten in Anspruch nehmen. Der medizinische Fortschritt wird ihnen damit voll nutzbar gemacht.An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Wort des Dankes an die Mitglieder der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung sagen. Die Vorarbeiten der Kommission waren für die Gestaltung der Vorschriften über die Früherkennung sehr dienlich. Das ist für mich der Beweis, daß die Entscheidung der Bundesregierung, an der Weiterentwicklung der Krankenversicherung Sachverständige zu beteiligen, politisch und sachlich richtig war.
Darüber hinaus hat es sehr zur Versachlichunq der Diskussion beigetragen, daß bereits im Frühjahr dieses Jahres anhand von Entscheidungsmodellen Abstimmungsgespräche mit allen Beteiligten geführt wurden. Damals haben wir noch in herkömmlicher Weise die finanziellen Auswirkungen berechnet. Für die Gesetzesberatung war es bereits möglich, daß gesamte Rechenprogramm mit Hilfe eines Computers durchzuführen. Damit wurde zum ersten Mal demonstriert, wie künftig solche Gesetze vorbereitet werden können. Noch wichtiger ist zweifellos, daß wir dem Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung Berechnungen vorlegen konnten, die dem neuesten Stand der wirtschaftlichen Entwicklung entsprachen.Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu den Verbesserungen machen, die dieses Gesetz im einzelnen für Angestellte, für Arbeiter und für Rentner bringt. Einen Teil dieser Verbesserungen werden die nichtversicherungspflichtigen Angestellten vom 1. Januar 1971 an auf ihrem Gehaltsstreifen vorfinden. Mit dem Arbeitgeberanteil zum Krankenversicherungsbeitrag werden endlich auch diejenigen Angestellten, die freiwillig einer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse angehören, den Pflichtversicherten gleichgestellt. Das bedeutet eine Verbesserung ihrer Einkommen von mindestens 1,8 Milliarden DM netto im Jahr. Aber bei dieser Leistungsverbesserung geht es nicht nur um Geld. Es ist genauso wichtig, daß die Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfalle, die das Lohnfortzahlungsgesetz eingeleitet hat, einen entscheidenden Schritt vorangebracht wird.Sozialpolitisch von großer Bedeutung dürfte für die Angestellten sein, daß der soziale Schutz der Krankenversicherung jetzt keinem Angestellten mehr verwehrt ist. Durch die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze zum 1. Januar 1971 auf monatlich 1425 DM werden etwa eine Million Angestellte versicherungspflichtig. Das bedeutet, daß von den insgesamt 7,1 Millionen Angestellten nahezu 58 % versicherungspflichtig werden. Durch die Dynamisierung dieser Einkommensgrenze bei 75 v. H. der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung ist gleichzeitig sichergestellt, daß der Kreis der Versicherungspflichtigen relativ konstant bleibt.Wir wissen, daß es unterschiedliche Auffassungen über die Höhe der Versicherungspflichtgrenze gibt. Man sollte aber nicht nur diesen Prozentsatz sehen, sondern das Ganze betrachten. Bei Berücksichtigung aller Verbesserungen glauben wir, daß die Anhebung auf 75 % ein vertretbarer Kompromiß ist.Entscheidungsfreiheit wird erstmals auch den Angestellten geboten, die bisher nicht der sozialen Krankenversicherung beitreten konnten. Bis zum 31. März 1971 können alle Angestellten, die jetzt im Arbeitsleben stehen, der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitreten. Für Berufsanfänger gilt diese Regelung generell.Nun lassen Sie mich auch einige Bemerkungen zur Interessenlage der privaten Krankenversicherung machen. Niemand bestreitet, daß Angestellte von der privaten zur gesetzlichen Krankenversicherung übertreten werden. Hierbei handelt es sich um eine freie persönliche Entscheidung der Angestellten, die von allen respektiert werden sollte. Es wäre aber sicherlich falsch, in diesem Vorgang einen tödlichen Aderlaß der privaten Krankenversicherung zu sehen.
Die private Krankenversicherung verliert etwa 5 % aller Vollversicherungen. Sie bleibt damit voll lebensfähig.Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Leistungen der sozialen Krankenversicherung in einem wichtigen Bereich erheblich ausgebaut. Der Rechtsanspruch auf Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten wird erstmalig als Pflichtleistung normiert. Der sozialen Krankenversicherung stellen sich damit neue Aufgaben, die wesentlich zur Sicherung der Gesundheit der Versicherten beitragen werden. Wir alle kennen den Grundsatz „Vorbeugen ist besser als heilen". Das wird jetzt auch in der sozialen Krankenversicherung in die Tat umgesetzt. Ich begrüße es, daß dieser Fortschritt durch die gemeinsame Arbeit des Ausschusses, der Sachverständigenkommission und der Bundesregierung zustande gekommen ist. Vom 1. Juli 1971 an werden die Versicherten und die mitversicherten Angehörigen ihren Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung bestimmter Krankheiten wahrnehmen können.Das gilt auch für Kinder. Ich meine, daß es richtig und dringend notwendig ist, daß jetzt für Kinder bis zur Vollendung des vierten Lebensjahres ein Anspruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von
Metadaten/Kopzeile:
4168 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bundesminister ArendtKrankheiten eingeführt wird. Dank des medizinischen Fortschritts wissen wir heute, daß die körperliche oder geistige Entwicklung schon in den ersten Lebensjahren stark gefährdet sein kann. Deshalb muß alles getan werden, um etwaige Schäden frühzeitig zu erkennen und soweit eben möglich abzuwenden. Die ärztliche Betreuung in den folgenden Jahren sollte deshalb aber nicht vernachlässigt werden.Ich bin auch davon überzeugt, daß wir jetzt eine gute Ausgangsbasis für weitere Erfolge in der Früherkennung von Krebserkrankungen haben. Für besonders wichtig halte ich es, daß die Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten einheitlich von sämtlichen Kassen durchgeführt werden, also einschließlich der Ersatzkassen und der Bundesknappschaft.Meine Damen und Herren, es gehört zur Politik dieser Koalition, daß der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen eine aktive Rolle in der Durchführung der Früherkennungsmaßnahmen zukommen soll. Die von dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen zu beschließenden Richtlinien werden dazu beitragen, einen möglichst großen gesundheitspolitischen Erfolg zu erreichen. Die Untersuchungen sind von den frei praktizierenden Kassenärzten und den an der kassenärztlichen Versorgung beteiligten Krankenhausärzten durchzuführen. Die freie Wahl des Arztes wird damit garantiert. Das Bekenntnis der Bundesregierung zum Grundsatz der freien Arztwahl und der freien Berufsausübung der Ärzte wird hier auch bestätigt.1 Auch die Krankenkassen haben eine wichtige Aufgabe zu übernehmen. Sie werden verpflichtet, die Versicherten von der Bedeutung von Früherkennungsleistungen für die eigene Gesundheit zu überzeugen. Dies wird zu einer stärkeren Individualisierung der Krankenversicherung beitragen und ihren Dienstleistungscharakter verdeutlichen. Die Selbstverwaltungen der Ärzte und der Krankenkassen erhalten damit neue Möglichkeiten, zur Gesundheitssicherung wirksamer beizutragen. Die gesetzlich festgelegten Leistungen sind ein Anfang. Entsprechend dem medizinischen Fortschritt und den finanziellen Möglichkeiten der Krankenkassen müssen weitere Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten eingeführt werden.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung soll ermächtigt werden, weitere Maßnahmen vorzusehen. Ich bin gewillt, zu gegebener Zeit davon Gebrauch zu machen. Gleichzeitig ist die Wissenschaft aufgerufen, Methoden zur Früherkennung von anderen Krankheiten zu entwickeln.Mit diesem Gesetzentwurf wird jedoch noch nicht das gesamte umfangreiche Gebiet der Gesundheitsvorsorge abschließend geregelt. Weitere Leistungen der Gesundheitsvorsorge müssen von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Die Sachverständigenkommission wird sich dieser Probleme annehmen und uns Vorschläge machen.Meine Damen und Herren, wir wollen auch die wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit verbessern. Während der Krankenhauspflege soll künftig anStelle des niedrigeren Hausgeldes Krankengeld an die Versicherten gezahlt werden. Ich begrüße es, daß diese Leistungsverbesserung durch übereinstimmenden Beschluß aller Fraktionen im Ausschuß zustande gekommen ist.Lassen Sie mich noch auf eine weitere Vorschrift hinweisen. Sie betrifft zwar keinen großen Personenkreis, beseitigt aber eine soziale Härte. Es handelt sich um das erneute Beitrittsrecht für Rentner. Viele 'Rentner haben uns geschrieben, daß sie die Frist zum Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung vom 1. Januar bis 30. Juni 1968 versäumt haben. Es handelt sich fast ausschließlich um alte und der Hilfe bedürftige Menschen. Diesen Personen, die die damalige Frist versäumt haben, wird durch die vorgesehene Regelung 'bis zum 31. März 1971 erneut die Möglichkeit zum Beitritt gegeben. Dagegen haben insbesondere die Krankenkassen Bedenken erhoben. Ich bitte aber die Krankenkassen zu berücksichtigen, daß bei dieser sozialen Ausnahmesituation grundsätzliche und finanzielle Einwände zurückstehen sollten.Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die soziale Krankenversicherung ein gutes Stück weiterentwickelt. Die nächsten Schritte werden bald folgen. Die Einführung einer Pflichtversicherung der selbständigen Landwirte, der mitarbeitenden Familienangehörigen und der Altenteiler ist sozialpolitisch besonders dringlich. Wir werden daher in Kürze einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Die Grundsätze für diesen Entwurf hat das Bundeskabinett 'bereits beschlossen.Meine Damen und Herren, ich möchte mich abschließend aber an dieser Stelle ausdrücklich auch an die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wenden und ihnen meinen Dank aussprechen. Sie haben dieses Gesetz so zügig beraten, daß es heute verabschiedet werden kann. Wir wollen größere soziale Sicherheit und Gerechtigkeit. Mit ,dem jetzt zu verabschiedenden Gesetz und den weiteren Vorhaben kommen wir diesem Ziel ein große Stück näher.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer der Vorlage als Ganzem zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Der Ausschuß empfiehlt weiter, den Entwurf der CDU/CSU Drucksache VI/726 für erledigt zu erklären. Wir können es vielleicht einfacher machen als beim letztenmal, wenn die Antragsteller einverstanden sind.
— Sie verzichten. Damit ist das erledigt.
In Nr. 3 a und b beantragt der Ausschuß, zwei Entschließungen anzunehmen. — Das Haus ist einverstanden.
In Nr. 4 wird beantragt, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Eingaben und Petitionen für
Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4169
Vizepräsident Dr. Schmid
erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit ist Punkt 3 der Tagesordnung erledigt. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Wohngeldgesetzes
— Drucksache VI/1116 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/1365
Berichterstatter: Abgeordneter Müller
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen
Drucksache VI/1310
Berichterstatter: Abgeordneter Geisenhofer
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Riedl , Dr. Schmidt (Wuppertal), Rollmann, Orgaß, Dr. Probst, Müller (Berlin), Wohlrabe und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes
— Drucksache VI/2 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Städtebau und Wohnungswesen
Drucksache VI/1310
Berichterstatter: Abgeordneter Geisenhofer
c) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen über den Dritten Bericht der Bundesregierung über die in den einzelnen Ländern gemachten Erfahrungen mit dem Wohngeldgesetz
— Drucksachen VI/378, VI/1325 —Berichterstatter: Abgeordneter Geisenhofer
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Geisenhofer das Wort. — Ich darf zuvor darauf aufmerksam machen, daß in der Zwischenzeit der Bericht des Haushaltsausschusses eingetroffen ist.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich Sie bitten, einen Druckfehler zu berichtigen. In der Drucksache VI/1310 — Schriftlicher Bericht des Ausschusses zum Entwurf eines Zweiten Wohngeldgesetzes — ist auf Seite 5 in der letzten Zeile zu § 34 das Wort „unentbehrlich" durch „entbehrlich" zu ersetzen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Berichten Drucksachen VI/1325 und 1310 darf ich kurz noch folgende Ausführungen machen.Der Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen hat den Dritten Wohngeldbericht der Bundesregieung am 19. März 1970 und am 16. Oktober 1970 beraten. Schwerpunkte der Beratungen waren die Auswertungen der in dem Bericht enthaltenen Erfahrungen über aufgetretene Mängel im Vollzug des Wohngeldgesetzes sowie Vorschläge zu Leistungsverbesserungen entsprechend den veränderten Verhältnissen und Verwaltungsvereinfachungen.Der heute dem Hohen Hause vorliegende Entwurf eines Zweiten Wohngeldgesetzes der Bundesregierung berücksichtigt, soweit möglich, diese Erfahrungen des Berichts. Dem Ausschuß lag ferner seit November 1969 der Entwurf eines Wohngeldverbesserungsgesetzes der CDU/CSU-Fraktion Drucksache VI/2 vor, der ebenfalls in die Beratungen einbezogen worden ist. Auch die Vorschläge aus der Anhörung der Verbände und Behörden sind in diesem Bericht und in diesem Gesetzentwurf zur Geltung gekommen.Zur Bewältigung der umfangreichen Materie mußten neun Ausschußsitzungen abgehalten werden. Besonders schwierige Fragen wurden von einer kleinen Kommission vorgeklärt. Die Beratungen verliefen trotz harter Konfrontationen in einer sachlichen und menschlichen Atmosphäre, wofür den Ausschußmitgliedern, dem Vorsitzenden, Herrn Mick, und auch den Regierungsvertretern Dank und Anerkennung gebührt.Die wichtigsten Neuerungen im Entwurf des Zweiten Wohngeldgesetzes gegenüber dem alten Recht sind folgende.§ 29 ,des alten Wohngeldgesetzes, der das Verhältnis von Wohngeld zu Sozialhilfe und Kriegsopferfürsorge regelte, ist durch das Bundesverfassungsgericht am 14. 11. 1969 für nichtig erklärt worden. Er ist daher in dem neuen Gesetz nicht mehr enthalten. Die Einkommensgrenze wurde erhöht. Die Vorschriften für die zu berücksichtigenden Mieten und Belastungen wurden den veränderten Verhältnissen angepaßt. Das Wohngeld und die zuschußfähige Miete und/oder Belastung können erstmalig aus einer DM-Tabelle abgelesen werden.Neben der Vornahme von redaktionellen Änderungen folgte der Ausschuß einigen Verbesserungsvorschlägen, die im wesentlichen von den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion gemacht wurden. Weitergehende Verbesserungsvorschläge der CDU/CSU-Fraktion wurden von der Ausschußmehrheit abgelehnt. Die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion haben sich wegen der Ablehnung dieser Anträge bei der Endabstimmung im Ausschuß der Stimme enthalten und angekündigt, dem Hohen Hause einige Änderungsanträge vorzulegen.Die Kosten aus dem Regierungsentwurf einschließlich der vom Ausschuß beschlossenen Verbesserungen belaufen sich nach Aussagen der Regierung auf zirka 425 Millionen DM. Sie werden zur Hälfte vom Bund und von den Ländern getragen.Der Ausschuß faßte einstimmig den Beschluß, dem Bundestag zu empfehlen, das Wohngeldgesetz zum 1. Januar 1971 in Kraft zu setzen.
Metadaten/Kopzeile:
4170 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Geisenhofer
Ich danke dem Berichterstatter. Wird zum Bericht das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann treten wir in die zweite Beratung ein. Ich rufe § 2 auf. Dazu liegt auf Umdruck 79*) ein Änderungsantrag vor. Zur Begründung dieses Antrags hat die Abgeordnete Frau Meermann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Antrag Umdruck 79 für die SPD- und für die FDP-Fraktion begründen.
Nach Abschluß der Beratungen im Ausschuß ist in einigen Ländern bei Nachrechnung der Tabellen festgestellt worden, daß sich eine gewisse Unebenheit dadurch ergibt, daß zwar die Mietenspannen für die Haushalte mit ein bis drei Personen jeweils 10 DM betragen, daß aber bei den größeren Haushaltungen mit vier, fünf und sechs Personen dadurch eine gewisse Härte eintreten kann, daß die Spannen 20 DM betragen.
Ich möchte an die Ausschußberatungen erinnern: Es war wohl der gemeinsame Wille aller im Ausschuß vertretenen Parteien, daß die Wohngeldkurve möglichst sanft verlaufen sollte, insbesondere beim auslaufenden Wohngeld, damit es keine plötzliche Härte, kein unerwartetes Aufhören der Zahlung gibt. Diesem Anliegen, das allen drei Parteien gemeinsam war, trägt der vorliegende Antrag Rechnung. Ich bitte Sie, ihm zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erpenbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Änderungsantrag Umdruck 79 muß ich zunächst unsere Verwunderung zum Ausdruck bringen, daß eine so schwierige und unübersichtliche Materie, wie sie eine sogenannte computergerechte Tabelle darstellt, durch einen in letzter Minute vorgelegten Antrag eine Änderung erfahren soll. Denn um die Auswertungen im einzelnen übersehen zu können, muß man schon EDV-Mathematiker sein. Sonst ist das gar nicht möglich. Wie uns im Ausschuß gesagt wurde, hat ja die Erstellung dieser Tabelle mehr als vier Monate in Anspruch genommen. Man kann sicherlich von niemandem, der in dieser Sache nicht „vorbelastet" ist, verlangen, daß er einen solchen Änderungsantrag in seinen Auswirkungen sofort voll erkennt.
Aber auch bei der Anwendung einer leichteren Rechenart — das möchte ich den Antragstellern ausdrücklich bescheinigen — ist eines ersichtlich: Bei den Mieten tritt in der unteren Hälfte der Spanne, die nach der Vorlage 20 DM, nach Ihrem Änderungsantrag 10 DM betragen soll, eine Verringerung des ausgewiesenen Betrages ein, während in der oberen Hälfte der Spanne gegenüber der Vorlage ein Mehrbetrag ausgewiesen werden wird. Es läßt sich allerdings nur dann sicher feststellen, daß das völlig kostenneutral sein wird, wenn man die Zahlen
*) Siehe Anlage 5
kennt, die in der unteren und in der oberen Hälfte dieser Spanne liegen.
Sicher ist allerdings, daß jeweils der Übergang von der Drei-Personen-Familie zur Vier-PersonenFamilie bzw. der Übergang zu Mehrpersonenfamilien durch diesen Antrag günstiger gestaltet wird, als das bei der bisher vorliegenden Tabelle der Fall ist. Insoweit stimmen wir dem Änderungsantrag zu, ohne die letzte Übersicht über die Auswirkungen zu haben.
Bei dieser Gelegenheit lassen Sie mich doch noch folgendes hinzufügen. Wir müssen beanstanden, daß dem Ausschuß die notwendigen Unterlagen zur Beurteilung auch dieser Materie nicht vorgelegen haben. Aber was Beurteilungsunterlagen angeht, haben wir ja in verschiedener Hinsicht negative Erfahrungen gemacht, u. a. auch die, daß uns erst gestern nachmittag nach mehrmaliger Mahnung die dem Ausschuß zugesagten Zahlen des Ministeriums hinsichtlich der Anforderungen der Länder an den Bund — diese Zahlen geben ja Aufschluß über die Gesamtanforderungen an Wohngeld — zugegangen sind, während im Ausschuß immer wieder darauf hingewiesen worden ist, daß Vorschläge zur Änderung oder auch zur Verbesserung des Gesetzgebungswerkes wegen fehlender Deckungsmittel nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Wenn diese Zahlen, die das Ministerium gestern nachmittag zur Verfügung gestellt hat und uns heute vorgelegt werden, ausweisen, daß nach einer Hochrechnung zirka 30 bis 40 °/o der für dieses Haushaltsjahr ausgewiesenen Bundesmittel nicht in Anspruch genommen werden, steht doch fest, daß die Auskunft, die wir im Ausschuß darüber erhalten haben, höchst fragwürdig ist. Ich glaube, daß man gerade im Zusammenhang mit diesem Änderungsantrag noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen muß, daß dem Ausschuß zur Beurteilung aller Auswirkungen die Zahlen frühzeitig vorliegen müssen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann stimmen wir ab. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 79 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Damit ist Anlage 4 entsprechend geändert.
Wir stimmen über § 2 ab. Wer dem § 2 mit der Änderung zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Zum Änderungsantrag auf Umdruck 77 *) zu § 8 hat Herr Abgeordneter Orgaß das Wort.
Herr Präsident! Meine 'verehrten Damen, meine Herren! Mit dem Änderungsantrag auf Umdruck 77 legt die CDU/CSU-Fraktion dem Parlament einen Antrag vor, der von außerordentlicher sozialpolitischer, aber darüber hinaus auch wohnungspolitischer Bedeutung ist. Der klare Wille dieses Antrages ist die Einbeziehung der Wohnungen im sozialen Wohnungsbau in die volle*) Siehe Anlage 6
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4171
OrgaßWohngeldfähigkeit, wie es die bisherige gesetzliche Regelung ohnehin schon vorsieht. Wir haben im Ausschuß über diese Problematik sehr lange gerungen; ebenfalls auch in der von dem Kollegen Geisenhofer zitierten Kleinen Kommission. Die Antworten, die wir von den Vertretern der Koalitionsfraktionen und vor allem von den Regierungsvertretern erhalten hatten, waren mehr als unbefriedigend. Ich glaube, daß wir auf Grund dessen verpflichtet sind, allen Abgeordneten des Parlaments die Problematik darzustellen, die für den zukünftigen Wohnungsbau entstehen würde, wenn Sie diesem unseren Änderungsantrag nicht zustimmen sollten.Es wurden uns im wesentlichen drei Gründe entgegengehalten: Der erste Grund war der der Kosten, auch die Frage der Deckung. Der zweite Grund war der Gleichheitsgrundsatz, und die dritte Begründung lag darin, daß die Länder ihre Finanzierung zu Lasten des Bundes verschieben würden.Ich glaube, gerade bei der Frage der Kosten ist die Widersprüchlichkeit doch sehr deutlich geworden. Zuerst war nämlich gesagt worden, die jetzigen Obergrenzen im sozialen Wohnungsbau, die durch das Bindungsgesetz einer ständigen preisrechtlichen Kontrolle unterworfen seien, würden durch die Tabelle in § 8 völlig abgedeckt; der Tatsache, daß die dynamische Kostenmiete, die wir insbesondere infolge der Mietexplosion der letzten Jahre haben, ständig nach oben verändert würde, würde man begegnen, indem wir als Parlament die Tabellensätze heraufsetzen und dabei dafür sorgen, daß wir immer an die Obergrenze herankommen. Wenn das3) so stimmte, wäre das Argument der Mehrkosten hinfällig. Das kann man uns dann nicht mehr vorhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Orgaß, bei allem Respekt vor der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, — in diesem Punkt sind sie Interessenten. Ich meine, der Herr Staatssekretär der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft müßte selbst erklären, was er damit gemeint hat.
Auf der anderen Seite müssen wir auch sehen, wie sich die Praxis des Wohngeldgesetzes bisher vollzogen hat. Herr Minister Lauritzen hat im Ausschuß anläßlich der Beratung in einer Einführungsrede erklärt, daß — bezogen auf die bisherige Behandlung und die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Verbesserungen — für das Jahr 1971 für den Bund ein Bedarf in Höhe von 480 Millionen. DM entstehen werde, insgesamt also 960 Millionen DM, weil die Hälfte der Bund und die Hälfte das Land trägt. Die Verbesserungen, die wir im Ausschuß beschlossen haben, ergeben eine Erhöhung auf insgesamt 425 Millionen DM.
Wir haben, weil wir Erfahrung mit den Sätzen beim Wohngeld haben, sehr nachdrücklich gedrängt, man möge uns einmal die Ist-Zahlen für das Jahr
1970 sagen. Trotz mehrfacher Mahnung sind sie uns bis gestern nicht gegeben worden. Gestern haben wir dann ganz massiven Druck ausgeübt, und wir bekamen daraufhin das Schreiben nachmittags um 16 Uhr. Dieses Schreiben ist für uns sehr aufschlußreich. Ich hoffe nur, daß es Ihnen ebenfalls zugänglich gemacht wurde. Es sagt aus, daß von den Ländern bis zum 30. September 1970 218 Millionen DM abgerufen worden sind. Weiter steht darin, daß mit einer Erhöhung der angeforderten Mittel in den restlichen Monaten zu rechnen ist, weil ja die Sozialhilfeempfänger neu hineingekommen sind und noch Zug um Zug Anträge bearbeitet werden. Es wird aber niemals so kommen, wie in dem Schreiben vielleicht der Anschein erweckt werden soll, daß es 150 Millionen DM zusätzlich sein werden; denn einen erheblichen Teil haben die Sozialhilfeempfänger bereits aus den Mitteln der ersten neun Monate bekommen. Andernfalls würde das Ministerium zweifellos ganz anders formuliert haben.
Hinsichtlich der Kosten usw. hat man nämlich ohnehin sehr variabel formuliert. Ich denke nur daran, daß beispielsweise auf unsere Forderung, Studenten und Lehrlinge in die Wohngeldregelung einzubeziehen, der Parlamentarische Staatssekretär Ravens am Vormittag erwiderte, wir sollten von seiten der CDU/CSU, wenn wir dieses Anliegen verfechten, einen Deckungsvorschlag machen.
Eine Zwischenfrage!
Vielleicht darf ich eben noch zu Ende sprechen. — Das würde nämlich 200 bis 300 Millionen DM mehr kosten. Am Nachmittag ließ dann der beamtete Staatssekretär Storck vernehmen, er habe im Auftrag seines Kollegen Ravens zu erklären, daß der beabsichtigte Antrag der CDU überhaupt nicht nötig sei, denn nach der bisherigen Regelung bekämen die Betroffenen bereits mehr, als wir vorgesehen hätten. Meine sofort gestellte Frage, wie denn dieser Widerspruch zu erklären sei, hatte eine wirklich nur als peinlich zu bezeichnende Situation zur Folge. Wie peinlich diese Situation ist, sehen Sie daran, daß Sie jetzt in der dritten Lesung einen Entschließungsantrag stellen — wie wir übrigens auch —, der in die gleiche Richtung geht.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Orgaß! Ich wollte nur fragen: Begründen Sie jetzt den Antrag Umdruck 77?
Ja, ich bin dabei, den Antrag Umdruck 77 zu begründen. Wenn ich dabei die Aspekte ein wenig weiter fasse, dann ist das mein Recht und auch das Recht der Opposition.
Eine weitere Zwischenfrage hierzu?
Gern, Frau Meermann.
Herr Orgaß, würden Sie sich gütigst daran erinnern, daß Sie im Ausschuß
Metadaten/Kopzeile:
4172 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Frau Meermannvöllig andere Anträge gestellt haben, als dies jetztin dem Entschließungsantrag zum Ausdruck kommt?
Verehrte Frau Kollegin, daran kann ich mich nicht erinnern, und ich glaube, keiner unserer Kollegen kann es, Wir haben haargenau den Antrag gestellt, den sozialen Wohnungsbau voll in die Wohngeldfähigkeit einzubeziehen. Das aber ist der Antrag, der auch hier zur Diskussion steht.
Habe ich Sie denn nicht recht verstanden, wenn ich meine, daß Sie soeben von den Studenten gesprochen haben?
Nein, ich habe das nur beispielhaft erwähnt.
Eben. Und ich möchte Sie daran erinnern, daß das nicht stimmt.
Ich habe es beispielhaft erwähnt, um zu zeigen, daß uns in der Frage der Finanzierung allerhand Akrobatik vorgemacht wurde. Ich habe Ihnen deswegen die Zahlen der ersten neun Monate vorgelegt mit 218 Millionen DM. Hochgerechnet ergäben das 290 Millionen DM. Hinzu kommen zugegebenermaßen noch die Mittel für die Sozialhilfeempfänger, die im Moment noch keiner übersehen kann. Im Ergebnis würde das bedeuten, daß zumindest für das Jahr 1971, aber wohl auch
darüber hinaus, dieser Antrag auch finanziell abgedeckt ist. Das war das Argument, um das es mir ging. — Herr Kollege Mick!
Herr Kollege Orgaß, ist Ihnen aus der Ausschußberatung bekannt, daß die Regierungskoalition und auch die Vertreter der Regierung erklärt haben, die in Ausbildung Befindlichen müßten nicht in. das Gesetz einbezogen werden, weil eine entsprechende gesetzliche Regelung binnen Jahresfrist verabschiedet sei? Haben Sie etwas dagegen, solchen Erklärungen auch einmal Glauben zu schenken?
Herr Kollege Mick, nein, ich habe nichts dagegen. Ich werde also mit Vorsicht glauben, vielleicht auch Sie.
Dann haben Sie das Problem der Gleichheit ins Feld geführt. Ich kann Ihnen dazu sagen, daß wir uns mit diesem Problem noch einmal sehr ernsthaft auseinandergesetzt haben und daß wir es auch verfassungsrechtlich haben prüfen lassen. Wir kommen zu dem Schluß, daß der Gleichheitsgrundsatz nur dort zutrifft, wo Gleiches gleichzubehandeln ist. Hier aber liegt es nicht gleich, weil der Block des sozialen Wohnungsbaues durch gesetzliche Bindung starr auf die jeweilige Kostenmiete fixiert wird und damit einer ständigen Preiskontrolle unterliegt. Das ist der gravierende Unterschied.
Die Auswüchse, die es unter Umständen dadurch gibt, daß der soziale Wohnungsbau nicht voll wohngeldfähig ist, liegen darin begründet, daß dann außerhalb der erstmaligen Bewilligung überhaupt keine Kontrolle mehr gegeben ist, daß der Vermieter eine Miete nur in Höhe der Kostenmiete nimmt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Bitte schön, Herr Abgeordneter Henke!
Herr Kollege Orgaß, stimmen Sie mir zu, daß es im Ausschuß kein juristisches Problem war, so wie Sie hier den Gleichheitsgrundsatz interpretieren, sondern daß es uns darum ging, die Mieter von Altbauwohnungen und freifinanzierten Wohnungen hinsichtlich ihres Anspruchs nach diesem Gesetz nicht schlechterzustellen als die Bewohner von Sozialwohnungen?
Ich gebe Ihnen zu, daß auch das gesellschaftspolitische Element mit zum Tragen kommt. Aber Sie müssen dabei natürlich auch sehen, daß der freifinanzierte private Wohnungsbau insoweit anderen Gesetzen unterliegt. Ich bin mir also über die Problematik dort, wo in Ballungzentren der Markt nicht funktioniert, im klaren. Gerade deswegen möchte ich dies hier haben. Denn das bedeutet in jedem Fall, daß nach marktmechanischen Gesichtspunkten Vermieter und Mieter in freier Vertragsgestaltung eine Miete aushandeln, auf die niemand einen Einfluß hat, es sei denn, es geht so weit, daß das Wirtschaftsstrafrecht greift, was aber überhaupt nur in wenigen Fällen zum Tragen kommt. Wenn man auch hier einen vollen Zuschuß zahlen wollte, würde es dahin kommen, daß zwei Vertragspartner einen Vertrag zu Lasten des Staates schließen, indem die Wohngeldfähigkeit voll mit in den Vertrag aufgenommen würde.Ich habe gestern abend das große Glück gehabt, mit dem hamburgischen Wohnungsbausenator Meister zu sprechen. Ich habe ihn wie kann es anders sein? — auf diese Problematik hingewiesen. Er hat nicht bestritten, daß zumindest in Hamburg, einem Ballungszentrum, die Entwicklung im Hinblick auf die jetzige Tabelle mehr als problematisch ist, weil die angegebenen Zahlen für die Kostenmiete nicht identisch sind mit der ursprünglichen Bewilligungsmiete. Die Kostenmiete kommt durch eine Reihe von Faktoren — Gebühren der Kommunen, Zinserhöhungen der Sparkassen und andere — laufend in Bewegung und fast immer nur nach oben, so daß das Zahlenbild die wirkliche Lage nicht widerspiegelt. Von mir befragt, wie er denn in Zukunft aus der Malaise herauskommen wolle, sagte er mir: Ja, wir werden uns dann von Hamburg aus so helfen, daß wir uns durch höhere Mittel für die einzelne Wohnung im sozialen Wohnungsbau der Obergrenze annähern. Was bedeutet das? Ich habe es ihm genau gesagt: Das kann ja nur auf Kosten des vorgesehenen Volumens geschehen. Das bedeutet aber, daß die Vorstellung, die der Wohnungsbauminister Lauritzen vor wenigen Wochen hier entwickelt hat, endgültig ins Land der Fata Morgana verwiesen wer-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4173
Orgaßden muß. Der Bundeswohnungsbauminister hat hier erklärt, daß er durch sein Programm zusätzlich 100 000 Wohnungen schaffen wolle, und dann hinzugefügt, das sei aber nur durch eine entsprechende Mithilfe ,der Länder bei der Finanzierung möglich. Schon damals wußte er vom Bundesrat her, daß die Länder dazu nicht in der Lage waren und ihm das deshalb verweigern mußten. Jetzt aber können selbst die vorgesehenen Zahlen nicht mehr erreicht werden, weil in den Ballungsgebieten diese Problematik auftritt.Aber es gibt auch bei dem Block der älteren Sozialwohnungen eine Problematik. Das hat mir der Bausenator ebenfalls bestätigt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wurbs?
Aber gern.
Herr Kollege Orgaß, stimmen Sie mit mir darin überein, daß bei den 100 000 Wohnungen nicht ausdrücklich gesagt worden ist, daß diese Wohnungen mit Darlehnsbeträgen zu finanzieren sind, sondern daß sie vielmehr auch im Wege von Annuitätszuschüssen finanziert werden können, und stimmen Sie mit mir darin überein, daß man über die Annuitätszuschüsse ein Vielfaches von dem finanzieren kann, was man sonst mit Darlehen finanziert?
Zweifellos, Herr Wurbs. Ob so oder so, das ist nur eine Frage der Streckung. Aber ob es nun die Direktmittel oder ob es die Annuitäten sind, zu bezahlen sind sie, und weder dem Bundesminister noch den Länderministern fällt es irgendwie als Weihnachtsgeschenk vom Himmel. Die Problematik ist doch, daß auch die vorgesehene Regelung der Streckung des Programms schon nicht möglich war und jetzt noch weniger möglich sein wird.
Bei einem Block älterer Sozialwohnungen aber liegt das Problem darin, daß man die Obergrenze nach der Tabelle nicht erreicht. Damit entfällt die einzig wirksame ständige Kontrolle hinsichtlich der Frage, ob die Mietforderung des Vermieters sich im Bereich der Kostendeckung bewegt, also zu Recht erhoben wird. Es gibt dann kein wirksames Kontrollinstrument mehr gegen eine Preistreiberei. Das müssen Sie sehen, und das kann kein Fachmann bestreiten. Die Vertreter der Länder, insbesondere der Vertreter des Landes Schleswig-Holstein, haben darauf in aller Deutlichkeit hingewiesen und die Problematik für die Länder mit aufgezeigt.
Auch das Argument, die Länder wären ansonsten vielleicht gehalten, sich auf Kosten des Bundes finanziell zu entlasten, ist nicht stichhaltig, wie im Ausschuß schon dargelegt worden ist, weil der Bund nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz ein erhebliches Gestaltungsrecht hat, so daß die Länder einfach nicht frei sind und nicht machen können, was sie wollen, jedenfalls nicht zu Lasten des Bundes.
Herr Kollege, hier ist noch grünes Licht, aber wir haben das nicht richtig eingestellt; an sich müßte es rot sein. Würden Sie wohl zu Ende kommen.
Ich will gern zu Ende kommen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, alle sachlichen Gründe, insbesondere auch die Gründe, die vom Volksheimstättenwerk und von den gemeinnützigen Unternehmen vorgetragen worden sind, sprechen für eine Regelung, wie wir sie vorschlagen. Wir als Parlament sollten uns überlegen, wie wir der Sache einen Dienst erweisen können. Wir sollten einmal bei der Lösung des Problems auf den einzelnen Wohnungsinhaber Rücksicht nehmen, und zum anderen sollten wir uns nicht alle Chancen verbauen und den sozialen Wohnungsbau für die Zukunft nicht noch mehr abwürgen als bisher.
Aus diesem Grunde möchte ich Sie wirklich von Herzen bitten, sich selbst Ihr Urteil zu bilden und selbst zu entscheiden. Ich bin sicher, daß Sie sich dann für die Annahme unseres Änderungsantrags auf Umdruck 77 entscheiden werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Ravens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir liegt daran, eine Darstellung des Herrn Kollegen Orgaß zurechtzurücken. Herr Kollege Orgaß, Sie wissen, daß Ihre Fraktion und Sie selbst zunächst einen Antrag hinsichtlich der auswärtigen Unterbringung von in Ausbildung befindlichen Personen eingebracht haben, der ohne jede Begrenzung die volle Einbeziehung der auswärts Beschäftigten in das Wohngeldgesetz vorsah.
— Doch! Lesen Sie bitte Ihren Antrag nach, der der Kleinen Kommission vorgelegen hat!Dieser Antrag hat mir an jenem Morgen vorgelegen. Er hätte Mehraufwendungen zwischen 200 und 300 Millionen bedeutet. Über diesen Antrag habe ich debattiert. Ich habe dann auf der Rückfahrt ins Ministerium noch einmal sämtliche Unterlagen, die mir vorgelegt worden waren, sehr sorgfältig durchgesehen. Dabei ist mir der neue Antrag, der zur Beratung anstand, in die Hand gekommen. Weil ich am Nachmittag wegen einer Terminverpflichtung an den Ausschußberatungen leider selber nicht teilnehmen konnte, habe ich meinen Kollegen Dr. Storck gebeten, dem Herrn Vorsitzenden und dem Ausschuß mitzuteilen, daß ich am Vormittag bei der Beratung der Zahlen von einer anderen Antragsformulierung ausgegangen sei, jedenfalls nicht von Ihrem zweiten Antrag, der letzten Endes lediglich eine gesetzliche Festschreibung der jetzt geltenden Regelung bedeutet.
Metadaten/Kopzeile:
4174 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Orgaß?
Bitte, Herr Kollege Orgaß!
Herr Kollege Ravens, wäre es nicht zweckmäßig gewesen — geht das nicht zu Ihren Lasten? —, wenn Sie den Antrag schon vormittags sorgfältig gelesen hätten? Dann hätten Sie diese Begründung nicht zu geben brauchen. Unser Antrag lag nämlich bereits vor. Er ist in der Kleinen Kommission geboren worden.
Herr Kollege Orgaß, mir lag in der gebündelten Mappe der Anträge der Antrag aus der Kleinen Kommission vor. Diesen habe ich in meinen Beratungsunterlagen gehabt. Deswegen habe ich am Nachmittag meine Richtigstellung an den Ausschuß weitergegeben. Ich glaube, anders kann man sich hier nicht verhalten, als ich mich verhalten habe. Mir liegt daran, daß noch einmal deutlich vor dem Parlament zu sagen. Ich möchte nicht, daß nach Ihrer Rede der Eindruck entsteht, ich hätte morgens im Ausschuß bewußt mit einer falschen Zahl gearbeitet. Das habe ich am Nachmittag sehr deutlich gemacht.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Meermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Bundestagsfraktion bitte ich, den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 77 aus folgenden Gründen abzulehnen. Erstens, Herr Kollege Orgaß, geht es hier nicht darum, festzustellen, ob etwas nach dem Verfassungsrecht nicht dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Daß die alte Regelung verfassungsrechtlich nicht dem Gleichheitsgrundsatz entspräche, ist ernstlich von niemandem behauptet worden. Aber es ist ein Unterschied, ob etwas nach der Verfassung möglich ist, oder ob man der Auffassung ist, daß eine bessere Gleichheit im Sinne einer besseren sozialen Gerechtigkeit hergestellt werden sollte.Im Zweiten Wohngeldgesetz werden alle Wohngeldempfänger gleichbehandelt, unabhängig davon, ob sie in einer Wohnung des sozialen Wohnungsbaus, in einer frei finanzierten oder in einer steuerbegünstigten Wohnung leben. Wir meinen, daß das auch sozial so richtig ist. Denn man muß heute davon ausgehen, daß es in allen drei Wohnungskategorien Menschen gibt, deren Einkommen nicht höher ist, als im Zweiten Wohngeldgesetz vorgesehen. Es entspricht also dem Gleichheitsgrundsatz, wenn wir sie alle in gleichem Maße berücksichtigen.Zweitens. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, daß sich die Mieter in Sozialwohnungen künftig keine Sorgen zu machen brauchen, daß sie sich auch im wirtschaftlichen Besitz ihrer Wohnung sicher fühlen müssen. Deshalb orientieren sich dieHöchstbeträge des Zweiten Wohngeldgesetzes an den Bewilligungsmieten des sozialen Wohnungsbaues nach dem Stand vom Juni 1970, ja sie gehen sogar noch etwas darüber hinaus.Die derzeitigen Mieten sind also gedeckt, und auch die Ländervertreter, die ja wissen, wie sich bei ihnen die Kosten im sozialen Wohnungsbau entwickelt haben, waren mit dieser Regelung einverstanden, mit Ausnahme — Herr Orgaß, da gebe ich Ihnen recht — eines Landes, das im ersten Durchgang einen Änderungsantrag in Ihrem Sinne gestellt hatte. Aber das gleiche Land hat nachher auch beantragt, daß der Bund statt 50 % der Wohngeldkosten 75 % übernehmen sollte. Und da kann ich nur sagen: Nachtigall, ick hör dir trapsen.Sie vermuten, Herr Orgaß, daß, weil die gegenwärtigen Höchstbeträge etwas über manchen tatsächlichen Mieten liegen, der Anreiz gegeben wäre, mit diesen Mieten hochzugehen. Nun, im Bereich des sozialen Wohnungsbaus und zumal im Bereich der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften — das müssen Sie ja auch wissen — finden in jedem Jahr Überprüfungen der Mieten statt. Es ist also durchaus nicht jede gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft in der Lage, Mieten so festzusetzen, wie sie es vielleicht für richtig hält. Abgesehen davon habe ich hier auch kein Mißtrauen.Drittens. Wir verpflichten im Wohngeldgesetz die Bundesregierung, dem Bundestag alljährlich einen Bericht über die Mietenentwicklung zu erstatten. Somit hat das Parlament, haben wir alle die Möglichkeit, die Initiative zu ergreifen, wenn Anpassungen erforderlich sind. Allerdings meinen wir in der sozialdemokratischen Fraktion, daß Anpassungen, die z. B. bei den Neuestbaumieten erfolgen müssen, auch den frei finanzierten und den steuerbegünstigten Wohnungsbau erfassen müssen. Das ist wegen der sozialen Gleichheit der Mieter notwendig, die in der einen oder in der anderen Wohnung leben können.Viertens möchte ich, abgesehen von diesen grundsätzlichen Erwägungen, darlegen, daß Ihr Antrag auch völlig unpraktikabel ist. Die Erfahrungen, die in den Ländern mit dem bisherigen Wohngeldgesetz gesammelt wurden, haben nicht nur die Bundesregierung, sondern jeden, der sich mit dem Wohngeldgesetz befaßt, zu der Überzeugung gebracht, daß Vereinfachungen dringend notwendig sind, auch um die sehr hohen Verwaltungskosten zu senken.Nun geht dieses Zweite Wohngeldgesetz endlich von der bisherigen umständlichen Berechnungsmethode — Wohnfläche mal Mietobergrenze, dazu Berechnung des Selbstbeteiligungsanteils, und dann das ganze noch einmal durch die Kappungsmühle gedreht — ab und setzt je nach Art der Wohnung und Wohnungsgröße Höchstbeträge in DM für die anrechnungsfähige Miete ein. Die benötigte Wohnfläche z. B. ist in der Höchstmiete zwar berücksichtigt, aber sie tritt nicht in Erscheinung. Wie wollten Sie, wenn Ihr Antrag angenommen würde — beispielsweise den Fall regeln, in dem ein alleinstehender Mensch, der in einer Sozialwohnung von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4175
Frau Meermann70 qm zurückgeblieben ist, nicht daran denkt, ineine kleinere Wohnung umzuziehen? Wollen Sie dadie volle Kostenmiete für diese 70 qm übernehmen?
— Ich gebe zu, Herr Erpenbeck, dies ist ein Extremfall. Ich könnte Ihnen hier 20 andere, ähnlich absurde Fälle konstruieren; ich sehe davon ab. Wenn Sie aber nicht wollen, daß solche und ähnliche Fälle vorkommen, könnten Sie Ihren Vorschlag nur auf eine der drei folgenden Arten verwirklichen, die alle drei gleich unpraktikabel sind.Erstens. Sie könnten die umständlichen Berechnungsmethoden des Wohngeldgesetzes 1965 für die in Sozialwohnungen lebenden Empfänger von Wohngeld bestehen lassen. Dann gäbe es ein Extrarecht für nahezu die Hälfte aller Wohngeldbezieher. Wo bleibt da noch die Vereinfachung?Sie könnten zweitens bei den Mietern von Sozialwohnungen in jedem Einzelfall Feststellungen nach dem Wohnungsbindungsgesetz, der Berechnungsverordnung und der Neubaumietenverordnung anstellen.Die dritte Lösung wäre, daß Sie im Zweiten Wohngeldgesetz zwei verschiedene Tabellen vorsehen, die eine für die Bewohner z. B. von frei finanzierten und steuerbegünstigten Wohnungen, die andere Tabelle für die Bewohner von Sozialwohnungen. Dabei ist aber nicht abzusehen, wie diese Beträge in der Höhe begrenzt werden sollen.Jede dieser drei möglichen Lösungen wäre geeignet, jeden denkbaren Wohngeldsachbearbeiter zur Verzweiflung zu bringen, und statt der von der Bundesregierung und, ich meine, doch auch von diesem ganzen Parlament gewollten, von den Ländern dringend geforderten Vereinfachung des Gesetzes hätten wir die totale Komplikation, statt der Verringerung der Verwaltungskosten ein rapides Ansteigen.Ich möchte mir nicht versagen, am Rande noch auf etwas einzugehen, das ich beim Durchlesen Ihres Antrages mit Erstaunen vermerkt habe. Ich habe festgestellt, daß Sie die vorgesehene Änderung nur für den Bereich der Mietzuschüsse, nicht aber für den der Lastenzuschüsse gelten lassen wollen. Sie möchten also die mit öffentlichen Mitteln geförderten Mietwohnungen günstiger behandelt sehen als die in gleicher Weise geförderten Eigenheime. Das fand ich immerhin bemerkenswert. Ich habe mich gefragt, ob da vielleicht eine grundlegende Wandlung Ihrer Vorstellungen über die Förderung des Eigenheimes eingesetzt hat.Ich bitte nochmals, den Antrag der CDU auf Umdruck 77 abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Meermann hat im wesentlichen schon die ablehnende Begründung zum Antrag Umdruck 77 vorgetragen, so daß ich mir weitere Gründe ersparen kann.
Ich darf nur noch einen Punkt anführen, um vielleicht Ihnen auch die Zurückziehung dieses Antrages zu erleichtern.
Wir haben in § 8 Abs. 4 ausdrücklich vorgesehen, daß in gewissen Intervallen die Mietsituation auf dem Wohnungsmarkt überprüft wird und daß entsprechend den veränderten Verhältnissen in Abständen die Mietobergrenze angepaßt wird, so daß sie die Kostenmiete abdeckt. Ich glaube, das ist eine vernünftige Regelung, durch die in gewissen Abständen immer der neueste Stand hergestellt wird.
Aus den dargelegten Gründen sieht sich auch die FDP-Fraktion nicht in der Lage, dem Antrag Umdruck 77 zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Erpenbeck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur ein Wort zu dem, was Herr Wurbs gerade sagte, um uns die Zurückziehung des Antrags zu erleichtern. Herr Wurbs, hier geht es, glaube ich, um etwas anderes. Hier geht es doch um den Tatbestand, daß bei der Kostenentwicklung, die wir zur Zeit haben und auch im sozialen Wohnungsbau haben, es den Mietern dieser Wohnung auf Dauer nicht sichergestellt ist, daß sie diese Wohnung bei Kürzung oder Wegfall des Wohngeldes behalten können. Dann hätten wir den widersinnigen Tatbestand, daß wir auf der einen Seite mehrere hunderttausend fehlbelegter Sozialwohnungen — belegt von insofern gesetzlich unberechtigten Mietern — haben und auf der anderen Seite Mieter in Sozialwohnungen, die berechtigt sind, aber die Wohnung nicht halten können, weil ihnen das Wohngeld gekürzt oder entzogen wird. Das ist der Tatbestand, der hier angesprochen wird.
Ich möchte auch zu dem Beispiel von Frau Meermann eine Bemerkung machen. Sie meinte, es könnte ein Mißbrauch dadurch getrieben werden, daß ein einzelner für eine 70 qm große Sozialwohnung den Höchstsatz ausnutzte. Frau Meermann, Sie wissen so gut wie ich, daß es im Wohngeldgesetz den § 18 gibt, in dem die Versagungsgründe für Wohngeld ganz klar aufgezeigt sind. Der Fall, den Sie hier konstruiert haben, würde dann genau unter § 18 fallen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der CDU-Fraktion auf Umdruck 77. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Bevor ich jetzt über den Antrag in der Ausschußfassung abstimmen lasse, müssen wir noch die Ab-
Metadaten/Kopzeile:
4176 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Vizepräsident Frau FunckeStimmung über die §§ 3 bis 7 nachholen. Wer den §§ 3 bis 7 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.
— Es wird beantragt, über § 3 gesondert abzustimmen. Ich rufe also § 3 auf. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. —Gegenprobe! — Enthaltungen? Das erste war die Mehrheit; angenommen!Wir stimmen über die §§ 4 bis 7 ab. Das ist möglich. Wer den §§ 4 bis 7 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe § 8 in der Ausschußfassung auf. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Bei zahlreichen Gegenstimmen angenommen.Ein weiterer Umdruck liegt erst nach § 27 vor. Können wir über die §§ 9 bis 27 einschließlich gemeinsam abstimmen? — Kein Widerspruch. Wer diesen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -Es ist so beschlossen.Zu § 27 a rufe ich nun den Umdruck 78 *) der CDU/CSU-Fraktion auf. Zur Begründung Herr Abgeordneter Erpenbeck!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Änderungsantrag Umdruck 78 möchte ich wie folgt begründen. Die Fristenbestimmung für die Weitergewährung des Wohngelds scheint uns im Gesetz ungenügend geregelt. Oftmals versäumen rechtsunkundige Personen, vor allen Dingen von Kriegerwitwen, die Fristen. Wir fordern daher, für diese Fälle eine Härteklausel dergestalt einzufühen, daß auch bei verspäteter Antragstellung innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten ein lückenloser Anschluß an den Bewilligungszeitraum, der vorausgegangen ist, möglich bleibt.
Ich glaube, daß wir eine solche Billigkeitslösung ins Gesetz aufnehmen müssen, da ein großer Teil der Wohngeldberechtigten die für die Einzelbestimmungen geltenden Fristen versäumen kann. Die Einzelbestimmungen sind zwar in diesem Gesetz übersichtlicher, als das bislang der Fall gewesen ist. Wir haben versucht, bessere Regelungen zu finden; aber sie lassen dennoch für Rechtsunkundige eine Fristenversäumnis durchaus als möglich erscheinen. Wenn sie unschuldig erfolgt, sollten wir diesen betroffenen Personenkreis nicht schlechterstellen, sondern sollten ihm mit unserer Billigkeitsregelung eine Hilfe geben. Ich bitte, dem Änderungsantrag zuzustimmen.
*) Siehe Anlage 7
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bäuerle.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Antrag Umdruck 78 der CDU/CSU-Fraktion betreffend den § 27 a Wohngeldgesetz darf ich für die Koalitionsfraktion folgendes feststellen.
Ihr Antrag soll ermöglichen, daß das Wohngeld in sogenannten Härtefällen ohne Unterbrechung weiter zu gewähren ist, wenn der Antrag auf Weitergewährung eines bereits bewilligten Wohngeldes nicht rechtzeitig gestellt ist. Das erscheint den Koalitionsfraktionen deshalb nicht erforderlich zu sein, weil jeder Wohngeldempfänger ausführlich über die Möglichkeit unterrichtet wird, wann und wie er einen neuen Wohngeldantrag stellen kann und zu stellen hat. Er wird des weiteren auf diese Möglichkeit bereits im Wohngeldbescheid selbst hingewiesen und darüber hinaus kurz vor Ablauf des Bewilligungszeitraums durch einen besonderen Brief aufmerksam gemacht. Aber auch für Fälle unverschuldeter Fristversäumnis bedarf es der beantragten Änderung nicht, weil hier durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geholfen werden kann, wobei — das darf ich besonders betonen — allerdings auch im Gegensatz zu Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, folgende Voraussetzungen verlangt werden müssen: Erstens muß die Fristversäumnis unverschuldet sein. Zweitens muß der Antrag 14 Tage nach Wegfall des Hindernisses gestellt sein. Nach Ablauf eines Jahres seit Fristversäumnis ist eine Antragstellung ausgeschlossen.
Der Antrag der CDU/CSU fordert keine dieser Voraussetzungen. Ihrem Antrag folgend würde, pflichtete man ihm in letzter Konsequenz bei, für das Gebiet des Wohngeldes insoweit ein Sonderrecht geschaffen. Außerdem würden erstmalige Anträge und Wiederholungsanträge unterschiedlich behandelt. Aus diesen von mir hier genannten Gründen stehen wir von den Koalitionsfraktionen auf dem Standpunkt, daß Ihr Antrag abzulehnen ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck 78 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe die §§ 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Bestimmungen in zweiter Lesung zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Wir treten ein in diedritte Beratung.Bitte schön, Herr Kollege!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4177
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der dem Hohen Hause vorliegende Entwurf der Bundesregierung eines Zweiten Wohngeldgesetzes verfolgt als Hauptziel, jeder Familie und jedem Bürger unseres Landes ein angemessenes und familiengerechtes Wohnen wirtschaftlich zu sichern. Wir bedauern sehr, daß unsere Anträge in der zweiten Lesung abgelehnt wurden und daß dadurch dieses Ziel nicht voll erreicht wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige grundsätzliche Ausführungen machen. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Weiterentwicklung des Ersten Wohngeldgesetzes und stellt in diesem Zusammenhang fest, daß das Wohnbeihilfengesetz aus dem Jahre 1963 und das Wohngeldgesetz aus dein Jahre 1965 auf ihre Initiative zurückzuführen sind. Der Name der Fraktion der CDU/CSU ist mit diesem wichtigen sozialen Gesetzgebungswerk und Reformwerk ebenso untrennbar verbunden wie der Name unseres ehemaligen Wohnungsbauministers Paul Lücke. Das Wohngeldgesetz hat sich bewährt und ist aus der Wohnungspolitik und aus der Sozialpolitik nicht mehr wegzudenken. Über 1 Million Haushaltungen, meist Kleinrentner, Pensionäre, kinderreiche Familien, einkommensschwache Bevölkerungskreise, sind auf dieses Wohngeld angewiesen. Wenn die Mieten weiter so steigen, werden immer noch mehr auf das Wohngeld angewiesen sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wohngeldempfänger müssen das Vertrauen in das garantierte Recht und in die ausreichenden Leistungen des Wohngeldgesetzes behalten. Wir haben uns daher, um diesem Ziel Rechnung zu tragen, in den Ausschußberatungen, aber auch hier in der zweiten Lesung wirklich ernsthaft bemüht, Leistungsverbesserungen zu erreichen und vor allem Leistungsverschlechterungen zu verhindern. Wir bedauern sehr, daß uns das nicht immer gelungen ist.Welch große Bedeutung die CDU/CSU-Fraktion dem Wohngeldgesetz in der Vergangenheit beigemessen hat und jetzt noch beimißt, beweist die Tatsache, daß sie bereits im November 1968, also vor mehr als zwei Jahren, und zwar noch während der Großen Koalition, einen Gesetzentwurf eingereicht hat, mit dem der Versuch unternommen wurde, das Wohngeld zu verbessern. Wir bedauern sehr — wir stellen es heute bei dieser Beratung wieder fest —, daß dieses Bemühen im Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen durch die SPD leider zunichte gemacht wurde.Den zweiten Anlauf zur Verbesserung des Wohngeldgesetzes hat die CDU/CSU-Fraktion zu Beginn dieser Legislaturperiode genommen. Wir haben den Gesetzentwurf Drucksache VI/2 eingereicht. Wir bedauern zutiefst, daß durch die verspätete Vorlage des Dritten Wohngeldberichts der Bundesregierung und durch die verspätete Vorlage des Entwurfs eines Zweiten Wohngeldgesetzes der Bundesregierung die Beratungen und die Verabschiedung dieses Gesetzes um elf Monate verzögert wurden.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht die Verzögerung und somit auch die zu späte Leistungsgewährung auf das Schuldkonto der Regierungsparteien.
Ich darf aber feststellen — und wir begrüßen es --, daß die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf aus zwingenden sachlichen Erwägungen von Anfang an wesentliche Verbesserungsvorschläge aus dem CDU CSU-Gesetzentwurf übernommen hat. Sie betreffen:1. die Erweiterung der Wohnflächen für die Ein-, Zwei- und Drei-Personen-Haushalte sowie für junge Familien,2. die Verbesserung des Wohngeldes für landwirtschaftliche Vollerwerbsstellen,3. die Verbesserung der Bestimmungen bei Anrechnung von Vermögen,4. die Einführung einer Sonderortsklasse für die Millionenstädte Berlin, Hamburg und München,5. die Erhöhung der Einkommensgrenze — allerdings ist die Bundesregierung hier nicht in entsprechendem Ausmaß unserem Vorschlag gefolgt —,6. die Erhöhung der Mietobergrenzen im Rahmen der neuen Tabellensätze.Die CDU/CSU-Fraktion hat ferner erreicht, daß die Bundesregierung sowie der Ausschuß für Städtebaubau und Wohnungswesen während der Beratungen weitere wichtige Forderungen unserer Fraktion in den Regierungsentwurf aufnehmen mußten. Das gilt erstens für die Tabellensätze. Die dem Gesetzentwurf als Anlage beigefügten Tabellen über die Höhe des Wohngeldes wurden wesentlich verbessert. Ich betone, wir haben von Anfang an, bei der ersten Lesung in diesem Hohen Hause, aber auch im Ausschuß, schärfste Kritik daran geübt, daß diese Tabellen kinderreiche Familien schlechterstellen, ihnen das Wohngeld sogar kürzen würden. Unter dem Druck der Opposition ist es ermöglicht worden, daß die Bundesregierung die Tabellen neu erstellen und unseren Gesichtspunkten Rechnung tragen mußte.
Das gleiche gilt für die in dem Gesetzentwurf enthaltenen Höchstbeträge für Mieten und Belastungen. Die kinderreichen Familien können jetzt zumindest der Besitzstandswahrung sicher sein.Zweitens. Bei der Ermittlung des Einkommens wurde erreicht, daß die Grundrenten der Witwen und Waisen nach dem Bundesversorgungsgesetz und ähnlicher Leistungen wiederhergestellt wurden. Das alte Recht ist hier wiederhergestellt worden.Drittens. Der zunächst gestrichene halbe Freibetrag für die Unterhaltshilfe und die Beihilfe auf Grund des Lastenausgleichsgesetzes, des Reparationsschädengesetzes, des Flüchtlingshilfegesetzes wurde auf Antrag der Opposition wiederhergestellt.Viertens. Die Schutzfristen für Todesfälle wurden entsprechend dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion um ein Jahr verringert.
Metadaten/Kopzeile:
4178 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
GeisenhoferJetzt aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach der zweiten Lesung, stellt die CDU/ CSU-Fraktion fest, daß das eingangs erwähnte Ziel trotz anzuerkennender Verbesserungen im Ausschuß nicht erreicht wird, und zwar deswegen, weil durch Streichung bisheriger gravierender Vergünstigungen Leistungsverschlechterungen gegenüber dem alten Recht eintreten.Im Ausschuß wurden von den Regierungsparteien fünf Änderungsanträge der CDU/CSU abgelehnt. Drei davon stellt die CDU/CSU-Fraktion nach der zweiten Lesung jetzt in der dritten Lesung erneut zur Abstimmung. Erstens ist es unser Antrag auf volle Berücksichtigung der Mieten für Sozialwohnungen. Dieser Antrag ist eingehend begründet worden. Meine Damen und Herren von der SPD und FDP, ich appelliere dringend an Sie, die bestehende Regelung beizubehalten. Es kann nicht im Sinne sozialer Gerechtigkeit sein, erst Härten zu schaffen und sie dann später — vielleicht zu spät — durch eine Anpassung wieder auszugleichen.
Sozialpolitik heißt nicht nachhinken, sondern vorausschauend die Dinge in den Griff bekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie also, diesem Punkt auf keinen Fall Ihre Zustimmung zu geben. Eine solche Bestimmung darf nicht Gesetz werden, weil sie an dem Fundament des Wohngeldgesetzes, an einer wichtigen Säule dieses Gesetzes rüttelt.
Zweitens stellen wir zu § 27 a erneut den Antrag auf Weitergewährung des Wohngeldes bei Fristversäumnissen. Wir wiederholen bewußt diesen Antrag, weil wir nicht glauben können, meine Herren von der SPD, daß Sie rechtsunkundigen alten Leuten, z. B. Rentnern, Schaden zufügen wollen. Hinzu kommt, daß dieser unser Antrag kaum finanzielle Auswirkungen hat.Drittens stellen wir den Entschließungsantrag Umdruck 80 zu § 4 Abs. 2 — es geht dort um das Wohngeld für Studenten und Lehrlinge — zur Abstimmung. Der Antrag, Studenten und Lehrlingen Wohngeld zu gewähren, wurde damals im Ausschuß von der SPD und der FDP abgelehnt. Das Wohngeldproblem für Studenten und Lehrlinge ist im Regierungsentwurf nicht gelöst. Die CDU/CSU-Fraktion erachtet es für dringend notwendig, bei der Wohngeldreform auch die Mietprobleme der Studenten und Lehrlinge zu berücksichtigen. Die Wohnungskosten am Studienort belasten minderbemittelte Studenten — um sie geht es — und Lehrlinge — um sie geht es erst recht —, die für ein Zimmer oft mehr als 100 DM oder 150 DM zahlen müssen, untragbar schwer. Wir fordern nunmehr die Bundesregierung in diesem Entschließungsantrag auf, bis zum 1. Juni 1971 eine Novelle zum Ausbildungsförderungsgesetz vorzulegen, in der diesem Anliegen Rechnung getragen wird.Im übrigen bedauern wir, daß bei § 15 eine Verschlechterung dadurch eintritt, daß der Kinderfreibetrag für mitverdienende Kinder in Höhe von 100 DM gestrichen wurde. Auch unsere Anträge zu § 8 auf Erweiterung der Ortsklassen für weitere elf Städte mit über 500 000 Einwohnern wurden abgelehnt. Das gleiche Schicksal erlitt unser Antrag auf Erhöhung der Einkommensgrenzen in § 19. Der Regierungsentwurf sieht vor, die Einkommensgrenze in Höhe von 750 DM um 50 DM auf 800 DM zu erhöhen. Unser Antrag wollte eine Erhöhung der Einkommensgrenze um 150 DM auf 900 DM. Eine Erhöhung der Einkommensgrenze um nur 50 DM wird doch der Preis- und Einkommensentwicklung seit 1963 auf keinen Fall mehr gerecht.Die CDU/CSU-Fraktion hält es für dringend erforderlich, daß in diesem Gesetz, das sich den vielversprechenden Namen „Reformgesetz" beilegen will, die vorgenannten wesentlichen Mängel beseitigt werden. Wir bitten Sie um Ihre Zustimmung zu unseren Anträgen.
Herr Kollege Geisenhofer, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gleichzeitig mit Ihren Ausführungen die Änderungsanträge auf den Umdrucken 82 *) und 83 **) und den Entschließungsantrag auf Umdruck 80 ***) begründet haben?
— Diese Anträge werden also noch einmal gesondert begründet werden.
Frau Abgeordnete Meermann, Sie haben in der allgemeinen Aussprache das Wort.
Wird von der Fraktion der Freien Demokraten in der allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir jetzt zu den Änderungsanträgen der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck 82 und 83 und zu den Entschließungsanträgen Umdruck 80 und 84. Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Mick.
Habe ich den Kollegen Geisenhofer recht verstanden, daß er den Antrag auf Umdruck 77 noch einmal stellen wird?
Frau Kollegin, der Änderungsantrag ist nach meinen Unterlagen auf Umdruck 83 bereits verteilt. Die allgemeine Aussprache habe ich daher vorgezogen; denn ich wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob alle Damen und Herren des Hohen Hauses schon im Besitz des Umdrucks waren.Herr Kollege Mick, Sie haben das Wort.*) Siehe Anlage 8 **) Siehe Anlage 9 ***) Siehe Anlage 10
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4179
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie ersehen aus den Änderungsanträgen, die wir in zweiter und dritter Lesung gestellt haben, daß wir hier nicht alle Anträge wiederholt haben, die wir im Ausschuß gestellt haben. Die Gründe ergeben sich aus dem Angebot unserer Fraktion. Nach Beratungen in unserer Fraktion stand fest, daß wir keine Anträge stellen wollten, die das Volumen des Haushaltes ausdehnen würden. Deshalb haben wir es auch in der Frage der Studenten bei dem Entschließungsantrag belassen. Wenn wir allerdings mit einer gewissen Hartnäckigkeit, die meiner Meinung nach der Sache wert ist, den Änderungsantrag auf Umdruck 77 als Änderungsantrag auf Umdruck 83 wiederholen, den sozialen Wohnungsbau in allen Fällen in das Wohngeld einzubeziehen, so geschieht das deshalb, weil wir meinen, daß hier eine Grundentscheidung sozialer Wohnungspolitik zu treffen ist.
Wir sind auch nicht der Meinung, verehrte Frau Kollegin Meermann, daß wir in der Gefahr stehen, gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Wenn das der Fall wäre, hätten Sie die Konsequenz ziehen und unseren Antrag dahin gehend ergänzen müssen, daß alle Wohnungen — ganz gleich, ob frei finanziert, ob steuerbegünstigt —, die in ihrer Miethöhe im Limit des sozialen Wohnungsbaus liegen, in das Wohngeld einbezogen werden müßten. Das wäre die Konsequenz. Denn auch derjenige baut sozial, der mit anderen Mitteln als denen des sozialen Wohnungsbaus finanziert, aber sich in der Miete innerhalb des Limits des sozialen Wohnungsbaus bewegt.
Verehrter Herr Minister, ich habe Ihnen bei der wohnungspolitischen Debatte namens meiner Fraktion das Anerbieten gestellt, mit Ihnen gemeinsam eine Durststrecke im sozialen Wohnungsbau zu durchwandern, wenn Sie die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Preisauftriebstendenzen im sozialen Wohnungsbau beseitigt werden. Ich habe Ihnen die Mithilfe meiner Fraktion für Maßnahmen etwa derart in Aussicht gestellt, daß wir einen Teil der Mittel, die Sie im Haushalt für den Wohnungsbau bereitgestellt haben, dazu verwenden, den Wohnungsbau zu rationalisieren, zu mechanisieren und kontinuierlich zu gestalten. Sie sind bis jetzt auf dieses Angebot nicht eingegangen.
Daß Sie sich und auch Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, so dagegen sperren, daß der soziale Wohnungsbau auf jeden Fall in das Wohngeldgesetz einbezogen wird, läßt mich darauf schließen, daß Sie mit weiteren Preissteigerungen im Wohnungsbau rechnen. Bei Ihrer Politik, Herr Minister, immer wieder neue Geldmittel hineinzupumpen, ohne dafür zu sorgen, daß die Wohnungswirtschaft und die Bauindustrie leistungsfähiger werden, werden Sie mit Ihren Prognosen leider recht behalten auf Kosten derer, die einen Antrag auf Wohngeld stellen möchten.
Wir haben die groteske Situation, daß seit über einem Jahr ein Antrag der CDU/CSU im Ausschuß ansteht, die Einkommensgrenzen für den Bezug einer Sozialwohnung zu erhöhen, und daß dieser Antrag auf Eis liegt, weil sich keine Mehrheit für eine Beratung dieses Antrags findet.
Was Sie jetzt mit der Ablehnung dieses Antrags tun, Herr Minister, ist, daß Sie den Mann, der heute oder morgen mit 750 DM bereinigtem Einkommen eine Sozialwohnung bezieht, eine Miete zahlen lassen wollen, die er nicht zahlen kann, und ihm darüber hinaus auch noch das Wohngeld verweigern. Das ist eine Politik, ,die wir hier in aller Deutlichkeit klarstellen wollen und an der wir keine Verantwortung mittragen wollen, auch dann nicht, wenn wir die übrigen Verbesserungen dieses Gesetzes anerkennen.
Ich mache Ihnen erneut das Angebot, daß wir in Gemeinsamkeit alles tun, um die Aufstiegstendenzen der Baupreise durch geeignete Maßnahmen zu dämpfen. Dann werden wir über dieses Kapitel nicht zu reden brauchen. Denn dann werden wir nicht in die Gefahr von Mieterhöhungen kommen, die in der Tat ein finanzieller Ritt über den Bodensee werden können.
Ich darf also in Verbindung mit diesem Angebot noch einmal herzlich bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Was den Antrag auf Umdruck 82 angeht, so beziehe ich mich auf das, was Herr Kollege Erpenbeck dazu schon gesagt hat. Ich beziehe mich auch auf die Ausführungen, die Herr Kollege Orgaß gemacht hat, und auf den Entschließungantrag, der in der Sache mit Ihrem Antrag d'accord geht. Ich bitte, auch diese beiden Anträge anzunehmen.
Meine Damen und Herren, bevor ich der Frau Abgeordneten Meermann ,das Wort gebe, möchte ich nur darauf hinweisen, daß wir jetzt die dritte Beratung dieses Gesetzentwurfs und die Behandlung der im Zusammenhang damit stehenden Punkte der heutigen Tagesordnung zu Ende führen, daß wir dann in die Fragestunde eintreten und anschließend 'die Große Anfrage betreffend Verbrechensbekämpfung bzw. Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung behandeln.
— Nach den bisherigen Wortmeldungen rechne ich damit, daß die Fragestunde etwa um 14.45 Uhr beginnen dürfte.
— Eine Stunde.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Meermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den in dritter Lesung erneut gestellten Antrag auf Umdruck 83
Metadaten/Kopzeile:
4180 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Frau Meermanneingehe, nur ein paar kurze Bemerkungen zu Herrn Geisenhofer. Herr Geisenhofer, Ihr Vertrauen in die Allmacht einer Regierung ehrt diese Bundesregierung. Aber wenn sie so weit gehen, ihr zuzutrauen, daß sie auch noch den Kalender ändern kann, muß ich sagen: So sehr ich diese Regierung als meine Regierung bejahe, für omnipotent halte ich sie nicht. Wie kann eine Regierung, die im Oktober zusammengetreten ist und im Frühjahr den Entwurf des Zweiten Wohngeldgesetzes in die parlamentarische Beratung bringt, elf Monate versäumt haben? Das ist ein Rechenkunststück, das erst einmal dargelegt werden muß.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geisenhofer?
Frau Kollegin Meermann, ist Ihnen bekannt, daß Herr Bundesminister Lauritzen im November im Ausschuß den Dritten Wohngeldbericht und auch einen Gesetzentwurf der Bundesregierung für Dezember 1969 angekündigt hat?
Von daher diese Hochrechnung!
Zu der Terminierung im einzelnen brauche ich nicht für Herrn Bundesminister Lauritzen zu sprechen; das wird er selber machen. Immerhin frage ich mich, wie Sie Ihre elf Monate zusammenbekommen. Die stimmen immer noch nicht.
Von Dezember bis zum Frühjahr können es keine elf Monate sein. Im Frühjahr hat die Bundesregierung eingebracht im November verabschiedet das Parlament.
Herr Kollege Geisenhofer, ich rechne Ihnen das gern nachher noch einmal vor. Aber ich möchte das Plenum damit wirklich nicht aufhalten.
Was mich nicht erstaunt hat, sondern was ich mit Gelassenheit registriere, ist Ihre Behauptung, daß alles, was im Ausschuß an Veränderungen und Verbesserungen der Regierungsvorlage vorgenommen worden ist, nun auf einmal ausschließliches Verdienst der CDU/CSU sein soll. Ich möchte Sie in aller Bescheidenheit bitten, die im Ausschuß gestellten Änderungsanträge daraufhin zu prüfen, wer sie gestellt hat und welche Änderungsanträge angenommen worden sind. Dann verschiebt sich das Bild nämlich.
Nun zu dem Antrag, den Herr Kollege Mick hier erneut gestellt hat. Sosehr ich es begrüße, daß Herr Kollege Geisenhofer ein sehr starkes Vertrauen in die Möglichkeiten der Bundesregierung hat, so sehr
muß ich mich wundern über das geringe Vertrauen, das Herr Kollege Mick offensichtlich in die Möglichkeiten dieses Bundestages setzt. Ich frage mich: Was kann denn bei den Mieten des sozialen Wohnungsbaus passieren, wenn die gegenwärtigen Mieten abgedeckt sind, wenn die Bundesregierung durch Gesetz verpflichtet ist, diesem Haus in jedem Jahr einen Bericht über die Gesamtentwicklung der Mieten vorzulegen? Was kann dann passieren, es sei denn, wir hätten einen Bundestag, der mit allen drei Fraktionen schläft? Es kann doch dem sozialen Wohnungsbau überhaupt kein Abbruch getan werden, weil in dem gleichen Augenblick, in dem dieser Bericht vorliegt, natürlich die Prüfung angeht: wie sieht es aus mit den Mieten der Altwohnungen, wie sieht es aus mit den Mieten für frei finanzierte Wohnungen, wie sieht es aus mit den Mieten im sozialen Wohnungsbau? Und dann kommen die Anträge aus diesem Parlament, wenn sie nicht vorher von der Bundesregierung gekommen sind.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mick?
Frau Kollegin Meermann, Sie sind sich doch darüber klar, daß das auf jeden Fall immer ein Hinterherhinken ist; denn der Wohngeldbericht wird alle zwei Jahre erstattet, wenn wir das nachher beschließen sollten. Ich nehme an, daß das der Fall sein wird.
Herr Kollege, es tut mir sehr leid: Sie sind Ausschußvorsitzender und kennen trotzdem nicht die Gesetzesvorlage. Wir haben nämlich die Bundesregierung gesetzlich verpflichtet, über die Entwicklung der Mieten gesondert jährlich zu berichten. Das hat mit dem Wohngeld-bericht überhaupt nichts zu tun. Das steht so in der Gesetzesvorlage, die wir heute beraten.
Es liegt also in der Hand dieses Bundestages, in jedem Jahr von neuem, wenn er es für nötig hält, Obergrenzen festzusetzen und dabei die Entwicklung der Mieten im sozialen Wohnungsbau und im gesamten übrigen Wohnungsbau gebührend zu berücksichtigen. Ich meine wirklich, dieses Recht sollten wir uns als Parlament nicht aus der Hand nehmen lassen. Das ist unsere Auffassung.
— Nein, Herr Kollege,
wenn wir hier eine Änderung vornähmen, müßten wir im gleichen Augenblick das Gesetz, mit dem Sie in diesem Punkt einverstanden waren, auch wenn Sie es eben nicht genau wußten, wieder ändern. Ich versage es mir, auf die Begründung, die ich in zweiter Lesung gegeben habe, zurückzukommen. Nur damit wir nicht in eine völlig falsche Betrachtung kommen, Herr Kollege Mick, will ich noch folgendes
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4181
Frau Meermannanfügen. Den Mann, der ein Einkommen von nur 750 DM hat, der in einer Wohnung des sozialen Wohnungsbaus wohnt -- wenn sie nicht gerade in den ersten Jahren gebaut worden ist — und der kein Wohngeld bekommt, — diesen Mann haben Sie zitiert , den gibt es nicht.
Bei einer entsprechenden Miete im sozialen Wohnungsbau bekommt dieser Mann Wohngeld. Wir haben ja in diesem Zweiten Wohngeldgesetz nicht umsonst die Beträge ganz beachtlich angehoben.
Frau Kollegin, der Herr Abgeordnete Orgaß wünscht eine Zwischenfrage zu stellen.
Ich war an sich fertig, Herr Orgaß, aber wenn Sie möchten!
Verehrte Frau Kollegin Meermann, wie beurteilen Sie denn die Problematik, daß die Länder, wie ich mit Bezug auf Herrn Wohnungsbausenator Meister ausgeführt habe, die Erhöhung an die Obergrenzen nur dadurch bekommen, daß sie Gerechte und Ungerechte unkontrolliert subventionieren?
Ich würde diese Äußerung nicht als stichhaltig ansehen, abgesehen davon, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß ein verantwortlicher Senator sie getan hat. Denn jährlich werden die Mietgrenzen im sozialen Wohnungsbau, insbesondere in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, geprüft, und ich möchte das Unternehmen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sehen, das einfach aus der linken Hand heraus seine Mieten so festsetzt, wie es im Augenblick richtig erscheint. Diese Argumentation kann ich nicht anerkennen. Sie ist auch von keinem beteiligten Land im Bundesrat, als es um diese Fragen ging, vorgebracht worden. Ich muß mich auf das berufen, was die Länder im Bundesrat gesagt haben, nicht auf das, was irgendeiner einmal in einer privaten Unterhaltung, vielleicht mißdeutig, gesagt haben könnte.
Ich bitte nochmals, den Antrag der CDU/CSU abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Einbringung des Zweiten Wohngeldgesetzes durch die Bundesregierung am 16. September haben die Freien Demokraten festgestellt, daß sich das bisherige System des Wohngeldes durchaus bewährt hat, daß aber auf Grund der sich laufend verändernden Bedingungen ein neues Gesetz zu schaffen sei, nicht eine Novellierung, wie sie die CDU/CSU vorgesehen hat. Das neue Gesetz wurde dann nach den Erfahrungen der Wohngeldberichte erarbeitet.Ziel des Zweiten Wohngeldgesetzes ist es nach wie vor, jedem Bürger bei Vermeidung sozialer Härten den ihm und seiner Familie angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dieser Gesetzentwurf wurde nach den folgenden Gesichtspunkten erarbeitet: 1. Das Genehmigungsverfahren wurde, so wie es notwendig war, vereinfacht. 2. Die Einkommensgrenzen wurden aufgehoben und den veränderten Verhältnissen angepaßt. 3. Der Berechtigtenkreis wurde vor allem im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erweitert. 4. Die Freigrenze wurde von bisher 15 auf 20 % erhöht.Die Koalition ging bei den internen Beratungen davon aus, daß eine Vereinfachung unerläßlich sei, daß aber bei den künftigen Regelungen keine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Handhabung eintreten dürfe. Diese Überlegungen haben auch bei den Beratungen im Ausschuß eine dominierende Rolle gespielt. Es muß hier festgestellt werden, daß der vorgelegte Gesetzentwurf in Zusammenarbeit aller Fraktionen wesentliche Verbesserungen erfahren hat.Ich will es mir versagen, hier noch einmal im einzelnen auf die Punkte einzugehen. Das habe ich bereits in der ersten Lesung getan. Aber eine Bemerkung möchte ich hier noch machen und noch etwas richtigstellen. Hier wurde sehr viel von der Kostenmiete und der preisrechtlich zulässigen Miete gesprochen, die als voll wohngeldberechtigt behandelt werden soll und auf die die Obergrenze keine Anwendung finden soll. Von Ihnen, Herr Mick, wurde damit argumentiert, daß die derzeitige Regelung nicht sozial sei. Ich muß ausdrücklich darauf hinweisen, daß das Privileg „sozial" nicht von der CDU gepachtet ist. Die Koalitionsfraktionen haben sich durchaus Sorgen gemacht und Überlegungen darüber angestellt, wie man die sozialen Dinge auch gerecht regeln könne.Herr Orgaß, Sie sagten, wir hätten bei der Herausnahme der Kostenmiete damit argumentiert, daß ein ungleiches Recht geschaffen werde. Ich will darauf gar nicht eingehen und das auch nicht im einzelnen untersuchen. Ich teile die Überlegung, daß der soziale Wohnungsbau anders gehandhabt wird. Aber Sie werden mir doch sicher zugeben, Herr Orgaß, daß erhebliche Härten entstehen, wenn man eine differenzierte Regelung — Obergrenze und Kostenmiete — zuläßt. Wenn wir die Obergrenze jährlich an die sich verändernden Verhältnisse anpassen —
— Wieso? Das müssen Sie einmal begründen.
— Nein, das müssen Sie mir einmal beweisen. Das ist durch nichts bewiesen; das ist eine Behauptung, die gar nicht stimmt.
— Gehen Sie doch ans Mikrophon! Es ist schlecht, auf diese Weise einen Dialog zu führen.Ich glaube, die vorgesehene Regelung, die Kostenmiete nicht besonders zu handhaben, ist schon eine
Metadaten/Kopzeile:
4182 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Wurbsgute Lösung, wenn wir laufend eine Anpassung ermöglichen. Die FDP-Fraktion stimmt dem Entwurf zu.
Zu dem Entschließungsantrag hat das Wort Frau Kollegin Meermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich möchte den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Umdruck 84 *) begründen und anschließend ein paar Worte als Erklärung zur dritten Lesung sagen.Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen umfaßt manches von dem, was auch die Opposition gewollt hat. Worum geht es denn? Es geht darum, eine Berücksichtigung der in Ausbildung Befindlichen bei auswärtiger Unterbringung im Ausbildungsförderungsgesetz zu erreichen. Das war auch das gemeinsame Anliegen des Ausschusses. Eine gewisse Schwierigkeit, meine Herren und Damen von der CDU, entsteht dadurch, daß Sie in Ihrem Antrag die Lehrlinge ebenfalls in das Ausbildungsförderungsgesetz einbeziehen wollen. Nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung erfolgt die Förderung der Lehrlinge durch die Bundesanstalt für Arbeit. Wir haben hier also zwei getrennte Wege zu gehen. Auf der einen Seite muß die Frage der Kosten für die auswärtige Unterbringung von Studenten und Schülern im Ausbildungsförderungsgesetz geregelt werden. Insofern rennt Ihr Antrag offene Türen ein; denn die Bundesregierung hat dieses Gesetz im Entwurf fertig. Der Entwurf wird in den nächsten Wochen in die parlamentarische Beratung kommen. Die Mittel dafür sind in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen. Als voraussichtlicher Termin des Inkrafttretens ist der 1. Oktober angesetzt. Dennoch halten wir es für richtig, in unserem Entschließungsantrag auch darauf hinzuweisen.Im Gegensatz zu Ihrer Vorlage haben wir die Lehrlinge im letzten Satz des Entschließungsantrages getrennt behandelt. Wir möchten, daß die Förderung für die Lehrlinge mit dem gleichen Gesetz erfolgt und daß keine Zersplitterungen in verschiedenen gesetzlichen Regelungen erfolgen. So wird sich also nach dem letzten Satz unseres Antrags der Herr Bundesminister für Arbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit in Verbindung setzen, um zu erreichen, daß wir im Arbeitsförderungsgesetz alle auswärts wohnenden Lehrlinge erfassen. Zur Zeit ist es so, daß nach dem Arbeitsförderungsgesetz diejenigen Lehrlinge einen Zuschuß zur auswärtigen Unterbringung bekommen, die entweder verheiratet oder volljährig sind. Aber die jüngeren Lehrlinge sind in der Tat nicht erfaßt, wohl weil sie meist bei ihren Familien wohnen. Für diese müssen wir noch etwas tun. Es ist nach unserer Ansicht aber vernünftiger, das in dem gleichen Gesetz zu regeln, in dem auch die übrige Lehrlingsförderung geregelt ist.*) Siehe Anlage 11 Das nur zur Begründung dafür, warum wir einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht haben und warum wir bitten, den Entschließungsantrag der CDU abzulehnen, weil er so nicht praktikabel ist.Ich möchte für die SPD-Bundestagsfraktion aber gern noch eine kurze abschließende Erklärung zur dritten Lesung geben. Wir stimmen dem Gesetz in der in zweiter Lesung beschlossenen Fassung zu. Nach diesem Gesetz wird jedem Bürger der angemessene Wohnraum wirtschaftlich gesichert. Es werden Unebenheiten und manchmal auch Ungereimtheiten sowie ungerechte Auswirkungen des Wohngeldgesetzes 1965 beseitigt, und die inzwischen eingetretene Entwicklung wird in ausreichendem Maße berücksichtigt.Zur Begründung unserer Haltung einige wenige Punkte.Erstens. Die finanziellen Leistungen des Wohngeldgesetzes werden den veränderten Einkommen, Mieten und Belastungen angepaßt und erheblich verbessert. So wird die Einkommensgrenze für den Haushaltsvorstand von 750 DM monatlich auf 800 DM und für jedes weitere Familienmitglied von 150 auf 200 DM erhöht. Dazu kommt die Steigerung des allgemeinen Freibetrags, so daß wir erhebliche Steigerungen der Bruttoeinkommensgrenze in diesem Gesetz haben. Diese sind Ihnen bekannt. Die Grenze liegt für einen alleinstehenden Rentner bei etwa 1000 DM, bei einem Ehepaar mit zwei Kindern bei etwa 1822 DM, bei einem Ehepaar mit vier Kindern bei 2432 DM.Was das bedeutet, meine Herren von der Opposition, die Sie eine höhere Grenze haben wollten, wird Ihnen. klar, wenn Sie diese Sätze zu dem Durchschnittsarbeitnehmereinkommen in Industrie und Handel in Beziehung setzen. Es betrug nämlich im September dieses Jahres nur 1275 DM. Wir sind also schon beim Ehepaar ohne Kinder über diesem Satz, und bei größeren Familien erweitert sich die Spanne noch beträchtlich.Aber nicht nur der Empfängerkreis wird erweitert, sondern auch die Wohngeldbeträge erhöhen sich. So wird z. B. künftig ein alleinstehender Rentner mit einer Rente von 600 DM, der eine Miete von 150 DM bezahlen muß, 41 DM Wohngeld bekommen; nach dem bisherigen Recht bekäme er nichts. Ein anderes Beispiel: Bei einem Bruttomonatseinkommen von jeweils 1500 DM und einer Miete von 320 DM erhalten nach dem neuen Gesetz ein 4-Personen-Haushalt 60 DM — nach geltendem Recht nichts —, ein 5-Personen-Haushalt 88 DM — nach geltendem Recht höchstens 76 DM —, ein 6-Personen-Haushalt 116 DM, ein 7-Personen-Haushalt 150 DM. Das wird besonders bei denjenigen spürbar, die bisher nicht die vollen Höchstsätze bekommen haben, weil die Begrenzungen des alten Gesetzes dem entgegenstanden. Zwei Drittel aller Wohngeldempfänger können bisher nicht die vollen Leistungen bekommen, die ihnen nach dem Verhältnis von Einkommen und Miete zustehen, ein Beweis dafür, Herr Geisenhofer, daß es mit einer Novellierung des Gesetzes, wie Sie sie gewollt haben, einfach nicht getan war, sondern daß man hier von Grund auf etwas Neues schaffen mußte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4183
Frau MeermannDie deutlichsten Leistungsverbesserungen finden sich bei den 1- und 2-Personen-Haushalten, die nach dem derzeit gültigen Recht am schlechtesten weggekommen sind, unter denen sich aber die meisten Rentner befinden. Es war sozial notwendig, sie überproportional zu berücksichtigen.Zweitens. Die Leistungen der verschiedenen Empfängergruppen sind in sozial gerechtere Beziehungen gebracht worden. Dabei ist den Lebensumständen derjenigen, die vom Schicksal besonders betroffen sind — wie die Kriegsopfer, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, die Tuberkulosekranken, die Behinderten, die Vertriebenen, die Flüchtlinge und die Heimkehrer —, gebührend Rechnung getragen.Drittens. Nach dem Zweiten Wohngeldgesetz werden Bund und Länder im Jahre 1971 etwa 1,3 Milliarden DM, also fast 40% mehr als im Jahre 1970, an über eine Million Haushalte zahlen. Diese finanziellen Auswirkungen gehen an die Grenze des derzeit Möglichen. Herr Kollege Mick hat ja darauf hingewiesen, daß auch die Opposition diese nicht mehr ausgeweitet sehen will. Denn über eines müssen wir uns klar sein: Jede weitere Ausdehnung müßte zu Lasten der direkten Förderung des sozialen Wohnungsbaus gehen — eine Konsequenz, die niemand ernsthaft wollen kann.Nach unseren Vorstellungen — ich muß das noch einmal sehr deutlich sagen — hat das Wohngeld der Mieten- und Lastenentwicklung zu folgen, darf ihr aber auf gar keinen Fall vorauseilen, da das unweigerlich zu Mietsteigerungen führen würde.Viertens. Eine neue Systematik des Gesetzes führt zu erheblichen Vereinfachungen. Der Bürger kann sich leicht zurechtfinden. Wenn er einmal die Hürde der Einkommensentwicklung genommen hat, braucht er nur noch einen Blick auf zwei Tabellen zu werfen, um sein Wohngeld in Mark und Pfennig ablesen zu können.Fünftens. Damit, meine Damen und Herren, erfüllt das Zweite Wohngeldgesetz alle Voraussetzungen, ein wirklich bürgernahes Gesetz zu werden und das Vertrauen in das Wohngeld weiter zu stärken. Es gehört zu den inneren Reformen, die diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien in Angriff genommen haben.Und als 6. und letzter Punkt: Mit diesem Gesetz verpflichtet das Parlament die Regierung, einmal jährlich einen Bericht über die Mietenentwicklung zu erstatten. Aber es verpflichtet damit auch sich selbst, die Sorge um die Wohnung der Bürger als eine fortdauernde politische Aufgabe zu betrachten. — Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erpenbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich widerspreche grundsätzlich nicht gerne einer Dame und schongar nicht der netten Kollegin Frau Meermann, aber ich möchte doch an die Begründung des Entschließungsantrags der SPD/FDP-Fraktion auf Umdruck 84 eine Bemerkung anschließen. Gerade die unterschiedliche Regelung der Wohngeldansprüche von in Ausbildung befindlichen jungen Menschen, die nicht überwiegend von ihrer Familie unterstützt werden, hat uns ja veranlaßt, im Ausschuß einen Antrag zu stellen, alle Studenten und Lehrlinge, soweit sie ihren Unterhalt überwiegend nicht vom Elternhaus erhalten, selbständig wohngeldberechtigt zu machen und in das Gesetz einzubeziehen.Es kommt uns nun doch etwas seltsam vor, daß nach dem Entschließungsantrag der Koalition die Regelung in verschiedenen Gesetzen erfolgen soll, obwohl unser Antrag im Ausschuß gerade mit der Begründung abgelehnt worden ist, daß diese Materie einheitlich im Ausbildungsförderungsgesetz geregelt werden solle, welches im Entwurf schon völlig fertiggestellt sei und vor der Tür stehe; es müßten lediglich noch einige wenige Zahlen zusammengetragen werden, um es ins Parlament zu bringen. Darauf beziehen wir uns in unserem Entschließungsantrag, wenn wir die Regierung auffordern, uns bis zum 1. Juni des nächsten Jahres die geplanten Regelungen vorzulegen, damit der Inkraftsetzungstermin — der 1. Oktober — auch eingehalten werden kann.Ich glaube, daß es schon wichtig ist, daß dieses Hohe Haus auch hinsichtlich des Termins eine Willenskundgebung von sich gibt. Ich fürchte, daß sonst die Einbeziehung der in Ausbildung befindlichen n Studenten und Lehrlinge plötzlich im Dickicht angekündigter und erwarteter Reformen — Reformvorstellungen, Reformvorschläge - verschwinden könnte. Das dürfen wir von der Sache her auf keinen Fall zulassen.Wir halten diese Frage für außerordentlich wichtig, da sich schon heute gerade bei dieser Frage ein sozialer Sprengstoff angesammelt hat, der bei einer Explosion wahrscheinlich Auswirkungen hat, die sich heute niemand vorstellen kann. Dieses Thema berührt nicht nur die Studenten. Es berührt jeden in Ausbildung befindlichen jungen Menschen. Aus dieser Sicht meinen wir, daß der Entschließungsantrag der CDU/CSU mit einer klaren Terminsetzung vom Parlament beschlossen werden sollte, damit man nicht später darauf hinweisen kann, es habe ja lediglich geheißen, in Bälde sei etwas zu tun.Ein zweites muß ich hier in einem einzigen Satz hinsichtlich des § 27 a anfügen, den wir zusätzlich beantragt haben. Herr Kollege Bäuerle, Sie haben davon gesprochen, daß es eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebe, wenn nicht schuldhaft verfahren worden sei. Diese Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gibt es nicht. Ich kann Ihnen eine ganze Reihe von Fällen sagen, in denen erstens nicht das Verfahren geübt ist, das Herr Bäuerle hier angesprochen hat — daß jeder erst benachrichtigt werde usw. usf. —, und daß dann zweitens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolge. In vielen Fällen haben es die Betroffenen erst dann gemerkt, wenn ihnen das Geld nicht gezahlt wurde.
Metadaten/Kopzeile:
4184 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
ErpenbeckErst dann merkten sie, was sie an Fristversäumnis sich selber zuschreiben mußten. Das möchten wir mit § 27 a auf jeden Fall verhindert wissen.
Das Wort hat der Herr Bundeswohnungsbauminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 16. September hat das Hohe Haus den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des Zweiten Wohngeldgesetzes zum erstenmal beraten. Wenn heute, nur sieben Wochen später, das Gesetz nach abschließender Beratung verabschiedet wird, dann haben wir das vor allem der zügigen und sachlichen Arbeit der beteiligten Bundestagsausschüsse zu danken. Diesen Dank hier im Namen der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen, ist mir ein besonderes Anliegen.Wenn in diesem Zusammenhang auf die verzögerte Vorlage des Regierungsentwurfs abgehoben wird, so muß ich mit allem Nachdruck darauf aufmerksam machen, daß eine Vorlage, die mit so großen finanziellen Auswirkungen verbunden ist, erst dann im Bundestag vorgelegt werden kann, wenn auch die Finanzierung geklärt ist.
Die Bundesregierung hat den Entwurf zum Haushaltsplan 1971 und die mittelfristige Finanzplanung am 9. Juli beschlossen. Dieser Gesetzentwurf ist gleichwohl bereits am 30. April, also Wochen vorher, verabschiedet worden, als man so ungefähr sehen konnte, wie die mittelfristige Finanzlanung aussieht. Früher war das nun wirklich nicht möglich. Wenn das Gesetz heute verabschiedet wird, kann es voll wirksam werden, da die Mittel dafür am 1. Januar 1971 zur Verfügung stehen.Mit dieser zügigen Beratung haben alle in diesem Hause vertretenen Fraktionen ihren Willen bekundet, die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigten Verbesserungen möglichst bald den davon betroffenen und begünstigten Bürgern unseres Landes zugute kommen zu lassen. Sie haben damit zugleich aber auch den besonderen sozialen und gesellschaftspolitischen Stellenwert, den wir diesem Gesetz einräumen, anerkannt. Mehr als eine Million Haushalte, darunter vor allem Rentner, Pensionäre, Familien mit geringem Einkommen, Kinderreiche, vertrauen auf die gesetzlich garantierten Wohngeldleistungen. So wird das Wohngeld in der Öffentlichkeit mit Recht immer mehr als ein Teil der öffentlichen Wohnungsbauförderung verstanden. Es wächst auch das Verständnis in der Öffentlichkeit dafür, daß mit dem Wohngeld ein ganz entscheidender Beitrag geleistet wird, das vornehmste Ziel einer gesellschaftspolitisch verantwortungsbewußten Wohnungspolitik zu erreichen, nämlich eine Situation am Wohnungsmarkt zu erzielen, die es jedem Bürger und jeder Familie unseres Staates erlaubt, überall eine angemessene Wohnung wählen zu können. Das kommt doch gerade in der Neufassung des § 1 dieses Gesetzes zum Ausdruck, wonach die wirtschaftliche Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens erreicht werden soll.Wir dürfen davon ausgehen, daß sich das Wohngeldgesetz, wie wir es bisher hatten, grundsätzlich bewährt und in seiner sozialen Zielsetzung bestätigt hat. Bewährt hat sich das Wohngeld als eine nach dem Individualprinzip gewährte subjektbezogene Leistung. Dennoch haben wir in den vergangenen 5 Jahren die Erfahrung gemacht, daß Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten aufgetreten sind und festgestellt wurden, die es zu beseitigen gilt. Gerade dieser Gesetzentwurf bringt dabei entscheidende materielle und strukturelle Verbesserungen.Die Wohngeldleistungen werden erhöht. Darauf ist schon hingewiesen worden.Zwei Dinge lassen Sie mich in diesem Zusammenhang besonders hervorheben. Die Leistungserhöhungen kommen allen nach diesem Gesetz berechtigten Personenkreisen zugute, und niemand wird nach diesem Gesetz schlechtergestellt als bisher. Die Einkommensgrenze wird auf monatlich 800 DM und zusätzlich 200 DM für jedes weitere Familienmitglied erhöht. Dabei geht es um Familieneinkommen, das sich nach Anwendung der Absetzungsmöglichkeiten und Freibeträge noch ergibt. Wenn Sie hinzunehmen, daß der Freibetrag allgemein von 15 auf 20 % erhöht wird, dann werden im Vergleich zum geltenden Recht jetzt viel höhere Bruttoeinkommen in diese Einkommensgrenze des Gesetzes fallen als bisher.Ich bin gebeten worden, mich mit Rücksicht auf die Geschäftslage und die eilende Zeit kurz zu fassen. Ich hätte gern noch etwas zu den vorliegenden Anträgen und zur Bemerkung von Herrn Mick gesagt. Vielleicht nur zwei Punkte.Meine Damen und Herren, es geht darum, daß man Mieter, die in gleich großen Wohnungen zu gleicher Miete wohnen, nicht unterschiedlich danach behandeln kann, ob der eine Kostenmiete zahlt und der andere eine frei berechnete Miete. Das ist nicht eine Frage des Rechts, sondern eine Frage unserer gesellschaftspolitischen Zielsetzung.
Hier kann man keine Unterschiede machen.Was die Bemessung angeht: Wir haben die Tabellen insbesondere im § 8 nach Abstimmung mit den Ländern so bemessen, daß die jetzigen Grenzen im sozialen Wohnungsbau voll dabei sind. Wir werden uns die Mietenwicklung im sozialen Wohnungsbau, aber auch die allgemeine Entwicklung, genau darauf hin ansehen müssen, wann wir dieses Limit erhöhen müssen. Das bedeutet keineswegs, daß damit der soziale Wohnungsbau aus dem Wohngeldgesetz herauskommt. Er ist voll darin und wird auch in Zukunft voll darin bleiben.Zu der Bemerkung über Rationalisierung. Herr Kollege Mick, gestern abend hat die Bundesregierung ein ganzes Bündel administrativer und technischer Maßnahmen zum Ziel der Rationalisierung, der Weiterführung des Winterbaus, des koordinier-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4185
Bundesminister Dr. Lauritzenten Einsatzes der öffentlichen Mittel beschlossen. Ich sollte das um halb drei Uhr vor der Pressekonferenz im einzelnen erläutern. Wir werden dies auch dem Bundestag vorlegen und werden Gelegenheit haben, dann im Vierzehner-Ausschuß im einzelnen darüber zu sprechen.Meine Damen und Herren, eine ganz wesentliche Verbesserung — damit will ich schnell zum Schluß kommen — sehe ich in dem Entwurf, wie er vorliegt, darin, daß künftig die Höchstbeträge für zuschußfähige Miete und Belastung, aber auch die Höhe des Wohngeldes aus Tabellen abgelesen werden können und daß damit ein Gesetz, das für den einzelnen Bürger unseres Landes von so entscheidender Bedeutung viel transparenter ist als die bisherige gesetzliche Regelung und ihm einen besseren Überblick über das gibt, was ihm zusteht.Alles in allem — und damit komme ich zum Schluß — möchte ich ausdrücklich feststellen, daß dem Hohen Hause heute ein Gesetzentwurf zur Verabschiedung vorliegt, der in ausgesprochen abgewogener Weise nicht nur den bislang bereits zum Bezug von Wohngeld Berechtigten wesentlich bessere und höhere soziale Leistungen bringt, sondern auch den Kreis der Begünstigten wesentlich erweitert. Damit ist dieses Gesetz ein entscheidender Beitrag im Rahmen einer sozialverpflichteten Wohnungspolitik.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Aussprache und treten ein in die Abstimmung. Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 83, in § 8 einen Absatz 3 a einzufügen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Meine Damen und Herren, der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 82 auf, nach § 27 einen § 27 a mit der Überschrift „Weitere Gewährung des Wohngelds" einzufügen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit, der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zustimmt, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich danke. Gegenstimmen! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle fest: einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir noch zur Abstimmung über die Punkte 2 und 3 des Ausschußantrages auf Seite 6 der Drucksache VI/1310. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung auf Umdruck 80 auf. Der Antrag ist begründet. Wer dem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Wohngeldgesetzes auf Umdruck 84 auf. Auch dieser Entschließungsantrag ist begründet. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei zahlreichen Stimmenthaltungen aus der CDU/CSU angenommen.
Damit ist der Punkt 4 a erledigt. Ich rufe Punkt 4 b auf. Meine Herren Antragsteller, ich nehme an, Sie sind damit einverstanden, wenn ich den Punkt 4 b auf Grund der Beschlußfassung in dritter Lesung über das Wohngeldgesetz für erledigt erkläre. — Ja. Danke.
Dann rufe ich Punkt 4 c der heutigen Tagesordnung auf. Es liegt ein Antrag des Ausschusses vor. Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit sind die Punkte 4 a, b, c erledigt. Bevor wir in die Fragestunde eintreten, würde ich allerdings vorschlagen, daß wir eine ganz kurze Pause machen und um 15 Uhr mit der Fragestunde fortfahren.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache VI/ 1339 —
Zunächst kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Hirsch auf:
Hält es die Bundesregierung für sachgerecht, daß nach den Bestimmungen der Verordnung über die Laufbahnen der Bundesbeamten vom 27. April 1970 Beamte des mittleren Dienstes, auch wenn sie ihre Laufbahn durchlaufen haben, zu einer Laufbahn des gehobenen Dienstes grundsätzlich nur nach Ablegung der vorgesehenen Aufstiegsprüfung zugelassen und nur beim Vorliegen wichtiger dienstlicher Gründe dem Bundespersonalausschuß vorgestellt werden können, während bei anderen Bewerbern eine Feststellung ihrer Befähigung durch den Bundespersonalausschuß genügt?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister.
Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Beamten des mittleren Dienstes, auch wenn sie ihre Laufbahn bereits durchlaufen haben, regelmäßig nur nach Ablegung der Aufstiegsprüfung in den gehobenen Dienst gelangen sollten. Die dem entsprechende Regelung in der Bundeslaufbahnverordnung geht davon aus, daß für die vollwertige Verwendung der Beamten in den vielseitigen Aufgabenbereichen des gehobenen Dienstes eine über Erfahrung, Wissen und Können hinausgehende solide und breite Befähigungsgrundlage vorhanden sein
Metadaten/Kopzeile:
4186 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bundesminister Genschermuß. Der geforderte Nachweis dieser Befähigung dient zugleich der Objektivierung des Leistungsprinzips.Die künftigen Anforderungen an den gehobenen Dienst, die eine mehr wissenschaftsorientierte Ausbildung zur Voraussetzung haben werden, erhöhen noch die Bedeutung eines solchen Befähigungsnachweises.Die von Ihnen schon angeführten Ausnahmeregelungen, nach denen die Befähigung durch den Bundespersonalausschuß, und zwar in einem geregelten Verfahren durch einen ebenfalls unabhängigen Unterausschuß, festgestellt wird, suchen in dem notwendigen Maße Härten und Benachteiligungen zu vermeiden.Bei den sogenannten „anderen Bewerbern" handelt es sich hauptsächlich um dringend benötigte Fachkräfte, an deren Gewinnung wegen des Mangels an Beamten mit Spezialkenntnissen ein besonderes dienstliches Interesse besteht. Diese Bewerber dürfen nur dann in das Beamtenverhältnis berufen werden, wenn sie ihre durch Lebens- und Berufserfahrung innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes erworbene Befähigung unter Beweis gestellt haben. Es entspricht dem besonderen Werdegang der „anderen Bewerber" und den Aufgabenbereichen, für die sie vornehmlich in Betracht kommen, daß ihre Befähigung in dem besonders gestalteten Verfahren des Bundespersonalausschusses festgestellt wird.Die Bundesregierung hält die für beide Bewerber) gruppen getroffenen Regelungen für sachgerecht.
Eine Zusatzfrage wird nicht gestellt.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Kann die Bundesregierung die in der Presse veröffentlichte Behauptung bestätigen, daß die jetzigen — zwar schaumlosen, aber phosphatreicheren — Detergentien in den Waschmitteln die Gewässer noch stärker schädigen?
Herr Minister!
Die Bundesregierung, Herr Kollege, kann diese Behauptung nicht bestätigen. In den Wasch- und Reinigungsmitteln, die den Forderungen des Detergentiengesetzes vom 5. September 1961 und der darauf beruhenden Verordnung vom 1. Dezember 1962 entsprechen, sind zwar die biologisch schwer abbaubaren Detergentien durch leicht abbaubare ersetzt worden, der Phosphatanteil ist jedoch im wesentlichen unverändert geblieben. Dem Phosphatanteil der heutigen Waschmittel kommen im Waschprozeß etwa ebenso wichtige Funktionen zu wie dem Detergentienanteil.
Bei den hauptsächlich von Kanada, den USA und Schweden ausgehenden Bemühungen, Phosphate in Wasch- und Reinigungsmitteln zu ersetzen oder zu reduzieren, wird das Ziel verfolgt, die durch diese Stoffe verursachte Steigerung der Gewässerdüngung und deren Folgen zu verhindern.
Herr Minister, hat die Bundesregierung Forschungsaufträge erteilt, um die Wirkung der Phosphate in den Gewässern, auch in den Meeren, genauer festzustellen?
Sie hat diese Absicht, Herr Kollege.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gleissner.
Herr Bundesminister, sind die Waschmittel der Industrie ohne jegliche öffentliche Kontrolle entwickelt worden?
Ich kann dazu im Moment keine Antwort geben, Herr Kollege. Ich bin gern bereit, das nachzureichen.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in den USA und in Kanada ein phosphatfreies Waschmittel bereits produziert wird, und bestehen in diesem Zusammenhang Pläne, das Detergentiengesetz von 1961 zu novellieren?
Die Bundesregierung ist über diese Maßnahmen in Kanada, den USA und Schweden unterrichtet. Auch in der Bundesrepublik bemüht sich die Industrie um geeignete Ersatzstoffe für Waschmittelphosphate. Unsere Sachverständigen sind jedoch der Meinung, daß alle bisher untersuchten Austauschstoffe nicht an die universellen Eigenschaften der Waschmittelphosphate herankommen und möglicherweise sogar ein Risiko für die Gewässer und die Trinkwasserversorgung bedeuten. Ziel der Forschung auf diesem Gebiet ist die Entwicklung phosphor- und stickstofffreier Substanzen, die gute Wascheigenschaften haben und biologisch gut abbaubar, aber toxikologisch unbedenklich sein müssen. Diese Entwicklungen werden von der Industrie, der Landwirtschaft, der Wasserwirtschaft und der wissenschaftlichen Forschung in einem gemeinsamen Hauptausschuß „Phosphate und Wasser" koordiniert. Einer gesetzlichen Regelung kann erst dann nähergetreten werden, wenn die erforderlichen wissenschaftlichen Grundlagen erarbeitet worden sind. Bis dahin erscheint es notwendig, die Eutrophierung der Gewässer durch die Einrichtung dritter Reinigungsstufen oder den Bau von Ringkanalisationen zu bekämpfen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Welche konkreten Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen für den Fall, daß sich die holländische Regierung über alle Bedenken hinwegsetzt, die von deutscher Seite und auch von holländischen Fachstellen gegen den Bau einer Abwasserleitung in die Ems in der bislang vorgesehenen Form gemacht worden sind, und sie trotz dieser Bedenken mit den Baumaßnahmen beginnt, die zur Einleitung ungeklärter Abwässer in das Ems-Ästuar führen und damit zu einer großen wirtschaftlichen Gefahr für die ganze ostfriesische Küste werden können?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4187
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWegen des Sachzusammenhangs rufe ich außerdem die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz auf.Nachdem das Niederländische Provinzialparlament von Groningen einen Beschluß über den Bau einer Abwasserdruckleitung in die Ems-Dollart-Bucht herbeigeführt hat, frage ich die Bundesregierung, ob dieser Beschluß bedeutet, daß ungeklärte Abwässer in die nordischen Küstengewässer geleitet werden sollen.Ist der Herr Abgeordnete Schröder im Saal?
— Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.Zur Beantwortung der Frage 7, Herr Minister, bitte!
Herr Präsident, da ich die Absicht hatte, bei der Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Dr. Ritz auf die Antwort auf die Frage des Kollegen Schröder zu verweisen, kommt Herr Kollege Schröder in Abwesenheit jetzt doch zu dem Vorzug, daß ich seine Frage mündlich beantworte.
Nach einem Bericht der Deutschen Botschaft in Den Haag hat das Provinzialparlament in Groningen am 21. Oktober 1970 dem Antrag der Provinzialregierung zugestimmt, mit dem Bau des ersten Abschnittes der Rohrleitung für die Einleitung von Abwässern in das Ems-Ästuar unverzüglich zu beginnen; dabei ist nicht beabsichtigt, die Abwässer, die nach Vollendung dieses ersten Bauabschnittes anfallen werden, biologisch zu reinigen.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Einleitung ungereinigter Industrieabwässer, die im Schmutzwert dem Abwasser von vielen Millionen Menschen entsprechen, eine Beeinträchtigung und nachteilige Veränderung der Umwelt mit schädlichsten Folgen für die deutsche Seite bewirken würde. Wie schon in der Antwort vom 16. Oktober 1970 auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl zum Ausdruck kam, kann sich die Bundesregierung deshalb mit der Einleitung ungereinigter Abwässer, auch soweit es sich um den ersten Abschnitt handelt, nicht einverstanden erklären. Sie bereitet zunächst einen geeigneten Schritt vor, durch den dies der niederländischen Regierung nochmals nachdrücklich zur Kenntnis gebracht werden soll.
Der Beginn der Baumaßnahmen am Leitungssystem ist nicht die Kernfrage; wichtig ist, daß das Abwasser vor der Einleitung in das Ems-Ästuar biologisch gereinigt wird. In diesem Sinne wird die Bundesregierung vorstellig werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, Ihrer sehr deutlichen Antwort kann ich also entnehmen, daß davon auszugehen ist, daß die beschlußfassenden Gremien in den Niederlanden die Abwässer ungeklärt in die Ems-Dollart-Bucht einleiten wollen? Wie werden diese von Ihnen angedeuteten konkreten Schritte, die Sie gegenüber den Niederländern einleiten werden, aussehen?
Herr Kollege, zum ersten Teil Ihrer Frage. Ich muß leider bestätigen, daß die dort zuständigen Behörden die Abwässer ungereinigt einleiten wollen. Es kann sich deshalb nur darum handeln, daß die Bundesregierung der niederländischen Regierung gegenüber unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß sie nicht daran denkt, es hinzunehmen, daß diese Pläne verwirklicht werden, wenn nicht vorher noch eine andere Entscheidung fällt, und zwar eine Entscheidung in der Richtung, daß eine biologische Reinigung des Wassers erfolgt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist es richtig, daß zwischen Ihnen und dem Vertreter der holländischen Regierung eine Vereinbarung getroffen wurde, daß der Bau einer solchen Abwasserdruckleitung zumindest bis zum Januar 1971 zunächst zurückgestellt werden sollte, um die Möglichkeiten eines Prozesses der Selbstreinigung zu prüfen, und würden Sie unter diesen Gesichtspunkten an dieser Stelle ausdrücklich erklären, daß sowohl der Beschluß des Provinzparlaments als auch die Presseankündigung von Herrn Minister Bakker eine Verletzung dieser Vereinbarung bedeutet?
Herr Kollege, zumindest widerspricht dieser Beschluß des Provinzialparlaments dem Geist der Gespräche, die wir hier in Bonn geführt haben. Ich möchte das ausdrücklich hier sagen, so bedauerlich es auch ist, das in einem Fall zu sagen, in dem es sich um einen Nachbarstaat handelt, mit dem wir wirklich freundschaftliche Beziehungen unterhalten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Frerichs.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, die ostfriesische Küstenwirtschaft, insbesondere die ostfriesischen Bäder laufend über die Maßnahmen der Bundesregierung zu unterrichten? Es ist heute schon abzusehen, daß die Ankündigung der niederländischen Regierung nicht nur Unruhe, sondern im Hinblick auf die Badesaison 1971 auch Absagen zur Folge gehabt hat, was außerordentlich bedauerlich ist.
Herr Kollege, wir stehen mit den Betroffenen in einem ständigen, engen Kontakt und werden diesen Kontakt fortsetzen.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bittelmann.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß in der Debatte die Ansicht vertreten wurde, man sollte an den Mündungsstellen
Metadaten/Kopzeile:
4188 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bittelmannder Pipelines in Ems und Dollart Säuberungseinrichtungen einbauen? Das wird aber davon abhängig gemacht, wie die Kostenberechnungen aussehen.
Ich glaube, für die Interessen der betroffenen Gebiete kommt es darauf an, daß in jedem Fall garantiert ist, daß nur gereinigte Abwässer eingeleitet werden und nicht darauf, daß man Wirtschaftlichkeitsberechnungen im Hinblick auf die Frage anstellt, ob man derartige Einrichtungen schaffen sollte oder nicht. Das kann keine Frage der Wirtschaftlichkeit sein, sondern das ist eine Frage der Umweltbedingungen für alle, die in diesen Gebieten wohnen oder dort Erholung suchen wollen.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Müller auf:
Kann die Bundesregierung Zeitungsnachrichten bestätigen, wonach zunehmend mehr private Unternehmungen dazu übergehen, unter irreführenden Bezeichnungen und dem Anschein der Wohltätigkeit den anerkannten Wohlfahrtsverbänden bei Kleider-und Altmaterialsammlungen Konkurrenz zu machen?
Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, die Fragen des Kollegen Müller im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Herr Kollege Müller, sind Sie damit einverstanden? — Dann rufe ich auch die Frage 6 des Abgeordneten Müller auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, solche Manipulationen, die dem vorgegebenen Hilfszweck widersprechen und die Sozialarbeit der Wohlfahrtsverbände erschweren, zu unterbinden?
Ich beantworte im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit Ihre Fragen wie folgt. Wie mir bekannt ist, beklagen sich die Organisationen der freien Wohlfahrtspflege, daß private Unternehmen zunehmend die Gebefreudigkeit der Bevölkerung ausnutzen und unter Irreführung über die beabsichtigte Verwendung des Sammlungserlöses Altmaterial -und Kleidersammlungen veranstalten.
Die Regelung des Sammlungswesens ist Sache der Länder, die in den Jahren 1962 bis 1970 eigene Sammlungsgesetze erlassen haben. Der Bund hat auf diesem Gebiet keine Gesetzgebungskompetenz und keine Kontrollbefugnis. Es liegt daher leider nicht in seiner Macht, solche Manipulationen zu unterbinden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 8 des Abg. Dr. Kempfler auf:
Wie oft ist bis jetzt auf Grund des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom 5. August 1964 durch eine Verbotsbehörde ein Verein gemäß § 3 des Gesetzes verboten worden?
Herr Bundesminister!
Herr Kollege, der Bundesminister des Innern hat seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom 5. August 1964 drei Vereine verboten, und zwar: am 7. September 1967 den Kroatischen Demokratischen Ausschuß wegen Verstoßes gegen die Strafgesetze und gegen den Gedanken der Völkerverständigung sowie wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; am 24. Juni 1968 die Kroatische Revolutionäre Bruderschaft wegen Verstoßes gegen die Strafgesetze und den Gedanken der Völkerverständigung sowie wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung; am 29. April 1969 den Bund Deutscher National-Sozialisten wegen Verstoßes gegen die Strafgesetze, die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung.
Von den obersten Landesbehörden wurden seit dem Inkrafttreten des Vereinsgesetzes aus ähnlichen Gründen ebenfalls drei Vereine verboten, und zwar: am 3. März 1966 der Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten — Ortsgruppe Bad Bergzabern von der Landesregierung Rheinland-Pfalz; am 3. Mai 1966 die Vereinigung zur Veranstaltung eines Treffens der Angehörigen der ehemaligen SS-Division „Nordland" in Ebstdorf vom Niedersächsischen Minister des Innern; am 24. Juni 1970 der Sozialistische Deutsche Studentenbund, Hochschulgruppe Heidelberg, vom Innenminister des Landes Baden-Württemberg. Dieses Verbot ist noch nicht unanfechtbar. Gegen die Verbotsverfügung wurde beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Anfechtungsklage erhoben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler.
Herr Minister, sind Sie nicht der Auffassung, daß es noch wesentlich mehr Tatbestände gegeben hat, auf die § 3 des Vereinsgesetzes hätte angewendet werden können?
Herr Kollege, es gibt immer wieder Fälle, in denen der Ermessensspielraum ausgenutzt wird. Auch wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen, ist die zuständige Behörde nicht immer gehalten, das Verbot zu erlassen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen, also auf Grund der dafür und dagegen sprechenden und auf das Wohl des Staates gerichteten Umstände. Kommt die Verbotsbehörde dabei zu dem Ergebnis, daß es zweckmäßiger ist, von dem Verbot abzusehen, handelt sie rechtsstaatsgemäß. Aus diesem Gesichtspunkt hat z. B., wie Sie wissen, die damalige Bundesregierung im Jahre 1968 von einem SDS-Verbot abgesehen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Kempfler.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4189
Herr Minister, sind Sie nicht der Auffassung, daß bei diesen Erwägungen mehr und mehr auch der alte Erfahrungssatz Platz greifen sollte, daß man den Anfängen widerstehen solite?
Dieser Meinung bin ich allerdings, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Warum sind die Verbotsbehörden mit solchen Verboten auch dann äußerst zurückhaltend, wenn klar erwiesen ist, daß Zweck und Tätigkeit eines Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, also gleich mehrere Voraussetzungen der in Rede stehenden Maßnahme erfüllt sind?
Herr Bundesminister!
Ich kann hier nur etwas über die Verbotspraxis des Bundesministers des Innern sagen. Die Erwägungen der Verbotsbehörden der Länder, von Verbotsmaßnahmen abzusehen, werden mir in der Regel nicht bekannt. Das Vereinsgesetz sieht eine Beteiligung des Bundesministers des Innern nur vor — und das auch nur in bestimmten Fällen , wenn eine Landesbehörde ein Verbot erlassen will, nicht aber, wenn sie nach Anstellung bestimmter Erwägungen sich entscheidet, davon abzusehen.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:
Wird die Bundesregierung dafür sorgen, daß die früher zugesagte Anrechnung von bei Stationierungsstreitkräften verbrachten Dienstzeiten auf die Bewährungszeit tatsächlich so angewandt wird, wie sie zweifellos von der Bundesregierung gemeint war, und damit verhindern, daß die von manchen Verwaltungen vorgenommene Interpretation, daß diese Tätigkeit nur dann anerkannt werde, wenn sie in der gleichen Vergütungsgruppe zurückgelegt worden sei, dazu benutzt wird, z. B. Angestellten, die mangels vorhandener besserer Stellen längere Zeit in BAT VIII bleiben müssen, bevor sie befördert werden können, diese an sich gewollte Anrechnungsmöglichkeit zu versagen?
Herr Bundesinnenminister!
Nach den tariflichen Vorschriften des BAT über den Bewährungsaufstieg für die Angestellten des Bundes und der Länder werden auf die vorgeschriebene Bewährungszeit nur Zeiten angerechnet, die im Angestelltenverhältnis bei Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes in der gleichen oder in einer höheren Vergütungsgruppe ununterbrochen zurückgelegt worden sind. Dabei sind Unterbrechungen der Bewährungszeit von jeweils bis zu 6 Monaten unschädlich. Zeiten, die ein in den Bundesdienst übernommener Angestellter vorher bei den Stationierungsstreitkräften verbracht hat, könnten hiernach nicht berücksichtigt werden.
Zur Vermeidung dieses Ergebnisses hat sich mein Haus mit Rundschreiben vom 13. Oktober 1969 an die obersten Bundesbehörden damit einverstanden erklärt, daß bei Angestellten des Bundes auf die vorgeschriebene Bewährungszeit in einer Vergütungsgruppe bei Vorliegen der übrigen tarifvertraglichen Voraussetzungen übertariflich auch solche
Zeiten angerechnet werden, die der Angestellte nach dem 5. Mai 1955 bei den Stationierungsstreitkräften in einer entsprechenden Tätigkeit und in einer entsprechenden Vergütungsgruppe zurückgelegt hat.
Durch diese übertarifliche Maßnahme ist im Rahmen des geltenden Tarifrechts eine Regelung getroffen worden, die den besonderen Bedürfnissen der bei den Stationierungsstreitkräften beschäftigten Angestellten Rechnung trägt.
So ist sichergestellt, daß ein von den Stationierungsstreitkräften in den Dienst des Bundes übernommener Angestellter beim Bewährungsaufstieg nicht schlechter, aber auch nicht besser behandelt wird als jeder andere Angestellte. Schwierigkeiten bei der Anwendung der vorgenannten übertariflichen Regelung sind mir bisher nicht bekanntgeworden. Sollten sich solche ergeben, bin ich selbstverständlich gerne bereit, den Ursachen nachzugehen und zu prüfen, auf welche Weise derartige Schwierigkeiten beseitigt werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Bundesminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie mit mir der Meinung sind, daß gerade diese Personengruppe der bei den alliierten Stationierungsstreitkräften Beschäftigten in ihrer jetzigen schwierigen Situation und bei ihrer zum Teil notwendigen Umsetzung in Tätigkeiten bei deutschen Behörden auf eine wohlwollende und großzügige Auslegung dieser Bestimmung rechnen darf?
So ist es, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Ihnen konkrete Fälle, die mir bekanntgeworden sind und die auch Anlaß zu dieser Frage waren, in denen die Betreffenden ganz eindeutig gegen Ihre vorhin vorgetragene Meinung behandelt worden sind, mit dem Ziel der Abänderung vorlegen?
Ich möchte Sie ausdrücklich darum bitten.
Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Weigl auf. Das ist eine Frage, die bisher beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit aufgeführt worden ist, die aber zur Zuständigkeit des Innenministeriums gehört. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Danke schön, Herr Minister. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet.
Metadaten/Kopzeile:
4190 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reischl zur Verfügung.Die erste Frage, die Frage 42, ist von dem Herrn Abgeordneten Gallus eingebracht. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Das ist nicht der Fall. Dann werden die Antworten auf diese und die weitere von dem Herrn Abgeordneten Gallus eingebrachte Frage 43 als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Weber auf:Ist es zutreffend, daß bei Neu- bzw. Wiederaufbauten von Wohnhäusern, für die am 1. Januar 1964 eine Grundsteuervergünstigung gewährt wird, bei der Ermittlung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1964 ein Zuschlag von 12 % auf die Jahresrohmiete erfolgt, obwohl der Durchschnittssatz der Grundsteuerbefreiung nur 6 % bis 8 % der Jahresmiete ausmacht, und dadurch eine entsprechende Erhöhung der Mieten eintritt?Herr Staatssekretär, Sie haben zur Beantwortung das Wort.
Ich bitte darum, beide Fragen, da sie miteinander in Zusammenhang stehen, gemeinsam beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist damit einverstanden, Herr Staatssekretär. Ich rufe daher noch die Frage 45 des ) Herrn Abgeordneten Dr. Weber auf:
Ist die Bundesregierung bereit, § 79 des Bewertungsgesetzes dahin zu ergänzen, daß, wenn der Zuschlag von 12 °/o unterschritten wird, auf Antrag des Steuerpflichtigen ein geringerer Prozentsatz eingesetzt werden kann?
Es trifft zu, daß die Grundsteuer nach den heutigen Verhältnissen nur etwa 6 bis 8 v. H. der Jahresrohmiete ausmacht. Zum Teil wird sie sogar noch erheblich unter diesem Prozentsatz liegen. Demgegenüber betrug sie jedoch in den Jahren vor 1964 mindestens noch 10 bis 12 v. H. der Jahresrohmiete. Bei der Einheitsbewertung zum 1. Januar 1964 kann aber nur auf die damaligen Verhältnisse abgestellt werden. Dementsprechend sind zur Berücksichtigung der Grundsteuerbelastung die Vervielfältiger des § 80 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes jeweils um 12 v. H. gekürzt worden.
Bei grundsteuerbegünstigten Wohnungen brauchte aber die Grundsteuer nur für den anteiligen Grund und Boden entrichtet zu werden. Damit bei diesen Wohnungen nicht Bewirtschaftungskosten berücksichtigt werden, die gar nicht angefallen sind, müßte deshalb der Abschlag in den Vervielfältigern wieder korrigiert werden. Aus Vereinfachungsgründen geschieht dies jedoch in der Weise, daß zu der Jahresrohmiete ein entsprechender Zuschlag gemacht wird. Eine Ermäßigung dieses Zuschlages müßte deshalb zwangsläufig auch zu einer entsprechenden Erhöhung des Vervielfältigers führen. Eine Änderung nur des § 79 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes würde unter diesen Umständen dem Bewertungssystem
widersprechen. Die Bundesregierung ist daher nicht bereit, diese Vorschrift in der gewünschten Form zu ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Weber.
Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen der Gesamtüberlegungen zur Neufassung des Bewertungsgesetzes diese Erkenntnisse mit zu berücksichtigen?
Es ist die Frage, ob man das so allgemein sagen kann. Es muß ja ohnehin immer wieder jeweils eine Neubewertung stattfinden, die nächste Bewertung zum 1. Januar 1974. Eine grundlegende Änderung des Bewertungsgesetzes ist für die nächste Zeit nicht vorgesehen.
Halten Sie nicht im Hinblick darauf, daß damit insbesondere eine Vergünstigung für diejenigen Mieter, die in grundsteuerbegünstigten Wohnungen wohnen, verbunden ist, eine pauschale Herabsetzung von 12 auf 6 oder 8 °/o für wünschenswert?
Ich glaube nicht, daß wir das durch eine Änderung des ja laufend für die Veranlagung benutzten Gesetzes von 1964 machen könnten, sondern hier gibt es eigentlich nur den Weg, daß der jeweilige Eigentümer eine Neufestsetzung beantragt, wenn die Grundsteuerbegünstigung weggefallen ist. Es gibt ja dann zwei Fälle, die man unterscheiden muß. In dem einen Fall hat er praktisch schon vorher nicht das getan, was er hätte tun sollen, nämlich die Grundsteuerbegünstigung den Mietern zukommen zu lassen. In diesen Fällen ändert sich an der Sache nichts. Hat er es aber getan, muß er eine Änderung der Bewertung beantragen.
Keine weitere Zusatzfrage?
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Warnke auf:
Entspricht die Erklärung des bayerischen SPD-Landesvorsitzenden Volkmar Gabert auf einer Pressekonferenz in Gefrees den Tatsachen, daß der Bundesfinanzminister fest zugesagt habe, die Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrags für Arbeitnehmer im Grenzland im Rahmen der Steuerreformen im Jahre 1971 in Angriff zu nehmen?
Herr Staatssekretär!
Soweit der Bundesregierung bekannt ist, hat der bayerische SPD-Landesvorsitzende Volkmar Gabert auf einer Pressekonferenz in Gefrees allgemein zu Problemen der Steuerreform Stellung genommen und dabei erklärt, daß nach Auffassung des Bundesfinanzministers auch alle die Lohnsteuer betreffenden Fragen spätestens im Jahre 1971 in Angriff genommen werden sollten. Auf eine Zwischenfrage hat Herr Volkmar Gabert weiter erklärt, daß dies auch für das Problem des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4191
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl Arbeitnehmerfreibetrags gelte. Die Wiedergabe dieser Äußerungen in Berichten der örtlichen Presse und die Wiedergabe der gestellten Frage treffen nicht zu.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es Pläne einer steuerlichen Arbeitnehmerbegünstigung im Zonenrandgebiet in Ihrem Hause, und wenn ja, welcher Art sind sie?
Es gibt keine Pläne, auf diesem Gebiet eine allgemeine Lohnsteuervergünstigung einzuführen. Ich habe in mehreren Antworten, die ich in diesem Hause gegeben habe, immer wieder betont, daß die Errichtung innerdeutscher Steuergrenzen nicht möglich ist. Die Begünstigung muß dann auf andere Weise erfolgen.
Sie haben einen weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für angebracht, nach mehr als einjähriger Diskussion in diesem Hause der Bevölkerung im Zonenrandgebiet jetzt zu sagen, auf welche Weise diese Begünstigung erfolgen soll?
) Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Eine Reihe von Maßnahmen sind ja schon in Kraft getreten und werden auch noch weiter vorgenommen. Ich erinnere an das Zonenrandförderungsgesetz, das indirekt auch die Arbeitnehmer fördert. Darüber gibt es keinen Zweifel; denn wenn durch dieses Gesetz die Arbeitsplätze gesichert und Betriebe dort neu angesiedelt werden, ist das die beste Förderung. Eine weitere Maßnahme wird dem Bundestag in der nächsten Woche vorgelegt werden, und zwar die Aufhebung der 40-km-Grenze bei der Kilometer-Pauschale für die Kraftfahrzeuge, so daß auch Leute, die von weiterher anreisen müssen, die Pauschale in Anspruch nehmen können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, würden Sie auf Grund Ihrer vorigen Antwort den Herrn Landtagsabgeordneten Gabert darauf hinweisen und das auch in der Presse bekanntmachen, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, einen Arbeitnehmerfreibetrag im Zonenrand einzuführen, daß es vielmehr ein Antrag der von der CSU gestellten bayerischen Staatsregierung im Bundesrat ist?
Erstens sehe ich keinen Anlaß, darauf hinzuweisen; denn die Pressemeldungen sind falsch. Nach den uns vorliegenden Berichten hat Herr Gabert gesagt: Die ganzen allgemeinen Fragen, also alle die Lohnsteuer berührenden Fragen — das bezog sich nicht auf das Zonenrandgebiet, sondern auf die Steuerreform —, werden im Jahre 1971 in Angriff genommen. Das hat aber nichts mit der speziellen Zonenrandförderung zu tun. Ich muß zweitens noch einmal sagen: eine Beschränkung eines Arbeitnehmerfreibetrages auf das Zonenrandgebiet kommt nicht in Frage.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kreutzmann.
,Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Vorgänger des jetzigen Bundesfinanzministers, der Abgeordnete Strauß, solange er Bundesfinanzminister war, stets mit Entschiedenheit die Schaffung eines besonderen Arbeitnehmerfreibetrages für das Zonenrandgebiet abgelehnt hat?
Ja, das ist mir bekannt.
Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die Umsatzsteuer zugunsten des Hotel- und Gaststättengewerbes zu verändern, nachdem die Lieferung von Nahrungsmitteln einem Steuersatz von 5,5% unterliegt, bei Verzehr an Ort und Stelle, wie das in Gaststätten und Hotels der Fall ist, ein Steuersatz von 11 % erhoben wird?
Ist Herr Abgeordneter Engelsberger im Saal? Er ist hier. Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die geltende Regelung beibehalten werden sollte. Zwischen Gastgewerbe und Lebensmittelhandel gibt es grundsätzlich keinen Wettbewerb, der eine steuerliche Gleichbehandlung erforderlich machen würde. Dem Gast wird über den reinen Lebensmittelverkauf hinaus die Gelegenheit zum Verzehr an Ort und Stelle geboten. Dieser besondere Dienstleistungsanteil schlägt sich auch im Preis, und zwar nicht nur in dem regelmäßig erhobenen Bedienungsgeld, nieder. Es ist daher gerechtfertigt, das Gastgewerbe mit dem übrigen Dienstleistungsgewerbe gleichzustellen und ebenfalls dem normalen Steuersatz zu unterwerfen.Die angestrebte Steuerermäßigung widerspricht dem Ziel der in Kürze anstehenden Novellierung des Umsatzsteuergesetzes in zweifacher Hinsicht. Aus dem einheitlichen Steuersatz für alle Umsätze des Gastgewerbes, der sich steuertechnisch bewährt hat, würden unterschiedliche Steuersätze für Speisen auf der einen und Getränke und Beherbergungen auf der anderen Seite. Die notwendige Aufteilung der Umsätze insbesondere auf den Rechnungen hätte erhebliche praktische Schwierigkeiten zur Folge. Darüber hinaus würde eine neue materielle
Metadaten/Kopzeile:
4192 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl Vergünstigung von beträchtlichem Gewicht geschaffen. Nach neuesten Schätzungen ergäbe sich ein Steuerausfall von etwa 450 Millionen DM.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, die Gastronomie von einer weiteren Erhöhung der Mehrwertsteuer im Zuge der Finanzreform auszunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst muß ich darauf hinweisen, daß eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht beabsichtigt ist.
Zum anderen: wenn es natürlich durch irgendwelche Entwicklungen innerhalb Europas später einmal zu solchen Regelungen käme — das hat aber nichts mit der Steuerreform zu tun —, müßte das Problem des halben Steuersatzes und damit auch das des Gastgewerbes selbstverständlich neu überdacht werden.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, I am vergangenen Montag hat Herr Professor Haller geäußert, daß die Mehrwertsteuer im Rahmen der Finanzreform erhöht werden soll. Man spricht von Sätzen von 15 bis 16 %. Glauben Sie nicht, daß diese Ankündigung Grund genug ist, anzunehmen, daß die Mehrwertsteuer nun tatsächlich erhöht wird?
Herr Kollege, es ist wohl kaum von der Hand zu weisen — ich nehme das auch als die Voraussetzung der Äußerung von Professor Haller an —, daß die europäische Entwicklung zu einer Veränderung des Mehrwertsteuersatzes führen könnte. Nur sind die genaue Höhe und auch der genaue Zeitpunkt nicht vorauszusehen; denn die Steuerharmonisierung innerhalb der EWG steckt noch sehr in den Kinderschuhen. Ich möchte noch einmal erklären: im Rahmen der Steuerreform bestehen solche Absichten nicht. Eine andere Frage kann die sein, ob die Bundesregierung und damit letztlich übrigens auch der Bundestag durch Entwicklungen innerhalb der EWG eines Tages zu Änderungen gezwungen werden könnten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ollesch.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Kollegen von der CDU/CSU mitzuteilen, daß, wenn diese Fraktion damals mit den Freien Demokraten gestimmt hätte, er diese Frage heute gar nicht erst zu stellen brauchte?
Das ergibt sich wohl aus dem Protokoll der damaligen Bundestagssitzung.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Geldner auf:
Trifft es zu, daß durch die DM-Aufwertung der Fremdenverkehr der Bundesrepublik Deutschland einen Rückgang zu verzeichnen hat?
Ich möchte beide Fragen zusammen beantworten und bitte um das Einverständnis des Herrn Kollegen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also ferner die Frage 49 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, falls ein solcher Rückgang zu verzeichnen ist, durch Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie von 11 % auf 5,5% den Fremdenverkehr zu fördern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zur wirtschaftlichen Lage des Fremdenverkehrs möchte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft folgendes feststellen. Die Zahl der Fremdenübernachtungen in der Bundesrepublik von Januar bis Juli 1970 — soweit liegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes vor — ist gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um 2,9 v. H. gestiegen. Bei den Inländern beträgt der Zuwachs 2,3 v. H., bei den Ausländern, beeinflußt durch die Passionsspiele in Oberammergau, 9,3 v. H. Da der Fremdenverkehr demnach weiter zugenommen hat, erübrigt sich wohl eine Beantwortung Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege, die von einem Rückgang des Fremdenverkehrs ausgeht. Gleichwohl möchte ich auch in diesem Zusammenhang auf die allgemeinen Bedenken hinweisen, die gegen die Einführung einer Steuervergünstigung im Gastgewerbe sprechen. Wegen der Einzelheiten darf ich auf die Antwort, die ich vorhin dem Kollegen Engelsberger gegeben habe, verweisen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sagten soeben, daß im Zuge der Steuerreform eine Reduzierung der Hebesätze in der Gastronomie nicht vorgesehen sei. Wären sie bereit, eine Überprüfung vorzunehmen, wenn sich auf Grund der Entwicklung in der EWG ergeben sollte, daß die bundesrepublikanischen Fremdenverkehrsbetriebe benachteiligt sind?
Ich sagte vorhin schon, daß für den Fall einer Harmonisierung der Steuern im Rahmen der EWG ohnehin alle Fragen, auch die des halben Steuersatzes, neu überdacht werden müssen. Im übrigen käme gerade dann auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4193
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischldie Harmonisierung des halben Steuersatzes in Betracht; denn dann müßte ja wohl in allen EWG-Ländern zumindest die Handhabung im wesentlichen die gleiche sein, schon um Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EWG, die durch den EWG-Vertrag gerade ausgeschlossen werden sollten, zu vermeiden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die nächste Frage wird vom Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens gestellt. Ich frage den Herrn Staatssekretär und den Fragesteller, ob beide Fragen gemeinsam, beantwortet werden sollen. — Das ist der Fall. Dann rufe ich die Fragen 50 und 51 auf:
Aus welchen Gründen werden nach der Marinedienstvorschrift 400/8 Besatzungen von Kriegsschiffen, die Helgoland anlaufen, zollrechtlich ungünstiger behandelt als die Insel besuchende Zivilisten?
Welche Rechtsgrundlagen ermöglichen eine solche unterschiedliche zollrechtliche Behandlung von Zivilisten und Soldaten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Erstens. Für Reisemitbringsel der von der Insel Helgoland zurückkehrenden Mitglieder der Besatzungen von Kriegsschiffen der Bundeswehr gelten zoll- und verbrauchsteuerrechtlich die gleichen Freibeträge und Freimengen, wie sie auf Grund von Gemeinschaftsrecht — insbesondere EWG-Verordnung vom 23. Juli 1969 über die zolltarifliche Behandlung von Waren, 3 die im persönlichen Gepäck der Reisenden eingeführt werden — im „großen Reiseverkehr" vorgesehen sind. Die Zoll- und Verbrauchsteuerbestimmungen für Kriegsschiffe der Bundeswehr — MDv 400/8 — sind keine Rechtsvorschrift, sondern eine Verwaltungsanweisung des Bundesministers der Verteidigung. Diese Dienstvorschrift läßt Rechtsvorschriften wie die über die Zollfreiheit im Reiseverkehr unberührt. Das gilt auch, soweit die MDv 400/8 mit rein innerdienstlicher Wirkung nur Tabakerzeugnisse in bestimmter Menge — 40 Zigaretten oder entsprechende Mengeg anderer Tabakerzeugnisse — als beim Verlassen des Schiffes abgabefreie hochsteuerbare Waren bezeichnet.
Zweitens. Es ist vorgesehen, durch Rechtsvorschrift die Zollfreiheit für Tabakwaren, die von Mitgliedern der Besatzungen von Kriegsschiffen der Bundeswehr eingeführt werden, auf die Hälfte der bei der Einfuhr durch Reisende mit Wohnsitz in Europa zollfrei zustehenden Mengen zu beschränken. Nach der vorgesehenen Änderung der Allgemeinen Zollordnung wären in diesen Fällen 100 Zigaretten oder die entsprechenden Mengen anderer Tabakerzeugnisse zollfrei. Bei Einfuhren von Reisemitbringseln durch Personen, die auf Behördenfahrzeugen tätig sind und in dieser Eigenschaft üblicherweise mehr als einmal im Kalendermonat einreisen, gelten bereits jetzt niedrigere Zollfreimengen als im „großen Reiseverkehr". Eine ähnliche Beschränkung erscheint im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung auch für die von Kriegsschiffbesatzungen eingeführten Tabakwaren ange-
bracht, weil die Kriegsschiffe häufig binnen kürzerer Zeiträume von kleinen Seereisen ohne Drittlandsberührung zurückkehren und somit nicht die Voraussetzungen vorliegen, die für die Gewährung der großen Reisefreimengen bestimmend sind. Die bereits erwähnte EWG-Verordnung vom 23. Juli 1969 steht der beabsichtigten Beschränkung nicht entgegen.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß auch die neue Regelung die Besatzungen der Kriegsschiffe der Bundesmarine nicht anders behandeln wird als die Besatzungen ziviler Schiffe?
Selbstverständlich! Sie werden alle gleichbehandelt. Das ist sogar das Ziel einer Neuregelung.
Meine Damen und Herren, ich habe die große Ehre und Freude, den Präsidenten des Finnischen Reichstags, Seine Exzellenz Herrn Paasio , mit fünf Mitgliedern des Finnischen Parlaments auf unserer Besuchertribüne herzlich willkommen zu heißen.
Unsere finnischen Gäste erwidern den Besuch einer Bundestagsdelegation, die im Mai 1969 im Finnischen Reichstag sehr herzlich empfangen wurde.
Wir fahren in der Fragestunde fort. Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Schlee auf:
Erwägt die Bundesregierung in Anbetracht der Verminderung des Geldwertes eine Erhöhung der steuerfreien Pauschbeträge für Körperbehinderte und Hinterbliebene bei der Besteuerung des Einkommens?
Der Herr Abgeordnete Schlee ist im Saal. Herr Staatssekretär!
Die Pauschbeträge für Körperbehinderte und Hinterbliebene nach den §§ 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung und 26 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung stellen keine Steuervergünstigung, sondern eine Vereinfachungsmaßnahme dar. Ihre Festsetzung hat lediglich den Zweck, in einer möglichst großen Anzahl von Fällen den Einzelnachweis der tatsächlich entstehenden außergewöhnlichen Belastungen zu vermeiden und dadurch eine Vereinfachung sowohl bei den in Betracht kommenden Personen als auch bei den Finanzämtern zu erreichen.Die Frage, ob die zur Zeit geltenden steuerfreien Pauschbeträge erhöht werden können, ist erst kürzlich noch einmal eingehend geprüft worden. Die hierbei von den obersten Finanzbehörden der Länder angestellten Ermittlungen haben ergeben, daß die Pauschbeträge für Körperbehinderte in der Mehrzahl der Fälle immer noch ausreichen, um die mit einer Körperbehinderung zusammenhängenden
Metadaten/Kopzeile:
4194 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl außergewöhnlichen Belastungen zutreffend abzugelten. Das schließt nicht aus, daß sich in Einzelfällen die Pauschbeträge für Körperbehinderte tatsächlich als nicht ausreichend erweisen mögen. In solchen Fällen haben die Betroffenen aber die Möglichkeit, auf die Inanspruchnahme des steuerfreien Pauschbetrages zu verzichten und die außergewöhnlichen Aufwendungen in tatsächlicher Höhe geltend zu .machen.Ich darf daher die Frage dahin gehend beantworten, daß die Bundesregierung im Augenblick eine Erhöhung der steuerfreien Pauschbeträge für Körperbehinderte und Hinterbliebene nicht in Erwägung zieht. Ungeachtet dessen wird aber die weitere Entwicklung sorgfältig beobachtet werden. Sollte hiernach erkennbar werden, daß sich die Pauschbeträge in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr als ausreichend erweisen, wird eine Erhöhung zu erwägen sein.
Keine Zusatzfrage.
Der Herr Abgeordnete Walkhoff ist nicht im Saal. Die Antworten auf die Fragen 52 und 54 werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten von Bockelberg auf:
Welche Auswirkungen auf die Kosteninflation erwartet die Bundesregierung von der indirekten Lohnsteuererhöhung, welche durch die Änderung der steuerlichen Behandlung von Reisekosten und Auslösungen in den Lohnsteuer-Richtlinien eintreten wird, sofern die Richtlinien in der Fassung vom 14. September 1970 oder in etwas abgemilderter Form verabschiedet werden?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Herr Staatssekretär!
Die Bestimmungen in den Lohnsteuer-Richtlinien über die steuerliche Behandlung von Reisekosten und Reisekostenvergütungen sind durch die zwischenzeitliche Entwicklung der Rechtsprechung weitgehend überholt und bedürfen dringend der Anpassung. Diese Anpassung war in dem von Ihnen erwähnten Entwurf der Lohnsteuer-Ergänzungsrichtlinien 1971 vom 14. September 1970 vorgesehen. Der Entwurf ist am 7. Oktober 1970 mit den interessierten Spitzenverbänden erörtert worden. Das Ergebnis der Erörterung gibt zu einer nochmaligen Überarbeitung des Entwurfs Anlaß, die zur Zeit in meinem Hause durchgeführt wird. Es kann bereits jetzt gesagt werden, daß die Neufassung keineswegs nur, wie Sie meinen, eine etwas gemilderte Form der ersten Fassung darstellen, sondern wesentliche Verbesserungen gegenüber dieser ersten Fassung enthalten wird. Die Neuregelung wird so gestaltet werden, daß insgesamt weder von einer indirekten Lohnsteuererhöhung noch von einer negativen Auswirkung auf die Kostenlage der Arbeitgeber die Rede sein kann.
Lassen Sie mich zum Abschluß, Herr Kollege, noch bemerken, daß das Wort „Kosteninflation" doch etwas übertrieben erscheint. Man sollte mit dem Wort „Inflation" wohl etwas vorsichtiger umgehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg.
Darf ich dann fragen, Herr Staatssekretär, ob Sie sich noch an die verschiedenen Inflationen erinnern, von denen wir sprechen, an die schleichende, die trabende und die gallopierende? Ich habe mich absichtlich aus diesen Pferdegangarten herausgehalten.
Das war allerdings keine Zusatzfrage, Herr Kollege. — Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, würden Sie, da Sie vorher erklärt haben, daß die neuen Richtlinien günstiger als die gegenwärtigen sein werden, dafür sorgen, daß nicht im Zuge von Betriebsprüfungen für den Zeitraum, in dem die günstige Regelung nicht gegolten hat, Nachholungen bei den Betrieben erfolgen?
Das wird sicher schon aus Gerechtigkeitsgründen der Fall sein müssen.
Das ist bei der Steuer nicht -immer sicher.
Gut, ich werde mich also darum kümmern, Herr Kollege.
Damit sind wir-mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen am Ende. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Logemann zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Fragen 11 und 12 des Herrn Abgeordneten Stücklen auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden dann schriftlich beantwortet, und die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Zeitschrift Nr. 10 Europäische Gemeinschaft — von der EG-Kommission herausgegeben — herausgestellte Übereinstimmung zwischen dem MansholtPlan und dem Entwurf des vom Bundeslandwirtschaftsminister vorgelegten einzelbetrieblichen Förderungs- und sozialen Ergänzungsprogramms?
Herr Kollege Niegel, die Vorschläge der Kommission zur Reform der Landwirtschaft basieren auf den Gedanken, die in dem Memorandum der Kommission vom Dezember 1969 niedergelegt worden sind. In diesem Memorandum bestand zwi-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4195
Parlamentarischer Staatssekretär Logemannschen der Reform der Landwirtschaft und der Herstellung des Marktgleichgewichts ein sehr enger Zusammenhang, so daß der Eindruck entstehen mußte, die Kommission wolle die Strukturen bereinigen, um Betriebe entstehen zu lassen, die mit wesentlich niedrigeren Preisen auskommen könnten.In den neuen Vorschlägen der Kommission wird dieser Zusammenhang nicht mehr aufgestellt. Die Kommission hat in ihren Vorschlägen keine direkte Aussage zur Preispolitik gemacht. Aber die Tatsache, daß der Beschluß der neuen Preisvorschläge von einer Behandlung der Vorschläge der Kommission zur Reform der Landwirtschaft abhängig gemacht werden soll, deutet an, daß die Kommission diesen engen Zusammenhang immer noch sieht.In der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ist deutlich gemacht, daß die Bundesregierung eine Politik des Preisdruckes ablehnt. In dem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm wird herausgestellt, daß die Preispolitik ein wesentliches Instrument zur Einkommensicherung der Landwirtschaft bleibt. Ich darf darauf hinweisen, daß sich die von Herrn Ries in dem zitierten Artikel angesprochene Übereinstimmung vorwiegend auf die Buchführung, den Ausbildungsnachweis und den Betriebsentwicklungsplan als Förderungsvoraussetzungen bezieht. Eine solche Übereinstimmung ist auf jeden Fall zu bejahen. Die Unterschiede in der Förderungsschwelle sind für die Bundesregierung jedoch nicht nur Modalität. Die Förderungsschwelle in den Brüsseler Richtlinienentwürfen ist wesentlich höher und weniger flexibel als die des Bundesernährungsministeriums. Es werden sowohl Betriebe von der Förderung ausgeschlossen, die die Schwelle nicht erreichen können, als auch Betriebe, die die Schwelle zum Zeitpunkt der Antragstellung überschritten haben. Einnahmen aus nichtgewerblichen Nebenbetrieben sowie aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit finden keine Berücksichtigung.Darüber hinaus geht die Förderungsschwelle von grundsätzlich zwei Vollarbeitskräften aus. Die Höhe der Förderungsschwelle beträgt in den Kommissionsvorschlägen 10 000 bis 12 000 Rechnungseinheiten pro Arbeitskraft. 10 000 Rechnungseinheiten entsprechen rund 32 000 DM an bereinigtem Betriebseinkommen. Wir gehen dagegen nur von einem Reineinkommen aus, das 24 000 DM einschließlich Fremdlöhne betragen soll und außerdem noch regional und einzelbetrieblich merklich gesenkt werden kann.In der Diskussion der Beamten meines Hauses mit den Beamten der Generaldirektion Landwirtschaft war erfreulicherweise festzustellen, daß die Kommission von den starren technischen Richtgrößen bereits abgegangen ist. Wir werden auch auf dieser Ebene weiterwirken, um die Kommission von der Richtigkeit unserer Vorschläge zu überzeugen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Niegel.
Herr Staatssekretär, der Kernpunkt meiner Frage war ja die Strukturpolitik und weniger die Preispolitik. Ich möchte jetzt fragen, ob hinsichtlich der Zielsetzung beider Programme nicht doch die Möglichkeit besteht, daß ein Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe einzelbetrieblich in der Entwicklung nicht mehr gefördert werden kann.
Nein, das möchte ich nicht so sagen. Ich habe vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, daß zwar bei einzelnen Punkten eine Übereinstimmung festzustellen ist, daß aber in der Zielsetzung doch ein erheblicher Unterschied schon dadurch gegeben ist, daß wir von einem Betrieb mit anderthalb Arbeitskräften ausgehen, während die Zielsetzung der Kommission ja bei zwei Voll-AK liegt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Nie-, gel.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Äußerungen Ihres beamteten Kollegen, Herrn Dr. Griesau, bekannt, die er am 10. Juni 1970 im „Echolot" des Bayerischen Landfunks auf die Frage des Herrn Dr. Geiersberger, ob der Ertl-Plan „ein kleiner Mansholt" sei — so durch die Hintertür —, gemacht hat? Herr Dr. Griesau erklärte: „Nun, so ein ganz kleines bißchen vielleicht, so ein ganz kleiner Mansholt" ?
Wenn Sie das kleine Bißchen auf das beziehen, was ich vorhin als gleichlautend aus den Vorschlägen herausgelesen habe, dann möchte ich insoweit zustimmen. Mir sind im übrigen die Äußerungen meines Kollegen Dr. Griesau nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, stimmt die Bundesregierung mit mir darin überein, daß Maßnahmen auf landwirtschaftlichem Gebiet, die im Interesse der Landwirtschaft getroffen werden, nicht allein schon deshalb als schlecht bezeichnet oder geradezu verteufelt werden können, weil sie mit ähnlichen Vorschlägen aus dem MansholtPlan übereinstimmen, nachdem dort z. B. ein ganzer Plafond ausgezeichneter sozialpolitischer Maßnahmen darinsteht?
Ich stimme hier mit Ihnen völlig überein. Es kommt wirklich darauf an, daß wir mit unseren Plänen und Vorstellungen die Landwirtschaft echt fördern.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Deutscher Bundestag -6. Wahlperiode -75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Herr Staatssekretär, wäre es nicht notwendig, daß der Bundesernährungsminister eine Richtigstellung zu dieser Publikation Heft Nr. 10, Jahrgang 1970, der Europäischen Gemeinschaften veranlaßt oder eine entsprechende Erklärung abgibt, nachdem es in diesem Heft wörtlich heißt -ich zitiere -, "daß die Programmmatiker Ertl und Mansholt diesmal nicht nur in den Zielsetzungen -das ist schon gefährlich genug -übereinstimmen", ferner: "das der entscheidende erste Teil des Ertl-Programms, nämlich ,wohin soll es gehen?', auf derselben geistigen Ebene -und das ist das Gefährliche -wie die Reformen der Produktionsstruktur des Mansholt-Planes liegt, während man" -und jetzt kommt das Entscheidende --Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Herr Kollege Gleissner, Zusatzfragen müssen knapp und kurz sein und dürfen nicht Wertungen enthalten. Dr. Gleissner : Herr Präsident, ich kürze meinen Schlußsatz: ... während man noch vor wenig mehr als einem Jahr, vor der Ubernahme des Ministeramtes, geradezu den gegenteiligen Standpunkt eingenommen und den Mansholt-Plan als schweren Irrweg scharf attackiert habe? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Gleissner, ich habe dazu nur zu sagen, daß eigentlich als Antwort der Bundesregierung das genügen müßte, was ich vorhin zu dem Mansholt-Plan ausgeführt habe. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vodienhausen: Ich rufe die nächste Frage auf, die Frage 15 des Abgeordneten Biehle. Ist der Bundesregierung bekannt, daß Rcntner, die nur einige Mark über den Regelsätzen der Sozialhilfe liegen, keine verbilligte Sozialbutter erhalten, während Empfänger von Leistungen wie Pflegcgeld, Ausbildungsbeihilfen nach dem BSHG, LAG usw., die Einkommen über 1000 DM haben wegen des zugestandenen Freibetrags in den Genuß verbilligtcr Bulter kommen? Bitte, Herr Staatssekretär! Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Biehle, der Bundesregierung ist bekannt, daß Rentner, deren Rente über den Regelsätzen der Sozialhilfe liegt und die keine Winterbeihilfe für die Heizperiode 1969/1970 und 1970/1971 bekommen haben, keine Buttergutscheinkarten erhalten. Durch die Erweiterung des Empfängerkreises um die Empfänger von Pflegegeld nach § 69 des Bundessozialhilfegesetzes und von Blindenhilfe nach § 67 des gleichen Gesetzes sind möglicherweise in Einzelfällen Personen in die Verbilligungsaktion einbezogen worden, deren Einkommen über dem Regelsatz liegt. Die Erfassung aller dieser Personen erfolgt im Hinblick auf ihre besondere Gesamtlage, die sich von der eines Rentenempfängers erheblich unterscheidet. Im Grundsatz ist jedoch von dem Prinzip der Bedürftigkeit nicht abgewichen worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Biehle. Biehle : Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht auch -ich möchte noch einmal betonen: es geht weniger um die Winterbrandhilfe, sondern um Sozialbutter; das war meine Frage -, daß die Handhabung der Toleranzgrenzen bei den Regelsätzen durch eine entsprechende Anordnung Ihres Ministeriums großzügiger vorgenommen werden könnte, um den Kreis in bezug auf die bisher nicht Einbezogenen ausweiten zu können? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich glaube, das werden Sie gleich aus der Beantwortung der zweiten Frage heraush.ören können. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhaus·en: Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Biehle auf: Wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, dcn Sozialämtern größere Freizügigkeit cinzuräumen, um auch Rentnern mit geringerem Einkommen wie dem angesprochenen Personenkreis die gleiche Vergünstigung zukommen zu lassen und die bisherige Benachteiligung zu beseitigen? Herr Staatssekretär! Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Die Bundesregierung bedauert, zur Zeit nicht in der Lage zu sein, alle Rentner mit geringem Einkommen in die Butterverbilligungsaktion einzubeziehen, Der vom Fragesteller erwünschten Freizüg.igkeit stehen Bestimmungen derEuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft entgegen, diefür die Bundesregierung bindend sind. So ist zumBeispiel in der Verordnung des Rates NT. 414/70 vom 3. Mäm 1970 festgelegt, daß nur Empfängersozialer Hilfen zum Kreis der begünstigten Personengehören können. Damit bleiben Rentenempfängergrundsätzlich von der VerbilUgungsaktion ausgeschlossen, weil es sich bei der Rente nicht um einesoziale Hüfe handelt. Soweit jedoch Rentner laufende Leistungen auf Grund der Regelsatzverordnung oder Winterbeihilfe nach örtlichen Regelungenerhalten, kann an diese Personen eine Buttergutscheinkarte ausgegeben werden, Sollte die Butterverbilligungsaktion auch im Jahr1971 fortgeführt werden, was nach Lage der Dingewahrscheinlich ist, wird die Bundesregierung prüfen,ob die Möglichkeit besteht, die EWG-Verordnungdahin gehend abzuändern, daß soziale Härten in derBundesrepublik gemildert werden können. Ich weisejedoch darauf hin -um keine falschen Hoffnungenzu erwecken -, daß es auch dann in der Bundesrepublik aus verwaltungstechnischen Gründenschwierig sein wird, in EinzeHällen Härten zu vermeiden. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Eine Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4197
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die eng gezogene Toleranzgrenze bei Sozialrentnern zur Zeit etwa bei 110 % und bei den Kriegsopferrentnern bei 120 % liegt? Glauben Sie nicht auch, daß nicht nur eine Anpassung, sondern eine entsprechende Anhebung zur Einbeziehung eines größeren Kreises erfolgen sollte, damit die bisher durch die Freibeträge Benachteiligten gerechterweise ebenfalls zum Zuge kommen?
Es ist durchaus unser Bemühen, die Zahl der Benachteiligten so gering wie möglich zu halten und Härten zu vermeiden. Das habe ich wohl zum Ausdruck gebracht, und ich bin auch gern bereit, Ihre Anregung zu prüfen.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Trifft es tatsächlich zu, daß nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in der Fragestunde vom 7. Oktober 1970 die längst fällige Verbesserung des Milchpreises — trotz der im ganzen Land bekannten Kostensteigerung der Milchgewinnung und Milchverarbeitung — erst dann behandelt werden kann, wenn „diese Frage innerhalb der Bundesregierung, d. h. zunächst einmal in Ressortbesprechungen, eingehend erörtert und geprüft" wurde?
Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, Sie beziehen sich auf die Fragestunde im Hohen Hause am 7. Oktober 1970. Ich gehe davon aus, daß Sie eine Anhebung des Trinkmilchpreises im Auge haben. Dazu ist folgendes zu sagen. Anfang September ist von Vertretern der deutschen Milchwirtschaft beantragt worden, den Trinkmilchpreis wegen der eingetretenen Kostenerhöhung anzuheben. Nachdem Mitte Oktober — Herr Kollege Dr. Gleissner, das bitte ich zu beachten — von der Witrschaft Unterlagen über die Höhe der Kostensteigerung vorgelegt worden sind, wird zur Zeit geprüft, in welchem Umfang eine Erhöhung des Trinkmilchpreises erforderlich ist.
Die Trinkmilchpreise werden durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium festgesetzt. Die Rechtsverordnung bedraf der Zustimmung des Bundesrates. Die Antwort in der Fragestunde am 7. Oktober 1970, daß diese Frage innerhalb der Bundesregierung, d. h. zunächst einmal in Ressortbesprechungen, eingehend erörtert und geprüft wird, gibt daher nur den bestehenden Rechtszustand wieder. Von einer mit Ihrer Fragestellung zum Ausdruck gebrachten Verzögerung der Anhebung des Trinkmilchpreises kann daher keine Rede sein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht doch, daß ein Versäumnis darin liegt, daß bei den Ihnen bekannten alarmierenden
Preis- und Lohnerhöhungen in der gesamten übrigen Wirtschaft und trotz der zahlreichen Eingaben und Appelle, die schon vor September erfolgt sind, Ihr Haus so lange in der Milchpreisfrage gezögert und noch in der Fragestunde erst vor 14 Tagen eine völlig ungenügende, hinhaltende und ausweichende Antwort gegeben hat?
Herr Kollege Dr. Gleissner, diese Ihre Aussage kann ich durchaus nicht bestätigen. Ich bin der Auffassung, daß die Bundesregierung sich bemüht hat, gerade bezüglich der Regelung des Trinkmilchpreises sehr schnell zu handeln. Sie können heute in Zeitungen lesen, daß in der nächsten Woche eine Kabinettsvorlage vorgelegt werden wird. Wenn eine Verzögerung eingetreten ist, dann vor allen Dingen deshalb, weil wir bis Mitte Oktober auf genaue Kostenuntersuchungen der Milchwirtschaft warten mußten.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Dasch auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Erzeugerpreise für Hähnchen ab 1. Oktober 1970 insbesondere auf Grund von Angeboten unter den Gestehungskosten aus Holland weiter zurückgehen und die bäuerlichen Hähnchenerzeuger in der Bundesrepublik Deutschland eine völlige Unrentabilität ihrer Produktion befürchten müssen?
Herr Kollege Dasch, der Rückgang der Hähnchenpreise und hier insbesondere der starke Preisabfall im Herbst dieses Jahres sind eine Folge der Ausweitung der Hähnchenproduktion innerhalb der Gemeinschaft in einem Ausmaß, dem die Nachfrage nicht zu folgen vermochte. Nach den statistischen Unterlagen über die Erzeugung von Mastküken, die sich in allen Mitgliedstaaten, besonders stark in den Niederlanden, aber auch in der Bundesrepublik erhöhte, war diese Marktentwicklung zu erwarten. Der starke Preisabfall wäre vermutlich schon früher eingetreten, hätte sich nicht in der ersten Jahreshälfte die Möglichkeit zum Export von Hähnchen in Staaten des Ostblocks ergeben.
Die Bundesregierung hat bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Gefahr einer Überproduktion hingewiesen. Sie hat jedoch keine Möglichkeit, direkt oder indirekt auf die Produktionsentwicklung und damit auf den Preis, der sich in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage bildet, einzuwirken oder Maßnahmen zur Entlastung des Marktes zu treffen. Es ist daher nicht auszuschließen und nicht zu verhindern, daß bei anhaltendem Angebotsdruck die Hähnchenpreise für eine kürzere oder längere Zeit unter die Produktionskosten sinken.
Eine Zusatzfrage.
¡Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß bei der Einstallung von Mastelterntieren bereits folgende Entwicklung
Metadaten/Kopzeile:
4198 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Dascheintritt, daß im ersten Halbjahr 1970 gegenüber 1969 die Einstallungen in der Bundesrepublik um 7 % zurückgingen, in Holland aber nochmals um 22 % aufgestockt wurden?
Das ist durchaus bekannt. — Ich habe den Anfang Ihrer Frage akustisch nicht verstanden, Herr Kollege Dasch.
Ich wollte Sie fragen, ob der Bundesregierung die Entwicklung bekannt ist bezüglich der Einstallung von Mastelterntieren, also der Väter der nachfolgenden Gockel.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung weiter bekannt, daß das Geflügelkontor in Frankfurt, das preisbestimmend für die deutschen Hähnchenzüchter ist, auf Grund der laufenden Preisunterbietungen durch die Holländer niedrigere Preise empfohlen hat, die unter den Gestehungskosten unserer Geflügelmäster liegen?
Ich habe solche Mitteilungen gelesen. Wir sehen aber keine Möglichkeit, vom Bundesernährungsministerium aus dagegen einzuwirken.
Herr Kollege Dasch, wir haben ja versucht, frühzeitig zu warnen. Das werden Sie bestätigen. Wir haben vor einer weiteren Aufstockung der Bestände gewarnt. Ich weiß, daß solche Warnungen oftmals nicht befolgt werden, weil es in der Tat so ist, daß für die Produktion von Masthähnchen Investitionen erfolgt sind, so daß man Anlagen weiter nutzen muß. Das gestehe ich durchaus zu. Im übrigen haben wir uns aber noch zusätzlich bemüht, durch einen Export von Masthähnchen zu einer Markterleichterung beizutragen. Das werden wir in Zukunft verstärkt tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die deutsche Produktion nur einen Marktanteil von 50 % hat? Wie können Sie in Ihrer Antwort davon sprechen, daß eine innerdeutsche Überproduktion herrscht?
Herr Kollege Höcherl, ich darf daran erinnern, daß ich in dem Zusammenhang von der EWG gesprochen habe.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Auffassung, die im Zusammenhang mit diesem Fragenkomplex häufig geäußert wird, teilen, wonach den Holländern durch die Aufwertung Vorteile zugewachsen sind, die sich heute durch entsprechende Preisunterbietungen auf dem deutschen Markt auswirken?
Ich glaube nicht, daß hier die Auswirkungen der D-Mark-Aufwertung so entscheidend gewesen sind, sondern daß in der Tat die gesamte Steigerung der Produktion zu dem Marktverfall beigetragen hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß durch die Ausgleichsmaßnahmen bei der Aufwertung den Hähnchenmästern ein voller Ausgleich zuteil geworden ist, wie Sie ihn früher versprochen haben?
Ich bin der Auffassung, daß wir mit dem Ausgleich versucht haben, eine Einkommenseinbuße oder eine Preissenkung soweit wie möglich wirklich auszugleichen. Sie, Herr Kollege Dr. Reinhard, wissen aber genauso gut wie ich, daß man mit solchen Ausgleichsmaßnahmen nicht den Markt beeinflussen kann.
Herr Dr. Reinhard, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf:
Kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, wo und von wem der von Staatssekretär Dr. Griesau in einer Auflage von über 50 000 Stück an die hessischen Landwirte gerichtete FDP-Wahlbrief geschrieben und vervielfältigt worden ist, und wer die Kosten hierfür trägt?
Herr Präsident, ich darf Sie bitten, mir zu gestatten, die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Höcherl gemeinsam zu beantworten. Und würden Sie auch einverstanden sein, wenn ich gleichzeitig die Frage des Abgeordneten Dr. Ritz beantworte?
Die Frage von Herrn Dr. Ritz kann ich wegen des Ablaufs der Fragestunde nicht mehr aufrufen. Sie können die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Höcherl gemeinsam beantworten. Daher rufe ich auch die Frage 19 des Abgeordneten Höcherl auf:
Kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, wer einer Werbeagentur den Auftrag erteilt hat, den von Staatssekretär Dr. Griesau unterzeichneten Wahlkampfbrief der FDP an die Landwirte in Hessen zu versenden?
Herr Kollege Höcherl, ich darf Ihnen folgendes mitteilen. Der von Herrn Staatssekretär
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4199
Parlamentarischer Staatssekretär LogemannDr. Griesau geschriebene und an die hessischen Landwirte gerichtete Wahlbrief ist im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Bonn geschrieben und auch vervielfältigt worden.
Die Kosten hierfür trägt Herr Dr. Griesau. Die Möglichkeit, sich für private Aufträge der Druckerei des Ministeriums zu bedienen, steht — Herr Höcherl, das dürfte Ihnen bekannt sein — jedem Angehörigen des Hauses gegen Bezahlung offen. Die Kosten für die Verteilung des Briefes sowie die Verteilung selbst hat der Landesverband Hessen der FDP übernommen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Staatssekretär, kennen Sie den Inhalt dieses Briefes?
Ich kenne den Inhalt, ja.
Ist der Inhalt völlig richtig, und beruhen alle Feststellungen und Behauptungen auf der Wahrheit?
Das würde jetzt in eine agrarpolitische Diskussion ausarten.
— Ich bin der Meinung, daß der Inhalt richtig ist.
— Ja.
Herr Höcherl, Sie dürfen noch zwei Zusatzfragen stellen.
Sind Sie der Meinung, daß es richtig ist, wenn in diesem Brief z. B. steht, daß Sie Überhänge bei der Investitionshilfe übernommen hätten, während Sie in Wirklichkeit nur die Hälfte der Mittel eingesetzt haben, die im Jahr vorher ausgegeben worden sind?
Herr Kollege Höcherl, Sie wissen genau wie ich, daß gerade bei der Übernahme des Ministeriums noch Hypotheken da waren, auch in Form von Anträgen, die zwar rechtlich genehmigt waren, für die aber keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen.
Herr Höcherl, Sie dürfen eine letzte Zusatzfrage stellen.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich wiederhole sie. Sie haben im Haushalt 1970 für Investitionshilfe nur 63 Millionen DM. Vorher waren es 120 Millionen DM. Wie können Sie einen solchen Text verantworten und sagen, es sei richtig?
Wir haben im Haushaltsplan 1970 noch Mittel nachbewilligt, so daß — —
Herr Abgeordneter, Sie können keine weitere Frage mehr stellen. Ich lasse noch einige Zusatzfragen von Kollegen zu. Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Abgeordneter Welslau.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob unter früheren Ministern im BML ähnliche Briefe vervielfältigt wurden?
Herr Kollege, ich habe nicht lange nachgeforscht. Aber mir ist für den heutigen Tag eine Unterlage ausgehändigt worden, aus der das tatsächlich hervorgeht. Ich darf hier auf einen Entwurf eines Agrarprogramms hinweisen, das durch Beamte des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erstellt worden ist, und zwar für den Herrn Bundesminister zur Verwendung im bayerischen Wahlkampf 1966.
Hier heißt es, Herr Kollege Höcherl, u. a. — es ist
interessant, das heute noch einmal festzustellen —:
Unter Bezugnahme auf die Besprechung bei Ihnen am 20. Juli wird in der Anlage der Entwurf eines Agrarprogramms für den Herrn Bundesminister mit Erläuterungen vorgelegt. Entsprechend Ihrer Weisung ist das Programm auf die fünf behandelten Themen begrenzt. Es wurde versucht, Formulierungen zu finden, die im Wahlkampf einprägsam sind.
Lassen Sie mich nur eine Anmerkung machen: Das ist Ihnen auch gelungen, Herr Kollege Höcherl. Es heißt hier als Überschrift über einen Artikel: „Bauer soll bleiben, wer Bauer bleiben will". Das war sehr einprägsam, aber das war auch das Wecken falscher Hoffnungen bei der Landwirtschaft.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niegel.
Metadaten/Kopzeile:
4200 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Herr Staatssekretär, werden ebenfalls die Kosten des Wahlkampfeinsatzes von Beamten und Angestellten des Bundesernährungsministeriums, der derzeit in Mittelfranken nach der Meldung des Bayerischen Rundfunks von heute früh, 9 Uhr, läuft, getragen?
Mir ist überhaupt gar nicht bekannt, daß Beamte des Ministeriums im Einsatz sind. Ich kenne solche Rundfunkmeldungen nicht. Wenn sie im Einsatz wären, würde es selbstverständlich so sein, daß hier die Wahlkosten anderweitig getragen würden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ehnes.
Herr Staatssekretär, bezahlt Herr Staatssekretär Dr. Griesau auch die Omnibusse, die zur Zeit in Mittelfranken eingesetzt werden?
Davon ist mir nichts bekannt. Es besteht auch kein Grund, und es ist nicht Aufgabe des Ministeriums oder eines beamteten Staatssekretärs, für Kosten, die in den einzelnen Ländern entstehen, die Deckung zu bringen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich vorhin mit dem Inhalt dieses Briefes identifiziert, indem Sie sagten, Sie seien der Meinung, der Inhalt entspreche den Tatsachen. Würden Sie auch folgenden Satz als den Tatsachen entsprechend charakterisieren: „Außerdem hat die FDP die Zustimmung ihres Koalitionspartners erwirkt, die Unfallversicherung den strukturellen Veränderungen der Landwirtschaft anzupassen und ihre Leistungen zu verbessern, ohne daß eine höhere Belastung für die Betriebe entsteht."?
Herr Dr. Ritz, mit einer Antwort auf diese Frage würde ich der Beratung im Ernährungsausschuß vorgreifen. Ich glaube, Sie werden morgen um diese Zeit schon mehr wissen.
— Dann wird genau das zum Ausdruck kommen, was in dem Brief geschrieben worden ist.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist bereits um fünf Minuten überzogen worden. Die Fragestunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf: a) Große Anfrage des Abgeordneten Benda und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Verbrechensbekämpfung
— Drucksachen VI/703, VI/871 —
b) Beratung des Sofortprogramms der Bundesregierung zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung
— Drucksache VI/1334 —
Zunächst hat der Abgeordnete Benda das Wort. Für ihn sind 45 Minuten Redezeit beantragt worden.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung. Ich bemühe mich, in meinen Ausführungen zugleich den Entschließungsantrag meiner Fraktion auf Umdruck 81 *) zu begründen. Wir werden auf eine gesonderte Begründung dieses Entschließungsantrages dann gern verzichten.Eine zweite Vorbemerkung richtet sich an Sie, Herr Bundesminister Genscher. Die Fraktion der CDU/CSU findet es höchst ärgerlich, daß die zum Tagesordnungspunkt 17 b verteilte Drucksache, die das Sofortprogramm der Bundesregierung zum Thema Verbrechensbekämpfung enthält, den einzelnen Damen und Herren dieses Hauses erst am gestrigen Tage in der Zeit zwischen 9 und 10 Uhr vormittags zugegangen ist. Derjenige, der den Ablauf des gestrigen Tages in Erinnerung hat — das gilt vermutlich für die Damen und Herren aller Fraktionen —, wird wissen, daß dies praktisch bedeutete, daß die Lektüre dieser Drucksache, die sicherlich wichtig ist und von uns ernstgenommen werden möchte, den einzelnen erst in den Stunden nach Mitternacht möglich war. Wir bedauern sehr, daß es der Bundesregierung, die das Sofortprogramm am Donnerstag der vergangenen Woche, glaube ich, verabschiedet hat — damals lag ja wohl bereits ein Text vor —, offenbar nicht möglich gewesen ist, dem Hohen Hause ihr Material so rechtzeitig zuzuleiten, daß den einzelnen Mitgliedern dieses Hauses eine gründliche Lektüre dieser Drucksache möglich war. Ich muß mich daher gegenwärtig auf ganz wenige Bemerkungen zu diesem Sofortprogramm beschränken. Ich erkenne es an, Herr Bundesminister, wenn Sie — wie Sie, wenn ich richtig unterrichtet bin, gesagt haben — mit dieser verspäteten Zuleitung die Absicht verfolgt haben, zu verhindern, daß eine vorzeitige Erörterung dieses Programms der Bundesregierung in der Presse erfolgte. Allerdings zeigt ein Blick in die heutigen Tageszeitungen, daß — so löblich diese Ihre Absicht sein mag — nunmehr das Gegenteil eingetreten ist. Die heutige Diskussion steht zwangsläufig etwas im Schatten der Pressemeldungen, die am heutigen Morgen in allen Tageszeitungen zu lesen waren. Wir hätten formell Fristeinrede geltend gemacht, wenn wir nicht anerkannt hätten, — ich erkenne dies ausdrücklich auch hier an —, daß der Vertreter der Bundesregierung im Ältestenrat, der ja am Montag mittag getagt hat, bis zu diesem Zeitpunkt wohl davon ausgehen konnte, daß diese Debatte nicht heute, sondern, wie ursprünglich vorgesehen, erst am Freitag stattfinden solle. Den-*) Siehe Anlage 12
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4201
Bendanoch halte ich das eingeschlagene Verfahren für sehr problematisch und sehr ärgerlich. Erlauben Sie daher, daß ich insoweit zunächst nur ganz wenige kursorische Bemerkungen mache. Ich werde, denke ich, in einem anderen Punkte meiner Ausführungen noch einmal kurz auf dieses Sofortprogramm zurückkommen.Das Sofortprogramm enthält zu einem guten Teil Punkte, die mir persönlich und vielen Mitgliedern dieses Hohen Hauses dem Gedanken nach bekannt sind. Es greift nämlich Überlegungen auf, die damals in dem Plan zur Erhöhung der Effektivität des Bundeskriminalamtes, dem sogenannten Fünfjahresplan, unter meiner Amtsführung bereits im Ansatz eingeleitet worden sind. Ich begrüße es, daß in einzelnen Punkten Präzisierung und Fortentwicklung der damals niedergelegten Gedanken vorgenommen worden sind. Ich halte überhaupt eine organische Fortführung der damals eingeführten Arbeiten in der Sache für richtig, meine aber, daß man dann ein wenig redlicher, als es in der Drucksache VI/1334 geschieht, hieran hätte anknüpfen können.Mit dem Begriff redlich meine ich insbesondere — ich führe das beispielsweise an, weil mir, wie erwähnt, eine gründliche Lektüre bisher nicht möglich gewesen ist —, daß auf Seite 7 zum Thema Finanzplan und Haushaltsansatz Ausführungen gemacht werden, bei denen — wie es in der Drucksache heißt „die ursprüngliche Finanzplanung der Bundesregierung" und die gegenwärtigen, nach der heutigen Finanzplanung der Bundesregierung für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Bundeskriminalamtes zur Verfügung stehenden Mittel gegenübergestellt werden. Es ist zwar richtig, daß der ursprüngliche Finanzplan der früheren Bundesregierung in der 5. Legislaturperiode für diesen Zweck für 1970, wie hier angegeben wird, 24,8 Millionen DM enthalten hat. Bereits die dem damaligen Fünfjahresplan angefügte Finanzplanung — die Drucksache liegt mir vor —, die sich nicht auf einseitige Ressortüberlegungen des Bundesministeriums des Innern bezieht, sondern — wie es dort heißt — mit dem Bundesminister der Finanzen abgesprochen ist, spricht für den gleichen Zeitraum von einer vorgesehenen Fortschreibung von ursprünglich 24,8 Millionen DM auf 36,8 Millionen DM für dieses Jahr. Ich könnte dieses Zahlenwerk fortsetzen. Es gilt in vergleichbarer Weise für alle späteren Zahlen, bei denen Sie, wie Sie es formulieren, die ursprüngliche Finanzplanung und den gegenwärtigen Ansatz gegenüberstellen.Ich nehme an, daß das dahinterstehende politische Motiv darin besteht, die Vergangenheit deshalb so düster zu malen, damit die Leistungen der gegenwärtigen Regierung in um so hellerem Licht strahlen. Das mag verständlich sein, würde sich aber mit meinen Vorstellungen von Redlichkeit nicht völlig decken.Meine Damen und Herren, wir beschäftigen uns, wie Sie alle wissen, in diesem Hohen Hause bei weitem nicht das erste Mal mit dem Problem der Verbrechensbekämpfung. Es gibt seit langer Zeit Bemühungen, zu einer wirksameren Bekämpfung der Kriminalität zu kommen. Diese Bemühungen haben ihren Ausdruck zuletzt in der Novelle zumGesetz über das Bundeskriminalamt gefunden, das im Juli 1969 verabschiedet worden ist. Ich stehe nicht an zu sagen, daß die damals getroffene Regelung ein mehr oder weniger unzulänglicher Kompromiß war, den ich dennoch und wir alle damals begrüßt haben, weil er wenigstens einen gewissen Fortschritt gebracht hat. Wir alle mußten damals erfreut sein, wenigstens eine Minimallösung zu bekommen.Damals wie heute ging es, soweit die unmittelbare Bundeszuständigkeit gegeben ist, vor allem darum, das Bundeskriminalamt stärker in die Verbrechensbekämpfung einzuschalten und ihm gewisse Koordinierungsbefugnisse zu übertragen. Es ging nicht darum, dem Bundeskriminalamt in erster Linie mehr eigene Zuständigkeiten zu übertragen. In der öffentlichen Diskussion hören wir einen zunehmenden Ruf nach der Zentralisierung der Verbrechensbekämpfung und einer Übertragung von kriminalpolizeilichen Zuständigkeiten von den Ländern auf den Bund. Die Überlegungen kreisen immer wieder um diesen Punkt, der ganz gewiß seine Bedeutung hat.Die Überlegungen hatten sich seinerzeit in drei verschiedenen Gesetzentwürfen zur Novellierung des BKA-Gesetzes konkretisiert, die dann zu dem bereits erwähnten Kompromiß führten. Am weitesten ging damals der Entwurf der Fraktion der FDP, der eine weitgehende Verstärkung der zentralen Kompetenz des Bundeskriminalamtes vorsah. die SPD dagegen wollte damals das seitherige System nur unwesentlich ändern, während der Entwurf meiner Fraktion zwischen beiden so etwas wie eine mittlere Lösung vorgesehen hat.Damals in der Zeit der Großen Koalition gelang nur eine Einigung in Gestalt eines Kompromisses zwischen den Entwürfen der CDU/CSU und der SPD, damit also ein Stehenbleiben auf etwa einem Drittel des nach meiner Auffassung anzustrebenden Weges. Ich möchte meinen — und ich sage dies, an die Damen und Herren der SPD gewandt, ohne jede Polemik —, daß in diesem Zusammenhang wohl auch das historisch gewachsene und historisch verständliche Vorurteil der Sozialdemokraten gegen eine starke, vor allem eine zentralisierte Polizei bedeutsam ist, von dem ich den Eindruck habe, daß es heute, ausgesprochen oder nicht, noch eine gewisse Rolle in den Diskussionen spielt.Meine Damen und Herren, die wachsende Sorge der Bevölkerung über die Zunahme der Kriminalität ist uns allen bekannt. Meinungsumfragen ergeben immer wieder, daß die Sorge um die Sicherheit vor der Kriminalität bei der Bevölkerung hohe Priorität genießt. Sie steht nach den Meinungsbefragungen sogar vor der zweifellos vorhandenen und verständlichen Sorge um wirtschaftliche Stabilität. Die Ausgangslage ist in verschiedenen Papieren der Bundesregierung, dem heute vorliegenden Sofortprogramm und der Schriftlichen Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion dargestellt worden. Ich muß das alles hier nicht wiederholen, sondern darf mit einigen Stichworten nur die Situation in Ihr Gedächtnis rufen.Die Kriminalität in der Bundesrepublik hat im Jahre 1969 — die Kriminalstatistik 1969 liegt uns
Metadaten/Kopzeile:
4202 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bendaseit einigen Monaten vor — den bisherigen Höchststand erreicht, wobei man hinzufügen muß, daß die Gesamtzahl der begangenen Delikte zwar stetig, aber relativ gering steigt. Wirklich bestürzend dagegen ist die Zunahme einiger bestimmter Gruppen von Verbrechen. Ich erwähne als wichtigste Beispiele Mord und Totschlag, in der Zeit von 1963 bis 1965 um 55 % gestiegen, Raub und räuberische Erpressung, um 71,1% gestiegen, und Rauschgiftdelikte, von 1968 bis 1969, also innerhalb eines einzigen Jahres, um 151,8% angestiegen.Die verbreitete Sorge der Bevölkerung wegen der Kriminalität in unserem Land hat sicher auch die Bundesregierung veranlaßt, in ihrer Regierungserklärung vor einem Jahr ein Sofortprogramm zur Verbrechensbekämpfung anzukündigen. Die Ankündigung eines solchen Sofortprogramms liegt in der Linie des anspruchsvollen Begriffs der inneren Reformen. Bei einem Machtwechsel muß natürlich auch auf diesem Gebiet alles viel besser werden, wenn es geht.Nun, wir haben mit unserer detallierten Anfrage vom April dieses Jahres die Initiative ergriffen. Die Schriftliche Antwort der Bundesregierung liegt seit Mai vor. Wir können sie leider erst nach der Sommerpause behandeln. Ich möchte sagen, daß die Schriftliche Antwort in wesentlichen Punkten sehr aufschlußreich ist. Sie ist eine brauchbare Grundlage auch für die heutige Aussprache.Ich finde, Herr Bundesminister Genscher, daß gerade die zeitliche Verzögerung der Behandlungdieser Großen Anfrage und ihrer Antwort hier in diesem Hohen Hause der Bundesregierung eine sehr günstige Chance gegeben hätte, das angekündigte Sofortprogramm so rechtzeitig vorzulegen, daß alle Mitglieder des Hauses Gelegenheit gehabt hätten, sich vor dieser Aussprache eingehend damit zu beschäftigen und sich heute damit auseinanderzusetzen. In Wirklichkeit — ich habe es erwähnt — haben wir dieses Programm erst seit gestern in den Händen, also seit einem Tag.Ich hatte, wie Sie sich erinnern werden, Herr Minister Genscher, bereits in der zweiten Lesung Ihres Haushalts im Juni dieses Jahres dieses Sofortprogramm angemahnt. Darauf haben Sie folgendes erwidert — ich möchte das gern zitieren —:Herr Kollege Benda hat beklagt, daß das Sofortprogramm noch nicht vorliege. Hier muß ich eine sprachliche Klarstellung bringen. „Sofortprogramm" könnte ja heißen, daß das ein Programm ist, das sofort vorgelegt wird. Wir meinen aber ein Programm, das sofort zu verwirklichen ist, und das bedarf der gründlichen Erörterung. Deshalb hat der Bundeskanzler mit Recht gesagt, daß wir dieses Programm im Jahre 1970 vorlegen werden. Vom Jahre 1970, meine Damen und Herren, ist noch nicht einmal die Hälfte herum. Ich darf um Geduld bitten. Wir wollen dann etwas Handfestes vorlegen, für das wir hoffentlich die Unterstützung aller Parteien des Deutschen Bundestages gewinnen können.Soweit das Zitat, und so weit, so gut. Tatsächlich ist danach zunächst weiter nichts geschehen.Erst als meine Fraktion im Ältestenrat dieses Hauses vor nunmehr, ich glaube, vier Wochen beantragte, so bald als möglich die Aussprache über die Große Anfrage zur Verbrechensbekämpfung anzusetzen, und in einer Presseerklärung kritisierte, daß das seit einem Jahr angekündigte Sofortprogramm immer noch nicht vorliege, wurde dann der Apparat des Innenministeriums unter Dampf gesetzt, damit wenigstens vor Beginn der Debatte etwas vorlag. „Erreicht den Hof mit Müh und Not", sagt der Dichter. Und er fährt fort: „In seinen Armen das Kind war tot."
Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede vor dem Bundeskriminalrat am 9. März dieses Jahres — veröffentlicht im Bulletin vom 12. März — ausgeführt — ich darf wiederum zitieren —:Die Bundesregierung wird, soweit sie für die Verbrechensbekämpfung Verantwortung trägt, entsprechend ihrer Ankündigung in der Regierungserklärung die Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung energisch vorantreiben, um die Sicherheit in unserem Lande zu gewährleisten.Der Bund kann Initiativen setzen. Er ist aus seiner Gesamtverantwortung heraus entschlossen, diese Möglichkeit wahrzunehmen.Das, was heute als Sofortprogramm vorgestellt wird, ist an dieser Ankündigung zu messen. Mindestens insoweit, als dieses Programm über den Bereich der unmittelbaren Bundeszuständigkeit, nämlich über das Bundeskriminalamt, hinausreicht, ist es nach meiner Auffassung kein Sofort-, sondern eher ein Zuspätprogramm.Meine Damen und Herren, ich beabsichtige nicht, Kritik zu üben an den Beamten des Innenministeriums, die auf Weisung ein solches Sofortprogramm ausarbeiten mußten. Sie hatten wahrhaftig einen schweren Stand; denn was schließlich sollte ihnen innerhalb eines Jahres an neuen Gesichtspunkten, die die anspruchsvolle Bezeichnung „Sofortprogramm" rechtfertigen, zusätzlich einfallen? Der Inhalt des uns heute vorgelegten Sofortprogramms ergibt ja, daß die damals entwickelten Grundsätze von der neuen politischen Leitung des Hauses — ich begrüße das — nicht etwa verworfen, sondern aufgenommen und fortgeführt werden.Meine Kritik richtet sich vielmehr gegen die Art und Weise, in der die Bundesregierung ein so schwieriges Problem wie das der Verbrechensbekämpfung und der Reform der Kriminalpolizei angeht: als ob dies alles mit einigen starken Worten und Ankündigungen getan sei. Ich finde, daß die Bundesregierung und insbesondere Sie, Herr Minister Genscher, in dieser Debatte einen leichteren Stand hätten, wenn Sie von vornherein klargestellt hätten, daß die seinerzeit begonnenen Arbeiten durch eine organische Weiterentwicklung und Fortschreibung des Fünfjahresplans fortgesetzt werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4203
BendaDie weitere Lektüre des Programminhalts wird ergeben, daß das, was Sie im Juni dieses Jahres gesagt haben: daß es sich um ein Programm handle, das sofort zu verwirklichen sei, durch den Inhalt nicht gedeckt wird und natürlich auch nicht gedeckt werden kann. Es ist selbstverständlich, daß so schwergewichtige Probleme, wie sie dort angesprochen werden, Sache mindestens der nächsten zwei, drei, vier oder fünf Jahre sind — ein Zeitraum, der energisch ausgenutzt werden sollte, der aber die Bezeichnung „sofort" nach allgemeinem Sprachgebrauch wahrscheinlich wohl nicht rechtfertigt.In diesem Zusammenhang muß ich noch einmal auf die in diesem Hause zwar eher beiläufig behandelte Anzeige des Presse- und Informationsamtes zurückkommen. Sie hat mit Recht Kritik nicht nur in der „Frankfurter Rundschau" gefunden, die ja nicht unbedingt ein der CDU nahestehendes Presseerzeugnis ist. Sie hat mit Recht geschrieben, daß der Text dieser Anzeige genauso gut von einer rechtsradikalen Partei hätte verfaßt werden können. Ähnliche Töne haben wir ja alle aus dieser Ecke verschiedentlich bereits gehört.Der Herr Bundesminister des Innern hat sich — und ich begrüße das — nach Erscheinen der Anzeige von ihrem Inhalt distanziert. Wie es passieren kann, daß das Bundespresseamt, das ja wohl auch ein Teil der Bundesregierung ist, eine Anzeige macht, der der zuständige Ressortminister nachträglich das Zeugnis ausstellt, sie sei qualitativ unzureichend, ist ein Problem, über das man sich einmal in einem anderen Zusammenhang unterhalten sollte. Schon heute aber würden wir, wenn es geht, recht gern von Ihnen, Herr Minister Genscher, einmal hören — vielleicht mit der insoweit zu erhoffenden Unterstützung der Herren des Bundespresse- und Informationsamtes —: Was kostet es eigentlich, wenn das Bundespresseamt eine solche Anzeige in allen größeren und wohl auch den mittleren Tageszeitungen veröffentlicht, von der der Ressortminister nachher sagt, daß sie unzureichend sei? Wir würden ganz gern den Betrag, um den hier öffentliche Steuergelder verschleudert worden sind — ich beziehe mich auf Ihr eigenes Urteil —, einmal erfahren, damit wir die Größenordnungen kennenlernen, in denen das geschieht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„So darf es nicht weitergehen." Das möchten wir unterstreichen.
Ich komme zur Behandlung der einzelnen Sachbereiche. Die Punkte decken sich, wie Sie bei der vergleichenden Lektüre unseres Entschließungsantrags feststellen werden, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, aber inhaltlich mit dem, was dort von unserer Seite vorgeschlagen wird. Ich möchte das relativ kurz und zusammengefaßt machen.
Zunächst der Bereich, in dem der Bund selbst unmittelbare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten hat, nämlich das Bundeskriminalamt. Die
früheren öffentlichen Ankündigungen, auch die im Sofortprogramm, sind zu begrüßen. Aber die Frage ist zu stellen, wie sie zu werten sind im Hinblick auf die tatsächlichen Verhältnisse der ihm unterstellten Behörde. Da ich mich nicht dem Vorwurf einer von unserer Seite kommenden Polemik aussetzen möchte, würde ich gerne zwei Stellungnahmen von Gremien zitieren, die auch nicht in dem Verdacht stehen, Hilfstruppen meiner Partei zu sein, nämlich der Bezirksgruppe Bundeskriminalamt der Gewerkschaft der Polizei, einer Organisation übrigens, die unter Vorsitz eines sozialdemokratischen Landespolitikers steht, und dem Personalrat des Bundeskriminalamtes.
In einer Entschließung der GdP vom Sommer dieses Jahres heißt es — ich darf zitieren —:
Den Delegierten der Bezirksgruppe Bundeskriminalamt der Gewerkschaft der Polizei erscheint es unverständlich und als ein durch nichts ausgeräumtes Mißverhältnis zwischen Ankündigungen und Realität, wenn der Bundesminister des Innern die im Fünfjahresplan für das Bundeskriminalamt, der durch den damaligen Bundesinnenminister Benda vorgelegt wurde, aufgezeigten Leitzahlen zur Personalvermehrung immer wieder öffentlich verkündet, ohne daß die entsprechenden Voraussetzungen für die Realisierung erkennbar sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Delegierten erwarten, daß die wiederholten öffentlichen Ankündigungen endlich Realität werden, um der Situation dieses Amtes und seiner Aufgabenstellung gerecht zu werden. Deshalb wird dringlich die Schaffung der von der Gewerkschaft der Polizei immer wieder aufgezeigten Voraussetzungen für eine Verbesserung der Effektivität des Bundeskriminalamtes gefordert.Schließlich aus der erwähnten Entschließung der Delegierten der Bezirksgruppe Bundeskriminalamt der Gewerkschaft der Polizei noch einige Sätze:Ankündigungen über einen Neubau für die Abteilung Sicherungsgruppe in Bonn und Pläne für Erweiterungsbauten in Wiesbaden erwecken in der Öffentlichkeit immer wieder den Eindruck, daß das Ende der Raumprovisorien unmittelbar bevorstehe. Tatsächlich ist eine Änderung für die beengte Unterbringung nicht absehbar. Die fertiggestellten Bauabschnitte in Wiesbaden erbrachten keine Lockerung der angespannten Raumlage, und der Personalbedarf deutet auf eine weitere Verschlechterung hin. Die Delegierten machen aus ihrer Enttäuschung kein Hehl, daß die Realität mit den Ankündigungen über Verbesserungen auch baulicher Art beim Bundeskriminalamt bisher keineswegs in Einklang steht.
Metadaten/Kopzeile:
4204 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Benda
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Befremden muß der Personalrat des Bundeskriminalamtes seit einiger Zeit feststellen, daß das von maßgebender politischer Seite durch Presse, Rundfunk und Fernsehen vom Bundeskriminalamt hinsichtlich seiner personellen und technischen Ausstattung und einer angeblichen Intensivierung der Verbrechensbekämpfung gegebene Bild in krassem Gegensatz zur Wirklichkeit steht. Der Personalrat des Bundeskriminalamtes hat Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, und ihren Herren Staatssekretären und weiteren Herren Ihres Hauses anläßlich des Besuchs in Wiesbaden am 17. November 1969 aus ernster Sorge und im Interesse der inneren Sicherung unserer Bürger die ungelösten Probleme des Amtes vorgetragen. Bis heute sind trotz wiederholter Hinweise und Anfragen keine Lösungen, ja nicht einmal Ansätze hierzu erkennbar. Neun Monate nach Ihrem Besuch in Wiesbaden erlaubt sich der Personalrat, Sie nochmals daran zu erinnern, daß— und hier sind wir uns mit den Vorstellungen der Berufsvertretung einignunmehr die notwendigen Grundvoraussetzungen zur Intensivierung der Verbrechensbekämpfung durch das Bundeskriminalamt und somit zur Gewährleistung der inneren Sicherheit für unsere Staatsbürger endlich geschaffen werden müssen.Dies wird dann im einzelnen ausgeführt. Ich kann mir das ersparen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich zu diesen Aussagen beteiligter und sachkundiger Stellen äußerten. Ebenso wären wir dankbar für eine Äußerung über die Fortschritte beim Ausbau der elektronischen Datenverarbeitung im Bundeskriminalamt.Die Antwort auf die Große Anfrage zu den Fragen 7 und 8 macht deutlich, wie kompliziert Organisation und Zusammenarbeit der Kriminalpolizei des Bundes und der einzelnen Länder sind, ein Zustand, den wir alle in diesem Hause nicht nur Sie, Herr Minister -- zu verantworten haben. Wir müssen uns daher selbstkritisch die Frage vorlegen — unsere Entschließung spricht diesen Punkt an —, ob es bei dieser Zuständigkeitsabgrenzung und diesem Koordinierungsverfahren bleiben kann, wenn wir eine wirksame Verbrechensbekämpfung erreichen wollen.Zweitens zu der Organisationsstruktur der Kriminalpolizei in den einzelnen Ländern . Ich finde die schriftliche Stellungnahme der Bundesregierung hierzu aufschlußreich. Sie kann in wesentlichen Punkten auch unsere Zustimmung finden. Die von der Bundesregierung unter den Ziffern 1 bis 5 dieses Abschnitts genannten Grundsätze sowie die Bemerkung über die Stärkung der Landeskriminalämter und die erkennbare Kritik am System der kommunalen Polizei halten wir für zutreffend. Eine Vereinheitlichung und Straffung der Organisation der Kriminalpolizei in den Ländern ist dringend notwendig. Wenn es den Ländern gelingt, zu einer einheitlichen Organisationsstruktur zu kommen — was wir für unbedingt notwendig und für möglich halten , kann es bei der gegenwärtigen Zuständigkeitsverteilung, wie sie das Grundgesetz vorsieht, im wesentlichen verbleiben, aber auch nur dann. In jedem Lande der Bundesrepublik ist die Polizei heute anders gegliedert. Dies ist ein grotesker und untragbarer Zustand. Ich sage deutlich, daß nach unserer Meinung die Länder die Zuständigkeit für das Polizeiwesen nur dann behalten können, wenn sie sich selbst entschließen, die kriminalpolizeiliche Organisation auf Grund freiwilliger Absprachen einheitlich und wirkungsvoll zu gestalten.
— Herr Kollege Professor Schäfer, wenn ich Ihren Zwischenruf richtig verstanden habe, darf ich Sie auf den Text unserer Entschließung zu diesem Punkt verweisen. Die Möglichkeiten des Verwaltungsabkommens oder der Staatsverträge bieten sich an. Notwendig ist die Einigung in der Sache. Was den Punkt anlangt, der in der ominösen Anzeige des Bundespresseamtes unter dem plastischen Begriff „Wir jagen die Verbrecher nicht nur Tag und Nacht, sondern über alle Landesgrenzen hinweg" erscheint, so ist dies glücklicherweise ein seit längerer Zeit überwundener Zustand, auch ohne Änderung der Landesgrenzen und ohne Änderung der Zuständigkeiten. Dies ist möglich gewesen
mit einer Reihe von zweiseitigen oder multilateralen Abkommen. Ich sehe keine Schwierigkeiten, hier in ähnlicher Weise zu verfahren, wenn man dazu den politischen Willen hat, der freilich notwendig ist.
Hierzu gehört eine Stärkung der Landeskriminalämter, eine Beseitigung der noch in drei Bundesländern bestehenden kommunalen Kriminalpolizei, eine Gliederung der Kriminalpolizei nach kriminalgeographischen Gesichtspunkten, wenn nötig auch über die Ländergrenzen hinweg. Auch das ist durchaus im Wege von Verwaltungsabkommen möglich.Im Rahmen einer Verfassungsreform sollte geprüft werden, ob es notwendig ist, kriminalpolizeiliche Zuständigkeiten für die Delikte, die nur international bekämpft werden können, etwa die Rauschgiftdelikte, auf das Bundeskriminalamt zu übertragen.Drittens die Verbesserung und Vereinheitlichung der technischen Ausstattung der Kriminalpolizei . Ich verstehe ganz gut, Herr Minister Genscher, daß die Antworten der Bundesregierung dazu sehr allgemein gehalten sind. Sie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4205
Bendabefassen sich im wesentlichen mit dem polizeilichen Großgerät einschließlich der EDV-Anlagen. Nach meinem Eindruck ist es eher so, daß die technische Ausstattung unserer Kriminalpolizei, vor allem in den Ländern, ihre Hauptmängel weniger bei dem freilich bedeutsamen technisch aufwendigen Großgerät, etwa für kriminaltechnische Labors oder für das Fernmeldewesen hat, sondern in der unentbehrlichen Technik des Alltags. Es fehlt an den primitiven Dingen, von denen viele von uns auch heute meinen, sie seien eigentlich in der Verwaltung, auch in der Exekutive der Polizei selbstverständlich. Es fehlt an Kraftfahrzeugen, an einer hinreichenden Ausstattung mit Telefon, auch in den Wohnungen der Kriminalbeamten, so daß diese außerhalb der Dienststunden nur schwer erreichbar sind.Nur ein Streiflicht aus einer Zeitung von gestern; das kann man alle paar Tage lesen. Überschrift: „Polizei bittet um Spenden":Weil Bremen nicht genug Geld hat, hat die Kriminalpolizei der Stadt jetzt zur Selbsthilfe gegriffen. Das Kommissariat für Todesermittlung der Kriminalpolizei Bremen veranstaltet eine Spendensammlung für einen neuen Tatortwagen. Der bisherige Tatortwagen sei durch einen Unfall ausgefallen und das Land Bremen angeblich nicht in der Lage, zur Zeit Ersatz zu beschaffen,
teilte ein Sprecher des Landesverbandes Niedersachsen im Bund Deutscher Kriminalbeamter in Hannover mit.Meine Damen und Herren, es mag sein, daß das nicht zutrifft. Ich habe es nicht nachprüfen können, und ich mache diesen Vorbehalt. Aber jeder von uns, der mit polizeilicher Praxis, speziell kriminalpolizeilicher Praxis, vertraut ist, weiß, daß selbst dann, wenn das nicht wahr wäre, es andere Beispiele gibt, mit denen man belegen kann, daß hier und dort ähnliche unerträgliche Zustände bestehen. Ich will keine Schwerpunkte nennen und nenne auch das angesprochene Land nur als ein Beispiel. Ich will es nicht in Vergleich zu anderen Ländern setzen. Die Situationen scheinen mir unterschiedlich zu sein.
Aber daß das insgesamt gesehen ein unerträglicher Zustand ist, wird sich ernsthaft, wie ich meine, nicht bestreiten lassen.
— Herr Kollege Schäfer, wir beide, Sie und ich, sind seit einer ganzen Weile mit dem Problem beschäftigt. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang einmal folgendes sagen. Wenn Sie in dieser Debatte nicht mehr vorzutragen haben sollten
— ich nehme an, daß Ihre Fraktion Gelegenheit nehmen wird, sich dazu zu äußern — als den Blick indie angeblich so triste Vergangenheit, kommen SieIhrer Aufgabe, die Ihrer Verantwortung als Regierungspartei entspricht, nämlich die Gegenwart und die Zukunft zu gestalten, nicht genügend nach.
Eine Politik, die in die Vergangenheit gerichtet ist, wird nicht in der Lage sein, die Zukunft und erst recht nicht die Gegenwart zu bewältigen.
Meine Damen und Herren, das alles sind Mängel, die vielfach zu Unzufriedenheit und zu Frustationsgefühlen bei den Kriminalbeamten beitragen. Es sind verbreitet bürokratische Hemmnisse, die man bei allem Bestreben zu staatlicher Sparsamkeit als unverständlich, als geradezu lächerlich bezeichnen muß. Ich denke z. B. an die Notwendigkeit der Genehmigung dienstlicher Ferngespräche über größere Entfernungen durch höhere Vorgesetzte oder die Beschränkung bei Dienstreisen, die über den unmittelbaren örtlichen Zuständigkeitsbereich hinausführen. Ich selber — und auch das ist ein Blick in die Vergangenheit — habe aus meiner eigenen Amtszeit als Bundesminister des Innern in Erinnerung, welche Schwierigkeiten entstehen, wenn man z. B. aus dienstlichem Anlaß während eines Hubschrauberflugs versucht — ich bin mehrfach in diese Situation gekommen —, zwischen dem Hubschrauber, Fahrzeugen des Bundeskriminalamts und den Dienststellen der zuständigen Länderpolizeien eine Funkverbindung herzustellen. Ich nehme an, daß auch Herr Kollege Genscher zu diesem Thema einiges aus praktischer Erfahrung beitragen könnte.Ich schlage daher vor, zu prüfen, ob die technische Ausstattung der Kriminalpolizei nicht durch ein Verwaltungsabkommen dem Bund übertragen werden sollte, ähnlich der bereits bestehenden Regelung für die Bereitschaftspolizei der Länder. Eine entsprechende Anregung finden Sie in dem Entschließungsantrag, den wir Ihnen vorlegen.Viertens. Ein Hauptproblem neben der verwirrenden Organisationsstruktur ist die Personallage der Kriminalpolizei. Dieses Problem kann nach unserer Überzeugung nur durch eine durchgreifende Reform des Laufbahnrechts und der Besoldungsstruktur der Kriminalpolizei und der Schutzpolizei, und zwar bundeseinheitlich, erreicht werden. Das Laufbahnsystem der Kriminalpolizei ist anachronistisch. Es entspricht militärischen Vorbildern der Zeit des 19. Jahrhunderts.
— Seit dem 19. Jahrhundert, wie ich soeben gesagt habe, Kollege Dorn. Ich unterstelle bei Ihnen die dem Thema angemessene Aufmerksamkeit.Sachbearbeiter der Kriminalpolizei können nach unserer Auffassung nicht mehr dem mittleren Verwaltungsdienst gleichgestellt bleiben, sondern müssen dem gehobenen Verwaltungsdienst angeglichen werden.
Metadaten/Kopzeile:
4206 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
BendaDer Verantwortungsbereich und die Befugnisse des Kriminalbeamten sind nicht zu vergleichen mit den Aufgaben eines Sekretärs im allgemeinen Verwaltungsdienst.
Gleichzeitig ist eine Hebung der Bildungsvoraussetzung für den kriminalpolizeilichen Dienst etwa analog dem gehobenen Verwaltungsdienst, nämlich Realschulabschluß oder Abitur mit einem anschließenden Vorbereitungsdienst, notwendig. Es muß dessenungeachtet gewährleistet bleiben, daß das Überwechseln von geeigneten Beamten der Schutzpolizei und des Bundesgrenzschutzes in den Kriminaldienst möglich ist. Es muß möglich sein, geeignete Kräfte aus der Wirtschaft für den kriminalpolizeilichen Dienst zu gewinnen, etwa kaufmännisch erfahrene Persönlichkeiten für das Gebiet der Wirtschaftskriminalität oder Ingenieure für andere Fragen.Ich glaube, daß die Hauptursache oder eine der Hauptursachen für den ständigen Rückgang der Aufklärungsziffern in dem Personalmangel der Kriminalpolizei besteht, der nur auf die geschilderte Weise beseitigt werden kann. Ich füge hinzu, was ich vor einigen Wochen auch öffentlich gesagt habe, daß bei einer Reform des Laufbahnrechts und der Besoldungsstruktur die heilige Kuh „Einheitslaufbahn" wohl oder übel wird geschlachtet werden müssen.
Notwendig ist es aber auch, den Kriminalbeamten durch Beseitigung des Personalmangels von sachfremden Aufgaben zu entlasten, vor allem von der immer umfangreicher werdenden Schreibarbeit.
Die bisherigen Bemühungen der Landesinnenminister, zu einer Reform der Laufbahnstruktur und zu einem neuen Berufsbild für die Polizeivollzugsbeamten zu kommen, gehen — das gilt auch über den Bereich der Kriminalpolizei hinaus für die allgemeine Polizei — nur im Schneckentempo voran. Der Unmut vor allem der Kriminalbeamten, aber darüber hinaus auch anderer über das klägliche Ergebnis der Innenministerkonferenz von Ende September auf Helgoland ist nach meiner Auffassung verständlich. Mit der Bildung einer neuen Staatssekretärskommission für diese Fragen ist es nicht mehr getan. Das zeigt sich vor allem dann, wenn man sich vergegenwärtigt, wie zahlreich die anderen Aufgaben sind, die die Staatssekretäre der Landesinnenminister haben. Ich richte diese Kritik ausdrücklich gegen alle der Innenministerkonferenz angehörenden Minister, aber ich frage den Bundesinnenminister, was er im Lichte seines vorhin wiederholten Zitats vor dem Bundeskriminalamt unternommen hat, das lautet: „Der Bund kann Initiativen setzen. Er ist aus einer Gesamtverantwortung heraus entschlossen, diese Möglichkeit wahrzunehmen."Ich habe kein Verständnis mehr dafür, daß die Innenminister der Länder — vor allem der Herr Kollege Ruhnau aus Hamburg — zur Frage der Einheitslaufbahn nach wie vor eine dogmatische Haltung einnehmen. Das gleiche gilt übrigens auch für einige Gewerkschaften der Polizei. Ich betone noch einmal, daß es nicht um eine Diskriminierung der Schutzpolizei geht. Entsprechende Regelungen für die Schutzpolizei sollten, wie es unser Entschließungsantrag vorschlägt, mit der gleichen Dringlichkeit und der gleichen Sorgfalt geprüft werden. Es geht nicht um eine Bevorzugnug der Kriminalpolizei. Entscheidend ist aber eine sach- und funktionsgerechte Reform, die den Erfordernissen des modernen Industriestaates Rechnung trägt.Fünfter Punkt. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort zu Ziffer 10 unserer Anfrage mit eindrucksvollen Zahlen auf die negativen Auswirkungen der Liberalisierung des Haftrechts durch das Strafprozeßänderungsgesetz vom Dezember 1964 hingewiesen. Ich möchte auf Grund des Zahlenmaterials, das uns dort vorliegt, zu dem Ergebnis kommen, daß ein Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Aufklärungsquote und den praktischen Auswirkungen der Strafprozeßnovelle unverkennbar ist. Die Frage wird sein, ob die Kriminalpolizei durch die vorgeschlagenen Maßnahmen in einen Zustand der Funktionsfähigkeit versetzt wird, der ausreichen würde, diese negativen Auswirkungen der Liberalisierung des Haftrechts auf ein vertretbares Maß herabzusetzen.Die von den Polizenbeamten beklagten negativen Auswirkungen der neuen Untersuchungshaftbestimmung sind sehr ernst zu nehmen. Sie haben zur Unzufriedenheit und zur Frustration, ja oft zur Verzweiflung bei den Beamten geführt, die häufig genug erleben müssen, daß ein schwer Krimineller, der bereits vorbestraft ist, nach langwieriger und schwieriger Fahndung vom Haftrichter wieder auf freien Fuß gesetzt wird, weil er geständig ist und einen festen Wohnsitz nachweisen kann.
Anschließend — dies ist leider Gottes die Praxis —begeht er in vielen Fällen neue Straftaten und entzieht sich dann der früheren und der neuen Strafverfolgung durch die Flucht.Meine Damen und Herren, falls die Frage gestellt werden sollte, welche Konsequenzen die in unserer Entschließung vorgetragene Meinungsäußerung, mit der wir sagen, daß das gegenwärtig geltende Haftrecht geändert werden sollte, hat, sagen wir als An-wort folgendes. Wenn das Hohe Haus dieser Meinung ist, dann hat dies nach unserer Meinung Konsequenzen für die Haltung der Bundesregierung, von der ich nach der schriftlichen Antwort auf die Große Anfrage bisher den Eindruck habe, daß sie insoweit die bestehenden Mängel zwar einräumt, ihnen aber eher resignierend gegenübersteht und lediglich sagt, daß eine weitere Verschlechterung der rechtlichen Situation insoweit nicht hingenommen werden kann, was mit anderen Worten ja wohl heißt, daß die seitherige Verschlechterung hingenommen werden soll. Es hat auch Konsequenzen für meine eigene Fraktion, welche sich dann erlauben wird, diesem Hohen Hause Vorschläge zu unterbreiten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4207
Benda— Ich komme noch auf Ihre Haltung. Sie können noch einige Minuten Geduld haben; ich hin gleich an diesem Punkte.Ich glaube, daß beides notwendig ist, nämlich erstens durch eine Verbesserung der kriminalpolizeilichen Organisation und der personellen Ausstattung die Ermittlungen so zu beschleunigen, daß die gegenwärtig vielfach untragbaren Zustände vermieden werden. Auch die Strafjustiz muß in die Lage versetzt werden — und sich übrigens auch selber versetzen, was oft auch eine Frage der persönlichen Haltung des betreffenden Richters ist; auch hierzu ließe sich manches sagen —, der Kriminalität wirksam zu begegnen.Der Maßstab, mit dem wir bei dieser notwendigen Überprüfung an diese Frage herangehen sollen, ist das Prinzip, zu dem wir uns alle bekennen, nämlich das Bekenntnis zu unserem Rechtsstaat. Der Rechtsstaat erfordert zweierlei, und das bedeutet ein schwer zu überwindendes Spannungsverhältnis. Erstens: Wir haben die selbstverständliche Pflicht, daß im Straf- und im Strafprozeßrecht sichergestellt wird, daß niemand, soweit es im Bereich menschlicher Möglichkeiten liegt, auf Grund bloßen Verdachtes unschuldigerweise seiner Freiheit beraubt wird. Zweitens geht es um das gleichermaßen durch den Rechtsstaat gebotene Erfordernis, daß derjenige in unserer Bevölkerung, der sich gesetzmäßig verhält, der seinem ordentlichen Leben nachgeht, davor geschützt wird, das Opfer von Verbrechern oder Kriminellen zu werden. Beides erfordert der Rechtsstaat. Zwischen beiden Elementen ist die richtige Lösung zu finden.Meine Fraktion hat nicht die Absicht, von ihrer eigenen Haltung abzuweichen, die sie bei der Strafprozeßnovelle 1964 eingenommen hat. Ich sehe Frau Kollegin Diemer, und mancher aus unserem Kreise ist damals dabeigewesen, ich auch. Ich weiß ganz genau, was ich damals gesagt habe. Ich kenne die Diskussionen alle noch — wenn sie jemand nachgelesen hat —; ich kann Ihnen verraten: ich habe es auch getan. Sie brauchen mir das nicht vorzuhalten. Aber ich scheue es nicht. Ich bin auch nicht der Meinung, daß wir das, was wir damals gemacht haben, einfach über Bord schmeißen sollten. Manches ist ein Fortschritt. Auch ich persönlich wünsche nicht in den Rechtszustand jener Zeit vor 1964 zurückzukehren. Es muß schärfer gesehen werden, als wir es damals gesehen haben, vielleicht sehen konnten, daß insbesondere — und hier wird der Schwerpunkt der Überlegungen sein — im Bereich der Wiederholungsstraftaten wirksame Sicherungen geschaffen werden müssen.Sie haben nach unserer Haltung in der vergangenen Wahlperiode gefragt, ich glaube, Sie, Herr Kollege Schäfer. Ich bedauere, daß durch das — darf ich das so formulieren, auch wenn Herr Kollege Hirsch nicht da ist — nicht sehr geschickte Vorgehen in Sachen dessen, was nachher als „Vorbeugehaft" übrigens insoweit nicht einmal mit der Überschrift der damaligen Vorschläge übereinstimmt — aber sehr geschickt war das, glaube ich, nicht —, damalsdas Klima in dieser ernst zu nehmenden Frage verdorben worden ist. Das war nicht sehr hilfreich.
— Das begründete Bemühen sehe ich nicht nur, sondern ich unterstütze es. Wenn wir uns in dieser Frage einig sind, Herr Kollege Schäfer, dann würde ich sagen: um so besser. Um so schneller können wir, glaube ich, und müssen wir, weil dies einer der praktisch einfach bedeutsamsten Punkte ist, zu einem Ergebnis kommen. Ich bin sehr gespannt darauf, was die Kollegen der anderen Fraktionen, was vor allem auch die Bundesregierung zu diesem Thema sagen werden. Wir sollten diese Frage ohne Dogma, pragmatisch unvoreingenommen prüfen. Das einzige Dogma — und dem sollen, ja dem müssen wir uns unterwerfen — ist das Festhalten in jeder Beziehung an den rechtsstaatlichen Erfordernissen in der Doppelausgestaltung, die ich vorhin erwähnt habe, die, glaube ich, das Leitbild sein sollte, was uns dorthin bringen sollte.Ich fasse zusammen. Wir schlagen Ihnen in sechs Punkten konkrete Maßnahmen vor: eine Straffung und Vereinheitlichung der Organisation der Kriminalpolizei innerhalb der Länder; eine Organisation der Kriminalpolizei ohne Rücksicht auf Ländergrenzen nach kriminalgeographischen Gesichtspunkten; eine Ausgestaltung der Besoldungsstruktur und des Laufbahnrechts der Kriminalpolizei und der allgemeinen Schutzpolizei, damit sie in die Lage versetzt werden, durch quantitative und vor allem qualitative Verstärkung den praktischen Erfordernissen besser als bisher nachzukommen; eine einheitliche Ausbildung der Führungskräfte der Kriminalpolizei in Bund und Ländern; eine Verbesserung und Vereinheitlichung der technischen Ausstattung der Kriminalpolizei durch den Bund und eine Änderung der Vorschriften der Strafprozeßordnung, die sich auf das ganze Recht beziehen mit dem Ziel, daß eine unvertretbare Gefährdung der Allgemeinheit, vor allem durch die sogenannten Wiederholungstäter, beseitigt wird.Meine Damen und Herren, bei alledem muß — und dies darf am Schluß noch gesagt werden — auch gesehen werden, daß — und dies ist der letzte, aber bei weitem nicht der unwichtigste Punkt — bei allen notwendigen praktischen Regelungen im Bereich des Polizeilichen, des Kriminalistischen, auch des Rechtlichen, Verbrechen, die Haltung der Bürger unseres Landes zum Verbrechen auch ein gesellschaftliches Problem allerersten Ranges ist. Polizeiliche und rechtliche Maßnahmen werden immer nur ein Teilausschnitt zur Lösung dieses Problems sein können. Meine Freunde und ich beobachten mit Sorge, daß in manchen Kreisen unserer Bevölkerung — glücklicherweise noch in einer verschwindend kleinen Minderheit — die Achtung vor dem Recht als dem Maßstab des menschlichen Verhaltens in einer modernen Gesellschaft relativiert wird, daß sie teilweise ins Wanken gerät, wozu teilweise auch durch politisch Verantwortliche ermutigt wird.Meine Damen und Herren, ich sage es ganz unverblümt: Wenn jemand Gewalt oder ein Ver-
Metadaten/Kopzeile:
4208 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bendabrechen verübt, dann ist es mir vollkommen gleichgültig, ob er dies aus einer im eigentlichen Sinne kriminellen Gesinnung tut oder ob er dies politisch oder pseudopolitisch motiviert oder verbrämt. Wenn er das Recht bricht, wenn er kriminell wird, ist er entsprechend zu behandeln, gleichgültig, was seine Motive sind — das mag der Richter nachher beurteilen —,
dann ist er jemand, der Objekt und Gegenstand unserer heutigen Diskussion ist. Dem Verbrecher und dem Verbrechen wollen wir — dies ist ein Anliegen, das wir, wie ich zuversichtlich glaube, gemeinsam in diesem Hause verfolgen energisch und entschieden entgegentreten.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort an Herrn Pensky für die Fraktion der SPD weitergebe, für den 45 Minuten Redezeit angemeldet sind, darf ich Herrn Kollegen Benda auf folgendes hinweisen. Die Drucksache der Bundesregierung VI/1334 ist am Donnerstagabend um 18 Uhr bei uns eingegangen. Infolge des umfangreicheren Drucks war es nicht möglich, sie früher auszuliefern. Wir hatten sie also früher, konnten sie aber wegen des Drucks nicht ausliefern. Ich wollte das nur zur Richtigstellung darlegen.
Das Wor hat nun der Herr Abgeordnete Pensky; 45 Minuten' Redezeit sind beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Benda, mein Vorredner, wurde in den letzten Tagen in verschiedenen Posen dargestellt — Herr Kollege Benda, ich darf das vielleicht vorausschicken —: erstens in der Pose eines Schlachters,
denn Sie wollen das war zu lesen, und Sie haben
es soeben wieder betont heilige Kühe schlachten,
die Sie selbst lange Jahre gehütet haben.
Das ist die erste Pose, 'Herr Kollege Benda. Die zweite ist die, die ich heute in einer Ihnen sehr wohlgesonnenen Zeitung gefunden habe, nämlich die Pose eines Boxers gegen Innenminister Genscher. Das Bild, möchte ich sagen, ist sehr zutreffend dargestellt. Auf den Schlag von Benda macht Genscher gar kein schmerzverzerrtes Gesicht.
Das braucht er auch gar nicht; der Benda schlägt immer daneben.
Ich glaube, er hat sich offenbar auch nur auf Schattenboxen eingestellt, meine Damen und Herren,
denn er ist auf diesem Bild mit Brille und ohne Mundschutz angetreten.
Ich glaube, einen solchen Schattenboxkampf, wenn er auch mit geringeren Unzen als sonst ausgetragen worden ist, haben wir soeben hier erlebt. Ich hoffe, Herr Kollege Benda, Sie haben sich dabei nicht übernommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Benda?
Bitte schön!
Herr Kollege Pensky, falls Sie, wie ich vermute, die „Bildzeitung" meinen: Täusche ich mich, wenn auf diesem Bilde, das ich übrigens nicht hergestellt habe, der Herr Kollege Genscher, was ich bedaure, einen Schlag von mir mit einer rechten Geraden ins Gesicht bekommen hat?
Ich glaube, wir müssen das Bild einer näheren Untersuchung unterziehen.Meine Damen und Herren, bevor ich zum Thema komme — —
— Ich komme schon zur Sache. Ich glaube, auch das gehört zur Sache, wenn ich an dieser Stelle die Anwesenheit des hessischen Innenministers Dr. Strelitz begrüße,
der damit sein besonderes Interesse an den Fragen der inneren Sicherheit bekundet.
Wir kennen ihn auch so in seiner sonstigen Haltung, Herr Kollege Wörner, und ich nehme an, daß er über das, was er hier heute hört, kollegialiter auch die CDU-Innenminister der Länder informieren wird.Meine Damen und Herren, es ist sicherlich nützlich, daß in diesem Hohen Haus heute Gelegenheit gegeben ist, Fragen der Verbrechensbekämpfung und der inneren Sicherheit schlechthin zu diskutieren. Auf diesem Gebiete wie auf allen anderen Gebieten der Politik darf es keine Geheimniskrämerei geben. Von dieser Stelle aus sollten alle Bürger hin und wieder erfahren können, ob und inwieweit die Verantwortlichen in diesem Staate sich um ihre Sicherheit und um ihren Schutz vor dem Verbrechen mühen.Der politische Wettstreit wird, wenn man auf eine in diesem Falle nicht angebrachte Polemik verzichtet, zu positiven Ergebnissen führen. Wir sind zu solchen Gesprächen bereit und sind auch durchaus bereit, Anregungen der Opposition entgegenzunehmen und, wenn sie gut sind, sie auch zu verwirklichen. Nur schließt das nicht aus, daß wir uns ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4209
Penskygenseitig in aller Sachlichkeit das sagen sollten, was einmal gesagt werden muß, um kein schiefes Bild aufkommen zu lassen. So gesehen, ist die SPD-Bundestagsfraktion der Opposition für diese Debatte und für die von ihr an die Regierung gestellten Fragen sehr dankbar.Bevor ich mich jedoch weiter der Opposition zuwende, erscheint es mir notwendig, an dieser Stelle noch einmal deutlich hervorzuheben, daß die von Bundeskanzler Willy Brandt geführte Bundesregierung den Fragen der inneren Sicherheit ein hohes Maß an Bedeutung beimißt. Der Bundeskanzler hat das in seiner Regierungserklärung unterstrichen und angekündigt, daß die Bundesregierung die Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung energisch vorantreiben will, um die Sicherheit in unserem Lande zu gewährleisten. Er hat gleichfalls in der Regierungserklärung angekündigt, daß die Bundesregierung unverzüglich die Arbeit an einem Sofortprogramm aufnehmen und dieses dem Deutschen Bundestag 1970 zuleiten werde. Übrigens ist an dieser Stelle zu bemerken, daß dies die erste Bundesregierung ist, die überhaupt in ihrer Regierungserklärung ihren politischen Willen in dieser Richtung zu erkennen gegeben hat.Meine Damen und Herren, wir sehen auch heute, daß dies keine leeren Worte sind. Innenminister Genscher hat den Mitgliedern des Hohen Hauses ein Sofortprogramm — Sie wissen, es ist etwas früher herausgekommen, Herr Kollege Benda, als Sie beklagten — vorgelegt, das, wie ich noch im einzelnen darlegen werde, realistisch ist und, auf Notwendigkeiten beim Bundeskriminalamt zugeschnitten, dort bald zu entscheidenden Verbesserungen der Arbeit und damit der Verbrechensbekämpfung führen wird. Darüber hinaus umfaßt es alle Ansatzpunkte für eine effektivere Verfolgung von Straftaten, die sich der Bundesregierung zur Unterstützung der Länder bieten. Wegen der Aktualität und der Bedeutung dieses Programms erscheint es mir richtig, es in dieser Debatte gleich in die Behandlung der Großen Anfrage der CDU/ CSU einzubeziehen.Meine Damen und Herren, Ziel und Absicht der Großen Anfrage der CDU/CSU sind — das möchte ich vorweg bemerken — erst recht erkennbar, wenn man in den letzten Wochen und Tagen hört, was CDU-Politiker namentlich auch der frühere Bundesinnenminister Benda, zu diesen Problemen vor der interessierten Öffentlichkeit ausführen. Er hat davon hier soeben auch einige Kostproben gegeben.Nun, glauben Sie etwa, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie könnten damit den Eindruck vermitteln, die für uns alle sicherlich nicht erfreuliche Kriminalitätsentwicklung habe erst mit der Amtsübernahme dieser Bundesregierung begonnen? Und glauben Sie etwa ernsthaft, daß die Polizeibeamten im Lande Ihnen abnehmen, daß diese Misere der Polizei und insbesondere auch des Bundeskriminalamts auf Versäumnisse dieser Regierung zurückzuführen ist? Die Polizeibeamten sind klug genug und stehen viel zu sehr in der Praxis,als daß sie auf durchsichtige Argumente dieser Art hereinfallen.Deshalb sollten Sie wissen, Herr Kollege Benda — auch Ihre Kollegen von der CDU/CSU —: Der Unmut der Polizeibeamten, den Sie ja auch zur Kenntnis genommen haben, der in diesen Tagen mehr oder weniger heftig zum Ausdruck gebracht wird, richtet sich im Grunde allein gegen Sie, die Sie schließlich 20 Jahre lang die Verantwortung für das Ressort des Innenministers getragen haben und es an den notwendigen Maßnahmen zur Behebung der damals aufgetretenen Mißstände haben fehlen lassen.
Aber Ihre Methode, Herr Kollege Benda — ich meine, ich sollte es sagen — frei nach dem Motto „Haltet den Dieb!", haben Sie ja gelegentlich in diesem Hause vorexerziert. Soweit es die Beamten betrifft, darf ich auch an die diesjährige Besoldungsdebatte erinnern. Hier hatte ein Kollege Ihrer Fraktion die Stirn, zu sagen, daß es mit dem Gedanken der Fürsorgepflicht des Staates nicht vereinbar sei, daß man sich überhaupt über einen Besoldungsrückstand unterhalte. Sie haben dabei gar nicht bemerkt, daß Sie sich ganz forsch ein Eigentor getreten haben; denn für Rückstände können doch wohl nur diejenigen verantwortlich sein, die in der Lage gewesen wären, einen solchen Zustand gar nicht eintreten zu lassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Herr Kollege Pensky, sind Sie bereit, zu sagen, welcher Kollege in welchem Zusammenhang wann und wo diese Äußerung getan hat?
Ich habe die Unterlagen alle drüben. Ich werde Sie, wenn Sie es wünschen, gleich davon unterrichten. Es steht sinngemäß in dieser Form in einem Bundestagsprotokoll.Ich darf auch hier sagen: Trotz allen berechtigten Drängens der Beamtenverbände um eine zügige Anpassung der Besoldung an die veränderten Verhältnisse wissen diese durchaus zu würdigen, daß die jetzige Bundesregierung ein faires Angebot dergestalt unterbreitet hat, daß sie eine unabhängige Kommission zur Feststellung des tatsächlichen Besoldungsrückstandes eingeschaltet hat, um an dem Ergebnis dieses Gutachtens die weiteren Besoldungsmaßnahmen zu orientieren.Meine Damen und Herren, nun aber zurück zu den speziellen Fragen der Verbrechensbekämpfung
und damit zu der Großen Anfrage der CDU/CSU sowie zu dem Sofortprogramm der Bundesregierung. Hierbei ist vorweg zu bemerken, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung auf Grund ihrer Zuständigkeiten nur in der Lage ist, unmittelbar die
Metadaten/Kopzeile:
4210 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
PenskyVerhältnisse beim Bundeskriminalamt zu ändern und daneben im Rahmen der Bundeskompetenz Verbesserungen einzuführen. Weiterhin fällt ihr durchaus auch die Aufgabe zu, in Kooperation mit den Ländern die notwendigen Regelungen zu treffen und auch Empfehlungen zu geben. Was die Bundesregierung in diesem Rahmen tun kann und wird, hat sie in ihrem Sofortprogramm, das Ihnen vorliegt, dargelegt. Herr Kollege Benda, Sie kritisieren hier nun die verspätete Vorlage des Programms, und Sie bezeichnen es als Zu-spät-Programm. Ich glaube, auch hier ist zu sagen, daß Innenminister Genscher durchaus gut beraten war, zunächst seine grundlegende Bestandsaufnahme durchzuführen. um seine Vorschläge an dem letzten Stand der Kriminalitätsentwicklung zu orientieren. Außerdem benötigte er einige Zeit, um den Umfang der Versäumnisse des früheren Bundesinnenministers zu übersehen. Für Sie, Herr Kollege Benda, war es dagegen wohl ein Leichtes, Ihre Große Anfrage an den Ihnen bestens vertrauten, da eigenen Versäumnissen zu orientieren. Ich komme darauf zurück.
Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sage ich dem Herrn Innenminister sowie der gesamten Bundesregierung für das entschlossene Handeln,
das aus diesem Sofortprogramm erkennbar ist, Anerkennung und Dank.
Meine Damen und Herren, nun ist aus den Reihen der CDU/CSU zu hören — Herr Benda hat es eben noch einmal so gesagt —: Alles schon dagewesen! Man verweist auf einen sogenannten Fünfjahresplan des früheren Bundesinnenministers Benda zur Erhöhung der Effektivität des Bundeskriminalamtes. Bei genauer Betrachtung werden Sie feststellen müssen, meine Damen und Herren, daß zwischen diesen beiden Plänen oder Programmen ein wesentlicher Unterschied besteht. So muß zunächst darauf hingewiesen werden, daß der Plan Bendas der Öffentlichkeit im Juni 1969 bekanntgegeben wurde, also zu einem Zeitpunkt, da die Arbeit in der 5. Legislaturperiode praktisch ausgelaufen war. Man hatte sich also überhaupt erst zu diesem Zeitpunkt besonnen, daß es notwendig ist, zur Erhöhung der Effektivität des Bundeskriminalamtes etwas zu tun. Oder sollte der Plan damals nur noch. dem Bundestagswahlkampf dienen, Herr Kollege Benda?
— Das waren Zufälligkeiten, sagen Sie. Ich werde dazu noch weiteres sagen müssen, meine Damen und Herren.
— Ja, wir können uns darüber unterhalten. — Ich bescheinige Ihnen auch, daß Sie rechtzeitig etwaserkannt haben. Es muß Ihnen von mir nämlich tatsächlich bescheinigt werden, daß Sie die taktische Notwendigkeit, verstärkte Anstrengungen auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung zu bekunden, schon viel früher erkannt haben. Beim Nachlesen der Bundestagsprotokolle ist festzustellen, daß schon frühere CDU-Innenminister von der Tatsache einer bedrohlichen Kriminalitätsentwicklung und notwendigen Maßnahmen gesprochen haben. Ausgelöst wurde eine solche Debatte — das muß ich Ihnen an dieser Stelle sagen — damals aber durch den Antrag der SPD-Fraktion vom 15. März 1966 auf Drucksache V/434. Die damalige von der CDU geführte Bundesregierung wurde also erst durch eine sozialdemokratische Initiative gezwungen, zum Problem der inneren Sicherheit Farbe zu bekennen. Sie haben aber eben nur gesprochen und nichts oder sehr wenig getan.Meine Damen und Herren, der Benda-Vorschlag zeichnet sich im übrigen auch dadurch aus, daß er lediglich der Presse vorgelegt wurde und nie ein Mitglied dieses Hohen Hauses auf offiziellem Wege erreicht hat. Das ist genau die Methode, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
die Sie völlig unberechtigt gelegentlich dieser Bundesregierung glauben vorwerfen zu müssen.
Deshalb bestand auch zu keiner Zeit die Möglichkeit, diesen Plan, wie es notwendig gewesen wäre, in diesem Hohen Hause zu diskutieren.Auch wenn Herr Benda sagt — er hat das eben erwähnt —, diese Vorschläge seien haushaltsrechtlich in der Finanzplanung berücksichtigt, so bleibt dieser Plan, Herr Kollege Benda, dennoch eine unverbindliche Aussage über notwendige Verbesserungen beim Bundeskriminalamt. Es fehlte nämlich eine Antwort darauf, wie diese Maßnahmen realisiert werden sollen. Um es genauer zu sagen: das, was Herr Benda in diesem Programm tabellarisch ausgeführt hat, ist nichts anderes und nicht mehr als ein Register von Versäumnissen der früheren Bundesminister und der früheren Bundesregierungen. Und die sind nicht von den Sozialdemokraten gestellt worden.
Was soll denn eine solche Aufzählung, wenn beim Bundeskriminalamt nicht einmal die notwendigsten Regelungen getroffen worden sind? Einige Beispiele möchte ich nennen, um das zu begründen. In diesen Bereich fällt auch das, was Sie eben als Entschließung bekanntgegeben haben. Die drückende Personalnot beim Bundeskriminalamt, die schon seit Jahren Ursache dafür ist, daß wichtige Aufgaben nur unzulänglich oder überhaupt nicht wahrgenommen werden können, wurde von Ihnen nicht beseitigt. Die Laufbahn der Kriminalbeamten, die Sie eben beklagt haben, mußte jeden Beamten aus den Ländern abschrecken, in diesen Dienst überzuwechseln,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4211
Penskyda die Verhältnisse in den Ländern trotz der Mängel, die auch heute dort noch vorliegen, erheblich besser sind. Hierzu muß man wissen, daß das Bundeskriminalamt keinen eigenen Unterbau hat, aus dem der Nachwuchs kommt. Anders ist es dagegen in den Ländern, wo sich der Personalbedarf weitgehend aus der Schutzpolizei rekrutiert.Trotz dieser Misere fanden beim Bundeskriminalamt ausgebildete Kriminalbeamte sachfremde Verwendung, z. B. in der Aktenhaltung, in der Zentralkartei und sogar als Hauswache für das Gebäude des Bundeskriminalamtes sowie auch in anderen Dienstbereichen. Alles das sind Aufgaben, die zweckmäßigerweise von Angestellten hätten wahrgenommen werden können.Nun, Herr Kollege Benda, Sie haben diese Not beklagt. Warum haben Sie sie nicht geändert? Das hat beispielsweise dazu geführt, daß Spezialkarteien nicht auf dem laufenden gehalten werden konnten und dadurch praktisch als Informationsquelle für die Länder weitgehend unbrauchbar waren. In diesem Zusammenhang müßte u. a. noch von Versäumnissen im Bereich der Bauplanung die Sie auch beklagt, aber doch offenbar zu vertreten haben —, der Wohnungsfürsorge für Bedienstete des Bundeskriminalamtes und des Zulagewesens sowie der Überstundenregelung speziell auch für die Beamten der Sicherungsgruppe — gesprochen werden.Außerdem entsteht bei rückschauender Betrachtung über lange Jahre die Überzeugung, daß der Bundesminister des Innern damals jedenfalls versäumt hat, das Bundeskriminalamt mit einem praxisbezogenen Konzept zur Unterstützung der Länder in die Verbrechensbekämpfung einzuschalten. Fachleute kritisieren wohl zu Recht wir sollten uns viel öfter mit diesen Fachleuten unterhalten —, daß das Bundeskriminalamt über lange Zeit ein Eigenleben führte und .daß versäumt wurde, seine Aufgaben im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten an der jeweiligen Kriminalitätsentwicklung zu orientieren.Das ist heute anders; denn sowohl die Beantwortung der Großen Anfrage als auch das Sofortprogramm der Bundesregierung zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung machen deutlich, daß die Bundesregierung im Bewußtsein um die Mitverantwortung im Bereich der inneren Sicherheit ,der Bundesrepublik konkrete Maßnahmen der Effektivität der Verbrechensbekämpfung trifft.Meine Damen und Herren, es bietet sich an dieser Stelle an, ,den derzeitigen Sachstand zu gewichtigen Fragenkomplexen der Großen Anfrage der CDU/ CSU zur Verbrechensbekämpfung mit der Situation in der vorausgegangenen Legislaturperiode zu vergleichen. Dieser Vergleich macht deutlich, daß die herbe und streckenweise polemische Kritik meines Vorredners Kollegen Benda durchaus nicht angebracht ist.Erstens. Die Bundesregierung hat im Anschluß an die Untersuchung der Kriminalitätsentwicklung und der Aufklärungsquote die Feststellung getroffen, daß eine Unterstützung der Exekutivaufgaben derLänder in bestimmten Schwerpunktbereichen der Kriminalität dringend geboten ist. Im einzelnen gilt das für die Bereiche der Rauschgiftkriminalität, des Diebstahls von Kraftfahrzeugen, der Raub-, Einbruchs-, Wirtschafts- und Ausländerkriminalität sowie bei gewissen Seriendelikten mit sich wandelnden Erscheinungsformen. Die Bundesregierung hat sich jedoch nicht darauf beschränkt, die Gefahren dieser Entwicklung aufzuzeigen, sondern alles in ihrer Macht Stehende veranlaßt, um gerade zur Bekämpfung solcher Kriminalitätsschwerpunkte beizutragen. Dazu zählt in erster Linie der Aufbau der kriminalpolizeilichen Ermittlungsgruppe beim Bundeskriminalamt, die die Voraussetzungen dafür bieten wird, daß in Fällen mit überregionaler oder internationaler Ausdehnung aus der zentralen Sicht dieses Amtes alle kriminalistischen Ansatzpunkte zur rationellen und sachgerechten Aufklärung genutzt werden. Eine solche Ermittlungsgruppe hat es bisher nicht gegeben. Die gesetzlichen Möglichkeiten zur Einschaltung des Bundeskriminalamts in die exekutive Bearbeitung sind von der früheren Bundesregierung kaum und in der weiter zurückliegenden Zeit gar nicht genutzt worden. Daher mußte das Bundeskriminalamt im letzten Jahr für die ihm in verstärktem Umfang erteilten Ermittlungsaufträge Kräfte aus den verschiedensten Abteilungen des Hauses zusammenziehen, was jeweils nur zu Lasten der Erledigung anderer Aufgaben geschehen konnte. Wie zweckmäßig und erfolgreich sich diese Mitwirkung des Bundeskriminalamtes gestaltet, zeigen unter anderem die Aufklärung des Überfalls auf das Munitionslager in Lebach und die erfolgreiche Fahndung nach den beiden Gewaltverbrechern Lecki und Derks.Zweitens. In diesem Zusammenhang ist wohl auch der Ausbau der Abteilung Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamts hervorzuheben, der in Veri. bindung mit einer organisatorischen Umstellung eine effektivere Bekämpfung von Staatsschutzkriminalität ebenso wie die Unterstützung der Bearbeitung politisch motivierter Gewaltdelikte garantiert. Außerdem hat diese Abteilung aus aktuellem Anlaß den Schutz deutscher Diplomaten im Ausland als eine neue Aufgabe übernommen.Drittens. Die Vernachlässigung der Aufgaben einer praxisbezogenen kriminalistisch-kriminologischen Forschung ist ein weiteres Versäumnis, welches nicht der jetzigen, sondern der früheren Bundesregierung — oder den früheren Bundesregierungen, besser gesagt — angelastet werden muß. Beim Bundeskriminalamt besteht schon seit dessen Gründung ein kriminalistisches Institut, welches nach dem Organisationsplan unter anderem mit Forschungsaufgaben befaßt sein sollte. Obwohl man in Fachkreisen schon seit Jahrzehnten davon überzeugt ist, daß sich die kriminalistische Aufklärungsarbeit an systematischen Forschungsergebnissen zu orientieren hat und daß auch die Kriminalpolitik auf solche Erkenntnisse angewiesen ist, blieb das kriminalistische Institut ständig unterbesetzt. Das kriminalistische Institut bestand viele Jahre nur aus einem Ein-Mann-Betrieb
Metadaten/Kopzeile:
4212 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Penskyund blieb auf die Veröffentlichung von Vortragsschriftenreihen sowie die Durchführung einer Arbeitstagung jährlich — einer jährlich! — beschränkt. Daß dies nicht genügt, hat der frühere Bundesminister des Innern in der öffentlichen Informationssitzung des Innenausschusses vom 24. Oktober 1968 mit allem Nachdruck erfahren müssen. Hierauf hat der Kollege Benda als Bundesinnenminister in der Bundestagsdrucksache V/3792 vom 30. Januar 1969 erklärt — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:Diese Vorhaben im wissenschaftlichen Bereich sollen ergänzt werden durch intensivierte Untersuchungen bei dem Bundeskriminalamt. Hierzu wird es allerdings noch eines weiteren personellen Ausbaus des Kriminalistischen Instituts beim Bundeskriminalamt bedürfen; die hierzu erforderlichen Schritte sind eingeleitet.Auch in dem Fünfjahresplan zur Erhöhung der Effektivität des Bundeskriminalamts hat der frühere Bundesinnenminister anspruchsvolle Forschungsvorhaben aufgeführt, ohne — entgegen seiner Zusage — eine personelle Verbesserung veranlaßt zu haben.Meine Damen und Herren, dieses mißliche Erbe hat die Bundesregierung vor einem Jahr angetreten. Ich finde es deshalb bezeichnend, wenn sich die Opposition bei dieser von ihr verschuldeten Situation an die Frage der Notwendigkeit einer Intensivierung der Forschung auf kriminalpolizeilichem Gebiet heranwagt, wie in der Großen Anfrage geschehen.Viertens. Etwas vorsichtiger taktiert die Opposition in der Frage des Einsatzes einer automatischen Datenverarbeitung beim Bundeskriminalamt. Meine Damen und Herren, dieses heiße Eisen wird in der Fragestellung recht vorsichtig erwähnt, indem sich die Opposition nach den Fortschritten beim Ausbau eines automatischen Auskunfts- und Informationssystems des Bundeskriminalamtes und des EDV-Verbundnetzes mit den Ländern erkundigt. Sie fragt nach Fortschritten auf einem Gebiet, über das sie zwar oft und lange geredet, aber auf welchem sie noch so gut wie nichts unternommen hat.In weitschweifigen Ausführungen über den Stand der Vorarbeiten zur Einführung der elektronischen Datenverarbeitung im Bundeskriminalamt sowie den Aufbau eines Datenübertragungsnetzes zwischen dem Bundeskriminalamt und den Ländern hat der frühere Bundesinnenminister in seinem Bericht vom 30. Januar 1969 — es ist die gleiche Drucksache, die ich soeben nannte — zu kaschieren versucht, daß weder ein Zeitplan noch konkrete Zielvorstellungen bestehen.Meine Damen und Herren! Auch das im Juni 1969 an die Presse gegebene Benda-Papier enthielt nur allgemeine Vorstellungen über die elektronische Datenverarbeitung beim Bundeskriminalamt. Demgegenüber nennt der Bundesminister des Innern in seinem jetzt vorgelegten Sofortprogramm erstmalig konkrete Daten, indem er unter anderem feststellt, daß das Bundeskriminalamt bis zum Jahresende 1972 über eine eigene Datenverarbeitungsanlage verfügen wird und daß bestimmte Vorhaben zur Einführung eines automatischen Informationssystems in verschiedenen Bereichen mit erheblichem Personalaufwand seit Beginn dieses Jahres eingeleitet sind.Ohne mir ein Urteil über die Auswirkungen eines kriminalpolizeilichen Datenverarbeitungssystems auf die Verbrechensbekämpfung anmaßen zu wollen, erlaube ich mir die Feststellung, daß man gerade auf diesem Gebiete beim Bundeskriminalamt heute sehr viel weiter fortgeschritten wäre, wenn der Bundesminister des Innern vor Jahren die Weisung zum Beginn der Aufbereitung des Datenbestandes erteilt hätte. So stehen wir heute vor schier unüberwindbaren Bergen.Fünftens. In der Frage des Personalbedarfs gestehe ich meinem Kollegen Benda zu, daß auch er bereits eine erhebliche Planstellenvermehrung vorgesehen hatte. Aber geradezu dilettantisch, Kollege Benda, sind doch die Vorstellungen des von Ihren Fraktionskollegen auch so oft gepriesenen Benda-Papiers über Personalbeschaffung; denn sie werden besonders den erhöhten Anforderungen an die kriminalpolizeiliche Arbeit in keiner Weise gerecht. Der Kollege Benda meinte damals — wenn ich „damals" sage, meine ich sein sogenanntes Fünfjahresprogramm — den Personalbedarf des Bundeskriminalamtes durch „Verstärkung der Werbung", „Ausweitung der Ausbildungskapazität", „Absprache mit den Ländern mit dem Ziel der vermehrten Übernahme der Polizeivollzugsbeamten der Länder und Überprüfung der Einstellungsbedingungen decken zu können". Nun, Kollege Benda, ich glaube — und einiges aus Ihren heutigen Ausführungen spricht dafür , daß mit einem solchen Programm, wie Sie es noch im Juni 1969 vorgesehen haben, heute kein Hund mehr hinter dem Ofen hervorgelockt werden kann und daß Sie damit auch keinen brauchbaren Kriminalbeamten gewinnen können.
Daneben erklärte der Kollege Benda zur Frage einer etwaigen Neugestaltung der Laufbahn der Polizeivollzugsbeamten des Bundes in der bereits zitierten Bundestagsdrucksache V/3792 zu E, daß Erörterungen über die Allgemeinausbildung noch nicht abgeschlossen seien und sich Konsequenzen für die Gestaltung der Laufbahn des kriminalpolizeilichen Vollzugsdienstes des Bundes noch nicht ziehen ließen. Ich erinnere daran: es war das Datum von Januar 1969. Da ließen sich diese Konsequenzen noch nicht ziehen!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Benda?
Herr Kollege Benda!
Herr Kollege Pensky, nachdem Sie, wenn meine Uhr richtig geht, bisher 40 Minuten sich nicht mit der Politik der gegenwärtigen Bundesregierung, sondern der der früheren, insbesondere meiner Amtsführung, beschäftigt haben,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4213
Benda
was mich rührt und was ich mit Interesse zur Kenntnis nehme, darf ich fragen, ob Sie wenigstens der sehr zurückhaltenden Formulierung in der Drucksache VI/1334 auf Seite 7 in der Mitte zustimmen:Bund und Länder haben in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Effektivität der Verbrechensbekämpfung zu erhöhen.Spricht das nicht alles ein bißchen gegen Ihre sehr lang, aber für mich nicht so wahnsinnig überzeugend vorgetragenen Thesen?
Herr Kollege Benda, ich kann mir vorstellen, daß diese Quasi-Synopse, die ich hier aufstelle, für Sie nicht sehr angenehm ist; denn ich orientiere mich an Tatsachen.
— Nein. Ich bringe ja Verbindungen zwischen IhrerAnfrage, den früheren Aussagen, die Sie gemacht haben, und dem, was der Bundesinnenminister vorgelegt hat, was wir voll und ganz bejahen, ohne daß ich es hier in jedem Punkte noch einmal ausdrücklich zu unterstreichen brauche.
Die Frage 3 der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Notwendigkeit einer Änderung der Besoldungsstruktur und des Laufbahnrechts läßt erkennen, daß sich der Kollege Benda — er führte es eben auch aus —, nachdem er aus der Verantwortung entlassen ist, mutiger an die für ihn damals wohl unüberwindlichen Probleme heranwagt. Noch deutlicher aber wird das in seinen polemischen Äußerungen und Versprechungen, die er noch in den letzten Tagen und Wochen vor der Polizeibeamtenschaft abgegeben hat.Ich kann mich an dieser Stelle auf die sachliche Feststellung beschränken, daß die Bundesregierung die Notwendigkeit einer funktionsgerechten Laufbahnstruktur als Folge der gestiegenen und weiter wachsenden Anforderungen an die berufliche Eignung der Kriminalbeamten sehr schnell erkannt hat und dies mit dem Sofortprogramm in die Praxis umgesetzt hat. Sehen Sie, hier ist die Politik der Bundesregierung, die ich Ihnen ebenfalls vorführe, um sie zu unterstreichen und zu begrüßen. Ich brauche sie deshalb nicht im einzelnen zu wiederholen.Sechstens. Ebenso erblicke ich in der vom Sofortprogramm —
Ja, nun hören Sie hin! Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das alles so unangenehm ist, weil Ihnen das draußen um die Ohren geschlagen wird.
Sie aber handeln, so wie ich es eingangs sagte, frei nach der Methode „Haltet den Dieb!",
und tun so, als hätte das alles erst jetzt eingesetzt,als hätte es eine Kriminalitätsentwicklung erst gegeben, seitdem diese Bundesregierung im Amt ist.
— Das ist es ja eben.
— Ich sage Ihnen das ja. Hören Sie deshalb weiterhin gut zu!
— Haben Sie es noch nicht gemerkt?
— Ich überreiche es Ihnen auf einem Silbertablett. Vielleicht sprechen Sie darauf besser an. Aber Sie können mein Konzept nicht stören. Diesen Katalog der Unannehmlichkeiten müssen Sie über sich ergehen lassen.
Ich erblicke in der vom Sofortprogramm angesprochenen Zulagen- und Überstundenregelung für das Bundeskriminalamt wirksame und notwendige Voraussetzungen zur Personalgewinnung. Legt man den verzögerlichen Maßstab der von der CDU/CSU geführten früheren Bundesregierungen zugrunde, so müßten die Angehörigen des Bundeskriminalamts noch weitere 20 Jahre auf die Verbesserung ihrer materiellen Situation warten. Jetzt bekommen sie die Forderung erfüllt.
Diese Bundesregierung hat sich jetzt schnell und verantwortungsbewußt entschlossen und verdient dafür unseren besonderen Dank.Die Maßnahmen, die jetzt von der Bundesregierung getroffen worden sind, sollten auch die Länder veranlassen, auf diesem Wege entsprechende Entscheidungen zu treffen, die den aufgezeigten erhöhten Anforderungen an die Qualifikation von Schutz-und Kriminalpolizei gerecht werden.
— Ja, ich komme jetzt zu diesem Punkt. Warten Sie doch ab! Seien Sie doch geduldig! Ich bin schon da.
Ich bin schon bei Ihrer Frage nach den Auswirkungen der Änderung der Strafprozeßordnung
— das wollten Sie doch hören —, insbesondere des Haftrechts, auf die Arbeit der Kriminalpolizei. Hierauf hat der Bundesminister des Innern jetzt hinreichend geantwortet.
Jedenfalls wissen wir dazu heute entschieden mehr,als Herr Benda in seinem wiederholt zitierten Be-
Metadaten/Kopzeile:
4214 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Penskyricht vom 30. Januar 1969, also vier Jahre nach Inkrafttreten dieser oft als „Anwaltsgesetz" apostrophierten Strafprozeßnovelle offenbart hat. Damals — ich bitte hinzuhören;
ich muß es wiederholen, weil es wichtig ist —, vier Jahre nach Inkrafttreten dieser Strafprozeßnovelle, im Januar 1969, offenbarte der damalige Bundesinnenminister, daß die Erörterungen über die Auswirkungen der Strafprozeßnovelle auf die Verbrechensbekämpfung noch nicht zu einem Abschluß gekommen seien.
— Was hat denn das damit zu tun? Wir unterhalten uns darüber, was Sie hier feurig erklären und verwirklicht haben wollen in einer Richtung, über die wir uns sicherlich noch unterhalten müßten, wenn überhaupt darüber gesprochen wird.
Wir lassen ja über alles mit uns reden. Das darf ich hier anmerken. Aber wenn Sie heute hier ganz bewußt die Regierung mit einer bestimmten Tendenz drängen, dann muß man auch auf das hinweisen, was Herr Kollege Benda noch vor etwa einem Jahr dazu gesagt hat. Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie, Herr Kollege Benda, damals als Mitglied des Rechtsausschusses an der Novellierung desGesetzes mitgewirkt.
— Darüber werden wir uns ja unterhalten.
Sie haben hier ein Programm als „Zu-spät-Programm" bezeichnet. Sie haben uns einen Antrag auf den Tisch gelegt, in dem Sie diese Fragen ansprechen. Ich habe den Antrag zu dem Zeitpunkt bekommen, als diese Debatte begann, und muß da doch wohl sagen, ,daß dies ein „Zu-spät-Antrag hoch drei" ist.
Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß diese Frage einer Prüfung wert ist. Ich darf hier auch meine persönliche Meinung zum Ausdruck bringen und sagen, daß ich bereit bin, darüber mit Ihnen zu reden. Ich bin sicher, daß auch meine Fraktionskollegen die gleiche Bereitschaft zeigen werden. — Ich sehe, daß ich nur noch fünf Minuten Zeit habe. Ich muß mich deshalb bemühen, zum Schluß zu kommen. Ich will es kurz machen.Meine Damen und Herren, die Vorstellungen der Bundesregierung über die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Bund Ländern und darüber hinaus auch auf internationalem Gebiet sind zu begrüßen. Gerade diese Konzeption, die im Sofortprogramm an mehreren Stellen als konkretes Angebot zur Unterstützung der Exekutivaufgabender Länder angesprochen wird, macht deutlich, daß die Verbrechensbekämpfung in der heutigen Zeit als eine gemeinsame Aufgabe angesehen werden muß. Sie ist nur dann zu lösen, wenn alle daran beteiligten Strafverfolgungsbehörden zusammenwirken.An dieser Stelle möchte ich aber besonders hervorheben, daß die Tätigkeit der Schutzpolizei entscheidende Voraussetzung sowohl für die präventive als auch für die repressive Verbrechensbekämpfung ist und auch bleiben muß.
Wenn in der heutigen Debatte der Akzent mehr auf der Kriminalpolizei liegt, so ist die Ursache dafür ausschließlich darin zu suchen, daß sich die Bundeskompetenz im wesentlichen auf das Bundeskriminalamt beschränkt. Das ändert nichts daran, daß eine gut qualifizierte Schutzpolizei die wesentliche Grundlage für eine wirkungsvolle Verbrechensbekämpfung in allen Bereichen bildet.Ich habe nach diesen Ausführungen — wir werden sie sicherlich weiter vertiefen können — zum Schluß nur noch einen Satz zu sagen, damit es allen klar wird. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und, dessen bin ich sicher, auch die Koalitionsfraktion und die von ihnen getragene Bundesregierung werden sich von niemandem übertreffen lassen, wenn es um die Wahrung der inneren Sicherheit für die Bürger in diesem Staat geht.
Meine Damen und Herren, ich darf einen Augenblick unterbrechen und den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Scelba, sehr herzlich in unserer Mitte begrüßen.
Herr Präsident, der Deutsche Bundestag wird noch in dieser Woche über Wege zur Stärkung und Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments beraten und entscheiden. Es ist mir deshalb eine besondere Ehre und eine große Freude, Sie unter uns zu wissen als den Ersten Vertreter des Parlaments, auf das sich die Hoffnungen aller Europäer stützen und richten.
Herr Präsident, wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt in unserem Land.
Das Wort hat nunmehr der Bundesminister des Innern, Herr Bundesminister Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen, Herr Präsident, zunächst dafür zu danken, daß Sie den Kollegen Benda und das Hohe Haus darüber aufgeklärt haben, daß die Bundesregierung ihr Sofortprogramm bereits am Donnerstag letzter Woche, 18 Uhr, dem Deutschen Bundestag zugeleitet hat, in der Absicht nämlich, die Mitglieder des Hohen Hauses rechtzeitig über den Inhalt dieser Vorlage zu informieren. Eine Rückfrage hätte den Kollegen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4215
Bundesminister GenscherBenda in die Lage versetzt, das auch ohne Belehrung durch den Herrn Präsidenten zu wissen. Im übrigen trägt die Drucksache das Datum 29. Oktober 1970.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Benda?
Herr Minister, würden Sie mir, sofern Sie aus eigener Kenntnis dazu in der Lage sind, bestätigen, daß die Drucksache zu der von mir vorhin angegebenen Zeit, nämlich gestern, Dienstag, zwischen 9 und 10 Uhr, den Abgeordneten in die Fächer gelegt worden ist? Sind Sie zweitens in der Lage, entweder zu bestätigen oder zu dementieren, daß Sie dem Fraktionsgeschäftsführer meiner Fraktion, dem Kollegen Rasner, auf die Rückfrage, die Sie soeben erwähnt haben und die ich in der Tat veranlaßt habe, gesagt haben, die Drucksache sei auf ihren Wunsch nicht am Montag, sondern erst am Dienstag morgen, also gestern zu der von mir genannten Zeit, verteilt worden?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier nicht zu der Frage Stellung genommen, wann die Drucksache verteilt worden ist,
sondern ich habe mich gegen den Vorwurf verwahrt,
daß die Bundesregierung diese Vorlage dem Hohen Hause später als denkbar — nämlich später als am Tage der Beschlußfassung — zugeleitet habe. Es geht nicht zu unseren Lasten, daß sie erst in dieser Woche verteilt wurde. Herrn Kollegen Rasner habe ich auf Rückfrage in der Tat erklärt, daß die Bundesregierung am Donnerstag, am Tage der Beschlußfassung, auf eine Veröffentlichung dieses Programms gegenüber der Presse verzichtet habe, weil sie wollte, daß die Mitglieder des Hohen Hauses dieses Programm nicht aus der Presse kennenlernen, sondern hier im Hause durch eine Vorlage.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Benda? — Bitte!
Ich wäre Ihnen, Herr Minister, sehr dankbar, wenn Sie meine konkrete Frage — ich will sie jetzt wiederholen — beantworteten, ob Sie dem Kollegen Rasner gesagt oder nicht gesagt haben, daß die Drucksache auf Ihre Veranlassung erst gestern früh zwischen 9 und 10 Uhr verteilt worden ist.
Herr Kollege Benda, ich kann Ihnen noch einmal sagen, daß wir den Zeitpunkt der Verteilung nicht bestimmthaben und daß ich dem Kollegen Rasner nur erklärt habe, die Bundesregierung werde den Inhalt des Programms der Öffentlichkeit erst zu dem Zeitpunkt bekanntgeben, an dem es den Mitgliedern des Hohen Hauses vorliege, und das werde nach Mitteilung der Bundestagsverwaltung Dienstag in der Zeit zwischen 9 und 10 Uhr der Fall sein. Das ist allerdings der Gegensatz zu Ihrem Verhalten bei Ihrem Fünf-Jahres-Programm, das Sie dem Bundestag gar nicht zugeleitet, sondern nur der Öffentlichkeit bekanntgegeben haben!
Es ist dies übrigens ein Programm, von dem man sagen kann, es sei eine Zusammenfassung all der Dinge, die in Ihrer und in Ihrer Vorgänger Amtszeit hätten getan werden müssen, die Sie für notwendig hielten, deren Ausführung Sie aber Ihrem Nachfolger im Amt überlassen haben.
— Na ja, zum Umweltschutz muß ich nun wirklich sagen, daß wir da noch ein ganz anderes Programm abzuwickeln haben. Da sind wir, so würde ich sagen, auch ganz gut dran, Herr Kollege.Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist in der Tat nicht sinnvoll, über die Vergangenheit zu reden.
Aber ich möchte hier doch feststellen: Wenn jemand berechtigt ist, Kritik an jahrelangen Versäumnissen auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung und im Bereich der Polizeibesoldung — vor allen Dingen auch hinsichtlich der Stellung der Angehörigen des Bundeskriminalamtes — zu üben, dann sind es die Polizeibeamten selbst, aber nicht diejenigen, die das, was sie heute kritisieren, in ihrer Amtszeit hätten abstellen können.
Insofern weise ich nicht die Kritik, die auf das, was noch nicht geschehen ist, zielt, ihrem Inhalt nach zurück, sondern ich weise zurück, daß sich Herr Kollege Benda zum Sprecher dieser Kritik macht. Man kann Tränen der Rührung in die Augen bekommen,
wenn man hört und liest, wie der Amtsvorgänger des Herrn Kollegen Benda, Herr Lücke, am 6. Mai 1966 vor dem Hohen Hause über die unzureichende Ausstattung des Bundeskriminalamts und über die Tatsache geklagt hat, daß der Dienst für die Beamten dieses Amtes nicht mehr attraktiv sei. Er sagte, man bekomme keine Beamten mehr, weil inzwischen die Lage bei den Ländern viel besser sei. Das alles ist richtig. Ich frage mich nur, warum vom Mai 1966 bis zum Oktober 1969 nicht eine konkrete Maßnahme ergriffen worden ist, die geeignet gewesen wäre, den Dienst in der Weise attraktiv zu gestalten, daß die vorhandenen nicht besetzten Stellen hätten besetzt werden können.
Wir legen ein Programm vor, in dem es nicht nur heißt, die Laufbahn müsse attraktiver werden. Wir
Metadaten/Kopzeile:
4216 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bundesminister Genschersagen vielmehr, was wir jetzt und sofort tun wollen. Deshalb trägt das Programm mit Recht den Namen „Sofortprogramm", während ich Ihren Antrag, dem ich sachlich im wesentlichen zustimmen kann, der sogar eine Bestätigung unseres Programms ist, mehr als ein Programm der späten Reue bezeichnen möchte, der späten Reue, von der wir hoffen, daß die tätige Reue folgt, d. h. daß wir es dann gemeinsam verwirklichen können.
Welche sind die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreifen will? Das Problem beim Bundeskriminalamt ist zunächst einmal wie bei allen Polizeibehörden des Bundes und der Länder das Personalproblem. Das A und O ist die Behebung der Personalnot bei der Polizei. Deshalb werden wir für das Bundeskriminalamt Laufbahnverbesserungen schaffen, die entsprechend der Aufgabenstellung dieser oberen Polizeibehörde des Bundes vorsehen, daß nur noch Kriminalbeamte des gehobenen und des höheren Dienstes beim BKA tätig sein werden. Zweitens haben wir vorgesehen, daß die Zulagen beim Bundeskriminalamt — ein altes, seit Jahren von den Beamten mit Recht vorgetragenes Anliegen — endlich so gestaltet werden, daß sie denen anderer oberer Sicherheitsbehörden des Bundes angepaßt werden, nämlich des Bundesnachrichtendienstes, des MAD und des Bundesamtes für Verfassungsschutz.Beide Maßnahmen zusammen sind geeignet, endlich dem Dienst beim Bundeskriminalamt von dieserSeite her jene Attraktion zu geben, die bewirkt, daß wir die Hoffnung haben können, Kriminalbeamte für diesen Dienst zu finden und an diesem Dienst zu interessieren. Wir werden damit zugleich, vor allem mit den Regelungen für die Zulagen, erreichen, daß ein alter, seit Jahren vorhandener, immer wieder kritisierter Überstand beseitigt wird, der darin besteht, daß hochqualifizierte Ermittlungsbeamte beim Bundeskriminalamt mit ermittlungsfremder Tätigkeit beschäftigt werden, während im Ermittlungsbereich diese Beamten fehlen. Deshalb wollen wir jene Aufgaben, die nicht Ermittlungstätigkeit sind, durch Beamte der allgemeinen Verwaltung und durch Angestellte ausführen lassen, und diese Angestellten werden wir durch die Neugestaltung der Zulagen finden, die zum 1. Januar 1971 in Kraft treten soll.Ein ebenso seit Jahren bekanntes, noch immer nicht gelöstes Problem ist die Frage der Überstundenabgeltung, der Bezahlung der Überstunden, — übrigens nicht nur ein Problem für das Bundeskriminalamt, sondern für die Polizei insgesamt. Wir sind eben dabei, in der Abstimmung mit den Ländern und mit den anderen Bundesressorts die gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit diese Regelung wirklich geschaffen werden kann, damit wir eine gesetzliche Grundlage für eine angemessene Überstundenbezahlung erreichen, Das geschieht nicht — damit wir uns nicht falsch verstehen —, um an die Stelle nicht besetzter Stellen jetzt Überstunden treten zu lassen, sondern um für die Zeit, in der diese Überstunden noch notwendig sind, zu erreichen, daß der aufopferungsvolle Einsatz der Polizeibeamten imKriminaldienst, aber auch bei der Schutzpolizei wenigstens angemessen vergütet wird.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich feststellen, daß die Bundesregierung, obwohl sie im Bundeskriminalamt nur eine Kriminalpolizei des Bundes hat, mit besonderem Nachdruck hier betont, daß ein ganz wesentlicher Teil der Verbrechensbekämpfung sich im Bereich der Schutzpolizei vollzieht, die untrennbar mit einer Gesamtsicherheitskonzeption verbunden ist.
Hier liegt der Grund dafür, daß die Bundesregierung zugleich mit ihren Besoldungsvorstellungen für das Jahr 1971 auch in diesem Bereich durch eine Verbesserung der Polizeibesoldung erreichen will, daß der Dienst bei der Schutzpolizei so attraktiv wird, daß die Personalnot auch in diesem Bereich behoben werden kann.Wenn ich davon gesprochen habe, daß wir stärker und mehr als bisher beim Bundeskriminalamt Angestellte beschäftigen wollen, so meine ich damit zugleich, daß das nicht nur Hilfsfunktionen sein sollen, sondern auch Angestellte für Spezialfunktionen, für die Bamte zu gewinnen relativ schwierig ist.Meine Damen und Herren, in der ungewöhnlich angespannten Personalnot auch bei den Polizeien der Länder haben wir in den letzten Monaten ein zusätzliches dem Bund zur Verfügung stehendes Sicherheitspotential ausgeschöpft, indem wir z. B. für Sicherungsaufgaben auf den Flughäfen Beamte des Bundesgrenzschutzes eingesetzt haben mit dem Ziel, es den Ländern zu ermöglichen, mit den vorhandenen Polizeibeamten weiter die Aufgabe der unmittelbaren Verbrechensbekämpfung zu erfüllen, so daß sie nicht genötigt sind, aus diesem Bereich Beamte für die Flughäfen abzuziehen. Das alles sind Maßnahmen, die nicht mehr in dem Programm für morgen stehen müssen, die wir auch als eine Bilanz der ersten Monate unserer Tätigkeit erwähnen.Für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander wird es in der Tat notwendig sein, daß wir vor allen Dingen auf eine funktionsgerechte Organisationsstruktur der gesamten Polizei hinwirken. Das hat die Bundesregierung getan, und wir haben die feste Überzeugung, daß schon die nächste Innenministerkonferenz, bei der wir unsere Vorschläge dafür zur Diskussion stellen werden, ein erstes Arbeitsergebnis zeigt. Dabei besteht auch die Möglichkeit, sich über die Fragen der gleichen Ausbildung, der gleichen Ausrüstung zu unterhalten. Ich möchte hier nicht verschweigen, daß die Verhandlungen über die gemeinsame Ausbildung der höheren Beamten des Kriminaldienstes des Bundes und der Länder in Hiltrup praktisch abgeschlossen sind. Der Bund wird sich dort finanziell beteiligen, mit Lehrkräften beteiligen. Wir garantieren damit, daß alle höheren Polizeibeamten des Kriminaldienstes zusammen in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4217
Bundesminister Genschereiner Institution ausgebildet werden, ein Punkt, den ich wegen der Zusammenarbeit für unerhört wichtig halte.
Meine Damen und Herren, wer dieses Sofortprogramm zur Verbrechensbekämpfung studiert hat, wird feststellen, daß z. B. in einem besonders besorgniserregenden Bereich der Kriminalität, im Bereich der Ausländerkriminalität, beginnend mit dem 24. November 1969, wenige Wochen nach meinem Amtsantritt die ersten Maßnahmen eingeleitet worden sind. Es begann mit dem Auftrag, verstärkt Nachrichten über radikale Ausländergruppen zu sammeln. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 6. Mai 1970 soll die gesetzliche Grundlage dafür schaffen, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz durch eine klarstellende Erweiterung seiner gesetzlichen Zuständigkeit endlich in ausreichendem Maße radikale Ausländergruppen überwachen kann, um drohende Gewalttaten von Ausländern rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Am 19. Februar 1970 ist eine Weisung gegeben worden, daß das Ausländerzentralregister des Bundesverwaltungsamtes eine eigene, jederzeit benutzbare, für die Polizei Tag und Nacht zur Verfügung stehende Datenverarbeitungsanlage erhält, damit jederzeit Auskünfte abgerufen werden können. Diese Anlage wird bereits im Frühsommer 1971 installiert werden. Am 27. April 1970 schließlich haben wir den Innenministern und Innensenatoren der Länder Vorschläge zur Verbesserung der Bekämpfung terroristischer Ausländerorganisationen durch die Polizei unterbreitet.Hier ist von Herrn Kollegen Benda eine Kritik des Personalrats des Bundeskriminalamtes verlesen worden, die sich mit den baulichen Maßnahmen befaßt. In dieser Kritik ist auf meinen Besuch vom 27. November 1969 hingewiesen worden, wo mir die berechtigten Sorgen des Personalrats vorgetragen wurden. Niemand wird sagen können, daß die damals vorhandenen Sorgen Sorgen meiner Amtszeit seien. Aber aus dem Sofortprogramm ergibt sich unter Angabe von Terminen, welche Raummöglichkeiten wir durch zusätzliche Anmietungen für das Bundeskriminalamt, für die Sicherungsgruppe geschaffen haben, mit dem klaren Hinweis: das sind keine Lösungen der Probleme, es sind Übergangsmaßnahmen; auch die Baumaßnahmen, die wir bis 1972 vollenden wollen, werden am Ende noch nicht ausreichend sein.Deshalb haben wir für die längerfristige Planung in Aussicht gestellt, weitere Gebäude zu errichten. Nur bitte ich bei der Frage, ob es möglich war, diese Gebäude in wenigen Monaten hochzuziehen, nicht nur die Beschäftigungslage auf dem Bausektor, sondern auch zu sehen, daß das Bundesinnenministerium eine solche Sache nicht allein regeln kann, daß eine Zusammenarbeit mit den Baubehörden der Länder usw. erforderlich ist. Ich glaube, daß die jetzt vorliegende verbindliche Prognose auch zu einer Beruhigung bei den Beamten des Bundeskriminalamtes beitragen wird.Meine Damen und Herren, vor allen Dingen aber scheint mir wichtig zu sein, daß wir nicht beschränktauf das Bundeskriminalamt, sondern in klarer Erkenntnis auch unserer Gesamtverantwortung darauf hingewiesen haben, daß eine Reihe von besoldungsmäßigen Maßnahmen notwendig ist, um die Personalnot der Polizeibeamten bei Schutzpolizei und bei Kriminalpolizei zu beheben. Wir müssen erkennen, daß Ausbildung, Laufbahn und Besoldung die Voraussetzung für die Gewinnung qualifizierter Beamter darstellen. Das bedeutet auch — das möchte ich mit allem Ernst sagen —, daß wir alle gemeinsam — insofern sehe ich diese Debatte noch einmal als einen Versuch, bei den Fraktionen des Hohen Hauses eine gemeinsame Grundlage für die Verbrechensbekämpfung zu legen — dafür sorgen müssen, daß der Polizeibeamte in der Gesellschaft die Stellung einnimmt, die seiner verantwortungsvollen Aufgabe entspricht.Ich möchte folgende Sorge nicht verschweigen. Ich habe wiederholt feststellen müssen, wie wichtigste Entscheidung von Beamten beispielsweise der Besoldungsgruppen A 9 oder A 8 zu fällen sind. Die hier anwesenden höheren Beamten der Ministerien werden es mir nicht verübeln, wenn ich sage, daß mancher Polizeibeamte dieser Besoldungsgruppen A 9 oder A 8, mancher Beamte des Bundesgrenzschutzes in einer Nacht mehr sofortige, nicht durch Mitzeichnung und Rückfrage abgesicherte Entscheidungen fällen muß als mancher B-Gruppeninhaber im Laufe seines ganzen Beamtenlebens.
Ich finde, es ist notwendig, daß wir hier — dafür erhoffe ich die Unterstützung des ganzen Hauses — eben auch dieser besonderen Verantwortung in der Besoldung der Beamten Rechnung tragen. Wir haben den konkreten Vorschlag für das Bundeskriminalamt schon vorgelegt. Wir wollen im Besoldungsgesetz auch für die Schutzpolizei dazu etwas sagen. Ich bin sicher, daß die Länder uns, was die Laufbahn für die Kriminalpolizei angeht, folgen werden.Meine Damen und Herren, ich möchte hier sagen, daß zu einer wirksamen Verbrechensbekämpfung neben dieser Lösung der personellen Probleme, neben der technischen Ausrüstung, neben der Schaffung der Arbeitsmöglichkeiten für die Beamten der Polizei auch gehört, daß zu jeder Zeit und zu jeder Stunde und mit allen Möglichkeiten der Massenmedien auch die Schädlichkeit der Verbrechen für die Gesellschaft dargestellt wird.
Deshalb möchte ich auch von dieser Stelle die Kritik daran zurückweisen, daß sich Massenmedien in dieser oder jener Form in diesen Dienst der Verbrechensbekämpfung und der Aufklärung über die Folgen von Verbrechen stellen. Meine Damen und Herren, es geht darum, nicht nur über die Täter zu berichten, es geht darum, nicht nur zu zeigen, wenn sich möglicherweise der Gentleman-Verbrecher über Monate oder Jahre der Polizei entzieht, nein, wir müssen auch darstellen, wie die schädlichen Wirkungen auf den einzelnen Betroffenen sind. Mancher, der von Bagatelldelikten redet, weil es sich um 20 DM, um 30 DM, um 50 DM handelt, wird das Wort Bagatelldelikt nicht mehr so leicht
Metadaten/Kopzeile:
4218 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bundesminister Genscherin den Mund nehmen, wenn er einmal nachdenkt, was 30 oder 50 DM für einen betrogenen Rentner bedeuten. Deshalb ist die Verbrechensbekämpfung hier genauso wichtig wie bei den Großdelikten mit einem größeren materiellen Hintergrund.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte auch meine Bedenken anmelden gegen die Verniedlichung bestimmter Zeiterscheinungen, die am Ende in ihrer Auswirkung zu einer Häufung der Kriminalität führt, z. B. gegen die Verniedlichung des Genusses von Rauschgiften, was am Ende in fortgeschrittenen Phasen dazu führen kann, daß der Süchtige dann mit illegalen Mitteln versucht,
sich diese Rauschgifte zu besorgen. Deshalb messen wir der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität eine solche Bedeutung bei.Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Meine Damen und Herren, wir sind in einer Phase, in der manchmal für einen Beobachter der öffentlichen Meinung durch Äußerungen der Eindruck entstehen kann, als ob wir zu einer Verwischung zwischen Gewaltkriminalität und politischer Auseinandersetzung kommen. Es gibt Leute, die die Anwendung von Gewalt — noch dazu mit der für das Rechtsempfinden kaum verständlichen Unterscheidung der Gewalt gegenüber Sachen und Personen — dann als minderschwer betrachten, wenn sie Teil einer politischen Auseinandersetzung ist. Ich möchte dringend davor warnen. Ja, ich glaube, es ist notwendig, auchB) im Interesse der Erhaltung unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung, daß wir jeder Form von Gewaltanwendung den scharfen Kampf ansagen,
auch wenn sie verbrämt wird mit dem Mäntelchen einer ideologischen oder politischen angeblichen Überzeugung.
Meine Damen und Herren, für den Einsatz gerade gegenüber dem Gewaltverbrechen auf diesem Gebiet ist es notwendig, daß wir die hier vorgeschlagenen, schnell zu verwirklichenden Maßnahmen einleiten, damit sie dem einzelnen Polizeibeamten — ich erwähne hier nicht nur den Kriminalbeamten, sondern auch den Beamten der Schutzpolizei — zeigen, daß der Deutsche Bundestag ebenso wie die Bundesregierung den schweren Dienst kennt, und damit der einzelne Beamte weiß: Die politische Führung dieses Landes und die demokratische Vertretung stehen bei seinem Einsatz hinter ihm.
Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Strelitz.
Dr. Strelitz, Minister des Landes Hessen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, aus der Sicht zumindest eines Bundeslandes, nämlich Hessens, einiges auszuführen, von dem ich jedoch glaube, daß es in einer Art
Geschäftsführung ohne Auftrag praktisch auch für alle meine Kollegen gesagt wird; ich vermute jedenfalls, daß das, was ich zu sagen habe, ohne Unterschied der Hautfarbe, der Konfession und der Parteizugehörigkeit von den meisten Innenministern gebilligt werden wird.
Es ist schon fast eine Binsenwahrheit, daß die Kriminalität zunimmt. Aber ich würde sagen: Es gibt auch Binsenunwahrheiten wie die, daß die Polizei im Grunde nichts getan habe. Ich erlaube mir daher, hier festzustellen: Was als „Unruhe in der Polizei" bekanntgeworden ist, ist mehr als verständlich und berechtigt angesichts des Stresses, unter dem die Polizei steht. Aber es ist nicht begründet, daß eine Unruhe in der Bevölkerung vorhanden ist. Denn diese Polizei tut — das darf ich über die Grenzen des von mir zu vertretenden Landes hinaus sagen — ihre Pflicht. Das zeigt sich auch deutlich in einer Aufklärungsquote, die gerade bei den Kapitaldelikten trotz der Steigerung dieser Delikte nach wie vor über 90% liegt.
Wir müssen dabei ganz zweifelsohne feststellen, daß nicht nur die Regierungen, sondern die gesamte Bevölkerung dieser Polizei Dank schuldet. Ich hoffe, daß das eine Möglichkeit geben wird, den Stellenwert der Polizei, den Stellenwert der Öffentlichen Sicherheit bei dieser Gelegenheit anzuheben und diese Aufgaben gleichberechtigt neben andere wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben zu stellen.
Aus diesem Grunde danke ich — ich nehme an, auch alle meine Kollegen — der Bundesregierung und Herrn Bundesinnenminister Genscher für dieses Sofortprogramm.
Herr Staatsminister, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Thadden gestatten?
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß die Polizei auch dadurch verunsichert werden kann, daß auf ein geschätztes Mitglied der Polizei, auf einen Polizeipräsidenten, so lange parteipolitischer Druck ausgeübt wird, bis er weichen muß?
Dr. Strelitz, Minister des Landes Hessen: Sie dürfen wohl davon ausgehen, daß mir diese Frage nicht neu ist; denn sie ist, wie ich weiß, weit über den Bereich, in dem sie spielte — in der Stadt Frankfurt —, hinaus ständig ein beliebtes Steckenpferd geworden. Ich kann Ihnen aber noch viele Polizeipräsidenten nennen, die von jeder Seite angegriffen werden.
Das gehört ein bißchen zum Beruf. Von ,,Absetzen" in dieser Form ist keine Rede. Das macht einMagistrat. Ich glaube, das ist nicht der erste ausge-wechselte Polizeipräsident, meine Damen und Her-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4219
Landesminister Dr. Strelitzren. Ich glaube nicht, daß es mit den Grundsätzen der Polizei etwas zu tun hat, wenn ein Polizeipräsident — er ist ja, wie Sie sicherlich wissen werden, nach dem Beamtengesetz ein politischer Beamterausgewechselt wird.
— Ich kenne keine andere Begründung als die des Magistrats, meine Damen und Herren.
Ich weiß, daß Sie gern in dem Bereich dort in Frankfurt herumwühlen. Aber Sie dürfen sicher sein: Hier ist nichts Illegales geschehen, sondern es handelt sich um eine Maßnahme des Magistrats.Wenn es auch eine Binsenunwahrheit ist, daß auf diesem Gebiet eine Verunsicherung vorliege, würde ich doch meinen, daß die Sorge um die öffentliche Sicherheit keineswegs eine Angelegenheit ist, die auf Ressorts oder Grenzen und Zuständigkeiten beschränkt sein sollte. In dem Augenblick, wo die Rechtsbrecher eine bessere Bildung und Ausbildung erhalten, und in dem Augenblick, wo auch die potentiellen Rechtsbrecher mobiler und besser ausgerüstet sind, ist es selbstverständlich, daß mit dem Blick auf die Zukunft — auch auf die nähere, nahe und nächste Zukunft — die Polizei dementsprechend ausgerüstet und ausgebildet sein muß. Deshalb begrüßen die Länder — das möchte ich jedenfalls von meiner Sicht aus sagen — dieses Sofortprogramm. Wir haben unsere Bereitschaft zur Kooperation ja) vom ersten Augenblick an erklärt, auch in der Innenministerkonferenz, die ja heute so hart angegriffen wurde. Die Innenministerkonferenz — sie ist ja, jedenfalls politisch, ein sehr gemischtes Organ — hat sich diesen Aufgaben nicht verschlossen. Wir hoffen sehr, daß der Stellenwert der Polizei, wenn es um die Anhebung geht, auch in den Länderparlamenten entsprechend eingeschätzt wird. Ich darf für die heute hier nicht anwesenden Kollegen Schnur und Ruhnau, den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, die, wenn ich recht unterrichtet bin, morgen im Auftrage der Innenministerkonferenz mit den Polizeigewerkschaften verhandeln — damit habe ich den Bogen wieder in der großen Breite gespannt —, sagen, daß sie diese Problem ebenso klar erkannt haben wie die anderen. Die Staatssekretärskommission, die gegründet ist, stellt ja nicht den alleinigen Weg, sozusagen eine Einbahnstraße dar. Sie ist ein Mosaiksteinchen unter vielen, das dieses Problem als Gesamtbild darstellt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Problematik, mit der wir es im Bereich der öffentlichen Sicherheit zu tun haben, läßt sich mit folgenden Schlagworten zusammenfassen: Personalmangel, Ausbildung, Berufsbild, Besoldung, Laufbahn, Wohnung — dieses Thema ist heute, glaube ich, noch nicht angesprochen worden —, Ausrüstung und Organisation. Ich bin berechtigt, hier das zu wiederholen, was auch der hessische Ministerpräsident bereits erklärt hat, nämlich daß wir jedes Bundesgesetz auf dem Gebiete der Besoldung und der Laufbahn — erfreulicherweise ist ein solchesGesetz hier angekündigt worden; auch Herr Bundesinnenminister Genscher hat dieses Gesetzesvorhaben auf der Innenministerkonferenz bereits angekündigt — in Hessen sofort durchführen und anwenden oder sofort übernehmen werden. Wir sind auch sicher, daß der Hessische Landtag dann sofort das Weitere tun wird. Wir haben das ex cathedra erklärt.Wir sind weiter außerordentlich erfreut darüber, daß auch die Laufbahn Gegenstand der Überlegungen sein wird. Es ist ganz selbstverständlich, daß sich die Laufbahnvoraussetzungen an die veränderte Situation anpassen müssen. Ich freue mich außerordentlich, daß hier von Herrn Pensky und vom Herrn Bundesinnenminister festgestellt worden ist, daß wir — ich möchte es mit meinen Worten sagen — keinen Keil und keinen Graben zwischen Schutzpolizei und Kriminalpolizei schaffen dürfen.
Wer die Tätigkeit gerade der Ermittlungsgruppen der Schutzpolizei ein bißchen kennt, die ja häufig die ersten am Tatort sind und die die erste Spurensicherung vornehmen müssen, weiß, daß es verfehlt ist, hier überhaupt von einer Differenzierung zu sprechen. Es wäre sehr schlecht, wenn der Nachwuchs der Schutzpolizei dadurch gefährdet würde, daß man. sie als Polizei zweiter Klasse bezeichnet.
Ich kenne auch keinen Angehörigen der Kriminalpolizei, der in irgendeiner Weise jemals verlangt hätte, daß die Schutzpolizei minder eingestuft oder minder berechtigt sein sollte. Insofern ist auch die Frage der Einheitslaufbahn aus dem dogmatischen Begriff herauszuheben. Es ist klarzustellen, daß Kripo und Schupo nun einmal zusammengehören, und zwar im Interesse der Gesamtbevölkerung. In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, daß ich im Lande Hessen vor kurzem — es war im April — einen Erlaß habe herausgeben können, durch den ich gerade die Laufbahn bei der Kriminalpolizei aus der Ochsentour befreit habe. Also ganz so untätig, wie es vorhin behauptet wurde, sind die Länder auf diesem Gebiete ganz gewiß nicht gewesen.Hinsichtlich der Besoldung möchte ich folgendes sagen. Wir warten dringlichst darauf — wir hoffen, daß sich auch dieses Hohe Haus dazu bereit findet, das entsprechende Gesetz bald nach der Vorlage durch die Regierung zu verabschieden —, daß die Besoldung der Polizei jene Form annimmt, die erforderlich ist, um der Polizei in der modernen Gesellschaft ihren Stellenwert zu geben, damit auch von dort her gesehen, ich will nicht sagen: das Problem in der Vollbeschäftigungsgesellschaft für den öffentlichen Dienst absolut gelöst wird, aber doch auf alle Fälle eine Minderprivilegierung beseitigt wird.
Ein ganz wichtiges Problem ist die Wohnungsfürsorge. Wir sind sehr erfreut darüber, daß uns der Bundeswohnungsbauminister neulich sein dreigeteiltes Programm bekanntgegeben hat. Wir hoffen, daß gerade von dem Regionalprogramm wesentliche
Metadaten/Kopzeile:
4220 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Landesminister Dr. StrelitzImpulse ausgehen, indem angesichts der Einschränkung des sozialen Wohnungsbaus aus den bekannten Gründen, die auch hier in diesem Hause sehr oft erörtert worden sind, nunmehr eine Möglichkeit besteht — nicht durch eine Zunahme der sogenannten Töpfchenwirtschaft, der Spezialprogramme, sondern eingebettet in die allgemeinen Programme , die Wohnungsfürsorge für die Polizeibediensteten gerade in den Großstädten und Ballungsräumen — dort hapert es natürlich am meisten — vorwärtszutreiben. Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn junge Polizeibeamte, die von der Bereitschaftspolizei zum Einzeldienst übergehen, nachher etwa Wohnungsmieten in Höhe von 300 DM und mehr bezahlen müssen. Das ist eine unzumutbare Situation. Es ist notwendig, hier durch Sofortprogramme — ich denke nur an das Regionalprogramm des Bundeswohnungsbauministers — Abhilfe zu schaffen.Was die Einstellung von Verwaltungsangestellten, die Befreiung der Polizei von nichtpolizeilichen Aufgaben und die Übernahme derjenigen polizeilichen Aufgaben, die Spezialkenntnisse, etwa technischer Art, erfordern, angeht, möchte ich nur sagen, daß die Länderparlamente sicherlich bereit sind, ihre Haushaltsansätze und Stellenpläne in dieser Hinsicht zu verbessern. Wir fühlen uns da mit den Maßnahmen kooperativ verbunden, die hier vorgeschlagen worden und notwendig sind. Nicht jeder Fernschreiber muß eine Uniform tragen, sondern der Fernschreiber in den Polizeikommissariaten und in den Polizeistationen kann durchaus ein BAT-Angestellter sein. In Hessen haben wir das zu einem großen Teil durchgeführt.Ich gebe Ihnen gern zu, daß nicht allein schon durch den Stellenplan auch mehr Personal vorhanden ist. Durch den Stellenplan werden in der Vollbeschäftigungsgesellschaft natürlich nicht ohne weiteres auch geeignete Kräfte herbeigeschafft. Aber es wird doch ein Anreiz geschaffen, sich für diesen Beruf zu entscheiden.Es ist hier sehr viel davon gesprochen worden, was an der Kriminalpolizei unzulänglich sei. Ich darf aus dem von Herrn Kollegen Benda begründeten Antrag doch entnehmen, daß verlangt wird, die bestehende kommunale Kriminalpolizei solle aufgelöst und eine den Weisungen der Landeskriminalämter unterstehende staatliche Kriminalpolizei geschaffen werden. Ich darf Ihnen sagen, in Hessen, wo wir noch eine kommunale Kriminalpolizei haben, besteht keine Hinderung im Sinne der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Ich füge ganz freimütig hinzu, daß die kommunale Kriminalpolizei für mich kein Glaubensbekenntnis darstellt. Ich gehöre zu denen in meinem Heimatland, die davon ausgehen, daß wir auch die Kriminalpolizei und die Schutzpolizei noch verstaatlichen werden; ich hoffe, recht bald, nämlich in der neuen Legislaturperiode.Das hessische Gesetz über Sicherheit und Ordnung sieht aber bereits vor, daß unser Landeskriminalamt der kommunalen Kriminalpolizei. Einzel- und Gesamtweisungen erteilen kann. Unsere Durchführungsverordnung sieht das ebenfalls vor. Laufend werden auch solche Anweisungen erteilt und auchausgeführt. Das gleiche gilt übrigens für die überörtliche Zusammenarbeit. Wir kennen in unserem Lande keinen Fall, in dem es etwa dadurch an der Aufklärung einer Straftat gemangelt hätte, weil die kommunalen oder staatlichen Stellen nicht zusammengearbeitet hätten.Das geht sogar noch einen Schritt weiter. Die Innenminister haben am 1. April dieses Jahres ein Abkommen geschlossen — ein Abkommen, das hier verlangt wird, wie ich gelesen habe —, nach dem die grenzüberschreitende Verfolgung von Straftaten erlaubt ist, und zwar ist es erlaubt, nicht nur unmittelbar dem Fliehenden nachzusetzen, sondern ganz allgemein die Strafverfolgung vorzunehmen. Ich darf hinzufügen, daß das bundestreue Land Hessen das schon immer hat gegen sich gelten lassen. Wir haben schon immer zugelassen, daß Angehörige der Kriminalpolizei anderer Bundesländer oder auch die entsprechenden Bundesorgane auf unserem Boden tätig sind. Wir wollten lediglich eine Information über das Tätigwerden. Ein in München begangener Bankeinbruch kann jederzeit von den bayerischen Beamten in Hessen ermittelt werden. Das war schon immer so. Seit dem 1. April 1970 gilt das ganz allgemein für das gesamte Bundesgebiet.Es wird sehr viel davon abhängen, ob wir den Geist der Kooperation wirklich herstellen können. Wir begrüßen daher von der Länderseite her das Sofortprogramm. Wir sind der Meinung, daß es sich um eine einheitliche Auffassung von den zukünftigen und jetzigen Aufgaben der Polizei, sowohl der Kriminalpolizei als auch der Schutzpolizei, handelt. Da das angezweifelt wurde und ich meine, daß sich Herr Kollege Benda auf diesem Gebiet ein bißchen geirrt hat, Goethe aber gesagt hat, die Irrtümer des Menschen machen ihn recht eigentlich erst liebenswert, darf ich mir erlauben, Ihnen als einen Beitrag dazu das zu überreichen, was ich hier ankündigen wollte, nämlich eine Veröffentlichung, die aus meinem Hause stammt und meine Unterschrift trägt: „Polizei und Sicherheit in Hessen". Ich betrachte sie, Herr Bundesinnenminister, als einen Beitrag zu Ihrem Sofortprogramm, als eine kooperative Maßnahme eines Landes.Herr Kollege Benda, ich darf Ihnen die Veröffentlichung überreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verbrechensbekämpfung ist in unserem Lande grundsätzlich Sache der Länder. Nach Art. 73 Nr. 10 des Grundgesetzes hat der Bund lediglich die Gesetzgebung über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei, über die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes sowie über die internationale Verbrechensbekämpfung. Sie kann nach Art. 87 Abs. 1 des Grundgesetzes eine Zentralstelle für die Kriminalpolizei als bundeseigene Behörde einrichten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4221
Dr. RutschkeDie Bundesregierung ist der Meinung, daß im Rahmen der föderalistischen Struktur eine wirkungsvolle Verbrechensbekämpfung möglich ist, wenn Bund und Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle notwendigen Anstrengungen unternehmen. Der Bund kann hierbei Initiativen setzen. Er ist aus seiner Gesamtverantwortung heraus entschlossen, diese Möglichkeit wahrzunehmen.Der Leistungsfähigkeit des Bundeskriminalamts kommt eine besondere Bedeutung zu. Dieses Amt nimmt nach seinen gesetzlichen Aufgaben als Zentralstelle für die Verbrechensbekämpfung eine Schlüsselposition ein. Eine Verbesserung in der Verbrechensvorbeugung und in der Verbrechensabwehr kann dann erwartet werden, wenn dieses Amt in die Lage versetzt wird, seine gesetzlichen Funktionen schnell, umfassend und erfolgreich wahrzunehmen.Die wesentlichen Aufgaben des Bundeskriminalamtes sind nach dem Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes vom 8. März 1951:— alle Nachrichten und Unterlagen für die kriminalpolizeiliche Verbrechensbekämpfung und die Verfolgung strafbarer Handlungen zu sammeln und auszuwerten, soweit die Nachrichten und Unterlagen nicht lediglich eine auf den Bereich eines Landes begrenzte Bedeutung haben,— die Behörden der Länder über die sie betreffenden Nachrichten und die in Erfahrung gebrachten Zusammenhänge strafbarer Handlungen zu unterrichten,— nachrichten- und erkennungsdienstliche sowie kriminaltechnische Einrichtungen zu unterhalten,— strafbare Handlungen selbst zu verfolgen, wenn eine zuständige Landesbehörde darum ersucht, der Bundesminister des Innern es aus schwerwiegenden Gründen anordnet oder der Generalbundesanwalt darum ersucht oder einen Auftrag erteilt,— zur Unterstützung von polizeilichen Strafverfolgungsmaßnahmen Bedienstete zu den Polizeibehörden in den Ländern zu entsenden, wenn die zuständige Landesbehörde darum ersucht oder wenn dies den Ermittlungen dienlich sein kann,— im Einvernehmen mit einem Generalstaatsanwalt und einer obersten Landesbehörde eines Landes diesem Land die polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung zuzuweisen, wenn eine strafbare Handlung den Bereich mehrerer Länder berührt oder ein Zusammenhang mit einer anderen strafbaren Handlung in einem anderen Land besteht und angezeigt ist, daß die polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung einheitlich wahrgenommen werden.Meine Damen und Herren, die Probleme der Verbrechensbekämpfung lassen sich in zwei Gruppen teilen: in Massenkriminalität mit örtlicher Begrenzung — hierzu gehören im wesentlichen Eigentums-und Vermögensdelikte — und in schwere Straftaten mit überörtlicher Ausdehnung.Die Massenkriminalität zu bekämpfen, wird in erster Linie Sache der örtlich zuständigen Polizei bleiben müssen. Ihr kann aus der Sicht des Bundesinsbesondere mit verbesserter Kommunikation, d. h. mit einem engen Nachrichtenaustausch, Unterstützung gewährt werden.Die schweren Straftaten werden in zunehmendem Umfang überregional, weitgehend sogar international angelegt. Sowohl Gewaltverbrecher, Diebe und Einbrecher als auch Wirtschaftskriminelle, Rauschgift- und Waffenhändler, aber auch andere Tätergruppen wechseln für Vorbereitung, Ausführung und Verschleierung ihrer Delikte ständig den Aufenthaltsort innerhalb des Bundesgebietes und mißbrauchen die Vorteile des liberalen Grenzverkehrs.Hier setzt die Verpflichtung, auch die Notwendigkeit zur Unterstützung der grundsätzlich zuständigen Länderexekutive ein. Mit Nachrichtenaustausch allein ist dieser schweren Kriminalität nicht beizukommen. Es bedarf der Koordinierung gezielter Bekämpfungsmaßnahmen, der Bestimmung zenraler Kriminaldienststellen zur Durchführung der im Einzelfall innerhalb des Bundesgebietes notwendig werdenden Ermittlungen, auch der Absprache eines gemeinsamen internationalen Vorgehens. Außerdem muß der Bund eigene Ermittlungskapazität zur Unterstützung der Länder bereithalten und in Ausnahmefällen in der Lage sein, die ihm aus schwerwiegenden Gründen zur exekutiven Bearbeitung übertragenen Fälle zu übernehmen.Die an sich in diesen Bereichen der Kriminalitätsbekämpfung örtlich zuständigen kommunalen und staatlichen Dienststellen werden die Initiative des Bundes begrüßen. Sie sind durch Art und Umfang der angesprochenen Ermittlungskomplexe sehr oft überfordert. Außerdem zeigt sich, daß die Unart, die polizeiliche Kriminalstatistik auch als Erfolgsnachweis zu führen und auszulegen, der Bekämpfung überregionaler Kriminalität nicht gerade dienlich ist. Es soll manchmal sogar vorkommen, daß man sich bei der bekannten personellen und materiellen Zwangssituation, besonders in den kleineren Bereichen, nicht gern engagiert in Fällen, die sich nicht positiv auf die eigene Statistik auswirken.Nur aus der zentralen Sicht des BKA ist es möglich, zusammenhängende Verbrechenskomplexe in überregionaler, teils internationaler Ausdehnung rechtzeitig zu erkennen.Um unrationelles und wenig sachdienliches Nebeneinanderarbeiten mehrerer örtlicher Dienststellen zu vermeiden, kann das Bundeskriminalamt seit dem Inkrafttreten der Änderung des Bundeskriminalamtsgesetzes die zentrale kriminalpolizeiliche Bearbeitung einem Landeskriminalamt übertragen. Dieses Zuweisungsrecht ist allerdings an so viele formale Voraussetzungen gebunden — die Beteiligung aller im Einzelfall betroffenen obersten Landesbehörden und Generalstaatsanwälte sowie deren Einvernehmen und hängt oft so sehr vom guten Willen der Betroffenen ab, daß es bisher nur in den gewichtigsten Fällen praktiziert werden konnte. Knapp 20 Zuweisungen von Verbrechensserien, besonders auf dem Gebiete des Einbruchs und der Wirtschaftskriminalität, sind bisher in dieser Weise abgewickelt worden.
Metadaten/Kopzeile:
4222 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Dr. RutschkeEine erweiterte Kompetenz des Bundeskriminalamts wäre der Verbesserung der Verbrechensbekämpfung dienlich, bedarf jedoch der Abstimmung mit der derzeitigen Verfassungs- und Gesetzeslage.Mit eine entscheidende Frage ist, inwieweit der Dienst im Bundeskriminalamt attraktiver als bisher gestaltet werden kann. Der Herr Bundesminister hat bereits darauf hingewiesen; auch einige andere Redner haben das getan. Ich kann mich daher kurz fassen.Bisher lagen die Verhältnisse so, daß eine Berufung von Landeskriminalbeamten in das Bundeskriminalamt vielfach an materiellen Fragen scheitern mußte. Man kann von diesen Beamten nicht verlangen, daß sie Einkommenseinbußen durch ihre Versetzung nach Wiesbaden hinnehmen neben der Tatsache, daß sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen werden und die Mühe eines Umzugs — und was alles damit zusammenhängt — auf sich nehmen müssen.Gleichfalls ist besonders zu beachten, daß erhebliche Anforderungen an die Beamten gestellt werden, auch hinsichtlich der normalen Dienstzeit, deren Überschreitung bisher nicht abgegolten werden konnte.Es ist an sich unverständlich, daß nicht schon frühere Innenminister auf den Gedanken gekommen sind, Ermittlungsbeamte für ihre spezielle, qualifizierte Aufgabe vom allgemeinen Schreibtischdienst usw. freizustellen. Der jetzige Weg, den das Bundesinnenministerium beschreitet, für Schreibtischarbeiten und Innendienst Angestellte zu verwenden, um die qualifizierten Ermittlungsbeamten für ihre eigentliche Arbeit freizustellen, ist vorher leider nicht beschritten worden. Auf diese Art kann man wenigstens einen nicht unerheblichen Teil der qualifizierten Kräfte freibekommen, die dem Schutz gegen das Verbrechen dienen.In dem Sofortprogramm ist ferner Gewicht auf Aus- und Weiterbildung gelegt, aber auch auf moderne Arbeitsweisen wie elektronische Datenverarbeitung usw.Wenn wir wirklich eine schlagkräftigere Verbrechensbekämpfung durchsetzen wollen, muß es uns klar sein, daß wir sowohl im personellen als auch im sachlichen Bereich die Bediensteten der Kriminalbehörden so ausstatten müssen, daß ihre Arbeit maximal effektiv werden kann.Ich glaube, daß im Sofortprogramm der Bundesregierung, das der Bundesminister des Innern vorgelegt hat, alle schnell realisierbaren Möglichkeiten ausgeschöpft sind, die für eine sofortige Verbesserung der Situation notwendig sind. Im übrigen darf ich auch hier noch einmal ganz allgemein auf die Drucksache 1334 verweisen.Am Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich noch auf folgendes hinweisen. Zu den Anforderungen an kriminalistische Arbeit, die den Überlegungen zur Änderung des Laufbahnrechts zugrunde liegen, ist noch zu bemerken, daß sich die Polizei-und Kriminalbeamten mit immer neuen Methodender Tatausführung auseinandersetzen müssen. Jeder Fall liegt anders. Gute Kombinationsgabe, umfassende Ausbildung, fundierte Rechtskenntnisse sind ebenso erforderlich wie körperliche Eignung und charakterliche Qualifikation. Diese vielgestaltige Berufsmerkmale fordern eine attraktivere Laufbahnregelung, wie sie im Sofortprogramm vorgesehen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider . Für ihn sind 30 Minuten Redezeit beantragt.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! So richtig es immer sein wird, daß politische und gesellschaftliche Konflikte nicht mit Maßnahmen polizeilicher Prävention und Repression gelöst werden können, so notwendig scheint es mir zu sein, diese Parlamentsdebatte über die Verbrechensbekämpfung in einen allgemeinen und grundsätzlichen Verfassungszusammenhang zu stellen.Der Streit um den Standort der Polizei im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Ordnung wird so schnell kein Ende finden. Das ist nicht zu beklagen; denn die demokratische Verfassungsordnung unserer freiheitlichen Bundesrepublik Deutschland steht ebenso unaufhörlich zur Diskussion, wie sie permanent bedroht und gefährdet ist. Die Schutzfunktion der Polizei, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, hat sich an der konkreten Verfassungswirklichkeit zu orientieren. Wenn ich von Polizei spreche, meine ich die Kriminalpolizei ebenso wie die Schutzpolizei, und was an die Adresse der Schutzpolizei während der Debatte gesagt worden ist, mache ich mir auch persönlich zu eigen.Das Parlament ist auch für die Polizei höchstes Verfassungsorgan. Die Gesetze allein sind die Normen, nach denen sich polizeiliches Handeln auszurichten hat. Das bedeutet aber umgekehrt, daß derjenige, der den Polizisten in Dienst stellt, nämlich der Staat, und von ihm verlangt und erwartet, daß er Verbrechen verhindert und Straftaten verfolgt und aufklärt, ihm auch die Instrumente geben muß, die ihn in den Stand setzen, seinem Dienstauftrag nachzukommen.
Öffentliche Sicherheit und Ordnung sind Begriffe, die zum Kerninhalt demokratischer Zustände und demokratischer Freiheit zählen. Wer etwas aufmerksam auf Stimmen hört, die in der Diskussion über die Verbrechensbekämpfung laut werden, muß gelegentlich den Eindruck gewinnen, als wäre es wichtiger, die Verbrecher vor dem Zugriff des Staates zu schützen, als den Staat und seine Bürger vor Gewaltakten und Gewalttaten der Verbrecher zu schützen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4223
Dr. Schneider
Welchen verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Funktionswert hat die Polizei in unserem Staat?
Diese Fragestellung läßt schon erkennen, was ich unter Polizei verstanden wissen möchte, nämlich einen verfassungsmäßig gesicherten und gesetzlich umschriebenen Bestandteil unserer freiheitlichen Demokratie. Demokratie und Polizei gehören ebenso zueinander wie die Freiheit der Lehre und Forschung zu unseren Universitäten.Alle Diskussionen über die Polizei und Verbrechensbekämpfung leiden vielfach unter dem Mangel eines unzulänglichen Ordnungsverständnisses und Sicherheitsverständnisses mancher Teile in der Bevölkerung. Der Staatsbürger will seine demokratische Freiheit in den Grenzen der staatlichen Ordnung und in der durch den Staat gewährleisteten öffentlichen Sicherheit erfahren. Die freie Entfaltung der Person ist untrennbar mit der Unverletzlichkeit verknüpft. Wer hier die Eingriffsmöglichkeiten des Staates schwächt und die polizeilichen Sicherheits- und Ordnungskompetenzen mindert, verletzt die Freiheits- und Sicherheitsgarantie des einzelnen Staatsbürgers.Von dieser fundamentalen Verfassungssicht aus gewinnen alle konkreten und detaillierten Überlegungen, wie der polizeiliche Einsatz wirkungsvoller und erfolgreicher gestaltet werden kann, einen grundsätzlichen, und, wie mir scheint, rechtlich wie moralisch bestimmenden Aspekt. Die Demokratie lebt von der gewaltlosen politischen Auseinandersetzung. Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung untergräbt die demokratische Staatsform. Der Gesetzgeber aber, der die Liberalisierung des Strafrechts durch eine Verschärfung des Polizeirechts auffangen will, handelt nach dem höchst anfechtbaren Grundsatz: Was der Gesetzgeber verdirbt, muß die Polizei wiedergutmachen, sofern sie dazu in der Lage ist. Solches Verhalten ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich und fragwürdig. Bei den betroffenen Polizeibeamten aber führt es zur Resignation und Berufsverdrossenheit. Die Polizei muß in vollem Einverständnis mit der Bevölkerung, dem Gesetzgeber, dem Staatsanwalt und Richter handeln. Sie muß sich verstanden, unterstützt, bestätigt und ermutigt wissen.Hierzu wenige kritische Hinweise auf die jüngste Gesetzgebung des Bundestages und die gelegentlich beobachtete polizeiliche Führungspraxis.Erstens. Die Liberalisierung des Strafrechts, insbesondere des Demonstrationsrechts,
und das Straffreiheitsgesetz haben zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage geführt. Die gewalttätige politische Auseinandersetzung wurde erleichtert. Extreme Gruppen werden zugunsten der Sicherweit aller bevorzugt. Der Staat ist insgesamt wehrloser, die Polizei insgesamt hilfloser geworden.Zweitens. Massive Kampfansagen an den Rechtsradikalismus, zu denen ich mich bekenne und die ich vorbehaltlos unterstütze, sind unglaubwürdig, wenn man fast ohne Reaktion extreme linke Kräfte gewähren läßt.
Ich bin dem Herrn Innenminister sehr zu Dank verbunden, daß er am Ende seiner Ausführungen zu diesem Thema ein klares Wort und dabei auch den Beifall der Opposition gefunden hat. An unsere Adresse, Herr Innenminister, war dieser Appell nicht zu richten. Ich wünsche nur, daß Sie bei diesen Ihren Intentionen in Ihrem Amt jederzeit auf allen Seiten dieses Hauses, auch in Ihrer Koalition, Unterstützung finden werden.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ich höre immer bissige Stimmen. Ich merke, daß Ihnen einiges nicht gefällt.
Das ist mir freilich nicht neu.
— Ich werde Ihnen gleich mal etwas Gescheites sagen. Der Herr Innenminister aus Hessen hat von dem Standort der Polizei in Staat und Gesellschaft gesprochen und er hat darauf hingewiesen, welch wichtige Funktion die Polizei im Staate innehat und auszuüben verpflichtet ist. Ich muß allerdings sagen: wie muß dieser Funktionswert der Polizei und höchster Polizeibeamter in der Öffentlichkeit gewertet werden, wenn ein Beamter — gestatten Sie, daß auch ich auf den Fall Littmann zurückkomme —, dem man fachlich, persönlich, in seiner polizeilichen und beruflichen Leistung nichts vorzuwerfen hat,
nur deswegen aus dem Amt gedrängt wird — zudem noch von unzuständigen Stellen —, weil er seinen Gesetzes-, Amts- und Verfassungsauftrag genauso verstanden hat, wie es soeben der Herr Bundesminister in diesem Hause vorgetragen hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß der hier mehrfach angesprochene ehemalige Polizeipräsident von Frankfurt, bevor der Magistrat über seine Entlassung beschlossen hatte, in der Öffentlichkeit erklärte, er wolle mit dem neugewählten Oberbürgermeister nicht zusammenarbeiten, und daß erst dann die Entlassung erfolgt ist?
Metadaten/Kopzeile:
4224 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Herr Kollege, wie gut muß dieser Polizeipräsident den neugewählten Oberbürgermeister, vielmehr seine spezifische Einstellung zu diesem Problem gekannt haben, bis er diese Ausführung gemacht hat!
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? — Bitte.
Herr Kollege Schneider, sind Sie in der Lage, zu bestätigen, daß der vorgenannte Oberbürgermeister von Frankfurt seinerzeit Unterbezirksvorsitzender der SPD von Frankfurt war und daß der Unterbezirksparteitag der SPD den Mißtrauensantrag gegen den Herrn Littmann, von dem Sie soeben gesprochen haben, angenommen hat?
Herr Kollege, ich bin durchaus in der Lage, dies zu bestätigen.
Nun, Herr Kollege Schäfer, es wäre mir ein ganz Leichtes, ex tempore viele Fälle, von denen ich hier gesprochen habe und bei denen ich mich in voller Übereinstimmung mit dem Herrn Innenminister befinde, vorzutragen. Aber das Thema der Verbrechensbekämpfung verdient es, noch einige grundsätzliche Dinge hinzuzufügen.
— Wissen Sie, wenn einer spricht und einer zuhört und es tritt die Meinung auf, daß das, was gesprochen wird, nichts Gescheites sei, so muß es lange nicht immer beim Redner liegen.
Drittens. Der Gefahr, die von extremen Ausländergruppen, insbesondere von Flugzeugentführern etc., ausgeht, ist die Bundesregierung nicht genügend begegnet. Die Grenzkontrollen sind nicht entschieden genug verschärft worden. Die Bundesregierung müßte mehr als bisher auf internationale Vereinbarungen in diesem Zusammenhang hinwirken.
Viertens. Bis zu 3000 Kriminalbeamte haben sachfremde Aufgaben zu erfüllen, die in der Polizeistatistik nicht erscheinen, weil sie keine kriminalistischen Tätigkeiten darstellen. Die Zusammenarbeit der Polizei auf Bundesebene ist in hohem Maße — hier stimme ich mit den Vorrednern überein — ein Kommunikationsproblem. Die elektronische Datenverarbeitung kann hier entscheidende Verbesserungen bringen. Es ist Sache des Bundes, realisierbare Gesamtkonzepte zu entwerfen.Ein Weiteres. Ich bin auch davon überzeugt, daß eine zügige Ermittlung, schnelle Aufklärung und unverzügliche gerichtliche Aburteilung, selbstverständlich unter strenger Beachtung der rechtsstaatlichen Grundsätze unserer Verfassung, einem weiteren Ansteigen der Kriminalität entgegenwirken und die Staatsautorität im rechtsstaatlichen Verständnis der Bürger festigen können.Meine Damen und Herren, was ich hier sage, ist nicht selbstverständlich. Jedenfalls gibt es sogar unter denjenigen, die es vor allem angeht, erhebliche Meinungsunterschiede. Was meine ich damit? In einer soeben erschienenen Polizeidenkschrift — sie stammt von der GdP — steht folgender Satz; man mag mir gestatten, ihn zu zitieren:In einer freien Gesellschaft muß sich die Polizei auf die Verhinderung sozial schädlichen und sozial gefährlichen Verhaltens beschränken.Richtig!Das bedeutet Orientierung an der Sicherheitsfunktion und Hintansetzung der Ordnungsfunktion. Von dieser entschiedenen Differenzierung sind wir vorläufig noch entfernt.Ich sehe in dieser Kontrastierung der beiden ursprünglichen und bis heute gültigen Funktionen der Polizei eine dialektisch zugespitzte Formel, die den Kern des Problems nicht deutlich genug darstellt und geeignet sein kann, die Polizei als Ordnungshüter in falsche Zusammenhänge und sachfremde Bezüge zu rücken.Zweifelsfrei ist es auch heute noch Aufgabe der Polizei, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Dabei ist unter „öffentlicher Ordnung" die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit zu verstehen, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung eines geordneten Gemeinschaftslebens betrachtet wird. Von einer „öffentlichen Ordnung" kann nur so lange gesprochen werden, als niemand in seinem Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit behindert wird. Ich erinnere an Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes. Es ist gut, wenn man diesen Grundrechtsartikel einmal allen Bürgern, aber auch allen Mitgliedern dieses Hauses ins Gedächtnis und ins Gewissen zurückruft.Diese Verfassungsnorm schließt Fortschritt, Wandel, Modernität und alle anderen Variationen einer sinnvollen, progressiven Anpassungsfähigkeit an veränderte Umstände keinesfalls aus. Gerade wer in der Rechtsstaatlichkeit eine unerläßliche und unschätzbare Voraussetzung für den sozialen Fortschritt zu sehen bereit ist, wird zugeben müssen, daß die Güter und Werte eines Rechtsstaates nur im Rechtsfrieden und in den Grenzen der Ordnung von Verfassung und Recht geschaffen, erlebt und verbraucht werden können.In derselben Polizeidenkschrift steht u. a. noch, daß sich die Polizei nicht als kompromißloser Kämpfer für law and order gegen die Feinde der Gesellschaft verstehen dürfe. Dagegen vertrete ich ent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4225
Dr. Schneider
schieden die Auffassung, daß alle Sicherheitsorgane des Staates, die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte, uneingeschränkt verpflichtet sind, unsere freiheitliche Staatsordnung und die individuelle, persönliche Integrität des einzelnen mit allen gesetzlichen und materiellen Mitteln zu schützen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Schneider, würden Sie mir einmal sagen, wo die Polizei nicht die Mittel angewandt hätte, die das Gesetz vorsieht bzw. wozu es die Polizei verpflichtet, wobei ich davon ausgehe, daß Sie wissen, daß die Polizei nach § 163 der Strafprozeßordnung bei gewissen Tatbeständen zum Handeln verpflichtet ist. Würden Sie mir bitte sagen, wo Ihre Beanstandung hinzielt. Oder ist das allgemeines „Gerede", so sagte man hier, genauso wie das Vorherige?
Herr Kollege, ich habe einen Artikel der jüngsten Denkschrift der GdP zitiert. Und da steht, daß die Polizei nicht die Aufgabe habe, sich als kompromißlosen Kämpfer für law and order zu verstehen. Diesen Satz und nichts anderes habe ich kritisiert.
Die Polizei als Ganzes und der Polizeibeamte als einzelner müssen wissen und in diesem Bewußtsein leben und ihrem Beruf nachgehen können, daß die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden ein zutreffendes Berufsbild von der Polizei haben oder zu entwickeln bereit sind. Die Polizei muß sich eingeordnet und eingesetzt sehen nach den Richtlinien und Zielplänen einer entschlossenen und einsatzbereiten Sicherheitskonzeption der öffentlichen Hand. Die Bevölkerung muß begreifen, daß die innere Sicherheit ein Bestandteil der sozialen Verfassungswirklichkeit ist. Es wird keinen sozialen Fortschritt geben, der nicht durch ein System der inneren Ordnung geschützt ist und dadurch erst realisierbar gemacht werden kann. Das Verbrechen ist nicht nur ein Anschlag gegen den einzelnen in der Gesellschaft; es bedeutet als gemeinschaftswidriges Verhalten eine Gefahr für die Gesellschaft aller und für den Staat als Schutzordnung für die Gemeinschaft.Wer ein modernes, liberales Strafrecht schaffen und die Organisation und das Berufsbild der Polizei reformieren will, muß sich dieses fundamentalen Erfahrungssatzes bewußt sein: Wohl kann es Staaten mit öffentlicher Sicherheit und Ordnung ohne demokratische Verfassung geben, niemals aber wird eine Demokratie von Bestand sein, in der öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gewährleistet sind. Daran mögen auch all jene denken, die allzu rasch, allzu unbedacht den starken Mann herbeisehnen oder auch herbeirufen wollen.
— Ich habe von diesen Kräften in meiner Rede schon einmal gesprochen. Ich habe mich hier eindeutig festgelegt.
Sicherheit und Ordnung sind keine absoluten Werte, die allein schon genügten. Sicherheit und Ordnung sind immer unter dem Gesamtaspekt unserer geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassungssätze zu sehen und zu verstehen. Dabei darf die Freiheit der politischen Diskussion ebensowenig eingeschränkt werden, wie es den Verfassungsorganen erlaubt wäre, tatenlos zuzusehen, wie das Verbrechen in jeder Schattierung und Färbung frech sein Haupt erhebt.
Was ich hier meine, hat Max Frisch in seinem Lehrstück „Biedermann und die Brandstifter" sehr deutlich und eindrucksvoll vor Augen gestellt: Wehret den Anfängen.Meine Damen und Herren, ich bin mir bewußt, daß ich mißverstanden werden kann und vielleicht auch werde, wenn ich dem hinzufüge: Begriffe wie Autorität, Ordnung, Pflicht und Disziplin sind heutzutage vielen in unserem Lande suspekt. Ihre Sinngehalte und Wertvorstellungen werden mittels dialektischer Tricks und hemmungsloser ideologischer Verdächtigungen ins Gegenteil verkehrt. Aus „Autorität" wird „autoritär" ; manche machen noch den Unterschied zwischen Amtsautorität und Sachautorität. „Ordnung" wird als repressive Unterdrückungsformel mißdeutet und verteufelt, Pflicht als Ausdruck einer antidemokratischen Gesinnung diffamiert, und Disziplin wird mit Galeerenzucht und Sklavenpeitscherei gleichgesetzt.Lassen Sie mich noch zu einem speziellen Problem kommen, zu dem des jugendlichen Täters. Der hohe Prozentsatz jugendlicher Straftäter legt die Frage nahe: Werden durch den Vollzug der Jugendstrafe die Verurteilten tatsächlich dazu erzogen, künftig einen rechtschaffenen und verantwortungsbewußten Lebenswandel zu führen, wie dies in § 91 des Jugendgerichtsgesetzes festgelegt ist? Ordnung, Arbeit, Unterricht, Leibesübungen und sinnvolle Beschäftigungen in der freien Zeit sind die Grundlagen für die Erziehung beim Vollzug der Jugendstrafe. Wie ist es aber in der Bundesrepublik Deutschland um die Resozialisierung der Straftäter — namentlich der jugendlichen — bestellt? Wir kennen die Bewährungshilfe für den auf Bewährung ausgesetzten Strafvollzug; wir kennen sie aber nicht dann, wenn der jugendliche Straftäter seine Haft in vollem Umfange verbüßt hat.
Metadaten/Kopzeile:
4226 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Dr. Schneider
Dieses Problem ist im Hinblick auf die Wiederholungstäter von großer Wichtigkeit. Aus der Wissenschaft wissen wir, daß 85 % aller Jugendkriminellen als Pseudokriminelle anzusehen sind, deren Neigung zum Verbrechen mit der größeren Lebensreife der Volljährigkeit als überwunden angesehen werden darf. Der Jugendstrafvollzug muß daher von allen Mängeln befreit werden, die dazu führen, daß seine pädagogischen Chancen ungenutzt bleiben müssen. Jugendstrafe ist die härteste Form und auch die letzte Chance eines Erziehungsversuchs. Es darf nicht vorkommen, daß während des Jugendstrafvollzugs der jugendliche Straftäter eben genau den Einflüssen ausgesetzt wird oder bleibt, die zu den psychischen Fehlentwicklungen und sozialen Entgleisungen geführt haben. Die Jugendlichen müssen jede Möglichkeit erhalten, ihre Fähigkeit zu entwickeln, nach der Strafverbüßung sich wieder in der Gesellschaft zurechtzufinden.Ich darf beispielsweise eine Statistik aus dem Lande Bayern anführen, die die Entwicklung der Zahl der Wiederholungstäter zeigt. Im Jahre 1969 gab es bei den Jugendlichen insgesamt 8754 Straftäter, darunter 2377 Wiederholungstäter; das ist ein Prozentsatz von 27,2. Darunter sind 103 Jugendliche, die mehr als viermal vorbestraft waren. Bei Heranwachsenden gab es 4571 Straftäter, darunter 1939 Wiederholungstäter; das sind 42,4 %. Die Zahl der Straftäter, die mehr als viermal vorbestraft waren, betrug hier 181 oder 4 % Warum führe ich das aus?
— Ich hätte von Ihnen, Herr Professor Schäfer, einen intelligenteren Zuruf erwartet,
einen viel intelligenteren. Das Problem ist auch gar nicht geeignet, zu polemisieren. Was besagt denn das? Das besagt doch — —
— Darüber gibt es gar nichts zu lachen. Jedenfalls finde ich das höchst merkwürdig, wenn solch eine Passage, wo man Ausführungen darüber macht, daß die Gesellschaft den haftentlassenen Jugendlichen in einer Weise betreuen muß, daß ein Hans Fallada— „Wer einmal aus dem Blechnapf fraß" — ein für allemal der Vergangenheit angehört — —
— Ich darf Ihnen sagen: ich spreche von der Verbrechensbekämpfung. Ich könnte Ihnen ja eine Statistik aus Hessen anführen.
— Ich werde sie Ihnen nachreichen.
Ich bin aber ganz sicher, daß die Zahlen dort nicht günstiger sein werden als in Bayern.
Herr Kollege Dr. Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pensky?
Herr Kollege Dr. Schneider, würden Sie mir zugestehen, daß es in der Tat eine Landesangelegenheit ist, die Bewährungshilfe durchzuführen? Und das ist auch keine Frage der Verbrechensbekämpfung, die, wie wir ja wissen, geteilt ist, die aber, wenn schon, dann in den Ländern durchgeführt werden müßte.
Herr Kollege Pensky, darüber kann es ja überhaupt keinen Streit geben. Wenn man von Verbrechensbekämpfung spricht, dann muß man doch schließlich auch den Gedanken mit in die Betrachtung einbeziehen: weshalb wird denn der jugendliche Straftäter straffällig, und warum wird er denn wiederum straffällig? Was stimmt denn da im Staat, was stimmt denn da in der Gesellschaft nicht? Das ist doch eine Betrachtung, die man bei einer solchen Diskussion in sachlicher Weise anstellen muß.- Dabei muß ich sagen — das hat diese Debatte doch eindeutig ergeben —, daß man über Verbrechensbekämpfung keineswegs nur unter bundespolitischen Aspekten sprechen kann. Wer dies wollte, würde doch zunächst feststellen müssen, daß die Kompetenzen des Herrn Bundesinnenministers bezüglich des heutigen Themas außerordentlich gering sind. Sicher, es hat ja ein Landesminister gesprochen, und spätestens, nachdem der Herr Innenminister aus Hessen hier in die Debatte eingegriffen hat, war ich doch berechtigt und sachlich dazu befugt, landespolitische Aspekte in die Debatte einzuführen.
Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie so nervös macht. Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb Sie in Verkennung der sozialen Lage sich hier als Sozialdemokraten aufregen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Pensky?
Herr Kollege Dr. Schneider, würden Sie bereit sein, zu unterscheiden, daß die Frage der Verbrechensbekämpfung im engeren Sinne, wie sie beispielsweise aus Ihrer Großen Anfrage hervorgeht, eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern ist, was hier deutlich gesagt worden ist, während die Bewährungshilfe ausschließlich eine Aufgabe der Länder ist?
Ich gebe Ihnen voll recht. Ich habe auch nichts Gegenteiliges behauptet. Ich habe nur gesagt, wenn wir das Verbrechen bekämpfen wollen, müssen wir die Ursachen beseitigen, die zum Verbrechen führen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Schäfer?
Bitte sehr!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4227
Herr Kollege Schneider, ich bin mit Ihnen vollkommen einig, daß es eine der wichtigen Fragen der Verbrechensbekämpfung ist, die Probleme des Strafvollzugs, insbesondere des Jugendstrafvollzugs, ernsthaft zu prüfen. Deshalb frage ich Sie, nachdem Sie hier dazu Ausführungen machen: Haben Sie sich mit den verschiedenen Lösungsformen, die die einzelnen Landesregierungen in den letzten Jahren eingeleitet haben, beschäftigt?
Ich kann diese Frage mit Ja beantworten. Ich könnte jetzt weitere Ausführungen dazu machen. Ich muß aber zum Ende kommen; ich habe ohnedies durch Zwischenfragen einige Zeit verloren.
Ich möchte in dem Zusammenhang nur die Frage stellen: Wer stellt den haftentlassenen Jugendlichen ein, wer betreut ihn beruflich, wer hilft ihm ausbildungsmäßig weiter, wer holt ihn aus der persönlichen Isolierung, der gesellschaftlichen Abseitsstellung heraus? Die Organisationen der staatlichen, der kommunalen, der freien sozialen Jugendhilfe, die Gewerkschaften, die Unternehmer, besondere Resozialisierungseinrichtungen der öffentlichen Hand oder der freien Wohlfahrtspflege? Wer von Verbrechensbekämpfung spricht, muß sich auch fragen, wo, wann, wodurch und durch wen der Mensch zum Straftäter wird, wo der soziale Bruch, die sittliche Krise liegt. Wer hat an dem jugendlichen Menschen versagt? Wer hat ihn verführt? — Ich denke nur an die Rauschgiftsüchtigen und an das gesamte Problem, das auch in der Statistik zum Vorschein kommt. Nicht selten steht ein Jugendlicher vor den Schranken des Gerichts und erwartet den Schuldspruch des Richters. Nicht zu verantworten aber hat sich sein Verführer, sein geistig-moralischer Verderber.
Wenn wir mit der Verbrechensbekämpfung erst dort beginnen, wo die Polizei präventiv oder repressiv einschreiten muß, wo der Staatsanwalt gerufen wird und der Richter strafen soll, verhalten wir uns ähnlich den törichten Menschen, die sich erst dann um ihre Gesundheit kümmern, wenn nur noch der Arzt das Schlimmste zu verhüten vermag. Ich stelle dies nicht in weltfremder Verkennung der harten Tatsachen fest, mit denen wir uns hier im Bereich der Verbrechensbekämpfung zu befassen haben. Ich meine aber, daß die Verherrlichung des Gewalttäters in den publizistischen Medien ein Ausmaß erreicht hat, das in den meisten Fällen die Grenzen des guten Geschmacks, des menschlich Zumutbaren und rechtsstaatlich Hinnehmbaren weit überschreitet. Mord, Grausamkeit, Brutalität, Unmenschlichkeit, Perversionen jeder Spielart und Verderblichkeit werden freimütig in Kinos und auf den Fernsehschirmen gezeigt. Verbrecher schreiben ihre Lebenserinnerungen und feiern als Lebenslängliche draußen in der Freiheit den Triumph ihres „tragischen Schicksals". Der Deutsche Presserat hat solcherlei Veröffentlichungen für unvereinbar mit der publizistischen Verantwortung der Presse gehalten. Indessen hat sich seit seinem Votum vom 19. September 1968 in dieser Sache nichts geändert.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Schäfer?
Herr Kollege Schneider, nicht zu Ihren letzten zwei Sätzen. Ihre vorherigen Ausführungen geben mir Anlaß zu der Frage, ob ich aus Ihren Ausführungen über die Bedingtheit des Verbrechens schließen darf, daß Sie die Gedanken und Arbeiten des früheren Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer mit unterstützen und sich zu eigen machen?
Ich kenne nicht alle Gedanken und Ausführungen des Herrn Generalstaatsanwalts Bauer, hatte aber mehrfach Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, als er als Referent bei den „Nürnberger Gesprächen" aufgetreten ist. Ich habe diesen Mann geschätzt, und ich habe das, was er zu sagen hatte, durchaus ernst genommen.
Es würde mich freuen, wenn Sie mir dann in folgendem zustimmen könnten, verehrter Herr Kollege Schäfer.Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, ob die bildliche und szenische Darstellung von Verbrechen aggressionslösend oder aggressionsfördernd ist. Abreaktionstheorie hin, Affektfreisetzungstheorie her — der gesunde Hausverstand des Normalbürgers sieht ein, daß die Gewalt als Unterhaltungsstoff für den jungen Menschen nicht gut sein kann. Es komme mir aber jetzt niemand mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, das in Art. 5 des Grundgesetzes verbürgt ist.Lassen Sie mich zum Schluß kommen und folgendes feststellen. Es ist eine gesicherte kriminologische Erkenntnis: Senkt sich für den Verbrecher das Risiko, dann muß ein höheres Maß an Kriminalität in Kauf genommen werden. Dagegen kann auch der Einwand nicht verfangen, wir seien im Interesse der Rechtssicherheit gezwungen, die Nachteile einer großzügigen Haftverschonung hinzunehmen. Wir müssen uns zu dem Grundsatz bekennen: Das Sicherheits- und Freiheitsrisiko darf für den Rechtsbrecher nicht kleiner sein als das verfassungsmäßig verankerte und gesetzlich kodifizierte Recht des Bürgers auf Unversehrtheit seines Lebens und Körpers. Zu den geschützten Grundrechten zählen aber nicht nur Leben und Gesundheit, sondern z. B. auch die Unverletztlichkeit der Wohnung und die Gewährleistung des Eigentums. Erinnert sei hier auch an das Recht aller Deutschen, sich ohne Anmeldung und Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die Versammlungsfreiheit wird mehr und mehr durch gewalttätige Straftäter gefährdet, die keinesfalls mit solchen Mitbürgern gleichzusetzen sind — damit hier ja kein Mißverständnis aufkommen kann —, die von ihrem unbestreitbaren und schutzwürdigen Grundrecht der Demonstrationsfrei-
Metadaten/Kopzeile:
4228 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Dr. Schneider
heit Gebrauch machen. Hier steht der Polizist konkret und direkt zwischen Freiheit und Ordnung im Staat, er steht zwischen dem Recht des Einzelbürgers und dem Recht der protestierenden Mehrheit im konkreten Falle. Wo sich die Gewalt über die Rechte anderer hinwegzusetzen droht, ist ein polizeiliches Eingreifen in jedem Falle geboten. Demokratie beruht letztlich auf dem Konsensus aller Bürger, wonach Freiheit, Ordnung und Sicherheit durch niemanden in der Gemeinschaft der Bürger zum Nachteil des anderen gewaltsam verletzt werden darf.
Das Wort hat der Abgeordnete Sieglerschmidt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich Gelegenheit gehabt hätte zu zählen ich hatte den Computer nicht eingeschaltet —, wie oft Sie in Ihren Ausführungen, Herr Kollege Dr. Schneider, die Worte Ordnung, Disziplin und ähnliche schöne Sachen gebraucht haben und wie oft Sie das Wort Freiheit — gelegentlich haben Sie es auch verwandt — gebraucht haben, gäbe das ein überraschendes Ergebnis, mindestens 70 oder 80% „Ordnung" und vielleicht 20 % „Freiheit". Und doch leben wir in einem Staat, der aus einem ausgewogenen Verhältnis von Freiheit und Ordnung kommt, einem Staat, der eine freiheitlich-demokratische Grundordnung hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Bitte!
Herr Kollege Sieglerschmidt, Sie haben eben gesagt, Sie hätten nicht gezählt, wie oft es vorgekommen ist. Wären Sie bereit, Ihre Schlußfolgerungen so lange zurückzustellen, bis Sie die Zählung, von der Sie gesprochen haben, durchgeführt haben?
Herr Kollege Lenz, ich bin sicher, daß meine Schlußfolgerungen richtig sind, auch wenn ich nicht bis auf zwei Stellen hinter dem Komma genau gezählt habe. Ich glaube, so kann man es nicht machen.
Dieses richtige Verhältnis von Freiheit und Ordnung klang in Ihren Ausführungen überhaupt nicht durch. Das wurde ja schon deutlich, als Sie sagten, das Parlament wie die Polizei seien höchste Verfassungsorgane. Da habe ich Sie doch richtig verstanden?
— Für die Polizei. Sehr schön! Dann haben Sie sich aber so ausgedrückt, daß es sehr schwer zu verstehen war.
Das Ganze, was Sie hier vorgebracht haben, war meiner Meinung nach weitgehend vom amerikanischen Wahlkampf beeinflußt. Das war eine klassische „Law-and-order"-Rede und nichts anderes.
Sie haben vom Demonstrationsstrafrecht gesprochen, Herr Kollege. Im Demonstrationsstrafrecht gibt es ja die öffentlichen Plätze, die bei den Aufzügen eine Rolle spielen. Ich kann nur sagen, in Ihren Ausführungen haben die Allgemeinplätze eine entscheidende Rolle gespielt. Das waren doch zum allergrößten Teil Dinge, die, wenn sie neu waren, nicht gut waren — meistens waren sie auch gar nicht neu —, und wenn sie gut waren, nicht neu waren. Das sind alles Dinge, die wir gewußt haben.
Was Ihre Kritik an dem Dritten Gesetz zur Strafrechtsreform anbelangt, so machen Sie sich das alles sehr einfach. Da wird einfach gesagt, das habe die Sicherheit herabgesetzt. Beweisen Sie das doch einmal! Das sind allgemeine Eindrücke, die Sie aus der Fülle Ihres tiefen Gemüts wiedergeben; aber so kann man es doch nicht machen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Herr Kollege Sieglerschmidt, wollen Sie mir bitte zugeben, daß alle Fachpublikationen aus dem Bereich des Polizeirechts und der Kriminologie, die in jüngster Zeit erschienen sind, zwei Gesetzesänderungen kritisieren und für den weiteren Anstieg der Kriminalität verantwortlich machen, einmal unser derzeit geltendes Haftrecht und zum anderen das letzte Strafrechtsänderungsgesetz?
Ich habe mindestens hinsichtlich des letzteren, des Dritten Strafrechtsreformgesetzes keine Veröffentlichung gesehen, in der mit Zahlen dokumentiert worden ist, daß hier ein entsprechendes Ansteigen vorliegt; da gibt es gar nichts.
Im übrigen, um eine Behauptung, die Sie, Herr Kollege Lenz, mit Ihrer Zwischenfrage in Zweifel stellen wollten, deutlich zu dokumentieren: Sie haben sich selbst in einen Widerspruch hineingeritten. Sie haben die GdP, für die ich nicht zu sprechen habe — ich bin in einer anderen Gewerkschaft —, kritisiert, weil sie den Begriff des Ordnungshüters kritisiert hat. Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: ich habe vor einigen Monaten auf einem Seminar leitender Polizeibeamter über diese Fragen gesprochen und unter allgemeinem Beifall ausgeführt, daß der Polizeibeamte eben nicht nur Ordnungshüter, sondern auch Freiheitshüter ist. Sie haben es dann selbst nachher auch gesagt, daß der Polizeibeamte bei seiner Entscheidung zwischen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4229
SieglerschmidtFreiheit und Ordnung steht. Aber Sie haben immer und überall die anderen Dinge in den Vordergrund gestellt.
— Nein, nicht sowohl als auch.
— Sie machen es sich so schön einfach, Herr Kollege Dr. Schneider. Wenn Sie jetzt von der Verherrlichung — lassen Sie mich das wirklich sehr ernst sagen — von Mord, von Gewalt und dergleichen mehr sprechen, möchte ich Ihnen in allem Ernst sagen — bitte, fassen Sie es richtig auf, es ist keine Situation, die Sie betrifft —, es gibt Gegenden, wo die Verherrlichung von Sadismus oder Gewalt usw. an den Kiosken nicht zu finden ist, wo es also keine solche zersetzenden Schriften an den Zeitungskiosken gibt. Ein Stück weiter östlich oder auch in anderen Staaten ist das Problem gelöst. Sie können die Schwierigkeiten, die ein freiheitlicher Staat hat, mit diesen Problemen fertigzuwerden, doch nicht mit einer Handbewegung wegwischen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schneider?
Herr Kollege Sieglerschmidt, erinnern Sie sich noch an meinen Satz, der da gelautet hat: Wohl gibt es Staaten mit öffentlicher Sicherheit und Ordnung ohne demokratische Verfassung; aber niemals wird es Demokratien ohne öffentliche Sicherheit und Ordnung geben.
Sicherlich. Diesen Satz habe ich auch gar nicht kritisch aufgenommen; das ist kein Problem. Aber ich möchte einen anderen Satz von Ihnen kritisch aufnehmen. Sie haben gesagt, es sei ein alter Lehrsatz, daß, wenn sich das Risiko des Verbrechens senke, die Kriminalität steige. Dann muß ja auch das Umgekehrte gelten: Wenn das Risiko des Verbrechens steigt, muß die Kriminalität sinken. Das ist doch richtig, nicht wahr? Das heißt also: wenn Sie etwa die Statistiken über Gewaltverbrechen in der Nazizeit betrachten, wo man ja mit der Todesstrafe sehr schnell bei der Hand war, dann müßten Sie erwarten, daß die Kriminalität gesunken ist; das ist aber nicht der Fall.
— Nein, das tue ich auch nicht. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie es sich zu einfach machen, wenn Sie solche Glaubenssätze in die Welt setzen, die durch andere Statistiken oder andere Sachverhalte widerlegt werden können.
Damit möchte ich zum Schluß kommen. Ich glaube, mit diesen Ausführungen, Herr Kollege Dr. Schneider, haben Sie der Debatte hier keinen hilfreichen Dienst geleistet. Worum es geht, ist die sehr schwierige Frage, auch auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung das richtige und ausgewogene Verhältnis zwischen den Notwendigkeiten von Freiheit und Ordnung, von Freiheit und Sicherheit zu finden. Wir Sozialdemokraten werden dafür sorgen, daß weder nach der einen noch nach der anderen Seite dieses ausgewogene Verhältnis verlassen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zum Schluß ganz wenige Bemerkungen machen, die zum Teil weniger durch den Inhalt, aber doch durch den Gesamttenor der Ausführungen des Kollegen Pensky veranlaßt werden. Der Herr Bundesinnenminister hat eine Formulierung für richtig gehalten, indem er meinte, etwas zurückweisen zu sollen. Das beansprucht ja wohl auch das Zurückweisendürfen, daß ich hier Kritik übe.Sie haben, Herr Minister, da ein wenig in die falsche Kiste gegriffen. Ich bin ganz sicher, daß Sie sich damit nicht eine Befugnis haben anmaßen wollen, die von Ihnen ernsthaft nicht in Anspruch genommen werden kann; denn wer hier für meine Fraktion spricht, bestimmt ja sicherlich auf längere Zeit nicht der Bundesminister des Innern. Das haben Sie auch nicht tun wollen, wie ich annehme.Herrn Kollegen Pensky möchte ich nur folgendes sagen. Ich fühle mich natürlich in gewissem Umfange geehrt, wenn der Redner einer so großen Fraktion wie der sozialdemokratischen, dem wie mir 45 Minuten zur Verfügung stehen, um den Standpunkt seiner Fraktion zum Thema ,,Verbrechensbekämpfung" darzulegen, 431/2 Minuten seiner Redezeit — ich habe auf meine Uhr geguckt — dafür aufwendet, um sich nicht mit den Tätigkeiten der gegenwärtigen Regierung, sondern mit denen des früheren Bundesministers des Innern auseinanderzusetzen.
Das ehrt mich. Wir können dies nun, wenn das Hohe Haus dazu Neigung hat — woran ich zu zweifeln einigen Anlaß habe, wenn ich auf die Gesichter sehr — Punkt für Punkt diskutieren. Herr Pensky, ich möchte Ihnen nur etwas zu bedenken geben. Bitte glauben Sie nicht, daß ich jetzt den Versuch unternehmen will, Ihnen irgendwelche Belehrungen zu erteilen. Ich sage wirklich nur einmal, wie ich das empfinde. Sie werden sich ja wohl sicher auch bei den Kontroversen, — die wir haben, daran erinnern, daß wir in der Zeit, mit der Sie sich beschäftigt haben — ich rede jetzt von meiner Amtszeit —, zusammen in einer Koalition gesessen haben. Damals habe ich — ich hoffe, daß das von den Kollegen, die damals dabei waren, bestätigt werden kann — im Bundestagsausschuß für Inneres ein Klima der Zusammenarbeit mit den Kollegen auch der sozialdemokratischen Fraktion, mit den Kollegen meiner eigenen Fraktion und auch mit den Kollegen der damaligen Opposition gehabt, für das ich auch heute noch dankbar bin. Ich habe die notwendige politische Unterstützung von dem damaligen
Metadaten/Kopzeile:
4230 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
BendaKoalitionspartner gehabt; auch das erkenne ich dankbar an. Ich habe auch mit den Herren Innenministern der Länder aus allen Parteien ein ebenso fruchtbares und gutes Verhältnis der Zusammenarbeit gehabt.
Ich finde es — gestatten Sie den Ausdruck — einbißchen schäbig, wenn man nach Ablauf eines Jahres dann so tut, als ob das, was in der damaligen Zeit geschehen ist, nur gegen den erbitterten Widerstand der Partei, die heute auf der anderen Seite sitzt, geschehen wäre und als ob das nicht von ihr mit getragen worden wäre. Verehrter Herr Kollege Pensky, dabei bestreite ich die parlamentarische Verantwortung, die die damalige Regierung und auch ich persönlich für Einzelaktionen oder, wenn Sie so argumentieren wollen, angebliche Einzelunterlassungen haben, selbstverständlich nicht. Ich bitte Sie nur einmal zu überlegen, ob es für die Fraktion der SPD oder überhaupt für dieses Hohe Haus nützlich ist, eine Debatte über Probleme, die heute vor uns stehen, mit einer rückwärtsgewendeten Betrachtung zu bestreiten. Ich überlasse das Ihrem eigenen Urteil; insofern habe ich Ihnen keine Empfehlungen zu geben. Ich hätte gern mehr konkret zu den Punkten gehört, die wir vor Ihnen ausgebreitet haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pensky?
Ja, sehr gerne, Herr Pensky.
Herr Kollege Benda, würden Sie zunächst zur Kenntnis nehmen, daß ich nicht Ihnen allein die Ehre, von der Sie gesprochen haben, angetan habe, sondern auch Ihren Herren Amtsvorgängern. Würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, daß es notwendig war, auf Ihre Unterlassungssünden, wenn man so will, hinzuweisen, weil Sie diese Bundesregierung ja nicht nur in diesem Hause, sondern auch anderswo attackiert haben. Würden Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß es, wenn ich grundsätzlich sage, daß wir das Sofortprogramm der Bundesregierung voll und ganz unterstützen,
dann nicht meine Aufgabe ist, dieses Programm weiter zu erläutern. Das war vielmehr die Aufgabe des Bundesinnenministers.
Ich sage erneut, ich will Ihnen keine Ratschläge für Ihre Argumentation hier geben; das steht mir auch gar nicht zu. Aber nur um zu sagen, daß Sie das Sofortprogramm der Bundesregierung unterstützen, hätten Sie nach meiner Zeiteinschätzung maximal 10 Sekunden benötigt. Im übrigen glaube ich es Ihnen auch so.
Aber, wie gesagt, das ist Ihr Problem.
Noch ein Wort zu dem Thema der Drucksache, das ich mit dem Herrn Bundesminister des Innern hier erörtert habe. Der Punkt, der zwischen uns strittig bleibt, Herr Minister, nämlich die Frage, was zwischen dem Fraktionsgeschäftsführer meiner Partei und Ihnen besprochen worden ist, werden wir aufklären, wenn der Kollege zur Verfügung steht. Aber hier ist ja wohl bestätigt worden — darauf kam es mir an —, daß uns die Drucksache — niemand hat, glaube ich, hier das Gegenteil behauptet — in der Tat erst gestern früh zwischen 9 und 10 Uhr zur Verfügung gestanden hat. Ich glaube, daß die Auffassung, die ich hier geäußert habe, daß dieses eine reichlich kurze Zeit ist, wohl auch nicht bestritten werden kann.
Herr Kollege Benda, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke?
Ja, sehr gerne.
Herr Kollege Benda, da Sie soeben beklagt haben, daß sich der Herr Kollege Pensky mit Ihren Ausführungen so lange beschäftigt hat, darf ich Sie fragen: Sind Sie nicht der Meinung, daß Sie das insofern herausgefordert haben, als Sie eigene Sünden als fremde Sünden gebeichtet haben?
Herr Rutschke, nun wollen wir also das ganze Spiel noch einmal von vorne anfangen. Aber ich will Ihnen noch etwas zur Sache sagen. Entgegen der Meinung des Herrn Kollegen Genscher, den ich jetzt einmal nicht in seiner amtlichen Stellung, sondern als Kollegen ansprechen möchte, fühle ich mich wohl legitimiert, zu dem Thema etwas zu sagen. Ich weiß nämlich auch — ich meine, das vorhin gesagt zu haben; vielleicht ist es ganz gut, wenn man das am Schluß einer Debatte wiederholt —, welch ungeheuer schwere Arbeit es ist, bei der gegenwärtig bestehenden Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden — Herr Minister Strelitz, leider muß man die Gemeinden insoweit ja auch hinzufügen; Thema: kommunale Kriminalpolizei und allgemeine Polizei — und bei dem wirklich verdienstvollen, aber leider, wie es meine Überzeugung ist, nur im Schnekkentempo vorankommenden Bemühen der Innenminister der Länder, die schwierigen Probleme zu bewältigen.Heute reden wir über die gegenwärtige Regierung. Das ist ja wohl die Aufgabe des 6. Deutschen Bundestages. Das andere überlassen Sie doch den Historikern, soweit es von irgendeiner Wichtigkeit ist. Wir haben immer eine Momentaufnahme. Herr Genscher hat die Dinge in einem bestimmten Zeitabschnitt übernommen. Ihm ist es gegangen wie mir. Ich stelle mich nicht hinter dieses Podium, um Urteile über die Tätigkeit meiner Vorgänger abzugeben. Das ist eine Frage des Stils; darüber denke ich vielleicht ein bißchen anders als mancher andere hier.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4231
BendaJeder übernimmt die Dinge in einer bestimmten Situation. Er findet Fakten vor, die vielleicht nicht immer seinen Idealvorstellungen entsprechen, die er aber einfach hinzunehmen hat. Es wäre ein törichter Vorwurf, wenn ich oder irgendein anderer sagen würde: Das, was nicht in deiner Zeit angefallen ist, Tatsachen, die vor dir gesetzt worden sind, muß du so behandeln, als wären sie vor dir anders gewesen. Das wäre ganz töricht; das sage ich auch nicht. Aber ich glaube die zeitliche Situation in der Regierung — auch bei den Ländern im Augenblick der Amtsübernahme von Herrn Minister Genscher recht genau zu übersehen. Das können wir im einzelnen diskutieren. Von da an diskutiere ich, und darauf beziehen sich die Bemerkungen, die ich gemacht habe. Ich glaube, das wäre auch die richtige Art, darüber zu sprechen.
— Nein, Herr Schäfer! Ich glaube, Sie sind da auf einem Abwege.
Ich muß feststellen — das bedauere ich —, daßabgesehen von diesem soeben behandelten, ein wenig polemisch geführten Punkt zu den Sachfragen eigentlich relativ wenig gesagt worden ist. Zu dem Thema Strafprozeßordnung hätte ich sehr gern ein wenig mehr gehört. Ich habe von Herrn Kollegen Pensky zur Kenntnis genommen, daß man darüber reden könne. Von der Fraktion der FDP habe ich gar nichts gehört, von der Regierung auch nichts. Wir werden darauf zurückkommen. Man wird das ja hören.Zum letzten Punkt. Da wende ich mich an Sie, Herr Minister Strelitz. Sie haben mir freundlicherweise eine Broschüre überreicht. Ich darf mich bedanken, Ihnen aber sagen, daß ich in diesen Tagen Gelegenheit hatte — wie der Zufall so spielt —, auch • durch das schöne Hessenland zu fahren. Bei einer dieser Gelegenheiten ist es mir dort bereits überreicht worden. Ich möchte mich bei Ihnen aber nicht nur im Wort, sondern in der Tat bedanken. Wir kehren zu der Sitte unserer Väter zurück, die sich Geschenke überreicht haben. Darf ich Ihnen ein Produkt überreichen, das gegenwärtig in unseren deutschen Buchläden von jedermann frei käuflich ist: das Mini-Handbuch für Stadt-Guerillas? In diesem Handbuch steht u. a., daß sich der bewaffnete Kampf der Stadt-Guerillas im Rahmen des unausweichlichen Klassenkampfes gegenwärtig gegen zwei hauptsächliche Ziele richtet. Das eine Ziel ist die physische Liquidierung der Chefs und Henkersknechte der Streitkräfte und der Polizei. Ich meine, der Umstand, daß dieses Handbuch heute von jedermann in einem deutschen Buchladen erworben werden kann, zeigt, daß dieses Geschenk kein Gag von mir ist, sondern ein Sachbeitrag zum Thema. Herr Minister, ich erlaube mir, Ihnen das Handbuch als Dank für die Broschüre zu überreichen, die Sie mir gegeben haben und die übrigens sehr interessant ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den letzten Worten bin ich natürlich in einer ganz schwierigen Position, da ich weder ein Buch noch ein anderes Geschenk zu vergeben habe. Ich habe leider, Herr Kollege Benda, auch nicht allzu viele Rosen zu flechten.Ich möchte eines noch einmal sehr deutlich klarstellen, Herr Kollege Benda. Die Regierung hat durch ihren Vertreter im Ältestenrat zu erreichen versucht, daß diese Debatte am Freitag geführt wird. Die Opposition bestand darauf, diese Debatte heute zu führen. Insofern ist die Zeit zwischen der Möglichkeit der Kenntnisnahme der Vorlage der Regierung und der Debatte von den Vertretern der Opposition ganz entscheidend eingeschränkt worden. Das muß man dann in seine Überlegungen mit einkalkulieren. Sie sagen: Ich habe nicht genügend Zeit gehabt. Wir wollten die Debatte erst am Freitag machen. Wenn Ihre Partei darauf besteht, sie heute zu führen, können wir in dieser Frage nichts mehr machen.Im übrigen meine ich, diese Frage ist nicht so entscheidend. Denn das, was Sie vorgetragen haben, hat bewiesen, daß Sie den Bericht der Bundesregierung über das Sofortprogramm gelesen haben. Da Sie ihn nicht nur gelesen haben, sondern in einer Reihe von Äußerungen, auf die ich gleich zurückkommen werde, auch qualifiziert haben, meine ich, daß das Argument, das Sie vorgetragen haben, doch primär ein vorgeschobenes Argument ist.Nun, meine Damen und Herren, wir haben uns in den letzten Jahren mehrfach in diesem Hause über Verbrechensbekämpfung, über Zentralisierung der Verbrechensbekämpfung, über entsprechende Maßnahmen, über Anträge dazu unterhalten. Ich denke an den Antrag der FDP-Fraktion vom 30. Oktober 1968 über eine wirksame einheitliche Verbrechensbekämpfung, an den Antrag der FDP-Fraktion vom 21. Januar 1969 über die Änderung des Gesetzes über die Einrichtung des Bundeskriminalamtes, Kompetenzerweiterung und all die Dinge, die damals von uns angesprochen worden sind. Ich denke an die Debatten vom Dezember 1968, vom Januar 1969 und vom 5. Februar 1969. Herr Kollege Benda, damals waren Sie der zuständige Ressortminister. Bei keiner dieser Debatten waren Sie im Plenum anwesend.
Am 5. Februar 1969, als das zum drittenmal so war, habe ich das hier kritisiert und gesagt: Ich bedauere es außerordentlich, daß sich der zuständige Innenminister in der Frage der Verbrechensbekämpfung hier im Parlament nicht zur Verfügung stellt. Ihr Fraktionskollege Köppler, den ich persönlich sehr schätze, hat dann gesagt, wenn der Minister gewußt hätte, daß ich wert darauf legte, daß er anwesend sei, und ich ihm dies vor der Debatte mitgeteilt hätte, wäre er sicher dagewesen.
Metadaten/Kopzeile:
4232 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
DornIch habe damals gesagt, er hätte eigentlich aus der Tagesordnung ersehen können, was hier behandelt wird.
Sie haben hier gesagt, die Regierung gebrauche starke Worte und Ankündigungen, und haben ähnliche Kritik an der Haltung der Regierung vorgetragen. Andererseits haben Sie den Fünfjahresplan, den Sie damals in Ihrem Hause erarbeitet haben, dem Parlament nie zugestellt. Wir haben als Abgeordnete doch nie Kenntnis von dem bekommen, was Sie erarbeitet haben. Sie haben es der Öffentlichkeit übergeben. In der Presse ist davon einiges in Erscheinung getreten. Nun gut; für eine gute publicrelations-Arbeit habe ich volles Verständnis. Aber hier war doch der Ort, wo wir uns über Ihre Ideen hätten unterhalten können. Sie haben nicht einmal Gelegenheit genommen, das wahrzumachen, was Sie heute hier kritisch vermerken, Forderungen an das Parlament zu stellen, selber zu sagen: Wir brauchen die erforderlichen Mittel, wir brauchen die Personalverstärkung, wir brauchen die EDV-Anlagen, und zu sagen, aus welchem Grunde wir sie brauchen. Das alles hätten Sie hier in Ihrer Amtszeit vortragen können. Nicht ein einziges Mal haben Sie diese Gelegenheit genommen. Deswegen ist das, was hier an kritischen Bemerkungen vom Kollegen Pensky vorgetragen worden ist, auch so zu werten, daß man nicht immer nur kritische Bemerkungen machen und sagen kann, daß das, was die Regierung vorgetragen hat, mit starken Worten vorgetragen worden sei. Der Bundesminister des Innern, Hans-Dietrich Genscher, hat hier dem Parlament einen klaren Fahrplan vorgelegt.Natürlich ist manches von dem auch in Ihren Überlegungen zu finden, vielleicht auch in Überlegungen Ihrer Vorgänger. Das kann ich so im einzelnen gar nicht beurteilen. Herr Genscher hat ja zu diesem Thema auch ein Zitat von Herrn Lücke hier im Hause gebracht, welches zeigt, daß im Jahre. 1966 bereits erkennbar war, welche Probleme anstehen. Deswegen kommen wir nicht ganz daran vorbei, uns auch über die Zeit zu unterhalten, in der Sie die politische Verantwortung für diese Sache getragen haben. Deswegen, meine ich, ist es eben notwendig, hier noch einmal ganz klar festzustellen: Diese Bundesregierung hat mit „Sofortprogramm" nicht gemeint, daß sie sofort etwas vorlegt — das hat Herr Genscher damals sehr deutlich gesagt —, sondern diese Bundesregierung hat mit „Sofortprogramm" ein Programm gemeint, in dem eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, die sofort realisiert werden sollen, dem Parlament vorgeschlagen wird. Das ist hier an dieser Stelle geschehen, und der Herr Bundesminister des Innern hat sich hierzu geäußert.Nun können Sie sagen, wie Sie es hier, auch in der kritischen Bemerkung gegenüber Herrn Minister Strelitz, getan haben: Die Länder können die Zuständigkeit für die Polizei nur dann behalten, wenn sie in letzter Konsequenz entsprechend dem Antrag handeln, den Sie von der CDU-Fraktion hier vorgelegt haben. Wir haben ja nun im Bereich der Innenministerkonferenz auch im letzten Jahr diese Frage mehr als einmal diskutiert.Sie haben in diesem Sofortprogramm der Bundesregierung eine Fülle von Einzelheiten, die sofort, Anfang des kommenden Jahres, realisiert werden können. Mit ihnen kann man die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die personelle Verstärkung des Bundeskriminalamts endlich erfolgen kann. Denn nur dann kann eine Fülle von Maßnahmen durchgeführt werden, die Sie und wir in der Anlage der Konzeption gemeinsam fordern, wobei ich nicht unbedingt unterstellen möchte, daß diese Konzeption in allen Punkten identisch ist mit dem, was Herr Dr. Schneider hier vorgetragen hat. Zumindest gilt das nicht für mich. Das sage ich genauso deutlich.Herr Kollege Benda, Sie haben hier vorhin kritisiert, daß das Laufbahnrecht nicht in der Weise geregelt worden ist, wie es erforderlich wäre. Ich sage Ihnen, Sie haben in der Sache recht. Als ich den Zwischenruf machte: Seit wann?, haben Sie gesagt, seit dem 19. Jahrhundert. Ich kann Ihnen nur sagen, wäre diese Erkenntnis bei Ihnen etwas früher sichtbar geworden, hätten wir manche Entwicklung, die wir zur Zeit haben, in dieser Zuspitzung vielleicht gar nicht erst bekommen. Wir hätten sie nicht bekommen, wenn Sie aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen gezogen hätten. Wir werden jetzt die Konsequenzen daraus ziehen; darüber gibt es keinen Zweifel. Das ist das, was die Bundesregierung hier vorgetragen hat.Ich möchte im Gegensatz zu meinem Kollegen von der SPD sagen, daß der Beitrag des Kollegen Schneider doch ein wichtiger Beitrag gewesen ist. Er hat uns nämlich auf die Zwischenfragen des Kollegen Schäfer hin noch einmal klargemacht, welch große Problematik in bestimmten Bereichen in Bayern heute entstanden ist
und wie notwendig es ist, daß auch diese bayerische Staatsregierung eine Änderung ihrer politischen Maßnahmen durchführt. Das, was der Kollege Schneider vorgetragen hat, war nämlich ein einziges Klagelied über die Verhaltensweise dieser Regierung, die für die Regelung dieser Frage zuständig ist.
Insoweit, Herr Kollege Schneider, war Ihr Beitrag ein wichtiger Beitrag. Allerdings muß ich gestehen: überwiegend nur insoweit.
Herr Kollege Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Herr Kollege Dorn, sind Sie bereit und in der Lage, mir Auskunft darüber zu geben, welche Statistiken andere Bundesländer über die Jugendkriminalität und über die Rückfallkriminalität der Jugendlichen haben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4233
Herr Kollege Schneider, diese Passagen meinte ich gar nicht. Ich meinte die Passagen, zu deren Verdeutlichung Herr Professor Schäfer beigetragen hat, als er zweimal eine Zwischenfrage stellte. Bei diesen Zwischenfragen ist Ihnen wahrscheinlich nicht deutlich genug geworden, daß für die Probleme, die Sie hier mit Recht kritisiert haben, einzig und allein die Staatsregierung von Bayern zuständig ist.
Herr Kollege Dorn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Bitte schön!
Wollen Sie etwa behaupten, daß die bayerische Staatsregierung verantwortlich ist für die negative Beeinflussung der Jugendmentalität — das habe ich kritisiert — durch die Publikationsträger und durch viele andere schädliche Einflüsse, die in unserem Lande landauf, landab zu beobachten und zu beklagen sind?
Ich habe die Rede ja nicht gelesen. Sie haben sie ja hier vorgelesen, und Sie haben die Kritik angemerkt, so daß ich das Urteil über Ihre Rede der bayerischen Staatsregierung selber überlassen möchte.
Nun möchte ich noch wenige Worte zu dem Antrag sagen, der uns von der christlich-demokratischen Fraktion vorgelegt worden ist. In Punkt 1 sagen Sie, Herr Kollege Benda:Dabei ist davon auszugehen, daß die noch bestehenden kommunalen Kriminalpolizeien aufgelöst werden und eine den Weisungen der Landeskriminalämter unterstehende staatliche Kriminalpolizei geschaffen wird.Das ist eine Frage, über die wir nicht erst jetzt, sondern schon in früheren Jahren diskutiert haben. Eine solche Äußerung haben wir bisher aus dem Bereich der CDU/CSU-Fraktion noch nicht zur Kenntnis genommen. Ich nehme an, da die CSU als Ihr Teil des bayerischen Bereichs diesen Antrag ebenfalls beschlossen hat, daß der bayerische Innenminister Merk sehr bald die Konsequenzen aus diesem Teil Ihres Antrags ziehen und die bayerische Staatsregierung entsprechend handeln kann; denn Sie haben ja dort die absolute Mehrheit und könnten das sofort in die Tat umsetzen. Ich bin nicht sicher, ob das so erfolgen wird. Immerhin, Sie können es ja in Ihrer Partei regeln.Der Punkt 2 ist ohne Zweifel ein interessanter Vorschlag. Nur ist er, wie Herr Minister Strelitz vorhin schon dargelegt hat, in vielen Punkten durch die pragmatische Arbeit der Polizei längst überholt, und ich bin nicht der Meinung, daß man Dinge, die sich pragmatisch schon eingespielt haben, nachträglich unbedingt noch durch Staatsverträge und ähnliche Dinge absichern sollte.Zu Punkt 3 kann ich Ihnen nur sagen, Herr Kollege Benda: was Sie hier fordern, ist von dieser Bundesregierung in der Praxis bereits eingeleitet.Zu Punkt 4 kann ich Ihnen auch nur das sagen, was Herr Genscher vorhin noch einmal vorgetragen hat: das Institut Hiltrup ist nun nach langjährigen Bemühungen endlich in der Lage, diese Position auszufüllen, so daß auch das bereits läuft.Zum Punkt 5 möchte ich Ihnen eines sehr deutlich sagen, Herr Kollege Benda. Wenn man diese Formulierung nüchtern liest und die dahinterstehenden Zusammenhänge nicht bewertet, bekommt man den Eindruck, daß das ein Problem der Organisation der Beschaffung sei. Darum geht es hier aber gar nicht. Sie sagen in Punkt 5:daß der Bund das Beschaffungswesen für die Kriminalpolizei übernimmt entsprechend der bereits für die Bereitschaftspolizei der Länder bestehenden Regelung.Das ist nicht ein Problem der Organisation der Beschaffung, das ist erst einmal ein Problem der Organisation der Anlagen überhaupt. Was wir seit Jahren — ich in diesem Hause seit 1962 — in einer Vielzahl von Etatberatungen, in vielen Fällen kontrovers, und auch im Innenausschuß mit Ihrer Fraktion vorgetragen und gefordert haben, ist jahrelang vernachlässigt worden, und nichts ist geschehen. Der Innenausschuß hat diese Frage noch einmal bei seiner Bereisung der Vereinigten Staaten im Jahre 1966 geprüft. Das Bundeskriminalamt, Herr Kollege Benda, ist leider durch eine lange Zeit falsch vertretene Konzeption nicht in die Lage versetzt worden, mit den entsprechenden EDV-Anlagen ausgestattet zu werden, weil man pausenlos neue Überlegungen angestellt hat, ob es nicht technisch möglich sei, vielleicht noch eine 21. Variante des Kellereinbruchs zu finden. Man hat gemeint, bevor man diese Variante nicht gespeichert habe, könne man mit den ganzen EDV-Anlagen nicht zu Stuhl kommen. Diese Frage haben wir in den Beratungen des Innenausschusses hier im Bundestag doch stundenlang diskutiert.Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen. Jede Bundesregierung, jeder Innenminister, ganz gleich, von welcher — —
-- Über den Punkt 6 werden wir uns unterhalten müssen, Herr Kollege Benda.
Wir werden sehen, zu welchem Ergebnis man im Rechtsausschuß und auch im Innenausschuß des Deutschen Bundestages kommen wird. Aber so einfach, wie Sie es sich hier mit der Darstellung und Anreißung des Punktes 6 gemacht haben, kann man das Problem leider auch nicht lösen.
Das Problem ist sehr viel vielschichtiger, als Sie und Herr Kollege Schneider es hier dargestellt haben. Sie wissen das selber auch viel zu genau, als daß Sie das hier bestreiten wollten.
Metadaten/Kopzeile:
4234 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
DornVielleicht sollte man auch in der Opposition doch einmal anerkennen, daß die Bundesregierung bereits innerhalb eines Jahres — ein Jahr und einen Tag hat es gedauert bis zur Vorlage des Sofortprogramms nach der Erklärung, die damals abgegeben wurde — eine Fülle von Fakten realisiert hat. Auch das kann die Opposition nicht bestreiten. Monatelang vor dieser Debatte sind durch den Bundesminister eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet worden. Das kann die Opposition ebenfalls nicht bestreiten. Daß sie jetzt in dieser Stunde Kritik an manchen Maßnahmen übt, ist ihre Aufgabe, die wiederum ich gar nicht bestreiten will. Aber vielleicht hätte die Opposition doch ein Wort dafür finden können, Herr Kollege Benda, daß die Bundesregierung immerhin in diesem einen Jahr gehandelt und auch vieles von den Vorschlägen realisiert hat, die zu Ihrer Amtszeit schon erarbeitet worden sind. Das sollte man in einer solchen Stunde im Parlament auch nicht verschweigen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache und haben über den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 81 zu entscheiden. Mir ist mitgeteilt worden, daß eine Überweisung an den Innenausschuß — federführend — und an den Rechtsaussuß zur Mitberatung vorgesehen ist. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltung? — Es ist so beschlossen.Wir haben noch einige Punkte zu erledigen, bei denen keine Debatte vorgesehen ist. Ich bitte Sie deshalb, noch eine Weile im Saal zu bleiben.Zunächst Punkt 5 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern— Drucksache VI/1098 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache VI/ 1292 —Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/1214 —Berichterstatter: Abgeordneter Krammig
Das Wort in zweiter Beratung wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung.Wer den Artikeln 1, 2 und 3 sowie der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen. Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Krammig, Brück, Porzner, Dr. Slotta, Frau Funcke und den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964— Drucksache VI/908 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache VI/1291 —Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/1192 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Becker
Das Wort in der zweiten Beratung wird nicht gewünscht. Ich lasse über die Fassung abstimmen, wie sie aus der Zusammenstellung in Drucksache VI/1192 ersichtlich ist, und rufe die Artikel 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer diesen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Wir kommen zurdritten Lesung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz als Ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1971, 1972, 1973, 1974 und 1975— Drucksache VI/933 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache VI/1330 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs
Das Wort in zweiter Beratung wird nicht begehrt. Ich lasse über die vom Ausschuß vorgeschlagene, aus der Zusammenstellung in Drucksache VI/ 1330 ersichtliche Fassung abstimmen. Wer den §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 6 a, 7, 8, 8 a, 9 und 10 sowie der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4235
Vizepräsident Frau Funcke Wir kommen zurdritten Lesung.Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 8 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes— Drucksache VI/938 --a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache VI/ 1290 --Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammerb) Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses
— Drucksache VI/1228 Berichterstatter: Abgeordneter Biehle
Das Wort in zweiter Lesung wird nicht begehrt. Der Antrag des Ausschusses lautet, den Gesetzentwurf Drucksache VI/938 unverändert anzunehmen. Ich rufe die Artikel 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich ) um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -- Angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes— Drucksache VI/1008 Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/1280 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Miltner
Ich rufe in der zweiten Beratung Artikel 1 --- in der Fassung des Ausschußantrags Drucksache VI/1280 —, Artikel 2, Artikel 3, die Einleitung und die Überschrift auf. Keine Wortmeldungen.Wer den aufgerufenen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltung? — Angenommen!Ich rufe zurdritten Beratungauf. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bodennutzungs- und Ernteerhebung— Drucksache VI/1134 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache VI/ 1283 —Berichterstatter: Abgeordneter Berlin
Ich rufe in der zweiten Beratung auf Artikel 1 — in der Fassung des Ausschußantrags Drucksache VI/ 1283 —, Artikel 2, Artikel 3, Artikel 4, Einleitung und Überschrift. Keine Wortmeldungen.Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! -- Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe zurdritten Beratungauf. Keine Wortmeldungen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz im ganzen zustimmen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Punkte 12 und 13 der Tagesordnung:12. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. mittelfristige Finanzplanung (Ausbau und Neubau von Hochschulen)— Drucksachen VI/425, VI/957 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. GölterAbgeordneter Moersch13. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft über den Antrag der Abgeordneten Dr. Martin, Dr. Reinhard, Dr. Preiß und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Lage der landwirtschaftlichen FakultätenDrucksachen VI/156, VI/958 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. SperlingEs ist mir gesagt worden, daß interfraktionell die Auffassung bestehe, man möge die Vorlagen für erledigt erklären. Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 14 und 15 der Tagesordnung auf:
Metadaten/Kopzeile:
4236 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Vizepräsident Frau Funcke14. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission fürden Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Aufstellung der Grundregeln für die Lieferung von Butter und Magermilchpulver an unterentwickelte dritte Länder, an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und an die Joint Church Aidden Entwurf einer Entschließung des Rates über die Finanzierung der Lieferung von Butter und Magermilchpulver an Entwicklungsländerden Entwurf eines Beschlusses des Rates betreffend die Aushandlung der verschiedenen Verträge mit einigen Entwicklungsländern, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und der Joint Church Aideine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien des Rates vom 14. Juni 1966 über den Verkehr mit Betarübensaatgut, über den Verkehr mit Futterpflanzensaatgut, über den Verkehr mit Getreidesaatgut, über den Verkehr mit Pflanzkartoffeln und vom 30. Juni 1969 über den Verkehr mit Saatgut von Öl- und Faserpflanzeneine Verordnung des Rates über die Differenzierung der Erstattung bei der Ausfuhr von Kaseinateneine Verordnung des Rates zurÄnderung der Verordnung Nr. 132/67/EWG zur Festlegung der Grundregeln für die Intervention bei Getreideeine Verordnung des Rates zur Aufstellung von Grundregeln über die Lieferung von butter oil in die Türkeiden Entwurf einer Entschließung des Rates über die Finanzierung und Lieferung von Butter, butter oil und Magermilchpulver an Peru, Rumänien und die Türkeieine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen über die Finanzierung der Interventionsausgaben auf dem Binnenmarkteine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 9. April 1968 über den Verkehr mit vegetativem Vermehrungsgut von Reben— Drucksachen VI/699, VI/991, VI/994, VI/1088, VI/1090, VI/ 1093, VI/1104, VI/1251 —Berichterstatter: Abgeordneter Bremm15. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für den Entwurf einer Verordnung (Euratom) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in der Bundesrepublik Deutschland dienstlich verwendet werden— Drucksachen VI/993, VI/1254 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
Es handelt sich um Berichte des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Innenausschusses über Vorschläge der EG-Kommission. Keine Wortmeldungen. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam darüber abstimmen? — Kein Widerspruch. Wir kommen zur Abstimmung.Wer die Vorschläge der EG-Kommission gemäß den Anträgen der Ausschüsse zur Kenntnis nehmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagungsordnungspunkt 16 auf:Beratung der Sammelübersicht 11 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 30. September 1970 eingegangenen Petitionen— Drucksache VI/1319 —Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 18 bis 22 auf:18. Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Häfele und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes— Drucksache VI/1255 —19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Eignungsübungsgesetzes— Drucksache VI/1314 20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 22. April 1968 über die Rettung und Rückführung von Raumfahrern sowie die Rückgabe von in den Weltraum gestarteten Gegenständen.— Drucksache VI/1322 21. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schellenberg, Müller , Schmidt (Kempten), Ruf, Liehr, Dr. Götz, Urbaniak und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes
— Drucksache VI/1244 22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4237
Vizepräsident Frau FunckeÄnderung sozial- und beamtenrechtlicher Vorschriften über Leistungen für verheiratete Kinder— Drucksache VI/1316 —Das Wort wird nicht gewünscht.Wer den aus der Tagesordnung ersichtlichen Überweisungsvorschlägen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Danach hat das Haus folgende Überweisungen beschlossen:Drucksache VI/ 1255 an den Finanzausschuß — federführend — und an den Innenausschuß;Drucksache VI/1314 an den Verteidigungsausschuß — federführend —, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung;Drucksache VI/ 1322 an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft;Drucksache VI/1244 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft;Drucksache VI/ 1316 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Innenausschuß und den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung.Es ist interfraktionell beschlossen worden, Punkt 23 von der Tagesordnung abzusetzen.Wir kommen zum Punkt 24 der Tagesordnung: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft„Dönche" in Kassel an die Stadt Kassel — Drucksache VI/ 1295 —Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Antrag an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Meine Herren und Damen, wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe das Haus auf morgen, Donnerstag, den 5. November, 14 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.